Jean Etienne Marie Portalis und der Code civil [1 ed.] 9783428491391, 9783428091393

Der Autor behandelt einen Höhepunkt der französischen und europäischen Zivilrechtsgeschichte: die Entstehung des Code ci

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German Pages 247 Year 1997

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Jean Etienne Marie Portalis und der Code civil [1 ed.]
 9783428491391, 9783428091393

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MARKUS ALEXANDER PLESSER

Jean Etienne Marie PortaUs und der Code civil

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge • Band 28

Jean Etienne Marie Portalis und der Code civil Von Markus Alexander Plesser

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Plesser, Markus Alexander:

Jean Etienne Marie Portalis und der Code civil/ von Markus Alexander Plesser.- Berlin: Duncker und Humblot, 1997 (Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 28) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09139-6

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1997 Duncker &

ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-09139-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Meinen Eltern

Vorwort Diese Abhandlung lag der Juristischen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg im Wintersemester 1996/1997 als Dissertation vor. Das Manuskript wurde im wesentlichen im Juni 1996 abgeschlossen. Ganz herzlich danken möchte ich Herrn Professor Dr. Detlef Liebs. Er hat die Arbeit intensiv und wohlwollend betreut und durch seine vielflUtigen Anregungen sehr gefördert. Großen Dank schulde ich auch meinem Vater, Herrn Dr. Norbert Plesser, der mich erheblich unterstützt hat, indem er mir in zahlreichen kritischen Gesprächen über die Arbeit viele Denkanstöße gab.

Bonn, im Mai 1997 Markus Alexander Plesser

Inhaltsübersicht A. Einleitung................................................................................................................ 19 B. Biographie von Portalis ........................................................................... ............. 23 C. Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen- vom ancien droit zum Code civil ........ 31 D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis ............ .42 E. Portalis und die Staatsratsdebatten zum Code civil ........................................... 57 I. Der Code civil ............................ ..........................................................,......... 57 II. Der Präliminartitel ......................................................................................... 57 III. Erstes Buch "Von den Personen" ........................ .. ........................................ 64 I. Erster Titel.,Von der Nutznießung und dem Verlust der Bürgerrechte (droits civils)" .... ... ..... ... ........ ..... ............... .... ...... ...... ...... ............. ... ..... ..... 64 2. Zweiter Titel "Von den Zivilstandsurkunden"- Artikel 43 Code civil .. ... 73 3. Dritter Titel "Vom Wohnsitz"- Artikel 102 Code civil... ........................ .. 73 4. Vierter Titel "Von den Verschollenen" ..................................................... 76 5. Fünfter Titel "Von der Ehe" .................................. .................................... 83 6. Sechster Titel "Von der Ehescheidung" .................................................... 95 7. Siebter Titel "Von Vaterschaft und Abstammung" ................................... 108 8. Achter Titel, Erstes Kapitel "Von der Adoption" .................................... 125 9. Neunter Titel "Von der väterlichen Gewalt" ............................................. 13 7 10. Zehnter Titel, Zweites Kapitel, Erster Abschnitt "Von der Vormundschaft des Vaters und der Mutter"- Artikel 391 Code civil ....... 140 IV. Zweites Buch "Von den Sachen und den verschiedenen Beschränkungen des Eigentums" .................................................................... l42 I. Erster Titel, Zweites Kapitel "Von den beweglichen Sachen"Grundrentenverträge .............. ................................................................... 142 2. Zweiter Titel "Vom Eigentum" ............................................................. .. .. 147 V. Drittes Buch "Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben" ......... 156 I. Erster Titel ., Von der Erbschaft" ................................................. .............. 156

10

Inhaltsübersicht 2. Zweiter Titel .. Von Schenkungen unter Lebenden und von Testamenten".... . .............................. .. ... ........................... .......... 167 3. Fünfter Titel ..Vom Ehevertrag und den beiderseitigen Rechten der Ehegatten......................... .................................................................. ....... . 188 4. Sechster Titel. Sechstes Kapitel, Zweiter Abschnitt .. Von der Aufhebung des Kaufvertrags wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit'' .......... .... .. .. .. 199

5. Vierzehnter Titel .,Von der Bürgschaft''- Artikel2020 Code civil... ........ 208 6. Achtzehnter Titel. Drittes Kapitel .. Von den Hypotheken'' ................ .. ...... 210

F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung ................................... 219 G. Literaturverzeichnis ..................... ........................................................... .............. 233 H. Sachwortverzeichnis .................. ............................................................... ..... .. ...... 241

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ........................................................ .. ..................................................... 19 8. Biographie von Portalis ........................................................................................ 23

C. Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen -vom ancien droit zum Code civil ....... 31 I. Die Rechtszersplitterung im Ancien Regime ................................. .... .. .......... 31

li. Droit coutumier und droit ecrit .................................................................... 32 III. Kanonisches Recht und königliche Gesetze .................................................. 32 IV. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des ancien droit .............................. 33 V. Die Auswirkungen der Revolution auf das Zivilrecht... .................... ............. 34 VI. Die Entstehung des Code civil... ............................... ...................................... 35 VII. Das Gesetzgebungsverfahren nach der Konsularverfassung ......................... .40 D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis ...... ...... .42 I. Rationalismus und Deismus .......................... ..... ............................................ 42

li. Recht und Moral ............................................................................................ 43 I. Die Moral als Grundlage des Rechts ......................................................... 44

2. Die Grundlagen der Moral ........................................................................ 44 a) Hume ................................ .................................................................... 44 b) Kant .......................... ....................................................................... .. ... 45

c) Portalis ............................. .................................................................... 46 III. Naturrecht, Menschenrechte und staatliches Recht .................................. ..... 47 I. Rousseau .............................................................................................. ..... 4 7 2. Locke ........................................................................................................ 48 3. Hobbes, Montesquieu und Voltaire ............................................ .............. 49 4. Portalis ................................................................................................. ..... 49

Inhaltsverzeichnis

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a) Ablehnung der Lehre vom Gesellschaftsvertrag ................................... SO b) Die Existenz von Menschenrechten ..................................................... SO c) Das Verhältnis von Menschenrechten und staatlichem Recht .......... .. .. SI d) Der erste Titel des Präliminarbuchs des ersten Entwurfs zum Code civil .......................................................... ...... ....................................... 51 IV. Freiheit und Gleichheit ...................................... ...................................... ...... 52 I . Freiheit ...................................................................................................... 53 2. Gleichheit .................................................................................................. 54 V. Zusammenfassung ......................................................................................... 56

E. Portalis und die Staatsratsdebatten zum Code civil ........................................... 57 I. Der Code civil .................................. ............................................. .............. 57 II. Der Präliminartitel ......................................................................................... 57 I. Artikel I Code civil ............................................................................... ... 59 2. Artikel 4 Code civil .................................. ............................................... 62

lll. Erstes Buch "Von den Personen" .............................................................. .... 64 I. Erster Titel .,Von der Nutznießung und dem Verlust der Bürgerrechte (droits civils )" ........................................................................................... 64 a) Erstes Kapitel "Vom Genuß der Bürgerrechte"- Artikel 9 Code civil . 64 b) Zweites Kapitel "Vom Entzug der Bürgerrechte" (droits civils) .......... 67 aa) Erster Abschnitt .,Vom Entzug der Bürgerrechteaufgrund des Verlusts der französischen Staatsbürgerschaft" - Artikel 13 des ersten Entwurfs ................................................................................ 67 bb) Zweiter Abschnitt "Von der Aberkennung der Bürgerrechte infolge strafgerichtlicher Verurteilungen" ....................................... 68

(I)

Artikel25 Code civil ........................................................... .. 69

(2)

Artikel 28 des vierten Entwurfs ............................................. 72

2. Zweiter Titel "Von den Zivilstandsurkunden"- Artikel43 Code civil .. ... 73 3. Dritter Titel "Vom Wohnsitz"- Artikel 102 Code civil ................ ............ 73 4. Vierter Titel "Von den Verschollenen" ................................................... .. 76 a) Erstes Kapitel "Von der Vermutung der Verschollenheit"Artikel 112 Code civil ......................................................................... 76 b) Drittes Kapitel.,Von den Rechtsfolgen der Verschollenheit" .............. 77

Inhaltsverzeichnis

13

aa)

Zur Zu Iässigkeit der Bestellung eines Bevollmächtigten für 30 Jahre ........................................ ............................................... 78

bb)

Artikel 122 Code civil ................................................................. 78

cc)

Artikel 124 Code civil ................................................................. 80

dd)

Artikel 127 Code civil ................................................ ................. 81

5. Fünfter Titel "Von der Ehe" ...................... ................................................ 83 a) Das Eherecht im Ancien Regime .......................................................... 83 b) Das revolutionäre Eherecht .................................................................. 84 c) Die Rechtsnatur der Ehe und die Bedeutung des Kirchenrechts .......... 85 d) Erstes Kapitel "Von den zur Eheschließung erforderlichen Eigenschaften und Voraussetzungen" .................................................. 85 aa)

Artikel 3 des ersten Entwurfs ...................................................... 85

bb)

Artikel162 ff. Code civil ............................................................ 87

e) Zweites Kapitel "Von den die Eheschließung betreffenden Förmlichkeiten"- Artikel 169 Code civil .............................. .............. 89

t) Viertes Kapitel "Von Klagen aufNichtigkeitder Ehe" ....................................................................... 90 aa) Artikel 183 Code civil ................................................................... 90 bb) Artikel15, Satz 3 des zweiten Entwurfs ........................................ 91 cc) Artikel 197 Code civil .................................................................... 92 g) Fünftes Kapitel "Von den Pflichten, die mit der Eheschließung entstehen"- Artikel 204 Code civil ..................................................... 94 6. Sechster Titel "Von der Ehescheidung'' .................................................... 95 a) Die Scheidung im ancien droit .......... ................................................... 95 b) Das Revolutionsrecht ........................................................................... 95 c) Der Code civil ...................................................................................... 97 aa) Zur Frage, ob staatliche Gesetze die Scheidung zulassen dürfen die Gesetzgebungskompetenz des Staates........................................ 98 bb) Zur Frage, ob der Gesetzgeber die Scheidung zulassen sollte ....... 98 cc) Erstes Kapitel "Von den Scheidungsgründen" .............................. 99 ( I) Die Unvereinbarkeit der Charaktere (incompatibi/ite d'humeur) ................................................................................... 99 (2) Das Einvernehmen beider Ehegatten (consentement mutuel) ..... 103 dd) Viertes Kapitel "Von den Rechtsfolgen der Scheidung" ................ 105 (I) Artikel295 Code civil ................... ............................................. 105

14

Inhaltsverzeichnis (2) Artikel 298 Code civil ................................................................ 106 ee) Fünftes Kapitel "Von der Trennung von Tisch und Bett" .............. I 07 7. Siebter Titel "Von Vaterschaft und Abstammung" ................................... 108 a) Erstes Kapitel "Von der Abstammung ehelicher oder in der Ehe geborener Kinder" ................................................................................ I 09 aa) Artikel312 Code civil .................................................................... 110 (I) Artikel 4, Nr. I des ersten Entwurfs ............ .... .... .... .. .. .. .. .. ........ II 0 (2) Artikel I, Satz 2, 2. und 3. Alternative des ersten Entwurfs ....... 112 bb) Artikel 314 Code civil .................................................................... 113 b) Zweites Kapitel "Vom Beweis der Abstammung der ehelichen Kinder" - Artikel 323 Code civil .......................................................... 115 c) Drittes Kapitel "Von den unehelichen Kindern" .................................. 118 aa) Erster Abschnitt "Von der Legitimation unehelicher Kinder" ........ 118 (I) Artikel 331 Code civil ................................................................ 118

(2) Artikel4 des ersten Entwurfs- die Ehe auf dem Totenbett ........ 121 bb) Zweiter Abschnitt "Von der Anerkennung unehelicher Kinder"Artikel336 Code civil ..................................................................... 123 8. Achter Titel "Von der Adoption und der Pflegeelternschaft"Erstes Kapitel "Von der Adoption" ........................................................... 125 a) Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen ................................................. 125 b) Die Zulassung der Adoption im Code civil .......................................... 126 c) Erster Abschnitt "Von der Adoption und ihren Rechtsfolgen" ............ 128 aa) Artikel 13 des zweiten Entwurfs - Artikel 361 Code civil .............. 128 bb) Artikel347 tf. Code civil ............................................................... 130 d) Zweiter Abschnitt "Vom Adoptionsverfahren"- Artikel353 tf. Code civil ............................................................................................. 132 e) Zusammenfassung ................................................................................ 135 9. Neunter Titel "Von der väterlichen Gewalt" ............................................. 137 a) Die väterliche Gewalt im ancien droit .................................................. 137 b) Die Gesetzgebung der Revolution ........................................................ 138 c) Der Code civil ...................................................................................... 139 10. Zehnter Titel, Zweites Kapitel "Von der Vormundschaft", Erster Abschnitt "Von der Vormundschaft des Vaters und der Mutter"Artikel391 Code civil ............................................................................... 140

Inhaltsverzeichnis

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IV. Zweites Buch "Von den Sachen und den verschiedenen Beschränkungen des Eigentums" .............................................................................................. 142 I. Erster Titel "Von der Einteilung der Sachen"- Zweites Kapitel "Von den beweglichen Sachen"- Grundrentenverträge ............................ 142

a) Grundrentenverträge und Feudalismus ................................................. 143 b) Artikel 530 Code civil .......................................................................... 144 2. Zweiter Titel "Vom Eigentum" ................................................................. 147 a) Die Natur des Eigentumsrechts ............................................................ 148 b) Eigentum und Gleichheit ...................................................................... 152 c) Artikel 544 Code civil .......................................................................... 154 V.Drittes Buch "Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben" ......... 156

I. Erster Titel "Von der Erbschaft" .............................................................. 156 a) Drittes Kapitel "Von der Erbfolge" (lntestaterbfolge) .......................... 156 aa) Erster Abschnitt "Allgemeine Bestimmungen" - Artikel 732 Code civil - die Regel paterna paternis .............................. .............. 156 (I) Droit ecrit und droit coutumier .................................................. 156 (2) Das droit intermediaire .............................................................. 158 (3) Artikel 732 Code civil ................................................................ 159 bb) Zweiter Abschnitt "Vom Eintrittsrecht" (de Ia representation)Artikel 742 Code civil ..................................................................... 161 b) Sechstes Kapitel "Von der Erbauseinandersetzung und der Ausgleichung", Zweiter Abschnitt "Von der Ausgleichung" ............... 163 aa) Grundlagen ................................................................... .................. 163 bb) Artikel865 Code civil .................................................................... 164 2. Zweiter Titel "Von Schenkungen unter Lebenden und von Testamenten" ............................................................................ ................ 167 a) Erstes Kapitel "Allgemeine Bestimmungen" ........................................ 167 aa) Artikel894 Code civil .................................................................... 167 bb) Artikel896- 898, 1048, 1049 Code civil (Substitutionen) ........... 168 (I) Erbschaftsfideikommiß, Ersatz- und Nacherbschaft im römischen Recht ......................................................... ................. 168 (2) Die substitulion des ancien droit ............................................... 169 (3) Das Revolutionsrecht ................................................................. 169 (4) Der Code civil ............................................................................ 170

Inhaltsverzeichnis

16

(a) Artikel1049 Code civil- Substitutionen in der Seitenlinie ... 171 (b) Artikel 1048 Code civil- Substitutionen in gerader absteigender Linie .................................................................. 173 (c) Substitutionen zugunsten ungeborener Kinder ...................... 174 b) Drittes Kapitel "Vom verfügbaren Vermögensteil und von der Reduktion'', Erster Abschnitt ,.Vom verfügbaren Vermögensteil" ........ 175 aa) Das Pflichtteilsrecht des Ancien Regime ........................................ 175 bb) Das Revolutionsrecht ..................................................................... 176 cc) Artikel 913 Code civil .................................................................... 177 dd) Artikel916 Code civil .................................................................... 180 ee) Artikel 918 Code civil ........................ ............................................ 181 c) Fünftes Kapitel "Von testamentarischen Verfügungen"- dritter bis sechster Abschnitt- Artikel I 003 ff. Code civil ................................... 182 aa)

Das ancien droit .......................................................................... 182

bb)

Der Code civil ............................................................................. 183

3. Fünfter Titel "Vom Ehevertrag und den beiderseitigen Rechten der Ehegatten'' (das Ehegüterrecht)........................................................ .......... l88 a) Erstes Kapitel "Allgemeine Bestimmungen"- der gesetzliche Güterstand ............................................................................................ 188 aa) Das Dotalsystem ............................................................................. 188 bb) Das System der Gütergemeinschaft ................................................ I 89 cc) Artikel 1393 Code civil .................................................................. 190 dd) Artikel 1387 ff. Code civil ............................................................. 193 b) Drittes Kapitel " Von den Vereinbarungen, die das gesetzliche Güterrecht abändern oder ausschließen"- Zweiter Abschnitt "Von den Vereinbarungen, die jede Gütergemeinschaft ausschließen, und ihren Folgen" - Artikel 1554 Code civil ............................................... 197 4. Sechster Titel "Vom Kaufvertrag"- Sechstes Kapitel "Von der Nichtigkeit und der Rückgängigmachung des Kaufvertrags" Zweiter Abschnitt "Von der Aufhebung des Kaufvertrags wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit" .... .. .............. .. .. .... .. .. .. ..... ........ ........... 199 a) Die geschichtlichen Grundlagen ........................................................... 199 b) Artikel 1674 Code civil- die Anfechtung durch den Verkäufer .......... 200 c) Artikel 1676 Code civil- die Anfechtungsfrist .................................... 205 d) Artikel 1683 Code civil -das Anfechtungsrecht des Käufers ............... 207 5. Vierzehnter Titel "Von der Bürgschaft"- Artikel2020 Code civil ........... 208

Inhaltsverzeichnis

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6. Achtzehnter Titel .. Von den Privilegien und den Hypotheken"Drittes Kapitel.,Von den Hypotheken·' ..................................... .. ............. 210 a) Das römische Hypothekenrecht ................. ............................... ........ .. . 211 b) Das Hypothekenrecht der pays de nantissernent ................................. 211 c) Das Edikt von 1771 .... ... ...................... ...... .. .. ....................................... 212 d) Das Revolutionsrecht-das Gesetz vom I . November 1798 (II. Brumaire VII) .. ................................... .... . ........ .....

.. ........... 213

e) Artikel2121 ff. Code civil ...................................................... .... .......... 214

F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung ................... .. .......... .. .. 219 G. Literaturverzeichnis ............................................... ............................................... 233 H. Sachwortverzeichnis ........................................... ........ ........ ....................... ........... 241

2 Plesser

"Une nouveaute hardie n 'est souvent qu'une erreur brillante dont l'eclat subit ressemble a celui de Ia foudre qui frappe le lieu meme qu'elle eclaire. Gardons nous donc de confondre le genie qui cree, avec l'esprit novateur qui bouleverse ou denature" (Jean Etienne Marie Portalis) 1

A. Einleitung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der französische Zivilrechtier Jean Etienne Marie Portalis und seine Rolle bei der Ausarbeitung des Code civil. Portalis war ein vielseitiger Jurist. Hochrangiges Mitglied der öffentlichen Verwaltung, Rechtsanwalt, Abgeordneter der Regierung und des Volkes und politisch Verfolgter, lernte er während des Ancien Regime, der französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft das Recht aus vielen Perspektiven kennen. Portalis hat maßgebend an der Entstehung des Code civil mitgewirkt. Als Mitglied einer Kommission, die Napoleon mit der Ausarbeitung eines Zivilgesetzbuchs beauftragt hatte, erarbeitete er mit den drei anderen Kommissionsmitgliedern den Entwurf, der die Grundlage des Code civil bildete. Er hat dann an den Beratungen dieses Entwurfs im Staatsrat teilgenommen und zu vielen Fragen Stellung bezogen. Vor Beginn der Gesetzgebungsarbeiten zum Code civil hat Portalis zudem in seiner Schrift "De l'Usage et de l'abus de l'esprit philosophique durant le XVIIIe siecle" unter anderem die philosophischen Grundlagen seines Zivilrechtsverständnisses dargestellt. Er war mehr als nur das Sprachrohr der Gesetzgebungskommission oder der von Napoleon gefilhrten Regierung. Er war eine Leitfigur und wird auch "Vater des Code civil" genannt. 2 Doch nicht in allen Fragen konnte er sich durchsetzen. Ziel dieser Arbeit ist es, festzustellen, in welchem Maße er bei den Staatsratsdebatten Einfluß auf die Gestaltung des Code civil hatte. Eine Arbeit, die diese Frage untersucht, liegt bisher nicht vor. 3 Leduc beschreibt den Stand der Forschung zu Portalis treffend: "Rares sont les

expose genera/, in Locre I 188. Capitant, S. 187. 3 Vgl. Theewen, S. 53 : "Die Protokolle (der Staatsratsdebatten, Anm. des Ver!] Locres [gehören] ... zu den wichtigsten, bisher allerdings von den Historikern nicht ausgewerteten Quellen." 1 Portalis,

2

2*

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A. Einleitung

ouvrages publies sur Portalis, de meme que les etudes qui evoquent son nom et son röle."4 Monographien über Portalis sind von Schimsewitsch5, Lavo11ee6, Bou11ee7 und Leducs erschienen. Diese sind Gesamtdarste11ungen zu Portalis' Person. Das Ziel, Portalis' RoHe bei den Staatsratsdebatten zum Code civil eingehend herauszuarbeiten, verfolgen sie nicht: Schimsewitsch geht auf Portalis' Einfluß auf den Code civil zwar ein. Sie beschränkt ihre Untersuchung aber auf die Themenkreise "Les Caracteres du Code civil", "La Propriete du Code civil" und "La Femme du Code civil". Die Staatsratsdebatten wertet sie dabei fast nicht aus. 9 LavoUee widmet den Staatsratsdebatten zum Code civil ein halbes Kapitel' 0, in dem er sich jedoch ausdrücklich'' auf drei Fragen beschränkt: die Ehescheidung 12 , die Testierfreiheit 13 und die kesio enormis 14• Bei den Fragen, die er behandelt, beschränkt er sich wiederum auf die Darste11ung der Debatte zu wenigen Kernfragen. Bou1lee und Leduc werten die Protoko11e der Staatsratsdebatten nicht ansatzweise aus. Auch die Aufsätze und Lexika, die sich mit Portalis beschäftigen, untersuchen die Staatsratsdebatten nicht oder nur ansatzweise. 15 Die vorliegende Arbeit behandelt zunächst in den Abschnitten B, C und D verschiedene Voraussetzungen fiir das Verständnis von Portalis' Wirken, ehe sie in Kapitel E zu ihrem wesentlichen Gegenstand, den Staatsratsdebatten kommt. Die Untersuchung beginnt in Kapitel B mit einer kurzen Biographie von Portalis. Insbesondere die Revolution und das Leben im deutschen Exil, das er zu philosophischen Forschungen nutzte, haben Spuren in seinem Denken hinterlassen. Der folgende Abschnitt C skizziert die französische Zivilrechtsentwicklung und die Verfassung des Konsulats. Die Kenntnis der Grundzüge der französischen Zivilrechtsentwicklung ist zum Verständnis des Code civil Leduc, S. 357. Lydie Schimsewitsch, Portalis et son temps, l'homme, Je penseur, Je legislateur, Paris 1936. 6 Rene Lavollee, Portalis, sa vie, son a:uvre, Paris 1869. 7 M. A. Boullee, Essai sur Ia vie, Je caractere et Ies ouvrages de Portalis, Paris 1859. K Edouard Leduc, Portalis, une grande figure de l'histoire napoleonienne, 1990. 9 Vgl. Schimsewitsch, S. 237 ff. 10 Lavollee, S. 217-239. 11 Lavollee, S. 217. 12 Lavollee, S. 218-223. 13 Lavollee, S. 223-229. 14 Lavollee, S. 230-234. 15 Vgl. Capitant, S. 187 ff.; Gagnebin, S. I ff.; Mayer, S. 33 ff. ; Montagne, S. lff.; Sainte-Beuve, S. 460 ff.; Wilhelm, S. 445 ff. ; A. Soullee in Biographie universelle, Stichwort "J. E. M. Portalis"; Grand dictionnaire universei du XIXe siecle, Stichwort "J. E. M. Portalis''. 4

5

A. Einleitung

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erforderlich, weil dieser eine lange Rechtstradition fortsetzte. 16 Seine Wurzeln sind das Recht des Ancien Regime und das Revolutionsrecht Die Bedeutung des Code civil und der Auffassungen, die Portalis vertrat, wird nur dem deutlich, der die Rechtslage, die vor Irrkrafttreten des Code civil bestand, vor Augen hat. Die Verfassung und insbesondere das Gesetzgebungsverfahren des Konsulats werden ebenfalls kurz dargestellt, da auch sie die Gesetzgebungsarbeiten zum Code civil beeinflußten. Zum Verständnis des Denkens von Portalis befaßt sich die Arbeit in Kapitel D mit den von Portalis im deutschen Exil verfaßten philosophischen Schriften, soweit sie fiir das Zivilrecht relevant sind. Die Bedeutung dieser Schriften fiir die vorliegende Arbeit ergibt sich bereits daraus, daß Portalis während der Gesetzgebungsdebatten zum Code civil wiederholt auf sie zurückgriff. Mit Kapitel E erreicht die Arbeit ihren Kern: die Untersuchung von Portalis' Einflußnahme bei den Staatsratsdebatten zum Code civil, die von 180 1 bis 1804 stattfanden. Die Grundlage der Untersuchung sind die Protokolle der Staatsratsdebatten von Locre. 17 Portalis hat im Staatsrat nicht zu jedem einzelnen Artikel des Entwurfs Stellung genommen. Daher beschränkt sich die Darstellung auf diejenigen Vorschriften, zu denen er sich geäußert hat. Zum Verständnis der Bedeutung der im Code civil getroffenen Entscheidungen und der dazugehörigen Auffassungen von Portalis wird im Regelfall die Rechtslage nach dem Recht des Ancien Regime und dem Revolutionsrecht dargestellt. Denn die Entwürfe zum Code civil orientierten sich in erster Linie am vorhandenen Recht. Vorhanden waren im Jahre 1800 zwei Rechtssysteme, denen gegensätzliche Ideen zugrundelagen und die dementsprechend unterschiedliche Regelungen vorsahen: das Recht des Ancien Regime und das Revolutionsrecht Die Revolution hatte das französische Zivilrecht des Ancien Regime radikal verändert. Dies wird besonders am Beispiel der revolutionären Scheidungsgesetze deutlich. Im Ancien Regime war die Scheidung wegen des kirchlichen Dogmas der Unauflöslichkeit der Ehe ausgeschlossen. Die Revolutionäre drehten die Regelung in ihr Gegenteil um. Getragen vom Gedanken der Freiheit des Einzelnen ließen sie die Scheidung im Jahre 1792 fast uneingeschränkt zu. Selbst die bloße Behauptung nur eines Ehegatten, die Charaktere der Eheleute seien miteinander unvereinbar, reichte aus, um die Ehe zu trennen.

Vgl. Ghestin/Goubeaux, Rn. 112 (S. 84). Bei den Protokollen handelt es sich nicht um getreue Wortprotokolle, sondern um eine meist stark verkürzte, im Stil vereinheitlichte Fassung der Redebeiträge. Die Wiedergabe erfolgt grundsätzlich in indirekter Rede. Der Stil ist standardisiert und geglättet, wodurch die Besonderheiten der individuellen Debattenbeiträge verlorengegangen sind; Schubert, in Locre I 4 f. Vgl. auch Thibaudeau, Memoires sur le Consulat, S. 414. 16

17

22

A. Einleitung

So verschieden das Recht des Ancien Regime und das Revolutionsrecht waren, so groß war die Spannbreite der möglichen rechtlichen Lösungen bei Schaffung des Code civil. Die Verfasser des Code civil prüften, welche Regelungen vom Recht des Ancien Regime oder vom Revolutionsrecht übernommen werden konnten und welche neu formuliert werden mußten. Das Vorhandene mußte überdacht und neu bewertet werden. Bei den Debatten des Staatsrats waren das Recht des Ancien Regime und das Revolutionsrecht immer präsent. In vielen Fällen treten daher Hintergrund und Bedeutung der im Code civil getroffenen Regelungen und der von Portalis vertretenen Auffassungen nur dann deutlich hervor, wenn das Recht des Ancien Regime und das Revolutionsrecht in die Darstellung einbezogen werden. In einzelnen Abschnitten der Arbeit wird zudem das römische Recht skizziert. Inhalt und Struktur des römischen Rechts sind oft zum Verständnis der Diskussionen erforderlich, da es während des Ancien Regime große Bedeutung hatte, ehe es von der Revolution weitgehend verdrängt wurde, während es bei den Diskussionen zum Code civil häufig wieder Berücksichtigung fand. Das abschließende Kapitel F schließlich faßt die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und bewertet Portalis' Beiträge im Rahmen der Staatsratsdebatten.

B. Biographie von PortaUs Jean Etienne Marie Portalis wurde am l. April 1746 in Beausset im Var, nahe Tauion geboren. Im Alter von sieben Jahren begann er 1753 sein Studium bei den Oratorianern in Toulon. Nach einer schweren Infektion setzte er es 1754 in Marseille fort. 1 Bereits als Siebzehnjähriger veröffentlichte er die beiden Schriften "Observations sur un ouvrage intitule: 'Emile ou de l'Education' de Rousseau" und "Des Prejuges."2 Schon diese Texte fanden in der Öffentlichkeit Beachtung und Kritik. 3 Dem elterlichen Willen entsprechend nahm er 1762 das juristische Studium an der Universität von Aix auf, an der sein Vater als Professor ftlr kanonisches Recht lehrte. 4 Nach Abschluss des Studiums begann er 1765 als Neunzehnjähriger in Aix seine anwaltliehe Tätigkeit in der Kanzlei von de Colonia, einem der bekanntesten Anwälte dieser Zeit und Universitätsprofessor.l Es sollte der Anfang einer langen Karriere sein. Gleich mit seiner ersten Rede vor dem Parlament (par/ement), dem Gericht, das im Namen des Königs in letzter Instanz entschied, erregte Portalis mit seinem Vortragsstil Aufsehen und Empörung. Bei den Parlamenten des Ancien Regime war es Brauch, daß der Präsident den jungen Anwälten im Anschluss an ihr erstes Plädoyer ein ermutigendes Kompliment aussprach. Der neue, ungewöhnliche Vortragsstil von Portalis stieß jedoch im Parlament auf solches Mißfallen, daß ihm das Kompliment verweigert wurde. Am Ausgang des Saals suchte ein alter Kollege Portalis aufzumuntern: "Sie haben geistreich plädiert; aber Sie müssen Ihren Stil ändern, der nicht der des Anwaltstandes ist." "Mein Herr'', anwortete Portalis stolz, "es ist die Anwaltschaft, die ihre Haltung ändern muß, und nicht ich."6 Damals war es üblich, Rechtsfragen allein mit Hilfe der unbestimmten und schwankenden Meinungen der commentateurs zu lösen. Die Plädoyers waren gespickt mit der Materie fremden Zitaten und überflüssigen Abschweifungen. Seit die Einftlhrung des Ämterkaufs das Niveau der Richter gedrückt hatte, lebte die Anwaltschaft kümmerlich von Spitzfindigkeiten; die Richter wehrten sich gegen die Einfilhrung der Rechtsphilosophie, die die neuen Rechtsschulen seit

Schimsewitsch, S. 13. Dazu Sainte-Beuve, S. 444 ff. 3 Schimsewitsch, S. 13; Leduc. S. I 0 ff. 4 Capitant, S. 187. l Leduc, S. 15 ff. 6 Leduc, S. 17; Lavollee, S. 7. 1

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B. Biographie von Portalis

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Montesquieu forderten.' Das Neue an Portalis' Stil war, daß er die Fragen in brillanter Sprache verallgemeinerte, sie in große Zusammenhänge stellte, improvisierte und die tragenden Prinzipien herausarbeitete. 8 Schnell wurde Portalis als exzellenter Redner landesweit bekannt. Sein Improvisationstalent und sein Erinnerungsvermögen waren außergewöhnlich: "Portalis, doue d'une facilite d'elocution rare, d'une memoire surprenante, ayant une intelligence prompte et baute, anime par une imagination qui donnait de Ia grandeur a son Iangage, sans alterer jamais Ia simplicite de son jugement, ni l'emporter des voies communes qui sont les voies vraies, etait un orateur des plus brillants et des plus persuasifs."9 "II parlait de suite, avec enchainement, sans jamais s'interrompre et comme par le cours nature! et plein d'une improvisation facile." 10 Großes Aufsehen erregte 1770 das von Portalis und seinem Kollegen und Professor Pazeri verfaßte Gutachten über die Gültigkeit der Ehen der Protestanten.11 Seit der Widerrufung des Edikts von Nantes ( 1685) waren die Protestanten von allen Ämtern und Berufsständen ausgeschlossen und damit zur Misere verurteilt. Das Edikt zur Ehe von 1697 erlaubte die Eheschließung allein nach den Regeln der katholischen Kirche. 12 Protestanten konnten sich daher nur vor katholischen Geistlichen und unter Verleugnung ihres Glaubens rechtsverbindlich verheiraten. Anders geschlossene Ehen wurden rechtlich nicht anerkannt; die Ehefrau galt als Konkubine, die Kinder als Bastarde. Seit Ludwig XIV. beruhte die gesamte Rechtsprechung auf der Fiktion, daß es im ganzen Land nur noch Katholiken gab. 13 Einer Änderung dieser Rechtslage widersetzten sich sowohl die Parlamente als auch die Kirche. Choiseul, der damals mächtigste Mann in der Regierung 1\ hatte den erst 24jährigen Portalis beauftragt, ein Gutachten anzufertigen. Das Gutachten, in dem der gläubige Katholik und Freimaurer 15 Portalis mutig fiir die Anerkennung protestantischer Ehen eintrat, war juristisch solide fundiert und Ausdruck von Toleranz. Voltaire soll nach der Lektüre des Gutachtens gesagt haben: "Ce n'est point Ia une consultation, c'est un veritable traite de philosophie, de legislation et de morale politique." 16 Das Gutachten trug zur Schimsewitsch, S. 15. Dorce, S. 12; Comte Portalis in: Portalis. De l' Usage, Band I, S. 4. 9 Mignet, zitiert nach Schimsewitsch, S. 18. 10 Sainte Beuve, S. 460.

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11 Consultation sur Ia validite des mariages protestants en France, abgedruckt in Portalis, Ecrits, S. 191 ff. 12 Gagnebin, S. 5. 13 Sagnac, S. 248. 14 Vgl. Grand dictionnaire universei du X!Xe siecle, Stichwort "Choiseul"; Grande encyclopedie, Band II, Stichwort "Choiseul". 15 Dazu Leduc, S. 21 ff. 16 Capitant, S. 191.

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Promulgation des Edikts von Versailles von 1782 bei, das den Protestanten endlich erlaubte, nach ihren eigenen Regeln zu heiraten. 17 Am 8. August 1775 heiratete Portalis Margarite Franrroise Simeon, von der man sagte, sie sei erhaben schön und äußerst intelligent gewesen. Aus der harmonischen Ehe ging 1778 ein Sohn, Joseph-Marie, hervor. 18 In seinem Beruf als Anwalt war Portalis sehr erfolgreich. 1771-1778 verteidigte Portalis in seinem ersten berühmten Fall den Marquis de Ia Blache gegen Beaumarchais. 19 In einem langen, aufsehenerregenden Prozeß vertrat er 1783 erfolgreich die Comtesse de Mirabeau, die die Scheidung von ihrem Mann beantragt hatte. 20 Portalis beließ es nicht bei seiner anwaltliehen Tätigkeit. Er fühlte sich der Allgemeinheit verpflichtet. Daher ließ er sich 1778 filr zwei Jahre zum assesseur von Aix wählen. Die Provence, die durch Erbschaft an die Krone gefallen war, hatte ihre Verwaltungs- und Gerichtsorganisation sowie ihre Privilegien unter der Kontrolle des Gouverneurs und des königlichen Intendanten beibehalten. 21 Damals hatte die Provence vier Landesverwalter (procureurs du pays), die filr zwei Jahre gewählt wurden. Der erste Landesverwalter war zwingend ein Lehnsherr, der zweite, der die Bezeichnung assesseur trug, ein Anwalt, der dritte ein Mann ohne Lehneigentum und der vierte ein Bürger. Berichten von Zeitgenossen zufolge erfilllte Portalis die Aufgabe des assesseur mit Talent und Durchsetzungskraft. 22 Nach Ablauf seiner Amtszeit als assesseur nahm Portalis seine Anwaltstätigkeit wieder auf. Schon bald wurde er erneut mit der Wahrung öffentlicher Interessen betraut. Im Sommer 1782 entsandte ihn die Regierung der Provence zur Vertretung ihrer Angelegenheiten nach Paris. Auch in dieser Funktion war Portalis erfolgreich. Er erreichte dringend benötigte finanzielle Unterstützung filr die Provence, die Widerrufung einer neu eingefilhrten Ölsteuer, eine filr die Provence günstige Regelung Uber ihren Beitrag zu den Truppenkosten u.aY Zufrieden mit dem Ergebnis seiner Mission, kehrte er im November nach Aix zurück. Am Vorabend der Revolution schrieb Portalis im Namen der Anwaltschaft von Aix einen Brief an den Justizminister. 24 Darin protestierte er scharf gegen Capitant, S. 191. Leduc, S. 30. 19 Dazu Leduc, S. 25 ff. 20 Dazu Leduc, S. 36 ff.; Lavollee, S. 26 ff.; A. Soullee in Biographie universelle, Bd. 34, S. 136, Stichwort "J.E.M. Portalis". Den Prozeß selbst schildert romanhaft auch Durafour, S. 290. 21 Capitant, S. 191. 22 Vgl. Schimsewitsch, S. 26. 23 Schimsewitsch, S. 30. 24 Portalis, Lettre au Garde des Sceau.x sur !es edits de 1788. 17 18

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die Edikte von 1788, die die Vorrechte der Provence entscheidend beschnitten. Zur Erklärung der Wirkung der Edikte bedarf es der folgenden Erläuterung: Im Ancien Regime wurden königliche Ordonnanzen2s erst wirksam, wenn die Parlamente (parlements) 26 der einzelnen Länder sie registrierten. Aufgrund dieses Registrationsrechts (droit d'enregistrement) konnten die Parlamente Ordonnanzen auf ihre Vereinbarkeit mit dem lokalen Recht überprüfen. Weigerte sich ein Parlament, eine Ordonnanz zu registrieren, so konnte der König die Registrierung nur durch ein sog. lit de justice erzwingen, d.h., er mußte persönlich vor dem Parlament erscheinen und das Gesetz registrieren lassenY Das droit d'enregistrement war daher ftlr die Parlamente ein Machtinstrument, mit dem sie die königliche Gewalt und die Rechtsvereinheitlichung behindern konnten. 28 Mit den Edikten von 1788 wollte Premierminister Lomenie de Brienne den Widerstandsgeist brechen, der in den Parlamenten gegen die königliche Gesetzgebung zu entstehen begann. Durch die Edikte schuf er deshalb 47 große Amtsbezirke, übertrug Spezialgerichten die Zuständigkeit ftlr Zivil- und Strafprozesse, entzog den Parlamenten die Zuständigkeit ftlr die Registrierung der Gesetze und versetzte sie wegen fehlender Aufgaben in unbefristeten Urlaub. 29 Fortan sollte eine einzige cour pteniere die königlichen Gesetze registrieren. 30 In seinem "Brief an den J ustizrninister" schrieb Portalis, daß die Edikte illegal seien und die Jahrhunderte alten Freiheiten der Provence verletzten. Portalis, der später durch seine Mitarbeit am Code civil mit großem Einsatz die Rechtseinheit vorantreiben sollte, sprach sich 1788 noch kategorisch gegen die Vereinheitlichung des Rechts aus: "Dans une vaste monarchie comme la France, dont le gouvernement est compose de divers peuples gouvernes par des coutumes differentes, il est impossible d'avoir un corps complet de legislation ... L'uniformite dans la legislation a toujours ete un des grands moyens de preparer le despotisme."31 Portalis meinte, jedes Gesetz, das außerhalb der Provence zustandegekommen sei, müsse von den lokalen Richtern zum Schutze der lokalen Besonderheiten frei überprüft werden können: "L'uniformite est-elle un bien si absolu qu'elle ne puisse compter aucune exception? ... Est-il possible que la difference des mreurs n'en suppose et n'en amene pas quelqu'une dans les lois? N'est-il pas utile que chaque cite, chaque province conserve ses coutumes, qui sont la morale du peuple, l'objet de son attachement, !es garants de ses 25 Vorn König erlassene Regelungen hießen Edikte, wenn sie spezielle Sachverhalte regelten; sie hießen Ordonnanzen, wenn sie umfassende Regelungen enthielten. Weill, S. 48, Fn. 2. 26 Zu den Parlamenten des Ancien Regime siehe Brissaud, S. 868 ff. 27 Weill, S. 48, Fn. 3. 28 Zu dem droit d'enregistrement der Parlamente siehe Holtzrnann, S. 349 ff. 29 Gagnebin, S. 7. 3 Capitant, S. 191; Leduc, S. 52. 31 Gagnebin, S. 7; Sainte-Beuve, S. 450.

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proprietes, et par cela meme Je Iien Je plus fort qui puisse l'unir a Ia puissance qui protege tout?"32 Kurze Zeit nach dem Brief an den Justizminister ergänzte Portalis seine Überlegungen zu den Edikten von 1788 in seiner Schrift "Examen impartial des edits du 8 mai."33 Der souveräne Gesetzgeber, sagte Portalis darin, handele im Namen der Nation, der er auch Rechenschaft schulde. Er forderte die regelmäßige und periodische Einberufung der Generalstände. 34 Mit der Revolution begann filr Portalis ein Jahrzehnt voller Veränderungen und Gefahren. Er war kein Anhänger radikaler revolutionärer Ideen. 1799 soll er gesagt haben: "Je n'ai pas voulu me meler des changements et des reformes projetes par !es premiers revolutionnaires, parce que je me suis apen;u qu'on voulait fonner un nouveau ciel et une nouvelle terre, et qu'on avait l'ambition de faire un peuple de philosophes, lorsqu'on eut du s'occuper qu'a faire un peuple d'heureux." 35 In Schrecken versetzt durch die Auswüchse der Revolution zog sich Portalis mit seiner Familie im August 1790 auf ein Landhaus in Saint-Cyrsur-Mer zurück. Im Februar 1792 floh er zu Freunden nach Lyon.36 Sein guter Ruf als Anwalt war ihm dorthin vorausgeeilt. Er praktizierte in Lyon bis Juli 1793.37 Bald wuchs die Gefahr fiir ihn auch in Lyon. Sein Bruder, ein ehemaliger Offizier beim corps royal de genie, hatte sich an einem royalistischen Aufstand beteiligt und war nach dessen Mißlingen geflohen. 38 Hinzu kam ein Dekret des Konvents, das alle Personen aus Lyon auswies, die dort nicht geboren waren. Daher floh Portalis nach Paris, um sich dort zu verbergen. Schon bald wurde er verraten und am 31. Dezember 1793 verhaftet. 39 Er schien verloren. Ihm drohte die Guillotine. Doch seinem Sohn gelang es, sein Erscheinen vor dem Revolutionsgericht zu verzögern. Der Sturz Robbespierres am 27. Juli 1794 und das Ende der Schreckensherrschaft waren seine Rettung. Im Januar 1795 wurde er freigelassen. Sogleich nahm er seine Tätigkeit als Anwalt in Paris wieder auf. 40 Zu Beginn des Jahres 1795 veröffentlichte Portalis die Schrift "De Ia Revision des jugements." Darin forderte er mutig die Revision der Urteile des Revolutionstribunals und die Restitution der konfiszierten Güter an die Familien der Opfer. 41 Neue Möglichkeiten eröffneten sich fiir ihn, als im September 1795 eine neue Verfassung in Kraft trat und diese den Konvent durch das Direktorium ersetzte. Um sich ganz den öffentlichen Angelegenheiten widmen zu können,

32 Zitiert nach Gagnebin, S. 7f. Zu Portalis' späteren Sinneswandel siehe Lavollee, S. 190; Boullee, S. 97. 33 Portalis, Examen impartia/ des edits du 8 mai, Aix 1788. 34 Zit. nach Gagnebin, S. 8; vgl. auch Leduc, S. 56 und Lavollee, S. 31. 35 Zit. nach Dorce, S. 14. 36 Dorce, S. 14. 37 Dorce, S. 14. 38 Capitant, S. 192. 39 Capitant, S. 192; Lavollee, S. 41. 40 Schimsewitsch, S. 35. 41 Leduc, S. 96 f.

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B. Biographie von Portalis

lehnte Portalis einen Posten am Kassationsgerichtshof ab. 42 Am 26. Oktober 1795 wurde er in die Gesetzgebende Versammlung, die sich aus dem Rat der Fünfhundert und dem Rat der Alten zusammensetzte,43 gewählt. Da er 49 Jahre alt war, wurde er Mitglied des Rats der Alten, dem Abgeordnete, die 40 Jahre und älter waren, angehörten. Zwei Jahre lang setzte er sich dort gegen radikale Vorstellungen und fur die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse ein. Von den ersten Sitzungen an bekämpfte Portalis die Entscheidung des Rats der Fünfhundert, der Regierung die Ernennung der Gemeinderäte und des Gerichtspersonals zu überlassen, die nicht fristgerecht gewählt worden waren. 44 Wenige Wochen später beriet der Rat der Alten ein Dekret des Direktoriums, das die Konfiskation des zukünftigen Erbteils ausgewanderter Kinder bei den Eltern anordnete. Dominiert vom konservativen Geist hatte der Rat der Fünfhundert dem Dekret bereits mit großer Mehrheit zugestimmt. Im Rat der Alten ergriff Portalis sofort das Wort und lehnte das Dekret vehement ab. Er berief sich auf die Prinzipien, die Geschichte und die Gerechtigkeit. Der Staat, sagte Portalis, könne nicht von lebenden Bürgern erben. Zudem könnten den Eltern nicht die Straftaten ihrer Kinder angelastet werden. Die Idee, daß die Komplizität der Eltern vermutet werden könne, sei nicht tolerierbar. Denn niemand habe das Recht, die Gedanken eines anderen zu beurteilen. Die Gedanken seien frei. 45 1795 war Portalis fast vollkommen erblindet. Das hinderte ihn jedoch nicht, im Juli 1796 die Wahl zum Präsidenten des Rats der Alten anzunehmen. General Mathieu Dumas, Sekretär des Rats der Alten, berichtete, wie Portalis seine Aufgaben als Präsident wahrnahm: "Ich konnte sein Talent und sein fabelhaftes Gedächtnis bei einer Vielzahl von Gelegenheiten bewundern. Seine fast absolute Blindheit machte ihm das Schreiben und Lesen unmöglich. Dennoch verfolgte er jede Regung der Versammlung und hielt die Ordnung mit fester Hand aufrecht. Er kannte die Stimme und den Platz jedes einzelnen Abgeordneten. Nie beging er den geringsten Fehler bei derErteilungoder Versagung des Wortes. Wenn die Diskussion durch die Ankunft einer Nachricht des Rats der Fünfhundert oder des Direktoriums unterbrochen wurde, genügte es, daß ich ihm die Nachricht ein einziges Mal ganz leise vorlas. An die Versammlung gerichtet wiederholte er dann die gesamte Resolution, ganz gleich wie lang die Artikel waren und ohne die Reihenfolge zu vertauschen oder ein Wort zu ändern."46 Am 4. September 1797, im Verlauf des Staatsstreichs der republikanischen Direktoriumsmitglieder "zur Reinigung des Staates von royalistischer Korruption" 47 , ließ das Direktorium die Gesetzgebende Versammlung durch das Dorce, S. 14; Lavollee, S. 42. Hartmann, S. 59. 44 Leduc, S. I 0 I ff.; Lavollee, S. 5 I. 45 Gagnebin, S. 10; Lavollee, S. 61 ff. 46 Sainte-Beuve, S. 461. 47 Kinder/Hilgemann, Bd. 2, S. 21. 42 43

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Militär gewaltsam auflösen. Die royalistische und die radikale Opposition wurden unterdrückt, die Wahlen annulliert und die Verfassung des Jahres III außer Kraft gesetzt. Zu Royalisten deklariert, wurden die Mitglieder der liberalen Opposition zur Deportation verurteilt. 48 Auch Portalis verdächtigte man der Beteiligung an einer Konspiration, die die Rückkehr der Bourbonen vorbereiten sollte. Daher wurde er in die Proskription vom 4. September 1797 und in die Deportationsliste aufgenommen. 49 Im letzten Moment gewarnt, gelang Portalis die Flucht. 50 Bis ins Jahr 1800 hinein, also über zwei Jahre, sollte sein Exil dauern. Portalis floh über Basel nach Zürich. Es mutet wie eine Ironie an, daß bald nach seiner Ankunft dort die schweizer Revolution ausbrach. Portalis verließ die Schweiz. Dort hatte er die Bekanntschaft des deutschen Philosophen Jacobi gemacht, die sich zu einer von gegenseitiger Achtung geprägten guten Freundschaft entwickeln sollte. Jacobi hatte Verbindungen zu einflußreichen deutschen Persönlichkeiten und organisierte Portalis' Aufenthalt in Deutschland. Über Aufenthalte in Freiburg im Breisgau und Tübingen gelangte Portalis im Januar 1798 nach Holstein. Im holsteinischen Emkendorff, zu Gast auf dem Schloß des Grafen von Reventlau, dem ehemaligen dänischen Botschafter in London und Berlin, nutzte Portalis seine Zeit zum Studium von Literatur und Philosophie. Zu dieser Zeit war das Schloß von Emkendorff ein Versammlungsort der Intellektuellen Holsteins. Jacobi, Professoren der Universität Kiel, die Dichter Voß und Klopstock sowie La Fayette und andere gehörten zu den Gästen des Grafen von Reventlau. 51 In diesen Jahren des Exils entstand Portalis' umfassendes, erst 1820, also nach seinem Tode veröffentlichtes Werk "Oe l'Usage et de l'abus de l'esprit philosophique durant Je XVIIIe siecle", in dem er viel Sympathie fiir die Lebens- und Denkweise der deutschen Philosophen bekundete. 52 Napoleons Staatsstreich vom 9. November 1799 ermöglichte Portalis die Rückkehr nach Frankreich. Am 27. Dezember 1799 wurde ihm die Rückkehr erlaubt und am 18. Februar 1800 traf der inzwischen 54 jährige in Paris ein. Dort fand er seine Frau, die in Frankreich geblieben war, wieder. 53 Am 3. April 1800 berief ihn Napoleon, der zu dieser Zeit überall nach Mitarbeitern suchte, zum Regierungskommissar am Prisengericht. 54 Schon wenig später, am 12. August, ernannte Napoleon ihn zum Mitglied einer mit dem Entwurf eines Zivilgesetzbuches beauftragten Kommission. Bis März 1804 nahm er an den Beratungen des Ende 1800 fertiggestellten Entwurfs im Staatsrat

Gagnebin, S. 12. Capitant, S. 192; Leduc, S. 128. 50 Gagnebin, S. 12; Leduc, S. 131. 51 Schimsewitsch, S. 47; Leduc, S. 138 und 154 ff. 52 Vgl. Dorce, S. 15. 53 Leduc, S. 159. 54 Vgl. zur Bedeutung des Prisengerichts Leduc, S. 234 ff. 48

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8. Biographie von Portalis

teil. Seit dem 22. September I 800 war Portalis zudem Mitglied des Staatsrats. Innerhalb des Staatsrats gehörte Portalis der Gesetzgebungssektion an. 55 Neben den bis I 804 dauernden Arbeiten am Code civil übertrug Napoleon ihm ab Oktober 180 I die Funktion des conseil/er d 'Etat charge de toutes /es affaires concernant /es cultes. In dieser Funktion sollte er vor allem die Ausfiihrung des im September I 80 I von Frankreich und dem Heiligen Stuhl ratifizierten Konkordats sicherstellen. 56 Capitant meint, dies sei neben der Abfassung des Code civil Portalis' zweite große Tat gewesen. 57 Seit dem Ausbruch der Revolution war die kirchliche Ordnung in Frankreich völlig zerstört worden. Mit der Unterzeichnung des Konkordats wurde nun der Neuaufbau einer fiir Kultusangelegenheiten verantwortlichen Verwaltung notwendig. Portalis erfiillte seine Aufgabe, die insbesondere den Entwurf einer völlig neuen Kirchenverfassung umfaßte, mit Bravour. 58 Im Herbst I 803 wurde Portalis in den Senat gewählt. Am I 0. Juli I 804 berief ihn Napoleon zum Kultusminister. Wegen des Rücktritts von Chaptal ernannte ihn Napoleon zudem im August I 804 vorübergehend zum Innenminister. 59 In seinen letzten Jahren zählte Portalis zum engen Mitarbeiterkreis Napoleons. Manche werfen ihm vor, er sei Napoleon gegenüber allmählich kritikunflihig geworden. Obwohl er Zeit seines Lebens auch aufgebrachten Massen gegenüber mutig Pressefreiheit und Menschenrechte gegen die von der Revolution ausgehende Unterdrückung verteidigt hatte, habe er gegenüber Napoleon, der eben die letzten Reste der Freiheit beseitigte, nur Zustimmung zum Ausdruck gebracht. 60 1805 nahm ihn die Academie Fran~aise als Nachfolger eines anderen großen Juristen, des Präsidenten Antoine-Louis Seguier, auf. Am 25. August 1807 starb Portalis nach kurzer Krankheit. Seine Asche wurde im Pantheon beigesetzt. 61

Leduc, S. 169. Zu einem Vergleich Portalis- Savigny, siehe Wilhelm S. 446. Gagnebin, S. 19. Siehe dazu Portalis' Schriften in Portalis, Discours, S. 1 ff. 57 Capitant, S. 194. 58 Dazu Otto Mayer, S. 33 ff. und Lavollee, S. 241 ff. Zur Ausarbeitung der Kirchenverfassung siehe Esmein, Precis elementaire, S. 300 ff. 59 Lavollee. S. 344. 60 Vgl. A. Boullee in Biographie Universelle, Bd. 34, S. 138, Stichwort "J. E. M. Portalis;" Gagnebin, S. 20; Leduc, S. 354 ff. 61 Dorce, S. 17; Lavolh5e, S. 357. 55

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C. Die rechtsgeschichtlichen Grundlagenvom ancien droit zum Code civil Seit dem Inkrafttreten des Code civil am 21. März 1804, dem vielleicht bedeutendsten Tag der französischen Zivilrechtsgeschichte, 1 gilt in Frankreich ein einheitliches Zivilrecht. Vorher herrschte Rechtszersplitterung. Daher ist es üblich, die Geschichte des französischen Zivilrechts in die Zeit vor und nach dem 2 I. März 1804 zu unterteilen. Mit Inkrafttreten des Code civil beginnt die Periode des droit moderne. Das bis zum 21. März 1804 geltende Recht wird in das ancien droit, das Recht des Ancien Regime, und das droit intermediaire, das Recht der Revolution (1789-1804), aufgeteilt. 2

I. Die Rechtszersplitterung im Ancien Regime Der Begriff ancien droit bezeichnet kein einheitliches, in ganz Frankreich geltendes Zivilrecht. Er umfaßt vielmehr eine Vielzahl von lokalen Rechtsordnungen. Das Recht des Ancien Regime war sehr zersplittert. Diese Rechtslage hatte sich über Jahrhunderte hinweg nach dem Zerfall des römischen Kaiserreichs herausgebildet. In der Zeit der Völkerwanderung galt fiir die Einwohner Galliens zunächst das Personalitätsprinzip, nach dem eine Person ihrem Heimatrecht und nicht dem Recht des Aufenthaltsortes unterworfen war; die Abstammung bestimmte das anwendbare Recht. Während die romanisierten Gallier weiter dem römischen Recht unterworfen waren, galten fiir die Westgoten, Burgunder und Franken je ihre eigenen Rechtsordnungen.3 Bald vermischten sich die Völker. Dieserneuen Situation wurde das Personalitätsprinzip nicht mehr gerecht. Es wich daher allmählich dem Territorialitätsprinzip.4 Mit der Entstehung feudalistischer Strukturen zerbröckelte die rechtsetzende und rechtsprechende Gewalt und entstand eine große Vielfalt an Rechtsregeln in den verschiedenen Gebieten. Erst mit dem Erstarken der königlichen Macht begann ein Trend zur Vereinheitlichung, der schließlich zum Code civil fiihrte. 5

Vgi.Weill, Rn. 47. Das droit intermediaire beginnt am 17. Juni 1789, dem Tag des Zusammentritts der Generalstände, und endet am 2l.März 1804; Ghestin/Goubeaux, Rn. 125 (S. 91 ). 3 Zum Personalitätsprinzip siehe Olivier-Martin, S. 14 f. 4 Vgl. Esmein, Cours elementaire, S. 779 f. 5 Ghestin/Goubeaux, Rn. 114 (S. 84). 1

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C. Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen

II. Droit coutumier und droit ecrit Die in den Ländern Frankreichs geltenden Rechtsordnungen waren nicht nur inhaltlich vielfliltig, sie waren zudem unterschiedlichen Ursprungs. Teils basierten sie auf dem römischen Recht, teils auf Gewohnheitsrecht. Dementsprechend war Frankreich in pays de droit ecrit und pays de coutumes aufgeteilt. In den pays de droit ecrit galt - mit regionalen Abweichungen - das römische Recht hauptsächlich der Westgoten (Lex Romana Visigothorum), das droit ecrit. In den pays de coutumes hingegen galten Gewohnheitsrechte, die coutumes. 6 Insgesamt gab es sechzig Haupt- und 300-700 lokale coutumes. 7 Die Trennlinie zwischen den pays de droit ecrit und den pays coutumiers verlief ungefähr entlang einer Linie von Genf zur Charantemündung. 8 Da die Kenntnis und der Beweis des ursprünglich mündlich überlieferten Gewohnheitsrechts schwierig war, ordnete der König mit der Ordonnanz von Montils-Ies-Tours 1453 ihre schriftliche Fixierung an. Er kam damit einer langjährigen Forderung der Generalstände nach. In der Folge wurden die coutumes niedergeschrieben, 1510 zum Beispiel die einflußreiche coutume von Paris.9

111. Kanonisches Recht und königliche Gesetze Neben droit ecrit und droit coutumier regelten kanonisches Recht und königliche Gesetze einzelne Rechtsgebiete einheitlich filr ganz Frankreich. Bis zur Revolution bestimmte das kanonische Recht insbesondere das Eherecht. Königliche Ordonnnanzen ergingen u.a. zum Handels-, Schenkungs-, Testaments- und Substitutionsrecht. 10 Kanonisches und königliches Recht filhrten zwar zur Rechtsvereinheitlichung. Sie warfen aber zugleich neue Schwierigkeiten auf: Mit kanonischem Recht, Ordonnanzen, römischem Recht und Gewohnheitsrecht trafen Gesetze völlig unterschiedlicher Zielsetzungen aufeinander Die Gesetze mußten miteinander kombiniert und koordiniert werden. Bei ein und derselben Person unterlag die Ehe kanonischem Recht, der Güterstand dem lokalen Gewohnheitsrecht, die im Ehevertrag vereinbarten Schenkungen einer Ordonnanz und die Verträge dem römischen Recht. 11 Portalis beschrieb das Ausmaß des rechtlichen Durcheinanders wie folgt: "Quel spectacle s'offrait a nos yeux! On ne voyait devant 6 Zu den Gewohnheitsrechten siehe Loisel, Institutes coutumieres, Paris 1846 (2 Bände). 7 Ghestin/Goubeaux, Rn. 115 (S. 85); vgl. dazu Seruzier, S. 15 Fn. 1 mwN. 8 Weill, Rn. 48. 9 Ghestin/Goubeaux, Rn. 117 (S. 86). 10 Ghestin/Goubeaux, Rn. 122 (S. 89); Esmein, Cours elementaire, S. 847 ff. (zu den Ordonnanzen) und 863 ff(zum kanonischen Recht). 11 Ghestin/Goubeaux, Rn. 123 (S. 89).

IV. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des ancien droit

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soi qu'un amas confus et informe de lois etrangeres et fran9aises, de coutumes generales et particulieres, d'ordonnances abrogees, de maximes ecrites et non ecrites, de reglements contradictoires et de decisions opposees; on ne rencontrait partout qu'un dedale mysterieux, dont Je fil nous echappait, a chaque instant; on etait toujours pret as'egarer dans un immense chaos." 12

IV. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des ancien droit Das ancien droit basierte ebenso wie die verfassungsrechtliche Organisation des Ancien Regime auf drei Prinzipien: (1.) den religiösen und moralischen Vorstellungen des Christentums, (2.) der Ständegesellschaft und (3.) der Feudalordnung. 13 Diese Prinzipien lagen allen lokalen Rechtsordnungen zugrunde. Die religiösen und moralischen Vorstellungen des Christentums prägten auch das Zivilrecht, denn positives Recht beruhte angeblich auf göttlichen Gesetzen und den Naturgesetzen, die Gerechtigkeit und Nächstenliebe und damit das Gemeinwohl garantierten. 14 Im Familienrecht war der Einfluß der Kirche besonders deutlich. Die katholische Kirche regelte die Ehe und ihre Wirkungen ftir die Eheleute; sie untersagte die Ehescheidung und statuierte ehemännliche und väterliche Gewalt. 15 Zweitens gewährte das vorrevolutionäre Zivilrecht Privilegien. Es behandelte die Menschen ungleich: Der Staat war in hohem Maße hierarchisch gegliedert. Gott hatte die Staatsgewalt inne, die der König als sein Stellvertreter, unterstützt von Adel und Klerus, ausübte. Dementsprechend unterschied das Rechtssystem zwischen dem Adel, dem Klerus und dem dritten Stand. Diese Organisation hatte auch zivilrechtliche Folgen. Beispielhaft sind die Sonderregeln fiir den Adel zur Erbfolge: Um den Grundbesitz in der Hand eines einzigen, zur Erhaltung des Rangs der Familie am besten geeigneten Kindes zu bewahren, galt das Erstgeburtsrecht (droit d'alnesse). Die Kinder wurden daher ungleich behandelt. 16 Drittens bestimmte der Feudalismus das Zivilrecht des Ancien Regime. Dem Feudalismus lag die Idee zugrunde, daß Grund und Boden den wesentlichen Reichtum des Landes darstellen und unter der Kontrolle des Herrschers bleiben müssen. 17 Der Herrscher überließ sein Land seinen Vasallen, die als Gegen12 Portalis, Expose des motifs du projet relatif a Ia reunion des lois civiles en un seul corps, sous le titre de Code civil des franij:ais, in Locre I 196. Vgl. auch Sagnac, S. 2 f.: "C'est un chaos ou le jurisconsulte se perd. C'est une diversite et une confusion qui rendent, en quelque sorte, etrangers les uns aux autres habitants du meme royaume." 13 Weill, Rn. 76. 14 Weill, Rn. 5 I. 15 Weill, Rn. 52. 16 Ghestin/Goubeaux, Rn. 124 (S. 90); Mazeaud, Rn. 36. 17 Weill, Rn. 5 I.

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C. Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen

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Ieistung Dienste vornehmlich militärischer, aber auch persönlicher oder fiskalischer Art erbrachten. Die Vasallen wiederum überließen das Land Nichtadeligen, die es bearbeiteten und Zins zahlten. Auf der Grundlage dieses Systems hatte sich eine Hierarchie von Rechten und Pflichten unterschiedlichster Art herausgebildet, die mit dem Grundstück zusammenhingen. 18 Vor der Revolution unterlag fast der gesamte Grund und Boden Frankreichs derartigen feudalrechtlichen Bindungen. 19

V. Die Auswirkungen der Revolution auf das Zivilrecht Freiheit, Gleichheit, Rechtseinheit, Säkularisation, Aufhebung der Lehnsverfassung- dies waren die Forderungen der Revolution. Zu ihrer Verwirklichung bedurfte es umfangreicher zivilrechtlicher Reformen. Den Plan, ein einheitliches Zivilrecht zu schaffen, verkündete bereits am 5. Oktober 1790 die Konstituierende Versammlung. Alle Versuche, den Plan zu verwirklichen. scheiterten jedoch zunächst. Erst Napoleon gelang es, den Plan auszuftlhren. Aber schon während der Revolution ergingen wichtige Reformgesetze zu Teilbereichen des Zivilrechts. Im Bereich des Personen- und Familienrechts wurden die Privilegien abgeschafft und die Gleichheit der Menschen proklamiert. 20 Die Ehe und der Personenstand wurden säkularisiert, die Adoption eingefilhrt, die Scheidung allgemein zugelassen und die Kinder mit Vollendung des 21. Lebensjahres der väterlichen Gewalt entzogen. Das Erbrecht wurde von seinen aristokratischen Zügen befreit, indem das Erstgeborenenerbrecht und das privilege de masculinite abgeschafft wurden. Die unehelichen Kinder wurden den ehelichen erbrechtlich angenähert. Die feudalrechtlichen Bindungen des Grundeigentums wurden beseitigt, Publizität und Spezialität in das Grundstücksrecht eingefilhrt. Im Vertragsrecht wurde die Vertrags- und Handelsfreiheit ausgerufen. Letztlich wurden die Zünfte (corporations) abgeschafft und jede Einmischung des Staates in die freie Wirtschaft untersagt. 21 So bestand das Zivilrecht bald teils aus Bestimmungen des ancien droit, teils aus Revolutionsrecht Ghestin/Goubeaux, Rn. 124 (S. 91 ). Sagnac, S. 59. In Deutschland dagegen ist das Lehnsrecht niemals, wie in Frankreich und England, zum allbeherrschenden Rechtssystem, zum "gemeinen Recht" schlechthin geworden, sondern stets ein "Rechtskreis" neben dem allgemeinen Landrecht geblieben. In Frankreich galt der Satz "nulle terre sans seigneur", d.h., es sprach die Vermutung dafür, daß alles Land lehnrürig sei, in letzter Instanz vom König. In Deutschland sprach umgekehrt die Vermutung für freies Eigen (Allod). Da das Reich kein geordnetes Lehnsregister führte, sind schon auf diese Weise manche alte Reichslehen durch "Verschweigung" zum Allod geworden; Mitteis/Lieberich, Kapitel 27 I 3. Zum Feudalismus in Frankreich siehe auch Viollet, Histoire des institutions politiques et administratives, Band I, S. 419. 20 Vgl. aber zu den in der Revolution neu geschaffenen Ungleichheiten Garaud, La Revolution et l'egalite civile, Band. I, S. 195 ff. 21 Weill, Rn. 58. IM

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VI. Die Entstehung des Code civil

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VI. Die Entstehung des Code Civil22 Im Laufe der Revolution wurden wiederholt Versuche unternommen, ein einheitliches Zivilgesetzbuch zu schaffen. Erst der fünfte Versuch, an dem Portalis beteiligt war, konnte erfolgreich abgeschlossen werden. Den ersten Versuch leitete am 16. August 1790 die Verfassungsgebende Versammlung (assemb/ee constituante) ein, indem sie in einem Gesetz zur Organisation der Justiz die Schaffung eines Zivilgesetzbuches beschloßY Auch die am 3. September 1791 verkündete Verfassung enthielt den Auftrag, ein einheitliches Zivilrecht zu schaffen: "II serait fait un Code des lois civiles communes a tout le Royaume."24 Die Gesetzgebende Versammlung (assemb/ee legislative), die am 1. Okober 1791 die Verfassungsgebende Versammlung abgelöst hatte, gab jedoch zunächst der Strafrechtsreform Vorrang. Noch 1791 wurde der Code penal promulgiert. Im Anschluß daran nahm die Legislative den Plan eines Zivilgesetzbuches wieder auf. Am 16. Oktober 1791 rief das comite de /egis/ation civile et criminelle alle Bürger und selbst das Ausland auf, ihm Ideen zu einem Zivilgesetzbuch mitzuteilen. Die Beratungen kamen aber nur schleppend voran. Man beriet Rechtsgebiet filr Rechtsgebiet Bei jeder Einzelfrage mußte zwischen den unterschiedlichen früheren Gesetzen und neuen Lösungsvorschlägen entschieden werden. Die Diskussionen gerieten sehr langwierig. So konnte die Legislative nur Gesetze zum Zivilstand und zur Ehe verabschieden. 25 Der N ationa1konvent, der am 21. September 1792 an die Stelle der Gesetzgebenden Versammlung getreten war,l6 setzte das Projekt neu an. Er beauftragte eine Gesetzgebungskommission, ein Zivilgesetzbuch zu entwerfen. Cambaceres, der Präsident der am 2. Oktober 1792 eingesetzten Kommission, legte den fertigen Entwurf7 am 9. August 1793 dem Nationalkonvent vor. 28 Der Entwurf war vom philosophischen Geist der Revolution getragen und faßte die seit 1789 erlassenen Gesetze zusammen, vereinfachte sie und strich die tragenden Prinzipien des Zivilrechts heraus. Methodisch und in klarer Sprache abgefaßt, regelte er in nur 719 Artikeln das gesamte Zivilrecht. 29 Der Nationalkonvent beriet den Entwurf vom 22. August bis zum 28. Oktober 1793.30 Er erschien ihm jedoch nicht philosophisch genug. Man hielt den Text AusfUhrlieh dazu Fenet, Band I, S. xxxiv. Sagnac, S. 47. 14 I. Titel, letzter Satz der Verfassung von 1791 (abgedruckt bei Godechot, S. 3 7). 25 Sagnac, S. 48. 26 Soboul, S. 237. 27 Der Entwurf ist abgedruckt bei Fenet, Band I, S. I ff. lK Zachariä, S. 40; Fenet, Band I, S. xxxvij . 29 Sagnac, S. 51. 30 Sagnac, S. 52; die Protokolle der Debatten sind abgedruckt bei Fenet, Band I, S. xxxvij ff. 22

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C. Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen

fiir zu lang und zu kompliziert; man vermißte neue Ideen, große und nützliche Grundsätze, so wie sie sich fiir das wiedergeborene Frankreich schickten. Daher berief der Konvent am 3. November 1793 eine sechsköpfige Kommission von Philosophen, die nach ganz neuen Ideen das große Werk ausfiihren sollte. 31 Zu dieser Entscheidung bemerkte Thibaudeau: "On disait qu'il [Je projet du Code civil, Anm. des Verf] sentait l'homme du palais et on Je renvoya a l'examen d'une commission de philosophes.'m Gleichzeitig mit der Beauftragung der "Philosophenkommission" gab der Nationalkonvent dem Gesetzgebungskomitee auf, den Entwurf zu überarbeiten. 33

Die "Philosophenkommission" sollte ihren Auftrag nie erfiillen.34 Das Gesetzgebungskomitee dagegen legte dem Nationalkonvent am 9. September 1794 eine überarbeitete Fassung seines Entwurfs vor. 35 Aus 719 waren 297 Artikel geworden. Der vorgeschlagene Gesetzestext war mehr der Entwurf eines Gesetzes als ein Gesetz. Er beschränkte sich auf Definitionen und Prinzipien.36 "C'est une theorie generale des lois civiles; ce n'est pas un Code civil" beschreibt Sagnac den Entwurf. 37 Bei einem so kurzen Gesetz blieb der Großteil der Einzelflille ungeregelt, so daß der Richter zwangsläufig zum Gesetzgeber geworden wäre. Nur die ersten zehn Artikel dieses Entwurfs wurden vom Konvent beraten und als Gesetz verabschiedet. 38 Andere und dringendere Geschäfte verhinderten die Fortsetzung des Projekts. Die politische Atmosphäre Frankreichs hatte sich zudem verändert. So setzte der Konvent schließlich die Beratungen aus. 39 Unter dem Direktorium und der neuen Verfassung vom September 1795 wurde ein dritter, von der commission de Ia classification des Iais verfaßter Entwurf dem Rat der Fünfhundert am 14. Juni 1796 vorgelegt. 40 Der aus 1104 Artikeln bestehende Gesetzentwurf folgte dem Aufbau des Entwurfs von 1793, zielte aber darauf ab, möglichst viele Fragen zu regeln und möglichst wenig Zweifel zuzulassen. Zu diesem Entwurf, den Cambaceres im Namen der Kommission vorgelegt hatte, sagte Portalis später, er sei ein Meisterwerk in Methodik und Präzision gewesen.41 Aber auch diesmal kam es nicht zum Abschluß des Vorhabens. Immerhin konnten einige wichtige Gesetze, etwa zum

Zachariä, S. 40; Fenet, Band I, S. xlv ff. Thibaudeau, Memoires de Thibaudeau, Band 2, S. 148. 33 Sagnac, S. 52. 34 Thibaudeau, Memoires de Thibaudeau, Band 2, S. 148. 35 Der Entwurf ist abgedruckt bei Fenet, Band I, S. II 0 ff. 36 Fenet, Band I, S. xlvij. 37 Sagnac, S. 385. 38 Fenet, Band I, S. 47. 39 Sagnac, S. 53. 40 Abgedruckt bei Fenet, Band I, S. 178 ff. 41 Locre I 255 und 346.

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VI. Die Entstehung des Code civil

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Hypothekenrecht, verabschiedet werden. Napoleons Staatsstreich vom 9. November 1799 fiihrte zur Unterbrechung der Arbeiten. 42 Am 21. Dezember 1799 präsentierte Jacqueminot einen weiteren, von der Gesetzgebungssektion ausgearbeiteten Entwurf, der jedoch folgenlos blieb und überhaupt nicht beraten wurde. 43 Am 12. August 1800 schließlich beauftragte Napoleon die Juristen Portalis, Bigot-Preameneu, Tronchet und Maleville durch Erlaß mit der Ausarbeitung eines neuen Gesetzestextes. 44 Inzwischen war die Forderung der Revolution nach einem einheitlichen Zivilgesetzbuch nicht mehr unumstritten. Einige Juristen vertraten die Auffassung, die Schaffung eines Code civil sei eine zu umfangreiche Unternehmung, die nicht in einem einzigen Schritt realisiert werden könne angesichts des Alters der französischen Nation und der Vielzahl der Gewohnheiten, der Sitten und der Gebräuche. "Vouloir changer tout a coup les 1ois d'un tel peuple et le ramener brusquement a un systeme uniforme, c'est un contre-sens dans lequel on n'est tombe que trop souvent dans le cours de Ia Revolution. Ce n'est pas ainsi que marche Ia nature." 45 Für Napoleon hingegen war die Schaffung eines Zivilgesetzbuchs ein vordringliches Ziel. Er strebte nach großen Errungenschaften, die seinen Namen unsterblich machen sollten. "Zu dem Nymbus [sie!] des unbesiegbaren Feldherrn- er bewunderte Alexander und Caesar - sollte, ebenfalls nach klassischem Vorbild, der des Gesetzgebers

V gl. Sagnac, S. 54. Abgedruckt bei Fenet I 327. Vgl. auch Viollet, S. 236. 44 Locre I 41. Der Erlaß hatte den folgenden Wortlaut "Les consuls de Ia republique arn!tent: Art. !er. Le ministre de lajustice reunira, dans Ia maison du ministere, MM. Tronchet, president du tribunal de cassation; Bigot Preameneu, commissaire du gouvemement pres de ce tribunal, et Portalis, commissaire au conseil des prises, pour y tenir des conferences sur Ia redaction du code civil. Art. 2. II appellera a ces conferences M. Malleville, membre du tribunal de cassation, lequel remplira [es fonctions de secretaire redacteur. Art. 3. Le ministre de lajustice remettra a l'ouverture des conferences, les trois projets de code civil rediges par ordre de Ia convention nationale, et celui qui a ete presente par Ia section de legislation des commissions legislatives. Art. 4. MM. Tronchet, Bigot et Portalis compareront !'ordre suivi dans Ia redactiondes projets du code civil publiesjusqu'a cejour, et determineront le plan qu ' illeur paraitra le plus convenable d'adopter. Art. 5. Ils discuteront ensuite, dans !'ordre des divisions qu'ils auront fixees, les principales bases de Ia legislation en matiere civile. Art. 6. Ce travail sera termine dans Ia demiere decade de brumaire an IX (novembre 1800), et presente a cette epoque aux consuls par le ministre de Ia justice. Art. 7. MM. Tronchet, Bigot Preameneu et Portalis assisteront aux seances du conseil d'etat dans lesquelles Ia discussion sur le Code civil aura lieu." 45 Boulay de Ia Meurthe im Tribunat, A.P., 2e serie, Band I, S. 335; zit. nach Sagnac, 42 43

s. 390.

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C. Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen

hinzukommen."46 Daher nahm sich Napoleon höchstpersönlich dieser Aufgabe an. Die durch den Erlaß ernannte Kommission war paritätisch mit Repräsentanten der pays de droit ecrit (Maleville und Portalis) und der pays coutumiers (Tronchet und Bigot-Preameneu) besetzt. 47 Alle vier Kommissionsmitglieder waren Praktiker.48 Dies erklärt den weniger philosophischen als praxisorientierten Charakter, den der Code civil annehmen sollte. Napoleon beschränkte die Kommission auf vier Mitglieder, da ihm an einer raschen Beendigung der Arbeiten lag.49 Zugleich sorgte er daftlr, daß die Geschwindigkeit nicht auf Kosten der Gründlichkeit ging. Er ließ sogar das preussische ALR übersetzen und drucken, damit auch die Erkenntnisse des Auslands Eingang in den Code civil finden konnten. 50 Bereits nach vier Monaten hatte die Kommission den Entwurf fertiggestellt Der Entwurf wurde gedruckt und an den Kassationshof und die Appellationsgerichte zur Stellungnahme gesandt. 51 Die Anmerkungen der Gerichte und der Entwurfwurden dann dem Gesetzgebungsausschuß des Staatsrats zugeleitet. 52 Es folgten Beratungen des Entwurfs im Staatsrat unter dem Vorsitz entweder des Ersten Konsuls Napoleon oder des Konsuls Cambaceres. Napoleon selbst nahm großen Anteil an der Debatte.53 Obwohl der napoleonische Staat eine Militärdiktatur war, herrschte zumindest im Staatsrat bis 1814 Meinungsfreiheit, unter dem Kaiserreich allerdings weniger als zur Zeit des Konsulats. 54 Der Staatsrat beriet den Entwurfvom 17. Juli 1801 bis zum 17. März 1804 in 192 Sitzungen. Der Entwurf wurde in 36 Einzelgesetze aufgeteilt und nacheinander durch das Gesetzgebungsverfahren55 geleitet. 56 Auch dieses ftlnfte Code civii-Projekt drohte zu scheitern, als Tribunat und Gesetzgebende Versammlung am 12. bzw. 15. Dezember 1801 den ersten, den Präliminärtitel enthaltenden Gesetzentwurf ablehnten.57 Die Ablehnung war nicht

Theewen, S. 39. Dorce, S. 15. 48 Vgl. die Charakterstudie der Verfasser des Code civil bei Arnaud, S. 28 f. 49 Dalloz, Repertoire de droit civil, Stichwort "Code civil", S. 75. 50 Locre I 42. 51 Locre I 42 und 186. 52 Der Ausschuß bestand aus seinem Präsidenten Boulay de Ia Meurthe, Berlier, Emmery, Portalis, Real und Thibaudeau; vgl. Locre in Locre I 43. 53 Vgl. zum napoleonischen Staatsrat Durand, Etudes sur Je Conseil d'Etat napoleonien; ders. Le Fonctionnement du Conseil d'Etat napoleonien, S. 167 ff. s4 Schubert, S. 23. s5 Siehe dazu unten, S. 40. 56 Zur Aufteilung und Gliederung siehe Locre I 45 und 60. 57 Im Tribunat mit 65 gegen 13 Stimmen, im corps legislatif mit 142 gegen 139 Stimmen; Thibaudeau, Memoires sur Je consulat, S. 210 und 215 f. 46

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VI. Die Entstehung des Code civil

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nur sachlich, sondern auch politisch motiviert. ss Die Öffentlichkeit und Napoleon empfanden die vorgebrachte Kritik als Schikane und die Ablehnung als Widerstand gegen Napoleon und Demonstration der Macht der Legislativorgane.59 Nach der Annahme des vorgezogenen dritten Titels ("Von den Zivilstandsurkunden") votierte das Tribunat auch gegen den zweiten Titel ("Vom Genuß der Bürgerrechte"). 60 Napoleon war zur Duldung dieses Widerstandes nicht bereit. Es kam zu einem Machtkampf zwischen ihm und der Legislative, der zur Unterbrechung der Beratungen des Entwurfs filhrte. In dieser Situation boten sich Napoleon zwei Möglichkeiten: Er konnte entweder den Gesetzentwurf oder das Tribunat, von dem der Widerstand ausging, abändern. Er wählte den letzteren Weg. Am 3. Januar 1802 zog er den Gesetzentwurf zurück. 61 In der Folgezeit legte die Regierung keine Gesetzentwürfe mehr vor und entzog dadurch Tribunat und corps /egislatif jede Möglichkeit zur Opposition. Bonaparte soll geäußert haben: "Je !es ai tues par Ia declaration qu'il n'y avait pas unite d'intention entre eux et moi."62 Sein Ziel, die Opposition im Tribunat auszuschalten, erreichte er durch den Senatskonsult vom 4. August 1802, der das Tribunat von hundert auf filnfzig Mitglieder reduzierte. Bei der Umbesetzung sorgte er filr das Ausscheiden der oppositionellen Tribune. 63 Der Widerstand der Legislative war damit gebrochen. Am 9. September 1802, nach mehr als achtmonatiger Unterbrechung, nahm der Staatsrat die Gesetzgebungsdebatten wieder auf. 64 Nacheinander durchliefen alle Gesetzentwürfe ohne Schwierigkeiten das Gesetzgebungsverfahren. Das Gesetz vom 21. März 1804 schließlich vereinigte die 36 Einzelgesetze zu einem einzigen Zivilgesetzbuch mit dem Namen "Code civil des Fran~ais". Dieses Gesetz setzte den Aufbau des Code Civil und seine Einteilung in einen Präliminärtitel und drei Bücher fest. Jedes einzelne Gesetz hatte jedoch bereits vorher mit seiner Promulgation Gültigkeit erlangt.65

51 Vgl. Andrieux' Bericht an das Tribunat vom 3.Dezember 1801 (Locre I 236 ff.), Andrieux' Rede vor dem corps /egislatifam 14. Dezember 1801 (Locre 1244) sowie die Reden der Tribune Thiesse und Favard vor dem corps ll!gislatifam 15. Dezember 1801 (Locre I 264 ff. bzw. 28lff.). 59 Vgl. Locre I 50. 60 Thibaudeau, Memoires sur Je consulat, S. 210 und 215 f. 61 Dalloz, Repertoire de droit civil, Stichwort "Code civil", Rn. 82; vgl. Locre I 51. 62 Zitiert nach Locre I 52. 63 Dalloz, Repertoire de droit civil, Stichwort "Code civil", Rn. 83. Vgl. dazu Theewen, S. 44 ff. 64 Locre I 53. 65 Dalloz, Repertoire de droit civil, Stichwort .,Code civil". Rn. 84.

C. Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen

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VII. Das Gesetzgebungsverfahren nach der Konsularverfassung Die Bedeutung der Debatten des Staatsrats wird erst deutlich, wenn man die Funktion des Staatsrats beim Gesetzgebungsverfahren nach der Konsularverfassung kennt. Daher werden hier kurz ihre Grundzüge dargelegt. Sie bildet den Endpunkt der revolutionären Verfassungsentwicklung. Mit der Revolution begann in Frankreich eine verfassungsrechtlich bewegte Zeit.66 Man schuf in kurzen Abständen die Verfassungen von 1791, 1793, 1795, 1799, 1802 und 1804. 67 Der konstitutionellen Monarchie folgte bald die Republik. Kaum war die Republik ausgerufen, so wandelte sie sich aufgrund innerer und äußerer Einflüsse schnell in eine Diktatur. 68 Der Code civil wurde unter den Verfassungen von 1799 und 1802 ausgearbeitet. Da die Verfassung von 1802 auf der des Jahres 1799 basierte, änderte sich das Gesetzgebungsverfahren während der Arbeiten zum Code civil ( 18001804) nicht grundlegend. Am Gesetzgebungsverfahren waren die Regierung, das Tribunat und die Gesetzgebende Versammlung beteiligt. Artikel 25 der Verfassung von 1799 beschreibt das Gesetzgebungsverfahren wie folgt: "11 ne sera promulge de lois nouvelles que lorsque Je projet en aura ete propose par Je Gouvernement, communique au tribunat, et decrete par Je corps legislatif." Dies bedarf einer Erklärung. Die Verfassung von 1799 war auf Napoleon zugeschnitten. Von den Staatsorganen dominierte nicht die Volksvertretung, sondern die Regierung und hier der Erste Konsul Napoleon. Die Regierung bestand aus drei Konsuln. 69 Artikel 42 ("Die Entscheidung des ersten Konsuls genügt") gab dem Ersten Konsul die alleinige Entscheidungsgewalt Die beiden anderen Konsuln hatten nur beratende Stimme. 7° Für die ersten zehn Jahre setzte die Verfassung Napoleon als Ersten Konsul ein. Ausdruck der MachtfUIIe der Regierung bzw. des Ersten Konsuls war, daß nur die Regierung (nicht die Legislative) das Gesetzesinitiativrecht hatte. Es bestand also keine strikte Gewaltentrennung. Unterstützt wurde die Regierung von den Ministern und dem Staatsrat (Conseil d'Etat). Aufgabe der Minister war allein die AusfUhrung der Gesetze und Verordnungen. 71 Der in der Praxis aus 30-40 Mitgliedern bestehende Staatsrat hatte demgegenüber den Auftrag, Gesetze und öffentlich-rechtliche Verwaltungsvorschriften zu entwerfen und Schwierigkeiten innerhalb der Verwaltung zu lösen. 72 Bei der ErfUllung

Zur Verfassungsgeschichte siehe Hartmann, S. 51 ff; Sautel, S. I ff. Die Texte der Verfassungen sind abgedruckt bei Duguit/Monnier/Bonnard. 6K Hartmann, S. 45. Esmein, S. 31 ff. 69 Artikel 39 der Verfassung von 1799. 70 Artikel 42 der Verfassung von 1799. 71 Artikel 54 der Verfassung von 1799. 72 Artikel 52 der Verfassung von 1799; Lepointe, Histoire des institutions, S. 73 .

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VII. Das Gesetzgebungsverfahren nach der Konsularverfassung

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dieser Aufgaben unterstand der Staatsrat der Leitung des Ersten Konsuls, der die Staatsräte nach Belieben ernennen und entlassen konnte. 73 Der mächtigen Regierung stand eine ebenso schwache Legislative gegenüber. 74 Sie bestand aus drei Kammern: dem Tribunat, der Gesetzgebenden Versammlung (corps /egislatif) und dem Senat (senat conservateur). Das Tribunat hatte nach Artikel 28 die Aufgabe, die Gesetzentwürfe zu diskutieren, der Gesetzgebenden Versammlung den Entwurf vorzustellen und die Annahme oder Ablehnung des Entwurfs zu empfehlen: "Le tribunat discute Jes projets de loi; il en vote l'adoption ou Je rejet. - II envoie trois orateurs pris dans son sein, par Iesquels Ies motifs du vceu qu'il a exprime sur chacun de ces projets sont exposes et defendus devant Je corps legislatif. - II derere au senat, pour cause d'inconstitutionalite seulement, les Iistes d'eligibles, les actes du corps legislatif et ceux du Gouvernement." Durch diese Einflußmöglichkeiten hatte das Tribunat ansatzweise ein Gesetzesinitiativrecht Allerdings konnte es ein Gesetz nicht selbst verhindern. Es konnte nur die Gesetzgebende Versammlung auffordern, es abzulehnen. 75 Die Gesetzgebende Versammlung entschied über die eingebrachten Gesetzentwürfe. 76 Sie hatte jedoch kein Recht, die Gesetzentwürfe selbst zu beraten. 77 Die Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung, des Tribunats und die Konsuln wurden vom Senat gewählt. 78 Die ersten 60 Mitglieder des Senats wurden zunächst auf Lebenszeit ernannt. Nach und nach sollte die Zahl der Senatoren von 60 auf 80 erhöht werden. Die neuen und die freiwerdenden Sitze sollten mit vom Senat selbst gewählten Personen besetzt werden. Als Kandidat kam nur in Betracht, wer in einem indirekten Wahlverfahren vom Volk in sogenannte Notabienlisten gewählt worden war. 79

Artikel 41 der Verfassung von I 799. Hartmann, S. 66. 75 Vgl. Locre in Locre I 27. 76 Artikel 25 der Verfassung von 1799. 77 Artikel 34 der Verfassung von 1799: "Le corps legislatif fait Ia loi en statuant par scrutin secret, et sans aucune discussion de Ia part de ses membres, sur Ies projets de Ioi debattus devant lui par Ies orateurs du tribunat et du Gouvernement." 78 Hartmann, S. 66. 79 Dazu Saute!, Rn. 143 (S. 197). 73

74

D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis Portalis setzte sich mit den geistigen Strömungen seiner Zeit auseinander. Insbesondere in seiner vor Beginn der Arbeiten am Code civil im deutschen Exil (1797-1800) verfaßten zweibändigen Schrift "De l'Usage et de l'abus de l'esprit philosophique durant Je XVIIle siecle" nahm er zu den maßgebenden philosophischen Richtungen seiner Epoche Stellung. Das Spektrum seiner Betrachtung war breit: Er analysierte sowohl allgemeine philosophische Themen wie etwa das damals neue philosophische System Kants, 1 die Frage der Gottesbeweise2 oder den Materialismus/ als auch rechtsphilosophische Probleme wie die Lehre vom Gesellschaftsvertrag,4 die Zulässigkeit der Todesstrafe/ die Entstehung und Rechtfertigung des Eigentums6 und die Auslegung des Gleichheitssatzes. 7 Portalis' philosophische Arbeiten betrafen auch das Zivilrecht, nämlich seine Untersuchungen zum Eigentumsrecht, zu Gleichheit und Freiheit. Während der Gesetzgebungsarbeiten zum Code civil griff er häufig darauf zurück und zeigte die philosophischen Grundlagen einer Regelung des Gesetzentwurfs auf. Sein philosophisches Grundverständnis strahlte auf sein zivilrechtliches Denken aus und bedingte es. Ein Porträt des Zivilrechtiers Portalis sollte daher auch seine philosophischen Überlegungen herausarbeiten.

I. Rationalismus und Deismus Portalis' Denken basierte auf den Erkenntnissen der Aufklärung und dem von Descartes ( 1596-1650) begründeten philosophischen Rationalismus, nach dem die Wahrheit nicht mehr die Offenbarung Gottes, sondern die Gewißheit ist, die sich der Mensch selbst von einer Sache, den Dingen und der Welt im Ganzen verschafft. Diese von Descartes vollzogene Grundlegung einer Philosophie der Subjektivität schuf die Grundlage fUr jenen frühzeitliehen und aufklärerischen Deismus, der Gott zwar noch als Welturheber sieht, ihm aber im Unterschied Portalis, De I'Usage, Band I, S. 183 ff. Portalis, De I'Usage, Band I, S. 264 ff. 3 Portalis, De l'Usage, Band I, S. 229. 4 Portalis, De l'Usage, Band 2, S. 238 ff. = 5 Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 308 ff. = 6 Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 288 ff. = 7 Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 266 ff. = 1

2

Ecrits, S. 309 ff. Ecrits, S. 359 ff. Ecrits. S. 345 ff. Ecrits, S. 329 ff.

II. Recht und Moral

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zum christlichen Theismus keinen unmittelbaren Einfluß auf die Entwicklung der Natur und die Geschichte der Menschheit - etwa durch sein Offenbarungshandeln - mehr einräumt. K Diesem Gedanken des Deismus folgte auch Portalis: "Nous conviendrons, avec !es theologiens, que toute puissance souveraine tient de Dieu; mais, aux yeux d'une religion eclairee, Dieu n'est Ia source de toute puissance que comme createur et conservateur de !'ordre social comme premier moteur des causes secondes, c'est-a-dire comme etant l'Etre par essence et Ia cause premiere de tout ce qui est."9 Portalis meinte weiter, Gott habe nur allgemeine Regeln vorgegeben und es den Menschen überlassen, die gesellschaftliche Ordnung auszugestalten. Der Staat und das staatliche Recht seien daher nicht von Gott bestimmt, sondern eine Schöpfung des Menschen: "Les societes politiques et civiles sont, par ellesmemes, des etablissements purement humains. Car si c'est Dieu lui-meme qui a etabli !es lois de Ia nature humaine et pose Je fondement de !'ordre social, Ia main du createur se repose et laisse agir les causes secondes, apres avoir donne le mouvement et Ia vie a tout ce qui existe. Il ne faut donc pas ehereher hors de l'homme et hors de Ia societe, c'est a dire hors des lois generales qui regissent l'univers moral, les institutions inherentes a l'etablissement des societes politiques et civiles." 10

II. Recht und Moral Die Unterscheidung von Recht und Moral wurde erst durch die Philosophen der Aufklärung herausgearbeitet. Seit Jahrtausenden hatte man die materialen Fragen nach den Inhalten des rechten Handelns, die sich filr Recht und Moral grundsätzlich gleich stellen, unter dem gemeinsamen Namen des Naturrechts abgehandelt. Pufendorf (1632-1694) hatte in der Unterscheidung des Naturrechts von der Moraltheologie bereits mit erstaunlicher Klarheit Legalität und Moralität getrennt. Das Naturrecht, meinte er, begnüge sich mit den äußeren Handlungen der Menschen zueinander. Aus welchen Motiven heraus der Mensch die Rechtspflichten erfillle, müsse dem irdischen Richter ebenso gleichgültig sein, wie das, was in der Brust verborgen bleibe und keine Wirkung in der Außenwelt hervorbringe. Nur bei gesetzwidrigen Handlungen müsse der Richter auch die Gesinnung des Täters beachten. Grundsätzlich anders erforsche die Moraltheologie gerade die inneren Handlungen und tadle auch das äußerlich rechtmäßige Verhalten, das aus böser Gesinnung hervorgegangen sei. Für sie sei wahrhaft gut nur eine Handlung, die - objektiv und subjektiv - in allen Stücken

K Schwan, S. 159 ff. Grundlegend Hirschberger, Band 2, S. 87 ff. (Rationalismus und Descartes) und S. 246 ff. (Deismus). 9 Portalis, Oe l'Usage, Band 2, S. 243 = Ecrits, S. 312. 10 Portalis, Oe l'Usage, Band 2, S. 243 = Ecrits, S. 312 f.

44

D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis

dem Gesetz Genüge tue. In wesentlichen Punkten nahm Pufendorf die kantische Unterscheidung von Legalität und Moralität vorweg. ' '

1. Die Moral als Grundlage des Rechts Bevor sich Portalis mit den Grundsätzen der staatlichen Ordnung und des staatlichen Rechts auseinandersetzte, befaßte er sich mit den Prinzipien der Moral. Er folgte der von Pufendorf entwickelten Unterscheidung zwischen Moral und Recht. Die Moral, schrieb Portalis, sei zwar die Ergänzung und das Prinzip der Gesetze. Da der Mensch jedoch frei sei, binde sie ihn rechtlich nicht: "II faut regarder Ia morale naturelle 12 comme Je supplement et Je principe des Jois positives. La societe nous laisse libres dans tout ce qu'elle croit n'etre pas Ja necessite pour Je salut du peuple; mais comme nous sommes hommes avant que d'etre citoyens, et comme nous ne cessons pas d'etre hommes en devenant citoyens, Ia raison et Ia conscience, qui sont les plus belles prerogatives de l'humanite, demeurent toujours pour nous conduire, soit que nous agissions sous l'impression de Ja force publique, soit que cette force cesse de nous contraindre. C'est ce qui fait que l'on a toujours distingue Je Iicite d'avec l'honnete.'m

2. Die Grundlagen der Moral Bei der Suche nach den Grundlagen der Moral ging Portalis aus von der von Hume und Kant gleichennaßen gestellten Frage, ob die moralische Billigung menschlichen Handeins durch Vernunft oder Neigung zustandekommt Vernunft und Neigung unterscheiden sich dadurch, daß über die Vernunft bzw. Wahrheit ein Streit möglich ist, über die Neigung dagegen nicht. 14 a) Hume

Hume nahm an, daß vielleicht bei allen moralischen Entscheidungen und Schlußfolgerungen ein Zusammenwirken von Vernunft und Gefiihl statthabe. Praktisch legte er aber doch den größeren Nachdruck auf die Neigung15 : "Was ehrenhaft, schicklich, billig, edel, hochherzig ist, nimmt unser Herz gefangen 11 Welzel, S. 163. Nach Kant bedeutet ein Handeln, das aus Neigung oder aus Zufall das sachlich Richtige tut, zwar Legalität, aber noch nicht Moralität. Nur das Handeln, "aus Pflicht" und "um der Pflicht willen" macht unser Handeln moralisch; vgl. Hirschberger, S. 343. 12 Unter morale naturelle versteht Portalis die von allen Sitten, Gewohnheiten und Institutionen unbeeinflußte Moral; vgl. Portalis, Oe I'Usage, Band 2. S. 42. 13 Portalis, Ecrits, S. 252 =Oe l'Usage, S. 44f. 14 Hirschberger, S. 238. 15 Hirschberger, S. 238; Hume, Ess. II 171 f.

II. Recht und Moral

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und treibt uns dazu, es uns anzueignen und festzuhalten. Was begreiflich, einleuchtend, wahrscheinlich, wahr ist, weckt nur die kühle Zustimmung des Verstandes und bringt, indem es einen spekulativen Wissenstrieb befriedigt, unser Forschen zu einem Abschluß. Unterdrückt man alle warmen GefUhle ... , so hört die Moral auf, ein praktisches Anliegen zu sein, hat auch keinerlei Tendenz mehr, unser Leben und Handeln zu bestirnmen." 16 "Es ist wahrscheinlich, daß das endgültige Urteil, das Charaktere oder Handlungen fUr liebens- oder hassenswert erklärt ... , ihnen den Stempel der Billigung oder Mißbilligung aufdrückt ... , auf irgendeinem inneren Sinn oder GefUhl beruht, das die Natur uns Menschen ganz allgemein mitgegeben hat." 17 Nach Hume sind Neigung und GefUhl die letzten Kriterien der sittlichen Wertschätzung. 1M Von Lust und Unlust ausgehend, nennt Hume gut, was Lust, übel, was Unlust erregt. Nur die Gesinnungen und Taten des Menschen unterliegen der moralischen Beurteilung, wobei die Taten jedoch nicht filr sich bewertet werden, sondern als Ausdruck des Charakters. Erzwungene Handlungen unterliegen nicht dem moralischen Urteil. Ausdruck des moralischen Urteils sind Billigung und Mißbilligung; sie gründen auf dem Gefilhl, nicht auf der Vernunft. 19 b) Kant

Im Gegensatz zu Hume meint Kant, allein die Vernunft entscheide, welche Handlungen gut und welche schlecht sind. Kant sieht das Sittliche als Gesetz, als Imperativ, und der Imperativ ist kategorisch, duldet kein Wenn und Aber, keine Rücksicht auf Neigungen und persönliche Interessen oder überhaupt auf irgendein "Materiale" und seinen Gehalt; denn dann hinge das Gebot eben von der Neigung, den Zwecken, Interessen, also materialen Bedingungen ab, und dann hätten wir gar nicht mehr einen unbedingten, kategorischen Imperativ, sondern nur einen hypothetischen. Kant aber weiß aus dem im moralischen Selbstbewußtsein gegebenen Faktum der Sittlichkeit, daß der Imperativ kategorisch ist. Wie bei Hume gibt es nur die Alternative: entweder Vernunft oder Neigung. Während aber Hume sich schließlich filr die Neigung entscheidet, entscheidet sich Kant ausschließlich fUr die Gesetzmäßigkeit der Vernunft. Jede Anknüpfung an Neigung, Sinn oder Gefilhl weist er als subjektivistisch und relativistisch zurück: "Nichts von der Neigung des Menschen, sondern alles von der Obergewalt des Gesetzes und der schuldigen Achtung filr dasselbe zu erwarten" sei die Aufgabe der Moralphilosophie. 20 Hume, Ess. II 171 f. Hume, Ess. II 172. 18 Hirschberger, Band 2, S. 239. 19 Friedlein, S. 182; vgl. auch Copleston, Bd. 5, S. 258 ff. und v.a. S. 328 ff.. Zu Hume siehe ferner Streminger, S. 211 ff. m.w.N.; Mackie, S. I ff. 2 Kant, Werke IV, 426; Hirschberger, Band 2, S. 342. Vgl auch S. 345. Die moderne materiale Wertethik macht geltend, daß Kant das Moralische zu eng gesehen habe, wenn er es in der formalistisch verstandenen Pflicht allein aufgehen läßt. Sie fragt: Wird der 16 17

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D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis

c) PortaUs Portalis beantwortete die Frage nach der Grundlage der Moral im Sinne eines Kompromisses zwischen Hume und Kant: Maßgebend sei beides, Vernunft und Gefilhl. 21 Denn das menschliche Wesen werde immer zugleich durch Gefilhl und Vernunft beeinflußt. Daher könne insbesondere das Gefilhl nicht außer Acht bleiben, wie Kant es forderte: ,,La morale a son fondement dans !es qualites des etres sensibles, intelligents et !ihres, et dans les differents rapports que Ia constitution originaire de ces etres nous offre. II s'agit donc de connaitre et de fixer ces qualites et ces rapports, pour remonter aux veritables principes de Ia morale. Mais faut-il, dans nos recherches, nous en rapporter a Ia raison ou au sentiment? ... Le sentiment et Ia raison sont egalement necessaire pour nous diriger .. . II ne nous appartient pas de separer des choses que Ia nature a si etroitement unies dans Ia constitution de nos etres22 ... Puisque l'homme est a Ia fois sensible et raisonnable, pourquoi devrait-il renoncer au sentiment, qui est aussi nature! en lui que Ia raison?" 23 Daher ergäben nur das Gefilhl und die Vernunft zusammengenommen die Tatsachen, die zur Erforschung der Moral notwendig seien: "Le sentiment me donne Ia perception immediate du bien et du mal, du plaisir et de Ia peine. La raison observe !es indications qui lui sont donnes par Je sentiment; elle etudie leurs differents caracteres; elle constate leur identite et leur source, et elle fixe leurs resultats ... dans !'ordre moral et intellectuel, ce n'est que par le sentiment, que nous pouvons nous assurer des faits qui sont !es vrais principes des sciences."24 Insgesamt scheint Portalis das Schwergewicht wie Hume auf das Gefilhl zu legen: "Le principe qui produit l'approbation ou Ia desapprobation n'est pas une decouverte qu'on fait, mais un sentiment que l'on eprouve. "25 Daher lehnte er die Auffassung von Kant, den er scharf kritisierte/6 und derjenigen, die die Moral nur unter Berücksichtigung der Vernunft zu erklären versuchen, ab: "Ceux d'entre !es auteurs qui ne fondent Ia morale que sur Ia raison, et qui repudient le sentiment, se perdent dans de vaines generalites, sittliche Wert, z.B. Nächstenliebe, nicht sinnlos, wenn man, wie Kant das verlangt hat, die gute Tat ohne Herz tut, nicht um des Wohles des Nebenmenschen willen, sondern rein um der Pflicht allein und als solcher zu genügen; Hirschberger, Band 2, S. 344. Vgl. zu Kant ferner Wagner, S. 507 ff.; Kaulbach, S. 43 ff.; Eisler, Stichworte "Moralisches Gefiihl", "Gut"; Ratke, Stichwort "Moral, moralisch"; Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Stichwort "Moral, moralisch, Moralphilosophie", III D (S. 161). 21 Portalis, Ecrits, S. 253 =Oe I'Usage, S. 47. 22 Portalis, Ecrits, S. 253 = Oe I'Usage, S. 47. 23 Portalis, Ecrits, S. 255 = Oe I'Usage, S. 50. 24 Portalis, Ecrits, S. 257 = Oe l'Usage, S. 52. 25 Portalis, Ecrits, S. 261 = Oe l'Usage, S. 58. 26 Kant's System der "Kritik der reinen Vernunft" erklärte er ohne Umschweife fur unbrauchbar und nichtssagend: "Une maxime n'est pas philosophique parce qu'elle est contentieuse et vague, mais parce qu'elle est lumineuse et feconde. Les propositions de Kant ne determinent rien. II est facile d'en abuser, et l'usage qu'on peut en faire est nul"; Portalis, Oe I'Usage, Band 2, S. 55f. = Ecrits, S. 259, vgl. auch S. 163 ff.

III. Naturrecht, Menschenrechte und staatliches Recht

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ou dans des abstractions metaphysiques. Je cite en preuve 'La critique de Ia raison pure' de Kant.'027 Von diesem Ausgangspunkt aus, meinte Portalis, seien die Regeln, die fUr das Zusammenleben der Menschen gelten, rational zu ermitteln: "C'est a Ia raison qu'il appartient de reduire en corps de doctrine ce que les particuliers se doivent entre eux, ce qu'ils doivent a Ia societe, et ce que Ia societe doit aux particuliers. " 28

ßl. Naturrecht, Menschenrechte und staatliches Recht Die Frage nach dem Bestehen von Menschenrechten und Naturrecht und ihr Verhältnis zu staatlichem Recht hatten die Theoretiker des 17. und 18. Jahrhunderts, auf die sich die verschiedenen Inhaber der Staatsgewalt im Verlauf der französischen Revolution stützten, unterschiedlich beantwortet. Für das Zivilrecht kommt insbesondere der Frage nach der Natur und dem Inhalt des Eigentumsrechts große Bedeutung zu. Erkennt man mit dem Eigentumsrecht ein Menschenrecht an, das von Natur aus besteht und staatlichem Recht vorgeht, so sind entschädigungslose Enteignungen unzulässig. Erachtet man das Eigentum dagegen nur als ein vom Staat gewährtes Recht, so ist der Staat befugt, das Eigentumsrecht als Institut zu beschränken und sogar aufzuheben. 29 Unter den Theorien des 18. Jahrhunderts, dem Jahrhundert des Naturrechts/0 können drei Ansätze unterschieden werden. 31 1. Rousseau

Rousseau bestritt die Existenz von Naturrechten: Eigentum, Freiheit und Gleichheit stünden dem Menschen nicht von Natur aus zu, sondern würden ihm vom Staat gewährt. Ausgangspunkt der Entwicklung der gesellschaftlichen Ordnung sei der Naturzustand gewesen, in dem der Mensch frei gewesen sei. Im Naturzustand sei alles von physischer Gewalt abhängig gewesen. Freiheit und Eigentum erstreckten sich, soweit die Gewalt reichte. Mit der Begründung der Gesellschaft durch einen Gesellschaftsvertrag sei das Recht der Macht physischer Gewalt gefolgt und die Gleichheit aller festgelegt worden. Alles Recht beruhe auf vertraglicher Übereinkunft. Eigentum, Freiheit und Gleichheit bestünden daher nicht von Natur aus, sondern würden dem Menschen von dem durch den Gesellschaftsvertrag geschaffenen Staat gewährt. 32 Portalis, Ecrits, S. 257 = De I'Usage, S. 53. Portalis, Ecrits, S. 281 = De l'Usage, S. 281. 29 V gl. Ourliac/Malafosse, Band 2, S. 187 (Rn. 94 ). 30 Welzel, S. 162. 31 Vgl. dazu Sagnac, S. 21 ff. und Thieme, S. 25 ff. 32 Jean-Jacques Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, Buch I, Kapitel I : "Die gesellschaftliche Ordnung ist ein geheiligtes Recht, das allen anderen zur Grundlage dient. Trotzdem stammt dieses Recht nicht von der Natur; es beruht also auf 27 28

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D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis

2. Locke Im Gegensatz zu Rousseau meinte Locke, daß die Menschenrechte von Natur aus bestünden und staatlichem Recht vorgingen. Der Staat gewähre die Menschenrechte nicht, er habe sie nur (verbindlich) zu gewährleisten.33 Im Naturzustand seien sie infolge des FehJens einer Ordnungsmacht ungesichert gewesen. Sie hätten daher der Sicherung, Stärkung und besseren Verwirklichung bedurft. Das sei durch ein vermittels eines wechselseitigen Vertrags begründetes Gemeinwesen geschehen, das die individuellen Rechte und insgesamt das Leben, die Freiheit und das Eigentum der Individuen zu schützen und zu gewährleisten habe. Der Staat habe vor allem die Aufgabe, die Rechte des Einzelnen zu schützen. Er übernimmt nach der Theorie Lockes ausdrücklich keine soziale Verantwortung fiir die Bürger, mit der er sie dominieren und ihre Freiheit antasten wUrde. Vielmehr konzentrierte sich Locke, der klassische Vertreter des Liberalismus, darauf, die Staatsaufgaben tunliehst einzuschränken, wo immer das denkbar ist. 34 Locke erkannte ausdrücklich ein natürliches, individuelles Eigentumsrecht an. Er ging davon aus, daß der Schöpfer dem Menschen die Natur überantwortet habe, um sie zu bearbeiten und zu beherrschen. Die Natur sei von Gott allen Menschen in prinzipiell gleicher Weise zur Bearbeitung und Bemächtigung anvertraut worden. Sie war deshalb aus Lockes Sicht, bevor etwas mit ihr geschah, Gemeineigentum aller Menschen. Der Mensch sei der Natur von Gott gegenübergestellt worden, herausgestellt als dasjenige Wesen, das nicht Eigentum eines anderen Wesens ist (wie es die Natur und alle Naturdinge fiir den Menschen sind), sondern das sich selbst Eigentum ist. Der Mensch besitze sich selbst; er verfiige über seine Fähigkeiten, die körperlichen und die geistigen, und sei insofern als Eigentum fiir sich Person. Wenn der Mensch sich selbst mit allen seinen Fähigkeiten zum Eigentum habe, so sei auch die Arbeit sein Eigentum. Dann sei schließlich auch das, was der Mensch bearbeite und sich aneigne, sein richtiges und rechtmäßiges Eigentum. Dabei gilt die Natur- der zur VerfUgung gestellte Stoff der Arbeit- vor ihrer Bearbeitung als (potentielles) Gemeineigentum aller Menschen. Was jedoch tatsächlich an der Natur bearbeitet wird, das wird fiir Locke sofort zum Privateigentum des arbeitenden Individuums. 35

Vereinbarungen." Insoweit stimmte Rousseau mit Jurieu und Pufendorfüberein. Vgl. zu Rousseau auch Schwan, S. 224; Vossler, S. 208 ff. und S. 282 ff.; Fetscher, S. 105 ff.; Menger, Rn. 176; Strömholm, S. 197. 33 Locke, Buch 2. §§ 77 ff. (Nr. 142 und 159 ff.); vgl. ferner Schwan, S. 197 f.; Menger, Rn. 154. 34 Schwan, S. 197 f.; Hirschberger, S. 215 ff. Grundlegend zu Locke siehe Gough, S. 1 ff.; Simmons, S. 1 ff. 35 Schwan, S. 195 f.

III. Naturrecht, Menschenrechte und staatliches Recht

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3. Hobbes, Montesquieu und Voltaire Wie Locke glaubten auch Hobbes, Montesquieu und Voltaire an die Existenz von Naturrecht. Anders als Locke meinten sie, der Mensch habe zugunsten des Staates auf seine natürliche Freiheit und seine natürlichen Rechte verzichtet. Der Staat sei geschaffen worden, um den Menschen Rechtssicherheit zu verschaffen. Er gewähre ihnen Freiheit und Eigentum und sei zu ihrem Schutz verpflichtet. 36 Bei Hobbes wurde der Gesellschaftsvertrag zu einem Unterwerfungsvertrag. 37 Hobbes meinte, die Gewalt des Herrschers sei unbeschränkt. Nur intern, in seinem Gewissen, sei der Regierende gebunden, nur dem Gemeinwohl zu dienen und nur Gesetze zu erlassen, die dem natürlichen Recht entsprechen. 33 Die auch von Rousseau vertretene Theorie, daß das Eigentum kein natürliches, sondern nur ein vom Staat gewährtes Recht ist, hatten die Revolutionäre zur Rechtfertigung von Enteignungen angefilhrt. Im Ancien Regime hatte der König behauptet, er habe alles Grundeigentum direkt oder indirekt an die Bevölkerung abgetreten. Der Revolutionsstaat behauptete nun, alles Eigentum existiere nur kraft der Abtretung durch den Staat. Die Revolutionäre befreiten damit die alte Theorie von ihrem feudalen Element, übernahmen sie aber im übrigen und nutzten sie im Laufe der Revolution in bis dahin unbekanntem Ausmaß zur Neuverteilung des Vermögens. 39 Da der Staat das Eigentumrecht geschaffen habe, könne er es im Interesse des höherrangigen Gemeinwohls regeln, abändern und sogar zerstören. "La propriete est Ia premiere loi sociale, mais le droit qu'elle donne doit etre envisage moins sous le rapport de celui qui en jouit que SOUS celui de Ia societe pour l'utilite de laquelle elle a ete instituee." 40

4. PortaUs Portalis' Standpunkt war dem Lockes sehr ähnlich. Er bejahte die Existenz von Menschenrechten und ihren Vorrang vor staatlichem Recht. Anders als Locke lehnte er jedoch die Idee des Gesellschaftsvertrags ab.

36 Vgl. Euchner, S. I96 ff. Zu Voltaire vgl. Voltaire, Dictionnaire philosophique, IJ 432; Pellissier, S. 235 ff.; TroussonNercruysse/Lemaire. Dictionnaire Voltaire, Brüssel I994; zu Montesquieu siehe Montesquieu, Vom Geist der Gesetze. Buch 36. Kapitel I5; vgl. auch Buch I3, Kapitel I; Pangle, S. 268 ff.; Goyard-Fabre, S. 95 ff.; Eiselin, S. I71. 37 Thomas Hobbes, Leviathan, Teil 2, Kapitel I7 und I8. 38 Coing, Grundzüge, S. 34; vgl. zu Hobbes auch Hirschberger, S. I95 ff. und Ilting, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Stichwort "Naturrecht" IV I (S. 278 ff.). 39 Dazu Sagnac, S. 40 ff. Das Wohlfahrtskomitee befahl zudem per Dekret die Bestellung der brachliegenden Äcker und Gärten; siehe dazu Ourliac/Malafosse, Band 2, Rn. 94. 40 Hentz, rapport (I 793 ), Arch. nat., AD XVIII, S. 326; zit. nach Sagnac, S. 40, Fn. 3.

4 Plesser

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D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis

a) Ablehnung der Lehre vom Gesellschaftsvertrag Portalis wehrte sich gegen die These Rousseaus, daß die gesellschaftliche Ordnung durch einen wie immer gearteten Gesellschaftsvertrag geschaffen oder abgeändert worden sei. Er hielt diese Vorstellung filr unrealistisch und absurd. 41 Ebenso wie die Unterscheidung zwischen Naturzustand (etat abso/u de nature) und Gesellschaftszustand (etat de societe') lehnte er die Idee einer künstlich geschaffenen Zivilisation ab. Der Mensch habe von Beginn an in einer gesellschaftlichen Ordnung gelebt. Denn es entspreche der Natur des Menschen, in einer gesellschaftlichen Ordnung zu leben: "Les hornrnes sont unis, ils vivent en socü!te, parce que tel est Je vreu de Ia nature, qui !es a rendu sociables. 42 Puisque !es hornrnes vivent ensemble; puisqu'ils sont invites par leurs interets, par leur disposition ase cornrnuniquer leurs sentiments et leurs pensees; par leur aptitude a se servir de sons articules, et a etablir entre eux un Iangage cornrnun, par Ia forme de leur Organisation, par tous )es attributs inherents a leur maniere d'exister, nous pouvons assurer avec confiance que l'etat de societe est l'etat le plus conforme a Ia nature humaine."43 GestUtzt auf Voltaire44 und Montesquieu45 meinte Portalis, die Zivilisation habe sich in einer lang andauernden Entwicklung allmählich entwickelt und sei nicht abrupt durch einen hypothetischen Gesellschaftsvertrag entstanden46 : "La societe n'est point un pacte, mais un fait. " 47

b) Die Existenz von Menschenrechten Dem Geiste der Aufklärung entsprechend bejahte auch Portalis die Existenz von Menschenrechten. Die von Natur aus bestehende Gesellschaft, die dem Gemeinwohl verpflichtet sei, garantiere grundlegende Rechte: "L'ordre social a pour objet Ie bien permanent de l'humanite. II est fonde sur !es rapports essentiels et indestructibles qui existent entre Ies hommes. II ne depend pas d'une institution libre et arbitraire: il est commande par Ia nature. II garantit les droits, l'existence, Ia propriete, le bonheur de Ia generation presente et de toutes les generations a naitre."48 Insgesamt stellte Portalis eine Vielzahl von natUrliehen Rechten des Menschen fest: "II ne faut abaisser aucun citoyen au-dessous de l'humanite, il ne faut en placer aucun au dessus de Ia justice, parceque tout ce qui tient a Ia justice Portalis, De l'Usage, Band 2, S. 238. Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 240 = Ecrits, S. 311. 43 Portalis. De I'Usage, Band 2, S. 230. 44 Voltaire, Essai. S. 64 ff. 45 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze. Buch I, Kapitel "Von den Naturgesetzen". 46 Portalis, Ecrits, S. 231 tf. = De I'Usage, Band 2, S. 231 tf. 47 Portalis, Ecrits, S. 309 = De I'Usage, Band 2, S. 238. 48 Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 239 = Ecrits, S. 310. 41

42

III. Naturrecht, Menschenrechte und staatliches Recht

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et a l'humanite fonne cet ordre etemel et immuable de choses qui, sans acceptation de personnes, doit nous regir. Ainsi tout homme a Je droit de conserver son existence, de l'ameliorer, d'appartenir a une famille, de devenir pere et epoux, d'etre Je chef de ses enfants, de faire valoir son industrie et ses talents, de jouir du produit de son travail, d'etre vrai proprietaire de sa personne et des biens qu'il a legitimement acquis, d'avoir part a tous les objets qui sont demeures en communaute, d'etre mis a couvert de toute injure et de toute violence, d'etre secouru et defendu contre Ies plus forts comme contre les plus faibles." 49 Zusätzlich erkannte er ein "natürliches Recht" auf Selbstverteidigung50 und den Grundsatz nulla poena sine lege im Strafrecht an.51 Von allen Rechten nahm das Recht zur eigenen Erhaltung eine hervorragende Stellung ein: "De tous Ies droits qui existent sur Ia terre, Je premier, Je plus nature! et Je plus universei de tous, est, sans contredit, celui qui appartient a chacun pour Je soin de sa propre conservation." 52 c) Das Verhältnis von Menschenrechten und staatlichem Recht

Wie Locke war Portalis der Ansicht, daß die dem Menschen eingeräumten unabdingbaren (immuable) Rechte staatlichen Gesetzen vorgehen. Den Vorrang der Menschenrechte vor staatlichen Gesetzen betonte Portalis insbesondere in seiner Äußerung zu der Rolle des Gesetzgebers: "Une loi n'est point un pur acte de volonte ou de puissance, mais un acte de justice et de raison. Etre autorise a porter des lois sur un objet, ce n'est donc point avoir Je droit d'en disposer arbitrairement: c'est seulement avoir revu Ia mission de statuer sur cet objet, d'apres les principes qui lui sont propres, ou qui derivent de sa nature. Le legislateur qui fait des reglements sur les domaines particuliers n'est pas plus, pour cela, proprietaire de ces domaines, que ne l'est Je juge qui prononce des Sentences sur Ia meme matiere. Les reglements du legislateur sont subordonnes au droit nature!, comme les sentences dujuge sont subordonnees au lois."53

d) Der erste Titel des Präliminarbuchs des ersten EntwurfS zum Code civil

Die sichtbarste zivilrechtliche Umsetzung dieser Naturrechtsauffassung war der von Portalis54 verfaßte erste Entwurf des Präliminärtitels zum Code civil:

Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 281 = Ecrits. S. 339. Portalis, De l'Usage, Band 2, S. 393. 51 Discours preliminaire sur le projet du code civil, in Portalis, Ecrits, S. 28. 52 Porta1is, Ecrits, S. 315 = De l'Usage, Band 2, S. 246; vgl. auch Montagne, S. 30 f. 53 Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 304. 54 Maleville I II. 49

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4•

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D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis Titre Premier: Definitions generales: Art. I. II existe un droit universei et immuable, source de toutes !es lois positives; il n'est que Ia raison naturelle, en tant qu'elle gouverne tous !es hommes. Art. 2. Tout peuple reconnait un droit exterieur ou des gens, et il a un droit interieur qui lui est propre. Art. 4. Le droit interieur ou particulier de chaque peuple se compose en partie du droit universel, en partie des lois qui lui sont propres, et en partie de ses coutumes ou usages, qui sont ie Supplement des lois. "55

Insbesondere Artikel 4 des Entwurfs verdeutlicht die Geltung des Naturrechts neben staatlichen Gesetzen. Artikel 11 des 5. Titels verweist dementsprechend den Richter beim Fehlen eindeutiger Gesetze auf das Naturrecht: Art. II. Dans !es matieres civiles, le juge, d'equite.

L'equite est le retour positive. "56

a defaut de Ia loi precise, est un ministre

a Ia loi naturelle, ou aux usages revus dans le silence de Ia loi

Auch bei der Begründung der weiteren Bestimmungen des Code civil kam Portalis häufig auf die Regeln des Naturrechts zurück. Starke Anlehnung an Locke weisen seine Darstellungen zum Eigentumsrecht auf. 57 Auf naturrechtliche Gerechtigkeit berief er sich auch bei der Überprüfung von Verträgen. Aus Gründen der Gerechtigkeit, meinte er, seien bestimmte vertragliche Verpflichtungen rechtlich nicht bindend. 51

IV. Freiheit und Gleichheit "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" war die politische Forderung der Revolutionäre, die auch die zivilrechtliche Gesetzgebung nach 1789 bestimmte. Aufgrund ihrer Unbestimmtheit können die Begriffe Freiheit und Gleichheit jedoch weit oder eng ausgelegt werden. Diesen Spielraum nutzten die Regierungen der Revolution filr ihre politischen Zielsetzungen. Zwei Tendenzen der revolutionären Politik können unterschieden werden: Während von 1789 bis 1795 radikale Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit vorherrschten, überwog von 1795 bis 1804, unter dem Eindruck der Exzesse der Revolution, das Verlangen nach einer Recht und Ordnung herstellenden und garantierenden Autorität. 59 55 Der Entwurf ist abgedruckt bei Fenet, Band 2, S. I ff. Weil der von Portalis verfaßte erste Entwurf nicht allein das Zivilrecht betraf, sondern allgemeine Rechtssätze enthielt, wurde er wesentlich gekürzt; siehe dazu unten E II. 56 Fenet, Band 2, S. 7. 51 Siehe dazu unten E IV 2. 58 Vgl. Portalis, Ecrits, S. 145. 59 Sagnac, S. 55.

IV. Freiheit und Gleichheit

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Mit seinen teils konservativen, teils liberalen, jedenfalls auf Mäßigung und Sicherheit bedachten Vorstellungen, die in seiner Interpretation der Begriffe Freiheit und Gleichheit zum Ausdruck kommen, entsprach Portalis dem Geist der zweiten Phase. Er betrachtete Freiheit und Gleichheit zusammen, da er von der Lehre Rousseaus ausging, nach der die ideale Gesellschaft und gute Gesetze sich durch Freiheit und Gleichheit auszeichnen. 60 1. Freiheit

Portalis meinte, die Freiheit setze sich aus den Elementen Willen, Macht und Sicherheit zusammen. 61 "Pour etre vraiment libre, il faut avoir une volonte a soi, et Ia faculte de reduire cette volonte en acte. De plus, il ne faut rencontrer, hors de soi et dans le fait d'autrui, aucun obstacle injuste a l'exercice de cette faculte. "62 Die Freiheit, fuhr er fort, bestehe nur, wenn diese Elemente "weise" miteinander kombiniert würden: "La liberte n'est et ne peut etre que l'effet d'une sage composition entre les volontes particulieres, !es pouvoirs individuels et Ia sürete commune."63 Vor allem dürften die Befugnisse des Einzelnen nicht so ausgeprägt sein, daß sie zu Unruhe in der Gesellschaft filhren könnten. Dies hätte insbesondere Rousseau mit seinen übertriebenen republikanischen Ideen verkannt: "Quelques philosophes du siecle, tels que Rousseau, pieins des idees d'un republicanisme exagere, ne placent Ia liberte que dans le plus haut degre de pouvoir auquel un homme, vivant en societe, puisse atteindre. De Ia, ils n'appellent !ihres que les hommes qui, dans leur patrie, sont membres de toutes les magistratures et donnent directement leurs suffrages dans toutes les affaires de l'etat. Et quand, d'apres l'experience, on fait observer a ces philosophes que plus on donne de puissance a chaque citoyen, plus on retranche de Ia tranquilite de tous; quand nous leurs disons que !es gouvernements absolument democratiques sont les plus exposes aux revolutions et aux tempetes, ils repondent par le mot connu d'un palatin de Posnanie, qu'ils aiment mieux une liberte inquiete qu'un esclavage tranquille: comme si l'esclavage proprement dit pouvait etre tranquille, comme si une liberte bien ordonnee pouvait etre inquiete!" Dieses System der radikalen Demokratie sei fehlerhaft, weil es der Macht des Einzelnen den Vorrang vor der Sicherheit des Bürgers gebe. Richtig sei es dagegen, der Sicherheit den Vorzug zu geben: "En effet, un citoyen a moins d'interet reel de conserver un pouvoir tres etendu, mais peu sur, que d'obtenir Ia plus grande sfirete dans l'exercice du pouvoir et des droits qu'il conserve ... Dans Ies sages

Vgl. Portalis, Ecrits, S. 329 = De I'Usage, Band 2, S. 266. Portalis, Ecrits, S. 329 = De I'Usage, Band 2, S. 267. 62 Portalis, Ecrits, S. 329 = De l'Usage, Band 2, S. 267. 63 Portalis, Ecrits, S. 330 = De I'Usage, Band 2, S. 267. 60

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D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis

combinaisons d'un legislateur qui veut etablir et afTermir Ia liberte, l'interet de Ia sürete doit donc l'emporter sur l'interet du pouvoir."64 2. Gleichheit

Während des Ancien Regime wurden rechtliche Ungleichheiten mit natürlichen oder vertraglich bestimmten Gegebenheiten gerechtfertigt. Das Geschlecht, die Staatsangehörigkeit, die soziale Stellung, die Religion und selbst der Beruf waren Grund für zahlreiche Ungleichbehandlungen. Die Menschen waren nicht nur durch Wohlstand und Gebräuche getrennt, sondern auch durch Gesetze.65 In der Revolution traten unterschiedliche Gleichheitsauffassungen zutage. Zumeist wurde lediglich die Herstellung rechtlicher Gleichheit gefordert. Dementsprechend wurden u.a. die Feudalordnung, die Ständeordnung, die Privilegien, die väterliche und ehemännliche Gewalt sowie die kirchliche Vormundschaft im Bereich des Ehe- und Personenstandsrechts abgeschafft 66 • Die Schaffung totaler wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit sah man als unrealistisch an. Nur einige wenige Radikale wie Babeuf, der Organisator der "Verschwörung der Gleichen"67, verlangten Ober die rechtliche Gleichheit hinaus auch die Herstellung totaler politischer, sozialer und wirtschaftlicher Gleichheit und lehnten daher Individualeigentum an Grund und Boden grundsätzlich ab. 68 Da das Privateigentum notwendigerweise die Ungleichheit zur Folge habe und das Ackergesetz, d.h. die gleichmäßige Aufteilung des Grundbesitzes, nur einen Tag andauern könne (bereits am Tage nach der Aufteilung wUrde die Ungleichheit von neuem zutagetreten) besteht nach ihrer Auffassung das einzige Mittel, um zur tatsächlichen Gleichheit zu gelangen, darin, eine gemeinsame Verwaltung einzurichten, das Privateigentum abzuschaffen, jeden Menschen in seiner Begabung und seinem Fleiß tätig werden zu lassen; ihn zu veranlassen, die FrUchte der Arbeit in Naturalform in einem gemeinsamen Lager zu deponieren; und eine einfache Verwaltung für die Versorgung zu errichten, die die Güter mit peinlich genauer Gleichheit verteilen läßt. 69 Portalis wandte sich gegen derartige extreme Gleichheitsauffassungen. Die Vorstellung totaler Gleichheit sei nicht nur unrealistisch, sondern auch gefährlich. Denn die Natur habe die Menschen ungleich geschaffen. Die Unterschiede Portalis, Ecrits, S. 333 =Oe l'Usage, Band 2, S. 271. Sagnac, S. 245. 66 Sagnac, S. 41. 67 Zur "Verschwörung der Gleichen" siehe Soboul, S. 452 ff.; Furet/Ozouf, S. 199 ff. 68 Zur sozialistischen und marxistisch-leninistischen Interpretation der Revolution siehe Fehrenbach, S. 148 ff. mwN. 69 Soboul, S. 452. 64 65

IV. Freiheit und Gleichheit

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würden, selbst wenn sie beseitigt würden, sogleich von Neuern auftreten. "N'aspirons pas a etre plus humains que Ia nature, ni plus sages que Ia necessite. Nous ignorons ce que seraient des etres qui sortiraient des mains du createur entierement formes et parfaitement egaux. Ce que nous savons, c'est que teile n'est pas Ia condition de notre espece." Eine der Folgen der natürlichen Ungleichheit der Geschlechter war für Portalis die Stellung des Ehemanns als Familienoberhaupt und die daraus folgende rechtliche Benachteiligung der Frau. 70 Portalis forderte vom Staat die Verhinderung von Ungleichheiten, die die staatliche Ordnung geflihrden könnten. Die Ungleichheiten dürften daher nicht allzu ausgeprägt sein. Im Vordergrund der Aufgaben des Staates stehe die Sicherung der staatlichen Ordnung und insbesondere die mit ihr verknüpfte Eigentumsgarantie. Innerhalb dieser Grenzen solle der Einzelne seine individuellen Fähigkeiten und Ressourcen bei rechtlicher Gleichheit und daher gleicher Chance zum eigenen Profit nutzen dürfen: "Conservation et tranquillite, voila, de l'aveu des meilleurs philosophes, ce que tout etat doit a ses membres et ce qu'il doit a tous. Pour satisfaire a ces deux points, il faut que le legislateur fasse en sorte que les citoyens, toujours necessairement distingues entre eux par Ia richesse, par Ia profession, par Je pouvoir, soient egalement proteges et egalement lies par les lois. Alors, quoique divises en apparence, ils auront un meme interet a se defendre et a se respecter. Ils deviendront egaux, autant qu'ils doivent et peuvent l'etre; non de cette egalite metaphysique qui, confondant les fortunes et les professions, isolerait les hommes, ferait naitre l'anarchie et dissoudrait Ia societe; mais de cette egalite morale et sociale que les publicistes regardent comme Ia premiere partie de l'equite; qui ne consiste pas a nous faire tous jouir du pouvoir, mais a n'accorder jamais des privileges politiques que dans l'interet public, et des privileges exclusifs a personne dans )'ordre civil."71 Die Grenze der Ungleichheit, die einen Eingriff des Gesetzgebers erfordert, sei erreicht, wenn eine Unterscheidung einer Klasse die Macht zur Unterdrückung einer anderen einräume. Jedes Privileg verletze die Gleichheit. Vorrechte, die im Interesse der Allgemeinheit bestünden, seien demgegenüber zulässig. Daher sei es legal und sogar "weise", die Ausübung öffentlicher Ämter von bestimmten persönlichen oder fachlichen Qualitäten abhängig zu machen. 72 Portalis wehrte sich gegen den Vorwurf, daß Gesetze, die das rechtlich erlangte Vermögen sichern, nur den Reichen vor dem Armen und den Starken vor dem Schwachen schützten. Er meinte, die Gesetze schützten alle gleichermaßen und seien daher gerecht. "II faut pouvoir conserver ce que l'on a, il faut pouvoir acquerir ce que l'on n'a pas; mais par des moyens qui ne soient ni tumultueux ni injustes. 73 Le but general des lois ... est d'empecher l'anarchie et de Siehe dazu unten E III 9. Portalis, De l'Usage, Band 2. S. 281 f. 72 Portalis, De l'Usage, Band 2, S. 282. 73 Portalis, De l'Usage, Band 2, S. 285.

70 71

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D. Die philosophischen Grundlagen von Portalis' Zivilrechtsverständnis

prevenir Oll de reprimer les injustices. Le premier principe d'une egalite exageree est contraire a Ia nature, qui ne conserve ses ouvrages que par des inegalites sagement graduees."

V. Zusammenfassung Portalis wandte sich vor allem gegen extreme Rechtsauffassungen, etwa der totalen republikanischen Freiheit und der völligen Gleichheit. Der gerechte Ausgleich der widerstreitenden Interessen war sein Ziel. Nur soweit gesellschaftlich notwendig, sollte das Individuum Einschränkungen seiner Freiheit hinnehmen. Jedoch habe der Staat vor allem die Aufgabe, Ruhe und Sicherheit herzustellen. Neben den vom Staat gewährten Rechten existierten zudem staatlichem Recht vorgehende Naturrechte.

E. Portalis und die Staatsratsdebatten zum Code civil I. Der Code civil Die 2281 Artikel des Code civil sind in einen Präliminartitel (titre preliminaire) und drei Bücher aufgeteilt. Der Präliminartitel (Artikel 1-6) regelt die Verkündung, Wirkung und Anwendung der Gesetze im Allgemeinen. Mit der Aufteilung des Zivilrechts in die drei Bücher "des personnes" (Artikel 7-515), "des biens et des differentes modifications de Ja propriete" (Artikel 516-71 0) und "des differentes manieres dont on acquiert Ia propriete" (Artikel 711-2281) folgt der Code civil zwar ungefahr der Einteilung des römischen Privatrechts seit Gaius in Personen und Sachen, aber im zweiten und dritten Buch neuen Versuchen einer Stoffgliederung, ohne schon eine neue, überzeugendere Einteilung des Stoffs zu erreichen; besonders fremd erscheint die Unterordnung des ganzen Erbrechts und des ehelichen Güterrechts unter die Eigentumserwerbsarten. Portalis begründete diese Einteilung in drei Bücher, die ebenso wie das Fehlen eines allgemeinen Teils heftig kritisiert worden ist, 1 mit den Schwierigkeiten, eine bessere logische Gliederung zu finden. Jede Einteilung sei in gewisser Hinsicht willkürlich. Daher habe man die des römischen Rechts beibehalten.2 Diese Einteilung weist bereits darauf hin, daß die Verfasser des Code civil nicht revolutionieren wollten. Sie wollten droit coutumier und droit ecrit zu einer Einheit zusammenfUhren, aber nicht grundsätzlich ändern.

II. Der Präliminartitel Portalis hatte die Urfassung des Präliminartitels3 des Code civil entworfen. Dabei hatte er sich an dem "Livre des Lois" von Domat' orientiert, dieses aber weit übertroffen. 5 Mit den sechs Titeln (I.) .,Allgemeine Definitionen," (2.) .,Die Einteilung der Gesetze," (3.) "Von der Veröffentlichung der Gesetze," (4.) "Von I Ferid, § 2 E II. Ghestin/Goubeaux, s. 98, bemerken zu der Einteilung: ..Quant a son plantout le monde s'accorde a le trouver mauvais." 2 Portalis, expose general, in Locre I 190 f. Zu den Vor- und Nachteilen der Einteilung siehe Maleville I 10. Zu den Versuchen von Leibnitz. Pufendorf, Heineccius, Domat, Daguesseau, Pothier u.a., das Recht systematisch einzuteilen, siehe Arnaud, S. 121 ff. 3 Der Entwurf hatte ein .. Präliminarbuch," das aus mehreren Titeln bestand; vgl. Fenet II 3. 4 Domat, Band I ..,A.. (keine durchgehende Seitennummerierung). 5 Maleville I II.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

den Wirkungen der Gesetze," (5.) "Von der Anwendung und der Interpretation der Gesetze" und (6.) "Von der Aufhebung der Gesetze" hatte er in insgesamt 35 Artikeln ein Regelwerk entworfen, das weit über das Zivilrecht hinausreichte. Es enthielt verfassungs- und völkerrechtliche Prinzipien und bettete das Zivilrecht darin ein. 6 Von dieser Urfassung des Präliminartitels blieb im Code civil nur wenig übrig. Denn die Gesetzgebungssektion des Staatsrats befand, daß Definitionen in einem Zivilgesetzbuch überflüssig seien und daß die Formulierung allgemeiner philosophischer Grundsätze der Rechtslehre überlassen werden sollte. 7 In diesem Sinne wurde die Urfassung überarbeitet oder besser: beschnitten. Der überarbeitete Entwurf bestand aus nur noch einem Titel mit neun Artikeln.8 Der Präliminartitel, der letztlich in den Code civil übernommen wurde, enthielt nur noch sechs Artikel und war nur mehr ein Schatten der Urfassung. Die Urfassung zeigte jedoch, daß Portalis an die Gesetzgebungsarbeiten zum Code civil mit hohen Anspliehen herangegangen war. Er wollte das Recht strukturieren. Er wollte definieren und die Prinzipien darlegen, die dem Code civil vorausgingen und auf denen er beruhte. Er wollte den Code civil in den großen Rahmen des

6 V gl. nur die jeweils ersten Artikel der sechs Titel des Entwurfs (abgedruckt in Fenet II 3ff.): I. Titel ("Definitions generales"), Artikel I : II existe un droit universei et immuable, source de toutes les lois positives: il n'est que Ia raison naturelle, en tant qu'elle gouverne tous les hommes." 2. Titel ("Divisions des lois"). Artikel I: .,II est diverses especes de lois. Les unes reglent les rapports de ceux qui gouvernent avec ceux qui sont gouvernes, et les rapports de chaque membre de Ia cite avec tous: ce sont les lois constitutionnelles et politiques. Les autres reglent les rapports des citoyens entre eux: ce sont les lois civiles. Les troisiemes reglent les rapports de I'homme avec Ia loi. Cette partie de Ia legislation est Ia garantie et Ia sanction de toutes les lois: elle se compose des lois relatives a )'ordre judiciaire, des lois criminelles, des lois concernant Ia police, et de toutes celles qui ont directement les mreurs ou Ia paix publique pour objet. Les quatriemes disposent sur des objets qui n'appartiennent exclusivement a aucune des divisions precedentes: ce sont les lois fiscales, les lois commerciales, les lois maritimes, les lois militaires, les lois rurales." 3. Titel ("Oe Ia publication des lois"), Artikel I: "Les lois sont adresses aux autorites chargees de les executer ou de les appliquer." 4. Titel ("Des effets de Ia loi"), Artikel 1: "Le premier effet de Ia loi est de terminer tous les raisonnemens, et de fixer toutes les incertitudes sur les points qu'elle regle." 5. Titel ("Oe l'application et de l'interpretation des lois"), Artikel I: "Le ministere du juge est d'appliquer les lois avec discernement et fidelite." 6. Titel ("De l'abrogation des lois"), Artikel I: .,Les lois ne devant point etre changees, modifiees ou abrogees sans de grandes considerations, leur abrogation ne se presume pas." 7 Maleville I 11; Ghestin/Goubeaux, S. 98, begrüßen die Entscheidung. 8 Vgl. Locre I 219.

II. Der Präliminartitel

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Völker- und Staatsrechts einfiigen. Doch die Gesetzgebungssektion monierte zu Recht. Dies war nicht die Aufgabe des Code civil. 1. Artikel 1 Code civil Ein Gesetz wird erst verbindlich. wenn es promulgiert und publiziert worden ist. 9 Die Publikation soll sicherstellen, daß der Adressat von dem Gesetz Kenntnis nehmen konnte. Im Idealfall gelangt ein Gesetz, bevor es in Kraft tritt, zur Kenntnis aller Bürger. Allerdings ist es praktisch unmöglich, jeden Bürger persönlich zu benachrichtigen. Daher begnügte sich das revolutionäre Recht mit einer allgemeinen Bekanntmachung, die sich an alle Bürger gleichzeitig wandte. Sobald ein Gesetz allgemein bekannt gemacht worden war, galt die Vermutung, daß jeder Bürger das Gesetz kannte. 10 Bei den Staatsratsdebatten war fraglich, ob dieses System in den Code civil übernommen werden sollte. Die Staatsräte zogen drei Systeme in Betracht: Nach dem ersten System sollten Gesetze, wie nach dem Recht der Revolution, örtlich in Kraft treten, wenn sie promulgiert, von dem zuständigen örtlichen Organ registriert und durch Verlesung oder Anschlag" öffentlich bekannt gemacht waren. Nach dem zweiten System sollten Gesetze dagegen automatisch verbindlich werden nach Ablauf einer fiir ganz Frankreich einheitlichen und ab der Promulgation (durch den Ersten Konsul) laufenden Frist. Danach kam es nicht auf den Zeitpunkt der lokalen öffentlichen Bekanntmachung, sondern auf den Zeitpunkt der Promulgation an. Auch das dritte System sah eine ab der Promul9 Die Promulgation ist der Rechtsakt, durch den das Staatsoberhaupt zum einen feststellt, daß ein Gesetz das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß durchlaufen hat, und zum anderen die Ausfilhrung des Gesetzes anordnet. Durch die Publikation, die z.B. durch Einfilgen in das amtliche Gesetzblatt erfolgen kann, gelangt das Gesetz zur Kenntnis der Öffentlichkeit; vgl. Dalloz, Nouveau Repertoire de Droit, Bd. 3, Stichwort "Lois et decrets", Rn. 40 ff. Die moderne begriffliche Unterscheidung zwischen Promulgation und öffentlicher Bekanntmachung hat sich erst allmählich herausgebildet. Römisches Recht und ancien droil kannten sie nicht. Die Begriffe publier und promulger waren gleichbedeutend. Das französische Recht kennnt die Unterscheidung zwischen promulgation und publication erst seit der Revolution. Nach dem Dekret vom 9.11.1789 war die Promulgation ein feierlicher Akt, durch den der König dem Gemeinwesen die Existenz des Gesetzes bestätigte und den Gerichten und Verwaltungsbehörden aufgab, das Gesetz zu veröffentlichen und auszufilhren. Der König unterschrieb das Gesetz, die Minister zeichneten gegen und das Staatssiegel wurde aufgebracht. Nach der Promulgation erfolgte die Publikation; Laurent, Band 1, S. 53 ff. (Rn. 9 ff.). Die Unterscheidung setzte sich nur allmählich durch. Ein Teil der Revolutionsgesetze und auch der an den Gesetzgebungsarbeiten zum Code civil beteiligten Personen gebrauchten die Begriffe promulger und publier noch synonym; Laurent, Band. 1, Rn 9 ff. (S. 53 ff. ). Vgl. Roederer zu Artikel 41 der Verfassung: "Le mot promulger veut dire publication;" Locre I 221. 10 Laurent, Band 1, Rn. 17 (S. 58). 11 Das Dekret vom 9.11.1789 setzte beides voraus; Laurent, Band I, S. 58 (Rn. 18).

E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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gation laufende Frist vor, nach deren Ablauf Gesetze automatisch in Kraft treten. Die Frist sollte jedoch filr jeden Landesteil individuell entsprechend seiner Entfernung vom Promulgationsort berechnet werden. Gesetze traten also nach der Promulgation automatisch, aber zu verschiedenen Zeitpunkten in Kraft. 12 Das erste System ließ Raum filr Nachlässigkeit und Widerstand seitens der Organe, die filr die Registrierung und Veröffentlichung zuständig waren. Die Nachteile dieses Systems waren im Ancien Regime deutlich hervorgetreten. Nach ancien droit traten Gesetze erst in Kraft, wenn die Parlamente der Länder sie registrierten. Wiederholt hatten die Parlamente das Irrkrafttreten königlicher Gesetze verhindert, indem sie sich geweigert hatten, die Gesetze zu registrieren. 13 Auch das System des Gesetzes vom 20. November 1790, das auf den Zeitpunkt der örtlichen öffentlichen Bekanntmachung abstellte, ließ menschlicher Nachlässigkeit Raum. Denn Fehler beim Veröffentlichungsverfahren konnten das Irrkrafttreten der Gesetze verhindem. 14 Die Staatsräte suchten deshalb nach einem System, das einen Automatismus vorsah und die Einflußmöglichkeiten lokaler Organe möglichst ausschloß. 15 Der erste Entwurf folgte dem zweiten System und sah eine einheitliche Frist vor. Gesetze sollten einheitlich zwei Wochen nach der Promulgation überall in Frankreich gültig werden. Natürlich sollten die Gesetze auch überall öffentlich bekannt gemacht werden. Auf den Zeitpunkt der örtlichen öffentlichen Bekanntmachung sollte es jedoch nicht ankommen. Es sollte die Vermutung gelten, daß alle Bürger innerhalb der Frist Kenntnis von dem Gesetz erhalten hatten: 16 Artikel I des ersten Entwurfs: "Les lois seront executoires dans toute Ia Republique, quinze jours apres Ia promulgation faite par le Premier Consul. Ce delai pourra, selon l'exigence des cas, etre modifie par Ia loi qui sera l'objet de Ia publication." 17

Artikel 1 entsprach dem GleichheitsideaL Für jedermann sollten zu jeder Zeit die gleichen Gesetze gelten. Portalis rechtfertigte den Entwurf und erklärte, daß die Gesetze bereits durch die Reden der Regierungsvertreter, die Beratungen des Tribunats und der Gesetzgebenden Versammlung höchsten Publizitätsgrad hätten. Gesetze könnten zudem erst zehn Tage, nachdem die Gesetzgebende Versammlung sie beschlossen habe, vom Ersten Konsul promulgiert werden, und innerhalb dieser Frist werde das Gesetz in der Republik noch weiter verbreitet. Die Versendung der Gesetze an die zuständigen Stellen sei daher nur noch ein Mittel, das Gesetz in den verschiedenen Landesteilen weiter bekannt zu Vgl. Berlier in Locre I 289. Vgl. Berlier in Locre I 289. Zu dem droit d'enregistrement und der politischen Macht der Parlamente siehe Holtzmann, S. 349 ff. 14 V gl. Laurent, Band I , Rn. 18 (S. 58); Portalis in Locre I 300. 15 Vgl. z.B. Emmery in Locre I 223; Boulay in Locre 1222; Portalis in Locre I 221. 16 V gl. Laurent, Band I, Rn. 19 (S. 59). 17 Locre 1219. 12 13

II. Der Präliminartitel

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machen. Da an jeden Ort innerhalb eines bestimmten Zeitraums versandt werden könne, sollte man eine ausreichend bemessene Frist festsetzen, nach deren Ablauf ein Gesetz im gleichen Moment in ganz Frankreich rechtskräftig werde. Solange die Gesetze von den Gerichten hätten registriert werden müssen und die Gerichte das Recht gehabt hätten, die Registrierung abzulehnen oder aufzuheben, sei diese Idee nicht realisierbar gewesen. Nun aber stünden ihrer Verwirklichung keine Hindernisse mehr entgegen. Darüber hinaus verhindere die vorgeschlagene Regelung, daß an ein und demselben Ort zu der gleichen Frage widersprüchliche Gerichtsurteile ergingen, weil Ungewißheit darüber herrsche, ob ein Gesetz bereits gültig sei.1K Napoleon hielt das vom Entwurf angestrebte Maß an Gleichheit nicht für vorrangig. Er meinte, der Gleichheitsgrundsatz sei gewahrt, wenn alle Franzosen gleichermaßen in dem Moment dem Gesetz unterworfen seien, in dem es in ihrem Wohnort ankomme. 19 Napoleon wandte sich vor allem gegen die lange Frist des Entwurfs: Die Verfassung lasse die Promulgation erst zehn Tage nach dem Beschluß durch das Parlament zu. Füge man noch einmal zwei Wochen hinzu, so verfehle man häufig das Ziel des Gesetzgebers - besonders bei Strafgesetzen und anderen Gesetzen, die sofort vollzogen werden müßten. 20 Die lange Frist kritisierte auch Cambaceres. Er sagte, sie sei nicht nur bei Strafgesetzen, sondern auch bei Zivilgesetzen bedenklich. Denn Zivilgesetze könnten bis zu ihrem lokrafttreten umgangen werden. 2 1 Diesen Einwänden von Napoleon und Cambaceres entgegnete Portalis, daß der Entwurf ftlr dringende Fälle Vorsorge treffe. Denn er lasse die Verkürzung der Frist zuY Kein System verhindere Mißbräuche, wie sie die Frist ermögliche. Denn das Gesetzgebungsverfahren sei öffentlich. Wer Dispositionen, die durch ein neues Gesetz verboten werden sollten, treffen wolle, habe ausreichend Zeit und die Freiheit, dies vor der Promulgation des Gesetzes zu tun.23 Portalis' Argumente überzeugten Napoleon nicht. Portalis hatte die Auffassung vertreten, daß Gesetze nur in Ausnahmgeflillen sofort rechtskräftig werden sollten. Napoleon dagegen meinte, die meisten Gesetze seien dringend. Der Entwurf entscheide daher nur die Ausnahme, nicht den RegelfalL Man müßte daher dauernd getrennt entscheiden, wann sie wirksam werden sollten. "II faudrait sans cesse mettre en deliberation l'epoque a laquelle Ia loi deviendrait obligatoire: le delai general ne serait maintenu que pour !es grandes lois civiles; il sera abrege pour toutes !es autres. II est peu de lois dont l'execution puisse etre differee pendant ving-cinq jours." 24 Er schlug vor, die Frist, nach deren Ablauf das Portalis in Locre I 220. Napoleon in Locre I 222. 20 Napoleon in Locre I 221 und 222. 21 Cambaceres in Locre I 221. 22 Portalis in Locre I 221. 23 Portalis in Locre I 221. 24 Napoleon in Locre I 223. 18

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Gesetz als bekannt gelten sollte, filr jeden Hauptort (cheflieu) je nach seiner Entfernung von dem PromulgationsoTt festzusetzen. 25 Der Staatsrat folgte Napoleons Vorschlag. 26 Portalis konnte sein Ideal der Gleichheit nicht durchsetzen. Artikel I Code civil bestimmte schließlich filr jeden Hauptort entsprechend seiner Entfernung vom PromulgationsoTt (Paris) eine individuelle Frist, nach deren Ablauf die Vermutung galt, daß das Gesetz jederman bekannt war (Art. I, Satz 3): Artikel I Code civil: "Les lois sont executoires dans tout Je territoire franr;ais, en vertu de Ia promulgation qui en est faite par le Premier Consul. Elles seront executees dans chaque partie de Ia Republique, du moment que Ia promulgation en pourra etre connue. La promulgation faite par Je Premier Consul sera reputee connue dans le departement ou siegera le gouvernement, un jour apres celui de promulgation; et dans chacun des autres departemens, apres l'expiration du meme delai, augmente d'autant de jours qu'il y aura de fois dix myriametres (environ vingt Iieues anciennes) entre Ia ville ou Ia promulgation en aura ete faite, et Je chef-lieu de chaque departement." 27

2. Artikel 4 Code civil

Im Ancien Regime kam es häufig vor, daß die Gerichte Prozesse nicht sofort entschieden, weil die Gesetze den Fall nicht oder nicht eindeutig regelten. Die Gerichte verwiesen dann die Parteien darauf, die Frage dem König vorzulegen (refere au tegislateur) und entschieden den Prozeß entsprechend der Rechtsansicht des Königs. Der Rechtsfigur des refere au /egislateur lag die Idee zugrunde, daß der Richter nicht die Aufgabe des Gesetzgebers übernehmen und an seiner Stelle entscheiden dürfe. Das Institut des refere au legislateur verbot es den Gerichten jedoch nicht, Gesetze zu interpretieren und auf den Einzelfall anzuwenden (sog. interpretation doctrinale). Es sollte lediglich verhindern, daß die Parlamente generelle Bestimmungen aufstellten (sog. interpretation authenthique). An das Institut des refere au legistlateur knüpfte das Gesetz vom 24. August 1790 an. Nach dem Gesetz sollten sich die Richter an den Gesetzgeber wenden, wenn sie meinten, ein Gesetz "interpretieren" zu müssen. Auch hier sollte nur die interpretation authenthique verboten werden. Weil die Gerichte während der Revolution Konflikte mit den allmächtigen Parlamenten scheuten, wandten sie das Gesetz aber derart wortgetreu an, daß sie der Legislative Rechtsfragen bereits bei den geringsten Interpretationsschwierigkeiten vorlegten und so den Gesetzgeber zugleich zum Richter machten. 28 Napoleon in Locre I 223. Locre I 223 . 27 Abgedruckt ist der Wortlaut von 1804. Locre gibt Art. 1 Code civil i.d.F. von 1836 wieder; vgl. Locre I 213 f. lK Vgl. Laurent, Band 1, Rn. 254 (S. 327) und Rn. 282 (S. 360 ff.). 25

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II. Der Präliminartitel

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Artikel 6 des zweiten Entwurfs zielte darauf ab, diese Vorlagepraxis zu beenden und das Institut des refere au /egislateur abzuschaffen: Artikel 6 des zweiten Entwurfs: "Le juge qui refusera de juger, saus pretexte du silence, de l'obscurite ou de l'insuffisance de la loi, se rendra coupable de deni de justice."29

Roederer kritisierte Artikel 6. Er schien an der Vorlagepraxis festhalten z:u wollen. Denn er meinte, Artikel 6 zwinge den Richter, selbst dann zu entscheiden, wenn das Gesetz schweige. Damit räume die Vorschrift dem Richter zuviel Macht ein. Wenn zum Beispiel der Code civil keine Vorschriften zur Erbflihigkeit des Ausländers30 enthalten und ein Ausländer Anspruch auf den Nachlaß seines französischen Verwandten erheben würde, so wäre das angerufene Gericht ermächtigt, als Gesetzgeber eine politische Frage von höchster Bedeutung zu entscheiden. Der Richter habe (nur) die Gesetze anzuwenden. Wenn das Gesetz absolut schweige, habe er aber nicht die Lücken zu fiillen, die der Gesetzgebers lasse.31 Portalis widersprach Roederer und rechtfertigte die Regelung: Wären die Richter nur dann befugt, zu urteilen, wenn ein Gesetz den Fall regele, so würden Prozesse laufend unterbrochen. Nach einem Gesetz oder nach einem präzisen Wortlaut könnten nur wenige Prozesse entschieden werden. Die meisten Rechtsflille habe man seit jeher nach allgemeinen Grundsätzen, nach Doktrinen und mit Hilfe der Rechtswissenschaft entschieden. Der Code civil befreie nicht von diesen Kenntnissen. Im Gegenteil: er setze sie voraus. 32 Boulay fiigte hinzu, daß das Gesetz nicht alle denkbaren Fälle voraussehen und regeln könne. Daher sei ein Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze unerläßlich. 33 Portalis erläuterte diese Überlegung in seinem expose de motifs folgendermaßen: "C'est une sage prevoyance de penser qu'on ne peut tout prevoir."34 Portalis setzte sich hier durch. Er konnte damit die Rechtsfigur des refere au legislateur beseitigen. Auf den Vorschlag von Cambaceres wurde der Entwurf jedoch etwas abgeschwächt. Ein Richter, der ein Urteil verweigert, sollte strafrechtlich verfolgt werden können. Ein Verfolgungszwang sollte aber nicht bestehen: Artikel 4 Code civil: "Le juge qui refusera de juger, sous pretexte du silence, de l'obscurite ou de l'insuffisance de Ia loi, pourra etre poursuivi comme coupable de deni de justice."n

Locre I 227. Vgl. Präliminarbuch, 5. Titel, Artikel 12 der Urfassung in Fenet II 8. Zum Heimfallrecht siehe unten, S. 64. 31 Roederer in Locre I 229. 32 Portalis in Locre I 229. 33 Boulay in Locre I 229. 34 Portalis, expose de motifs, in Locre I 305. 35 Locre I 216. 29

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

III. Erstes Buch "Von den Personen" 1. Erster Titel "Von der Nutznießung und dem Verlust der Bürgerrechte (droits civils)" 36 a) Erstes Kapitel,. Vom Genuß der Bürgerrechte" -Artikel 9 Code civil Vor der Revolution herrschte Rechtsungleichheit Neben dem Geschlecht, dem Stand und der Religionszugehörigkeit war auch die Staatsbürgerschaft Grund fiir zivilrechtliche Ungleichbehandlungen. Ausländer unterlagen in Frankreich dem droit d 'aubaine. Im weiteren Sinne sah das droit d 'aubaine eine Vielzahl von Benachteiligungen für Ausländer vor.37 Im engeren Sinn umfaßte es das Heimfallrecht, d.h. die rechtliche Unfähigkeit von Ausländern, ihr in Frankreich befindliches Vermögen im Wege der gesetzlichen Erbfolge oder durch Testament zu vererben und selbst zu erben.n Das Vermögen verstorbener Ausländer fiel an die Lehnsherren oder den König. Das Heimfallrecht sollte einerseits den Verlust von Reichtümern an das Ausland verhindern. Andererseits diente es als Repressalie gegenüber Staaten, die ihrerseits vom Heimfallrecht Gebrauch machten. 39 Gegen Ende des Ancien Regime, unter Ludwig XV. und Ludwig XVI., vereinbarte Frankreich mit den meisten europäischen Staaten die gegenseitige Abschaffung des Heimfallrechts. 40 Obwohl es nur noch eine untergeordnete Einnahmequelle des Staates darstellte, war das Heimfallrecht aber, wenn auch nur im Verhältnis zu wenigen Staaten, nach wie vor geltendes Recht. 41 Getragen von dem großzügigen Gefühl, daß alle Menschen Brüder seien, beseitigte die Konstituante das Heimfallrecht mit Dekret vom 6. August 1790 "fiir immer und ohne die Bedingung der Gegenseitigkeit."42 So wollte sie ein Beispiel für die universelle Brüderlichkeit (fraternite universelle) geben.43 36 Der Begriff der Bürgerrechte (droits civils) umfaßt die durch das Zivilrecht gewährten Rechte. Er ist abzugrenzen von den droits politiques bzw. de citoyen. Vgl. Boulay in Locre I 422. Vgl. auch Art. 7 Code civil: "L'exercice des droits civils est independant de Ia qualite de Citoyen, laquelle ne s' acquiert et ne se conserve que confomement a Ia loi constitutionelle." Locre I 335. 37 Garaud, La Revolution et l'egalite civile, S. 180. Zur Geschichte und Inhalt des droit d'aubaine siehe auch den ausfUhrliehen Bericht Roederers in Locre I 381 ff. ; Montesquieu, Esprit des lois, Buch 21, Kapitel 17 und Viollet, S. 365. 38 Siehe dazu Garaud, La Revolution et l'egalite civile, S. 180; Sagnac, S. 246. 39 V gl. Garaud, La Revolution et I' egalite civile, S. 181. 40 Dabei wurde mit einigen Staaten vereinbart, Erbschaften mit einem zehnprozentigen droit de detraction zu belegen; vgl. Roederer in Locre I 382 und I 350. 41 Garaud, La Revolution et l'egalite civile, S. 5. 42 Roederer in Locre I 382. Zugleich wurde das droit de detraction abgeschafft. 43 Heimfallrecht und droit de detraction betrafen nur die Erbfolge von Ausländern, die in Frankreich verstarben. Sowohl das Dekret vom 6. August 1790 als auch die

III. Erstes Buch ,.Von den Personen''

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Artikel 11 des Code civil stellte das droit d'aubaine teilweise wieder her. Er fiihrte das Gegenseitigkeitsprinzip ein: Ausländer sollten (nur) die Rechte erhalten, die Franzosen in dem Land, aus dem der Ausländer stammte, genossen. Erbberechtigt waren danach also nur Angehörige der Länder, in denen auch Franzosen erbberechtigt waren. 44 Mit der in Artikel 11 Code civil festgeschriebenen erbrechtliehen Benachteiligung von Ausländern erlangten die Vorschriften zur Staatsbürgerschaft über ihre staatsrechtliche Bedeutung hinaus erneut zivilrechtliche Tragweite. Bei der Regelung der Staatsbürgerschaft mußten die Staatsräte zwischen dem System des ius sanguinis, dem des ius soliund einer Mischform entscheiden. War das römische Recht grundsätzlich dem Jus sanguinis gefolgt, so hatte im feudalistischen Frankreich, das Mensch und Boden als Einheit ansah, zunächst das ius so/i gegolten. Gegen Ende des Ancien Regime hatte das ius sanguinis an Bedeutung gewonnen und das ius soli ergänzt. Damals war Franzose, wer in Frankreich geboren war oder wessen Eltern Franzosen waren. Diese Rechtslage galt bis zum lnkrafttreten des Code civil.45 Der Entwurf folgte dem ius sanguinis.46 Kindern, die in Frankreich geboren, deren Eltern aber Ausländer waren, gestand er die französische Staatsangehörigkeit nicht zu. Diese Kinder sollten also nicht Franzosen sein. Das monierte Tronchet. Er meinte, der Code civil müsse diese Frage ausdrücklich regeln, und schlug vor, diesen Kindern zwar nicht automatisch die Staatsbürgerschaft zu verleihen, ihnen aber das Recht zu geben, sie durch eine förmliche Erklärung anzunehmen. Denn, sagte Tronchet, wenn man dem Kind eines Ausländers die völkerrechtlichen Verträge schufen nur in diesem Fall Gleichheit. Hinterließ jedoch ein Franzose nur ausländische Erben, so erbte der Staat. Das Dekret vom 8. April 1791 beseitigte auch diese Benachteiligung ohne Rücksicht auf Gleichbehandlung von Franzosen durch das jeweilige ausländische Recht; vgl. den Bericht Roederers in Locre I 382; Garaud, La Revolution et I'egalite civile, S. 10. 44 Artikel II Code civil: "L'etranger jouira en France des memes droits civils que ceux qui sont ou seront accordes aux Fran,.ais par les traites de Ia nation a laquelle cet etranger appartiendra." Locre I 337. Umgesetzt wurde das in Artikel II Code civil verankerte Prinzip in Artikel 726 Code civil: ,.Un etranger n'est admis a succeder aux biens que son parent, etranger ou Franfi:ais, possede dans Je territoire de Ia Republique, que dans Ies cas et de Ia maniere dont un Fran,.ais succede a son parent possedant des biens dans Je pays de cet etranger, conformement aux dispositions de l'article II, au titre de Ia Jouissance et de Ia Privation des Droits civils." Locre V 10. 45 Baudry-Lacantinerie/Houques-Fourcade, Band I, Rn. 319 ff. (S. 222 ff.). 46 Artikel I des ersten Entwurfs: "Toute personne nee d'un Fran,.ais et en France, jouit de tous Ies droits resultants de Ia Ioi civile ftanfi:aise, a moins qu'il n' en ait perdu I'exercice par Ies causes ci-apres expliquees.'' Artikel 2 des ersten Entwurfs: "Tout enfant ne en pays etranger, d'un Franfi:ais. est Franfi:ais. Celui ne en pays etranger. d'un Franfi:ais qui avait abdique sa patrie, peut toujours recouvrer Ia qualite de Franfi:ais, en faisant Ia declaration qu' il entend fixer son domicile en France. Cette declaration doit etre faite sur Je registre de Ia commune ou il vient s'etablir." Locre I 348: vgl. auch Maleville I 27 ff. 5 Plesser

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Bürgerrechte (droits civils)47 gewähre, ohne von ihm zu verlangen, daß es eine Erklärung abgebe und sich in Frankreich niederlasse, könne man es nicht hindern, in Frankreich zu erben und das Erbe in seine wahre Heimat auszuftlhren. 48 In diesem Gedankengang klang an, daß Tronchet dem Heimfallrecht Geltung verschaffen wollte. Napoleon schlug die umgekehrte Lösung vor. Er hatte vor allem die Interessen Frankreichs vor Augen und meinte, die Ausdehnung des Geltungsbereichs der französischen Zivilgesetze auch auf Kinder von Ausländern habe nur Vorteile. Denn einerseits unterliege das Kind eines Ausländers, wenn es die französische Staatsbürgerschaft erhalte, der Wehrpflicht, andererseits könne es dann öffentliche Ämter wahrnehmen. Daher sollte das in Frankreich geborene Kind eines Ausländers die Staatsbürgerschaft automatisch erhalten, verbunden mit dem Recht, formell auf sie zu verzichten. 49 Napoleon schlug folgende, das ius solirealisierende Regelung vor: "Tout individu ne en France est Fran~ais."so Portalis äußerte sich am Ende der Debatte im Sinne Napoleons. Ihm lag wenig daran, Kindern die Staatsbürgerschaft zu verweigern, nur um ihnen die Erbfähigkeit zu nehmen. Politische Zweckmäßigkeitserwägungen (die Nutzung des Heimfallrechts als Repressalie) zu Lasten zivilrechtlicher Gleichbehandlung lagen ihm fern: "II n'y a point d'inconveniens a declarer Fran~ais tout enfant ne en France."s 1 Portalis unterstützte hier Napoleon. Ob er dies tat, weil er Napoleons Vorschlag filr sachlich richtig hielt, oder weil er sich Napoleon gegenüber verpflichtet filhlte und dessen Meinung fiir vertretbar hielt, wird jedoch nicht ganz deutlich. Napoleons Vorschlag wurde zwar vom Staatsrat beschlossenn und in Artikel 2 des zweiten Entwurfs übernomrnen.s 3 Er wurde aber nicht Gesetz. Aufgrund der Kritik des Tribunatss4 wurde Artikel 2 des zweiten Entwurfs im Sinne Tronchets abgeändert.ss Die Nationalität, meinte das Tribunat, sollte nicht vom bloßen Zufall des Geburtsorts abhängen, sondern Ausdruck einer inneren 47 Von den (zivilrechtlichen) droits civils sind die (politischen) droits de citoyen zu unterscheiden (vgl. oben S. 64, Fn. 36). Die Verfassung vom 13. Dezember 1799 regelte in Artikel 2 und 3, wer politische Rechte (droits de citoyen) hatte. Artikel 2 lautet: "Tout homme ne et residant en France qui, äge de vingt et un ans accomplis. s'est fait inscrire sur le registre civique de son arrondissement communal, et qui a demeure depuis pendant un an sur le territoire de Ia Republique. est citoyen fran'rais." Die Verfassung von 1799 ist abgedruckt bei Duguit!Monnier/ Bonnard, S. I 09 ff. 4M Tronchet in Locre I 350. 49 Napoleon in Locre I 350. so Napoleon in Locre I 350. sl Portalis in Locre I 350. 52 Locre I 350. 53 Vgl. Locre I 359. 54 Vgl. Sirneon in Locre 1435 und die Anmerkungen des Tribunats in Locre 1450. 55 Vgl. Artikel3 des überarbeiteten Entwurfs, der wortwörtlich mit Artikel9 Code civil übereinstimmt, in Locre I 437.

III. Erstes Buch "Von den Personen"

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Verbindung der Person mit Frankreich sein. Es sei ungerecht, einer Person die mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Vorteile (das Erbrecht) zu gewähren, ohne ihr gleichzeitig die damit verbundenen Lasten aufbürden zu können, weil die Person Frankreich u.U. nach der Geburt nie wieder betrete. 56 Daher wurde nicht Portalis' und Napoleons, sondern Tronchets Vorstellung im Code civil verwirklicht: Artikel9 Code civil: "Tout individu ne en France d'un etranger, pourra, dans l'annee qui suivra l'epoque de sa majorite, reclamer Ia qualite de Fram;ais; pourvu que, dans le cas ou il residerait en France, il declare que son intention est d'y fixer son domicile, et que, dans le cas, ou il residerait en pays etranger, il fasse sa soumission de fixer en France son domicile, et qu'il l'y etablisse dans l'annee, a compter de l'acte de soumission." 57

b) Zweites Kapitel,. Vom Entzug der Bürgerrechte (droits civils)"

aa) Erster Abschnitt "Vom Entzug der Bürgerrechteaufgrund des Verlusts der französischen Staatsbürgerschaft" - Artikel 13 des ersten Entwurfs Nach Artikel 12 des ersten Entwurfs 5x sollte die französische Staatsbürgerschaft verlieren, wer auf sie verzichtete oder Frankreich verließ, ohne den Willen zur Rückkehr (esprit de retour) zu haben. Artikel 13 des ersten Entwurfs ergänzte Artikel 12 und bestimmte, daß die Französin, die einen Ausländer heiratete, ihre französische Staatsangehörigkeit verlor: Artikel 13 des ersten Entwurfs (vgl. Artikel 19 Code civil): ,.Une femme qui epousera un etranger, suivra Ia condition de son mari.

fran~aise

Lorsqu'elle sera devenue veuve, elle recouvrera Ia qualite de Fran~aise, pourvu qu'elle reside en France, ou qu'elle y rentre en faisant sa declaration de vouloir s'y fixer." 59

Nachdem Artikel 13 beschlossen worden war, forderte Portalis eine zusätzliche Vorschrift zum Schutz der Bürgerrechte der Französin, die ihrem französischen Mann folgt, wenn er auswandert (also keinen Willen zur Rückkehr hat). Ihr Mann würde nach Artikel 12 die französische Staatsbürgerschaft verlieren. Portalis ging offenbar davon aus, daß damit nach Artikel 13 auch die Frau die französische Staatsbürgerschaft verlor. Dies ergab sich aber nicht eindeutig aus dem Wortlaut. Denn Artikel 13 ließ auch die Auslegung zu, daß es nur auf die Nationalität des Ehemannes bei der Eheschließung ankam, daß also die Frau ihre Nationalität behalten würde, wenn der Ehemann seine französische Staatsbürgerschaft erst nach der Eheschließung verlöre. Doch scheinen die Vgl. die Anmerkungen des Tribunats in Locre 1450 f. Locre I 336. sx Vgl. Artikel 17 Code civil. 59 Locre I 354.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Staatsräte davon ausgegangen zu sein, daß die Frau nach Artikel 13 in beiden Fällen ihre Staatsangehörigkeit verlieren sollte. 6() Von dieser Auslegung ging auch Tronchet aus. Denn er meinte, die von Portalis vorgeschlagene Regelung lasse Mißbräuche zu. Der ausgewanderte Mann und seine Kinder würden so von den Gütern seiner Frau (Güter. die seine Frau in Frankreich vererbe oder erbe) profitieren. Er stimmte daher Portalis' Vorschlag nur mit folgender Einschränkung zu: Eine derartige Regelung müsse die Frau verpflichten, eine Sicherheit daftlr zu geben, daß sie über ihre Güter nur zugunsten eines Franzosen verfUgen werde und daß sie, sobald sie Witwe sei, nach Frankreich zurückkehren werde. 61 Da zum Zeitpunkt dieser Debatte noch nicht entschieden war, ob der Code civil das Heimfallrecht vorsehen würde, wurde die Entscheidung über den Vorschlag von Portalis vertagt. 62 In der Folgezeit wurde er nicht mehr aufgegriffen. Eine Ausnahme zu Artikel 13 des Entwurfs. der leicht modifiziert als Artikel 19 in den Code civil einging,63 wurde nicht vorgesehen. Bei der Auslegung von Artikel 19 Code civil kommt jedoch der überwiegende Teil der Literatur zu dem Ergebnis, daß eine Frau ihre Staatsbürgerschaft nicht verliere, wenn ihr Mann die französische Staatsangehörigkeit nach der Eheschließung einbüße. Eine Frau, die einen Ausländer heirate, akzeptiere zwar konkludent dessen Staatsangehörigkeit. Mit der Heirat akzeptiere die Frau aber nicht vorweg jede Staatsangehörigkeit, die ihr Mann in Zukunft annehmen werde. 64 In dieser Weise ausgelegt, enthält Artikel 19 Code civil die von Portalis gewünschte, die Frau schützende Regelung. bb) Zweiter Abschnitt "Von der Aberkennung der BUrgerrechte infolge strafgerichtlicher Verurteilungen" Wer versucht, die staatliche Gemeinschaft zu zersetzen und deshalb verurteilt wird, verwirkt seine Rechte in dieser Gemeinschaft. Dies ist der Gedanke, der dem Institut des bürgerlichen Todes (mort civile) zugrundelag. 65 Im Ancien Regime trat der bürgerliche Tod nach der Ordonnanz von 1670 bei Verurteilungen zum Tode, zu lebenslanger Zwangsarbeit oder zu lebenslanger Verbannung außerhalb des Königreichs ein. Ferner ftlhrte die Ableistung des Klostergelübdes zum bürgerlichen Tod. Während die Klostergelübde und die 60 Darauf deuten auch die Bemerkungen von Regnaud und Boulay hin. Regnaud meinte, der von Portalis dargelegte Fall sei in Artikel 13 geregelt. Und Boulay wies darauf hin, daß Portalis eine Ausnahme von Artikel 13 vorschlage; vgl. Locre I 354. 61 Locre I 354. 62 Locre I 354. 63 Vgl. Artikel 19 Code civil in Locre I 341 . 64 Baudry-Lacantinerie!Houques-Fourcade, Band I, Rn. 530 (S. 341 ); Laurent, Band I,

Rn. 387. 65

Vgl. das expose de motifs von Treilhard in Locre I 469.

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mit ihr einhergehenden Rechtsfolgen durch die Gesetze vom 13.- 19. Februar 1790 abgeschafft wurden, zogen kapitale Verurteilungen auch während der Revolution den bürgerlichen Tod nach sich. Das nur kurze Zeit gültige Gesetz vom 28. März 1793 (aufgehoben durch Gesetz vom 4. März 180066) knüpfte den bürgerlichen Tod außerdem an die Emigration.67 (I) Artikel 25 Code civil Nach dem Entwurf zum Code civil sollte der bürgerliche Tod nur bei kapitalen und lebenslangen Strafen eintreten, bei Strafen also, die den Verurteilten fiir immer aus der staatlichen Gemeinschaft entfemten.6K Neben der Todesstrafe sollte daher auch die Verurteilung zur Deportation den bürgerlichen Tod zur Folge haben. 69 Der Entwurfregelte die Rechtsfolgen des bürgerlichen Todes wie folgt: Artikel 18 des dritten Entwurfs: .,La peine de mort, ou les peines afflictives qui s'etendent atoute Ia dun~e de Ia vie, emporteront Ia mort civile." Artikel 19 des dritten Entwurfs: "Les effets de Ia mort civile seront, Ia dissolution du contrat civil du mariage, l'incapacite d'en contracter un nouveau, d'exercer les droits de Ia puissance paternelle, de recueillir aucune succession, de faire aucune disposition a cause de mort, de recevoir aucune donation, meme entre vifs, a moins qu'elle ne soit restreinte a des alimens; d'etre tuteur, ou de concourir a une tutelle, de rendre temoignage en justice, ni d'y tester autrement que sous le nom et a Ia diligence d'un curateur nomme par le mort civilement, ou a son defaut par le juge."70

Auf Kritik stießen die von Artikel 19 vorgesehenen familienrechtlichen Folgen des bürgerlichen Todes. Nach Artikel 19 löste die Verurteilung zum bürgerlichen Tod die Ehe des Verurteilten. Blieb seine Frau bei ihm, so war sie rechtlich seine Konkubine und Kinder, die nach der Verurteilung aus der Ehe hervorgingen, galten als unehelich. 71 Diese Regelung widersprach dem ancien droit, nach dem der zivilrechtliche Tod weder die Ehe löste noch die nach der Verurteilung geborenen Kinder fiir

12. VentoseVIII. Baudry-Lacantinerie/Houques-Fourcade, Bd. I, Rn. 742 (S. 486 f.). Vgl. auch Cambaceres, in Locre I 360. 68 Vgl. das erste expose de motifs von Boulay in Locre I 427. Von dem Verlust der Bürgerrechte (droits civils) ist wieder der Verlust der politischen Rechte (droits de citoyen) zu unterscheiden. Nach Art. 4 der Verfassung vom 13. Dez. 1799 hatte u.a. schon die Verurteilung zu einer Leibesstrafe (peine afllictive) oder entehrenden Strafe (peine infamante) den Verlust der Eigenschaft als citoyen jran9ais und damit der politischen Rechte (droits de citoyen) zur Folge. 69 Vgl. Tronchet in Locre I 372. 70 Locre I 369. 71 Tronchet in Locre I 372. 66 67

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

unehelich erklärte. 72 Zu bedenken ist jedoch, daß das ancien droit die Ehe nicht nur als zivilrechtliehen Vertrag, sondern zugleich als unlösbares Sakrament ansah. Bei ihrer Kritik dachten die Staatsräte vor allem an die Folgen des Entwurfs fllr die Ehefrau, die ihrem Mann in die Deportation folgte.n Warum sollte ihr der eheliche Status versagt werden? Man schlug daher vor, die Verurteilung zum bürgerlichen Tod nur als Scheidungsgrund festzusetzen. 74 Diese Lösung war aus Portalis' Sicht nicht möglich. Eine Verurteilung, die den bürgerlichen Tod nach sich ziehe, erläuterte er, löse die Ehe auf, weil die Ehe nunrnehr75 nur noch ein zivilrechtlicher Vertrag sei. Wie alle anderen Rechtsbeziehungen müsse auch dieser Vertrag mit dem bürgerlichen Tod enden. "II impliquerait contradiction que le contrat civil pfit survivre a Ia mort civile de l'un des epoux.'' Portalis fand aber einen Ausweg, der den Interessen der Ehefrau gerecht werden sollte. Er schlug vor, bei den Strafen zu unterscheiden: Bei der Verurteilung zur Deportation sollte zwischen den Rechtsfolgen fllr den Deportationsort und filr den französischem Boden unterschieden werden. Hinsichtlich des französischen Territoriums sollten die Folgen des bürgerlichen Todes uneingeschränkt eintreten. Am Deportationsort dagegen sollten Eheschließungen zulässig sein und die Kinder dieser Ehe als ehelich gelten: "Nous admettons un genre de peine qui peut comporter des regles particulieres. La deportation, par exemple, emporte Ia mort civile: mais si l'on voulait former, des deportes pour crime, une colonie, pourquoi n'autoriserait-on pas !es mariages de ces deportes? Pourquoi ne garantirait-on pas l'etat civil des enfants qui naitraient de ces mariages, au moins relativement a tout ce que !es auteurs de leurs jours auraient possede ou acquis dans Ia colonie meme, et depuis leur deportation?"76 Portalis rechnete es den Frauen hoch an, wenn sie zu ihren Männem hielten und ihnen auch in Stunden der Not und gesellschaftlicher Ächtungtreu blieben. "Autant l'epouse qui n'abandonne pas son mari condamne merite de faveur, autant en merite peu Ia femme qui ne repugne pas a epouser un homme fletri par Ia justice."" Auch Napoleon sprach sich dafilr aus, die Ehefrau zu schützen. Er zeichnete das Bild einer Frau, die von der Unschuld ihres verurteilten Mannes überzeugt ist und die sich verpflichtet filhlt, bei ihm zu bleiben. Diese Frau lebe rechtlich betrachtet als Konkubine. Warum sollte man den Unglücklichen das Recht nehmen, miteinander im ehrbaren Stand der Ehe zu leben?7R Portalis und Napoleon zeigten sich hier bemüht, die familiäre und insbesondere die eheliche Gemeinschaft auch in schweren Zeiten zu schützen.

Maleville in Locre I 372. Vgl. Napoleon in Locre I 371. 74 So der Justizminister in Locre I 371 und Regnier in Locre I 372. 7s Zur Rechtsnatur der Ehe seit der Revolution siehe unten E III 5 a - c. 76 Portalis in Locre I 373. 77 Portalis in Locre 1374. 78 Napoleon in Locre I 371.

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III. Erstes Buch ,.Von den Personen"

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Der Staatsrat folgte Portalis' Vorschlag und beschloß, zwischen Strafen, die zum absoluten Verlust aller bürgerlichen Rechte fUhren (mort civile proprement dite) und Strafen, die nur den Verlust eines Teils der Bürgerrechte nach sich ziehen (sog. mort civile imparfaite), zu unterscheiden. Die Verurteilung zur Deportation sollte, im Gegensatz zur Verurteilung zum Tode, nur die mort civile imparfaite zur Folge haben, deren Rechtsfolgen später näher bestimmt werden sellten. 79 Artikel22 des überarbeiteten Entwurfs übernahm diese Unterscheidung und erlaubte dem Deportierten am Ort der Deportation erneut zu heiraten und bestimmte, daß seine vor der Verurteilung geschlossene Ehe (nur) am Ort der Deportation fortbestehen sollte. 80 Diese vom Staatsrat zunächst beschlossene81 Regelung wurde jedoch nicht in den Code civil übernommen. Denn sie griff der anstehenden Strafgesetzgebung vor, indem sie eine gesetzliche Regelung der Deportation voraussetzte. Zu diesem Zeitpunkt stand aber noch nicht fest, ob das neue Strafgesetz die Deportation beibehalten würde. Man mußte erst bestimmen, wo die Strafkolonien eingerichtet werden sollten. Zu einer Zeit, als Frankreich kaum noch über Kolonialbesitz verfUgte und die Engländer die Meere beherrschten, war dies eine schwierige Frage. Außerdem mußte den Strafkolonien eine Organisationsform gegeben werden. Zu viele Fragen standen offen. 82 Daher entschied der Staatsrat, die neue Strafgesetzgebung abzuwarten und strich alle Vorschriften, die an die Deportation anknüpften.Kl So lebte die Regelung des dritten Entwurfs wieder auf. Mit der Verurteilung, die den bUrgerliehen Tod Locre I 375. Artikel 20 des überarbeiteten Entwurfs: "La deportation emportera contre le condamne Ia privation des droits civils dans toutes les parties du territoire franfi:ais dont l'habitation se trouvera interdite au condamne: il en conservera l'exercice dans le lieu seulement qui lui sera indique pour sa residence." Locre I 391. Artikel 21 : "Les droits dont Ia mort civile emportera Ia privation ceux ci-apres: ... [§ 7, Anm. des Verf] 11 est incapable de contracter un mariage legal et qui produise aucun effet civil. [§ 8, Anm. des Verf] Le mariage qu'il avait precedemment contracte est dissous quant a tous ces effets civils. Son epoux et ses heritiers peuvent exercer respectivement les droits et les actions auxquels Ia mort naturelle donne ouverture. sauf neanmoins les gains de survie, que l'autre epoux ne peut exercer qu'apres Ia mort naturelle du condamne, lorsque Ia peine qu'il a encourue n'est point celle de Ia mort. L'autre epoux est libre de contracter un nouveau mariage.'' Artikel 22 des Oberarbeiteten Entwurfs: "Les paragraphes 7 et 8 de l'article precedent refi:oivent une exception a l'egard du deporte, qui peut contracter mariage, et dont le mariage anterieur n'est point dissous. Mais l'un et l'autre mariage ne produisent d'effets civils que dans le lieu de sa deportation, et quand aux biens qu'il peut y posseder. Les enfans nes depuis Ia deportation, soit du mariage anterieur, soit de celui posterieur, ainsi que tous leurs descendans, ne peuvent succeder qu'aux biens situes dans le lieu de Ia deportation ..." in Locre I 391 und Artikel 28 des fUnften Entwurfs in Locre I 416 und Artikel 28 des sechsten Entwurfs in Locre I 419. 81 Locre I 393. 82 Locre I 443. 83 Locre in Locre I 332 f. 79

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

nach sich zog, galt demnach die Ehe des Verurteilten als aufgelöst und der Verurteilte als unfähig, eine neue Ehe einzugehen. Sonderbestimmungen filr die Verurteilung zur Deportation sah der Code civil nicht vor.~• Portalis' Idee wurde nicht in den Code civil aufgenommen. (2) Artikel 28 des vierten Entwurfs Artikel 28 des vierten Entwurfs belastete den Verurteilten mit der rückwirkenden Vermutung, daß Verkäufe (actes d'alienation), die er zwischen Anklageerhebung und Verurteilung tätigte, fraudatorisch waren: Artikel 28 des vierten Entwurfs: .,Tous les actes d'alienation qui sont faits par l'accuse d'un delit auquella loi attache une peine emportant mort civile, sont reputes frauduleux, dans le cas ou il est condamne a cette peine."8l Ziel dieser Regelung, erklärte Tronchet, sei die Vermeidung der zahlreichen Prozesse, die durch die Möglichkeit entstünden, jedes Einzelgeschäft anzugreifen. Die Regelung verletze die Interessen der Gläubiger eines Angeklagten nicht. Denn die Gläubiger (die nicht Käufer seien) behielten ihre Rechte. Käufer dagegen könnten ihren guten Glauben nicht behaupten, da das Gesetz sie darüber informiere, daß der Vertrag nichtig sei. 86 Bisher kannte das französische Recht eine derartige Vermutung nicht. 87 Portalis wies auf die Folgen dieser Regelung hin. Sie stelle die Angeklagten einem Geschäftsunfiihigen gleich und entziehe ihnen und ihrer Familie damit die Lebensgrundlage. "Les actes dont il s'agit sont annules, non parce qu'on regarde leur auteur comme incapable, mais parce qu'on les suspecte de fraude ... Une disposition generale contre ces actes ferait peser sur l'accuse une incapacite qui ne doit pas lui etre imprimee, et le priverait, lui et sa famille, des moyens d'arranger leurs affaires ... II serait etonnant qu'on laissät a l'accuse Ia puissance patemelle, les droits du mariage, tous ses droits enfin, a l'exception de celui que reclame Je plus fortement l'interet de sa famille." 88 Dann erklärte Portalis, wie das von Tronchet angestrebte Ziel, die Vereinfachung der Rechtsordnung und die Vermeidung von Prozessen, erreicht werden könnten. Er unterschied zwischen rechtlichen und tatsächlichen Fragen: "II faut sans doute que Ia loi s'applique a prevenir les proces et a uniformiser Ia jurisprudence des tribunaux; mais c'est par rapport au droit, qui concerne toujours l'interet, et non par rapport aux faits, qui ne concernent jamais que les interets individuels. S'agit-il du droit, l'individu n'est rien, Ia societe est tout; s'agit-il Vgl. Artikel22- 25 Code civil in Locre I 343. Locre I 392. 86 Tronchet in Locre I 411. 87 Portalis in Locre I 411. 88 Locre I 41 I. 84

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III. Erstes Buch "Von den Personen"

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des faits, chaque individu est Ia societe tout entiere."89 Portalis forderte also, daß Vereinfachungen im rechtlichen Bereich gesucht werden sollten, nicht im tatsächlichen. Probleme bei der Tatsachenfeststellung sollten nicht mit Vermutungen umgangen werden. Portalis gab damit zu erkennen, daß er gesetzliche Vermutungen nur mit großer Zurückhaltung einsetzen wollte. Portalis setzte sich hier mit der Unterstützung von Cambaceres gegen Tronchet durch: Artikel28 wurde vom Staatsrat gestrichen. 90

2. Zweiter Titel "Von den Zivilstandsurkunden"- Artikel43 Code civil Um zu verhindern, daß Zivilstandsurkunden unwiederbringlich verloren gehen, sollten alle Zivilstandsregister doppelt gefiihrt werden. Die erste Ausfertigung sollten die Kommunen aufbewahren. Umstritten war, ob die zweite Ausfertigung bei den Gerichten oder bei der Verwaltung deponiert werden sollte. Roederer verlangte, die Führung der Register der Verwaltung zu übertragen. Denn die müsse häufig auf sie zurückgreifen und sie zu statistischen Zwecken auswerten. 91 Portalis dagegen trat dafiir ein, den Gerichten diese Aufgabe zuzuweisen. Da die Gerichte über Zivilstandsstreitigkeiten urteilten, sagte er, sei es sinnvoll, wenn sich die Zivilstandsurkunden in ihrer Nähe befanden. Vor allem aber böten die Gerichte mehr Gewähr dafiir, daß die Zivilstandsregister sorgfaltig geftlhrt würden. Denn im Gegensatz zu Präfekten wechselten die Gerichtskörper nicht andauernd. Außerdem hielten den Präfekten andere, dringendere Aufgaben davon ab, die Verwaltungsbeamten auf ihre Sorgfalt und Treue hin zu überprüfen. 92 Diese Argumentation zeigte, daß Portalis der Justiz erheblich mehr vertraute, als der Verwaltung. Seine Auffassung setzte sich durch: 93 Artikel43 Code civil: "Les registres seront clos et arretes par l'officier de l'etat civil,

a Ia finde chaque annee; et dans le mois, l'un des doubles sera depose aux archives de Ia commune, l'autre au greffe du tribunal de premiere instance." 94

3. Dritter Titel "Vom Wohnsitz"- Artikel102 Code civil Nach ancien droit hatte der Wohnsitz vor allem im Erbrecht erhebliche Bedeutung. Denn vom Wohnsitz des Verstorbenen hing ab, welche der stark unterschiedlichen lokalen Rechtsordnungen anwendbar war, also welche Erbfolge galt und welche letztwilligen Verfiigungen zulässig waren. Mit der Locre I 411. Vgl. die flinfte Redaktion des 3. Kapitels in Locre I 414 - 416. 91 Roederer in Locre II 34; vgl. auch Cambaceres in Locre II 36. 92 Portalis in Locre II 34 f. 93 Locre II 37. 94 Locre II 8.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Schaffung eines einheitlichen Erbrechts im Code civil behielt der Wohnsitz im wesentlichen nur noch Bedeutung ftlr die Bestimmung des Leistungsorts und fllr Zuständigkeitsfragen. Ys Der im Staatsrat vorgelegte Entwurf unterschied zwischen dem zivilrechtliehen Wohnsitz (domicile civif) und dem politischen Wohnsitz (domicile politique), der den Ort der Ausübung der politischen Rechte bestimmte.96 Damit trug der Entwurf der Unterscheidung zwischen den politischen Rechten (droits de citoyen) und den bürgerlichen Rechten (droits civils) Rechnung. Nach Artikel 2 des Entwurfs sollte der zivilrechtliche Wohnsitz (domicile civif) eines Menschen an dem Ort seiner Hauptwohnung (principal etablissement) sein: Artikel 2 des ersten Entwurfs: "Le domicile, considere sous ce rapport97, sera, pour tout individu fran~ais, le lieu Oll il a son principal etablissement."98

Insbesondere Tronchet wandte sich gegen diesen, von der Gesetzgebungssektion des Staatsrats ausgearbeiteten Entwurf. Er bevorzugte die Regelung des Entwurfs der Code civii-Kommission. Danach sollten BUrger (citoyens)99 ihren Wohnsitz an dem Ort haben, an dem sie ihre politischen Rechte ausüben konnten. Der zivilrechtliche Wohnsitz aller anderen Personen, also unverheirateter oder verwitweter Frauen 100 und Personen, die keinen politischen Wohnsitz hatten, sollte an dem Ort ihrer Hauptwohnung (etablissement principaf) sein.101 Hauptwohnung und politischer Wohnsitz waren danach fllr citoyens nicht zwingend am gleichen Ort. 102 Diese von der Code civii-Kommission vorgeschlagene Regelung hatte die Gesetzgebungssektion des Staatsrats auf Anregung der Gerichte abgeändert. Die Gerichte hatten darauf hingewiesen, daß die Regelung Zweifel erwecke hinsichtlich unverheirateter und verwitweter Frauen, die keinen politischen Wohnsitz hätten, 103 sowie hinsichtlich der Bürger, die nicht im Staatsbürgerregister (registre civique) eingetragen seien. 104 9s Vgl. Tronchet in Locre II 167. Zu der Bedeutung des Wohnsitzes nach dem Code civil siehe Baudry-Lacantinerie!Houques-Fourcade, Bd. 2, Rn. 965 (S. 648 f.). 96 Vgl. Art. I des I. Entwurfs: "Les conditions et les effets du domicile relativement a l'exercice des droits et des actions civiles, dependront uniquement de Ia loi civile." in Locre II 166. 97 Art. I des I. Entwurfs, auf den hier verwiesen wird. ist abgedruckt oben in Fn. 96. 9x Locre II 166. 99 Art. 2 der Verfassung (abgedruckt S. 66, Fn. 47) definierte, wer BOrger (citoyen) war. 100 Der Wohnsitz verheirateter Frauen sollte nach dem Entwurf offenbar dem zivilrechtliehen Wohnsitz des Mannes entsprechen, vgl. Roederer in Locre II 169. 101 Vgl. I. Buch, 3. Titel, Art. 3 und 4 des Entwurfs der Code civii-Kommission, in Fenet II 29. 102 Vgl. Mouricault in Locre II 185; Cretet in Locre Il 170. 103 Tronchet in Locre II 167. 104 Emmery in Locre II 167.

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Trotz der Kritik verteidigte Tronchet die Regelung der Code civii-Kommission. Sie sei einfach und regele zwar nicht alle, aber doch den Großteil der Fälle eindeutig. Die von der Gesetzgebungssektion vorgeschlagene Regelung dagegen stelle auf das vage Kriterium der Hauptwohnung (principa/ etablissement) ab. Die Unsicherheiten, die sich aus der Unbestimmtheit dieses Begriffs ergäben, habe die Code civii-Kommission venneiden wollen. Im übrigen sei schwer feststellbar, wo die Hauptwohnung sei, wenn eine Person ihr Vennögen annähernd gleich auf verschiedene Orte verteilt habe. Eine eindeutige Lösung, filgte er hinzu, wäre gewesen, von dem Bürger eine Erklärung Ober seinen Wohnsitz zu verlangen. Das durchzusetzen sei allerdings unmöglich. 105 Portalis schloß sich der Kritik der Gerichte an. Tronchets System sei zwar einheitlich und einfach. Es lasse jedoch den Zivilstand einer beträchtlichen Personengruppe ungeregelt. Außerdem sei es in vielen Fällen nicht sinnvoll, den zivilrechtliehen Wohnsitz mit dem politischen gleichzustellen. Denn Geschäftsleute erwarteten nicht, daß ihr Geschäftspartner, der an einem Ort ein großes Geschäft betreibe, seinen Wohnsitz an einem anderen Ort habe. Außerdem müßten Prozesse an einem Ort gefilhrt werden, an dem der Prozeßgegner gar nicht wohne. AufFreiheit und Gleichheit legte Portalis besonderen Wert: Bürger, die einen politischen Wohnsitz hätten, und alle übrigen Einwohner müßten gleich behandelt werden. Daher müßten Bürger, die sich entschieden hätten, an einem Ort ihren politischen Wohnsitz zu nehmen, frei sein, ihren zivilrechtliehen Wohnsitz an einem anderen Ort zu nehmen. Wenn ein Teil der Bevölkerung (der Teil, der keinen politischen Wohnsitz habe) seinen zivilrechtliehen Wohnsitzes frei wählen könne, müsse dies auch filr den anderen Teil gelten. Dies gebiete die natürliche Freiheit: "Forcer Ia residence, ce serait blesser Ia liberte. On doit etre aussi libre dans Je choix et dans Je changement de son domicile, que dans ses autres actions. D'ailleurs, a quoi servirait Ia contrainte? L'ambitieux qui voudra se faire elir, ira s'inscrire dans une petite commune ou il croira pouvoir parvenir avec plus de facilite, et cependant il etablira Je centre de ses affaires dans une ville plus considerable, plus populeuse, et ou il travaillera mieux a sa fortune ... Puisque dans Je systeme de M. Tronchet, on est force de respecter dans quelques uns Ia liberte naturelle et civile de resider ou l'on veut, pourquoi ne Ia respecterait-on pas dans tous?" 106 Hier folgte der Staatsrat Portalis' Ansicht. 107 Artikel 2 des ersten Entwurfs wurde überarbeitet, aber inhaltlich unverändert als Artikel 102 in den Code civil übernommen. 108

Tronchet in Locre li 167. Portalis in Locre II 169. 107 Locre II 170. 108 Art. 102 Code civil: "Le domicile de taut Francais. quant a l'exercice de ses droits civils, est au lieu ou il a son principal etablissement." Locre II 161. 105

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

4. Vierter Titel "Von den Verschollenen" Vor lnkrafttreten des Code civil gab es in Frankreich kein umfassendes Gesetz zur rechtlichen Stellung von Verschollenen. Differenziertes und uneinheitliches, teilweise in sich widersprüchliches Richterrecht bestimmte die Rechtsmaterie. 109 Auch das römische Recht kannte keine zusammenhängende und abschließende Regelung der Verschollenheit, der absentia. 110

a) Erstes Kapitel,. Von der Vermutung der Verschollenheil"- Artikel 112 Code civil Der erste Entwurf sah nur Maßnahmen zum Schutz der Verschollenen vor. Als verschollen erklärt werden konnten nach dem Entwurf Personen, die fiinfl 11 Jahre nicht an ihrem Wohnsitz erschienen waren und von denen seitdem keine Nachricht vorlag. Napoleon forderte darüber hinaus eine Regelung zum Schutz von Personen, die zwar abwesend, aber noch nicht filr verschollen erklärt waren, z.B. weil die Fünfjahresfrist noch nicht abgelaufen war. 112 Daraufhin wurde das Kapitel "Von der Vermutung der Verschollenheit" ausgearbeitet und in den zweiten Entwurf eingefiigt. 113 Nach Artikel 4 dieses zweiten Entwurfs sollten die erstinstanzliehen Gerichte dazu ermächtigt werden, bei Bedarf fiir abwesende Personen zu handeln: Artikel 4 des zweiten Entwurfs: "S' il y a necessite de pourvoir a l'administration de tout ou partie des biens Iaisses par une personne eloignee de son domicile, et non encore declaree absente, ou a Ia conservation des droits qui lui sont echus depuis son depart, il y sera pourvu par le tribunal de premil!re instance, sur les conclusions du commissaire du gouvernement." 114

Tronchet und Real kritisierten Artikel 4. Tronchet meinte, es sei geflihrlich, Dritte zu ermächtigen, in den Vermögens- und Privatangelegenheiten eines Abwesenden "herumzuwühlen". Das Gesetz müsse jedem ermöglichen, sein Vermögen selbst zu schützen; es dürfe aber nicht selbst filr andere handeln. Nur wenn die Äcker brachlägen, gelte dieses Prinzip ausnahmsweise nicht. 115 Napoleon entgegnete Tronchet, daß es ebenso geflihrlich sei, die Geschäfte eines Abwesenden, der keinen Bevollmächtigen hinterlassen habe, sich selbst zu Locre in Locre II 193; Bigot-Preameneu, expose de motifs, in Locre II 251 . Bigot-Preameneu, expose de motifs, in Locre II 251; Kaser, Das römische Privatrecht, I. Abschnitt, § 64 II 2 (S. 236 f.) und zur Kriegsverschollenheil 2. Abschnitt, § 219 I (S. 119). 111 Nach. Art. I des I. Entwurfs betrug die Frist flinf Jahre. Im Laufe der Beratungen wurde die Frist aufvier Jahre verkürzt. 112 Locre II 216. Zum Einfluß Napoleons siehe Theewen. S. I 04 f. 113 Locre II 220. 114 Locre 11218. 115 Tronchet in Locre II 222 ("vigilantibus iura succurunt" ). 109 110

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überlassen. Denn seine Wechsel gingen zu Protest, sein Kredit platze und seine Schuldner würden zahlungsunfahig; am Ende sei er ruiniert. Warum schütze der Staat Witwen und Waisen? Weil sie sich selbst nicht verteidigen könnten! Auch den Abwesenden müsse der Staat vor Verschwendung und Diebstahl bewahren. Denn der kurzzeitig und unvorhergesehen Abwesende sei wie ein Minderjähriger nicht in der Lage, seine Interessen selbst wahrzunehmen. 116 Auch Portalis meinte, ein staatlicher Eingriff zugunsten des Abwesenden sei im Notfall sinnvoll und erforderlich. Es widerspreche auch nicht den Interessen des Abwesenden. In zahlreichen Fällen sei die Ernennung eines Kurators erforderlich. Man müsse bedenken, daß das Gericht eine Person zum Kurator bestellen werde, die am Schicksal des Abwesenden interessiert sei und ihre Befugnisse daher nicht zu seinem Schaden ausüben werde. Jedenfalls könne die Gefahr, die mit dem staatlichen Eingriff einhergehe, beschränkt werden, wenn das Gericht nicht automatisch filr jeden Abwesenden einen Kurator bestelle, sondern nur bei Bedarf. Es sei schwierig, eine Frist festzulegen, nach deren Ablauf ein Eingriff erforderlich sei. Eine Entscheidung müsse nach Dringlichkeit und den Einzelumständen getroffen werden. Aber es bestehe keine Gefahr, den Gerichten hier die Entscheidung des Einzelfalls zu überlassen. 117 Im Gegensatz zu Tronchet zeigte Portalis hier Vertrauen in die Richter. Bei der Abstimmung setzte sich Portalis' Auffassung durch: Der Staatsrat nahm Artikel 4 an.IIM Auch Portalis' Forderung, gerichtliche Eingriffe nicht von Fristen, sondern von der Notwendigkeit (mkessite) abhängig zu machen, wurde beibehalten. Artikel 112 Code civil erhielt so folgende Fassung: Artikel 112 Code civil: "S'il y a necessite de pourvoir a l'administration de taut ou partie des biens Iaisses par une personne presumee absente. et qui n'a point de procureur fonde, il y sera statue par le tribunal de premü!re instance, sur Ia demande des parties interessees." 119

b) Drittes Kapitel " Von den Rechtsfolgen der Verschollenheit"

Eine Person, die nicht mehr an ihrem Wohnort oder Wohnsitz aufgetreten war und von der seit vier Jahren keine Nachricht mehr vorlag, konnte nach Artikel 115 Code civil filr verschollen erklärt werden. Als tot galt ein Verschollener erst hundert Jahre nach seiner Geburt. 120 Die Verschollenheitserklärung bewirkte zunächst, daß die Erben des Verschollenen vorläufig in den Besitz des Vermögen des Verschollenen eingewiesen wurden (envoi en possession provisoire). Erst nach dreißig Jahren traten sie uneingeschränkt in seine Rechte und Pflichten Napoleon in Locre II 222 f. Portalis in Locre II 223 . 11 x Locre II 224. 119 Locre II 195. 120 Deferrnon in Locre II 226. 116 117

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ein (envoi en possession definiti/). 12 1 Fraglich war, ob eine Person, die eine lange Abwesenheit voraussah und die vorläufige Besitzeinweisung verhindern wollte, einen Bevollmächtigten ftlr bis zu dreißig Jahren bestellen konnte 122 und ob die Gerichte ermächtigt werden sollten, vorzeitig erloschene Vollmachten zu verlängern. aa) Zur Zulässigkeit der Bestellung eines Bevollmächtigten fiir 30 Jahre Zunächst war fraglich, ob das Gesetz einem Geschäftsmann, der eine lange Abwesenheit voraussieht und verhindern will, daß sich seine Erben in seine Angelegenheiten einmischen, die Befugnis geben könnte, fiir dreißig Jahre einen Bevollmächtigen zu stellen. Tronchet meinte, das Gesetz könne eine dreißigjährige Vollmacht nicht zulassen. Denn entweder sei eine solche Vollmacht ein Rechtsgeschäft von Todes wegen; dann verletze sie das. Erbrecht der Erben. Oder die Vollmacht sei ein Rechtsgeschäft unter Lebenden; dann könne sie nur gültig sein, solange bewiesen sei, daß der Vollmachtgeber noch lebe. Portalis widersprach Tronchet. Grundsätzlich, erklärte Portalis, gelte der Verschollene bis zum Beweis seines Todes als lebendig; er könne sich daher auch Uber dreißig Jahre durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen: "Cet acte serait bon dans le systeme actuel ... On ne peut gener un absent au point de ne lui pas permettrede graduer ses fondes de pouvoir. Le principe est que l'absent ne peut etre repute ni vivant ni mort. L'acte qui doit avoir ses effets si l'absent est vivant, ne peut donc !es perdre que quand Ia preuve de Ia mort de l'absent est acquise. On objectera que l'absent a pu faire des dispositions en haine de ses heritiers; mais a cet egard, les prohibitions seraient inutiles, car il lui resteraient d'autres moyens de signaler cette haine." 123 Weder Tronchet noch ein anderer Staatsrat widersprach Portalis' einleuchtender Rechtsauslegung. Daher scheint es, als hätte seine Argumentation die Staatsratsmitglieder überzeugt. Letztlich wurde dem Verschollenen zwar nur gestattet, fiir bis zu zehn Jahre einen Bevollmächtigten zu stellen. Portalis hatte aber aufgezeigt, daß eine VollmachtUber 30 Jahre hätte zugelassen werden können. bb) Artikel 122 Code civil Nach Artikel 11 des zweiten Entwurfs schob die Bestellung eines Bevollmächtigten die vorzeitige Besitzeinweisung um zehn Jahre auf. Für den Fall, daß eine Vollmacht vorzeitig erlosch, sollten die mutmaßlichen Erben nach Artikel Vgl. Artikel 17 und 18 des 2. Entwurfs bzw. Artikel 123, 128 und 129 Code civil. Vgl. Cambacen!s in Locre II 227. 123 Porta1is in Locre II 227 f. 121

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12 des zweiten Entwurfs berechtigt sein, den Abwesenden filr verschollen erklären zu lassen: Artikel II des zweiten Entwurfs: .,Si l'absent a laisse une procuration, ses heritiers presomptivs ne pourront demander l'envoi en possession provisoire qu'apres dix annees revolus depuis sa disparition, ou depuis ses dernieres nouvelles, et qu'apres avoir fait declarer l'absence dans les formes prescrites par les articles ci-dessus." Artikel 12 des Entwurfs: .,Si, apn!s les cinq ans de Ia disparition, ou des dernien!s nouvelles de l'absent, Ia procuration vient a cesser par Ia mort, Ia renonciation du procureur fonde ou toute autre cause, les heritiers presomptifs pourront se pourvoir pour faire declarer l'absence." 124

Der Gedanke von Artikel II war, daß der Verschollene, der filr die Dauer seiner Abwesenheit durch die Ernennung eines Bevollmächtigten selbst vorgesorgt hat, schützenswerteT ist als derjenige, der keine Maßnahmen zu seinem eigenen Schutz ergriffen hat. 125 Artikel 12 des Entwurfs stellte jedoch Verschollene, deren Vollmacht unvorhergesehen (z.B. durch den Tod des Bevollmächtigten) erlosch, Verschollenen gleich, die keinen Bevollmächtigten beauftragt hatten. Denn nach Erlöschen der Vollmacht sollten die voraussichtlichen Erben die vorläufige Besitzeinweisung beantragen können. Durch die vorläufige Besitzeinweisung sollte den voraussichtlichen Erben des Verschollenen die Verwaltung des Vermögens übertragen werden. 12h Gerade das, meinte Regnier, habe der Verschollene aber verhindem wollen. 127 Napoleon warf daher die Frage auf, ob den Gerichten die Befugnis erteilt werden sollte, die erloschene Vollmacht zu verlängern, um den Verschollenen, der vorsorge, besserzustellen und zu verhindern, daß seine Erben sein Vermögen bereits nach filnf Jahren vorläufig in Besitz nehmen und verwalten könnten. 128 Portalis griffNapoleons Idee aufund meinte, sie sei realisierbar. Er wies aber auf die Nachteile einer solchen Regelung hin. "Toute faveur doit etre pour l'absent; ses heritiers n'en peuvent avoir que dans Ia consideration de son interet: il ne faut donc pas Ies soumettre a restituer vingt annees de jouissance; ils ne voudraient pas se charger d'administrer, s'ils etaient exposes a une semblable restitution: or, comme on mime les hommes par leur interet, il convient de donner aux heritiers de l'absent quelques avantages qui Ies determinent a se rendre administrateurs de ses biens. Mais ceci est etranger a I' idee mise en avant par Je premier consul. 11 peut etre dans l'interet d'un absent, tantöt que Ia procuration qu'il a Iaissee soit prorogee, tantöt qu'elle cesse d'avoir ses effets: il Locre II 219 f. Vgl. Locre II 226. 126 Art. 125 Code civil: "La possession provisoire ne sera qu ' un depöt qui donnera ä ceux qui l'obtiendront, l'administration des biens de l'absent, et qui les rendra comptables envers lui, en cas qu'il reparaisse ou qu'on ait de ses nouvelles." 127 Regnier in Locre II 225. 128 Napoleon in Locre II 225. 124

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convient donc de donner au tribunal Je droit de proroger Ia procuration, ou d'appeler les heritiers a Ia place du fonde de pouvoir." 129 Die von Napoleon entwickelte und von Portalis "gebilligte" Idee wurde in Artikel 10 des dritten Entwurfs 130 formuliert und ging in Artikel 122 des Code civil ein. Der Richter sollte jedoch nicht filr dreißig, sondern über zehn Jahre hinweg befugt sein, Verwaltungsmaßnahmen filr den Verschollenen zu treffen: Artikel 121 Code civil: "Si l'absent a laisse une procuration, ses heritiers presomptifs ne pourront poursuivre Ia declaration d'absence et l'envoi en possession provisoire, qu'apres dix annees revolues depuis sa disparition ou depuis ses demieres nouvelles." Artikel 122 Code civil: "II en sera de meme si Ia procuration vient a cesser; et, dans ce cas il sera pourvu a l'administration des biens de l'absent, comme il est dit au chapitre I.er du present titre." 131

Auch hier griff Portalis einen Gedanken Napoleons auf und entwickelte ihn. Portalis wollte dem Einzelnen möglichst große rechtsgeschäftliche Freiheiten gewähren. cc) Artikel 124 Code civil Napoleon forderte eine Bestimmung zum Schutz der Frauen von Verschollenen. Sie sollte verhindern, daß die Frauen der Verschollenen von den Erben, die vorläufig in den Besitz des Verschollenen eingewiesen wurden, aus ihren Häusern verwiesen wurden. Portalis warf die Frage auf, ob die Erben des Verschollenen gezwungen sein sollten, die (eheliche) Gütergemeinschaft (communaute') - in die sie durch die vorläufige Besitzeinweisung eintreten würden - aufrechtzuerhalten. 132 Nach dem Entwurf traten die Erben automatisch in die GUtergemeinschaft ein. Artikel 13 des zweiten Entwurfs gab dem Ehegatten des Verschollenen nur das Recht, die durch die vorläufige Besitzeinweisung zwischen den Erben und ihr entstehende Gütergemeinschaft vorläufig aufzulösen: m Artikel 13 des zweiten Entwurfs: "Lorsque !es heritiers presomptifs auront obtenu l'envoi en possession provisoire, l'epoux de l'absent pourra demander Ia dissolution provisoire de Ia communaute, et exercer egalement, a titre de provision, tous les droits resultant de son cantrat de mariage a Ia charge de donner caution." 134

Portalis in Locre II 227. Vgl. ArtikeiiO des dritten Entwurfs in Locre II 232. 131 Locre II 201. 132 Locre II 228. 133 Defermon in Locre II 228. 134 Locre II 219. 129

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Napoleon meinte, das Schicksal der Ehefrau sei zu bedrückend, wenn sie wegen der Abwesenheit ihres Mannes die mit der Ehe verbundenen Vorteile verliere. Tronchet schlug daraufhin vor, der Ehefrau die Verwaltung des Vermögens des Verschollenen zu überlassen und eine vorläufige Besitzeinweisung zugunsten der Erben auszuschließen. 135 Portalis befiirwortete eine solche Regelung. Auch er hielt die Frau fiir schützenswert. Wieder136 verwies er auf das Prinzip, daß der Verschollene weder als tot noch als lebendig gelten könne. Leben und Tod müßten vielmehr bewiesen werden. Er trat dafilr ein, die der Frau günstigste Regelung zu treffen. "A l'egard de Ia femme, toutes !es fictions qui Ia favorisent peuvent etre adoptees: son mariage conserve de plein droit tous ses caracteres; mais on peut, suivant son interet, laisser subsister Ia communaute ou Ia rompre, ouvrir son douaire, enfin admettre tout ce qui lui conserve ses avantages."m Portalis' Gedanke, der Ehefrau die ihr im Einzelfall günstigste Regelung zu ermöglichen, wurde in Artikel 12 des dritten Entwurfs eingearbeitet. Und auch Artikel 124 Code civil verwirklichte ihn fiir den Fall, daß die Ehegatten im Güterstand der Gütergemeinschaft lebten: Artikel 124 Code civil: "L'epoux commun en biens, s'il opte pour Ia continuation de Ia communaute, pourra empecher l'envoi provisoire et l'exercice provisoire de tous les droits subordonnes a Ia condition du deces de l'absent, et prendre ou conserver par preference l'administration des biens de l'absent. Si l'epoux demande Ia dissolution provisoire de Ia communaute, il exercera ses reprises et tous ses droit legaux et conventionnels, a Ia charge de donner caution pour les choses susceptibles de restitution. La femme, en optant pour Ia continuation de Ia communaute, conservera le droit d'y renoncer ensuite."m

dd) Artikel 127 Code civil Nach Artikel 15, Satz 2 des dritten Entwurfs sollte der Verschollene, der filnfzehn oder mehr Jahre nach seinem Verschwinden wieder auftauchte, gegen die mutmaßlichen Erben, die vorläufig in den Besitz eingewiesen worden waren, filr eine Übergangszeit einen Anspruch auf Unterhaltsleistung haben: Artikel 15 der dritten Redaktion: "Dans tous les cas, tous ceux qui auront joui des biens de l'absent par suite de l'envoi provisoire. seront decharges apres quinze ans revolus depuis Ia disparition de l'absent ou ses dernieres nouvelles de I'obligation de lui rendre campte des revenus echus pendant Ieur jouissance. Le tribunal accordera

Tronchet in Locre II 228; vgl. auch Boulay in Locre II 228. Siehe oben S. 78. 137 Portalis in Locre II 229. 138 Locre II 202. 135

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seulement a l'absent, sur lesdits revenus, une somme convenable pour subvenir a ses premiers besoins." 139

Fraglich war, ob die Zahlungspflicht der mutmaßlichen Erben Gesamt- oder Teilschuld sein sollte. Nach dem Code civil lag eine Gesamtschuld nur vor, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmte. Artikel 15 enthielt seine solche Bestimmung nicht. Er sah daher eine Teilschuld vor. 140 Portalis forderte als einziges Staatsratsmitglied die Gesamtschuldlösung. Denn der Anspruch solle den Unterhalt sicherstellen. Bei der Teilschuldlösung wäre der Verschollene in seiner Existenz gefllhrdet. Für die Teilschuldlösung trat dagegen Real ein. Er sagte, die Gesamtschuldlösung sei ungerecht, weil sie einen Erben u.U. dazu verpflichte, mehr zu zahlen, als er erhalten habe. Die Folgen der Abwesenheit dürften jedoch nur den Abwesenden, nicht aber den Erben treffen. Portalis entgegnete, Real übersehe, daß nicht alle Verschollenen absichtlich fernblieben und ihr Verschwinden Dritten häufig erhebliche Vorteile brächten." 141 Portalis ruhrte weiter aus, daß die Erben, bevor sie die Zahlungspflicht treffe, infolge der vorläufigen Besitzeinweisung bereits erheblichen Nutzen aus dem Vermögen des Verschollenen gezogen hätten. Verglichen mit diesen Vorteilen sei die mit der Zahlungspflicht eintretende Belastung gering. "Suivant l'article, les secours sont exiges apres dix 142 ans de jouissance: ainsi chaque heritier profiterait des fruits per~us pendant neuf annees." 143 Außerdem handele es sich nur um Beistand und Unterhalt, die der Verschollene eigentlich mit seinem Vermögen bestreiten könnte. "11 serait fächeux que Ia loi obligeät celui qui a Je droit de vivrede ses biens, a mourir de besoin en attendant qu'il ait trouve ceux qui doivent le nourrir." 144 Dagegen wandte Regnier ein, daß kein Erbe seine Miterben frei auswähle, er also auch filr deren Zahlungsfllhigkeit nicht haftbar gemacht werden dürfe.145 Portalis wiederum entgegnete, die Zahlungspflicht sei den Erben bekannt gewesen, als sie sich vorläufig in den Besitz des Locre II 233. Dies bestätigte Regnier, der meinte, wenn eine Gesamtschuld gewollt sei, müsse der Gesetzestext dies festsetzen; Locre II 237. Zur Abgrenzung von Gesamt- und Teilschuld nach dem Code civil siehe Art. 1202 Code civil ("La solidarite ne se presume point; il faut qu'elle soit expressement stipulee. Cette regle ne cesse que dans les cas ou Ia solidarite a lieu de plein droit. en vertu d'une disposition de Ia loi") und Laurent, Bd. 17, Rn. 287 (S. 288 f.). 141 Portalis in Locre II 237. 142 Die Verschollenheitserklärung konnte frühestens 5 Jahre nach dem Verschwinden des Verschollenen ergehen. Wurden die mutmaßlichen Erben zum erstmöglichen Zeitpunkt (5 Jahre nach dem Verschwinden des Verschollenen) vorläufig in den Besitz eingewiesen, so hatten sie 15 Jahre nach dem Verschwinden des Verschollenen dessen Vermögen I 0 Jahre im Besitz gehabt. 143 Portalis in Locre II 23 7. 144 Portalis in Locre II 23 7. 145 Regnier in Locre II 237. 139

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Verschollenen einweisen ließen. Es sei wahrscheinlich, daß die Erben in diese Zahlungspflicht fonneU eingewilligt hätten, wenn man sie gefragt hätte, als sie die Einweisung in den vorläufigen Besitz beantragten. 146 Portalis' konnte sich nicht durchsetzen. Der Staatsrat entschied gegen die Gesamtschuldlösung. 147 Auf Verlangen des Tribunats 148 wurde Artikel 15 in der Folge völlig umgestaltet und dem Verschollenen statt eines Anspruchs auf Unterhalt ein Anspruch auf einen Teil des Ertrags seines Vennögens gewährt (Artikel 127 Code civil). 14~ Auch Artikel 127 sah aber keine Gesamtschuld vor. 5. Fünfter Titel "Von der Ehe"

a) Das Eherecht im Ancien Regime Ungeftihr bis ins zehnte Jahrhundert war die Ehe in Frankreich ein zivilrechtlicher Vertrag, über dessen Gültigkeit und Rechtsfolgen staatliche Richter urteilten. Kirchliche Vorschriften, die neben zivilrechtliehen bestanden, waren nicht verbindlich. Im zehnten Jahrhundert konnte die Kirche von den Wirren der Zeit profitieren und die Rechtsprechung in Fragen der Ehe an sich ziehen. Kirchliche Vorschriften wurden verbindlich. Bis dahin hatte man als Zweck der Ehe die Erzeugung von Nachkommen und die Begründung von Beistandspflichten zwischen den Eheleuten in der Lebensgemeinschaft gesehen. Das Kirchenrecht sah in der Ehe darüber hinaus ein Mittel zur Verhinderung von Ausschweifungen und ein Sakrament, einen religiösen Akt, der die Vereinigung von Christus und der Kirche symbolisierte. Geleitet von diesen Ideen regelte die Kirche Ehevoraussetzungen, Ehehindernisse, Eheschließung und Ehescheidung.150 Mit der Refonnation und dem Erstarken der absoluten Monarchie nahm die Macht der Kirche allmählich wieder ab. Die neue, wahrscheinlich von Thomas von Aquin begründete Theorie verstand die Ehe zugleich als zivilrechtliehen Vertrag und als Sakrament. Danach fielen die zivilrechtliehen Fragen in die Zuständigkeit des staatlichen Gesetzgebers und der staatlichen Gerichte, die religiösen Fragen in die Zuständigkeit der Kirche und ihrer Gerichte. Gestützt auf diese Lehre begannen die Könige seit dem 16. Jahrhundert zunehmend zivilrechtliche Ehegesetze zu erlassen. Dabei übernahm das staatliche Recht den Portalis in Locre II 237. Locn! II 237. 14K Vgl. die Anmerkungen der Gesetzgebungssektion des Tribunats in Locre II 246. 14~ Vgl. Artikel 16 des überarbeiteten Entwurfs (Locre II 248) und Artikel 127 Code civil: "Ceux qui, par suite de l'envoi provisoire, ou de l'administration legale, aurontjoui des biens de l'absent, ne seront tenus de lui rendre que le cinquieme des revenus, s'il reparait avant quinze ans n!volus depuis le jour de sa disparition; et le dixieme, s'il ne reparait qu'apres les quinze ans. Apres trente ans d'absence, Ia totalite des revenus leur appartiendra.'' V gl. den etwas abweichenden Wortlaut, den Locre II 127 abdruckt. 150 Brissaud. S. 1008 ff. 146 147

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größten Teil der kirchenrechtlichen Vorschriften. Die staatlichen Gerichte begannen, zwischen zivilrechtliehen und religiösen Fragen der Ehe zu unterscheiden und die zivilrechtliehen selbst zu entscheiden. Die Entwicklung dauerte bis 1789 an, dabei verdrängten die staatlichen Gerichte die kirchlichen fast vollständig. 1s1 Dennoch galten Kirchenrecht und staatliches Recht auch noch am Ende des Ancien Regime theoretisch nebeneinander. Insgesamt galt im Ancien Regime ein strenges Eherecht. Dort, wo sich das Kirchenrecht liberal zeigte und Eheschließungen zu erleichtern suchte, war das Zivilrecht streng. Während zum Beispiel das Kirchenrecht die Einwilligung der Eltern nicht verlangte, war nach dem Zivilrecht die Einwilligung der Eltern bis zum 30. Lebensjahr des Sohnes bzw. 25. Lebensjahr der Tochter erforderlich. 1s2

b) Das revolutionäre Eherecht Mit der Ausrufung der Religionsfreiheit und der Säkularisation endete die enge Verknüpfung von Kirche und Staat.' 53 Aus der Sicht der Revolutionäre war die Ehe nur ein zivilrechtlicher Vertrag und kein Sakrament. Sie wollten die Freiheit des Einzelnen wiederherstellen, d.h., ihn von der väterlichen Gewalt, der Macht der Lehensherrn, der Kirche und des Königs befreien. Der Ehevertrag sollte, soweit möglich, an gewöhnliche Verträge angeglichen und die Voraussetzungen filr die Eheschließung sollten möglichst gering gehalten werden. 1s4 Daher wurden die kirchenrechtlichen Ehehindernisse, wie die Verlobung, die geistliche Verwandtschaft, das Verbot der Ehe zwischen Verwandten des 4. kanonischen Grades und die zivilrechtliehen Ehevoraussetzungen wie das Erfordernis der elterlichen Einwilligung und der gleichen Religionszugehörigkeit beider Eheleute aufgehoben. Das Dekret vom 20. September 1792 verbot nur noch die Ehe zwischen Geschwistern und zwischen Verwandten in gerader Linie bzw. deren Eheleuten. Es beschränkte die Förmlichkeiten auf eine einmalige Veröffentlichung acht Tage vor der Heirat. Erforderlich blieb jedoch die förmliche Eheschließung. Der Ehevertrag war damit zwar von seinen religiösen Elementen befreit; er blieb aber an bestimmte Formen gebunden. Ein formloser Vertrag reichte nicht aus.'ss Darüber hinaus erlaubten die Revolutionäre die Priesterehe 1s6 und die Ehescheidung.' 57

Brissaud, S. 1008 ff.; Lepointe, Droit romain et ancien droit, Rn. 680 ff. (S. 352). Sagnac, S. 277 m.w.N. 1s3 Vgl. dazu Soboul, S. 171. Zur "religiösen Frage" siehe Soboul, S. 143 f. 1s4 Sagnac, S. 278. 155 Sagnac, S. 279. 156 Dazu Sagnac, S. 282. 1s7 Zur Ehescheidung siehe unten E III 6. 151

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c) Die Rechtsnatur der Ehe und die Bedeutung des Kirchenrechts

Den Grundsätzen der Religionsfreiheit und Säkularisation folgend wurde das Eherecht abschließend im Code civil geregelt. 15s Portalis erhob keine Bedenken gegen die rein zivilrechtliche Regelung der Ehe. Seine eigene Definition der Ehe war jedoch religiös geprägt. "Ce contrat n'est pas purement civil, quoi qu'en disent Ies jurisconsultes; il a son principe dans Ia nature, qui a daigne nous associer en ce point au grand ouvrage de Ia creation; il est inspire et souvent commande par Ia nature meme. Ce contrat n'est pas non plus un pur acte religieux, puisqu'il a precede l'institution de tous les sacremens et l'etablissement de toutes les religions positives, et qu'il date d'aussi Ioin que l'homme. Qu'est-ce donc que Je mariage en lui-meme, et independamment de toutes Ies Iois civiles et religieuses? C'est Ia societe de l'homme et de Ia femme, qui s'unissent pour perpetuer Ieur espece, pour s'aider, par des secours mutuels, a porter Je poids de Ia vie, et pour partager leur commune destinee ... Le mariage est un acte naturel, necessaire, institue par Je Createur." 159 Wenn man, wie Portalis, in der Ehe einen von Gott geschaffenen Vertrag sieht, so liegt es nahe, dieses Institut auch den kirchlichen Gesetzen zu unterwerfen. Diesen Schluß zog Portalis nicht. Er selbst war gläubiger Katholik und sein Eheverständnis war religiös geprägt. Aber er respektierte die Religionsfreiheit anderer Menschen und stimmte einer zivilrechtliehen Regelung der Ehe zu. d) Erstes Kapitel .. Von den zur Eheschließung erforderlichen Eigenschaften und Voraussetzungen"

aa) Artikel 3 des ersten Entwurfs Artikel 3, Nr. 2 des ersten Entwurfs übernahm die Regelung einer Deklaration von 1736 160 und erklärte die von Geburt an Taubstummen grundsätzlich filr unfiihig, eine Ehe einzugehen. Sie sollten nur eheflihig sein, wenn festgestellt wurde, daß sie zur Abgabe von Willenserklärungen in der Lage waren. Artikel 3, Nr. 2 sah also eine Beweislastumkehr zu Lasten Taubstummer vor: Artikel 3, Nr. 2 des ersten Entwurfs: .,Sont incapables de contracter mariage, I 0 ... ; 2° Les sourd-muets de naissance, a moins qu'il ne soit constate qu'ils sont capables de manifester leur volonte; 3° ..."

158 Portalis in Locre II 381. Dementsprechend stellte Artikel I des ersten Entwurfs deklaratorisch fest: "La loi ne considere Je mariage que sous ses rapports civils" (Locre II 311 ). Die Mehrheit des Staatsrats meinte jedoch, es sei überflüssig, einen eindeutigen und unbestreitbaren Grundsatz festzustellen, und strich Artikel I (Locre in Locre II 279; vgl. Real in Locre II 312). 159 Portalis in Locre II 380 f. 160 Real in Locre II 314.

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Napoleon eröffuete die Diskussion über Artikel 3 mit der Frage, weshalb den Taubstummen verboten werde, zu heiraten. Wie jeder andere Vertrag werde auch die Ehe durch übereinstimmende Willenserklärungen geschlossen. Auch Taubstumme seien fllhig, ihren Willen zu äußern. Warum sollte es ihnen erschwert werden, eine Ehe einzugehen? 161 Dieser Kritik folgte Portalis. Er schlug vor, Grundsatz und Ausnahme in Artikel 3, Nr. 2 umzukehren: "La n!daction de l'article doit etre renversee; au lieu d'etablir un principe generat que les sourd-muets ne pourront passe marier; et de ne leur en donner que Ia capacite par voie d'exception, il conviendrait, au contraire, de poser Ia regle generate que les sourds-muets sont capables de se marier, et de convertir ensuite en exceptions les incapacites particulieres ou ils peuvent se trouver." 162 Portalis' Vorschlag traf auf den Widerstand Tronchets. Tronchet meinte, die Regelung des Entwurfs sei zum Schutz Taubstummer notwendig. Taubstumme müßten beweisen, daß sie die aus dem Ehevertrag gegenüber der Ehefrau, den Kindem und der Gesellschaft folgenden Pflichten kennten. In der Regel hätten nur gebildete Taubstumme diese Kenntnisse. Meist bestimme nicht die Zuneigung, sondern das Interesse den Willen, eine Person zu heiraten, die eine so schwere Behinderung aufweise. Taubstumme müßten daher davor geschützt werden, zur Abgabe einer Erklärung, deren Rechtsfolgen sie nicht übersähen, verfUhrt zu werden. 163 Portalis hielt an seiner Auffassung fest. Für ihn war die Vertragsfreiheit ein wertvolles Gut, in das nicht über das erforderliche Maß hinaus eingegriffen werden dürfe. Portalis sah die von Tronchet beschriebenen Gefahren, die eine Ehe ft1r Taubstumme in sich barg. Dennoch meinte er, der Entwurf gehe über das erforderliche Maß hinaus. Denn er belaste auch die Taubstummen, die fähig seien, Willenserklärungen abzugeben: "La loi n'a pas Je pouvoir de changer Ia nature ni Ia destinee des hommes. Celle du sourd-muet l'expose inevitablement, par rapport au mariage, a divers dangers dont Ia loi ne l'affranchira jamais. Elle doit donc se bomer a Je declarer incapable de se marier, lorsqu'il ne peut manifester son consentement: si elle se rend plus difficile, elle met le sourd-muet dansunetat d'interdiction plus penible meme qu'un mariage hasarde." 164 Portalis wollte allen Menschen die eigene Lebensgestaltung möglichst selbst überlassen. Die damit besonders ftlr Taubstumme einhergehenden Risiken wollte er in Kauf nehmen.

Napoleon in Locre II 314. Portalis in Locre II 314 f. 163 Tronchet in Locre II 315. 164 Portalis in Locre II 315. 161

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Der Staatsrat strich Artikel 3 Nr. 2. 165 Daher enthielt der Code civil keine Beweislastumkehr zu Lasten Taubstummer. Erforderlich war nur ein Vertrag. 166 Hier konnte Portalis den Code civil also beeinflussen. bb) Artikel 162 ff. Code civil Das römische Recht verbot Ehen zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen Geschwistern, Onkel und Nichte, Tante und Neffen, Onkel und Tante in loco parentium, in späterer Zeit auch zwischen Schwager und Schwägerin sowie Cousin und Cousine. 167 Das Kirchenrecht verschärfte die Verbote nach und nach. Das Konzil von Douzy (874) verbot selbst Ehen zwischen Verwandten des siebten kanonischen Grades. Den Endpunkt der kirchenrechtlichen Entwicklung bildete das 4. Laterankonzil (1215), das die Grenze auf den vierten kanonischen Grad festlegte. Dieses, noch immer harte Verbot galt in Frankreich bis zur Revolution. Das revolutionäre Gesetz vom 20. September 1792 verwirklichte dann das entgegengesetzte liberale Extrem und verbot nur noch Ehen zwischen Verwandten in direkter Linie und Geschwistem.168 An dieses Gesetz vom 20. September 1792 knüpfte der erste Entwurf zum Code civil an: Artikel 13 des ersten Entwurfs: En ligne directe, Je mariage est prohibe entre les parens legitimes ou naturels, et les allies au meme degre." Artikel 14 des ersten Entwurfs: "En collaterale, le mariage est prohibe entre le frere et Ia sreur legitimes ou naturels." 169 Portalis forderte die Erweiterung der vom Entwurf vorgesehenen Eheverbote zwischen Verwandten im Sinne des römischen Rechts. Er sagte, der Grund fUr das zivilrechtliche Verbot von Ehen zwischen Verwandten in der Seitenlinie (collateraux) sei das Interesse, Eheschließungen zu tOrdem und der Degeneration der Rasse vorzubeugen. Ferner sei das Verbot notwendig, um den Verfall der Sitten zu verhindern. Denn der Verfall der Sitten werde erleichtert, wenn die Schande familiärer Beziehungen leicht durch eine Heirat verdeckt werden könnte. Zudem, betonte Portalis, gingen die Eheverbote nicht auf kirchliche Gesetze zurUck: Zuerst habe Theodosius die Ehe zwischen Tante und Neffe verboten. Die kirchlichen Gesetze hätten dieses Verbot erst sehr spät übernommen.

165 Locre li 315. 166 Vgl. Artikel 146 Code civil: "II n'y a pas mariage lorsqu'il n'y a point de consentement." Locre li 284. 167 Zur Entwicklung der Eheverbote im römischen Recht siehe Kaser. Das römische Privatrecht, I. Abschnitt, § 74 I 5 (S. 269 f.) und 2. Abschnitt, § 2 I 7. 5 (S. I 13 f.). 168 Baudry-Lacantinerie/Houques-Fourcade, Band 2, Rn. 1535 (S. 156fT.). 169Locre II 3 12.

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Portalis forderte außerdem Dispensmöglichkeiten. Dispense, sagte er, seien zunächst nur vom Souverän erteilt worden, und später hätten die Fürsten den Papst nur deshalb um Dispense ersucht, weil sie sich nicht selbst von ihren eigenen Gesetzen befreien wollten. Eheverbote und Dispense seien daher zivilrechtliche Regelungen. Er sehe keine Gründe, die fiir die Einschränkung dieser Verbote und Dispensmöglichkeiten sprächen. 170 Emmery erläuterte daraufhin den Enwurf. Man habe die seit der Revolution bestehende Rechtslage beibehalten wollen, um Ehen, die seit der Revolution geschlossen worden seien, nicht durch eine strengere Regelung in Frage zu stellen. Allerdings befiirworte auch er ein Verbot der Ehe zwischen Neffen und Tante. Denn der Respekt, den der Neffe der Tante, die in gewisser Hinsicht seine Mutter ersetze, schulde und der Respekt, den die Tante dem Neffen als ihrem Mann schulde, seien schwer miteinander zu vereinbaren. Ein vergleichbares Problem bestehe aber nicht zwischen Onkel und Nichte. Auch bestehe kein Grund, die Ehe zwischen Schwager und Schwägerin zu verbieten. 171 Boulay befiirchtete, daß die Zulassung der Ehe zwischen Schwager und Schwägerin die Geschwister veranlassen könnte, die Scheidung der Ehe ihrer Geschwister zu provozieren. 171 Und Cambaceres wies darauf hin, daß Gesetze nicht zurückwirkten und der Code civil daher Ehen, die vor seinem lnkrafttreten geschlossen worden seien, nicht berühre. 173 Der Staatsrat folgte schließlich Portalis' Vorstellungen. Er beschloß weitreichende Eheverbote und großzügige Dispensmöglichkeiten. [n den Artikeln 162 - 164 Code civil wurden dementsprechend Eheverbote zwischen Onkel und Nichte sowie zwischen Tante und Neffen vorgesehen, jeweils mit der Möglichkeit des Dispenses. Zudem verbot Artikel 162 Code civil Schwager und Schwägerin die Ehe ohne Dispensmöglichkeit Portalis konnte damit seine am römischen Recht orientierten und das revolutionäre Recht ablehnenden Vorstellungen durchsetzen. Artikel 162 Code civil: "En ligne collaterale. Ie mariage est prohibe entre le frere et Ia sreur legitimes ou naturels. et les allies au meme degre." Artikel 163 Code civil: "Le mariage est encore prohibe entre l'oncle et Ia niece, Ia tante et le neveu." Artikel 164 Code civil: ,.Neanmoins le Gouvernement pourra, pour des causes graves, Iever les prohibitions portees au precedent article." 174

Portalis in Locre II 319; vgl. auch Portalis' expose de motifs, in Locre II 384. Emmery in Locre II 319. 172 Boulay in Locre II 319. 173 Cambaceres in Locre li 320. 174 Der bei Locre II 289 f. abgedruckte Wortlaut ist redaktionellleicht überarbeitet. 1711

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e) Zweites Kapitel .. Von den die Eheschließung betreffenden Förmlichkeiten"- Artikel 169 Code civil Um Dritten zu ermöglichen, gegen eine Ehe Ehehindernisse vorzutragen, l7l sollten Ehen nur öffentlich geschlossen werden können. 176 Außerdem sollte einer Eheschliessung nach Artikel 3 des ersten Entwurfs ein Aufgebotsverfahren vorausgehen, das zwei Veröffentlichungen vorsah. 177 Von beiden Veröffentlichungen sollten die Eheleute aber nach Artikel 5 des ersten Entwurfs bei "schwerwiegenden Gründen" befreit werden können: Artikel 5 des ersten Entwurfs: .,Le gouvernement, ou ceux qu'il proposera a cet effet, pourront, pour des causes graves, dispenser desdites publications." 178

Bei dieser Regelung dachte man vor allem an Soldaten, Botschafter und andere Funktionäre, die von der Regierung zur sofortigen Abreise geordert wurden, wenn sie im Begriff standen zu heiraten. Ohne die Dispensmöglichkeit hätte die unverzügliche Abreise die Einhaltung der Aufgebotsfristen und damit die Heirat verhindert. Gegen Artikel 5 wurde jedoch eingewandt, daß das Dispenssystem zu Mißbräuchen führen würde, ohne Vorteile zu eröffnen. Daher wandte sich Berlier gegen die Zulassung von Dispensen. Er sagte, nach der vorgeschlagenen Regelung bestehe die Gefahr, daß Dispense allzu freizügig erteilt und daher die meisten Ehen heimlich geschlossen würden. Auch bestehe kein Bedürfuis für Dispense, wie die letzten zehn Jahre, in denen keine Dispense mehr erteilt worden seien, gezeigt hätten. 179 Portalis verteidigte das Dispenssystem des Entwurfs. Er berief sich auf die Tradition der Dispense: "L'utilite des dispenses a ete universellement reconnue dans tous les temps, dans tous les pays, dans tous les cultes: il faut donc en maintenir l'usage." Berlier hatte gefordert, das Gesetz müsse, um Mißbräuche zu verhindern, den Tatbestand so präzise umschreiben, daß dem Gesetzesanwender kein Entscheidungsspielraum bleibe. Portalis dagegen meinte, der Regierung müsse Entscheidungsspielraum eingeräumt werden: "Comme jamais Ia loi ne pourra se plier a toutes les circonstances, il faut bien une main qui l'assouplisse ... La loi qui n'a ni yeux ni oreilles, doit pouvoir etre modifiee d'apres ce que Tronchet in Locre II 323. Vgl. Artikel I des ersten Entwurfs und Artikel 165 Code civil in Locre II 291. 177 Zum Inhalt der Veröffentlichung siehe Artikel 63 Code civil: "Avant Ia celebration du mariage, I'officier de l'etat civil fera deux publications. a huit jours d'intervalle, un jour de dimanche, devant Ia porte de Ia maison commune. Ces publications, et l'acte qui en sera dresse, enonceront les prenoms, noms, professions et domiciles des futurs epoux, leur qualite de majeurs ou de mineurs, et les prenoms, noms, professions et domiciles de leurs peres et meres. Cet acte enoncera, en outre, !es jours, lieux et heures ou les publications auront ete faites: il sera inscrit sur un seul registre. qui sera cote et paraphe comme il est dit en article 41, et depose, a Ia fin de chaque annee, auf greffe du tribunal de l'arrondissement." Locre II 15. 17x Locre II 322. 179 Berlier in Locre II 324. 175

176

E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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l'equite exige, suivant les circonstances et suivant les inconveniens qu'elle produit dans les cas particuliers. On n'en a jamais vu des pays bien gouvernes par des hommes sans concours des hommes. "uo Portalis vertraute dem Gesetzesanwender. Daher zog er hier einen generalklauselartigen und daher flexiblen Tatbestand vor. Unmittelbar nach Portalis' Rede beschloß der Staatsrat, bei "schwerwiegenden Gründen" Dispense filr die zweite Veröffentlichung vorzusehen. 181 Diese Entscheidung wurde in Artikel 169 Code civil übernommen: Artikel 169 Code civil: "Le Gouvernement. ou ceux qu'il pn!posera pourront, pour des causes graves, dispenserde Ia seconde publication."

a cet

effet,

j) Viertes Kapitel .. Von Klagen aufNichtigkeit der Ehe " 182 aa) Artikel 183 Code civil Nach dem Entwurf sollten Männer, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, und Frauen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, eine Ehe nur mit Zustimmung ihrer Eltern oder, wenn diese verstorben waren, anderer Verwandten eingehen können. 183 Ehen, die ohne die erforderliche Zustimmung geschlossen wurden, sollten anfechtbar sein. Die Anfechtungsfrist sollte ein Jahr betragen und zu laufen beginnen, wenn die anfechtungsberechtigten Personen von der Eheschließung Kenntnis erlangten: Artikel 5 des zweiten Entwurfs: "L'action en nullite ne peut plus etre intentee ni par les epoux, ni par les parens dont Je consentement etait requis, toutes les fois que Je mariage a ete approuve expressement ou tacitement par ceux dont le consentement etait necessaire, ou lorsqu'il s'est ecoule une annee sans reclamation de leur part, depuis qu'ils ont eu connaissance du mariage." 184

Real wandte gegen diese Regelung ein, daß sie dem Vater ermögliche, die Ehe seines Sohnes zu trennen, auch wenn sein Sohn schon ein fortgeschrittenes Alter erreicht habe und seit langem verheiratet sei. Außerdem sei die Auflösung der Ehe unnötig, da der Sohn die Frau, die zu verlassen man ihn zwinge, erneut heiraten könne 185 (da er dann ein Alter erreicht habe, in dem er zur Eheschließung der Zustimmung Dritter nicht mehr bedürfe). Portalis dagegen Portalis in Locre li 325. Locre li 325. 182 Das vierte Kapitel des Code civil entspricht dem dritten Kapitel, zweiter Abschnitt des zweiten Entwurfs. Das dritte Kapitel des Entwurfs ("Des Oppositions aux mariages et des demandes en nullite") wurde im Verlauf der Staatsratsdebatten in zwei Kapitel aufgeteilt (Kapitel 3 und 4 des Code civil); vgl. Locre II 327 und II 293 ff. 183 Vgl. Artikel 148 ff. Code civil in Locre II 285. 184 Locre II 350. 185 Real in Locre li 354. 180 181

III. Erstes Buch ,.Von den Personen"

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meinte, die Regelung sei erforderlich, da sie der Durchsetzung des Zustimmungserfordernisses diene und damit die Autorität des Vaters stärke. "Les inconveniens, qui serons toujours rares, ne doivent pas l'emporter sur J'utilite de maintenir Je respeCt dU!\ J'aUtOritC patemelle." 186 Den Staatsrat überzeugte Portalis' Argument. Er beschloß Artikel 5 des Entwurfs, der als Artikel 183, Satz I in den Code civil einging. 187 Ein weiteres Mal trug Portalis zur Stärkung der väterlichen Gewalt und zur Wiederherstellung der vorrevolutionären, an das römische Recht angelehnten Familienhierarchie bei. bb) Artikel 15, Satz 3 des zweiten Entwurfs Artikel 15, Satz 3 des zweiten Entwurfs ermächtigte und verpflichtete die Staatsanwaltschaft, Personen, die im Konkubinat lebten und sich Ehestatus anmaßten, zu trennen: Artikel 15 des zweiten Entwurfs: .,N ul ne peut reclamer le titre d 'epoux et Ies effets civils du mariage, s' il ne represente un acte de ceh~bration inscrit sur le registre de I' etat civil. La possession d'etat 188 ne peut, a l'egard des pretendus epoux, suppleer Ia representation de ce titre, ni faire admettre le preuve testimoniale de Ia celebration du mariage, si ce n' est dans Ies cas prevus par Ia loi du 2 floreal an lii, sur Ia perte des registres de l'etat civil; encore que les pretendus epoux exhibassent un cantrat de mariage, et nonobstant toute reconnaissance et declaration contraire emanee des deux epoux ou de l'un d'eux.

Le commissaire du gouvernement doit poursuivre par Ia voie de Ia police correctionelle, et forcer de se separer, ceux qui s'honorent ainsi du faux titre d'epoux, et qui couvrent leur concubinage du voile respectable du mariage." 189

Portalis in Locre li 354. Vgl. Locre li 297. 188 Baudry-Lacantinerie/Houques-Fourcade, Band 2, Rn. 1943 (S. 491 f.) definieren possession d'etat (Statusbesitz) wie folgt: "La possession d'etat d'epoux legitimes est Ia situation dont jouissent effectivement deux personnes qui ont porte Je meme nom, vecu publiquement comme mari et femme, et qui ont ete acceptees comme telles dans leur familles et dans Ia societe (nomen. tractatus, fama). Les principaux faits dont eile resulte sont, par analogie avec ceux qui sont constitutifs de Ia possession d'etat d'enfants legitimes (art. 321): 1° que !es pretendus epoux se sont comportes l' un a l'egard de l'autre comme si ce titre leur appartenait reellement, cohabitant ensemble, connus sous le nom du mari, et se presentant en toute circonstance, dans les actes publies comme dans !es relations de Ia vie privee, comme epoux legitimes; 2° qu'ils ont ete consideres comme tels dans leurs familles respectives; 3° qu'enfin le public, se faisant l'echo de Ia famille, leur a reconnu lui-meme cette qualite." 189 Locre li 351. 186 187

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Tronchet verteidigte Satz 3 der vorgeschlagenen Regelung. Vor allem in den Großstädten, erklärte er, maßten sich Personen nicht selten ehelichen Status an. Nicht gegen diese Personen vorzugehen bedeute, Konkubinate zu erleichtem. 190 Portalis dagegen lehnte Satz 3 ab. Er meinte, diese Regelung störe den Familienfrieden und führe eine Form der Inquisition ein. Es sei gefährlich, die Staatsanwaltschaft (ministere public) zu Untersuchungen zu ermächtigen, wenn nur der Anschein einer Ehe bestehe, ohne daß eine Anzeige vorliege. Nur wenn das Konkubinat mit einem "Skandal" einhergehe, dürfe die Staatsanwaltschaft es ahnden. 191 "Une teile institution degenerait trop facilement en inquisition redoutable. A Rome Ia censure ne conserva ses bons effets qu'autant que les mreurs furent tres pures; elle ne fut plus qu'un danger, quand les vices furent plus forts que Ies censeurs. Le scandale trouble !'ordre public: alors Je ministere du commissaire du gouvemement peut se mouvoir; mais tant qu'il n'y a point trouble, ou scandale public, il doit y avoir tranquillite pour Ies particuliers." 192 Der Staatsrat trug Portalis' Kritik Rechnung und beschloß, die Vorschrift, in seinem Sinne abzuändern. 193 Der Code civil enthielt schließlich keine Ermächtigung für die Staatsanwaltschaft, gegen Konkubinate vorzugehen. cc) Artikel 197 Code civil Wollten Kinder Rechte, die nur ehelichen Kindem zustanden, geltend machen, so mußten sie ihre Ehelichkeit, d.h. die Heirat ihrer Eltern beweisen. Nach Artikel 194 Code civil konnte die Eheschließung grundsätzlich nur durch die Zivilstandsregister 194 bewiesen werden. Kinder, die die Rechte ehelicher Kinder beanspruchen wollten, mußten daher wissen, in welcher Kommune ihre Eltern geheiratet hatten. Denn nur dort war die Heirat in das Zivilstandsregister eingetragen. 195 Diese Kommune war jedoch insbesondere Kindern, die ihre Eltern nicht kannten, weil sie von ihnen früh weggegeben worden waren, nicht bekannt. Solange die Eltern lebten, konnte man sie fragen. Erheblich schwieriger war es für die Kinder, deren Eltern verstorben waren. Von den Verwandten, die Tronchet in Locn! I! 355. Vgl. auch Portalis, expose de motifs, in Locre II 393. 192 Portalis in Locre I! 355. 193 Locre I! 355. 194 Im Ancien Regime hatten die katholischen Geistlichen die Zivilstandsregister geführt. Im Zuge der Säkularisation wurde diese Aufgabe vom Staat übernommen (vgl. Baudry-Lacantinierie/ Houques-Fourcade, Band I, Rn. 789 [S. 522]). Der Code civil übernahm die Organisation der Zivilstandsregister des Gesetzes vom 20. September 1792. Danach führten kommunale Standesbeamte die Zivilstandsregister, in denen Geburt, Abstammung, Tod und Eheschließung vermerkt wurden (vgl. Artikel 34 ff. Code civil, in Locre II 4 ff.). 195 V gl. Baudry-Lacantinierie/Houques-Fourcade, Band 2, Rn. 1958 (S. 505); Laurent, Band 3, Rn. 9 (S. 18). 190 191

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ihnen das Erbe streitig machten, konnten sie keine Auskunft eiWarten. Artikel 16 des Entwurfs sah daher fiir Kinder, deren Eltern verstorben waren, eine Ausnahme vom Prinzip des Artikel 194 Code civil vor: Wenn (1.) notarielle oder privatschriftliche Urkunden die Ehelichkeit aufzeigten und von den Personen herrührten, die die Ehelichkeit der Kinder anfochten und (2.) die Kinder Statusbesitz (possession d'etat) 196 hatten, sollte die Ehelichkeit nicht mit der Nichtvorlage der Heiratsurkunde bestritten werden können: Artikel 16 des Entwurfs: "Si neanmoins. dans le cas de I'article precedent, il existe des enfans issus de deux individus qui ont vecu publiquement comme mari et femme, et qui soient tous deux decedes, Ia legitimite des enfans ne peut etre contestee sous le seul pretexte du defaut de representation de l'acte de celebration, toutes les fois que Ia possession d'etat se trouve constatee soit par des actes authentiques, soit par des actes privees, emanes de ceux qui contestent l'etat des enfans." 197

Nach Artikel 16 genügte es fiir den Beweis der Ehelichkeit nicht, daß sich die Ehelichkeit der Kinder aus der Geburtsurkunde ergab. Dies kritisierte Portalis. Er meinte, Artikel 16 sei zu streng. Die Ehelichkeit sei hinreichend bewiesen, wenn sie sich aus der Geburtsurkunde der Kinder ergebe und die Kinder mit dem Status eines ehelichen Kindes gelebt hätten: "La disposition ... est trop severe ... L'etat des enfans est suffisamment etabli par leur acte de naissance, et appuye d'une possession d'etat. Teile etait l'ancienne jurisprudence ... La loi serait injuste, si elle etait plus severe pour eux que Ia jurisprudence ancienne. Elle doit entrer dans leur situation, et ne pas exiger qu'ils representent des titres qui leur sont inconnus, puisque ces titres, s'ils existent, sont anterieurs a leur naissance. L'equite ne pennet d'exiger des enfans que !es titres qu ' ils peuvent exhiber." 191 Tronchet dagegen meinte, "korrumpierte" Menschen hätten weniger Hemmungen, ein Konkubinat einzugehen, wenn sie ihren Kindem den ehelichen Status bereits durch die Geburtsurkunde verschaffen könnten, wie Portalis es vorschlage. Auch hier konnte Portalis sich durchsetzen. Der Staatsrat änderte Artikel 16 in seinem Sinne. 199 In Artikel 197 Code civil ging daher folgende Regelung ein: Artikel 197 Code civil: "Si neanmoins, dans le cas des articles 194 et 195, il existe des enfans issus de deux individus qui ont vecu publiquement comme mari et femme, et qui soient tous deux decedes, Ia legitimite des enfans ne peut etre contestee sous le seul pretexte du defaut de representation de l'acte de celebration, toutes les fois que cette legitimite est prouvee par une possession d'etat qui n' est point contredite par l'acte de naissance." 200 196

Zurpossession d 'etat der Kinder siehe Art. 321 Code civil und oben S. 91, Fn. 188.

Locre II 351. Portalis in Locre II 355. 199 Locre 11 355. Ygl. auch Artikel41 des 3. Entwurfs in Locre II 359. 200 Locre II 301. Artikel 197 Code civil ging sogar über die von Portalis geforderte Regelung hinaus. Es genügte, wenn die Geburtsurkunde nichts Gegenteiliges belegt. Vgl. zur Auslegung von Artikel 197 Code civil Baudry-Lacantinerie/Houques Fourcade, Band 2, Rn. 1965 (S. 509). 197

19ft

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

g) Fünftes Kapitel .. Von den Pflichten, die mit der

Eheschließung entstehen" -Artikel 204 Code civil

Nach dem droit ecrit, das das römische Recht seit Justinian übernommen hatte, konnte eine Tochter von ihrem Vater eine Mitgift verlangen. Dagegen folgte das droit coutumier dem Grundsatz ne dote qui ne veut und lehnte einen solchen Anspruch ab. 201 Wie so oft im Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten mußte der Staatsrat auch hier entscheiden, welche Rechtstradition übernommen werden sollte. Artikel I, Satz 2 des ersten Entwurfs gab dem droit coutumier den Vorzug: Artikel I des ersten Entwurfs: "Les epoux contractent ensemble, par le fait seul du mariage, l'obligation de nourrir. entretenir et eiever leurs enfants. L'enfant n ' a point d'action contre ses pere et mere pour un etablissement par mariage ou autrement."202

Maleville kritisierte Artikel I des ersten Entwurfs. Er verwies darauf, daß das römische Recht der Tochter einen Anspruch auf Mitgift gegeben hätte, um Eheschließungen zu fördern. Manche Väter verweigerten ihren Töchtern eine Mitgift zu Unrecht. Was werde aus diesen Töchtern, deren Väter sich willkürlich oder aus schäbigen Interessen einer Heirat dauernd widersetzten?201 Tronchet dagegen meinte, daß Väter, die ihren Kindem gegenüber übermäßige Härte zeigten, eine seltene Ausnahme seien. Daher sei die Code civilKommission zu dem Ergebnis gekommen, daß das droit ecrit mehr Nachteile berge, als die Regelung des droit coutumier. Man dürfe den Kindem keine Waffen gegen ihre Eltern geben. Ein Anspruch auf Mitgift würde zu einem Mittel, um die Geschäfte der Väter zu behindern oder zu zerstören. 204 In manchen Fällen werde ein Vater einer ungehörigen Ehe nicht zustimmen wollen. Man werde dann sein Einverständnis erzwingen, indem man ihn vor die Wahl stelle, entweder der Ehe zuzustimmen oder seine Vermögensverhältnisse offenzulegen. 205 Auch Portalis sprach sich hier fiir die Regelung der coutumes aus. Er vertraute der Gerechtigkeit der Väter und befiirchtete, in den Ländern des droit coutumier würden die Töchter einen ihnen bisher unbekannten Anspruch auf Mitgift mißbrauchen: "Qu'arrivera-t-il, si force d' uniforrniser Ia legislation, on etend aux pays coutumiers Ia jurisprudence des pays de droit ecrit? II y aura une commotion qui ne sera pas en faveur des peres, surtout dans le relächement Brissaud, S. 1689. Zum ehelichen Güterrecht siehe unten E V 4. Locre II 338. 203 Maleville in Locre II 338 f. 204 Ein Anspruch auf Mitgift bestand, selbst wenn die Tochter ohne das Einverständnis des Vaters geheiratet hatte. Weigerte sich der Vater, die Mitgift zu geben, dann bestimmten die Gerichte die Höhe des Anspruchs, Brissaud, S. 1689. 205 Tronchet in Locre II 339. Vgl. auch Portalis in Locre II 340. 201

202

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actuel des mceurs. Les redacteurs du projet ... se sont determines par !es considerations suivantes. Ils ont examine s'il y aurait plus de peres qui abuseraient de Ia liberte de ne pas doter, qu'il n'y aurait d'enfans qui abuseraient du droit d'exiger une dot. En general, on n'abuse pas d'un droit qui est etabli depuis long-temps; une longue habitude en a regle l'usage et separe !es inconveniens; mais on doit craindre l'abus d'un droit nouveau, principalement lorsqu'on l'etablit chez une nation dont Ies habitudes sont formees. Au reste, les peres barbares ne sont pas Ia massedes peres; il est plus ordinaire qu'ils aiment leurs enfans, qu'il ne l'est qu'ils soient aimes. Cette difference vient de ce qu'une sorte d'esprit de propriete ajoute encore a l'amour que Ia nature a place dans Je cceur des peres." Die Mehrheit des Staatsrats teilte Portalis' Auffassung. Dementsprechend wurde Artikel I, Satz 2 des Entwurfs als Artikel 204 in den Code civil übernommen.206 Während Portalissich meist fiir die Übernahme des droit ecrit einsetzte, plädierte er hier ausnahmsweise fiir die Übernahme des droit coutumier.

6. Sechster Titel "Von der Ehescheidung" a) Die Scheidung im ancien droit Das ancien droit respektierte das kirchliche Dogma von der Unauflöslichkeit der Ehe und ließ Ehescheidungen nicht zu. Es erlaubte nur die Trennung von Tisch und Bett,207 die die Ehegatten zwar von der Pflicht entband, gemeinsam zu leben, alle anderen ehelichen Pflichten aber unberührt ließ. Da die Ehe bei Trennung von Tisch und Bett rechtlich fortbestand, 208 konnten die Eheleute keine neue Ehe eingehen. 209

b) Das Revolutionsrechf10 Im Zuge der Säkularisation erlaubten die Revolutionäre die Scheidung durch das Gesetz vom 20. September 1792. 211 Die Zulassung der Scheidung war die logische Folge der Theorie, die Ehe sei ein rein zivilrechtlicher Vertrag. Wie jeder andere zivilrechtliche Vertrag mußte danach auch der Ehevertrag von den Parteien einvernehmlich aufgelöst werden können. Außerdem hielt man einen unauflösbaren Vertrag fiir unvereinbar mit der individuellen Freiheit. Durch einen unauflösbaren Vertrag, meinten die Revolutionäre, würde man seine 206 Locre II 302. 207 Zur Trennung von Tisch und Ben (separation de corps), siehe unten E III 6. c) ee). 208 Tronchet in Locre II 503. 209 Sagnac, S. 285. 210 Dazu d' Auteville, S. 206 ff. und 473 ff. 211 Locre in Locre II 441.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Freiheit veräußern. Die Freiheit jedoch sei unveräußerlich. 212 Ferner gebot die Religionsfreiheit die Zulassung der Scheidung. Warum sollten Protestanten und Juden Gesetze einer ihnen fremden Religion unterworfen sein? Warum sollte ein ungläubiger Katholik an kirchliche Gesetze gebunden sein, die er nicht anerkannte? Weiter wurde die Scheidung zur Befreiung der Frauen vom ehemännlichen Despotismus gefordert. Die Möglichkeit der Scheidung, so wurde argumentiert, gebe den Frauen ein Mittel in die Hand, um gegen eine "übermäßige und eifersüchtige Herrschaft" zu kämpfen. Sie seien nicht mehr darauf beschränkt, im Stillen zu weinen, sondern könnten vortreten und handeln. 213 Letztlich habe die Religion selbst die Ehescheidung nicht zu allen Zeiten verboten. Man berief sich auch auf das Evangelium von Matthäus, 214 dessen nicht ganz eindeutiger Wortlaut die (umstrittene) Deutung zuläßt, Jesus habe die Scheidung bei Ehebruch erlaubt.w Mit dem Gesetz vom 20. September 1792 wollten die Revolutionäre dem Einzelnen die größtmöglichen Freiheiten einräumen. Sie beschränkten sich nicht darauf, die Scheidung bei bestimmten Gründen (causes determinees) wie Ehebruch zuzulassen. Schon sogenannte unbestimmte Scheidungsgründe (divorce sans cause determinee oder causes indetermineesl 16), wie die bloße Behauptung der Unvereinbarkeit der Charaktere durch einen der Ehegatten (incompatibilite d'humeur) oder das Einverständnis beider Eheleute (consentement mutuel) reichten aus. 217 Den Scheidungsgrund des beiderseitigen Einvernehmens ließ man zu, weil die Ehe wie jeder andere Vertrag behandelt werden sollte. Warum sollte man die Freiheit der Eheleute einschränken, wenn beide in die Scheidung einwilligten?218 Den Unvereinbarkeitsgrund erlaubte man, um einem Ehegatten die Möglichkeit zu geben, sich von der Unterdrückung durch den anderen oder von einer unglücklichen Ehe zu befreien. 219 Mißbräuche der unbestimmten Scheidungsgründe sollte ein aufwendiges Verfahren verhindern: Der Antrag auf Scheidung wegen Unvereinbarkeit der Charaktere konnte nur Erfolg haben, wenn nach drei, sechs und zwölf Monaten ein aus Eltern und Freunden bestehendes Familiengericht einberufen worden Sagnac, S. 284; Baudry-Lacantinerie/Chauveau/Chenaux, Band 3, Rn. 5 (S. 4). Sagnac. S. 285. 214 Vgl. Matthäus 19,9: "Ich sage euch: Ein jeder, der seine Frau entläßt- nicht gilt: 'aufgrund von Unzucht' -, und eine andere heiratet, bricht die Ehe, und wer eine Entlassene heiratet, bricht die Ehe. Vgl. auch Matthäus 5,31 und die eindeutigen Formulierungen bei Mk 10,11; Lk 16,18; I Kor 7,10, die die Einschiebung "nicht gilt: 'aufgrund von Unzucht"' nicht enthalten. 215 Sagnac, S. 286. Vgl. auch Portalis' Darstellung des Streits innerhalb der Kirche in Locre II 465. 216 Vgl. Portalis in Locre II 467. 217 Locre II 445; Sagnac, S. 288. 218 Baudry-Lacantinerie/Chauveau/Chenaux, Band 3, Rn. 5 (S. 4). 219 Sagnac, S. 288. 212 213

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war. Das Familiengericht sollte auf die familieninterne Schlichtung des Konflikts hinwirken und den Staat möglichst aus Familienangelegenheiten heraushalten. Zum anderen sollte das lange Verfahren die Versöhnung der Ehegatten ermöglichen. Die einvernehmliche Scheidung dagegen setzte nur eine Familienversammlung nach zwei Monaten, oder, wenn Kinder aus der Ehe hervorgegangen waren, nach vier Monaten voraus. Demgegenüber bestanden bei den bestimmten Scheidungsgründen (z.B. Ehebruch der Frau) keine Fristen. 220 Nach dem Dekret vom 28. Dezember 1793 entfielen die Fristen fiir den Mann völlig, fiir die Frau wurden sie von einem Jahr auf zehn Monate verkürzt. Das Dekret vom 23. April 1794 erleichterte die Scheidung noch weiter. Nun genügte bereits die sechsmonatige Trennung oder Abwesenheit als Scheidungsgrund. Der Konvent hob beide Dekrete jedoch am 2. August 1795 wieder auf. 221 c) Der Code civil

Bevor er in die Diskussion der einzelnen Scheidungsgründe eintrat, mußte der Staatsrat entscheiden, ob die Scheidung überhaupt zugelassen werden sollte. Der Entwurf erlaubte die Scheidung, ließ aber im Gegensatz zu dem Gesetz von 1792 nur bestimmte Scheidungsgründe zu: Artikel I des Entwurfs: "Le divorce ne pourra etre prononce que pour !es causes deterrninees par Ia loi." Artikel 2 des Entwurfs: "Ces causes sont: !es sevices ou mauvais traitemens, Ia conduite habituelle de l'un des epoux qui rend a l'autre Ia commune insupportable, Ia diffamation publique, l'abandon du mari par Ia femme, ou de Ia femme par Je mari, l'adultere de Ia femme accompagne de scandale public, ou prouve par des ecrits emanes d 'elle, celui du mari qui tient sa concubine dans Ia maison commune." 222

Die Zulassung der Scheidung war keinesfalls selbstverständlich. Die Gerichte hatten diese Frage in ihren Stellungnahmen zum Entwurf unterschiedlich beurteilt. Manche lehnten die Scheidung ausnahmslos ab, 223 andere wollten nur bestimmte Scheidungsgründe zulassen.224 Wieder andere wollten sie in weitestem Umfang zulassen und auch die bloße Behauptung der Unvereinbarkeit der Charaktere als Scheidungsgrund ausreichen lassen. 225 Fraglich war vor allem, Sagnac, S. 288 f. Sagnac, S. 288 ff. und 372. Baudry-Lacantinerie/Chauveau/Chenaux, Band 3, Rn. 5 (S. 4 ff.). 222 Locre II 464 f. 223 Vgl. die Anmerkungen des Tribunal d'appe/ seant a Riom, in Fenet V 416 ff. und 434 ff. 224 Vgl. z.B. die Anmerkungen des Tribunal de Cassation, in Fenet II 470 f. und die Anmerkungen des Tribunal de Paris, in Fenet V 136. 225 Vgl. z.B. die Anmerkungen des Tribunal de Lyon, in Fenet IV 63 f. und die Anmerkungen des Tribunal de Bourges, in Fenet III 212. 220

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7 Plesser

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

ob sich das Zivilrecht in Widerspruch zu kirchlichem Recht setzen konnte und ob die Zulassung der Scheidung die Religionsfreiheit derer verletzen würde, die an die Unautlöslichkeit der Ehe glaubten. Portalis, der den Entwurf zum Scheidungsrecht dem Staatsrat vorstellte, nahm zu beiden Fragen Stellung. aa) Zur Frage, ob staatliche Gesetze die Scheidung zulassen dürfen - die Gesetzgebungskompetenz des Staates Portalis meinte, der Gesetzgeber könne sich über kirchliche Vorschriften hinwegsetzen und die Scheidung erlauben. Er trennte scharf zwischen kirchlichen und staatlichen Regeln. Das Zivilrecht, meinte er, müsse sich nicht allen Vorschriften der religiösen Moral beugen. Sonst wären die kirchlichen Bestimmungen, weil sie zu allen Bereichen des Lebens moralische Regeln aufstellten, das ausschließliche staatliche Recht. Weiter existiere die Ehe länger als jede Religion. Die Religion habe die Ehe stets vorausgesetzt und sie nur gesegnet. Sie könne daher nicht beanspruchen, das Eherecht bestimmen zu dürfen. Außerdem sei die Ehe immer Materie des Zivilrechts gewesen, auch wenn daneben strengere kirchliche Bestimmungen gegolten hätten. Ferner sei die Unautlöslichkeit der Ehe sogar innerhalb der Kirche kontrovers diskutiert worden. St. Epiphanios und St. Ambrosius hätten die Ehescheidung bei Ehebruch ftlr zulässig gehalten und erst Sankt Augustinus habe die Unautlöslichkeit der Ehe durchgesetzt. Dessenungeachtet habe die griechische Kirche die Lehre von St. Epiphanias und St. Ambrosius beibehalten.226 Portalis schloß sich der Theorie an, die die Ehe als einen zivilrechtliehen Vertrag ansah: Inzwischen stehe fest, daß Sakrament und zivilrechtlicher Vertrag voneinander zu unterscheiden seien. Dies habe auch die Kirche immer anerkannt. Sie glaube in dem Maße an das Bestehen und die Gültigkeit der Ehe auch ohne Sakrament, daß sie die Ehen von Häretikern und Ungläubigen anerkenne, sobald diese sich zum Glauben bekennen. 227 Aus diesen Erwägungen folgerte Portalis, daß Ehe und Ehescheidung rein zivilrechtliche Institute seien und der Gesetzgeber daher die Ehescheidung zulassen dürfe. m bb) Zur Frage, ob der Gesetzgeber die Scheidung zulassen sollte Nun war zu entscheiden, ob der Gesetzgeber die Scheidung zulassen sollte. Portalis nahm zunächst Stellung zu der Behauptung, das Zivilrecht könne die Scheidung nicht zulassen, ohne sich in Widerspruch zu kirchlichen Gesetzen zu Portalis in Locre II 465. Portalis in Locre II 465. m Portalis in Locre II 466.

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setzen. Das Wort "zulassen", sagte Portalis, sei mißverständlich. Denn genaugenommen erlaube das Zivilrecht die Scheidung nicht. Zur Scheidung sei der Mensch schon kraftseiner natUrliehen Freiheit befugt. Wenn keine Gesetze existieren würden, könnte der Mensch seinen Willen frei verwirklichen. Das Zivilrecht beschänke diese natUrliehe Freiheit des Einzelnen nur, um Störungen der öffentlichen Ordnung (ordre public) zu verhindern. Es gewähre daher nicht ein Recht, das jeder von Natur aus habe. Kirchliche Gesetze könnten weitergehende Einschränkungen vorschreiben als staatliche Gesetze. Sie seien jedoch nur moralisch verbindlich. Daher könne es keinen Konflikt zwischen kirchlichen und staatlichen Gesetzen geben. "Les Jois religieuses ... sont Ja morale ... Ja Joi civile n'arrete que Jes desordres exterieurs, lorsqu'ils troublent Ja tranquillite publique." Daher sei es dem Gewissen des einzelnen überlassen, ob er von dem Scheidungsrecht Gebrauch mache. Der Gesetzgeber könne also die Scheidung zulassen. 229 Der Gesetzgeber, meinte Portalis, dürfe die Scheidung nicht nur zulassen, er müsse es auch. Schon die Religionsfreiheit verlange dies. Denn manche Religionen erlaubten die Scheidung, andere dagegen nicht. Das Gesetz müsse denen, deren Religion die Scheidung erlaube, das Recht gewähren, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen. 230 Auf Portalis' Antrag hin beschloß der Staatsrat daraufhin die Beibehaltung der Scheidung. 231 cc) Erstes Kapitel "Von den Scheidungsgründen" Schwere Verfehlungen eines Ehegatten, wie Ehebruch oder schwere Körperverletzungen, die dem anderen Ehegatten das Zusammenleben unzumutbar machten, sollten als ScheidungsgrUnde festgesetzt werden. Insoweit stimmten die Staatsräte Uberein. Ob aber auch die einseitige Behauptung der Unvereinbarkeit der Charaktere oder das beiderseitige Einvernehmen als ScheidungsgrUnde zugelassen werden sollten, war äußerst umstritten. (I) Die Unvereinbarkeit der Charaktere (incompatibilite d'humeur) Portalis definierte den Unvereinbarkeitsgrund als einen Scheidungsgrund, der nicht bewiesen werden mußte. 232 Die bloße Behauptung der Unvereinbarkeit durch einen Ehegatten reichte aus. Er wandte sich gegen die Zulassung des Unvereinbarkeitsgrundes.

Portalis in Locre li 466. Portalis in Locre li 466; vgl. auch Treilhard, expose de motifs, in Locre II 563. 231 Locre li 466. 232 Portalis in Locre li 467. 229

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Gegen die Zulassung des Unvereinbarkeitsgrundes, meinte Portalis, sprächen bereits die Natur der Ehe. Im Gegensatz zu anderen Verträgen sei der Ehevertrag seiner Natur nach zeitlich nicht befristet, sondern filr immer geschlossen. Mit dem Unvereinbarkeitsgrund lasse man aber stillschweigend eine Ehe auf Zeit zu: "Serait-on libre de stipuler un terme a Ia dun~e de ce contrat, qui est essentiellement perpetuel, puisqu'il a pour objet de perpetuer l'espece humaine? Le legislateur rougirait d'autoriser expressement une pareille stipulation; il fremirait si elle lui etait presentee: et cependant on veut qu'il l'admette implicitement en adoptant cette cause d'incompatibilite d'humeur qui permet a chacun des epoux de regler, ä son gre, Ia duree du mariage! Cette liberte tacite est contre Ia nature du contrat."233 Zur Natur des Ehevertrages, fuhr Portalis fort, gehöre auch, daß die Ehe nicht allein im Interesse der Eheleute, sondern auch der Kinder und der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung der ehemännlichen Gewalt bestehe. Dies werde deutlich, wenn man sich die Folgen der Scheidung vor Augen filhre. "Le mari perd son autorite; Ia fernme passe dans les bras d'un autre; !es enfans ne savent ä qui ils appartiennent. II faut une autorite dans Ia famille; Ia preeminence du sexe Ia donne au mari; s'il ne l'exerce point, il y a anarchie; s'il l'exerce on demandera Je divorce. C'est ainsi que Ia cause d' incompatibilite ruine l'autorite du mari, meme avant qu'elle existe. L'interet de Ia fernme ne repousse pas moins Je divorce pour causes indeterminees. Elle est entree dans le mariage avec sa jeunesse, avec son honneur; elle en sort tletrie et degradee: Ia loi peut-elle reparer ce malheur? Si elle ne peut Je reparer, et qu'elle l' autorise, elle est sacrilege; si elle ne peut rendre, apres le divorce Ia dignite d'epouse et de mere, cornment souffrirait-elle que Ia femme fut reduite aune position teile, qu'elle dut ou demeurer dans un celibat force, ou se refugier dans !es bras d'un hornme qui n'aurait pour elle que du mepris?" Ferner, ergänzte Portalis, schade die Scheidung auch den Kindern. Denn die Liebe eines Vaters, der nach der Scheidung eine zweite Ehe eingehe, verlagere sich von den Kindem auf die neue Frau. 234 Portalis befiirchtete überdies, daß der Unvereinbarkeitsgrund zum Schaden des Ehegatten, der die Ehe aufrechterhalten wolle, mißbraucht werden könnte. "Vous voulez que Ia volonte d'un seul devienne Ia loi sans motifs, souvent degoutante. Que le divorce s'opere par Ia volonte de l' un des epoux, quand il y a des causes reelles, on le con~oit; alors il est un chätiment pour l'autre: mais le divorce par incompatibilite d'humeur serait pour l'un un bienfait, pour l'autre un malheur." 235 Zudem, meinte Portalis, sei der Unvereinbarkeitsgrund mit den Sitten der Nation unvereinbar. Dabei müsse man nicht die in den Städten, sondern die auf dem Lande gebräuchlichen Sitten zugrundelegen: "C'est dans les campagnes 233 Portalis in Locre II 468. Zur Geschichte des Scheidungsgrundes der Unvereinbarkeit der Gemüter siehe Maleville in Locre II 472. 234 Portalis in Locre II 468. 235 Portalis in Locre II 468.

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qu'il faut aller ehereher !es mreurs fran~aises. La, Je scandale du divorce a ete rejete avec mepris; Ia, on n'a point use du divorce, !es tribunaux l'attestent: voila Je vreu de Ia nation." 236 Und schließlich seien Ehegatten, die wüßten, daß sie sich nicht leicht trennen könnten, eher darauf bedacht, miteinander auszukommen. "IIs seront plus attentifs a se complaire, plus exacts dans leurs obligations mutuelles, plus portes a Se menager, et a etouffer des Semences de divisions qui souvent n'accroissent et n'amenent une rupture que parcequ'on sait qu'on peut se separer."237 Der Unvereinbarkeitsgrund wurde mit der Begründung gefordert, daß er die Verdeckung des Ehebruchs, der Unfruchtbarkeit ermögliche, kurz: aller Scheidungsgründe, die ohne Ehrverletzungen nicht offen ausgesprochen werden könnten. 238 Boulay erwog die Einfiihrung des Unvereinbarkeitsgrundes mit folgendem Argument: Es gebe Fälle, in denen die Behauptung der Unvereinbarkeit der Charaktere nicht unmoralisch sei. Ein Mann, dessen Frau Ehebruch begehe, könne ein berechtigtes Interesse haben, die Ehe auf diese Weise zu lösen, sei es, weil er den Ehebruch nicht beweisen könne, sei es, weil er seine und seiner Kinder Ehre schützen wolle.239 Portalis lehnte diese Begründung ab. Die Ehefrau, sagte er, könne ein Interesse daran haben, daß der wahre Grund fiir die Scheidung bekannt werde. Sonst bleibe Raum fiir ehrverletzende Vermutungen. Wenn der Ehebruch des Mannes der Grund der Scheidung sei, dann habe die Ehefrau einen Anspruch auf Schutz vor Vermutungen, die in eine andere Richtung gingen. Und: welche Unannehmlichkeiten entstünden durch das Bekanntwerden von Anschuldigungen? Nur das Verbrechen sei eine Schande, nicht schon die Anklage. 240 Insbesondere Napoleon trat im Staatsrat nachdrücklich fiir die Zulassung des Unvereinbarkeitsgrundes ein. 241 Er meinte, es entspreche dem Interesse aller Beteiligten, die Beendigung einer unglücklichen Ehe zuzulassen. "On a dit que le divorce pour incompatibilite est COntraire a l'interet des femmes, des enfans, et a l'esprit de famille. Mais rien n'est plus Contraire a l'interet des epoux, Jorsque leurs humeurs sont incompatibJes, que de Jes reduire a !'alternative Oll de vivre ensemble, Oll de separer avec eclat. Rien n'est plus Contraire a l'esprit de 236 Portalis in Locre li 468. Tronchet dagegen meinte, die öffentliche Meinung hätte in den Anmerkungen der Gerichte Ausdruck gefunden. die alle den Unvereinbarkeitsgrund abgelehnt hätten; Locre li 469. Vgl. aber die Anmerkung des Tribunal de Lyon, in Fenet IV 63 f. 237 Portalis in Locre li 469. 238 Vgl. die Überlegungen Emmerys in Locre II 474. 239 Boulay in Locre II 472. 240 Portalis in Locre li 469. 241 Bei den Staatsratsdebatten zum Code civil wußte Napoleon bereits, daß ihm seine Frau Josephine keine Kinder schenken konnte. Nur wenn seine Ehe geschieden wurde, konnte er daher auf legitime Nachkommen hoffen. Es wird daher vermutet, Napoleon habe bei den Debatten zur Ehescheidung auch persönliche Ziele verfolgt. Dazu Theewen, S. 143 ff. und Madelin, S. 80 ff.

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farnille qu'une famille divisee." Napoleon verwies auch auf die Nachteile, die mit Artikel 2 des Entwurfs verbunden seien, weil er den Beweis der Scheidungsgründe fordere: "Mais quel malheur ne serait-ce pas que de se voir force a les exposer, et a reveler jusqu'aux details les plus minutieux et les plus secrets de l'interieur de son menage! Le systeme mitige de l'incompatibilite previent, a Ia verite, ces inconveniens; cependant comme il suppose des faits et des preuves, i1 est aussi fletrissant que le systemedes causes determinees." 242 Kinder, argumentierte Napoleon weiter, könnten bereits mit 15 bzw. 18 Jahren heiraten. In diesem Alter träfen sie leicht Fehlentscheidungen. Jedenfalls bei Ehen, die zwischen jungen Menschen geschlossen würden, müsse daher der Unvereinbarkeitsgrund zugelassen werden, damit Fehlentscheidungen revidiert werden könnten. 243 Dem entgegnete Portalis, daß die Eltern, deren Einwilligung erforderlich sei, Vorsorge trUgen und derartige IrrtUrner verhinderten. 244 Das überzeugte Napoleon nicht: "Le mariage n'est pas toujours, comme on Je suppose, Ia conclusion de l'amour. Une jeunepersonne consent a se marier, pour se conformer a Ia mode, pour arriver a l' independance et a un etablissement; elle accepte un mari d'un age disproportionne, dont l'imagination, les gofits et Ies habitudes ne s'accordent pas avec les siens. La loi doit donc lui menager une ressource pour Je moment ou l'illusion cessant, elle reconnait qu'elle se trouve dans les Iiens mal assortis, et que sa volonte a ete seduite."w Portalis stritt nicht ab, daß die Regelung derartige Härten verursachen könnte. Die Regelung, sagte er, sei jedoch erforderlich, weil der Ehevertrag mindestens so solide sein müsse, wie jeder andere Vertrag. "Tout pere de famille tremblerait si Je divorce etait rendu trop facile, et si Ia duree du mariage dependait du libre arbitre de chacun des epoux." 24h Napoleon beharrte auf der Einfilhrung des Unvereinbarkeitsgrundes. Er meinte, der Mißbrauch des Unvereinbarkeitsgrundes könne verhindert werde. Man könne einen Familienrat einschalten oder vorsehen, daß eine Frau sich nur ein einziges Mal scheiden lassen könne oder erst ftlnf Jahre nach einer Scheidung erneut heiraten dürfe. 247 Bei der Abstimmung des Staatsrats konnte sich Portalis gegen Napoleon durchsetzen. Der Staatsrat ließ den Unvereinbarkeitsgrund nicht zu.

Napoleon in Locre II 470. Napoleon in Locre II 470. 244 Portalis in Locre II 4 71. 245 Napoleon in Locre II 471. 24h Portalis in Locre II 4 71. 247 Napoleon in Locre II 472; vgl. auch Napoleons Ausführungen in Locre II 482 f.: "Si l'un des epoux rendait Ia vie insupportable a l'autre, il faut que celui-ci ait Ia faculte de s'en separer." 242 243

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(2) Das Einvernehmen beider Ehegatten (consentement mutuef) Fraglich war nun, ob die einvernehmliche Scheidung zugelassen werden sollte. Für deren Zulassung sprach, daß die Ehe als rein zivilrechtlicher Vertrag verstanden wurde und Verträge grundsätzlich bei Einvernehmen der Vertragspartner aufgelöst werden konnten. Der Ehevertrag unterschied sich jedoch von anderen Verträgen dadurch, daß er nicht nur filr die Vertragsparteien, die Eheleute, sondern auch filr Dritte, die Kinder und die Gesellschaft erhebliche Folgen mit sich brachte. Es bestand die Gefahr, daß die Eheleute die Möglichkeit der einvernehmlichen Scheidung mißbrauchten und sich ohne ernsthaften Grund nur aus einer Laune heraus scheiden ließen 24K und daß die Ehe dadurch ihre Bedeutung und Würde verliere. Wie der Unvereinbarkeitsgrund wurde auch der Scheidungsgrund des beiderseitigen Einvernehmens als Mittel gesehen, Skandale oder skandalöse Prozesse zu vermeiden. Man meinte, der Ehegatte, der Ehebruch begangen habe, würde freiwillig in die Scheidung einwilligen, um den Skandal eines Scheidungsprozesses zu vermeiden. Zudem schrecke ein skandalöser Prozeß ehrenhafte Menschen von einer Scheidung ab. Denn ein ehrenhafter Mann würde bei einem Ehebruch seiner Frau niemals öffentlich die Scheidung beantragen: "Un homme qui n'est pas tout-a-fait insensible a l'honneur, avant de faire retentir les tribunaux des faits scandaleux qui prouveront l'adultere, pensera que Je succes mSme de sa demande attirera sur lui Ia haine d'un sexe, Je mepris de l'autre, et qu'un ridicule ineffa~able Je poursuivra partout. Si cet homme a des enfans, il pensera qu'il va les deshonorer, qu'il va tletrir ses filles, les couvrir de Ia honte de leur mere, et les condarnner au celibat. Or, ce moyen lui fut-il presente par Ia loi, ille rejettera avec horreur."249 Insbesondere Tronchet lehnte den Scheidungsgrund des beiderseitigen Einvernehmens ab. Denn dieser, meinte er, gefährde die Stabilität der Ehe und lasse den Unvereinbarkeitsgrund auf Umwegen zu.2s" Napoleon dagegen forderte die Staatsräte auf, die einvernehmliche Scheidung zuzulassen, sie jedoch, um Mißbräuchen vorzubeugen, wie die Eheschließung von der Zustimmung der Familien abhängig zu machen. Wenn auch nur ein Elternteil die Scheidung ablehne, sagte er, dann solle eine einvernehmliche Scheidung ausgeschlossen sein. Die Zustimmung der Eltern stelle sicher, daß ein Scheidungsgrund tatsächlich vorliege. Denn die Eltern hätten ein Interesse daran, die Ehe, die sie veranlaßt hätten, zu erhalten. 2s 1 Abrial (der Justizminister) in Locre 11475 und Bigot-Preameneu in Locre 11474. Real in Locre 11497. 2so Tronchet in Locre II 493. 2s1 Napoleon in Locre II 474. Dagegen wandte Tronchet ein: "Si Ia famille devient juge, elle ne sera pas impartiale; elle se divisera et chacun, suivant ses inclinations et ses rapports prendra parti entre les epoux." Locre II 475. 243 249

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Portalis war aus grundsätzlichen Erwägungen, die er bereits bei der Debatte zum Unvereinbarkeitsgrund dargelegt hatte, auch gegen die Zulassung der einvernehmlichen Scheidung. 252 Lasse man sie aber zu, sagte er, so müsse sie auf kinderlose Ehen beschränkt werden. 253 "[Le consentement mutuel] est sans doute pn!ferable a Ia cause d'incompatibilite, puisqu'il suppose Je concours des volontes. Cependant Je consentement mutuel sera tres rare, parce qu'il serarare que Ies epoux s'accordent pour rompre leur mariage. Au reste, il est necessaire de n'admettre Je divorce que pour des causes detennines; de ne donner d'effets au consentement mutuel que lorsqu'il est appuye de l'autorisation des peres et en Je soumettant a l'epreuve d'un delai."254 Aufgrund der Diskussion des Staatsrats wurden mehrere Entwürfe erarbeitet und mehrfach abgeändert. 255 Letztlich setzte sich folgende Regelung durch: Artikel 6 des überarbeiteten Entwurfs (= Artikel 233 Code civil): "Le consentement mutuel et perseverant des epoux, exprime de Ia maniere prescrite par Ia loi sous les conditions et apres les epreuves qu'elle determine, prouvera suffisamment que Ia vie commune leur est insupportable, et qu'il existe, par rapport a eux, une cause peremptoire de divorce." 256

Nach Artikel 6, erläuterte Emmery, sei das beiderseitige Einvernehmen selbst kein Scheidungsgrund, sondern nur ein Beweis dafiir, daß ein (anderer) legitimer Scheidungsgrund vorliege. 257 Manche Scheidungsgründe seien skandalös und sollten daher, wenn möglich, verschleiert werden. Andere Scheidungsgründe machten das gemeinsame Leben unerträglich, könnten aber nicht definiert werden. Denn sie beruhten auf einem Gemenge von Fakten und Gefiihlen, die weder beschrieben, noch bewiesen werden könnten. Daher habe die Gesetzgebungssektion des Staatsrats das beiderseitige Einvernehmen als Mittel zugelassen, um den einen (undefinierbaren) Grund geltend zu machen und den anderen (skandalösen) zu verschleiern. Der Richter müsse keine weiteren Nachforschungen anstellen. Das Vorliegen des beiderseitigen Einvernehmens zeige ihm auf, daß ein legitimer Scheidungsgrund vorliege. Artikel 6 lasse nur diese Scheidungsgründe zu, nicht aber den Scheidungsgrund des beiderseitigen Einvernehmens. 25 K

Vgl. Portalis in Locre 11475 und 531. Portalis in Locre II 475; vgl. auch Portalis in Locre II 483 und 520. Diese Auffasssung teilte Cambaceres. 254 Portalis in Locre II 483. 255 V gl. Locre II 490 ff. 256 Locre II 523. 251 Emmery in Locre II 527. Vgl. auch Tronchet in Locre II 535; Treilhard, expose de motifs, in Locre II 567 f.; Locre in Locre II 445. 258 Emmery in Locre II 527. In seiner Stellungnahme (abgedruckt in Fenet II 470 f.) hatte das Tribunal de Cassation eine Regelung vorgeschlagen, die der des Artikel 233 vergleichbar war. 252

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An dieser Rechtskonstruktion fand auch Portalis Gefallen. Er machte sie sich zueigen. "Le consentement n'est pas une cause de divorce, parce que s'il Je devenait, Je mariage serait denature; il n'est donc qu'une preuve d'une autre cause legitime." 259 Portalis' Vorstellungen entsprach auch, daß das beiderseitige Einvernehmens als Beweis nur unter engen Voraussetzungen zulässig sein sollte. 260 Mit Artikel 6 des Entwurfs, der als Artikel 233 in den Code civil übernommen wurde/61 setzte sich die von Portalis geteilte Auffassung durch. Formal gesehen wurde das beiderseitige Einvernehmen nicht als Scheidungsgrund zugelassen. Allerdings war die mit Artikel 233 Code civil gefundene Regelung sehr konstruiert. Sie hielt das Prinzip aufrecht, daß das Einvernehmen der Eheleute allein kein Scheidungsgrund sein sollte, ließ aber über die Vermutung, daß das beiderseitige Einvernehmen einen Scheidungsgrund beweist, die einvernehmliche Scheidung im Ergebnis zu. Dies kritisierte Cambaceres, der bis zuletzt die Zulassung der einverständlichen Scheidung gefordert hatte: Eheleute, die sich scheiden lassen wollten, erklärte Cambaceres, könnten das Gesetz umgehen, indem einer gegen den anderen einen fingierten Scheidungsgrund behaupte und der andere in die Scheidung einwillige. Daher verfehle die vorgeschlagene, sehr moralische Regelung ihr Ziel: zu verhindern, daß die Ehe durch bloßes Einverständnis aufgelöst werde. Es sei einfacher, die einverständliche Scheidung direkt zuzulassen. Beuge man Mißbräuchen vor, sei die einvernehmliche Scheidung auch nicht gefährlich.m dd) Viertes Kapitel "Von den Rechtsfolgen der Scheidung" (I) Artikel 295 Code civil Nach dem zweiten Entwurf sollte den Eheleuten verboten werden, den ehemaligen Ehegatten nach der Scheidung erneut zu heiraten:

Portalis in Locre II 531. Artikel 275 Code civil: "Le consentement mutuel des epoux ne sera point admis, si Je mari a moins de vingt-cinq ans, ou si Ia femme est mineure de vingt-un ans." Artikel 276 Code civil: "Le consentement mutuel ne sera admis qu'apres deux ans de mariage." Artikel 277 Code civil: "II ne pourra plus l'etre apres vingt ans de mariage, ni lorsque Ia femme aura quarante-cinq ans." Artikel 278 Code civil: "Dans aucun cas, Je consentement mutuel des epoux ne suffira, s'il n'est autorise par leurs peres et meres, ou par leurs autres aseendans vivans, suivant les regles prescrites par l'art. 150, au titre du Mariage." Locre II 455. 261 Vgl. Locre II 447. 262 Cambaceres in Locre II 532 f.; vgl. auch die Rede von Carion-Nisas vor dem Tribunat. Carion-Nisas lehnte die Zulassung der Scheidung vehement ab; vgl. CarionNisas in Locre II 583. 259 260

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil Artikel 66 des zweiten Entwurfs: .,Les epoux qui divorceront pour quelque cause que ce soit, ne pourront plus se reunir.'' 263

Der Entwurf folgte der Auffassung Montesquieus. Dieser hatte sich filr das Verbot ausgesprochen, da er befilrchtete, die Möglichkeit, sich nach einer Scheidung zu versöhnen und erneut zu heiraten, erleichtere den Eheleuten den Entschluß zur Scheidung. 264 Nicht alle Staatsräte beugten sich der Autorität Montesquieus: Maleville bezweifelte, daß ein Verbot der Wiederheirat Eheleute von der Scheidung abhalte. Und Boulay schlug vor, das Verbot auf Ehen zu beschränken, die aufgrund beiderseitigen Einverständnisses geschieden wurden. Denn nur in diesem Fall sei ein Mißbrauch des Scheidungsrechts zu befiirchten, nicht aber bei einer Scheidung wegen eines Attentats oder Mißhandlungen. Auch der Justizminister trat filr die Zulassung der Wiederheirat ein. Denn das Gesetz lasse die Scheidung nur mit Bedauern zu. Daher könne man die Wiederherstellung der Ehe nur wünschen. Dies sei im Interesse der Gesellschaft, der Kinder und der Familien. 26 ~

Angesichts dieser Kritik ergriffPortalis das Wort und verteidigte den Entwurf mit der Mißbrauchsgefahr: "C' est par respect pour le mariage qu' on attaque Ia disposition, et que cependant c'est par ce Sentiment meme qu'elle doit etre maintenue, autrement on se jouera egalement et du mariage et du divorce. L'un et l'autre est un etat absolu; l'un et l'autre est fonde sur Je vceu de Ia perpetuite. I! est dans l'essence du mariage qu'on ne se joue pas du divorce ce qui arriverait infailliblement si l'on pouvait passer alternativement du mariage au divorce, du divorce au mariage. Quand Je spectacle aflligeant du divorce a ete donne, il faut que ce soit par l'effet d'une necessite reelle. Une teile necessite est invariable. Ainsi ... on cont;oit que, par respect pour le mariage, Ia loi ne doit pas prevoir qu'il pourra etre retabli."266 Letztlich setzte sich Portalis durch. Artikel 66 des zweiten Entwurfs wurde als Artikel295 in den Code civil Ubernommen. 267 (2) Artikel 298 Code civil Tronchet schlug vor, Frauen, die einen Ehebruch begingen, zu bestrafen, indem man sie filr unfl!hig erkläre, eine neue Ehe zu schließen (absolutes Eheverbot). 268 Locre II 546, 526 und 458. Maleville in Locre II 540. 265 Locre II 54 I. 266 Portalis in Locre II 541. 261 Locre II 543. 268 Tronchet in Locre II 513. 263

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Portalis hielt diese Regelung fiir zu streng. Er meinte, die Heiratsunfllhigkeit der Ehebrecherio sollte nicht absolut gelten, sondern auf das Verbot beschränkt sein, ihren "Komplizen" zu heiraten (relatives Eheverbot). 269 Der Staatsrat, den Napoleon abstimmen ließ, folgte zunächst Tronchets Vorschlag. Zugleich beschloß er, daß dem Mann, der Ehebruch begeht, nur die Ehe mit der Konkubine verboten werde: 2711 Artikel 68 des zweiten Entwurfs: .,Dans le cas de divorce. admis en justice pour cause d'adultere de Ia femme, elle sera condamnee a Ia reclusion dans une maison de correction, pour un temps determine, qui ne pourra etre moindre de trois mois, ni excecter deux annees. La femme adultere ne pourrajamais se remarier." 271

Bei erneuter Diskussion der Vorschrift kamen auch Tronchet Bedenken gegen Artikel 68. Allerdings schien ihn weniger die Härte der Regelung fiir die Frau, als die Gefahr filr die Öffentlichkeit zu bewegen: Das Eheverbot habe einen gefllhrlichen Einfluß auf die Sitten, da es der Frau eine Ausrede fiir Libertinage gebe. Das absolute Eheverbot filr die wegen Ehebruchs geschiedene Frau wurde daher, wie Portalis von Anfang an gefordert hatte, vom Staatsrat in ein relatives Eheverbot umgewandelt: Artikel 298 Code civil: "Dans le cas de divorce admis en justice pour cause d'adultere, l'epoux coupable ne pourra jamais se marier avec son complice. La femme adultere sera condamnee pour le meme jugement, et sur Ia requisition du ministere public, a Ia reclusion dans une maison de correction, pour un temps determine, qui ne pourra etre moindre de trois mois. ni exceder deux annees.'' 272

ee) Fünftes Kapitel "Von der Trennung von Tisch und Bett" Mit der Zulassung der Scheidung war die Aufhebung der Ehe möglich. Daher war fraglich, ob filr das Rechtsinstitut der Trennung von Tisch und Bett (separation de corps), das das Gesetz vom 20. September 1792 beseitigt hatte, 273 noch ein Bedürfnis bestand. Der Entwurf der Code civil-Kommission hatte die Trennung von Tisch und Bett nicht mehr vorgesehen. Dies hatten die Gerichte in ihren Stellungnahmen kritisiert und die Beibehaltung der Trennung von Tisch und Bett mit der Begründung verlangt, sie helfe denjenigen Menschen, die die Ehe aus religiöser Überzeugung filr unauflöslich hielten. 274

Portalis in Locre li 513. Locre li 513. Diese Unterscheidung zwischen dem Ehebruch des Mannes und der Frau beruht auf der Regelung des römischen Rechts, vgl. dazu Kaser, § 76 II (S. 275). 271 Locre II 526. 272 Locre li 459. 273 Sagnac, S. 290. 274 Portalis in Locre li 502. Vgl. dazu die Anmerkungen des Gerichts von Montpellier in Fenet IV 427. 269

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Portalis schloß sich der Auffassung der Gerichte an und trat für die Beibehaltung des Rechtsinstituts ein. Für die Wiedereinführung spreche entscheidend, daß das Nebeneinander von Scheidung und Trennung von Tisch und Bett jedem ermögliche, nach seiner Überzeugung zu leben. Einem Katholiken, der sich aus religiösen Gründen nicht scheiden lassen wolle, ermögliche nur dieses Rechtsinstitut die Trennung von seiner Frau. Wenn beide Ehegatten unterschiedliche Auffassungen über die Unautlöslichkeit der Ehe hätten, überließe diese Regelung jedem der Eheleute, nach seiner eigenen Weltanschauung zu handeln. 275 Tronchet äußerte Zweifel, ob die Religionsfreiheit dieses Rechtsinstitut erforderte. "La loi civile ne s'occupe point de ce qui se passe dans les consciences. Sie elle n'autorise que le divorce seul, le catholique, qui ne verra que ce moyen de quitter son epoux, l'emploiera; et pour obeir a ses principes, il ne contractera pas aun mariage nouveau." 276 Portalis erwiderte Tronchet, die Gesetzgebung müsse in sich schlüssig sein. Sie habe die Religionsfreiheit garantiert. Überall, wo diese gelte, seien Ehescheidung und die Trennung von Tisch und Bett eingeführt worden, um jedem eine eigene Entscheidung zu ermöglichen. Insbesondere Preußen habe dieses Beispiel gegeben, obwohl es dort nur wenige Katholiken gebe. Die Behauptung, ein Katholik genüge seiner Überzeugung, wenn er sich selbst nicht erneut verheirate, treffe nicht zu. Denn indem er die Scheidufi8'zulasse, gebe er seinem Ehegatten die Möglichkeit, erneut zu heiraten und das Prinzip der Unautlöslichkeit zu mißachten. Er handele daher nicht nach seiner Überzeugung. 277 In den folgenden Sitzungen wurde die Einführung der Trennung von Tisch und Bett beschlossen. 27K Portalis konnte sich also durchsetzen.

7. Siebter Titel "Von Vaterschaft und Abstammung" Im Ancien Regime wurden uneheliche Kinder wie Ausgestoßene behandelt. Rechtlich gesehen hatten sie keine Familie. Gegen ihren Vater und meist auch gegen ihre Mutter hatten sie, abgesehen von einem Anspruch auf Alimente, 279 keinerlei Rechte. Sie erbten von niemandem und vererbten niemandem; ihr Vermögen fiel an die Lehnsherren oder den König wie herrenloses Land oder Strandgut. 280

Portalis in Locre II 502. Tronchet in Locre II 504. 271 Portalis in Locre II 504. 27K Locre II 549; vgl. Artikel 306 ff. Code civil in Locre II 461. 279 Vgl. Sagnac, S. 317 und 357. 280 Sagnac, S. 317 und 324; Brissaud, S. 1120. 275 276

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Mit der Revolution zog der Geist von Freiheit, Gleichheit und Liebe in das Familienrecht ein und wurden die Rechte unehelicher Kinder denen ehelicher Kinder angenähert: Nach einem Dekret vom 2. November 1793 beerbten uneheliche Kinder, deren Eltern zwischen dem 14. Juli 1789 und dem 2. November I 793 gestorben waren und die nicht im Ehebruch erzeugt worden waren, ihre Eltern wie eheliche Kinder.2MI Die Erbrechte der unehelichen Kinder, deren Eltern nach I 793 sterben würden, sollten dagegen in dem geplanten Code civil geregelt werden, den allerdings weder der Konvent noch das Direktorium fertigstellen konnten. 282 Diese Rechtslage war nur von kurzer Dauer. Das Gesetz vom 2. August I 796 beschränkte die Erbrechte der unehelichen Kinder rückwirkend283 auf ein Drittel dessen, was sie empfangen hatten. 2R4 Nur einzelne, nie verwirklichte Projekte sahen die uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindem vor. 285 Auch nach der Revolution gab es daher erbrechtlich zwei Klassen von Kindern: zum einen die Klasse der ehelichen und der anerkannten unehelichen Kinder, zum anderen die der nicht anerkannten oder im Ehebruch erzeugten unehelichen Kinder. 286 Auch der Code civil sah aus moralischen, religiösen und politischen Gründen keine Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindem vor. In den Artikeln 756 ff. wurden uneheliche Kinder gegenüber ehelichen erbrechtlich erheblich benachteiligt.m Außerdem versagte Artikel 340 Code civil unehelichen Kindem das Recht, die Vaterschaft gerichtlich feststellen zu lassen. Daher konnten sie gegenüber ihrem Vater keine Ansprüche erheben, wenn dieser sie nicht anerkannte. m Wegen der Ungleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindem war die Frage, ob ein Kinder ehelich war, von erheblicher Bedeutung.

a) Erstes Kapitel" Von der Abstammung ehelicher oder in der Ehe geborener Kinder" Der Grundgedanke des ersten Kapitels war die römischrechtliche Maxime pater is est quem nuptice demonstrant. 2R9 Danach besteht die Vermutung, daß der Ehemann der Vater der während der Ehe geborenen Kinder ist. 290 Vgl. Sagnac, S. 320 f. Zu der daraus entstehenden befremdlichen Rechtslage siehe Sagnac, S. 322. 283 Zur Rückwirkung siehe Sagnac, S. 235 ff. 284 Sagnac, S. 357. 285 Sagnac, S. 319 ff. 286 Sagnac, S. 324. 287 Vgl. Artikel338 und 756 ff. Code civil. Vgl. auch Regnaud in Locre III 23. 288 Vgl. Art. 340, Satz I Code civil: .. La recherche de Ia paternite est interdite," in Locre III 14. 289 Paulus D. 2, 4, 5; vgl. auch Bigot-Preameneu, expose de motifs, in Locre III 85. 290 V gl. Kaser, § 60 III 1 a (S. 281 f.). 281

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aa) Artikel 312 Code civil Umstritten war, mit welcher Begründung der Ehemann bestreiten konnte, daß er der Vater eines während der Ehe geborenen Kindes war. Grundsätzlich sollte die Regelpater is est gelten. Fraglich war, welche Ausnahmen von dem Grundsatz zugelassen werden sollten. Außer den Interessen des Ehemannes waren die Interessen der Kinder und der Familien zu berücksichtigen. Je konsequenter die Regel pater is est galt, um so leichter kamen die Kinder in den Genuß der mit dem ehelichen Status verbundenen Vorteile. Zudem diente eine konsequente Umsetzung der Regel dem Erhalt des Familienfriedens, weil sie den Familien viele Prozesse und die damit einhergehende Unruhe und Zerrüttung ersparte. 291 Nach Artikel I, Satz 2, I. Alternative des ersten Entwurfs sollte der Ehemann die Vaterschaft nicht mit der Behauptung anfechten können, die Frau habe einen Ehebruch begangen. Selbst wenn er den Ehebruch beweisen konnte, sollte er als Vater des während der Ehe gezeugten Kindes gelten. Denn, erläuterte Bonaparte, das Kind sei nicht zwangsläufig die Frucht des Ehebruchs. Im Zweifel seitrotz des Ehebruchs im Interesse des Kindes von der Vaterschaft des Ehemannes auszugehen. 292 Artikel I, Satz 2, 2. und 3. Alternative ließ auch nicht zu, sich auf natürliche oder unfallbedingte Unfruchtbarkeit zu berufen. Nach Artikel 4, Nr. I sollte der Ehemann die Vaterschaft aber mit der Behauptung anfechten können, er habe zur Zeit der Zeugung fern seiner Frau gelebt, so daß er urunöglich der Vater des Kindes sein könne: Artikel I des ersten Entwurfs: .,L 'enfant cont,:u pendant le mariage, a pour pere Je mari. La loi n'admet contre cette paternite, ni l'exception d'adultere deIapart de Ia femme, ni l'allegation d'impuissance naturelle ou aceidenteile deIapart du mari." Artikel 4 des ersten Entwurfs: "La presomption de patemite resultante du mariage cesse encore, I o lorsque l'eloignement des epoux est tel, qu'il y ait eu impossibilite physique de cohabitation; 2° lorsqu'ils ont ete separes de corps et de biens: a moins, dans ce demier cas, qu 'il n 'y ait reunion de fait et reconciliation entre eux." 293

(I) Artikel 4, Nr. I des ersten Entwurfs Tronchet und Cambaceres verteidigten Artikel 4, Nr. I . Sie meinten, die Vermutungpater is est müsse immer ihre Wirkung verlieren, wenn Tatsachen das Gegenteil bewiesen. Es sei zugleich ungerecht und absurd, ein Kind, das nicht das des Ehemannes sein könne, als solches gelten zu lassen. 294 Wenn die Ehegatten zur Zeit der Zeugung des Kindes getrennt gelebt hätten, müsse der Vgl. Maleville in Locre III 21. Napoleon in Locre III 20. 293 Locre III 17. 294 Cambaceres in Locre III 20. 291

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Beweis der Unehelichkeit zugelassen werden. Er solle nur ausgeschlossen werden, wenn die Eheleute zusammengelebt hätten, als das Kind gezeugt wurde.m Denn nur in diesem Fall sei es unmöglich, zu beweisen, daß der Mann der Frau nicht beigewohnt habe. Dies sei auch die Überlegung, auf der das römische Recht beruhe. 296 Portalis stand Artikel 4, Nr. I kritisch gegenüber. Er verlangte eine konsequente Anwendung der Regel pater is est. Der Ehebruch der Frau, meinte er, dürfe keinen Einfluß auf den Status der Kinder haben. Nur wenn die Ehefrau im Konkubinat gelebt habe, sei eine Ausnahme von dieser Regel gerechtfertigt. Es sei gefllhrlich, die Anfechtung der Vaterschaft immer dann zuzulassen, wenn die Eheleute nicht ununterbrochen zusammen gelebt hätten: "Dans Je systeme des lois romaines, l'adultere de Ia mere ne compromettait pas l'etat des enfans. Cette regle est juste; et elle ne doit recevoir d 'exception que dans le cas ou, pendant Ia separation des epoux, Ia femme a vecu dans un concubinage public. Teile etait Ia doctrine des parlemens ... II serait dangereux de faire une exception a Ia regle pater is est, dans tous les cas Oll il n'y a pas eu de cohabitation continue entre les epoux, parce que rien n'est plus equivoque que ce fait de Ia cohabitation. II est en effet des professions qui tiennent les maris presque continuellement eloignes de leurs femmes; teile est par exemple Ia profession de voiturier, celle de marin et tant d'autres."297 Portalis konnte seine, am ancien droit orientierte Auffassung nicht durchsetzen: Artikel 312, Satz 2 Code civil erlaubte dem Ehemann die Anfechtung der Vaterschaft mit der Behauptung, die räumliche Entfernung zwischen ihm und seiner Frau habe einen Beischlaf physisch ausgeschlossen. Außerdem erlaubte ihm Artikel 313 Code civil die Anfechtung, wenn ihm seine Frau die Geburt verheimlicht hatte. Artikel312 Code civil: "L'enfant conrru pendant le mariage, a pour pere le mari. Neanmoins celui-ci pourra desavouer l'enfant, s' il prouve que, pendant le temps qui a couru depuis le trois-centü~me jusqu'au cent-quatre-vingtieme jour avant Ia naissance de cet enfant, il etait, soit par cause d'eloignement, soit par l'effet de quelque accident, dans l' impossibilite physique de cohabiter avec sa femme." Artikel 313 Code civil: "Le mari ne pourra, en alleguant son impuissance naturelle, desavouer l'enfant: il ne pourra le desavouer meme pour cause d'adultere, a moins que Ia naissance ne lui ait ete cachee, auquel cas il sera admis a proposer tous les faitS propreS ajustifier qu'il n'en est pas le pere."lYM

So auch Tronchet in Locre III 21 . Tronchet in Locre III 20. 2Y7 Portalis in Locre III 21; vgl. auch Locre III 36. 2Ys Locre 111 4 ff. 295

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

(2) Artikel 1, Satz 2, 2. und 3. Alternative des ersten Entwurfs Nach Artikel I, Satz 2, 2. und 3. Alternative des ersten Entwurfs sollte der Ehemann die Vaterschaft nicht mit der Behauptung anfechten können, er sei von Natur aus oder unfallbedingt unfruchtbar (impuissance naturelle ou accidentel/e). Dies kritisierte Cambaceres. Er verlangte die Zulassung des Unfruchtbarkeitseinwandes. Zwar habe dieser Einwand die Würde mancher öffentlichen Gerichtsverhandlung verletzt, doch sei er zuweilen begründet.299 Die Behauptung der Unfruchtbarkeit sollte als Anfechtungsgrund nicht zugelassen werden, weil man meinte, der Beweis der Unfruchtbarkeit des Mannes sei schwer zu fuhren und "skandalös". Im Vordergrund der Überlegungen standen Beweisschwierigkeiten: Nach damaligem Kenntnisstand war die Unfruchtbarkeit medizinisch nicht immer eindeutig feststellbar. Daher lag es nahe, diesen Anfechtungsgrund abzulehnen. "II est prudent de jeter un voile sur des mysteres que l'on ne peut penetrer." 300 Wegen der medizinischen Ungewißheiten wandte sich auch Portalis gegen den Anfechtungsgrund der Unfruchtbarkeit. Denn, gab er noch zu bedenken, sei nicht, im Gegenteil, die Geburt des Kindes der Beweis der Fruchtbarkeit?301 Allerdings gab es auch nach dem damaligen Kenntnisstand 302 medizinisch zweifelsfreie Fälle unfall- bzw. kriegsbedingter Unfruchtbarkeit. Sollte man nicht wenigstens die Berufung auf die eindeutige, unfallbedingte Unfruchtbarkeit zulassen? 303 Portalis wandte sich auch gegen diesen Anfechtungsgrund. Er hatte jedoch den Fall vor Augen, daß der Ehemann schon bei der Heirat unfruchtbar war: "II est difficile de supposer qu'un individu mutile ose presenter a Ia societe Je simulacre d'un mariage, et venir ensuite alleguer son impuissance pour desavouer ses enfants." Außerdem würden Personenstandsfragen nur selten zu Lebzeiten der Ehegatten relevant. Erst nach dem Tod des Erblassers kämen habsüchtigte Verwandte und "rühren und erwärmen die Asche des Verstorbenen, um ihm nachzusagen, er sei Zeit seines Lebens kalt und reglos" gewesen.304 Mit dieser Argumentation konnte Portalis nicht ausräumen, daß bei eindeutiger unfallbedingter Unfruchtbarkeit kein Grund bestand, dem Vater die Anfechtung der Vaterschaft zu versagen. Daher beschloß der Staatsrat, dem Vater nur die Berufung auf die natürliche Unfruchtbarkeit zu versagen (Artikel

Cambaceres in Locre I1l 20. Tronchet in Locre III 21. 301 Portalis in Locre III 21. 302 Vgl. zum Stand der Wissenschaft zur Zeit der Staatsratsdebatten den Bericht Fourcroys "Sur l'epoque de Ia naissance humaine, et sur les naissances accelerees et tardives" in Locre III 27 ff. 303 Vgl. Maleville in Locre III 22. 304 Portalis in Locre III 22. 299

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313), ihm aber die Berufung auf die unfallbedingte Unfruchtbarkeit zu gestatten (Artikel 312).305 bb) Artikel 314 Code civil Streng genommen sind nur solche Kinder ehelich, die während der Ehe gezeugt werden. Für die Feststellung der Ehelichkeit kommt es also auf den Zeitpunkt der Zeugung und nicht auf den Zeitpunkt der Geburt an. Zur Zeit der Staatsratsdebatten war es jedoch noch nicht möglich, den Zeitpunkt der Zeugung präzise zu bestimmen. Daher war vor allem bei Frühgeburten nicht mit Sicherheit feststellbar, ob ein Kind vor, während oder nach der Ehe gezeugt worden war. Ein Anhaltspunkt fiir das Alter eines Neugeborenen war aber nach dem damaligen Kenntnisstand seine Lebensfähigkeit: Bis zu sieben Monate alte Foeten galten nach der Geburt als nicht lebensfähig, auch wenn sie zunächst Lebenszeichen zeigten. 3116 Ein sechs Monate altes Kind konnte zwar lebend geboren werden, es würde aber wenige Tage nach der Geburt sterben. Der Zeitpunkt der Zeugung konnte nach Auffassung der Staatsräte daher nur bei Berücksichtigung der Lebensfähigkeit des Neugeborenen annähernd genau festgestellt werden. Nach Artikel 2 des ersten Entwurfs sollte das innerhalb von 186 Tagen nach der Eheschließung geborene Kind als unehelich gelten. Auf die Lebensfähigkeit des Neugeborenen sollte es nicht ankommen: Artikel 2 des ersten Entwurfs: ,.L'enfant ne avant le cent-quatre-vingt-sixii:me jour du mariage n'est plus presume l'enfant du mariage." 3117

Bei den Staatsratsdebatten wurde erwogen, zur Ermittlung des Zeugungszeitpunktes auf die Lebensfähigkeit des Kindes abzustellen und die Beurteilung der Lebensfähigkeit den Ärzten zu überlassen. Deren Können vertrauten die Staatsräte jedoch nicht. Zudem befiirchtete Tronchet, unehrliche Ärzte würden ihre Befugnisse mißbrauchen und absichtlich falsche Erklärungen abgeben, um den Anschein der Ehelichkeit zu erwecken. Daher suchte der Staatsrat nach einer Regelung, die ohne die Mitwirkung von Ärzten auskam.30x Wie bei den Debatten zu Artikel 312 Code civil verlangte Portalis eine konsequente Anwendung der Regel pater ist est. Er meinte zunächst, der sicherste Weg, die Schwierigkeiten zu umgehen, sei, den Grundsatzpater is est aufzustellen und das übrige der Rechtsprechung zu überlassen. 309 Dieser Vorschlag wurde von der Mehrheit des Staatsrats, die diese wichtige Frage fiir 305 V gl. Locre III 22 und Artikel I. Satz 2 und Artikel 2 des zweiten Entwurfs in Locre III 66. 306 Tronchet in Locre III 23 . 307 Locre III I 7. 308 Tronchet in Locre III 23. 309 Portalis in Locre III 23.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

regelungsbedürftig hielt, zurückgewiesen. Tronchet meinte, dann überließe man die Entscheidung dem Belieben der Richter (jugements de purefaveur). 310 Sodann griff Portalis einen Gedanken Boulays auf. Boulay hatte vorgeschlagen, dem Ehemann ein Anfechtungsrecht zu geben, wenn ein Kind weniger als 186 Tage nach der Heirat zur Welt kam und mindestens zehn Tage lang lebte.311 Zu bedenken war jedoch, daß diese Regelung eine Ehefrau, die ihre Ehre in Gefahr sah, dazu verleiten könnte, ihr eigenes lebensfl!higes Kind zu töten. Denn auf diese Weise könnte sie den Eindruck zu erwecken versuchen, ihr Kind sei erst nach der Eheschließung gezeugt worden.312 Portalis nahm diese Idee Boulays auf und sagte, ein während der Ehe geborenes Kind solle in jedem Fall als ehelich gelten, auch wenn es vor der Heirat gezeugt worden sei. Er schlug vor, Artikel l auf den Wortlaut "L'enfant ne pendant le mariage appartient au mari" zu beschränken, anschließend zu bestimmen, daß der Vater die Ehelichkeit des Kindes anfechten könne, und entsprechende Anfechtungsgründe festzulegen. 313 Gegen Portalis' Vorschlag wurde eingewandt, daß man sich nicht auf den Zeitpunkt der Geburt beschränken könne, da allein der Zeitpunkt der Empfl!ngnis die Rechte des Kindes bestimme. 314 Außerdem löse die Regelung, die Portalis vorgeschlagen habe, nicht alle Probleme. Insbesondere belaste sie den Ehemann mit der negativen Beweislast Der Ehemann könne die Ehelichkeit nur anfechten, indem er beweise, daß er seiner Frau vor der Heirat nicht beigewohnt habe. Dieser Beweis sei ihm tatsächlich unmöglich.m Die römischrechtliche Regelung, entgegnete Portalis dieser Kritik, habe den Vorteil, daß sie das Kind als ehelich erachte, solange die Ehelichkeit nicht angefochten werde. Das in der Ehe geborene Kind sei ein eheliches, unabhängig davon, ob es vor oder während der Ehe gezeugt worden sei. Daher müsse das Gesetz die Vermutung der Ehelichkeit aufstellen. Man dürfe das während der Ehe geborene Kind nicht als unehelich brandmarken.m Portalis setzte hier seine Auffassung durch. Die Staatsräte beschlossen die Anfechtungslösung, die er gefordert hatte. 317 Nach dem Code civil galt das während der Ehe geborene Kind, auch wenn es vor der Ehe gezeugt worden war, So Tronchet in Locre III 23. Boulay und ihm zustimmend Napoleon in Locre III23 . 312 Vgl. Real in Locre III 23. 313 Portalis in Locre III 24. 314 So Boulay in Locre III 24. m Vgl. Cambaceres in Locre III 24. 316 Portalis in Locre III 25. 317 Locre III 66. Zunächst hatte der Staatsrat die Gesetzgebungssektion mit der Überarbeitung des ersten Entwurfs beauftragt (Locre III 25). Die Gesetzgebungssektion hatte dann Portalis' Lösungsvorschlag übernommen (vgl. Art. 3 des 2. und 3. Entwurfs). Diesen überarbeiteten Entwurf verabschiedete der Staatsrat ohne weitere Diskussion. 310 311

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als ehelich.m Der Ehemann sollte aber ein Anfechtungsrecht haben, wenn das Kind weniger als 180 Tage nach der Hochzeit geboren wurde. Solange er nicht anficht, sollte auch ein eindeutig vor der Heirat gezeugtes Kind als ehelich gelten. Das regelte Artikel 314 Code civil konkludent, indem er bestimmte, wann das Anfechtungsrecht ausgeschlossen war: 319 Art. 314 Code civil: "L'enfant ne avant le cent-quatre-vingtiemejour du mariage, ne pourra etre desavoue par le mari dans les cas suivants: 1o S'il a eu connaissance de Ia grossesse avant le mariage; 2° s'il a assiste a l'acte de naissance, et si cet acte est signe de lui, ou contient sa declaration qu'il ne sait signer; 3° si l'enfant n'est pas declare viable." 320

b) Zweites Kapitel .. Vom Beweis der Abstammung der ehelichen Kinder"311 - Artikel 323 Code civil

Fraglich war, welcher Beweismittel sich ein Kind zum Beweis seiner Ehelichkeit sollte bedienen können und insbesondere, unter welchen Voraussetzungen der Zeugen- neben dem Urkundenbeweis zugelassen werden sollte. Bei der Suche nach einer gerechten Regelung mußten die Staatsräte die widerstreitenden Interessen der Kinder und der Familien abwägen: Einerseits sollte dem ehelichen Kind ermöglicht werden, seine Anerkennung als eheliches Kind durchzusetzen und die damit verbundenen rechtlichen Vorteile, insbesondere sein Erbrecht, zu verwirklichen. Andererseits aber sollten die Familien und der Familienfrieden vor Eindringlingen geschützt werden, die wahrheitswidrig die Familienzugehörigkeit behaupteten. 322 Artikel 3 des ersten Entwurfs sollte die Familien vor "Eindringlingen" schützen, indem er die Möglichkeiten des Kindes beschränkte, seine Abstammung mittels Zeugen zu beweisen: Artikel I: "La filiation des enfans legitimes se prouve par l'extrait du registre de I' etat civil. Artikel 2: "Si les registres sont perdus, ou s'il n'en a point ete tenu, Ia possession constante de l'etat d'enfant legitime323 suffit."

318 Vgl. Bigot-Prearneneu. expose de motifs, in Locre 1!1 87; Laurent, Band 3, Rn 379 (S. 464). 319 Laurent, Band 3, Rn. 379 (S. 464). 320 Locre III 6. 321 Vgl. die Originalilberschrift: "Des preuves de Ia filiationdes enfans legitimes." 322 V gl. Portalis in Locre III 39. 323 Artikel 321 Code civil definiert den Begriffpossession d'etat wie folgt: "La possession d'etat s'etablit par une reunion suffisante de faits qui indiquent le rapport de filiation et de parente entre un individu et Ia famille a laquelle il pretend appartenir. Les prinicipaux de ces faits sont, Que l'individu a toujours porte le nom du pere auquel il pretend appartenir; Que le pere l'a traite comme son enfant, et a pourvu. en cette qualite, a son education, a son

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil Artikel 3: "A defaut de cette possession constante, Ia preuve de Ia filiation peut se faire par temoins. s'il y a commencement de preuve par ecrit. Il en est de meme si l'enfant a ete inscrit sous de faux noms. ou comme ne de pere et mere inconnus." Artikel 5: .,Le commencement de preuve par ecrit resulte des registres et papiers domestiques du pere ou de Ia mere. ou des actes publies et meme prives emanant d'une partie engagee dans Ia contestation. ou qui y aurait interet si eile etait vivante." 324

Nach Artikel, 3 Satz 1 des ersten Entwurfs sollten Zeugenaussagen zum Beweis der Ehelichkeit nur zulässig sein, wenn ein sogenanntes commencement de preuve par ecrit erbracht wurde. Die Rechtsfigur des commencement de preuve par ecrit, die dem deutschen Recht fremd ist, erklärte Artikel 1347 Satz 2 Code civil wie folgt: "On appelle ainsi [commencement de preuve par ecrit, Anm. des Verf] tout acte par ecrit qui est emane de celui contre Iequel Ia demande est formee, ou de celui qu' il represente, et qui rend vraisemblable Je fait allegue:ms Das Erfordernis des commencement de preuve par ecrit beschränkte daher die Zulässigkeit des Zeugenbeweises. Die Staatsräte mißtrauten dem Zeugenbeweis. Sie bezweifelten seine Zuverlässigkeit. Kein Beweismittel, meinte Lahary, sei "zerbrechlicher'' und geflihrlicher. 326 Im Vertragsrecht sollten daher förmlich vereinbarte Regelungen nicht ohne weiteres durch einen Zeugenbeweis entkräftet werden können. Die Beweiskraft eines Schriftstücks sollte die eines mündlichen Zeugnisses grundsätzlich übersteigen. Zeugenaussagen sollten gegen den Inhalt einer schriftlichen Vereinbarung deshalb nur zugelassen werden, wenn die Aussagen eines formellen Vertrages zugleich durch ein anderes Schriftstück in Frage gestellt wurden. 327 Diesen Gedanken des Vertragsrechts hatte der Entwurf auf den Beweis der Ehelichkeit übertragen. Nach Artikel l sollten in erster Linie die Zivilstandsregister über den Personenstand eines Kindes entscheiden. Wenn keine Register existierten, sollte zum Beweis der Ehelichkeit genügen, daß das Kind Statusbesitz (possession d'etat)m hatte. Auf den Zeugenbeweis sollte sich das Kind zum Beweis seiner Abstammung nach Artikel 3 nur stützen können, wenn es ein commencement de preuve par ecrit erbrachte. Zum Schutz des Familienfriedens vor unbegründeten Behauptungen der Abstammung durch Dritte erschwerte der Entwurf dem Kind damit die Beweisfilhrung mittels Zeugenbeweises. entretien et a son etablissement; Qu'il a ete reconnu constamment pour tel dans Ia societe; Qu'il a ete reconnu pour tel par Ia famille.'· (Locre III 9). 324 Locre III 18. 325 Vgl. Locre VI 53. 326 Lahary in Locre III 110 (Sitzung des Tribunats vom 19. März 1803). 327 Vgl. das expose de motifs von Bigot-Preameneu in Locre VI 184 ff. 328 Vgl. zum Begriff Statusbesitz (possession d'etat) oben S. 115, Fußnote 323.

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Wegen des Erfordernisses des commencement de preuve par ecrit kritisierte Portalis Artikel 3. Diese Regelung, meinte er, sei zu streng. In der Vergangenheit sei es vorgekommen, daß Ehemänner und Ehefrauen ihr eheliches Kind seines Status' beraubt hätten. Dies hätten die Fälle "de Choiseul" und "Ferrant" gezeigt. Im Fall "de Choiseul" habe eine Ehefrau ihr Kind heimlich zur Welt gebracht und so seinen Status verschleiert. Im Fall "Ferrant'' habe ein als eifersüchtig bekannter Ehemann die Eintragung eines Kindes seiner Frau als sein Kind verhindert. 329 Der Code civil solle das Kind vor derartigen Manipulationen schützen und ihm den Beweis seiner ehelichen Abstammung ermöglichen. Die Stellung eines Kindes, fuhr Portalis fort, sei nicht mit der von Vertragsparteien vergleichbar. 330 Vertragsparteien hätten zur Zeit des Vertragsabschlusses gelebt und am Vertragsabschluß selbst mitgewirkt. Sie hätten daher die Möglichkeit gehabt, sich selbst die Schriftstücke beschaffen, die ftlr ein commencement de preuve par ecrit erforderlich seien. Ein Kind dagegen befinde sich nicht in dieser Situation. Ein commencement de preuve par ecrit könne daher nur verlangt werden, wenn das Kind Zugang zu den erforderlichen Dokumenten habe. Unter Berufung auf das römische Recht verlangte Portalis, daß der Zeugenbeweis immer zugelassen werde, wenn dem Kind ein commencement de preuve par ecrit unmöglich sei: "Autrefois on avait concours des circonstances, lorsqu'il etait tel qu'il dut ebranler l'esprit du juge, et lui faire entrevoir une verite qu'il devenait necessaire d'eclaircir ... Cependant Ia preuve testimoniale seule est trop dangereuse pour qu'elle doive suffire au succes de Ia demande. L'inconvenient de laisser un enfant dans l'obscurite est moins grand que celui d'exposer toutes les familles a etre troublees. II faut donc exiger un commencement de preuve par ecrit, dans les cas tres rares ou il est possible de l'obtenir; que s'il n'existe pas, on doit avoir egard a Ia masse des faits et des circonstances. Tel est le systeme de Ia loi, au cod. de Testibus, laquelle dit: Defende causam tuam instrumentis et argumentis quibus potes, soli enim testes ad ingenuitatis probationem non sufficiunt."331 Tronchet gab zu Bedenken, daß das System, das Portalis vorschlage, den Zeugenbeweis praktisch in jedem Fall ohne commencement de preuve par ecrit erlaube. Ein Fall, in dem der Richter den Zeugenbeweis zurückweisen könne, sei in diesem System kaum vorstellbar. 332 Zunächst überging der Staatsrat Portalis' Vorschlag. Auch der zweite und dritte Entwurf forderten ftlr die Zulassung des Zeugenbeweises ein commencement de preuve par ecrit. 333 Erst die Kritik der Gesetzgebungssektion des

Portalis in Locre III 39. Vgl. zum Vertragsrecht Artikel 1315 ff. Code civil, in Locre VI 52 ff. 331 Portalis in Locre III 39; vgl. zum römischen Recht auch Lahary in Locre III 110. Zitiert ist C 4,20,2. 332 Tronchet in Locre III 40. 333 V gl. Artikel 12 der zweiten Redaktion in Locre IIl 66. 329

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Tribunats334 fllhrte zur Einfllhrung von Portalis' Gedanken in den Code civil.m In Artikel 323, Satz 2 Code civil wurde der Zeugenbeweis auch ohne commencement de preuve par ecrit zugelassen, wenn "hinreichend gewichtige" Anhaltspunkte oder Vermutungen dies geboten: Artikel 323 Code civil: "A defaut de titre et de possession constante, ou si l'enfant a ete inscrit, soit sous de faux noms, soit comme ne de pere et mere inconnus, Ia preuve de filiation peut se faire par temoins. Neanmoins cette preuve ne peut etre admise que lorsqu'il y a commencement de preuve par ecrit, ou lorsque les presomptions ou indices resultants de faits des-lors constans, sont assez graves pour determiner l'admission."336 Artikel 323 Code civil übernahm also Portalis' Vorstellungen.

c) Drittes Kapitel,. Von den unehelichen Kindern"

aa) Erster Abschnitt "Von der Legitimation unehelicher Kinder" (I) Artikel331 Code civil Nach der Rechtsprechung des Ancien Regime legitimierte die Ehe der Eltern die Kinder von Rechts wegen. Einer Anerkennungserklärung der Eltern bedurfte es nicht. Wenn ein Kind Rechte eines ehelichen Kindes geltend machen wollte, mußte es lediglich seine Abstammung beweisen. Falls erforderlich konnte das Kind auch Klage auf Feststellung der Vaterschaft erheben.m Soweit es keine Anerkennungserklärung filr die Legitimation verlangte, hatte das ancien droit das römische Recht übernommen. Nach dem römischen Recht, das auf ein Gesetz Konstantins (leg. per subsequens matrimonium) zurückging, legitimierte eine Ehe jedoch nur Kinder, die aus einem Konkubinat hervorgegangen waren. 338 Das vom kanonischen Recht beeintlußte ancien droit setzte dagegen fllr die Legitimation nicht voraus, daß die Eltern vor der Eheschließung

334 Vgl. die Anmerkungen der Gesetzgebungssektion des Tribunats, in Locre 111 78 ff. m Vgl. Locre 111 81. Die Regelung, die das Tribunat vorgeschlagen hatte, wurde in die vierte Redaktion des Entwurfs übernommen. 336 Locre III 10. 337 Tronchet in Locre III 43. Diese Regelung des ancien droit entsprach der Lehre Pothiers. Pothier beschrieb die Rechtslage wie folgt: "La Iegitimation des enfans nes du commerce charnel que les parties ont eu avant le mariage, se fait par Ia seule force et efficacite du mariage que leur pere et leur mere contractent." Pothier, Traite du contrat de mariage, 5. Teil, 2. Kapitel, Artikel 2, § IV ("Comment se fait Ia Iegitimation") in Pothier, Oeuvres, Band 5, Rn. 422 (S. 235). 338 C 5, 27,5 ff.; vgl. Kaser, § 61 II 2 b) aa) (S. 286).

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im Konkubinat gelebt hatten. 339 Das ancien droit ließ die Legitimation also vergleichsweise wohlwollend zu. Der erste Entwurf wich von ancien droit und römischem Recht ab. Denn Artikel 2 des ersten Entwurfs setzte ftlr die Legitimation eine Anerkennungserklärung der Eltern vor oder spätestens bei der Eheschließung voraus. 340 Nach der Heirat sollte die Legitimation ausgeschlossen sein: 341 Artikel I des ersten Entwurfs: "Les enfans nes hors mariage, d'un pere et d'une mere libre, pourront etre legitimes." Artikel 2 des ersten Entwurfs: "IIs seront legitimes par Je mariage subsequent de leurs pere et mere, lorsque ceux-ci les auront legalement reconnus avant leur mariage, ou qu'ils les reconnaitront dans l'acte meme de celebration."342

Eine Anerkennung nach der Hochzeit sollte keine Legitimationswirkung entfalten, da man Rechtsmißbräuche der Eheleute befilrchtete. Eine Frau, meinte Tronchet, könnte ihren Ehegatten zur Anerkennung der Vaterschaft nötigen. 343 Ferner wurde beftlrchtet, Eheleute könnten ein fremdes Kind anerkennen, um sich eine fremde Erbschaft zu sichern.344 Hintergrund dieser Neuregelung war folgender. Die vorrevolutionäre Rechtsprechung hatte die Klage auf Feststellung der Vaterschaft zugelassen. 34s Dagegen sollte nach dem Entwurf, der dem Gesetz vom 1. November 1793 folgte, 346 die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft unzulässig sein, 347 um zu verhindern, daß Väter- wie es nach Tronchets Auffassung in der Vergangenheit geschehen war- zu Unrecht verurteilt wurden.34" Die Vaterschaft sollte nur durch die Anerkennungserklärung des Vaters bewiesen werden können. Auch die Real in Locre 111 SO; Kaser, § 61 II 2 (S. 286). Vgl. Tronchet in Locre III 43 und Regnaud in Locre 111 44. 341 Justizminister in Locre III 42 und Tronchet in Locre III 43. 342 Locre III 18 f. 343 Tronchet in Locre III 43 . 344 So Regnier in Locre III 42 und Portalis in Locre I1I 43 . 345 Vgl. Bigot-Preameneu, expose de motifs, in Locre 111 94. 346 Brissaud, S. 1125. 347 Vgl. Art. 340, Satz I Code civil: "La recherche de Ia paternite est interdite. Dans Je cas d'enlevement, lorsque l'epoque de cet enlevement se rapportera a celle de Ia conception, Je ravisseur pourra etre, sur Ia demande des parties interessees, declare pere de l'enfant." Locre III 14. 34" V gl. die Meinung Tronchets: "Autrefois une fille etait libre de diriger sa declaration contre qui elle voulait; et ordinairement, parmi les personnes qui l'avaient frequente, elle choisissait Je plus riche, pour Je faire declarer pere de son enfant. Cette maneuvre etait presque toujours heureuse, puisqu'il suffisait, pour faire prononcer Ia patemite, que Ia fille prouvät qu'il y avait eu frequentation. Cependant, dans Ia verite, il restait des doutes sur Ia qualite exclusive de pere;" Locre I1I 56. Vgl. auch Brissaud, S. 1124: "L'homme dont les cheveux avaient blanchi dans l'exercice de toutes les vertus n'etait pas a l'abri des attaques d'une femme impudente." 339 340

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Legitimation sollte daher nur eintreten, wenn der Vater seine Vaterschaft selbst anerkannte. 349 In der Diskussion trat der Justizminister dafiir ein, die nachträgliche Anerkennungserklärung fiir die Legitimation ausreichen zu lassen. Er meinte, die Legitimation trete automatisch mit der Heirat ein. Die Anerkennungserklärungen der Eltern dienten nur der Anwendung dieses Prinzips. Außerdem könnten das Schamgefiihl und das Bestreben, ihre sittenstrengen Eltern nicht zu entfremden, die Eheleute davon abhalten, ihre Kinder vor oder bei der Eheschließung anzuerkennen. Zudem sei die Legitimation im Interesse der Kinder und hätten interessierte Dritte, z.B. die Verwandten der Kinder, bei rechtsmißbräuchlichen Anerkennnungen ein Anfechtungsrecht Weiter könnten die Eheleute das Kind auch adoptieren, so daß ein Betrug gar nicht notwendig sei. Schließlich sei es ungerecht, den Kindern, die zu Unrecht ihres ehelichen Status beraubt worden seien, die nachträgliche Legitimation zu versagen. 350 Tronchet und Portalis verteidigten den Entwurf. Portalis sagte, die Legitimation sei nicht, wie der Justizminister gemeint hatte, die natürliche Folge der Ehe, sondern eine vom Gesetz gewährte Begünstigung, die erst das kanonische Recht in das französische Recht eingefiihrt habe. In England habe man die Legitimation durch die Ehe abgelehnt, weil man befiirchtet habe, sie würde Konkubinate fördern. Die Code civil-Kommisssion habe sie beibehalten, weil sie seit langem geltendes Recht sei. Jedoch müsse die Anerkennung vor oder bei der Eheschließung erfolgen. Denn zugunsten der Kinder, die außerhalb der Ehe geboren seien, gelte keine Vermutung der Ehelichkeit. Ihr Status (existence) sei zweideutig. Die Erklärung, die ihnen einen Status verleihe, müsse daher zu einem "unverdächtigen" Zeitpunkt abgegeben werden. Anerkennungen, die erst nach der Heirat erklärt würden, hätten in der Vergangenheit in manchen Fällen fremde Kinder in die Familien gebracht - wie dies bei der Adoption geschehe. Daher müsse die nachträgliche Legitimation wegen ihrer Anfälligkeit fiir Mißbräuche abgeschafft werden.351 Für Gewissenskonflikte der Eltern, die der Justizminister angesprochen hatte, zeigte Portalis wenig Verständnis: Warum sollte man den Kindem zusätzliche Rechte geben? "Est-ce Ia fausse pudeur des parents? Quand on obeit a Ia fois a Ia nature et a sa conscience, on ne peut compromettre son honneur." 352 Damit stellte Portalis auf Kosten der Kinder hohe moralische Ansprüche an die Eltern. Portalis' Auffassung setzte sich schließlich in Artikel 331 Code civil durch: 353

Tronchet in Locre 111 43. Justizminister in Locre lli 42 f. 351 Portalis in Locre III 43. 352 Portalis in Locre III 44. Tronchet und Berlier teilten Portalis' Ansicht; vgl. Locre III 44 ff. 353 Locre III 4 7. 349

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Artikel 331 Code civil: "Les enfans nes hors mariage, autres que ceux nes d'un commerce incestueux ou adulterin, pourront etre legitimes par le mariage subsequent de leurs pere et mere, lorsque ceux-ci les auront legalement reconnus avant leur mariage, ou qu'ils les reconnaitront dans l'acte meme de celebration.''354

(2) Artikel 4 des ersten Entwurfs - die Ehe auf dem Totenbett Auch im Rahmen der Beratungen zu Artikel 4 des ersten Entwurfs suchte Portalis seine relativ strengen Moralvorstellungen durchzusetzen. Nach dem ersten Entwurf sollte die Legitimation bei einer Ehe auf dem Totenbett (mariage in extremis) ausgeschlossen sein: Artikel 4 des ersten Entwurfs: "Le mariage contracte a l'extremite de Ia vie, entre deux personnes qui auraient vecu en concubinage, ne legitime point les enfants qui seraient nes avant ledit mariage."m

Dem römischen Recht war die Rechtsfigur der Ehe auf dem Totenbett fremd. In Frankreich erging Rechtsprechung zur Ehe auf dem Totenbett erstmals gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Eine von Ludwig XIII. erlassene Ordonnanz von 1639 filhrte sie dann in die Gesetzgebung ein. 356 Die Ordonnanz zielte in erster Linie darauf ab, Mesalliancen zu verhindem. 357 Daher erklärte sie in Artikel 6 Kinder fiir erbunfiihig, wenn ihr Vater die Mutter unterhalten und auf dem Totenbett geheiratet hatte.m Diese, zunächst auf die Ehe des Vaters beschränkte Regelung erweiterte das unter Ludwig XIV. erlassene Edikt von 1697 auf die Ehe auf dem Totenbett der Mutter. 359 Das Gesetz von 1697 erfaßte zudem nicht nur die vor, sondern auch die nach der Eheschließung geborenen Kinder. Damit wurden auch an sich eheliche Kinder Bastarden gleichgestellt. 360 Wegen der Umstände und Gründe ihres Aufkommens genoß das Rechtsinstitut der Ehe auf dem Totenbett kein hohes Ansehen: "Le plus ancien arret est de 1591, temps de troubles et d'anarchie, temps de guerre civile et religieuse, ou tous les interets, toutes Jes passions etaient dechaines. Alors Paris, en proie aux Espagnols et au ligueurs, etait a Ia veille d'etre assiege par Henri IV; alors Ia theorie de Ja pubJicite des mariages, a peine fixee, etait partout meconnue Oll eludee; alors, Ia haine des calvinistes et Ia terreur des mesalliances, inspiraient seules Je parlement subjugue, et dictaient ses arrets." 361 Obwohl sich gegen die Ordonnanz von 1639, die die Rechtsprechung festschrieb, sogleich heftige Kritik

Locre lii II. Locre lii 19. 356 Real in Locre 111 49. 357 Vgl. Real in Locre III 50. 35K Maleville in Locre 111 47. 359 Berlier in Locre 111 4 7. 360 Real in Locre III 49 und 5 I. 361 Real in Locre IIl 49. 354

355

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

erhob, behielten Standesdenken und die Furcht vor Mesalliancen die Oberhand und bestimmten auch das Gesetz von 1697. 362 Artikel 4 des ersten Entwurfs war im Staatsrat ebenso umstritten wie die Gesetze des 17. Jahrhunderts, die er fortschrieb. Berlier beantragte die Streichung der Vorschrift. Er meinte, die Moral stehe der Ehe auf dem Totenbett nicht entgegen. Dem Einwand, die Möglichkeit zur Heirat am Rande des Grabes nach einem freizügigen Leben sei eine Aufforderung zum Konkubinat, stehe entgegen, daß es nicht der Natur und dem Geftihl des Menschen entspreche, sein Verhalten im voraus und mit Blick auf seine Fähigkeiten in seinen letzten Stunden einzurichten. Niemand lebe im Konkubinat in der zerbrechlichen Hoffnung auf eine Ehe auf dem Totenbett. Wenn demjenigen, der im Konkubinat lebe, etwas Aufrichtigkeit verblieben sei, dann werde er sein Unrecht gutmachen wollen, indem er seinen Kindem einen Personenstand und der Mutter die Ehre schenke. Nichts daran sei unmoralisch. 363 Portalis dagegen meinte, die Ehe auf dem Totenbett sollte schon aus Gründen der Moral keine Legitimationswirkung haben. "Sous Je rapport des mceurs, !es lois contre Ja Iegitimation par mariage in extremis ont produit un effet utile; elles ont diminue les concubinages. II convient donc de laisser subsister Ia cause qui a proeure ce bien a Ia societe."364 Portalis stellte aber vornehmlich auf den Schutz des Sterbenden vor der Einflußnahme Dritter ab: "On n'a pas voulu qu'un mariage pllt etre fait comme un testament, et que les feux de I'hymen s'allumassent aupres des torches funeraires; on a voulu defendre les mourans des Suggestions et des pratiques qui pourraient etre employees pour surprendre Jeur faiblesse. On a pense que si Ia loi prend des precautions pour mettre a couvert !es interets !es plus modiques des citoyens, elle ne peut pas les abandonner par rapport a un interet aussi grand que celui du mariage; on n'a pas cru que Je mariage, ce contrat des vivans put etre forme avec un cadavre commence, et que Je terme de Ia vie dut etre Je premier moment de Ia societe conjugale. Mais, objecte-t-on, les mariages in extremis ont ete longtemps toleres. Ce fait ne prouve rien. Les Iois sont amenes par Ies circonstances, et a Ia mesure que les abus qui s'introduisent en font sentir Ia necessite. La loi ne precede pas l'abus, elle Je suit; malheurau legislateur qui prevoit Ies abus; il les fait naitre." 365 Auch die Anwesenheit des Standesbeamten, meinte Portalis, stelle bei Ehen auf dem Totenbett nicht sicher, daß die Ehe aus freiem Willen eingegangen werde. Real entgegnete Portalis, daß der Entwurf meist nur zwei Unschuldige treffe: Er bestrafe Mutter und Kind, um den einzig Schuldigen, den Vater, zu belangen. Er verurteile einen einzigen Moment des Irrtums und der Schwäche und verdamme ein ganzes Leben zu Hoffnungslosigkeit. Die Frau wolle in einer solchen Situation immer die Heirat, um ihre Ehre, ihr Glück und das Wohl ihres Vgl. Real in Locre III 49. Berlier in Locre III 48. 364 Porta1is in Locre III 48. Vgl. auch Ma1eville III 47. 365 Portalis in Locre 111 48. 362 363

III. Erstes Buch "Von den Personen;,

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Kindes zu bewahren. Die Regelung wolle den allein schuldigen Mann erreichen. Das gelinge ihr jedoch nicht immer. Und wenn sie den Mann erreiche, hindere sie ihn, den Schaden durch die Heirat wiedergutzumachen. Artikel 4 des Entwurfs sei darüber hinaus auch widersprüchlich. Denn er verhindere nur die Legitimation der vor der Ehe auf dem Totenbett geborenen Kinder. Wenn man die nach der Ehe geborenen Kinder legitimiere, müsse das gleiche erst recht filr Kinder gelten, die vorher geboren seien. 366 Auch sei nicht bestimmbar, wann eine Ehe auf dem Totenbett vorliege. Jede Entscheidung sei willkürlich. In der Medizin herrsche über diese Frage völlige Unklarheit. Mit der Ehe repariere der Mann die Irrtümer seines Lebens: Er gebe seinen Kindem und seiner Frau einen Stand, ein Vermögen und sterbe in Frieden. Auch sei der Einwand falsch, der Mann sei bei der Ehe auf dem Totenbett unflihig, eine wirksame rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben. Denn er könne in diesem Zustand ein wirksames Testament ablegen. 367 Bei der Abstimmung des Staatsrats unterlag Portalis • Auffassung. Der Staatsrat beschloß, Artikel 4 des Entwurfs zu streichen. 36K

bb) Zweiter Abschnitt ,.Von der Anerkennung unehelicher Kinder" - Artikel 336 Code civil Der Code civil unterschied zwischen legitimen bzw. legitimierten Kindem (enfants legitimes bzw. legitimes), anerkannten Kindem (enfants /egalement reconnus) und natürlichen Kindem (enfants nature/s). Die rechtliche Stellung legitimer und legitimierter Kinder war stärker als die anerkannter Kinder. Die Stellung anerkannter Kinder wiederum war stärker als die der nicht anerkannten natürlichen Kinder. Anerkannte Kinder waren zwar gegenüber ehelichen Kindem erbrechtlich benachteiligt. Sie zählten aber neben ehelichen Kindem zu den gesetzlichen Erben ihrer Eltern. Nicht anerkannte Kinder hatten dagegen überhaupt kein gesetzliches Erbrecht. 369 Daher hatte die Anerkennung der VaterReal in Locre III 51. Real in Locre III 52 f. 368 Locre III 54. 369 Vgl. Artikel338 Code civil: "L'enfant nature! reconnu ne pourra reclamer les droits d'enfant legitime. Les droits des enfants naturels seront regles au titre des Successions." (Locre III 13 ). Artikel 756 Code civil: "Les enfans naturels ne sont point heritiers; Ia loi ne leur accorde de droit sur les biens de leur pere ou mere decede, que lorsqu' ils ont ete legalement reconnus. Elle ne leur accorde aucun droit sur les biens des parens de leur pere ou mere." Artikel 757 Code civil: "Le droit de l'enfant nature! sur les biens de ses pere ou mere decedes, est regle ainsi qu'il suit: Si le pere ou Ia mere a laisse des descendans legitimes, ce droit est d'un tiers de Ia portion hereditaire que l'enfant nature! aurait eue s'il eüt ete legitime; il est de Ia moitie lorsque les pere ou mere ne laissent pas de descendans, mais 366 367

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

bzw. Mutterschaft fiir das Kind erhebliche Bedeutung. Fraglich war, welche Wirkungen die (einseitge) Anerkennung der Vaterschaft nur durch den Vater haben sollte. Nach dem ersten Entwurf sollte die Vaterschaft erst feststehen, wenn beide Eltern, also Vater und Mutter sie anerkannten. Eine einseitige Anerkennungserklärung des Vaters sollte nicht ausreichen: Artikel 8 des ersten Entwurfs: "Toute reconnaissance du pere seul, non avoue par Ia mere, sera de nul effet, tant a l'egard du pere que de Ia mere; sans prejudice neanmoins de Ia preuve de Ia matemite, et de ses effets contre Ia mere seulement." Artikel 9 des ersten Entwurfs: "La reconnaissance du pere et l'aveu de Ia mere seront valables, ä quelque epoque qu'ils aient ete faits." 370

Diese Regelung sollte die "skandalöse" Situation verhindern, daß mehrere Männer gleichermaßen behaupteten, der Vater ein und desselben Kindes zu sein. 371 Außerdem befiirchtete man, daß Männer sich bei dem Tod einer Frau als Vater ihres Kindes ausgeben könnten, um in den Genuß des Vermögens zu kommen, das die Frau hinterlasse. 372 Dem Interesse, derartige Skandale zu vermeiden, stand jedoch das Interesse der Kinder, von ihrem Vater anerkannt zu werden, gegenüber. Einige Staatsräte und Napoleon lehnten Artikel 8 des Entwurfs in dieser Form ab. 373 Sie meinten, das Wohl des Kindes gebiete es, auch die einseitige Anerkennung der Vaterschaft zuzulassen. Denn die Anerkennnung verpflichte den Vater zu Unterhaltszahlungen. 374 Warum sollte der Staat einen Mann daran hindern, sich eines Bastards, der niemandem gehöre, anzunehmen? Außerdem sei es dem Vater nach der vorgeschlagenen Regelung unter Umständen, zum Beispiel wenn die Mutter verstorben sei, unmöglich, die Anerkennung seines Sohnes zu erreichen. 375 Portalis dagegen lehnte es ab, die Anerkennungserklärung eines Mannes als Beweis der Vaterschaft anzuerkennen. Denn der Mann könne seiner Vaterschaft niemals sicher sein. 376 Zumindest solle Dritten das Recht gewährt werden, die Anerkennung der Vaterschaft anzufechten und feststellen zu lassen, daß die Anerkennungserklärung kein Beweis der Vaterschaft sei. "La reconnaissance du pere seul ne pouvant devenir une preuve de Ia patemite, il ne suffit pas de decider qu'elle demeure sans effet, si elle est desavouee par Ia mere; il faut encore que toute personne interessee puisse Ia contester, et a cet effet declarer bien des aseendans ou des freres ou sa:urs; il est des trois quarts lorsque les pere ou mere ne laissent ni descendans ni aseend ans, ni freres ni sa:urs" (Locre V 18 f. ). 370 Locre III 19. 371 Boulay in Locre III 58 und 61. 372 Vgl. Regnaud in Locre III 60. 373 So Cambaceres, Thibaudeau und der Justizminister, vgl. Locre III 58. 374 Cambaceres in Locre III 58; Berlier in Locre III 60. 375 Emmery in Locre III 60. 376 Portalis in Locre III 60 und 61 .

III. Erstes Buch ,.Von den Personen"

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positivement qu'elle n'est pas une preuve de l'etat de l'enfant." 377 Portalis wollte dadurch sicherstellen, daß die Vaterschaftserklärung nicht die (Erb-) Rechte Dritter verletzte. m Der Staatsrat entschied, der Anerkennungserklärung nur relative Wirkung beizumessen. Die Anerkennungserklärung sollte einseitig Rechte des Vaters begründen (Artikel 336 Code civil). Insofern wich der Staatsrat von Portalis' Vorstellungen ab. In Artikel 339 Code civil wurde aber das von Portalis vorgeschlagene Anfechtungsrecht Dritter aufgenommen. Portalis setzte sich also teilweise durch: Artikel 336 Code civil: .,La reconnaissance du pere, sans l'indication et l'aveu de Ia mere, n'a d'effet qu'a l'egard du pere." Artikel 339 Code civil: "Toute reconnaissance de Ia part du pere ou de Ia mere, de meme que toute reclamation deIapart de l'enfant, pourra etre COntesteepar tous ceux qui y auront interet. " 379

8. Achter Titel "Von der Adoption und der Pflegeelternschaft"- Erstes Kapitel "Von der Adoption"

a) Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen Das ancien droit ließ zivilrechtliche Adoptionen nicht zu. 3Ku In äußerst seltenen Ausnahmetallen wurden "Adoptionen" durch Lettres du Prince zugelassen. Eine solche "Adoption" verlieh jedoch weder die väterliche Gewalt, noch die Stellung eines gesetzlichen Erben.m Als Grundlage des Adoptionsrechts des Code civil kam daher vor allem das römische Recht in Betracht. Nach römischem Recht konnte der Hausvater Familienfremde durch Arrogation oder Adoption an Kindes statt annehmen. Die ältere adrogatio erlaubte die Annahme eines gewaltfreien Mannesm an Kindes statt. Ursprünglich setzte sie die Zulassung durch das Ponitfikalkolleg und die Befragung (rogatio) der Volksversammlung, also ein Gesetz filr den Einzelfall voraus.m In nachklassischer Zeit wurde die Arrogation durch Kaiserreskript mit Zustimmung beider Teile

Portalis in Locre III 61 . Vgl. Portalis in Locre III 62. 379 Locre III 13 f. 380 Gary, Rede vor dem Tribunat, in Locre Ill 279 f. Zu den adoptionsähnlichen Rechtsfiguren mancher coutumes siehe Lepointe, La Familie dans l'ancien droit, § 134 377 378

(S. II I). 381 382

Brissaud, S. 1130 f. Im Prinzipal konnten auch Frauen und Freigelassene arrogiert werden; Kaser, § 60

III 2 a. 383

Kaser, Das römische Privatrecht, I. Abschnitt, § 15 III I (S. 66).

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

gewährt. 384 Fremde Hauskinder, in älterer Zeit auch Sklaven, konnten dagegen durch die adoptio an Kindes statt angenommen werden. Bei der adoptio wurde das Adoptivkind zunächst in einem mehraktigen Verfahren 385 aus der väterlichen Gewalt entlassen. Dann behauptete der Adoptivvater vor dem Magistrat, das Adoptivkind sei sein Kind. Wenn der Gegner dies nicht bestritt, sprach der Magistrat dem Adoptivvater das Kind zu. 386 In der nachklassischen Zeit verkümmerte die alte Form und wurde der Vorgang nur noch beurkundet. 387 In Rom hatte die Annahme an Kindes statt große Bedeutung. Sie diente der Aufrechterhaltung des Familienverbandes, des Familiennamens und der Bewahrung des Hausgötterkultes.m In Frankreich waren Adoptionen sowohl in den Ländern des droit ecrit als auch in den Ländern der coutumes bald außer Gebrauch gekommen. 389 Denn man sah in der Adoption eine Gefahr fiir das Erbrecht der leiblichen Nachkommen. 390 Erst die Revolutionäre fiihrten die Adoption wieder in das französische Recht ein. Allerdings verfolgten sie mit dem Adoptionsrecht andere Ziele als das römische Recht. Ihr Bestreben war es, das Vermögen insbesondere der alten, reichen Familien aufzuspalten und auf möglichst viele Erben zu verteilen. Die Adoption war ein Mittel dazu. Sie sollte zudem dazu dienen, armen Kindem den Genuß des Vermögens von kinderlosen Reichen zu verschaffen. 391 Erstmals anerkannt wurde das Prinzip der Adoption durch das Dekret vom 18. Januar 1792. 392 Bis zum Inkrafttreten des Code civil scheiterten jedoch alle Versuche, Voraussetzungen, Verfahren und Rechtsfolgen der Adoption in einem Gesetz detailliert zu regeln. 393

b) Die Zulassung der Adoption im Code civil Fraglich war schon, ob die Adoption als Institut in den Code civil aufgenommen werden sollte. 394 Diese Frage spaltete den Staatsrat in zwei Lager. Während Kaser, Das römische Privatrecht, I. Abschnitt, § 83 II I (S. 348). Zum Verfahren siehe Kaser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, § 15 IV (S.67). 386 Kaser, Das römische Privatrecht, I. Abschnitt, § 15 IV (S. 67). 387 Kaser, § 60 111 3 a (S. 283). 388 Kaser, § 60 1112 (S. 282). 389 Brissaud, S. 1130. 390 Theewen, S. 163: Brissaud, S. 1130. 391 Sagnac, S. 315 f. 392 Das Dekret vom 18. Januar 1792 ist abgedruckt bei Locre 111 234. 393 Locre in Locre 111 15 5. 394 Im Gegensatz zu den vorherigen Code civil-Entwürfen hatte der Entwurf der Code civii-Kommission von 1800 die Adoption nicht vorgesehen. Die Kommission hatte einstimmig die Meinung vertreten, die Adoption sei als zivilrechtliches Institut entbehrlich und schaffe weniger Vorteile als Gefahren. Sie wollte es daher der Regierung überlassen, die Adoption als politische Maßnahme zu regeln: Tronchet in Locre 111 181. 384 385

III. Erstes Buch "Von den Personen"

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manche Staatsräte393 die Adoption nur als politisches Institut zulassen wollten, forderten andere, 396 darunter Portalis, eine zivilrechtliche Adoptionsregelung. Diejenigen, die die Adoption nur als politische, also von einem Staatsorgan nach politischen Gesichtspunkten im Einzelfall ausgesprochene Maßnahme zulassen wollten, meinten, die Adoption sei nur in dieser Form nützlich. So könnten Adoptionen verdienstvollen Bürgern, deren Ehe kinderlos geblieben sei, erlaubt werden. Diese Bürger hinterließen dann dem Staat Kinder, die ihnen ähnlich gerieten. Dies sei von großem Nutzen ftlr den Staat. 397 Als zivilrechtlich geregelte und damit allen BUrgern offenstehende Institution hingegen sei die Adoption ohne Vorteil ftlr das Staatswohl. Sie eröffue nur die Gelegenheit zum Mißbrauch. Beispielsweise könnten Kinder adoptiert werden, um den Erbteil der gesetzlichen Erben zu vermindern. Darüber hinaus sei die Adoption aus sozialen Gründen nicht erforderlich. Denn um einem Kind zu helfen, brauche man ihm nicht seinen Namen zu geben. Und denjenigen, die kinderlos geblieben seien, eröffne das Gesetz genUgend Möglichkeiten, Waisen aufzuziehen. Letztlich sei zweifelhaft, ob ein Vater ftlr einen Adaptivsohn in allen, auch schwierigen Lebenssituationen die gleichen Geftlhle hege wie ftlr einen leiblichen Sohn.398 Portalis forderte die Zulassung der Adoption als zivilrechtliches Institut. Die Rechtsfigur der Adoption, begann er seine Rede, sei nicht neu. Bereits die Griechen und Römer hätten sie gekannt, und auch bei mehreren modernen Völkern sei sie zu finden. Gegen die Adoption als politische Institution, die als Ausgleich ftlr Verdienste ftlr das Vaterland gewährt werde, sprächen vor allem praktische Gründe. Denn das Kriterium der "geleisteten Dienste" (services rendus) sei kaum objektivierbar. Schon deshalb sei die Adoption als politische Maßnahme abzulehnen. Für die Zulassung der Adoption als zivilrechtliches Institut spreche hingegen die Funktion des Zivilrechts. Die Aufgabe des Zivilrechts sei es nicht, die Interessen des Staates, sondern die des Einzelnen zu ilirdem, soweit dies ohne Verletzung der Interessen der Gemeinschaft möglich sei. Daher sei nicht entscheidend, ob die Adoption ftlr den Staat nUtzlieh sei: "On objecte que l'adoption n'est pas reclamee par l' utilite publique. Il importe de distinguer; dans le droit public, l'utilite publique est Ia loi supreme, parce Eine andere Auffassung vertrat die Gesetzgebungssektion des Staatsrats. Sie forderte eine zivilrechtliche Regelung der Adoption und arbeitete einen Entwurf aus; Locre in Locre III 155. Dieser Entwurfwar die Grundlage der Staatsratsdebatten. Vgl. auch Buch I, 7. Titel "Oe I'adoption" des Entwurfs von 1793 in Fenet I 29 f. und Art. II ff. des 2. Entwurfs von 1794 in Fenet I I II. 393 Diese Ansicht vertraten Maleville (vgl. Locre III 180), Boulay, Bigot-Preameneu und Tronchet (vgl. Locre III 235 f.). 396 Diese Ansicht vertraten Roederer, Napoleon und Portalis, vgl. Locre III 185 u. 236. 397 Vgl. Maleville in Locre III 180: "L'adoption peut etre tres utile, consideree comme mesure politique ... L'adoption generalement admise n'a ... ni principe, ni but, ni utilite dans nos mreurs, et pour cela seul, eile devrait etre rejetee; car toute innovation, sans necessite evidente, est toujours dangereuse." 398 Tronchet in Locre III 181 ff.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

qu'elle est Ia sauvegarde de tous; dans le droit civil, toute utilite particuliere a Ia faveur de l'utilite publique, si elle ne Ia contrairie pas; car le droit civil n'existe pas seulement pour cet etre abstrait qu'on nomme Ia chose publique, il existe plus particulierement pour chacun des individus qui composent !'Etat. II ne suffit donc pas, pour rejeter une institution purement civile, d'alleguer qu'elle n'est pas commandee par l'utilite publique."399 Maßgebend war daher aus Portalis' Sicht, ob die Adoption den Interessen der Bevölkerung diente und ob sie die Interessen des Staates verletzte. Portalis bejahte diesen Nutzen. Nachteile filr den Staat sah er nicht. Er hatte vor allem die Interessen alter Leute im Blick, deren Ehe kinderlos geblieben war oder deren Kinder verstorben waren: "Si on l'admet comme institution civile, loin d'avoir des inconveniens, elle a au contraire de grands avantages. II faudra sans doute l'interdire au celibataires, sinon !es mreurs tomberaient dans Ia depravation ou etaient celles des Romains dans les temps malheureux de leur decadence; mais il faut menager des consolations a l'homme qui, apres avoir satisfait au vreu de Ia nature et s'etre soumis aux embarras et aux sollicitudes inseparables du mariage, n'a pu obtenir le titre de pere, ou a qui Ia mort de ses enfants l'a ravi ... En examinant l'adoption sous ces deux rapports, on aper~oit, d'un cöte, qu'elle ne blesse pas l'interet general, de l'autre, qu'elle est utile aux individus. L'interet general ne sera pas blesse; car Je mariage se trouvera suffisamment protege par Je refus que Ia loi fera au celibataire d'user de l'adoption, et par !es precautions qu'elle prendra pour garantir les droits des enfans legitimes. L'inten!t des individus sera favorise, puisque l'adoption deviendra une source de consolations et de bienfaisance."400 Der Staatsrat beschloß, die Adoption als zivilrechtliches Institut zuzulassen und zu regeln. 401 Die Adoption erfuhr im Code civil eine entsprechende Ausgestaltung, die insoweit den Vorstellungen von Portalis entsprach.

c) Erster Abschnitt .. Von der Adoption und ihren Rechtsfolgen "

aa) Artikel 13 des zweiten Entwurfs - Artikel 361 Code civil Artikel 13 des zweiten Entwurfs regelte das Verfahren fUr die Adoption von Waisen. Er schloß die Adoption unehelicher Kinder nicht aus: Portalis in Locre III 185. Portalis in Locre lii 185. 401 Locre III 185. Nach der Unterbrechung der Gesetzgebungsarbeiten zum Code civil wegen des Machtkampfes zwischen Napoleon und dem Tribunat stellten einige Staatsräte die Zulassung der Adoption erneut grundsätzlich in Frage (vgl. die Sitzung vom 18. Nov. 1802 in Locre III 233 ff.). Von neuem entschied der Staatsrat, die Adoption zuzulassen, und beauftragte die Gesetzgebungssektion mit der Ausarbeitung eines neuen Entwurfs; Locre III 238. 399

400

III. Erstes Buch "Von den Personen"

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Artikel 13 des zweiten Entwurfs: "Si l'enfant n'a point de parens, le juge de paix convoquera quatre voisins ou amis, lesquels lui eliront un tuteur special. a l'effet de consentir al'adoption, s'il y a lieu."402

Artikel 13 mißfiel Tronchet, da er auch die Adoption unehelicher Kinder ermöglichen sollte. Tronchet wollte zwischen ehelichen und unehelichen Kindem unterscheiden und die Adoption unehelicher Kinder verbieten. Zur Begründung filhrte er die erbrechtliehen Folgen einer Adoption an. Die Freiheit, zugunsten unehelicher Kinder zu testieren, meinte Tronchet, sei aus moralischen Gründen beschränkt. 403 Artikel 13 ermögliche es, diese erbrechtliche Beschränkung zu umgehen. Denn er erlaube dem Vater, sein eigenes (uneheliches) Kind zu adoptieren und ihm dadurch sein gesamtes Vermögen zu vererben. Wenn die Testierfreiheit des Vaters beschränkt sei, dürfe man ihm keine Möglichkeit eröffnen, seine unehelichen Kinder zu seinen Erben zu machen, sie seiner Familie anzugliedern und ihnen die Rechte eines Verwandten zuzuweisen. 404 Mit dieser Auffassung traf Tronchet auf großen Widerstand. Cretet entgegnete ihm, daß gerade die Adoption von Waisen und verstoßenen Kindern, die in den meisten Fällen uneheliche Kinder seien, gefördert werden sollte. Daher solle die Adoption vor allem dieser Kinder vonjedem Hindernis befreit werden.405 Auch Portalis lehnte es ab, zwischen ehelichen und unehelichen Kindem zu unterscheiden. Er sagte, daß es "weise" sei, im Gesetz weder von Bastarden, noch von Kindem unbekannter Herkunft zu sprechen.40"' Obwohl Portalis relativ strenge Moralvorstellung vertrat und die Ehe und daraus hervorgehende Kinder filr besonders schützenswert hielt, bewies er in diesem Punkt Milde gegenüber unehelichen Kindern. Anders als Tronchet wollte er Bastarde nicht aus der Gesellschaft ausschließen. Sie sollten die Chance haben, durch eine Adoption eine Familie zu finden. Allerdings sagte Portalis nicht deutlich, ob er vorwiegend die Interessen der Waisenkinder verfolgte oder die Interessen der Adoptiveltern, die sich einen Nachkommen wünschten. Der Staatsrat folgte Portalis' Auffassung und beschloß Artikel 13.407 In der Folge wurde die Vorschrift zwar mehrfach überarbeitet. Die Entscheidung, auch die Adoption unehelicher Kinder zu erlauben, blieb jedoch unangetastet. Auch der Code civil unterschied bei Adoptionen nicht zwischen ehelichen und unehelichen Kindern.

Locre Ili 2 I 8. Tronchet wollte die Testierfreiheit weitgehend beschränken. Er konnte seine Auffassung jedoch im Code civil nicht durchsetzen; vgl. Artikel 916 Code civil und unten E V 3 b. 404 Tronchet in Locre III 222. 405 Cretet in Locre III 222. 406 Portalis in Locre 223. 407 Locre III 223. 402

403

9 Plesser

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

bb) Artikel 347 ff. Code civil Nach den ersten Entwürfen zum Adoptionsrecht sollten die natUrliehen Verwandtschaftsverhältnisse des Adoptivkindes mit der Adoption enden. Rechtlich gesehen sollte das Adoptivkind wie ein natUrliebes Kind des Adaptivvaters behandelt werden.408 Dieser Idee folgte auch der dritte Entwurf. Artikel 29 des dritten Entwurfs: "II (l'adopte, Anm. des Verf) appartiendra famille de I'adoptant, dans tous Ies degres directs et collateraux." 409

a Ia

Auch gegen diese, dem Adoptivkind günstige Bestimmung wandte sich Tronchet mit erbrechtliehen Erwägungen. Das Erbrecht der Verwandten, meinte er, sei ein vom Gesetz eingeräumtes Eigentumsrecht, das nur durch ein allgemeines Gesetz entzogen werden dUrfe. Eine Adoption greife in das Erbrecht der Verwandten ein und komme daher einem - unzulässigen - Einzelfallgesetz gleich. Denn nach der vorgeschlagenen Regelung beerbe das Adoptivkind nicht nur die Adoptiveltern, sondern auch deren Verwandte. Zum Beispiel würde ein Adoptivkind gegebenenfalls den Bruder seines Adaptivvaters beerben können. Die Adoption wUrde also in das Erbrecht der anderen Erben des Bruders eingreifen. Daher verletze der Entwurf das grundlegende Prinzip, daß ein Einzelfallgesetz (loi speciale), das nur ein Einzelinteresse verfolge, niemals Eigentumsrechte, die Dritten durch Gesetz eingeräumt worden seien, einschränken dUrfe. 410 Die strenge Konsequenz dieses Prinzips sei, daß die Adoption wie die Legitimation dem Adoptivkind nur den Teil des Nachlasses des Adaptivvaters verschaffen dUrfe, Uber den dieser frei verfUgen könne. Anderes dUrfe nur gelten, wenn man die geltenden Gesetze ändere und demjenigen, der keine Kinder habe, nach dem Vorbild des römischen Rechts uneingeschänkte Testierfreiheit einräume. 411 Dieser Argumentation widersprach Portalis. Niemandem, sagte er, könne das Gesetz Eigentum entziehen. Denn das Eigentum sei ein Menschenrecht. Anderes gelte jedoch filr das Erbrecht. Im Gegensatz zu Tronchet unterschied Portalis Erbrecht und Eigentum. "Mais le droit de succeder est-il un droit de propriete? non: autrement il faudrait abroger toutes les lois qui permettent de disposer. "412 Gesetze, fuhr er fort, könnten Erwartungen schaffen und vernichten. Dementsprechend könne das Zivilrecht auch die Erbfolge regeln. Weil die Adoption ein rein zivilrechtliches Institut sei, könne das Zivilrecht auch ihre zivilrechtliehen Folgen bestimmen. "Quand on admet que Ia loi peut faire d'un enfant autre

408 Vgl. Art. 19 des ersten Entwurfs in Locre III 179 und Art. 3 7 des zweiten Entwurfs in Locre III 195. 409 Locre III 218 f. 410 Tronchet in Locre III 227 ff. 411 Tronchet in Locre III 229. 41 2 Portalis in Locre IJI 230.

lll. Erstes Buch "Von den Personen"

chose que ce qu'en a fait Ia nature, on ne peut contester beaucoup moins etendu, de regler comment il succedera."413

131

a Ia

loi le pouvoir,

Gegen Artikel29, meinte Tronchet, spreche auch der Vergleich der Adoption mit der Legitimation eines unehelichen Kindes durch seinen Vater. Diese Form der Legitimation sei im Ancien Regime durch Reskript, also durch Gesetz gewährt worden. Nach droit coutumier habe das legitimierte Kind nur den Vater und die Seitenverwandten, die der Legitimation zugestimmt hätten, beerbt. Diese Rechtslage habe auch in den Ländern des droit ecrit gegolten. Zwar hätten einige Parlamente des droit ecrit entschieden, daß Legitimierte die Stellung eines heritier sien hätten und ihren Vater beerbten. Seines Wissens habe jedoch kein einziges Urteil festgestellt, daß ein legitimiertes Kind auch die Seitenverwandten beerbe. 414 Das Erbrecht eines Verwandten, fuhr Tronchet fort, dürfe nur durch allgemeine Gesetze, nicht aber durch Rechtshandlungen des Erblassers beschränkt werden. Aus diesem Grund hätten die Prinzen Legitimationen nur in Gesetzesform ausgesprochen. 415 Wie die Legitimation wirke auch eine Adoption wie eine Gesetzesänderung. Bei der Legitimation bestehe noch das Bindeglied der natürlichen Verwandtschaft zwischen Vater und legitimiertem Kind. Adoptivvater und Adoptivkind seien dagegen nicht einmal miteinander natürlich verwandt. Wenn schon das legitimierte Kind die Seitenverwandten nicht beerbe, könne das Adoptivkind erst recht nicht Erbe der Seitenverwandten werden. 416 Portalis wies dieses Argument zurück. Tronchets Darstellung des droit ecrit, erklärte Portalis, treffe nicht zu. Nach droit ecrit habe das legitimierte Kind auch die Seitenverwandten beerbt. Denn in einem Fall habe das Parlament der Provence entschieden, daß der Legitimierte die Stellung eines "hreures suus" habe. 417 Diese Urteil sei aufgehoben und der Fall zur Entscheidung an das Parlament von Toulouse verwiesen worden. Dieses habe wie das Parlament der Provence entschieden. Das zeige, wie gefestigt die Rechtsprechung der Parlamente der Länder des droit ecrit in dieser Frage gewesen sei. 418 Im Anschluß an Portalis' Stellungnahme wurde Artikel 29 des dritten Entwurfs vom Staatsrat angenommen. 419 Nach dieser Entscheidung wurde der Portalis in Locre III 230. Tronchet in Locre III 328. 41 5 Tronchet in Locre III 327. 416 Tronchet in Locre III 329. 417 Ob die Entscheidung feststellt, daß der Legitimierte aufgrund seiner Stellung als "hreures suus" auch die Seitenverwandten beerbt, sagte Portalis nicht ausdrücklich. Offenbar meinte er dies aber. Möglicherweise stellen die Entscheidungen, wie Tronchet vermutete, lediglich fest, daß der Legitimierte nur in Bezug auf das Erbe seines Vaters die Stellung eines heritier sien habe, ohne zu entscheiden, ob er auch die Seitenverwandten beerbt. Das Protokoll ist hier nicht eindeutig. 418 Portalis in Locre lii 230. 419 Locre III 230. 413

414

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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gesamte Entwurf zum Adoptionsrecht jedoch grundlegend überarbeitet. Während noch der vierte Entwurf die Regelung von Artikel 29 des dritten Entwurfs beibehalten hatte, 420 fehlte sie seit dem ftlnften Entwurf. 421 In den Code civil ging schließlich die folgende, an Tronchets Überlegungen angelehnte Regelung ein: Anstatt das Adoptivkind uneingeschränkt in die Familie des Adoptierenden einzugliedern und in alle Rechte eines ehelichen Kindes einzuweisen, stellte der Code civil es einem natürlichen Kind nur teilweise gleich. Insbesondere das Erbrecht des Adoptivkindes wurde beschränkt: Nach Artikel 350, 2. Halbsatz Code civil beerbte ein Adoptivkind nur den Adoptivvater, nicht aber dessen Verwandte. Darüber hinaus ließ Artikel 348 Code civil rechtliche Bindungen zwischen dem Adoptivkind und seinen leiblichen Eltern fortbestehen: Artikel 347 Code civil: "L'adoption conferera le nom de l'adoptant l'ajoutant au nom propre de ce demier."

a l'adopte, en

Artikel 348 Code civil: "L'adopte restera dans sa famille naturelle et y conservera tous ses droits: neanmoins le mariage est prohibe: Entre ... " Artikel 349 Code civil: "L'obligation naturelle, qui continuera d'exister entre l'adopte et ses pere et mere, de se foumir des alimens dans les cas determines par Ia loi, sera consideree comme commune a l'adoptant et a l'adopte, l'un envers l'autre." Artikel 350 Code civil: "L'adopte n'acquerra aucun droit de successibilite sur les biensdes parens de l'adoptant; mais il aura sur Ia succession de l'adoptant les mames droits que ceux qu'y aurait l'enfant ne en mariage, mame quand il aurait des enfans de cette demiere qualite nes depuis l'adoption.''422

d) Zweiter Abschnitt" Vom Adoptionsverfahren " - Artikel 353 ff. Code civil Nach dem zweiten Entwurf sollte das Adoptivkind einem legitimen Kind erbrechtlich gleichstehen. Insbesondere sollte ein Adoptivkind seinen Adoptivvater wie ein legitimes Kind beerben.m Auf der Grundlage dieses Entwurfs diskutierte der Staatsrat, wem die Entscheidung über Adoptionen übertragen werden sollte. Sollte eine einfache Rechtshandlung des Adoptierenden vor einem Staatsbeamten genügen? Sollten die Gerichte über Adoptionen entscheiden424 oder, wie bei der römischrechtlichen Arrogation, ein hohes Staatsorgan, also der Vgl. Artikel 22 des 4. Entwurfs; Locre III 233. Vgl. Artikel 14 ff. des 5. Entwurfs; Locre III 241. 422 Locre IIl 168. 423 Art. 33 des 2. Entwurfs: "L'adoption transporte au pere ou a Ia mere qui adopte Ia qualite de pere ou de mere legitime; elle etablit entre l'adoptant et le fils adoptiv, les memes droits et les memes devoirs qu'entre pere et enfant legitime." Artikel 36 des zweiten Entwurfs: "Dans le cas ou, apres l'adoption il naitrait a l'adoptant des enfans en mariage, l'enfant adoptiv n'en conservera pas moins le droit a une part d'enfant legitime dans Ia succession." Locre III 195. 424 Dies forderten Roederer, Thibaudeau, Regnaud, Berlier in Locre III 198 ff. 420 421

III. Erstes Buch .,Von den Personen"

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Senat, die Gesetzgebende Versammlung oder die Regierung? 42s Der zweite Entwurfübertrug die Entscheidung den Gerichten erster Instanz. 426 Portalis kritisierte diese Entscheidung des zweiten Entwurfs. Die Adoption, meinte er, schaffe eine fiktive Vaterschaft und verändere dadurch die Erbfolge. Sie ftlhre zu einer Änderung der allgemeinen Regeln, über die nur ein hohes Staatsorgan entscheiden könne. "La loi ne reconnait que les enfans nes du mariage; eile etablit l'etat des familles: l'adoption, qui cree une patemite fictive, qui change !'ordre des successions, est donc une exception, une derogation, une faveur qu'il n'appartient qu'aux autorites principales d'accorder."427 Außerdem, meinte Portalis, schütze der Entwurf nicht gegen mißbräuchliche Adoptionen. Zwar sei die Adoption ein rein zivilrechtliches Institut. Sie berühre aber die Interessen des Staates in gleichem Maße wie Testamente, die in Rom vor der Volksversammlung, also unter Mitwirkung der souveränen Gewalt, gemacht worden seien. Daher müsse das Gesetz ein Verfahren vorsehen, das Mißbräuche verhindere. Dieses Ziel erreiche es nur, wenn es hohen Staatsorganen die Entscheidung über Adoptionen übertrage. Vertraue man die Entscheidung dagegen den Gerichten an, so wäre die Mitwirkung der öffentlichen Gewalt eine bloße Formalität. Adoptionen würden dann auf Antrag der Parteien bewilligt werden, ohne daß eine ernsthafte Abwägung der Motive und Interessen stattfinde. Dagegen verhindere bereits die Notwendigkeit, sich an ein hohes Staatsorgan wenden zu müssen, jeden taktlosen (indiscret) oder mißbräuchlichen Antrag. 428 Gegen die von Portalis vorgeschlagene Lösung wandte der Justizminister ein, daß sie die Adoption zu sehr erschwere. Die Gesetzgebende Versammlung könne nicht jeden Einzelfall entscheiden. Ihre Aufgabe sei allein die Gesetzgebung. Die Anwendung der Gesetze auf den Einzelfall obliege dagegen ausschließlich der Verwaltung. Würde jede Adoption ein Gesetz voraussetzen, so hieße das im Grunde, daß der Code civil die Adoption nicht zulasse. Denn ein Einzelfallgesetz sei nur erforderlich, wenn die allgemeinen Gesetze eine Regelung nicht vorsähen. 429 Wenn der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Adoption gesetzlich festsetzen könne, warum sollte er auch ihre Durchftlhrung im Einzelfall selbst wahrnehmen? Dies würde, wie Roederer anmerkte, dem von Montesquieu entwickelten Gewaltenteilungsprinzip widersprechen. 430 "Quand Ia loi fait des exceptions, ces exceptions deviennent des regles comme Ia loi 42s

Dies forderten Portalis, Tronchet und Berenger; vgl. Locre III 197 ff. V gl. Artikel 21 ff. und insbesondere Artikel 25 des zweiten Entwurfs: "Si le tribunal (de premiere instance, Anm. des Verf) accueille Ia demande, son jugement portera qu'il autorise l'adoption", in Locre III 195. Vgl. auch Artikel 357 Code civil in Locre III 170. 427 Portalis in Locre III 197. 42s Portalis in Locre III 197. 429 Locre III 198. 430 Roderer in Locre III 198. 426

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generate elle-meme, et l'application n'en appartient plus qu'aux tribunaux."431 Zu bedenken war jedoch, daß das Parlament nach damaliger Auffassung auch filr die Verleihung der französischen Staatsbürgerschaft im Einzelfall zuständig war. Wie die Adoption veränderte auch die Verleihung der Staatsbürgerschaft den Status und die Rechte einer Person im Einzelfall. 432 Außerdem, bemerkte der Justizminister, könnten allein die Gerichte in sinnvoller Weise prüfen, ob eine Adoption das Wohl der Adoptivkinder fördere. Der Gesetzgeber könne nur eine passive Rolle wahrnehmen. Denn wenn die Voraussetzungen des Gesetzes vorlägen, sei die Adoption kraft Gesetzes gültig." 433 Regnaud gab darüber hinaus zu bedenken, daß man dem alten Landmann, der fern der Hauptstadt lebe, die Adoption praktisch unmöglich mache, wenn man von ihm verlange, wegen einer Adoption in die Hauptstadt zu reisen, um sich dort an die Gesetzgebende Versammlung zu wenden. 434 Portalis entgegnete dem Justizminister, daß er die Adoption weder erleichtern, noch erschweren wolle. Ihm sei daran gelegen, ihren Mißbrauch zu verhindern. "L'adoption peut etre utile; mais elle n'est pas necessaire au maintien de Ia societe comme le mariage, qui, par cette raison, est du ressort des tribunaux. C'est une institution particuliere, hors de )'ordre commun: ainsi eile doit etre reglee par des lois particulieres ... Il est vrai qu'en general l'execution des lois qui pennettent, appartient aux tribunaux; mais il est vrai aussi que Ia loi peut mettre les conditions qu'il lui plait aux institutions qu'elle cree hors du droit commun: or, quel condition est ici necessaire? l'intervention d'une autorite extraordinaire? autrement, l'action du pouvoir public degenerant en simple fonnalite, les adoptions se multiplieraient plus que l'interet de Ia societe ne l'exige."435 Hiennit löste er sich von seiner Argumentation, daß Adoptionen Ausnahmen seien, die zwingend durch Einzelfallgesetze geregelt werden müßten. Er berief sich nur noch darauf, daß sie durch Gesetz vollzogen werden sollten, um Mißbräuche zu verhindern. Zunächst entschied der Staatsrat, die Entscheidung über Adoptionen einem hohen Staatsorgan zu übertragen. 436 Diese Entscheidung wurde jedoch nachträglich in Frage gestellt, weil der Gesetzgebungssektion des Staatsrats, wie Berlier berichtete, Zweifel an ihr aufgekommen waren. Die Zuständigkeit des Parlaments, erklärte Berlier, schaffe zwar keine rechtliche Ungleichheit, da jeder das Parlament anrufen könne. Sie schaffe aber tatsächliche Ungleichheiten. Denn filr die reichen und angesehenen Bürger stellten die mit der Vorbereitung einer Enscheidung der Gesetzgebenden Versammlung verbundenen FonnaHtäten Roederer in Locre III 198. So Boulay in Locre III 199. 433 Locre III 198. 434 Regnaud in Locre III 199. 435 Portalis in Locre III 198. 436 Locre III 21 0; vgl. Artikel 26 des dritten Entwurfs in Locre 111 218 und Artikel 18 des vierten Entwurfs in Locre 111 232. 431

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keine wesentliche Hürde dar. Anderes gelte jedoch ftlr die große Masse der Bevölkerung, die Bewohner des Landes und die Handwerker. Diesen Menschen sei die Adoption unzugänglich, wenn sie nicht durch die am Orte oder nur wenig entfernt ansässigen Beamten vollzogen werde. 437 Daher wurde das Adoptionsverfahren überarbeitet. Letztlich übertrug der Code civil die Entscheidung über Adoptionen nicht dem Parlament, sondern den Gerichten.431 Erleichtert wurde diese Entscheidung dadurch, daß die späteren Entwürfe die Rechtsfolgen der Adoption änderten, insbesondere das Erbrecht des Adoptivkindes beschränkten. Es sollte nur den Adoptierenden beerben, nicht aber dessen Verwandte. 439 Da die Rechtsfolgen der Adoption so abgeschwächt waren, verminderte sich ihre Bedeutung und damit das Bedürfnis, die Gesetzgebende Versammlung in das Verfahren einzubeziehen.

e) Zusammenfassung Das Adoptionsrecht des Code civil hatte mit den ersten Entwürfen nur noch wenig gemeinsam. Es ließ Adoptionen nur unter sehr engen Voraussetzungen zu: Artikel 343 Code civil: "L'adoption n'est permise qu'aux personnes de l'un ou de l'autre sexe, ägees de plus de cinquante ans, qui n'auront, a l'epoque de l'adoption, ni enfans, ni descendans legitimes, et qui auront au moins quinze ans de plus que les individus qu'elles se proposent d'adopter." Artikel 345 Code civil: "La faculte d'adopter ne pourra etre exercee qu'envers l'individu a qui l'on aura, dans sa minorite et pendant six ans au moins, fourni des secours et donne des soins non interrompus. ou envers celui qui aurait sauve Ia vie a l'adoptant, soit dans un combat, soit en le retirant des flammesoudes flots. 11 suffira, dans ce deuxieme cas, que l'adoptant soit majeur, plus äge que l'adopte, sans enfans, ni descendans legitimes, et s'il est marie, que son conjoint consente a l'adoption." Artikel 346 Code civil: "L'adoption ne pourra, en aucun cas, avoir lieu avant Ia majorite de l'adopte. Si l'adopte, ayant encore ses pere et mere, ou l'un des deux, n'a point accompli sa vingt-cinquieme annee, il sera tenu de rapporter le consentement donne a l'adoption par ses pere et mere, ou par le survivant; et s'il est majeur de vingt-cinq ans, de requerir leur conseil."440

Das Adoptionsrecht, das der Code civil vorsah, entsprach Portalis' Vorstellungen nur zum Teil. Die Adoption war als zivilrechtliches Institut ausgestaltet und nur unter engen Voraussetzungen zulässig, so daß Mißbräuche weitgehend ausgeschlossen waren. Insoweit konnte sich Portalis durchsetzen. 437 438

249. 439 440

Berlier in Locre III 23 3 f. Vgl. Artikel6 f. des filnften Entwurfs (Locre III 247) und deren Annahme, Locre III Vgl. Artikel 5 des vierten Entwurfs in Locre III 251 . Locre III 164 ff.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Gegen Portalis' Willen regelte der Code civil aber, daß das Adoptivkind nur den Adoptierenden, nicht aber dessen Familienangehörige beerbt. Auch mit der Auffassung, daß Adoptionen von einem hohen Staatsorgan ausgesprochen werden sollten, setzte sich Portalis nicht durch. Portalis hatte die Auffassung geäußert, die Adoption sei im Gegensatz etwa zur Ehe zur Erhaltung der Menschheit nicht notwendig. Daher sah er keinen Anlaß, die Adoption besonders zu fördern. 441 Er dachte vor allem an den Mann, der sich einen Nachkommen wünscht und dessen langjährige Ehe kinderlos geblieben ist oder dessen Kinder verstorben sind. 442 Den Interessen dieses Mannes wurde der Code civil gerecht. Die Interessen der mittel-, hilf- und rechtlosen Waisen, denen der Code civil die Adoption vor ihrer Volljährigkeit versagte (Artikel 346 Code civil) und auch danach nur unter sehr engen Voraussetzungen in Aussicht stellte, beschäftigten ihn nicht. Diesen minderjährigen Waisen konnte die Pflegeelternschaft helfen, die der Code civil in den Artikeln 361 ff. regelte. Aber auch die Übernahme einer Pflegeelternschaft ftir ein minderjähriges Kind war nur unter engen Voraussetzungen möglich. Die Personen mußten u.a. mindestens 50 Jahre alt und kinderlos sein. 443 Die Regelung des Code civil und die Auffassung von Portalis waren also nicht adoptionsfreundlich. Sie standen in deutlichem Kontrast zu den revolutionären Projekten wie auch zu den ersten, im Staatsrat diskutierten Entwürfen, die Adoptionen vergleichsweise wohlwollend zulassen wollten. Beispielhaft filr eine adoptionsfreundliche Regelung war der erste Entwurf von Cambaceres ( 1793). Er setzte hinsichtlich des Alters der Adoptiveltern lediglich voraus, daß die Adoptiveltern mindestens dreizehn (Frauen) bzw. ftinfzehn (Männer) Jahre älter waren als das Adoptivkind. 444 Und er verlangte im Gegensatz zu Artikel 345 Code civil kein besonderes Näheverhältnis zwischen Adaptivvater und Adoptivkind. Der Entwurf von Cambaceres berUcksichtigte gleichermaßen die Interessen der Adoptiveltern und der Adoptivkinder, 445 der Code civil dagegen vornehmlich die von alten, kinderlosen Adoptiveltern. Daß von den revolutionären Ideen zum Adoptionsrecht im Code civil nur wenig übrig blieb, ist, wie die Debatten zeigen, auch auf Portalis' Einfluß zurUckzuftihren.

Vgl. Portalis in Locre III 198. Vgl. Portalis in Locre III 185. 443 Vgl. Artikel 361 Code civil: "Tout individu äge de plus de einquanie ans, et sans enfans ni descendans legitimes, qui voudra, durant Ia minorite d'un individu, se l'attacher par un titre legal, pourra devenir son tuteur officieux, en obtenant le consentement des pere et mere de l'enfant. ou du survivant d'entre eux, ou, a leur defaut, d'un conseil de famille, ou enfin. si l'enfant n'a point de parens connus. en obtenant le consentement des administrateurs de l'hospice ou il aura ete recueilli, ou de Ia municipalite du lieu de sa residence." Locre III 171. 444 Vgl. I. Buch, 7. Titel des ersten Entwurfs von Cambaceres (1793) bei Fenet I 29. 445 Vgl. I. Buch, 7. Titel, Artikel 4 des Entwurfs in Fenet I 29. 441

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9. Neunter Titel "Von der väterlichen Gewalt"

a) Die väterliche Gewalt im ancien droit "Strenge, tyrannische und grausame Regeln" bestimmten das Verhältnis zwischen Eltern und Kindem im ancien droit. 446 In den Ländern des droit ecrit unterstand der Sohn uneingeschränkt der Gewalt des Vaters, deren Umfang in etwa der patria potestas des römischen Rechts unter Justinian entsprach. Nur durch die väterliche Entlassung aus der Gewalt konnte der Sohn seine rechtliche Unabhängigkeit erlangen. Der Sohn konnte weder testamentarisch verfUgen, noch leihen, noch sich sonst rechtswirksam verpflichten. Er war weitgehend vermögensunfiihig und erwarb Eigentum nur an Dingen, die er sich selbst erarbeitete. Vermögen, das er auf andere Weise erlangte, unterlag der Verwaltung und dem Nießbrauch seines Vaters. Die Furcht, vom Vater testamentarisch benachteiligt oder, in bestimmten Fällen, gänzlich enterbt zu werden, unterwarf den Sohn dem Willen des Vaters und nahm ihm damitjede Freiheit. 447 Ganz anders regelte das droit coutumier das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Eine väterliche Gewalt kannte es nicht. Vater und Mutter übten die Hausgewalt vielmehr gemeinsam aus. Ein Nießbrauch am Eigentum der Kinder stand ihnen nicht zu. Je nach coutume endete die elterliche Gewalt von selbst, sobald die Kinder das 20. oder 25. Lebensjahr erreichten, spätestens aber mit ihrer Ehe. 448 Überlagert wurden droit coutumier und droit ecrit durch königliche Gesetzgebung, die zur Stärkung der Autorität der Eltern insbesondere die Strafbefugnisse des Vaters ausdehnte. Handwerker oder arme Einwohner der Städte und der Vororte von Paris erhielten das Recht, ihre Kinder fiir bis zu 25 Jahre in Geflingnisse mit harter Zwangsarbeit einsperren zu lassen, wenn sie ihre Eltern möglicherweise im Affekt - mißhandelt hatten, Freigeister oder faul waren, ausschweifend lebten oder sich "in evidenter Gefahr'' befanden. Viele Eltern machten von ihrer Strafgewalt Gebrauch. Einige mißbrauchten sie dazu, über dreißig Jahre alte Männer und sogar Priester unter dem Vorwand des Ungehorsams einsperren zu lassen. Außerdem erließen die Könige grausame Strafvorschriften zur Durchsetzung der Ordonnanzen, die die Einwilligung der Eltern in die Ehe der Kinder forderten: Kinder, die ohne das Einverständnis ihrer Eltern heirateten, setzten sie der Enterbung aus und im Falle des "Menschenraubes durch Verfiihrung" (rapt de seduction) sogar der Todesstrafe. 449

Sagnac, S. 303. Sagnac, S. 302. 448 Sagnac, S. 302 f. Vgl. Brissaud, S. II 00. 449 Sagnac, S. 303 f. 446 447

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Durch diese Regelungen trugen die königlichen Gesetze den strengen Geist des römischen Rechts auch in die an sich milden coutumes hinein. 450 b) Die Gesetzgebung der Revolution Die Umgestaltung der Familie in eine durch Gleichheit und Freiheit gekennzeichnete und vom Staat unabhängige Gemeinschaft - gleich einem politischer Körper - war das Ziel der Revolutionäre. Nach dem Dekret vom 24. August 1790 entschied in familienrechtlichen Belangen im Regelfall nicht mehr ein staatliches Gericht, sondern ein aus engsten Familienmitgliedern zusammengesetztes Familiengericht Uede Partei bestimmte zwei Richter). 451 Die Familie sollte wie eine kleine Republik darauf bedacht sein, Konflikte zu vermeiden und den Frieden in eigener Verantwortung und, abgesehen von schweren Fällen, ohne staatliche Eingriffe wiederherzustellen. 452 Die patria potestas, die noch in den Ländern des droit ecrit galt, wurde mit Gesetz vom 28. August 1792 abgeschafft. Vater und Mutter sollten die elterliche Gewalt gemeinsam ausüben.453 Zur Durchsetzung ihrer Autorität behielten die Eltern einen Teil ihrer Strafgewalt. Die Enterbung war jedoch unzulässig. Bestrafungen standen zudem nicht im Belieben der Eltern, sondern bedurften des Einverständnisses eines aus sechs bis acht Familienmitgliedern oder Freunden bestehenden Familiengerichts, das das Kind zu Zuchthaus bis zu einem Jahr verurteilen konnte. Dieses Urteil bedurfte jedoch zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung des Präsidenten des Bezirksgerichts. 454 Mit der Volljährigkeit, die nach dem Dekret vom 20. September 1792 mit Vollendung des 21. Lebensjahres eintra~55 , endete die elterliche Gewalt. Dem Schutz vor väterlichem Despotismus dienten daher die gemeinsame elterliche Gewalt beider Ehegatten, die Einschaltung der Familien und in letzter Instanz der staatlichen Richter. Die strengen Regeln des droit ecrit und der königlichen Gesetze waren bis 1793 restlos abgeschafft. 456 Im weiteren Verlauf der Revolution kehrte sich die Tendenz um. Der revolutionäre Geist schwand und die Bestrebungen, die väterliche Gewalt wiederherzustellen, erstarkten. Ein erster Schritt war die Wiederherstellung der zuvor eingeschränkten Testierfreiheit durch das Dekret vom 25. März 1800, das

Sagnac, S. 303 ff. m.w.N. Die Begriffe tribunal domestique, tribunal de famille, conseil de famille, assembtee de famille werden synonym verwendet. 452 Sagnac, S. 306. 453 Sagnac, S. 307. 454 Sagnac, S. 308. 455 Brissaud, S. 1172. 456 Vgl. Brissaud, S. 1112 ff. 450 451

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dem Vater die Befugnis gab, einzelne Kinder erbrechtlich zu bevor- oder zu benachteiligen und so Druck auf sie auszuüben. 457 c) Der Code civil Der neunte Titel des ersten Buches stellte die römischrechtliche väterliche Gewalt teilweise wieder her. Zwar beschnitt er ihre Extreme, verlieh aber dem Ehemann eine deutlich die Ehefrau und die Kinder beherrschende Stellung. Ihm allein übertrug der Code civil die elterliche Gewalt (Artikel 373): Artikel 371 Code civil: "L'enfant, a tout äge, doit honneur et respect mere."

a ses pere et

Artikel 372 Code civil: "II reste sous leur autorite jusqu'a sa majorite ou son emancipation." Artikel 373 Code civil: .,Le pere seul exerce cette autorite durant le mariage."458

Daß die elterliche Gewalt allein der Vater ausübte, solange die Ehe bestand, scheint ft1r die Mitglieder des Staatsrats selbstverständlich gewesen zu sein. Denn sie erwogen nicht einmal, die elterliche Gewalt beiden Ehegatten gemeinsam zu übertragen. 459 Dies hätte auch Portalis' Rollenverständnis widersprochen: "Le mari doit protection a sa femme, et Ia femme obeissance a son mari. Voila toute Ia morale des epoux."460 Die Regelungen der väterlichen und ehemännlichen Gewalt des Code civil entsprachen Portalis' Vorstellungen. Er war der Auffassung, daß die Machtverteilung innerhalb der Familie von der Natur vorgegeben sei. "Nous avons eherehe dans les indications de Ia nature le plan [du gouvemement de Ia famille, Anm. des Verf]. L'autorite maritale est fondee sur Ia necessite de donner, dans une societe de deux individus, Ia voix ponderative a l'un des associes, et sur Ia preeminence du sexe auquel cet avantage est attribue. L'autorite des peres est motivee par leur tendresse, par leur experience, par Ia maturite de leur raison et par Ia faiblesse de celle de leurs enfants. Cette autorite est une sorte de magistrature, a laquelle il importe, surtout dans les etats libres, de donner une certaine etendue."461 Portalis stellte einen Zusammenhang zwischen dem politischen System eines Staates und der Machtverteilung innerhalb der Familien dieses Staates her. Er meinte, daß vor allem in freiheitlichen Staaten die ehemännliche und väterliche Sagnac, S. 363. Locre 111 307. Statt eines Familiengerichts übte auch der Vater allein die Strafgewalt aus (Artikel 375 ff. Code civil). 459 Vgl. die Diskussion zu Artikel 3 des zweiten Entwurfs (der Entwurf zu Artikel 3 73 Code civil) in Locre 111 319. 460 Portalis in Locre II 396. 461 Portalis, Ecrits, S. 3 7. 457 458

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Gewalt besonders ausgeprägt sein müßten: "Chaque famille doit avoir son gouvemement. Le mari, Je pere, en a toujours ete repute Je chef. La puissance maritale, Ia puissance patemelle, sont des institutions republicaines. C'est surtout chez !es peuples libres que Je pouvoir des maris et des peres a ete singulierement etendu et respecte. Dans les monarchies absolues, dans !es etats despotiques, Je pouvoir qui veut nous asservir eherehe a affaiblir tous !es autres; dans les republiques, on fortifie Ia magistrature domestique, pour pouvoir sans danger adoucir Ia magistrature politique et civile. Legislateurs, vous conserverez au gouvemement de Ia famille tout son ressort, pour conserver au citoyen toute sa liberte. La famille est le sanctuaire des mreurs: c'est Ia que les sentimens de Ia nature nous disposent a remplir les devoirs qui sont imposes par les lois."462 Die Väter sollten also nach Portalis' Auffassung die Macht in den Bereichen wahrnehmen, die der freiheitliche Staat nicht selbst ausfilllte. Mit der väterlichen und der ehemännlichen Gewalt wies Portalis dem Vater zugleich die Pflicht zu, diese Macht maß- und liebevoll auszuüben. "Le mari est Je chef de ce gouvemement [de famille, Anm. des Verf] ... Les enfants doivent etre soumis au pere; mais celui-ci ne doit ecouter que Ia voix de Ia nature, Ia plus douce et Ia plus tendre de toutes les voix. Son nom est a Ia fois d'un nom d'amour, de dignite et de puissance; et sa magistrature ... ne comporte d'autre severite que celle qui peut ramener le repentir dans un creur egare, et qui a moins pour objet d'infliger une peine que de meriter Je pardon."463 Ein weiteres Mal neigte Portalis dem Geist des römischen Rechts zu. Wiederum stand er dem ancien droit erheblich näher als dem Revolutionsrecht Er vertraute der Autorität des Ehemannes und dem mäßigenden Einfluß des Vaters auf die Kinder. Portalis' Äußerungen zum neunten Titel zeigen in besonderem Maße sein Hierarchiedenken. In den Bereichen, in denen der Staat dem einzelnen Freiheiten ließ, sollte der Ehemann und Familienvater die Kontrollfunktion übernehmen.

10. Zehnter Titel, Zweites Kapitel "Von der Vormundschaft" Erster Abschnitt" Von der Vormundschaft des Vaters und der Mutter" - Artikel 391 Code civil Solange eine Ehe bestand, sollte nach dem ersten Entwurf der Vater die Vermögenssorge filr die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder ausüben. 464 Bei dem Tod eines Ehegatten sollte die Vormundschaft auf den überlebenden übergehen:

Portalis, expose genera/, in Locre I 193; vgl. auch Maleville in Locre III 313. Portalis, Ecrits, S. 50 f. 464 V gl. Berlier, expose de motifs, in Locre 111 41 0; vgl. auch die Anmerkungen der Gesetzgebungssektion des Tribunats vom 16. November 1802, in Locre 111 404. 462 463

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Artikel 4 des ersten Entwurfs: "Apres Ia dissolution du mariage arrive par Jedeces de l'un des epoux. Ia tuteHe des enfans mineurs et non emancipes appartient de plein droit au survivant des pere et mere."4b;

Gegen Artikel 4 gab Cambaceres zu bedenken, daß die Mutter unter Umständen zu jung und unerfahren sei, um nach dem Tod des Vaters die Vormundschaft zu übernehmen; möglicherweise sei sie selbst noch nicht volljährig. Viele Frauen verfUgten weder über hinreichende Bildung, noch über genügend Fähigkeiten, um eine Familie zu fUhren. Zwar seien sie zweifellos flihig, ihre Kinder zu erziehen. Deshalb sollten die Kinder auch nicht ohne ihre Zustimmung heiraten können. Doch die Vermögensverwaltung dürfe der Ehefrau nur durch den Familienrat oder das Testament des Ehemannes übertragen werden. 466 Denn der Ehemann könne am besten einschätzen, ob seine Frau zur Vermögensverwaltung flihig sei. 467 Das Recht des Ehemannes, einen Tutor testamentarisch zu bestimmen, ergebe sich aus seiner väterlichen Gewalt. 46K Die Gesetzgebungssektion des Staatsrats wollte, wie Berlier erläuterte, die Vormundschaft beim Tod des Mannes grundsätzlich der überlebenden Ehefrau überlassen, weil sie befiirchtete, der Ausschluß der Mutter von der Vormundschaft könnte ihre Autorität und ihren Respekt bei den Kindem mindern. Die Mutter sollte daher nur dann von der Vormundschaft ausgeschlossen werden, wenn sie sich als unwürdig oder unflihig erweise. 469 Außerdem erhalte die Witwe die Gewinne aus der Verwaltung des Vermögens ihrer Kinder. Sie handle also in gewisser Hinsicht in eigener Sache. 470 Portalis schlug vor, den Vater zu ermächtigen, einen Vormund fiir seine Kinder zu bestellen. Der Ausschluß der Witwe sei nicht beleidigend, wenn er konkludent durch die Ernennung eines Vormunds erfolge. "Ainsi Je pere ötera implicitement [Ia tutelle, Anm. des Verf] a Ia mere, lorsqu'il nommera un autre tuteur. Cette maniere d'exclure n'a rien d'offensant; il n'en serait pas de meme de l'exclusion formelle et positive."471 Der Staatsrat traf zunächst keine Entscheidung in der Sache. Er beauftragte aber die Gesetzgebungssektion, die Vorschläge zu beraten. 472 Der dritte Entwurf, den die Gesetzgebungssektion daraufhin ausarbeitete, übernahm die Regelung von Artikel 4 des zweiten Entwurfs unverändert als Artikel 2 und gab dem Ehemann, wie Portalis gefordert hatte, in einem neuen Artikel 3 das Recht, durch Testament oder eine fOrmliehe Erklärung fiir den Fall seines Todes einen

Locre III 369. Artikel 4 des ersten Entwurfs entspricht Artikel 390 Code civil. Locre III 377. 467 Cambaceres in Locre III 385. 468 Cambaceres in Locre III 384 f. 469 Berlier in Locre III 384. 470 Berlier in Locre III 385. 471 Portalis in Locre III 385. 472 Locre III 386. 465

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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conseil special zu ernennen, an dessen Einverständnis die Witwe bei der Ausübung der Vormundschaft gebunden war: Artikel 2 des dritten Entwurfs: Apres Ia dissolution du mariage arrive par Je deces de l'un des epoux, Ia tuteHe des enfans mineurs et non emancipes appartient de plein droit au survivant des pere et mere." Artikel 3 des dritten Entwurfs: "Pourra, neanmoins, Je pere nommer a Ia mere survivante et tutrice, un conseil special, sans l'avis duquel elle ne pourra faire aucun acte relativ a Ia tutelle. Si Je pere specifie les actes pour lesquels Je conseil sera nomme, Ia tutrice sera habile

a faire Ies autres sans son assistance. " 473

Artikel 3 des dritten Entwurfs wurde wortgleich als Artikel 391 Code civil übemommen. 474 Portalis hatte damit erneut an der Einschränkung der Rechte der Frauen und damit der Ungleichbehandlung von Mann und Frau mitgewirkt.

IV. Zweites Buch "Von den Sachen und den verschiedeneo Beschränkungen des Eigentums" 1. Erster Titel "Von der Einteilung der Sachen"- Zweites Kapitel "Von

den beweglichen Sachen"- Grundrentenverträge

Der Staatsrat mußte entscheiden, ob der Code civil Grundrentenverträge (baux a rente) erlauben sollte. Unter einem Grundrentenvertrag verstanden die Staatsräte eine Vereinbarung, aufgrund deren ein Grundstückseigentümer das Eigentum an seinem Grundstück seinem Vertragspartner übertrug und als Gegenleistung einen auf dem Grundstück lastenden, also dinglich gesicherten475 Rentenanspruch erhielt. 476 Grundrenten waren "ewig" gültig, d.h. nicht ablösbar, Locre III 396. Vgl. Artikel391 Code civil in Locre III350. 475 Zachariä, Band 2, S. 643. 476 V gl. Maleville in Locre IV 41. Vom bai/ rente sind der bai/ cens und die rente cens des ancien droit übertrug der conslituee zu unterscheiden. Beim bai/ Grundstückseigentümer nur das Untereigentum (den sog. domaine utile) und behielt das Obereigentum (den sog. domaine eminent bzw. direct). Bei der constitution de rente wiederum verpflichtete sich der Eigentümer, der Besitz und Eigentum des Grundstücks behielt, zur Zahlung einer lebenslangen oder ewigen Rente, zu deren Sicherung er sein Grundstück belastete. Als Gegenleistung leistete ihm der Rentengläubiger eine einmalige Zahlung. Die constitution de rente diente, solange das kanonische Recht die Erhebung von Zinsen untersagte (dazu Zachariä II 639=§ 396), vor allem der Kreditbeschaffung und kam einem verzinsten Kredit sehr nahe - Ourliac!Malafosse, Band 2, Rn. 246. Der Grundrentenvertrag, über dessen Zulassung der Staatsrat debattierte, folgte - nach der Aufhebung der Unterscheidung zwischen domaine eminent und domaine utile (vgl. dazu Coing, Europäisches Privatrecht, Band I, § 72 IV [S. 358]) - der Konstruktion des bai/ arente. 473

474

a a

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IV. Zweites Buch "Von den Sachen ..."

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sofern sie nicht ausdrücklich ein Rückkaufrecht (droit de rachat) vorsahen. Die Rentenforderung belastete somit nicht nur das gesamte Vennögen des Rentenschuldners, sondern auch das seiner Erben.477 Grundrentenverträge dienten vor allem den Interessen mittelloser Bauern, deren einziges Kapital ihre Arbeitskraft war. Grundrentenverträge ennöglichten diesen Bauern den Erwerb von Land, das sie und ihre Familie ernährte, und sicherten ihnen dadurch auf lange Sicht eine Lebensgrundlage. Im Ancien Regime waren Grundrentenverträge besonders im Süden Frankreichs weit verbreitet. Dort lasteten auffast allen Grundstücken Grundrenten. 478 a) Grundrentenverträge und Feudalismus

Die Brisanz der Debatte über die Zulassung der Grundrentenverträge ist nur verständlich, wenn man die Ängste vor der Wiedereinführung feudalistischer Rechtsstrukturen berücksichtigt.479 Denn Grundrentenverträge führten zu langfristigen und daher schweren wirtschaftlichen Belastungen der Rentenschuldner. Mit der Grundrente verband man das Bild des annen Bauern, der in schwerer, körperlicher Arbeit den Boden bestellte, während der Rentengläubiger, in dessen Hand das Land unfruchtbar gewesen war, ohne arbeiten zu müssen, von der Rente in der Stadt im Luxus schwelgte. 410 Die zeitlich unbefristeten Grundrenten widersprachen zudem dem revolutionären Gedanken, daß ein Mensch nicht sich selbst und seine Erben ftlr ewig verpflichten könne. Denn wer sich auf ewig verpflichte, verliere seine Freiheit. Diese Gründe bewogen die revolutionären Gesetzgeber, die Vereinbarung von Grundrenten für die Zukunft zu verbieten und bestehende Grundrenten für ablösbar zu erklären.481

477 Ourliac/Malafosse, Band 2, Rn. 248 f. ( S. 414 f.); Theewen, S. 187; Brissaud, S. 1430. 478 Maleville in Locre IV 42. 479 Bereits in der Nacht des 4. August 1789 beschloß die Nationalversammlung die "Abschaffung des Feudalismus" und beauftragt ein Comite des droits feodaux, dem u.a. Tronchet angehörte, mit der Ausarbeitung der zur Durchfilhrung des Beschlusses notwendigen Gesetze. Das Comite unterschied zwischen usurpierten Rechten, die entschädigungslos abgeschafft werden sollten, und legitimen Rechten, die bestehen bleiben sollten. Welche Rechte aber waren usurpiert? Die Unterscheidung zwischen usurpierten und legitimen Rechten erwies sich als äußerst schwierig. Denn feudale und sonstige Rechte waren innig ineinander verwoben. Eine Dienstleistungspflicht konnte als Gegenleistung filr die Überlassung von Grund und Boden vereinbart oder aber vom Lehnherrn gewaltsam erzwungen worden sein. Zur Abschaffung des Feudalismus' siehe Sagnac, S. 85 ff. und Ourliac/ Malafosse, Bd. 2, Rn. 87 ff. (S. 155 ff.); Garaud, La Revolution et Ia propriete fonciere. S. 153 ff. 480 Vgl. Jollivet in Locre IV 46. 481 Sagnac, S. 108. Dekret vom II. Aug. 1789, Ourliac/Malafosse, Band 2, Rn. 250 (= s. 416).

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Die Überlegungen, die zur Abschaffung der Grundrentenverträge gefiihrt hatten, bestimmten auch die Staatsratsdebatten. Die Staatsräte fiirchteten besonders die mit dem Grundrentenvertrag verbundene ewige Zahlungspflicht des Rentenschuldners, durch die sich der Grundrentenvertrag von anderen Verträgen unterschied. 482 Man befiirchtete, die Verhältnisse der Über- und Unterordnung, die den Feudalismus geprägt hatten, könnten unter anderem Namen erneut entstehen. "II est evident que Je proprietaire, pour se soustraire aux variations qu'eprouve l'inten!t de l'argent, ne constituerait Ia rente qu'en nature, en Ia fixant soit a une quotite determinee, soit a une quotite proportionnelle du produit de l'heritage. 11 se creerait donc une nouvelle sorte de suprematie dans le village dont le fonds lui appartiendrait. Ainsi, si les rentes foncieres ne retablissent pas divers ordres, elles formeraient du moins plusieurs classes de citoyens. "483 b) Artikel 530 Code civil

In der Sitzung vom 6. März 1804484 wurde der Grundrentenvertrag lebhaft debattiert. Für seine Zulassung sprach sich Maleville aus. Er meinte, der Grundrentenvertrag diene den Interessen der armen Landbevölkerung, gerade weil er zeitlich unbegrenzt sei. Er sei fiir diese Menschen vorteilhafter, als der - zeitlich begrenzte - Pachtvertrag (bai/ aferme): "Le pauvre habitant des campagnes, ... qui n'a pas d'argent pour acheter, qui n'a de capitaux que ses bras, recherche beaucoup les baux a rente, parce qu'ils assurentune propriete, un etablissement stable, et il Ies prefere sans contredit aun bail a ferme, dont il prevoit toujours Ia fin, et dont l'expiration laisse sa famille sans asile assure."485 Dem Einwand Tronchets, nunmehr seien Pachtverträge mit bis zu hundert Jahren Laufzeit zulässig, die den Bauern genügend Sicherheit verschafften, 486 widersprach Pelet: Vor allem in den südfranzösischen Ländern, sagte Pelet, sei der Grundrentenvertrag erforderlich, weil dort der Boden unfruchtbar sei. Auch ein auf neunzig

Vgl. Portalis in Locre IV 46. Regnaud in Locre IV 46. 484 Der von der Code civil-Kommission verfaßte Entwurf enthielt keine Bestimmungen über Grundrentenverträge. Hieraus hätte man schließen können, daß Grundrentenverträge zulässig waren. Denn der Code civil gewährte Vertragsfreiheit Die Kommission hatte sich in dieser Frage nicht einigen können. Während Maleville und Portalis die Zulassung des Grundrentevertrages forderten, lehnten Tronchet und Bigot de Preameneu sie ab. Carnbaceres, den die Kommission über die Patt-Situation informiert hatte, beriet daraufhin die Frage mit dem damaligen Justizminister Abrial. Auch Cambaceres und Abrial gelangten zu unterschiedlichen Auffassungen. Daher legten sie die Frage Napoleon vor. Da Napoleon keine Entscheidung traf, blieb die Frage bis zur Sitzung vom 6. März 1804, also bis kurz vor Ende der Debatten des Code civil offen; vgl. Maleville ll 143. 485 Maleville in Locre IV 41. 486 Tronchet in Locre IV 41 . 482 483

IV. Zweites Buch "Von den Sachen ..."

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Jahre geschlossener Pachtvertrag biete nicht genügend Sicherheit fiir den Anbau von Wein und Oliven, den Bau von Bewässerungssystemen oder Terrassen. 487 Für die Zulassung des Grundrentenvertrags sprach auch die Verfiigungsfreiheit des Eigentümers. Der Eigentümer, äußerte Cambaceres, müsse uneingeschränkt über sein Eigentum verfiigen können, solange er die guten Sitten und staatliche Interessen nicht verletze. Da eine Verletzung der guten Sitten oder staatlicher Interessen nicht ersichtlich sei, bestehe kein Grund, dem Grundeigentümer zu verbieten, sein Grundstück mit einer Grundrente zu belasten.411 Außerdem, fiigte Maleville hinzu, seien Grundrentenverträge auch im Interesse des Staates. Denn sie filhrten Land der Bewirtschaftung zu, das sonst brach liegen würde, weil der Grundstückseigentümer es nicht veräußern wolle. 489 Den Einwand Tronchets, daß der Eigentümer sein Grundstück nicht veräußern müsse, um es zu verwerten, weil er es auch verpachten könne,490 beachtete Maleville nicht. Diesen Argumenten filr die Zulassung des Grundrentevertrags stellte Cretet die Sorge gegenüber, daß die Wiedereinfilhrung der Grundrente die Gesellschaft spalten könne, wie es vor der Revolution das Feudalsystem getan habe: "Ce contrat a toujours produit des inegalites enormes. Toujours on a vu des hommes habiles s'en servir pour circonvenir les gens simples par l'appät d'avantages imaginaires; s'assurer les fruits de leurs travaux, et ne leur laisser que l'indigence avec le vain titre de proprietaire. Si l'usage de ce contrat s'etendait, on verrait Ia nation partagee en deux classes, l'une qui jouirait paisiblement et sans labeur des produits de Ia terre, I' autre de serfs condamnes aux travaux Ies plus rudes pour payer les impositions et Ia rente fonciere, sans pouvoir obtenir de leurs sueurs Ia substance de leurs familles." 491 Gegen die Zulassung von Grundrenteverträgen wurden auch die mit ihnen verbundenen wirtschaftlichen Belastungen des Rentenschuldners angefilhrt: Es sei Bauern kaum möglich, einen Ertrag zu erwirtschaften, der sowohl die Rente als auch die Grundlasten abdecke. Grundstücke, die mit einer Grundrente belastet seien, könnten daher nur mit geringeren Abgaben belastet werden, als "freie" Grundstücke. 492 Aus marktwirtschaftlicher Sicht ist dem jedoch zu entgegnen, daß der Markt die Höhe der Rente unter Berücksichtigung der Grundlasten bestimmt. Zudem belastet ein hoher Pachtzins wie ein Grundrentenzins in gleicher Höhe. Dieses Argument schlägt daher nicht durch. Aber auch in diesem wirtschaftlichen Argument klingt die Furcht an, die soeben vom Feudalismus befreiten Bauern könnten erneut existenzgefiihrdenden Belastungen ausgesetzt werden. Pelet in Locre IV 43. Cambaceres in Locre IV 43 f. 489 Maleville in Locre IV 44. 490 Tronchet in Locre IV 42. 491 Gretet in Locre IV 44. 492 Serenger in Locre IV 43. 487 488

10 Plesser

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Um den Argumenten beider Lager Rechnung zu tragen, schlug Defermon vor, Grundrentenverträge tur ablösbar zu erklären. Die ablösbare Grundrente, sagte er, biete den Bauern nicht nur Sicherheit, sondern zugleich die Chance, das Grundstück in Zukunft von seiner Belastung freizukaufen. Diese Perspektive steigere noch die Motivation des Bauern, das Land fruchtbar zu machen und daraus Gewinn zu ziehen. 493 Diese Lösung unterstützte auch Napoleon. Auch er meinte, den Interessen der mittellosen Bauern werde eine ablösbare Grundrente völlig gerecht. Grundrenten sollten daher nach längstens tunfzig Jahren ablösbar sein. 494 Portalis, der sich bei den Beratungen der Kommission noch tur die Zulassung der "ewigen" Grundrente ausgesprochen hatte49' , bezog nun im Staatsrat Stellung gegen ihre Wiedereintuhrung. Er meinte, Grundrentenverträge seien zwar grundsätzlich nützlich. Da der Großteil des französischen Bodens inzwischen nutzbar gemacht worden sei, seien sie jedoch entbehrlich. Er betonte aber, daß die Grundrente gerade keine feudalistische Rechtsfigur sei: "Les rentes foncieres peuvent etre utiles dans un temps et chez un peuple ou il y a beaucoup de terres en friche et beaucoup de desechemens a faire. Alors elles multiplient les cultivateurs en facilitant Ies acquisitions a ceux qui n'ont pas les moyens pecuniaires. C'est cette consideration qui Ies a fait etablir, et non Ia feodalite; car i1 ne faut pas les confondre avec Je cens qui representait pas Je produit de Ia terre."496 Portalis betonte vor allem den Zeitfaktor. Der Rechtsgrund ftlr die Rentenschuld, sagte er, gerate Jahre nach der Vereinbarung der Grundrente allmählich in Vergessenheit. Nach einiger Zeit halte der Rentenschuldner die Schuld fUr ungerechtfertigt und daher unzumutbar: "Quand on veut organiser le systeme des rentes foncieres, on tombe dans des embarras inextricables. Dans Ia suite meme, l'origine de Ia rentefoneiere s'oublie, et alors Ia redevance ne parait plus qu'une survivance sans cause et qui devient insupportable. Aujourd'hui, ou Ia plus grande partie du territoire fran~ais est Iivree a Ia culture, ou il reste peu de defrichemens a faire, il n'est pas evident que Je retablissement des rentes foncieres tUt un bien, quoiqu'il ne soit egalement pas certain qu'il fut un mal."497 Hier zeigte Portalis Gespür tur die psychologischen Momente der Grundrente. Der Staatsrat folgte Portalis und beschloß, den ewigen, dinglichen Grundrentenvertrag nicht zuzulassen. 49K In Artikel 530 Code civil wurde nur eine ablösbare, schuldrechtliche Rente vorgesehen. 49'J Die Befugnis, die Grundrente abzulösen, sollte allein dem Rentenschuldner zustehen:'cKl Defermon in Locre IV 43. Napoleon in Locre IV 45. 495 S.o. S. 144, Fn. 484. 496 Portalis in Locre IV 46. 497 Portalis in Locre IV 46. 49s Locre IV 46. 499 Brissaud, S. 1431. 500 Maleville II 14. 493 494

IV. Zweites Buch "Von den Sachen ...''

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Artikel 530 Code civil: "Taute rente etablie a perpetuite pour le prix de Ia vente d'un immeuble, ou comme condition de Ia cession a titre onereux ou gratuit d'un fonds immobilier, est essentiellement rachetable. II est neanmoins permis au creancier de regler les clauses et conditions du rachat. II lui est permis de stipuler que Ia rente ne pourra lui etre remboursee qu'apres un

certain terme, lequel ne peut jamais exceder trente ans: taute Stipulation contraire est nulle."501

In seiner Rede zu den Motiven des Entwurfs vor dem corps legis/atif rechtfertigte Portalis Artikel 530 Code civil mit den gleichen psychologischen Gründen, die bereits seine Auffassung bei den Staatsratsdebatten bestimmt hatten: "On ne peut supporter des charges ou des servitudes eternelles: l'imagination inquiete, accablc~e par Ia perspective de cette eternite, regarde une servitude ou une charge qui ne doit pas finir, comme un mal qui ne peut etre recompense par aucun bien. Un premier acquereur ne voit, dans l'etablissement de Ia rente a laquelle il se soumet, que ce qui Ia lui rend profitable; ses successeurs ne sont plus sensibles qu'a ce qui peut Ia leur rendre odieuse."502 Portalis deutete auch die mit der Grundrente verbundenen Ängste vor feudalrechtlichen Regelungen an: "Nous eussions cru choquer l'esprit generat de Ia nation sans aucun retour d'utilite, en retablissant les rentes non rachetables."503 Hier zeigte sich Portalis anpassungsfllhig. Er rückte von seiner zuvor in der Code civii-Kommission vertretenen Auffassung ab und folgte der revolutionären Gesetzgebung. Er bewies Gespür fiir die psychologischen Folgen der Grundrentenverträge. 2. Zweiter Titel "Vom Eigentum"

Die Revolutionäre schufen Freiheit und rechtliche Gleichheit. Ihr Ziel war es auch, tatsächliche Gleichheit herzustellen. Dieses Ziel warf die Frage auf, in welchem Maße der Staat Privateigentum schützen sollte. Bereits im 18. Jahrhundert wurden unterschiedliche Gleichheits- und Eigentumsvorstellungen vertreten: Rousseau verstand unter Gleichheit "nicht, daß Reichtum und Macht bei allen gleich sein müssen, sondern daß die Macht jede Gewalttätigkeit ausschließt und nur kraft des Amtes und der Gesetze ausgeübt werden darf, und, was den Reichtum angeht, kein Bürger so vermögend sein darf, um einen anderen zu kaufen, und niemand so arm sein darf, um sich verkaufen zu müssen ... Wenn ein Staat Bestand haben soll, müssen sich die Extreme möglichst nähern; es darfweder ganz Reiche noch Bettler geben."504 Brissot de Warleville 501 Locre IV II. Ist wegen der Kapitalisierung der Rente keine Verabredung getroffen worden, so ist die Rente mit dem 20 fachen Betrag abzulösen; Zachariä, Band 2, § 398 (S. 646, Fn. 6). 502 Portalis in Locre IV 49. 503 Portalis in Locre IV 49. 504 zit. nach Ramm. S. 120.

10*

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

dagegen hatte bereits 1780 unter der Parole "Eigentum ist Diebstahl" die These vertreten, man höre auf, Eigentümer einer Sache zu sein, sobald man seine Bedürfuisse an ihr befriedigt habe.sos Und nach ihm verlangte Babeuf die Aufhebung des Privateigentumssllf> und einen "gleichen und anständigen mäßigen Wohlstand" (egale et honnete mediocrite) filr alle. 507 Die Befreiung des Bodens von feudalrechtlichen Bindungen, die Aufhebung der Testierfreiheit, die Säkularisierung der Kirchengüter und der Verkauf staatlichen Bodenssog waren während der Revolution die Mittel zur Beseitigung der Ungleichheiten. Bei diesen Maßnahmen und Forderungen nach Gleichheit stellte sich die Frage, in welchem Verhältnis Eigentums- und Gleichheitsrechte zueinander standen. Ist das Eigentumsrecht ein Menschernecht und daher staatlichen Eingriffen entzogen? Sind Privateigentum und Gleichheit miteinander vereinbar? Kann der Staat im Allgemeinwohlinteresse mit oder ohne Entschädigung enteignen? Welche Rechte gewährt das Eigentumsrecht und wozu verpflichtet es? Diese Fragen bestimmten nicht nur die philosophischen und zivilrechtliehen Debatten während der Revolution, sie bildeten auch den Hintergrund der Eigentumsregelungen des Code civil, mit dem sich Portalis ausfilhrlich befaßt hat. a) Die Natur des Eigentumsrechts Von der Konstituante bis zum Nationalkonvent folgten die Revolutionäre der Lehre Rousseaus und verstanden das Eigentumsrecht als Schöpfung der Gesellschaft: Der Staat habe das Eigentum geschaffen, er könne es daher auch regeln oder, im Extremfall, abschaffen. Gegen 1800 schlug die Stimmung um. Zwar waren die Anhänger der revolutionären Lehre noch immer zahlreich, doch die Anzahl derer, die in Anlehnung an Locke das Eigentumsrecht als ein staatlichen Eingriffen entzogenes Naturrecht ansahen, überwog.s09 Mit diesen Doktrinen zur Rechtsnatur eng verknüpft sind die Theorien, die versuchen, die ursprüngliche Entstehung des Eigentumsrechts zu erklären.

sos J.P. Brissot de Warleville, Recherehes philosophiques sur le droit de propriete et sur le vol, 1780, zitiert nach Historisches Wörterbuch der Philosophie, Stichwort "Eigentum". 506 V gl. dazu den "Entwurf eines Wirtschaftsgesetzes", Artikel I: "In der Republik wird eine große nationale Gütergemeinschaft errichtet", abgedruckt in Ramm, Der Frühsozialismus, S. 8 ff. 507 Art. 9 des "Entwurfs eines Wirtschaftsgesetzes," siehe Ramm, Der Frühsozialismus, s. 9. sos Siehe dazu Sagnac, S. !54 ff. 509 Sagnac, S. 349; vgl. aber Bürge, S. 16.

IV. Zweites Buch "Von den Sachen ... "

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Nach Grotius' Okkupationstheorie510 ist es das faktische Inbesitznehmen, nach Lockes Arbeitstheorie 511 das Bearbeiten einer Sache, was Eigentumsrechte schafft; die verschiedentlich auch vertretene Vertragstheorie512 hingegen geht von einer bindenden Vereinbarung zwischen Individuen als Begründung tUr Eigentumsrechte aus. Die Unzulänglichkeit dieser drei Modelle wird offenbar, wenn man bedenkt, daß sie die Zuspätgekommenen, besonders die nachgeborenen Generationen, benachteiligen und daß die lebensnotwendigen Ressourcen - im Gegensatz zum Besitzstreben des Menschen - begrenzt sind. So drohen auf Dauer zwangsläufig Konflikte zwischen den Individuen, die nur durch staatliche Eigentumsregelungen vermieden werden können. Die Legaitheoriem sieht daher als einzige Rechtsquelle den Staat und seine Gesetzgebung an. Tronchet hatte am 4. April I 791 vor der Konstituierenden Versammlung die Vertragstheorie vertreten: "C'est donc l'etablissement de Ia societe, ce sont les lois conventionelles qui sont Ia veritable source du droit de propriete et de transmissiblite .. . La premiere convention sociale a donc ete Je droit de propriete. C'est par Ia societe que Je droit de conserver et d'acquerir est garanti, puisque c'est d'elle seule qu'il derive."514 Portalis vertrat die entgegengesetzte Auffassung. Er meinte, Menschenrechte bestünden von Natur aus und gingen staatlichem Recht vor. 515 Zu dieser Gruppe der Menschenrechte rechnete er auch das Eigentumsrecht Daher lehnte er 510 Hugo Grotius, De jure belli ac pacis, 2. Buch, 2. Kapitel: "Man sieht..., wie die Güter in das Eigentum übergegangen sind. Es geschah durch ... eine Art Vertrag, der entweder ausdrücklich abgeschlossen wurde, indem man teilte, oder den man als geschlossen ansehen muß, indem jeder Besitz ergriff. Man muß nämlich annehmen, daß in dem Falle, wo die Gemeinschaftswirtschaft nicht mehr gefiel, eine ausdrückliche Teilung aber trotzdem nicht stattfand, alle stillschweigend dahin übereinkamen, daß jeder das zu eigen haben sollte, was er in Besitz nahm." 511 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung: "Obwohl die Erde und alle niederen Lebewesen allen Menschen gemeinsam gehören, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so könnten wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum. Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas eigenes hinzugefUgt Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht. Da er es dem gemeinsamen Zustand, in den es die Natur gesetzt hat, entzogen hat, ist ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefUgt worden, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt. Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf etwas haben, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist. Zumindest nicht dort, wo genug und ebenso gutes den anderen gemeinsam verbleibt"; vgl. auch Schwan, S. 196. 512 Der Vertragsgedanke findet sich auch bei Grotius, vgl. Fn. 51 0. 513 Vgl. Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit, S. 238 f. 514 Sitzung vom 4. 4. 1791 im Moniteur vom 7. 4. 1791; zitiert nach Bürge, S. 14. 515 Zu Portalis' philosophischen Auffassungen siehe auch oben D III 4.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Vertrags- und Legaltheorie ausdrücklich ab: "Le principe du droit [individuel de propril~te, Anm. des Verf] est en nous; i1 n'est point Je resultat d'une convention hurnaine ou d'une loi positive, i1 est dans Ia constitution meme de notre etre, et dans nos differentes relations avec les objets, qui nous environnentm ... I1 faut ... incontestablement ranger Je droit de propriete dans Ia classe des droits qui sont inseparables de notre maniere d'etre, et qui par consequent n'ont pu devenir Ia matiere des lois que comme objet de garantie, et non comme objet de concession. On peut meme dire que Je droit de propriete est Je plus sacre de tous ceux pour lesquels existe Ia garantie sociale; il est Je plus important de tous; i1 est plus essentiel, a certains egards, que Ia liberte meme, puisqu'il tient de plus pres a Ia conservation de Ia vie."m Auf der Grundlage dieser Naturrechtsauffassung kombinierte er den Gedanken der Arbeitstheorie mit dem der Okkupationstheorie. Portalis stützte sich auf die Überlegungen von Grotius und Locke: Weil der Mensch Bedürfnisse habe, habe er ein natürliches Recht auf die lebensnotwendigen Gegenstände. Dieses Recht übe er durch Inbesitznahme oder Arbeit aus und erhalte so Eigentum: "L'homme, en naissant, n'apporte que des besoins; i1 est charge du soin de sa conservation; il ne saurait exister ni vivre sans consommer; i1 a donc un droit nature! aux choses necessaires a sa subsistance et a son entretien. I1 exerce ce droit par l'occupation, par le travail, par l'application raisonable et juste de ses facultes et de ses forces. Ainsi Je besoin et l'industrie sont les deux principes createurs de Ia propriete."m Zugleich wandte Portalis sich gegen die Vorstellung, daß alle GUter, bevor der Einzelne Eigentum an ihnen begründete, Gemeineigentum aller Menschen gewesen seien. "Quelques ecrivains supposent que les biens de Ia terre ont ete originairement communs. Cette communaute, dans le sens rigoureux qu'on y attache, n'a jamais existe ni pu exister. Sans doute, Ia Providence offre ses dons a l'universalite, mais pour l'utilite et les besoins des individus; car il n'y a que des individus dans Ia nature ... Les biens reputes communs avant l'occupation, ne sont, a parler avec exactitude, que des biens vacants. Apres l'occupation, ils deviennent propres a celui ou a ceux qui les occupait. La necessite constitue un veritable droit: or c'est Ia necessite meme, c'est-a-dire Ia plus imperieuse de toutes !es lois, qui nous commande l'usage des choses sans lesquelles il nous serait impossible de subsister. Mais Je droit d'acquerir ces choses et d'en user ne serait-il pas entierement nul sans l'appropriation, qui seule peut Je rendre utile, en Je liant a Ia certitude de conserver ce que l'on acquiert?"m Bürge erweckt den Eindruck, Portalis habe die Legaltheorie vertreten und das Zivilrecht als Schöpfer des Eigentums erachtet320 : "Portalis spricht ... einen ... Portalis in Locre IV 75 = Ecrits, S. 111. m Portalis, De l'usage, Band 2, S. 290 = Ecrits, S. 347. 518 Portalis in Locre IV 75 = Ecrits, S. 111 f. 319 Portalis in Locre IV 75 = Ecrits, S. 111 f. 320 BOrge, S. 16. 316

IV. Zweites Buch "Von den Sachen ... "

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Gedanken aus, der ganz in den damaligen geistigen Horizont paßt; wir meinen seine Aussage Ia Iai civile est l'arbitre supreme ... Elle peut donc donner /e droit de disposer et le regler. Die spätere, liberale Kritik hörte hier nur ein Bekenntnis zum Zivilrecht als Schöpfer des Eigentums heraus .. . Portalis gab damit nur die herrschende Lehre wieder ... Toullier brachte sie auf die knappe Formel: 'Ia propriete permanente ... est l'ouvrage du droit civil'."s 21 Wenn BUrge meint, Portalis habe damit die Legaltheorie, die das Zivilrecht als Schöpfer des Eigentums erkennt, "wiedergegeben," behauptet er zwar nicht ausdrücklich, daß auch Portalis diese Auffassung vertreten hat. Seine Darstellung legt diese Deutung jedoch nahe. Gegen eine solche Auslegung von Portalis' Aussage spricht bereits das oben zur Naturrechtsdebatte Gesagte (s.o. D III 4). Gegen diese Auslegung spricht außerdem der vollständige Wortlaut von Portalis' Aussage, die Bürge eines wesentlichen Satzes beschneidet. Das vollständige Zitat lautet wie folgt: "Ce n'est pas dans le droit nature! qu'il faut ehereher les regles de Ia propriete. L'etat sauvage ou de nature n'admet pas Ia propriete; ... si Ia propriete est dans Ia nature, c'est en ce sens que Ia nature humaine etant susceptible de perfectibilite, eiletend vers !'ordre social, qui seul fonde Ia propriete. L'effet de cet ordre est d'etablir entre les associes une garantie qui oblige chacun d'eux a respecter les biens acquis par un autre et Ia disposition qu'il en fait. C'est ainsi que le droit de disposer nait du droit de propriete ... La loi civile est l'arbitre supreme; il lui appartient de tout regler. Elle peut donc donner Je droit de disposer et le regler; son pouvoir, acet egard n'est Iimite, que par l'obligation de respecter !es droits acquis, parce qu'elle ne pourrait passer ces bornes sans agir contre sa propre nature qui est de garantir les droits de chacun."m Insbesondere der letzte Satz des Zitats zeigt deutlich, daß Portalis Rechte (droits acquis) anerkannte, die das Zivilrecht nicht antasten darf. Und zu den Menschenrechen, das hat er mehrfach in aller Deutlichkeit gesagt, zählte er auch das Eigentumsrecht.m Seine Aussage Ia loi civile est I 'arbitre supreme ... Elle peut donc donner le droit de disposer et /e regler ist daher nicht so zu verstehen, daß das Zivilrecht das Eigentumsrecht schrankenlos regeln, also im Extremfall auch abschaffen kann. Bei der Deutung der von Bürge zitierten Aussage ist weiter von Bedeutung, daß sie nicht aus den Debatten zum Eigentumsrecht, wie es nach Bürges Darstellung scheint, sondern zum Erbrecht entstammt. Portalis spricht von der Testierfreiheit ("Je droit de disposer"). Bei dieser Diskussion zum Erbrecht vertrat Portalis die Meinung, daß das Zivilrecht die Testierfreiheit regeln könne. m An keiner Stelle behauptete er, daß auch das Eigentumsrecht zur Disposition des Zivilrechts steht. Bürge reißt die Aussage also aus ihrem Zusarnrnenhang und verzerrt sie. s21 BOrge, S. 15 f. m Portalis in Locre V 200. m Vgl. auch Levy, S. 94: "Portalis fait de Ia propriete un de nos droits naturels, ..." s24 Siehe dazu unten E V 3 b.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Daß Portalis das Eigentumsrecht im Naturrecht begründet und nicht als Schöpfung staatlicher Gesetze ansah, hat er mehrfach eindeutig zum Ausdruck gebracht. Bereits in seiner Schrift De /'Usage ... hat er zum Eigentumsrecht geschrieben: "On ne peut regarder [Je droit de propriete, Anm. des Verf] comme l'ouvrage de Ia societe, puisqu'il prend sa source dans Ia nature525 •• • II faut ranger Je droit de propriete dans Ia classe des droits qui sont inseparables de notre maniere d'etre, et qui par consequent n'ont pu devenir Ia matiere des lois que comme objet da garantie, et non comme objet de concession."526 Die Aufgabe des Staates war nach Portalis' Auffassung daher nur die Garantie des Eigentums, nicht seine Gewährung. "C'est ... non comme proprietaire superieur et universei du territoire, mais comme administrateur supreme de l'interet public, que Je souverain fait des lois civiles pour regler l'usage des proprietes privees. Ces proprietes ne sont Ia matiere des lois que comme objet de protection et de garantie, et non comme objet de disposition arbitraire. Les lois ne sont pas de purs actes de puissance; ce sont des actes de justice et de raison. Quand Je legislateur publie des reglements sur les proprietes particulieres, il n'intervient pas comme maitre, mais uniquement comme arbitre, comme regulateur, pour le maintien du bonordre et de Ia paix."527

b) Eigentum und Gleichheit Rousseau beschrieb die Beziehung zwischen Eigentum und Gleichheit wie folgt: "Konkurrenz und Rivalität von der einen Seite, von der anderen Gegensatz der Interessen und immer der versteckte Wunsch, seinen Gewinn auf Kosten der anderen zu erlangen; alle diese Übel sind die erste Wirkung des Eigentums und das unzertrennliche Begleitgefolge der entstehenden Ungleichheit."521 Mit der Entstehung des Eigentumsrechts, das die Anhäufung von Vennögen ennöglichte, wurde die Grundlage filr Ungleichheiten geschaffen. Daher war fraglich, wie diese Ungleichheiten gerechtfertigt werden können. Kann es rechtens sein, daß ein Mensch Reichtum anhäuft, während dem anderen das Notwendigste fehlt? Nach den Utopisten Thomas Morus529 und Campanella530 stellte vor der französischen Revolution vor allem Rousseau das Eigentumsrecht in Frage, weil er es als Ursache der Ungleichheit ansah. Doch Rousseau war mehr Feind der

Portalis, De l'usage, Band 2, S. 289 = Ecrits, S. 346. Portalis, De l'usage, Band 2, S. 290 = Ecrits, S. 347. 527 Portalis, expose de motift du projet de Iai sur Ia propriete, in Ecrits, S. 116 = Locre IV 78. Daran knüpfte er in seinem disours preliminaire an: "Le droit de propriete en soi est ... une institution directe de Ia nature, et Ia maniere dont il s'exerce est un accessoire, un developpement, une consequence du droit lui-meme." Portalis, Ecrits, S. 60. 528 Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit, S. 209. 529 "Utopia" (1516). 530 "Der Sonnenstaat" ( 1620). 525

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IV. Zweites Buch "Von den Sachen ..."

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Ungleichheit als des Eigentums.531 Denn er stellte das Privateigentum nicht grundsätzlich in Frage. "Ma pensee n'est pas de detruire absolument Ia propriete particuliere, parce que cela est impossible, mais de Ia renfenner dans les plus etroites bomes."532 Er hielt es im Gegenteil filr die Grundlage der Gesellschaft. "La propriete est le plus sacre de tous les droits de citoyens ... Je vrai fondement de Ja societe civile ... Je fondement du pacte social."m Radikalere Auffassungen vertraten bereits vor der französischen Revolution Morelly, Linguet und Mably. Ob sie das Privateigentum nur einschränken oder aufheben wollten, bleibt jedoch oft zweifelhaft. 534 Im Verlaufe der Revolution dann verlangten die Hebertisten nach dem Vorbild der gracchischen Iex agraria ein Ackergesetz (Landteilungsgesetz), bevor Robespierre sie im Frühjahr 1794 guillotinierte, und Babeuf, den das Direktorium nach seinem Putschversuch (9. Sept 1796) zum Tode verurteilte und ebenfalls hinrichtete, sprach sich ganz gegen Privateigentum aus.m "La loi reconnait que Ia propriete est le droit de jouir et de disposer de son bien de Ia maniere Ia plus absolue, et que ce droit est sacre dans Ia personne du moindre particulier. Quel principe plus fecond en consequences utiles! Ce principe est comme l'äme universelle de toute Ia Jegislation." 536 Diese Äußerung von Portalis bezeugt, welchen Stellenwert das Eigentumsrecht fiir ihn hatte. Portalis war sich des Spannungsverhältnisses zwischen Eigentumsrecht und Gleichheit bewußt. Er hielt es jedoch nicht filr die Aufgabe des Staates, tatsächliche Gleichheit herzustellen. Den Gedanken, daß das Eigentumsrecht Grund fiir die Ungleichheit der Menschen sei, wies er zurück. Ursache fiir die tatsächlichen Ungleichheiten, meinte er, sei vielmehr die Natur, die die Menschen ungleich geschaffen habe. Ungleichheiten seien auch grundsätzlich kein Grund zur Besorgnis, weil sie durch die Nächstenliebe ausgeglichen würden: "Ce n'est pas ... au droit de propriete qu'il faut attribuer l'origine de l'inegalite. Les hommes ne naissent egaux, ni en taille, ni en force, ni en industrie, ni en talents: Les hasards et les evenements mettent encore entre eux des differences. Les inegalites qui sont l'ouvrage meme de Ia nature, entrainent necessairement celles que l'on rencontre dans Ja societe. On aurait tort de craindre Ies abus de Ia richesse et Jes differences sociales qui peuvent exister entre Ies hommes. L'humanite, Ia bienfaisance, l'amitie, toutes Jes vertus dont Ia semence a ete jetee dans le creur humain, supposent ces differences, et ont pour Levy, s. 90. Rousseau, Projet de constitution pour Ia corse, in Oeuvres, Band 3, S. 931. 533 Rousseau in Diderot, Encyclopedie, Stichwort "Economie". 534 Ramm, Diegrossen Sozialisten, S. I 09. Zu den Frühsozialisten siehe Girsberger, S. 144 ff. m Zu den Ideen und Schriften Babeufs siehe Ramm, Der Frühsozialismus, S. 3ff. 536 Portalis, expose de motifs du titre de Ia propriete, in Locre IV 84 = Ecrits, S. 127. Ansätze physiokratischen Gedankenguts trägt auch seine Äußerung "Les lois font tout ce qu'elles doivent, en n'excluant pas le merite" (Portalis, Oe I'Usage, Band 2, S. 286 = Ecrits, S. 343) in sich. 531

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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objet d'adoucir et de compenser les inegalites qui en naissent et qui forment le tableau de Ia vie. N'aspirons donc pas a etre plus humains que Ia nature, ni plus sages que Ia necessite.''m Portalis' Vertrauen in die Nächstenliebe als ausgleichender Faktor erscheint hier sehr zuversichtlich, fast träumerisch. Realistischer hat er den Konflikt zwischen Gleichheit und Individualeigentum in seinem philosophischen Werk gesehen. Hier kapitulierte er vor der Erkennntnis, daß Ungleichheiten unvermeidbar seien und daß alle Versuche, die totale Gleichheit herzustellen und aufrechtzuerhalten, vergeblich seien und nur den Staat destabilisieren wOrden. Daher lehnte er die Forderungen der Frühsozialisten und Babeufs nach totaler Gleichheit ab. Er fand sich mit einer hierarchischen, von der Macht des einzelnen bestimmten Gesellschaft ab. Obwohl er die Schriften Lockes538 und daher vermutlich auch dessen Überlegungen zur Rechtfertigung der Ungleichheiten539 kannte, übernahm er diese nicht: "L'idee de rendre tous les hommes parfaitement et absolument egaux est unedes plus dangereuses et des plus insensees qui aient pu entrer dans les tetes humaines ... Les differences et les inegalites renaitront malgre vos lois ... L'homme faible de corps ou d'esprit sera toujours force de reconnaitre Ia superiorite du plus fort, du plus industrieux, du plus spirituel. Dans l'impossibilite de faire a chaque homme une part egale des biens et des maux de Ia vie, et de maintenir constamment entre tous un equilibre parfait, le legislateur doit se contenter de n' öter a personne Ies moyens legitimes d 'acquerir ce qui est a sa portee et de conserver a tous ce qu'ils ont legitimement acquis." 540 Wenn er auch Ungleichheiten ftlr unvermeidbar hielt, anerkannte er doch ein Bedürfuis, extreme Ungleichheiten durch staatliche Eingriffe zu mildern: "L'humanite, lajustice et Ia bienfaisance sont les vrais cordeaux de nivellement, qu'un legislateur doit raisonablement mettre en usage pour egaliser les inegalites inevitables que l'on rencontre dans Ia nature et dans Ia societe."541 c) Artikel 544 Code civil Artikel 544 Code civil: "La propriete est le droit de jouir et disposer des choses de Ia maniere Ia plus absolue, pourvu qu'on n'en fasse pas un usage prohibe par les lois ou par Ies reglemens,"542 Artikel 545 Code civil: "Nul ne peut etre cantraint de ceder sa propriete, si ce n'est pour cause d'utilite publique, et moyennant une juste et prealable indemnite."543 Portalis in Locre IV 76 ff. = Ecrits, S. 114. Vgl. Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 245 und 289. 539 Vgl. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung,§ 50. 540 Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 284 = Ecrits, S. 342. 541 Portalis, De I'Usage, Band 2, S. 285 = Ecrits, S. 343. 542 Locre IV 51 . 543 Locre IV 52. 537

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Die Bedeutung und den Umfang des Eigentumsrechts und die möglichen gesetzlichen Einschränkungen nach dem Code civil erläuterte Portalis in seinem expose de motifs du projet de loi sur Ia propriete. Bei seinen Überlegungen ragte der Schutzgedanke heraus: Im Vordergrund stand ftir ihn, daß das Eigentum des Bürgers grundsätzlich dem Zugriff des Staat entzogen sei. Denn der Staat, hob Portalis hervor, habe kein übergeordnetes Recht an den Dingen. Erneut kam seine Naturrechtsauffassung zum Vorschein. Der Staat sei nur Garant des Eigentums und nicht Verftigungsberechtigter. "Le premier principe social est que chacun soit inviolablement maintenu dans Ia paisible jouissance de ce qui lui appartient; et que par consequent l'etat ou le souverain, etabli garant des droits et des devoirs sociaux, est simplement le protecteur, et non Je proprietaire de nos fortunes et de nos biens."544 Aus diesem Verhältnis zwischen Staat und Eigentümer leitete Portalis auch die Befugnisse des Gesetzgebers und damit die Grenzen des Eigentumsrechts her. Der Staat, meinte Portalis, könne Regelungen nicht zu beliebigen Zwecken, sondern nur zum Schutz der Rechtsgüter erlassen.545 "Les lois ne sont pas de purs actes de puissance: ce sont des actes de justice et de raison. Quand Je legislateur publie des reglemens sur Ies proprietes particulieres, il n' intervient pas comme maitre, mais uniquement comme regulateur, pour Je maintien du bonordre et de Ia paix."546 Auch ftlr die Enteignungsregelung von Artikel 545 Code civil hielt Portalis eine theoretische Rechtfertigung bereit. Zur Begründung des Eigentumsrechts hatte er die Vertragstheorie mit der Erwägung abgelehnt, das Eigentumsrecht sei nicht erst durch eine vertragliche Vereinbarung entstanden, sondern es sei ein Menschenrecht. Nun, bei der Rechtfertigung von Enteignungen, zog er den Gedanken einer Übereinkunft doch heran. Artikel 545 Code civil erlaubte Enteignungen bei dringendem öffentlichen Bedürfnis. 547 Portalis rechtfertigte die Vorschrift mit dem Gedanken, bei der Entstehung der Gesellschaft habe jeder eingewilligt, sein Eigentum im Interesse der Allgemeinheit aufzugeben. "Pour que l'etat soit autorise a disposer des domaines des particuliers, on ne requiert pas cette necessite rigoureuse et absolue qui donne aux particuliers memes quelque droit sur le bien d'autrui: des motifs graves d'utilite publique suffisent, parce que, dans l'intention raisonnablement presumee de ceux qui ont forme des societes civiles, il est certain que chacun s'est engage a rendre possible, par quelque sacrifice personnel, ce qui est utile atous." 54 K

Portalis, De l'Usage, Band 2, S. 296 = Ecrits, S. 350. Portalis, expose de motifs du projet de loi sur Ia propriete, in Locre IV 77 = Ecrits, s. 115. 546 Portalis, expose de motifs du projet de loi sur Ia propriete, in Locre IV 78 = Ecrits, s. 117. 547 Art. 545 Code civil legte lediglich grundsätzlich fest, wann Enteignungen zulässig sein sollten. Dieser Grundsatz wurde erst durch das Gesetz vom 8. März, also nach lokrafttreten des Code civil und nach Portalis' Tod umgesetzt; Locre in Locre IV 483. 548 Portalis, De l'Usage, Band 2, S. 298 f. = Ecrits, S. 352. 544 545

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

V. Drittes Buch "Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben" 1. Erster Titel "Von der Erbschaft" a) Drittes Kapitel .. Von der Erbfolge" (lntestaterbfolge)

aa) Erster Abschnitt "Allgemeine Bestimmungen"- Artikel 732 Code civil - die Regel paterna paternis Artikel 732 Code civil betraf die sog. Regel paterna paternis des droit coutumier. Die Bedeutung der Debatten zu dieser Vorschrift tritt nur hervor, wenn man die Erbfolgeregelungen von droit ecrit und droit coutumier in ihren Grundzügen berücksichtigt. Daher werden droit ecrit und coutumes zunächst kurz vorgestellt: ( 1) Droit ecrit und droit coutumier Im droit ecrit galt wie im klassischen 549 römischen Recht das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession). Das gesamte Vennögen des Erblassers ging als Einheit auf die oder den Erben Uber.sso Die Erbfolge war nie Nachfolge in einzelne Gegenstände. Eine Aufteilung in Gtitennassen, deren jede unterschiedlich vererbt wurden, war dem droit ecrit unbekannt. Für die gesetzliche Erbfolge galt seit dem Hochmittelalter im wesentlichen Justinians Novelle 118 (543 n. Chr.).m Diese unterschied vier Klassen von Erben, von denen jede frühere die spätere ausschloß. In der ersten Klasse waren die Abkömmlinge berufen, in der zweiten die Vorfahren und die vollhUrtigen Geschwister, in der dritten die halbbürtigen Geschwister und in der vierten alle übrigen Seitenverwandten.m In der zweiten Klasse traten die Neffen an die Stelle ihrer Eltern. In der vierten Klasse entschied unter den Seitenverwandten wie im römischen Rechtm die Gradesnähe. 554 s49 Dem altrömischen Recht war das Rechtsinstitut der Gesamtnachfolge fremd. Erst die Klassiker kannten es. Im oströmischen Reich bestand es in der Nachklassik fort und verdichtete sich allmählich zu der Anschauung, daß Erblasser und Erbe eine persönliche Einheit bilden. Im Westen dagegen verflüchtigte sich der Gedanke der Universalsukzession allmählich. Zur Entwicklung der Einzel- und Gesamtnachfolge im römischen Recht siehe Kaser, Das römische Privatrecht, I. Abschnitt, § 54 111 (S. 222 f.), § 158 I 2 (S. 673) und 2. Abschnitt,§ 281 I (S. 470 f.). sso Brox, Rn. 22; Kaser, § 65 I I (S. 299). ssJ Die Novelle 118 wurde ergänzt durch die Novelle 127 (548 n. Chr.); Kaser, § 66 VII (S. 31 0). m Zu den Einzelheiten Kaser, § 66 VII (S. 310 f.); Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 162. 553 Kaser, § 66 VII 4 (S. 310 f.).

V. Drittes Buch ,.Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben"

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Die erbrechtliehen Regelungen der coutumes waren uneinheitlich. Die folgende Darstellung berücksichtigt daher nur die großen Linien. Ähnlich dem römischen Recht unterschieden die meisten coutumes drei Klassen von Erben: (l.) die Abkömmlinge, (2.) die Aszendentenm und (3 .) die Verwandten in der Seitenlinie (col/ateraux). Wie im droit ecrit schloß die frühere Klasse die spätere aus. m Im Gegensatz zum droit ecrit galt nach den coutumes fiir die Erbfolge der Aszendenten und der Verwandten der Seitenlinie hinsichtlich mancher Gegenstände jedoch nicht das Prinzip der Gesamtnachfolge (unite de successionm), sondern das der Spezialerbfolge (plura/ite des successions558 ). Dies war die Konsequenz der je nach coutume unterschiedlich ausgebildeten 559 Regel paterna paternis; materna maternis. 560 Diese unterteilte die Güter der Erbmasse je nach ihrer Herkunft in Mobilien, acquets 561 und propres562 • Acquets waren Mobilien und Immobilien, die die Eheleute während der Ehe erwarben; sie wurden gemeinsames Gut beider Eheleute. 563 Propres dagegen waren von väterlicher oder mütterlicher Seite ererbte Immobilien (väterliche oder mütterliche propres). 564 Für acquets und Mobilien galt eine andere Erbfolge als fiir propres: 565 554 Viollet, S. 848; die vollbürtigen Geschwister wurden neben den Eltern berufen; sie schlossen die Großeltern aus; Kaser, § 66 VII 2 (S. 31 0). 555 Nach den meisten coutumes schlossen Vater und Mutter die Geschwister aus. Vgl. Brissaud, S. 1547 Fn. I. Hinsichtlich der ererbten Immobilien wurde der Grundsatz modifiziert durch das Prinzip propres ne remontent pas. Viollet, S. 845, beschreibt diese Regel wie folgt: "En vertu de cette regle, l'heritage qui m'est echu de Ia succession de ma mere ou d'un parent maternel, n'appartient pas, apres mon deces, a mon pere, mais a mes freres et sa:urs ou autres parents collateraux du cöte et ligne de ma mere. Mon pere n'aura que l'usufruit. Propres ne remontent pas signifie donc tout simplement que les propres ne passent pas d'une ligne a un autre." Weitere Details bei Brissaud, S. 1542. 556 Viollet, S. 837 und 845. Auch hier sind die coutumes uneinheitlich. m Brissaud, S. 1523. 558 Lepointe, Les Successions, § 127 und § 340. Vgl. zur Spezialerbfolge Conrad, S. 494 ff. 559 Siehe Viollet, S. 849 ff. 560 Auch in einigen, vor allem nordfranzösischen coutumes galt die Regel paterna paternis nicht; Lepointe, Les Successions, § 151. Vgl. zur Regel-paterna paternis auch Schröder!Künßberg, § 61, 5. Kapitel. 561 Manche coutumes unterschieden zwischen conquets und acquets. Acquets waren dann die Güter, die die Eheleute bereits vor der Eheschließung besaßen, conquets waren die Güter, die sie während der Ehe erwarben (Conquets se font par deux, acquets sefont par un); Viollet, S. 772. 562 In früher Zeit wurden sie a/leux genannt. Gleichbedeutend ist der Begriff heritage. In den meisten coutumes wurde ein acquet immobilier in den Händen desjenigen, der es von seinen Vorfahren durch Schenkung oder Erbfolge erlangt hat, zum propre. Vgl. Viollet, S. 772. 563 Außer in der Normandie galt in den pays coutumiers das gesetzliche Ehegüterrecht der Gütergemeinschaft. Zum Ehegüterrecht siehe unten E V 4. 564 Treilhard, expose de motifs, in Locre V 92. 565 Vgl. Treilhard, expose de motifs," in Locre V 92 ff.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Für Mobilien und acquets galten keine Besonderheiten. Hier wirkte sich die Regel paterna paternis nicht aus. Propres dagegen wurden nach der Regel paterna paternis vererbt. Dieser Regel lag die Idee zugrunde, daß von den Vorfahren stammende Güter in der Familie erhalten bleiben sollen. 566 Immobilien, die der Erblasser von einem Aszendenten geerbt oder geschenkt bekommen hatte, sollten an die (väterliche oder mütterliche) Linie zurückfallen, von der sie stammen. 567 Verwandte der mütterlichen Linie erbten daher nach der Regel paterna paternis väterliche propres erst, wenn keine Verwandten der väterlichen Linie vorhanden waren. Jeder Seitenverwandte der väterlichen Linie schloß auch gradnähere Verwandte der mütterlichen Linie aus. 56s Wegen des Prinzips paterna paternis galten daher filr propres und acquets verschiedene Erbfolgeordnungen.569 Die Regel paterna paternis warf jedoch besondere Probleme auf. Denn die Herkunft der Güter mußte ermittelt werden. Dies war vielfach schwierig und mit Ungewißheiten und Streitigkeiten zwischen den Familien verbunden. Oft mußte der Ursprung der Güter über ein Jahrhundert hinweg zurückverfolgt werden. 570 Außerdem beschränkte das Prinzip paterna paternis die Verfilgungsfreiheit des Eigentümers. Denn über propres konnte je nach coutume nicht oder nur zu einem geringen Teil von Todes wegen verfUgt werden. Strenge coutumes verboten sogar Verfilgungen über propres unter Lebenden. 571 Die Regel paternapaternis wirkte insoweit über das Erbrecht hinaus. (2) Das droit intermediaire Das Prinzip paterna paternis widersprach den revolutionären Ideen. Der einzelne sollte frei über sich und sein Eigentum verfUgen können. 572 Das Recht, insbesondere das Erbrecht, sollte Ungleichheiten verringern und das Vermögen gerecht aufteilen. Genau das Gegenteil bewirkte die Regel paterna paternis. Sie bewahrte das Vermögen innerhalb der (reichen) Familien und behandelte die Erben ungleich. Daher schaffte das Dekret vom 6. Januar 1794 (17. Nivose Il) die Regel paterna paternis ab. 573

Sagnac, S. 214; Lepointe, Les Successions, § 148. Viollet, S. 849; Lepointe, Les Successions, § 148; Ourliac, S. 406; Brissaud, S. 1522. 568 Brissaud, S. 1547. 569 Treilhard, expose de motifs, in Locre V 93. Dagegen teilte das droil ecrit den Nachlaß nicht nach der Herkunft der Güter auf; Viollet, S. 848. 570 Vgl. Berlier in Locre V 48; Treilhard, expose de motifs, in Locre V 93. 571 Berlier in Locre V 48; Treilhard, expose de motifs, in Locre V 87 und 92. 572 Lepointe, Les Successions, § 145. 573 Viollet, S. 855. Zu dem Gesetz vom 6.1.1794 bemerkte Cambaceres in Locre V 47: "Cette loi [du 17. Nivose II, Anm. des Ver/] fut faite dans un esprit de morcellement." 566

567

V. Drittes Buch ,,Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben"

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(3) Artikel 732 Code civil Artikel 16 des ersten Entwurfs übernahm die Regelung des Gesetzes vom 6. Januar 1794 (17. Nivose II) und entschied gegen die gewohnheitsrechtliche Regel paterna paternis. Es stellte Mobilien, propres und acquets erbrechtlich gleich: Artikel 16 des ersten Entwurfs: ,.La loi ne considere ni Ia nature ni l'origine des biens pour en regler Ia succession."574

Gegen Artikel 16 wandte sich Cambaceres. Er schlug die Wiederherstellung der Regel paterna paternis vor. Denn diese, meinte er, verhindere die Bereicherung der einen Familie auf Kosten der anderen und trage so zur Erhaltung des Familienfriedens bei. Ihre Geltung solle jedoch auf einen so engen Kreis der Verwandten beschränkt werden, daß die Feststellung der Herkunft der Güter keine Schwierigkeiten aufwerfe. 575 Auch Bigot-Preameneu sprach sich filr die Wiederherstellung der Regel paterna paternis aus. Entscheidend filr die gesetzliche Erbfolge war aus seiner Sicht die vermutete Zuneigung des Erblassers. Die "Herzen aller Menschen" würden von dem Wunsch bestimmt, daß die Güter ihrer Familie nicht einer anderen vererbt würden. Diesen Wunsch erfillle die Regel paterna paternis. Außerdem begünstige sie Eheschließungen. Denn einem Verwandten fiele es leichter, den Eheleuten Geschenke zu bereiten, wenn er sicher sei, daß sein Geschenk nicht einer ihm fremden Familie zufallen könne.m Berlier verteidigte den Entwurf. Zunächst verwies er auf die Schwierigkeiten, die mit der Feststellung der Herkunft der Güter verbunden seien. Außerdem, fuhr er fort, habe das Prinzip paterna paternis zur Folge, daß ein entfernter Verwandter der einen Linie einen nahen Verwandten der anderen Linie ausschliesse, obwohl letzterer dem Erblasser viel näher gestanden habe.577 Und gegen das Argument, die Regel paterna-paternis fördere Eheschließungen, spreche zweierlei: Zum einen könne derjenige, der verhindem wolle, daß sein Geschenk an eine andere Familie gehe, den Rückfall festsetzen. Zum anderen fragte er rethorisch: Habe man in den Ländern des droit ecrit weniger geheiratet? Sei zu Hochzeiten weniger geschenkt worden? Außerdem, fuhr Berlier fort, hätten sich auch fast alle Gerichte fllr die Beibehaltung des Gesetzes vom 6. Januar 1794 (17. Nivose II) ausgesprochen. Dies sei ein wichtiger Gesichtspunkt, wenn man bedenke, wie kritisch Gesetze dieser Zeit nun betrachtet würden.m

574

Locre V 46.

m Locre V 48.

Bigot-Preameneu in Locre V 47. Vgl. auch Treilhard, expose de motifs, in Locre V 93. m Berlier in Locre V 48.

576 577

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Nach Cambaceres, Bigot-Preameneu und Berlier nahm als letzter Portalis zu Artikel 16 des Entwurfs und dem Prinzip paterna paternis Stellung. Wie Berlier lehnte Portalis das Prinzip paterna paternis ab. Für ihn waren die Natur und der Umfang des Eigentumsrechts die maßgebliche Gesichtspunkte. Portalis vertrat hier eine betont individualistische Eigentumsauffassung: Das Eigentum sollte nicht der Familie, sondern dem einzelnen allein gehören. Es sollte frei von Beschränkungen sein. Insbesondere sollte der Eigentümer frei darüber verfUgen können. Damit wandte er sich grundsätzlich gegen die mit dem System der propres verbundenen Bindungen: "Celui qui succede devient proprietaire; il peut donc disposer. S'il en etait autrement, Ia propriete ne serait plus dans l'individu, eile serait dans Ia famille entiere. Lorsque l'heritier dissipe, sa famille perd !es biens sans retour; elle ne peut pas avoir plus de pretention a Ia propriete, par cela seul que Je possesseur des biens n'a pas ete dissipateur." 579 Auch Portalis hielt den vennuteten Willen des Erblassers für maßgebend. Er betonte, daß es nicht auf die Interessen und den Willen der Familienmitglieder, sondern allein auf die Person des Erblassers ankomme: "La presomption de l'affection doit sans doute etre consultee, mais dans Je proprietaire actuel seulement."580 Einen allgemeinen Willen des Erblassers, seine Familienerbstücke an die Familie zurückzuvererben, den Bigot-Preameneu behauptet hatte, konnte Portalis nicht entdecken. Letztlich verwies Portalis auf die Gründe, die zur Abschaffung der propres geführt hatten: "Au surplus, !es considerations qui ont fait supprimer Je systeme des propres, doivent aussi faire ecarter Ia regle paterna paternis."581 Welche Gründe er meinte, erläuterte Portalis nicht. Möglicherweise dachte er an ökonomische Gesichtspunkte und daran, daß einige coutumes sogar die Freiheit des Eigentümers, über propres unter Lebenden zu verfügen, beschränkten. Diese Beschränkung des freien Warenverkehrs sah man als Hemmnis filr die wirtschaftliche Entwicklung an. Daher forderte man auch aus ökonomischer Sicht die Abschaffung des Systems der propres. 582 Unmittelbar nach Portalis' Stellungnahme stimmte der Staatsrat über Artikel 16 des Entwurfs ab. Der Staatsrat nahm ihn an.583 Sein Wortlaut wurde unverändert als Artikel 732 in den Code civil übernommen. 584 Die Diskussion zu Artikel 732 Code civil zeigt auf, daß Portalis die Spannung zwischen der Verfilgungsfreiheit über das Eigentumsrecht und den familienrechtlichen Bindungen und Interessen zugunsten der Verfilgungsfreiheit löste. Portalis folgte dem römischen Recht und wandte sich eindeutig gegen Portalis in Locre V 48. Locre V 48. 581 Locre V 48. 582 Vgl. Lepointe, Les Successions, § 340. 583 V gl. dazu Maleville II 181. 584 V gl. Artikel 732 Code civil in Locre V 12. 579

580

V. Drittes Buch "Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben"

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Vorstellungen von Familieneigentum. 585 Seine Eigentumsvorstellung war wie die des römischen Rechts: individualistisch. Das Eigentum sollte dem einzelnen zustehen, nicht der Familie. Diesem Eigentumsverständnis widersprach jede Regelung, die vererbte und geschenkte GUter an bestimmte Familien band und dem EigentUrner die Freiheit nahm, testamentarisch oder durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen. Hier wird deutlich, daß Portalis der Verfügungsfreiheit des EigentUrners große Bedeutung beimaß. bb) Zweiter Abschnitt "Vom Eintrittsrecht"5x6 (de Ia representation)- Artikel 742 Code civil Die Abkömmlinge des Erblassers sollten im Code civil die erste Klassem, Eltern und Geschwister wie im römischen Recht die zweite Klasse der Erben bilden. 588 Nun war fraglich, ob den Abkömmlingen der Geschwister des Erblassers das Eintrittsrecht gewährt werden sollte. Die Gewohnheitsrechte waren uneinheitlich: Einige kannten das Eintrittsrecht überhaupt nicht,m nach anderen galt es in direkter Linie, nicht aber in der Seitenlinie, nach wieder anderen galt es uneineingeschränkt, 590 also auch in der Seitenlinie. 591 Nach römischem Recht fand die Repräsentation in gerader absteigender Linie uneingeschränkt statt. Insoweit folgte der Entwurf dem römischen Recht. 592 In der Seitenlinie traten fiir vorverstorbene Geschwister nach römischem Recht zwar deren Kinder ein, aber nicht auch die weiteren Abkömmlinge. Dabei erhielten die Geschwisterkinder zu gleichen Teilen, was der Vorverstorbene 585 Zur Entstehung von Individualeigentums und Erbrecht im Bereich der coutumes siehe Viollet, S. 817 ff.; vgl. auch Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Stichwort "Erbrecht" (Band I, S. 972 ff. ). 586 Eine Definition des Eintrittsrechts enthält Artikel 739 Code civil: "La representation est une fiction de Ia loi, dont I' effet est de faire entrer Ies representans dans Ia place, dans le degre et dans !es droits du represente." 587 Artikel 745 Code civil in Locre V 15. 58 K Artikel 748 Code civil: "Lorsque !es pere et mere d'une personne morte sans posterite lui ont survecu, si elle a laisse des freres, sreurs, ou des descendans d'eux, Ia succession se divise en deux portions egales, dont moitie seulement est deferee au pere et a Ia mere, qui Ia partagent entre eux egalement. L'autre moitie appartient aux freres, sceurs ou descendans d'eux, ainsi qu'il sera explique dans Ia section V du present chapitre." Locre V 16. 589 So z.B die coutumes von Ponthieu, Boulenois, Channy; Viollet, S. 835. 590 So z.B. die coutumes von Tourraine, Grand-Perche, Anjou und Auvergne; Viollet, s. 836. 591 Vgl. Chabot in seinem Bericht an das Tribunat, in Locre V 109, und Viollet, S. 835. 592 Artikel 24 des Entwurfs, der wortgleich ist mit Artikel 740 Code civil; vgl. Locre V 49 und 14.

II Plesser

E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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bekommen hätte. 593 Auch nach Artikel 27, Satz I des ersten Entwurfs sollte die Repräsentation in der Seitenlinie nur eingeschränkt stattfinden, freilich anders: Artikel 26 des Entwurfs: "En ligne collaterale, Ia representation est admise dans les cas qui suivent: 1° Si le defunt laisse des freres ou sreurs et des neveux ou nieces, ou des descendans d'eux, a quelque degre qu'ils puissent etre;

a leur defaut,

2° Si un cousin germain laisse des cousins ou cousines gennaines, et des enfans au premier degre d'un cousin gennain predecede."

Artikel 27 des Entwurfs: "Dans ces cas, le neveu ou Ia niece, ou a leur defaut, leurs descendans, viennent par representation du frere decede, concurremment avec les freres survivans. Les enfans au premier degre du cousin gennain, viennent par representation de leur pere, concurremment avec le cousin germain survivant." 594

Cambaceres meinte, daß nach dieser (sprachlich undeutlichen) Regelung Großneffen nur erben, wenn außer ihnen ein Bruder des Erblassers erbe. Sie erbten nicht, wenn kein Bruder mehr lebe.595 Seine Erklärung warf die Frage auf, in welchem Maße die Repräsentation in der Seitenlinie stattfinden sollte und insbesondere, ob Neffen und Nichten nur dann an die Stelle ihrer Eltern treten sollten, wenn andere Geschwister des Erblassers überlebten. Regnaud meinte, das Erbrecht des Großneffen dürfe nicht davon abhängen, ob ein überlebender Bruder des Erblassers vorhanden seU96 Unter Berufung auf die Stellungnahme des Appellationsgerichts von Lyon trat Berlier daftlr ein, das Eintrittsrecht uneingeschränkt auch den Großneffen zuteil werden zu lassen. Er begrUndete seine Auffassung mit dem Hinweis, daß alle Abkömmlinge der Geschwister in gleichem Maße die Zuneigung des Erblassers hätten. 597 Portalis dagegen sprach sich daftlr aus, das Eintrittsrecht restriktiv zu handhaben. Wie das römische Recht,S9K die coutume von Orleans und die coutume von Paris599 wollte er die Repräsentation nur zugunsten der Neffen und Nichten zulassen, nicht aber zugunsten der Großneffen. Denn letztere kenne der Erblasser in der Regel kaum. Ihnen gegenüber empfinde er daher in der Regel keine besondere Zuneigung. Nur die vennutete Zuneigung bestimme aber die gesetzliche Erbfolge. "La representation n'est qu'une fiction de Ia loi. On con~oit facilement que lorsque deux freres du defunt laissent des enfans, ces Kaser, § 66 VII 2 (S. 31 0). Locre V 49. 595 Cambaceres in Locre V 49. Diese Auslegung bestätigt Emmery: "L 'esprit de Ia section a ete d' appeler les neveux et les petits-neveux indistinctement, quand il existerait un frere du defunt'', Locre V 49. 596 Regnaud in Locre V 49. 597 Vgl. Berlier in Locre V 50. m Vgl. Kaser, § 66 VII 2 (S. 310). 599 Vgl. Viollet, S. 835. 593

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V. Drittes Buch .,Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben"

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neveux viennent egalement a Ia succession; mais les principes de Ia representation ne permettent pas d'etablir Je meme concours entre Jes neveux d'une part et les petits-neveux de l'autre. Ce ne sont pas, en effet, des vues d'humanite qui ont fait retablir Ia representation; ce sont des vues d'ordre, reglees sur les affections presumees du defunt."600 Außerdem argumentierte Portalis mit der Gesetzessystematik. Er zog eine Parallele zwischen Zivilprozeßrecht und Erbrecht. Die Gesetze, gab er zu bedenken, versagten dem Großneffen das Richterablehnungsrecht, weil eine verwandtschaftliche Bindung zum Großonkel kaum mehr bestehe. Daher dürfe dem Großneffen auch nicht zu Lasten des Neffen ein Erbrecht eingeräumt werden. "Les lois supposent que dans Ie degre de petit neveu, Je Iien de Ja parente ne subsiste presque plus, puisqu'elles n'admettent pas a ce degre Ia recusation des juges. Ainsi, c'est une idee peu naturelle de priver d'une portion de Ia succession, Je neveu du defunt, objet immediat de ses affections pour gratifier de cette part un individu que Je defunt a peut-etre connu a peine. L'ordre des affections ne doit pas etre calcule arbitrairement, mais d'apres des presomptions raisonnables. Or on sait que les relations de parente dans certains degres eloignes deviennent si etendues et si generales, qu'elles ne peuvent etre des motifs d'affection."601 Hier zeigte Portalis, daß er in großen Strukturen dachte und die Zusammenhänge innerhalb des Zivilrechts erfaßte. Er verstand es, diese Erkenntnisse bei Diskussionen einzusetzen, um seiner Auffassung Nachdruck zu verleihen. Hier war seine Argumentation zwar keineswegs zwingend, sie bereicherte die Diskussion aber um einen neuen Gesichtspunkt. Portalis' Argumente hinderten die Mehrheit des Staatsrats nicht, die von ihm geforderte Lösung abzulehnen. Der Staatsrat beschloß, das Eintrittsrecht auf alle Abkömmlinge der Geschwister des Erblassers auszudehnen: 602 Artikel 742 Code civil: "En ligne collaterale, Ia representation est admise en faveur des enfans et descendans de freres ou sceurs du defunt, soit qu'ils viennent a sa succession concurremment avec les oncles ou tantes, soit que tous les freres et sceurs du defunt etant predecedes, Ia succession se trouve devolue a leurs descendans en degres egaux ou inegaux."

b) Sechstes Kapitel ,. Von der Erbauseinandersetzung und der Ausgleichung" Zweiter Abschnitt .. Von der Ausgleichung"

aa) Grundlagen Die Rechtsfigur der Ausgleichung (rapport) beruht auf der Vermutung des Gesetzes, daß der Erblasser sein Vermögen unter seinen Erben gleichmäßig 600 601 602

11•

Portalis in Locre V 49. Portalis in Locre V 49. Locre V 50.

E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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verteilen will. Daher werden einem Erben bei gesetzlicher Erbfolge bestimmte Zuwendungen, die er - gewissennaßen als Vorausleistung - vom Erblasser zu dessen Lebzeiten erhalten hat, angerechnet. Anderes gilt nur, wenn der Erblasser ihn von der Ausgleichung befreit hat. 603 Dieses Prinzip übernahm auch der Code civil.604 Nach Artikel 858 Code civil wurde die Ausgleichung (rapport) durchgefilhrt, indem der beschenkte Erbe entweder das Geschenk an die Erbengemeinschaft (zurück-) übertrug oder indem der Wert des Geschenks auf seinen Erbteil angerechnet wurde. 60s War das Geschenk eine Immobilie, so konnten die Erben von dem beschenkten Miterben unter bestimmten Voraussetzungen606 die Rückübertragung verlangen. 607 Dagegen bestand bei Mobilien kein Anspruch auf Rückübertragung. Mobilien, die der Miterbe als Geschenk erhalten hatte, wurden, wie auch Geldgeschenke/08 immer auf den Erbteil angerechnet. 609 bb) Artikel 865 Code civil Artikel 153 des ersten Entwurfs sah vor, daß alle Grundstücksbelastungen erlöschen, wenn ein Grundstück im Zuge der Ausgleichung in die Erbmasse (zurück-)Ubertragen wird. Hypothekengläubiger sollten lediglich berechtigt sein, bei der Erbauseinandersetzung ihre Rechte zu wahren: Artikel 153 des ersten Entwurfs: "Lorsque le rapport se fait en nature, les biens se reunissent a Ia masse de Ia succession, francs et quittes de toutes charges creees par le donataire; mais les creanciers ayant hypotheque peuvent intervenir au partage, pour s'opposer a ce que le rapport se fasse en fraude de leur droits."610

Vgl. Palandt, § 2050 Rn. 1; Baudry-Lacantinerie/Wahl, Band 3, Rn. 2780 (S. 249). Artikel 843 Code civil: "Tout heritier, meme beneficiaire, venant a une succession, doit rapporter a ses coheritiers tout ce qu'il a rer;u du defunt, par donation entre-vifs, directement ou indirectement: il ne peut retenir les dons ni reclamer Ies legs a lui faits par le defunt, a moins que les dons et legs ne lui aient ete faits expressement par preciput et hors part, ou avec dispense du rapport." Locre V 35. Vgl. Artikel 131 des ersten Entwurfs und Artikel 126 des zweiten Entwurfs in Locre V 69 bzw. 79. 60s Artikel 858 Code civil: .,Le rapport se fait en nature ou en moins prenant." Locre V 37. 606 Artikel 859 Code civil: "II [le rapport, Anm. d. Verf] peut etre exige en nature, a l'egard des immeubles, toutes les fois que l'immeuble donne n'a pas ete aliene par le donataire, et qu'il n'y a pas, dans Ia succession, d'immeubles de meme nature, valeur et honte, dont on puisse formerdes lots a-peu-pres egaux pour les autres coheritiers." 607 Vgl. Artikel 859 ff. Code civil in Locre V 37. 608 Artikel 869 Satz I Code civil: "Le rapport de l' argent donne se fait en moins prenant dans le numeraire de Ia succession," in Locre V 38. 609 Vgl. Artikel 868 Satz I Code civil: "Le rapport du mobilier ne se fait qu'en moins prenant." in Locre V 38. 610 Locre V 69. 603

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Nach Artikel 153 sollten Hypotheken mit der Übertragung des Grundstücks an die Erbengemeinschaft erlöschen. Sie sollten aber wieder aufleben, wenn das Grundstück bei der nachfolgenden Erbauseinandersetzung dem Erben, der die Hypothek bestellt hatte, zugeteilt und übertragen wurde. 611 Artikel 153 gab den Hypothekengläubigem ein Interventionsrecht, wenn ihre Rechte verletzt wurden. 612 Als Verletzung der Rechte des Hypothekengläubigers (en fraude de /eurs droits) erachtete man die Zuteilung des Grundstücks an einen (Mit-) Erben, der nicht in die Hypothek eingewilligt hatte. Die Hypothekengläubiger sollten dann die Erbauseinandersetzung anfechten können. 613 Sie sollten außerdem das Recht haben, die Rückübertragung des Grundstücks zu verhindern, wenn die Ausgleichung auch durch Anrechnung auf den Erbteil (en moins prenant) erfolgen könnte. 614 Artikel 153 des Entwurfs sollte die Pflichtteilsansprüche der Kinder sichem.615 Er folgte der coutume der Bretagne616 und übernahm auch ihre Besonderheit, daß der Beschenkte zu Lebzeiten des Schenkers das Grundstück zwar nicht voll wirksam hypothekarisch belasten konnte, aber befugt war, es zu verkaufen. 617 Diese mit Artikel 153 verbundene Einschränkung der Verfilgungsmacht des Beschenkten stieß im Staatsrat auf Kritik. Jollivet sprach sich gegen die Regelung von Artikel 153 aus. Er forderte die uneingeschränkte Wirksamkeit der vom Beschenkten zugunsten eines Dritten bestellten Hypothek. Der Beschenkte, argumentierte er, werde Eigentümer des Grundstücks. Er könne das Eigentum übertragen und daher erst recht belasten. Folglich dürften die Hypothekengläubiger nicht darauf beschränkt werden, ihre Rechte bei der Auseinandersetzung geltend zu machen, wenn Miterben die Rückerstattung des Grundstücks forderten. Unter Umständen erlangten die Hypothekengläubiger auch gar keine Kenntnis von dem Rückerstattungsbegehren der Miterben und der Ausgleichung.m

611 Dies ist die Auffassung der h.M. zu Artikel 865 Code civil, der inhaltlich mit Artikel 153 des ersten Entwurfs übereinstimmt. Die h.M. begründet diese Auslegung mit dem Gedanken, daß die Rückwirkung der Erbauseinandersetzung die Auflösung der Hypothek annulliert. Diesen Gedanken sieht sie in Artikel 883 Code civil geregelt (Artikel 883: "Chaque coheritier est cense avoir succede seul et immediatement atous les effets compris dans son Iot, ou a lui echus sur licitation, et n' avoir jamais eu Ia propriete des autres effets de Ia succession."). Vgl. Laurent, Band II, Rn. 23 (S. 28). 612 Zu den Rechten der Hypothekengläubiger siehe Artikel 882 Code civil und Laurent, Band 10, Rn. 519 ff. (S. 562). 613 Anderes galt, wenn die Auseinandersetzung gerichtlich erfolgte. Dann wurden die einzelnen Nachlaßgegenstände den Erben zu gelost; Laurent, Band II, Rn. 24 (S. 29). 614 Vgl. Laurent, Band II, Rn. 24 (S. 28 f.). 615 Tronchet in Locre V 73 . 616 Zu der Herkunft von Art. 153 siehe Maleville II 310. 617 Tronchet in Locre V 73 . m Jollivet in Locre V 71 f.

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Außerdem, gab Jollivet zu bedenken, sei die Konsequenz der Regelung zu berücksichtigen. Wenn eine Hypothek einem Gläubiger keine Sicherheit gebe, könne der Beschenkte das Grundstück nur verwerten, indem er es verkaufe. Die Bestimmung, mit der man die übrigen Erben schützen wolle, wirke sich dann zu ihren Lasten aus. Daher müsse das Grundstück mit allen Belastungen in die Erbmasse eingehen.619 Tronchet warf ein, man ziehe aus der Befugnis des Beschenkten, über das GrundstOck zu verfUgen, einen falschen Schluß. Die Schenkung sei nur bedingt erfolgt: stillschweigend bedingt bis zur Eröffuung der Sukzession. Der Gläubiger könne nicht mehr Rechte erwerben, als der Schuldner habe. Es sei Sache des Hypothekengläubigers, sich über die Qualität des von ihm als Sicherheit ins Auge gefaßten Objekts zu informieren. Wer ein geschenktes Grundstück, das Gegenstand einer Rückerstattung sei, als Pfand annehme, setze sich bewußt dem Risiko aus, das Pfand bei einer Auseinandersetzung zu verlieren. Außerdem sehe das Gesetz auch andere Fälle bedingten Eigentums vor. 620 Allerdings, räumte Tronchet ein, bleibe die Frage, ob der Verkauf des GrundstOcks und die Bestellung einer Hypothek am Grundstück unterschiedlich behandelt werden sollten. Er deutete damit an, daß dem Beschenkten streng genommen auch der Verkauf verboten werden müßte, wenn die Schenkung nur bedingt erfolgt ist. Tronchet meinte, daß er, wenn er zwischen (1.) dem Verbot, das Grundstück zu verkaufen oder hypothekarisch zu belasten einerseits und (2.) der Befugnis, zu verkaufen, verbunden mit dem Recht, hypothekarisch zu belasten andererseits, entscheiden müßte, die erste Alternative vorziehen würde.621

Portalis folgte der Auffassung Jollivets und sprach sich gegen Artikel 153 aus. Er widersprach Tronchets Behauptung, daß die Schenkung des Erblassers nur bedingt erfolgt sei. Ein Schenker, meinte Portalis, habe den Willen, dem Beschenkten unbedingtes Eigentum zu übertragen. Denn sonst würde er dem Beschenkten lediglich einen Nießbrauch einräumen. Daher müsse der Beschenkte wie der Eigentümer selbst über die Sache verfUgen können: "C'est par l'intention du donateur qu'on doit fixer Ia latitude qui appartient au donataire; or, puisque Je donateur a entendu transferer Ia propriete de Ia chose, il est evident qu'il n'a pas voulu bomer sa liberalite aux produits (car il n'eut donne qu'un usufruit); mais qu'il a voulu que le donataire usät de Ia chose pour tous !es besoins auxquels lui donateur aurait pu l'employer: il aurait put l'hypothequer aussi. Le donateur en ce cas, exerce son droit de propriete par une main mediate, par celle de son representant."622 Wie zuvor Regnaud verwies auch Portalis auf das Schutzbedürfnis der Hypothekengläubiger. Diese müßten

Jollivet in Locre V 71 f. Tronchet in Locre V 72. 621 Tronchet in Locre V 73. 622 Portalis in Locre V 72. 619 620

V. Drittes Buch "Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben"

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sich auf die Verftlgungsbefugnis des Eigentümers verlassen können. 623 Wie bereits bei der Ablehnung der Regel paterna paternis setzte sich Portalis daftlr ein, den EigentUrner möglichst von Verftlgungsbeschränkungen zu befreien. Der Staatsrat traf zunächst keine Entscheidung, sondern überwies die Frage an den Gesetzgebungsausschuß.624 Schließlich übernahm er Artikel 153 des Entwurfs unverändert als Artikel 865 Code civil.m Portalis' Ansicht wurde nicht übernommen. 2. Zweiter Titel "Von Schenkungen unter Lebenden und von Testamenten" a) Erstes Kapitel " Allgemeine Bestimmungen"

aa) Artikel 894 Code civil Bei der Beratung von Artikel 2 des Entwurfs wurde die Frage aufgeworfen, ob der Code civil Definitionen enthalten solle. Artikel 2 des Entwurfs lautete wie folgt: Artikel 2 des Entwurfs: "La donation entre-vifs est un contrat par lequel le donateur se depouille actuellement et irrevocablement en faveur du donataire, de Ia propriete de Ia chose donnee. " 626

Regnaud meinte, Definitionen seien überflüssig, da sie keine rechtlichen Anordnungen enthielten. Galli ftlgte hinzu, das Gesetz dürfe nur die Begriffe definieren, deren Definition sie ändern wolle. Alle anderen Definitionen seien den Digesten zu entnehmen. Diesem Grundsatz seien auch die Verfassungen Piemonts und Mailands gefolgt. 627 Portalis dagegen trat ftlr die Beibehaltung von Definitionen ein. Im Piemont und in Mailand, erläuterte er, gelte das römische Recht, soweit die Verfassungen nichts anderes bestimmten. Zwar hätten die Ordonnanzen keine Definitionen enthalten. Sie seien aber keine kompletten Gesetzbücher gewesen, sondern hätten vorausgesetzt, daß das römische Recht und die Gewohnheitsrechte die Begriffe definierten. Die Wirkungen des Gesetzes, an dem der Staatsrat arbeite, reichten aber weiter. Denn das Gesetz solle droit ecrit und coutumes ersetzen. Auf Definitionen könne man nicht verzichten, da die aufgehobenen Gesetze in Zukunft in den Schulen nicht mehr gelehrt würden und folglich nichts mehr Aufschluß in der Sache geben würde, wenn das Gesetz sie nicht erkläre. Portalis verwies auch auf das Allgemeine Preußische Landrecht: Ein komplettes Gesetz, wie es der Staatsrat vorbereite, existiere nur in Preußen, und auch das preußische Portalis in Locre V 72. Locre V 73. 625 Locre V 76. Artikel 865 Code civil ist abgedruckt bei Locre V 38. 626 Locre V 202. 627 Galli und Regnaud in Locre V 202. 623 624

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Gesetzbuch enthalte Definitionen. Im übrigen folge man nur dem Beispiel Justinians. Niemand wüßte mehr genau zu sagen, was eine Schenkung unter Lebenden und was ein Testament sei, hätte Justinian nicht Definitionen in die Digesten einfUgen lassen.628 Bigot-Preameneu fiigte noch hinzu, daß Definitionen richtige Bestimmungen seien und zwar grundlegende. Denn sie klärten Ungewißheiten, die sich aus den verschiedenen Vorschriften ergeben könnten.~ 29 Portalis, dessen Auffassung außer Bigot-Preameneu auch Tronchet teilte, konnte sich hier durchsetzen. Die Definition in Artikel 2 und andere Definitionen wurden nicht gestrichen, sondern gingen in den Code civil ein. 630 bb) Artikel 896- 898, 1048, 1049 Code civil (Substitutionen) (1) Erbschaftsfideikommiß, Ersatz- und Nacherbschaft im römischen Recht

Eine Nacherbfolge, die auf einen ersten Erben später, beim Eintritt eines Termins oder einer Bedingung, einen zweiten Erben folgen läßt, war in Rom unbekannt. Sie scheiterte daran, daß die römische Erbenstellung nicht auf eine von vornherein begrenzte Zeit erworben werden konnte. 631 Einen Ausweg, der ein Hintereinander mehrerer Gesamtrechtsnachfolger ermöglichte, fand man in der sogenannten fideikommissarischen Sukzession (jideicommissum hereditatis). Hier wurde Erbe nur der erste Nachfolger des Erblassers, dem jedoch auferlegt wurde, die Erbschaft im ganzen (oder eine Quote) als Fideikommiß einem weiteren Nachfolger herauszugeben.~32 Zulässig war nach römischem Recht die Einsetzung von Ersatzerben (substitutio ). In ihrer regelmäßigen Gestalt als Vulgarsubstitution (substitutio vu/garis)633 bestimmte sie den Ersatzerben flir den Fall, daß der an erster Stelle Eingesetzte nicht Erbe wurde, etwa weil er vor dem Erblasser verstorben war oder die Erbschaft ausschlug.M•

Portalis in Locre V 202. Bigot-Preameneu in Locre V 202. 630 Locre V 202. 631 Kaser, § 78 I (S. 346). Die Regel, daß die Erbenstellung keine zeitliche Begrenzung verträgt, sollte in der alten Agrarwirtschaft vielleicht dazu beitragen, daß der Hof möglichst lange in einer Hand blieb; Kaser, § 68 II 4. 632 Kaser, § 78 I (S. 346 f.). 633 Außer der Vulgarsubstitution kannte das römische Recht die Pupillarsubstitution und die quasipupillarische Substitution; dazu Kaser, § 68 II 5 c ( S. 317 f.). 634 Kaser, § 68 II 5 (S. 317). 628

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(2) Diesubstitution des ancien droit Das droit ecrit übernahm das römischrechtliche Fideikommiß (jideicommissum hereditatis) und bezeichnete es als substitution jideicommissaire oder einfach als substitution. 635 Während Substitutionen im Geltungsbereich des droit ecrit weit verbreitet waren, standen die coutumes ihnen weniger aufgeschlossen gegenüber. 636 Die coutumes einiger Provinzen verbaten testamentarische Substitutionen völlig. Alle coutumes untersagten Substitutionen hinsichtlich des Teils der propres, über den nicht verfilgt werden durfte. 637 Wenn sie zulässig waren, erstreckten sich die Substitutionen nicht nur auf mehrere, nacheinander aufgezählte Personen, sondern auf Generationen, oft auch ins Unendliche. 638 Das Hauptziel des Instituts der Substitution war es, den Glanz der Familien dadurch zu sichern, daß sie den größten Teil des Vermögens in der Familie, meist in den Händen des Erstgeborenen, erhielt. 639 Weil die Substitutionen zu zahllosen Streitigkeiten und Prozessen gefilhrt hatten, beschränkte die Ordonnanz von Orleans ( 1561) sie filr die Zukunft auf zwei Stufen. Bald daraufbegrenzte die Ordonnanz von Moulins (1566) auch die Substitutionen, die vor der Ordonnanz von Orleans verfUgt worden waren, auf vier Stufen. Schließlich erneuerte 1747 die Ordonnance des substitutions die Ordonnanzen von Orleans und Moulins. 640 (3) Das Revolutionsrecht Durch die Gesetze vom 25. Oktober und vom 14. November 1792 schafften die Revolutionäre die Substitutionen ab. Denn durch die Substitutionen hatten sich über mehrere Generationen in den Händen von Privilegierten Reichtümer angehäuft, die nach der Meinung der Revolutionäre die "öffentliche Freiheit" (/iberte pub/ique) "alarmieren" könnten. 641 Substitutionen widersprachen zudem ihren egalitären Ideen. 642

Vgl. Viollet, S. 879; Bigot-Preameneu in Locre V 210 f. Bigot-Preameneu, expose de motif, in Locre V 313. 637 Vgl. Viollet, S. 879 f. 638 Viollet, S. 880. 639 Viollet, S. 879; Lepointe, Les Successions, § 339 (S. 255). 640 Viollet, S. 880. Lepointe, Les Successions, § 339 (S. 257). 641 Vgl. Sagnac, S. 224 f. 642 Vgl. Zachariä, Band 2, § 693 (S. 349 Fn. 3); Viollet, S. 881. 635

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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(4) Der Code civil Artikel 4 des Entwurfs schrieb das Revolutionsrecht fort und verbot das Fideikommiß ausnahmslos (Sätze 1 und 2). Lediglich die Ersatzerbschaft ließ er zu (Satz 3): Artikel 4 des Entwurfs (vgl. Artikel 896 und 898 Code civil): "Les substitutions sont prohibees. Toute disposition par laquelle Je donataire sera charge de conserver et de rendre a un tiers, Sera nulle, meme a l'egard du donataire. La disposition par laquelle un tiers sera appele pour recueillir, dans le cas ou le donataire ou le legataire ne recueillera pas, ne sera pas regardee comme une substitution et sera valable."643 Die Diskussion zu Artikel 4 des Entwurfs ist nur verständlich, wenn man mit der Rechtsfigur der disposition officieuse vertraut ist. Denn diese stand in engem Zusammenhang mit dem Verbot der Substitutionen. Die disposition officieuse knüpfte an die in der Revolution abgeschaffie exheredation officieuse an, die dem Familienvater gestattete, seine Enkel als Erben einzusetzen und seine verschwenderischen Söhne zu enterben. Die enterbten Söhne erhielten dann nur eine Unterhaltsrente oder den Nießbrauch am Nachlaß. 644 Im Rahmen des Titels "Von der väterlichen Gewalt" hatten die Staatsräte die disposition officieuse vorgesehen. Danach sollten die Eltern verschwendungssüchtiger Kinder ihre Enkel als Erben einsetzen und die Rechte ihres Kindes auf einen Nießbrauch am Erbe beschränken können: 64s Artikel 17 des dritten Entwurfs: "Les pere et mere pourront, par une disposition officieuse, dans le cas de dissipation notoire, reduire leurs enfans au simple usufruit de leur portion hereditaire, au profit seulement des descendans nes et a naitre de ces derniers." Artikel \8 des dritten Entwurfs: "La disposition officieuse ne peut-etre faite que par acte testamentaire. La cause doit y etre specialement exprimee: elle doit etre juste, et encore subsistante a l'epoque de Ia mort du pere ou de Ia mere disposant." Artikel 19 des dritten Entwurfs: "Les descendans de l'usufruitier ne pourront, de son vivant, disposer de Ia propriete dont ils seront saisis en vertu de Ia disposition officieuse. "646 Die disposition officieuse war daher anders konstruiert als das Fideikommiß. Sie enterbte die Kinder und setzte die Enkel als Erben ein. Das Fideikommiß dagegen setzte die Kinder als Erben ein, belastete sie aber mit der (schuldrechtlichen) Pflicht, das Erbe an die Enkel weiterzugeben.647 Außerdem unterschied sich die disposition officieuse von der substitution fideicommissaire dadurch, Locre V 202. Brissaud, S. 1557 f. 64s Die disposition ojjicieuse wurde nachträglich aus dem Gesetzentwurf gestrichen, vgl. Locre in Locre V 203 Fn. 1; Locre in Locre III 304. 646 Locre III 323 = Fenet, Band 10, S. 508. 647 Vgl. die Staatsratsdebatte vom 17. Dez 180 I zur disposition ojjicieuse, in Locre 111 311 ff. und Portalis in Locre V 215. 643

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daß der Erblasser sie begründen mußte (Artikel 18, Satz 2), und zwar mit Verschwendungssucht des Kindes (Artikel 17).64M Bei der Diskussion von Artikel 4 des Entwurfs der Substitutionen wurde die Frage aufgeworfen, ob Ausnahmen vom Substitutionsverbot zugelassen werden sollten. Zur Debatte stand zunächst nur der Vorschlag von Cambaceres, die disposition officieuse auch in der Seitenlinie, also im Verhältnis des Onkels zum Neffen zuzulassen. Denn weshalb sollte der Onkel nicht, wie der Vater, sein Erbe seiner Familie erhalten können, indem er es vor einem verschwendungssüchtigen Neffen schOtze. 649 Dieser Vorschlag führte zu einer Diskussion darüber, ob Ausnahmen vom Substitutionsverbot zugelassen werden sollten.650 (a) Artikel 1049 Code civil- Substitutionen in der Seitenlinie Zunächst diskutierte der Staatsrat, ob die einstufige Substitution in der Seitenlinie zugelassen werden sollte. Der Entwurf sah dies nicht vor (Artikel 4). Gegen die Zulassung von Ausnahmen vom Substitutionsverbot wurden die Argumente vorgebracht, die in der Revolution zur Abschaffung von Substitutionen gefilhrt hatten. Treilhard filhrte ökonomische Gründe an. Ohne Zweifel, meinte er, steigere der freie Verkehr der GUter das Wirtschaftswachstum und die Einnahmen des Staates. Substitutionen entzögen das Erbe dem wirtschaftlichen Verkehr, da der Vorerbe nicht darOber verfilgen dOrfe. 651 Wichtiger sei aber noch das öffentliche Interesse. Dieses "verlange", daß jeder frei Ober sein Vermögen verfilgen und es zur Vermehrung seines Reichtums einsetzen könne. 652 Auch Bigot-Preameneu lehnte Ausnahmen vom Verbot der Substitutionen ab. Er meinte, die fideikommissarische Substitution filhre zu zahlreichen Prozessen, weil die belasteten Erben sich von den ihnen auferlegten Fesseln zu befreien suchten. Außerdem hätten sie als bloße Nießbraucher kein Interesse daran, die GUter zu verbessern oder auch nur zu erhalten.653 Auch einstufige Substitutionen hätten diese Nachteile. Daher habe sich die Gesetzgebungssektion des Staatsrats dafilr ausgesprochen, Substitutionen ausnahmslos zu verbieten. 654 Portalis dagegen trat filr die einstufige Substitution in der Seitenlinie zugunsten der Neffen ein. In der Seitenlinie, erklärte er, bestehe kein Ptlichtteilsrecht.m Daher könne man hier die disposition o.fficieuse nicht zulassen. Denn sie Vgl. Treilhard in Locre V 203. Cambaceres in Locre V 203. 650 Vgl. Portalis in Locre V 204. 651 Locre V 312 ff.; vgl. auch Maleville 11336 und Cretet in Locre V 205. 652 Locre V 206. 653 Locre V 312 ff. ; vgl. auch Maleville 11336 und Cretet in Locre V 205. 654 So der Bericht Bigot-Preameneus in Locre V 213. 655 Eine Enterbung, wie die disposition ojjicieuse sie vorsah, war daher nicht möglich. Zugunstender Geschwister setzte der Code civil keinen Pflichtteil fest. Vgl. Artikel 916 648

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zwinge den Testator, darzulegen, aus welchen Gründen er seinen Enkeln den Teil seines Vennögens übertrage, den das Gesetz seinem Sohn zuteile. Hier handele es sich um eine echte Substitution. 656 Portalis forderte die Zulassung der einstufigen Substitution, weil er meinte, sie diene den Interessen der Familien: "La conservation des biens dans !es familles ... est ... tn!s utile ... II importe seulement de ne pas porter trop loin l'esprit de conservation; il est renferme dans de justes limites, quand il se bome a soustraire des biens a un dissipateur pour !es transmettre au degre suivant."6S7 Dem Argument, die Substitutionen filhrten zu zahlreichen Prozessen, begegnete er mit dem Hinweis, daß jeder Erbfall zu Prozessen fUhren könne. Es gelte, Prozesse durch geeignete gesetzliche Vorkehrungen zu venneiden. "Les proces sont des inconveniens attaches a toute espece de succession; il n'en est point qui exige quelques precautions, desquelles peuvent resulter des procedures."658 Maleville und Napoleon fUgten hinzu, Prozesse seien vor allem bei Substitutionen entstanden, die sich über mehrere Stufen erstreckten, weniger bei nur einstufigen Substitutionen.659 Darüber hinaus wandte Portalis sich gegen die Meinung, die durch die Substitution beschränkte Verfilgungsfreiheit laufe dem öffentlichen Interesse zuwider. Vielmehr sei zwischen Mobilien und Immobilien zu unterscheiden. Nur der Handel mit Immobilien werde eingeschränkt. Diese Einschränkung erachtete er jedoch nicht als Nachteil, sondern als Vorteil, weil sie die Stabilität des Familienvennögens stärke: "A l'egard de l'inalienabilite des biens, peut-elle etre prejudiciable a l'interet public? D'abord, les meubles seraient vendus pour etre convertis en immeubles; ils demeureraient donc dans le commerce. L'inalienabilite n'affecterait donc que les immeubles. Mais quel avantage y a-t-il alesfaire circuler comme les monnaies? La stabilite des immeubles, au contraire, stabilise Ies familles, et des-lors eile est dans I' interet de Ia societe. Le commerce des richesses mobilieres est donc le seul qu'il importe d'encourager." Aus diesen Gründen, folgerte Portalis, stehe der Zulassung der Substitution in der Seitenlinie nichts entgegen, wenn man sie auf eine Stufe beschränke.660 Die Regelung, die der Staatsrat letztlich beschloß, entsprach Portalis' Vorstellungen. Denn sie ließ Substitutionen in der Seitenlinie zugunsten der Neffen und Nichten zu (Artikel897 i.V.m. 1049 Code civi1): 661 Artikel 896 Code civil: "Les Substitutions sont prohibees.

Code civil: "A defaut d'ascendans et de descendans, les liberalites par actes entre-vifs ou testamentaires pourront epuiser Ja totalite des biens." 656 Portalis in Locre V 204. 657 Portalis in Locre V 216. 658 Portalis in Locre V 205. 659 Vgl. Napoleon und Maleville in Locre V 205. 660 Portalis in Locre V 205. 661 Locre V 207.

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Toute disposition par laquelle le donataire, l'heritier institue, ou le legataire, sera charge de conserver et rendre a un tiers sera nulle. meme a l'egard du donataire, de l'heritier institue, ou du legataire." Artikel 897 Code civil: ,.Sont exceptees de l'article precedent les dispositions permises aux peres et meres et aux freres et sa:urs, au chapitre VI du present titre."662 Chapitre sixieme: Des dispositions permises en faveur des petits-enfans du donateur ou testateur, ou des enfans de ses freres et sa:urs. Artikel 1049 Code civil: "Sera valable, en cas demortsans enfans, Ia disposition que le defunt aura faite par acte entre-vifs ou testamentaire, au profit d'un ou plusieurs de ses freres ou sa:urs, de tout ou partie des biens qui ne sont point reserves par Ia loi dans sa succession, avec Ia charge de rendre ces biens aux enfans nes et a naitre, au premier degre seulement, desdits freres ou sa:urs donataires." 663

(b) Artikel 1048 Code civil - Substitutionen in gerader absteigender Linie Im Anschluß an die Zulassung der einstufigen Substitution in der Seitenlinie wandte sich der Staatsrat der Frage zu, ob in gerader absteigender Linie die disposition o.fficieuse durch die einstufige Substitution ersetzt werden sollte. 664 Weil die Abkömmlinge im Gegensatz zu den Seitenverwandten einen Pflichtteilanspruch haben sollten, beschloß der Staatsrat zunächst, daß in gerader Linie nur eine auf den verlUgbaren Vermögensteil beschränkte Substitution in Betracht komme. 6M Den bisher filr und gegen Substitutionen vorgetragenen Gesichtspunkten fUgten Berlier und Real einen neuen hinzu. Gegen die Wiederzulassung der Substitution in gerader absteigender Linie flihrten sie Montesquieu ins Feld. Dieser habe die Substitution nur in einer Monarchie, in der sie den großen Familien die Erhaltung ihres Glanzes ermögliche, befilrwortet und die Auffassung vertreten, daß Substitutionen allein den adeligen Familien erlaubt sein sollten. Hieraus folgerte Berlier, daß Montesquieu das System der Substitutionen in einer Republik abgelehnt habe.M6 Portalis dagegen meinte, daß Substitutionen, wie das römische Recht beweise, auch in einer Republik ein geeignetes Mittel seien, um Verschwendung des Familienvermögens zu verhindern. "II n'y a plus de privileges, au contraire, dans Jes SUbstitutions qui sont egaJement permises a tOUS Jes proprietaires: celles-Ja n'ont rien de monarchique, elles existaient dans Ia republique romaine. La conservation des biens dans les familles, quand d'ailleurs l'egalite est respectee, et qu'il n'y a ni droit d'alnesse, ni difference entre les partages a raison de Locre V 152. Locre V 183. 664 Locre V 207. 665 V gl. Treilhard in Locre V 207 und Locre V 208. 666 Berlier in Locre V 213; Real in Locre V 21 7. 662

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naissance, est meme tres utile dans !es n!publiques. II importe seulement de ne pas porter trop loin l'esprit de conservation; or il est renferme dans de justes limites, quand il se bome a soustraire des biens a un dissipateur pour !es transmettre au degre suivant."667 Letztlich konnte sich Portalis' Auffassung auch hier durchsetzen. Denn die einstufige fideikommissarische Substitution zugunsten der Enkel des Erblassers wurde in Artikel 1048 Code civil zugelassen: Artikel 1048 Code civil: .,Les biens dont les peres et meres ont Ia faculte de disposer, pourront etre par eux donnes, en taut ou en partie, a un ou plusieurs de leurs enfans, par actes entre-vifs ou testamentaires, avec Ia charge de rendre ces biens aux enfans nes et a naJtre, aU premier degre SeU)ement, desditS donataires."668

Auch bei der Diskussion des Substitutionsrechts neigte Portalis mehr dem römischen Recht und dem droit ecrit als dem Revolutionsrecht zu. Wieder stärkte er die Macht des Vaters, indem er das Instrument der Substitution forderte. Erneut suchte er nach einer gesetzlichen Regelung, die die Stabilität der Familien stützte. Wiederum trug er zur Erweiterung der Testierfreiheit bei. (c) Substitutionen zugunsten ungeborener Kinder Bei der Debatte über die Substitutionen mußte der Staatsrat auch entscheiden, ob ein Erblasser das Recht haben sollte, fideikommissarische Substitutionen zugunsten zukünftiger Kinder (enfants a naitre) festzusetzen. Fraglich war, ob von dem in Artikel 725 Code civil aufgestellten Prinzip, daß nur geborene Kinder erbfähig seien, Ausnahmen zugelassen werden sollten. 669 Thibaudeau lehnte dies ab. Rechte, meinte er, könne grundsätzlich nur erwerben, wer zumindestens gezeugt sei. Wenn man auch zukünftige Kinder als Nacherben zulasse, bedürfe es folglich einer Sonderbestimmung. Für eine solche Sonderbestimmung bestehe indes kein Bedürfnis, da die Mehrzahl der Väter die Geburt ihrer Enkel erlebten.670 Auch Treilhard hielt eine solche Ausnahmeregelung filr unzulässig. Wenn die Kinder noch nicht existierten, seien sie nur schimärische Wesen, die nicht Objekt einer VerfUgung des Erblassers sein könnten. Das Eigentum, das er ihnen lasse, "ruhe auf keinem Kopf'. Wenn die Kinder niemals geboren würden und der Nießbraucher stürbe, was werde dann aus dem Eigentum?671 Locre V 215 f. Locre V 183. 669 Vgl. Artikel 725 Code civil: "Pour succeder, il faut necessairernent exister a I' instant de I' ouverture de Ia succession. Ainsi, sont incapables de succeder, I o Celui qui n'est pas encore con9u; 2° L'enfant qui n'est pas ne viable; 3° Celui qui est mort civilernent." in Locre V 10. 670 Thibaudeau in Locre V 216. 671 Treilhard in Locre V 207; vgl. auch die Zweifel Berliers in Locre V 214. 667 668

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Portalis sah darin keine Schwierigkeit. "On demande ce que devient de Ia propriete, si !es enfans appeles ne naissent pas, et que l'usufruitier meure. Elle est devolue suivant !'ordre commun des successions."672 Er hielt fideikommissarische Substitutionen zugunsten zukünftiger Kinder ohne weiteres ftlr zulässig: "La loi etant toute-puissante, elle peut modifier Je principe general qu'elle etablit, par une exception en faveur de quelques enfans non encore con~us. " 673 Der Staatsrat folgte Portalis' Auffassung und beschloß, die einstufige Substitution zugunsten zukünftiger Enkel zuzulassen. 674 Portalis bekräftigte seine Auffassung in der folgenden Sitzung,675 als die Frage besprochen wurde, ob auch der Onkel seinen zukünftigen Neffen bzw. Großneffen als Nacherben einsetzen könne, wie folgt: "L'institution d'enfans a naitre serait une institution de personnes incertaines. La loi peut, sans doute, l'autoriser en modifiant Je principe generat qu'elle a cree, et deja l'exception a ete admise pour Ia ligne directe. Quels motifs pourraient determiner a Ia refuser en collaterale?" Portalis' Ansicht setzte sich durch und ging in Artikel 1048 f. Code civil ein.676 b) Drittes Kapitel" Vom verfügbaren Vermögensteil undvon der Reduktion" Erster Abschnitt" Vom verfügbaren Vermögensteil"

Beim Pflichtteilsrecht, das den Konflikt zwischen Testierfreiheit, Gleichheit und dem Gedanken des Familieneigentums677 löste, standen sich mit droit ecrit, coutumes und Revolutionsrecht erneut gegensätzliche Vorstellungen gegenüber, zwischen denen der Staatsrat vermitteln mußte. aa) Das Pflichtteilsrecht des Ancien Regime Das Pflichtteilsrecht des ancien droit war in den verschiedenen Regionen Frankreichs unterschiedlich. In den Ländern des droit ecrit erhielten die Kinder des Erblassers einen Pflichtteil von einem Drittel des gesetzlichen Erbteils, wenn sie vier oder weniger Geschwister waren, und die Hälfte, wenn sie mehr als vier waren. 678 Portalis in Locre V 207. Portalis in Locre V 207. 674 Locre V 208. 675 Sitzung vom 5. Februar 1803. 676 Artikel 1048 ist abgedruckt oben S. 174, Artikel I 049 ist abgedruckt oben S. 173. 677 Zur Geschichte des Familieneigentums siehe Viollet, S. 817 ff. 678 Nov 18, cap I. Vgl. zur Testierfreiheit im römischen Recht Liebs, S. 137 ff. und 145. 672

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Während das droit ecrit dem Erblasser große Freiheit für testamentarische Verfilgungen einräumte, betonten die coutumes die Idee des Familieneigentums.679 Um der Familie das Vermögen des Erblassers in möglichst großem Umfang zu erhalten, gaben die meisten coutumes dem Erblasser nur wenig Spielraum filr Verfügungen von Todes wegen. Nach dem Gewohnheitsrecht von Paris etwa betrug der Pflichtteil immer die Hälfte dessen, was das Kind bekommen haben würde, wenn der Vater ab intestato gestorben wäre. 680 In der Nonnandie betrug der freie Teil nur ein Drittel der acquets und propres, wenn der Erblasser keine Kinder hatte, und wenn er Kinder hatte, bloß ein Drittel der Mobilien. Der Rest bildete den Pflichtteil.611 Andere Gewohnheitsrechte legten wieder andere Quoten fest.m Ungleich waren auch die Pflichtteilsrechte der Aszendenten und Geschwister geregelt. 683 bb) Das Revolutionsrecht In der revolutionären Gesetzgebung wirkte sich das republikanische Ideal des bescheidenen Wohlstands für alle auch auf das Pflichtteilsrecht aus. 684 Am 8. April 1791 hatte die Nationalversammlung die Beseitigung aller rechtlichen Ungleichheiten bei der gesetzlichen Erbfolge - hierzu zählte z.B. das Erstgeborenenerbrecht- dekretiert. 685 Ungleichheiten unter den Erben konnte der Erblasser jedoch noch immer durch Verfügungen von Todes wegen herbeifUhren. Daher forderte zuerst Mirabeau die Nationalversammlung auf, die Testierfreiheit abzuschaffen. 686 Allerdings war fraglich, ob es überhaupt zulässig war, die Testierfreiheit ganz abzuschaffen. Die Frage war eng verbunden mit der nach der Natur des Eigentumsrechts. Zum einen wurde die Theorie vertreten, das Eigentumsrecht gehe als Menschenrecht staatlichem Recht vor und umfasse auch das Recht, Ober das Eigentum von Todes wegen zu verfügen, weil das Eigentumsrecht sonst nicht mehr als ein Nießbrauch sei. Die Gegenmeinung, die Tronchet, Mirabeau, Robbespierre und andere vertraten, sah im Eigentum dagegen nur ein vom Staat gewährtes Recht, dessen Übertragung durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden oder von Todes wegen der Staat uneingeschränkt regeln könne. In den ersten Jahren der Revolution herrschte diese Auffassung vor. Daher wurde die Testierfreiheit weitestgehend wenn auch nie restlos - beseitigt. Mit Dekret vom 7. März 1793 hob der Konvent Vgl. Viollet, S. 859 f. Maleville II 365; Bigot Preameneu in Locre V 194. 681 Viollet, S. 870. 682 Coing, Band I, § 130 II1 2. 683 Einzelheiten dazu im Bericht von Bigot-Pn:ameneu in Locre V 193 ff. 684 Sagnac, S. 216 f. 685 Sagnac, S. 220; Lepointe, Les Successions, § 345 (S. 261 ). 686 Berlier in Locre V 199 - Nachweise bei Sagnac, S. 221 Fn. 2. 679 680

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die Freiheit, in direkter Linie testamentarisch zu verfugen, auf. 687 Alle Nachkommen erbten danach zu gleichen Teilen.m Kurz darauf wurde die Testierfreiheit durch die Gesetze vom 26. Oktober 1793 (5. Brumaire II) und vom 6. Januar 1794 (17. Nivose II) noch weiter eingeschränkt. Der Erblasser konnte danach nur noch über ein Zehntel seines Vermögens frei verfUgen, wenn er Verwandte in direkter Linie hatte, und über ein Sechstel, wenn er nur Verwandte in der Seitenlinie hinterließ. 689 Das Gesetz vom 6. Januar 1794 (17. Nivose II) verbat dem Erblasser außerdem, einen der Erben gegenOber anderen durch Testament zu begünstigen.690 Testamentarische Verfllgungen waren damit nur noch zugunsten von Personen möglich, die nicht gesetzliche Erben waren. 691 Diese vom Prinzip der absoluten Gleichheit bestimmte Periode dauerte nicht lange: Um 1800 kam es zu einem Wechsel der Doktrinen. Nunmehr vertrat die Mehrheit der Volksvertreter die Auffassung, das Privateigentum und damit die Testierfreiheit seien naturrechtlich gewährleistet.692 Von dieser Theorie geleitet gab das vom Konvent erlassene Gesetz vom 25. März 1800 dem Erblasser einen Teil seiner Verfilgungsfreiheit zurtick und erlaubte ihm letztwillige Verfilgungen über ein Viertel seines Vermögens, wenn er weniger als vier Kinder, über ein Fünftel, wenn er deren vier, Uber ein Sechstel, wenn er deren funf hinterließ und so weiter. 693 DarOber hinaus erlaubte das Gesetz dem Erblasser, einen Erben zu bevorzugen und ihm den gesamten verfugbaren Teil (Freiteil) zu vererben. 694 cc) Artikel913 Code civil Vor diesem Hintergrund debattierten die Staatsräte die Frage, über welchen Teil seines Vermögens ein Erblasser frei von Todes wegen verfUgen können sollte, wenn er Abkömmlinge hinterließ. Satz 1 des ersten Entwurfs sah einen Pflichtteil von drei Viertel des gesetzlichen Erbteils vor: "S'il y adesenfans ou descendans des enfans, au temps du deces, ils auront, a titre de legitime, les trois quarts de ce qui leur reviendrait par succession, s'il n'y avait pas de donation entre-vifs ou testamentaire." 69;

Maleville griff den Entwurf mit der BegrUndung an, er ziehe der väterlichen Gewalt zu enge Grenzen. Dem Vater müsse das Recht eingeräumt werden, seine Kinder nach ihren Verdiensten und Bedürfnissen testamentarisch zu bedenken. Viollet, S. 875. Sagnac, S. 225. 689 Sagnac, S. 227 mwN; Lepointe, Les Successions, § 349 (S. 264). 690 Maleville II 365; Lepointe, Les Successions, § 349 (S. 264). 691 Viollet, S. 875. 692 Sagnac, S. 349. 693 Maleville; vgl. auch Locre V 223 . 694 Sagnac, S. 351. 695 Locre V 198. 687 688

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Daher forderte Maleville die Übernahme des Pariser Gewohnheitsrechts, das den Kindem als Pflichtteil nur die Hälfte des gesetzlichen Erbteils gewährt hatte. 696 Tronchet dagegen vertrat die Ideen der Revolutionsgesetze und verteidigte die Regelung des Entwurfs. Er unterschied zwischen Verfilgungen unter Lebenden und Verfilgungen von Todes wegen. Eine Befugnis, testamentarisch zu verftigen, ergebe sich im Gegensatz zur Befugnis, unter Lebenden zu verfilgen, nicht aus dem Eigentumsrecht Der Eigentümer sei nur befugt, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfilgen. Das Eigentumsrecht gebe kein Recht, von Todes wegen zu verfUgen. "Le droit [de propriete, Anm. des Verf] ne s'etend pas au-dela de Ia vie; il ne peut donc produire Je pouvoir de disposer pour un temps ou Je proprietaire n'existera plus." Daher, meinte Tronchet, sei die Testierfreiheit nur eine vom Zivilrecht eingeräumte Begünstigung, die über das Naturrecht hinausgehe. 697 Das "Naturgesetz" (Iai naturelle) gebiete, daß der Vater seinen Kindem sein Vermögen hinterlasse. Daher müsse das gesamte Vermögen des Vaters auf seine Abkömmlinge übergehen. Der Vater habe nur die Befugnis, belohnende Vermächtnisse bescheidenen Wertes festzusetzen. Eine gewisse Testierfreiheit sei jedoch im öffentlichen Interesse, damit der Vater seine Kinder belohnen könne. Da eine solche Bestimmung aber eine Abweichung vom Naturrecht darstelle, müsse sie so weit wie möglich eingeschränkt werden. Daher müsse der Pflichtteil größer sein als der, den die coutume von Paris vorsehe. 698 Portalis lehnte Tronchets theoretischen Ansatz ab. Er vertrat die entgegengesetzte Position und stellte einen engen Zusammenhang zwischen Eigentumsrecht und Testierfreiheit her. Die Testierfreiheit, meinte er, folge aus dem naturrechtlich gewährleisteten Eigentumsrecht "Le droit de disposer nait du droit de propriete. Or, celui qui dispose a cause de mort, dispose pendant sa vie et dans un temps ou il est proprietaire." 699 Portalis maß der Testierfreiheit große Bedeutung zu. Er schloß aber einen gesetzlichen Pflichtteil und damit eine Begrenzung der Testierfreiheit nicht aus. Fraglich ist, ob nach seiner Auffassung die Erberwartungen der Erben die Testierfreiheit beschränkten. Seine Aussagen zu dieser Frage sind nicht eindeutig. "Mais est-ce Ia droit naturel? Est-ce Ia loi civile qui doit donner ici des regles. La Ioi civile est l'arbitre supreme: illui appartient de tout regler. Elle peut donc donner Je droit de disposer et Je regler; son pouvoir, a cet egard n'est Iimite, que par l'obligation de respecter les droits acquis, parce qu'elle ne pourrait passer ces bomes sans agir contre sa propre nature, qui est de garantir Ies droits de chacun. II n'est donc pas question d'examiner ce qui est Je plus conforme au droit nature!, mais ce qui est le plus utile a Ia societe." 700 Maleville in Locre V 198. Tronchet in Locre V 199. 698 Tronchet in Locre V 199. 699 Portalis in Locre V 200. 700 Portalis in Locre V 200.

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Der Satz "Ia loi civile est l'arbitre supreme" spricht dafilr, daß der Gesetzgeber frei sei, die Testierfreiheit einzuschränken oder nicht, von der Enterbungsfreiheit bis zur Abschaffung der Testierfreiheit gehen kann. Der Hinweis, der Gesetzgeber habe die "erworbenen Rechte" (droits acquis) zu achten, spricht hingegen dafilr, daß dem Gesetzgeber Grenzen gesetzt sind. Fraglich ist hier, ob Portalis die Erberwartungen der gesetzlichen Erben als "erworbene Rechte" und damit als Schranke der Testierfreiheit einordnete. Ausdrücklich beantwortete er diese Frage nicht. Seine Bemerkung, die Regelungen der Testierfreiheit seien nicht am Naturrecht sondern daran zu messen, ob sie das Wohl der Gesellschaft fördern, legt den Schluß nahe, daß er Erberwartungen nicht als "erworbene Rechte" einordnete und daher eine Regelung, die eine weitgehende Enterbungsfreiheit vorsah, filr zulässig hielt. Da er meinte, daß die Testierfreiheit aus dem Eigentumsrecht des Erblassers folge, hielt er aber wahrscheinlich umgekehrt die weitgehende Abschaffung der Testierfreiheit filr eine Verletzung des Eigentumsrechts. Tronchet hatte dafilr plädiert, die Testierfreiheit soweit wie möglich einzuschränken. Portalis forderte das Gegenteil: eine möglichst weite Testierfreiheit. Denn diese eröffue dem Vater Einflußmöglichkeiten auf seine Kinder. Tronchet sah in der Testierfreiheit ein Mittel, seine Kinder zu belohnen. Portalis sah in der Testierfreiheit vor allem ein Institut, das den Vätern Autorität verschafft: "Le droit de disposer est, dans Ia main du pere, non, comme on l'a dit, un moyen entierement penal, mais aussi un moyen de recompense. Il place !es enfans entre l'esperance et Ia crainte, c'est-a-dire, entre !es sentiments par lesquels on conduit !es hommes bien plus surement que par des raisonnements metaphysiques. "701 Tronchet war der Ansicht, daß sich die Väter bei der Führung der Familien wie die Erfahrung zeige - allzu oft von ungerechten Vorlieben leiten ließen. 702 Auch hier vertrat Portalis die entgegengesetzte Ansicht. Er vertraute dem Gerechtigkeitssinn der Väter: "Si Ia loi laisse au pere Ia disposition d'une partie de ses biens, c'est pour le mettre en etat de punir, de recompenser, de reparer !es inegalites entre ses enfans, et de satisfaire aux obligations que Ia reconnaissance ou d'autres motifs peuvent lui imposer envers les etrangers. Lui seul est capable de remplir ces devoirs; car Ia loi ne peut reagir que Ia masse des citoyens, et non l'interieur des familles. Or elle ne doit s'occuper que de ce qu'elle peut bien regler par elle-meme: donc ne pouvant ici etablir une regle generale, il est utile qu'elle s'en rapparte au pere. II y a plus d'enfans ingrats, qu'il n'y a de peres injustes. L'äge des passions fait oublier trop souvent a ces derniers leurs devoirs; d'ailleurs l'experience prouve que l'affection est bien plus vive dans !es aseendans pour les descendans, que dans !es descendans pour Ies ascendans." Portalis verlangte daher einen großen Spielraum des Vaters. 703 Die Vernunft und Portalis in Locre V 200. Tronchet in Locre V 200. 703 Portalis in Locre V 227 f.

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das Interesse der Gesellschaft rieten davon ab, den Kindem einen Pflichtteil von drei Viertel des Nachlasses zu geben. 704 In den Code civil ging eine Regelung ein, die die Testierfreiheit des Erblassers auf die Hälfte bis zu einem Viertel seines Vermögens begrenzte und dem Vater somit nur wenig Spielraum ließ, durch testamentarische Verfilgungen Einfluß auf seine Kinder auszuüben. Artikel 913 Code civil: ,.Les liberalites, soit par actes entre-vifs, soit par testament, ne pourront excecter Ia moitie des biens du disposant, s'il ne laisse a son deces qu'un enfant legitime; le tiers s'il laisse deux enfans; le quart s'il en laisse trois ou un plus grand nombre.''705 Unterstützt von Cambaceres706 konnte Portalis zumindestens einen Teilerfolg erringen. Er bewirkte, daß der Freiteil des Erblassers, der nur ein oder zwei Kinder hinterließ, im Vergleich zum Entwurf von einem Viertel auf ein Drittel bzw. die Hälfte vergrößert wurde. Bei der Diskussion zur Testierfreiheit wurden erneut Portalis' familienrechtlichen Vorstellungen deutlich. Nicht nur im Familienrecht, sondern auch im Erbrecht versuchte er, den Vater mit Autorität und Macht über seine Familie auszustatten. Er stand hier dem von der Testierfreiheit bestimmten Geist des droit ecrit näher, als den auf erbrechtliche Gleichheit bedachten Regelungen der coutumes und die Revolutionsgesetze. dd) Artikel 916 Code civil Artikel 18, Satz 3 des Entwurfs warf die Frage auf, ob die Geschwister des Erblassers einen Pflichtteilsanspruch erhalten sollten. Das droit ecrit707 kannte einen solchen Anspruch im Gegensatz zu den coutumes708 im Regelfall nicht. Artikel 18, Satz 3 des Entwurfs sah einen Pflichtteil zugunsten von Geschwistern von einem Viertel des Nachlasses vor, wenn weder Abkömmlinge noch Vorfahren des Erblassers überlebten. Artikel 18, Satz 3 des Entwurfs: "A defaut de descendans et d'ascendans, s'il y a, au temps du deces, des freres ou sreurs, ou des descendans d'eux. Ia loi leur reserve le quart de ce qui leur reviendrait, s'il n'y avait pas de donation entre-vifs ou testamentaire; sans neanmoins, qu'a raison de cette reserve, les donataires par actes entre-vifs, autres que les successibles, puissent etre, en tout ou en partie, evinces des biens a eux donnes." Portalis in Locre V 200. Locre V 157 f. 706 Vgl. Cambaceres in Locre V 200. 707 Vgl. Instit. 2, 18, I ff. und Codex Theod. 2, 19, I. Seit Konstantin hatten von den Seitenverwandten Geschwister nur dann einen Pflichtteilsanspruch, wenn ihnen eine ehrlose Person (oder ein Freigelassener) vorgezogen wurde; Kaser, § 70 I 2 a (S. 323); Viollet, S. 867. 708 Vgl. Viollet, S. 870 f. 704 705

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Tronchet rechtfertigte den Entwurf. Er meinte, die Natur habe unter Geschwistern eine sehr enge Bindung geschaffen, die man beleidigen würde, wenn man Geschwister von jeglichem Erbteil zugunsten Dritter ausschlösse. Jedoch solle der Pflichtteil maßvoll ausfallen. 709 Portalis dagegen hielt den Entwurf fiir zu weitgehend. Der Grund ftlr den Pflichtteil von Abkömmlingen, meinte Portalis, sei die Pflicht des Vaters, ftlr die Ausstattung der Kinder zu sorgen. Diese bestehe in keiner Weise zwischen Geschwistern. Das Verwandtschaftsverhältnis allein könne eine Einschränkung der Testierfreiheit nicht rechtfertigen. Er sprach sich daher gegen einen Pflichtteil ftlr Geschwister aus und folgte insoweit dem römischen Recht: "Les Iiens de famille, ils se resserrent, ils se perpetuent par les egard reciproques de ceux qu'ils unissent, par Je doux commerce de bienfaits et par l'interet, comme Ia crainte est Je commencement de Ia sagesse.'mo Erneut lag Portalis daran, dem Erblasser durch seine Testierfreiheit Ansehen und Autorität zu verschaffen. Im Staatsrat konnte Portalis seine Auffassung zunächst nicht durchsetzen. Denn die Mehrheit beschloß, den vom Entwurf vorgesehenen Pflichtteilsanspruch zugunsten von Geschwistern beizubehalten. 111 Das Tribunat jedoch vertrat die Ansicht, daß derjenige, der weder Vorfahren, noch Abkömmlinge hinterlasse, unbeschränkte Testierfreiheit haben sollte. Die Begründung des Tribunats kam der von Portalis im Staatsrat vorgetragenen sehr nahe: Die Testierfreiheit, argumentierte das Tribunat, fiihre nicht zu Lockerung, sondern im Gegenteil zur Festigung der Familienbindung.m Dem Wunsch des Tribunats und den Vorstellungen von Portalis entsprechend wurde Artikel 18 des Entwurfs geändert: 713 Artikel 916 Code civil: "A defaut d'ascendans et de descendans, les liberalites par actes entre-vifs ou testamentaires pourront epuiser la totalite des biens. " 714

ee) Artikel 918 Code civil Fraglich war die Berechnung des verfügbaren Vermögensteils. Artikel 20 des Entwurfs zum 2. Titel stellte den "freien Teil" (quotite disponible) zur freien Verftlgung des Erblassers. Darauf baute Artikel 21 des Entwurfs auf. Güter, die der Erblasser gegen eine Leibrente ohne Aussicht auf Rückerstattung oder gegen einen Nießbrauch an einen Abkömmling oder Aszendenten abgegeben hatte, sollten danach auf den verfügbaren Vermögensteil angerechnet werden:

Tronchet in Locre V 242. Portalis in Locre V 233. 711 Locre V 235. m Vgl. die Anmerkungen der Gesetzgebungssektion des Tribunats in Locre V 291 f. 713 Locre V 303. 714 Locre V 158. 709

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Artikel 21 des Entwurfs: "La valeur en pleine propriete des biens donnes a charge de rente viagere, et de ceux vendus a fonds perdu ou avec reserve d'usufruit a l'un des successibles en ligne directe, sera imputee sur Ia portion disponible."715 Grund ftlr diese Regelung war die Vermutung, daß Veräußerungen von Sachen gegen eine Leibrente oder unter dem Vorbehalt des Nießbrauches in der Absicht vorgenommen werden, die übrigen Erben zu benachteiligen.716 Artikel 21 zielte darauf ab, dem Erblasser diese Möglichkeit, das Gesetz zu umgehen, zu nehmen. 717 Portalis sprach sich gegen Artikel 21 aus. Artikel 21 vermeide keine Prozesse. Die Frage, ob die Gegenleistung tatsächlich erbracht worden sei, werde zu Angriffen fiihren. Daher sei es vorzuziehen, die Frage der Gesetzesumgehung den Gerichten zu überlassen. Diese hätten bislang solche Verträge auf ihre betrügerische Absicht hin untersucht und sich in solchen Fällen selten getäuscht. Portalis' Vorschlag wurde abgelehnt. Artikel 918 Code civil sah die Anrechnung des Wertes der weggegebenen Sache vor: 718 Artikel918 Code civil: "La valeuren pleine propriete des biens alienes, soit acharge de rente viagere, soit a fonds perdu, ou avec reserve d'usufruit, a l'un des successibles en ligne directe, sera imputee sur Ia portion disponible; et l'excedant, s'il y en a, sera rapparte a Ia masse. Cette imputation et ce rapport ne pourront etre demandes par ceux des autres successibles en ligne directe qui auraient consenti a ces alienations, ni, dans aucun cas par !es successibles en ligne collaterale."719 c) Fünftes Kapitel" Von testamentarischen Verfügungen- dritter bis sechster Abschnitt- Artikel 1003 ff. Code civil

Der Code civil mußte bestimmen, ob der Besitz am Nachlaß im Falle der testamentarischen Erbfolge mit dem Erbfall von Rechts wegen an den testamentarischen Erben fallen sollte. aa) Das ancien droit Droit ecrit und coutumes waren unterschiedlichen Prinzipien gefolgt. Für das römische Erbrecht, an das das droit ecrit anknüpfte, war die Testierfreiheit zum beherrschenden Prinzip geworden. Der Erblasser konnte (und sollte) über seinen Nachlaß letztwillig verfUgen; nur wenn er dies versäumt hatte, kam es zur

m Locre V 222. Maleville II 376. 717 Bigot-Preameneu in Locre V 237. 718 Locre V 238; vgl. Artikel 918 Code civil in Locre V 158. 719 Locre V 158. 716

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lntestaterbfolge.720 Dagegen gingen die coutumes vom Gedanken aus, daß das Gut an die Familie gebunden ist. Sie betrachteten daher die gesetzliche, an der Familienzugehörigkeit orientierte Erbfolge (die Familienerbfolge) als die Regel und die testamentarische als Ausnahme. 721 Diese Prinzipien prägten die Ausgestaltung des Testamentsrechts722 in den Ländern des droit ecrit und den Ländern des droit coutumier. Das droit ecrit knüpfte an die Stellung der Hauserben im römischen Recht an. Nach römischem Recht fielen den Hauserben, ob testamentarisch eingesetzt oder ab intestato, Besitz und Eigentum von Rechts wegen, also ohne ihr Zutun an. 723 Daraus hatte sich der Grundsatz des droit ecrit entwickelt, daß jeder eingesetzte Erbe kraft seines Titels den Besitz der Erbschaft erlangte. 724 Dagegen ging der Besitz der Erbschaft nach den meisten725 coutumes zunächst immer auf den gesetzlichen Erben über. Der Testamentserbe war gehalten, von dem gesetzlichen Erben die Einweisung in den Besitz (demande en de/ivrance) zu verlangen. 726 bb) Der Code civil Der Entwurf teilte testamentarische Verfilgungen zunächst in /egs a titre universei und /egs a titre particulier121 ein und bestimmte in Artikel 85, daß jeder testamentarisch eingesetzte Erbe (tegataire universei bzw. /egataire atitre particulier) von dem gesetzlichen Erben die Einweisung in den Besitz der Erbschaft verlangen mußte. Er folgte damit sprachlich728 und inhaltlich dem droit Handbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I, S. 976 (Stichwort "Erbrecht"). Tronchet in Locre V 267. 722 Bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge sollten dem gesetzlichen Erben Besitz und Eigentum mit dem Erbfall von Rechts wegen zufallen. Vgl. Artikel 724 Code civil: "Les heritiers legitimes sont saisis de plein droit des biens, droits et actions du defunt, sous l'obligation d'acquitter toutes les charges de Ia succession: les enfans naturels, l'epoux survivant et Ia Republique, doivent se faire envoyer en possession par justice dans les formes qui seront determinees." Locre V 9. 723 Alle anderen Erben erwarben die Erbschaft erst durch besonderen Antritt; vgl. Kaser, § 71 I 2 (S. 325). 724 Maleville II 171; Bigot-Preameneu, expose de motifs, in Locre V 330. 725 Nach einigen coutumes erlangte auch der Testamentserbe mit dem Erbfall den Besitz an der Erbschaft; Brissaud, S. 1562. 726 Maleville II 171 ; Bigot-Preameneu, expose de motifs, Locre V 330; Brissaud, S. 1561 f. Vgl. auch Schröder/KUnßer, § 61, 5. Kapitel (S. 823 ff.). 727 Artikel 95 des ersten Entwurfs definierte legs a tilre universei und legs a tilre particulier wie folgt: "Le Iegs a titre universei est celui par lequel Je testateur Iegue toute Ia portion de ses biens dont Ia loi lui permet de disposer, ou une quotite fixe de cette portion, ou tous ses immeubles, ou tout son mobilier, ou une quotite fixe de tous ses immeubles ou de tout son mobilier. Tout autre legs ne forme qu' une disposition a titre particulier." Locre V 265. 728 Coutumes und droil ecrit verwandten die Begriffe Iegaraire und heritier unterschiedlich. Das droit coutumier bezeichnete nur den gesetzlichen Erben als heritier. 720

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coutumier. Auch der eingesetzte Alleinerbe erlangte danach von Rechts wegen mit dem Erbfall zwar ein Recht am Erbe (Artikel 85, Satz I), aber keinen Erbschaftsbesitz. Er mußte sich in den Besitz einweisen lassen (Artikel 85, Satz 2): Artikel 85 des Entwurfs: .,Tout legs pur et simple, 729 fait soit a titre universel, soit a titre particulier, donnera au h!gataire, du jour du deces du testateur, un droit a Ia chose leguee, droit transmissible a ses heritiers ou ayans-cause. Neanmoins le legataire ne pourra se mettre en possession de Ia chose leguee, ni en pretendre les fruits ou interets, qu'a compter du jour de sa demande en delivrance formee en justice contre I'heritier, ou du jour auquel I'heritier en aurait consenti volontairement Ia delivrance." 730

Artikel 85 des Entwurfs, erklärte Bigot-Preameneu, sollte verhindern, daß Testamente, die sich nachträglich als unwirksam herausstellen (z.B. Fälschungen), zunächst vollzogen und danach rückabgewickelt werden. 731 Maleville forderte gleich zu Beginn der Debatte die Übernahme des römischen Rechts. Denn es vermeide Umwege und überflüssige Kosten. Dagegen gebe das System der coutumes den eingesetzten Erben dem Widerstand des gesetzlichen Erben preis. Der gesetzliche Erbe werde in den Besitz der Erbschaft nur eingesetzt, um sie sogleich wieder wegzugeben. Der Nachlaß laufe daher Gefahr, vom gesetzlichen Erben vergeudet zu werden. 732 Bigot-Preameneu hielt dem entgegen, daß vom gesetzlichen Erben keine Schwierigkeiten zu befiirchten seien. Denn er werde sich nicht einer Verurteilung zum Schadensersatz aussetzen, die unweigerlich die Folge einer schlecht begründeten Testamentsanfechtung sei. 733 Jedenfalls, meinte Maleville, bringe das Verfahren die Verwaltung des Nachlasses zu einem gellihrliehen Stillstand, vor allem dann, wenn der Nachlaß ein Geschäft einschließe. Erhalte der eingesetzte Erbe mit dem Erbfall den Besitz am Nachlaß, so übernehme er sogleich die Geschäftsftlhrung, empfange und zahle, so daß der Geschäftsbetrieb ohne Unterbrechung weiterlaufe. Werde aber nach dem Tod des Erblassers zunächst ein gesetzlicher Erbe eingesetzt, der kein Interesse am Nachlaß habe und den Besitz daran nur erhalte, um ihn an einen anderen herauszugeben, so unterbrächen die Geschäftsbeziehungen, stockten die Geschäfte und verfalle das Haus. 734 Der testamentarisch eingesetzten Erbe dagegen hieß iligataire (universel). Nach droit ecrit dagegen hieß auch der testamentarisch eingesetzte Erbe heritier. Vgl. Favard in Locre V 371. 729 Vomlegspuret simple ist der /egs conditionne/ zu unterscheiden. Letzterer bleibt unwirksam, solange die Bedingung (condition) nicht erfüllt ist; Laurent, Bd. 14, Rn. 1 (Seite 6). 730 Locre V 265. 731 Bigot-Preameneu in Locre V 267. 732 Maleville in Locre V 267. 733 Bigot-Preameneu in Locre V 267. 734 Maleville in Locre V 266.

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Tronchet dagegen sprach sich flir das System der Gewohnheitsrechte aus. Er gab zu bedenken, daß das Gesetz testamentarische VertUgungen nur unter zwei Voraussetzungen zulasse. Erstens müßten Formerfordernisse eingehalten werden. Zweitens müßten die Pflichtteilsansprüche berücksichtigt werden. Da der gesetzliche Erbe nur unter diesen Bedingungen enterbt werden könne, sei es sinnvoll und geboten, ihm den Titel, der seine Rechte beschränke, zu zeigen, damit er ihn überprüfen könne. Diese Vorkehrung sei vor allem in den Gebieten notwendig gewesen, in denen man sich mit einem holographischen (eigenhändig geschriebenen) Testament der Erbschaft bemächtigen konnte. Diese Gefahr bestehe nun überall, da holographische Testamente generell zulässig seien und die Pflichtteilsansprüche größer seien als bisher. m Auch Bigot-Preameneu verteidigte die Regelung des Entwurfs. Er sagte, einem der beiden Titel - dem des eingesetzten oder dem des gesetzlichen Erben müsse zunächst vorläufig Geltung verschafft werden. Der Titel des gesetzlichen Erben sei vorzugswürdig, weil er feststehe. Ohne Zweifel könne der Erblasser die gesetzliche Erbfolge abgeändert und einen Erben eingesetzt haben. Ob er von seiner Testierfreiheit Gebrauch gemacht habe, stehe jedoch erst mit der Anerkennung des Testaments fest. Im System des römischen Rechts, wo der Familienvater Gesetzgeber gewesen sei, habe das Gesetz folgerichtig zunächst dem eingesetzten Erben den Besitz zuweisen müssen. Gleiches könne nicht nach dem vom Staatsrat beschlossenen System gelten, nach dem die gesetzliche Erbfolge die Regel und die testamentarische Erbfolge die Ausnahme sei. 736 Portalis dagegen hielt wie Maleville die Regelung des römischen Rechts filr vorzugswürdig. Er wandte sich zunächst gegen die Überlegung von BigotPreameneu, daß nebeneinander zwei Titel existierten. Portalis meinte, es gebe nur einen Titel. Denn nach dem Gesetz schließe ein eingesetzter Erbe einen Titel des gesetzlichen Erben aus. "On a ... raisonne comme s'il existait simultanement deux titres. C'est une erreur. Lorsqu'il existe un heritier testamentaire, il n'y a plus d'heritier legal: car Ia loi n' attache pas moins d'effet a Ia disposition que fait l'homme en vertu de l'autorisation qu'elle lui donne, qu'a Ia disposition qu'elle fait elle-meme directement: ainsi l'heritier testamentaire est heritier legal, comme l'heritier ab intestat."137 Er ftihrte dann grundsätzliche Erwägungen der Rechtsgeschäftslehre an: Es gelte die Vermutung, daß Rechtsgeschäfte gültig seien. Daher müßten Rechtsgeschäfte unmittelbar ihre Rechtswirkungen entfalten. "On objecte que Je testament, auquel il [l'heritier testamentaire, Anm. des Verf] tient sa qualite peut etre attaque. Si l'on suspendait l'effet des actes qui peuvent etre attaques, i1 faudrait donc suspendre l'execution non seulement des testamens, mais encore des ventes, des donations, de presque toutes !es transactions civiles. Mais voici Ies principes par lesquels on doit se determiner: I o La presomption est toujours Tronchet in Locre V 267; vgl. auch Jollivet in Locre V 269. Vgl. Bigot-Preameneu in Locre V 267. 737 Portalis in Locre V 268. 735 736

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qu'un acte est valable; elle ne cesse que lorsque l'acte est annule. 2° Cette presomption Je rend executoire:m~ Wie Maleville fiirchtete auch Portalis, daß das Erbe vom gesetzlichen Erben vergeudet werden könnte: "La legislation Ia plus dangereuse serait celle qui mettrait Je titre a Ia discretion de Ja personne dont il blesse !es interets. L'heritier ab intestat est dans cette position. Et si cet heritier est absent, s'il est mineur, que de longeurs, que d'embarras!" Die Gefahr des Mißbrauchs von eigenhändig geschriebenen Testamenten, die Tronchet und Jollivet angeftlhrt hatten, wies Portalis zurück. Diese Testamente hätten sich als die sicherste und achtbarste Testamentsform erwiesen. 739 Wie Maleville forderte Portalis eine Regelung, die Rechtsgeschäfte ohne vermeidbare Zwischenschritte unmittelbar umsetzt. Das Gesetz müsse den direktesten, einfachsten und damit kürzesten Weg gehen, um den Willen des Erblassers zu verwirklichen: "Pourquoi demande-t-on, ne pas appeler l'heritier ab intestat? C'est parce que, dans !es choses ou l'homme dispose en vertu du pouvoir que lui donne Ja loi, sa volonte doit etre executee plus scrupuleusement que Ia disposition de Ia loi elle meme." Portalis sah zudem keine Rechtfertigung fiir eine Unterscheidung zwischen Testamentserben und gesetzlichen Erben. Denn das Testament habe überall die Eigenschaft eines Gesetzes und sei überall wie ein Gesetz ausgeftlhrt worden. "Dans Je droit romain, il n'y avait aucune difference entre l'heritier testamentaire et l'heritier ab intestat; elle n'existait que dans Je droit coutumier. Et qu'on ne dise pas que Je droit des Romains sur cette matiere leur est particuliere, parce que chez eux Je testament avait Je caractere de Joi. Partout le testament a ce caractere; car partout les actes autorises sont executes comme des lois." 740 In Portalis' Argumentation trat der Geist des römischen Rechts deutlich hervor. Letztlich nahm er Stellung zu dem Einwand, nach Artikel 85 des Entwurfs bestehe die Gefahr, daß der gesetzliche Erbe um sein Erbe gebracht werde, wenn der eingesetzte Erbe das Erbe verschwende und dann das Testament ftlr ungültig erklärt werde. Portalis gab zu Bedenken, daß nach dem droit coutumier der umgekehrte Fall möglich sei: "Mais l'inconvenient ne serait-il pas le meme, si l'heritier ab intestat, saisi d'abord de l'hen!dite, Ia dilapide, et qu'ensuite Je testament soit confirme."741 In den Code civil ging schließlich eine Regelung ein, die die Grundsätze des droit ecrit und die des droit coutumier miteinander verband. Wenn außer testamentarischen Erben auch pflichtteilsberechtigte Erben vorhanden waren, erhielten zunächst letztere von Rechts wegen den Besitz an der Erbschaft (Artikel 1004 Code civil). Dies war das System des droit coutumier. Dagegen galten die römischrechtlichen Grundsätze, wenn neben dem Testamentserben keine pflichtteilsberechtigten gesetzlichen Erben vorhanden waren. Dann Locre V 268. Portalis in Locre V 268. 740 Portalis in Locre V 268. 741 Portalis in Locre V 268. 738 739

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erlangte der Testamentserbe den Besitz der Erbschaft (Artikel 1006 Code civil).142 Artikel 1004 Code civil: ,,Lorsqu'au deces du testateur i1 y a des heritiers auxquels une quotite de ces biens est reservee par Ia loi, ces heritiers sont saisis de plein droit, par sa mort, de tous les biens de la succession; et le legataire universel 743 est tenu de leur demander Ia delivrance des biens dans le testamens." Artikel 1006 Code civil: ,,Lorsqu'au deces du testateur i1 n'y aura pas d'heritiers auxquels une quotite de ses biens soit reservee par Ia loi, le legataire universei sera saisi de plein droit par Ia mort du testateur, sans etre tenu de demander Ia delivrance. " 744 Der Code civil entschied sich also für einen Kompromiß. Weder die Verfechter des droit ecrit, noch die des droit coutumier konnten sich uneingeschränkt durchsetzen. Portalis blieb dem droit ecrit treu und verteidigte es mit schlüssigen und überzeugenden Argumenten. Jedenfalls trug er dazu bei, daß der erste Entwurf, der noch konsequent dem droit coutumier gefolgt war, im

742 Vgl. Laurent, Band 14, S. 10 f. (Rn. 5). Vgl. auch Artikel 1011 Code civil zu den tegataires titre universel: ,,Les legataires atitre universei seront tenus de demander Ia delivrance aux heritiers auxquels une quotite est reservee par Ia loi; a leur defaut, aux legataires universels, et adefaut de ceux-ci, aux heritiers appeles dans !'ordre etabli au titre des Successions". In dieser ersten Sitzung zu diesem Thema traf der Staatsrat keine Entscheidung, sondern er überwies Artikel 85 des Entwurfs an die Gesetzgebungssektion; Locre V 270. 743 Der Code civil unterschied im Gegensatz zum ersten Entwurf zwischen dem legs universei und dem legs titre universel. Diese Unterscheidung wurde erst durch das Tribunat veranlaßt (s. die Anmerkungen der Gesetzgebungssektion des Tribunats, in Locre V 298). Der Code civil definierte beide Begriffe wie folgt: Artikel 1003 Code civil: ,,Le legs universei est Ia disposition testamentaire par laquelle le testateur donne a une ou plusieurs personnes l'universalite des biens qu'il Iaissera a son deces." Artikel 1010 Code civil: ,,Le legs a titre universei est celui par lequel le testateur legue une quote-part des biens dont Ia loi lui permet de disposer, telle une moitie, un tiers, ou tous ses immeubles, ou tout son mobilier, ou une quotite fixe de tous ses immeubles ou de tout son mobilier. Tout autre legs ne forme qu'une disposition atitre particulier." Locre V 175 f. 744 Locre V 175. Artikel 1014, Satz 1 Code civil übernahm die Regelung von Artikel 85, Satz l des ersten Entwurfs und bestimmte, daß die Erbschaft grundsätzlich mit dem Erbfall anfallt, daß es also keines Erbschaftsantritts durch die eingesetzten Erben bedarf. Artikel 1014 Code civil: "Tout legspuret simple donnera au legataire, du jour du deces du testateur, un droit a Ia chose Ieguee, droit transmissible a ses heritiers ou ayans-cause. Neanmoins le legataire particulier ne pourra se mettre en possession de Ia chose leguee, ni en pretendre !es fruits ou interets, qu'a compter du jour de sa demande en delivrance, formee suivant !'ordre etabli par l'article 1011, ou du jour auquel cette delivrance lui aurait ete volontairement consentie." (Locre V 177). Obwohl er unter der Überschrift des legs particuliers stand, galt Artikel 1014, Satz 1 Code civil auch für legs universels, legs titre universels und legs titre particulier. Seine fehlerhafte systematische Einordnung war die Folge eines Redaktionsversehens; Laurent, Band 14, Rn. 1 (Seite 1).

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Sinne des drait ecrit umgestaltet wurde. Er konnte somit einen Teilerfolg erringen.

3. Fünfter Titel "Vom Ehevertrag und von den beiderseitigen Rechten der Ehegatten" a) Erstes Kapitel ., Allgemeine Bestimmungen" - der gesetzliche Güterstand Beim Ehegüternecht mußten die Staatsräte grundsätzlich entscheiden, welcher gesetzliche Güterstand in Zukunft gelten sollte. Das ancien droit stellte ihnen zwei gegensätzliche Systeme zur Wahl: das römische Dotalsystem (regime datal), das das drait ecrit übernommen hatte, und das System der Gütergemeinschaft (systeme de Ia cammunaute), das in den Ländern des drait cautumier mit Ausnahme der Normandie galt745 und von dem mehrere Varianten existierten. Um die Darstellung übersichtlich zu gestalten, werden hier zunächst beide Systeme vorgestellt. Anschließend wird die Diskussion des Staatsrats zur Frage behandelt, welches der beiden Systeme gesetzlicher Güterstand des Code civil werden sollte. aa) Das Dotalsystem Der Kern des römischrechtlichen Dotalsystems war das Recht der Mitgift (das). 746 Es sah vor, daß der paterfamilias der Frau bei der Eheschließung dem Ehemann Vermögen als das (Mitgift) zuwendete. Diese das fiel dem Mann zu; er erwarb an Dotalsachen freies Eigentum,747 haftete aber nach dem Ende der Ehe für ihre Herausgabe. Außerdem war ihm die Veräußerung der (italischen) Dotalgrundstücke ohne die Zustimmung der Frau verboten. 748 Die Erträge der Mitgift durfte der Mann für die Kosten des gemeinsamen Haushalts verwenden. An der Zugehörigkeit der Vermögen des Mannes und der Frau und an ihren Verfügungsrechten darüber änderte die Eheschließung als solche nichts; es herrschte Gütertrennung. 749 Die Ehefrau hatte über ihr nicht im Ehevertrag als das bestimmtes Vermögen, die Parapherna750, Verfügungsfreiheit. 751

745 Maleville III 189; Viollet, S. 771. Zum normannischen Recht siehe Brissaud, S. 1675 ff. 746 Coing, Band 1, § 41 I (S. 238). 747 Liebs, S. 127; Kaser, § 59 II 1 (S. 272). 748 Kaser, § 59 II 5 (S. 273); vgl. Artikel1549 Code civil. 749 Liebs, S. 127; Kaser, §59 I (S. 270). 750 Artikel 1574 Code civil definierte Paraphema wie folgt: "Tous !es biens de Ia femme qui n' ont pas ete constitues en dot, sont paraphemaux." 751 Vgl. zum Dotalsystem Berlier, expose de motifs, in Locre VI 388 und Berlier in Locre 338.

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Mit dieser Ausgestaltung verfolgte das Dotalsystem zwei Ziele: Die dos sollte zum einen dem Mann als Beitrag zu den ehelichen Lasten dienen und zum anderen die Versorgung der Frau nach beendeter Ehe sicherstellen. 752 Das Dotalsystem war abgestimmt auf die Zerbrechlichkeit der römischrechtlichen Ehe, die leicht gelöst werden konnte. Es verband die Frau nicht mit ihrem Mann. Es vermischte nicht die Interessen beider Eheleute, sondern hielt sie sorgsam getrennt. 753 Das droit ecrit hatte das Dotalsystem übernommen. Jedoch konnten die Eheleute das Dotalsystem ausschließen und im Ehevertrag die Gütergemeinschaft vereinbaren. 754 bb) Das System der Gütergemeinschaft Ausgangspunkt der Entwicklung des Systems der Gütergemeinschaft war, daß die Frau nach dem frühen germanischen Recht mit der Eheschließung ihre Ansprüche am Nachlaß ihrer Eltern verlor und zudem keinen Anspruch auf Mitgift gegen ihre Eltern hatte. Ursprünglich kaufte der Mann seine Frau. Allmählich schwächte sich der Gedanke des Kaufs ab. Der Mann übergab aber seiner Frau weiterhin eine Gabe, die germanische donatio propter nuptias (dos). Parallel zur dos oder dot sprechen viele Quellen von einer Gabe, die der Mann seiner Frau nach der Hochzeitsnacht bereitete, der Morgengabe (don du matin). Bald fiel die Gabe nur noch der Frau zu und diente nicht mehr der Bereicherung ihres Vaters. Dann wurde die Höhe der Gabe auf ein feststehendes quantum festgesetzt. 755 Es gab zwei Methoden, die Höhe dieses quantum zu bestimmen. Daraus entwickelten sich zwei Systeme der Gütergemeinschaft: die allgemeine Gütergemeinschaft (communaute universelle) und die auf die acquets begrenzte Fahrnisgemeinschaft (communaute reduite aux acquets). 756 Bei der allgemeinen Gütergemeinschaft erhielt die Frau je nach Gewohnheitsrecht ein Viertel, ein Drittel oder die Hälfte des gesamten Vermögens ihres Mannes. 757 Sämtliche Besitztümer der Ehegatten wurden gemeinsames Eigentum. Bei der Fahrnisgemeinschaft dagegen wurden gemeinsames Eigentum nur die Mobilien, die die Eheleute bei Eheschluß besaßen, und die Sachen, die sie während der Ehe Kaser, § 59 II 1 (S. 270). Viollet, S. 795. Vgl. auch Liebs, S. 127. 754 Berlier in Locre VI 338. 755 Viollet, S. 773 ff. Vgl. auch Schröder/Künßberg, § 35, 4. Abschnitt (S. 328 ff.) 756 Viollet, S. 773 ff. Darüber hinaus entwickelten sich im deutschen Raum die bloße Verwaltungsgemeinschaft (Verwaltung des Vermögens der Frau durch den Mann). Die Errungenschaftsgemeinschaft erstreckt sich im Gegensatz zur Fahrnisgemeinschaft nur auf die während der Ehe erworbenen Güter; vgl. Coing, Band 1, § 41 V (S. 242); vgl. auch Brissaud, S. 1691. 757 Viollet, S. 775. 752

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etwarben. 758 Je nach coutume betrug der Anteil der Ehefrau die Hälfte oder ein Drittel des Gemeinschaftsvermögens. 759

cc) Artikel 1393 Code civil Fraglich war, ob das Dotalsystem oder das System der Gütergemeinschaft der gesetzliche Güterstand des Code civil sein sollte.760 Der erste Entwurf entschied zugunsten der Gütergemeinschaft: 761 Artikel 7 des ersten Entwurfs: ,,Il y a communaute entre !es epoux s'il n'y a convention contraire. Cette communaute se forme a1'instant de Ia celebration du mariage."762

Bei der Debatte zu Artikel 7 des ersten Entwurfs prallten die Vertreter von droit ecrit und droit coutumier etwartungsgemäß aufeinander. Berlier verteidigte die Weichenstellung des Entwurfs. Für die Festlegung der Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand führte er drei Gründe an: Erstens entspreche das System der Gütergemeinschaft der Situation der Eheleute. Denn führe nicht die Vereinigung der Personen natürlichetweise auch zur Vereinigung der Güter? Zweitens fördere die Gütergemeinschaft das Erblühen des Haushalts durch die Zuneigung, die man der gemeinsamen Sache schenke. Drittens entspreche die Gütergemeinschaft den Sitten der französischen Nation. Denn dieser Güterstand gelte, wie das droit coutumier, im Großteil des Landes und werde auch in den Ländern des droit ecrit zunehmend vereinbart. Berlier nahm auch sogleich Stellung zu den Einwänden, die bis dahin gegen die Gütergemeinschaft vorgebracht worden waren. Erstens sei eingewandt worden, das Dotalsystem gewähre der Ehefrau besseren Schutz. Diesen Schutz, gab Berlier zu bedenken, erkaufe das Dotalsystem aber dadurch, daß es der Frau ausnahmslos das Recht versage, über Dotalsachen zu verfügen, selbst wenn es eindeutig in ihrem Interesse sei. Dieses Verfügungsverbot sei eine übermäßige Einschränkung. Andererseits erlaube das droit ecrit der Frau, uneingeschränkt und ohne Zustimmung des Mannes über ihr sonstiges Vermögen (bien extra dota[) zu verfUgen. Weshalb sei dieses System, das insofern zwei gegensätzlichen Extremen folge, dem anderen vorzuziehen, das Verfügungen über alle

Coing, Band 1, § 41 V (S. 242). Viollet, S. 777. 760 Bereits vor der Debatte zum Ehegüterrecht hatten die Staatsräte im Rahmen des Eherechts einen Anspruch der Tochter gegen ihre Eltern auf eine Mitgift abgelehnt und damit eine Vorentscheidung zugunsten der Gütergemeinschaft getroffen. S.o. E lli 5 g. 761 In Artikel 132 (in Locre VI 330) ermöglichte der Entwurf auch die ehevertragliche Wahl des Dota1systems und regelte die Rechtsfolgen einer solchen Vereinbarung. 762 Locre VI 330. 758 759

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Güter gleichermaßen, aber unter "weisen" VoraussetZllllgen (der Zustimmung des Mannesr61 zulasse? Zweitens, fuhr Berlier fort, sei vorgebracht worden, daß die Ehefrau bevorzugt werde, wenn sie die Hälfte des Vermögens erhalte, das allein der Mann erarbeitet habe. Dieser Gedanke verkenne die Beiträge der Frauen zwn Haushalt. Mit ihrer finanziellen Einlage (der Mitgift), persönlicher Arbeit und Sparsamkeit trügen die Frauen zwn Wobistand des Haushalts in gleichem Maße bei wie die Ehemänner, manchmal sogar mehr. Drittens sei argumentiert worden, daß die Gütergemeinschaft im Falle ihrer Auflösung zu Schwierigkeiten fiihre. Wenn die Gütergemeinschaft aber gerecht sei, meinte Berlier, so sei es zu einfach, sie zu verwerfen, nur weil sie eines Tages aufgelöst werden müßte. 764 Unmittelbar nach Berlier ergriff Portalis das Wort. Er wollte verhindern, daß die Gütergemeinschaft gesetzlicher Güterstand wurde. Portalis meinte, die Wahl des Güterrechts sollte allein den Eheleuten überlassen werden. Es solle nicht automatisch das eine oder andere Güterrecht gelten, wenn die Eheleute keine Regelung träfen. Er schlug ein "drittes System" vor: "[La proposition de la section, Anm. des Verf] pose sur le faux principe que, pour etablir le droit commun, le conseil est force de choisir entre le systeme des biens dotaux et celui de la communaute legale. I! est un troisieme systeme qui fait cesser cette alternative; c'est de ne soumettrede plein droit les parties ni au systeme dotal, ni au systeme de la communaute, et de leur laisser a elles-memes le choix de la loi sous laquelle elles consentent a se placer par une Stipulation formelle. Il ne s'agit pas d'examiner lequel des deux systemes est preferable, mais de ne donner a aucun une juste preference; de ne pas gener la liberte, si precieuse surtout en matiere de mariage, de stipuler ou de ne pas stipuler. Rien n'oblige a etablir un droit commun qui donne aux epoux un contrat de mariage, lorsqu'ils n'en ont pas voulu. "765 Portalis forderte ein "drittes System", nach dem automatisch weder das Dotalsystem noch das System der Gütergemeinschaft galt. Im Ergebnis zielte das auf Gütertrennung ab. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß das System der Gütertrennung die Grundlage des Dotalsystems ist. Denn im Dotalsystem besteht grundsätzlich Gütertrennung. Das Dotalsystem ergänzt das System der Gütertrennung durch das Recht der Mitgift, das der wirtschaftlichen Absicherung der Frau für den Fall der Scheidung oder des Todes des Mannes dienen soll. Zu bedenken ist außerdem, daß das System der Gütertrennung, wenn es nicht durch das Dotalsystem ergäßzt wird, der Frau keine finanzielle Absicherung bereithält. Denn dieses System garantiert ihr für den Fall der Auflösung der Ehe weder 763 Nach droit coutumier konnte die Ehefrau nur mit Zustimmung des Mannes verfügen. 764 Berlier in Locre VI 338 ff. 765 Portalis in Locre VI 339.

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eigenes Vermögen (die Mitgift) noch einen Teil des Vermögens, das der Mann während der Ehe erwirbt. Bei der weiteren Debatte des Staatsrats wehrte sich Portalis mit großem Einsatz gegen das System der Gütergemeinschaft. Zwar, argumentierte er, könnten die Eheleute nach dem Entwurf die Gütergemeinschaft ausschließen; die Gütergemeinschaft gelte also nicht zwangsweise. Aber die Ausübung dieses Wahlrechts erfordere einen Vertrag und verursache daher Kosten, die die Eheleute möglicherweise vermeiden wollten. Zudem seien Eheverträge in den Ländern des droit ecrit unüblich. Dort heirate die Landbevölkerung ohne Verträge. Unter bestimmten Umständen könne auch die Selbstachtung einen Ehepartner davon abhalten, den Abschluß eines Ehevertrags zu verlangen. Diese, mit dem gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft verbundenen Folgen würden zahlreiche Eheschließungen verhindern. Der Staat habe jedoch ein Interesse daran, daß sich die Zahl der Eheschließungen vervielfache. 766 Dem von Portalis vorgetragenen Argument, ein Vertrag verursache Kosten, die insbesondere die Armen belasteten, entgegnete Treilhard, daß gerade zwischen den Armen die Gütergemeinschaft hergestellt werden müsse, weil die Frauen gerade in armen Familien durch ihre Arbeit zum Lebensunterhalt beitrügen und sie daher am Vermögenszuwachs beteiligt werden müßten.767 Berlier hatte die Gütergemeinschaft als die natürliche Folge der Ehegemeinschaft betrachtet. Portalis dagegen hielt die Gütertrennung für das naturrechtlich vorgegebene Güterrecht. Dies rechtfertigte er mit der allgemeinen Vertragslehre. Er stellte die Ehegemeinschaft jeder anderen vertraglichen Personengesellschaft gleich, in der eine Gütergemeinschaft nicht automatisch, sondern nur besteht, wenn sie im Gesellschaftsvertrag vereinbart wird: "La loi doit donc se borner a etablir Ia communaute comme une institution positive que !es parties prennent quand eile leur convient, et qui leur est etrangere quand elles ne croient pas devoir se l'appliquer. Ce principe est admis par le droit ecrit; mais il derive du droit nature!, qui laisse a chacun la liberte de former ou de ne pas former de contrat. Pourquoi priver de cette liberte !es habitans des pays qui en ont contracte l'habitude!"768 Portalis knüpfte damit an die Eheschließung nur familienrechtliche, nicht aber sachenrechtliche Folgen. Zudem, meinte Portalis, fiihre die Gütergemeinschaft bei einer nunmehr möglichen Scheidung/69 wenn es um die Verteilung der Güter gehe, zu Streitigkeiten und Prozessen, die das gesamte Vermögen verschlingen könnten. Diesen Nachteil hatte auch Berlier einräumen müssen. Im Gegensatz zu Berlier vertrat Portalis aber die Auffassung, die im Verlauf der Ehe erworbenen Güter stünden allein dem Mann zu: ,,Elle [Ia communaute, Anm. d. Verf] pouvait Portalis in Locre VI 339. Treilhard in Locre VI 341. 768 Portalis in Locre VI 339 ff. 769 Vgl. oben E III 6 b zur Einführung der Scheidung während der Revolution. 766 767

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n'avoir pas ces inconveniens, lorsque Je mariage n'etait dissous que par Ia mort; elle !es aurait aujourd'hui que Je divorce est admis; elle aurait de plus le desavantage de transmettre a la femme Ia moitie des fruit dus aux Iabeurs du mari, et d'en faire ainsi le prixdes chagrins que celle qui les recueille a donnes a celui qui les a acquis. "770 Letztlich entschied der Staatsrat, daß die Gütergemeinschaft gesetzlicher Güterstand werden sollte.771 Im Wortlaut leicht verändert, wurde die Regelung von Artikel 7 des Entwurfs zu Artikel 1393 Code civil: Artikel 1393 Code civil: ,,A defaut de stipulations speciales qui derogent au regime de Ia communaute ou le modifient, les regles etablies dans Ia premiere partie du chapitre II772 formeront le droit commun de Ia France." 773

Bei dieser grundlegenden Regelung konnte sich Portalis nicht durchzusetzen. In seinen Argumenten zeigte sich erneut, welche Stellung er der Frau innerhalb der Ehe einräumte. Sie stand nicht gleichberechtigt neben dem Mann, sondern war ihm untergeordnet. Das galt auch fiir die vermögensrechtlichen Folgen der Ehe. Der Ehemann war in seinen Augen nicht nur die Autorität in der Familie; er war auch derjenige, der allein die wirtschaftliche Grundlage fiir die Familie schuf. dd) Artikel1387 ff. Code civil Bereits vor den Debatten zum Ehegüterrecht hatten die Staatsräte im Rahmen der Debatten des Titels "Von der Ehe" Artikel 217 Code civil beschlossen und darin bestimmt, daß eine Frau nur mit Zustimmung ihres Mannes schenken, verkaufen, hypothekarisch belasten oder kaufen dürfe. 774 Artikel 217 Code civil entschied jedoch nicht, ob abweichende ehevertragliche Bestimmungen zulässig sein sollten.775 Im Rahmen des Ehegüterrechts war daher auch zu regeln, in welchen Grenzen die Eheleute befugt sein sollten, die gesetzlichen Vorschriften abzuändern.

Portalis in Locre VI 340. Locre VI 360. Zunächst hatten die Staatsräte die Entscheidung über Artikel 7 des Entwurfs vertagt (Locre VI 342 und 351). Sie wollten erst Kenntnis von den übrigen Vorschriften des Entwurfs nehmen (Locre VI 342). 772 Der erste Teil des zweiten Kapitels (Artikel 1400 ff. Code civil) regelte die Gütergemeinschaft; vgl. Locre VI 296. 773 Locre VI 294. 774 Vgl. Artikel217 Code civil: ,,La femme, meme non commune ou separee de biens, ne peut donner, aliener, hypothequer, acquerir, ä titre gratuit ou onereux, sans le concours du mari dans l'acte, ou son consentement par ecrit." in Locre li 304. 775 Cambaceres in Locre VI 345. 770 771

13 Plesser

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Nach dem Dotalsystem des droit ecrit konnte die Ehefrau frei über Parapherna verfügen. 776 Demgegenüber verlangte das System der Gütergemeinschaft für alle Rechtsgeschäfte der Ehefrau die Zustimmung des Ehemannes. Da die Gütergemeinschaft gesetzlicher Güterstand sein sollte, war fraglich, ob die Eheleute das Zustimmungserfordernis des Systems der Gütergemeinschaft im Ehevertrag wirksam für bestimmte Rechtsgeschäfte, etwa Verfügungen über Parapherna, abbedingen durften. Diese Frage regelte Artikel 1, Nr. 2 des ersten Entwurfs. Artikel 1 des ersten Entwurfs: ,,La loi ne regit l'association conjugale, quant aux biens, qu' ä defaut de conventions speciales que !es epoux peuvent faire comme ils le jugent ä propos, pourvu qu'elles ne soient pas contraires aux bonnes ma:urs, et , en outre sous !es modifications qui suivent:

10 ... 2° Ils ne peuvent, par aucune disposition generale ou speciale, deroger soit aux droits resultants de Ia puissance maritale sur Ia personne de Ia femme et des enfans, ou qui appartiennt au mari comme chef, soit aux droits conferes au survivant des epoux par !es titres de Ia puissance paterneUe et de Ia tutelle, soit aux dispositions prohibitives du Code civil.

Nach Artikel 1 sollten Vereinbarungen, die nicht gegen die guten Sitten verstießen, grundsätzlich zulässig sein. Ausgenommen sollten nach Nr. 2 aber Vereinbarungen sein, die zur Einschränkung der ehemännlichen Gewalt (puissance maritale) führten. Fraglich war nun, ob eine Vereinbarung, die die Ehefrau von dem Zustimmungserfordernis des Systems der Gütergemeinschaft befreite, die ehemännliche Gewalt einschränkte und somit Artikel 1, Nr. 2 erfüllte. Dies mußte durch Auslegung der Vorschrift ermittelt werden. Über diese Auslegung von Artikel 1, Nr. 2 waren die Staatsräte jedoch uneins. Berlier erklärte, die Gesetzgebungssektion habe mit Artikel 1, Nr. 2 nur Vereinbarungen verbieten wollen, die die öffentliche Ordnung (ordre public) verletzten, nicht aber solche, die die Vermögensinteressen (interet pecuniaire) der Ehegatten beträfen. 778 Diese Erläuterung trug wenig zur Klärung bei, da sie die neue Frage aufwarf, ob eine Befreiung vom Zustimmungserfordernis die öffentliche Ordnung verletzen würde. Tronchet meinte, das Zustimmungserfordernis sei eine Konsequenz der ehemännlichen Gewalt. 779 Eine vertragliche Regelung, die die Ehefrau von dem Zustimmungserfordernis befreie, widerspreche daher dem "öffentliche Interesse" 776 Maleville III 190. Ausnahmen galten fiir die Länder des droit ecrit, die in den Zuständigkeitsbereich des Parlaments von Paris fielen. In diesen Ländern konnte die Ehefrau nur mit Zustimmung des Ehemannes über Paraphemalgüter verfiigen; Tronchet in Locre VI 345; Brissaud, S. 1690. 777 Locre VI 330. 778 Berlier in Locre VI 344. 779 Tronchet in Locre VI 345.

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(interet public), aber auch den Interessen der Frau. Eine derartige Vereinbarung sei folglich unzulässig. Man habe das Zustinunungserfordernis verlangt, weil der Mann der erste Ratgeber der Frau sei und weil das Zustimmungserfordernis aus dem Respekt folge, das die Frau ihrem Mann schulde. Das Zustimmungserfordernis sei auch kein Hindernis, da die Zustinunung des Mannes durch die gerichtliche Zustimmung ersetzt werden könne. Und die Tatsache, daß gerichtliche Zustimmungen in der Vergangenheit in mehr als nur einem Fall versagt worden seien, zeige, daß es umsichtig sei, die Frau nicht sich selbst zu überlassen. Man könne ihr die Verwaltung ihres Vermögens überlassen, bei Verfiigungen aber bedürfe sie der Zustimmung ihres Mannes. 780 Portalis übernahm die Verteidigung des droit ecrit und forderte die Zulassung der Vereinbarung, die der Ehefrau Verfiigungsfreiheit einräumte. Er übernahm die Unterscheidung Berliers zwischen Vereinbarungen, die die öffentliche Ordnung betreffen und Vereinbarungen, die Vermögensinteressen betreffen. Im Gegensatz zu Tronchet meinte Portalis aber, daß eine Vereinbarung, die der Ehefrau Verfiigungsfreiheit gebe, allein die Vermögensinteressen der Eheleute und daher nicht die öffentliche Ordnung, sondern nur das Zivilrecht betreffe. Das Veräußerungsverbot, das Tronchet verlange, widerspreche daher dem System, auf dem die Vorschrift beruhe: "Puisqu'on avoue que ce qui touche les interets pecuniaires tombe en droit prive, il faut au moins se conformer a ce principe. On veut cependant que Ia fenune ne puisse, en aucun cas, rendre ses biens sans l'autorisation de son mari; mais si on a l'intention de conserver reellement le droit ecrit, il faut permettre a Ia fenune de se reserver Je droit de vendre ses biens paraphernaux. Cette faculte ne blesse ni les mreurs ni !'ordre public. Si on la refuse, on ramene tout au droit coutumier, en semblant neanmoins laisser sa force au droit ecrit ... Il est juste de laisser toute liberte aux stipulations qui concernent Ia maniere de disposer des biens. "781 Gegen Ende der Debatte ging Portalis noch einen Schritt weiter und forderte die Streichung des gesamten Artikels. Denn dieser werfe nur Zweifel auf und binde die Frau gegen ihren Willen an eine Gütergemeinschaft, wenn er ihr nicht gestatte, ihr Vermögen ohne Zustinunung des Mannes zu veräußern: "On est convenu d'ailleurs qu'il serait difficile d'en rendre les maximes generales presentees, et qu'il faudra en laisser l'application aux tribunaux. On peut s'en tenir a la maxime qui a existe jusqu'ici, et qui n'admettait pour limites des conventions matrimoniales que !'ordre public et !es mreurs. C'est aussi dans ces bornes qu'il faut se renfermer; et si l'on veut point en sortier, l'article est sans objet. "782 Portalis widersprach auch Treilhard, der gemeint hatte, Artikel 217 Code civiF83 hätte die Frage bereits entschieden und das Zustinunungserfordernis Tronchet in Locre VI 344 f. Portalis in Locre VI 344. 782 Portalis in Locre VI 347. 783 Artikel217 ist abgedruckt oben S. 193 Fn. 774. 780 781

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festgelegt. 784 Artikel 217 Code civil, sagte Portalis, beträfe nicht Vennögensfragen: "On a pretendu que le titre du mariage contient un prejuge en faveur de l'article; c'est une erreur. Ce titre frappe sur un cas different: il considere les personnes independament des biens. Voila le seul objet du droit public; voila commment le mari est le chef de la societe conjugale. Les biens ne sont point du droit public. " 785 Dieses Argument überzeugt nicht. Richtig war zwar, daß der Titel "Von der Ehe" vor allem die personenrechtlichen und nicht die vennögensrechtlichen Folgen der Ehe bestimmte. Es läßt sich aber nicht abstreiten, daß Artikel 217 seinem Wortlaut nach eindeutig die Verfügungsbefugnis der Frau und damit eine vennögensrechtiche Frage regelte. Trotz jedenfalls zum Teil überzeugender Argumente scheiterte Portalis mit seinem Antrag auf Streichung der Vorschrift. Der Staatsrat beschloß die Nummern 2 und 3 des Artikels. 786 Artikel 1388 Code civil: ,,Les epoux ne peuvent deroger ni aux droits resultant de Ia puissance maritale sur Ia personne de Ia femme et des enfans, ou qui appartiennent au mari comme chef, ni aux droits conferes au survivant des epoux par le titre de Ia Puissance paterneUe et par le titre de Ia Minorite, de Ia Tutelle et de I 'Emancipation, ni aux dispositionsprohibitives du present Code."787

Darüber hinaus bestimmte Artikel 1576 Code civil ausdrücklich, daß die Ehefrau, selbst wenn sie im Ehevertrag das Dotalsystem wählte, ihre Paraphemalgüter nicht ohne Zustimmung ihres Mannes bzw. der Gerichte verkaufen konnte: 788 Chapitre troisieme ,,Du regime dotal" Section quatrieme ,,Des biens paraphemaux" Artikel 1576 Code civil: ,,La femme a l'adrninistration et lajouissance de ses biens paraphemaux; Mais elle ne peut les aliener ni paraitre en jugement a raison desdits biens, sans l'autorisation du mari, ou, ason refus, sans Ia permission de lajustice."789

Eine folgenschwere Bestimmung des droit ecrit - die Verfügungsfreiheit der Frau über Paraphema - wurde damit abgeschafft.790 Tronchet hatte sich durchgesetzt. Dem droit coutumier hatten die Staatsräte bereits den Vorzug gegeben, als sie die Gütergemeinschaft zum gesetzlichen Güterstand bestimmten. Nun verwehrten sie den mit dem droit ecrit vertrauten Eheleuten auch das Recht, an einer wichtigen Regelung des droit ecrit wenigstens durch Ehevertrag Treilhard in Locre VI 346. Portalis in Locre VI 347. 786 Locre VI 348; vgl. die zweite Redaktion bei Locre VI 364. 787 Locre VI 293. 788 Vg1 auch Berliers expose de motifs, in Locre VI 398. 789 Locre VI 325. Vgl. auch Artikel 1530 und 1538 Code civil, in Locre VI 317 f. 790 Berlier, expose de motifs, in Locre VI 398. 784 785

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festzuhalten. Artikel 1576 Code civil bedeutete einen weiteren Sieg des droit coutumier über das droit ecrit.791 Ein weiteres Mal unterlag Portalis bei den Debatten zwn Ehegüterrecht in einer aus der Sicht des droit ecrit bedeutsamen Frage. b) Drittes Kapitel" Von den Vereinbarungen, die das gesetzliche Güterrecht abändern oder ausschließen"- Zweiter Abschnitt" Von den Vereinbarungen, die jede Gütergemeinschaft ausschließen, und ihren Folgen"Artike/1554 Code civil

Der erste Entwurf zum Ehegüterrecht erlaubte den Ehegatten, die Gütergemeinschaft vertraglich auszuschließen. Nach Artikel 132, Nr. 1 des ersten Entwurfs sollte die Gütergemeinschaft abbedungen sein, wenn der Ehevertrag die Bestimmung enthielt, daß das gesamte Vermögen der Frau Dotalgut sei. 792 Weiter sah Artikel138 des ersten Entwurfs vor, daß eine Vereinbarung, nach der dotale Immobilien unveräußerlich sein sollen, grundsätzlich nichtig sei. Artikel 138 des ersten Entwurfs: ,,Les inuneubles constitues en dot, meme dans Je cas du present paragraphe, ne sont point inalienables. Toute convention contraire est nulle sauf Ia Stipulation du droit de retour, ou de toutes autres dispositions permises par le code, notarnment par les articles 337 et suivans du troisieme Iivre, ou de Ja disposition officieuse, selon !es formes et dans !es cas determines par le code. " 793

Artikel 138 bekämpfte eine weitere wichtige Bestimmung des droit ecrit. Denn nach droit ecrit waren Dotalgrundstücke grundsätzlich794 unveräußerlich. Über sie konnten weder der Ehemann, noch beide Eheleute gemeinsam verfiigen. 795 Nach droit coutumier hingegen konnten die Eheleute über Vgl. Cambaceres in Locre VI 344. Artikel 132 des ersten Entwurfs: ,,I! y a exclusion totale de Ia conununaute: 1o Par Ia clause portant que tous !es biens de Ia fenune Jui seront dotaux; 2° Par Ia stipulation qu'ils seront tous paraphernaux; 3° Par Ja declaration formelle que !es epoux se marient sans conununaute; 4° ParIa disposition mixte qui, embrassant Ja totalite des biens de Ia fenune stipule !es uns dotaux et !es autres paraphernaux." Locre VI 336. 793 Locre VI 336 f. 794 Ausnahmsweise zulässig war die Veräußerung mit Zustinunung des Gericht, z.B. um den Mann aus der Schuldhaft freizukaufen. Zu den weiteren Ausnahmen siehe Brissaud, S. 1691. 795 Nach der Iex Julia de adulteriis des Augustus durfte der Ehemann über Dotalgrundstücke nur mit der Zustinunung der Frau verfiigen. Justinian erweiterte das Verbot. Fortan waren Dotalgrundstücke absolut unveräußerlich. Auch mit der Zustinunung der Frau konnte der Mann sie nicht veräußern (Kaser, Das römische Privatrecht, § 80 I 3 und § 222 IV). Zunehmend setzte sich in den Ländern des droit ecrit das justinianische Recht durch. Nur in der Normandie und in Toulouse galt das alte Recht der Iex Julia fort; Brissaud, S. 1690 f.; Viollet, S. 796 f. 791

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Dotalgrundstücke gemeinsam verfilgen. 796 Artikel 138 nahm den Eheleuten die Möglichkeit, ein Veräußerungsverbot auch nur zu vereinbaren. Berlier erklärte das Motiv filr diese Regelung. Bestelle die Ehefrau die Mitgift selbst, so widerspreche das von ihr selbst festgesetzte Veräußerungsverbot ihrem Eigentumsrecht Außerdem bereite sie sich damit selbst Hindernisse, was sie später bereuen könnte. 797 Portalis versuchte erneut, das Dotalsystem des droit ecrit zu retten. Er lehnte die Regelung des Artikel 138 ab, weil sie ein wesentliches Element des droit ecrit preisgebe: "Si Ia dot est declaree [alienable, Anm. d. VerP 91 ], Je systeme du pays de droit ecrit est entierement sacrifie, et ceux qui croiront le prendre pour regle de leur association, se trouveront cependant regis par le systeme coutumier. " 799 Hier folgte der Staatsrat Portalis' Antrag und beschloß das Prinzip der Unveräusserlichkeit von Dotalgrundstücken. 800 Der Code civil übernahm das von Portalis geforderte Prinzip in Artikel 1554: Chapitre troisieme "Du regime dotal" Artikel1554 Code civil: "Les immeubles constitues en dot ne peuvent etre alienes ou hypotheques pendant le mariage, ni par le mari, ni par Ia femme, ni par !es deux conjointement; sauf Ies exceptions qui suivent."801

Portalis konnte damit ein wesentliches Element des Dotalsystems retten.

Viollet, S. 781. Berlier in Locre VI 362. 798 Locre zitiert Portalis hier mit den Worten "si Ia dot est declaree inalienable, le systemedes pays de droit ecrit est ... sacrifie." Richtig muß es heißen "si Ia dot es delaree alienable ... ". Denn nur wenn festgesetzt wird, daß Dotalgrundstücke veräußerlich sind, wird das Dotalsystem des droit ecrit aufgegeben. Daß Locres Protokoll hier falsch ist, bestätigt die Ausgabe der Protokolle von Fenet. Fenet zitiert Portalis an gleicher Stelle mit den Worten "si Ia dot est declaree alienable, ... " Fenet hat Locres Versehen bemerkt und korrigiert; vgl. Fenet (Ausgabe von 1827), Band 13, S. 573. Vgl. auch P. A. Fenet, Recueil complet des travaux preparatoires du Code civil (15. Bände), Paris 1836, Band 13, 573. 799 Portalis in Locre VI 362. 800 Locre VI 363. Die zweite Redaktion des Entwurfs wurde dementsprechend geändert; vgl. Artikel 159 ff. und insbesondere Artikel 169 der zweiten Redaktion, in Locre VI 369. 801 Locre VI 321. Die von Artikel 138 des Entwurfs aufgestellte Regel, daß dotale Immobilien veräußert werden können, blieb jedoch bestehen, wenn die Ehegatten die Gütergemeinschaft ausschlossen, ohne zugleich das Dotalsystem zu vereinbaren. Zweites Kapitel ("Vom System der Gütergemeinschaft"), Artikel 1535 Code civil: "Les immeubles constitues en dot dans le cas du present paragraphe, ne sont point inalienables. Neanmoins, ils ne peuvent etre alienes sans le consentement du mari, et, a son refus, sans l'autorisation de lajustice." Locre VI 368. 796 797

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4. Sechster Titel "Vom Kaufvertrag"- Sechstes Kapitel "Von der Nichtigkeit und Rückgängigmachung des Kaufvertrags" Zweiter Abschnitt "Von der Aufbebung des Kaufvertrags wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit" Fraglich war, ob den Parteien eines Kaufvertrags das Recht gewährt werden sollte, Verträge wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit (/a!sio enormis) anzufechten. a) Die geschichtlichen Grundlagen Das römische Recht überließ die Höhe des Kaufpreises zunächst dem freien Wettbewerb. Im Lauf des dritten Jahrhunderts wurde dies jedoch mit fortschreitender Geldentwertung und angesichts zunehmender Nöte und Katastrophen immer schwerer erträglich. 802 Um die Verkäufer bei Notverkäufen gegen unzureichende Preise zu schützen, ftlhrte wahrscheinlich schon Diokletian die Anfechtung wegen la!sio enormis ein. 803 Der Verkäufer konnte den Vertrag auflösen und die Kaufsache gegen Rückzahlung des Preises zurückverlangen, wenn dieser geringer war als die Hälfte des Wertes der Kaufsache. 804 Der Käufer konnte den Kauf aufrechterhalten, indem er bis zum vollen Sachwert nachbezahlte. Die Rechtsfigur der la!sio enormis beruhte auf dem Gedanken, daß jedes Gut seinen "gerechten Preis" (iustum pretium 805 ) hat. Im Gegensatz zum Verkäufer konnte sich der Käufer nicht auf die Verletzung der Preisgerechtigkeit berufen. Die Käufer hat Diokletian gegen Überteuerung 301 n. Chr. durch ein umfassendes edictum de pretiis rerum venalium8()(, geschützt, das ftlr Waren und Leistungen aller Art Höchstpreise vorschrieb und die Überschreitung mit Strafen bedrohte, in der Praxis ohne Erfolg. 807 Sowohl das droit ecrit als auch die coutumes hatten die Regelung des römischen Rechts übemommen.808 Sie fiel aber der Revolution zum Opfer. Mit Zu der wirtschaftlichen Situation siehe Hack!, SZ 98 (1981), 147 (156 ff.) mwN. Die Herkunft der lresio enormis und die GrUnde filr ihre Einflihrung sind umstritten. Zum Streitstand siehe den Überblick bei Becker, S. 10 ff. ; vgl. ferner aus dem neueren Schrifttum Mayer-Maly, S. 395 f. und die Nachweise bei Kalb, S. 13, Fn. 15. 804 Kaser, Das römische Privatrecht, 2. Abschnitt, § 264 III. 805 Das pretium iustum scheint in der Regel nach den Preistaxen der Zeit bestimmt worden zu sein (sog. pretium legitimum). Bei den Marktpreisen (pretium naturale) billigte man eine größere Marge filr den zulässigen Preis zu; Coing, Das europäische Privatrecht, Band I, § 82 II 2 (S. 415). 806 Alle inschriftlichen Fragmente dieses Gesetzes stammen aus dem Osten. Maximilian und Konstantinus haben es offenbar nicht promulgiert; HLL 5 ( 1989), § 503 (S. 58). 807 V gl. Kaser, § 41 II 3 (S. 192); Dekkers, Rn. 8 ff. (S. 15 ff.); Hack!, SZ 98, 147 (157). 808 Portalis in Locre VII 42; Bigot-Preameneu in Locre VI 100; Dekkers, Rn. 129. Berlier dagegen sagte, der Großteil der Länder des Nordens habe das 2. Gesetz, C De rescind. vend. (C. 4,44,2) nicht übernommen; Berlier in Locre VII 37. 802 803

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Dekret vom 31. August 1795 schafften die Revolutionäre den Anfechtungsgrund der la!sio enormis ab, 809 weil die Entwertung des während der Revolution eingefiihrten Papiergeldes, der Assignaten (assignats), 810 die Anwendung des Rechtsinstituts unmöglich gemacht hatte. 811 Den Sachen konnte infolge der extremen Preisschwankungen kein genauer Wert mehr beigemessen werden. 812 Man wollte die Gültigkeit von Verträgen sicherstellen und verhindern, daß jeder Vertrag Gefahr lief, wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit fiir nichtig erklärt zu werden. Diese Rechtsänderung war nicht von langer Dauer. Schon 1797 wurde das Dekret vom 31. August 1795 wieder außer Kraft gesetzt, 813 1798 wurde es abgeschafft.K 14

b) Artike/1674 Code civil- die Anfechtung durch den Verkäufer Bei den Beratungen zu Artikel 1674 Code civil setzten die Staatsräte eine Diskussion fort, die sie bereits beim siebten Abschnitt ("De I 'action en nullite ou en rescision des conventions ") des dritten Titels des dritten Buchs begonnen hatten. Dort, im Rahmen des allgemeinen Vertragsrechts, hatten sie die Rechtsfigur der la!sio ennormis zugunsten von beschränkt Geschäftsfähigen generell, d.h. bei allen Vertragstypen zugelassen. 815 Der erste Entwurf des dritten Titels Portalis in Locre VII 42. Auf die enteigneten geistlichen und königlichen Güter wurden 1789 auf Beschluß der konstituierenden Versammlung Assignate in Umlauf gesetzt. Sie waren zunächst verzinsliche Staatsobligationen zur Deckung des Haushaltsdefizits, wurden aber durch übermäßige Ausgaben fast völlig entwertet (schon seit 1790 mit Zwangskurs), am 19.2.1796 außer Kurs gesetzt und zu 1/30 ihres Nennwerts gegen ein neues Papiergeld, die Territorialmandate, umgetauscht. Am 21.5.1797 wurden sämtliche Assignate für ungültig erklärt; Brockhaus Enzyklopädie, Stichwort "Assignaten." Zu Assignaten und Inflation siehe auch Soboul, S. 177-179; Brissaud, S. 997. 811 Vgl. Portalis in Locre VI 42, Cambacen!s in Locre I03. Berlier (in Locre VI 98) dagegen meinte, das Gesetz sei nicht wegen der Inflation ergangen, sondern, wie die Gesetzgebungsmaterialien bewiesen, eine "weise", wohlüberlegte und für alle Zeiten geeignete Innovation gewesen. Cambaceres (in Locre VI 103) relativierte die Bedeutung der Gesetzgebungsmaterialien. Er meinte, der Berichterstatter des Rates der Fünfuundert, auf den sich Berlier bezogen habe, habe seine persönliche Auffassung außer Acht lassen und die Entscheidung des Rates mit größtmöglicher Überzeugungskraft begründen müssen. Daher habe er das Gesetz nicht nur mit der Inflation - dem eigentlichen Grund gerechtfertigt. 812 Bigot-Premeneu in Locre VI I 00. 813 Dekret vom 23. März 1797 (3. Germinal V); vgl. Sagnac, S. 343. 814 Dekret vom 8. Mai 1798; Theewen, S. 212; Ourliac/Malafosse, Band I, S. 139. 815 Vgl. Artikel 201 des zweiten Entwurfs (Artikel 1305 Code civil ist wortgleich): "La simple lesion donne lieu Ia rescision en faveur du mineur non emancipe, contre toutes sortes de conventions; et en faveur du mineur empancipe, contre toutes conventions qui excedent les bornes de sa capacite, ainsi qu'elle est determinee au titre de Ia minorite, de Ia tutelle et de l'emancipation." Locre VI 119. V gl. auch Artikel 196, Satz I des ersten Entwurfs, in Locre VI 71. 809

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a

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hatte voll geschäftsfähigen Personen die Berufung auf die lcesio enormis nur bei Erbauseinandersetzungen und Grundstückskaufverträgen gestatten wollen. 816 Bei der Diskussion dieses ersten Entwurfs hatten die Staatsräte entschieden, vorerst offenzulassen, wann sich Geschäftsfähige auf die lcesio enormis berufen könnten. Sie beauftragten die Gesetzgebungssektion, Regelungen rur die Fälle auszuarbeiten, bei denen die Restitution zugunsten unbeschränkt Geschäftsfähiger in Betracht karn. 817 Beim Kaufrecht, bei der Diskussion des Entwurfs zum sechsten Titel, setzte der Staatsrat die Diskussion des Themas fort. Nach Artikel 94 des Entwurfs zum Kaufrecht sollte der Verkäufer Grundstückskaufverträge wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit anfechten können, wenn der Verkaufspreis weniger als runf Zwölftel des Wertes des Grundstücks betrug. Artikel 94 des Entwurfs: "Si Je vendeur a ete lese de plus de sept douziemes dans Je prix d'un immeuble, il a Je droit de demander Ia rescision de Ia vente, quand meme il aurait expressement renonce dans Je contrat a Ia faculte de demander cette rescision, et qu'il aurait dec1are donner Ia plus-value."m

Die Diskussion über die Berücksichtigung einer lcesio enormis wurde weithin von Berlier und Portalis bestimmt. 819 Während Berlier die Abschaffung der Aufhebungsklage forderte, verlangte Portalis, daß sie beibehalten werde. Berlier stützte sich in einem ausruhrliehen Vortrag auf eine Dissertation von Christian Thomasius (1655-1728).'2° Thomasius zufolge, ruhrte Berlier aus, stamme C. 4,44,2 und 8, welche Stellen dem ancien droit zugrunde lagen, wahrscheinlich nicht, wie überliefert, von Diokletian. Vielmehr habe Tribonian sie einer Sammlung kaiserlicher Verordnungen entnommen, die "verdächtig" sei und wenig Glaubwürdigkeit und Autorität verdiene. Das Gesetz, das zeitweise, so unter Konstantin, Gratian, Valentinian II., Theodosius dem Großen u.a., nicht gültig gewesen sei, sei folglich nicht in den "guten" Zeiten des römischen Rechts entstanden. 821

816 Vgl. Artikel 196, Satz 2 des ersten Entwurfs: "A l'egard des majeurs, Ia lesion ne donne lieu a Ia rescision que dans !es actes et ventes d'immeubles et dans !es partages. Les causes qui peuvent autoriser cette rescision, ses conditions et ses effets, sont expliques aux titres des successions et de Ia vente." Locre VI 71 f. 817 Locre VI I 07. Dementsprechend lautete Artikel 209 des zweiten Entwurfs zum dritten Titel wie folgt: "Les majeurs ne sont restitues pour cause de lesion que dans !es cas et sous !es conditions specialement exprimes dans Je present code." Locre VI 119. Artikel 209 wurde schließlich unverändert zu Artikel 1313 Code civil, vgl. Locre VI 46. 818 Locre VII 29. 819 Vgl. die Sitzungen vom 17. Nov. 1803 (Locre VI 98 ff.), vom 22. Dez. 1803 (Locre VII 36 ff.) und vom 12. Jan. 1804 (Locre VII 42 ff.). 820 Berlier zitierte Christian Thomasius, de JEquitate cerebrinä, leg. 2, c. De rescind. vend. 821 Locre VII 37; vgl. Berliers Ausflihrungen in der folgenden Sitzung, in: Locre VII 44 ff.

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Portalis, der sich nach Berlier ebenfalls ausfuhrlieh mit Thomasius' Schrift auseinandersetzte, meinte, Thomasius äußere unzweifelhafte Tatsachen, die jedoch gleichermaßen fiir viele andere römische Gesetze zuträfen. Die Qualität eines Gesetzes hänge aber nicht von seinem Entstehungszeitpunkt ab: "Jugeons Ia loi en elle-meme."822 Gegen Artikel 94 des Entwurfs fiihrte Berlier an, daß die Reszission der Natur des Kaufvertrages widerspreche. Denn, sagte Berlier, widerstrebe es nicht der Vernunft, wenn der Volljährige, der weder arglistige Täuschung (do/ personnel) noch Gewalt behaupte, den Vertrag, den er selbst geschlossen habe, mit der Begründung fiir nichtig erklären könnte, er habe unter Wert verkauft? Der Volljährige müsse beim Abschluß von Verträgen Vorsicht üben. Solange sein Vertragspartner kein Delikt oder Quasi-Delikt begehe, schulde ihm das Gesetz keinen Schutz vor den Folgen seines eigenen Tuns. 823 Die formale Einigung sei ein ausreichender Rechtsgrund, dem nur die bloße Behauptung einer Schädigung gegenüberstehe. "N'y a-t-il pas ici une cause commune, un prix de vente, un consentement forme!? Et pour renverser tout cehl, qu'oppose-ton, sinon une simple allegation de lesion?"824 Portalis dagegen forderte die Zulassung der Anfechtung aus Gründen der Gerechtigkeit. "Il est des regles de justice qui sont anterieures aux contrats memes." 825 Bei den Staatsratsdebatten rechtfertigte Portalis die Aufhebungsklage wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit theoretisch unter Berufung auf Dumoulin mit der lrrtumslehre. Er meinte, im Falle der la!sio enormis fehle der Rechtsgrund fiir den Vertrag, weil so ein Verkäufer einem Irrenden gleich stehe sei. "Si donc il existe une lesion enorme, si le prix et la valeur de l'objet vendu sont hors de toute proportion entre eux, il n'y a certainement plus de cause826 ... On convient que l'erreur vicie le consentement, que l'homme trompe n'a pas consenti. Des-lors, lorsqu'un citoyen s'est trouve dans des circonstances telles que, s'il eut connu toute l'etendue de la lesion, il n'eut pas souscrit le contrat, on ne peut pas dire qu'il ait consenti, car personne consent spontanement a d'aussi grandes pertes."827 Ein derartiger Fehler, meinte Portalis, könne auch einem Geschäftsfiihigen unterlaufen. Auch dieser bedürfe des Schutzes. In seinem expose de motifs du projet de /oi sur Ia vente begründete Portalis die Zulassung der Aufhebungsklage nicht nur mit einem Versehen des Verkäufers, sondern auch mit der Rechtsfigur des gerechten Preises. Ein genügender Rechtsgrund, meinte er, bestehe nur, wenn Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stünden. "Puisque le prix doit etre 822 Portalis in Locre VII 38. Portalis war mit der Schrift von Thomasius vertraut und nahm zu ihr ausfUhrlieh und kritisch Stellung. 823 Vgl. Maleville III 409 ff. 824 Berlier in Locre VII 45. 825 Portalis, expose de motifs du projet de /oi sur /e cantrat de vente, Locre VII 78. 826 Portalis in Locre VII 43. 827 Portalis in Locre VII 43.

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l'equivalent de la chose vendue, il faut que ce prix reponde a la valeur de cette chose; s'il y a lesion, c'est-a-dire s'il n'y a point d'equilibre entre Ia chose et le prix, le contrat se trouve sans cause, ou du moins sans une cause raisonnable et suffisante a l'egard de la partie." 828 Portalis trug damit dem Einwand Rechnung, daß ein Verkäufer, der sich in einer Notlage befinde, bewußt zu einem viel zu niedrigen Preis verkaufe bzw. verkaufen müsse und sich daher nicht irre. 829 "Peut-on dire que celui qui est enormement lese aurait adhere au contrat, s'il avait ete dans une situation assez libre pour ne pas la souffrir?"830 Berlier wandte sich gegen die Unterscheidung zwischen gerechtem und vertraglichem Preis. Es gebe nur einen Preis: den vertraglichen. Allein der Markt bestimme den Wert einer Sache. Eine Sache habe fiir jeden einen anderen Wert. Was dem einen 1000 Francs wert sei, habe fiir den anderen einen Wert von 2000 Francs. 831 Portalis dagegen hielt an der Unterscheidung zwischen vertraglich vereinbartem und gerechtem Preis (juste prix) fest. Auch an anderer Stelle, filhrte Portalis aus, gebrauche das Gesetz den Begriff "gerecht." Denn im Rahmen des Enteignungsrechts habe der Staatsrat selbst festgelegt, daß ein Bürger im öffentlichen Interesse gegen eine gerechte Entschädigung (juste indemnite') enteignet werden könne. 832 Wenn in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Wortes eindeutig sei, könne sie nicht an anderer Stelle zweideutig sein. 833 Der gerechte Preis sei der allgemein übliche Preis (prix commun ou courant), der sich am Markt herausbilde.834 Berlier fiihrte gegen die Zulassung der Reszission weiter an, sie widerspreche dem öffentlichen Interesse, weil sie Landwirtschaft und Handel beeinträchtige. Denn bis zum Ablauf der Reszissionsfrist wage der Käufer nicht, den erworbenen Boden zu verbessern. Diese Stagnation schade der Gesellschaft. 835 Ferner widerspreche die Reszission den Interessen der Gläubiger des Käufers. Denn sie untergrabe das Vertrauen in den Bestand von Verträgen und Sicherheiten. Der Käufer laufe Gefahr, die gekaufte Sache einzubüßen, und seine Gläubiger liefen Gefahr, ihre Sicherheit durch eine Reszissionsklage zu verlieren.836

Portalis, expose de motifs du projet de Iai sur le cantrat de vente, Locre VII 79. Vgl. Tronchet in Locre VII 49: "II a ete trompe ou force par le besoin." 830 Portalis, expose de matifs du prajet de Iai sur le cantrat de vente, Locre VII 82. 831 Berlier in Locre VI I 00. 832 Vgl. Artikel 545 Code civil: "Nul ne peut etre cantraint de ceder sa propriete, si ce n'est pour cause d'utilite publique, et moyennant une juste et prealable indemnite." Locre IV 52. 833 Portalis in Locre VII 44. 834 Vgl. Portalis in Locre VII 79. 835 Berlier in Locre VII 44 f. und Locre VI I 00. 836 Berlier in Locre VI 100. 828

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Portalis entgegnete ihm, daß jeder Nichtigkeitsgrund diese Wirkung habe. Sie hafte nicht speziell der Reszission wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit an. Wenn man aber die Aufhebungsklage wegen der mit ihr verbundenen Unsicherheit nicht zulasse, so opfere man die Gerechtigkeit selbst. Außerdem könnten dann auch Klagen wegen arglistiger Täuschung, Irrtum und anderen Gründen keinen Bestand haben. 837 "Si l'on ecoutait de telles craintes, il faudrait n'avoir egard a aucune des nullites capables de vicier les contrats, et ainsi l'interet des individus serait sacrifie sans reserve au pretendu bien de l'etre purement metaphysique qu'on appelle Ja societe. Iei l'on confond, quant a leur objet, Jes Jois civiles avec Jes lois politiques. Dans Je droit politique, Jes individus ne sont rien: il s'agit de sauver Ja chose publique. Dans Je droit civil, tout se reduit aux particuliers: chaque individu est considere comme Ia societe tout entiere. Si l'on abolit toutes !es nullites, on aura Ia paix sans doute, mais quelle paix! Celle de Ja mort et Je silence des tombeaux: d'un cöte des trompeurs impunis, de l'autre des trompes sans protection. Le grand interet public, celui qui va au creur, est d'empecher l'honnete homme d'etre surpris." 838 Zur Begründung seiner Auffassung fiihrte Berlier weiter aus, die Reszission sei auch fiir die Verkäufer, insgesamt gesehen, nachteilig, obwohl sie zu ihren Gunsten eingefiihrt worden sei. Vor dem Gesetz vom 31. August 1795 hätte sich der Verkäufer, der ein wenig geschädigt gewesen sei, stark geschädigt gefiihlt. Er wäre um so mehr geneigt gewesen, gerichtlich vorzugehen, je mehr er seine Chancen auf die Willkür der Gutachten und die Bestechlichkeit und Ignoranz der Gutachter gestützt hätte. Wozu hätten die zahllosen und kostspieligen Prozesse gefiihrt? Dazu, daß von zwanzig Klagen auf Nichtigkeitserklärung mindestens neunzehn fehlgeschlagen seien und daß diejenigen, die schlechte Geschäfte gemacht hätten, sich letztlich durch "schlechte" Prozesse ruiniert hätten. Die Reszission sei eine Quelle von Schikanen gegen die Masse der Käufer, denen man mit Prozessen drohe, um von ihnen irgendwelche Beträge zu erzwingen, die sie um ihrer Ruhe willen gerne opferten. Bei der Reszissionsklage hänge der Bestand eines Vertrages von einem gefahrliehen Gutachten ab. 839 Ein Gutachter könne wie ein Zeuge korrumpiert sein. Im Gegensatz zu einem Zeugen könne aber ein Gutachter zudem "ignorant" sein. 840 Portalis antwortete darauf, daß man immer auf Gutachten und Zeugen angewiesen sei. Zeugen und Gutachter seien auch sonst vom Gesetz zugelassen. Wenn der Rückgriff auf Gutachten ein Übel sei, dann ein notwendiges: "Atout moment, a chaque pas, on est oblige de recourir aux ternoins et aux experts. Si c'est un mal, du moins est-ce un mal inevitable; pourquoi n'emploierait-on pas ce genre de preuves pour verifier une Jesion, puisqu'on y detere quand il s'agit Portalis in Locre VII 44. Portalis in Locre VI I02. 839 Berlier in Locre VI 99 f. und Locre VII 45. Die Verletzung der Preisgerechtigkeit wurde durch Gutachten oder andere Beweise erbracht. Von der Kaufsache wurde der Wert geschätzt, den sie zur Zeit des Vertragsabschlusses hatte; Portalis in Locre VI 42. 840 Berlier in Locre VII 45. 837 838

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de bien plus encore, quand il faut prononcer sur Ia vie d'un homme?"841 Im übrigen, meinte Portalis, sei die Aussage eines Gutachters verläßlicher als die eines Zeugen. "Si des experts peuvent etre corrompus, des ternoins aussi peuvent l'etre; mais du moins les experts sont dementis par d'autres ternoins irrecusables, Ia chose vendue et Je prix. Des experts motivent leur temoignage; ils ne sont pas crus si !es faits, qui existent encore, les contredisent: il suffit a des temoins, pour ne pas etre repousses, de ne rien affirmer d'invraisemblable." 842 Trotz Berliers hartnäckigem Widerstand wurde Artikel 94 des Entwurfs schließlich vom Staatsrat beschlossen843 und als Artikel 1674 in den Code civil übemommen. 844 Portalis konnte hier seine Auffassung durchsetzen.

c) Artike/1676 Code civil- die Anfechtungsfrist Nach Zulassung der Aufhebungsklage wegen Verletzung der Preisgerechtigkeit mußte der Staatsrat entscheiden, wie lange diese Klage zulässig sein sollte. Artikel 96 des Entwurfs sah eine Zweijahresfrist vor. Artikel96 des Entwurfs: "La demande n'est plus recevable apres l'expiration de deux annees, a compter du jour de la vente. Ce delai court contre les femmes mariees, et contre les absens, !es interdits et les mineurs venant du chef d'un majeur qui a vendu. Ce delai court aussi et n'est pas suspendu pendant la duree du temps stipule pour le pacte de rachat. " 845

Nach ancien droit betrug die Anfechtungsfrist zehn Jahre. 846 Für den Code civil schlugen die Staatsräte Fristen von sechs Monaten, einem, zwei oder vier Jahren, aber auch die Beibehaltung der Zehnjahresfrist vor. Eine kurze Frist wurde mit der Begründung gefordert, der Verkäufer benötige nicht zwei Jahre, um seinen Irrtum zu erkennen. Eine Zweijahresfrist ermögliche zudem Börsenspekulationen. Denn man könne zu geringem Preis verkaufen, um sich Geldmittel zu verschaffen und mit diesen (innerhalb von zwei Jahren) große Spekulationsgewinne zu erzielen. Nach zwei Jahren zahle man dem Käufer den Kaufpreis zurück und nehme die Kaufsache wieder an sich. 847 Für eine kurze Frist spreche ferner, daß der Verkäufer die Sache in der Regel kenne. Er könne sich daher nicht lange über ihren Wert täuschen. Außerdem halte die Möglichkeit einer Aufhebungsklage den Käufer davon ab, das erworbene Grundstück zu Portalis in Locre VII 38. Portalis in Locre VII 44. 843 Locre VII 50. 844 Vgl. Artikel1674 Code civil in Locre VII 19. 845 Locre VII 29. 846 Cretet in Locre VII 51; Ourliac/Malafosse Bd. I, S. 139. 847 Cretet in Locre VII 52. 841

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verbessern, da er bei Rückabwicklung des Vertrages befiirchten müsse, nicht genügend entschädigt zu werden. 848 Daher sei eine sechsmonatige oder einjährige Frist angemessen. 849 Portalis dagegen trat fiir die Beibehaltung der vom Entwurf vorgesehenen Zweijahresfrist ein. Zwar gebe es andere Klagen mit kürzeren Fristen. Die Aufhebungsklage bereite jedoch besondere Schwierigkeiten, die einer Verkürzung der Frist auf weniger als zwei Jahre entgegenstünden: "On objecte que Ia loi ne donne que deux mois aux creanciers pour surencherir; mais on ne prend pas garde qu'ils n'ont aucune lesion a prouver; qu'ils exercent leurs droits sans rencontre aucun obstacle; et qu'enfin ce qu'ils obtiennent au-dela du prix vendu, est en benefice pour eux." Daß eine längere Frist den Käufer abhalte, in das Grundstück zu investieren, hielt Portalis fiir abwegig. Denn die Gefahr der Rückabwicklung eines Vertrags bestehe immer auch aus anderen Gründen. Außerdem könne sich der Käufer gegen diese Gefahren schützen, indem er den Zustand des gekauften Grundstücks beweiskräftig festhalte: "Ce qu'on dit sur !es ameliorations se tourneraient egalement en objection contre toutes !es causes qui peuvent operer l'expulsion d'un acquereur. Maistout acquereur, s'il est prudent, a soin, lorsqu'il entre en jouissance, de faire constater l'etat dans lequel il prend le bien, et alors il ne craint plus de se permettre des ameliorations. Quelles ameliorations peut-on faire en deux ans? II faut au moins ce terme, et plus d'une recolte, pour connaitre le produit d'un domaine." 85° Cretet antwortete Portalis, daß der Zustand des Grundstücks beim Kauf nur selten festgehalten werde. Die Erstellung von Zustandsberichten, die als Beweismittel im Prozeß taugten, sei außerdem zu aufwendig und kostspielig." 851 Von Portalis angedeutet und Tronchet dargelegt wurde schließlich der Gedanke, daß die durch die längere Frist geschützten Personen - der Mann, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befmde und durch den Notverkauf seine Ehre retten wolle, eine unerfahrene Frau oder ein unerfahrener junger Mann ihren Fehltritt nicht sofort oder innerhalb einer Frist von sechs Monaten erkennen. Zudem seien sechs Monate zu kurz, um die zur Rückzahlung des Kaufpreises notwendigen Mittel zu beschaffen. Eine Verkürzung der Frist auf weniger als zwei Jahre würde daher den Aufhebungsanspruch illusorisch machen. 852 Schließlich setzte sich die von Portalis geforderte Zweijahresfrist durch. 853 Artikel 96 des Entwurfs wurde unverändert als Artikel 1676 in den Code civil übernommen.854 Jollivet in Locre VII 52. Cretet in Locre VII 52. 850 Portalis in Locre VII 52. 851 Cretet in Locre VII 53. 852 Portalis in Locre VII 55. 853 Locre VII 55. 854 Vgl. Artikel1676 Code civil in Locre VII 19 f. 848

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d) Artikel /683 Code civil- das Anfechtungsrecht des Käufers Nach Artikel 94 des Entwurfs konnte nur der Verkäufer eines Grundstücks sich auf die Verletzung der Preisgerechtigkeit berufen. Dem Käufer dagegen versagte Artikel I 04 des Entwurfs die Anfechtung aus gleichem Grund: Artikel 104 des Entwurfs: "La rescision pour lesion n'a pas lieu en faveur de I' acheteur. " 855

Artikel 104 übernahm das römische Recht. 856 Die französische Rechtsprechung hingegen war uneinheitlich gewesen.857 Die unterschiedliche Behandlung von Käufer und Verkäufer begründete Tronchet damit, daß niemand zum Kauf einer Sache gezwungen sei, während besondere Umstände - etwa fmanzielle Notlagen- Verkäufe erzwingen könnten. 858 Bereits bei den vorangegangenen Diskussionen war gegen den Entwurf eingewandt worden, er sei widersprüchlich, wenn er nur dem Verkäufer, nicht aber dem Käufer die Klage gestatte, obwohl auch der Käufer das Opfer eines überhöhten Kaufpreises werden könne. 859 Auch Portalis hatte sich bereits bei den Beratungen der Gesetzgebungssektion des Staatsrats vergeblich dafiir ausgesprochen, auch den Käufern die Aufhebungsklage zu eröffnen. Nun, im Staatsrat, setzte er sich erneut dafiir ein: "On ne peut pas decider cette question par Je texte de Ia Ioi C. De rescin. vend.; car il faut se rappeler qu'a Rome on rendait des rescrits sur des cas particuliers, et qu'ainsi Je silence de Ia loi ne prejugait rien contre Ies cas differens de celui sur Iequel eile s'est expliquee. Mais on voit, par d'autres Iois, quel etait sur Ia question l'esprit de Ia legislation romaine: elles declarent que toutes Ies dispositions sur Ia vente sont communes au vendeur et a l'acheteur ... Ainsi Pothier veut-il que Ia rescision lui soit accordee; et d 'Aguesseau, qui ecrivait avant que Ia jurisprudence rut fixee, est de Ia meme opinion."g60 Am Ende der Debatte ergriff Napoleon das Wort. Besondere Umstände, meinte er, könnten einen Käufer zur Zahlung extremer Preise veranlassen, etwa denjenigen, der ein Grundstück mit Wasserlauf fUr seine Fabrik benötige. Dem Käufer könne man den Aufhebungsanspruch aber nur aufgrund von spezifischen Kriterien zugestehen. Deren EinfUgung würde ein Gesetz kompliziert und zugleich unvollständig machen. Zudem schade der Anspruch dem Fiskus. Denn der im Vertrag angegebene Kaufpreis werde niedriger sein, als der tatsächlich Locre VII 30. Tronchet in Locre VI I 00. m Tronchet in Locre VII 56. Portalis dagegen behauptete, die Rechtsprechung habe sich gefestigt und auch dem Käufer die Reszissionsklage gestattet, vgl. Portalis in Locre VII 57. m Locre VII 56. 359 Locre VI I 00. 860 Portalis in Locre VII 56. 855

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gezahlte. Die falsche Angabe des Preises in Kaufverträgen erschwere zudem die Erbauseinandersetzung, da der wahre Wert des Grundstücks unklar bleibe. 861 Niemand trat Napoleons Auffassung entgegen. Daraufhin wurde Artikel 104 beschlossen und als Artikel 1683 in den Code civil aufgenommen. 862 Hier unterlag Portalis mit seiner Auffassung.

5. Vierzehnter Titel "Von der Bürgschaft"- Artike12020 Code civil Im Bürgschaftsrecht, bei der Diskussion des Entwurfs zu Artikel 2020 Code civil, standen sich die Lehre Potbiers und die Regelung des römischen Rechts gegenüber. Der Staatsrat mußte entscheiden, ob ein Schuldner, der sich vertraglich verpflichtete, zur Sicherung einer Forderung (irgend-)einen Bürgen zu stellen, bei nachträglich eintretender Insolvenz des bestellten Bürgen verpflichtet war, einen neuen (solventen) Bürgen zu stellen. Artikel 10 des Entwurfs folgte dem römischen Recht863 und verneinte eine derartige Pflicht des Schuldners: Artikel I0 des Entwurfs: "Lorsque le debiteur a volontairement donne une caution, sans y etre tenu par Ia loi ni par une condamnation, le creancier qui a reryu une caution dont il s'est contente, ne peut plus en demander d'autre, quand meme elle deviendrait insolvable. " 864

Artikel 10 widersprach der Lehre Pothiers. Pothier865 unterschied zwischen der unbestimmten vertraglichen Pflicht, (irgend-) einen Bürgen zu stellen (caution indeterminee) und der Pflicht, eine bestimmte Person als Bürgen zu stellen (caution determinee): Bestehe eine unbestimmte Verpflichtung und stelle der Schuldner einen (solventen) Bürgen, der anschließend insolvent werde, dann müsse der Schuldner einen neuen (solventen) Bürgen stellen. Sei die Forderung dagegen von vorneherein durch einen Bürgen garantiert worden oder habe nur die vertragliche Verpflichtung bestanden, eine bestimmte Person als Bürgen zu stellen, und werde diese Person insolvent, so bestehe keine Pflicht zu Bestellung eines neuen Bürgen. 866 Regnaud schlug vor, die vorgesehene Regelung durch Potbiers Lehre zu ersetzen. 867 Gegen diesen Vorschlag wandte sich Berlier. Er lehnte die Lehre Pothiers ab und begründete seine Ablehnung mit dem Willen der Parteien: Derjenige, der Napoleon in Locre VII 57. Locre VII 57. 863 Maleville IV 119. 864 Locre VII 400. Artikel I 0 hatte die Gesetzgebungssektion ausgearbeitet. Der Entwurf der Code civii-Kommission hatte die Pflicht des Schuldners, einen neuen Bürgen zu stellen, dagegen bejaht; vgl. 3. Buch, 5. Titel, Artikel 27 des Entwurfs der Code civilKommission, in Fenet II 211. 865 Pothier, Traite des obligations, Rn. 392 (S. 167). 866 Maleville IV 119. 867 Regnaud in Locre VII 402. 861

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sich verpflichte, einen Bürgen zu stellen, willige ein, daß dieser Bürge zahlungsflihig sein müsse. Zugleich werde dem Gläubiger das Recht eingeräumt, die Zahlungsflihigkeit des Bürgen zu überprüfen. Der Gläubiger könne den Bürgen annehmen oder ablehnen. Es sei ohne Bedeutung, ob eine bestimmte Person sogleich im Vertrag oder erst nachträglich als Bürge vereinbart werde. Denn ergänze nicht die nachträgliche Annahme des Bürgen den Vertrag? Die unbestimmte Verpflichtung, einen Bürgen zu bestellen, unterscheide sich nur solange von der Verpflichtung, eine bestimmte Person als Bürgen zu stellen, bis der Gläubiger den vorgeschlagenen Bürgen akzeptiere. Von diesem Moment an seien beide Verpflichtungen vollkommen identisch. Mit der freien und unbedingten Annahme eines Bürgen durch den Gläubiger trete uneingeschränkt Erfullung ein. Das Gesetz dürfe nicht mehr verlangen, als die Vertragsparteien gewollt hätten. 868 Akzeptiere der Gläubiger den Bürgen, den man ihm vorgeschlagen habe, und werde der Bürge zahlungsunfahig, so habe der Gläubiger dies sich selbst zuzuschreiben. 869 Portalis dagegen hielt Pothiers Lehre fur interessengerecht Wie Berlier argumentierte auch er mit dem Vertragszweck und dem Willen der Parteien. Er kam jedoch zu einem anderen Ergebnis als Berlier. Vertragszweck, meinte Portalis, sei die Bestellung einer generellen, filr die gesamte Laufzeit des Vertrages ausreichenden Garantie. Dieser Vertragszweck werde nicht mit der einmaligen Bestellung eines Bürgen erfilllt. Dadurch unterscheiden sich caution determinee und caution indeterminee voneinander: "Lorsqu'on stipule une caution indeterminee, on entend stipuler une garantie qui soit suffisante pendant toute Ia duree de l'obligation. Ainsi quoique Je creancier se contente de celle qui lui est offerte, Je debiteur dependant n'est point affranchi de l'engagement general de donner une garantie. Au contraire, dans Je cas de Ia caution determinee, Ia garantie est determinee elle-meme."870 Das Risiko der Insolvenz des Bürgen wies Portalis dem Schuldner zu, weil der Gläubiger eine dauerhafte Garantie gewollt habe: "Mais au risque de qui court Je dangerde l'insolvabilite? Ce ne peut-etre contre celui qui a entendu s'assurer une garantie, et au profit du debiteur. Le creancier, en effet, ne l'a exigee qu'a son profit et parce qu'il ne voulait point suivre Ia foi de ce debiteur: ainsi l'obligation de founier une garantie subsiste pour lui, lorsque Ja caution qui a ete acceptee devient insolvable."871 Hier stellte Portalis einseitig auf die Position des Gläubigers ab. Bigot-Preameneu gab zu bedenken, daß es filr den Schuldner außerordentlich schwer sei, einen Bürgen zu finden, der die gesetzlichen Anforderungen erfillle.872 Einen Schuldner, der diese schwierige Aufgabe einmal gelöst habe, Berlier in Locre VII 403. Treilhard und Berlier in Locre VII 402. 870 Portalis in Locre VII 403; vgl. auch Treilhard, expose de motifs, in Locre VII 417. 871 Portalis in Locre VII 403. 872 Vgl. Artikel 9 des Entwurfs (vgl. Artikel 2019 Code civil): "La solvabilite d'une caution ne s'estime qu'en egard a ses proprietes foncieres, excepte en matiere de commerce ou lorsque Ia dette est modique. On n'a point egard aux immeubles litigeux, 868

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sollten nicht weitere Pflichten treffen. Indem der Gläubiger den Bürgen akzeptiere, übernehme er das Insolvenzrisiko. Daher sei die Regelung des Entwurfs der Code civil-Kommission vorzugswürdig. Portalis lies das nicht gelten. Er meinte, die Nachsicht des Gläubigers bei der Annahme des Bürgen dürfe nicht bestraft werden: "Il ne serait pas juste, au contraire, de toumer contre le creancier l'indulgence avec laquelle il a traite le debiteur, en ne discutant pas avec assez de severite la caution qui lui etait presentee. C'etait acelui-ci achoisir la caution la plus sfue."173 Die Staatsräte übernahmen Portalis' Vorstellungen. Sie lehnten Artikel 10 des Entwurfs ab und beschlossen die von Portalis gewünschte Regelung:

"Lorsque Ja caution qui a ete re~ue est devenue depuis insolvable, celui qui l'a offerte est oblige d'en donner une autre. Cette regle re~oit exception lorsque Ia caution n'a ete donnee qu'en vertu d'une convention par laquelle Je debiteur s'etait oblige de donner une teile personne pour caution. " 874

Diese Regelung wurde, abgesehen von redaktionellen Änderungen, als Artikel 2020 in den Code civil übemommen.m Portalis konnte seine Auffassung also durchsetzen.

6. Achtzehnter Titel "Von den Privilegien und den Hypotheken" Drittes Kapitel "Von den Hypotheken" Sollte das Hypothekenrecht die Grundsätze von Publizität876 und Spezialität877 vorsehen? Diese grundlegende Frage wurde zum achtzehnten Titel heftig diskutiert. Spezialität und Publizität hängen eng miteinander zusammen. Nur beide Grundsätze zusammengenommen bieten Hypothekengläubigem die Möglichkeit, zuverlässig die hypothekarische Belastung eines Grundstücks und damit den wirtschaftlichen Wert einer Hypothek an dem Grundstück festzustellen. 871 Bis zum lokrafttreten des Code civil hatte Frankreich sehr verschiedene Hypothekensysteme gekannt. Im Staatsrat entbrannte eine Diskussion darüber, ou dont Ia discussion deviendrait trop difficile par l'eloignement de leur situation." Locre VII 400. 873 Portalis in Locre VII 404. 874 Locre VII 404. m Vgl. Artikel2020 Code civil in Locre VII 393. 876 Publizität bedeutet, daß eine Hypothek erst mit der Eintragung in ein jedermann zugängliches Register wirksam wird. 877 Spezialität bedeutet, daß eine Hypothek nur zur Sicherung bestimmter Forderungen und nur auf genau bezeichnete Grundstücke bestellt werden kann; Theewen, S. 225. 878 Laurent, Band 30, Rn. 162 (S. 141 ).

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welches dieser Systeme übernommen werden sollte. Zum besseren Verständnis der Debatte werden die verschiedenen Systeme zunächst vorgestellt und erst danach die Debatten des Staatsrats dargelegt. a) Das römische Hypothekenrecht

Nicht nur das droit ecrit, auch ein Großteil der coutumes folgten ursprünglich dem römischen Recht. Dieses kannte keinen Publizitätsgrundsatz, und die Spezialität war durchbrochen. Für das Pfandrecht an beweglichen und unbeweglichen Sachen galten grundsätzlich die gleichen Regeln. 879 Das Pfand war ein einheitliches Institut. Es wurde durch einfachen, d.h. formfreien 880 Vertrag bestellt. Besitzübergabe war auch ftlr Mobilien nicht erforderlich. Register gab es nicht. Die Bestellung des Pfandes setzte eine zu sichemde Forderung voraus, d.h. das Pfandrecht war akzessorisch. Der Pfandgläubiger war durch dingliche Klagen geschützt. Er konnte bei Pfandreife Einräumung des Besitzes der Pfandsache verlangen und sich aus ihr fiir seine Forderung befriedigen. Den Rang mehrerer Pfandrechte an der gleichen Sache bestimmte die Zeit ihrer Bestellung. Diese Regel wurde allerdings im spätrömischen Recht durch eine Reihe von Ausnahmen durchbrochen. 881 Denn neben vertraglichen Hypotheken gab es gesetzliche Generalhypotheken am gesamten Vermögen des Schuldners, z.B. ftlr Mündelansprüche gegen den Vormund an dessen Vermögen, ftlr den Vermächtnisnehmer an allem, was der mit dem Vermächtnis Beschwerte aus der Erbschaft erlangte, fiir die EhefrauamMannesvermögen wegen ihrer Forderung auf Herausgabe der Mitgift, der Eheschenkung und der parapherna.m Ferner ließ das römische Pfandrecht die Belastung des zukünftigen Vermögens zu. 883 b) Das Hypothekenrecht der pays de nantissement

Im Norden Frankreichs, in den von Belgien eroberten884 pays de nantissement, galt lange Zeit ein ganz anderes Hypothekenrecht, das fiir vertragliche Hypotheken sowohl Publizität als auch Spezialität gewährleistete.885 Publizität

879 Die Einteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen hatte im älteren römischen Recht nur eine begrenzte Bedeutung, etwa bei den Ersitzungsfristen, beim Besitzschutz. Sie trat aber in der nachklassischen Zeit stärker hervor, etwa bei der Form des Grundstückskaufs. Grundsätzlich wurden besitzlose Pfandrechte (hypotheca) an Grundstücken wie an beweglichen Sachen bestellt; Kaser, § 31 III 2 a (S. 142). 88°Kaser, § 31 III 2 a (S. 142). g81 Coing, Europäisches Privatrecht, Band 2, S. 414. 882 Kaser, § 31 III 2 b (S. 143 f.); vgl. auch Bigot-Preameneu in Locre VIII 146 f. 883 Laurent, Band 30, Rn. 163 (S. 141 ff.). 884 Laurent, Band 30, Rn. 164 (S. 143). 885 Viollet, S. 738.

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wurde durch ein ilinnliches Verfahren sichergestellt: 886 Der Gläubiger legte seinen Vertrag den Beamten des hohen Gerichtsherrn (seigneur haut justicier) vor und forderte ihn auf, ihm ein Pfandrecht zu geben. Man vennerkte die Verpfändung auf der Rückseite des Titels und registrierte sie in der Gerichtskanzlei des Ortes in Register, die jeder einsehen konnte. 887 Das Pfandsystem (systeme de nantissement) stellte auch Spezialität her. Denn nur die Verpfändung eines bestimmten Grundstücks war möglich, nicht aber die Verpflindung aller Grundstücke, die man besaß oder in Zukunft besitzen werde. 888 Allerdings kannte auch das systeme de nantissement gesetzliche Hypotheken. Insofern war das Publizitätsprinzip durchbrochen. 889 c) Das Edikt von 1771

Wiederholt versuchten die Könige, ein einheitliches Hypothekengesetz zu schaffen. Sie wollten "Licht in das Chaos"890 bringen und versuchten mit Edikten von 1581 und 1673, die Publizität der Hypotheken herzustellen. 891 Diese Versuche scheiterten jedoch am Widerstand des Adels, der verhindem wollte, daß seine Vennögensverhältnisse - insbesondere das Maß der Belastung seines Vennögens mit Hypotheken - offengelegt wurden.892 Der größte Teil des Adels hatte mehr Schulden als Vennögen und hätte keine Kredite mehr erhalten, wenn seine Gläubiger das Maß seiner Verschuldung gekannt hätten. 893 Daher wurden die Edikte von 1581 und 1673 nie konsequent durchgesetzt und bald widerrufen. 894 Erst das Edikt von 1771 schuf dauerhaft ein einheitliches Hypothekenrecht Es übernahm das römische Recht mit einigen Änderungen. Anders als im römischen Recht mußte die vertragliche Hypothek in einer öffentlichen Urkunde vereinbart werden. 895 Zudem sollten alle Belastungen in ein Register eingetragen werden. Diese Eintragung war jedoch nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Hypothek. Die Publizität von Hypotheken war daher nicht gesichert.K96 Das 886 Örtlich galten unterschiedliche Verfahren, die aber alle dem gleichen Prinzip folgten. 887 Laurent, Bd. 30, Rn. 164 (S. 143); Viollet, S. 738. 888 Brissaud, S. 1511. 889 Viollet, S. 745; Brissaud, S. 1515. 890 Brissaud, S. 1518. 891 Viollet, S. 738. 892 Vgl. Sagnac, S. 205 m.w.N. 893 Laurent, Band 30, S. 145 (Rn. 165). 894 Zum Edikt von 1581, widerrufen 1588, siehe Bigot-Pn!ameneu in Locre VIII 148 f.; Laurent, Band. 30, Rn. 165. Vgl. zur Geschichte des Hypothekenrechts im Ancien Regime Edgar Blum, Les Essais de reforme hypothecaire SOUS I' Ancien Regime, Paris 1913. 895 Laurent, Band 30, Rn. 163 (S. 141 ). 896 Laurent, Band 30, Rn. 165 (S. 144); Viollet, S. 746; Brissaud, S. 1518.

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Edikt von Juni 1771 erklärte diese Rechtslage zum geltenden Recht fiir ganz Frankreich und beendete die Rechtszersplitterung. 897 Das ancien droit stimmte also seit 1771 grundsätzlich mit dem römischen Recht überein, wich aber in folgenden Punkten von ihm ab: Im Gegensatz zum römischen Recht ließ es keine Mobiliarhypotheken zu und verlangte einen förmlichen Vertrag. Zudem ließ es Zwangshypotheken (hypotheques judiciaires)898 und die Ablösung von Hypotheken (purge und lettres de ratification899) zu. 900 Einem Hypothekengläubiger war es nach ancien droit aber nicht möglich, sich über bereits bestehende Belastungen eines Grundstücks zuverlässig Kenntnis zu verschaffen. Er mußte seinem Schuldner vertrauen. 901 d) Das Revolutionsrecht- das Gesetz vom 1. November 1798 (1 1. Brumaire VII)

Die durch das Edikt von 1771 hergestellte Rechtslage galt bis zum Gesetz vom 1. November 1798 (11. Brumaire VII). 902 Dieses Gesetz fiihrte Publizität und Spezialität in das Hypothekenrecht ein. 903 Zur Herstellung von Publizität fiihrten die conservateurs des hypotheques ein Hypothekenregister. Ausnahmslos mußten alle Hypotheken eingetragen werden. 904 Gesetzliche Hypotheken waren damit nicht mehr möglich. 905 Das Gesetz stellte auch Spezialität her, indem es bestimmte, daß in Zukunft nur noch im Betrag feststehende Forderungen durch Hypotheken an bestimmten Grundstücken gesichert werden könnten. 906 Mit dem Gesetz vom 1. November 1798 vollbrachten die

V gl. Laurent, Band 30, Rn. 162 (S. 141 ). Dazu Viollet, S. 742. 899 Fast alle Grundstück waren mit Hypotheken belastet. Denn jeder notariell beurkundete Vertrag begründete eine Generalhypothek an den Grundstücken des Schuldners. Da die Existenz dieser Hypotheken nicht publik war, riskierte selbst der umsichtigste Grundstückskäufer, das Grundstück an einen, selbst dem Verkäufer unbekannten Hypothekengläubiger zu verlieren und dies auch lange Zeit nach dem Kauf. Unter diesen Umständen waren Rechtsgeschäfte mit Immobilien fast unmöglich. Dem sollte die sog. purge abhelfen. Sie ermöglichte es dem Käufer, die Immobilie von ihren Belastungen zu befreien, indem er die Gläubiger aufforderte, sich zu melden und ihnen den Kaufpreis zahlte. Näheres zur purge bei Brissaud, S. 1517. 900 Brissaud, S. 1510. 901 Vgl. Viollet, S. 745. 902 Bereits am 27. Juni 1795 hatte der Konvent ein Hypothekengesetz beschlossen. Dieses Gesetz wurde jedoch nicht promulgiert. Zu den Gründen siehe Sagnac, S. 207. 903 Sagnac, S. 345. 904 Viollet, S. 746; Brissaud, S. 1519. Schubert dagegen meint, das Gesetz habe zwar die Eintragung der Legalhypotheken der Ehefrauen verlangt, aber einige Legalhypotheken von der Eintragungsptlicht ausgenommen; Schubert, S. 408, Fn. 223. 905 Viollet, S. 746. 906 Laurent, Band 30, Rn. 168 (S. 147); Brissaud, S. 1519. 897 898

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E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

Revolutionäre, was die Könige über Jahrhunderte hinweg nicht zu verwirklichen vermocht hatten. e) Artikel 2121 ff. Code civil Der Entwurf der Code civil-Kommission wollte das System des Edikts von 1771 wiederherstellen. Er sah gesetzliche Hypotheken und Generalhypotheken vor und entsprach insofern nicht den Grundsätzen der Spezialität und Pub1izität.907 Im Staatsrat bestand alles andere als Einigkeit über diesen Entwurf. Jede denkbare Lösung wurde vertreten. Zwar erkannten alle Staatsräte die Vorteile eines Systems, das Spezialität und Publizität garantiert. Viele Staatsräte waren aber der Ansicht, daß die Nachteile eines solchen Systems seine Vorteile überwögen. Während Tronchet908 und Bigot-Preameneu909 ftlr die Wiederherstellung der Regelung des Edikts von 1771 eintraten, verlangte Treilhard910 die Beibehaltung des durch das Gesetz vom I. November 1798 geschaffenen Rechts. Portalis nahm eine Sonderrolle ein und plädierte als einziges Staatsratsmitglied filr das System des römischen Rechts. Gegen das Spezialität und Publizität sichemde System des Gesetzes vom I. November 1798 wurde eingewandt, es halte filr die gesetzlichen Hypotheken keine zufriedenstellende Regelung bereit. Nach dem Edikt von 1771 bestanden gesetzliche Hypotheken z.B. zugunsten der Ehefrauen zur Sicherung ihrer Ansprüche gegen den Ehemann (auf Rückzahlung der dos), des Mündels zur Sicherung zukünftiger Ansprüche gegen den Vormund, des Staates gegen seine Bediensteten. Da diese Hypotheken von Rechts wegen, also ohne Eintragung bestanden, durchbrachen sie das Prinzip der Publizität. Daher überlegte man, den Vormund bzw. die Unterzeichner der Heiratsurkunde zur Eintragung einer Hypothek zugunsten der Ehefrau zu verpflichten. Nach Ansicht Tronchets bot aber auch diese Lösung der Ehefrau keinen ausreichenden Schutz. Zur Begründung bildete er das Beispiel des Ehemanns, der bei der Hochzeit keinerlei Immobilien besitzt. Wenn der Mann später Immobilien erwerbe, sei die Eintragung einer Hypothek erforderlich. Der verschwenderische Ehemann - und gerade gegen diesen solle die Hypothek die Ehefrau schützen - werde seine Frau erst gar nicht in die Änderung seiner Vermögensverhältnisse einweihen. Und selbst wenn die Ehefrau davon erfahre, sei es ihr nur schwer möglich, die Eintragung einer Hypothek herbeizufilhren. Sie sei zum einen nicht im Besitz der Heiratsurkunde. Zum anderen verfilge sie von Rechts wegen nicht über die zur Begleichung der Eintragungskosten notwendigen Mittel. Erreiche sie aber

Vgl. 3. Buch, 6. Titel, Kapitel2 ff. in Fenet II 215 ff. Tronchet in Locre VIII 174 ff. 909 Vgl. Bigot-Preameneus ausfUhrliehe Stellungnahme in Locre VIII 146 ff. 910 Treilhard in Locre VIII 167. 907 908

V. Drittes Buch "Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben"

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trotz aller Hindernisse die Eintragung, so entstehe deshalb ein Streit, der zur Trennung der Eheleute filhre. 911 Außerdem, fuhr Tronchet fort, sei es unmöglich, die Forderung der Ehefrau in der Höhe festzulegen. Spezialität könne nicht hergestellt werden. Denn eine Frau, deren gegenwärtige Forderung sich nur auf 3000.-- Francs belaufe, könne Werte erben, die die Forderung auf 200.000-- Francs erhöhten. Die Forderungssumme könne auch nicht vorweg auf einen fixen Betrag festgesetzt werden, wie zum Teil vorgeschlagen worden sei. Denn dies widerspreche dem Kern des Ehevertrages, nach dem der Ehemann uneingeschränkt zur Rückerstattung des gesamten, der Frau anfallenden Vermögens verpflichtet sei.912 In gleicher Weise seien die Forderungen des Staates gegen seine Bediensteten oder des Mündels gegen seinen Vormund nicht voraussehbar. 913 Ferner sei nicht ersichtlich, weshalb Hypotheken auf Grundstücke, die in der Zukunft erworben würden, unzulässig sein sollten, während zukünftige Mobilien belastet werden könnten. Zudem verursache das EintTagungsverfahren hohe Kosten. 914 Die Ablehnung eines System, das Publizität garantiert, wurde auch damit begründet, daß die Eintragung mit Schwierigkeiten verbunden sei: Wenn sich der Rechtserwerb infolge des EintTagungsverfahrens verzögere (man sprach von etwa vier Tagen), bestehe ftlr den Gläubiger filr diesen Zeitraum Unsicherheit darüber, ob ihm ein anderer Gläubiger zuvorkomme. Das Gesetz, das ihn zwinge, die Hypothek einzutragen, biete ihm keinen Schutz vor Betrug. Im Falle eines Darlehens setze der Erwerb der (akzessorischen) Hypothek die Auszahlung des Darlehens voraus. Die Hypothek entstehe aber erst mit der Eintragung. Das Mittel, mit dem die Gegenauffassung dem zu entgehen suche, sei "falsch." Man nehme die Auszahlung an den Entleiher an, wenn das Darlehen bei einem Notar hinterlegt worden sei, um nach der Eintragung an ihn ausgezahlt zu werden. Dies sei nicht praktikabel und schütze den Darlehensgeber nicht vor Betrug. Nicht alle Notare seien ehrlich! Und in den Händen der Notare sei das Geld dem Zugriff ihrer Gläubiger ausgesetzt.915 Portalis trug seine eigenständige Lösung vor. Er sprach sich dafilr aus, das System des römischen Rechts zu übernehmen. Es sei einfach und entspreche der Natur privatrechtlicher Vereinbarungen, weil es Verträgen Geltung verschaffe, ohne daß der Staat durch die Eintragung mitwirken müsse. Portalis meinte, die Grundlage von Verträgen sei allein das Vertrauen in den Vertragspartner. "Ce systeme etait ... fonde sur Ia nature des choses. La societe est composee d'hommes qui traitent les uns avec les autres, mais les transactions n'ont lieu qu'entre !es individus qui se connaissent, qui ont pris sur leur fortune et sur leur probite respective tous !es renseignemens que Ia prudence commande. Si Ia loi Tronchet in Locre VIII 175; vgl. auch Bigot-Preameneu in Locre VIII 154. Tronchet in Locre VIII 175. 91 3 Bigot-Preameneu VIII 151. 914 Tronchet in Locre VIII 176. 915 Tronchet in Locre VIII 175. 911

912

E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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intervient pour !es proteger, leurs affaires, qui ne sont que privees, prennent aussi-töt Je caractere d'affaires publiques, et, en !es soumettant a des regles, on empeche certainement beaucoup d'alliances, beaucoup de contrats qui n'ont rien de commun avec Je pret. Le systeme Je plus nature! et Je plus simple est donc de laisser chacun veiller par lui-meme a ses interets, et ehereher principalement sa surete dans Ia moralite de ceux avec lesquels il contracte. " 916 Portalis wußte, daß keiner der Staatsräte seine Ansicht teilte und er daher keine Aussicht hatte, seine Auffassung durchzusetzen. Daher nahm er auch zu den beiden anderen Systemen Stellung.917 Das Edikt von 1771, filhrte er aus, verspreche Sicherheit, die es nicht gebe, weil es keine Publizität schaffe. Daher ziehe er das System des Gesetzes vom 11. Brumaire vor. Allerdings solle es nicht filr gesetzliche Hypotheken der Ehefrauen und der Mündel gelten.918 Nur fiir vertragliche Hypotheken solle das System des Gesetzes vom 11. Brumaire gelten. Und zur Spezialität bemerkte er: "Quant a Ia specialite, on peut l'admettre a l'egard de tous les engagemens, si ce n'est ceux qui, de leur nature, sont indetennines."919 Portalis meinte, gesetzliche Hypotheken seien ohnehin bekannt, bedürften also keiner weiteren Veröffentlichung. Jeder wisse, ob sein Vertragspartner verheiratet oder Vonnund sei. "Les inscriptions sont inutiles pour etablir Ia publicite des hypotheques legales, puisqu'elles existent par Ia notoriete du fait du mariage et de Ia tutelle. Ces precautions seraient meme dangereuses. Le moment ou l'on s'occupe des apprets du mariage est Je moment de Ia confiance entre !es epoux. Peut-etre que l'alterer alors, ce serait Ia detruire a jamais. Ce serait meme compromettre !es interets de Ia femme et des enfans, et operer leur ruine, que de faire crouler, pour un simple defaut de fonnalite, Je contrat de mariage, qui devient Je fondement de Ia famille." 920 Und er filgte hinzu, jedermann könne in die Gerichtskanzlei gehen und feststellen, wer zum Vonnund ernannt worden sei. Dies sei ebenso leicht wie die Einsicht des Hypothekenregisters. 921 Zudem, fuhr Portalis fort, könnten die gesetzlichen Hypotheken nicht dem Spezialitätsgrundsatz unterliegen. Denn die Forderung der Ehefrau sei von Natur aus unbestimmt: "Si c'est Ia specialite qu'on veut obtenir, elle est impossible, puisqu'il s'agit de droits qui ne sont pas encore fixees, et qui peuvent naitre d'evenemens posterieurs ... A l'egard de Ia specialite, comment l'etablir, lorsque I'hypotheque a pour objet une gestion indetenninee?"922 Portalis wies auch auf die Bedeutung der gesetzlichen Hypotheken hin. Er meinte, das öffentliche Portalis Portalis 91 x Portalis 919 Portalis 920 Portalis 921 Portalis 922 Portalis

916 917

in in in in in in in

Locre VIII Locre VIII Locre VIII Locre VIII Locre VIII Locre VIII Locre VIII

176. 176. 176. 177. 176 f. und 181. 182. 182.

V. Drittes Buch "Von den verschiedenen Arten, Eigentum zu erwerben"

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Interesse am Schutz der Ehefrau und des Mündels gehe den Interessen der vertraglichen Hypothekengläubiger vor. "Elle [l'hypotheque legale, Anm. des Verf] est etablie, non pour Je droit de l'individu, mais pour l'interet public. I1 importe a !'Etat que Ia dot des femmes, que Je patrimoine des mineurs, soient conserves. La loi est donc intervenue pour remplir directement cet objet par l'hypotheque qu'elle etablit. Ce serait Ia degrader et tromper sa sollicitude, que de ne pas se contenter de sa volonte supreme, et d'exiger un fait particulier. L'hypotheque qu'elle cree ne doit pas seulement etre legale dans Je mot, elle doit etre encore legale dans Ia chose. Tous !es inconveniens qu'on oppose a cette doctrine n'ont pas l'importance qu'on leur prete."923 Auch Treilhard wog die Interessen der Frauen und der Mündel gegeneinander ab, kam aber zum entgegengesetzten Ergebnis. "Quelque sacres que soient l'interet de Ia femme et de celui du mineur, ils ne doivent pas cependant absorber tout autre interet."924 Treilhard forderte ein System, das Spezialität und Publizitiät streng verwirklicht. Er forderte daher auch die Abschaffung von Legalhypotheken, konnte sich aber nicht durchsetzen. Denn am Schluß der Sitzung vom 9. Februar 1804 entschied der Staatsrat, daß (1.) fiir alle Hypotheken der Publizitätsgrundsatz gelten, (2.) jede vertragliche Hypothek dem Spezialitätsgrundsatz unterliegen und (3). die Sicherheit der Ehefrau und des Minderjährigen der Sicherheit der Erwerber und Darlehensgeber vorgehen solle.925 Zwar konnte Portalis das System des römischen Rechts nicht durchsetzen. Er errang aber einen Teilerfolg, da zugunsten der Ehefrau und des Mündels gesetzliche Hypotheken vorgesehen wurden, fiir die im Unterschied zu den vertraglichen Hypotheken nach Artikel 2135 Code civil weder Publizität noch Spezialität galt. Artikel 2121 Code civil: "Les droits et creances auxquels I'hypotheque legale est attri buee, sont, Ceux des femmes mariees, sur !es biens de leur mari; Ceux des mineurs et interdits, sur les biens de leur tuteur; Ceux de Ia nation, des communes et des etablissements publics, sur les biens des receveurs et administrateurs comptables." 926 Artikel 2134 Code civil: "Entre les creanciers, l'hypotheque, soit legale, soit judiciaire, soit conventionelle, n'a de rang que du jour de l'inscription prise par le creancier sur les registres du conservateur, dans Ia forme et de Ia maniere prescrites par Ia loi, saufies exceptions portees en l'article suivant." Portalis in Locre VIII 181 f. Treilhard in Locre VIII 183. 925 Locre VIII 190. Diesem Beschluß folgten langwierige Beratungen über die Details der Regelung. An diesen Beratungen beteiligte sich Portalis nicht mehr; vgl. die Sitzungen vom 23., 25. Februar, 1., 5. und 15. März 1804 in Locre VIII 191-234. 926 Locre VIII 122. 923

924

E. Die Staatsratsdebatten zum Code civil

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Artikel 2135 Code civil: "L'hypotheque existe, independamment de toute inscription, I o Au profit des mineurs ou interdits, sur Ies immeubles appartenant a Ieur tuteur, a raison de sa gestion, du jour de I' acceptation de Ia tutelle; 2° Au profit des femmes, pour raison de leurs dot et conventions matrimoniales, sur !es immeubles de leur mari, et a compter du jour du mariage. La femme n'a hypotheque pour !es sommes dotales qui proviennent de successions a elle echues, ou de donations a elle faites pendant Je mariage, qu'a compter de l'ouverture des successions, ou du jour que !es donations ont eu leur effet. Elle n'a hypotheque pour l'indemnite des dettes qu'elle a contractees avec son mari, et pour le remploi de ses propres alienes, qu'a compter du jour de l'obligation ou de Ia vente. Dans aucun cas, Ia disposition du present article ne pourra prejudicier aux droits acquis a des tiers avant Ia publication du present titre." 927

Bei Legalhypotheken war die Eintragung nach Artikel 2135 Code civil nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Nach Artikel 2136 ff. Code civil bestand aber eine Eintragungspflicht, deren Verletzung mit erheblichen Sanktionen belegt war. 921

927 928

Locre VIII 124 f. Vgl. Art. 2136 ff. Code civil in Locre VIII 125 f

F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung Portalis hat sich im Staatsrat nicht zu jeder Frage und jedem Artikel des Code civil geäußert. Eher das Gegenteil ist der Fall: Er hat sich bei den Debatten zurückgehalten. Tronchet, Cambaceres, Bigot-Premaneu oder Maleville hatten erheblich größere Redeanteile als Portalis. Sie waren allzeit präsent. Und auch andere Staatsräte, etwa Treilhard oder Regnaud, beteiligten sich intensiver an den Debatten. Portalis dagegen meldete sich verhältnismäßig selten zu Wort. Zu manchen Titeln des Code civil nahm er überhaupt nicht Stellung. Dies gilt etwa ftlr die Debatten zum ersten Titel des zweiten Buchs ("Von der Unterscheidung der Sachen"). Hier äußerte sich Portalis nach den Protokollen kein einziges Mal. 1 Und in dem wichtigen Bereich des allgemeinen Vertragsrechts (Artikel I 001-1369 Code civil) ergriff Portalis in sechs Staatsratsdebatten, deren Protokolle mehr als sechzig Seiten umfassen, nur bei drei Gelegenheiten das Wort. 2 Zu den letzten Titeln des dritten Buchs finden sich, von den Debatten zum Hypothekenrecht abgesehen, kaum mehr Redebeiträge von ihm. Jedoch ist zu bedenken, daß die Diskussionen des Staatsrats mit Fortschreiten der Gesetzgebungsarbeiten immer kUrzer wurden.3 Weil Portalis sich nur in relativ geringem Maße an den Debatten des Staatsrats beteiligte, geben die Protokolle der Staatsratsdebatten kein vollständiges Bild von seinen zivilrechtliehen Auffassungen. Dennoch sind die Protokolle eine wichtige Quelle ftlr die Bewertung seines Anteils am Code civil. Denn bei den Debatten des Staatsrats vertrat Portalis nur seine eigene Meinung. In seinen expose de motifs, wo er einige Titel des Code civil der Gesetzgebenden Versammlung vorstellte, vertrat er dagegen die GesetzentwUrfe, die der Staatsrat beschlossen hatte, also Mehrheitsentscheidungen, die nicht mit seiner eigenen Auffassung Obereinstimmen mußten.

1 Vgl. Locre IV 16 ff. (1. Titel des 3. Buchs) und Locre IV 60 ff. (2. Titel des 3. Buchs). 2 Vgl. Locre VI 76, 98 und 101. 3 So wurde der letzte Titel des Code civil "Oe Ia prescription", der immerhin 62 Artikel (Artikel 2219-2281 Code civil) umfaßte, in nur zwei Sitzungen besprochen. Die Protokolle dieser Sitzungen umfassen nur knapp ftlnf Seiten, von denen der Text des Gesetzentwurfs bereits drei ausftlllt, die Diskussion des Entwurfs also nur etwa 2 Seiten einnimmt: vgl. Locre VIII 334 ff.

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F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung

Faßt man die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zusammen und fragt man, wo Portalis seine Vorstellungen verwirklichen konnte und wo nicht, so ergibt sich: Beim Präliminärtitel zum Code civil mußte Portalis hinnehmen, daß das eindrucksvolle, 35 Artikel umfassende "Präliminärbuch" des Urentwurfs, das aus seiner Feder stammte, arg zurechtgestutzt und seines Geistes beraubt wurde. Alle philosophischen, definitorischen, völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Bestimmungen des Urentwurfs wurden gestrichen. Übrig blieben nur sechs Artikel, die, in einem einzigen Titel zusammengefaßt, einige, das Zivilrecht besonders berührende Grundsatzfragen regelten. Auch bei der Debatte zu Artikel 1 Code civil, der das Irrkrafttreten von Gesetzen regelte, konnte Portalis seine Vorstellungen nicht durchsetzen. Nach seiner Auffassung sollten Gesetze in Frankreich nach Ablauf einer einheitlichen und fiir alle Landesteile gleichzeitig ablaufenden Frist in Kraft treten. Diese Regelung, mit der Portalis Gleichheit herstellen wollte, fand bei der Abstimmung des Staatsrats keine Mehrheit. Der Staatsrat setzte fiir jeden Landesteil individuelle Fristen fest. Durchsetzen konnte Portalis dagegen Artikel 4 Code civil, der dem Richter verbot, ein Urteil mit der Begründung zu verweigern, die Gesetze regelten den ihm vorliegenden Fall nicht oder nicht eindeutig. Damit war das Institut des rejere au legislateur abgeschafft. Im ersten Titel des ersten Buchs unterstützte Portalis Napoleon, der vorgeschlagen hatte, im Staatsangehörigkeitsrecht den Grundsatz des ius soli zu übernehmen. Dieser Vorschlag setzte sich zwar im Staatsrat durch. Infolge der Anmerkungen des Tribunats wurde das Prinzip des ius soli jedoch abgeschwächt: Nach Artikel 9 Code civil konnten Kinder, die in Frankreich geboren und deren Eltern Ausländer waren, die französische Staatsbürgerschaft zwar erlangen. Sie mußten sie aber bei ihrer Volljährigkeit beantragen und entweder in Frankreich wohnen oder ihre Absicht erklären, sich in Frankreich niederzulassen und diese Absicht innerhalb eines Jahres realisieren. Keinen Erfolg im Code civil hatten Portalis' Bemühungen, die zivilrechtliehen Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung zur Deportation zu mildem. Nach dem ersten Entwurf sollte eine Verurteilung zur Deportation den bürgerlichen Tod (mort civi/e) nach sich ziehen. Mit dem bürgerlichen Tod sollte der Verurteilte zur Eingebung einer neuen Ehe und jedem anderen Rechtsgeschäft unfähig sein; seine vor der Verurteilung geschlossene Ehe sollte als gelöst gelten. Zwar beschloß der Staatsrat zunächst auf Portalis' Vorschlag hin, daß Deportierte fähig sein sollten, am Deportationsort eine Ehe einzugehen, und daß die aus dieser Ehe hervorgehenden Kinder ehelich sein sollten. Dieser Beschluß ging aber nicht in den Code civil ein, weil die Strafgesetze die Deportation noch nicht geregelt hatten und der Code civil ihnen nicht vorgreifen sollte.

F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung

221

Mit Erfolg forderte Portalis die Streichung von Artikel 28 des vierten Entwurfs zum ersten Titel. Nach Artikel 28 sollte vermutet werden, daß Verkäufe, die ein zum bürgerlichen Tod Verurteilter tätigte, nachdem er angeklagt worden war. betrügerisch waren. Hier milderte Portalis die zivilrechtliehen Folgen einer Anklage und Verurteilung wegen einer mit dem bUrgerliehen Tod sanktionierten Straftat. Bei den Debatten zum dritten Titel kritisierte Portalis den Vorschlag Tronchets, den zivilrechtliehen Wohnsitz an den politischen Wohnsitz zu koppeln. Wie bei der Diskussion zu Artikel 1 berief sich Portalis auf die Idee der Gleichbehandlung. Hier setzte sich die von ihm vertretene Auffassung durch. Nach Artikel 102 Code civil war der Hauptwohnort (principa/ etab/issement) der zivilrechtliche Wohnsitz. Auf den politischen Wohnsitz kam es nicht an. Im Verschollenenrecht sah Artikel 4 des zweiten Entwurfs vor, daß die erstinstanzliehen Gerichte Maßnahmen zum Schutz des Vermögens von Abwesenden, die keine Verschollenen waren, treffen können. Gegen die Kritik Tronchets unterstUtzte Portalis Napoleons Idee, auch solche Personen zu schützen, die noch nicht verschollen waren. Portalis sprach sich ferner dafiir aus, den Richtern fUr Maßnahmen zugunsten Abwesender einen weiten Spielraum zu geben. Im Gegensatz zu Tronchet hatte er keine Bedenken, daß die Richter ihre Befugnisse mißbrauchen könnten, und zeigte so sein Vertrauen in die Justiz. In Artikel 112 Code civil wurde sein Vorschlag Ubemornrnen. Portalis beeinflußte auch die Artikel 121, 122 und 124 Code civil. In Artikel 121 f. wurde auch seine Forderung hin bestirnrnt, daß wer eine lange Abwesenheit voraussah, fiir bis zu zehn Jahre die Verwaltung seines Vermögens organisieren und damit die vorzeitige Besitzeinweisung seiner mutmaßlichen Erben verhindem konnte. Portalis förderte auch die Regelung des Artikel 124 Code civil, der es der Frau eines Verschollenen ermöglichte, die Verwaltung des Vermögens des Verschollenen anstelle der mutmaßlichen Erben zu übernehmen. Artikel 124 Code civil sah zugunsten der Ehefrau eine Ausnahme vom Grundsatz vor, daß die mutmaßlichen Erben vorläufige Besitzeinweisung verlangen können; er schützte den Bestand des Ehevertrags auch bei Verschollenheit eines Ehepartners. Portalis befilrwortete die Streichung des Artikels 3, Nr. 2 des ersten Entwurfs zum Eherecht, der eine Beweislastumkehr zu Lasten Taubstummer vorsah. Taubsturnrne sollten nur dann eine Ehe schließen dürfen, wenn sie ihre Fähigkeit, Willenserklärungen abzugeben, bewiesen. Auf seine Forderung hin wurde Artikel 3, Nr. 2 gestrichen. Im Eherecht verlangte Portalis aus moralischen Gründen Eheverbote zwischen Onkel und Nichte sowie Tante und Neffen, jeweils mit der Möglichkeit des Dispenses. Der Entwurf war den revolutionären Gesetzen gefolgt und hatte derartige Verbote nicht vorgesehen. Portalis konnte seine Forderung durchsetzen und so den Code civil im Sinne des ancien droit beeinflussen. In den Artikeln 162 - 164 Code civil wurde seine Auffassung verwirklicht.

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F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung

Zur Stärkung der elterlichen Autorität verteidigte Portalis erfolgreich die Regelung von Artikel 183 Code civil gegen Änderungsvorschläge. Artikel 183 Code civil ermöglichte es den Eltern, eine ohne ihre Zustimmung geschlossene Ehe ihres Kindes anzufechten, selbst wenn die Ehe schon länger bestand und ihr Kind inzwischen ein reifes Alter erreicht hatte. Auch hier vertrat Portalis die Position des ancien droit. Während er bei der Diskussion zu Artikel 183 Code civil eine strenge eherechtliche Regelung forderte und durchsetzte, trug er bei Artikel 15, Satz 3 des zweiten Entwurfs zum vierten Kapitel zur Milderung des Eherechts bei. Artikel 15, Satz 3 ermächtigte die Ordnungspolizei, Konkubinate aufzulösen, wenn die Partner sich als Eheleute ausgaben. Mit der Erwägung, daß eine solche Ermächtigung leicht zu einer Form der Inquisition ftlhre, erwirkte Portalis die Streichung der Eingriffsermächtigung gegen den Widerstand Tronchets. Zugleich setzte er sich dafilr ein, Kindern, deren Eltern als Eheleute zusammengelebt hatten und verstorben waren, den Beweis ihrer Ehelichkeit zu erleichtern. Zum Beweis der Ehe sollte es, wie im ancien droit, seiner Ansicht nach bereits ausreichen, daß sich die Ehe aus der Geburtsurkunde ergab. Artikel 197 Code civil ging über seine Forderung noch hinaus und ließ den Statusbesitz (possession d'etat) des Kindes ausreichen. Besondere Bedeutung kommt der Diskussion des Entwurfs zu Artikel 204 Code civil zu. Im Gegensatz zum droit ecrit gewährte das droit coutumier ehelichen Kindem keinen Anspruch auf Ausstattung (Mitgift) gegen ihre Eltern. Portalis befilrwortete, daß dem droit coutumier der Vorzug vor dem droit ecrit gegeben wurde. Während er sich sonst fiir die Übernahme des droit ecrit in den Code civil einsetzte, verteidigte er hier das droit coutumier. Er tat das aber nicht, weil er das droit coutumier in der Sache filr angemessener hielt, sondern weil er beftlrchtete, das droit ecrit, das einen Anspruch auf Mitgift gewährte, könnte in den Ländern des droit coutumier mißbraucht und zu Lasten des Vaters "ausgenutzt" werden. Sehr engagiert war er in den Debatten zum Scheidungsrecht Hier trat er durch seinen erschöpfenden, die Debatte zum Scheidungsrecht einleitenden Vortrag hervor. In der Sache setzte sich eine von ihm geteilte Auffassung durch. Die Scheidung wurde nur aus "bestimmten" Scheidungsgründen (causes determinees) zugelassen. Die "unbestimmten" Scheidungsgründe (causes indeterminees) der Unvereinbarkeit der Charaktere (incompatibi/ite d'humeur) und des beiderseitigen Einvernehmens (consentement mutuel) wurden dagegen abgelehnt. Nachdem die revolutionären Gesetze die Scheidung in das französische Recht eingefilhrt und fast völlig freigegeben hatten, konnte Portalis gegen den Willen Napoleons die Verschärfung des Scheidungsrechts erwirken und dadurch die Bindungswirkung des Ehevertrages erhöhen. Auch bei der Diskussion zu Artikel 295 Code civil trug Portalis zur Verstärkung der Wirkungen des Ehevertrages bei. Um Mißbräuche des Scheidungsrechts zu verhindern, sollte den Eheleuten verboten werden, sich erst

F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung

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scheiden zu lassen und dann einander erneut zu heiraten. Portalis befiirwortete diese Regelung, die in Artikel 295 Code civil Gesetz wurde. Um Eheleuten, die an die Unauflöslichkeit der Ehe glaubten, eine Trennung ohne Scheidung zu ermöglichen, setzte er sich außerdem erfolgreich daftlr ein, daß die Rechtsfigur der Trennung von Tisch und Bett in den Code civil aufgenommen wurde. Beim siebten Titel, der Vaterschaft und Abstammung regelte, hielt Portalis konsequent an der römischrechtlichen Regel pater is est fest. Der Grund: "parceque rien n'est plus equivoque que ce fait de Ia cohabitation."4 Die Regel pater is est, meinte er, solle auch bei bewiesenem Ehebruch der Frau oder, da die Medizin die Unfruchtbarkeit nicht sicher feststellen könne, bei der Behauptung der Unfruchtbarkeit des Mannes gelten. Der Rechtsprechung der Parlamente entsprechend wollte er dem Ehemann die Anfechtung nur gestatten, wenn seine Frau im "öffentlichen Konkubinat" gelebt hatte. Hier konnte er seine Auffassung nicht durchsetzen. Artikel 312 Code civil gestattete dem Mann die Anfechtung der Vaterschaft auch mit der Behauptung, er habe seiner Frau, weil er ihr räumlich fern gewesen sei, nicht beiwohnen können. Außerdem ließ Artikel 312 Code civil die Behauptung der unfallbedingten Unfruchtbarkeit zu. Portalis hatte auch hier die Beibehaltung des ancien droit gefordert. Bei Artikel 314 Code civil hingegen folgte der Staatsrat Portalis' Ansichten. Der Entwurf hatte vorgesehen, daß ein Kind, wenn es innerhalb von 186 Tagen nach der Eheschließung zur Welt kam, unehelich war. Die Regel pater is est sollte also nicht eingreifen. Portalis setzte sich daftlr ein, auch auf diesen Fall die Regelpater is est anzuwenden. In Artikel 314 Code civil wurde seine Forderung verwirklicht. Kinder, die vor der Heirat gezeugt worden waren, galten zunächst als ehelich. Der Ehemann konnte aber die Ehelichkeit unter engen Voraussetzungen anfechten. Mit Unterstützung des Tribunats setzte sich auch bei Artikel 323 Code civil eine von Portalis geforderte Regelung durch. Hier hatte der Entwurf vorgesehen, daß Kinder ihre Abstammung nur dann mittels Zeugen beweisen konnten, wenn sie ein commencement de preuve par ecrit erbrachten. Portalis trat in Anlehnung an das ancien droit daftlr ein, den Zeugenbeweis darüber hinaus zuzulassen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte ftlr die Ehelichkeit sprechen. Denn Kindern, meinte er, sei es oft unmöglich, ein commencement de preuve par ecrit erbringen. Man dürfe von niemandem etwas Unmögliches verlangen. Dementsprechend ließ Artikel 323 Code civil den Zeugenbeweis auch dann zu, wenn "schwerwiegende" Anhaltspunkte oder Vermutungen auf die Abstammung des Kindes von einer bestimmten Person deuteten. Gemeinsam mit Tronchet verhinderte Portalis, daß uneheliche Kinder legitimiert wurden, wenn ihre Eltern heirateten, aber erst nach der Heirat ihre Vater- bzw. Mutterschaft erklärten. Mit dieser Regelung, die in Artikel 331

4

Portalis in Locre III 21 .

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F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung

Code civil einging, wollte Portalis verhindern, daß die Legitimation dazu mißbraucht wurde, fremde Kinder in die Familien zu bringen. Um Konkubinaten keinen Vorschub zu leisten und die Würde des Ehevertrags zu erhalten, sprach sich Portalis dafiir aus, der Ehe auf dem Totenbett die Legitimationswirkung zu versagen. Hier unterlag er bei der Abstimmung des Staatsrats. Nach dem Code civil legitimierte auch eine auf dem Totenbett geschlossene Ehe die unehelichen Kinder der Eheleute. Der achte Titel des Code civil knüpfte an das Revolutionsrecht an und ermöglichte Adoptionen. Verglichen mit dem Revolutionsrecht erschwerte der Code civil Adoptionen aber ganz erheblich. Nach dem Code civil mußten die Adoptiveltern mindestens fiinfzig Jahre alt und kinderlos sein. Zudem konnten nur Volljährige adoptiert werden. 5 Insgesamt entsprach das restriktive Adoptionsrecht des Code civil Portalis' Auffassungen. Zwar wollte er Adoptionen nicht ausschließen. Aber er sah keinen Grund, sie zu fOrdern, weil sie, wie er meinte, im Gegensatz zur Ehe fiir den Erhalt der Gesellschaft nicht erforderlich seien. Auch hier trug Portalis zur Auszehrung des revolutionären Rechts bei. Auch der neunte Titel, der die väterliche Gewalt des ancien droit in weitem Umfang wiederherstellte und dadurch das Revolutionsrecht weitgehend aufhob, war in Portalis' Sinne. Er sah die Familie als einen kleinen Staat, dessen Stützen eine ausgeprägte ehemännliche und väterliche Gewalt war. Der Mann sollte eine herausragende Stellung gegenOber den Kindem und der Frau einnehmen ("Le mari doit protection a sa femme, et Ia femme obeissance a son mari"6) einnehmen. Portalis bewies hier ein ausgeprägt patriarchalisches Ehe- und Familienverständnis. Diese Neigung zur Familienhierarchie äußerte sich bei den Debatten zum Vormundschaftsrecht des zehnten Titels. Nach dem Entwurfsollte die Vormundschaft über Kinder beim Tod des einen Ehegatten von Rechts wegen auf den überlebenden Ehegatten übergehen. 7 Man bezweifelte aber, daß Ehefrauen in jedem Fall zur Übernahme der Vermögenssorge fähig seien. Artikel 391 Code civil gewährte daher dem Ehemann das Recht, filr den Falle seines Todes einen conseil special zu ernennen. Wenn der Ehemann testamentarisch einen solchen conseil special ernannte hatte, konnte die überlebende Ehefrau die Vormundschaft nur mit dessen Zustimmung ausüben. Auf diese Weise konnte der Ehemann verhindern, daß seine Ehefrau nach seinem Tod die Vormundschaft filr die Kinder allein ausübte. Auch Portalis setzte sich fiir die Aufuahme dieser, die Frauen benachteiligenden Regelung in den Code civil ein. In den Debatten zum zweiten Buch des Code civil sprach sich Portalis fiir die Abschaffung der ewigen Grundrente aus. Der Staatsrat folgte seinen Vorstellungen und ließ in Artikel 530 Code civil nur noch ablösbare, Vgl. Artikel 343 ff. Code civil. Portalis in Locre II 396. 7 Artikel 390 Code civil.

5 6

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schuldrechtliche Renten zu. Hier zeigte Portalis Gespür fur die psychologischen Momente einer ewigen Belastung und fur die Ängste der Bevölkerung vor der Wiedereinfuhrung feudalistischer Rechtsinstitute. Portalis' Ausfuhrungen zum Eigentumsrecht zeigen, daß er das Eigentum fur besonders schützenswert erachtete. Im Gegensatz zur radikalen revolutionären Lehre sah er im Eigentumsrecht ein Naturrecht, das staatlichem Recht vorgeht, besonderen staatlichen Schutzes bedarf und als Institut keinesfalls, als Indivualrecht nur unter engen Voraussetzungen zur Disposition staatlicher Eingriffe steht. Bei den Debatten zum Erbrecht verteidigte Portalis das droit ecrit. Er trug zur Abschaffung des Prinzips paterna paternis des droit coutumier bei. Eine dem römischen Recht entsprechende, restriktive Handhabung des Eintrittsrechts (droit de representation) konnte er dagegen nicht bewirken. In der Seitenlinie wollte er nur den Neffen und Nichten das Eintrittsrecht gewähren. Stattdessen entschied der Staatsrat, allen Abkömmlingen der Geschwister des Erblassers das Eintrittsrecht zuzugestehen (Artikel 742 Code civil). Auch in der Diskussion zu Artikel 865 Code civil unterlag Portalis' Auffassung bei der Abstimmung im Staatsrat. Nach diesem Artikel erloschen Hypotheken, die ein vom Erblasser Beschenkter bestellt hatte, wenn das Grundstück, auf dem sie lasteten, im Zuge der erbrechtliehen Ausgleichung (rapport) an die Erbmasse zurückübertragen wurde. Portalis kritisierte diese Bestimmung, weil sie die Schutzinteressen der Sicherungsnehmer verletze. Er wollte durchsetzen, daß die Hypotheken uneingeschränkte Gültigkeit hätten. Ungeachtet dieses Einwands wurde die Regelung in Artikel 865 Code civil eingefuhrt. Im zweiten Titel des ersten Buchs konnte Portalis die Zulassung der fideikommissarischen Substitution ersten Grades in der Seitenlinie und hinsichtlich des Freiteils in gerader absteigender Linie durchsetzen. 1 Mit dieser Regelung wollte er die finanzielle Grundlage der Familien gegen verschwenderische Mitglieder abzusichern helfen. Das revolutionäre Recht hatte Substitutionen, die im ancien droit mancherorts unbeschränkt zugelassen waren, ausnahmslos verboten. Portalis erreichte also auch hier eine Abschwächung des revolutionären Rechts. In der Testierfreiheit erblickte Portalis ein besonderes Machtinstrument des Familienvaters. Ein geringer Pflichtteil und viel Testierfreiheit, meinte er, stärkten die Autorität des Vaters. Wenn die Kinder befurchten müßten, daß ihr Vater ihren Erbteil auf einen geringen Pflichtteil beschränke, würden sie ihm mit dem gebührenden Respekt begegnen. Daher forderte er, das revolutionäre Recht, das die Testierfreiheit beschränkte, aufzuheben. Hatten die Revolutionäre die erbrechtliche Gleichheit ohne Testierfreiheit weitgehend durchgesetzt, so verlangte Portalis das genaue Gegenteil: Wiederherstellung der Testierfreiheit 1

Artikel896 ff. und 1048 f. Code civil.

15 Plesser

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nach dem Vorbild des römischen Rechts. Während Tronchet die Ideale der Revolutionäre vertrat und weitgehende Beschränkungen der Testierfreiheit forderte, meinte Portalis. die Gleichheit müsse hinter der Testierfreiheit zurücktreten, wenn es gelte, die Autorität des Vaters zu sichern. "Le droit de disposer ... place les enfans entre l'esperance et Ia crainte, c'est-a-dire, entre les sentiments par lesquels on conduit les hommes bien plus sürement que par des raisonnements metaphysiques."9 In Artikel 913 Code civil wurde schließlich ein Mittelweg gewählt. Ein Erblasser, der Kinder hinterließ, konnte je nach Zahl der Kinder über ein Viertel, ein Drittel oder die Hälfte seines Vermögens frei von Todes wegen verfugen. Die gegensätzlichen Auffassungen zur Testierfreiheit bestimmten auch die Debatten zu Artikel 916 Code civil. Sollten die Geschwister einen Pflichtteilsanspruch erhalten, wenn der Erblasser weder Aszendenten, noch Abkömmlinge hinterließ? Portalis lehnte einen Pflichtteilsanspruch der Geschwister ab. Tronchet hingegen forderte ihn. Hier setzte sich Portalis' Vorstellung mit Hilfe des Tribunats gegen Tronchet durch. Artikel 916 Code civil entschied gegen einen Pflichtteilsanspruch der Geschwister. Bei der Debatte zu Artikel 1004 Code civil mußte der Staatsrat erneut zwischen droit coutumier und droit ecrit entscheiden. Fraglich war, ob der Testamentserbe mit Eintritt des Erbfalls entsprechend dem droit ecrit von Rechts wegen Erbschaftsbesitzer werden oder ob man ihm auferlegen sollte, sich entsprechend den Regeln der coutumes vom gesetzlichen Erben in den Besitz einweisen zu lassen. Der Entwurf folgte den coutumes. Portalis widersprach und forderte die Übernahme des ihm vertrauten droit ecrit. In Artikel 1004 Code civil entschieden sich die Staatsräte fiir einen Kompromiß zwischen droit ecrit und coutumes. Soweit pflichtteilsberechtigte Erben vorhanden waren, galt das System des droit coutumier; sonst galt das System des römischen Rechts. Portalis konnte also einen Teilerfolg erzielen. Äußerst spannend verlief die Debatte über die Bestimmung des gesetzlichen Güterstandes. Hier standen sich das Dotalsystem des droit ecrit und das System der Gütergemeinschaft des droit coutumier gegenüber. Portalis forderte, daß ein "drittes System", letztlich die Gütertrennung zum gesetzlichen Güterstand erklärt werde. Jedenfalls wollte er verhindern, daß die Gütergemeinschaft gesetzlicher Güterstand wurde. Keines der beiden Ziele konnte er durchsetzen. In Artikel 1393 Code civil wurde das System der Gütergemeinschaft zum gesetzlichen Güterstand erwählt. Eine weitere Abstimmungsniederlage erlitt Portalis bei der Regelung von Artikel 1388 Code civil. Danach konnte die Ehefrau, selbst wenn die Eheleute das Dotalsystem vereinbart hatten, nicht einmal über Parapherna ohne Zustimmung des Mannes verfUgen. Damit zerstörte der Staatsrat ein charakteristisches Element des Dotalsystems. Portalis' Kritik ging ins Leere. 9

Portalis in Locre V 200.

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Jedoch konnte Portalis erreichen, daß dem Ehemann verboten wurde, dotale Immobilien zu veräußern oder hypothekarisch zu belasten, wenn das Dotalsystem ehevertraglich vereinbart worden war. Demgegenüber sollten nach dem ersten Entwurf Dotalgüter veräußerlich sein. Auch ein ehevertraglich vereinbartes Verfügungsverbot sollte unwirksam sein. Artikel 1554 Code civil übernahm Portalis' Forderung und erklärte, daß dotale Immobilien grundsätzlich unveräußerlich seien. Erfolg hatte Portalis auch im sechsten Titel des dritten Buchs. Hier teilte die Mehrheit des Staatsrat seine Ansicht, daß der Verkäufer bei Verletzung der Preisgerechtigkeit zur Anfechtung des Kaufpreises berechtigt sein sollte. Bei den Debatten zur lcesio enormis beteiligte sich Portalis intensiv. Seine Beiträge zu dieser Frage sind besonders lesenswert. Denn Portalis überzeugte durch eine detaillierte und umfassende Analyse des Rechtsproblems. Während dem Verkäufer in Artikel 1674 Code civil die Anfechtung bei Verletzung der Preisgerechtigkeit gestattet wurde, versagte Artikel 1683 Code civil dem Käufer die Anfechtung aus gleichem Grund. Gestützt auf die Lehre Potbiers hatte Portalis gefordert, auch dem Käufer die Anfechtung zu gestatten. Insoweit unterlag seine Auffassung in der Abstimmung des Staatsrats. Bei den Debatten zum Hypothekenrecht forderte Portalis als emztges Staatsratsmitglied die Übernahme des römischen Hypothekensystems. Publizitätsprinzip und Spezialitätsprinzip stand er kritisch gegenüber, insofern sie Legalhypotheken nicht zuließen. Dem Einwand, die Sicherheitsinteressen der Gläubiger forderten Publizität und Spezialität, entgegnete er mit dem Hinweis, Gläubiger sollten sich weniger auf Sicherheiten als vielmehr auf die Glaubwürdigkeit ihrer Schuldner verlassen. "Le systeme Je plus nature! et Je plus simple est donc de laisser chacun veiller par lui-meme a ses interets, et ehereher principalement sa surete dans Ia moralite de ceux avec lesquels il contracte." 10 Da er wußte, daß er keine Aussicht hatte, diese Auffassung durchzusetzen, forderte er stattdessen für die vertraglichen Hypotheken die Übernahme des revolutionären Rechts. Für gesetzliche Hypotheken dagegen sollten weder das Publizitäts- noch das Spezialitätsprinzip streng Anwendung finden. Diese Lösung wählte der Staatsrat in den Artikeln 2121 ff. Code civil. Portalis konnte sich also im Hypothekenrecht teilweise durchsetzen. Die vorliegende Untersuchung hat konkret aufgezeigt, inwieweit Portalis bei den Staatsratsdebatten auf die Gestaltung des Code civil Einfluß genommen hat. Sie hat darOber hinaus auch ein Bild von Portalis' Persönlichkeit gezeichnet. Folgende Charakteristika des Zivilrechtiers Portalis sind hervorgetreten: In formaler Hinsicht ergibt sich ein eindrucksvolles Bild seines Vortrags- und Argumentationsstils. Er begnügte sich nicht damit, die Argumente, die seine 10

15*

Portalis in Locre VIII 176.

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Auffassung trugen, darzulegen, sondern er rückte eine Regelung in einen großen geschichtlichen und sachlichen Zusammenhang. Ausgehend von tragenden Prinzipien entwickelte er seine Lösung im Detail. Beispielhaft filr seinen Stil ist der Vortrag, den er zu Beginn der Staatsratsdebatte zum Scheidungsrecht hielt. Hier untergliederte er seinen Vortrag zunächst in die beiden maßgeblichen Fragen: (1.) Durfte der staatliche Gesetzgeber sich über kirchliches Recht hinwegsetzen und die Scheidung zulassen? (2.) Sollte oder mußte er die Scheidung zulassen? Nachdem er diese Fragen bejaht hatte, kam er auf die einzelnen Scheidungsgründe zu sprechen. Sein logisch gegliederter Vortrag umfaßte alle Facetten der Fragestellung: Er stellte die Geschichte des Scheidungsrechts übergreifend vom römischen Recht ausgehend dar und behandelte auch die religiösen, politischen und philosophischen Fragen der Scheidung. Von den Argumenten filr und wider die Scheidung im allgemeinen ging er auf einzelne Scheidungsgründe über. Von allgemeinen Erwägungen und Grundsätzen näherte er sich den Einzelfragen. Seine profunden Kenntnisse der Materie ermöglichten ihm diese logische und gründliche Darstellungsart. Charakteristisch filr Portalis ist seine geschichtsbetonte Betrachtungsweise. Er beschreibt sie selbst am deutlichsten: "lnterrogeons l'histoire; elle est Ia physique experimentale de Ia legislation. Elle nous apprend qu'on a respecte partout les maximes anciennes, comme etant le resultat d'une longue suite d'observations." 11 Zunächst erklärte er die geschichtliche Entwicklung einer Rechtsfigur. Dann überlegte er, ob von der Rechtstradition abgewichen werden sollte. Neuerungen stand er kritisch gegenüber. Er vertraute der Weisheit von Traditionen. "Les theories nouvelles ne sont que les systemes de quelques individus; les maximes anciennes sont l'esprit des siecles." 12 "ll faut etre sobre de nouveautes en matiere de legislation, parce que s'il est possible, dans une institution nouvelle de calculer les avantages que Ia theorie nous offre, il n'est pas de connattre tous les inconveniens que Ia pratique seule peut decouvrir; qu'il faut laisser le bien, si on est en doute du mieux." 13 Diese Grundhaltung trat während der Staatsratsdebatten deutlich zutage. Charakteristisch ist die Debatte zu Artikel 169, in der sich Portalis filr die Beibehaltung von Dispensen von Eheverboten und vom Aufgebotsverfahren aussprach: "L'utilite des dispenses a ete universellemeßt reconnue dans tous les temps, dans tous les pays, dans tous les cultes: il faut donc en maintenir l'usage." 14 Als Beispiel können außerdem die Debatten zum Hypothekenrecht angefilhrt werden. Hier vertrat Portalis das System des römischen Rechts, weil er meinte, die durch das Edikt von 1771 und das revolutionäre Recht eingefilhrten Neuerungen brächten mehr Nachteile als Vorteile, jedenfalls seien sie keine eindeutig besseren Lösungen.

Portalis, expose general, in Locre I 189. Portalis, expose general. in Locre I 189. 13 Portalis, discours preliminaire, in Locre I 154. 14 Portalis in Locre II 325. 11

12

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Mit dieser betont geschichtlichen, traditionsbewußten Betrachtungsweise ging eine konservative Grundhaltung einher. Der Geist der revolutionären Gesetze lag Portalis oft fern. Dies ergab sich bereits aus seiner Definition des Begriffs "revolutionärer Geist": "Nous appelons esprit revolutionnaire, le desir exalte de sacrifier violemment tous !es droits a un but politique, et de ne plus admettre d'autre consideration que celle d'un mysterieux et variable interet d'Etat." 15 Trotz seiner konservativen Einstellung lehnte er aber die revolutionären Gesetze nicht gänzlich ab, sondern setzte sich mit ihnen sachlich auseinander. Der Code civil fand in vielen Fragen einen Kompromiß zwischen droit ecrit, coutumes und Revolutionsrecht Wenn Portalis Gedanken des Revolutionsrechts übernahm, dann in gemäßigter Form. Meist zielte er darauf ab, die Regelungen der Entwürfe im Sinne des droit ecrit zu beeinflussen. Beispielhaft ist auch hier das Scheidungsrecht Die revolutionären Gesetze hatten die Scheidung, die im Ancien Regime unzulässig war, eingefiihrt und fast völlig freigegeben. Zur Scheidung genügte beiderseitiges Einvernehmen und sogar die einseitige Behauptung, die Charaktere seien unvereinbar. Zwar befilrwortete Portalis die Zulassung der Scheidung. Die beiden extremen "unbestimmten" Scheidungsgründe aber lehnte er ab, weil er befilrchtete, sie würden die Stabilität der Ehe in unerträglichem Maße gefilhrden. Ein weiteres Beispiel fiir Portalis' Suche nach einem Mittelweg waren die Debatten zum Recht der Substitutionen. Die Revolutionäre hatten Substitutionen, die im Ancien Regime in weitem Umfang zulässig waren, ausnahmslos verboten. Auch hier übernahm Portalis den Gedanken der Revolution, daß Substitutionen die Freiheit des Erben über Gebühr einschränken können. Er wollte deshalb die Substitution nur eingeschränkt zulassen. Völlig verbieten wollte er sie aber nicht. Auch in diesem Punkt fand der Code civil unter Portalis' Einfluß einen Mittelweg zwischen revolutionärem Recht und ancien droit. Die Idee des revolutionären Rechts übernahm Portalis dagegen bei den Debatten zur Frage, ob Grundrentenverträge zugelassen werden sollten. Hier plädierte er filr das Verbot der ewigen (dinglichen) Grundrente, weil er meinte, eine solche Belastung werde fiir den Schuldner auf die Dauer unerträglich und erinnere an das Lehensrecht des Ancien Regime. Eindeutig konservativ waren dagegen seine familienrechtliche Auffassungen. Schon seine moralischen Maßstäbe deuten eine traditionsgebundene Grundhaltung an. Portalis orientierte sich nicht an den in aller Regel freizügigen Großstadtsitten, sondern an den meist konservativen Moralvorstellungen der Landbevölkerung. "C'est dans les campagnes qu'il faut aller ehereher les mreurs franr;:aises." 16 Hatte das Revolutionsrecht die Familienhierarchie des ancien droit weitgehend zerbrochen, so forderte Portalis die Wiederherstellung der Machtposition des Ehemannes und Vaters innerhalb der Familie. Aussagekräftig fiir das Verhältnis zwischen Vater und Kindem sind insbesondere seine Stellung15 16

Portalis, discours preliminaire, in Locre I 154. Portalis in Locre II 468.

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nahmen zum Pflichtteilsrecht Um die Autorität des Vaters innerhalb der Familie zu sichern, sollte seine Testierfreiheit möglichst wenig beschränkt werden. Die Gefahr, daß die Väter diese Macht mißbrauchen könnten, schätzte Portalis gering ein. Beispielhaft fiir seine Sicht des Verhältnisses zwischen Mann und Frau ist die Debatte zum Scheidungsgrund der Unvereinbarkeit der Charaktere. Dieser, meinte er, ermögliche es der Ehefrau, sich der ehemännlichen Gewalt zu entziehen, indem sie die Scheidung beantrage ("Ia cause d'incompatibilite ruine l'autorite du mari" 17). Das war einer der Gründe, aus denen er den Unvereinbarkeitsgrund ablehnte. Charakteristisch fiir Portalis' familienrechtliche Vorstellungen war ferner sein Bestreben, den Zusammenhalt der Familie, insbesondere der Kleinfamilie zu schützen. Die Familien waren fiir ihn die kleinste Zelle des Staates. Ihre Stabilität wollte er sichern. Neben der ehemännlichen und väterlichen Gewalt war aus seiner Sicht der Ehevertrag ein wichtiger Stabilitätsfaktor der Familie. Um den Bestand der Eheverträge zu schützen, wollte er die Scheidung nur unter engen Voraussetzungen zulassen. Um "mißbräuchliche" Scheidungen zu verhindern, setzte er sich dafiir ein, den Eheleuten nach der Scheidung zu verbieten, den früheren Ehepartner erneut zu heiraten. Gefahren fiir den Familienfrieden wollte Portalis, wenn immer dies ging, ausschalten. Es ist die Auffassung vertreten worden, Portalis habe sich Napoleon völlig untergeordnet. D'Haussonville etwa schrieb: "Avec l'esprit d'un sage, il avait l'äme d'un subalterne." 1K Die Staatsratsdebatten zum Code civil bestätigen dieses Urteil nicht. Zwar unterstützte Portalis Napoleon in manchen Fragen, etwa im Staatsangehörigkeitsrecht oder im Verschollenenrecht An anderer Stelle aber hat Portalis Napoleon heftig widersprochen. Beispielhaft sind die Debatten zu den Scheidungsgründen. Während Napoleon die Zulassung der Scheidung in weitestem Umfang mit Nachdruck forderte, trat Portalis fiir ein restriktives Scheidungsrecht ein. Die Debatte zu den Scheidungsgründen zeigt, daß Portalis seine eigenen Prinzipien nicht verleugnete, um sich Napoleon unterzuordnen. Die Bewertung seiner Arbeit bei den Staatsratsdebatten hängt auch davon ab, wie häufig er seine Auffassung durchsetzen konnte. Das Ergebnis der Untersuchung ist fiir ihn günstig. Meist hatte sein Einsatz gestaltende und richtungweisende Wirkung auf den Code civil. In etwa zwei von drei Fällen setzte sich seine Auffassung durch. 19 Portalis in Locre II 468. D'Haussonville, L'Eglise romaine et le Premier Empire, Paris 1868, Band I, S. 157 - zitiert nach Leduc, S. 355. 19 In den folgenden Fragen konnte sich Portalis nicht durchsetzen: Präliminärbuch, Art. I, 9, 127, 312 Code civil, Legitimation unehelicher Kinder auch bei der Ehe auf dem Totenbett, Artikel 742. 865. 918, 1393, 1338, 1683 Code civil, Hypothekenrecht (das System des römischen Rechts wurde nicht übernommen). 17 18

F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung

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Die Protokolle der Staatsratsdebatten belegen nur einen Teil der Gesetzgebungsarbeiten zum Code civil. Denn außer dem Plenum des Staatsrats waren auch die Code civii-Kommission, das Tribunat. die Gerichte und die Gesetzgebungssektion des Staatsrats an der Ausarbeitung des Code civil beteiligt. Darüber hinaus zeigen die Staatsratsprotokolle nur einen Ausschnitt von Portalis' Beteiligung. Denn Portalis war nicht nur im Plenum des Staatsrats, sondern auch als Mitglied der Code civii-Kommission und der Gesetzgebungssektion des Staatsrats an den Gesetzgebungsarbeiten beteiligt. Daher ist fraglich, welche Aussagekraft die Protokolle über die Gesetzgebungsarbeiten haben. Obwohl sie nur einen Ausschnitt der Gesetzgebungsarbeiten belegen, ist die Bedeutung der Staatratsprotokolle groß. Denn zum einen war der Staatsrat die letzte Instanz vor der Verabschiedung der Entwürfe durch die Gesetzgebende Versammlung, die selbst an den eingebrachten Entwürfen keine Änderungen mehr vornehmen durfte. 20 Zum anderen existiert zu den Diskussionen der Code civil-Kommission und der Gesetzgebungssektion des Staatsrats kein Quellenmaterial.21 Eine verläßliche Aussage über diese Diskussionen zu treffen, fällt daher schwer. Die Protokolle der Staatsratsdebatten sind somit die wichtigste Quelle bei der Auswertung der Gesetzgebungsarbeiten. "Le createur du Code civil est le Premier Consul; j 'ai moins contribue a ce grand travail que le Consul Cambaceres, M.M. Tronchet, de Maleville, BigotPreameneu, Boulay et Treilhard".22 So schätzte Portalis selbst seinen Beitrag zum Code civil ein. Diese Aussage zeigt seine Bescheidenheit. Realistisch ist sie jedoch nicht. Denn allein seine Mitgliedschaften in der Code civii-Kommission, der Gesetzgebungssektion des Staatsrats und dem Staatsrat selbst gaben ihm mehr Einflußmöglichkeiten als jedem anderen, Napoleon vielleicht ausgenommen. Portalis besaß Führungsqualitäten und den Willen, seine Überzeugungen durchzusetzen. Das hat er in seinem Leben, insbesondere während der Dagegen setzte sich die von Portalis vertretene Auffassung durch: Art. 4 Code civil, Art. 28 des 4. Entwurfs zum I. Titel des I. Buchs, Art. 43, 102, 112, 122, 124 Code civil, Art. 3 des I. Entwurfs zum 5. Titel (Beweislastumkehr zu Lasten Taubstummer), Eheverbote zwischen Verwandten (Artikel 162 f. Code civil), Art. 164, 183 Code civil, Art. 15, Satz 3 des 2. Entwurfs zum 5. Titel, Art. 197, 204, 233 (Ablehnung des Scheidungsgrundes der Unvereinbarkeit der Charaktere und des beiderseitigen Einvernehmens), Art. 295, 298, 306 ff. (Beibehaltung der Rechtsfigur der Trennung von Tisch und Bett), 314, 323, 331 Code civil, Adoptionsrecht, Art. 391 , 530, 732, 894, 916, I 048 f., 1554, 1674, 1676, 2020 Code civil, Hypothekenrecht (Beibehaltung von Legalhypotheken). In den Debatten zu den folgenden Vorschriften konnte sich Portalis teilweise durchsetzen: Art. 28, 169 (Dispens nur für 2. Veröffentlichung des Aufgebotsverfahrens), 336 ff., 913 ff. (Testierfreiheit), 1003 tf. Code civil, Hypothekenrecht (Beibehaltung von Legalhypotheken, flir die Publizitäts- und Spezialitätsprinzip nicht gelten. 20 S.o. D VII. 21 Vgl. Gagnebin, S. 18 und die Aufzählung des Quellenmaterials bei Sagnac, S. XVI. 22 Portalis, zitiert nach Lavollee, S. 239.

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F. Zusammenfassende Schlußbetrachtung und Würdigung

Revolution, wiederholt bewiesen. Es entsprach auch nicht seinem Charakter, Regelungen, die er ablehnte, widerspruchslos hinzunehmen. Diese Tatsachen und die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen den Schluß zu, daß Portalis durch seine Arbeit in den Gremien, denen er angehörte, insgesamt erheblichen Einfluß auf die inhaltliche, strukurelle und sprachliche Gestaltung des Code civil genommen hat.

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