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German Pages 188 [186] Year 2013
"Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut": Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie
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Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen Herausgegeben von Anton A. Bucher, Gerhard Büttner, Veit-Jakobus Dieterich, Petra Freudenberger-Lötz, Christina Kalloch, Hildrun Keßler, Friedhelm Kraft, Bert Roebben, Martin Rothgangel, Thomas Schlag, Martin Schreiner und Elisabeth E. Schwarz
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»Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut« Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie Jahrbuch für Jugendtheologie Band 1 Herausgegeben von Petra Freudenberger-Lötz, Friedhelm Kraft und Thomas Schlag
Calwer Verlag Stuttgart
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ISBN 978-3-7668-4238-1 eBook (pdf) ISBN 978-3-7668-4234-3 © 2013 by Calwer Verlag Stuttgart Alle Rechte vorbehalten Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags Umschlaggestaltung: Karin Sauerbier, Stuttgart Satz: NagelSatz, Reutlingen Druck und Verarbeitung: Beltz Druckpartner GmbH & Co. KG, Hemsbach E-Mail: [email protected] Internet: www.calwer.com
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Theoretische Grundlagen
Thomas Schlag Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Michael Meyer-Blanck Umrisse einer Jugendtheologie – Vorüberlegungen zu einer didaktischen Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Veit-Jakobus Dieterich Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm für die Sekundarstufe I und II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Eva-Maria Stögbauer Konkret reden: Theologien und Theodizeen Jugendlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Martin Rothgangel Theologie von Jugendlichen und Theologie für Jugendliche: Das Beispiel Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bert Roebben Internationale Entwicklungen in der Erforschung der Jugendseelsorge Kontexte, Themen und Tiefenstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Religionspädagogische Anregungen
Petra Freudenberger-Lötz »Einbruchstellen« oder »Herausforderungen des Glaubens«? Studierende erwerben professionelle Kompetenzen in Theologischen Gesprächen mit Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hartmut Rupp Janine – ein Stück exemplarischer Theologie von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . .
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6 Katharina Kammeyer Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Katharina Ochs Theologische Gespräche in der Oberstufe – Einblicke in das Denken und in Gespräche zu Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Hildrun Keßler Theologisieren mit Jugendlichen in der gemeindepädagogischen Praxis oder … »Jugendtheologie – nicht schlecht, aber eigentlich doch nichts Neues …« . . . . . . 137 Martina Steinkühler »Jeden Tag werde ich begleitet«. Glaubensschwerpunkte und Glaubensfragen religiös aktiver Jugendlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Christiane Thiel Das Jugendbuch als Medium für eine Theologie für Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . 163 Tobias Petzoldt WortWerkStattFlüstern – Chancen einer Schreibwerkstatt Ein Plädoyer für das angeleitete Schreiben mit jungen Menschen . . . . . . . . . . . . . 169
III. Buchbesprechungen Heinz Streib und Carsten Gennerich: Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher . . . . . . . 173 Friedhelm Kraft und Hanna Roose: Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht. Christologie als Abenteuer entdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Petra Freudenberger-Lötz: Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer: Brauchen Jugendliche Theologie? – Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Lukas Ohly: Warum Menschen von Gott reden. Modelle der Gotteserfahrung . . . . . . 183
Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
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Vorwort
Zehn Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes des »Jahrbuches für Kindertheologie« (JaBuKi) liegt nunmehr der erste Band eines »Jahrbuches für Jugendtheologie« (JaBuJu) vor. Die Kindertheologie als religionspädagogischer Ansatz bzw. didaktisches Leitbild hat sich zu einer festen Größe, sowohl in der Forschung als auch in der schulischen und kirchlichen Praxis entwickelt. Nunmehr steht die Weiterentwicklung der Kindertheologie zur Jugendtheologie auf der religionspädagogischen Agenda. Die Beiträge des Bandes knüpfen an Ergebnisse und Einsichten des kindertheologischen Diskurses an, ohne aber Jugendtheologie als bloße Fortschreibung oder einfach als Verlängerung der Kindertheologie zu verstehen. Wie die Profilierung einer Jugendtheologie ausfallen wird, kann sich erst in den weiteren Forschungen und Diskussionen im Einzelnen zeigen. Dennoch lassen sich für diese jugendtheologische Perspektive als ein gemeinsamer Bezugsrahmen bereits versuchsweise die folgenden Grundsätze ins Spiel bringen: ) Kinder- und Jugendtheologie verknüpfen sich unmittelbar mit den religionspädagogischen und allgemeindidaktischen Fragestellungen und Konzeptionen, in denen das Bildungsverständnis unter dem Primat des Subjekts und seiner Lebenswelt begriffen
wird. Aus der Subjektorientierung folgt, dass Kinder und Jugendliche nicht als Objekte der Belehrung behandelt werden können. ) Kinder- und Jugendtheologie beziehen sich auf ein didaktisches Leitbild, in dem die Eigenständigkeit und Bedeutung theologischer Kommunikationsund Denkleistungen von Kindern und Jugendlichen gewürdigt werden. Die Rede von einer Kinder- bzw. Jugendtheologie impliziert, dass Kinder und Jugendliche nicht nur religiöse Vorstellungen haben, sondern dass ihnen darüber hinaus eine gleichsam selbstreflexive Form des Nachdenkens über religiöse Vorstellungen zugetraut wird. ) Kinder- und Jugendtheologie haben als gemeinsames übergreifendes Ziel, Kinder und Jugendliche zu ermutigen, selbst theologisch nachzudenken. Dabei werden sie in der Ausbildung von Fähigkeiten und Kompetenzen unterstützt, die dafür hilfreich und erforderlich sind. Kinder- und Jugendtheologie sind auf Ziele religiöser Bildung ausgerichtet, insofern eine theologische Frage-, Argumentations- und Urteilsfähigkeit eine gewichtige Teildimension religiöser Bildung darstellt. ) Kinder- und Jugendtheologie vertreten einen »weiten« Theologiebegriff, was auch in der Unterscheidung von
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Vorwort
»akademischer« Theologie (Expertentheologie) und »persönlicher« Theologie (Laientheologie) zum Ausdruck kommt. Die Theologien der Kinder und Jugendlichen lassen sich zwar auf Diskurse der akademischen Theologie beziehen, haben aber als subjektive Ausdrucksformen eine eigene Dignität und Kontur. Zugleich ist die Unterscheidung zwischen einer Theologie der Kinder und Jugendlichen, einer Theologie mit Kindern und Jugendlichen und einer Theologie für Kinder und Jugendliche grundlegend. Jugendtheologie hat prinzipiell ein »eigenes Gepräge« (Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer). Das Jugendalter mit seinen spezifischen entwicklungspsychologischen Herausforderungen und Fragestellungen führt zu spezifischen Zugängen auch im Bereich von Religion und Glaube. Aufgabe jugendtheologischer Forschung wird es sein, diese spezifischen Konturen einer Theologie der Jugendlichen herauszuarbeiten. Dabei kann die von Thomas Schlag und Friedrich Schweizer vorgeschlagene Unterscheidung von unterschiedlichen Dimensionen einer Jugendtheologie – implizite Theologie, persönliche Theologie, theologische Deutung expliziter Theologie mit Hilfe theologischer Dogmatik, Jugendliche argumentieren ausdrücklich theologisch – die Wahrnehmung theologischer Reflexionen von Jugendlichen erleichtern. Jugendtheologie braucht zu ihrer Entfaltung die theologischen Kompetenzen der Erwachsenen, auch dies zeigen die
versammelten Beiträge. Erwachsene spielen für die Ermöglichung jugendtheologischer Praxis eine wichtige Rolle, indem sie für die Theologie der Jugendlichen sensibel sind, einer Theologie mit Jugendlichen Raum geben sowie Theologie für Jugendliche erschließen und ermöglichen. Insbesondere ist eine positive Grundhaltung gegenüber der Religiosität der Jugendlichen unverzichtbar. Dazu gehört, dass Jugendliche als gleichwertige Dialogpartner bei der gemeinsamen Suche nach Glauben und Leben ernst genommen werden. Zugleich wird damit auf den Prozesscharakter und die Offenheit unterrichtlicher Lehrarrangements verwiesen. Ziel ist es, Räume zu eröffnen, in denen sich das gemeinsame theologische Nachdenken entfalten kann. Mit dem nun vorliegenden ersten Band des Jahrbuchs für Jugendtheologie soll die Diskussion und das Nachdenken unter denjenigen angeregt werden, die in Forschung und Praxis in den entsprechenden Arbeitsfeldern tätig sind und die auch ganz persönlich am theologischen Gespräch mit Jugendlichen interessiert sind. Insofern hoffen wir, dass die hier vorgelegten ersten grundsätzlichen und praxisbezogenen Beiträge die zukünftige Beschäftigung mit Fragen der Jugendtheologie befördern und die Akteure dazu motiviert werden, gemeinsame theologisch profilierte Bildungswege mit der Jugendgeneration zu beschreiten.
Petra Freudenberger-Lötz, Friedhelm Kraft, Thomas Schlag
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Thomas Schlag Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?
Einleitung Jugendtheologie beginnt nicht einfach am Nullpunkt, sie ist weder voraussetzungslos noch befindet sie sich gar im leeren Raum. Wer heute jugendtheologisch fragt, kommuniziert und reflektiert, befindet sich bereits immer schon inmitten einer langen Geschichte überlieferter Traditionen und deren Deutung. Jugendtheologie ist deshalb immer mehr als einfach ein spontanes Geschäft, bei dem etwa auf nicht mehr als die Jugendlichen und deren Interessen selbst zu achten wäre und bei dem einfach alles möglich wäre. Vielmehr setzt jugendtheologische Arbeit in verschiedener Hinsicht eine vielfältige und möglichst genaue Wahrnehmung dessen voraus, worauf sie ihrer Sache nach aufruht: und dies ist nicht weniger als der Anspruch des Evangeliums und die Notwendigkeit der individuellen und gemeinsamen Auseinandersetzung damit. Von dort her stellt Jugendtheologie sowohl für die theoretische Auseinandersetzung wie für die praktische Beschäftigung eine möglichst große Klarheit darüber voraus, was dabei zur Sprache und Vorstellung kommen kann und kommen muss. Die folgenden Überlegungen gehen im Horizont der Frage der Lebensdienlichkeit evangelischer Bildung1 als theologisch elementarer Reflexion und Kommunikation davon aus, dass theologische
Deutungen für die jugendliche Lebensführung eine hilfreiche Größe darstellen und umgekehrt die Deutungen Jugendlicher auch für eine theologische Interpretationspraxis2 bedeutsam sind. Diese Anfangsbemerkungen verweisen unmittelbar auf die lange Geschichte reformatorischen theologischen Denkens zurück und nach vorne.
1. Theologie in reformatorischer Perspektive Theologie soll »den Kern der Nuß und das Mark des Weizens und das Mark der Knochen« erforschen, so formuliert es Martin Luther zu Beginn seiner eigenen theologischen Studien.3 Theologie ist dabei als Frage nach Gott nicht nur und nicht einmal primär akademische Disziplin, sondern suchende Haltung und Annäherung an das, was den Menschen in seiner ganzen Existenz und mit seinem ganzen Leben betrifft. Es geht beim »Theologie treiben«, so kann man Luther im Unterschied zur Philoso1 Vgl. Uta Pohl-Patalong, »… sed vitae discimus«. Religionsunterricht zwischen Religiosität und christlicher Tradition – didaktische Orientierungen, in: IJPT 11 (2007), 173–192. 2 Vgl. Ingolf U. Dalferth, Evangelische Theologie als Interpretationspraxis. Eine systematische Orientierung, Leipzig 2004. 3 Gerhard Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 52006, 80.
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Theoretische Grundlagen
phie seiner Zeit interpretieren, um nichts anderes als das hörende Suchen nach dem Kern menschlicher Existenz im Angesicht Gottes und in der Zwiesprache mit ihm. Reformatorisches Theologie-Treiben hat es seinem Anspruch nach immer mit dem Menschen in all seinen Weltverhältnissen und in seinem Gottesverhältnis zu tun. Oder wie es der Zürcher Systematiker Gerhard Ebeling formuliert: Es geht in der Theologie um Existenz und Essenz, geschichtliche Fragehinsicht, Erwartung der Kreatur, Zukünftigkeit,4 Gnadenlehre.5 Theologie ist reformatorisch gesprochen Lebenslehre in der Hoffnung auf den gnädigen Gott. Dies bedeutet zugleich, dass Glaube und Frömmigkeit nicht ohne vernunftmäßigen Zugang zu denken sind: Individueller Glaube und christliche Frömmigkeit sind nie einfach unmittelbar, sondern immer vermittelt. Die christlich-religiösen Vorstellungsgehalte, wie sie sich sowohl biblisch wie kirchlich ausgeformt haben, sind theologisch deutungsoffene, »reflexive Institutionen christlich-religiöser Intellektualität«.6 Dies bedeutet, dass Theologie selbst nur als dialogische bzw. beziehungsorientierte, prozesshafte, kritische und reflektierte geistige Tätigkeit aufgefasst werden kann. Dieses Verständnis einer selbst immer wieder reformfähigen und reformnotwendigen Theologie verbindet sich dabei konsequenterweise mit dem reformatorischen Blick der voraussetzungslosen Wertschätzung derjenigen, die »Theologie treiben«. Vom Grundgedanken des Priestertums aller Gläubigen lässt sich Bildung folglich nur als eminent partizipatorisches Geschehen verstehen und konzipieren. Theologie gewinnt ihre spezifisch reformatorische Gestalt in Form einer
Laientheologie. Oder um nochmals Luther aufzunehmen: Die protestantische Grundhaltung und Grundaufgabe par excellence besteht darin, so Luther in seiner Vorrede zum Großen Katechismus von 1529, ein Kind und Schüler des Katechismus zu bleiben und dies auch gerne. Diese grundlegende Fähigkeit gilt im Prinzip für jedes Alter und jeden Bildungsstand, wenn auch in je spezifischer Ausprägung. Eine spezifische Ausprägung soll im Folgenden näher in Augenschein genommen werden, nämlich die auf die Potentiale, Möglichkeiten und Chancen einer Theologie, die sich konkret auf die Jugendlichen und das Jugendalter bezieht. Damit ist nicht gesagt, dass etwa nur Jugendliche oder diese gar in exklusiver Weise Theologie treiben könnten. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich deren Zugang zu theologischen Fragen in charakteristischer Weise zeigt. Im Übrigen sei an dieser Stelle betont, dass das Theologie-Treiben hinsichtlich seiner Begründung und Ausformung keineswegs ein reformatorisches Alleinstellungsmerkmal darstellt und auch nicht als ein solches verstanden werden darf. Vielmehr besteht die besondere Chance und Herausforderung auch einer Jugendtheologie darin, innerhalb jeder christlichen Gemeinschaft auf je eigene Weise, d.h. in den spezifischen sprachlichen, symbolischen und auch rituellen Formen durchbuchstabiert zu werden. Allerdings setzt
4 Ebd., 93 f. 5 Ebd., 96. 6 Trutz Rendtorff, Vom Misston zur Polyphonie? Theologiehistorische Beobachtungen im Vorfeld der Gotteslehre, in: Ingolf U. Dalferth/Johannes Fischer/Hans-Peter Großhans (Hg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre, Tübingen 2004, 439.
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Schlag Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?
dies eben etwa für den Bereich katholischen Handelns voraus, eigene traditions- und sachgemässe Wege für ein solches Theologisieren zu begründen und zu entwickeln. Im gelingenden Fall kann Jugendtheologie, wie auch die Beiträge dieses Bandes und die unterschiedliche konfessionelle Verortung seiner Autorinnen und Autoren zeigen, wertvolle Beiträge zu einer ökumenischen theologischen Kommunikationskultur im Blick auf die gegenwärtige Generation der Jugendlichen liefern. Gehen wir nun aber von der reformatorischen Grundbestimmung aus und richten im Folgenden den Blick auf das Jugendalter, so zeigen sich hier gewichtige Probleme.
2. Die Problemlage: Wechselseitige Entfremdungserfahrungen zwischen der Theologie und ihren jugendlichen Subjekten Sowohl in der praktisch-theologischen Forschung wie in der alltäglichen kirchlichen und schulischen Praxis ist eine offenkundige Diskrepanz zwischen den Überlieferungen und Interpretationen der klassischen Theologie und deren Wahrnehmung in der jungen Generation unübersehbar: Die Repräsentanten der Institution Kirche, ja die Kirche selbst und die Inhalte reformatorischen Glaubens, für die sie steht, sind aus Sicht jugendlichen Welterlebens in extreme Ferne gerückt. Auch wenn man natürlich vor den beliebten Hysterien und Klischees warnen muss, ist das weitreichende Problem eines umfassenden Traditionsabbruchs im Blick auf das Wissen der eigenen Religion und deren Deutungs-
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fähigkeit zu konstatieren. Das Interesse an biblischer Orientierung und an theologischer Debatte ist bestenfalls noch im evangelikalen Bereich vorhanden. Demgegenüber zeigt sich etwa in jüngeren Studien etwa zur Konfirmationsarbeit, dass unter den Bildungsverantwortlichen eine erhebliche Scheu besteht, hinsichtlich theologischer Thematisierungen als zu offensiv zu erscheinen und durch eine bestimmte Sprache die Jugendgeneration endgültig zu verlieren. Eine solche Form höflicher Zurückhaltung kann allerdings durchaus mit der offenen Frage verbunden werden, ob sich hier nicht Phänomene einer neuzeitlichen Selbstsäkularisierung zeigen. Aber auch das freie und ungebundene Gespräch über Religion in einem weiten Sinn stellt nicht den Königsweg dar. Denn damit würde man unter Umständen gerade von theologischer Seite aus zur weiteren Unschärfe des Eigenen beitragen. Soll aber das neuzeitliche Erbe diskursiver, partizipativer und zugleich anspruchsvoller Theologie zugunsten der Patchwork-Spiritualität und der emotionalen, spontanen religiösen Intuition aufgegeben werden? Insofern steht eine kirchliche und schulische Bildung Jugendlicher in Fragen von Religion und Theologie gegenwärtig vor der erheblichen Herausforderung, die Spannung zwischen Unwissen und Indoktrination möglichst produktiv zu bearbeiten. Das professionelle Problem für die bildenden Theologinnen und Theologen an den verschiedenen Kommunikationsorten, an denen sie Jugendlichen begegnen, besteht darin, sich zukünftig verständlich machen zu können und überhaupt Formen einer plausiblen Kommunikation des Evangeliums zu initiieren.
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Theoretische Grundlagen
Zugleich zeigt sich in den angedeuteten Problemlagen aber auch ein grundsätzliches Legitimations- und Begründungsproblem für die akademische Disziplin der Theologie. Ihre Deutungskraft religiöser Phänomene und der christlichen Religion bzw. des Glaubens versteht sich auch im Wissenschaftskontext keineswegs mehr von selbst. Kurz gesagt: die Jugendlichen selbst scheinen einer Theologie im oben ausgeführten Sinn kaum zu bedürfen bzw. diese für ihre eigene Lebensführung nicht zu brauchen – wenigstens nicht ausdrücklich und nur selten erkennbar. Heisst dies dann aber, dass das Verhältnis von Theologie und Jugendlichen ein für alle Mal beendet ist, dass für eine mögliche dialogische Theologie keinerlei substantielle Anknüpfungspunkte mehr bestehen? Es scheint notwendig, den bisher verwendeten Begrifflichkeiten noch etwas genauer auf die Spur zu kommen, denn, so meine These: es steckt immer noch wesentlich mehr Potential und Dynamik im Verhältnis von Theologie und Jugendlichen als dies auf den ersten Blick erscheint.7
3. Jugendtheologie als Laientheologie Hier muss zunächst noch einmal festgehalten werden – ähnlich wie dies im Blick auf die Kindertheologie in analoger Weise geschehen ist8 –, dass mit dem Begriff der Jugendtheologie keineswegs der Anspruch erhoben werden soll, Jugendliche seien im selben Sinne Theologen wie theologisch ausgebildete Erwachsene. Jugendtheologie ist nicht mit wissenschaftlicher Theologie zu verwechseln. Jugendliche als wissenschaftliche Theologen anzusprechen wäre in der Tat
kaum mehr als eine weltferne Vorstellung. Gleichwohl wurde auch in der Theologiegeschichte immer wieder hervorgehoben, dass die wissenschaftliche Theologie nicht die einzige und auch nicht die einzig legitime Form von Theologie sein kann oder sein soll, sondern eben Laientheologie ihr ganz eigenes Recht hat. Unter Laientheologie ist dabei nicht ein Versuch zu verstehen, bestimmte, in der Regel vereinfachte Erkenntnisse der Theologie Laien zugänglich machen zu wollen, sondern die weitergehende, auf religiöse Mündigkeit der Laien zielende Fähigkeit, sich ein eigenes Urteil in theologischen Fragen zu bilden – bis hin zu dem ebenfalls von Luther hervorgehobenen Recht der Laien, »alle Lehre zu urteilen«.9 »Da an der Bildung und Erhaltung des kirchlichen Lehrkonsensus nach evangelischem Verständnis grundsätzlich alle Christen verantwortlich beteiligt sind, partizipieren sie auch grundsätzlich alle an der (produktiven und rezeptiven) Pflege theologischer Lehre.«10 Damit ist die Unterscheidung zwischen wissen7 Die folgenden Ausführungen basieren auf Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011. 8 Vgl. Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? In: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten, JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–18. 9 Vgl. Martin Luther, Dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursache aus der Schrift, in: ders., Ausgewählte Werke, hg. v. Karin Bornkamm / Gerhard Ebeling, Bd. 5, Frankfurt/M. 1982, 7–18. 10 Wilfried Härle, Dogmatik, Berlin u.a. 1995, 13.
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Schlag Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?
schaftlicher Theologie und Laientheologie nur ein gradueller. Zu betonen ist die Notwendigkeit theologischer Reflexion für und durch Laien: »Damit der Glaube das ganze Dasein eines Menschen erfassen und durchdringen kann, ist es notwendig, dass auch das menschliche Denken (samt allen Fragen, Zweifeln und Einwänden) nicht ausgeklammert, sondern einbezogen wird. Das geschieht normalerweise in Gestalt einer sog. Laientheologie, die auch schon bei Kindern in bemerkenswerten Ansätzen ausgebildet sein kann.«11 Zu den Laien zählen damit aber konsequenterweise und theologisch gesehen eben nicht nur die Erwachsenen, sondern in je eigener Ausformung auch Jugendliche und Kinder. Insofern muss es auch in der Kirche höchst erwünscht sein, wenn Jugendliche sich theologisch zur Sprache bringen bzw. sich dafür im wahrsten Sinn des Wortes begeistern lassen. Der hier hervorgehobene existenzielle Bezug von Theologie unterscheidet theologisches Reflektieren von anderen Formen des Nachdenkens. Dies bedeutet aber dann sogar konsequenterweise, dass theologische Kommunikation, wie bereits angedeutet, eben niemals voraussetzungslos sein kann. Ohne Glaubensüberzeugung lässt sich theologisch kaum sachgemäß reden und reflektieren. Dass dies gerade angesichts des konstatierten Traditionsabbruchs erhebliche Herausforderungen aufwirft, sei an dieser Stelle nur angedeutet. Im Anschluss an Schleiermacher und besonders an eine Formulierung von Ernst Lange wird Theologie heute häufig an die Aufgabe der »Kommunikation des Evangeliums« gebunden: Theologie hat demnach eine eher theoretische Refle-
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xionsaufgabe wie auch eine praktische Aufgabe im Sinn der Gestaltung von Kommunikationsprozessen. Beides lässt sich nun auch auf die Jugendtheologie anwenden. Im Blick auf Jugendliche kann somit von einer doppelten Zielsetzung gesprochen werden: Zum einen geht es um das Durchdenken religiöser Vorstellungen und des eigenen Glaubens bzw. eigener Glaubensfragen im Verhältnis zur christlichen Überlieferung. Zum anderen kommt es auf die Gestaltung lebensdienlicher Beziehungen an und damit auf diejenigen Praxis- und Kommunikationsformen, die dem Evangelium entsprechen. Den bisherigen Ausführungen liegt aber nun nochmals ein weiteres, gleichsam auf der Metaebene angesiedeltes Verständnis von Theologie im spezifischen Zusammenhang mit dem Jugendalter zugrunde: Denn warum man sich auf die Jugendtheologie überhaupt beziehen und einlassen soll, bedarf einer eminent theologischen Klärung. Hier kann von einer spezifischen Theologie des Jugendalters geredet werden.
4. Theologie des Jugendalters als notwendiges Fundament einer Jugendtheologie Dafür kommen mehrere, auch auf die biblische Überlieferung bezogene Begründungsmöglichkeiten in Frage: Zu denken ist hier zum einen an die Überlieferung des Umgangs Jesu mit den Kindern, wie sie sich im sogenannten Kinderevangelium (Mk 10,14 ff.) wiederfindet. Für den jugendtheologischen Zusammenhang 11 Ebd., 65.
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Theoretische Grundlagen
stellt sich die Frage, ob diese Orientierung auf die Kindheit als ein chronologisch begrenztes Lebensalter beschränkt sein kann oder ob die entsprechenden Auffassungen nicht auch ausdrücklich auf Jugendliche angewendet werden müssen. Darüber hinaus ist jugendtheologisch relevant, dass das christliche Rechtfertigungsverständnis die unterschiedlichen Altersstufen grundsätzlich relativiert und damit auch die uneingeschränkte Anerkennung Jugendlicher begründet. Dass sich nach dem Verständnis der Rechtfertigung der Mensch – sei es Kind, Jugendlicher oder Erwachsener – sein Heil nicht verdienen kann, gilt für Kind, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen. Erwachsene haben in ihrem Verhältnis zu Gott keinen Vorrang im Vergleich zu Kindern oder Jugendlichen. Ihr höheres Alter oder ihre größere Reife bringt sie nicht näher zu Gott. In theologischer Perspektive kann Jugendlichen durchaus auch ein besonderer prophetischer Sensus zugesprochen werden, den es bewusst wertzuschätzen gilt, gerade dann, wenn manche ihrer Aussagen als sperrig, unbequem oder widerständig angesehen werden. Schließlich stellt auch der Grundgedanke der Gottebenbildlichkeit einen wesentlichen Markstein für eine Theologie des Jugendalters dar. Die biblisch in der Gottebenbildlichkeit begründete Menschenwürde ist überhaupt auch als Ausgangspunkt für das christliche Verständnis einer jugendtheologischen Bildung anzusehen.12 Da auch die Jugendlichen Gottes Ebenbilder sind, dürfen sie auch pädagogisch nicht als bloße Objekte behandelt werden. Theologisch gesehen ist daher auch die Erziehung, die immer ein Gefälle an Macht und Erfahrung einschließt, von einer sie übergreifenden Forderung der Gleichwertigkeit um-
schlossen. Die von Gott her gegebene Gleichheit aller Menschen, denen Gott ihre Würde unverlierbar verleiht, relativiert die menschlichen Unterschiede in theologischer wie pädagogischer Hinsicht. Eine solche angedeutete Theologie des Jugendalters kann sich somit als Fundament und Bezugspunkt für eine Jugendtheologie zeigen, insofern diese erst dadurch ihre theologische Begründung und spezifische Ausrichtung zugunsten der Jugendlichen erfährt.
5. Formen von Jugendtheologie In welchen Formen kann nun Jugendtheologie wahrgenommen werden? Diese kann in drei verschiedene Perspektiven sowie unterschiedliche Dimensionen der Jugendtheologie ausdifferenziert werden. Diese folgende Ausdifferenzierung in verschiedene Formen soll die Identifikation von Jugendtheologie in verschiedenen Entdeckungszusammenhängen erleichtern. Hinzuweisen ist noch darauf, dass dieses Verständnis von Jugendtheologie sowohl als Beschreibung, also in deskriptivem Sinn, als auch als Zielsetzung, also in normativem Sinn, eingesetzt werden kann. Als Beschreibung dient es einer differenzierten Erfassung der vielfältigen Ausdrucksformen von Jugendtheologie. In der Diskussion zur Kindertheologie hat sich die Unterscheidung von drei Perspektiven bewährt, in denen auch die 12 Vgl. dazu Friedrich Schweitzer, Menschenwürde und Bildung. Religiöse Voraussetzungen der Pädagogik in evangelischer Perspektive. Zürich 2011.
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werden betrachtet Jugendtheologie kann:13 – Theologie der Jugendlichen, mit dem Akzent auf dem Hervorbringen von Theologie durch diese; – Theologie mit Jugendlichen, als prozessbezogene Betrachtung des gemeinsamen theologischen Gesprächs von Erwachsenen und Jugendlichen; – Theologie für Jugendliche, als Frage nach geeigneten inhaltlichen Impulsen, aber auch Informationen, von denen Jugendliche sich anregen lassen und von denen sie profitieren können. Damit die möglichen Kommunikationsund Reflexionsformen möglichst genau beschrieben werden können, lassen sich zudem mindestens fünf unterschiedliche Dimensionen von Jugendtheologie unterscheiden – wobei natürlich diese Differenzierung weder als eine qualitative noch gar als eine stufenförmig angelegte zu verstehen ist: Außerdem sind die Übergänge zwischen diesen Dimensionen natürlich nicht strikt, sondern als fließend und hochdynamisch anzusehen. (1) Eine implizite Theologie, die nur von außen, aus der Perspektive der theologischen Dogmatik, als theologisch identifiziert wird. In diesem Falle sprechen die Jugendlichen unter Umständen selbst keine, ihrem eigenen Verständnis zufolge religiösen Fragen an, sondern beispielsweise Probleme der Lebensführung, die für sie weder mit Religion noch mit Theologie zu tun haben. (2) Eine persönliche Theologie in dem Sinn, dass Jugendliche spezifische religiöse Akzentuierungen wie Autonomie oder Individualität vertreten oder besondere Formen des Engagements etwa für Frieden und Gerechtigkeit
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oder für ökologische Themen als zentral für den Glauben hervorheben. (3) Eine explizite Theologie, die sich als Nachdenken über religiöse Vorstellungen nicht zwingend theologischer Termini bedienen muss, aber auf einen auch im Verständnis der Jugendlichen religiösen Gegenstand bezogen ist und der Sache nach theologisch bestimmt ist. (4) Eine theologische Deutung expliziter Jugendtheologie mit Hilfe der theologischen Dogmatik. Diese Ebene ist gesondert zu berücksichtigen, weil die theologische Dogmatik von den Jugendlichen hier zwar nicht selbst ins Spiel gebracht wird, die dogmatische Interpretation aber, anders als bei der impliziten Theologie, einen direkten Anhalt in den auf religiöse Themen bezogenen Äußerungen der Jugendlichen besitzt und an diese anschließen kann. (5) Ein ausdrücklich theologisches Argumentieren Jugendlicher, das etwa durch Sachfragen im Konfirmandenund Religionsunterricht sowie in der Jugendarbeit, aber auch im Diskurs mit Gemeinde- und Kirchenleitungen oder jugendverbandlicher Tätigkeiten angeregt wird. Verbindet man diese drei Perspektiven mit den fünf genannten Dimensionen, ergibt sich folgendes Überblicksschema zu den möglichen Formen von Jugendtheologie: 13 Vgl. Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? In: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten, JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–18.
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Theoretische Grundlagen
Formen von Jugendtheologie Theologie der Jugendlichen
Theologie mit Jugendlichen
Theologie für Jugendliche
implizite Theologie
Jugendliche reflektieren/ kommunizieren über Themen, die sie selbst weder als religiös noch als theologisch ansehen, die sich aus der Sicht der Theologie aber als religiös darstellen und theologisch gedeutet werden können
Jugendliche artikulieren (oft auch im Modus des inneren Dialogs »mit sich selbst« und der Selbstreflexion) lebensweltliche Fragen
Jugendliche werden zur Bewusstwerdung und Auseinandersetzung mit ihrer eigenen impliziten Theologie bzw. »für sich selbst« angeregt
persönliche Theologie
Jugendliche kommunizieren – oft im Modus persönlich autonomer oder individueller Haltungen oder etwa im Modus des Engagements für Frieden, Gerechtigkeit oder für ökologische Themen – Fragen, in denen die Dimension eines eigenen Glaubens aufscheint
Individuelle, hoch persönliche Ansichten über die Frage des Glaubens können sowohl privat geäußert wie gleichzeitig auch auf öffentlichen Foren zur Diskussion gestellt werden
Erwachsene bieten auf der Basis von Vertrauensbildung empathisch und sensibel theologische Kommunikation und Deutung dieser persönlichkeitsbezogenen Glaubensfragen an
explizite Theologie
Jugendliche reflektieren und kommunizieren über ausdrücklich religiöse Themen und Sinngehalte – und dies unter Zuhilfenahme bestimmter Metaphern, Symbole, Zeichen und Inhalte mit christlichem Ursprungshintergrund
Jugendliche tauschen sich mit Gleichaltrigen als Personen ihres Vertrauens aus; deren Kommunikation kann explizit auf religiöse Gegenstände und Sachverhalt bezogen sein – und dies unter Zuhilfenahme bestimmter Metaphern, Symbole, Zeichen und Inhalte mit christlichem Ursprungshintergrund
Dialogisch wird thematisiert, was von den Jugendlichen her einen explizit religiösen Sinngehalt oder eine theologische Dimension aufweisen könnte
theologische Deutung mit Hilfe der theologischen Dogmatik
Jugendliche interpretieren religiöse Vorstellungen, indem sie Verbindungen zu Inhalten der theologischen, dogmatischen wie ethischen Tradition und Reflexion herstellen
Gemeinsam mit Jugendlichen finden Wahrnehmungs-, Reflexions- und Artikulationsprozesse im Sinn experimentellen und prozessualen Geschehens statt
Erwachsene unternehmen sachbezogene Beschreibungen der theologischen Problemlagen; sie spiegeln die individuellen jugendlichen Ausdrucksformen und ordnen diese theologisch fundiert ein – sowohl argumentativ wie erfahrungsorientiert
Jugendliche argumentieren ausdrücklich theologisch
Jugendliche beteiligen sich an theologisch bestimmten Debatten/Diskursen, etwa im Zusammenhang konkreter Bildungsprozesse und eigenen kirchlichen Engagements
Gemeinsam mit Jugendlichen kann sich ein wechselseitiges, aufeinander bezogenes Deutungsgeschehen ereignen
Jugendliche experimentieren erfahrungsorientiert mit ihrer eigenen theologischen Wahrnehmungsund Sprachfähigkeit für sich selbst und gemeinsam mit Gleichaltrigen und mit Erwachsenen
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Schlag Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?
Mit der Unterscheidung zwischen der Theologie von Jugendlichen, mit Jugendlichen und für Jugendliche handelt es sich, wie angedeutet, nicht um drei gleichsam überschneidungsfrei darstellbare Bereiche, sondern die verschiedenen Dimensionen von Jugendtheologie sind eng miteinander verflochten und müssen in einer sich jugendtheologisch verstehenden Praxis beständig aufeinander bezogen werden. Theologisch gehaltvolle Ausdrucksformen begegnen nicht nur dort, wo sie explizit oder gar in theologisch geprägter Sprache formuliert werden. Auch die quer zu diesen Dimensionen liegenden fünf Aspekte erbringen für das Verständnis von Jugendtheologie eine wesentliche Strukturierungsleistung, denn sie eröffnen Fragehinsichten und Deutungs- bzw. Zuordnungsmöglichkeiten.
6. Religionspädagogische Folgerungen Von dieser Vielfalt jugendtheologischer Kommunikationsformen aus ist deutlich, dass etwa klassische theologische Themen wie Schöpfungs- und Gotteslehre, Christologie, Ekklesiologie oder Eschatologie sowie eine theologische Ethik nur dann relevant werden können, wenn diese Themen in einem für Jugendliche lebensbedeutsamen Sinne, eben auch mit den Jugendlichen selbst, neu durchbuchstabiert werden. Man kann dies sogar noch zuspitzen: Schon allein die Frage, welche Themen für eine Jugendtheologie bedeutsam sind, lässt sich nicht unabhängig von den Orientierungsbedürfnissen Jugendlicher beantworten. Die Beschäftigung mit biblischen Überlieferungszusammenhängen, dogmatischen Argumentationen, die Behandlung theologischer
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Klassiker ebenso wie die Kultur prägenden Wirkungen christlichen Glaubens müssen Jugendlichen in ihrem lebensdienlichen Eigensinn und nicht nur als zu lernende Unterrichtsstoffe plausibel gemacht werden. Im wesentlichen Bezug auf die Jugendlichen selbst liegt so gesehen ein entscheidendes Auswahlkriterium für die Themen oder Inhalte einer Jugendtheologie: Nicht einfach die Bedeutung in der Tradition oder in der theologischen Wissenschaft ist für diese Auswahl maßgeblich, sondern an erster Stelle deren zumindest mögliche Lebensbedeutung für Jugendliche. Didaktisch gesprochen legt sich damit für die unterschiedlichen konkreten Bildungsprozesse und Unterrichtssituationen eine konstruktivistische Perspektive auf theologische Bildungs- und Kommunikationsprozesse nahe,14 die in ebenso erfahrungsorientierter wie elementarisierender15 Weise ausgestaltet sein müssen. Nun wurde anfangs bereits ausgeführt, dass christliche Theologie an die Voraussetzung des Glaubens gebunden und damit auch auf die Frage christlicher Wahrheit bezogen ist. Es ist auch pädagogisch sinnvoll, sich der jeweiligen
14 Vgl. Hans Mendl, Konstruktivistische Religionspädagogik. Ein Arbeitsbuch, Münster 2005 sowie Gerhard Büttner (Hg.), Lernwege im Religionsunterricht. Konstruktivistische Perspektiven, Stuttgart 2006. 15 Vgl. Friedrich Schweitzer, Elementarisierung und Kindertheologie. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011; ders. u.a., Elementarisierung im Religionsunterricht. Erfahrungen, Perspektiven, Beispiele, Neukirchen-Vluyn 32011; Manfred Schnitzler, Elementarisierung – Bedeutung eines Unterrichtsprinzips, Neukirchen-Vluyn 2007.
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Denkvoraussetzungen einzelner Jugendlicher, einschließlich deren existenzieller Verwurzelung auch in einem persönlichen Glauben, bewusst zu sein. Allerdings ist hier die Rede von Glaubenseindeutigkeiten schwierig. Denn auch Jugendliche können natürlich zwischen Glaube und Unglaube, Zweifel und Gewissheit schwanken. Hier legt sich die Unterscheidung zwischen einer Jugendtheologie im engeren Sinne und einer Jugendtheologie im weiteren Sinne nahe. Jugendtheologie im weiteren Sinn ist dann überall dort zu finden, wo sich Jugendliche ernsthaft auf das Nachdenken über Fragen von Religion, Glaube und Wahrheit einlassen. Jugendtheologie im engeren Sinn hingegen geht von der Bestimmung einer nicht allgemein vorauszusetzenden Bindung an den christlichen Glauben und die dadurch zum Ausdruck gebrachten Wahrheitsüberzeugungen aus. Bei allen solchen Definitionen darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass das stärkste und wichtigste Motiv für eine Jugendtheologie am Ende nicht aus einer exakten Definition, sondern eher aus einer neu herausfordernden Sichtweise und Beschreibung Jugendlicher sowie einer darauf basierenden Einstellung zu Jugendlichen erwächst: Jugendliche sollen als Theologen wahrgenommen, anerkannt und geachtet werden! D.h., dass Jugendtheologie nicht deshalb betrieben wird, weil sie als vermeintlich leichterer Weg für eine Didaktik attraktiv erscheint, die letztlich weit mehr an den eigenen Vermittlungsinteressen als an den Jugendlichen und deren Aneignungsformen interessiert ist. Von den bisherigen Ausführungen ist nun nochmals die zentrale Frage zu stellen:
7. Brauchen Jugendliche Theologie? Ist Jugendtheologie am Ende nichts anderes als ein hochgradig abstraktes, intellektuelles und dann doch nur wieder für jugendliche Eliten denkbares und interessantes Geschäft? Eröffnen die vorangehenden Überlegungen zur theologischen Reflexion und Kommunikation nur für ganz wenige Jugendliche einen kreativen und für sie interessanten Spielraum? Die erste und wichtigste Antwort auf diesen Einwand ergibt sich aus der These, dass sehr viele Jugendliche eine Theologie längst haben, zumindest im Sinne einer impliziten und einer persönlichen Theologie. So gesehen geht es nicht darum, dass ihnen Theologie erst gegeben oder gar vermittelt werden müsste. Stattdessen steht die Aufgabe im Zentrum, Jugendliche als diejenigen Theologen wahrzunehmen und anzuerkennen, die sie tatsächlich schon lange sind – in ihrem Nachdenken über religiöse Vorstellungen sowie in der darauf bezogenen Kommunikation. Das erste Bildungsanliegen der Jugendtheologie besteht in nichts anderem als darin, die entsprechenden Fähigkeiten der Jugendlichen zu unterstützen. Insofern haben Jugendliche nicht nur ein Recht auf Religion, sondern eben auch auf Theologie – selbst und gerade dann, wenn sie weit entfernt davon bleiben werden, ihre eigene Theologie in auch nur ansatzweise akademischen Sprachspielen zum Ausdruck zu bringen. Eine zweite Antwort, die dann auch unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen mit einbezieht, erwächst aus der Orientierung an Bildungsgerechtigkeit. Aus unserer Sicht ist eine Jugendtheologie nur unter dem Vorzeichen eines prinzipiell gleichberechtigten Zugangs
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Schlag Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?
und damit im Sinn der Bildungsgerechtigkeit denkbar. Demzufolge müssen gerade dort, wo Worte und Abstraktionen bei Jugendlichen an ihre Grenze kommen, Formen wechselseitiger Beziehung gefunden werden, die schon für sich überzeugend wirken, auch wenn sie sich nicht schon durch die Kraft versprachlichter Argumente auszeichnen. Die möglichst empathische und genaue Wahrnehmung der Theologie der Jugendlichen, die dialogische Dynamik einer Theologie mit Jugendlichen und die hoffnungsvolle Substanz einer Theologie für Jugendliche heben jedenfalls der Sache nach alle Bildungsgrenzen notwendigerweise auf, auch wenn dies eine entsprechende Bewährung in der Praxis natürlich nicht ersparen kann. Religiöse und theologische Kommunikation dürfen jedenfalls nicht von einem bestimmten Grad der Bildung abhängig sein. Schließlich muss man sich einer prinzipiellen Grenze für die Jugendtheologie bewusst sein: Selbst wenn man davon ausgeht, dass Jugendliche als Theologen anzusehen sind und dass sie von einer Bildung, die sie darin unterstützt, auch für sich selber entscheidend profitieren können, bedeutet dies nicht, ihnen Theologie aufdrängen zu dürfen. Das schließt ein, dass davon Abstand zu halten ist, Jugendliche möglicherweise sogar gegen ihren eigenen Willen theologisch ultimativ konfrontieren zu wollen. So muss eine Jugendtheologie mit der prinzipiellen Unverfügbarkeit und Nicht-Machbarkeit eigener Lebens- oder Glaubensentscheidungen rechnen – und dies sowohl aus theologischen wie aus pädagogischen Gründen. Die Frage, ob Jugendliche Theologie brauchen, steht immer auch in einem gesellschaftlichen Kontext. Dieser Kontext
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wirft heute zunehmend Fragen und Orientierungsprobleme auf, mit denen sich bereits Jugendliche konfrontiert sehen. Der berühmt gewordene »Zwang zur Wahl« steht symbolisch für Herausforderungen einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft. Pluralitätsfähigkeit ist damit ein eigenes Bildungsziel geworden, sowohl unter dem eher individuellen Aspekt der Lebensführung als auch unter dem gemeinschaftsorientierten Aspekt von Frieden und Toleranz in der Gesellschaft. Theologische Reflexionsfähigkeit kann zu einer solchen Pluralitätsfähigkeit beitragen. Damit soll die Relevanz theologischer Reflexion allerdings nicht in einem defizitorientierten Sinne erwiesen werden, etwa dadurch, dass Erwachsene hervorheben, was Jugendliche angeblich »unbedingt«, aufgrund ihrer – in der Sicht der Jugendlichen selbst oft nur vermeintlichen – Orientierungsprobleme bedürften. Damit würde nichts anderes erreicht als eine Rückkehr zu der inzwischen altbekannten Perspektive auf Jugendliche als Objekte einerseits und der angeblich klaren Vorgaben und Ziele der Erwachsenen andererseits. Demgegenüber setzt eine Jugendtheologie von Anfang an voraus, dass die Potentiale und Fähigkeiten von Jugendlichen als konstitutiver Bestandteil aller Suchbewegungen anerkannt und zum Tragen gebracht werden. Nur wenn Lehrende Jugendliche tatsächlich auch mit ihren individuellen Zugängen wahrund ernst nehmen, kann überhaupt Entscheidendes geschehen. Dazu gehören auch ernsthafte Dialoge über theologische Fragen, bei denen die eigenen Überzeugungen und Glaubensgewissheiten der Erwachsenen eingebracht und aufs Spiel gesetzt werden. In gewisser Weise ist dies insofern besonders wichtig,
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als Jugendliche nur dann als Gesprächspartner ernst genommen werden, wenn die Überzeugungen der Erwachsenen ihren immer auch kritischen Nachfragen ausgesetzt werden. Dieser grundsätzlich herrschaftsfreie Sinn gemeinsamen theologischen Denkens schließt zugleich ein, sich das gegebene Gefälle in der pädagogischen Interaktion auch mit Jugendlichen mindestens klar zu machen und es »immer wieder auf seine jeweilige Berechtigung und seine Begrenzung hin«16 zu hinterfragen. Mit der These, dass Erwachsene gegenüber Jugendlichen zur Rechenschaft verpflichtet sind, verbindet sich noch eine weitere jugendtheologische Perspektive, die auch mit den zum Teil schwierigen Lebenslagen von Jugendlichen selbst zu tun hat. Eine Theologie mit Jugendlichen ist ohne intensive Wahrnehmung der sozialen und politischen Weltverhältnisse sinnvoll nicht möglich. Jugendtheologie wäre jedenfalls deutlich unterbestimmt, würde sie alleine darauf abzielen, Jugendliche für eine rein individualistische und gar privatistische Religionspraxis auszurüsten. Auch dies lässt sich durch den Bezug auf die christliche Tradition sowie mit dem Verständnis des christlichen Glaubens begründen. Eine Theologie, die sich auf diesen Glauben bezieht, muss auch dessen Ausrichtung auf Gerechtigkeit und Solidarität einschließen, wodurch auch eine Jugendtheologie eine ausgesprochen öffentlich-politische Dimension gewinnt. Insbesondere muss es auch darum gehen, dass die Frage der Verletzung, Gewährleistung und Durchsetzung von Jugendrechten selbst einen wesentlichen Aspekt auch der jugendtheologischen Reflexion und Artikulation darstellt, einschließlich der weiterreichenden Rechte und Ansprüche zukünfti-
ger Generationen. Dies bedeutet dann auch, dass sich eine solche Jugendtheologie – bei aller Abwehr von Funktionalisierungen – dem Ziel verpflichtet wissen sollte, die jüngere Generation für ihre Chancen und Pflichten eigenen Engagements für ihren Nah- und Fernbereich zu sensibilisieren. Gemeint ist damit keine Politisierung aller individuellen Lebensfragen, sondern die theologisch verantwortliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeitsstrukturen und von Verhältnissen, welche die Menschenwürde verletzen. Auch an dieser Stelle bleibt festzuhalten: Nur wenn in solchen dialogischen Prozessen der Sensibilisierung für politische Fragen das Prinzip mündiger Freiheit unbedingt gewahrt wird, sind solche aufklärerischen und zur Freiheit bildenden Aktivitäten auch tatsächlich legitim. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus einer Theologie des Jugendalters, die von der unbedingten Würde und der unbedingten Freiheit eines Christenmenschen ausgeht und damit auch die Voraussetzungen der Jugendtheologie bestimmt. Schließlich ist hier nochmals zusammenfassend zu betonen: Für die Frage, wie sich Wahrheit manifestiert, sind, theologisch gesprochen, die unterschiedlichsten Wege und Ausdrucksformen denkbar, was seinerseits im Reichtum und in der Vielfalt der biblischen Perspektiven und ihrer theologischen Deutungen durch die Zeiten hindurch seinen Grund hat. Und es gehört nicht nur zur guten und langen Tradition der Theologie, son16 Vgl. Henning Schluß, Kindertheologische Differenzierungen – Zwei Fragen zur Kindertheologie. In: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), »Sehen kann man ihn ja, aber anfassen …?« Zugänge zur Christologie von Kindern. JaBuKi 7, Stuttgart 2008, 22.
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dern bereits zur biblischen Überlieferung selbst, dass das Reden von Gott »Denkbemühung erfordert: fides quaerens intellectum«.17 Letztlich ist dann gerade nicht entscheidend und möglicherweise sogar problematisch, wenn Jugendliche sich in ihren eigenen Sprachformen lediglich an dem orientieren, was sie von Erwachsenen mehr oder weniger eindeutig zu hören bekommen. In diesem Fall läuft auch eine Jugendtheologie Gefahr, nur noch in der Vermittlung bestimmter theologischer Chiffren und nicht mehr weiter reflektierter Sprachmuster zu bestehen. Vielmehr ist zu betonen: »Vielfalt auf Eines zurückzubeziehen und das Eine vielfältig variieren zu können, ist überhaupt ein Zeichen von Bildung«.18 Insofern muss die Wahrheitsfrage gerade auch in jugendtheologischer Perspektive immer in einem prozessual-dialogischen Sinne und in möglichst breiter Berücksichtigung pluraler Sichtweisen – bis hin zur bewussten Auseinandersetzung mit paradox erscheinenden Überlieferungen und der spezifischen Logik theologischer Deutungen – aufgenommen werden. Die Wahrheitsfrage in und über alle biblische Vielfalt hinaus liegt – um auf den Anfang dieses Beitrags zurückzukommen – nach christlichem Glaubensverständnis darin, was »Christum treibet«.19 Dies macht im Letzten nicht nur die Mitte und das Proprium aller theologischen Bildungs- und Erschließungsprozesse aus, sondern stellt auch das entscheidende Kriterium dafür dar, was als theologische Suchbewegung angesehen werden sollte. Und so gilt für Jugendliche noch deutlicher als für Kinder: »Zu Theologen ihres eigenen Glaubens … an den menschenfreundlichen Gott werden
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sie nicht oder nur schwerlich, ohne die Möglichkeiten zugespielt zu bekommen, sich zu dieser traditio – der Selbsterschließung Gottes in Leben und Sterben Jesu – verhalten zu können«20; konkret gesprochen, dass ein »Reden über Jesus Christus niemals nur aus einer diffusen Erfahrung heraus möglich ist, sondern Anhalt nehmen muss an den biblischen Geschichten über Jesus Christus.«21 Dass die Anforderungen an einen solchen narrativen Zugang zur christologischen Tradition gerade im Gespräch mit Jugendlichen besondere Herausforderungen mit sich bringen, sei hier nur nochmals ausdrücklich betont. Gerade in einer Zeit, in der die Orientierung an den Aussagen wissenschaftlicher Theologie alles andere als leicht und selbstverständlich ist, muss die Theologie selbst zur unbedingten Auseinandersetzung mit den vielfältigen
17 Ernstpeter Maurer, Theologie mit Kindern – eine christliche Spezialität? In: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben«. Ergebnisse und Perspektiven der Kindertheologie, JaBuKi 5, Stuttgart 2006, 32. 18 Joachim Ringleben, Bildung und Rechtfertigung. In: Klaus-Martin Kodalle / Anne M. Steinmeier (Hg.), Subjektiver Geist. Reflexion und Erfahrung im Glauben. Festschrift zum 65. Geburtstag von Traugott Koch, Würzburg 2002, 101. 19 Martin Luther, WA 7, 26. 20 Magnus Striet, Kindertheologie? Eine Verunsicherung. In: »Man kann Gott alles erzählen, auch kleine Geheimnisse«. Kinder erfahren und gestalten Spiritualität, JaBuKi 6, Stuttgart 2007, 16. 21 Gerhard Büttner, Strukturen theologischer Argumentation – Versuch einer Kartographie der Kindertheologie. In: Anton A. Bucher (Hg.), »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben«. Ergebnisse und Perspektiven der Kindertheologie, JaBuKi 5, Stuttgart 2006, 56–68, 65.
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Wirklichkeiten des Lebens bereit sein. Diese Grundaufgabe lebt in entscheidendem Maße von der Einsicht, dass Jugendlichen als Subjekten die Glaubensinhalte im Horizont der göttlichen Selbsterschließung »als für den Menschen vorbehaltlos entschiedene Liebe«22 nahe gebracht werden. In diesem Fall kann auch die Theologie selbst von Jugendlichen darin profitieren, dass sie deren hohe Flexibilitätsund Mobilitätsbereitschaft sowie deren Offenheit für Neuorientierung und Umorientierung nicht als zielloses Umherirren begreift, sondern als Ausdruck ernsthafter Suchprozesse und Suchbewegungen, durch die mehr über den Charakter gelingender Theologie zum Ausdruck kommt als in Versuchen, Sachverhalte in feste Formeln und Formen zu gießen. Es scheint an der Zeit, die Rede von einer theologia viatorum – einer Theologie der Wandernden bzw. einer Theologie auf dem Weg – gerade auch für Jugendliche neu zum Vorschein zu bringen. Von daher ergibt sich dann auch, dass nicht nur die Theologie, sondern auch die Kirche Jugendliche braucht, weil sie selbst in einem Verständnis als communio sanctorum – als Gemeinschaft der Heiligen – darauf angewiesen ist, alle ihre Glieder möglichst intensiv in ihre Praxis zu integrieren. Versteht man Kirche als creatura verbi – als Geschöpf des Wortes Gottes selbst –, so muss sie sich auch bei Jugendlichen hörbar und verständlich machen und zugleich durch Jugendliche öffentlich hörbar und verständlich werden. Insofern ist spätestens hier auch von einer notwendigen Theologie durch Jugendliche im Kontext von Kirche zu sprechen. Nur in einem solchen Sinn der durch Jugendliche sicht- und hörbar werdenden Kirche kann dem reformatori-
schen Ideal des Priestertums aller Gläubigen überhaupt entsprochen werden. Versteht man Kirche als Weg- und Dienstgemeinschaft, so ist jedenfalls unbestreitbar, dass Jugendliche auf diesem Weg mitgenommen werden und selbst auch über diesen Weg und Dienst konstitutiv mitentscheiden können müssen. So steht die Theologie vor der Herausforderung, die Sprengkraft der Rechtfertigungslehre, die fundamentale Weltkritik des Kreuzesgeschehens und die todesüberwindende christliche Hoffnung so zum Ausdruck zu bringen, dass sie in ihrer existentiellen Bedeutsamkeit überall dort erkennbar wird, wo Jugendliche auf der Suche nach individueller und gemeinschaftlicher Orientierung sind. Genau in diesem Zugang zu theologischen Themen und mithin zum alles übergreifenden Fragehorizont nach der Wirklichkeit der Offenbarung Gottes unterscheidet sie sich substantiell von allen Formen eines bloßen jugendlichen (religions-)philosophischen Erwägens und Abwägens. In einem solchen substantiell fundierten, wechselseitigen Suchprozess zwischen Jugendlichen und Erwachsenen kann dann durchaus ein Doppeltes erkennbar werden: dass es einerseits gilt, »Rechenschaft abzulegen von der Hoffnung, die in euch ist« (1. Petr 3,15), und andererseits darauf zu vertrauen: »Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist« (Joh 3,8). Oder wie es Ebeling formu-
22 Magnus Striet, Kindertheologie? Eine Verunsicherung. In Anton A. Bucher u.a. (Hg.), »Man kann Gott alles erzählen, auch kleine Geheimnisse«. Kinder erfahren und gestalten Spiritualität, JaBuKi 6, Stuttgart 2007, 14.
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Schlag Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?
liert: Christliche Theologie ist »Bereitschaft zu verantwortender Rechenschaft«.23 Zugleich, so sage ich es in eigenen Worten, transportiert Theologie Menschlichkeit, die ansonsten verloren zu gehen droht. Dass man sich mit den vorgelegten Sondierungen der Voraussetzungen, Inhalte und Zugangsweisen einer zeitgemäßen Jugendtheologie selbst erst am Anfang eines notwendig breiteren und intensiveren Weges praktisch-theologischer Forschung und pädagogischer Praxis befindet, entspricht der anspruchsvollen Sachlage der Jugendtheologie selbst. Jeglicher Versuch, abschließende Antworten auf die großen theologischen Fragen zu geben, würde hingegen dem Charakter individuellen und gemeinsamen theologischen Nachdenkens fundamental widersprechen und wäre demnach weder sinnvoll noch lebensdienlich.
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Theologie ist einerseits Beruf und damit wissenschaftlich ausgewiesene akademische Disziplin mit ihren ganz eigenen Standards, andererseits Inbegriff dessen, was über das Menschsein entscheidet, Inbegriff der »gewißmachenden, rettenden, lebensspendenden Wahrheit«.24 Sie ist einerseits Gegenstand des Wissens und der wissenschaftlichen Tätigkeit, andererseits »Sache des Glaubens, der Gnade, der Tat Gottes«.25 Theologie ist damit nicht weniger als eine eminent praktische und erfahrungsorientierte Deutungskunst des Lebens. Und wer könnte das besser wissen und füllen als die Jugendlichen der gegenwärtigen Zeit selbst.
23 Gerhard Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 52006, 82. 24 Ebd. 25 Ebd.
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Michael Meyer-Blanck Umrisse einer Jugendtheologie – Vorüberlegungen zu einer didaktischen Dogmatik1
Wenn sich die logischen Kompetenzen im Jugendalter entwicklungsbedingt bedeutend erweitern, dann muss man das auch von den theologischen Möglichkeiten in analoger Weise annehmen. Von daher wird man vielleicht einmal wissenschaftsgeschichtlich überrascht fragen: Warum fing es eigentlich mit dem Konzept der »Kindertheologie« an – und warum nicht mit der »Jugendtheologie«? In expliziter Gestalt ist dieses Thema zwar neu; aber implizit ist es seit der Aufklärung, wenn nicht seit der Reformation selbstverständlich gewesen. Denn was sind Katechismus, Katechese und Religionspädagogik anderes als die Weise der jugendbezogenen Theologie, die für Jugendliche, aber immer auch von ihnen her und mit ihnen entstanden ist? Bei der jetzt diskutierten »Jugendtheologie« geht es wie bei der Kindertheologie darum, Irrwege wie Romantizismen2 oder Pseudo-Innovationen zu vermeiden. Dazu wird im ersten Teil der Unterschied von Kindertheologie und Jugendtheologie beschrieben, im zweiten Teil der Theologiebegriff in didacticis präzisiert und im dritten Teil werden anhand des Begriffes der »didaktischen Dogmatik« künftige Aufgaben der praktischen und theoretischen Arbeit umrissen.
1. Von der Kindertheologie zur Jugendtheologie
1.1 Metaphorizität als Differenz zur Kindertheologie Auch wenn man einige entwicklungspsychologische Einsichten modifizieren möchte, wird man festhalten, dass die hypothetische, metaphorische und symbolisierungstheoretische Kompetenz des Menschen im zweiten Lebensjahrzehnt rapide zunimmt: »Den Denkraum bestimmt nun nicht mehr, was der Fall ist, sondern der volle Umkreis aller denkbaren Möglichkeiten, die der Fall sein könnten«3. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese Entwicklung didaktisch und religionsdidaktisch gefördert und nicht etwa 1 Vorgetragen bei der Tagung des »Netzwerkes Kindertheologie« in Loccum am 5.9.2011 sowie bei der Jahreskonferenz Gymnasium / Gesamtschule in Loccum am 8.11.2011. 2 Dazu vgl. Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma? In: JaBuKi 1 (2002), 9–27. 3 Friedrich Schweitzer, Auch Jugendliche als Theologen? Zur Notwendigkeit, die Kindertheologie zu erweitern, in: ZPT 57 (2005), 46–53: 48, dort kursiv. Vgl. auch Thomas Schlag, Glaube zur Sprache bringen – Gemeinde bilden. Jugendtheologische Erwägungen zum Grundauftrag evangelischer Bildung, in: ZPT 62 (2010), 194–208 sowie jetzt auch Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011.
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Meyer-Blanck Umrisse einer Jugendtheologie
durch Fundamentalismen oder naiven Wissenschaftsglauben verbaut wird. Wenn der religiöse Bildungsprozess angemessen verläuft, dann erschließt sich in den Sekundarstufen I und II mit dem Poetischen, Narrativen und dem Zeichenhaften die eigentliche Logik der Religion, genauer: Es erschließt sich die Logik der christlichen Gewissheit, wie sie sich in den biblischen Traditionen und der kirchlichen Lehrbildung ausspricht. Mit ihrer Spezifizität des zugleich Logischen und Über-Logischen hat die geschichtlich kontingente Form von Religion, wie sie das Christentum darstellt, dabei zugleich eine allgemein bildende Wirkung. Das Lernen im Christentum klärt auf über die Grenzen des Beobachtbaren wie über die Grenzen des Symbolisierens – und über die Notwendigkeit einer Verhältnisbestimmung zwischen beidem. Das Verstehen des Christentums referiert nicht nur auf dieses selbst, sondern es bildet auch im Hinblick auf den Umgang mit Faktizität, Subjektivität und Metaphorizität als den symbolischen Formen der conditio humana. Religion macht nicht nur kundig für die Glaubenspraxis, sondern auch für das Selbst- und Weltverstehen und damit für die gesamte Praxis des Menschen als eines poetisch seine Welt erschaffenden »animal symbolicum«.4 In diesem Zusammenhang ist das »Wort Gottes« bekanntlich die anspruchsvollste biblische Metapher, wenn man an die prophetische Gewissheit (»so steht die Sache Gottes«, hwhy dma hk) einerseits und an die Logik in Person denkt, wie sie im Johannesprolog beschrieben wird. Die menschliche Vernunft und der Mann aus Nazareth sind mit demselben Wort, mit dem Begriff »Logos« beschrieben, und doch nicht identisch. Das ist Poesie, die weit mehr erfordert als das
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formal-operatorische Denken – aber auf gar keinen Fall weniger. Biblische Theologie umfasst die Logik des Ganzen und Transzendenten, welche die Logik zugleich gebraucht, bis an die Grenzen strapaziert und dann durch eine Form von überlogischer, aber nicht unlogischer poetischer Logik überschreitet. Kinder können das noch nicht, Erwachsene können das vielfach nicht mehr, aber Jugendliche können das, wenn man ihr Sinn erspielendes Potenzial zu stimulieren weiß. Jugendtheologie ist Metaphorologie, man kann auch sagen: praktische Zeichenkunde. Wer Zeichen als Zeichen von etwas gebraucht, kommt in die Lage, eine erste und eine zweite Naivität zu unterscheiden und miteinander zu verbinden.5
1.2 Gelebtes Christentum als Differenz zum Philosophieren Anders als das Philosophieren mit Kindern oder mit Jugendlichen, welches ja nicht primär in die großen Antworten der Philosophie und ihre Autoren einführen soll, sondern in den Gestus und Habitus des philosophischen Fragens als solchen,6 4 Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur, Frankfurt/Main 1990, 51 [amerikanisch: An Essay on Man. An Introduction to a Philosophy of Human Culture, New Heaven/London 1944]. 5 Michael Meyer-Blanck, Vom Symbol zum Zeichen. Symboldidaktik und Semiotik, Rheinbach 22002 [1995]. 6 Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 44f. Der Begriff »Kindertheologie« geht offensichtlich auf einen Aufsatz von Anton Bucher von 1992 zurück (ebd. 46f).
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Theoretische Grundlagen
stellt die christliche Religion nicht nur Fragen. Sie konfrontiert auch mit Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat. Das liegt in der Natur der Sache der Bildung wie bei der Geschichte oder der Geographie und erst recht in den Naturwissenschaften. Die Welt wird nicht nur durch das eigene Fragen erschlossen, sondern auch durch die ehrliche Konfrontation mit der Härte der Gegenstände, auf die wir treffen. »Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen« (Schiller, Wallensteins Tod). Hart ist und bleibt für einen philosophisch gestimmten Geist die neutestamentliche Behauptung, dass die Weltgeschichte und die individuelle Lebensgeschichte umzucodieren sind aufgrund eines einzelnen historischen, ja eines biographisch fixierbaren Ereignisses, welches »in diesen Tagen dort geschehen ist«, wie es in der Emmausgeschichte heißt (Lk 24,18). Die Geschichte des Mannes aus Nazareth, die eigene Lebensgeschichte und die Geschichte insgesamt, von der Schöpfung über die Erwählung Israels bis zur Auferstehung und jenem Tag, da der Tod nicht mehr sein wird (1 Kor 15,26–28), verbinden sich in philosophisch höchst unbefriedigender Weise. Hier herrscht die Kontingenz der Geschichte über die Vernunft. Methodisch und didaktisch bleibt auch religionspädagogisch die Haltung des Fragens grundlegend. Doch von der Sache her darf das Fragen die historische Positivität als das eigentliche religiöse Problem nachaufgeklärten Verstehens nicht verschleiern. An dieser Stelle entsteht der eigentliche Anstoß, wobei dieser durchaus im doppelten Sinne zu verstehen ist. Schon die Denkschrift »Identität und Verständigung« stellte 1994 die Differenz
zum Philosophie- und Ethikunterricht mit der Gotteserfahrung fest, während die Frage nach Gott auch von Philosophen gestellt werde.7 Bernhard Dressler hat diese Linie breit entfaltet und ein doppeltes Proprium des Religionsunterrichts festgehalten. Im RU geht es um jene kulturelle Praxis, mit der sich Menschen »zum Unverfügbaren ins Verhältnis setzen« und es geht um Erzählungen, Kultus und Ethos einer bestimmten exemplarischen Religion8 – während die Philosophie eben nicht »auf eine vom Modus verbal-sprachlicher Diskursivität unterschiedene kulturelle Praxis« referiere.9 Treffend hat Petra FreudenbergerLötz 2010 die Konsequenz formuliert, dass das »Theologisieren mit Jugendlichen« den Lernenden »einen Einblick in eine Auswahl theologischer Deutungsmöglichkeiten zu vermitteln« und diese anzuregen habe, »ihre Position mit einer der angebotenen theologischen Positionen zu vernetzen«.10 Selbstverständlich besteht die didaktische Herausforderung insbesondere darin, das individuelle Sym-
7 Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift, hg. vom Rat der EKD, Gütersloh 1994, 79. 8 Bernhard Dressler, Religionspädagogik als Modus Praktischer Theologie. Mit einem kritischen Blick auf den Diskurs zur »Kindertheologie«, in: ZPT 63 (2011), 149–163: 156. 9 Bernhard Dressler (wie Anm. 8), 157, Anm. 37. 10 Petra Freudenberger-Lötz, Theologisieren mit Jugendlichen. Ein neuer religionspädagogischer Ansatz? In: PT 45 (2010), 158–162, hier 161; vgl. dazu auch die grundlegend wie methodisch-praktisch eindrückliche Monographie: Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 2007.
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Meyer-Blanck Umrisse einer Jugendtheologie
bolisieren im Hinblick auf die Positionen und die Positionen in Hinblick auf das jugendliche Fragen zu erschließen; und Veit-Jakobus Dieterich hat schon 2007 im »Jahrbuch für Kindertheologie« gezeigt, wie leicht man an dieser Aufgabe scheitert: In der Regel unterrichtet man entweder theologieorientiert oder schülerorientiert, während die Vermittlung von beidem schwer fällt.11 Als akademische Lehrer wissen wir, wie sich diese problematische Desintegration im Studium fortsetzt. Da werden allzu leicht dogmatische Fakten, entwicklungspsychologische Voraussetzungen und methodische Kniffe gelernt, aber nur selten wird elementar gefragt nach dem Bösen, dem Anfang und Ende, nach dem »pro nobis« des Evangeliums und dem real existierenden Christentum. Wahrscheinlich wird man darum sagen müssen, dass die Jugendtheologie als Studententheologie und Professorentheologie beginnen muss. Das Lernen von Theologie ist selbst ein Bildungsprozess, bei dem das genetische Prinzip Vorrang vor der Operationalisierbarkeit von Wissen und Kompetenzen haben muss. Wenn kompetenzorientiert unterrichtet werden soll, dann darf das Gewicht weder auf dem von Personen unabhängigen Wissen noch auf inhaltsfreien Kompetenzen liegen. Die Bemühung um eine Jugendtheologie wird darum nach theologischen Kompetenzen fragen, die in der Auseinandersetzung mit theologischen Fragen wie Offenbarung, Christologie und Trinität entstehen.
1.3 Jenseits von Dogmatismus und Konstruktivismus Jugendtheologie muss mit der Härte der Gegenstände konfrontieren, weil nur
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diese die denkerische, existenzielle und symbolisierende Kraft von Jugendlichen stimuliert. Dennoch kann es in keinem Unterricht darum gehen, Religion im Sinne bestehender Fakten zu unterrichten. In seinem Aufsatz hat Veit-Jakobus Dieterich darum dafür plädiert, dass es sich beim Unterricht um »einen grundsätzlich gleichberechtigten und ergebnisoffenen Dialog« handeln müsse.12 Das ist richtig, insofern es um die individuelle Sinnvergewisserung geht. Theologisieren kann keinen vorab feststehenden Ergebnissen verpflichtet sein, sondern es folgt nach den Regeln des freien Denkens nur dem besseren Argument und der besseren individuellen Evidenz. Alles andere wäre ein Dogmatismus, wie er nicht nur dem bildenden Gespräch im Unterricht, sondern dem evangelischen Prinzip selbst – als der Suche nach der überzeugenden Gewissheit – widerspräche. Das wäre nicht Lehre, sondern Dogmatismus oder Doktrin. Dennoch ist mir auch bei der kindertheologisch bisweilen propagierten Alternative des »Konstruktivismus« nicht wohl.13 Dieser Terminus birgt mindestens das Missverständnis, als ginge es bei der Auseinandersetzung mit bildenden Gegenständen nur um das persönlich und aktuell Überzeugende. Schon philosophisch unterkomplex wäre die Vorstellung, das Subjekt konstruiere seine Welt eigenständig. Sprachphilosophie und Kulturwissenschaft einschließlich der Semiotik lehren aber, dass Menschen nur 11 Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen, in: JaBuKi 6 (2007), 121–137, hier 130. 12 Veit-Jakobus Dieterich (wie Anm. 11), 122. 13 Dazu vgl. Veit-Jakobus Dieterich (wie Anm. 11), 134 ff. unter Bezug auf andere Literatur.
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sehr bedingt Herren ihrer eigenen Konstruktionen sind.14 Dies wird metaphorisch mit der basalen Einsicht zum Ausdruck gebracht, dass wir unsere Sprachen nicht nur sprechen, sondern dass wir auch von unserer Sprache gesprochen werden. Was wir als konstruiert und selbst vollzogen wähnen, liegt unserem eigenen Wähnen und Konstruieren immer auch schon voraus. Nur unter dieser Prämisse erhält ein – pädagogisch sonst durchaus produktiver – Aufklärungsoptimismus das realistische Gegengewicht, wie es der Einsicht in die Entstehungsbedingungen von kulturellen Gegenständen entspricht. Erst recht im religionspädagogischen Zusammenhang ist die Berufung auf den Konstruktivismus problematisch, jedenfalls dann, wenn die Interdependenz von Konstruieren und Konstrukt unterschätzt wird. Dadurch könnte die kulturelle Realität der Gegenstände und die soziale der Kirche als Lern- und Lehrgemeinschaft verfehlt werden und damit nicht zuletzt auch die Konfessionalität des evangelischen RU. Theologisieren und RU haben aber – mit Schleiermacher gesprochen – auch Anteil an der Kirchenleitung. Sie unterliegen nicht einer dogmatisierenden und doktrinären Kirchenleitung. Aber sie können sich auch nicht von der Kirchenleitung dispensieren. Das Evangelium gilt nicht zeitlos und ortlos, aber es ist auch nicht auf einzelne Subjekte, Gesprächssituationen und Klassenräume beschränkt. Das individuelle Evidenzerleben ist ja gerade von der Gestalt, dass es sich immer zugleich auf die anderen bezieht. Das zeigen die Botschaft der Propheten, die Osterverkündigung und die Heilungserzählungen gleichermaßen. Gott will »lauts des Evangelii« (CA VII), dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen
(1 Tim 2,4). Diese Erweiterung ist der christlich-religiösen Erlösungseinsicht gleichursprünglich. Die Wahrheit ist persönlich, aber nicht individuell. Theologisieren und RU sind darum immer auch das Ringen um die Wahrheit – und nicht lediglich individuelle bzw. situative Konstruktionen. Die Gegenstände werden aktuell rekonstruiert, aber in diesem Zusammenhang wird auch das Überindividuelle aller Rekonstruktion deutlich. Darum wird auch gewertet und verworfen, wie das einem Dialog auf Augenhöhe entspricht. »Konstruktion« darf jedenfalls nicht die Frage nach dem Geltenden mit der Antwort beenden, alles sei lediglich individuell gültig. Mit dieser Maxime würden Schule und Unterricht falsch informieren.
2. Was ist Theologie? Evangelische Grundeinsichten in didaktischer Absicht
2.1 Theologie im weiten und engen Sinn und die Einheit der Theologie Man kann die Theologie im weiten Sinne, als das Denken des Glaubens überhaupt und die Theologie im engen Sinne als die denkende Selbstvergewisserung im Dienste der professionellen Glaubenskommunikation (der Lehrerin und des Pfarrers) unterscheiden. Diese Unterscheidung ist de facto dieselbe, die im 18. Jahrhundert als die Unterscheidung von professioneller Theologie und persön-
14 Dazu vgl. Michael Meyer-Blanck (wie Anm. 5), dort vor allem das Kapitel über die Interdependenz von Zeichen und Subjekt (135– 177).
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licher Religion entstanden war.15 Dennoch erscheint mir die Unterscheidung zwischen der Theologie im weiten und im engen Sinne, wie sie Eilert Herms vorgeschlagen hat,16 hilfreicher zu sein, weil sie die Einheit der Theologie stärker zum Ausdruck zu bringen vermag. Diente die Unterscheidung von Theologie und Religion im 18. Jahrhundert dazu, die Eigenständigkeit laientheologischen Denkens herauszustellen, so ist diese inzwischen unbestritten, so dass die Unterscheidung jetzt eher die Stufenfolge von der (bloßen) jugendlichen Religion zur professionellen (eigentlichen) Theologie implizieren könnte. Auf dieser Grundlage verdient die Kategorie der »Kindertheologie« bzw. der »Jugendtheologie« den Vorzug, weil damit eine Theologie jedes Christenmenschen vorausgesetzt wird. Nach Herms ist Theologie zunächst »selbst ein Moment des christlichen Lebens«,17 dann aber speziell die professionelle Kompetenz von Lehrern und Pfarrern zur »Pflege der öffentlichen Institutionen christlicher Gewissheitskommunikation«.18 In dieser Betrachtungsweise sind Kindertheologie und Jugendtheologie nicht die ganze Theologie, sondern ein Teil davon. Aber auch die akademische Theologie ist nicht die ganze Theologie, sondern die auf das Handeln derjenigen bezogene Theorie, die die Mitteilung und Darstellung des Glaubens zu ihrem Beruf gemacht haben. Der Ausdruck »Jugendtheologie« ist zugleich die deutliche Erinnerung an ein didaktisch nicht zu unterschreitendes Niveau von Theologizität als Gegenstand und Impuls für jugendliche Sinnbildung. Und vielleicht wird als das eigentlich Neue und als Verdienst der »Jugendtheologie« einmal der Umstand herausgestellt werden, dass auf diesem Wege mit dem
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Vorurteil aufgeräumt wurde, die schwierigen theologischen Fragen seien nicht schülerorientiert und nur etwas für professionelle Theologen. Der in dieser Ansicht wirksame versteckte Klerikalismus sollte nicht fortgeschrieben werden. Die Einheit der Theologie lebt davon, dass die denkerische Vergewisserung, also die »Theo-Logie«, eine und dieselbe ist – eben das Denken des Evangeliums im Hinblick auf verschiedene Lebenssituationen und Rollenanforderungen. Mein theologisches Denken als Freund und Vater ist anders als mein Denken als akademischer Lehrer; doch beide Formen beeinflussen sich gegenseitig, weil ich als Denker derselbe bin, auch wenn ich Verschiedenes zu denken habe. Jede Form von Theologie hat damit ihre spezifischen Stärken und Grenzen. Wenn der Transfer nicht mehr funktioniert, dann stimmt etwas nicht; dann wird das Denken über das fromme Leben in falscher Weise authentisch, incurvatus in seipsum – oder umgekehrt wird die wissenschaftliche Theologie zum Selbstzweck im
15 Botho Ahlers, Die Unterscheidung von Theologie und Religion. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Praktischen Theologie im 18. Jahrhundert, Gütersloh 1980; vgl. dazu ausführlich Michael Meyer-Blanck, Praktische Theologie und Religion, in: Praktische Theologie. Eine Theorie- und Problemgeschichte, hg. von Christian Grethlein und Helmut Schwier, Leipzig 2007, 353–397. 16 Eilert Herms, Gesellschaft – Christliches Leben – Theologie. Eine Besinnung auf das Wesen der Praktischen Theologie aus systematisch-theologischer Perspektive, in: Gelebte Religion. Im Brennpunkt praktischtheologischen Denkens und Handelns, hg. von Albrecht Grözinger und Jürgen Lott (FS G. Otto), Rheinbach 1997, 352–379. 17 Ebd. 353. 18 Ebd. 367.
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Dienste des akademischen Bedeutungszuwachses und Identitätsgewinnes. Schweigen wir jedoch von den Fehlformen und richten uns am Ideal aus: Die Theologie ist die eine Denkbemühung um den Glauben in verschiedenen Situationen und Rollen, ohne Selbstgenügsamkeit bei der eigenen Systemlogik. Jede Theologie muss sich mit den anderen Formen von Theologie ins Verhältnis setzen lassen – und setzen lassen wollen, auch wenn sie diese Aufgabe aus guten Gründen zeitweise in den Hintergrund stellt. Kindertheologie und Jugendtheologie haben damit auch keine herausgehobene Würde. Eine solche Ansicht würde einem vielfachen zumeist reformpädagogisch inspirierten Romantizismus entsprechen. Kindertheologie und Jugendtheologie sind aber andererseits auch nicht akademisch irrelevant. Sie helfen bei der Rekonstruktion der kirchlichen Lehre, wie sie der Theologie insgesamt aufgegeben ist.
2.2 Theologie und Systemlogik Systemtheoretische Unterscheidungen helfen dabei, sich der Logik des jeweiligen Systems weder naiv zu widersetzen noch ihr blind zu folgen. Unterscheiden und mit gut informiertem Gewissen handeln, lautet die Maxime. Lehrer sind so z.B. weder Funktionäre noch prophetische Sprenger des Systems Schule; sie sind in professioneller Nüchternheit unter Nutzung der Spielräume systembezogen. Schüler wissen genau, wie das System Schule funktioniert und honorieren es nicht, wenn das Qualifikationssystem Schule negiert wird (sei es in privater, therapeutischer oder spiritueller Weise).
Mit gutem Grund ist das Konzept der Kindertheologie im Hinblick auf das Bildungssystem Schule entstanden. Es steht damit im Rahmen des RU, der nicht nur rechtlich eine res mixta ist, sondern auch – systemtheoretisch gesprochen – eine Vielzahl an »strukturellen Kopplungen« aufweist. Zunächst stehen Erziehung und Bildung von Jugendlichen in der Oberstufe in starker Kopplung zum Wissenschaftssystem. Wissenschaftspropädeutisch soll die Schule auf die Unterscheidung von »wahr und falsch« vorbereiten. Religion betrifft in dieser Sicht also niemals nur die persönliche Ansicht, sondern auch das für eine Gesellschaft in toto Förderliche (das in diesem Sinne »Wahre« oder »Falsche«). Durch die Trennung von Staat und Kirche ist es selbstverständlich, dass der RU nicht zum Organisationssystem der Religion gehört; durch seine konfessionelle Struktur ist andererseits festgelegt, dass er zum Funktionssystem Religion gehört und nicht nur zu Wissenschaft und Bildung. Kinder- und Jugendtheologie steht damit auch systemtheoretisch nicht nur in der Logik individueller Bildung, sondern auch in der Logik des gesellschaftlich Förderlichen und des konfessionell Wahren. Von daher kann ein Dialog um das Theologische zwar ergebnisoffen sein, aber nicht ergebnisignorant. Die Ergebnisse universitärer, kirchlicher und gesellschaftlicher Formen von Theologie müssen mit eingespielt werden. Dazu gehört etwa die Unterscheidung von philosophischer, historischer und praktischer Zugangsweise in der Theologie. Ohne das Philosophische würde man das Gewordene naiv affirmieren, ohne das Historische und Praktische würde man die Realität überspringen – und damit Jugendliche falsch informieren.
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Um noch einmal einen Unterschied zur Kindertheologie aufzuzeigen: Je älter die Schüler werden, desto stärker müssen sie auch Anteil an der gesellschaftlichen Realität und damit an der Sperrigkeit des theologischen Wahrheitsdiskurses selbst gewinnen. Sie müssen konfrontiert werden mit den Ergebnissen professioneller Theologie – und sie werden dann auch die Ergebnisse professioneller Theologie selbst befruchten und verändern können.
2.3 Theologie als Schriftauslegung Nach dem Verständnis der evangelischen Kirche bildet sich die christliche Wahrheitsgewissheit im gemeinsamen Lesen und Verstehen, im Hören und Reden über die Bibel. Dabei gibt es sehr wenige Grundaxiome, die nicht zur Disposition stehen, also auch nicht »ergebnisoffen« sind. Das sind die Geschichtlichkeit Gottes, die Einheit Gottes und die Verantwortlichkeit des Menschen sowie die grundlegende Überzeugung davon, dass Gott ein dem Menschen zugewandter, sein Gutes wollender Gott ist und keiner, der bestimmte Forderungen stellt und diese erfüllt haben will. Zur Geschichtlichkeit Gottes gehört es dabei, dass diese Zusammenhänge nicht ideal einsichtig werden, sondern anhand der Geschichte Gottes mit Israel und mit Jesus als der Mitte der Zeit. Wenn diese Grundsätze immer wieder durchscheinen und zum Zuge kommen, dann ist tatsächlich vieles ergebnisoffen: Die Frage nach Gut und Böse, nach dem Handeln des Menschen vor Gott jetzt und nach der persönlichen Verantwortung am Ende seiner Tage, die Gestalt von Gemeinde, Kirche, Kultus und Diakonie und nach den Lebens- und Familienformen des Menschen. Alles das
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muss sich immer wieder neu finden und wird sich finden im Lesen und Auslegen der Schrift. Das Theologisieren mit Jugendlichen hat daran Anteil. Es wird über die offenen Fragen, die weitaus in der Mehrzahl sind, ergebnisoffen nachdenken und dabei der genannten Grundüberzeugungen jeweils neu gewiss werden. Entsprechend ist ja nach evangelischer Auffassung weder die Bibel noch die Predigt oder gar die Lehre das »Wort Gottes«, sondern diese sind Mittel und Zeichen, unter denen sich das Wort in Person, der Logos selbst, vergegenwärtigt. Evangelische Lehre kann von daher nicht vermittelt werden, aber es können sehr wohl Bedingungen geschaffen werden, unter denen Menschen in die evangelische Lehre hineinkommen. Das ist die Aufgabe von Theologie. Insofern geschieht in der Theologie mit Jugendlichen nichts grundsätzlich anderes als in der kirchlichen und in der universitären Theologie; und insofern hat die wissenschaftspropädeutische, kirchenbezogene, aber nicht von der Kirche abhängige Theologie Anteil an der Kirchenleitung.
3. Didaktische Dogmatik Die Theologie mit Jugendlichen im RU ist eine spezifische Form von Theologie im Übergang von der Bildung zu Wissenschaft und Kirche. Als solche hat sie aber Anteil an der Aufgabe der Theologie insgesamt. Das gilt erst recht für die evangelische Spielart von Theologie als der jeweils neuen, gemeinsam vollzogenen Auslegung des Evangeliums. Die spezifische Verfasstheit evangelischer Lehre, jenseits von Fundamentalismus, Subjektivismus und allgemeiner Religion, gilt es
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im RU zu rekonstruieren. Mit einem zugespitzten Wortspiel: Didaktische Dogmatik ist die Form evangelischer Lehrbildung im Modus bildender Lehre im Unterricht. Theologie von und mit Jugendlichen ist kirchliche Theologie in statu nascendi. Die Unterscheidung einer Theologie »für, von und mit« Jugendliche/n ist treffend, aber nicht besonders aussagekräftig, weil selbstverständlich. Ohne eines dieser – zu Recht immer wieder genannten – Momente kann Theologie nicht funktionieren.19 So verstanden ist dann die Jugendtheologie aber identisch mit der Aufgabe des RU überhaupt, nämlich mit dem Ziel, die evangelisch-christliche Religion im Modus ihrer Selbstrekonstruktion zu erleben, mitzugestalten und zu lernen. Damit bin ich bei meiner bevorzugten Formulierung: RU und Theologie mit Jugendlichen bedeutet, eine Partie Dogmatik zu spielen. Unter einer »didaktischen Dogmatik« ist zweierlei zu verstehen: Zum einen ist die »didaktische Dogmatik« jene Rekonstruktionsleistung, die Lehrer und Schüler gemeinsam erbringen, indem sie die »Jugendtheologie« und die »Lehrertheologie« auf dem Hintergrund der wissenschaftlichen Theologie miteinander ins Spiel bringen; zum zweiten ist »didaktische Dogmatik« jene Vorarbeit, die dazu verhilft, solche dogmatischen Spiele in Szene zu setzen.20 An einer solchen didaktischen Dogmatik im Dienste elementarisierender Rekonstruktion im Unterricht sollte man künftig arbeiten. Sie wäre im Grunde eine Form von »antwortender Theologie« wie diese Paul Tillich vorschwebte,21 nur dass hierbei erstens im Spiel von Frage und Antwort beide Seiten deutlicher dasselbe Gewicht haben sollten und dass zweitens Frage und Antwort stärker auf die jugendtheologischen Mög-
lichkeiten im Unterricht und auf die einschlägigen jüngsten jugendtheologischen Forschungsergebnisse bezogen sein sollten. Die didaktische Dogmatik in diesem zweifachen Sinne, als schriftliches Konzept und als Prozess, ist dabei nichts kategorial anderes als die Diskussion in der professionellen wissenschaftlichen Dogmatik, auch wenn sie qualitativ und quantitativ begrenzter ist. Aber die Rekonstruktionsleistung, das Abwägen von Sichtweisen vor dem Hintergrund der Grundaussagen der Schrift, eben dieses Bemühen bewahrt vor einem naiven Dogmatismus ebenso wie vor einer billigen Kritik des Dogmas, die gar nicht zu den Problemen vordringt, sondern einer konventionellen pseudokritischen Attitüde folgt. Positiv bedeutet das Spiel der Dogmatik dagegen das Folgende: Alte und neue Interpretationen des biblischen Evangeliums, dogmatische Lehrformulierungen aus Geschichte und Gegenwart, werden 19 Eingehend dazu vgl. die Tabelle bei Mirjam Zimmermann (wie Anm. 6), 123. 20 In diesem Sinne bleibt eine evangelische Dogmatik im Hinblick auf Jugendliche und auf die religionsdidaktische Aufgabe noch zu erarbeiten, als erste Skizzen dazu vgl. Michael Meyer-Blanck, Die Aktualität trinitarischer Rede für die Praktische Theologie, in: Rudolf Weth (Hg.), Der lebendige Gott. Auf den Spuren neueren trinitarischen Denkens, Neukirchen-Vluyn 2005, 129–142; ders., Für uns gestorben. Kreuzestheologie im Religionsunterricht, in: Entwurf 2010 Heft 3, 6–10 sowie ders., Christologie für Kinder. Phasen unterschiedlichen altersgemäßen Verstehens, in: Grundschule Religion 33 (2010) Heft 4, 26– 28. 21 Paul Tillich, Systematische Theologie I, Berlin / New York 1987 [1958], 73–80 unter der besonders in der katholischen Religionsdidaktik terminologisch folgenreichen Überschrift »Die Methode der Korrelation«.
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von der Logik des Evangeliums her miteinander und durchaus auch gegeneinander abgewogen. Dazu zwei nur angedeutete Beispiele: Man kann in der Dogmatik etwa über das Verständnis von »Evangelium und Gesetz« versus das Verständnis von »Gesetz und Evangelium« sehr gut streiten – und es gibt Argumente für beide Seiten; die eine betont mehr die Verlässlichkeit und Einheit Gottes, die andere mehr die Lebendigkeit und Unverrechenbarkeit Gottes. Ebenso ist die Frage nach dem filioque im dritten Glaubensartikel nicht nur ein entscheidendes Problem bei der Verständigung mit den Orthodoxen. Dieses Problem führt auch auf das Verständnis des Christus – wie weit man sein Gottsein konsequent weiterdenken muss, oder ob man doch einen Unterschied zwischen dem alles übergreifenden Gott an sich und dem geschichtlich konkreten Gott für uns machen will, also wiederum, inwieweit man die Geschichtlichkeit der Offenbarung oder das unergründliche Geheimnis Gottes, das orthodoxe Mysterium mehr betonen will. Die Frage nach dem filioque ist ein besonders griffiges Beispiel für die Rekonstruktionsleistung der Trinitätslehre, den wohl wichtigsten und interessantesten Fall christlicher Lehrbildung in der Auseinandersetzung mit einem spekulativ, philosophisch anspruchsvoll gedachten Gott. Nicht nur wegen des muslimischen Einspruches, sondern wegen der elementaren Frage, ob Gott wirklich in den Niederungen der Geschichte Platz hat, ist die Trinitätslehre das Zentrum des christlichen Mysteriums. Aber darüber hinaus geht es auch um die unvorsichtigen Fragen von Jugendlichen, die man sich in der professionellen Theologie kaum mehr zu stellen traut: Wie ist das mit der Grausam-
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keit Gottes und mit dem »heiligen Krieg« in der Bibel? Wie ist die Ankündigung der Hölle in der Predigt Jesu (etwa in Mt 13,47–50, dem niemals behandelten eschatologischen Gleichnis vom Fischnetz –, in Mt 25 und in Lk 16) zu verstehen, und was bedeutet das Gericht nach den Werken bei Paulus (Röm 2,6– 10; Röm 14,10–12)? So gesehen erschließt die Dogmatik in der Tat mehr die Tiefe und Abgründigkeit des Fragens als die – zu Unrecht immer wieder vermuteten – fertigen Antworten. Didaktische Dogmatik verwehrt so zugleich das Verständnis des Glaubens als Änigma, als dunkles Rätsel, das man nur glauben oder als kritischer Mensch nur zurückweisen kann. Didaktische Dogmatik ist damit der Weg zur Freiheit im Umgang mit dem Geheimnis im Sinne des Mysteriums. Und insofern kann man auch sagen, dass Theologie mit Jugendlichen wie die Theologie überhaupt Mystagogie ist. Dies ist nicht im esoterischen Sinne einer religiösen Geheimwelt, in die der Lehrer der Führer wäre, zu verstehen. Aber es geht in der Religion um die Einführung in die Geheimnisstruktur der Wirklichkeit – im Gegensatz zum lediglich Beobachtbaren und Entschlüsselbaren. Das Leben kann nicht entschlüsselt werden – es kann nur gelebt werden. Theologisch erschließt sich die Geheimnisstruktur der Wirklichkeit – nicht unlogisch, sondern metalogisch. Der RU ist also insgesamt durchaus eine Form von Theologie. Er führt ein und gibt Anteil an der denkerischen Zuordnung von Gottes- und Menschenhandeln und an der verantworteten Rede von Gott. Das allgemeine Priestertum bedeutet, dass die theologische Aufgabe unteilbar ist und dass man im Hinblick auf die
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theologische Verantwortung der Kirche in reformatorischer Orientierung von der Theologie in verschiedenen Situationen sprechen sollte. Damit ist gewährleistet, dass die Theologie insgesamt auch von den Lernenden lernt und nicht von einer intellektuellen Überordnung her denkt. Das Denken des Lehrers oder der Dog-
matikprofessorin ist – hoffentlich – differenzierter als das Denken von Oberstufenschülern. Aber es ist dennoch in seiner Zuordnung der Handlungsperspektive von Gott und Mensch nicht kategorial anders, weil es theologisch nicht elementarer sein kann.
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Veit-Jakobus Dieterich Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm für die Sekundarstufe I und II
1. Theologisieren mit Jugendlichen1 als religionsdidaktisches Programm für die Sekundarstufe I und II ) These: Theologisieren mit Jugendlichen ist ein mögliches religionsdidaktisches Programm für den Religionsunterricht der Sekundarstufe I und II. Christina Kalloch, Stephan Leimgruber und Ulrich Schwab unterscheiden in ihrem »Lehrbuch der Religionsdidaktik« (2009/22010) zwischen religionsdidaktischen Konzeptionen, Dimensionen sowie Prinzipien. Religionsdidaktische Prinzipien definieren sie – im Anschluss an die Erziehungswissenschaftlerin Katja Luchte – als (1) »grundlegende Handlungsanweisungen für pädagogisches Handeln mit unterschiedlichen Zielen«, die sich (2) »auf empirisch überprüfbares Erfahrungswissen« stützen und (3) »Komplexität reduzieren« können, damit insgesamt aber (4) ein »Bindeglied zwischen Theorie und 2 Praxis« darstellen.
Religionsdidaktische Prinzipien sind damit etwas »kleinformatiger«, teilweise auch konkreter und weniger trennscharf – bzw. positiv formuliert: mit anderen Ansätzen kompatibler – als religionsdidaktische Konzeptionen. Als Beispiele nennen sie – neben Elementarisierung,
performativer Religionsdidaktik und Kompetenzorientierung – auch die Kindertheologie, so dass sich hier auch das Theologisieren mit Jugendlichen einordnen ließe. Da der Begriff »Prinzip« allerdings auch für kleinteiligere pädagogische Muster – z.B. das Prinzip der Anschaulichkeit – verwendet wird, möchte ich im Folgenden den Begriff »Programm« verwenden, wobei drei Konnotationen mitschwingen, nämlich Programm als – eine Ziel- oder Leitvorstellung (im Sinne von Programmatik); – eine Gesamtheit von Aktionsmöglichkeiten (im Sinne von Repertoire); – ein konkreter Verlaufsplan (im Sinne von Tagungsprogramm).
1 Ich ziehe den präzisen Begriff »Theologisieren mit Jugendlichen« dem statisch wirkenden »Theologie mit Jugendlichen« (Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer) sowie dem einseitig (mündlich) akzentuierten »Theologische Gespräche mit Jugendlichen« (Petra Freudenberger-Lötz) vor. 2 Christina Kalloch / Stephan Leimgruber / Ulrich Schwab, Lehrbuch der Religionsdidaktik. Für Studium und Praxis in ökumenischer Perspektive, Freiburg im Breisgau 22010, 26 f; bei den unter 1–3 genannten Punkten schließen sich Kalloch u.a. unmittelbar an Katja Luchte an.
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Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm für die Sekundarstufe I und II lässt sich damit – unter Aufnahme und Ergänzung der bei Christina Kalloch u.a. bzw. bei Katja Luchte genannten Merkmale – grundlegend folgendermaßen umschreiben: – Sein Ziel besteht in der Religionsmündigkeit bzw. der Mündigkeit in religiösen wie theologischen Fragen, womit es sich klar und eindeutig in die Bildungsziele der öffentlichen Schule in einer demokratischen Gesellschaft einordnet. – Das Programm bietet grundlegende Handlungsanweisungen bzw. ein didaktisches Setting für den Religionsunterricht. – Eine Reduktion von Komplexität erfolgt u.a. durch die Fokussierung aufs »Theologisieren«. – Das Programm baut auf empirisch überprüfbarem Erfahrungswissen auf bzw. wird an diesem ständig gemessen und überprüft. – Es stellt damit eine Verbindung von Theorie und Praxis her; ein »Switchen« zwischen theoretischen Überlegungen und anschaulichen Szenen – authentischen Äußerungen der Beteiligten, also primär von Schüler/innen, aber auch von Lehrer/innen; Unterrichtsausschnitten – charakterisiert das Programm sowie dessen Erarbeitung und Präsentierung. Für weite Teile der folgenden Darstellung bildet der von Friedrich Schweitzer vorgeschlagene und breit rezipierte Dreischritt einer Theologie von, für und mit Jugendlichen den Aufriss.3 Die einzelnen Schritte setzen dabei unterschiedliche Akzente: 1. Die Frage nach einer »Theologie von Jugendlichen« unternimmt den Ver-
such, mit »empirischen« Methoden das theologische Denken von Jugendlichen, also ihr eigenständiges Nachdenken über Fragen von Religion und Glauben, zu eruieren. 2. Eine »Theologie für Jugendliche« möchte theologische Gedanken, Gedankengebäude und Argumentationsstrukturen in altersangemessener, jugendgemäßer Weise zur Sprache bringen. 3. Das Programm »Theologie mit Jugendlichen« schließlich ist ein didaktisches Konzept, das ein Unterrichtsverfahren theoretisch und praktisch ausarbeiten will, bei dem biblische bzw. theologische Traditionen und die theologischen Auffassungen der Schüler/innen in einen grundsätzlich gleichberechtigten und ergebnisoffenen Dialog eintreten. Grundlegend lässt sich hierbei eine Doppelthese formulieren: – Alle drei Aspekte – Theologie von, für und mit Jugendliche(n) – sind jeweils notwendige, aber einzeln nicht hinreichende Elemente für unseren Ansatz. Erst in ihrer Gesamtheit bilden sie das didaktische Programm »Theologisieren mit Jugendlichen«. – Dessen innovatives Herzstück – und schwierigsten Part – stellt der dritte Schritt dar, die »Theologie mit Jugend-
3 Vgl. dazu: Friedrich Schweitzer, Auch Jugendliche als Theologen? Zur Notwendigkeit, die Kindertheologie zu erweitern, in: ZPT 57 (1/2005), 46–53; Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen, in: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), JaBuKi 6, Stuttgart 2007, 119–135; Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, NeukirchenVluyn 2011.
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Dieterich Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm …
lichen« bzw. das »Theologisieren mit Jugendlichen« (im engeren Sinne).4
2. Theologie von Jugendlichen ) These: Schülerpositionen haben im Unterrichtsprozess die gleiche Dignität wie alle anderen Positionen, auch die der biblisch-christlichen Tradition. Zur Eruierung von Schülerpositionen im Unterricht gibt es prinzipiell zwei Wege: den mündlichen mit dem Gespräch und den schriftlichen mit Schülertexten und -aufschrieben unterschiedlicher Art. Im Folgenden beschränke ich mich auf den zweiten, nicht nur aus Raumgründen, sondern auch, weil die Möglichkeiten des schriftlichen Dialogs neben und zusätzlich zum mündlichen Gespräch das Theologisieren mit Jugendlichen gegenüber dem mit Kindern in besonderer Weise auszeichnen und m.E. in dieser Altersstufe verschiedene Formen des schriftlichen Arbeitens das mündliche Gespräch stets begleiten sollten, damit sich Verlauf, Positionen, Argumente und Ergebnisse etwa von Diskussionen nicht allzu leicht wieder verflüchtigen. Als geradezu klassisches Beispiel für die schriftliche Erfassung von SchülerPositionen kann die von Robert Schuster im Jahr 1984 herausgegebene Sammlung5 von über 1200 Texten von Schülerinnen und Schülern aus unterschiedlichsten Klassen der verschiedenen Schularten der berufsbildenden Schulen (in Württemberg) zur Gottesfrage gelten, die Karl Ernst Nipkow in einem breit rezipierten Bändchen ausgewertet hat, vorrangig in thematischer Hinsicht und mit der Identifizierung von »Einbruchsstellen« des Gottesglaubens im Jugendalter.6
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Weitere Textsammlungen entstanden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten, die dann allerdings leider nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Ein etwas modifiziertes, umfassendes Projekt wird gegenwärtig durchgeführt, zu allen theologischen Grundfragen bzw. Dimensionen des Religionslehrplans von Baden-Württemberg, mit folgenden Inputs: Thema (z.B. Jesus Christus) Zwei (unvollständige) Aussagen, Satzanfänge: »… ist für mich …« Zwei Fragen: »Woran denken Sie bei dem Wort …?« Zwei Zitate (berühmter Personen)
Dieses Ernstnehmen von Schülerpositionen ist ein Ausdruck von Schüler- und Subjektorientierung und ein zwar notwendiges, jedoch keineswegs ein hinreichendes Element fürs »Theologisieren mit Jugendlichen«. Zur Weiterentwicklung muss die bewusste Arbeit an diesen Positionen hinzutreten, und zwar auf zwei Ebenen: zum einen in der Schulklasse selbst, zum andern durch die Lehrperson. Wirklich ernst genommen werden (Schüler-)Positionen ja nur, wenn sie
4 Ich verwende den Begriff »Theologisieren mit Jugendlichen« damit in doppelter Weise: In weiterem Sinn zur Bezeichnung des religionsdidaktischen Gesamtprogramms wie in engerem Sinn zur Charakterisierung des unterrichtlichen Prozesses, bei dem – bereits eruierte – Positionen auf Schülerseite mit – ebenfalls bereits erarbeiteten – Positionen auf Seiten der biblisch-christlichen Tradition in einen gleichberechtigten, ergebnisoffenen Dialog gebracht werden. 5 Vgl. Robert Schuster (Hg.), Was sie glauben. Texte von Jugendlichen, Stuttgart 1984. 6 Vgl. Karl Ernst Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, Gütersloh 51997, 43 ff.
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nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern befragt, geprüft und analysiert werden – wie dies mit jeder – klassischen –
Position im Unterricht geschieht und geschehen muss –, etwa in folgender Weise:
Schema zur Auswertung von Schülertexten in der Schulklasse (Bsp. Gottesfrage): 1. Stimmt der Text dem Gottesglauben zu? (Ja / Nein / halb/halb) 2. Welche weiteren Themenbereiche werden im Text in Zusammenhang mit der Gottesfrage angesprochen? 3. Welche Auswirkungen haben die zusätzlichen Themen auf die Gottesfrage? (Argumentationsstruktur) 4. a) Welche Form von Religion (Gottesglaube) wird akzeptiert bzw. zurückgewiesen? b) Welche Bedeutung oder Funktion hat der Gottesglaube? 5. Wird eine persönliche Entwicklung im Text erkennbar? a) In der Vergangenheit b) In der Gegenwart (als Offenheit/Unlösbarkeit der Gottesfrage) c) Für die Zukunft 6. Gibt es im Vergleich mit den anderen Schülertexten a) Gemeinsamkeiten? b) Unterschiede? c) Gegensätze?
Natürlich gibt es weitere, methodisch variantenreiche Arten der Beschäftigung mit den Schülermaterialien, etwa die meditative Verlesung/Vorstellung einzelner Texte (z.B. jeweils zu Stundenbeginn, zum Abschluss oder in gesonderten Unterrichtsphasen), die Herausbildung eines »Best of …« (eine Art »Hypertext« aus den überzeugendsten Passagen einer Textauswahl) in Gruppen oder das Erstellen von Mindmaps zu einem einzelnen Text bzw. zur gesamten Textsammlung (Klassen-Mindmap).
eine Reflexion der Theologie von Jugendlichen durch die Jugendlichen selbst –, ist noch einmal zu unterscheiden die notwendige theologische Analyse der Texte durch die Lehrkraft. Sie dient einem weiteren, bestimmten Zweck, nämlich der Vorbereitung des zweiten grundlegenden Elementes, der Präsentierung der Theologie für Jugendliche, also von Elementen der biblisch-christlichen Tradition. Als Auswertungsschema für die Schülertexte durch die Lehrerhand kann etwa folgender Leitfaden dienen:
Von dieser intensiven Beschäftigung und Auswertung der Schülertexte in der Schulklasse, die eine erste Form von »Theologisieren« darstellt – nämlich
1. Welche theologischen Themen sind in den Texten angesprochen? 2. Welche theologischen Probleme werden aufgeworfen?
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3. Welche theologischen Argumentationsstrukturen, Begründungsmuster, Denkfiguren etc. sind erkennbar? 4. Welche theologischen Traditionen werden aufgenommen? 5. Welche theologischen Lösungen zeichnen sich ab?
Zur Veranschaulichung seien zwei Schülertexte zur Gottesfrage zitiert, in denen das Problem der Konkretion und Abstraktion der Gottesvorstellung bzw. die Frage, ob Gott eine Realität oder eine bloße Projektion des Menschen ist, thematisiert wird: »Ob Gott wirklich existiert, weiß ich selbst nicht; aber auch ich brauche manchmal eine Vorstellung, die mir über manches hinweghilft. Vielleicht ist Gott eine Traumvorstellung und Wunsch; dies ist wohl immer eine Frage (unbeantwortete Frage).« (Maler-Lehrling im dritten Lehrjahr) »Gott ist keine Person, die man sich durch Verhaltensformen definieren kann! In den zehn Geboten steht, dass man sich kein Bildnis von Gott machen soll. Zu einem Bildnis gehören nicht nur Bilder in Form von Gemälden, Photographien oder Skulpturen, sondern auch Verhaltensformen oder Verhaltensmuster. Gott ›liebt‹, ›ist gütig‹ oder ›hat seinen Sohn geschickt‹ sind Aussagen, die also den Zehn Geboten widersprechen. Es ist nicht sinnvoll, Gott als etwas Menschenähnliches zu definieren, er ist etwas Höheres, für ›primitive‹ Menschenhirne Unbegreifliches! Es ist vermessen, etwas, aus dem das Universum seinen Ursprung hat, zu etwas Ähnlichem zu degradieren, was nur ein winziger Teil dieses Universums (gemeint der Mensch) ist.« (Technisches Gymnasium, Klasse 12)
3. Theologie für Jugendliche ) These: Um die Argumentation zu vertiefen und den Horizont zu erweitern, ist die Beschäftigung mit unterschiedlichen Fremdpositionen, darunter an prominen-
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ter Stelle mit Positionen der biblischchristlich-konfessionellen Tradition, für das Theologisieren mit Jugendlichen unabdingbar. In weiteren Unterrichtsphasen sind Fremdpositionen – aus Bibel, Theologie, Philosophie etc. – zu erarbeiten. Dies geschieht nicht in erster Linie um des Bekanntwerdens mit der biblisch-christlichen Tradition willen, vielmehr um der Schulklasse die Möglichkeit zu eröffnen, ihre eigenen Positionen deutlicher erkennen, klarer profilieren, mit weiteren Positionen in Beziehung setzen und gegebenenfalls modifizieren und weiter entwickeln zu können. Dazu ist jedoch zuerst einmal eine intensive Beschäftigung mit den Fremdpositionen nötig. Die erste Frage ist die der Medienauswahl. Herangezogen werden können Texte aus Bibel, Theologie, Philosophie, (Jugend-)Literatur sowie Texte von anderen Jugendlichen – insbesondere Schülertexte. Für die Auswahl aus dem riesigen Angebot gelten primär bereits bekannte und unterrichtlich vielfach angewandte Kriterien: Zuerst einmal sollten verschiedene Positionen in ihrer Pluralität bekannt gemacht werden,7 etwa in einer ideal-
7 Dieses Prinzip wurde besonders deutlich in der Politikdidaktik der siebziger Jahre im sog. »Beutelsbacher Konsens« formuliert und ist dort bis heute anerkannter Standard geblieben; vgl. u.a. Hans-Joachim Lauth / Christian Wagner (Hg.), Politikwissenschaft. Eine Einführung, Paderborn 62009, 368 f. Der in unserem Zusammenhang zentrale Satz lautet: »Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.« – Zur Übertragung des Prinzips auf die Religionsdidaktik vgl. auch: Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich, Religion als Unterricht. Ein Kompendium, NeukirchenVluyn 2004, 178.
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typischen Gegenüberstellung von konträren Positionen zum selben Thema,8 sodann gemäß dem Prinzip der Authentizität nach Möglichkeit in den Formulierungen ihrer profiliertesten Vertreter/innen zu Wort kommen (zunehmende Verwendung von Quellentexten im Verlauf von Sekundarstufe I und II); schließlich ist narrativen, poetischen, anschaulichen, bildhaften, plastischen (z.B. Gleichnisse) oder auch »persönlichen« Texten (z.B. Autobiographien; Briefen bzw. Briefwechseln) der Vorzug zu geben vor diskursiven, argumentativen, abstrakt formulierten, die jedoch ebenfalls herangezogen werden und mit zunehmendem Alter mehr und mehr Berücksichtigung finden können, vor allem in der gymnasialen Oberstufe. Als Beispiel sei die Debatte über die menschliche Willensfreiheit zwischen Erasmus und Luther angeführt, in der die Kontrahenten jeweils ein Gleichnis als Beleg und Veranschaulichung ihrer jeweiligen Position anführen, Erasmus das Bild vom kleinen Kind, das zwar auf die Hilfe des Vaters angewiesen ist, um an einen Apfel zu kommen, gleichwohl selbst etwas dabei wollen und tun muss – Luther dagegen den Vergleich des Menschen mit einem Reittier, das von Gott oder von einer bösen Macht »geritten« wird, ohne sich selbst den Reiter aussuchen zu können.9 Mindestens zwei weitere Kriterien für die Medienauswahl treten bei der Konzeption des Theologisierens mit Jugendlichen hinzu. Besonders geeignet sind mehrschichtige Texte, die verschiedene, evtl. »gleichwertige« Positionen und multiple Interpretationsmöglichkeiten 10 bieten und damit zugleich Anregungen zu Perspektivenwechseln liefern,11 wie auch solche Texte, die Anlass geben zu produktiver Vernetzung mit anderen Tex-
ten und hier insbesondere mit Schülerpositionen. Auf diese Weise ließe sich eine Sammlung, ein Thesaurus von Medien erstellen, die sich in besonderer Weise fürs Theologisieren mit Jugendlichen eignet. In einer konkreten Unterrichtssituation spitzen sich diese Kriterien auf die Anschlussfähigkeit im Blick auf die in der Klasse vertretenen Positionen zu, die jedoch nicht in einem schlicht linearen Sinne – etwa als Doppelung der Schüler8 Dieser Ansatz findet seinen Niederschlag in manchen Religionsbüchern bzw. Unterrichtsmaterialien für die gymnasiale Oberstufe, indem die unterschiedlichen bzw. konträren Positionen nacheinander oder – dann auch grafisch bzw. optisch unmittelbar sichtbar gemacht – in einem Doppelspalten- sowie Doppelseiten-Prinzip nebeneinander abgedruckt sind, wie häufig in der von Veit-Jakobus Dieterich und Hartmut Rupp herausgegebenen Reihe Oberstufe Religion (Sekundarstufe II), aktuelle Auflage, Stuttgart 2006 ff. 9 Die Gegenüberstellung der beiden Gleichnisse findet sich interessanterweise sowohl für den Beginn der Sekundarstufe I (Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich u.a. [Hg.], SpurenLesen 1. Religionsbuch für die 5./6. Klasse, Stuttgart/Braunschweig 2007, 60) als auch für die gymnasiale Oberstufe (Hartmut Rupp / Kurt Konstandin, Was ist der Mensch? [Oberstufe Religion, hg. von Eckhart Marggraf / Eberhard Röhm, Materialheft 6], Stuttgart 1999, 42, 44). 10 Dabei ist auch an Texte mit kontroverser Auslegungs- bzw. Wirkungsgeschichte (z.B. Bergpredigt) zu denken. 11 Eine Didaktik des Perspektivenwechsels findet sich in expliziter und elaborierter Form jeweils in den ersten Kapiteln (darüber hinaus aber auch als durchgängiges Prinzip) der drei Bände des Religionsbuches »SpurenLesen« für die Sekundarstufe I: Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich u.a. [Hg.], Stuttgart 2007/2008/2010; Lehrerbände. 2008/2010/ 2011 (vgl. als Beispiel etwa das erste Kapitel des ersten Bandes mit der Überschrift »Ich sehe was, was du nicht siehst« und die Geschichte »Die vertauschten Träume« von Gerd Prokopp in SpurenLesen 1, 37).
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positionen – verstanden werden darf, vielmehr in einem differenzierten, vielschichtigen Sinne – etwa als Vertiefung und Erweiterung oder auch Ergänzung der Schülerpositionen, bis hin zu Gegensatz und Widerspruch. In unseren am Ende des vorigen Abschnittes genannten Stellungnahmen würde sich etwa das biblische Bilderverbot im Dekalog oder die biblische Religions- und Götterkritik (Jes. 44,6–20) anbieten oder auch – im Blick auf beide Texte – Feuerbachs Religionskritik mit der »Projektionsthese« samt deren theologischer Reflexion und Bearbeitung, etwa bei Jürgen Moltmann. Für die Erarbeitung der Texte sind zuerst einmal die üblichen hermeneutischen und anderen Methoden von Bedeutung. Beim Theologisieren mit Jugendlichen ist jedoch eine neue Akzentsetzung möglich: Die Aneignung der Texte kann auch auf die Weise erfolgen, dass die Jugendlichen die wichtigsten Passagen für andere Heranwachsende erläutern. Die Theologie für Jugendliche wird so von Jugendlichen selbst formuliert. Beispiele hierfür finden sich bei Böhm/Schnitzler, die etwa den Begriff der »Gnade« von Schülern für Schüler erklären ließen: »… ein Auge zudrücken / Rücksicht nehmen / jemanden noch eine / eine letzte Chance geben / Liebe, ach komm!« (Schüleräußerun12 gen, 7. Klasse, Realschule).
Oder sie zu einer jugendgemäßen »Übersetzung« der Paulusstelle anregten: »Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.« (1Kor 12, 9) »Nicht nur die Harten kommen in den Garten. Auch die Schwachen dürfen rein – und sie werden sogar vom Gärtner versorgt.« (Junge; 15,4; RS, 9)
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»Ich habe Gnade mit dir. Denk daran: Meine Kraft ist gerade in Losern mächtig.« (André, 13 knapp 17; RS 9)
Böhm/Schnitzler gingen gar noch einen Schritt weiter und ließen ältere Schüler/innen für jüngere Religionsunterricht vorbereiten und halten, was zu interessanten Erfahrungen auf beiden Seiten führte. Dass dieser Schritt der Aneignung von Fremd- und insbesondere Bibelpositionen keineswegs einfach ist und mitunter nur von sehr mäßigem Erfolg begleitet sein kann, zeigt Friedrich Spaeth in anerkennenswerter Offenheit. Die Beschäftigung einer Schulklasse mit der Rede des Paulus auf dem Areopag in Athen (Acta 17) mit dem Schlüsselsatz »Er hatte ihnen nämlich das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung verkündigt« (Acta 17, 18) führte zu folgenden Anfragen an Paulus, die ein weitgehendes Unverständnis bzw. eine Ablehnung signalisieren: »Nimmst du Drogen? – Die Rede ist unsinnig!« – »Woher weißt du das, was du da erzählst?« – »Warum willst du andere bekehren?« – »Wolltest du dir nur den Adrenalin14 kick geben?«
12 Vgl. Uwe Böhm / Manfred Schnitzler: Theologisieren mit Jugendlichen – im Pubertätsalter, in: Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Theologisieren mit Jugendlichen, Stuttgart 2012, 171–190. 13 Ebd., 186 f. 14 Vgl. Friedrich Spaeth, »Am Ende ist er im Licht hochgestiegen.« – Theologisieren mit Jugendlichen am Beispiel der Christologie, in: Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Theologisieren mit Jugendlichen, Stuttgart 2012, 150–167. – Die Antworten spiegeln zum einen die Ratlosigkeit der Athener, in einer tieferen Schicht wohl aber auch die der Schüler/innen selbst, wie der weitere Unterrichtsverlauf zeigte.
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»Homo homini Deus est [Der Mensch ist dem Menschen ein Gott] – dies ist der oberste praktische Grundsatz, dies ist der Wendepunkt der Weltgeschichte.«
Konkretisiert wurde die Feuerbachsche Projektions- sowie Selbstaufklärungsthese anhand des menschlichen Wunsches nach Unsterblichkeit, der Auferstehungshoffnung sowie der Entzauberung derselben. In der nebenstehenden Abbildung setzte eine Gruppe der Klasse für sich und andere Jugendliche Feuerbachs Position zeichnerisch um.
4. Theologisieren mit Jugendlichen
In unserem Beispiel aus der gymnasialen Oberstufe (Klassenstufe 12 eines Technischen Gymnasiums) thematisierte eine Unterrichtssequenz, die an die Erhebung und Auswertung von eigenen Texten zur Gottesfrage anschloss (siehe den letzten am Ende des vorigen Abschnitts zitierten Schülertext), die Religionskritik von Ludwig Feuerbach anhand von ausführlicheren Quellentexten,15 für die hier in extrem komprimierter Form drei kurze Zitate stehen sollen: »Denn nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel steht, sondern der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.« »Setze an die Stelle der Gottesliebe die Menschenliebe, an die Stelle des Gottesglaubens den Glauben des Menschen an sich selbst und seine Kraft – so hast du die wahre Religion.«
) These: Den Kern des Unterrichtsgeschehens beim Theologisieren mit Jugendlichen stellt die dialektisch-dialogische Verknüpfung bzw. Verschränkung von eigenen mit fremden Positionen dar, wobei hier – wie in Abschnitt 2 bereits betont – von der absolut gleichwertigen Dignität aller am Dialog beteiligten Beiträge auszugehen ist – d.h. dass auch eine biblische Aussage im Dialog denselben Stellenwert besitzt wie jede begründete Position der Schüler/innen. Die Grundaufgabe dieses Schrittes ist es, die – bereits bearbeiteten – Positionen der Schüler/innen mit den – ebenfalls erarbeiteten – Positionen der Tradition in 15 In diesem Fall wurden neben einigen grundlegenden Abschnitten aus Feuerbachs Religionskritik vor allem Passagen zum Auferstehungsglauben aus dem Werk »Das Wesen des Christentums« von 1841 thematisiert. – Die folgenden drei Kurzzitate stammen aus »Das Wesen des Christentums« sowie aus den »Vorlesungen über das Wesen der Religion« von 1848/1851.
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einen Dialog zu bringen, auf Augenhöhe und ergebnisoffen bzw. unter der Prämisse einer diskursiven Wahrheitstheorie.16 Im gesamten Unterrichtsprozess erfolgt somit ganz grundlegend ein dreifacher Perspektivenwechsel: von Schülerpositionen über Traditionspositionen zu Dialogoptionen, wobei jede dieser drei Dimensionen in sich wiederum mehrperspektivisch, weil plural, verfasst ist: die Schülerpositionen (z.B. Schülertexte der Klasse, evtl. ergänzt um weitere Texte von Jugendlichen), die Fremdpositionen sowie die Optionen beim Dialog zwischen Eigen- und Fremdpositionen.
Methodisch gibt es hierbei wiederum drei grundlegende Möglichkeiten: Den mündlichen Weg, also das Gespräch, dann den schriftlichen, d.h. die Anfertigung neuer (Schüler-)Arbeiten, drittens aber alle Formen ästhetischer, meditativer, kreativer, körperbetonter oder handlungsorientierter Arbeitsformen. Annike Reiß etwa hat eindrücklich dargelegt, wie Fremdpositionen eine Horizonterweiterung bedeuten und im Dialog eine Überzeugungskraft für die Schülerinnen und Schüler gewinnen können, und damit deren Notwendigkeit fürs Theologisieren mit Jugendlichen herausgestellt.17 Bei der Wunderfrage vertreten Jugendliche in aller Regel entweder ein rationalistisches Verständnis, das die Sichtweise der Vernunft / der Natur einnimmt – das Jugendalter gilt geradezu als Phase des kritischen Realismus – oder ein supranaturalistisches Verständnis mit der Sichtweise des Glaubens / der Religion. Nun lässt sich in den Unterricht neben den rationalistischen und supranaturalistischen Positionen – die ja in der klassischen Diskus-
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sion zur Wunderfrage ebenfalls dominieren – zusätzlich eine weitere Sichtweise mit einem offenen Weltbild und Wirklichkeitsverständnis einspeisen, etwa anhand von Bernhard Dresslers Diktum, dass uns Wundergeschichten in »einen Streit um das Verständnis der Wirklichkeit [verwickeln], darum also, wie wir uns und die Welt, in der wir leben, verstehen wol18 len.«
Im Unterrichtsprozess erweist sich diese Position dann tatsächlich als ein überzeugender, neue Möglichkeiten eröffnender »dritter Weg«, zumindest für manche der Heranwachsenden, wie folgende Schüleräußerung zeigt: »Ich dachte halt immer, es gibt halt zwei Seiten, einmal die wissenschaftliche und einmal die religiöse. Die Wissenschaft sagt, das waren halt Tatsachen oder es war überhaupt nicht da. Die religiöse sagt, Gott war das.«
16 Eine beachtliche Verknüpfungsleistung zwischen theologischen, subjektbezogenen (entwicklungspsychologischen) und religionsdidaktischen Optionen stellt dar: Carsten Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters. Werte und Einstellungen Heranwachsender als Bezugsgrößen für religionsdidaktische Reflexionen, Stuttgart 2010. – Dem entspricht auch ein diskursives Religionsverständnis bei Heinz Streib / Carsten Gennerich, Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher, Weinheim/München 2011, insbes. 13–17. 17 Vgl. Annike Reiß, Wen wunderts? – Theologische Gespräche mit Jugendlichen zum Thema »Wunder«, in: Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Theologisieren mit Jugendlichen, Stuttgart 2012, 99–113. – Hieraus auch das erste Schülerzitat im folgenden Text, 105. 18 Bernhard Dressler, Blickwechsel. Religionspädagogische Einwürfe, Leipzig 2007, 279.
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So dass sich das Thema Wunder, aus verkrusteten Denk- und Diskussionspositionen befreit, lebens- und erfahrungsnah erschließen kann: »Ich habe schon mal ein Wunder erlebt, nämlich als mein Bruder geboren wurde.«
Wiederum Friedrich Spaeth19 gießt etwas Wasser in den Wein und problematisiert den Erfolg dieses dialogischen Vorgehens, der mitunter allenfalls als partiell bezeichnet werden kann. In seinem Unterrichtsbeispiel zu Acta 17 formulierten die Schüler/innen in einem weiteren Schritt eigene Fragen an Paulus, die um die Themenfelder »Gottesglaube«, »Wahrheit und Pluralität« sowie »Lebenswichtiges« kreisen. Bei der anschließenden Aufgabe, einen Brief an Paulus zu schreiben, wählte die Mehrheit der Klasse die Frage »Woher nehme ich, was mir wirklich wichtig ist?«. In den Texten gerieten die paulinischen Aussagen und Angebote »eher an den Rand«, während für Jugendliche aktuelle existentielle Themen in den Vordergrund traten, Freundschaft, Familie, Musik …, so dass ein wirklicher Dialog allenfalls in Ansätzen zustande kam. Die Schüler/innen waren mit dem Unterricht dennoch zufrieden, wenn auch vielleicht nicht in gleicher Weise die Lehrkraft. In unserem eigenen Beispiel aus der gymnasialen Oberstufe erhielten die Schüler/innen in Gruppen die Aufgabe, aus Sicht eines Schülertextes einen Brief an Feuerbach bzw. umgekehrt einen Brief Feuerbachs an eine Schülerposition zu formulieren. Aus der Sicht des zweiten am Ende des vorletzten Abschnittes zitierten Schülertextes formulierte eine Gruppe folgenden Brief an den klassischen Religionskritiker:
»Lieber Herr Feuerbach! Auf der einen Seite geben wir Ihnen absolut Recht. Die Menschen schaffen sich einen Gott und eine Religion, wie sie es gerade wollen und brauchen. Sie wollen zum Beispiel nicht sterben, also glauben sie an die Auferstehung und das ewige Leben. Aber das heißt noch lange nicht, dass es Gott nicht geben kann. Vielleicht ist er nur ganz anders, als die Menschen glauben … Wenn es ihn gibt, ist er doch auf jeden Fall größer, als unser menschliches Gehirn es begreift. Deshalb würden wir sagen, muss man das Wort »Gott« nicht aus dem Wortschatz streichen, sondern nur wissen, dass er größer und vielleicht auch anders ist als unsere Vorstellungen und unsere Wünsche. Leider haben wir bloß eine Viertelstunde Zeit, wir hoffen aber, Sie mit unseren kurzen Ausführungen zum Nachdenken anregen zu können – unter der Voraussetzung, dass es wirklich Gott und die Unsterblichkeit des Menschen gibt.« (Technisches Gymnasium, Klasse 12)
In einer weiteren Unterrichtsphase können nun unterschiedliche biblische und theologische Gottesvorstellungen eingespeist werden, die in breiter Pluralität von konkreten Bildern und Metaphern (Gott als Hirte, Vater u.a.m.) über die Verweigerung konkreter Anschauungen (Ex 3, 13–15) bis hin zum Bilderverbot (Dekalog) und zur Kritik an Gottesprojektionen (Jes. 44, 6–20) reichen. Damit aber wird klar, dass der Unterricht beim Theologisieren mit Jugendlichen zirkulär angelegt ist, denn wir kehren hier doch zu Schritt 2 (Theologie für Jugendliche) zurück oder auch zu Schritt 1 (Theologie von Jugendlichen), wenn die Klasse Position bezieht zu Bildern, Metaphern und Vorstellungen von Gott und zu dem, was als akzeptabel und angemessen angesehen werden kann. 19 Vgl. Spaeth (wie Anm. 14), 153.
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Die Ziel- bzw. Modell-Vorstellung des offenen Unterrichtsprozesses ist – analog zur Situation in Philosophie und Philosophiedidaktik nach der pragmatischen Wende20 – nicht (mehr) die Suche und Auffindung einer absoluten Wahrheit – etwa im sokratischen Dialog –, vielmehr ein Modell des dialogisch konstruierten Konsenses bzw. des reflektierten Dissenses oder besser: eine Kombination beider Möglichkeiten, theologisch gesprochen: die Einheit in der Vielfalt. Es wird damit ein größtmöglicher Konsens angestrebt bei gleichzeitiger Respektierung aller begründeten bzw. einsichtigen Positionen, also auch der Respekt vor dem jeweils Anderen, Fremden, wie etwa Martin Jäggle pointiert formuliert: »(Religiöse) Pluralität bedeutet nicht Idylle, sondern ist vielleicht nur dort keine Quelle von Konflikten, wo Religion gänzlich privatisiert, Religionen gesellschaftlich gleichgültig und letztlich bedeutungslos geworden wären. Im Dialog wird nicht die Harmonie des ›Einander-Verstehens‹ erreicht werden, sondern eher das ›Einander-in-der-FremdheitBegleiten‹ als fruchtbare Lösung anzusehen sein. Konflikte sind notwendig und können Chancen eröffnen. Auch deswegen ist nicht primär ihre Vermeidung anzustreben, sondern primär ein angemessener Umgang mit ih21 nen.«
Dass es sich hierbei tatsächlich um keinen »Spaziergang« und kein »Sandkastenspiel« handelt, wird deutlich an den extrem kontroversen Stellungnahmen zweier Schüler ein und derselben BVJKlasse22 zur Frage nach Sinn und Bedeutung der Religion für die Menschen: – »Dass alle Menschen Brüder und Geschwister sind und im Frieden leben können. Das, dass die Islamisten keine Bombenleger sind.«
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– »In meinen Augen ist das Schwachsinn und fördert die Feindschaft unter den Völkern.«
5. Rahmen und Bedingungen ) These: Der dialogische Grundzug des Theologisierens mit Jugendlichen erfordert beides, klare Planung bzw. Strukturierung auf der einen und Offenheit auf der anderen Seite, also gleichsam eine strukturell geplante inhaltliche Freiheit. Damit erweist sich das Programm auch als kompatibel mit den Ansprüchen und Angeboten des Systems Schule. Wenn sich ein neues didaktisches Programm im Religionsunterricht etablieren will, muss es nicht nur ein elaboriertes, einleuchtendes Setting bieten, vielmehr muss dieses auch kompatibel sein mit den Verhältnissen (an) der Schule. Dies soll an drei Bereichen jeweils exemplarisch gezeigt werden, an der Ergebnissicherung und Leistungsmessung, an den amtlichen Vorgaben, also den Richtlinien und Bildungsplänen, sowie im Blick auf die beteiligten Personen, die Schülerinnen und Lehrer. 20 Vgl. dazu u.a.: Johannes Rohbeck, Methoden des Philosophie- und Ethikunterrichts, in: Johannes Rohbeck (Hg.), Methoden des Philosophierens. Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik, Bd. 1, Dresden 2000, 147–174, insbes. 154 f. 21 Martin Jäggle, Religiöse Pluralität als Herausforderung für Schulentwicklung, in: Martin Jäggle / Thomas Krobath / Robert Schelander (Hg.), lebens.werte.schule. Religiöse Dimensionen in Schulkultur und Schulentwicklung, Wien 2009, 265–280, 267. 22 Die beiden Zitate stammen aus einer BVJKlasse (Berufsvorbereitungsjahr) im Großraum Stuttgart (Sammlung des Vf.).
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Die Ergebnissicherung geht über die Reproduktion von Stoff- und Faktenwissen weit hinaus und bezieht insbesondere das Wissen, Verstehen und Begründen von möglichen Positionen sowie deren Bezüge zu anderen Positionen mit ein. Anstelle einer oft rudimentären, lückenhaften und wenig kohärenten Ansammlung von Wissen kann sich beim Theologisieren ein Verstehensgeflecht ausbilden. Dieses aber, so die These, lässt sich ebenso prüfen, messen und benoten wie Fakten- oder Reproduktionswissen – das aber weiterhin seine Bedeutung behält, etwa im Blick auf die thematisierten Fremdpositionen, in unserem Beispiel also etwa ein Grundwissen zu Bibeltexten zur Gottesfrage oder zu Feuerbach. Als Anregung zur Überprüfung der beim Prozess des Theologisierens möglichen Lernschritte und -erfolge sei exemplarisch ein kleines Raster zur Generierung von konkreten Fragestellungen genannt: 1. Welche Positionen wurden in der Klasse / in der Tradition vertreten …? 2. Mit welchen Argumenten lassen sich die einzelnen Positionen begründen …? 3. Welche Argumente sprechen gegen die einzelnen Positionen …? 4. Welche Positionen lassen sich mit welchen anderen Positionen in welcher Weise in Beziehung setzen …? (Gleichheit – Gegensatz – Weiterführung etc.) 5. Welche Positionen erweisen sich (für die Mehrheit der Klasse / für eine Minderheit / für Dich) als besonders einleuchtend bzw. tragfähig und warum?
Ein solches Evaluierungsmuster spiegelt offensichtlich den Verlauf des Unterrichtsprozesses, kann jedoch – in der gymnasialen Oberstufe – zugleich mit klassischen Fragestellungen zum Verständnis von Positionen, Texten und Problemstellungen kombiniert werden, auf-
gefächert in die drei unterschiedlichen Schwierigkeitsebenen von einfacher Wiedergabe, (eigenständiger) Bearbeitung und Anwendung wie zuletzt selbstständiger systematischer Reflexion, Beurteilung und Problemlösung, konkretisiert anhand der Liste der so genannten Operatoren (z.B. Nennen/Erläutern/Begründet Stellung nehmen …).23 Neben diesen an die klassischen Aufgabenstellungen anknüpfenden, diese jedoch zugleich transzendierenden Fragen eignen sich fürs Theologisieren mit Jugendlichen in ganz besonderer Weise innovative Formen der Evaluation, etwa Seminararbeiten und Portfolios als Dokumentationen des individuellen bzw. kollektiven Lernprozesses.24 Zugespitzt formuliert würde es im Religionsunterricht letztlich darum gehen, dass die Jugendlichen im Verlauf des Unterrichtsprozesses ihren eigenen »Katechismus« erstellen – etwa in einer Art »Portfolio« –, entweder individuell oder auch als Gruppen- bzw. Klassenleistung. Damit aber würde das Anliegen Friedrich Schleiermachers, ein Geistlicher müsse seine theologische Position stets aufs Neue selbst entwickeln und formulieren, in modifizierter Form aufgenommen und
23 Vgl. dazu u.a.: Mirjam Zimmermann, Leistungen beurteilen, in: Michael Wermke u.a. (Hg.), Religion in der Sekundarstufe II. Ein Kompendium, Göttingen 2006, 447–457. – Die Operatorenliste findet sich in den sog. EPAs (Einheitliche Prüfungsanforderung in der Abiturprüfung), http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/1989/ 1989_12_01-EPA-Ev-Religion.pdf; resp.: […] -kath-Religion.pdf. 24 Vgl. Mirjam Zimmermann, Neue Formen der Bewertung, in: Michael Wermke u.a. (Hg.), Religion in der Sekundarstufe II. Ein Kompendium, Göttingen 2006, 458–472.
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auf die Laien- und Jugendtheologie hin zugespitzt: »Je allgemeiner der Katechismus ist, desto schädlicher ist er, je spezieller, desto nützlicher, und der speziellste ist der, welchen sich der Geistliche selbst macht, und der allerspeziellste der, den er sich jedesmal selbst 25 macht.«
Eine Evaluation des Leistungsstands der Klasse kann und soll wiederum zusätzlich durch die Lehrkraft erfolgen. Hilfreich hierfür mag folgender Katalog im Anschluss an Hanna Roose sein:26 »1. Inwiefern verfügen [die Heranwachsenden] über differenziertes religiös-biblisches Wissen? 2. Inwiefern verwenden [die Heranwachsenden] geprägte religiöse Sprache? 3. Inwiefern gebrauchen [die Heranwachsenden] religiöse Sprache in eigenständiger Weise? 4. Inwiefern vernetzen [die Heranwachsenden] ihre Wissensbestände? 5. Inwiefern können [die Heranwachsenden] (ansatzweise) in Paradoxien denken? 6. Inwiefern erkennen [die Heranwachsenden] in theologischen Fragen eine Relevanz (für sich)?«
Im Blick auf die Bildungspläne sei exemplarisch das von der EKD veröffentlichte Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe herangezogen,27 das in den einführenden Teilen zum didaktischen Programm des Theologisierens mit Jugendlichen geradezu einlädt – diesen Ansatz dann bei den konkreten Fragestellungen allerdings leider nicht durchhält und nur ganz ansatzweise in die Praxis umsetzt: »3.4 Dialogisches Prinzip des Religionsunterrichts Der Dialog ist zentrales Prinzip des Religionsunterrichts. Damit ist nicht nur gemeint, dass sich der Unterricht selbst vornehmlich
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im Gespräch der Schülerinnen und Schüler untereinander und mit der Lehrkraft vollzieht, sondern dass er auf die Begegnung mit Religion in unterschiedlichen Erscheinungsformen zielt, an religiöse Erfahrungen, Deutungsmuster und Entwürfe anknüpft und zur kritischen Auseinandersetzung damit anlei28 tet.«
Im Blick auf die Personen gibt es bezüglich der Schüler/innen bisher kaum verlässliche Untersuchungen zu Rückmeldungen auf die Konzeption des Theologisierens, nur einzelne Statements wie das folgende: »Also ich find, bei manchen Lehrern merkt man halt, ob sies ernst meinen oder nicht. Zum Beispiel Frau Z find ich jetzt gut, dass sie einfach auf die Schüler eingeht. Da kann jeder seine Meinung sagen, auch in Bezug auf Gott und Jesus – und so. Ich glaub, das ist auch mal ganz wichtig, anstatt immer nur zu lernen und zu büffeln in jedem Fach. Dann kann man sich schon auf den Unterricht freuen und kann 29 wieder was dazu beitragen.«
25 Friedrich Schleiermacher, Die praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche, hg. von Jakob Ferichs (Sämtliche Werke, Bd. 13/8), Berlin 1850, 376 (Zitat im Orig. gesperrt gedruckt). 26 Vgl. Hanna Roose, Was können Kinder nach vier Jahren evangelischem Religionsunterricht an der Grundschule?, in: Friedhelm Kraft u.a. (Hg.), »Jesus würde sagen: Nicht schlecht!«. Kindertheologie und Kompetenzorientierung, JaBuKi, Sonderband, Stuttgart 2011, 17–39, 30 (dabei Ersetzung von »Kinder« durch »Heranwachsende« und Umstellung des 3. und 4. Kriteriums durch V.-J.D.). 27 Vgl. Kirchenamt der EKD (Hg.), Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe. Themen und Inhalte für die Entwicklung von Kompetenzen religiöser Bildung, Hannover 2010. 28 Ebd., 18. 29 Zitat aus einer 8. Klasse, Böhm/Schnitzler 2012 (wie Anm. 12), 181.
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Darüber hinaus lässt sich jedoch feststellen, dass das didaktische Programm des Theologisierens mit Jugendlichen als strukturierter und zugleich offener Dialogprozess sehr gut zum empirischen Befund passt, dass Abiturienten im Rückblick das Gespräch bzw. die offene Diskussion im Religionsunterricht auf der einen Seite sehr schätzen, sich dabei aber auf der anderen der Gefahr sehr bewusst sind, dass dieses Gespräch leicht in ein leidiges »Geschwafel« abgleiten kann, wie etwa folgende Äußerung eines Abiturienten zeigt: »Vom äußerst langweiligen Schwätzfach bis zu sehr interessanten Diskussionsstunden 30 kann alles vorkommen.«
Eine höchst interessante qualitative Studie von Katharina Kammeyer zu den Erfahrungen und Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern im Blick aufs Theologisieren mit Jugendlichen – fokussiert auf das Thema der Heterogenität – zeigt das klare Bewusstsein der Grenzen, aber eben auch der Chancen dieses didaktischen Programms noch deutlicher, beispielhaft formuliert in den folgenden beiden Stellungnahmen:31 »Also ich finds schwierig, weil es diejenigen, die sehr sprachfähig sind, bevorzugt und diejenigen, die etwas kompliziertere Sachverhalte gerne sich zu Gemüte führen.« (Realschullehrer, Kl. 10) »Generell halte ich Heterogenität immer ganz wichtig zum Theologisieren, weil wenn man so Kreise hat, wo alle das Gleiche denken, da brauche ich eigentlich nicht miteinander zu reden. Ja, das ist ja das Schöne, dass der eine was anderes denkt und vielleicht durch sein Denken den anderen bereichert oder man auf andere Ideen bringt oder seine eigene Meinung überprüfen muss oder so was. Ja also ganz homogene Gruppen sind ja gar nicht wünschenswert.« (Gesamtschullehrerin mit GU, Kl. 9)
6. Theologisieren mit Jugendlichen – Zusammenfassung und Ausblick »Theologisieren ist eine Art ›Entdeckungstour‹ und das gemeinsame Suchen nach Antworten auf theologische Fragen mit Jugendlichen im RU.« (H.S., 3. Sem. Theologie (Lehramt), 21J.)
) Schlussthese: Theologisieren mit Jugendlichen ist nicht nur ein mögliches, sondern auch ein sinnvolles religionsdidaktisches Programm für den Religionsunterricht der Sekundarstufe I und II. Das Theologisieren mit Jugendlichen ist ein didaktisches Setting mit mehreren Teilaspekten. Dabei zeigt sich, dass die grobe Einteilung in Theologie von, für und mit Jugendlichen weiter aufgefächert werden kann und muss, so dass – inklusive der »Evaluierung« – ein zehngliedriges Schema entsteht, dessen Sequenzierung sich allerdings unterschiedlich gestalten kann, weshalb die folgende Reihung als eine, jedoch keinesfalls einzige Möglichkeit verstanden werden sollte. Wichtig aber ist, dass alle drei Hauptebenen des Theologisierens im Unterrichtsverlauf zum Zuge kommen, insbesondere die dritte, die aber zugleich die beiden anderen unmittelbar voraussetzt bzw. einbezieht.
30 Peter Kliemann / Hartmut Rupp (Hg.), Tausend Stunden Religionsunterricht. Wie junge Erwachsene den Religionsunterricht erleben, Stuttgart 2000, 108. 31 Vgl. Katharina Kammeyer, Theologisieren in heterogenen Lerngruppen – Empirische Einsichten in Perspektiven von Lehrkräften und konzeptionelle Überlegungen, in: Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Theologisieren mit Jugendlichen, Stuttgart 2012, 191–210.
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Dieterich Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm …
Theologisieren mit Jugendlichen – Vier bis zehn Ebenen (Phasen) von Unterricht 1. »Theologie von Jugendlichen« a) Formulierung – Erhebung der Schülerpositionen (Pluralität) b) Analyse und Diskussion der eigenen Positionen in der Schulklasse (Besprechung von, Beschäftigung mit und Analyse von Schülertexten – (Freier) Dialog der Schülerpositionen = Theologisieren 1 c) Analyse der Schülertexte durch die Lehrkraft 2. »Theologie für Jugendliche« a) Auswahl und Präsentation der Fremdpositionen durch die Lehrkraft (Pluralität) b) (Kreative) Aneignung der Fremdpositionen durch die Schulklasse c) Präsentierung theologischer Positionen durch Jugendliche für Jugendliche = Theologisieren 2 3. »Theologie mit Jugendlichen« a) Planung und Präparation des mehrschichtigen Dialogs durch die Lehrkraft b) Durchführung des multiperspektivischen Dialogs = Theologisieren 3 c) Evtl. eigene Positionierung der Lehrkraft Evaluation
Am Schluss stehe der Hinweis, dass das religionsdidaktische Programm des Theologisierens mit Jugendlichen – wie mit Kindern – anschlussfähig ist hinsichtlich anderer religionsdidaktischer Konzepte, Programme und Prinzipien, insgesamt jedoch über diese hinausgeht und einen eigenständigen religionsdidaktischen Typus darstellt. Die erste Ebene (Theologie von Jugendlichen) knüpft an die Subjektorientierung der Religionsdidaktik an, auf der zweiten (Theologie für Jugendliche) wird die ältere Kontroverse zwischen einer Didaktik der Vermittlung vs. der Aneignung wieder virulent,32 wobei sich das Theologisieren vehement auf die letztere Seite stellt (insbes. 2b). Bereits
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Schritt 2b, mehr noch aber die gesamte Ebene 3 weist über diese Debatte weit hinaus und stößt vor in Räume einer Ermöglichungsdidaktik33 bzw. eines konstruktivistischen Unterrichtsparadigmas.34 Wie die komplexe und schwierige, aber auch reizvolle und lohnende didaktische Aufgabe des Theologisierens anhand einzelner theologischer Dimensionen bzw. Themenfelder konkret angegangen und durchgeführt werden kann, darüber gibt es bereits die ersten, hochinteressanten Veröffentlichungen.35 Man darf gespannt sein, welche Entfaltungen und Weiterführungen dieses innovative religionsdidaktische Programm in den nächsten Jahren noch bringt. 32 Vgl. Ulrich Becker / Christoph Scheilke (Hg.), Aneignung und Vermittlung. Beiträge zu Theorie und Praxis einer religionspädagogischen Hermeneutik. Für Klaus Gossmann zum 65. Geburtstag, Gütersloh 1995. 33 Vgl. Peter F.E. Sloane, Situationen gestalten. Von der Planung des Lehrens zur Ermöglichung des Lernens, Markt Schwaben, 1999; Rolf Arnold, Grundlinien einer Ermöglichungsdidaktik. Bildung ermöglichen, Vielfalt gestalten, Augsburg 2007. 34 Nicht umsonst ist etwa der Religionspädagoge Gerhard Büttner einer der Protagonisten sowohl des Theologisierens mit Heranwachsenden wie der konstruktivistischen Religionsdidaktik. – Ähnliches gilt für Hanna Roose wie für andere Religionspädagogen/innen. – Zum Paradigma einer konstruktivistischen Religionsdidaktik vgl. insbes.: Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Religion lernen. Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik, Bd. 1, Lernen mit der Bibel, Hannover 2010 – und hierin bes. den einleitenden Beitrag der Hg., 7–18. 35 Als exemplarischen, auch für andere Themen vorbildlichen Ansatz für die Christologie vgl. Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht, Göttingen 2011. – Umfassend: Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen. Ein Werkstattbuch für die Sekundarstufe, Stuttgart 2012.
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Eva-Maria Stögbauer Konkret reden: Theologien und Theodizeen Jugendlicher
1. Gott und das Leid: Eine Einbruchstelle des Gottesglaubens? Die Theodizeefrage als die Frage nach Gott »angesichts der abgründigen Leidensgeschichte der Welt«1 gehört zu den Kernfragen der jüdisch-christlichen Tradition. In ihr bündeln sich elementare und existenzielle Fragen des Glaubens wie der Theologie: die Frage nach Gottes Güte und Fürsorge, nach seiner Geschichtsmächtigkeit, nach seiner Gerechtigkeit, nach seiner Schöpfung, nach seinem Heilsplan und letztlich sogar nach seiner Existenz. Aber inwieweit beschäftigen sich Jugendliche heute mit dieser Frage, welche die jüdisch-christliche Tradition fortwährend zur theologischen Deutung herausgefordert hat? Mit den Forschungsergebnissen von Karl E. Nipkow geht die Religionspädagogik seit Ende der 1980er Jahre davon aus, dass dem Theodizeeproblem zumindest aus der Perspektive Heranwachsender ein besonderer Stellenwert zukommt: Die Feststellung, dass Gott das Leid unschuldiger Menschen bestehen lässt und nichts dagegen unternimmt, gilt als eine der Hauptursachen für den Verlust des Gottesglaubens im Jugendalter.2 Aber trifft diese Annahme auch noch auf heutige Jugendliche zu? Hängen die Entwicklung und die Plausibilität des Gottesglaubens bei Jugendlichen in entscheidender Weise von der Theodizeefrage ab?
2. Gott und das Leid in der Vorstellungswelt Jugendlicher: Sieben Blickwinkel auf eine Frage Die folgende Typisierung, welche einen Einblick in die Gottes- und Theodizeevorstellungen junger Erwachsener ermöglicht, bildet das Ergebnis einer qualitativ-empirischen Befragung in bayerischen Schulklassen der Jahrgangsstufen 10 bis 12. Selbst wenn das begrenzte Sample keine allgemeingültigen Aussagen für die entsprechende Altersgruppe in ganz Deutschland zulässt, stellen die theoretischen Konzepte und gewonnenen Hypothesen einen heuristischen Rahmen dar, der auf Tendenzen und strukturelle Zusammenhänge aufmerksam macht und zum Nachdenken sowie zur Diskussion einlädt. Die befragten Schülerinnen und Schüler wurden mittels einer offenen Form der schriftlichen Befragung dazu motiviert, entlang eines ausführlichen Clusters mit anschließender Textproduktion den Impuls: »Ich stelle mir Gott vor …« aus ihrer individuellen Perspektive weiterzuführen. Das so entstandene Datenmaterial,
1 Johann Baptist Metz, Theodizee-empfindliche Gottesrede, in: ders. (Hg.), »Landschaft aus Schreien«. Zur Dramatik der Theodizeefrage, Mainz 1995, 82. 2 Vgl. Karl E. Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, Gütersloh 1987, 52–60.
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Stögbauer Konkret reden: Theologien und Theodizeen Jugendlicher
insgesamt 265 Cluster und Texte, wurde mithilfe einer auf den Untersuchungsgegenstand zugeschnittenen Modifikation der Grounded Theory nach Anselm L. Strauss und Juliet Corbin3 ausgewertet. Entsprechend dem methodischen Design der Grounded Theory stand während des Auswertungsprozesses zunächst die Suche nach treffenden Kategorien, die das Datenmaterial am besten beschreiben können, im Vordergrund (offenes Kodieren). Anschließend wurden die so gewonnenen Kategorien entlang der formalen Ordnungskategorien »Positionierung«, »Gottesbild« und »Theodizeemomente« miteinander in Beziehung gesetzt (axiales Kodieren), um abschließend Hypothesen zu bilden (selektives Kodieren).4 Während der Phase des axialen Kodierens bildeten sich sieben voneinander abzugrenzende Typen jugendlicher Gottesvorstellung und -rede heraus, welche zudem einen differenzierten Blick auf die Frage nach dem Umgang Jugendlicher mit der Theodizee ermöglichen. Diese werden im Folgenden näher beschrieben.5
2.1 Gottesbekenner: Unterstützende Anwesenheit Gottes im Leid w, 17 Ich stelle mir Gott vor als höhere, allwissende Macht, die mir Mut, Kraft, Schutz & Liebe gibt. Er gibt mir die Möglichkeit mich in jeder Situation an ihn zu wenden, ohne Vorurteile. Bei ihm kann ich mich ausweinen, mich geborgen fühlen, mich fallen lassen & er gibt mir immer neue Hoffnung. Des weiteren ist er für mich ein Grund fürs Zusammensein mit Anderen & für ein geregeltes rücksichts& liebevolles Leben mit ihnen. Gott ist allgegenwärtig & immer für mich da.6
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Die Aussagen von Gottesbekennern zeichnen sich durch einen expliziten IchBezug aus, d.h. Jugendliche, die diesem Typ zuzurechnen sind, fällt es leicht, von sich und Gott im Muster einer Ich-DuRelation zu schreiben und zu sprechen. Sie nehmen grundsätzlich eine bejahende Grundhaltung gegenüber Gott und Glaube ein. Zudem können sie von einem gefühlten Dasein sowie einer kontinuierlich spürbaren Wirksamkeit Gottes in ihrem Leben erzählen. Dementsprechend besitzt das Gottesbild dieser Jugendlichen eine ausgeprägte personal-kommunikative und unterstützend-therapeutische Dimension: Gott wird als ein personales Gegenüber, als ein Du, mit dem man auf unterschiedliche Weise in Kontakt treten kann, aufgefasst, wahrgenommen und erlebt. Infolgedessen wird Gott auch als ein kontinuierlicher Begleiter des eigenen Lebens und als idealer Gesprächspartner imaginiert, der dem Einzelnen unter die Arme greift und ihn persönlich unterstützt. Darüber hinaus gilt Gott als ein ethischer Fixpunkt des Lebens, da an ihm deutlich wird, was ein ›gutes‹ und gelingendes menschliches Leben ausmacht. Das gefühlte Dasein und die Vorstellung, dass Gott das Leben des Menschen unterstützend begleitet, scheinen den
3 Vgl. Anselm L. Strauss / Juliet Corbin, Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung, Weinheim 1996. 4 Zum detaillierten Nachvollzug des methodischen Vorgehens vgl. Eva Stögbauer, Die Frage nach Gott und dem Leid bei Jugendlichen wahrnehmen. Eine qualitativ-empirische Spurensuche, Bad Heilbrunn 2011. 5 Vgl. ebd., 222–286. 6 Die als Illustration vorangestellten Texte von Jugendlichen entstammen meiner Umfrage.
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kognitiven Umgang mit der Frage nach Gott und dem Leid maßgeblich zu strukturieren: Dadurch, dass Gott als in individuellen Notlagen anwesend erlebt und seine sinnstiftende Präsenz angenommen wird, wird ihm zugleich ein Vertrauensvorschuss bezüglich des Leidens und des Negativen entgegengebracht: Denn letztlich ist es Gott, der eine sinnvolle Weltordnung verbürgt. Mittels dieser Grundversicherung, die sowohl gefühlt als auch gedacht wird, gelingt es Gottesbekennern theo-zentrische Sinnfiguren aufzubauen und diese der Theodizeefrage entgegenzustellen.
2.2 Gottessympathisanten: Vertrauensbonus in Sachen Theodizee w, 18 • Gott bringt Licht in unsere Welt, er ist für manche Menschen das Licht am Ende des Tunnels • Gott kennt keine Unterschiede, er kennt den Rassismus nicht, für ihn sind alle Menschen gleich und er behandelt sie auch so. • Gott brachte die Liebe auf die Erde; er lehrte den Menschen die Liebe indem er die Menschen liebt und aufruft seinen nächsten so zu lieben, wie sie selbst Im Vergleich zu den ›Bekennern‹ nehmen Gottessympathisanten keine explizite Ich-Position (mehr) ein, sondern denken aus der Kollektivperspektive über Gott und seine Beziehung zur Welt nach, wodurch unweigerlich das biographische Moment zurückgenommen und die Bedeutung Gottes bzw. das Verhältnis des Menschen zu ihm verallgemeinert wird. Aber ebenso wie die Gottesbekenner gehen sie in ihren Texten von der still-
schweigenden Existenzannahme eines höheren Wesens aus: Gott bzw. das Göttliche wird als eine außergedankliche Realität mit spezifischen Wesenseigenschaften und Handlungsweisen aufgefasst; seine Existenz wird nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen oder verneint. Gott wird von diesen jungen Erwachsenen jeweils so geschildert, als ob es ihn geben würde. Das Gottesbild korreliert wiederum mit der Positionierung: Bei der Beschreibung wird im Besonderen hervorgehoben, welchen Stellenwert Gott für alle Menschen dieser Welt einnimmt. Dementsprechend tritt Gott in den Texten der ›Sympathisanten‹ als ein universaler Menschheitsgott auf, der als Garant, Vertreter und Korrektiv humanistischer Werte einen übergeordneten Verantwortungsbereich besitzt. Insofern enthält die Gottesidee auch einen signifikanten Visionscharakter: In Gott bzw. in einer höheren Macht wird offenbar, was das Menschsein ausmacht und auf welches Entwicklungsziel die Menschheit eigentlich zusteuern sollte. Das Grundgerüst dieser Vision bilden die Werte Gleichheit, Gerechtigkeit und Güte. Ausgehend von ihrer Kollektivperspektive nehmen Gottessympathisanten seismographisch eine verblüffende Inkongruenz zwischen Vision und Wirklichkeit wahr: Wenn Gott wirklich immer und für alle da ist, fürsorglich aufpasst und stets auf das Gute bedacht ist, warum dann das Negative, Ungerechte und Böse, an dem sich die Menschen abarbeiten müssen? Diese Unsicherheitsmomente können allerdings (noch) durch den Vertrauensbonus einem sympathischen Gott gegenüber aufgefangen werden, sodass auch ›Sympathisanten‹ – in paralleler Weise zu den ›Bekennern‹ – nach theo-zentrischen
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Sinnfiguren suchen: Einerseits hilft ihnen im Umgang mit der Theodizeefrage die Differenzierung der Handlungssphären zwischen Gott und Mensch, sodass ersterer nicht für alles und jedes, was in der Welt geschieht, verantwortlich ist, und ergänzend die Vorstellung der indirekten Hilfe sowie der letztlich sinnvollen Aufhebung des Negativen in Gott. Andererseits beschreiben ›Sympathisanten‹ ein Moment der Gottverlassenheit, insofern als der Mensch – selbst wenn er der Überzeugung ist, dass Gott ihm im Leiden beisteht – damit zurechtkommen muss, dass dieser sich nicht aktiv-verändernd in das irdische Geschehen einmischt und auch die ›hässlichen‹ Seiten der Welt bestehen lässt. Sofern Gott als schöpferische Macht die Verantwortung für die Beschaffenheit der Welt trägt und/oder das Negative willentlich in seinen kosmischen Bauplan aufgenommen hat, integriert dieser Typus ein Moment der göttlichen Schuld in seinen Umgang mit der Theodizeefrage.
2.3 Gottesneutrale: Theodizee-Resistenz eines absoluten Wesens m, 17 allwissend: Er weiß alles groß: Er ist groß uneloquent: man kann nicht mit ihm reden klug: Er ist klug außerirdisch: nicht von dieser Welt Die Äußerungen von Gottesneutralen zeichnet eine Fern-Perspektive aus: Gott bzw. eine höhere Macht wird ausschließlich aus dem Blickwinkel der dritten Person geschildert, sodass die definitorische Beschreibung dominiert. Sowohl die Fern-Perspektive als auch die Konzentra-
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tion auf die definitorische Beschreibung des göttlichen Wesens tragen zu einer Abkoppelung Gottes vom persönlichen Bereich bei, sodass keine bzw. eine nur sehr geringe Verbindung des Einzelnen zum Göttlichen auszumachen ist. Denn im Gegensatz zu den ›Bekennern‹, die aus einer unmittelbaren Ich-Perspektive von Gott und seinem Stellenwert in der eigenen Biografie erzählen, und im Unterschied zu den Gottessympathisanten, die aus einem kollektiven Wir-Gefühl heraus – in dem das eigene Ich zumindest als eingeschlossen gedacht werden kann – die Bedeutung der guten Macht Gottes für die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft der Menschen schildern, nimmt das Ich dieser Schreiber/innen gegenüber Gott einen weitgehend distanzierten und unpersönlichen Standpunkt ein. Die Gottesvokabel scheint emotional wenig aufgeladen zu sein und eine eher neutrale Zone im persönlichen Relevanzsystem zu besetzen: Gott ist zwar als weltanschauliche Größe durchaus akzeptabel und als mögliche Realität beschreibbar, aber mit ihm sind weder besondere biografische Momente noch weltanschauliche Maßstäbe verbunden. Vielleicht ist der Standpunkt der Gottesneutralen deshalb am treffendsten als unbedenkliches und heiteres Danebenstehen zu charakterisieren: ›Unbedenklich‹ insofern, als es den Jugendlichen ohne Probleme oder kritische Anfragen möglich ist, Gott als außergedankliche Gegebenheit kurz und lapidar zu beschreiben. Sie können sozusagen eine ›Gottes-Brille‹ aufsetzen und aus dieser Sicht die Welt betrachten. Andererseits erfolgt diese Beschreibung ›heiter‹ und ohne großes Pathos. Das eigene Ich steht als distanzierter Betrachter neben Gott und bestimmt seine wesenhaften Züge – eingedenk des
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Grundsatzes, dass diese absolute Macht dem menschlichen Begreifen trotzdem entzogen bleibt. Dieser Positionierung entsprechend konzentriert sich das Gottesbild auf die Betonung der absoluten Macht, Autarkie und Undefinierbarkeit dieses transzendenten Wesens. Zu Mensch und Welt lassen sich nur punktuelle und sporadische Bezüge ausmachen. Interessanterweise besitzen ›Neutrale‹ aber eine sehr theodizee-resistente Gotteskonzeption; das kognitive Zusammentreffen von Gott und Leid wirkt bei diesem Typus relativ unspektakulär. Dadurch, dass Gott als absolute, autonome und unfassbare Macht gedacht wird, die sich durch die Maximierung dessen, was dem Menschen möglich ist, von allem Seienden unterscheidet, kann ihr im Falle des Negativen in der Welt kaum eine Unvollkommenheit oder Fehlleistung angelastet werden. Außerdem wird diese höchste Macht als ein Prinzip verstanden, auf dem alles Seiende beruht und welches seine mögliche Vervollkommnung spiegelt, das aber aufgrund seiner Vollkommenheits-Differenz nicht zwingend mit der faktischen Existenz und ihren eigenwilligen Gegebenheiten in Beziehung stehen muss. Ebenso entzieht sich, wie bei der wesenhaften Konzeption herausgestellt, das Göttliche aufgrund seiner Andersheit dem menschlichen Analysieren und Beurteilen. Der Mensch steht vor der Geheimakte Gott, deren eigentliches Wollen und Handeln ihm unverständlich bleiben. Und letztlich reizt eine autonome und vollkommene Macht, die weit über den Dingen steht und sich dem menschlichen Begreifen entgegenstemmt, wenig zum Fragen.
2.4 Gotteszweifler: Entzauberung eines perfekten Gottes w, 16 Ich stelle mir Gott vor: nicht als den Bibelgott!!!!! So sehr ich an diesen Gott glauben will, ich schaffe es rein logisch überhaupt nicht, denn z.B.: wenn Gott sooo allwissend ist, warum hat er dann die Menschen nicht gut geschaffen? Er hat doch gewusst, dass sie so »scheiße« werden wie sie jetzt sind. Er hätte doch gute Menschen schaffen können, die sein Werk schätzen, stattdessen bestraft er die Sünden der Menschen die ja sein eigenes Werk waren sind. Ich glaube mehr an den spirituellen Gott, der immer um uns herum ist, mehr an den Gott wie ihn die Indianer damals hatten. Das Nachdenken des Gotteszweiflers ist – wie die Benennung unschwer erkennen lässt – von einer kritischen Unsicherheit durchzogen, sodass von Gott eigentlich nur im Konjunktiv und in der ständigen Relativierung des Gesagten zu reden ist. ›Zweifler‹ erleben und zeigen in ihren Texten kognitive wie affektive Dissonanzen: Während Gott als (all-)mächtig, allwissend, allgegenwärtig, gerecht und gütig gedacht wird, sind Welt und Mensch als ohnmächtig und in ungerechten Verhältnissen lebend zu charakterisieren. Die Widersprüchlichkeit zwischen Gott und Welt gipfelt in dem Dilemma, wie ein ens perfectissimum die schlechten Dinge und ungerechten Zustände überhaupt bestehen und/oder zulassen kann. Das Unverständnis der Schreiber/innen zentriert sich in der Frage, wie Gott bei offensichtlichsten Notsituationen inaktiv bleiben kann, obwohl dieses Verhalten dem göttlichen Wesen widerspricht und zudem menschliche Wertmaßstäbe unterläuft. Darüber hinaus erzählen ›Zweifler‹
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in ihren Texten von affektiven Dissonanzen. Das Göttliche wird im Unterschied zu ›Bekennern‹ und ›Sympathisanten‹ sowohl ambivalenter als auch disharmonischer eingeschätzt: Gott ist in manchen Situationen spürbar – in anderen nicht, manchmal ist er anwesend – dann eindeutig abwesend, er wendet sich Menschen zu – und von ihnen ab, er erscheint gütig – aber zugleich unheimlich und gemein. Das Erleben Gottes und ebenso der kognitive Umgang mit den aufgezeigten Widersprüchen besitzen den Charakter von Momentanität und Ungewissheit. Mit Gott verbinden sich positive Momente, in denen er als Handelnder spürbar wird, aber auch fragliche und negative, in denen sowohl die außergedankliche Existenz als auch die wesenhafte Konzeption Gottes im Modus des Konjunktivs ausgedrückt werden müssen. Im Hinblick auf den Stellenwert Gottes im persönlichen Überzeugungs- und Relevanzsystem befinden sich ›Zweifler‹ in einem Spannungsfeld zwischen Glaubensversuchen einerseits und Nicht-Glauben-Können bzw. NichtGlauben-Wollen andererseits ohne definitive End-Position. Neben dem Erleben und Bewerten ist auch die Gottesvorstellung von dieser Ambivalenz geprägt. Obwohl ›Zweifler‹ von einem idealen Gotteskonzept ausgehen (Gott als universaler Wächter und als Garant des Guten), zwingt sie die erlebte Wirklichkeit dazu, den Rotstift anzusetzen und die Charakterisierung Gottes zu korrigieren. Sie rekurrieren dabei auf die dunklen, unheimlichen und schuldhaften Seiten Gottes, ohne ihn allerdings unter der Annahme seiner Nicht-Existenz einfach aus der Verantwortung zu entlassen. Vielmehr entwerfen ›Zweifler‹ ausgehend von den empirischen Gegebenheiten das best-mögliche Gotteskonzept,
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selbst wenn sie dabei große Abstriche vornehmen müssen. Auffällig ist, dass diese Jugendlichen ihre Zweifel und Ansichten im Modus der Entrüstung vorbringen und Protest anmelden gegenüber einem Gott, der per Definition und offizieller Verkündigung eigentlich dazu in der Lage sein müsste, Leid zu verhindern oder zu beseitigen. Sie befinden sich in einer Anklageposition, aus der heraus sie Gott eine (Teil-)Schuld für den Zustand der Welt zuweisen und ihn zugleich zur Verantwortung rufen. Maßstab dieser Anklage sind wie bei den ›Sympathisanten‹ die humanistischen Wertsetzungen Gerechtigkeit, Menschenwürde und Güte. Die verblüffende Inkongruenz, welche letztere in der Konfrontation ihrer Gotteskonzeption mit der Faktizität des Negativen empfanden, wird allerdings bei den ›Zweiflern‹ zu einem Ärgernis, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. Die Theodizeefrage ist in diesem Fall als ein Unsicherheitsfaktor mit hoher Ladung aufzufassen. Das Ärgernis der unterlassenen Hilfeleistung durch Gott veranlasst ›Zweifler‹, Gott zu ent-perfektionieren und zu entzaubern, indem sie göttliche Attribute einschränken oder verkehren: Wenn das Negative überwiegt, dann kann Gott nicht gütig sein, sondern muss eher als »faul und untätig«, als »mitleidslos« oder sogar als »lustlos« und »sadistisch« bezeichnet werden. Wenn Katastrophen und Kriege einfach so passieren, dann kann Gott nicht allwissend und allmächtig sein, sondern ist in seinem Denken und Handeln selbst Grenzen unterworfen, vielleicht ist er auch schon »altersschwach«. Aber selbst wenn der ›liebe Gott im Himmel‹ zu entzaubern ist und das Weltgeschehen Gott eher zur geringeren als zur größeren
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Ehre gereicht, bleibt die Sehnsucht nach einem ›idealen‹ Gott, der immer da ist und das Leiden aufheben kann.
2.5 Gottesrelativierer: Sicherheit und Trost einer metaphysischen Fiktion w, 17 Ich stelle mir Gott vor … nicht als Person, sondern als Begriff. Gibt es Gott? Ich weiß es nicht; es scheint mir auch nicht lebenswichtig zu sein. Vielleicht gibt es etwas, das unsere Handlungen lenkt, vielleicht ist das Gott, aber vermutlich muss wohl jeder selbst zurecht kommen. Wenn es Gott gibt, ist es gut, wenn nicht, wird sich auf unserer Welt auch nichts ändern. Gottesrelativierer hegen gegenüber der Existenz Gottes bzw. einer höheren Macht einen generellen Unwirklichkeitsverdacht, da sie aus ihrer reflexiven Position heraus das rationale Subjekt als Bedingung der Existenz Gottes nicht ausschließen können. Insofern ist ihre Gottesvorstellung weitgehend mit dem Nimbus des ›Vielleicht‹ umgeben und von einer fundierten Skepsis durchzogen. Anknüpfend an diese kritische Sicht des Transzendenten vertreten ›Relativierer‹ ein stark funktional geprägtes Gottesbild. Ausgehend von der Frage, warum sich das Subjekt nach einer höheren Macht sehnt, kommen sie zu dem Schluss, dass Gott bzw. der Glaube eine besondere Möglichkeit der Kontingenzbewältigung darstellt. Sofern diese Sichtweise auf das Göttliche dominiert, halten sich ›Relativierer‹ – im Vergleich zu den bisherigen Typen – bei der Beschreibung eines göttlichen Wesens zurück und zeigen Tendenzen zur Apersonalisierung. Gott ist für sie weniger ein personales Gegenüber als viel-
mehr eine höhere Macht. Bezüglich der Haltung in der Frage zur Theodizee plädieren diese Jugendlichen für einen Spagat der Selbsttäuschung. Denn: Wer, wenn nicht Gott, kann eine sinnvolle Auflösung des Negativen garantieren? Die von ihnen favorisierte Sicherheitsund Trostfunktion des Glaubens führt also zu einer theodizee-fernen Konzeption des Göttlichen.
2.6 Gottesverneiner: Theodizee als Nebenschauplatz m, 19 Ich stelle mir Gott vor …, Ich kann mir Gott nicht vorstellen, da ich nicht an ihn glaube. Ich glaube nicht, dass es Gott gibt und dass er zu Leuten sprach (ab in die Klapse) und Wunder »vollbrachte«. Gottesverneiner bilden die Negativfolie zu den ›Bekennern‹. Auch ihnen ist es möglich, explizit als ›Ich‹ in Bezug zu Gott bzw. einer höheren Macht zu treten, aber in der deutlichen Ablehnung und Verneinung dieser Wirklichkeit. Ihr persönlicher Standpunkt ist die dezidiert atheistische Weltsicht. Und so sicher wie sich Gottesbekenner in ihrem Inneren sind, dass Gott existiert, so sicher sind sich ›Verneiner‹, dass dieses Wesen nicht existiert. Diese Sicherheit des Empfindens genügt ihnen als Begründung ihrer Weltsicht; sie stehen dafür unter keinem Beweis- oder Rechtfertigungszwang. Bezüglich der Gottesvorstellung können Jugendliche dieses Typs eine formelhafte Minimal-Definition in dem Sinne liefern, was »einen Gott« landläufig kennzeichnet, aber ›Gott‹ stellt für sie nur noch eine kognitive Restkategorie dar, die sie als rein funktionale Idee der Menschheits-
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geschichte enttarnen: »Gott« war bzw. ist ein Platzhalter für unerklärliche Phänomene, ein Trostanker bei Hoffnungslosigkeit oder ein Machtinstrument zur Ausübung von Herrschaft. Der Atheismus bildet für ›Verneiner‹ das logische Fazit ihrer Betrachtungen. Die Theodizeefrage ist für sie nur noch eine unspektakuläre Nebensache bzw. ein Baustein unter vielen, der »beweist«, dass es eine höhere Macht nicht geben kann. Folglich ist nicht die Theodizee, sondern das rationale Subjekt der ›Fels des Atheismus‹.
2.7 Gottespolemiker: Tacheles reden in Sachen Theodizee m, 19 Ich stelle mir Gott als tyrannisches, allmächtiges Wesen vor, das seine perversen und krankhaften Gelüste an eben jener Menschheit auslässt, die es zu seiner eigenen hedonistischen Freude erschaffen hat. Gottespolemiker sind die radikalsten »Theologen«, insofern als sie das aussprechen, was sich ihrer Meinung nach ansonsten niemand laut zu sagen traut. ›Polemiker‹ verstehen sich als externer Beobachter des Geschehens und spielen bewusst mit der Rolle des polemischen Subjekts, mit dem Ziel, ihr Gegenüber provokant und schonungslos aufzuklären. Gottesbild und Haltung zur Theodizeefrage machen dies deutlich. Gott – dessen Existenz sie im Übrigen nicht verneinen – wird von ihnen als kosmischer Tyrann demaskiert und desavouiert. Zudem dient er als Projektionsfläche ihrer Kirchenkritik. Das Theodizeeproblem ist für sie kein »Problem«, sondern die treffende, wenn auch bitterböse Veranschaulichung dessen, wie Gott wirklich ist.
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3. Gott und das Leid: Knotenpunkte der Theodizeen Jugendlicher7
3.1 Theodizee als eine Sache des Gefühls, des Idealen und des Konkreten Typenübergreifend bleibt festzuhalten, dass die gefühlte Plausibilität bzw. NichtPlausibilität des Daseins Gottes ein – wenn nicht sogar der – entscheidende Faktor für den Umgang mit der Theodizeefrage ist: Jugendliche bestimmen von ihrem inneren Gefühl her, wie einleuchtend, verständlich und begreiflich ihnen das Dasein Gottes aufgrund ihrer eigenen emotionalen Wahrnehmung ist oder nicht ist – auch und im Besonderen in Situationen des Leids. ›Bekenner‹ beispielsweise besitzen einen hohen Grad an gefühlter Plausibilität hinsichtlich des Daseins Gottes, ›Verneiner‹ hingegen einen hohen Grad an gefühlter Plausibilität hinsichtlich der Nicht-Existenz Gottes. ›Zweifler‹ er-fühlen das Dasein Gottes in einer stark ambivalenten Weise, während ›Relativierer‹ hinsichtlich ihres Fühlens bzw. der Treffsicherheit ihrer emotionalen Wahrnehmung indifferent sind. Ob Gott allgemein und speziell in leidvollen Situationen als an- oder abwesend, existent oder nicht-existent bewertet wird, hängt also markant mit der gefühlten Plausibilität zusammen: Wie sicher bin ich mir aufgrund meines inneren Erlebens, dass Gott wirklich wirklich ist? Diese gefühlte Plausibilität reguliert schließlich auch den Stellenwert und den Umgang mit dem Theodizeethema: Wenn das gefühlte Dasein oder NichtDasein Gottes weitgehend eindeutig ist, 7 Vgl. Stögbauer (wie Anm. 4), 287–293.
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Theoretische Grundlagen
besitzt die Theodizeefrage ein eher geringes Problempotenzial, während eine ambivalent-emotionale Wahrnehmung Gottes die Theodizeefrage zum Problem werden lässt. Einen weiteren Knotenpunkt jugendlicher Gottesrede bildet der Visionscharakter des Gottesbegriffs: Jugendliche der Stichprobe verstehen und deuten den Gottesbegriff als Chiffre für etwas Ideales. Gott wird als eine Wesenheit betrachtet, die letztendlich für eine sinnvolle, gerechte und humane Weltordnung Sorge tragen und für einen sinnvollen Anfang wie Abschluss der Welt stehen kann. Gott bzw. eine höhere Macht wird darüber definiert und charakterisiert, dass er/sie Gerechtigkeit, Fairness sowie Gleichheit aufrechterhält und insgesamt eine sinnhafte Weltordnung verbürgt, in der unter anderem auch ein stimmiger Tun-Ergehens-Zusammenhang vorherrscht. Darüber hinaus kann Gott als Chiffre für etwas Ideales gerade für das stehen, was dem Menschen nicht oder nur in einem sehr begrenzten Maße möglich ist: in das Innere eines Menschen sehen, alle Menschen gleich behandeln, eine ausgleichende Gerechtigkeit durchsetzen, Schlechtes verzeihen, Gutes belohnen, in Notsituationen da sein, Trost spenden, Hoffnung für die Zukunft vermitteln, Verstorbene beschützen, alles wissen, alles können. Der Visionscharakter des Gottesbegriffs steht jedoch in enger Tuchfühlung mit den empirischen Gegebenheiten, die allerdings eher darauf hindeuten, dass dieses Ideale kaum oder nur im Einzelfall zur Entfaltung gelangt. Zwar ist Jugendlichen durchaus einsichtig, dass Gott nicht andauernd wie ein deus ex machina in die Welt eingreift und dass er zudem kein Gott ist, der auf gekonntes Bitten
hin mit einem Fingerzeig Wünsche in Erfüllung gehen lässt. Sie unterscheiden göttliche und menschliche Handlungssphären sowie -möglichkeiten und differenzieren zwischen verschiedenen Verantwortungsbereichen. Die Feststellung der indirekten Wirksamkeit Gottes ist die eine, ihre Bewertung und Beurteilung aber die andere Seite. Jugendliche befinden sich in einer Situation des als unbefriedigend erlebten Deismus: Ihnen ist klar, dass Gott nicht unmittelbar in die Welt zu deren Besten eingreifen kann, zufriedengestellt sind sie damit aber noch lange nicht. Insofern nimmt vielleicht weniger eine deistische Gotteskonzeption der Theodizeefrage an Schärfe und Heftigkeit als vielmehr eine idealistische Konzeption, welche am Ende doch noch den Sieg des Guten und Schönen in Aussicht zu stellen vermag. Abschließend ist herauszustellen, dass Jugendliche eine konkrete Theologie betreiben. Das heißt: Wenn Heranwachsende über Gott nachdenken und von Gott reden, können sie nicht von der bestehenden Wirklichkeit und nicht von ihren individuellen Erkenntnissen oder ihrer emotionalen Wahrnehmung absehen. Weder Gott noch der professionellen Theologie zuliebe können sie ihre empirischen Eindrücke eliminieren und nur noch mit einem rein abstrakten, von den realen Sachverhalten weit entfernten Begriff des Göttlichen hantieren. Für sie müssen die Existenz Gottes und die Gegebenheiten der Wirklichkeit zusammenpassen. ›Konkret‹ schließt im Weiteren ein, dass Jugendliche ohne fromme Überhöhung, ohne metaphorische Versteckspiele und blumige Umschreibungen von Gott reden, sondern jeden Satz, den sie über ›Gott‹ sagen, auch so meinen.
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Stögbauer Konkret reden: Theologien und Theodizeen Jugendlicher
Die Gottesrede der von mir befragten Jugendlichen ist im hohen Maße als erlebnisgeprägt, realitätsnah und beiläufig zu charakterisieren, die in der Beschäftigung und der Auseinandersetzung mit den empirischen Gegebenheiten, der gefühlten Plausibilität, den persönlichen Erfahrungen und dem Visionscharakter des Gottesbegriffs nach einer ›viablen‹ Konzeption von Gott sucht, deren Vorstellungsinhalte sich in irgendeiner Weise an der erlebten Wirklichkeit ›verifizieren‹ lassen müssen. Dabei gibt es aber nicht nur eine logische oder nur eine gültige Lösung, sondern vielmehr verschiedene, gleich gültige Erklärungsmöglichkeiten – solange sie den empirischen Gegebenheiten standhalten und für den Einzelnen einsichtig und vor allem gefühlt richtig sind.
3.2 Standbein und Achillesferse: Stellenwert der Theodizeefrage Mit Bezugnahme auf die berühmte Begriffsbestimmung nach Immanuel Kant könnte eine abschließende Bestimmung des Stellenwerts der Theodizeefrage bei Jugendlichen der Stichprobe wie folgt lauten: Unter einer Theodizee versteht man die unaufgeregte Beweisaufnahme, die ärgerliche Anklage, die sympathisierende Verteidigung, den indirekten Freispruch oder die abschließende Verurteilung des Daseins und Wirkens Gottes gegen den Vorwurf, welchen das Gefühl und die Vernunft aus der Faktizität des Negativen in der Welt gegen das Dasein Gottes erheben. Je nachdem, welche Position Jugendliche in diesem Gerichtsver-
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fahren vorzugsweise einnehmen (Zuschauer, Beweisaufnahme, Anklage, Verteidigung, Urteil), verändern sich der Stellenwert und die Relevanz der Theodizeefrage: Sie kann zum Standbein, zur Achillesferse oder sogar zur Blutgrätsche eines sympathischen Gottesbildes werden. Ebenso kann sie als Katalysator für die Weiterentwicklung oder für die Verabschiedung der Gottesidee gelten. Und schließlich kann sie ein Randgebiet darstellen, über das man sich nicht oder nur gelegentlich den Kopf zu zerbrechen braucht. Die Auseinandersetzung sowie der Umgang mit der Theodizeefrage ist folglich von verschiedenen Faktoren abhängig: einerseits von der aktuellen Positionierung in Sachen Religion und vom religiösen bzw. nicht-religiösen Relevanzsystem des Einzelnen, andererseits vom Kontext, in welchem die Frage nach Gott und dem Leid gestellt wird (aktuelle Katastrophe, persönliche Leidenssituation, intellektuelle Beschäftigung), sowie von der dominanten Gotteskonzeption (theodizee-sensibel vs. theodizee-resistent). Es gibt also kaum das Theodizee›problem‹ Jugendlicher, sondern verschiedene Thematisierungen desselben. ›Gott‹ ist zwar eine mögliche Vokabel der Diskursivierung von Leid und Ungerechtigkeit, aber nicht die herausragende oder die einzig mögliche.8
8 Aus dieser Feststellung erwächst im Übrigen die weitere Forschungsfrage, mit welchen anderen Sprachspielen Jugendliche das Leid diskursivieren.
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Martin Rothgangel Theologie von Jugendlichen und Theologie für Jugendliche: Das Beispiel Schöpfung
1. Hinführende Überlegungen Einleitend sei auf einen Punkt hingewiesen, der in seiner Tragweite für die nachstehenden Überlegungen nicht unterschätzt werden sollte: Die Erhebung einer Schöpfungstheologie von Jugendlichen setzt bei aller Subjektorientierung bereits ein bestimmtes Verständnis von Schöpfung voraus. Verstehen Jugendliche (bzw. ihre Befrager/innen) unter Schöpfung primär Natur und Umwelt, dann wird weniger eine Schöpfungstheologie von Jugendlichen erhoben, sondern allenfalls eine Schöpfungsethik oder Schöpfungsökologie. Guido Hunze hat dieses Verständnis insbesondere in Religionsbüchern festgestellt und als eine unzulässige Verengung bzw. Verfehlung der Schöpfungsthematik kritisiert.1 M.E. ist damit zwar nicht zwingend eine Themenverfehlung gegeben, aber zweifellos wird damit nur eine ganz bestimmte Teilfacette von Schöpfungstheologie erfasst. Diese Problemanzeige sei mit einem zweiten Beispiel ergänzt, das der Verfasser während seiner Assistentenzeit bei einem Dogmatikrepetitorium für Lehramtsstudierende zum Thema Schöpfung erlebte: Im vertiefenden Gespräch über die Seminarlektüre zeigte sich zu seiner damaligen Überraschung, dass fast alle Studierenden unter Schöpfung das verstanden, was die protestantische Orthodoxie mit creatio originans bezeichnet, insbesondere das Schöpfungshandeln Gottes
wie es in Gen 1 f erzählt wird. Fast durchweg stieß dagegen die Vorstellung einer creatio continua, eines fortwährenden Schöpfungshandelns, zunächst auf Erstaunen oder ›Unglauben‹. Da ähnliche Haltungen auch bei Jugendlichen auftreten können, stellt sich somit die Frage: Was bedeutet dies für eine Schöpfungstheologie von Jugendlichen? Will man alleine erheben, was Jugendliche mit dem Begriff ›Schöpfung‹ assoziieren, oder will man gezielt auch andere Themenbereiche abfragen, die nach klassischer Dogmatik konstitutiver Bestandteil des Themas sind? Dazu gehört dann eben auch die creatio continua und mit ihr die Lehre von der Vorsehung, d.h. wiederum erstens die ordentliche Vorsehung (providentia ordinaria) mit ihren Unteraspekten der Erhaltung, Mitwirkung und Führung Gottes, aber auch die außerordentliche Vorsehung (providentia extraordinaria), d.h. Wunder. Die genannte Problematik will bedacht sein, wenn man eine Schöpfungstheologie von Jugendlichen erheben möchte. Grundsätzlich kann bereits an dieser Stelle deutlich werden, dass man sich stets in einem Zirkel zwischen einer Theologie von Jugendlichen und für Jugendliche befindet. 1 Guido Hunze, Die Entdeckung der Welt als Schöpfung. Religiöses Lernen in naturwissenschaftlich geprägten Lebenswelten, Stuttgart 2007, 67 f.
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Rothgangel Theologie von Jugendlichen und Theologie für Jugendliche
Eine zweite Problemanzeige mag selbstverständlich erscheinen, ist aber dennoch nicht trivial: Die Ergebnisse, die als Schöpfungstheologie von Jugendlichen verstanden werden, sind ganz entscheidend auch durch die jeweilige Methode bedingt, mit deren Hilfe Schöpfungstheologie(n) von Jugendlichen erhoben und ausgewertet werden. Dieses leitet unmittelbar über zum nachstehenden Punkt.
2. Schöpfungstheologien von Jugendlichen
2.1 … grundsätzlich betrachtet Bezüglich der Schöpfungstheologie von Jugendlichen gilt das Gleiche wie bei einer Theologie von Kindern: Entscheidend ist aus empirischer Perspektive, dass erstens mit größter Sorgfalt Daten erhoben werden, die Hinweise auf die Theologie von Jugendlichen geben können. D.h. konkret: Mit welchen Impulsen, Fragen und Items werden Jugendliche motiviert, ihre Gedanken zur Schöpfungsthematik preiszugeben? Soll dies mit schriftlichen Fragebögen, Einzelinterviews oder Gruppendiskussion usw. geschehen? Zweitens stellt sich die Frage, mit welchen Methoden die erhobenen Daten interpretiert und ausgewertet werden. Eine Jugendtheologie wird dann sowohl die wissenschaftliche Religionspädagogik als auch die Praxis des Religionsunterrichts befruchten, wenn die Theologie von Jugendlichen mit der methodischen Sorgfalt erhoben und interpretiert wird, wie es den gegenwärtigen Standards in den Bildungswissenschaften entspricht. Dafür gibt es im Kontext der Kindertheologie bereits gute Beispiele: Exemplarisch
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sei die Studie von Christian Butt zu Auferstehungsvorstellungen von Grundschüler/innen hervorgehoben, der ganz klar seine Forschungsmethodik ausweist und intersubjektiv nachvollziehbar mit Gruppendiskussionen sowie der Grounded Theory verfährt.2 Ein möglichst hohes Maß an methodischer Qualität ist erforderlich, damit Kinder- bzw. Jugendtheologie im Sinne einer kumulativen Forschungsarbeit vorangetrieben und mögliche Widersprüche zwischen zwei Studien durch Replikationsstudien aufgeklärt werden können. Dies kann sehr schön an zwei Beiträgen zur Schöpfungstheologie von Kindern deutlich gemacht werden: Obwohl Michael Fricke in seinem Artikel »›Wenn Gott der Bestimmer wäre …‹ – Eine Schüler/innengruppe spricht über die biblische Schöpfungserzählung«3 sowie Veit-Jakobus Dieterich4 den gleichen Text, dieselbe Altersstufe und eine ähnliche Gruppengröße gewählt haben, muss Dieterich feststellen, dass seine Ergebnisse erheblich abweichen, da »die bei Fricke zentrale Frage nach dem Bestimmer-Gott im Kontext der Selbstbestimmung des Menschen (…) in unserem Gespräch an keiner Stelle eine Rolle«5 spielt. Solche Unterschiede können schlicht da2 Christian Butt, Kindertheologische Untersuchungen zu Auferstehungsvorstellungen von Grundschülerinnen und Grundschülern, Göttingen 2009. 3 Vgl. JaBuKi 2 (2003), 46–53. 4 Vgl. Veit-Jakobus Dieterich, »… und dann ruht er sich vielleicht noch mal ein bisschen aus …« – Wie Kinder biblische Schöpfungsgeschichten (Genesis 1 und 2) auslegen, in: Sonderband JaBuKi (2004) »Man hat immer ein Stück Gott in sich«. Mit Kindern biblische Geschichten deuten. Teil 1: Altes Testament. Stuttgart 2004, 17–30. 5 Ebd., 27.
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rin begründet sein, dass die Kategorien im Sinne der Grounded Theory noch nicht gesättigt sind und weitere Erhebungen notwendig wären. Butt spricht in seiner Studie davon, dass gewissermaßen eine Landkarte von den Auferstehungsvorstellungen von Kindern entstehen soll.6 Es handelt sich hier m.E. um ein gelungenes Bild, das man forschungsmethodologisch auch folgendermaßen verstehen kann: Nicht jede Person hat die Gelegenheit, mit einer Arbeit eine komplette Landkarte z.B. von der Auferstehungstheologie von Kindern zu erarbeiten. Verfährt man jedoch methodisch akkurat und hat eine kumulative Forschungsarbeit im Sinn, dann kann man sich in seiner Studie auf einen Ausschnitt diese Landkarte konzentrieren. Auf dieser Basis können Anschlussstudien durchgeführt werden.
2.2 … quantitativ-empirisch betrachtet Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Schöpfungstheologien von Jugendlichen auch mit Hilfe quantitativer Studien erhoben werden sollen. Diesen wird z.T. entgegengehalten, dass Jugendliche nur zum Objekt einer Untersuchung und letztlich auf eine Prozentzahl reduziert würden. In der Tat besitzen m.E. qualitative Methoden ein höheres Potential, um Theologien von Jugendlichen in einer differenzierten Form zu erheben. Obwohl bezüglich einer Schöpfungstheologie von Jugendlichen eine weitgehende Fehlanzeige hinsichtlich quantitativer Studien besteht, sei dieser Aspekt dennoch in aller Kürze angesprochen. Das Anliegen besteht darin, dass man sich ohne irgendwelche ›ideologischen‹ Vor-
behalte für jegliche Methodik öffnen sollte, die zusätzliche Informationen über die Theologien von Jugendlichen ermöglicht. Beispielsweise kann nur mit quantitativen Studien erhoben werden, wie verbreitet bestimmte Ausformungen von Jugendtheologien sind. Und gerade Faktorenanalysen und sogenannte Mehrebenenanalysen vermögen Zusammenhänge aufzuzeigen, die durchaus ›tiefer‹ gehen als einfache Häufigkeitsberechnungen. Leider existiert in dieser Hinsicht, abgesehen von bestimmten Items aus der Studie von Feige/Gennerich7, noch keine quantitative Studie, die sich auf die Schöpfungsthematik konzentriert. Mit ein paar wenigen Items kann man aber im Rahmen einer quantitativen Studie kaum dem Anliegen einer Schöpfungstheologie von Jugendlichen entsprechen. Gegenwärtig wird jedoch von der FriedrichStiftung ein Kooperationsprojekt des Religionspädagogischen Institutes Wien mit dem Institut für Biologiedidaktik der Universität Münster gefördert. In diesem Projekt wird zum einen eine quantitative Studie ausgearbeitet, die einen differenzierten Aufschluss darüber geben soll, wie verbreitet und wie beschaffen kreationistische und szientistische Einstellungen von Jugendlichen sind und welche Bedingungsfaktoren diese begünstigen. Gleichzeitig wird zum anderen eine korrespondierende qualitative Studie durchgeführt, in der mit Hilfe von semistrukturierten Interviews zu Kreationismus und 6 Butt (wie Anm.2), 269 f, 290–295. 7 Andreas Feige / Carsten Gennerich, Lebensorientierungen Jugendlicher. Alltagsethik, Moral und Religion in der Wahrnehmung von Berufschülerinnen und -schülern in Deutschland. Münster 2008, bes. 101–105, 180–183.
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Rothgangel Theologie von Jugendlichen und Theologie für Jugendliche
Szientismus gewissermaßen ›Tiefenbohrungen‹ vorgenommen werden, aber darüber hinaus auch weitere Aspekte von Schöpfung in den Blick kommen.
2.3 … strukturgenetisch betrachtet Aus entwicklungspsychologischer Perspektive verdienen insbesondere die Studien zur Entwicklung des komplementären Denkens8 sowie die Studien zur Entwicklung des Weltbildes9 besondere Beachtung. Im Blick auf die Entwicklung des komplementären Denkens kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass Jugendliche beim Verhältnis von Naturwissenschaft (= Theorie A) und Schöpfung (= Theorie B) jenseits der ersten Stufe (›keine Komplementarität‹) und der zweiten Stufe (›rudimentäre Komplementarität‹) diese beiden Theorien aufeinander beziehen können und sich dementsprechend zumindest auf der dritten Stufe der ›beginnenden Komplementarität‹ befinden würden, nach der sowohl Theorie A als auch Theorie B richtig sein könnte (z.B. »ich glaube zwar mehr an die Bibel, aber daß der Mensch vom Affen abstammt, scheint mir auch richtig«). Es ist nämlich gerade im Vergleich zu anderen Themenbereichen, anhand derer das Denken in Komplementarität untersucht wurde, bei dem Thema ›SchöpfungNaturwissenschaft‹ nicht selten ein niedrigeres Performanz-Niveau festzustellen. In diesen Fällen ist oftmals eine Präferenz für Theorie A zu beobachten nach dem Motto ›A kann man beweisen, B nicht‹. Verstehensprobleme von Schüler/innen hinsichtlich des Verhältnisses von biblischem Schöpfungsverständnis und naturwissenschaftlichen Theorien lösen
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sich erst, wenn das vierte Niveau der ›reflektierten Komplementarität‹ erreicht wird, in dem die Theorien A und B bewusst als komplementär aufgefasst werden und ihr gegenseitiges Verhältnis reflektiert wird (z.B. »A und B gehören zu anderen Dimensionen. Es sind zwei verschiedene Perspektiven, die einander nicht beeinflussen«). Jedoch erreichen diese Stufe von den 11–14jährigen nicht ganz 5 % und von den 15–20jährigen mit 37 % nur etwas mehr als ein Drittel.10 Nach den Weltbildstudien führen im Jugendalter naturwissenschaftliche Erkenntnisse sowie insbesondere die Fähigkeit zum formal-logischen Denken dazu, dass das unreflektierte artifizialistische Schöpfungsverständnis aufgegeben wird: Es folgt »der Schritt von der Objekt- zur Mittelreflexion, ein Schritt, durch den eine neue Reflexionsstufe erreicht wird: jene, auf der sich das Denken erstmal mit seinen eigenen Mitteln befasst und damit im eigenen Sinn reflexiv wird.«11 Im Unterschied zu dem nach drei Stadien aufgegliederten unreflektierten Schöpfungsverständnis lassen sich hier keine 8 Vgl. z.B. Karl H. Reich, Koordination von religiösen und naturwissenschaftlichen Weltbildparadigmen im Entwicklungsverlauf, in: Fritz Oser / Karl H. Reich (Hg.): Eingebettet ins Menschsein: Beispiel Religion. Aktuelle psychologische Studien zur Entwicklung von Religiosität. Lengerich 1996, 9–19. 9 Reto L. Fetz / Karl H. Reich/Peter Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis: Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen. Stuttgart 2001. 10 Fritz Oser / Karl H. Reich, The Challenge of Competing Explanations. The Development of Thinking in Terms of Complementarity of ›Theories‹, in: Hum. Dev. 30 (1987b), 178– 186, bes. 184. 11 Fetz/Reich/Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis (wie Anm. 9), 268.
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allgemeingültigen Stadien beschreiben, eher nur idealtypische Entwicklungsverläufe.12 Dabei decken die beiden Typen »Kontinuität dank Transformation des Kinderglaubens« sowie »Diskontinuität aufgrund eines Weltsichtparadigmenwechsels«13 einschließlich ihrer Mischformen die meisten Entwicklungsverläufe ab, auch wenn darüber hinaus noch individuelle Linien zu beobachten sind.14 Somit kann keine zwangsweise Verabschiedung des Schöpferglaubens behauptet werden, jedoch treten zwei Hauptbedingungen hervor, »von denen die Weiterentwicklung oder Wiedergewinnung des Glaubens an Gott abhängig ist«15: Gott muss erstens existentiell bedeutsam sein und zweitens ist eine Mittelreflexion notwendig, welche die eigenen anthropomorphen Gottesgedanken kritisch-konstruktiv zu durchschauen vermag.16
2.4 … qualitativ-empirisch betrachtet Neben voranstehenden Betrachtungsweisen sind für das Verständnis einer Theologie von Jugendlichen auch qualitativ-empirische Arbeiten relevant, die mit der Grounded Theory zu den Schöpfungsvorstellungen von Jugendlichen durchgeführt wurden. In seiner Studie ›Abschied vom Schöpfergott?‹ gelangt Höger am Ende seiner differenzierten Anwendung der Grounded Theory zu sechs Idealtypen der Welterklärung: 1. Naturalistischer Schöpferglaube, 2. Kreationismus, 3. Naturalistische Schöpferagnosis, 4. Universaler Zweifel, 5. Exklusiver Naturalismus und 6. Naturwissenschaftskritische Schöpfernegierung.17 Ohne diese Typen hier näher vorstellen zu können, sei unmittelbar sein Resümee angeführt: »Die Pluralität kann als
dominant gegenüber der Frage der Kontinuität oder Diskontinuität zur Tradition gelten. Dabei finden sich zur Schöpferfrage sowohl christlich durchsetzte Antworten als auch Distanzierungen zur christlichen Überlieferung«18. Hinsichtlich einer Schöpfungstheologie für Jugendliche ist der Fortgang dieses Zitats sehr folgenreich: »Die Angabe klarer theologischer Beurteilungskriterien fällt schwer. Wichtig waren die folgenden Konfliktfelder: Personalität – Apersonalität; Immanenz – Transzendenz; Atheismus – Theismus; Zeitlichkeit – Ewigkeit und Orthodoxie – Orthopraxie. Die Vielgestaltigkeit der Schöpfer- und Transzendenzkonzepte verlangt eine umfangreiche Kriteriologie, die all diesen Aspekten gerecht zu werden vermag.«19 Hier ist eine klare Forschungsaufgabe hinsichtlich einer Schöpfungstheologie für Jugendliche benannt, die natürlich im Rahmen einer einzigen Dissertation nicht geleistet werden kann. Und ungeachtet aller Pluralität sei doch festgehalten, dass Höger bestimmte Idealtypen herausarbeitet. Ermitteln wir aber solche Hauptvarianten einer Schöpfungstheologie von Jugendlichen, dann ist dies m.E. schon ein gewisser, nicht zu unterschätzender Gewinn für die Praxis des Religionsunterrichts sowie für weitere religionspädagogische Forschungsarbeit.
12 13 14 15 16 17
Vgl. ebd., 269. Ebd., 270. Ebd., 271 f. Ebd., 268. Vgl. ebd., 268. Christian Höger, Abschied vom Schöpfergott? Welterklärungen von Abiturientinnen und Abiturienten in qualitativ-empirisch religionspädagogischer Analyse, Berlin 2008. 18 Ebd., 295. 19 Ebd., 295.
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Dies sei an eigenen Studien konkretisiert, die sich auf einen Teilbereich der Schöpfungstheologie von Jugendlichen konzentrieren, nämlich auf das Verhältnis von Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft. Letztlich lassen sich zu diesem Aspekt der Schöpfungstheologie von Jugendlichen drei Idealtypen bzw. drei Hauptvarianten unterscheiden, mit denen man im Religionsunterricht rechnen muss:20
a) Naturwissenschaft widerlegt Gott Symptomatisch für diese Variante ist folgendes Zitat: »Ich bin der Ansicht, daß Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften den Glauben an Gott widerlegen können, weil die Naturwissenschaft es besser erklären kann, wie die Menschen, Tiere und das All entstanden ist. Durch die Naturwissenschaft wurde bewiesen, daß der Mensch, Tiere und das All nicht durch Gott entstanden ist, sondern durch den Urknall und durch Kometen, die auf der Erde eingeschlagen sind.«21 Richtet man die Aufmerksamkeit darauf, welche konkreten Aspekte von Jugendlichen in dieser Variante angeführt werden, so treten auch in anderen Texten immer wieder zwei Themenkreise hervor: Zum einen ›Welt- bzw. Lebensentstehung‹ und zum anderen das Thema ›Beweis‹. b) Naturwissenschaft ›und‹ Glaubenskonflikt Wie bereits das unbestimmte ›und‹ im Titel signalisieren soll, sind in dieser Kategorie zum einen Texte enthalten, deren Verfasser/innen ein unabgeklärtes Verhältnis zwischen ihren naturwissenschaftlichen Kenntnissen und religiösen Überzeugungen dokumentieren. Ein Beispiel
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dafür ist der folgende Text: »… Ich komme in den Gedanken, wie ist die Erde entstanden. Denn kann man sagen, Gott hat die Welt erschaffen, oder die Erde ist durch biologische Weise entstanden. Je länger ich darüber nachdenke, desto aufgeregter und angeregter werde ich, und dann sage ich zu mir, es hat ja sowieso keinen Sinn darüber nachzudenken und lasse das Thema wieder fallen.«22 Zum anderen werden in dieser Kategorie auch diejenigen Texte angeführt, deren Verfasser/innen aufgrund naturwissenschaftlicher Theorien zwar den Glauben an Gott nicht als widerlegt erachten, aber doch erkennbare Zweifel äußern und auch keine reflektierte ›Vermittlungsstrategie‹ zwischen Naturwissenschaft und Theologie zu erkennen geben. Betrachtet man die inhaltliche Argumentation der Texte näher, so tritt abermals die Bedeutung der zwei Themenkreise hervor, die bereits angesprochen wurden. Es handelt sich zum einen um den Konflikt zwischen naturwissenschaftlichen Welt- bzw. Lebensentstehungstheorien und den biblischen Schöpfungserzählungen, zum anderen darum, dass naturwissenschaftliche Theorien als ›bewiesen‹ und ›logisch‹ gelten, d.h. ›erklären‹ können.
20 Vgl. zum Folgenden Martin Rothgangel, Naturwissenschaft und Theologie. Wissenschaftstheoretische Gesichtspunkte im Horizont religionspädagogischer Überlegungen, Göttingen 1999, 66–72. 21 T 15 (aus eigener unveröffentlichten Erhebung). 22 T 297 aus der Textsammlung von Robert Schuster (Hg.), Was sie glauben. Texte von Jugendlichen, Stuttgart 1984.
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Theoretische Grundlagen
c) Vermittlungsstrategien Die dritte Variante beinhaltet Vermittlungsstrategien zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Hier kann man differenziert darauf achten, welche verschiedenen Vermittlungsstrategien dies im Einzelnen sind – womit wir uns bei einem sehr interessanten Teilaspekt der Schöpfungstheologie von Jugendlichen befinden: Erstens kann ein eigener Glaubensbereich oder eine ›andere Dimension‹ für Gott reklamiert und so eine Vermittlung zwischen Gottesglaube und Naturwissenschaft erreicht werden. Zweitens findet sich auch der Hinweis auf einen ›Schöpfungsplan‹ oder eine eingehende Thematisierung kosmischer Ordnung, die letztlich als Indiz für einen transzendenten Gott gilt. Eine dritte Strategie der Vermittlung von Naturwissenschaft und Gottesglaube kann mit dem Begriff ›Grenzen der Naturwissenschaft‹ wiedergegeben werden. Dieses ist durchaus ambivalent, da sich in diesem Zusammenhang auch der sog. Lückenbüßergott findet, d.h. Gott wird von Jugendlichen da eingesetzt, wo sie Grenzen naturwissenschaftlicher Theorien sehen. Im folgenden Textbeispiel werden letztlich drei verschiedene Vermittlungsstrategien vertreten: Erstens der Glaube als eigene Dimension, zweitens ein Verweis auf die Grenzen der Naturwissenschaften und drittens eine Strategie, die bislang noch nicht angesprochen wurde, nämlich der Verweis darauf, dass die biblische Schöpfungsgeschichte nicht wörtlich aufzufassen ist: »Ich bin nicht der Ansicht, daß Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften den Glauben an Gott widerlegen können, weil man das, was man glaubt, nicht mit realen Dingen vergleichen kann. Keiner wird behaupten,
die Welt wurde in 7 Tagen erschaffen. Die Schöpfungsgeschichte ist wohl eher sinnbildlich gemeint. Man kann nicht mit Naturwissenschaft Zufälle messen … was, das man nicht sieht. Man kann keine Liebe sehn und sie ist da, wir werden von ihr beeinflusst, sie lässt uns Dinge tun, aber keiner kanns wissenschaftlich belegen. Man kann die Pulse messen etc. aber nicht das Gefühl, also kann man die Existenz Gottes nicht nachweisen.«23 Pointiert sei abschließend festgestellt: Mit dieser Schöpfungstheologie eines Jugendlichen liegt vielleicht in nuce schon eine Schöpfungstheologie für Jugendliche vor.
3. Schöpfungstheologie für Jugendliche
3.1 … systematisch-theologisch betrachtet M.E. wird mit guten Gründen zunehmend die Berechtigung einer Theologie für Kinder bzw. für Jugendliche anerkannt. Was heißt aber in unserem Fall eigentlich ›Schöpfungstheologie für Jugendliche‹? Nehmen wir die Schöpfungstheologie Karl Barths als Bezugspunkt? Diese besitzt zweifellos ein großes Potential, wenn man eine griffige Formulierung für das Verhältnis von Erlösung und Schöpfung sucht: Die Schöpfung als der »äußere Grund des Bundes« und der Bund als der »innere Grund der Schöpfung«.24
23 T 35 (aus eigener unveröffentlichten Erhebung). 24 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik III/1,103, 258.
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Oder ziehen wir die Schöpfungstheologie Wolfart Pannenbergs oder Jürgen Moltmanns25 als Bezugspunkte heran? Erstgenannter besitzt besondere Verdienste im Blick auf den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Ihm kam sogar die Ehre zu, dass er von dem Physiker Frank J. Tipler26 ausgiebig zitiert wurde – und auch seine Feldtheorie als eine Vermittlungskategorie zwischen Naturwissenschaft und Theologie ist nicht minder originell. Pannenbergs Theologie ist aber nicht leicht zu vermitteln. Das hat er wohl auch selbst erfahren, da er in einem Interview über den mangelnden Intelligenzlevel von durchschnittlichen Theologiestudierenden sinnierte.27 Das wirft allerdings verschärft die Frage auf, ob und inwieweit Pannenberg dann für eine Schöpfungstheologie für Jugendliche geeignet ist. Der Clou ist im Übrigen, dass man nach all den gedanklichen Anstrengungen, die einem die Feldtheorie Pannenbergs abverlangt, zum Resümee gelangen kann, dass er diese in einer obsoleten Form rezipiert.28 Moltmanns Schöpfungstheologie wurde eingehend von Guido Hunze für religionspädagogische Zwecke diskutiert. Dies geschieht auf eine sehr differenzierte Weise und insbesondere mit der Intention, die Unterschiedenheit zwischen Schöpfung und Natur und zwischen Theologie und Naturwissenschaft hervorzuheben. Schöpfung ist für Hunze ein Beziehungsbegriff und er kritisiert auf diesem Hintergrund auch die Schulbücher, da sie – wie schon erwähnt – zu einseitig die Bewahrung der Schöpfung akzentuieren.29 Gleichwohl sei hier kritisch angemerkt, dass Moltmanns Schöpfungstheologie gerade bezogen auf die Bewahrung der Schöpfung intensiv bedacht wurde.
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Diese abrisshaften Gedankengänge zeigen: Es gibt nicht nur eine Pluralität der Schöpfungstheologien von Jugendlichen, sondern auch eine Pluralität von dogmatischen Schöpfungstheologien, die wiederum auf eine plurale Weise rezipiert werden. Dies erleichtert die Arbeit einer Theologie für Jugendliche keineswegs – schafft aber umgekehrt auch produktive Spielräume. Aus eigener Erfahrung sei ein letztes Beispiel angeführt: Im Kontext meiner Habilitation befasste ich mich intensiv mit der Schöpfungstheologie von Prozesstheologen, wobei ich mich gut daran erinnere, dass mich dieses eigenartige Sprachspiel der Prozesstheologen gedanklich faszinierte und ich meinen Betreuern damals Rede und Antwort stehen konnte. Würde ich aber gegenwärtig nach Prozesstheologie gefragt werden, wüsste ich praktisch nichts mehr davon. Dieser Punkt scheint mir didaktisch interessant zu sein: Obwohl ich im Rahmen meiner Habilitation etwa fünf Wochen nichts anderes als Prozesstheologie studierte und auch ein entsprechendes Kapitel dazu schrieb, hat diese für meine gegenwärtige Schöpfungstheologie im Unterschied zu anderen Schöpfungstheologien keine Relevanz mehr. 25 Vgl. z.B. Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre, München 31993. 26 Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten, München/Zürich 1994. 27 Geist gegen Zeitgeist. Gespräch mit dem Theologen Wolfhart Pannenberg, in: EK 28 (1995), 265–269, hier 266. 28 Vgl. Mark W. Worthing, Contemporary Physics and the Christian Doctrine of God. Minneapolis 1995, 146–151. 29 Guido Hunze, Die Entdeckung der Welt als Schöpfung (wie Anm. 1), 67 f.
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Theoretische Grundlagen
Kurzum: Hinsichtlich einer Schöpfungstheologie für Jugendliche benötigen wir m.E. bereits eine religionspädagogisch reflektierte Schöpfungstheologie, die auf eine Nachhaltigkeit des Erlernten zielt.
3.2 … religionspädagogisch-theologisch betrachtet Eine Schöpfungstheologie für Jugendliche ist mit hoher Wahrscheinlichkeit dann nicht nachhaltig, wenn sie sich in schöpfungstheologischen Spezialissima ergeht, die weder relevant noch kompatibel für Jugendliche sind. Mit guten Gründen finden wir deswegen bereits gegenwärtig religionspädagogisch verantwortete Schöpfungstheologien, die sich mehr oder weniger durch zwei Punkte auszeichnen: Erstens dadurch, dass sie in ihrer Endgestalt nicht mehr die allerfeinsten bzw. abstraktesten exegetischen oder systematischen Subtilitäten ausweisen, sondern auf einer mittleren Konkretionsebene formuliert sind. Eine solche mittlere Konkretionsebene liegt m.E. in vorzüglicher Weise bei Werner Ritter in seinem Artikel zur Schöpfung im ersten Band der Reihe TLL vor.30 Ohne diese hier näher vorstellen zu können, sei der zweite Punkt genannt, der eine religionspädagogische Schöpfungstheologie für Jugendliche auszeichnet: Eine religionspädagogische Schöpfungstheologie für Jugendliche ist nicht nur auf einer mittleren Konkretionsebene formuliert, sondern sie entwirft – gewissermaßen als Orientierungspunkte – grundlegende Bildungsziele zum Thema Schöpfung, die auf dem Hintergrund der klassischen Curriculumdeterminanten
»SchülerIn – Gesellschaft – Theologie« verantwortet sind. Solche Bildungsziele bzw. Schöpfungsleitlinien finden sich u.a. bei Ritter31 oder Hunze.32 An dieser Stelle seien in aller Kürze sechs Bildungsziele einer Schöpfungstheologie für Jugendliche hervorgehoben, die m.E. von Bedeutung sind: (1) Die jeweilige Eigenart der Schöpfungserzählungen nach Gen 1–2,4a und Gen 2,4bff form- und traditionsgeschichtlich darlegen können, ihre Unterschiedenheit von einem historischen Tatsachenbericht verstehen und ihre Bezugnahme auf naturkundliches Wissen der damaligen Zeit sowie ihre Auseinandersetzung mit fremdreligiösen Vorstellungen (›Sterne als Leuchten‹) erkennen; (2) die Unterschiedenheit der Weltzugänge von Naturwissenschaft und Theologie verstehen (vgl. besonders Unabhängigkeitsmodell nach K. Barth) und auf diesem Hintergrund sowohl kreationistische wie szientistische Einstellungen kritisieren können; (3) Vereinbarungsstrategien von Naturwissenschaft und Theologie hinsichtlich des Verhältnisses von theologischer Schöpfungslehre und naturwissenschaftlichen Welt- und Lebensentstehungstheorien in ihren Stärken und Grenzen darlegen können und verstehen;
30 Werner Ritter, Schöpfung/Leben, in: Rainer Lachmann / Gottfried Adam / Werner Ritter (Hg.): Theologische Schlüsselbegriffe. Biblisch – systematisch – didaktisch. Göttingen 1999, 320–336. 31 Ebd. 332–334. 32 Guido Hunze (wie Anm. 1), 221–262.
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Rothgangel Theologie von Jugendlichen und Theologie für Jugendliche
(4) »Schöpfungspsalmen als Ausdrucksmöglichkeiten des Staunens und der Freude an Gottes Schöpfung erkennen«33 und gestalten; (5) »die Folgen von Geschöpflichkeit für Lebensverständnis und Lebensgestaltung erkunden und bedenken (Mann und Frau; Schöpfungsauftrag; Ebenbild Gottes)«34; (6) die Gefährdung der Schöpfung wahrnehmen und »ein Projekt zur ›Bewahrung‹ der Schöpfung vorbereiten und durchführen«35 können. Diese beiden Punkte – mittlere Konkretionsebene und Bildungsziele – sind m.E. wie gesagt mehr oder weniger realisiert.
Ein dritter Punkt könnte die eigentliche Pointe einer Schöpfungstheologie für Jugendliche sein. Dieser Punkt sei abschließend konkretisiert an dem Teilaspekt ›Verhältnis von Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft‹. Bezüglich einer Schöpfungstheologie von Jugendlichen wurden hinsichtlich dieses Teilaspektes drei grundlegende Varianten erhoben: 1. Naturwissenschaft widerlegt Gott, 2. Naturwissenschaft ›und‹ Glaubenskonflikt und 3. Vermittlungsstrategien zwischen Naturwissenschaft und Gottesglaube. Solche Grundtypen werden in je unterschiedlicher Verteilung mehr oder weniger eine Klasse prägen. Wohlgemerkt: mehr oder weniger. Grundtypen dürfen aber den Blick auf den Einzelfall und die fließenden Übergänge nicht verstellen, sie sind vielmehr eine erste Wahrnehmungshilfe und bieten eine erste Orientierung. Der entscheidende Punkt besteht m.E. in der Überlegung, welche Bausteine einer Schöpfungstheologie für Jugendliche am Besten passen, um z.B.
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Jugendliche der ersten Variante ›Naturwissenschaft widerlegt Gott‹ im Sinne der obigen Bildungsziele kognitiv zu aktivieren. Erste Pilotstudien weisen darauf hin, dass sich ein Brief von Karl Barth an seine Nichte eignen kann, in dem er auf einer mittleren Konkretionsebene sein Unabhängigkeitsmodell ausführt.36 Eignen können sich aber eventuell auch – wie oben angedeutet – die Vermittlungsstrategien von anderen Jugendlichen oder von erwachsenen Laientheolog/innen. Vergleichbare Überlegungen sind auch bezüglich der anderen Varianten anzustellen. Das heißt: Welche Bausteine einer Schöpfungstheologie für Jugendliche können Jugendliche der zweiten Variante im Sinne der obigen Bildungsziele kognitiv aktivieren? Und welche Bausteine sind geeignet, um Jugendliche der dritten Variante im Sinne der obigen Bildungsziele kognitiv zu aktivieren? In dieser Hinsicht gibt es praktisch keine evidenzbasierten religionspädagogischen Forschungsarbeiten. Empirische Unterrichtsforschung zu einer Schöpfungstheologie mit Jugendlichen, die diese Zusammenhänge zwischen einer Schöpfungstheologie von Jugendlichen und für Jugendliche genauer untersucht, stellt ein Forschungsdesiderat dar, das zugleich für die Praxis des Religionsunterrichts ausgesprochen hilfreich ist.
33 34 35 36
Werner Ritter (wie Anm. 30)., 334. Ebd., 334. Ebd., 334. Vgl. Christian Löber/Martin Rothgangel, Naturwissenschaft und Theologie. Eine Unterrichtssequenz zu ihrem Verhältnis in Planung und Analyse, in: entwurf H. 4 (2008), 46–55.
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Bert Roebben Internationale Entwicklungen in der Erforschung der Jugendseelsorge Kontexte, Themen und Tiefenstrukturen
In diesem Beitrag wird das aufblühende Feld jugendpastoraler Forschung vorgestellt und aus der Perspektive der Praktischen Theologie beleuchtet. Internationale Entwicklungen werden dargestellt und lokale Antworten auf die fortwährenden globalen Veränderungen von Jugendkultur verglichen. Nach einem Überblick über vier unterschiedliche Kontexte, in denen die Jugendseelsorgeforschung angesiedelt werden kann, werden vier thematische Dimensionen dieser Forschung diskutiert: Globalisierung, Verletzlichkeit, die politische und interreligiöse Dimension der Jugendarbeit. Im dritten Teil des Artikels werden diese Dimensionen theologisch reflektiert, um Chancen und Herausforderungen zukünftiger praktisch-theologischer Forschung auszuloten.
Einleitung Internationale Forschung in Praktischer Theologie zu vergleichen ist alles andere als einfach. Denn der Begriff der Praxis lässt immer an eine lokale Gemeinschaft und ihre eigenen hermeneutischen Herangehensweisen, Vorgaben und Beurteilungen religiöser Praxis denken. Beteiligung an Praktischer Theologie, und im weiteren Sinne an jeder Form praxis-sensibler Theologie1, bedeutet »doing local theology«2, bedeutet Beteiligung an einem
kontextbezogenen Nachdenken darüber, wie Menschen mit den »slow questions« im Laufe ihres Lebens umgehen, mit Fragen, die nicht mit »fast food answers« auskommen, und bedeutet Reflexion darüber, wie die Menschen aus diesem Prozess heraus und im Verhältnis zu institutionalisierten Formen von Religion ihre eigenen »auto-theo-biographies«3 erschaffen. Nach vielen Jahren internationaler Zusammenarbeit zu Religionsunterricht und Jugendseelsorge – zwei wichtigen Zugängen zu praktisch-theologischer Forschung – werde ich mir immer mehr der strukturellen Schwierigkeiten vergleichender Forschung in diesen Bereichen bewusst. In jüngster Vergangenheit hatte ich als Vorsitzender der International Association for the Study of Youth Ministry (www.iasym.net), als Referent im Europarat, als regelmäßiger Mitarbeiter an Konferenzen des European Forum for Teachers in Religious Education (www.eftre.net) und in niederländischen, deutschen und nordamerikanischen religionspädagogischen 1 Vgl. Terry Veling, »Practical Theology«: a New Sensibility for Theological Education, in: Pacifica 11 (2) (1998), 195–210. 2 Vgl. Clemens Sedmak, Doing Local Theology. A Guide for Artisans of a New Humanity, Maryknoll, New York 2003. 3 Vgl. Pete Ward, Participation and Mediation. A Practical Theology for the Liquid Church, London 2008.
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Roebben Internationale Entwicklungen in der Erforschung der Jugendseelsorge
Verbänden viele Möglichkeiten, Kontakte zu Forschern unterschiedlicher Sprachgemeinschaften, verschiedener lokaler Umfelder und theologischer Richtungen innerhalb Europas und darüber hinaus zu knüpfen. Dabei waren die Unterschiede, sogar innerhalb ein und derselben Sprachgemeinschaft, oft gewaltig und nur mühsam zu bewältigen. Beispielsweise sind Belgien und die Niederlande zwar benachbarte Staaten, die (teilweise) sogar die gleiche Sprache verwenden, sich aber dennoch hinsichtlich Schulkultur und Gemeindeleben völlig voneinander unterscheiden. Es ist kaum zu glauben, aber die Grenzüberschreitung auf meinem 120 Kilometer langen Weg von Leuven in Belgien zur Universität Tilburg in den Niederlanden wirkte immer wieder auf mich wie ein Kulturschock! Nichtsdestotrotz gibt es einen bedeutenden Faktor, der uns sanft zu einer weltweiten kollegialen und vergleichenden Reflexion über Praktische Theologie in unserer Arbeit mit jungen Menschen in Religionsunterricht und Jugendseelsorge zwingt, nämlich den Aspekt der Globalisierung. Ich gehe davon aus, dass lokale Theologien in Religionsunterricht und Jugendseelsorge auf irgendeine Art und Weise auf diese globale Herausforderung reagieren. Die weltweiten Entwicklungen (wie der internationale Markt, die sozialen Medien, Migrationsbewegungen, gemeinsame ökologische Anliegen etc.) beeinflussen das lokal begrenzte Leben der Menschen. Die Welt steht buchstäblich auf unserer Türschwelle oder rührt gewissermaßen an unsere Fingerspitzen. Wir sind universell verbunden in unseren verletzlichen Individualitäten. In diesem Artikel lege ich unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen einen Fokus
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auf die Erforschung der Jugendseelsorge, auf die Praktiken lokaler Gemeinden und Institutionen bei ihrer Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen.4 Dieser Artikel besteht aus drei Teilen: Nach der Darstellung von vier organisatorischen Zusammenhängen (con-texts) internationaler Jugendseelsorgeforschung werde ich kurz vier zentrale Themen (texts) der Jugendseelsorgeforschung diskutieren. Im dritten Kapitel werde ich einen Einblick in die theologischen Tiefenstrukturen (textures) dieser Themen geben, um vier Herausforderungen für zukünftige Forschung in der Praktischen Theologie herauszufiltern. Die Basis dafür bilden wissenschaftliche Veröffentlichungen von Kollegen, die selber engagiert in die Erforschung lokaler Praktiken und Reflexionen involviert sind. Ich übe mich hierbei in Bescheidenheit: Meine Intention besteht darin, achtungsvoll – soweit ich dies aus einer subjektiven Perspektive heraus kann – die reichen Früchte dieser Forschungsarbeiten zu sammeln, die Leserschaft einzuladen, über die verschiedenen Positionen nachzudenken, und Bausteine anzubieten für etwas, von dem ich hoffe, dass es eine neue und starke »revelatory fellowship« (Paul Tillich) in der Praktischen Theologie werden kann.
4 Für einen Bericht über Religionsunterricht in Europa vgl. Bert Roebben, Seeking Sense in the City. European Perspectives on Religious Education, Berlin 2009.
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Theoretische Grundlagen
1. Kontexte für jugendpastorale Forschung: Jungen Menschen eine eigene Stimme verleihen Jugendseelsorge (auf Englisch youth ministry, auf Französisch pastorale des jeunes, auf Spanisch pastoral de juventud, auf Niederländisch jongerenpastoraal) umfasst diejenigen Aktivitäten von Kirche und Glaubensgemeinschaften, die auf eine Unterstützung Jugendlicher und junger Erwachsener in ihrer moralischen und religiösen Identitätsentwicklung abzielen. Weltweit gibt es ein großes Interesse an Forschung in diesem Bereich kirchlicher Arbeit, die sich jedoch nicht immer von einer Instrumentalisierung durch Erwachsene freisprechen kann. Traditionellen Gemeinschaften und allgemeinen Kirchen mangelt es oft an Zukunftsvisionen; um solche auszugestalten, um die Zukunft nach eigenen Vorstellungen formen zu können, werden die Stimmen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen oft »missbraucht«. Um einen Einblick in die seismographische Funktion von Jugendlichen, die Art und Weise, wie sie die globale Dynamik moderner Gesellschaften spiegeln, zu erhalten und um adäquat mit einer »zweckgebundenen« Seelsorge auf diese Dynamik zu reagieren, werden gewaltige Summen zur Durchführung – sowohl quantitativer als auch qualitativer – empirischer Jugendforschung ausgegeben. Erwachsene wollen wissen und festhalten, wie Jugendliche und junge Erwachsene ihr Leben organisieren, Zeugnis ablegen für ihre Werte, Normen und Sinnorientierungen, und wie sie sich dabei auf offizielle Anbieter von Spiritualität und Religion in Gemeinden und Gemeinschaften einlassen. Selbstverständlich ist es wichtig zu wissen, wo und wie die Adressaten der Ju-
gendseelsorge angesprochen und gefördert werden können. Es bleibt jedoch eine schwierige Aufgabe, empirische Forschungsmethoden an die komplexen und flexiblen Lebenswelten der Jugendlichen anzupassen.5 Einerseits ist das Sammeln von Daten oft blind gegenüber neuen und kreativen Entwicklungen in Jugendkulturen. Andererseits werden diese Daten häufig hinsichtlich möglicher Wege, Jugendliche für die offizielle Kirche und ihre Anliegen zu gewinnen (oder sie sogar in diese hineinzuzwingen), überschätzt. Meiner Ansicht nach erscheint es notwendig, neue Wege zu finden, um aufmerksam und empathisch die Welt der Jugendlichen und ihre Religiosität zu erkunden. Insbesondere sollten die Stimmen der Jugendlichen selbst in allen Phasen der Jugend- und Jugendseelsorgeforschung gehört werden: bei der Wahrnehmung der Thematik, der Definition des Problems, bei der tatsächlichen Datenerhebung sowie bei der anschließenden Diskussion und Umsetzung. Jungen Menschen wirklich eine Stimme zu geben, bedeutet, ihren Sehnsüchten und Träumen auf eine umfassende Weise zuzuhören. Hier wird eine andere Schwachstelle sichtbar: die Ignoranz und das Versäumnis von Gesellschaftswissenschaften im Allgemeinen und Jugendstudien im Speziellen, religiöse und spirituelle Themen zu behandeln.6 Beispielsweise beinhaltete die sogenannte Shell-
5 Vgl. Bert Roebben, Religionspädagogik der Hoffnung. Grundlinien religiöser Bildung in der Spätmoderne, Berlin 2011, 43–62. 6 Vgl. Martin Lechner / Angelika Gabriel (Hg), Religionssensible Erziehung. Impulse aus dem Forschungsprojekt »Religion in der Jugendhilfe« (2005–2008), München 2009.
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Roebben Internationale Entwicklungen in der Erforschung der Jugendseelsorge
Jugendstudie in Deutschland, ein regelmäßiger, modernster Bericht über Jugendkulturen, bis zur Erhebung von 2006 keinen Abschnitt über Religiosität, und zwar hauptsächlich aus dem Grund, dass es an einem Messinstrument zur Erfassung neuer Formen de-institutionalisierter und individualisierter Religion mangelte. Andere Forschergruppen haben jedoch die Notwendigkeit erkannt, ihre säkularen Methoden für die spirituelle Dimension des Lebens junger Menschen in einer post-säkularen Zeit zu öffnen.7 Diese Paradoxie kann meiner Meinung nach nur gelöst werden, indem die peer dimension, die in der Jugendseelsorge von zentraler Bedeutung ist, nämlich dass Jugendliche sich gegenseitig beistehen und sich in ihrer Sinnsuche gegenseitig unterstützen, ebenso für Forschungszwecke eingesetzt wird. Um zu verstehen, was junge Menschen glauben, hoffen und wertschätzen, sollten sie eingeladen werden, selber Experten für Wahrnehmung, Interpretation und Veränderung (sehen, urteilen, handeln) zu werden, mit anderen Worten, selber richtige Forscher zu werden! Bildungsforschung zu Inklusion könnte hier hilfreich sein, Forschung, in der »the involvement of children and young people and their families in identifying the kinds of questions which need to be asked about inclusion and exclusion could be an important first step towards providing the kind of knowledge that will be of use«.8 Im Folgenden beschreibe ich vier loci, an denen Stimmen junger Menschen dank einer explizit religiösen Jugend- und Jugendseelsorgeforschung, die diesen Stimmen Gehör verliehen hat, wahrgenommen werden können.9 Diese Liste von Initiativen ist nicht vollständig, sondern definitiv wesentlich länger; eine umfas-
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sende Bestandsaufnahme fehlt. Meine Intention ist es nicht, einen erschöpfenden Überblick zu geben; vielmehr sollte diese kurze Aufstellung als eine Einladung an die internationale Forschungsgemeinschaft verstanden werden, intensiver im Sammeln, Austauschen und Interpretieren relevanter Daten zu diesem wichtigen Thema zu kooperieren. Die Aktualität und Relevanz des Themas besteht global, jedoch ist die Teilnahme an seiner Erforschung leider nicht weltweit gegeben; ich werde darauf später zurückkommen. Die Beschreibung der vier Kategorien beginnt in der Makro-Perspektive (Gesellschaft), berücksichtigt dann zwei MesoPerspektiven (Kirche und Schule) und umfasst schließlich die Mikro-Perspektive (Individuum). In erster Linie stehen in der westlichen Welt in großem Umfang Datensätze zu Jugend und Religion, Religiosität und Spiritualität zur Verfügung, zum Beispiel »Youth in Europe«10, »Soul Searching« in den USA11, »Visualising
7 Vgl. Peter L. Benson et al. (eds.), Spiritual Development, San Francisco 2008. 8 Julie E. Allan, Rethinking Inclusive Education. The Philosophers of Difference in Practice, Dordrecht 2008, 146. 9 Vgl. Bert Roebben, Youth, Culture, and Theology in Plural. Presenting the Work of the IASYM, in: Global Youth Ministry. Reaching Adolescents around the World, ed. by T. Linhart / D. Livermore, Grand Rapids 2011, 247–252. 10 Vgl. Hans-Georg Ziebertz/William K. Kay (eds.), Youth in Europe I, II and III. Berlin 2005, 2006, 2009. 11 Vgl. Christian Smith / Melina Lundquist Denton, Soul Searching. The Religious and Spiritual Lives of American Teenagers. New York 2005; Kenda C. Dean, Almost Christian: What the Faith of Our Teenagers Is Telling the American Church, New York 2010.
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Theoretische Grundlagen
hope« in Osteuropa12, »Generation Y« in Großbritannien13 und Forschung zu Jugendspiritualität in Australien14. Lokale Forschergruppen erstellen Länderberichte; regionale und lokale Gemeinden ermitteln in regelmäßigen Abständen die Einstellung von Kindern im Hinblick auf Kirchen, Gemeinden, Glaubensgemeinschaften und Sekten, wie bereits zuvor dargestellt wurde. Eine zweite Strömung von Forschungsaktivitäten kann auf der MesoEbene, in ekklesiologischen und pastoralen Studien, gefunden werden. Sie beziehen sich auf die Welt der Jugendkirchen, auf »alternative worship« und »emerging churches«, auf religiöse Events, Seelsorge und Jugendkatechese. Ich nenne diesbezüglich nur einige wenige: Forschungen zu Gemeinschaftsbildung in Großbritannien15, zu Jugendliturgie16, zu Konfirmation in europäischen evangelischen Kirchen17, zu religiösem Lernen in kirchlichen Kontexten18, zur Motivation Jugendlicher, an großen religiösen Events wie dem Weltjugendtag teilzunehmen19, zu Auswirkungen von ökumenischen und interreligiösen Zusammenkünften, zu jugendlicher Spiritualität20, zur Professionalisierung von Jugendleitern21, zu diakonischen Aktivitäten22 und Sommerlagern23 etc. Von zentraler Bedeutung für diese Arbeiten ist der Gedanke, dass junge Menschen mit ihrer Kreativität und Offenheit die komplexe innere Dynamik von Mystik und Politik innerhalb der Kirche neu erfinden und beleben. Drittens gibt es ein wachsendes Interesse an Jugendseelsorge und ihrer Erforschung im Hinblick auf die Lebenswelt in der Schule. Historisch gesehen können die Ursprünge von Jugendseelsorge in den USA in der Anwesenheit von Kirchenvertretern in der Schulwelt gesehen
werden. Der entsprechende Ansatz »Young Life« in den USA zum Beispiel 12 Vgl. Sarah Dunlop, Visualising Hope. Exploring the Spirituality of Young People in Central and Eastern Europe, Haverhill 2008. 13 Vgl. Sara Savage / Sylvia Collins-Mayo / Bob Mayo (eds.), Making Sense of Generation Y. The World of 15–25-year-olds, London 2006. 14 Vgl. Paul McQuillan, Youth Ministry in a World of Diversity. A Review of the International Research Project on Youth Spirituality, in: Journal of Youth and Theology 6 (1) (2007), 70–91. 15 Vgl. Jonny Baker, Youth Ministry Changes More than You Know, in: Global Youth Ministry. Reaching Adolescents around the World, edited by T. Linhart / D. Livermore, Grand Rapids 2011, 43–55; P. Ward, Liquid Church. Peabody/Carlisle 2002. 16 Vgl. Ronelle Sonnenberg / Marcel Barnard, ›God Talk between Beat and Silence‹. Presentatie van een PhD-project over youth worship in protestantse contexten, in: Jaarboek voor liturgie-onderzoek 24 (2008), 177–197; Elisa Stams, Das Experiment Jugendkirche. Die ersten Jahre der Jugendkirche TABGHA in Oberhausen. Eine exemplarische Fallstudie zur Problematik jugendpastorale Neuorientierung, Stuttgart 2008. 17 Vgl. Friedrich Schweitzer / Wolfgang Ilg / Henrik Simojoki (eds.), Confirmation Work in Europe: Empirical Results, Experiences and Challenges. A Comparative Study from Seven Countries, Gütersloh 2010. 18 Vgl. Geir Afdal, Researching Religious Education as Social Practice, Münster u.a. 2011. 19 Vgl. Christian Scharnberg, Event – Jugend – Pastoral. Eine quantitativ-empirisch gestützte Theorie des religiösen Jugendevents am Beispiel des Weltjugendtages 2002, Berlin 2010. 20 Vgl. Jason B. Santos, A Community Called Taizé: A Story of Prayer, Worship and Reconciliation, Nottingham 2008. 21 Vgl. Bert Roebben / Ton Zondervan, »Und wenn Gott unter uns wäre«. Praktische Kulturtheologie und die Lebenswelt junger Erwachsener. International Journal of Practical Theology 12 (2) (2008), 256–273. 22 Vgl. Michael Warren, Youth Ministry in an Inconvenient Church, Princeton 2002. 23 Vgl. Bert Roebben, Seeking Sense in the City. European Perspectives on Religious Education, Berlin 2009, 219–231.
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war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewusst darauf ausgerichtet, in »the foreign world of the high school adolescent to save it for Christ«24 einzutreten. Später wurde dieses anfangs zwanghaft überzeugen wollende Angebot offener und einladender gestaltet und ebenso auf das College ausgerichtet, wo junge Erwachsene mit ihren »big questions and worthy dreams«25 zusammenkommen. Diese Idee von Seelsorge mit Heranwachsenden und jungen Erwachsenen, verstanden als personales Angebot, war und ist noch heute die paradigmatische Option für Jugendseelsorge in Europa.26 Die römisch-katholische und die evangelischen Kirchen sind immer noch im europäischen Schulalltag lebhaft präsent, direkt sichtbar an ihrem (konfessionellen) Religionsunterricht in Primarund Sekundarstufe, aber auch zugegen in ihrer pastoralen Anwesenheit. Schulen in kirchlicher Trägerschaft stehen immer noch hoch im Kurs, obwohl die Säkularisation inhaltlich viel geändert hat. Beobachtet werden kann eine Verlagerung von institutioneller religiöser Zugehörigkeit zu individueller moralischer Beratung Jugendlicher, von einer Schule als Glaubensgemeinschaft zu einer Schule als Wertegemeinschaft (auf Niederländisch waardegemeenschap).27 Die neueste Forschung in dieser Hinsicht beschreibt Wege, auf denen junge Erwachsene in die Welt religiöser Praktiken eingeführt werden können, zum Beispiel in das religiöse Leben von Klöstern28 und Reflexionen über das Verhältnis von Beruf und Berufung, beispielsweise als zukünftige Lehrerinnen und Lehrer.29 Interessant zu sehen ist, dass dieser Forschungsbereich eine Entsprechung in den USA hat mit der Bewegung der »linking social identity to community practices«.30
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Schließlich muss an dieser Stelle der gesamte Forschungsbereich der Spiritualität von Kindern31 und jungen Menschen32 im angelsächsischen Raum und des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen im deutschen, niederländischen und skandinavischen Diskurs33 24 Andrew Root, Relationships Unfiltered, Grand Rapids 2009, 22. 25 Vgl. Sharon Daloz Parks, Big Questions, Worthy Dreams. Mentoring Young Adults in Their Search for Meaning, Purpose, and Faith, San Francisco 2000. 26 Vgl. Bert Roebben, Seeking Sense in the City. European Perspectives on Religious Education, Berlin 2009, 187–200. 27 Vgl. Thom Geurts, Het team als pedagogische waardegemeenschap. Waardegericht leren en de toekomst van de school. Narthex. Tijdschrift voor levensbeschouwing en educatie 8 (5) (2008), 42–47; Friedrich Schweitzer / Christoph Th., Scheilke, Religion, Ethik, Schule. Bildungspolitische Perspektiven in der pluralen Gesellschaft, Münster u.a.1999. 28 Vgl. Wiel Smeets, Verleiden tot God. Jongeren inwijden tot christelijke spiritualiteit, Tielt 2007. 29 Vgl. Bill Banning, Onderwijsdier in hart en nieren. Een persoonlijke visie op groei, professionaliteit en pedagogisch vermogen, Damon 2007; Lia Van Aalsum, Spiritualiteit in het onderwijs. Een handreiking, Delft 2011; Bert Roebben, Scholen voor het leven. Kleine didactiek van de hoop in zeven stappen, Leuven 2011. 30 Kenda C. Dean, Practicing Passion. Youth and the Quest for a Passionate Church. Grand Rapids 2004, 152 mit ausführlicher Bibliographie; Brian J. Mahan / Michael Warren / David F. White, Awakening Youth Discipleship. Christian Resistance in a Consumer Culture, Eugene 2008. 31 Vgl. David Hay / Rebecca Nye, The Spirit of the Child, London 1998. 32 Vgl. Karen-Marie Yust et al. (eds.), Nurturing Child and Adolescent Spirituality: Perspectives from the Worlds Religious Traditions, Lanham 2005. 33 Vgl. Gerhard Büttner, How theologizing with children can work. British Journal of Religious Education 29 (2007), 127–139; Friedhelm Kraft / Hanna Roose / Gerhard Büttner
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Theoretische Grundlagen
erwähnt werden. Die Auswirkungen dieser Forschungsrichtung, in der die traditionelle Idee der Glaubensweitergabe durch die organische Idee einer Steigerung des spirituellen Bewusstseins von Kindern und der Ausbildung einer kritischen Reflexionsfähigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ersetzt wurde, sind enorm und in beständiger Entwicklung. Die Beschreibung des Kontextes von Jugendseelsorge – religiöse Jugendkulturen, explizit jugendseelsorgliche Initiativen, die Präsenz von Glaubensgemeinschaften im öffentlichen Bereich oder die spirituellen und theologischen Stimmen junger Menschen – scheint für mich von zentraler Bedeutung für jeden Forscher in diesem Bereich. Im Kontext der Globalisierung gibt es einen dringenden Bedarf, diese Erkenntnisse international zu vergleichen und pädagogische Methoden auszutauschen, um die Vorstellungen von und die Reaktionen auf die spirituellen Stimmen der Jugend zu verbessern. Zudem ist es dringend notwendig, die Stimmen der südlichen Erdhalbkugel einzubeziehen. Globalisierung betrifft Jugendliche und junge Erwachsene überall, aber wir haben keine Ahnung davon, was sich auf der Südhalbkugel eigentlich abspielt. Die vielen Stimmen der Jugendlichen dort und die verletzlichen Antworten lokaler Kirchen werden nicht einmal gehört, geschweige denn wissenschaftlich erfasst. Soweit ich dies beurteilen kann, beschäftigen sich nur zwei Bücher explizit mit internationalen Befunden, die die südliche Hemisphäre einschließen: »Global Youth Ministry«34 und »Youth, Religion and Globalization«35. Die »slow questions«, die Jugendliche in einem »fast living«-Kontext aufwerfen, sind auf globaler Ebene vergleichbar. Jedoch unter-
scheiden sich angesichts der materiellen Umstände von Armut, Unterdrückung und Migration die Strategien, mit diesen Fragen umzugehen, weltweit radikal. In globalen Institutionen wie Unicef, Unesco und der United Nations Alliance of Civilizations wächst aber auch die Überzeugung, dass die Spiritualität der Jugendlichen als integraler Bestandteil ihres Wohlbefindens miteinkalkuliert werden muss.
2. Themen jugendpastoraler Forschung: Analyse sich abzeichnender Problemfelder Nach der Darstellung der großen Kontexte, in denen Jugendseelsorge als Forschungsgegenstand erkannt werden kann, werde ich nun vier Themen analysieren, die die praktisch-theologische Diskussion über Jugendseelsorge weltweit prägen. Eine der wichtigen Beobachtungen in einem Kontext wachsender Globalisierung ist, dass junge Menschen (aber nicht nur diese!) inmitten einer überwältigenden Auswahl von Lebensstilen, Werten,
(Hg.), Symmetrical Communication? Philosophy and Theology in Classrooms across Europe. Loccum 2001; Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011; Gertrud Yde Iversen / Gordon Mitchell / Gaynor Pollard (eds.), Hovering over the Face of the Deep. Philosophy, Theology and Children, Münster u.a. 2009. 34 Vgl. Terry Linhart / David Livermore (eds.), Global Youth Ministry. Reaching Adolescents Around the World, Grand Rapids 2011. 35 Vgl. Richard R. Osmer / Kenda C. Dean (eds.), Youth, Religion and Globalization. New Research in Practical Theology, Berlin 2006.
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Roebben Internationale Entwicklungen in der Erforschung der Jugendseelsorge
Normen und Sinnorientierungen verzweifelt auf der Suche nach Halt sind. In Psychotherapie und Seelsorgegesprächen äußern Jugendliche oft ihre Gefühle, ständig ins Leere zu laufen, in ein Vakuum voll von Bedeutungslosigkeit. Es fehlen ihnen Bezugsrahmen, um das, was sie sehen und erfahren, zu benennen und zu bändigen. Alte Masterstories oder dogmatische Antworten funktionieren im alltäglichen Leben nicht mehr. Aber auch der »Terrorismus« einer Beliebigkeit, eines »Alles-ist-möglich«, kombiniert mit der Obsession einer hyper-personalisierten Erzählung, ist nicht zufriedenstellend. Der moralische und spirituelle Kompass im Herzen des postmodernen Selbst dreht durch. Außerdem kämpfen Jugendliche mit dem Gefühl, von den Erwachsenen allein gelassen zu werden.36 Im tiefen Inneren jedoch, im Zentrum der Gesellschaft, gibt es eine Sehnsucht, Individualismus und Egozentrismus durch Mitgefühl, Mit-tun, Mitteilung und Miteinander zu überwinden – Werte, die alle mit der Vorsilbe »mit« beginnen und auf Gemeinsamkeit und Verbundenheit hindeuten. Beziehungen, die mit Diversität und Komplexität in einer zusammengehörigen Art und Weise umgehen – Leben und Lernen als »receiving the gift of friendship«37 – scheinen mir eine wesentliche Herausforderung für die Zukunft zu sein. Im Herzen der post-säkularen Gesellschaft werden von jungen Zeitgenossinnen und -genossen neue und lebendige spirituelle Verbindungen gesucht und hergestellt. Das ist eine hoffnungsvolle Entwicklung. Was sind nun die vier Dimensionen dieses Prozesses? Der erste Aspekt, der in diesem Artikel bereits mehrfach erwähnt wurde, ist die Globalisierung: »the compression of time
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and space and the extension of modernity at large«38. Während einer der »Wallfahrten des Vertrauens« der Taizé-Gemeinschaft in Brüssel beim Jahreswechsel 2008/2009 war ich erstaunt, dass junge Menschen von überall her in der Hauptstadt Europas zusammenkommen, nicht nur, um zu konsumieren oder Spaß zu haben, sondern um Stille zu teilen! Ihre Sorge um eine bessere Welt, für mehr Frieden und gegenseitiges Verständnis brachte diese Menschen auf dem heiligen Boden von Taizé-in-Brüssel zusammen. Trotzdem wurde dieses Erlebnis gleichzeitig gewissermaßen in Lichtgeschwindigkeit über die neuen Medien ausgesendet, über Webblogs, Handys, digitalisierte Wörter und Bilder, überallhin – »all over the place«. Die gute Nachricht, offenbart in gemeinsamem Schweigen, wurde elektronisch über die ganze Welt verteilt sowie in Gesprächen den Gastfamilien weitergegeben. In der gleichen Erfahrung versammelt formen diese jungen Erwachsenen
36 Vgl. Elaine Champagne, Together on the journal of plurality. International Journal of Childrens Spirituality 14(1) (2009), 1–3; Johann B. Metz, Mystik der offenen Augen. Wenn Spiritualität aufbricht, Freiburg-BaselWien 2011; Mary E.M. Moore / Almeda M. Right, Children, Youth, and Spirituality in a Troubling World, Atlanta 2007. 37 Vgl. Hans Reinders, Receiving the Gift of Friendship. Profound Disability, Theological Anthropology and Ethics. Grand Rapids 2008; Bert Roebben, Living and learning in the presence of the other. Defining religious education inclusively, in International Journal of Inclusive Education 15 (2011) [DOI: 10.1080/13603116.2011.552648]. 38 Robert Schreiter, zitiert aus Colleen M. Mallon, Globalization at large. Approaching the Ecclesial Question of Tradition in the Twenty-First Century, in: New Horizons in Theology, edited by T.W. Tilley, Maryknoll 2004, 135–161.
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eine »liquid church«39: universell und individuell verwoben in einer globalisierten Welt, komprimiert in Brüssel und ausgebreitet durch die neuen Medien als ein radikal neuer locus theologicus. Die Forschungsfragen sind vielfältig: Wo und wie können Heranwachsende und junge Erwachsene lernen, die Balance zu finden zwischen der Einzigartigkeit ihres eigenen Lebensentwurfes und der Notwendigkeit sowie dem Bedürfnis, »verdrahtet« und »verlinkt« mit einer sich globalisierenden Gesellschaft und der Kultur als Ganzer zu sein? Wo und wie können sie spirituelle Beratung finden, um über die verschiedenen Horizonte dieser Entwicklungen für ein gläubiges Leben nachdenken zu können? Eine zweite Überlegung bezieht sich auf die Verletzlichkeit von jungen Menschen. In ihrer individuellen Suche nach Sinn mangelt es oft an festen Orientierungen. Sogar die fundamentalsten Sinnzuschreibungen für Existenz und Koexistenz mit anderen fehlen manchmal. Dann sind junge Menschen gefangen in einer Spannung zwischen Apathie und Extremismus. Aus einer jugendpastoralen Perspektive heraus kann dies übersetzt werden in eine Spannung zwischen einem indifferenten »benign whateverism« oder einem radikalen »living and dying for God«40. Es gibt Hinweise, dass diese Dichotomie auch transkulturell gefunden werden kann, nicht nur in der christlichen Tradition und nicht nur in den USA41. Auf globaler Ebene wird die Notwendigkeit einer ganzheitlicheren Jugendseelsorge deutlich, besonders unter Umständen psychischer Belastung wie dem Auseinanderbrechen von Familien, der Diagnose von HIV, dem Leben in Armut und unter Korruption. Menschen sehnen sich in dieser chaotischen Zeit
(mess-age), in der sie zu überleben versuchen, nach einer soliden Botschaft (message)42. Neue Verbindungen der kirchlichen Jugendseelsorge zu gemeinnütziger Arbeit, Straßen- und Peer-Seelsorge, Schulen und anderen Netzwerken sind dringend vonnöten43. Wie kann in der Jugendseelsorge die Dimension von Befreiung und Hoffnung angeregt werden44? Welche Beziehungen bestehen zwischen Globalisierung, Religion, menschlichem Wohlergehen und individuell erlebten Notlagen? Wo und wie können Kirchen in dieser Hinsicht hilfreich sein? Der dritte Aspekt bezieht sich auf die vorherigen: Jede Form von Jugendseelsorge und im weiteren Sinne von Jugendseelsorgeforschung hat eine politische Dimension. Die Entscheidungen, die
39 Vgl. Pete Ward, Liquid Church, Peabody 2002. 40 Vgl. Christian Smith / Melina Lundquist Denton, Soul Searching. The Religious and Spiritual Lives of American Teenagers. New York 2005; Kenda C. Dean, Almost Christian: What the Faith of Our Teenagers Is Telling the American Church, New York 2010. 41 Vgl. Monique Van Dijk-Groeneboer, Handboek Jongeren en religie. Katholieke, Protestantse en Islamitische jongeren in Nederland, Almere 2010. 42 Vgl. Nuwoe-James Kiamu, Message for a Mess-Age. Ministry to Youth in West-Africa, in: Global Youth Ministry. Reaching Adolescents around the World, edited by T. Linhart / D. Livermore, Grand Rapids 2011, 95– 104. 43 Vgl. Lucas Leys, The New Latin America. From Renewal to Revolution, in Global Youth Ministry. Reaching Adolescents Around the World, edited by T. Linhart / D. Livermore. Grand Rapids 2011, 105–114. 44 Vgl. Evelyn L. Parker, Trouble Dont Last Always. Emancipatory Hope among African American Adolescents, Cleveland 2003; Mary E.M. Moore / Almeda M. Right, Children, Youth, and Spirituality in a Troubling World, Atlanta 2007.
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hinsichtlich der Wahrnehmung und der Erfassung jugendlicher Stimmen getroffen werden, basieren auf den sozial-ethischen Vorannahmen der hörenden Kirchen und der erhebenden Forschungsinstitute. In einem hervorragenden Buch schreiben drei Jugendseelsorgeexperten in den USA: »When religious educators, youth ministers, and others encourage youth to claim early and easy transcendence over cultural distortions, they are playing directly into the hands of distorted elements of the culture. It is precisely the compensatory character of such early denials of the power of social scripts that sponsors later suspicion of the efficacy of faith to resist cultural distortions of being and doing«45. Und weiter: »Society, for its part, is more than happy to complement our tendencies toward intellectual, moral, and spiritual sloth by providing prefab answers to lifes most enduring and complex problems, challenges, and dilemmas. (…) This is especially true about the turning points of life, those kairos moments when we start anew, when we are invited to take a different direction or to confirm one we already travel. There are no scripts for such occasions. There are, however, thank God, fellow travellers (…). We need to talk about these things openly, prayerfully«46. Einer dieser Autoren, David White, entwickelt diesbezüglich eine grundlegende religiöspolitische Struktur für »practicing discernment with youth«. Hierfür verwendet er die Trias »sehen – urteilen – handeln«, ergänzt durch Gebet und Imagination47, ein leistungsfähiges hermeneutisches Werkzeug, das eine Entsprechung in der europäischen »Christlichen Arbeiterjugend (CAJ)« von Jozef Cardijn aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat. Die letzte Beobachtung, die hier festgehalten werden muss, ist, wie religiöse Diversität die Globalisierung und
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die fortschreitende Notwendigkeit von Orientierung dynamisiert. Die Fachkenntnisse interreligiösen Lernens in europäischen Schulen, im Rahmen eines »learning in the presence of the other«48 oder eines »inter-spiritual learning« – d.h. nicht zwischen den Mitgliedern von Glaubensgemeinschaften, sondern zwischen konkreten Mitschülern und Mitschülerinnen im Klassenraum – können hier hilfreich sein. »Diese kritische Begegnung verstärkt die Fähigkeit, tiefer in das eigene sinngebende System zu blicken und die existentielle Unverwüstlichkeit, die es bietet, weiter zu erforschen. Durch die inter-kulturelle und inter-religiöse Begegnung bin ich herausgefordert, mich selbst neu zu definieren und neu zu ›dignifieren‹ (also würdigen), mich selbst besser zu kennen und mich selbst mehr zu respektieren, als eine menschliche Person mit einer unangreifbaren Würde«49. Der »Interfaith Youth Core« des amerikanisch-muslimischen Pädagogen Eboo Patel hat konkrete Wege entwickelt, diese Fremd- und Selbstbegegnung durch soziales Lernen herzustellen, mit dem Ziel, »to identify
45 Brian J. Mahan / Michael Warren / David F. White, Awakening Youth Discipleship. Christian Resistance in a Consumer Culture, Eugene 2008, 80. In den USA findet theologische Reflexion hauptsächlich in der Gemeinde statt. 46 Ebd., 102 f. 47 Vgl. David F. White, Practicing Discernment with Youth. A Transformative Youth Ministry Approach, Cleveland 2005, 89–200. 48 Vgl. Bert Roebben, Seeking Sense in the City. European Perspectives on Religious Education, Berlin 2009, 127–149; bezugnehmend auf die Arbeit von Mary C. Boys. 49 Bert Roebben, Religionspädagogik der Hoffnung. Grundlinien religiöser Bildung in der Spätmoderne, Berlin 2011, 154 f.
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what is common between religions«, aber auch, einen sicheren Ort zu schaffen, »where each can articulate its distinct path to that place«50. Wo kann so ein Raum, offen für Diversität, hergestellt werden? Was tragen Glaubensgemeinschaften in dieser Hinsicht bei?
3. Theologische Tiefenstrukturen jugendpastoraler Forschung: Chancen und Herausforderungen für die Praktische Theologie Die lokalen Kontexte jugendpastoraler Forschung liefern uns wesentliche Themen für die weitere Diskussion und Zusammenarbeit. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf der Basis unserer gemeinsamen Anliegen und unserer Leidenschaft für die Jugendlichen in der Lage sind, eine gemeinsame Forschungssprache zu entwickeln, die uns hilft, Unterschiede und Gemeinsamkeiten besser zu verstehen. Obwohl sie auf der gleichen Welt leben und sich den gleichen Fragen stellen müssen, entwickeln junge Menschen (und auch Wissenschaftler) unterschiedliche Antworten, weil sie Mitglieder unterschiedlicher lokaler Glaubens(und Forschungs-) Gemeinschaften sind. Ihre Kontexte und Themen sind vorstrukturiert durch die pädagogischen und theologischen Diskurse, in die sie eingebettet sind. Ich will meine Argumentation durch ein Beispiel veranschaulichen: Nach vielen Jahren der Begegnung und Diskussion mit amerikanischen Wissenschaftlern über europäische Ansätze zu Religion und Bildung scheint der zentrale Unterschied zwischen den beiden Kontinenten erzieherischer Natur zu sein, mit histo-
rischen Wurzeln in Gesellschaft und Politik. In den USA ist es verfassungswidrig, Religion in der Schule zu lehren. Kirche und Staat sind formal getrennt. Religion gehört in den privaten Bereich der Familie und Gemeinde und der dortigen Bildungs- und Begleitprogramme. In Europa hingegen werden geplante und spontan ungezwungene Begegnungen zwischen jungen Menschen und Religionen öffentlich in all ihrer Komplexität und Diversität im Religionsunterricht diskutiert. Die Ausbildung zukünftiger Religionslehrerinnen und -lehrer wird hauptsächlich durch Fakultäten und Institute für Theologie und Religionswissenschaften organisiert. Es gibt eine Binnenverbindung zwischen theologischem Diskurs, religiöser Erfahrung und kritischer Bildung. Dies ist in den USA nicht der Fall, obwohl einige Wissenschaftler für eine Ausbildung in religiöser Alphabetisierung (interpretiert als Lehren über Religion) plädieren, integriert in Schulfächer wie Geschichte, Literatur und Sozialwissenschaften.51 Soweit ich dies beurteilen kann, hat diese Situation Einfluss auf den Stellenwert von Theologie im öffentlichen Leben. In den USA findet theologische Reflexion hauptsächlich in der Gemeinde statt. In Europa hingegen kann sie in aller Öffentlichkeit erfolgen. Dies hat im Zusammenhang mit Jugendlichen zwei 50 Vgl. Eboo Patel, Acts of Faith. The Story of an American Muslim, the Struggle for the Soul of a Generation, Boston 2007. 51 Vgl. American Academy of Religion. 2010. Guidelines for Teaching About Religion in K12 Public Schools in the United States 2010; Diane L. Moore, Overcoming Religious Illiteracy. A Cultural Studies Approach to the Study of Religion in Secondary Education, New York 2007.
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verschiedene Arten von Theologie zur Folge: In den USA arbeiten Kirchen hauptsächlich seelsorglich, sie vertiefen affirmativ die theologische Kompetenz Jugendlicher durch die Teilhabe an religiöser Praxis innerhalb einer Glaubenstradition, eingebunden in eine lokale Gemeinde; überzeugende Jugendseelsorger führen Kinder und Jugendliche durch Erziehung und Bekehrung in Religion ein. In Europa treten Kirchen eher durch ihre Präsenz im Religionsunterricht im öffentlichen und privaten Schulsystem auf; sie greifen durch Wissensvermittlung über und reflektierendes Lernen von den Praktiken der anderen kritisch in die religiösen Überzeugungen Jugendlicher ein, was manchmal zu heftigen Diskussionen im Klassenraum führt, hauptsächlich hervorgebracht durch eine kritische Aneignung der Vielfalt individueller Standpunkte, vorbereitet und moderiert durch eine authentische und selbst-kritische Lehrperson. Also, in den USA und Europa stehen zwei unterschiedliche Bildungsprinzipien hinter demselben Forschungsthema: Über junge Menschen nachzudenken, wenn sie in die Welt der Religion(en) eingeführt werden! Dennoch werde ich nun, überzeugt von der Idee vergleichender Forschung, kurz vier Herausforderungen für die weitere Entwicklung Praktischer Theologie vorstellen. Die erste umfasst die Notwendigkeit neuer Forschungsdesigns. Aktuelle Jugendseelsorge liefert nicht nur viele wertvolle Forschungsfragen, sondern auch interessante konkrete Wege, mit diesen Fragen umzugehen. Wie ich in dem ersten Teil dieses Artikels erörtert habe, ist es notwendig, neue Formen peer-bezogener Forschung in der Welt der Jugendlichen anzuregen. Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer bieten
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diesbezüglich eine interessante mehrdimensionale Struktur an; sie sind davon überzeugt, dass die impliziten und persönlichen »Theologien der Jugendlichen« der Ausgangspunkt für pädagogische (also: explizite und reflektierte) Prozesse einer »Theologie mit Jugendlichen« und einer »Theologie für Jugendliche« sein sollten.52 Der erste Schritt ist jedoch schwierig: Er verlangt eine radikale Umstellung des Forschers. Der amerikanische Praktische Theologe Tom Beaudoin zum Beispiel ist sehr (selbst-)kritisch im Hinblick auf »Soul Searching« und den zugrundeliegenden moralisierenden Diskurs: »The simplest evidence for this moralizing is that Soul Searching never considers that contemporary teen belief may have something substantially spiritually constructive and new, not just alarming, to teach the larger church«53. Kritische Studien durch nachhaltige, längsschnittliche und interdisziplinäre Ansätze sind dringend notwendig, nicht nur in der Praktischen Theologie! Ein zweiter Aspekt könnte die Beziehung zwischen Seelsorge, Gemeinschaft und Leitung sein. Der amerikanische Jugendseelsorge-Forscher Andrew Root vertieft kritisch die Strategie einer beziehungsintensiven und diakonischen Jugendseelsorge in eine Theologie der Inkarnation und sogar einer kenotischen Jugendseelsorge. Durch das »place sharing« mit jungen Menschen beteiligt sich der Seelsor-
52 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011. 53 Vgl. Tom Beaudoin, Witness to Dispossession: The Vocation of the Postmodern Theologian, Maryknoll 2008.
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ger an einem »participating in the living presence of God together with them right now«.54 Der englische Praktische Theologe Pete Ward argumentiert: »When one is working in the field of the proclamation of the gospel with youth, theology needs not to be adapted to this situation. One is already participating in the expression and circulation of theology«55. Auch hier geht es um eine theologische und politische Umstellung des Jugendseelsorgers. Seine Aufgabe ist »setting up contexts where the vital questions affecting young adults can be asked as part of a prayerful communal search for wisdom. Lacking such contexts some people may say later, ›We asked for bread and you gave us stone‹«56. Dieses »place-sharing« ist im Wesentlichen für Jugendseelsorger ein Prozess der Umstellung. Die dritte Überlegung betrifft Lernprozesse in der Kirche. Die Sinnsuche ist ein Recht, das allen Menschen zusteht, auch Kindern und Jugendlichen. Jedes menschliche Wesen hat das Recht, seinen persönlichen Katechismus zu entwickeln (Karl Rahner), seine eigene Glaubensreise zu unternehmen, eine eigene intensive Gemeinschaft mit Gott sowie Glaubensbrüdern und -schwestern zu schaffen. In diesen Lernprozessen junger Menschen bewegt sich der Heilige Geist; er ist die Antriebskraft, »that transcend(s) their daily fragmentation and make(s) them feel whole«57. Werden Kirchen auf diese Geistbewegungen in den Leben junger Menschen antworten können? Dean fordert ein neues »curriculum of passion«58. Die Erarbeitung eines solchen erinnert mich stark an die spirituelle Theologie von Meister Eckhart (14. Jahrhundert) und die mystagogische Theologie von Karl Rahner (20. Jahrhundert) – zwei deutsche Wissenschaftler, die nichts ihrer theologischen Relevanz eingebüßt haben.
Um es nochmals zu betonen: Diese Form religiöser und theologischer Bildung (und die damit verbundene Forschung) verlangen nach grundlegenden Veränderungen und Bescheidenheit. Es läuft alles hinaus auf ein »lowering the bar of transcendence«59. Schließlich haben diese Beobachtungen erhebliche Auswirkungen auf die strukturierte Beziehung zwischen Praktischer und Systematischer Theologie. Die Spannung zwischen einer »Theologie der Jugendlichen« und einer »Theologie für Jugendliche«, zwischen einer »théologie forte« (in den Wissenschaften und in der Kirche) und einer »théologie faible« oder »Laientheologie«60 stellt eine Herausforderung dar. Diese Spannung sollte produktiv und kreativ sein anstatt destruktiv. Ich glaube, dass Praktische und Systematische Theologen einander auf einer tieferen Ebene in ihrer öffentlichen Präsenz begegnen können, wenn sie sich gemeinsam in die globalisierende Gesellschaft einbringen und versuchen, die Zeichen der Zeit im Licht des Evan-
54 Andrew Root, Relationships Unfiltered, Grand Rapids 2009, 113. 55 Pete Ward, Participation and Mediation. A Practical Theology for the Liquid Church, London 2008, 48. 56 Michael Warren in: B.J. Mahan / M. Warren / David F. White, Awakening Youth Discipleship. Christian Resistance in a Consumer Culture, Eugene 2008, 57 f. 57 Kenda C. Dean, Practicing Passion. Youth and the Quest for a Passionate Church, Grand Rapids 2004, 101. 58 Ebd., 161–172. 59 Ebd., 111. 60 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011, 22–24; 47–51.
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geliums zu lesen. Das Schlüsselwort lautet auch hier »Umstellung«!
Schluss Die inkarnatorische Dynamik der Jugendseelsorge stellt eine Herausforderung für praktisch-theologische Forschung dar. Im Kontext der Globalisierung und einer radikalen Verletzlichkeit ist theologische Forschung kritisch herausgefordert, die Ohren der Welt für die Stimmen der kommenden Generationen zu öffnen. In diesem Prozess sind wir alle Lernende und sogar immer absolute Anfänger: »What we share with our students, uncomfortably, is the complicated and obscure travail of intimacy with God, the uncanny
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concrete individual knowledge of the divine whose logic Rahner insurgently encouraged us to respect, the mysterious gift of desolation and consolation that not even the holiest among us can predict, our now passionate, now resigned, now outraged orientation to the uncontainable, the life of grace«61. Praktisch-theologische Forschung ist und bleibt an sich eine Übung in Bescheidenheit.62
61 Tom Beaudoin, Witness to Dispossession: The Vocation of the Postmodern Theologian, Maryknoll 2008, 74. 62 Ich danke Frau Veronika Burggraf für die Übersetzung des vorliegenden Artikels aus dem Englischen sowie für ihre kritisch-konstruktiven Anmerkungen.
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Petra Freudenberger-Lötz »Einbruchstellen« oder »Herausforderungen des Glaubens«? Studierende erwerben professionelle Kompetenzen in Theologischen Gesprächen mit Jugendlichen 1. Studierende und ihre theologischen Fragen Wenn Studierende an der eigenen Kompetenzentwicklung in Theologischen Gesprächen arbeiten und eine forschende Haltung der eigenen Professionalisierung gegenüber aufbauen sollen, müssen sie den Sinn des Unterfangens nicht nur verstehen, sondern auch intrinsisch motiviert sein, diesen Weg zu gehen. In meinen Forschungen zur Professionalisierung Studierender habe ich herausarbeiten können, dass eine solche intrinsische Motivation dann entsteht, wenn Studierende erkennen, welche offenen theologischen Fragen sie selbst umtreiben und dass eine Klärung dieser Fragen sowohl für die eigene Lebensführung bedeutsam ist als auch für ihren anvisierten Beruf. Ja noch mehr: Der künftige Beruf erhält dann sogar ein besonderes Moment der Vorfreude, denn Theologische Gespräche sind immer auch mit spannenden Erkenntnissen für die Lehrperson und ihre eigene theologische Position verbunden. Eine intrinsische Motivation unterstützt das Engagement und die forschende Haltung der Studierenden, die durchaus eine beachtliche Arbeitsbelastung im Rahmen der Professionalisierung auf sich nehmen, dabei aber erleben, dass sich die Arbeit lohnt.
Aufgrund dieser Erkenntnisse rege ich zu Beginn des Studiums regelmäßig in der Lehrveranstaltung »Einführung in die Religionspädagogik« eine Reflexion der eigenen religiösen Entwicklung bei Studierenden an, die mit der Aufforderung verbunden ist, theologische Fragen zu nennen, die die Studierenden mit ins Studium bringen und die sie gerne klären möchten. Außerdem sollen die Studierenden ihre momentanen Antwortansätze auf diese Fragen aufschreiben. Dabei sammeln sowohl die Studierenden als auch ich erstaunliche und erhellende Erkenntnisse. Als Beispiel möchte ich die Lehrveranstaltung aus dem Wintersemester 2008/2009 herausgreifen. 104 Studierende nahmen am Einführungsseminar in die Religionspädagogik teil. Die Reflexion der eigenen religiösen Entwicklung sowie die Frage nach den offenen theologischen Fragen brachten umfangreiche Texte der Studierenden hervor. Insgesamt wurden 425 Fragen gestellt, die natürlich zu Fragenkreisen gebündelt werden konnten. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin hatte spontan und ohne Vorgaben also im Durchschnitt vier Fragen gestellt. Bei näherer Betrachtung konnte ich zwei interessante Beobachtungen anstellen: a. Zum einen schrieben die Studierenden intensiv von persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen, die zu eigenen theolo-
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gischen Fragen führten. Sie öffneten sich in ihren Texten in einer Weise, wie ich es nicht erwartet hatte. Teilweise berührten mich die Texte sehr, besonders dort, wo es um eigene Erfahrungen mit Leid ging. b. Zum anderen zeigten die Kommentare der Studierenden, dass ihnen das Entfalten der Fragen vor dem Hintergrund der eigenen Biographiearbeit gut gelang, dass sie aber die Suche nach Antworten als sehr mühsam erlebt hatten. Zwei Statements verdeutlichen dies: »Fragen zu formulieren war nicht so schwer. Es ist irgendwie sogar befreiend. Doch ich bin sehr unsicher in meinen Antworten. Ich weiß gar nicht wie ich mich ausdrücken soll und habe plötzlich das Gefühl zu schwimmen.« (Studentin, 19 Jahre) »Mir fiel es schwer! Vor allem fällt es mir schwer, Antwortansätze zu finden, da man irgendwie weiß, dass Gott nicht beweisbar ist und andere einem das immer wieder vorhalten. Wenn ich anfange, Antworten aufzuschreiben, schweife ich schnell ab und es kommen immer mehr Fragen. Ich bräuchte noch viel mehr Zeit (und wahrscheinlich auch Wissen).« (Studentin, 21 Jahre) Die Studierenden berichteten, dass sie zu einer solchen Reflexion bislang noch nie oder nur selten angeregt wurden, dass sie sich ihrer Fragen und Unsicherheiten nicht bewusst waren und dass das Eingeständnis der offenen Fragen eine unangenehme Erfahrung war, an der sie gerne arbeiten möchten. Allerdings konnten sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich vorstellen, welche Relevanz diese Fragen im Religionsunterricht tatsächlich besitzen, denn sie hatten das Aufgreifen theologischer Fragen auch im eigenen Unterricht als Schüler/in nicht oder nur selten erlebt.
Auf der Grundlage dieser beiden Beobachtungen habe ich eine Projektidee entwickelt, die von einigen interessierten Studierenden aufgegriffen wurde: • Die Studierenden, die sich beteiligen wollten, sollten noch während des ersten Semesters die Gelegenheit erhalten, ein Theologisches Gespräch mit einer Kleingruppe von Schüler/innen zu einem Fragenkreis zu führen, den sie selbst als dringlich notiert hatten. Dabei sollten sie weitgehend die Rolle der Beobachter/innen einnehmen, sich jedoch auch einschalten dürfen, wenn sie einen Gesprächsbeitrag einbringen wollten. Im Anschluss sollten sie ihre Erfahrungen auf der Grundlage der Transkription der videographierten Unterrichtssequenzen schriftlich reflektieren. • Die schriftliche Reflexion sollte mir als Lehrperson Aufschluss über bisher erworbene Kompetenzen und den daraus resultierenden Professionalisierungsbedarf geben; außerdem wollte ich besondere Interessen und Wünsche der Studierenden für den weiteren Studienverlauf ermitteln. • Nach Analyse der schriftlichen Arbeiten wollte ich ein Lehrangebot für die folgenden Semester zusammenstellen, das den Professionalisierungsprozess begünstigen sollte. Die Studierenden sollten dabei die Aufgabe bekommen, die Lehrveranstaltungen eigenverantwortlich zusammen zu stellen, zu besuchen, zu reflektieren und die Reflexionen in ihrem Portfolio festzuhalten. • Und schließlich hegte ich die Idee, die Studierenden gegen Ende ihres Studiums noch einmal mit den Schülerinnen und Schülern in ein Theologisches Gespräch zu bringen, die die Studie-
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renden ganz zu Beginn ihres Studiums im Gespräch erlebt hatten. Daraus sollten sich einige aufschlussreiche Beobachtung sowohl hinsichtlich der Kompetenzentwicklung der Studierenden als auch hinsichtlich der religiösen Entwicklung und Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler ergeben.1 Aus diesem Projekt erhoffte ich mir Aufschlüsse für ein studienbegleitendes Professionalisierungsmodell in Theologischen Gesprächen.2
2. Theologische Gespräche zu Studienbeginn »Am 4. Dezember war es soweit. Vor mir lag ein ungewöhnlicher Unitag. Um kurz nach 9 Uhr trafen vier Mitstudierende und ich Frau Freudenberger-Lötz, um gemeinsam zur Offenen Schule Waldau zu fahren. Dort warteten sechs Kinder einer 5. Klasse, um mit uns über ihre Vorstellungen von Gott zu sprechen. Wir waren inhaltlich vorbereitet. In den Sitzungen zuvor hatten wir Texte dieser Schüler/innen kennen gelernt und besprochen. Doch in mir war ein zwiespältiges Gefühl: Würde es gelingen, mit den Kindern ein ernsthaftes und tiefgründiges Gespräch zu führen? Wenn ich an meinen eigenen RU in der Grundschule zurück denke, kann ich mich an keine derartigen Gespräche erinnern.« So beginnt die Reflexion der ersten schulpraktischen Erfahrungen von Sebastian Hamel. Zwischen dem Notieren der eigenen Fragen sowie der eigenen Antwortansätze und der Begegnung mit Schüler/innen im Unterricht war eine gewisse Zeit vergangen. In dieser Zeit haben die Studierenden Schülerarbeiten der zu besuchenden
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Lerngruppe analysiert und den Unterricht geplant. Gut gerüstet fuhren die Studierenden zur Schule. Und obwohl sie im Wesentlichen eine Beobachtungsaufgabe hatten, sprachen sie von zwiespältigen Gefühlen, von Unsicherheit und Aufregung. Doch nach der Unterrichtserfahrung war die Aufregung verflogen: »Das Gespräch verlief für uns alle dann ziemlich überraschend. Entscheidend war aus meiner Sicht der gelungene Einstieg, der alle direkt in das komplexe Thema hinein führte. Entscheidend war weiter die Offenheit der Kinder dieser neuen Situation gegenüber. Sie konnten, obwohl sie erst Fünftklässler waren, schon sehr kritisch denken und gingen tolerant miteinander um. Ihre Gedanken waren facettenreich, sie hörten einander zu und gaben viele Impulse zum Weiterdenken.« Dies schreibt Andrea Tann. Und
1 Ob sich diese Idee allerdings tatsächlich realisieren lassen würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 2 Natürlich wollte ich mit der Professionalisierung in Theologischen Gesprächen nicht erst einige Jahre warten. Darum habe ich neben dieser Längsschnitt-Projektidee von Anfang an auch mein in Karlsruhe entwickeltes Modell der »Forschungswerkstatt theologische Gespräche« in Kassel etabliert und hier zusammen mit meinen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und mit Studierenden sowohl eine Professionalisierung Studierender als auch Forschungen in wichtigen Fragen der Kinder- und Jugendtheologie angestoßen. Das Angebot der Forschungswerkstatt konnte in Kassel von Beginn an alternativ zu den regulären Schulpraktischen Studien belegt werden. Daraus sind mittlerweile schon etliche Veröffentlichungen erwachsen, die Forschungswerkstätten haben sich etabliert (vgl. z.B. Petra Freudenberger-Lötz / Annike Reiß, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Ein Einblick in die Arbeit der Kasseler Forschungswerkstatt zu Möglichkeiten einer Jugendtheologie, in: KatBl 134 (2009), 97–102).
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Claudia Stöcker reflektiert die überraschende Erfahrung des Gespräches, die sich ganz am Ende der Stunde ereignete. Denn als es gerade zur Pause gongte und die Schüler/innen auf das Gespräch zu ihren Gottesvorstellungen zurück blickten, richteten sie auch eine Frage an die Studierenden: »Glaubt ihr eigentlich an Gott?« »Obwohl schon Pause war, wurde es plötzlich ganz still. Die Kinder waren sehr an unserer Meinung interessiert. Es war eine außergewöhnliche Stimmung im Raum. Uns fiel sofort das Studium ein, das aktuell Anlass zum kritischen Fragen und Nachdenken über den eigenen Glauben gibt. Wir betonten, dass es wichtig ist, auf der Suche zu bleiben – denn das gilt eigentlich für jede Lebenssituation – für die Fünftklässler und für uns.« Mit Hausaufgaben hatten die Fünftklässler die Studierenden in ihren weiteren Studienverlauf entlassen. Und Sebastian Hamel resümiert: »Zusammenfassend hat mir das Gespräch vor Augen geführt, dass die These, Kinder seien kleine Theologen, alles andere als aus der Luft gegriffen ist. Ihre Art, sich solchen großen Fragen zu nähern, war sehr beeindruckend, und ich bin froh, schon im ersten Semester diesen Einblick bekommen zu haben.«3 Die Unterrichtserfahrungen haben die Studierenden ermutigt und angeregt, eine forschende Haltung in den kommenden Semestern Theologischen Gesprächen gegenüber einzunehmen. Sie haben erfahren, wie zentral Theologische Gespräche sind, wie facettenreich theologische Gedanken schon von Kindern eines 5. Schuljahres geäußert werden können und wie wichtig es ist, solche Gespräche fundiert begleiten zu können. Wir arbeiteten gemeinsam heraus, dass es im Studium hinsichtlich Theologischer Gespräche um drei Perspektiven gehen
müsse, die sich gegenseitig bereichern: a. um die fachlich-theologische Perspektive, die Deutungsperspektiven zu theologischen Fragen bereit hält, b. um die Perspektive von Kindern und Jugendlichen, an die Lehrende anknüpfen können sollen, und c. um die reflektierte eigene Perspektive, die sich zur theologischen Position und zu den Positionen der Kinder und Jugendlichen in eine Beziehung bringen kann, die selbstbewusst und glaubwürdig vertreten werden kann sowie offen ist für Weiterentwicklungen. Diese drei Perspektiven im Blick zu behalten und stets aufeinander zu beziehen, das war der Auftrag an die Studierenden für ihr weiteres Studium.
3. Kontinuierliche Kompetenzentwicklung und Theologische Gespräche bis zum Ende des Studiums Die Studierenden stellten in den folgenden Semestern aus einer breiten Zahl an Lehrveranstaltungen in den unterschiedlichen theologischen Disziplinen ihr individuelles Programm zusammen. Wir begegneten uns immer wieder, tauschten uns aus und ich bekam einen Einblick in die Entwicklung der Studierenden. Dabei
3 Die wichtigsten Unterrichtsergebnisse und Reflexionen der Studierenden sind abgedruckt in: Petra Freudenberger-Lötz, »Alle meine Freunde glauben an Gott, aber sie können nicht erklären warum.« Studierende entdecken Zugänge von Kindern zur Frage nach Gott, in: Petra Freudenberger-Lötz / Ulrich Riegel (Hg.), »… mir würde das auch gefallen, wenn er mir helfen würde.« Baustelle Gottesbild im Kindes- und Jugendalter. Jahrbuch für Kindertheologie, Sonderband, Stuttgart 2011, 128–139.
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Freudenberger-Lötz »Einbruchstellen« oder »Herausforderungen des Glaubens«?
wuchs die Erkenntnis, dass der rote Faden der Professionalisierung in Theologischen Gesprächen nicht nur den Studierenden, sondern auch den Lehrenden der Religionspädagogik noch gezielter vor Augen stehen müsste, um Studierende bestmöglich begleiten zu können. Dazu später mehr.4
Die Kasseler Forschungswerkstätten zeichnen sich durch die Gleichzeitigkeit von Professionalisierung und Forschung aus. Die Studierenden gestalten Theologische Gespräche und entwickeln ihre Kompetenz der Gesprächsführung in einem Zirkel von Aktion und Reflexion weiter. Jede Unterrichtsstunde wird aufgezeichnet, transkribiert, intensiv reflektiert und hinsichtlich der Weiterentwicklung der eigenen Handlungskompetenz ausgewertet; die Konsequenzen werden in den folgenden Unterrichtsstunden realisiert. Das Datenmaterial wird aber nicht nur hinsichtlich der eigenen Professionalisierung in der Gesprächsführung analysiert. Das Thema, zu dem der Unterricht stattfindet, ist einer aktuellen Forschungsfragestellung aus dem Bereich der Kinder- oder Jugendtheologie entnommen. Darum kann sich eine zweite Analyse des Datenmaterials auf die gewählte Forschungsfragestellung beziehen. Diese Verbindung der Entwicklung von Forschungs- und Handlungskompetenz hat sich als gewinnbringend erwiesen. Sie entlässt am Ende des Studiums »reflektierte Praktiker« sowie Studierende mit 5 Erfahrungen in Unterrichtsforschung. Sowohl der Weg in den schulischen Vorbereitungsdienst als auch der Weg in universitäre Forschung steht den Studierenden anschließend prinzipiell offen.
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In großer Vorfreude auf das vor uns liegende Semester nahmen die Studierenden im Sommersemester 2011 an der Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche mit Jugendlichen: Gottesvorstellungen erheben und begleiten« teil. Die Forschungsfragestellung des hier vorzustellenden Seminars galt dem Gotteskonzept in der Pubertät. Die Schülerinnen und Schüler, die sich im Wintersemester 2008/2009 im 5. Schuljahr befanden, waren jetzt am Ende des 7. Schuljahres angekommen. Die Studierenden arbeiteten sich in vorliegende entwicklungspsychologische Literatur ein und entwickelten eine Fülle an Forschungsfragestellungen, denen sie nachgehen wollten.6 Eine Forschungsfragerichtung greife ich für den vorliegenden Beitrag heraus: »Welche Zugänge zur Gottesfrage lassen sich aktuell erkennen?« Hierzu gehört auch die Frage: »Nennen die Schüler/innen wichtige ›Einbruchstellen des Glaubens‹, und wie gehen sie mit diesen um?« Die Studierenden waren durch die Lektüre von Tobias Zieglers Dissertation zur Christologie von Jugendlichen7 und der dort vorgenommenen Typisierung von Zugängen angeregt worden, im eige4 Siehe Gliederungspunkt 4. 5 Vgl. die ausführliche Beschreibung des Anliegens der Forschungswerkstatt in: Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen (vgl. Anm. 2). 6 Diese sind teilweise schon in den Examensarbeiten der Studierenden bearbeitet (vgl. Anm. 14). Außerdem ist eine größere Veröffentlichung geplant. 7 Vgl. Tobias Ziegler, Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«? Elementare Zugänge zur Christologie als Herausforderung für Religionspädagogik und Theologie, Neukirchen-Vluyn 2006.
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nen Datenmaterial nach Kategorien von Zugängen zur Gottesfrage in der Pubertät zu suchen. In diesem Kontext nahmen sie an, dass auch die von Karl Ernst Nipkow grundlegend herausgearbeiteten Einbruchstellen8 thematisiert werden würden, welche möglicherweise eine ablehnende Haltung der Schüler/innen gegenüber religiösen Fragen begünstigen könnten. Speziell die Theodizeefrage und ihre mögliche Thematisierung interessierte sie vor dem Hintergrund der Veröffentlichung von Ritter et al.9 An der Entwicklung der Forschungsfragestellung lässt sich erkennen, dass die Studierenden nicht nur eine Sensibilität für die Entwicklungsphase der Jugendlichen mitbrachten, sondern auch aktuelle religionspädagogische Studien kannten und mit eigenen Forschungsfragen in Beziehung setzen konnten. Neugierig sahen wir nun den Unterrichtsstunden entgegen. Neben der Frage, wie die Schülerinnen und Schüler mit dem Thema umgehen würden, interessierte die Studierenden die Fragen, wie sich die Schüler/innen seit dem 5. Schuljahr entwickelt hatten, ob sie sich noch an die Studierenden erinnern konnten und wie sie sich auf die gesamte Situation der Forschungswerkstatt als Pubertierende einlassen würden. Als Einstieg konfrontierten die Studierenden die Schüler/innen mit dem Videomaterial sowie den Schülerarbeiten aus Klasse 5. Sie erzielten hohes Interesse bei den Schüler/innen sowie eine große Bereitschaft, die eigene religiöse Entwicklung zu reflektieren. Dabei machten die Schüler/innen deutlich, dass eine derartige Reflexion eine neue und ungewohnte Erfahrung sei, die sie aber als bereichernd erlebten. Ausgehend von der ersten Unterrichtsstunde und der The-
matisierung der religiösen Entwicklung griffen die Studierenden in den folgenden Unterrichtsstunden Einzelthemen auf, die von den Schüler/innen als offene Fragen in den Raum gestellt wurden. Dazu zählten insbesondere die Themen, die die Einbruchstellen im Glauben hervorbringen können: die Theodizeefrage, die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft sowie der Illusionsverdacht. Die Studierenden nahmen jeweils die Deutungen der Schüler/innen auf, brachten diese ins Gespräch und boten Antwortmöglichkeiten aus der theologischen Tradition schülergerecht an, die die Schüler/innen wiederum mit der eigenen Position in Beziehung setzen konnten. Bei der begleitenden Suche nach Kategorien des Zugangs zur Gottesfrage waren die Studierenden erstaunt. Sie hätten im Vorfeld nicht gedacht, dass die Kategorien »Einbruch« und »Transformation« so eindeutig würden identifiziert werden können. Der Kategorie »Einbruch« ordneten die Studierenden all jene Argumentationen zu, in denen die Schüler/innen verdeutlichten, dass sie aufgrund bestimmter Ereignisse oder Einsichten nicht mehr an Gott glauben könnten. Beispielsweise betont Nina:
8 Hier wollten sich die Studierenden insbesondere auf die Einbruchstellen »Theodizeefrage«, »Verhältnis Glaube – Naturwissenschaft« und »Illusionsverdacht« konzentrieren. Vgl. zu den Einbruchstellen Karl Ernst, Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, München 1987, 53–78. 9 Vgl. Werner H. Ritter / Helmut Hanisch / Erich Nestler / Christoph Gramzow, Gott und Leid. Aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen, Göttingen 2006. Vgl. auch Anm. 14.
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»Also, früher hab ich mehr an irgendwas geglaubt, nicht unbedingt an Gott, sondern irgendwas, was über uns steht und uns beschützt, aber umso älter man wird, umso mehr Erfahrungen sammelt man im Leben, Gutes sowie Schlechtes. Und umso mehr Erfahrungen man sammelt, umso mehr begreift man, dass man alleine für sein Leben zuständig ist. Man muss eben das Beste draus machen. (…) Jedenfalls, ähm, wenn man irgendwas Schlechtes, ähm, erlebt hat, das war jedenfalls bei mir so, hab ich mich halt irgendwann gefragt, ähm, wenns irgendwas Höheres gibt, wieso hat derjenige mich nicht davor beschützt, dass sowas passiert? Und, ähm, wenn ers hätte machen können, wieso hat ers nicht gemacht? Und so, äh, hab ich mir halt vorgestellt, dass es irgendwas, dass es da oben nichts gibt, sondern dass man halt selber dafür zuständig ist, und man sich, man sich nicht auf irgendwas Höheres verlassen kann.« Diese Argumentation hielt Nina die gesamte Unterrichtszeit durch und variierte die Themen. Meist stellte sie jedoch die Theodizeefrage ins Zentrum und argumentierte sehr sicher. Die Gruppe der Transformierer war ebenfalls gut zu identifizieren. Hierzu zählten die Studierenden jene Schüler/innen, die Fragen und Zweifel durchaus kannten und benennen konnten, die diese aber nicht als Grund des Abfalls vom Glauben ansahen, sondern vielmehr als Möglichkeit der Vertiefung und Festigung des Glaubens. So argumentierte Klara im Blick auf Glaubensfragen und -zweifel, diese seien »sogar gut, weil man sich dann darüber Gedanken macht und versucht es zu verstehen.« Interessant war für die Studierenden, dass die Gruppe der Transformierer insbesondere durch die spezifische Haltung der Gelas-
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senheit und Zuversicht gekennzeichnet war und sich sicher war, dass der Glaube im Zuge des Älterwerdens und neuer Lebenserfahrungen Wandlungen durchleben müsse.10 Manche Schüler/innen hatten zu schwierigen Fragen schon Lösungen entwickelt und konnten auch Wege der Antwortsuche benennen, andere waren noch am Anfang ihrer Antwortsuche, aber nicht weniger zuversichtlich. Dass die Haltung gegenüber Herausforderungen eine gewisse Weichenstellung beinhaltet und darüber entscheidet, welchen Zugang die Schüler/innen finden, war eine spannende Entdeckung der Studierenden. Sie fanden heraus, dass der Unterschied zwischen den Schüler/innen, die einen »Einbruch« schilderten, und den Schüler/innen, die der Kategorie »Transformation« zuzuordnen waren, nicht an den Themen an sich festzumachen war, die die Schüler/innen bewegten, sondern am Umgang mit den Themen. In der Konsequenz schlugen die Studierenden vor, bei den Themen Theodizee, Glaube – Naturwissenschaft und Illusionsverdacht nicht von »Einbruchstellen« zu sprechen, sondern von »Herausforderungen für den Glauben«, die zu einer Transformation oder einem Einbruch führen können – je nach Haltung der Schüler/innen und Art und Weise des Umgangs mit den Themen. Bei der weiteren Suche nach Zugängen Jugendlicher sind wir auf eine dritte 10 Zu diesem Thema hat Anne-Sophie Fischer anhand einer Einzelfallstudie in ihrer Examensarbeit geforscht. Sie hat unter anderem die Frage bearbeitet, welche Rolle das familiäre Umfeld bei der Transformation des Glaubens spielt. Hier hat sie weiterführende Ergebnisse erzielt, die den Zusammenhang von familiärer Prägung und Glaubenshaltung Jugendlicher neu bedenken helfen.
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interessante Kategorie gestoßen. Einige wenige Jugendliche, insbesondere solche, die uns im 5. Schuljahr durch einen festen Glauben aufgefallen waren, betonten zunächst, ihr Glaube habe sich nicht verändert. Im weiteren Verlauf des Unterrichts begannen auch sie, Fragen und Zweifel zu benennen, doch gleichzeitig wollten sie an ihrem Kinderglauben festhalten. Den Studierenden kam es so vor, als wollten die Schüler/innen sich von ihrem Glauben, den sie lieb gewonnen und der ihnen Halt gegeben hatte, nicht trennen. Eine Unterrichtssequenz und die zugehörige studentische Reflexion soll im Folgenden präsentiert werden. BEN: Und warum lässt Gott es nicht regnen vor einem Waldbrand, wenn er so allwissend ist? Das ist ja auch ›ne Frage! STUD. ANDREA: Also, wenn ich dich jetzt richtig verstehe, äh, zweifelst du das sozusagen an, dass er allwissend ist. BEN: Nein, nein! Ich zweifle das nicht an. STUD. ANDREA: Was denkst du denn? BEN: Nur –, nur manchmal, ähm, wenn er doch allwissend ist, und warum –, warum hilft er den Menschen nicht? STUD. ANDREa: Das ist deine Frage. Hast du ›ne Idee? BEN: Pff, also ich glaube, keiner ist allwissend. Ich glaub, er weiß richtig viel, aber so viel auch nicht.
Andrea Tann reflektiert: »Als Ben zum ersten Mal eine Frage stellt, die seinen bisher geäußerten festen Glauben hinterfragt, hat mich das überrascht, und ich wollte spiegeln, wie ich sein Statement empfunden habe. Ich frage also nach, ob ich ihn richtig verstanden habe, dass er an der Allwissenheit zweifle. Ich war sehr gespannt auf seine Reaktion. Ben betont nun, dass er nicht an der Allwissenheit Gottes zweifle. Ich ahne einen Konflikt und möchte gerne, dass Ben seine Fragestellung und seinen eigenen momentanen
Lösungsansatz auf den Punkt bringt. Deswegen frage ich, was er denn sonst denkt, wie er das Problem also für sich löst. Ben fragt, warum Gott, obwohl er allwissend ist, nicht eingreift. Dabei denkt er natürlich auch an die Güte Gottes, denn nur so kann es für ihn zu einem Konflikt kommen. Ben formuliert also Grundaspekte der Theodizeefrage sehr klar, und der Konflikt müsste ihm doch deutlich vor Augen stehen. Ich versuche nun eine Lösung aus Ben herauszulocken. Ben findet für sich einen Antwortansatz, indem er die Allwissenheit Gottes dann doch einschränkt. Aber ist das eine tragfähige Lösung? Zusammenfassend kann ich zu meiner Gesprächsführung in dieser Sequenz sagen, dass ich bemüht war, Ben durch Spiegeln und Hinterfragen seiner Aussagen dazu zu bringen, seine Gedanken zu ordnen und zu formulieren. Das war sicher sinnvoll. In den kommenden Unterrichtsstunden möchte ich Ben unterstützen, neue Antwortansätze zu entwickeln, denn ich bezweifle, dass er heute eine langfristig tragfähige Lösung gefunden hat. Die Theodizeefrage altersangemessen zu thematisieren, das wird meine Herausforderung für die kommenden Unterrichtsstunden sein.« An der Reflexion von Andrea Tann lässt sich erkennen, dass die Studierende mehrere Kompetenzbereiche miteinander verbindet: Sie kann in der Situation reflektieren und begründet handeln – und dies ist eine hohe Kunst in Theologischen Gesprächen. Sie kann in der handlungsentlasteten Situation nach dem Gespräch die einzelnen Gesprächsschritte angemessen analysieren und die Problematik des Gesprächsauszuges sowohl vor dem Hintergrund entwicklungspsychologischer als auch theologischer Aspekte er-
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fassen. Sie erkennt die Herausforderung, die das Gespräch für künftige Unterrichtsstunden beinhaltet und begibt sich an die Aufgabe prozessorientierter Planung. Die Studierenden bezeichneten diese Kategorie als »Vorbereitungsstadium«. Ben löst sich vom Kinderglauben und bereitet sich vor: entweder auf eine Transformation oder auf einen Einbruch. Das wird von der Haltung abhängen, die Ben in den folgenden Wochen und Monaten einnehmen lernt. Dieser Prozess kann im Religionsunterricht begleitet und unterstützt werden – sofern die Herausforderung von Seiten der Lehrenden erkannt und aufgegriffen wird. Drei Zugänge haben die Studierenden entdeckt, aber sie waren mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden. Einige Schüler/innen konnten sie keiner der bisher gefundenen Kategorien zuordnen. Insbesondere zwei Studierende11 nahmen sich dieser Schüler/innen besonders an und versuchten durch geschickte, einfühlsame Aufgabenstellungen mehr über die persönlichen Zugänge zu erfahren. Zwei weitere Kategorien konnten so durch intensive Suchbewegungen ausfindig gemacht werden: die Kategorien »Rudiment« und »Überlagerung«. Einige Schüler/innen schienen von den Fragestellungen schlicht überfordert zu sein. Wurden sie aufgefordert, eine persönliche Stellungnahme zu notieren, begannen sie zunächst und strichen danach ihre Texte wieder durch. Zeichnungen, die sie von ihren Gotteskonzepten anfertigten, erinnerten an Zeichnungen von Vorschulkindern. Offenbar gab es für diese Schüler/innen im Zuge des Aufwachsens keine anregenden Anknüpfungspunkte in religiösen Fragen, sodass sie bei einem
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rudimentären Wissen ohne persönlichen Bezug stehen blieben. Im Unterricht der Studierenden schienen sie oft abwesend oder störten. Wandten sich die Studierenden diesen Schüler/innen jedoch individuell zu, so war durchaus Interesse, Gesprächsbereitschaft und eine suchende Grundhaltung in religiösen Fragen zu erkennen. Die Studierenden entwickelten ein intensives Interesse an dieser Kategorie. Sie vermuteten, dass vielen Schüler/innen, die als »Störer« auffallen, nicht grundsätzlich das Interesse fehle, sondern dass sie keine für sie geeigneten Anknüpfungspunkte finden. Die große Frage der Studierenden war es, herauszuarbeiten, wie eine Alphabetisierung in theologischen Grundfragen im Jugendalter gelingen kann. Die Gruppe »Überlagerung« zeichnete sich demgegenüber dadurch aus, dass der Zugang zu religiösen Fragen momentan durch andere Lebensprobleme überlagert war. Die Studierenden entdeckten kurzfristige Überlagerungen (z.B. Konflikte in der Clique, die die Gedanken der Jugendlichen bewegten) und längerfristige Überlagerungen (schulische oder familiäre Probleme). Sie erkannte ferner, dass eine Überlagerung auch teilweise bei Jugendlichen vorlag, die sie anderen Kategorien zugeordnet hatten. Offenbar gehen Jugendliche mit belastenden Lebensthemen sehr unterschiedlich um. Bei der Aufgabe, anstehende Herausforderungen im eigenen Leben als Landschaft mit Bergen und Hügeln zu gestalten, die zu überwinden
11 Es handelt sich um Friederike Ullmann und um Julia Wulf. Sie scheuten keine Mühe und zeigten hohe Kreativität im Umgang mit den vorliegenden Fragestellungen.
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sind, zeichnen sowohl Pia als auch Klara einen Berg. Pias Berg ist sehr steil, teilweise schwarz gezeichnet und mit etlichen Fragezeichen versehen. Sie sagt: »Mein Berg ist voller Probleme und ich weiß nicht, wie und ob ich das überwinden kann.« Auch Klara zeichnet einen Berg und erzählt von Problemen, die sie bereits überwunden hat. Und sie formuliert: »Ich denke, in der Zukunft wird es immer wieder Probleme geben, aber ich bin mir sicher, ich werde sie meistern.« Wie können Schüler/innen im Religionsunterricht so für ihr Leben gestärkt werden, dass sie eine hoffnungsvolle Perspektive entwickeln und erkennen, wie sie Lebensthemen bewältigen können und wann bzw. wo sie sich Hilfe suchen müssen bzw. können? Diese Frage bewegte die Studierenden sehr. Religionsunterricht geht sicher nicht in einem therapeutischen Ansatz auf, dennoch sollte die Stärkung der Persönlichkeit und die Lebensbegleitung eine wichtige Rolle spielen. Das Semester war zu Ende und die Studierenden waren viele Schritte weiter gekommen. Sie hatten fünf wichtige Zugänge Jugendlicher in der Pubertät identifiziert: Überlagerung, Rudiment, Vorbereitung, Einbruch und Transformation.12 Jede und jeder Studierende/r hatte ein Thema entdeckt, welches sie/ihn besonders interessierte und das sie/er in der Examensarbeit vertiefen wollte.13 Durch die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen ist es gelungen, eine Fülle an Daten so auszuwerten, dass die Ergebnisse sich in der religionspädagogischen Forschung zur Kinder und Jugendtheologie sehen lassen können.14 Vor allem aber ist das Anliegen gewachsen, diese Schüler/innen weiter zu begleiten. Es handelt
sich bei den Jugendlichen gewiss nicht einfach um Forschungsobjekte, sondern um junge Menschen, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben, die uns viel von sich erzählt und engagiert mit uns gearbeitet haben. Der gemeinsame Weg wird also weitergehen.
4. Das Professionalisierungsmodell entsteht15 Zusammen mit meinen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Katharina Ochs und Karina Möller16, die ebenfalls zu Theologischen Gesprächen mit Jugend-
12 Die Examensarbeit von Annegret Aselmann widmet sich der inhaltlichen Beschreibung und Differenzierung dieser fünf Zugänge. Frau Aselmann legt eine gründliche und klar strukturierte Datenauswertung vor. 13 Dieses Thema hatte deutlichen Bezug zu den eigenen Fragen, die die Studierenden zu Beginn ihres Studiums genannt und die sie durch ihr Studium begleitet hatten. 14 Ein Teil der Examensarbeiten wird in der Reihe »Beiträge zur Kinder- und Jugendtheologie« veröffentlicht, andere werden ggf. als Aufsätze in Fachzeitschriften oder im »Jahrbuch für Jugendtheologie« erscheinen. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle auf die schon vorliegende Arbeit zur Theodizeefrage von Sebastian Hamel. Hamel setzt die Erfahrungen der Forschungswerkstatt mit den aktuellen religionspädagogischen Studien zur Theodizeefrage in Beziehung und kommt zu weiterführenden Ergebnissen. Diese im vorliegenden Aufsatz darzustellen, würde den Rahmen sprengen. Vgl. aber Sebastian Hamel, Die Bedeutung der Theodizeefrage im Theologischen Gespräch mit Kindern und Jugendlichen, Kassel 2012. 15 Alle wichtigen Informationen sowie Dateien zum Download finden Sie unter http://www. uni-kassel.de/fb02/institute/evangelischetheologie/fachgebiete/religionspaedagogik/ theologische-gespraeche.html 16 An dieser Stelle danke ich Katharina Ochs und Karina Möller für ihr hohes Engagement.
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lichen forschen, und in Kooperation mit dem Servicecenter Lehre an der Universität Kassel17, habe ich ein Professionalisierungsmodell Theologische Gespräche auf den Weg gebracht, dessen Umsetzung bereits erfolgreich angelaufen ist.
4. Vertiefung Differenzierung 3. Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche« 2. Kompetenzentwicklung in ausgewählten Bereichen 1. Grundlagen forschende Haltung entwickeln
Das Professionalisierungsmodell besteht aus vier Modulen, die einen schrittweisen Kompetenzerwerb in Theologischen Gesprächen erlauben und in den regulären Studienverlauf des Lehramtsstudiums an der Universität Kassel integriert werden können. Im ersten Modul erwerben die Studierenden Grundlagenkompetenzen: Sie lernen Geschichte und Anliegen der Kinderund Jugendtheologie kennen und arbeiten sich in wichtige Grundlagenliteratur ein. Sie erarbeiten die Rollen der Lehrkraft, führen erste Theologische Gespräche mit Kindern oder Jugendlichen und werten diese aus. Die Studierenden erkennen in diesem Prozess die Bedeutung vernetzter Fachkompetenz, die Bedeutung der kontinuierlichen Auseinan-
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dersetzung mit theologischen Grundfragen und die Wichtigkeit der Wahrnehmung des Gegenübers im Gespräch. Im zweiten Modul entwickeln die Studierenden ihre Kompetenzen in unterschiedlichen Bereichen weiter: An exemplarisch ausgewählten theologischen Grundfragen klären sie den eigenen Standpunkt, die Zugänge von Schüler/innen einer gewählten Schulstufe sowie die Perspektiven der Fachwissenschaft. Sie arbeiten damit an der Vernetzung ihrer theologischen Kompetenzen. Darüber hinaus erwerben die Studierenden Kompetenzen in der Planung, Durchführung und Analyse Theologischer Gespräche.18 Die Forschungswerkstatt steht im Zentrum der Professionalisierung in Theologischen Gesprächen und beinhaltet das dritte Modul. Die Studierenden festigen die bislang angebahnten Kompetenzen und überführen diese durch Aktionsforschung in Handlungskompetenz. Die FOWE bietet zudem die Gelegenheit zur Entwicklung einer eigenen Forschungsfragestellung. Im abschließenden vierten Modul vertiefen die Studierenden ausgewählte Fragestellungen bzw. gehen ihrer eigenen Forschungsfrage nach. D.h. die 17 Ebenfalls danken möchte ich Frau Dr. Christiane Borchard (Leiterin des Servicecenters) und ihrer Mitarbeiterin Kieu-Anh To für ihre große Unterstützung. Der »Blick von außen« war und ist ungemein bereichernd. 18 Claudia Stöcker hat in ihrer Examensarbeit vielfältiges Material für dieses Modul erarbeitet, unter anderem einen Kurzfilm, der die Bedeutung der Professionalisierung in theologischen Gesprächen deutlich vor Augen führt. Nach der Erfahrung der eigenen Professionalisierung war es ihr ein Anliegen, dass möglichst viele Studierende diese Chance ebenfalls ergreifen.
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Studierenden bearbeiten aktuelle Forschungsliteratur zu ihrer gewählten Forschungsfragestellung. Sie entwickeln Hypothesen und prüfen diese im Rahmen einer empirischen Erkundung. Dabei legen sie ausgewählte Methoden qualitativer Unterrichtsforschung zu Grunde.19 Zur Dokumentation ihres Professionalisierungsprozesses fertigen die Studierenden ein Portfolio Theologische Gespräche an, das sie das gesamte Studium über begleitet und der Examensvorbereitung dient. Das Portfolio ist klar strukturiert und die Bearbeitung wird von den Lehrenden der Religionspädagogik in ihren Lehrveranstaltungen angeregt. Regelmäßige »Runde Tische Religionspädagogik« bringen die Lehrenden untereinander ins Gespräch und tragen dazu bei, dass das gemeinsame Anliegen der Professionalisierung Studierender zielgerichtet verfolgt werden kann. Die Lehrveranstaltungen werden gemeinsam abgestimmt und es wird auf ein ausgewogenes
Angebot geachtet. Die entwickelten und gemeinsam verabschiedete »Standards guter Lehre« schaffen Transparenz und klare Kriterien, an denen sich die Lehrveranstaltungen an der Universität Kassel künftig messen lassen wollen. Sicher sind wir mit unserem Modell noch nicht am Ende unserer Möglichkeiten angelangt. Und so freue ich mich auf die Weiterentwicklungen, die sich aus den Erfahrungen in Theologischen Gesprächen an der Universität Kassel ergeben werden.
19 Die Themen der Forschungswerkstätten stehen in engem Zusammenhang mit den Promotionsthemen meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, die jeweils eine Forschungswerkstatt begleiten. So gelingt es uns, mehrere Forschungswerkstätten parallel und äußerst kompetent zu gestalten. Derzeit begleiten neben mir auch meine Mitarbeiterinnen Annike Reiß (Neutestamentliche Wundererzählungen), Karina Möller (Gotteserfahrungen), Katharina Ochs (Christologie) und Stephanie Görk (Schöpfung) eine eigene Forschungswerkstatt.
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Hartmut Rupp Janine – ein Stück exemplarischer Theologie von Jugendlichen
1. Hinführung Janine wurde durch die Jugendstudie von Hans Georg Ziebertz, Boris Kalbheim und Ulrich Riegel bekannt gemacht1 und hat schon einige religionspädagogische Aufmerksamkeit gefunden.2 Sie ist eine von 21 Jugendlichen aus Gymnasien in Unterfranken und besucht die zehnte oder elfte Klasse. Janine ist im Jahr des Interviews 17 Jahre alt.3 Die Aufmerksamkeit kann als Vermutung verstanden werden, dass hier exemplarische Momente des Gottesbildes heutiger Jugendlicher zum Ausdruck kommen. Dafür sprechen eigene Erfahrungen: Die Auseinandersetzung mit den Aussagen von Janine in Fortbildungsveranstaltungen ergab immer wieder einen neuen Blick auf die Religiosität Jugendlicher und ließ die Aufgabe des Religionsunterrichts noch einmal anders sehen. Die Auseinandersetzung mit den Aussagen von Janine im Religionsunterricht der Kursstufe führte zu deutlichen eigenen Positionierungen der Schülerinnen und Schüler, erlaubte einen Blick auf deren unterschiedliche Religiosität und ließ hilfreiche Unterrichtsinhalte im Sinne einer Theologie für Jugendliche entdecken.4 Im Folgenden sollen die Aussagen von Janine zunächst einmal dargestellt und interpretiert, dann aus verschiedenen Perspektiven reflektiert und schließlich mit den Aussagen Gleichaltriger verglichen werden. Ziel ist es, die Exempla-
rität der Aussagen von Janine für eine Theologie von Jugendlichen aufzuzeigen und Hinweise für eine Theologie für Jugendliche zu gewinnen.
2. Die Aussagen von Janine Die Aussagen von Janine sind ein Teil eines »problemzentrierten« Interviews, das durch einen Leitfaden gestützt ist. Dieser Leitfaden sollte »einem dreifachen Anspruch genügen: er sollte erstens die Persönlichkeitsmerkmale der Befragten hervortreten lassen, es sollte zweitens die Aufmerksamkeit auf funktionale Formen von Religiosität lenken, wie sie in Theorien von Luckman, Luhmann, Soeffner und Oevermann zum Ausdruck kommen, und er sollte drittens explizite substantielle Aspekte von Religion aufgreifen.«5 1 Vgl. Hans Georg Ziebertz / Boris Kalbheim / Ulrich Riegel, Religiöse Signaturen heute. Ein religionspädagogischer Beitrag zur empirischen Jugendforschung, Freiburg/Gütersloh 2003, 344 f. 2 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie, Neukirchen 2011, 56 f; Hartmut Rupp / Markus Mühling, Gott, Stuttgart 2011, 4. 3 Die qualitative Untersuchung wurde 1999 durchgeführt, vgl. Hans Georg Ziebertz et al. (wie Anm. 1), 47. 4 Die Unterscheidung einer Theologie von Jugendlichen, mit Jugendlichen und für Jugendliche wird als bekannt und als plausibel vorausgesetzt. 5 Hans Georg Ziebertz et al. (wie Anm. 1), 57.
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Religionspädagogische Anregungen
In den folgenden Aussagen geht es um die expliziten substantiellen Aspekte von Religion.6 FRAGE: Glaubst du an Gott? JANINE: Also ich denk schon, dass jeder Mensch von einer höheren Macht begleitet wird, die ihn beschützt und in gewissen Dingen auch leitet. FRAGE: Ist das der Gott der Bibel? JANINE: Ich würde nicht sagen, dass es einen Gott für alle Menschen gibt. Ich glaub, dass jeder seinen Gott für sich selbst definieren muss, und wenn man das getan hat, würde ich das auch nicht mehr unbedingt »Gott« nennen, weil, je nachdem, wie man die Vorstellung hat, und wie die Gedanken danach sind, kann es so unterschiedlich ausfallen, dass ich nicht mehr denke, dass ein Name, und sei es jetzt Gott, Jahwe oder irgendetwas, dem noch gerecht wird! Meine Gottesvorstellung ist nicht, dass es einen »Allgemeinheitsgott« gibt. Ich glaube nicht, dass es »einen« Gott gibt, der die Welt und die Menschen erschaffen hat, der allgegenwärtig ist und über uns »alle« wacht, und für den »alle« gleich sind. Das kann ich mir nicht vorstellen. Was ich an dem göttlichen Gedanken nicht gut finde ist, dass es jemand ist, der mich leitet, der mich quasi wie eine Marionette in der Hand hält, dass ich ein Schicksal habe, das mir absolut vorbestimmt ist, und ich daran nichts ändern kann. Also, das ist für mich ein Gedanke, mit dem fühle ich mich einfach nicht wohl. Dass ich sag: Ich kann nichts verändern, mein Weg ist bestimmt und wird geleitet. FRAGE: Welche Vorstellung passt besser zu dir? JANINE: Ich finde, jeder wird begleitet von einem individuellen Partner, der vielleicht wiederum Teil einer großen Gesamtmacht ist. Also ich glaub nicht, dass es jetzt einen Gott gibt, der über alle Menschen wacht und alle Menschen begleitet. Das kann ich mit mir nicht vereinbaren, schon allein weil ich mir denk, der wär ja dann andauernd beschäftigt, das ist dann wahrscheinlich das Problem mit dem Allmäch-
tigen, wo ich mir nicht vorstellen kann, dass irgendetwas, irgendein Wesen, eine Macht, eine Energie allmächtig ist. FRAGE: Wie bringst du das zusammen mit deinem Glauben, ist diese »Macht« eher nah oder fern? JANINE: Je nachdem, also ich denk in Momenten so vom Allgemeinen, ich glaub jetzt nicht, dass meine Macht neben mir steht, immer, egal wo ich bin, sondern mehr in der Form, dass die irgendwann da war und mir geholfen hat zu entstehen, sei es jetzt oder eventuell in einem früheren Leben, wobei ich auch sagen muss, der KarmaGedanke ist mir sehr angenehm und dass in schweren Momenten, in denen ich Hilfe brauch und es nicht alleine schaffe, wieder den richtigen Weg zu finden, oder gerne finden möchte, dann glaub ich, steht einem die Macht zur Seite und hilft einem, den Weg zu finden und, wenn man z.B. irgendwie in Gefahr ist, denk ich, hält die Macht eine Art schützende Hand über jemanden.
3. Beobachtungen und Vermutungen Janine entwickelt ihre Vorstellungen zu Gott und den Menschen als Antwort auf die Frage nach Gott. »Glaubst du an Gott?« Es stellt sich die Frage, ob Jugendliche nur dann explizit religiös argumentieren, wenn sie religiös angesprochen werden.7 Die Aussagen selbst sind als religiös zu bezeichnen, da sie ein grundlegendes Verständnis von dem Selbst, der Welt, 6 Die folgenden Überlegungen gehen von diesen Aussagen aus. Das ganze Interview steht nicht zur Verfügung. Biografische Hintergründe sind deshalb nicht bekannt. 7 Vgl. dazu Armin Nassehi, »Nur wer religiös angesprochen wird, antwortet in religiös«, in: ders., Erstaunliche religiöse Kompetenz, in: Bertelsmann Stiftung (Hg.), Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007, 113–132.129.
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Rupp Janine – ein Stück exemplarischer Theologie von Jugendlichen
einem guten Leben und von dem, worauf man sich verlassen kann, entwickeln. Sie sind jedoch auch als theologisch zu bezeichnen, da sie die eigenen Vorstellungen argumentativ entfalten und persönlich begründen. Der reflexive Charakter ist durchgängig zu erkennen. Janine entwickelt ihre Position, indem sie zunächst einmal ein vorsichtiges Bekenntnis ablegt. »Also ich denke schon, dass jeder Mensch von einer höheren Macht begleitet wird, die ihn beschützt und in gewissen Dingen auch leitet.« Daraufhin legt sie dar, was sie ablehnt (9 mal »nicht«), um sodann ihren individuellen Glauben zu entwickeln (ich glaub, ich finde, ich denke). Allerdings zieht sich die Abgrenzungslinie durch den ganzen Text. Janine folgt einem Schema wie es z.B. von der Barmer Theologischen Erklärung bekannt ist. Abgelehnt wird die Vorstellung, dass es einen Gott gibt, – der für alle Menschen gleich ist und deshalb von allen Menschen mit dem gleichen Namen angesprochen wird, – der die Welt und die Menschen erschaffen hat, allgegenwärtig ist, über alle Menschen wacht und für den alle gleich sind, – der die Menschen leitet, sie wie eine Marionette in der Hand hält, deren Lebensweg absolut vorher bestimmt, so dass Menschen daran nichts ändern können, – der über alle Menschen wacht und alle Menschen begleitet und – der allmächtig ist. Janine grenzt sich von einem theistischen Gottesglauben ab, den sie offenkundig mit der Bibel verbindet und wohl auch früher geteilt hat (zwei Mal »nicht
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mehr«). Daraus könnte man auf eine kirchlich-religiöse Sozialisation von Janine schließen. Zu vermuten ist, dass diese kritische Abgrenzung auch mit einer Distanzierung gegenüber einer kirchlichen Frömmigkeit einhergeht, die in ihren Liedern und Gebeten die Vorstellung eines allmächtigen und allgegenwärtigen Gottes erweckt. Dieser hat den Menschen und die Welt erschaffen, begleitet und geleitet sie und beschützt sie in der Not. Schöpfung und Vorsehung sind tragende Säulen dieses Gottesglaubens. Die Ablehnung wird weder mit negativen Erfahrungen mit einem solchen Gott begründet noch nicht mit Erkenntnissen aus Gesprächen mit anderen oder aus Auseinandersetzungen mit Filmen, Büchern o.a. Nur am Rande tauchen kognitive Probleme auf (»der wär ja dann andauernd beschäftigt«), was als eine Nachwirkung kindlichen Denkens wirkt. Entscheidend ist, dass die Vorstellungen von einem allgegenwärtigen und allmächtigen Gott mit den eigenen Gedanken und dem eigenen Lebensgefühl nicht übereinstimmen (»das kann ich mir nicht vorstellen«, »ich denk in Momenten so vom Allgemeinen«, »was ich nicht gut finde«, »mit dem fühle ich mich einfach nicht wohl«, »das kann ich mit mir nicht vereinbaren«, »das ist mir sehr angenehm«). Für Janine ist letztlich das eigene Nachdenken und das eigene Empfinden Maßstab für die Akzeptanz religiöser Vorstellungen. Es geht ihr um die Übereinstimmung mit sich selbst. Allerdings wirken die Positionierungen nicht ganz gewiss. Die Aussagen werden immer wieder etwas vage formuliert (»ich würde nicht sagen«, »vielleicht«, »eventuell«) und werden damit wohl auch revidierbar gehalten.
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Janine glaubt daran, dass – jeder Mensch von einer höheren Macht begleitet wird, die diesen beschützt und leitet, – jeder seinen Gott selber definieren muss, – die höhere Macht irgendwann da war und geholfen hat zu entstehen »bis jetzt oder dem früheren Leben«, – jeder von einem individuellen Partner begleitet wird, der Teil einer großen Gesamtmacht ist, – der eintritt, wenn Hilfe gebraucht wird und hilft den Weg zu finden, – der in Gefahr die Hand über einen hält, – in dem Leben des Einzelnen das Karma-Gesetz wirkt. Janine entwickelt in Abgrenzung zu einem biblischen Gottesbild (»Jahwe«) ein abstraktes Gottesbild, das mit individuellen Begleitern verknüpft ist und Bezüge zur Reinkarnations- und Karmalehre enthält. Dieses Gottesbild besitzt durchaus Nähen zu dem abgelehnten theistischen Gottesbild (schützen, begleiten, helfen), lässt aber selbst in schwierigen Zeiten Raum für eigenständiges Handeln (»und es nicht alleine schaffe, wieder den richtigen Weg zu finden, dann glaub ich steht einem die Macht zur Seite und hilft einem, den Weg zu finden«). Das Gottesbild unterstützt die Eigenständigkeit des Individuums. Ethische Maßstäbe sind mit diesem Gottesbild nicht verbunden. Reinkarnation spielt eine eher untergeordnete Rolle (»oder eventuell in einem früheren Leben«). Der Karmagedanke unterstützt die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Handelns (»sehr angenehm«), steht jedoch im Widerspruch zu der rettenden Hilfe in Gefahr. Die Vermutung drängt sich auf,
dass Janine mit einem theistischen Gottesglauben aufgewachsen ist, diesen aber im Jugendalter in ein abstraktes Gottesbild transformiert.
4. Zuordnungen Die Aussagen von Janine lassen sich einzelnen Ergebnissen der Jugendforschung zuordnen und deshalb aus verschiedenen Perspektiven interpretieren. Eine besondere Rolle spielen dabei entwicklungsund sozialpsychologische Konzepte. Aus der Perspektive des Lebenszykluskonzeptes von Erikson8 erweist sich die Position von Janine als Ausdruck der Suche nach Identität. Sie kann und will nur das akzeptieren, was ihren inneren Gefühlen entspricht, und arbeitet deshalb frühere Identifikationen um. Dazu dürfte auch der Gottesglaube gehören. In dem Glauben an eine beschützende Macht dürfte sich die Gewissheit aussprechen, beachtet zu sein und in eine Zukunft hineinzugehen, die trotz ihrer Offenheit Vertrauen verdient. Nach dem Konzept der Entwicklungsaufgaben von Havighurst arbeitet Janine – so scheint es – an der Autonomie gegenüber elterlichen Autoritäten, was auch die religiöse Sozialisation und das darin erworbene Gottesbild betrifft.9 Die Gesamtausrichtung der Aussagen von Janine deutet auf die individuierendreflektierende 4. Glaubensstufe von James Fowler.10 Die Autorität wird innerhalb des 8 Vgl. Erik H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, Frankfurt a.M. 1979, 106–114. 9 Vgl. Rolf Oerter / Leo Montada, Entwicklungspsychologie, Weinheim 1995, 124. 10 Vgl. James W. Fowler, Stufen des Glaubens, Gütersloh 1991, 192–201.
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eigenen Ich verortet, bisher selbstverständliche und wenig bewusste Überzeugungen werden kritisch reflektiert.11 Allerdings lassen sich durchaus auch synthetisch-konventionelle Züge aufweisen.12 Der Glaube an eine höhere Macht sowie an einen engelhaften Begleiter, der jedoch alle Züge biblisch-kirchlicher Frömmigkeit abgestreift hat, dürfte gesellschaftliche Anerkennung finden und entspricht dem, was Gleichaltrige meinen und sagen (s.u.). Dies gilt sicherlich auch für den Rekurs auf eigene Gedanken und Empfindungen als Maßstab für die Akzeptanz religiöser Vorstellungen. Auch der Einbau von Reinkarnation und Karma dürfte Zustimmung finden. Religionssoziologische Arbeiten belegen, dass 51 % der 18–29-Jährigen einem abstrakten Gottesbild stark oder sehr stark zuneigen. Sie sehen in Gott eine höhere Kraft und distanzieren sich damit von einem persönlichen Gott.13 Die Aussagen von Janine zeigen also auch konformistische Züge. Die Abgrenzung von einem theistischen Gottesbild zeigt auch theologiegeschichtliche Bezüge. Eine christologisch begründete sowie eine trinitarisch ausgerichtete Theologie werden mit Janine ein solches Gottesbild mit theologischen Gründen überwinden wollen. Eine an Schleiermacher orientierte Theologie hingegen wird dem Empfinden Achtung schenken und für eine Theologie eintreten, die dem Lebensgefühl Ausdruck und Gestalt gibt und dabei die Erfahrung von Grenzen und Abhängigkeit betont. Die von Carsten Gennerich vorgelegte Wertefeldanalyse operiert mit der Annahme, dass die unterschiedlichen Wertorientierungen einzelner Menschen unabhängig vom Alter und von kultureller Verwurzelung mithilfe von vier polar
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angeordneten Dimensionen beschrieben werden können.14 Diese Dimensionen sind »Offenheit für Wandel« vs. »Bewahrung« und »Selbst-Transzendenz« vs. »Selbst-Steigerung«.15 »Offenheit für Wandel« korreliert mit dem Interesse an Unabhängigkeit, Freiheit, eigene Ziele zu wählen, aber auch dem Wunsch nach einem abwechslungsreichen, anregenden Leben, mit Neugierde und Genuss. »Bewahrung« korreliert mit Respekt gegenüber der Tradition, mit dem Bedürfnis nach Sicherheit sowie einem Zugehörigkeitsgefühl. »Selbst-Transzendenz« korreliert mit dem Interesse, die Wohlfahrt anderer zu steigern, mit Hilfsbereitschaft, Loyalität, Verantwortung Umweltschutz aber auch mit Spiritualität. »Selbst-Steigerung« korreliert mit dem Wunsch, persönliche Interessen zu maximieren, mit der Suche nach sozialer Anerkennung, mit Ehrgeiz und dem Streben nach Einfluss.
Betrachtet man auf dieser Folie die Aussagen von Janine, so bringen sie auf der einen Seite den Wunsch nach Selbstentfaltung, Selbstbestimmung und Eigenständigkeit zum Ausdruck (im Sinne von Gennerich den Pol Offenheit für Wandel), aber sie betonen ganz deutlich auch ein Moment der Bewahrung und Sicherheit und formulieren das Bedürfnis nach Schutz und Begleitung. Zumindest in den
11 Ebd., 197 »Die beiden wesentlichen Merkmale des Entstehens der Stufe 4 sind demnach die kritische Distanzierung von einem früheren als selbstverständlich angenommenen Wertsystem und das Entstehen eines exekutiven Ich.« 12 Vgl. dazu ebd., 167–192. 13 Vgl. Hans Georg Ziebertz, Gibt es einen Traditionsabbruch? In: Religionsmonitor 2008, 44–53.49. 14 Carsten Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters, Stuttgart 2010. 15 Ebd., 32.
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vorliegenden Aussagen ist dieser Pol sogar dominierend. Dies könnte darauf hinweisen, dass im Jugendalter das Bedürfnis nach Unabhängigkeit und das Bedürfnis nach Geborgenheit neu justiert werden müssen und in religiösen Aussagen eine große Rolle spielen. Wie sich das mit den Polen »Selbst-Transzendenz« und »Selbst-Steigerung« verhält, muss mangels Angaben offen bleiben. Aber es stellt sich schon die Frage, ob und wie Janine mit ihrer höheren Macht kommuniziert und wie sie sich in schweren Momenten, in denen sie Hilfe braucht, verhält. Betet sie?
5. Vergleiche Die Aussagen von »J.« wurden einem Oberstufenkurs von 22 Schülerinnen und Schülern (darunter eine Praktikantin) vorgelegt.16 Sie sollten zunächst notieren, ob der Autor dieser Sätze männlich oder weiblich ist, dann wie alt diese Person sein könnte, schließlich worin man selber zustimme und was man anders sehe. Die Schülerinnen und Schüler waren überwiegend 17 Jahre alt (11×17, 2×18, 2×19, 1x 23). Ihre Antworten erlauben einen differenzierten Blick in die Religiosität von älteren Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen. Eine deutliche Mehrheit (17 von 22) halten Janine für älter als 17, mehr als die Hälfte bezeichnet »J.« als weiblich (13 von 22). Offenbar wirken die Aussagen aus der Perspektive Jugendlicher reifer als sie sich selber sehen. Zentrale Aussagen von Janine finden ausdrücklich Zustimmung. Die Aussage, dass es keinen Gott für alle Menschen gibt, wird von elf Schülerinnen und Schülern ausdrücklich bejaht, allerdings sechs-
mal auch abgelehnt (die anderen gingen nicht darauf ein). Dass jeder seinen Gott für sich selbst definieren muss, wird von neun Schülerinnen und Schülern ausdrücklich bejaht und von den anderen nicht abgewiesen. Von zwölf der 22 Befragten wird wie von Janine Gott als »höhere Macht« bezeichnet. Fünf lehnen diese Bezeichnung ab. Eine Distanzierung zu einem biblischen Gottesbild ist jedoch insgesamt zu erkennen (»natürlich nicht im biblischen Sinne«). Von nahezu der Hälfte (10 von 22) wird der Glaube an einen engelähnlichen Begleiter ausdrücklich abgelehnt. Wenn die befragten Schülerinnen und Schüler darauf eingehen, insistieren sie auf einer radikalen Eigenständigkeit (»man ist im Leben auf sich alleine gestellt«, »es ist nie jemand bei mir«, »für mich ist jeder selbst für seine Situation verantwortlich«) oder sie verweisen auf die Erfahrung ausbleibender Hilfe (»Aber wie viele Menschen kommen vom Weg ab, denen nicht geholfen wird?«). In der Polarität von Offenheit für Wandel vs. Bewahrung wird bei diesen Jugendlichen der Pol der Offenheit und damit Eigenständigkeit stärker betont als bei Janine. Diese Eigenständigkeit und Unabhängigkeit wirkt jedoch nicht heroisch oder triumphalistisch, eher resignativ (»J. glaubt, dass der persönliche Partner gerade in der Not an ihrer Seite ist. So kann ich das leider nicht immer sehen.«) Auch wenn die meisten der Schülerinnen und Schüler von Gott bzw. einer 16 Es handelt sich um eine Lerngruppe in der Kursstufe II mit Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe 12 und 13 des Schuljahrs 2011/12 in einem baden-württembergischen Gymnasium.
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höheren Macht als einem Gegenüber sprechen, so gibt es daneben auch eine Verinnerlichung Gottes: »Ich glaube, dass in uns etwas verborgen ist, eine Energie, eine Macht, Liebe … Ich glaube, das die Macht und Energie aus uns strömen«, »Wenn Gott in dieser Welt wirkt, dann in den Köpfen der Menschen durch den Glauben und in der äußeren Welt durch die Taten dieser Menschen«. 15 der 22 Stellungnahmen sind als religiös zu bezeichnen d.h. sie operieren ganz selbstverständlich mit Gott oder einer höheren Macht. Drei sind zweifelnd, zwei sind religionskritisch, zwei nichtreligiös. Sie halten den Glauben an Gott für eine Erfindung des Menschen, sehen in der Evolution eine höhere Macht oder können mit dem Gedanken einer göttlichen Begleitung einfach nichts anfangen. Die Typologie von Ziebertz u.a. findet Bestätigung.17 Die Stellungnahmen zeigen die religiöse Heterogenität einer Religionsgruppe im Westen Deutschlands. Diese Vielfalt kann durch die Themen zum Ausdruck gebracht werden, mit denen sich die einzelnen Stellungnahmen beschäftigen. Diese sind – Allmacht – Gott in uns – Glaube und andere Religionen – der Unterschied von höherer Macht, höherer Kraft, Energie und höherem Wesen – Willensfreiheit – die Bedeutung der Kirche – Begleitung Gottes in schweren Zeiten – Autonomie – Tod und was kommt dann? – Evolution als übermenschliche Macht – Gott eine Erfindung des Menschen – Gottesglauben und Karma – ein Gott oder mehrere Götter
Der Vergleich liefert Hinweise, was die Aussagen von Janine exemplarisch macht.
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Sie repräsentiert zum einen den deutlichen Trend unter Jugendlichen zu einem abstrakten Gottesbild und damit auch zur Abgrenzung von kirchlicher Frömmigkeit, zum anderen das Interesse an Individualität und schließlich den deutlichen Wunsch nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. In der Polarität von Offenheit für Wandel vs. Bewahrung verschiebt sich das Gewicht auf die Seite der Offenheit und der eigenen Eigenständigkeit, wobei jedoch weibliche Jugendliche deutlicher den Pol der Bewahrung festzuhalten scheinen. Von den neun Aussagen der Schülerinnen und Schüler, die zustimmen, stammen sieben von weiblichen.
6. Theologie für Jugendliche Die Kommentierung der Aussagen von Janine durch die Abiturientinnen und Abiturienten und das Unterrichtsgespräch darüber zeigen einen Ansatz einer Theologie mit Jugendlichen. Alle ließen sich gerne auf diese Aufgabe ein, schrieben ihren Kommentar zu den Aussagen von Janine und zeigten im Gespräch Interesse an ihren eigenen unterschiedlichen Stellungnahmen. Wichtig war den Schülerinnen und Schülern aber auch, wie die Lehrpersonen selber glaubt und wie sie ihre Sichtweise begründet. Wichtige Gesprächsthemen waren wie die Jugendlichen zu ihren Einsichten gekommen sind, welche Erfahrungen mit Gott sie gemacht haben, wie sich ihre Glaubensvorstellungen im Laufe des Lebens ent17 Hans Georg Ziebertz et al. (wie Anm. 1), 390– 403. Unterschieden werden fünf Typen religiöser Orientierung: kirchlich-religiös, christlich-autonom, konventionell-religiös, autonom-religiöse und nicht-religiös.
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wickelt haben, aber auch worin sich die verschiedenen Kommentierungen unterscheiden. In der Suche nach einer Theologie für Jugendliche soll danach gefragt werden, welche Schlüsselthemen und -fragen sich aus den Aussagen von Janine und den Kommentierungen für den Religionsunterricht ergeben. Auch wenn man sich selbst immer wieder dabei ertappt, sollten apologetische Themen vermieden werden. Ob der theistische Gottesglaube angemessen wiedergegeben wurde oder die Bibel im Grunde etwas anderes meint, sollte zunächst einmal zurückstehen. Zurückstehen sollte auch der leidige Versuch, Reinkarnation und Karma mit dem Hinweis auf ihre religionsgeschichtliche Herkunft madig zu machen. Wenn die Theologie für Jugendliche die persönliche Entwicklung der Jugendlichen fördern will, dann stellt sich die Frage nach Themen, die eine solche Entwicklung befördern können und deshalb mit den Vorstellungen der Jugendlichen zu tun haben. Solche Schlüsselthemen und Schlüsselfragen können den Aussagen von Schüler/innen entnommen werden, sie können aber auch von außen herangetragen werden. Selbstverständlich gibt es eine Fülle von Möglichkeiten. Einige seien formuliert: Ein Schlüsselthema schon von Janine ist die Erfahrung der Bewahrung in Not und Gefahr, aber damit auch die Erfahrung von Abhängigkeit. Wo und wie hat sie das erlebt? Wie deutet sie das? Wie kann man das auch anders deuten? Welche Deutung passt zu einem besser, welche weniger gut? Warum ist das so? Wie ist es zu verstehen, dass andere sagen, in ihren schweren Momenten sei eine Hilfe ausgeblieben? Herausfordernd könnte hier die Josefsgeschichte sein (Gen 37–50).
Ein Schlüsselthema dürfte auch die Vorstellung einer höheren Macht und den individuellen Partnern sein. Was kann man über diese wissen? An wen oder was erinnern mich diese? Welche Ansprüche gehen von diesen aus? Wie kann man mit ihnen kommunizieren? Ein Teil meint ja, dass Gottes Eingreifen vom Glauben und Handeln der Menschen abhängig ist. Herausfordernd könnte der Nachvollzug von Jahwe-Geschichten sein. Was erzählt die Bibel von Gott? Ein weiteres Schlüsselthema ist in den Gefühlen zu sehen. Was sagen Gefühle? Worin liegt ihre Wahrheit? Inwiefern können sie auch täuschen? Herausfordernd könnte die Klärung des Zusammenhanges von Glaube und Gefühl bzw. Gefühl und Wahrheit sein. Der Vergleich mit den kommentierenden Aussagen einer Oberstufenklasse lässt ein Schlüsselthema entdecken, das im Religionsunterricht eher selten angesprochen wird, nämlich das Verhältnis des Handelns Gottes zum Handeln der Menschen und damit die Frage der providentia Dei. Legt Gott das Leben der Menschen fest? Wann und wie greift Gott im Leben ein? Hat Gott den Menschen einen freien Willen gegeben?18 Die Aussagen von Janine und der Oberstufenklasse zeigen ganz verschiedene Modelle, die leicht voneinander unterschieden und gruppiert werden können: – Alles ist vorherbestimmt – Gott lässt Freiraum, greift aber ein, wenn es schlimm wird – Gott handelt verborgen, der Sinn zeigt sich erst später
18 Diesem Thema wendet sich die Zeitschrift entwurf 1/2012 zu.
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– Gott räumt nichts aus dem Weg, doch er gibt die Kraft und den Mut mit Schwierigkeiten fertig zu werden – Gottes Eingreifen ist von dem Glauben und dem Handeln der Menschen abhängig – Gott gibt den Menschen einen freien Willen und die Fähigkeit, sich für das Gute entscheiden zu können – Gott macht, was er will. Der Mensch hat darauf keinen Einfluss. – der Mensch ist vollkommen frei und unabhängig.
Zu diesem Thema dürfte es sinnvoll sein, unterschiedliche Antwortmodelle in den Aussagen von Jugendlichen zu erheben, einander vorzustellen, diese miteinander zu vergleichen und auf ihre Stärken und Schwächen zu befragen.19 Es legt sich aber auch ein individualisierendes Vorgehen nahe, das Unterschiedlichen unterschiedliche Herausforderungen zumutet, die dazu herausfordern eigene Positionen produktiv weiterzuentwickeln. Im Rahmen kooperativen Lernens legt es sich nahe, verschiedene Positionen bedacht aufeinander zu beziehen. So könnte ein Schüler, der sich selbst für alles verantwortlich sieht, sich im Gespräch mit einer Schülerin wie Janine austauschen, die Bewahrung kennt.
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wie das Bemühen, Freiheits- und Geborgenheitswünsche in eine Balance zu bringen. Die Aussagen von Janine lassen sich aber zugleich als Ausdruck eines Transformationsprozesses lesen, in dem der Kindheitsglaube angesichts der Entwicklungsaufgaben des Jugendalters und bedeutsamen Anderen in der eigenen Lebenswelt bearbeitet wird.20 Mit dem Glauben an eine höhere Macht sowie an eine Begleitung durch einen individuellen Partner hält Janine das in der Kindheit erworbene Gottesvertrauen aufrecht. Sie kann dafür mit einer sozialen und gesellschaftlichen Akzeptanz rechnen. Der Glaube an eine höhere Macht und einen individuellen Partner kann danach als Versuch gedeutet werden, ein erworbenes Gottes- und Lebensvertrauen unter veränderten Lebensbedingungen neu zu formulieren. Es dürfte in seiner immer wieder auch vagen Form leichter kognitiven Anfragen standhalten können und z.B. zur Vereinbarkeit von Religiosität und naturwissenschaftlichem Weltbild beitragen. Die höhere Macht kann bei Bedarf auch zur Macht der Evolution werden.
7. Ertrag Die Aussagen von Janine können in der Vielfalt religiöser Vorstellungen Jugendlicher als exemplarisch angesehen werden. Sie repräsentieren den Glauben an eine höhere Macht, die Distanz zu Bibel und Kirche, das Insistieren auf eine ganz individuelle Sicht des Lebens und damit auch der Religion, den Wunsch nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit so-
19 Hilfestellung findet sich bei Carsten Gennerich (wie Anm. 14), 224–226. Er unterscheidet die Modelle (1) einer paradoxen Geborgenheit, (2) eines riskierenden, aber hilfsbereiten Gottes, (3) einer göttlich garantierten Wunscherfüllung und Weltgerechtigkeit, (4) des Zufalls, und (5) von Gottes pneumatologischen Wirksamkeit. 20 Auf einen solchen Transformationsprozess macht Fred-Ole Sandt, Religiosität von Jugendlichen in der multikulturellen Gesellschaft, Münster 1996, 158 u.ö. aufmerksam.
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Die Aussagen von Janine eignen sich zur Rekonstruktion der eigenen Theologie von Jugendlichen und fordern zum Theologisieren im Sinne eines nachdenklichen Gesprächs über grundlegende Fragen nach dem Selbst (Selbstkonzept), der Welt (Weltkonzept), dem guten Leben (Wertekonzept) und nach dem, worauf man sich verlassen kann (Gotteskonzept) heraus. Vordringlich erscheinen die Fra-
gen nach der Willensfreiheit und nach dem Handeln Gottes im Leben der Menschen. Die sorgfältige Reflexion der Theologie von Jugendlichen, die diskursive Theologie mit und die Theologie für Jugendliche erweisen sich als Voraussetzung für einen bildenden Religionsunterricht, der auf eine Lebenshaltung ausgerichtet ist, die Freiheit und Liebe kennzeichnet.
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Katharina Kammeyer Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen Der Roman von Mitch Albom als Spiegel und Fenster zur Ausdifferenzierung von himmlischen Gerichtsbildern. Mit Vorschlägen für Unterrichtsgespräche
Life is wonderful1 (Jason Mraz) It takes a crane to build a crane, It takes two floors to make a story, It takes an egg to make a hen, It takes a hen to make an egg, There is no end to what I’m saying. It takes a thought to make a word And it takes some words to make an action. And it takes some work to make it work, It takes some good to make it hurt, It takes some bad for satisfaction. Ah la la la la la la life is wonderful, Ah la la la la la la life goes full circle.
Zwei Ausgangspunkte haben zu der Beschäftigung mit dem Roman »Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen« geführt: Der eine ist ein Videoschnitt aus Szenen seiner Verfilmung, der von einem Collegestudenten aus Puerto Rico auf die Videoplattform youtube gestellt wurde. Neben zahlreichen Videoaufnahmen von Rollenspielen zu Romanszenen durch amerikanische Schüler/innen, fällt dort diese Arbeit ins Auge. Sie ist mit dem oben zitierten Lied »Life is wonderful« unterlegt.2 Die Kombination beeindruckt: Der Film zeigt Bilder von dem 83-jährigen Hauptprotagonisten Eddie, der bei einem Unfall auf einer Kirmes stirbt, außerdem Bilder der Besucher in diesem Vergnügungspark, solche von
fröhlichen, feiernden Menschen auf einer Hochzeit, von streitenden Familien in engen Wohnungen, solche von Menschen im Krieg und von zwei kleinen Mädchen, denen Eddie in verschiedenen Zeiten und Ländern begegnet. Dabei nennt das Lied das Leben wunderbar. Der andere Ausgangspunkt ist eine Seminarsituation, in der eine Studentin ihr Referat über Wundererzählungen mit der Frage begann, welche Themen den Mitstudierenden die größten Sorgen machten, wenn sie an die Schulpraxis dachten. Genannt wurden die Wunderthematik, die Auferstehung und Himmel und Hölle. Natürlich kann nicht ein Aufsatz diesen großen Themen und damit verbundenen hermeneutischen Fragen gerecht werden. Im Folgenden soll jedoch gezeigt werden, wie Ausschnitte aus dem Buch von Mitch Albom als Spiegel für Himmelsbilder von Jugendlichen dienen können und auch als Fenster, um durch sie hindurch auf neue theologische
1 In diesem Sinne für Gerhard Büttner als Dank und zur Verabschiedung am Institut für Ev. Theologie der TU Dortmund im November 2010. Wichtige Impulse hat dieser Vortrag Bert Roebben, Kath. Theologie Dortmund, zu verdanken. 2 Vgl. den Beitrag von Rafael J. aus Ponce/ Puerto Rico alias houndour228 vom 13.06.2007 »Life is Wonderful – The Five People You Meet in Heaven« http://www.youtube.com/ watch?v=XbzMfbNygPQ (Zugriff 26.9.2011)
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Beiträge zum Thema zu sehen: Auf diese Weise kann zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit biblischen Zusammenhängen zu den Themenbereichen Leben und Tod, Gericht und Rechtfertigung sowie Hingabe und wunderbarer Gewinn des Lebens gelangt werden. In diesem Roman, einem in 35 Sprachen übersetzten Bestseller mit Auflagen von weltweit über 11 Mio. Exemplaren,3 geht es um Eddie, einen alten Mann, der mit seinem steifen Bein tagein, tagaus in einem Vergnügungspark am »Ruby Pier« arbeitet. Er sichert dort die Fahrgeschäfte, z.B. das Riesenrad, das sich in den Himmel schraubt. Nicht nur dieses Rad, der ganze Vergnügungspark wird als eine Metapher für den Himmel auf der Erde oder eher als eine Art »Ende der Welt« deutlich, denn »solche Parks gibt es an der Endstation einer Strecke, damit die werktags pendelnden Arbeiter einen Grund hatten, auch am Wochenende mit der Bahn zu fahren.« Hier arbeitet also Eddie: »An der Endstation« (130). Das Leben dort ist vor allem seit dem Tod von Eddies Frau für ihn wenig Vergnügen, sondern umfasst eine Reihe von leidvollen Erfahrungen: Der aggressive Vater, der Eddie nicht den Anflug von Anerkennung gewährt, schmerzte ihn als Kind und Jugendlichen. Die Kriegsverletzung am Bein aus der Zeit als Soldat auf den Philippinen schmerzt den alten Eddie, und die Routine des Vergnügens im Park sorgt dafür, dass er sein Leben für ziemlich bedeutungslos hält. An seinem 83. Geburtstag stirbt Eddie, als er ein Mädchen vor einer abstürzenden Gondel rettet. Er wacht in einer Welt anderer Möglichkeiten auf, die seiner eigenen erstaunlich ähnlich ist: Er ist immer noch im Park, aber jetzt ist dieser kein Ort von Schmerzen, Angst und Geh-
stock, sondern ein Ort der kinderleichten Sprünge. An fünf andere Plätze wird Eddie noch gebracht und begegnet dort fünf Personen, die ihm neue Dinge über sein Leben auf der Erde eröffnen – Menschen, mit denen er eng zusammen gelebt hat, solchen, die sein Leben gestreift haben oder solche, denen er nie begegnet war, die aber alle seinen Lebensweg nachhaltig verändert haben. Einer nach der anderen bringt nun Licht in die nicht sichtbaren Verbindungen seines Erdenlebens.
1. »It takes two floors to make a story« »Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen« ist ein Buch, das den Himmel ausmalt und dabei immer wieder auf die Erde kommt. Nachdem Eddie bei dem Kirmesunfall ums Leben kommt, spielt jeweils ein Kapitel im Himmel und eins auf der Erde. So wie im Lied von Jason Mraz der Kran, der den Kran baut, Worte, Dinge und Handlungen, Gutes und Schmerzhaftes, ineinander greifen, sich unterscheiden und zusammen gehören, damit jedes da sein kann, erzählt die Geschichte von Eddie und den fünf Menschen davon, wie die Lebensgeschichten von Menschen ineinander greifen und davon, wie Himmel und Erde zusammen gehören. »It takes two floors to make a story« heißt: »Du brauchst zwei Etagen, um ein Geschoss zu bauen«, und die Decke des einen ist dabei der Boden des anderen. Im Sinne des schönen Wortspiels bedeutet die Zeile ebenso: »Du
3 M. Albom, Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen, München 122005.
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brauchst zwei Ebenen, um eine gute Geschichte zu erzählen«, eben mehr als eine Perspektive, um auf die Dinge zu sehen. In religionspädagogischer Perspektive geht es darum, Jugendlichen zu ermöglichen, ihre eigene Geschichte sozusagen um eine himmlische Ebene zu bereichern und beide aufeinander zu beziehen. In kindlichen dualen Darstellungen vom Himmel, die in ihrer archetypischen Ausdruckskraft das Denken der Jugendlichen und Erwachsenen weiterhin herausfordern, sehen diese zwei Ebenen ganz praktisch z.B. so aus (vgl. Abb. 1):
Verdichtet finden sich solche Einbruchsstellen in den Reich Gottes Gleichnissen. Hier erzählt Jesus vom Himmel, indem er Bilder von der Erde gebraucht, um die Herrschaft Gottes auf der Erde wie im Himmel zu beschreiben. Dies führt zu verblüffenden neuen Einsichten dazu, wie das Verhältnis der Menschen gegenüber Gott und untereinander sein kann. In Rembrandts Skizze der Arbeiter im Weinberg geht es um den Moment der Verwunderung über die paradoxe und lebenspendende Gerechtigkeit des Weinbergbesitzers gegenüber dem Sein und Handeln seiner Mitarbeiter (Mt 20,13 ff), so dass niemand zu kurz kommt. Schüler/innen und Studierende lesen das Gleichnis häufig entweder als jenseitiges Himmelsbild oder als Horizont für
Abb. 1: Kinderbild
Abb. 2: Die Arbeiter im Weinberg (Rembrandt)
Auf der Zeichnung ist oben der Himmel, hier mit Gott und Jesus, zu sehen, und demgegenüber unten die Erde, dazu ein Untergeschoss aus weiteren Ebenen und einem Tunnelsystem. Dazwischen ist eine Rakete in Bewegung. Sind hier wohl »Einbruchsstellen des Himmlischen« möglich?4
4 Quelle des Bildes eines 6-jährigen Kindes in Abb.1: A.A. Bucher, Das Weltbild des Kindes, in: G. Büttner / V.-J. Dieterich, Die religiöse Entwicklung des Menschen, Stuttgart 2000, 199–215, 201; vertiefend siehe auch R.L. Fetz, Die Entwicklung der Himmelssymbolik, in: JRP (2) 1985, 206–214 und G. Büttner, Mit Kindern und Jugendlichen über den Himmel sprechen, in: Evang. Theol. (65) 5/2005, 366– 381.
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das Leben hier und jetzt. Die Bedeutsamkeit beider aufeinander zu beziehen, gelingt nicht automatisch, sondern erfordert einen bewusst gepflegten doppelten Horizont.5 Für die Perspektive der Auferstehung gilt dies genauso: Wenn, wie in dieser Darstellung eines Kindes aus einer vierten Religionsklasse, der Himmel bis auf Jesus menschenleer ist, wird die Auferstehung Jesu vermutlich noch nicht auf das neue Leben der Glaubenden selbst bezogen worden, weder diesseitig noch jenseitig (zumindest wird dieser Aspekt hier nicht dargestellt).
Abb. 3: Wenn ein Mensch stirbt …
Die Bedeutung des Auferstehungsgeschehens zur eigenen Lebenshoffnung werden zu lassen, also den Christus praesens im Himmel und auf der Erde zur Vertrauen schaffenden Wirkung kom-
men zu lassen, ist Ziel im Religionsunterricht.6
2. Theologische Perspektiven Theologisch sind zum Himmel, der geschaffenen, also »nicht-göttlichen Transzendenz«7, die ins diesseitige Leben einfällt und eschatologisch das neue Leben nach dem Tod und am Ende der Zeiten meint, viele Aspekte zu entfalten.8 Im Kontext des Romans und auch im Interesse der eingangs genannten Studierenden steht die Frage nach dem Verhältnis des diesseitigen Lebens zu unserem Ergehen nach dem Tod und damit verbunden nach dem Verhältnis Gottes zu uns und unserem Handeln im Raum, wie es biblisch durch das Motiv des Gerichts ausgedrückt wird. »Was der Mensch sät, wird er ernten« wird im Galaterbrief zugespitzt formuliert (Gal 6,7). Diesen Aspekt möchte ich im Folgenden herausgreifen: Zentral ist hierbei der Glaube, dass die Taten des Menschen und das, was er von sich weiß
5 A. Kunze-Beiküfner, »Da ist jeder gleich viel wert!« – Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20,1–16) interpretiert von Kindern und Jugendlichen im Kontext gemeindepädagogischer Arbeit, in: Jahrbuch für Kindertheologie 7, Stuttgart 2008, 193– 216. 6 Vgl. C. Butt, Kindertheologische Untersuchungen zu Auferstehungsvorstellungen von Grundschülerinnen und Grundschülern, Göttingen 2009, etwa 253 zeigt, dass dieser Transfer den Kindern ohne didaktische Begleitung nicht von selbst geläufig ist! 7 Vgl. J.E. Hafner, Gott ist nicht der Himmel. Die Notwendigkeit einer nichtgöttlichen Transzendenz, in: S. Schreiber / S. Simeons (Hg.), Das Jenseits. Perspektiven christlicher Theologie, Darmstadt 2003, 143–175. 8 Vgl. S. Schreiber / S. Simeons 2003 (wie Anm. 7).
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oder auch nicht wahrhaben will und kann, einmal vor Gott aufgedeckt werden wird, so dass der Mensch sich verantworten muss. Im Sinne von 2. Kor 5,10: »Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.«. Dieser Prozess wurde theologisch in zwei Richtungen verstanden: »als eine Überführung zur Strafe oder Belohnung, dass das Unrecht im Sinne einer letzten Gerechtigkeit ausgeglichen wird«9 oder als »Akt der Befreiung«10 des Menschen, in dem Gott das Unvollkommene letztendlich aufrichtet und getanes und erlittenes Unrecht zurechtbringt.11 Im Folgenden möchte ich das Aufdecken im Sinne von 1. Kor 13,12 aus dem Hohelied der Liebe entfalten: »Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.« In diesem Kontext der Liebe Gottes orientiere ich mich an der zweiten Richtung der Erwartung eines aufrichtenden Richters. Der Prozess ist deshalb nicht weniger spannungsvoll zu denken, so die biblischen Zeugnisse in der Gleichzeitigkeit von Gericht (also Konfrontation) und Heil:12 Die so genannte paradoxe Umkehr beschreibt die angesprochene überraschende Umkehrung menschlicher Urteilsmaßstäbe angesichts der Gerechtigkeit Gottes: »So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein« (im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Mt 20,16; im Kontext der Nachfolge Mk 10,31). Zum heilvollen Gericht gehört dabei die Erlösung durch den Glauben an Jesus Christus, der als rettender Richter wirkt (»Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die
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Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes …« (Joh 3,17 f, ähnlich Joh 12,47 f)). Drittens wird hervorgehoben, dass die Versöhnung mit Gott immer dem sündigen Menschen gilt (»… um den Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte, um ihn auszuführen, wenn die Zeit erfüllt wäre, dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist.« (Eph 1,10)). In diesem Sinne kann die Rede vom Lohn in 2 Kor 5,10 als die Reaktion Gottes auf das Leben jedes sündigen, also aller Menschen gelesen werden. Diese im Epheserbrief vorfindlichen Tendenzen zur Allversöhnung relativieren das Gerichtsmotiv.13 Möglich wäre meiner Ansicht auch zu sagen, dass sie es qualifizieren: Das konfrontierend-irritierende und heilende Wirken Gottes im Gericht kann dann sowohl als richtendes als auch als erlösendes Handeln verstanden werden. Das Aufdecken der Wahrheit, das zu einer letzten Gerechtigkeit führt, beschreibt auch Härle als eine Art jenseitige Krise – eine »schmerzhafte Wohltat«, so 9 Vgl. C. Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters. Werte und Einstellungen Heranwachsender als Bezugsgrößen für religionsdidaktische Reflexionen, Stuttgart 2010, 228. 10 Ebd. 11 Vgl. J. Moltmann, Gibt es ein Leben nach dem Tod? In: K. v. Bonin / A. Gidion (Hg.), Dokumente des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Gütersloh 1999, 296–308, 307. 12 In Anlehnung an Gennerich 2010, 229 werden hier schlaglichtartig Variationen des Gerichtsgedankens im NT genannt, siehe vertiefend und zu weiteren Literaturhinweisen seine Ausführungen, 228–232. 13 Vgl. C. Gennerich (wie Anm. 9), 229.
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Härle, weil im Gericht das vollzogen wird, was für das »Leben der Ausbruch aus dem Gefängnis der Sünde gewesen wäre.«14 Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Beziehung Gottes zum Menschen reist mit dem Tod nicht ab, sondern der Sünder geht, wie er auch aus der Begegnung mit dem irdischen Jesus verändert herausgeht, endgültig verändert aus dem Gericht heraus. Moltmann führt dies zu der Formulierung des neuen Lebens als die Chance, »die oder der zu werden, die eine oder der einer nach Gottes Bestimmung sein sollte.«15 Von ihm ist im Schulbuch »Sinn Voll Sinn« eine Paraphrase dieses Textes abgedruckt: »Ich muß oder werde noch einmal auf dieses Leben zurückkommen, um das Verquere zurechtzurücken, das Angefangene zu Ende zu bringen, das Versäumte nachzuholen, die Schulden zu bezahlen und die Schmerzen auszuheilen und das Unvollendete zu vollenden. […] der Gedanke eines großen ›Weltgerichtes Gottes‹ benennt etwas zwischen unserem Tod und dem ewigen Leben. […] Für mich bedeutet das Gericht Gottes das endgültige Zurechtbringen des getanen und erlittenen Unrechts und die endgültige Aufrichtung der Gebeugten. Darum stelle ich mir jenen ›Zwischenzustand‹ als einen weiten Lebensraum vor, in dem sich das hier abgebrochene und zerstörte Leben frei entfalten kann, [in dem] die Geschichte Gottes mit einem Menschen zur Entwicklung und Vollendung 16 kommt.«
3. Zugänge von Schülerinnen und Schülern Wie gehen Schüler/innen der Sek I mit diesem Thema um? Spielt das dynamische »Aufdecken der Wahrheit« in ihrem Denken eine Rolle? Nach der Jugendstudie von Feige/Gennerich 2008 unter 8000 Berufsschüler/innen lassen sich vor
allem drei große Cluster an Erwartungen an eine weitere oder neue Existenz nach dem Tod unterscheiden.17 A) »Ich existiere nicht mehr, da ist nichts – einfach nichts« gilt für etwa 30% der Jugendlichen, wobei der Anteil der autonomieorientierten höher ist als der von einbindungssuchenden Jugendlichen. Auffällig ist auch eine Korrelation des Motivs der Nichtexistenz nach dem Tod mit negativen Erfahrungen im eigenen Leben. Vor allem junge Frauen befürchten einen Verlust ihrer Identität im Tod, während junge Männer eher Konsequenzen ihrer Handlungen erwarten.18 B) Ein weiteres Drittel der Befragten formuliert eine Vorstellung im Sinne von: »Ich habe ein
14 W. Härle, Dogmatik. 3. Aufl., Berlin 2007, 642. 15 So Jürgen Moltmann im Schulbuchausschnitt, vgl. M. Boenke et al. (Hg.), Sinn Voll Sinn. Religion an Berufsschulen. Bd. 4: Zwischen Scheitern, Versagen und Neubeginn, München 2008, 56. 16 J. Moltmann (wie Anm. 11), 306, zum Schulbuch siehe M. Boenke et al. (wie Anm. 15), 56. 17 Die Tabelle in Abb. 4 ist entnommen aus dem Forschungsbericht von A. Feige / C. Gennerich et al., »Was mir wichtig ist im Leben«. Auffassungen Jugendlicher und Junger Erwachsener zu Alltagsethik, Moral, Religion und Kirche, Braunschweig/Bielefeld 2007, 338, in der Onlineveröffentlichung unter http://ci-muenster.de/biblioinfothek/open_ access/oa_feige_gennerich_textband.php (Zugriff 26.9.2011). Siehe zudem insgesamt den Themenband »Was letztlich zählt – Eschatologie« des JRP 26, insbesondere mit den Beiträgen von Mette und Streib/Klein zu Zugängen von Kindern und Jugendlichen zum Thema Tod und Leben nach dem Tod sowie darüber hinaus unterrichtliche Konkretionen. 18 Gennerich und Feige weisen hierbei auf die sozialen Geschlechtsrollenvorgaben (eher passiven bei Frauen/ eher aktiven bei Männern) hin, vgl. A. Feige / C. Gennerich (wie Anm. 17), 335.
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Was passiert nach dem Tod mit mir (% von Cluster)
Humanisten
Statussuchende
Autonome
Einbindungssuchende
Ich existiere nicht mehr: da ist nichts – einfach nichts.
30
30
38
27
Ich habe ein Wiedersehen mit allen, die ich kenne/kannte.
29
24
22
36
Ich begegne dann – auf irgendeine Weise – Gott.
18
22
13
28
Meine Seele ›schwebt‹ dann irgendwie.
17
18
13
20
Ich (er)lebe dann das Leben im Paradies.
15
20
13
21
Ich werde auf der Erde als ein neues Lebewesen wiedergeboren.
11
15
10
11
Gläubige kommen in den Himmel und Ungläubige in die Hölle.
7
16
7
13
Ich begegne dann – auf irgendeine Weise – Allah.
5
16
4
8
Ich existiere dann auf einem anderen Planeten.
4
8
6
4
Abb. 4: Annahmen über Erleben nach dem Tod
Wiedersehen mit allen, die ich kenne/ kannte«. Hier sind es vor allem einbindungssuchende (traditionsorientierte) Jugendliche und solche mit prosozialen Wertorientierungen (in der Tabelle Humanisten genannt), weniger die Statussuchenden, die diese Ansicht haben. C) Im Vergleich hierzu gilt die dritte Perspektive »Ich begegne dann – auf irgendeine Weise – Gott/Allah« in allen Gruppen für einen etwas niedrigeren Teil der Jugendlichen (13–28 % bzw. 5–16 %). Weitere wichtige Bilder sind die »schwebende Seele«, das »Leben im Paradies« und die Vorstellung einer Wiedergeburt
als neues Lebewesen, die entweder auf der Erde oder auf einem anderen Planeten lokalisiert wird. Insgesamt etwa 11 % vertreten die Aussage »Gläubige kommen in den Himmel und Ungläubige in die Hölle.« Sie wird vor allem von solchen Jugendlichen eingebracht, denen Autoritäts- und Sicherheitsstrukturen wichtig sind. Auch Jugendliche, denen persönliche Verantwortung wichtig ist, verstehen das Gericht deutlich normativ.19 19 Vgl. C. Gennerich (wie Anm. 9), 254.
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Die Formulierung macht hierbei viel aus: In einer Shell-Jugendstudie stimmen 44 % der Jugendlichen der Aussage zu »es gibt eine höhere Gerechtigkeit, alles was man im Leben getan hat, wird einem später einmal angerechnet.« Dagegen trifft »Irgendwann muß man für alles Schlimme, was man getan hat, büßen« nur unter 21 % auf Zustimmung. Der Gedanke einer letzten Gerechtigkeit besteht also, ihre Symbolisierung wird jedoch sensibel unterschieden.20 In der dualen Scheidung von Himmel und Hölle hat das Thema Gericht jedenfalls (nur) für eine kleine Gruppe Relevanz. Wilhelm Gräb problematisiert diese Ausgangslage hinsichtlich des Kennenlernens der Rechtfertigungslehre im Evangelischen RU: »Die Vorstellung von Gott, dem Richter, ist kaum noch präsent. Deshalb hat die Botschaft, dass Gott Liebe ist, unmittelbar auch keine befreiende u. heilende Kraft.«21 Darauf wird noch zurückzukommen sein. Zusammenfassend können wir festhalten: Für die meisten Jugendlichen ist das Ergehen nach dem Tod weniger mit einer dynamischen Krise, sondern einer eher eindeutigen Entwicklung verbunden: Entweder sehe ich alle wieder (was ich als beziehungsorientierter Mensch erhoffe) und/oder betrete ganz neue Sphären – oder es ist nichts mehr (was häufig einem geringen Selbstwertbewusstsein entspricht). Das Thema der Gerechtigkeit bzw. der Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber Gott ist für nicht wenige Schüler/innen ein Horizont – vorrangig jedoch ein moralischer und nicht einer, der die Veränderung der Menschen in einem dynamischen Verhältnis von Gott her begreift, dessen Beziehung zum Menschen den Tod überdauert.
4. »Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen« – Lernanlässe Die christliche Perspektive der dynamischen Gottesbeziehung im Sinne der mit Härle und Moltmann vorgestellten Sichtweise, die also für fast alle Schüler/innen eine neue Sichtweise sein dürfte, kann im Religionsunterricht z.B. im Kontext einer Reihe zu Tod und Leben oder zur Rechtfertigung eingebracht werden.22 Dies wird nur dann auf Offenheit stoßen und zur Auseinandersetzung führen, wenn zuvor ein Raum geschaffen wird, in dem Schüler/innen eigene Vorstellungen ausdrücken können. Möglichkeiten des Anknüpfens und Spiegelns bietet der Roman den verschiedenen Gruppen jeweils auf unterschiedliche Weise. Den prosozial Orientierten: Wenn auch nicht allen Menschen, so begegnet Eddie zumindest fünf von ihnen im Himmel. Den am Wandel und Neuem Orientierten: Eddie erlebt sich selbst immer wieder anders und in völlig neuen Zeiten und Welten, die jeweils neue, überraschende Einsichten für ihn bereithalten. In gewisser Weise wird er sowohl in seinem alten Leben als auch in fremden Kontexten »wiedergeboren«. Denjenigen mit hohen Erwartungen an sich selbst oder mit wenig 20 Vgl. ebd., 230 mit Bezug auf die Shell Studie Jugend 2000, Bd.1, 176. In den neueren Studien wird dieses Themengebiet nicht mehr erfragt. 21 W. Gräb, Rechtfertigung. Art, in: Lexikon der Religionspädagogik, Bd. 2, 1588–1594, Neukirchen 2001, 1589. 22 Gennerich nennt die Anschlussthemen Gerichtspropheten, Apokalyptik, Gerechtigkeit und Hölle und zeigt in seinem Überblick zu Unterrichtsentwürfen auf, dass darin vor allem existentiell-ethische Deutungen überwiegen, vgl. Gennerich (wie Anm. 9), 260– 262.
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Selbstwertgefühl: Zu dieser Haltung neigt auch Eddie, der den Sinn in seinem Leben auf der Kirmes nicht sehen kann. Und denjenigen mit einer dualen Himmel-Hölle-Vorstellung: Auch Eddie geht zunächst davon aus, dass er für Verfehlungen im Leben büßen muss. Die Begegnungen, die Eddie im Himmel mit den fünf Menschen aus seinem Leben hat, führen für ihn zu einem Aufdecken von für ihn ungeahnten Perspektiven auf seine Geschichte und mit jeder Begegnung zu neuen Irritationen. Es lässt sich wie oben mit Härle von »schmerzhaften Wohltaten« sprechen, denn letztlich dienen sie ihm als neue Erkenntnisse, die ihn seinen Mitmenschen und sich selbst gegenüber liebevoller werden lassen. Diese neuen Einsichten erinnern an das oben angesprochene Erkennen in 1. Kor 13,12, das sich mit dem Bild des Gericht als einem Aufgerichtet werden und mit Versöhnung zusammen denken lässt: »Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.« Der Ansatz von Gräb erscheint demgegenüber zu kurz greifend. Die Frage ist, ob die Freude über Gottes Gnade angesichts des Gerichts wirklich größer ist als angesichts seiner Liebe. Im Zusammenhang mit Schüler/innen, deren Interesse nach Gennerich/Feige eher wenig am Gericht, aber durchaus an der Liebe besteht, liegt es nahe, diese zusätzlich als Bezugsgröße zu untersuchen. Denn versöhnende Liebe entfaltet nicht nur angesichts eines harten Richters ihre befreiende, heilende Kraft, sondern hat ihren
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Wert aus sich selbst heraus. Als »neuen Sitz im Leben« des Gerichts benennt Gräb den »Zwang zur Selbstrechtfertigung u. Selbstbehauptung«, Bedingungen, die das Verständnis von Liebe beeinflussen und auch beeinträchtigen können und so eine nähere Betrachtung erfordern. Die Kämpfe und Versöhnungen Eddies beziehen sich dabei auf die Begegnungen mit Menschen und mit sich selbst. Ins Licht gerückt werden hierbei zum einen der Kontrast der nicht-irdischen Welt gegenüber irdischen Nöten und Schmerzen, zum anderen Einbruchsstellen für Elemente der Versöhnung auf der Erde. Hierzu zähle ich etwa den eingangs beschriebenen Gedanke des Ineinandergreifens der Verschiedenen, die die Hingabe aneinander nicht als einen Verlust, sondern ein sinnvolles Opfern verstehen sollen. Von Gott wird hierbei z.T. nur in Andeutungen gesprochen, an anderen Stellen leider auch in einer Direktheit, die von deutschsprachigen Leser/innen häufig als kitschig empfunden wird.23 Im Folgenden werden Auszüge aus dem Roman vorgestellt, die in ihrer bildhaften Gestaltung und der Dichte der Dialoge jedoch einen anregenden Raum und Inhalte zur Interpretation und zur Diskussion bieten. Diese sollen in ersten Zügen entfaltet werden. Didaktische Perspektiven zum Theologisieren schließen sich an. 23 Vgl. etwa den Schluss des letzten Kapitels: »er glitt nach oben […], wo hoch oben in einer sacht schwankenden Gondel eine Frau in einem gelben Kleid saß, seine Frau, Marguerite, die ihn mit ausgebreiteten Armen erwartete. Er streckte die Hand nach ihr aus und sah sie lächeln, und die Stimmen flossen zusammen zu einem einzigen Wort von Gott: Zuhause.« (218).
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5. Fünf Begegnungen – ausgewählte Auszüge des Romans
5.1 Die erste Begegnung Der Himmel bedeutet in Alboms Roman Einsicht in die Verbundenheit aller Dinge zu haben, die auf der Erde passieren. Eddie begegnet zuerst dem so genannten Blauen Mann, der in seiner Kindheit im Vergnügungspark arbeitete. Jetzt erzählt er Eddie, dass er ihm als kleinem Jungen einmal mit dem Auto auswich, so dass Eddie unbeschadet vom Spielen auf der Straße zurück nach Hause gehen konnte. Der Blaue Mann hingegen geriet in einen Unfall, erlitt einen Herzanfall und starb. »›Bitte, Mister …‹, bat Eddie, ›ich habe das nicht gewusst. Glauben Sie mir …, so wahr mir Gott helfe, ich habe das nicht gewusst.‹ Der Blaue Mann nickte. ›Du hast es nicht wissen können. Du warst zu jung.‹ Eddie trat einen Schritt zurück. Er straffte seinen Körper, als mache er sich auf einen Kampf gefasst. ›Aber jetzt muss ich bezahlen‹, stellte er fest. ›Bezahlen?‹ ›Für meine Sünde. Deswegen bin ich doch hier, oder? Wegen der Gerechtigkeit.‹ Der Blaue Mann lächelte: ›Nein, Edward. Du bist hier, damit ich dir etwas erklären kann. All die Menschen, denen du hier begegnest, wollen dir etwas erklären.‹ Eddie war skeptisch. Seine Fäuste blieben geballt. ›Und was?‹ fragte er. ›Dass es kein zufälliges Handeln gibt. Dass wir alle miteinander verbunden sind. Dass man ein Leben ebenso wenig getrennt von einem anderen betrachten kann wie eine Brise vom Wind, […] dass alle Leben miteinander verknüpft sind. Dass der Tod nicht nur den einen holt, sondern auch den anderen verschont, und in dem kleinen Abstand zwischen Geholtwerden und Verschontwerden verän24 dert sich das Leben.« (57)
Das Motiv der Erlösung kommt hierbei explizit vor: »Himmel?, dachte Eddie. Lächerlich. Er hatte die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens versucht, vom Ruby Pier wegzukommen. […] Der Gedanke, dies solle so etwas wie ein Ort seliger Ruhe sein, überstieg seine Vorstellungskraft. [Der Blaue Mann erklärt:] Eine schöne Landschaft ohne Erlösung ist sinnlos. Das ist das größte Geschenk Gottes an uns: Hier lernen wir verstehen, was in unserem Leben geschehen ist. Hier bekommen wir es erklärt. Darin liegt der Friede, nachdem wir gesucht haben.« (42 f).
5.2 Die zweite Begegnung Eddie lernt, dass die Kategorie Fairness, die er anwenden will, nicht weiter führt. Weil er nicht »bezahlen« muss oder sich verteidigen darf, kann er nichts anderes tun als sich weiterschicken zu lassen und den anderen vier Menschen zuzuhören. Inwiefern diese Begegnungen eine Erlösung darstellen, wird besonders in der zweiten Begegnung spürbar. Sie spielt im Zweiten Weltkrieg auf den Philippinen. Eddie trifft dort auf den Captain seiner Einheit, mit der er dort stationiert war. Es geht zunächst um die einleuchtende Dekonstruktion der Hoffnung der Soldaten, der Captain könne sie alle am Leben erhalten: »›Das konnte ich natürlich nicht. Ich befolgte auch nur Befehle. Aber wenn ich euch schon nicht am Leben erhalten konnte, wollte ich euch zumindest zusammenhalten. In einem 24 So auch der Schlusssatz des Epilogs: »Jeder Einzelne, so ist es nun mal, berührt das Leben eines anderen, und jeder andere das des Nächsten – die Welt ist voller Geschichten, und diese Geschichten sind eins.« (220).
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großen Krieg sucht man nach einer kleinen Idee, an die man glauben kann. Wenn man eine gefunden hat, klammert man sich daran, wie sich ein Soldat im Schützengraben an sein Kruzifix klammert. Für mich war diese kleine Idee das, was ich euch jeden Tag gesagt habe: Niemand wird im Stich gelassen.‹ Eddie nickte wieder. ›Das war schon was‹, sagte er. Der Captain sah ihn unverwandt an. ›Das hoffe ich‹, sagte er. Er griff in seine Brusttasche, holte sich noch eine Zigarette heraus und zündete sie an. ›Wieso sagen Sie das?‹, fragte Eddie. Der Captain stieß den Rauch aus, dann zeigte er mit der Zigarette auf Eddies Bein. ›Weil ich es war, der auf dich geschossen hat.‹, sagte er.« (98 f)
Eddie schreit vor Wut auf und stürzt sich auf den Captain: »›Warum? Sie Scheißkerl! Sie Schwein! Doch nicht Sie! WARUM?‹ […] ›Du warst wie besessen, du wolltest unbedingt da rein [in eine brennende Hütte, die Eddie selbst in Brand gesetzt hatte und aus der er ein Mädchen retten wollte]. Du hast Morton [seinen Kameraden] verdammt noch mal fast k.o. geschlagen, als er versuchte, dich zurückzuhalten. Wir hatten eine Minute Zeit, um da rauszukommen, und du mit deiner Scheißkraft warst einfach zu stark, mit dir konnte man nicht kämpfen.‹ Noch einmal kochte in Eddie die Wut hoch, er packte den Captain am Kragen. Er zog ihn zu sich. […] ›Mein … Bein!‹, zischte Eddie. ›Mein Leben!‹. ›Ich hab dein Bein ruiniert, um dein Leben zu retten‹, antwortete der Captain ruhig. Eddie ließ ihn los und fiel erschöpft zurück. Die Arme taten ihm weh.« (99 f).
Die Bilder des Krieges ziehen an ihm wieder und wieder vorbei, und in ihm regt sich die Frage, warum schließlich er den Krieg überleben durfte, während der Captain dort starb:
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»Eddie schüttelte den Kopf. ›Aber Sie …‹ Er wurde leiser. ›Ich meine … Sie haben Ihr Leben verloren.‹ Der Captain schnalzte mit der Zunge. ›Genau darum geht es. Manchmal opfert man etwas Kostbares und verliert es doch nicht ganz, sondern gibt es weiter an jemand anderen.‹ […] ›Ich hab mein Versprechen gehalten. Ich hab dich nicht im Stich gelassen.‹ Er streckte ihm die Hand hin.«
Albom erzählt hier davon, dass Erlösung etwas mit einem Glauben an eine Idee oder (wie hier nur angedeutet) an die Person des Gekreuzigten zu tun hat. Einmal ist es die Einsicht, dass sich Menschen für Menschen opfern, einmal ist es das Opfer Jesu für alle Menschen. Erfahren kann Eddie diesen Zusammenhang durch das Loslassen und nicht durch das Festhalten am Leben. Mit diesem Satz, der im Kontext der Nachfolge Jesu, also im ganz irdischen Leben zentral ist – »Wer sein Leben erhalten will, der wirds verlieren, wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wirds finden. (Mt 16, 24–28 parr) –, verflechten sich im Roman geschickt kleine und große Erzählung: Hier taucht jetzt neben der »kleinen Erzählung«: »Keiner wird im Stich gelassen« des Captain die »große Erzählung« des gekreuzigten Erlösers auf.
5.3 Die dritte und vierte Begegnung Erlösung hat im Leben eine Gestalt, wenn sie sich in einer Versöhnung auswirkt. Im Roman geht es auch um eine Versöhnung, die – auch wieder theologisch interessant – durch die Begegnung mit einer Person eingeleitet wird, die Eddie besser kennt als er sich selbst kennen kann. Es ist für ihn eine feine ältere Dame, Ruby, die Frau des Gründers des
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Vergnügungsparks. Er kommt aufgewühlt durch die ersten Begegnungen bei ihr an: »›Heißt es nicht, man findet Frieden, wenn man stirbt?‹ ›Du findest Frieden‹, antwortete die alte Frau, ›wenn du dich mit dir selbst versöhnst.‹ ›Nein‹, sagte Eddie und schüttelte den Kopf. ›Nein.‹ Er überlegte, ob er ihr erzählen sollte, wie ruhelos er seit dem Krieg Tag für Tag gewesen war, dass er Alpträume hatte und sich für nichts mehr begeistern konnte oder dass er manchmal allein zum Hafen ging und zuschaute, wie die Fische mit den großen Netzen reingezogen wurden, und dann peinlich berührt war, weil er in diesen hilflosen, zappelnden, Mitleid erregenden Geschöpfen sich selbst sah, gefangen und unfähig zu entkommen. Doch davon erzählte er ihr nichts. Stattdessen sagte er: ›Nichts für ungut, Madam, aber ich kenne Sie nicht mal.‹ ›Aber ich kenne dich‹, sagte sie.« (128)
Das Gespräch kommt auf Eddies Vater, an den Eddie voll Zorn zurückdenkt. Neben der Verletzung aus dem Krieg stehen die Schläge, die Eddie durch seinen Vater zugefügt wurden. »Die Mutter war für die Zärtlichkeit zuständig, der Vater für die Disziplin.« (118) Die Vernachlässigung, das Geschlagenwerden und Angeschwiegenwerden durch den Vater schmerzen Eddie, weil er sich ganz andere Dinge von seinem Vater erhofft. Er geht mit ihm auch samstags in der Freizeit zuversichtlich in den Vergnügungspark, in der Hoffnung auf Zuckerwatte und gemeinsame Karussellfahrt, und wird doch nur unter die Fahrgeschäfte geschickt, um die Münzen aufzusammeln, die den Kunden aus der Tasche gefallen sind. Ruby arrangiert eine Konfrontation mit seinem Vater. Es entwickelt sich eine Anklage und eine Entschuldungsszene,
die vor allem deshalb möglich wird, weil er etwas über das versteckte Leben seines Vaters erfährt. Diese Szene ähnelt dem Aspekt des Gerichts, in dem, wie Moltmann es formuliert, Schmerzen ausheilen und getanes und erlittenes Unrecht zurecht gebracht werden kann. Eine Art Angefangenes zu Ende zu bringen, wie es im Zitat weiter heißt, betrifft sicherlich die vierte Begegnung Eddies, die mit seiner Frau Marguerite. Gerade neben dem Bild des Vaters erfüllt sie das klassische, aber dadurch nicht weniger aussagekräftige Bild des heilsamen Angenommenseins in einer Liebesbeziehung.
5.4 Die fünfte Begegnung Das abgebrochene Leben, das zwischen Tod und ewigem Leben zur freien Entfaltung gelangt, entfaltet sich auch bei Eddie: Es wird zu einem Leben, in dem er selbst sich als bedeutsam erfährt. Im Roman geschieht das dadurch, dass er von dem philippinischen Mädchen aus der brennenden Hütte in eine letzte Szene geleitet wird, die wieder in seinem Vergnügungspark spielt: »Ein Pier mit Tausenden von Menschen, mit Männern und Frauen, mit Vätern, Müttern und Kindern – vor allem zahllosen Kindern. Kinder aus Vergangenheit und Gegenwart, Kinder, die noch gar nicht geboren waren, Seite an Seite, Hand in Hand, in Mützen und kurzen Hosen. Sie füllten die Promenade, die Fahrgeschäfte und die Holzrampen, saßen einander auf den Schultern und auf dem Schoß. Sie waren da – oder würden in Zukunft da sein – aufgrund der einfachen, prosaischen Arbeit, die Eddie sein Leben lang verrichtet hatte, weil er Unfälle verhütet, bei den Fahrgeschäften für Sicherheit gesorgt und tagtäglich unbeachtet seine Runde gedreht hatte.
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Und obwohl sich ihre Lippen nicht bewegten, hörte Eddie ihre Stimmen, unvorstellbar viele Stimmen, und ein nie gekannter Friede überkam ihn.« (218)
6. Didaktische Perspektiven zum theologischen Gespräch Abschließend sollen mögliche Diskussionsanlässe und nach den Ausgangsvoraussetzungen der Jugendlichen differenzierte Entwicklungsperspektiven für jugendliche Leser/innen des Romans hinsichtlich der theologischen und didaktischen Vorüberlegungen ins Auge gefasst werden. Dabei geht es darum, im Kontext der eröffneten Thematik auch theologische Texte und Bibeltexte aufzunehmen und dabei die Rede von Gott und Menschen weiter auszudifferenzieren. Neben die Bilder vom Himmel aus dem Buch sollen die der Bibel gestellt werden, um eines durch das andere in ihrer Bildhaftigkeit zu dekonstruieren. Gerhard Büttner bemerkt, dass nur so das Symbol Himmel seine Lebensrelevanz entfalten und doch seine Transzendenz beachtet werden könne.25 Drei ausgewählte Thesen sind hierfür leitend.
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terdenken dieses Zusammenhanges, auch gerade in seiner diesseitigen Relevanz, sind: a) Stell dir vor, du bist an Eddies Stelle. Wen möchtest du treffen? b) Überlege dir, unter welchen Bedingungen ein Mensch einen anderen besser kennen kann (einschließlich heller und dunkler Seiten) als der/diejenige sich selbst kennt? c) Gibt es jemanden, der mehr von deiner Geschichte kennt oder versteht als du? d) Vergleiche 1. Kor 13 mit der ersten oder zweiten Begegnung und suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden. e) Wie könnte die Begegnung Eddies mit Gott aussehen? Wie sollte davon erzählt werden? Diese Aufgabe entspricht Schüler/innen, die prosozial und wenig konservativ denken. Für die progressiven, am eigenen Status und Wandel Orientierten liegt neben der Nähe zu dem von ihnen favorisierten Element der neuen Welten auch eine Herausforderung, nämlich die, eine Beziehungsorientierung mit in ihre Vorstellung zu integrieren.
2) Der Himmel braucht ein Gericht 1) Ich werde erkennen, wie ich erkannt bin. Besonders der Zusammenhang, dass Menschen dann zu sich selbst finden, wenn sie von anderen erkannt, verstanden und geliebt werden, wird durch den Roman deutlich: Gerade die zwei für Eddie kaum bzw. gar nicht bekannten Personen, der Blaue Mann und Ruby, sind für ihn wichtig. Weil sie ihn kennen, spielen sie eine besondere Rolle. Impulse zum Wei-
Damit ist ein Horizont vorhanden, vor dem Schüler/innen über die dualistische bzw. moralische Perspektive Himmel/ Hölle bzw. Lohn/Strafe hinausgehen und sich mit dem Gedanken des Gerichtes als dem Ort des Zurechtbringens jeder Lebensgeschichte durch Gott auseinandersetzen können. Dass im Übergang vom 25 Vgl. G. Büttner (wie Anm. 4), 379.
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irdischen Leben zum neuen Leben nach dem Tod nach christlichem Bekenntnis die dynamische Irritation eines Gerichts erwartet wird, ist nach Gennerich/Feige für die Perspektive vieler Schüler/innen neu. Dass Begegnungen unter Menschen in eine Krise führen können, entspricht hingegen dem aktuellen Erfahrungsschatz der Schüler/innen. Neu ist die Auseinandersetzung damit, dass diese sich im Himmel sozusagen potenzieren und schließlich zu einem erlösenden Umgang führen. Auch hier soll der Bezug zum Leben auf der Erde hergestellt werden, auf welches dieses Motiv Auswirkungen hat. Als Impulse denkbar sind: a) Schreibe auf, was alle Begegnungen von Eddie gemeinsam haben. b) Vergleiche diese Begegnungen mit dem, was Jürgen Moltmann über den Himmel und das Gericht schreibt. c) Finde eigene Gründe für so einen »Zwischenraum«, wie er das Gericht nennt. Wofür ist er deiner Ansicht nach wichtig? (ggf. als Hilfe zur begründeten Auswahl anbieten: Mögliche Gründe können sein: Damit man seine Lebensgeschichten endlich versteht und/oder sie mag. Damit Menschen auf der Erde sich nicht alles erlauben. Damit Menschen auf der Erde Mut und Hoffnung schöpfen.) Diese Aufgabe fordert sowohl am eigenen Status und Erfolg orientierte Schüler/innen heraus, die wenig über eine soziale Verantwortung nachdenken als auch gerade die andere Gruppe derjenigen, denen Gerechtigkeit ein wichtiges Gut ist und sich hierfür z.T. auch politisch einsetzen. Beide Gruppen werden vermutlich unterschiedlich mit dem Thema der Irritation der Lebensgeschichte umgehen. Statusorientierte Menschen vermei-
den dieses Thema gern. Diejenigen mit sozialem Gewissen könnten gezeichneten jenseitigen Horizont als eine Vertröstung und auch zu individualisiert empfinden, oder aber als eine perspektivische Ermutigung: Der Aspekt, dass die Ideale der Gerechtigkeit und der heilen Welt »am Ende doch in Gottes Gericht zur Geltung kommen werden«, kann dann auch die Motivation zum Engagement hier und jetzt unterstützen.26 Neu ist für beide Gruppen, sich mit einem Konzept von Gericht auseinander zu setzen, dass über eine erwartete »ausgleichende Gerechtigkeit« letztendlich hinaus geht.
3) Jesus Christus wirkt als Erlöser Die Krisen, die sich im Gericht bzw. in Eddies Himmel ereignen, werden im Roman mit verschiedenen Weisen der Erlösung konfrontiert, die im weiteren Verlauf vertieft werden können. Genannt werden das Loslassen von vermeintlich Unverzichtbarem, das Opfer bzw. die Hingabe des eigenen Lebens für ein anderes, die Vergebung gegenüber einem anderen Menschen und die Liebe. Liebe kommt sowohl in Form von Wertschätzung durch ein Gegenüber als auch in Form von Selbstwertschätzung des eigenen, vermeintlich bedeutungslosen Lebens vor. Damit kommen Aspekte des christlichen Glaubensinhalts der Erlösung von Schuld und Ängsten durch Jesus Christus und der Gnade Gottes, sowie des christlichen Verständnisses von gegenseitiger Vergebung vor. Im Kontext der Szene der zweiten Begegnung Eddies als Soldat im Zweiten Weltkrieg wäre der 26 Vgl. C. Gennerich (wie Anm. 9), 262.
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Vergleich zwischen Leben und Tod des Captains und dem, was die Schüler/innen über Leben und Tod Jesu Christi wissen und deuten, gut möglich.27 Die Auseinandersetzung mit der dritten These »Jesus Christus wirkt als Erlöser« ist vor allem zur Vernetzung von Vorkenntnissen zu Jesus Christus, Deutungen seines Lebens und Todes und der Rechtfertigungslehre sinnvoll. Im Kontext mit dem Thema der Hingabe und dem Miteinander-Verstrickt-Sein der Lebensgeschichten lässt sich zudem die Nachfolgerede thematisieren, insbesondere mit dem Bild des Weizenkornes aus Joh 12. Impulse können lauten: a) Lies die Ausschnitte aus der zweiten Begegnung Eddies mit seinem Captain und schreibe danach eine eigene kurze Szene, in der es um »Loslassen« oder um »Ineinandergreifen« geht, um letztendlich mehr zu gewinnen. b) Vergleiche damit die Bibeltexte Joh 12, 24–33 und Mt 16,24–28, in denen von »Nachfolge« die Rede ist. c) Andere Schüler/innen haben aufgeschrieben, was sie über den Tod Jesu denken.28 Lies außerdem den Text des Liedes »Wir danken dir, Herr Jesu Christ …« (EG 79)29 und beschreibe mit deinen Worten, inwiefern Jesus für Menschen gelebt hat und für sie gestorben ist bzw. was mit dem Opfer Jesu gemeint ist. d) Eddie erlebt die Liebe von Marguerite und von dem kleinen Mädchen, schließlich die Liebe zu sich selbst wie eine Erlösung. Im christlichen Bekenntnis geht es darum, dass die Liebe durch Gott den Menschen von der Sünde bzw. einer falschen Lebenseinstellung erlöst. Finde Beispiele dafür, wovon Eddie bzw. die an Gottes Liebe glaubenden Menschen erlöst werden.
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Dieser Aufgabenbereich fordert zum Perspektivwechsel auf: Die Lebensgeschichte kann mit Hilfe des Bilds des Verbundenseins neu gesehen werden – was prosozial orientierten und auch erfolgsorientierten Schüler/innen (mehr oder weniger altruistisch verstanden) geläufig ist. Herausfordernd ist hingegen der vertiefende Bezug zur Opfermetapher. Für Schüler/innen mit wenig Selbstwertgefühl schließlich kann Eddie eine ermutigende Identifikationsfigur sein. Wer sich als nicht wirksam erlebt und seine Rolle für klein und unbedeutsam hält (ob aufgrund von sozialer Ausgrenzung oder eines persönlichen hohen Erwartungshorizontes an eigene
27 Vgl. als Forschungsüberblick M. Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 239–247, sowie eigene Ergebnisse, auch G. Büttner, »Erlöst durch Christi Blut?« Die Bedeutung des Kreuzestodes Christi in der Sicht von Schüler/innen der 6. Klasse, in: C. Gramzow / H. Liebold / M. Sander-Gaiser (Hg.), Lernen wäre eine schöne Alternative. Religionsunterricht in theologischer und erziehungswissenschaftlicher Verantwortung, Leipzig 2008, 195–208. 28 Wertvolle Materialien von Schüler/innen zu dieser Diskussion mit Schüler/innen finden sich in der Studie von T. Ziegler, Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«? Elementare Zugänge Jugendlicher zur Christologie als Herausforderung für Religionspädagogik und Theologie, NeukirchenVluyn 2006, 304–307. Interessant für die Fragestellung, wie Jesus für Menschen gelebt hat und in letzter Konsequenz seiner Verkündigung gestorben ist, ist die Nacherzählung in C. Grethlein, Methodischer Grundkurs für den Religionsunterricht. Kurze Darstellung der 20 wichtigsten Methoden im Religionsunterricht der Sekundarstufe 1 und 2. Leipzig ²2007, 48 f. 29 Weitere Materialien z.B. in G. Büttner / H. Roose / F. Spaeth, Jesus Christus. Oberstufe Religion, Stuttgart 2008, 52 ff.
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Leistungen oder an politische Ideale ist hierbei egal), kann mit Hilfe des Protagonisten und des biblischen Horizontes eine Neuinterpretation von Aufgaben und Rollen im Leben für sich selbst formulieren. »Denn wenn Gott das gelebte Leben aufdeckt, dann muss auch das eigene Selbstkonzept relativ gesehen werden.«30 Mithilfe der zahlreichen Perspektivwechsel, die im Buch und auch biblisch angelegt sind, können Schüler/innen das Verflüssigen und Neujustieren von nega-
tiven Selbst- bzw. Fremdurteilen31 erlernen. Theologisch wiederum besteht die Herausforderung für die Schüler/innen darin, sich zugleich mit der annehmenden und verändernden Liebe Gottes auseinanderzusetzen.
30 C. Gennerich (wie Anm.9), 262. 31 Anknüpfend an ebd.
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Katharina Ochs Theologische Gespräche in der Oberstufe – Einblicke in das Denken und in Gespräche zu Jesus Christus Wie begegnen Jugendliche dem Thema Jesus Christus? Welche Positionen nehmen sie ein? Lassen sie sich auf Gespräche zu der Person ein, »deren Geschichte die Weltgeschichte empfindlich geprägt hat«1? Lohnt es sich vor dem Hintergrund unser heutigen Gesellschaft über eine Person zu sprechen, die vor 2000 Jahren gekreuzigt wurde? Dies ist nur eine Auswahl an Fragen, die mich zur Auseinandersetzung mit Jesus Christus im Religionsunterricht der Oberstufe anregten. So unternahm ich den Versuch in zwei Lerngruppen der Oberstufe zum Thema Jesus Christus zu theologisieren2. Zum einen fand der Unterricht im Rahmen der Kasseler Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche mit Jugendlichen« in einer Kleingruppe und zum anderen während einer Impulseinheit im Rahmen meiner Examensarbeit in der Jahrgangsstufe 11 an einem Kasseler Gymnasium statt. Im Folgenden möchte ich in mehreren Schritten dem Denken der Schüler3 und der Struktur der theologischen Gespräche nachgehen. Grundlage hierfür sind Gesprächssequenzen, Beobachtungen und Erfahrungen aus den oben genannten Unterrichtssituationen sowie Schülerfragebögen zum Thema Jesus Christus. Zunächst erläutere ich beide Erhebungssituationen kurz, stelle dann die Lernausgangslage der Schüler vor und gebe Einblicke in das jeweilige Unterrichtsgeschehen, um im Anschluss Konsequenzen für
das Theologisieren mit Jugendlichen in der Oberstufe zu ziehen und Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln.
1. Das Konzept der Kasseler Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche mit Jugendlichen« und die Impulseinheit zum Kurzfilm »Ernst und das Licht« Um die im Fortgang beschriebenen Beobachtungen und Erfahrungen einordnen zu können, werden in einem ersten Schritt die Unterrichtseinheit zum Kurzfilm »Ernst und das Licht«4 vorgestellt 1 Aussage eines Oberstufenschülers im Rahmen der Impulseinheit zum Film »Ernst und das Licht«. 2 Die Begriffe »Theologische Gespräche mit Jugendlichen« und »Theologisieren mit Jugendlichen« werden im Folgenden synonym verwendet. 3 Im Folgenden wird der Begriff Schüler sowohl für die weiblichen wie auch männlichen Jugendlichen gebraucht. 4 Der Kurzspielfilm ›Ernst und das Licht« ist auf der DVD »Gottesglaube, Gottesbilder. ein Versuch. Digitales Material, religionspädagogische Impulse, Gestaltungsspielräume« von Michael Kress und Ralf Heinrich zu finden, erschienen 2002 beim Katholischen Filmwerk Frankfurt. Im Film kommt es zur skurrilen Begegnung zwischen dem auferstanden Jesus und dem Putzmittelvertreter Ernst. Im Dialog zwischen beiden werden u.a. bedeutende Fragen wie die Relevanz von Religion für die heutige Gesellschaft, das Geschehen von Wundern und die Allmacht Gottes thematisiert.
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und Einblicke in die Kasseler Forschungswerkstatt5 gegeben.
1.1 Die Impulseinheit zum Kurzfilm »Ernst und das Licht« Die Impulseinheit führte ich im Rahmen meiner Examensarbeit an einem Kasseler Oberstufengymnasiums durch. Die Lerngruppe bestand aus 19 Schülern der Jahrgangsstufe 11. Der Einheit lagen aus fachdidaktischer Sicht folgende Fragen zugrunde: • Welche Haltungen und Positionen nehmen die Schüler zum Thema Jesus Christus ein? • Inwieweit ist es in einer großen Lerngruppe adäquat möglich mit Schülern zu theologisieren? • Wie kann den unterschiedlichen Haltungen der Schüler zum Thema Jesus Christus begegnet werden?6 • Kann der Film »Ernst und das Licht« als Impuls für ein theologisches Gespräch zum Thema Jesus Christus dienen? Die Einheit bestand aus drei Bausteinen: • Wer ist Jesus? Welche Fragen habe ich? – Fragebogenerhebung »Wer ist Jesus?« zur Feststellung der Lernausgangslage7 und thematischer Impuls durch den Film »Ernst und das Licht«. • Jesusdarstellungen im Film »Ernst und das Licht« und im Neuen Testament – Was sagen Film und Neues Testament über Jesus aus? Gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Welche Jesusdarstellung hat eine Relevanz für mich? • Menschen die Jesus begegnen (begegneten) – Ich begegne Jesus – Auseinandersetzung mit neutestamentlichen Ge-
schichten über den Auferstanden und erneute Fragebogenerhebung.
1.2 Die Kasseler Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche mit Jugendlichen in der Oberstufe« In der, diesem Beitrag zu Grunde liegenden, Forschungswerkstatt waren folgende Schwerpunkte von Bedeutung: • Fachwissenschaftlich ging es um Abraham, Maria und Jesus in den drei großen Weltreligionen, das fachdidaktische Interesse lag in der Frage wie Jugendliche ihren Glauben reflektieren bzw. wie sie ihr im Religionsunterricht erworbenes Wissen mit ihrem Glauben und ihren persönlichen Deutungen in Beziehung setzen. • Die Studierenden unterrichteten im Rahmen der Forschungswerkstatt Schüler der 11. Klasse eines Kasseler Gymnasiums in Kleingruppen.
5 Hinter der Kasseler Forschungswerkstatt steht ein Seminarkonzept, das sich sowohl aus Phasen der theoretischen-fachwissenschaftlichen Einarbeitung wie unterrichtspraktischen Abschnitten zusammensetzt. Detaillierte Informationen finden Sie auf den Seiten der Religionspädagogik der Universität Kassel, http://www.uni-kassel.de/fb02/institute/ evangelische-theologie/fachgebiete/religionspaedagogik/theologische-gespraeche.html 6 Diese Fragestellung ist vor allem im Anschluss an die unterschiedlichen Kategorien in der Studie von Tobias Ziegler, Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«? Elementare Zugänge zur Christologie als Herausforderung für Religionspädagogik und Theologie, Neukirchen-Vluyn 2006, zu sehen. 7 Leitfragen in Anlehnung an Tobias Ziegler. Vgl. Tobias Ziegler (wie Anm. 6), 178 ff.
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• Die Kleingruppen setzten sich aus sechs bis sieben Schülern zusammen und wurden immer von zwei Studierenden über einen Zeitraum von sechs Wochen unterrichtet. • Die Unterrichtsstunden wurden mit Tonbandgeräten aufgenommen oder videographiert. • Der Fokus der Auswertung lag zum einem auf dem Kompetenzzuwachs der Studierenden im Führen von theologischen Gesprächen, zum anderen in der Entwicklung der religiösen Sprachfähigkeit der Schüler und ihrer Kompetenz, dass erworbene Wissen für ihre eigenen Deutungen und ihre Positionierung fruchtbar zu machen. Im Fortgang wird eine Unterrichtsstunde näher beleuchtet, die Jesus aus christlicher Perspektive in den Blick nimmt. Während der Unterrichtstunde wurde mit dem Kurzfilm »Ernst und das Licht«, verschiedenen neutestamentlichen Erzählungen (u.a. Hebr. 13,8 und Mt 28,20) und Schüleraussagen aus der Primar- und Sekundarstufe I zu Jesus Christus gearbeitet.
2. Einblicke in die Ergebnisse der Unterrichtsforschung: Jugendliche und Jesus Christus – Positionen und Deutungen Die oben vorgestellten Unterrichtssituationen werden im Folgenden näher in den Blick genommen, um die Lernausgangslage und das Unterrichtsgeschehen transparent zu machen. Zentral soll dabei vor allem die Frage nach den von den Schülern eingebrachten Deutungen sein und ob und wie diese Deutungen ins Gespräch gebracht werden.
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2.1 Die Impulseinheit »Ernst und das Licht« Im Rahmen der Auswertung der Fragebögen »Wer ist Jesus?« ließen sich in den Aufsätze der Jugendlichen die von Tobias Ziegler formulierten Kategorien zu den unterschiedlichen Positionen von Schülern zu Jesus Christus wiederfinden.8 Versucht man die Positionen der Schüler im Hinblick auf die Nähe zum Thema Jesus Christus darzustellen, ergibt sich folgendes Bild9: kritisch-ablehnende Haltung
zweifelnd-unsichere und kritiklose Haltung kritischaufgeschlossene und annehmender/unreflektierter Glaube Thema Jesus
Neben den unterschiedlichen Positionen fällt jedoch die grundlegend skeptische, teils indifferente Haltung der gesamten Lerngruppe auf. Viele Schüler legen nur »formelhaftes« Wissen dar und es fällt ihnen nicht leicht, begründet persönlich
8 Vgl. Ziegler (wie in Anm. 6), 208 ff. 9 Die Darstellung zeigt keinesfalls eine Wertigkeit der unterschiedlichen Kategorien an, vielmehr zeigt sie eine Offenheit der Schüler an, sich mit dem Thema Jesus Christus beschäftigen zu wollen und es auf die Relevanz für das eigene Leben zu überprüfen. Vgl. ebd., 213.
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Stellung zum Thema zu nehmen.10 Trotz der zu großen Teilen ausführlichen Beantwortung der Fragen, bleiben die Texte der Schüler an der Oberfläche des Themas. Typische Anfänge der Fragebogenantworten sind: Jesus war ein jüdischer Mann, der vor über 2000 Jahren gelebt hat. Er ist in Nazareth geboren, und seine Eltern hießen Maria und Josef.11 Jesus Christus ist ein Mann, der im frühen Palästina lebte, in Nazareth geboren ist.
Die Aussagen sind charakteristisch für das Schülersample, da die historische Person Jesus von Nazareth in besonderer Weise hervorgehoben wird. Fast alle Schüler haben ihre Fragebogenantworten mit der Referenz auf die historischen überlieferten Fakten begonnen. Nur wenige Schüler charakterisieren Jesus mit christologisch-kerygmatischen Inhalten. Begriffe wie »Sohn Gottes« oder »Messias« werden lediglich als Bezeichnungen verwendet und nicht näher erläutert. Neben diesem Befund zeigt sich, dass viele Jugendliche nur einen geringen bis gar keinen Bezug zum Thema Jesus Christus bzw. kein großes Interesse an diesem Thema haben. Die Schüler behandeln Aspekte, hinter denen teils unentscheidbare Fragen stehen wie entscheidbare Fragen, es werden pseudorationale Antworten gegeben (w5a) oder es besteht schlichtweg kein Interesse an der Beantwortung und die Fragen werden als irrelevant wahrgenommen (w9a).12 Ob dieser Mann aber wirklich Sohn Gottes war und besondere Fähigkeiten hatte, das kann man nicht nachweisen. Immerhin dachten die Menschen anders als wir und waren unterentwickelter als die Menschen heute. (w5a) Für gläubige Menschen ist er vermutlich eine Verbindung zu Gott, da er ja als »Gottes Sohn« bezeichnet wird. (w9a)
Meiner Meinung nach glauben die Menschen an ihn, da er ihnen möglicherweise Dinge näher bringt, die sie sich so nicht erklären können. (w1a)
Die Schüleraussagen w5a und w9a bringen beide die Gottessohnschaft ins Gespräch, erläutern sie aber nicht näher, sondern verwenden sie als Bezeichnung für Jesus. In den Schüleraussagen w5a und w1a zeigt sich eine Haltung gegenüber der Jesus-Thematik, die charakteristisch für diese Lerngruppe ist. Die Schüler beschreiben und erklären die Wirklichkeit der Gottessohnschaft und die Möglichkeit einer Bedeutung des Christusglaubens mit der Naivität der Menschen. Dieser Befund kann zum einen in Anlehnung an die Einbruchsstelle der Religionskritik von Karl Ernst Nipkow gesehen und mit der Einbruchstelle im Christusglauben von Tobias Ziegler erklärt werden, die er »Die Erwartung an die Existenz Jesu gegen die Vermutung bloßer Fiktivität« nennt.13 Die Schüler 10 Die Auswertung und Interpretation aller Schülerarbeiten und aller Unterrichtstunden sind in Katharina Ochs, »Ernst und das Licht«. Theologische Gespräche zur Christologie in der Oberstufe, Kassel 2011, zu finden. 11 Die Schüleraussagen sind in Orthographie und Interpunktion geglättet, der Wortlaut wurde übernommen. 12 Die Differenzierung zwischen entscheidbaren und unentscheidbaren Fragen geht auf v. Foerster zurück. Petra Freudenberger-Lötz differenziert zwischen Wissens- und Glaubensfragen. Beide Kategorisierungen machen deutlich, dass es Fragen gibt, auf die es keine richtige und falsche Antwort gibt (Glaubensfragen), die vielmehr eine begründete Antwortsuche fordern. 13 Vgl. Karl Ernst Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, München 1987, 53 ff. und Tobias Ziegler, Abschied von Jesus, dem Gottessohn? Christologische Fragen Jugendlicher als religionspädagogische Herausforderung, in: Gerhard
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haben nur geringes Interesse an dem Thema bzw. sie können keinen Bezug zur Jesus-Thematik herstellen, da die JesusÜberlieferungen mit ihrem naturwissenschaftlich-rationalem Weltbild in Konflikt geraten (w5a und w1a) und zwischen den Jesus-Überlieferungen und der Gegenwart der Jugendlichen eine zu große Distanz herrscht (w9a). Immer wieder argumentieren die Schüler damit, dass »er (Jesus) für die Menschen nicht mehr diese Bedeutung hat, so wie das früher war« oder dass der Glaube »heut zu Tage gar nicht mehr möglich«14 ist.
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Unterrichtsgespräch zum Film »Ernst und das Licht« : 1.
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ANNA: Naja, er versucht schon immer noch Ernst zu überzeugen, dass er Gottes Sohn ist und dass er ihm glauben soll. LEHRKRAFT: Und wie macht er, wie versucht er das? (Pause) LEHRKRAFT: Oder wodurch entsteht vielleicht dieser Eindruck, dass er sich doch schnell überreden lässt? LISA: Naja, er lässt sich schnell verunsichern, würde ich sagen. (Pause) LEHRKRAFT: Wie ist denn so seine Argumentation? (Pause) JAN: Er hat keine gute Argumentation …(unverständlich) KATHARINA: Er sagt nur die Dinge, die Gott ihm gesagt hat. DARIA: Seine Argumente sind eher seine »Heilungen« vom Auto und von seinem Telefon, also von Ernst seinem Telefon LEHRKRAFT: Hmm … HENDRIK: Ja ich würde auch sagen, dass mit diesen Wunderheilungen eben, aber das kommt ja gar nicht mehr an, weil die Leute interessiert das eigentlich gar nicht mehr, dass er das Handy
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repariert hat, das ist so : »Schön, dann geht es halt wieder« und der deswegen und der Ernst der nimmt das gar nicht so auf, wie er vielleicht gehofft hätte. KATHARINA: Also ähmm, kann man sagen, dass er durch sein Handeln, durch seine Argumentation zu so einer unsicheren Person wird und dass dadurch halt auch dieser Eindruck entsteht, dass er sich sehr schnell überreden lässt! (Pause) LEHRKRAFT: Also es dauert ja schon ne ganze Zeit diese Unterhaltung, und er bringt immer wieder die Argumente an … JAN: Ich hätte jetzt so gesagt, er war erst eindringlich, aber dann unsicher, was er denn jetzt will. KATHARINA: Ja vielleicht handelt er auch so, weil er einfach nicht weiß, dass er für die Menschen nicht mehr diese Bedeutung hat, so wie das früher war. LEHRKRAFT: Also, dass er das immer wieder betont, dass er denkt, es kommt doch irgendwann an? Was denkt ihr denn, wie Jesus hätte argumentieren sollen? (Pause, Frage wird nicht aufgenommen und beantwortet)
Diese Unterrichtssequenz zeigt, dass sich die Schüler nur zögerlich auf die Fragen der Lehrkraft einlassen (1–5) und ihnen die eigenständige Reflektion religiöser Themen und Glaubensaspekten nicht vertraut ist. Die Schüler nehmen ausschließlich Bezug auf das im Film Dargebotene, Bezüge zu den von ihnen formulierten Aspekten in den Fragebögen werden nicht hergestellt. Des Weiteren fällt Büttner / Jörg Thierfelder (Hg.), Trug Jesus Sandalen? Kinder und Jugendliche sehen Jesus Christus, Göttingen 2001, 126 ff. 14 Schüleraussagen aus den nachfolgenden Unterrichtssequenzen.
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auf, dass die Deutungen, die ins Gespräch gebracht werden nicht mehrperspektivisch sind, sondern nur den Ansatz verfolgen, dass der Christusglaube in der Gegenwart keine große Relevanz mehr hat (13 und 18). Die Schüler fordern zudem keinen Raum für die eigenständige Auseinandersetzung mit dem Thema ein (19). Die Frage, die an die eigenen Deutungen der Schüler appelliert (19) wird nicht aufgenommen. Daher bleibt unklar, ob hinter den in 13,17 und 18 eingebrachten Deutungen auch die Positionen der Schüler stehen oder ob es nur rein reproduzierende Antworten sind. Positive Tendenzen hinsichtlich der Sprachfähigkeit, der Gesprächskompetenz sowie der Fragehaltung gegenüber dem Thema zeigen die letzte Stunde und die Auswertung der zweiten Fragebogenerhebung. Die Schüler öffnen sich innerhalb der Gespräche, nehmen Bezug aufeinander und beginnen eigene Deutungsansätze zu entwickeln und ausgehend von der Unterrichtseinheit Fragen an das Thema Jesus Christus stellen. So macht die folgende Sequenz die verbesserte Gesprächs- und Deutungskompetenz transparent. Abschließende Fragerunde »Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den biblischen Jesus- Begegnungen und der Begegnung zwischen Ernst-Jesus«: 1.
2.
LEHRKRAFT: Wenn ihr jetzt, hmm diese biblischen Begegnungen betrachtet habt und ähm diese Begegnung mit Ernst, welche Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten kann man denn benennen? JAN: Ja, dass die Leute einfach oft ungläubig waren, also dass sie sich halt nicht so sicher waren, ob es wirklich Jesus ist, sie waren halt misstrauisch.
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DARIA: Ja, ich denke man hat in den Standbildern auch die »Ignoranz« gesehen gegen über Jesus. LEHRKRAFT: Ist das wirklich Ignoranz gewesen gegenüber Jesus? ??: Vielleicht nur Misstrauen … DARIA: In unserem Standbild war es ja auch so, dass sie sich erschreckt haben, dass er wieder auferstanden ist, oder sie waren erschrocken darüber, dass Jesus nicht mehr da war ähm …. LEHRKRAFT: Als Gemeinsamkeit? DARIA: Nein, nein, als Unterschied.. LEHRKRAFT: Also meinen die andern auch, dass das Erschrocken sein in der Geschichte am meisten zur Geltung kam? (auf die Frage wird nicht geantwortet) KATHARINA: Ja und auch ne Gemeinsamkeit ist, dass man sieht, dass es nicht nur heute so ist, dass ähm Jesus Ignoranz zu spüren bekommt, sondern auch früher oder das dieser Unglaube, das man früher und heute …. LEHRKRAFT: Also, das ist eine Gemeinsamkeit ??: Also vielleicht auch noch so eine gewisse Hilflosigkeit der Leute gegenüber Jesus ausdrücken LEHRKRAFT: Ja, sehr gut. LISA: Der Unterschied zwischen der biblischen Geschichte und Ernst ist jetzt auch, das ähm, Ende der biblischen Geschichte haben die Jünger oder bzw. die, die Jesus begegnen, immer dann an Jesus geglaubt, also das geglaubt, was er erzählt und Ernst,dem war es ja egal. LEHRKRAFT: Also die Begegnungen sind überzeugend? LISA: Ja DARIA: Ja, mir ist noch ein Unterschied aufgefallen zu der letzten Gruppe mit dem Thomas unser eigenen Gruppe. Ähm, weil bei dem Thomas, der wollte ja Beweise dafür haben, dass es wirklich Jesus ist und bei uns in dem Film, den wir gesehen haben, hat der Jesus den Ernst ja Beweise eigentlich geliefert, indem er das Handy wieder repa-
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riert hat, aber der Ernst das gar nicht wahrgenommen hat. LEHRKRAFT: Also, könnte man aufschreiben, dass man heute für die Zeichen von Jesus aber gar nicht mehr empfänglich ist und sie nicht wahrnimmt? KATHARINA: Ja, genau. PHILIPP: Ja, ich würde auch sagen, dass damals die Menschen auch gottesfürchtiger waren und eher geglaubt haben als heute (…) LEHRKRAFT: Und das ist auch was, was sich dann auf diese Begegnung auswirkt? PHILIPP: Ja, genau auswirkt.
Die Schüler bringen verschiedene Deutungen ins Spiel, die sie aus den biblischen Geschichten ableiten. Dabei fällt besonderes in Beitrag 18 auf, dass Bezüge zwischen den biblischen Botschaften und dem gegenwärtigen Erleben hergestellt werden. Der Beginn einer sich entwickelnden Fragehaltung wird in den folgenden Fragen und Aussagen der zweiten Fragebogenerhebung deutlich. So fragen einige Schüler nach der Parusie Jesu, andere hinterfragen den Zusammenhang zwischen den Menschen und der Glaubensrelevanz. Hat er diese Macht? Könnte er denn auf die Erde zurückkehren? Das einzige, was nicht mehr dasselbe ist, ist die Menschheit. Aber vielen ist es gleichgültig und sie haben außer den Festlichkeiten, wo es Geschenke gibt, keinerlei Bezug zu Jesus oder Gott!
Wenngleich die Unterrichtssequenzen und die Schülerarbeiten nicht von hoher Schüleraktivität und eigenständiger Auseinandersetzung mit dem Thema zeugen, hat die Beschäftigung mit dem Film und den biblischen Texten die Schüler dazu
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aktiviert, eine Fragehaltung gegenüber dem Thema zu entwickeln. Deutlich wird, dass sich die Fragen auf ganz unterschiedliche Perspektiven des Themas beziehen. Bei der Weiterführung des Themas hätten dahingehend Schwerpunkte in den folgenden Bereichen gesetzt werden können: • Auferstehung und Omnipräsenz Jesu Christi • Religiosität in der Gesellschaft • Bedeutung der Lehre Jesu Christi für die Gegenwart.
2.2 Einblicke in die Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche mit Jugendlichen führen Eine ähnliche Lernausgangslage zeigte sich auch in der Lerngruppe, die ich im Rahmen der Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche mit Jugendlichen führen« unterrichtete. Die Schüler standen, eigenen Aussagen nach, dem Glauben im Allgemeinen ablehnend und der Religion in großen Teilen distanziert gegenüber. Überraschend waren daher das große Interesse und die eigene Fragehaltung gegenüber den gemeinsam bearbeiteten Themen. So wurden in der ersten Unterrichtstunde im Gespräch unter anderem folgende Fragen formuliert: Stellen Sie sich Gott als alten Mann vor oder? Das heißt ähm, sie sagen dann, dass die Menschen aus der dritten Welt, das heißt, dass sich Gott um die nicht so kümmert? Glauben sie an Jesus Christus? Das heißt sie glauben auch an die Wunder, die er vollbracht hat?
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Deutlich wird schon an dieser Stelle, dass die Lehrperson als authentischer Gesprächspartner gefordert wird. Die Fragen der Schüler richten sich direkt an die Studierenden, die eigene Glaubenshaltung der Studierenden und auch die persönliche Glaubenspraxis wird hinterfragt. Antworten aus der kirchlichen und biblischen Tradition haben keine große Relevanz. Vielmehr werden die Studierenden als authentische Gesprächspartner und positive Glaubensvorbilder angefragt, die gemeinsam mit den Schülern in einen ergebnisoffenen Diskurs eintreten. Die offene Haltung und das Interesse am gemeinsamen Diskurs prägten auch den weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit.
9. ANDRE: (unverständlich) … wirklich? 10. JULIA: Ich denke schon. Eigentlich waren alle richtig gläubig damals und … 11. ANDRE: Nicht ganz … (unverständlich). 12. JULIA: Ja an Gott … 13. ANDRE: Da war jeder zweite (unverständlich) ich bin Gottes Sohn. 14. JULIA: Ja trotzdem, keine Ahnung, aber … 15. MADELIN: Die haben den Beweis dafür bekommen, weil er wieder auferstanden ist. 16. JULIA: Der hat auch die Blinden geheilt und solche Sachen gemacht … 17. ANDRE: Trotzdem hat der nicht irgendwie n Blinden geheilt und welche haben das gesehen und oh super, der hat ja auch erst mal seine Leute gehabt. 18. JULIA: Ja. 19. ANDRE: Ja, und die haben auch daran geglaubt. 20. JULIA: Das ist heutzutage so gar nicht mehr so richtig möglich.
Austausch zum Film: 1.
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ALEX: Ich finde, also wir haben das ja grade eben angesprochen ich finde Jesus ähm hat eigentlich gar keinen starken Willen, wenn man jetzt 2000 Jahre zurück denkt, da hatte er sich sogar selbst geopfert für die Menschen und jetzt hat er eigentlich sozusagen gar keinen Willen jetzt irgendwie (… unverständlich). Also vor 2000 Jahren geht er bis zum Tod und jetzt sagt, also gibt er sofort auf, als Ernst sagt: »Ne ich glaube nicht an Gott aber …« LEHRKRAFT: Mhh. MADELIN: Ja, wahrscheinlich weil er enttäuscht wird von den Menschen so … ALEX: Wurde der nicht vor 2000 Jahren auch von ganz vielen Menschen enttäuscht? MADELIN: Ja, dafür, dass er verraten wurde halt auch … JULIA: (unverständlich), weil damals hat sich das ganze Leben der Menschen um Gott gedreht … ANDRE: Damals? JULIA: Ja, damals …
Das Gespräch in dieser Unterrichtssequenz wird ausschließlich von den Beiträgen und Fragen der Schüler geleitet und getragen. Die Schüler beziehen sich aufeinander und nehmen Fragen und Aussagen ihrer Schüler kritisch wahr (4). Des Weiteren beziehen sie sich in ihren Aussagen nicht ausschließlich auf den Film, sondern stellen Verknüpfungen zu ihrem Vorwissen her (1,5,15,16). So werden auf Andres Infragestellen der Gottessohnschaft in Beitrag 13 von Madelin und Julia ihnen bekannte Antwortmöglichkeiten angeboten. Dabei fällt, im Vergleich mit den Deutungsansätzen aus der Impulseinheit, auf, dass die Schüler unterschiedliche Deutungen und Antwortversuche einbringen. Sowohl die Auferstehung als auch die Wundertaten Jesu werden als Beweise für seine Gottessohnschaft angeführt. Die Schüler regen so mit ihren eigenen Antworten das mehrperspektivische Denken an. Trotz der kritischen
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Fragen (1,4,13) und der durchaus skeptischen Haltungen (1,17,20) lassen sich die Schüler auf ein Nachdenken über den Film ein. Im weiteren Verlauf der Unterrichtstunde konstruieren die Schüler eigene theologische Deutungen und reflektieren verschiedene biblische Botschaften und ihren eigenen Glauben.
Austausch zu Hebr 13,8 und Mt 28,20: 1.
JULIA: Weil die Menschen, die sagen das ja auch, z.B. ähm bei Hebräer: Jesus Christus ist und bleibt derselbe, gestern, heute und für immer. 2. LEHRKRAFT: Hmm. 3. JULIA: Das fällt mir da so ein. 4. MADELIN: Und er ist für immer, bis zum Ende der Welt bei den Menschen. Also. 5. LEHRKRAFT: Die Matthäus-Stelle? 6. MADELIN: Ja … 7. ANDRE: So, das habe ich mir auch aufgeschrieben, also so von wegen, er wird immer derselbe bleiben, also ich hab mir da aufgeschrieben, der ewig Gestrige. Weil es ist, es kommt so rüber, er wird immer derselbe, das heißt, er passt sich nicht an, das heißt, wir sollen uns ihm anpassen. 8. KATHARINA: Hmm. 9. ANDRE: Und ähm, das ist heut zu Tage gar nicht mehr möglich. 10. TIM: Vielleicht ist das aber auch nur gemeint, dass er halt über einen langen Zeitraum den Menschen Hoffnung gibt. Also jetzt halt nicht so, dass er sich hier jedem anpasst, sondern halt, dass er halt doch nur so vielleicht auch in den Köpfen ist und der Menschheit dadurch Hoffnung gibt.
Die Sequenz macht sehr gut deutlich, dass die Schüler eigenständig in der Lage sind verschiedene Deutungsmöglichkeiten für die besprochenen Bibelstellen zu
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formulieren. Vergleicht man dieses Gespräch mit dem vorigen, wird deutlich, dass die Deutungen der Schüler nochmals an Tiefe gewonnen haben. Die Schüler bringen nicht nur ihnen schon bekannte Deutungsmöglichkeiten ein, sondern formulieren eigene Deutungen. So versucht Andre seine Deutung in dem abstrakten Begriff des »ewig Gestrigen« zusammen zufassen und Tim beleuchtet Andres Gedanken nochmals aus einer anderen Perspektive, indem er den Hoffnungsgedanken aufnimmt. Tims Aussage erinnert an die Einbruchstelle Zieglers, nach der Jesus für viele Jugendliche fiktiv und nur in den Köpfen der Menschen existiert. Tim greift mit seiner Deutung genau diesen Gedanken auf. Die besondere Leistung besteht darin, dass er die Existenz Jesu in den Köpfen der Menschen jedoch nicht negativ konnotiert, sondern vielmehr positiv bewertet, indem er Jesus und die Hoffnung miteinander in Beziehung setzt. Neben diesen sehr guten Deutungen, zeigt die Sequenz zudem, dass die Schüler aufeinander eingehen und Interesse an den Aussagen ihrer Mitschüler haben. Der respektvolle Umgang mit den Meinungen und Deutungen, sowie die Fähigkeit verschiedene Antwortmöglichkeiten gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen, fallen dabei besonders auf. Tim bringt eine neue Deutung ein, jedoch nicht, indem er Andres Aussage negiert, sondern indem er eine gleichberechtigte weitere Deutung anbietet. Dass die Schüler den thematischen Schwerpunkt auch mit ihrer persönlichen Glaubenshaltung in Verbindung bringen und vor diesem Hintergrund reflektieren konnten, machen die beiden folgenden Aussagen deutlich.
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Andre nimmt im Verlauf des Unterrichts, zu der obigen Schüleraussage15 Stellung, indem er sagt: Also, ich hab jetzt anscheinend die Meinung von Mehreren. (…) Find ich genial. Also, dass er halt einfach ein intelligenter Mensch war, der den Leuten geholfen hat und ähm sich so für die Menschen eingesetzt hat, aber dass das halt keine Zauberkräfte oder Wunder waren oder sonst was, sondern einfach nur Intelligenz und physikalisches Verständnis oder sonst was, wie man das auch nennen will, aber halt einfach, dass das nichts Magisches hat. »Ich glaube, dass Gott wie die Luft ist, wenn Jesus in eine Situation kommt hilft Gott ihm. Er geht in seinen Körper hinein.«
Später sagt Andre in Bezug auf diese Schüleraussage: Ich habe hier noch ein richtig cooles Beispiel für Kinderglauben, weil ich find das richtig süß. Also: Ich glaube, dass Gott wie die Luft ist, wenn Jesus in eine Situation kommt hilft Gott ihm äh…" Also geht Gott in seinen Körper rein, weil ich find das so cool… (…) Achso, zu dem Kinderglauben, ich finde einfach, dass ich ähm, das ist einfach, hier ist auch son schönes Bild. Hier sagt einer Hilfe und dann, ich weiß nicht was da steht, da steht irgendwie HEFATA, heißt das irgendwie Hilf Vater? (…) Ok und dann kommt Gott oben in der Wolke, erscheint dann und äh dann wird ein Regenborgen zu Jesus, dass er quasi ihm die Macht gibt. Und das ist einfach ganz cool,
dass die einfach denken Gott ist die Luft und Gott ist da und wenn wir Hilfe brauchen, dann hilft er uns auch. Und ähm, dass er halt also hier hat er das mit Jesus gesagt, ich denke mal auch, dass er denkt ähm, dass wenn er Hilfe braucht, auch Gott zu ihm kommt und dann halt in seinen Körper geht und ihm Kraft gibt. Und das fand ich ganz cool. Es ist einfach schön, ja wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut. Wenn man einfach weiß als kleines Kind, der passt auf mich auf. Das finde ich gut.
Andre nutzt die erste Schüleraussage, um deutlich zu machen, dass Jesus auch für 15 Die Schüleraussagen zu Jesus Christus wurden von Petra Freudenberger-Lötz für den Unterricht zur Verfügung gestellt und sind in Teilen in Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 2007, 207 ff. abgedruckt.
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ihn ein sehr intelligenter Mensch ist, dem er aber keine göttlichen Eigenschaften oder mythischen Kräfte zuweist. Es ist interessant, dass Andre, trotz dieser kritischen Perspektive, Jesus immer noch eine Bedeutung zukommen lassen kann. Im Zusammenhang mit Andres späterer Aussage zum Kinderglauben wird deutlich, dass Andre sich sehr stark einem »glauben wollen, aber nicht können«16 ausgesetzt fühlt. An Andres Aussage wird die Offenheit sich selbst zu reflektieren, sich auf Aussagen anderer einzulassen, diese wertzuschätzen und für sich selbst fruchtbar zu machen in besonderer Weise deutlich. Mit diesem Beitrag veranschaulicht Andre, dass Oberstufenschüler in hohem Maß dazu fähig sind, ihre metakognitiven Fähigkeiten bewusst einzusetzen.
Unterrichtssituation gegeben. Es entstand nur schwer ein Miteinander zwischen Schülern und Lehrkraft, der Unterricht war stärker durch das Gegenüber von Lehrkraft und Schülern geprägt. Hinsichtlich der Deutungen der Schüler und der Kompetenz diese ins Gespräch zu bringen, sind offensichtliche Unterschiede zu bemerken. Zu beobachten ist jedoch, dass sich in beiden Gruppen die Deutungskompetenz und die Bereitschaft diese Deutungen ins Gespräch zu bringen positiv verändert hat.
Vergleicht man die beiden hier beschriebenen Unterrichtseinblicke, wird schnell deutlich, dass zwei Unterrichtsvorhaben mit derselben Intention in ganz unterschiedlicher Weise und Intensität verlaufen können.17 Während der Impulseinheit begegneten die Schüler dem Thema gerade zu Beginn indifferent und es bestand keine Fragehaltung gegenüber dem Thema oder ein Interesse an den Beiträgen der Mitschüler. Nur wenige Schüler bereicherten den Unterricht mit eigenen Deutungen oder Aussagen. Während der Forschungswerkstatt bot sich von Beginn an eine andere Unterrichtsatmosphäre. Wie oben beschreiben, begegneten die Schüler den Studierenden von Anfang sehr offen und forderten diese Offenheit auch von den Studierenden ein. Obwohl die Schüler die Studierenden nicht kannten, traten sie ungezwungen mit ihnen in ein Gespräch. Die gleiche unbekannte Situation herrschte auch während der Impulseinheit. Hier war jedoch die typische
3. Konsequenzen der Unterrichtsforschung: Besonderheiten und Gestaltungsmöglichkeiten des Theologischen Gesprächs in der Oberstufe
Im folgenden Abschnitt sollen nun anhand dieser Beobachtungen Konsequenzen für das Theologisieren mit Jugendlichen in der Oberstufe gezogen werden.
Grundlegend ist, dass die Lernausgangslage beachtet werden muss. Es hat sich gezeigt, dass die Lerngruppen in ihrer Grundhaltung gegenüber Religion und im Fall der Unterrichtsstunden zu ›Ernst und das Licht‹, dem Thema Jesus gleichgültig bis distanziert bzw. kritisch-hinterfragend gegenüber standen. Auch wenn dies jeweils auf eine Homogenität der Gruppen hinweist, hat sich gezeigt, dass
16 Vgl. Tobias Ziegler (wie Anm. 6), 239 ff. 17 Es ist natürlich zu bedenken, dass die Forschungsergebnisse immer mit der Erhebungssituation und der untersuchten Lerngruppe korrelieren und die im Folgenden dargestellten Ergebnisse exemplarisch und nicht pauschalisierend betrachtet werden dürfen.
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Schüler
Authentischer Gesprächspartner Interaktion – Lehrkraft als Teil des Gesprächs
Lehrkraft
Lernumgebung Wertschätzendes Miteinander – Beiträge der Mitschüler wahrnehmen und respektieren
stimulierender Gesprächspartner
Experte
Rollen der Lehrkraft im Theologischen Gespräch
Lernausgangslage
Schüler
aufmerksamer Beobachter
Thema
Erweitertes didaktisches Dreieck18
die einzelnen Jugendlichen nochmals ganz unterschiedliche Zugangsweisen zu dem Thema haben. Diese können mit einer pauschalisierenden Erhebung der Lernausgangslage nicht erfasst werden. Die ganz persönliche Einstellung und der Umgang mit dem Thema seitens der Schüler ergaben sich erst im Laufe der Unterrichtseinheit. Dennoch ist es lohnenswert sich mit der Lernausgangslage der Schüler zu beschäftigen, um einen ersten Zugang zum Erfahrungshorizont der Schüler zu erhalten. Ebenso wichtig ist, sich darüber bewusst zu sein, dass die Schüler der Oberstufe dem Dilemma ausgesetzt sind, dass sie durchaus gerne religiöse Themen und
Fragestellungen, die sie persönlich interessieren, bearbeiten würden, diese jedoch häufig nicht abiturrelevant sind und so nicht im Unterricht besprochen werden. Dies kann ein Indikator dafür sein, dass die Fragehaltung und in Teilen auch die Gesprächskompetenz der Schüler gering ausgeprägt ist, da für kritische Kontroversen, die für die Schüler relevante Themen tangieren, kein Raum besteht. In engem Zusammenhang mit dieser Erkenntnis steht die Erfahrung, dass vielen
18 In Anlehnung an Petra Freudenberger-Lötz (wie Anm. 14), 120.
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Jugendlichen grundsätzlich eine religiöse Sprachfähigkeit fehlt. Diese Beobachtungen macht auch Annike Reiß in ihren Erhebungen im Rahmen der Forschungswerkstatt in der Sekundarstufe I. Sie hält fest, dass den Jugendlichen die religiöse Sprach- und Diskursfähigkeit fehlt und die Schüler daher ihre eigenen Gedanken und Deutungen nicht in Worte fassen können.19 Eine wesentliche Aufgabe des Religionsunterrichtes ist es daher, diese Sprachfähigkeit anzuregen und zu fördern. Da diese Aufgabe bei einer distanzierten Haltung gegenüber Religion von Schülern häufig sehr schwer ist, ist es wichtig, dass die Lehrer bei der Lernausgangslage und der Lebenswelt der Schüler ansetzen und von dort einen Bezug zu den religiösen Themen herstellen. An diese Feststellung schließt sich die Frage an, wie konkret das Theologisieren in der Oberstufe gestaltet werden kann. Als erstes sei darauf hingewiesen, dass das Theologische Gespräch immer nur Teil des Religionsunterrichts sein kann und nicht mit diesem gleichzusetzen ist. Der Religionsunterricht muss sich aus Phasen der Informations- und Wissensweitergabe sowie Phasen der Auseinandersetzung mit dem neu erhaltenen Input zusammensetzen. Dabei ist auf qualitativ hochwertiges, dem Anspruch der Oberstufe angepasstes, Unterrichtsmaterial zu achten. Die Lehrkraft muss gerade in der Erarbeitungsphase als kompetente Ansprechpartner präsent sein, um weiterführende Deutungsmöglichkeiten anbieten und kognitive Klarheit gewährleisten zu können. Die Auseinandersetzung und der persönliche Bezug zum Thema und zum Unterrichtsmaterial kann in besonderem Maß im Theologischen Gespräch hergestellt werden. Muss in den Informationsphasen auf inhaltlich prägnante und
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gute Materialien geachtet werden, geht es im Theologischen Gespräch vielmehr darum, dass sich die Jugendlichen und auch die Lehrkraft als authentische Gesprächspartner begegnen. Vor allem – und dies erleichtert auch das Agieren in eventuell nicht planbaren Situationen im Theologischen Gespräch – muss die Lehrkraft als glaubender und zweifelnder Mensch im Religionsunterricht präsent sein. Die Erfahrungen während der Forschungswerkstatt haben gezeigt, dass die Schüler häufig keine fachwissenschaftlichen Antworten haben wollen, sondern Antworten von einem authentischen Christen. Häufig ist es jedoch so, dass die Schüler gar keinen Raum für unentscheidbare Fragen, für Glaubensfragen einfordern (wie in der Unterrichtssituation während der Impulseinheit) und es ihnen vor allem schwer fällt, sich persönlich gegenüber dem Thema, den Mitschülern und der Lehrkraft zu öffnen. Großen Einfluss darauf haben die Lernumgebung und die Gruppenkonstellation, in die das Theologische Gespräch eingebettet ist. Die oben dargestellten Ergebnisse können ein Hinweis darauf sein, dass das Theologische Gespräch leichter zu initiieren ist, je kleiner die Gruppe ist und umso länger das gemeinsame Theologisieren erprobt und eingeübt wird. Diese Faktoren haben großen Einfluss darauf, dass in der Unterrichtssituation emotionale Sicherheit entsteht, in der die Jugendlichen ihr Interesse bekunden und sich gegenüber neuen Themen öffnen. Dies ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Indikator für 19 Annike Reiß, Mit Jugendlichen über Gott sprechen, in: Petra Freudenberger-Lötz / Ulrich Riegel (Hg.), Jahrbuch für Kindertheologie. Baustelle Gottesbilder, Stuttgart 2011.
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die höhere Reflexions- und Gesprächsbreitschaft der Lerngruppe der Forschungswerkstatt. Ist die Gruppe größer, wird die Bedeutung der Art der Interaktion zwischen den am Unterricht Beteiligten immer bedeutender. Den Schülern müssen methodische Angebote gemacht werden, die zur Reflexion und Durchdringung des eigenen Standpunktes anregen ohne den Grad an Selbstoffenbarung überzustrapazieren.20 Gelingt das Ineinander greifen der einzelnen Phasen und Aspekte, können Schüler als elementar theologisch gebildet gesehen werden.
4. Ausblick Betrachtet man die Einblicke in die Unterrichtsstunden und schaut man auf die formulierten Konsequenzen und Gestaltungsmöglichkeiten wird klar, dass das Theologische Gespräch in der Oberstufe sowohl für die Lehrkraft als auch die Schüler eine Herausforderung ist. Zugleich wird aber auch deutlich, dass es eine Herausforderung ist, die es lohnt anzunehmen. Offensichtlich ist, dass es nicht der Anspruch sein kann, das Theologisieren ausschließlich im Gespräch und Plenum zu vollziehen. Das Theologische Gespräch muss gerade in großen Lerngruppen aus dem Plenum ausge-
lagert und in verschiedenen Sozialformen erprobt werden, sodass im Anschluss auch im Plenum mit der Großgruppe theologisiert werden kann. Ist den Schülern die Prozessorientierung und die Vorgehensweise des gemeinsamen Theologisierens einmal klar, können sich meiner Erfahrung nach, Jugendliche bewusst auf das Thema und die dazugehörige Fragestellung einlassen, diese reflektieren und sich positionieren. So können auch Themen wie Jesus Christus, denen Schüler zunächst mit Distanz und Skepsis begegnen, zu einem relevanten Gegenstand des Religionsunterrichts werden. Die große Herausforderung für die Lehrkraft ist, die Jugendlichen in ihrer Entwicklung zu begleiten, ihre Positionen und Haltungen wahrzunehmen und zu würdigen und so den Religionsunterricht zu einem Ort zu machen, an dem die Schüler elementar theologisch gebildet werden, indem sie sich Wissen aneignen, dieses aber auch reflektieren und auf die persönliche Bedeutung und Relevanz hinterfragen.
20 Vgl. die methodischen Anregungen in Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Bespiele – Anleitungen. Ein Werkstattbuch für die Sekundarstufe, Stuttgart 2012.
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Hildrun Keßler Theologisieren mit Jugendlichen in der gemeindepädagogischen Praxis oder … »Jugendtheologie – nicht schlecht, aber eigentlich doch nichts Neues …«
»Jugendtheologie – nicht schlecht, aber eigentlich doch nichts Neues …« – mit diesen Worten fasst ein Student am Ende eines Einführungsseminars zur Jugendtheologie1 sein Resümee zusammen. Erklärend meint er: »Diejenigen, die seit Jahren in der Konfirmandenarbeit als Teamer mitarbeiten wie ich, diskutieren mit den Konfis so und so immer schon auf Augenhöhe.« Diese Aussage war ein Anlass, in der Seminargruppe darüber nachzudenken, was aus Sicht der Studierenden die Konfirmandenarbeit immer schon zu einer jugendtheologischen Veranstaltung machen könnte. Wie sieht eine Konfirmandenarbeit aus, die mit den 13- bis 14-Jährigen theologisiert? Bietet die gemeindepädagogische Praxis mit Konfirmandinnen und Konfirmanden, aber auch mit Kindern und Jugendlichen aller Altersgruppen per se ideale Bedingungen für ein kinder- und jugendtheologisches Arbeiten? Diesen Fragen nach dem Gelingen einer jugendtheologischen Arbeit am Lernort Gemeinde möchte der Artikel in vier Abschnitten nachgehen. Abschnitt 1 und 2 zeigen die Vorbereitung im Seminar und die jugendtheologische Praxis in der Konfirmandenarbeit. Abschnitt 3 skizziert einige Vorzüge des Lernorts Gemeinde und Abschnitt 4 betont die Notwendigkeit eines jugendtheologischen Arbeitens in der Konfirmandenarbeit.
1. Zur Vorbereitung im Seminar
1.1 Der Text Mt 6,19–34 steht im »Herzen der Bergpredigt« (Ulrich Luz) und ist ein reichhaltiger Text, der sich auch für das Theologisieren mit Jugendlichen eignet. Sich keine Sorgen machen, wie Lilien und Vögel nicht säen, nicht ernten und sich nicht abmühen müssen, einfach nicht an das Morgen denken und im vollen Vertrauen heute leben – wer der heutigen Jugendlichen wünscht sich das nicht auch gern? »Es gibt wenige evangelische Texte, die so schroffe Kritik hervorgerufen haben«, schreibt Ulrich Luz.2 Naiv, ärgerlich und weit weg vom realen Leben, von Nöten und Sorgen sei es ein Text »des unverheirateten, im sonnigen Galiläa zusammen mit seinen Freunden lebenden Jesus«3. Die Spannung zwischen einem sorglos alternativen Leben Jesu und seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter einerseits und das berechtigte Sorgen vieler Ju1 Im Sommersemester 2011 fand an der Evangelischen Hochschule Berlin ein Einführungsseminar zum Theologisieren mit Jugendlichen in der Konfirmandenarbeit statt (siehe Seminarprotokolle, Abkürzung für Studierende = St., für Konfirmanden/innen = K.). 2 Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus. Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament I/1, Neukirchen-Vluyn 1985, 366. 3 Ebd.
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gendlichen heute andererseits schien ausreichend Spannung für eine jugendtheologische Übung mit Studierenden und Konfirmandinnen und Konfirmanden zu bieten. Für die Erschließung des Textes in der Seminargruppe wurden Elemente des Bibliodramas, des Bibeltheaters und der playing arts genutzt. Diese etablierten bibeldidaktischen Zugänge scheinen auch für das Theologisieren mit Jugendlichen geeignet, weil die Teilnehmenden hierbei selbst zu Akteurinnen und Akteuren werden. In Gestaltung und Spiel, in Textbegegnung und Textdiskussion entdecken sie Schritt für Schritt die für jede und jeden relevanten Lebensfragen unmittelbar und direkt. Die Gegensatzpaare im biblischen Text sind markant: Erde und Himmel, Gott und Geld, Vater und Mutter, heute und morgen, sich entfalten und sich abmühen, sich sorgen und beschenkt werden, Vertrauen und Angst. Gesten zu diesen Begriffen und Skizzen dazu veranschaulichen die Kontraste im Bibeltext. Im Wechsel von spielerisch-szenischer Gestaltung und Textgespräch wurde versucht, den Kern des biblischen Textes heraus zu arbeiten. Was ist mit der Warnung vor der Sorge gemeint? Warum heißt es, sorgt euch nicht ängstlich, was ihr essen, was ihr trinken oder anziehen werdet (Mt 6,25.31.34)? Ulrich Luz fragt: »Geht es um eine Warnung vor Ängstlichkeit, vor innerer Unfreiheit, vor der Gefangenschaft in der Sorge?«4 Geht es also vor allem um eine innere Haltung, die nichts anderes als Sorgen kennt? Aber gibt es nicht auch einen positiven Kern: die Sorge für andere? Ist nicht die Fürsorge für Junge und Alte ein Stück Mitarbeit am Reich Gottes? »Man darf beide Momente des ›Sorgens‹, die Angst ums
Dasein und das aktive Sich-Mühen, nicht auseinanderreißen.«5 Im Sinne von Luz behielten wir die Spannung und Zumutung des biblischen Textes bei.
1.2 Die Jugendlichen Die Studierenden haben zwei Mal vor der eigenen Konfirmandeneinheit hospitiert. Das reichte für einen guten Kontakt zu den Konfirmandinnen und Konfirmanden nicht aus. Auch das Wochenstundenmodell von 60 Minuten bot unzureichend Raum, »um eine Beziehung wachsen zu lassen und Fragen mit den Jugendlichen gemeinsam zu klären und zu erörtern«. In der Reflexion schreiben die Studierenden dazu: »Eine wichtige Rolle spielt das Vertrauen. Wenn die Jugendlichen kein Vertrauen zu einem aufbauen können, ist es schwer, mit ihnen in ein Gespräch über solche intimen und wichtigen Fragen zu kommen. Außerdem ist es wichtig, den Jugendlichen Raum zur Entfaltung und für ihre Diskussionen zu geben.«6 Trotz einer überschaubaren Gruppe von sechs bis acht Konfirmandinnen und Konfirmanden der 7. Klasse und jeweils drei Studierenden konnte in solch kurzer Zeit keine sichere und verlässliche Arbeitsbeziehung entstehen. Neben den wöchentlichen Besuchen in der Konfirmandenarbeit und der Erarbeitung von entwicklungspsychologischen Kenntnissen zum Jugendalter wurde der Film »7 oder warum ich auf der Welt bin«7 von Antje Starost und 4 5 6 7
Ebd. Ebd., 367. Auszug aus einem Seminarprotokoll. http://www.7oderwarumichaufderweltbinderfilm.de (Zugriff 8.11.2011)
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Hans Helmut Grotjahn gezeigt und mit der Filmemacherin diskutiert. Der Film ist ein gelungenes Beispiel für das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen, weil er die Kühnheit veranschaulicht, mit der hier 7–11-Jährige nachdenken. Sieben ausgewählte Kinder und Jugendliche aus 200 zuvor interviewten Kindern werden dokumentiert. »Warum bin ich auf der Welt?« – zu solch schwierigen Fragen erzählen die interviewten Kinder ihre Geschichten und entdecken im Gespräch Dinge ganz neu. Durch den Film und das Gespräch mit der Filmemacherin sollte bei den Studierenden die Wahrnehmungskompetenz8 geschult werden.
2. »Sorge dich nicht« – theologische Gespräch in der Konfirmandenarbeit Die Studierenden haben das jugendtheologische Gespräch mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden auf folgende Fragen fokussiert: Welche Sorgen gibt es? Worum sorgt ihr euch? Sind alle Sorgen gleich wichtig? Worum lohnt es, sich Sorgen zu machen? 58 K: Konfirmand liest vor: »Sorgt euch nicht ängstlich um euer Leben, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, auch nicht um euren Körper, was ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben viel mehr als das Essen, der Körper viel mehr als die Kleidung?« (Mt 6,25.31) 60 St: Was sagt denn nun Jesus zu unseren Sorgen? Kann das einer von euch mal in seinen Worten wiedergeben? 61 K: Dass auch Jesus viele Sorgen hat. 62 St: Warum hatte Jesus viele Sorgen? 63 K: Keine Ahnung. Aber er hatte bestimmt Sorgen. 64 St: Wann hatte er Sorgen? 65 K: […] beim letzten Abendmahl
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66 K: Er hat die Sorgen verteilt. Bevor der Hahn dreimal kräht. Im Garten von Gethsemane. 67 St: Habt ihr die Geschichte schon mal gehört? 68 K: Nein!
Dieser kurze Dialog hat ein überraschendes Moment. Statt über die Sorglosigkeit nachzudenken und zu erkennen, dass das Leben mehr ist, als sich von den Sorgen auffressen zu lassen, beharren die Jugendlichen auf der Sorge. In den Arbeitsschritten zuvor hatten die Teilnehmenden über eigene Sorgen nachgedacht. Im Rappsong von Sido »Du musst auf dein Herz hörn« wurden weitere Situationen gesammelt, die Jugendlichen Angst machen: Krankheit, Drogen, Mobbing, Versagen. Geschickt übertragen die Konfirmandinnen und Konfirmanden nun ihre Alltagssorgen auf den biblischen Text. Konnte Jesus denn wirklich keine Sorgen haben? Konnten er angesichts seines Leidens und der Passion sorglos sein? Wer wie Jesus dazu aufruft, sich nicht total von den Sorgen bestimmen zu lassen, kennt solche Belastungen des Alltags, was man isst und trinkt, womit man sich kleidet, selbst ganz genau. Daran besteht aus Sicht der Konfirmandinnen und Konfirmanden kein Zweifel. Sie denken mit und es entsteht eine Chance zum theologischen Gespräch. Die Studentin hätte für einen Moment ihre Unterrichtsplanung verlassen können, um gemeinsam mit den Jugend-
8 Vgl. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern und Jugendlichen führen, in: entwurf 2/2008, 40. Dies., Theologische Gespräche mit Kindern – Chancen und Herausforderungen für die Lehrer/innenausbildung, in: Theo-Web, 6. Jg. 2007, Heft 1, 16.
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lichen darüber nachzudenken, warum Jesus wohl Sorgen hatte. Sie stellt diese Frage ja selbst: Warum hatte Jesus Sorgen (62 St)? Was wissen die Jugendlichen dazu? Eine Möglichkeit wäre es gewesen, über die Situation zurzeit Jesu näher ins Gespräch zu kommen. Krankheit und hohe Steuern, ein Heer von Tagelöhnern, Frauen- und Kinderarbeit, Lärm und Dreck, Müll und baufällige Häuser, Unterernährung und Sklaverei prägten das Bild auf dem Lande und in den Städten im 1. Jh. und bis heute in Palästina. Oder meint der Satz »Jesus hatte bestimmt Sorgen« mehr, als dass Jesus die Sorgen seiner Zeitgenossen kannte? Ist man mit diesem Satz »Jesus hatte bestimmt Sorgen« nicht mitten in der Frage, wer war Jesus eigentlich? »Wer ist der, von dem all dies gesagt werden kann?« (Mk 4,41) Wer ist und war Jesus – »wahrhafter Mensch«, dann hatte auch er Sorgen? Oder spricht er als »wahrhafter Gott« vom Reich Gottes und Gottes gerechter Welt, an der man nach Mt 6,33 Anteil hat? »Jesus hatte bestimmt Sorgen« lädt zum theologischen Gespräch mit den Jugendlichen ein. Die Studentin hätte hierzu in die Rolle der »begleitenden Expertin« schlüpfen können, die durch ihre historischen und systematisch-theologischen Kenntnisse »weiterführende Deutungsmöglichkeiten«9 anbietet. Das Wissen und die Sicherheit im Umgang mit Fragen der Gotteslehre und Christologie erwerben die Studierenden im Laufe ihres Studiums. Auf dieser Spur ist die Studentin bereits, in dem sie nachfragt, ob die Passionsgeschichte bekannt ist (67 St). An diesem konkreten theologischen Gesprächsangebot geht sie jedoch erst einmal vorüber.
Auch der Gedanke, dass Jesus »die Sorgen verteilt« (66 K), ist ganz im Sinne des Matthäusevangeliums. Die gerechte Welt, in der Menschen das haben, was sie benötigen, entsteht im Teilen von Nahrung, von Kleidung, Fremde beherbergen oder Kranke besuchen, wie es die »Werke der Barmherzigkeit« in Mt 25 vor Augen führen. »Jesus verteilt Sorgen«, wir sollten es ihm gleichtun. In diese Richtung geht das Gespräch in der Konfirmandengruppe weiter: 70 St: Was sollen wir denn mit unseren Sorgen machen? Wie sollen wir damit umgehen? 71 K: Ich denke an etwas Schönes. Einen Monat sind die Sorgen weg, dann kommen sie aber wieder. Zum Beispiel habe ich mich gut benommen und habe mich einen Monat nicht sorgen müssen, dass ein Anruf zu Hause eingeht. Doch als ich wieder unruhig in der Schule war, plagt die Angst (Sorge) mich wieder. 72 K: Ich lese Comics. 73 K: Ich fresse die Sorge immer auf. 74 St: Das ist gar nicht gut. Erzähl sie jemandem, zum Beispiel deinen Freunden oder einem Familienangehörigen. 75 St: Wir können Gott unsere Sorgen geben. Deswegen sind sie lange noch nicht weg – logisch, aber leichter zu tragen. Gott kann uns Vertrauen und Hoffnung geben, dass wir durch alles durchkommen, dass alles immer gut wird.
In allen Konfirmandengruppen sucht man nach Wegen, wie man mit den Sorgen umgehen kann. Hier geschieht überall das Gleiche: die Studierenden geben
9 Petra Freudenberger-Lötz / Annike Reiß, Theologische Gespräche mit Jugendlichen, in: Katechetische Blätter 134/2009, 102. Petra Freudenberger-Lötz (wie Anm. 8), 40.
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Keßler Theologisieren mit Jugendlichen in der gemeindepädagogischen Praxis
den Konfirmandinnen und Konfirmanden eine Antwort (75 St): »Gott schenkt Vertrauen – alles wird gut.« Dieser Gesprächsabschluss mag am knappen Zeitmanagement gelegen haben. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Studierenden auf die Aspekte der Christologie und Gotteslehre im Seminar nicht ausreichend genug vorbereitet waren: Wer ist Jesus Christus? Was lässt sich zu seinem Verhältnis zu Gott und den Menschen sagen? Wie ist Gott? Traue ich Gott zu, dass er hilft? Wenn es Gott gibt, weshalb leiden Menschen dann trotzdem Not? Oder zeigen diese abschließenden Antworten, wie sich die Studierenden als Glaubende zu erkennen geben, die auf Gottes Fürsorge vertrauen?!
3. Gelingendes Theologisieren mit Jugendlichen am Lernort Gemeinde
3.1 Am Lernort Gemeinde werden Inhalte anschaulich Konfi-Camps boomen, weil sie gewisse Erfolgsfaktoren berücksichtigen: ein ungewöhnlicher Ort, ausreichend Zeit, mehr als 100 Jugendliche, Teamerinnen und Teamer, Raum für intensive Begegnungen auch in der Gleichaltrigengruppen. Geschickt mixen Camps thematisches Arbeiten mit Spaß, gemeinsames Lernen mit liturgischem Feiern. All das ist ganz anders als im normalen Wochenstundenunterricht. »Anders als im Alltag wird Unterricht quasi als ›Freiraum‹ wahrgenommen, ›als Möglichkeit, eigene Interessen zu verfolgen und im Austausch mit anderen persönlich relevante Themen zu bearbeiten‹. […] Zudem wird bei Camps häufiger gesungen und gemeinsam gebetet; es ist mehr Raum für Medi-
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tation, Stille und Bibelarbeit. […] In der Summe nehmen Camps so ›dem Konfirmandenunterricht den Geruch des Schulischen und führen ihn aus dem »Muss« zur »Muße«‹«.10 Was kann von diesem Erfolgsrezept Konfi-Camp für die »normale« Konfirmandenarbeit am Lernort Gemeinde gelernt werden? Kirchengemeinden bieten die Chance, die Inhalte, über die mit Kindern und Jugendlichen theologisiert und reflektiert wird, im Leben der Gemeinde anschaulich zu machen. Wie bei den Camps kann sich das Gelernte mit der Feier verbinden und mehr noch: mit dem Erproben im Gemeindealltag. In einem diakonischen Projekt von »Laib und Seele«, einer Vesperkirche oder einem globalen Patenprojekt lebt Gemeinde das, was sie über Armut lehrt. Der Gedanke des nachhaltigen und gerechten Lebens findet sich im Fairen Wirtschaften der Gemeinde wieder. Spiritualität wird im Kirchenraum ansichtig und der Dialog zwischen den Generationen lebt im Gemeindehaus und Gottesdienst weiter. Diese Beispiele zeigen die besonderen Möglichkeiten am Lernort Gemeinde. Im Vergleich zur Schule hat Kirche und der Lernort Gemeinde »die Möglichkeit, die für alle religiösen Bildungsprozesse konstitutiven Differenzen und Wechselbezüge zwischen gelebter und gelehrter Religion in eine bestimmte, von der räumlichen Nähe zum Ort des
10 Carsten Haeske, Konfi-Camps, in: Thomas Böhme-Lischewski / Volker Elsenbast / Carsten Haeske / Wolfgang Ilg / Friedrich Schweitzer (Hg.), Konfirmandenarbeit gestalten. Perspektiven und Impulse für die Praxis aus der Bundesweiten Studie zur Konfirmandenarbeit in Deutschland. Bd. 5, Gütersloh 2010, 196.
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Religionspädagogische Anregungen
Gottesdienstes charakteristische Konstellation zu bringen. […] Insbesondere beim Schwerpunkt kirchlicher Bildungsarbeit, dem Konfirmandenunterricht, ist der Lernort für das Lernziel – Teilhabe an der liturgischen, diakonischen, pädagogischen und geselligen kirchlich-gemeindlichen Religionspraxis – didaktisch fruchtbar zu machen. Um Möglichkeiten mündiger Partizipation am kirchlichen Leben zu erschließen, kann der Lernort […] zugleich zum Lerngegenstand werden«11. Die große Chance gemeindepädagogischen Arbeitens liegt in der Verbindung von Deuten und Verstehen mit Erleben und Erfahren. Die Inhalte des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen können sich am Ort Gemeinde mit dem diakonischen oder liturgischen Erfahrungslernen verbinden. Das hat eine Berliner Pfarrerin erkannt und experimentiert erfolgreich, in dem sie Texte aus den theologischen Gesprächen in der Konfirmandenarbeit im Sonntagsgottesdienst als Rollenspiel, szenische Lesung oder Kabarett aufführt und für die Erwachsenengemeinde ansichtig macht. Hier werden die theologischen Gespräche der Jugendlichen zu einem Lernprozess innerhalb der Gesamtgemeinde. Gemeindepädagogische Arbeit ist aufgefordert, diese unterschiedlichen Lernorte des Glaubens miteinander zu verbinden. Gemeindepädagoginnen, Diakone und Pfarrerinnen müssten in der Lage sein, die Inhalte aus den theologischen Gespräche so mit dem Gemeindealltag zu verknüpfen, dass »Gemeinde als ein Möglichkeitsraum biografischen und religiösen Lernens«12 in seiner vielschichtigen Qualität für möglichst viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene zugänglich und interessant wird.
3.2 Rahmenbedingungen für das jugendtheologische Arbeiten Jugendtheologie braucht Zeit zum Kennen lernen, Freiräume, Ruhe, Vertrauen, Wiederholungen und Jugendliche, die sich darauf einlassen. Es braucht weiterhin Geduld und Offenheit gegenüber fremden Denkansätzen, ein Verständnis für die Themen und Interessen der Jugendlichen. Damit sind einige Rahmenbedingungen genannt, die für die gemeindepädagogischen Angebote im Allgemeinen auch gelten. Gemeindepädagogische Angebote bieten ausreichend Zeit, Freiräume, Beziehung und Vertrauen zwischen Teilnehmenden und zu den teilweise ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Außerdem gibt es »keinen verbindlichen Lehrplan, den die Gemeindepädagog/Innen ›durchziehen‹ müssen, keine Leistungsbewertung durch Noten und keinen Leistungsdruck«.13 Das sind zusätzliche Bonusfaktoren für das Theologisieren am Lernort Gemeinde. Wendet sich die Jugendtheologie eher an ein kognitiv geübtes und sprachfähiges Klientel14, das in der Konfirmandenarbeit so und so schon einseitig angesprochen
11 Bernhard Dressler, Unterscheidungen. Religion und Bildung, Leipzig 2006, 167 f. 12 Nicole Piroth, Gemeindepädagogische Möglichkeitsräume biographischen Lernens, Münster 2004, 41. 13 Angela Kunze-Beiküfner, »Da ist jeder gleich viel wert!« – Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20,1–16) interpretiert von Kindern und Jugendlichen im Kontext gemeindepädagogischer Arbeit, in: Jahrbuch für Kindertheologie Bd. 7, Stuttgart 2008, 193. 14 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als didaktische Herausforderung, Neukirchen 2011, 181 ff.
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Keßler Theologisieren mit Jugendlichen in der gemeindepädagogischen Praxis
ist? Hauptschülerinnen sind Außenseiter, auch in gemeindepädagogischen Angeboten wie der Konfirmandenarbeit. Anders als im Religionsunterricht und in der Schule insgesamt muss und darf Jugendtheologie am Lernort Gemeinde mit gemischten Lerngruppen, schularten- und milieuübergreifend ins Nachdenken kommen. Ein theologisches Gespräch gelingt, wo Mitarbeitende beachten, dass Haupt- und Förderschülern die Beziehung zu ihnen besonders wichtig ist. »Die Person der Pfarrerin bzw. des Pfarrers scheint zudem überdurchschnittlich positiv besetzt.«15 18 Prozent der Hauptschülerinnen und Hauptschüler (im Vergleich zu 10 Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten) würden sich bei persönlichen Problemen an die Pfarrerin, den Gemeindepädagogen oder die Diakonin wenden. Eine weitere Beobachtung ist für das Theologisieren in heterogenen Jugendgruppen interessant. Während der Konfi-Zeit sind Hauptschülerinnen und Hauptschüler deutlich intensiver und häufiger als die Vergleichsgruppe »darüber ins Nachdenken gekommen, was gut oder schlecht für mein Leben ist« (KB 07). Das Nachdenken über ethische Fragen sind zentrale Themen einer Jugendtheologie. Jugendtheologie ist damit »ein absolut zeitgemäßes Konzept, das die Jugendlichen anspricht«. Die Auswertung im Seminar zeigt: »Auch die, welche weniger begeistert zum Konfer erscheinen, ein Junge, der bei der Hospitation sehr störend auffiel, stört zwar wieder, war aber auch lebhaft und mit konstruktiven Gedanken am Gespräch beteiligt. Die Jugendlichen sind es gewohnt, alles kritisch zu hinterfragen und nichts so hinzunehmen, wie man es ihnen ›vorkaut‹. Man gibt ihnen damit die Freiheit, eigene Denkstrukturen zu entwickeln und sich
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nicht in die anderer (der Lehrkräfte) zwängen zu müssen.«16
4. Jugendtheologie und Gemeindepädagogik – wirklich nichts Neues? Die Aussage des Studenten, dass Jugendtheologie »nichts Neues« brächte und er mit Jugendlichen auf Augenhöhe kommuniziere, nimmt Bezug auf die der Kinder- und Jugendtheologie wesentlichen Subjektorientierung. Die erste der zehn Thesen zum didaktisch-methodischen Ansatz der Kindertheologie erinnert an den von der Hallenser Synode 1994 geforderten Perspektivenwechsel. Kinder sind »als Subjekte und Ko-Konstrukteure ihrer Lebenswelt auch im religiösen Bereich«17 wahr- und ernst zu nehmen. Als Subjekte sind Kinder auch Theologen (These 2)18, die eigenständig und gleichwertig Welt deuten und interpretieren. Bereits 30 Jahre zuvor, im Jahr 1964, fordern Wolfgang Müller, Helmut Kentler, Klaus Mollenhauer und Hermann Giesecke Jugendliche als Subjekte in der Jugendarbeit anzuerkennen. Jugendarbeit solle nicht der Erhaltung irgendeiner Institution dienen, sondern einer richtig verstandenen Jugendarbeit geht es konsequent und ausschließlich um die Fragen 15 Wolfgang Ilg / Friedrich Schweitzer / Volker Elsenbast in Verbindung mit Matthias Otte (Hg.), Konfirmandenarbeit in Deutschland. Bd. 3, Gütersloh 2009, 197. 16 Auszug aus einem Seminarprotokoll. 17 Friedhelm Kraft / Martin Schreiner, Zehn Thesen zum didaktisch-methodischen Ansatz der Kindertheologie, in: Theo-Web, 6. Jg. 2007, Heft 1, 21. 18 Für Jugendliche als Theologen im Sinne einer Laientheologie erläutern dies: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (wie Anm. 14), 180 ff.
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und Interessen, die die Jugendlichen selbst mitbringen. Dafür sahen die Autoren zwei Gründe: »erstens, daß junge Leute vorgängige Erfahrungen besitzen, daß sie also nicht als unbeschriebene Blätter in der Jugendarbeit auftauchen und dort das Einmaleins des Lebens lernen müssen, daß sie ein Bewußtsein ihrer Sorgen und Freuden haben, daß es irgendetwas gibt, was sie interessiert, und irgend etwas anderes, was sie nicht interessiert, zweitens, daß Erziehung in dieser allgemeinen Jugendarbeit keine Einbahnstraße ist, durch die Erzieher den Zögling auf ein imaginäres Erziehungsziel zutreibt, sondern das beide ›Bildungspartner‹ […] annähernd die gleiche Chance haben, sich wechselseitig zu beeinflussen und zu verändern.«19 Kinder und Jugendliche fangen in gemeinde- und religionspädagogischer Arbeit nicht bei Null an. Sie sind weder unbeschriebene Blätter noch leere Gefäße, die es durch ausreichend theologischen Inhalt zu füllen gilt.20 Vor allem Inhaltsbezug steht die/der einzelne Jugendliche im Zentrum evangelischer Jugendarbeit. So ist es für Jugendarbeit seit langem selbstverständlich, die Problemlagen der Jugendlichen zum Ausgangspunkt der inhaltlichen Arbeit zu nehmen. Jugendliche bestimmen Themen und Inhalte, sie diskutieren ihre Sorgen, Freuden und Interessen auf Augenhöhe. Eigenverantwortlich leiten und organisieren sie ihre Arbeit, sie sind Akteure ihres eigenen Jugendverbandes. In diesem Sinne betont die EKD-Handreichung »Kirche und Jugend«: »Im Mittelpunkt evangelischer Angebote für Jugendliche stehen deshalb auch die Jugendlichen mit den […] entsprechenden Bedürfnissen.«21 Hauptamtliche sind schon längst als Bildungspart-
ner und »Ermöglicher oder Verhinderer«22 in der Jugendarbeit tätig. Akteursperspektive und subjektorientierte Jugendarbeit werden erfolgreich mit Jugendlichen praktiziert. Das mag in der Arbeit mit Kindern und auch in der Konfirmandenarbeit noch anders sein. Genau darin hatte die EKD-Studie der Konfirmandenarbeit ein echtes Relevanzproblem bescheinigt. Nur 36 % der Konfirmandinnen und Konfirmanden trauen am Ende ihrer Konfirmandenzeit (42 % waren es zu Beginn KG02/CG02) der Kirche relevante Antworten auf die Fragen zu, »die sie wirklich bewegen«23. Beginnt also eine an den Jugendlichen orientierte Arbeit erst nach der Konfirmation? Ja, sagen die Macher der Konfirmandenarbeitsstudie, denn »anders als dies bei manchen Formen der Jugendarbeit berechtigt ist, kann sich Konfirmandenarbeit allerdings nicht voll und ganz von den Themen der Jugendlichen klar definieren. Im ›nachgeholten Taufunterricht‹ müssen zentrale Stücke des christlichen Glaubens und des gemeindlichen Lebens eine bedeutende Rolle behalten.«24 Vom religionspädagogischen Ansatz der Kinderund Jugendtheologie könnte die Konfir-
19 C. Wolfgang Müller / Helmut Kentler / Klaus Mollenhauer und Hermann Giesecke, Was ist Jugendarbeit? Vier Versuch zu einer Theorie, München 1964, 22. 20 Vgl. Friedhelm Kraft / Martin Schreiner (wie Anm. 17), 21. 21 Kirche und Jugend, Lebenslagen, Begegnungsfelder Perspektiven. Eine Handeichung des Rates der EKD, Hannover 2010, 24. 22 Katrin Fauser / Arthur Fischer / Richard Münchmeier, Jugendliche als Akteure im Verband, Bd.1 Opladen / Farmington Hills 2006, 159. 23 Wolfgang Ilg / Friedrich Schweitzer / Volker Elsenbast (wie Anm. 15), 105. 24 Ebd., 109.
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Keßler Theologisieren mit Jugendlichen in der gemeindepädagogischen Praxis
mandenarbeit profitieren, weil sie Kindern und Jugendlichen zutraut, in den Stücken des christlichen Glaubens die Relevanz für ihr eigenes Leben neu zu entdecken. »Die Konfirmandenarbeit des 21. Jahrhunderts realisiert Subjektorientierung als ein ›Theologisieren mit Jugendlichen‹. Das erfordert eine veränderte Rolle der Unterrichtenden.«25 Für ein jugendtheologisches Arbeiten in der Konfirmandenarbeit besteht nach HansUlrich Keßler eine Herausforderung im Selbstverständnis der Unterrichtenden. Er fordert darum auch für Aus- und Fortbildung den »Schwerpunkt auf beziehungsdidaktische Fragen zu legen«26. Eine gelingende Jugendtheologie in der
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Gemeinde braucht Haupt- und Ehrenamtliche, die mit den rasant wandelnden Lebenswelten der Jugendlichen vertraut sind und Ausdrucksformen jugendlichen Glaubens entschlüsseln können.
25 Hans-Ulrich Keßler, Inhalte und Subjektorientierung, in: Thomas Böhme-Lischewski / Sönke von Stemm / Volker Elsenbast (Hg.), Konfirmandenarbeit für das 21. Jahrhundert. Dokumentation zur EKD-weiten Fachtagung der ALPIKA-Arbeitsgruppe Konfirmandenarbeit vom 4. bis 6. November 2009 im Religionspädagogischem Institut Loccum, Münster 2010, 36. 26 Ebd., 38.
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Martina Steinkühler »Jeden Tag werde ich begleitet«. Glaubensschwerpunkte und Glaubensfragen religiös aktiver Jugendlicher
1. Einstimmung: »Wie hast du’s mit der Religion? Lehramtsstudierende mit dem Fach evangelische Religion schreiben Essays: »Wie hast du’s mit der Religion?« Die offene Fragestellung ermöglicht es den jungen Leuten, eigene Schwerpunkte zu setzen. In der Synopse aller 21 Arbeiten1 lassen sich fünf Themen identifizieren, die für alle (jeweils allenfalls mit einer oder zwei Ausnahmen) von Belang sind: 1. Was ist Religion? 2. Private und »verfasste« Religion 3. Religion und Religionen: Was ist Wahrheit? 4. Gott 5. Ethik und Religion Dieser Befund ist zwar in keiner Weise verallgemeinerbar – dennoch ergibt sich ein erstes Bild von Einstellungen religiös aktiver Jugendlicher:
Religion« werden verschiedene Funktionen zugeschrieben. Die private Religion hingegen wird als Gefühl und als Haltung beschrieben oder, wie im Zitat, als Glaube. Auf dieser liegt das Interesse. Glaube ist es, der Religion existenziell macht.
1.2 Private und »verfasste« Religion »Wie bereits erwähnt, glaube ich. Ich möchte mir hierbei aber nichts vorschreiben lassen. Ich bin kein Kirchgänger. Ich regele das meiste in stillen Gebeten. Ich brauche Gott, nicht die Institution Kirche.« Das ist ein sehr typischer Satz für die ausdrücklich eingebrachte Differenzierung zwischen allem, was »Kirche« bedeutet, einerseits, und dem, was als individueller oder privater Glaube beschrieben wird, andererseits. Eine einzige Studentin (Pastorentochter) nimmt keine Distanzierung von der Institution Kirche
1.1 Was ist Religion? »Für mich ist der Glaube, meine Religion, etwas, was mich bestimmt, mich zuversichtlich stimmt und mein tägliches Denken und Handeln – in meiner Überzeugung positiv – beeinflusst.«2 Die Jugendlichen unterscheiden mehrheitlich zwischen »äußerer« Religion und »ihrer« Religion. Der »äußeren
1 Die Essays wurden im Rahmen einer Übung »Verständigung über Religion« an der Goethe Universität Frankfurt im WS 2011/2 verfasst; die Übung umfasste 21 Teilnehmende. 2 Dieses und die folgenden Zitate stammen jeweils von verschiedenen Studierenden, deren Texte und Namen mir vorliegen; hier bleiben sie anonym; ausgesucht habe ich jeweils ein Statement, das prägnant die allgemeine Meinung auf den Punkt bringt.
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vor; alle anderen halten es für wichtig, zu betonen, dass sie Gottesdienstbesuche und zur Schau getragene Teilnahme am kirchlichen Leben nicht mit ihrem Glauben zusammendenken.
Darstellung ist, geht es um Privates: Gott als Vater, als Helfer, als Begleiter wird genannt. In einem Fall findet sich außerdem Gott als Weltenherrscher und gerechter Richter.
1.3 Religion und Religionen
1.5 Religion und Ethik
»Die verschiedenen Religionen stellen für mich bunte Lampenschirme dar, die vom gleichen Licht erleuchtet werden. Für den Glauben zählt allein das Licht; der Lampenschirm ist lediglich eine weltliche Zierde.« Mit der Tatsache, dass verschiedene Menschen verschiedenen religiösen Traditionen anhängen, haben die Studierenden keine Schwierigkeit. Wenn die Frage der Wahrheit überhaupt diskutiert wird, dann in dem Sinn: »Über Wahrheit kann man nicht streiten; für mich aber ist meine Religion die richtige.« Sie alle fordern Toleranz in Glaubensfragen; zwei Studierende machen ausdrücklich die Lebensdienlichkeit zum Kriterium für »gute« Religion.
»Für mich ist die Religion (…) ein wichtiger Pfeiler in meinem Leben, der mich in meinem täglichen Handeln beeinflusst.« Gut zwei Drittel der Studierenden gehen ausdrücklich auf den Zusammenhang von Religion – Glaube – Lebensführung ein. Sie nennen Nächstenliebe, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung als Kriterien guten Lebens, einmal wird konkret die Nachfolge Christi genannt (»werden wie Christus«). Auch die Bibel kommt als Leitschnur guten Lebens in den Blick.
1.4 Gott »Gott ist für mich wie ein liebender Vater, der offene Arme für jeden Menschen hat, der Hilfe braucht. An ihn kann ich mich wenden, wenn es mir schlecht geht.« Aussagen über Gott sind etwas seltener als die zu den erstgenannten Themen. Oft sind sie mit der Distanzierung von verfasster Religion verbunden, etwa: »Ich muss nicht zur Kirche gehen, um an Gott zu glauben« oder: »Zwischen mir und Gott – das ist privat.« Aber auch, wenn Gott ein unabhängiges Thema der
Ein erstes Ergebnis Insgesamt ergibt sich ein zwar individuell gefärbtes, aber doch auch einheitliches Bild: eine Generation von Theologiestudierenden, die persönlich glaubt und Gott als Begleiter fühlen und spüren kann. Die sich selbst als kirchenfern und ideologiefrei bezeichnet – einschließlich ausdrücklicher Toleranz gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen. In Sachen Lebensführung gilt selbstverständlich die christliche Ethik als Maßstab. Passend zu Kirchendistanz und individueller Freiheit gegenüber verfasster Religion spielen Dogmen in den Texten keine Rolle (ein einziges Mal wird die Bedeutung der Trinität erwähnt, aber nicht expliziert): Weder theologische noch christologische Aussagen spielen eine Rolle für das Selbstverständnis der jun-
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gen Religiösen. Auferstehung, Rechtfertigung und ewiges Leben sind nicht im Fokus.
2. Einführung Die Entdeckungen, die sich an den Glaubenshaltungen der Studierenden machen lassen, bieten Anlass, den gefundenen Spuren weiter zu folgen: Wie sieht es mit Religions- und Gottesverständnis, Kirchlichkeit oder Nicht-Kirchlichkeit bei jüngeren Jugendlichen aus, die religiös aktiv sind – namentlich im Kontext Gemeinde und Gottesdienst? Wie kommen sie mit den Anfragen zurecht, die die zunehmende Kritikfähigkeit Jugendlicher an Glaubenstraditionen richtet?3 Finden gemeindlich engagierte jüngere Jugendliche ebenso wie die künftigen Religionspädagog/innen Zuflucht in Innerlichkeit, eigenem Dafürhalten und der Abkehr vom Institutionellen? Um diese Fragen weiter zu verfolgen, sei hier auf Material zurückgegriffen, das ebenso zugänglich wie aussagekräftig erscheint: Zwei jugendliche Gottesdienstgruppen haben im Jahr 2011 eigene Gottesdienste publiziert. Diese ermöglichen Einblicke in religiöse Haltungen und Standpunkte der Beteiligten. Beide Gruppen, eine evangelisch, eine katholisch, haben – jeweils in Begleitung eines Gemeindepädagogen – selbst die Themen ausgesucht sowie die Texte erarbeitet, diskutiert und erfasst. Die Gottesdienste bilden einen jahrelangen Prozess ab; beide Gruppen sind aus einer Konfirmanden- bzw. Firmgruppe hervorgegangen und über viele Jahre zusammengeblieben (ausscheidende Gruppenmitglieder waren jeweils durch Nachwuchs ersetzt worden).
Auf der Folie der oben angesprochenen Studentenbefragung lassen sich an die Gottesdienste der Jugendlichen folgende Fragen stellen: – Welche Themen setzen die Gruppen? – Welche Fragen entfalten sie und welche Antwortstrategie bieten sie an? Insbesondere: – Wie gehen sie mit Gottesfrage, der Frage nach Wahrheit und ethischen Fragestellungen um? – Welche Rolle spielen die »Einbruchstellen«? – Welche Rolle spielen Bibel, Theologie und Dogmatik? – Wem gilt die Verkündigung der Jugendlichen, in welchem Ton und welcher Tendenz? Diese Fragen sollen zunächst für beide Gruppen getrennt untersucht werden; anschließend frage ich nach der »Theologie« der Gottesdienstgruppen, und zwar nun im Vergleich und unter Berücksichtigung der konfessionellen Orientierung. Einige Rückbezüge auf die oben skizzierte »Studierenden-Theologie« sollen den Eindruck schärfen und Impulse zu weiterer Forschung setzen.
3. Fallgruppe 1: Die junge Gemeinde Planig Die junge Gemeinde Planig4 ist seit der Konfirmation 1998 in wechselnder Kon3 Man denke in diesem Zusammenhang auch an die berühmten »Einbruchstellen des Glaubens« bei Karl-Ernst Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, Gütersloh 1987. 4 Junge Gemeinde Planig, Jugend macht Kirche. Ein Werkbuch für Gottesdienstgruppen, Göttingen 2011.
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stellation beieinander; einige der Gründungsmitglieder (Antje Hill, Bettina Höblich, Daniel Schindler, Angela Zuck) sind noch immer dabei, ebenso Gemeindepädagoge Ingo Molter, der den Anstoß zur ersten eigenen Gestaltung eines Gottesdienstes gab. Für ihre Veröffentlichung haben sie ein Raster erarbeitet, das Entstehung und Durchführung jedes Gottesdienstes nachvollziehbar macht: Einem Passus zu »Entstehungsgeschichte und Hintergrund« folgen »Kurzzusammenfassung«, »Rollen«, »Requisiten«, »Tipps / wichtig« sowie das komplette Manuskript des Verkündigungsteils.
3.1 Themen Das Material ist in drei Kategorien unterteilt: Am Kirchenjahr entlang (1) gibt es Gottesdienste zu Weihnachten, Epiphanias, Ostern, Pfingsten, Erntedank und Silvester. Das zweitmeiste Material gibt es zu »Lebensthemen« (3): Gentechnik, Liebe(skummer), Glaube, Taufe, Lebensgestaltung. Und schließlich finden sich unter der Überschrift »biblischen Themen« (2) zwei Gottesdienste: »Marias Schwangerschaft« sowie »Jesu Versuchung«. Die Benennung ist allerdings insofern missverständlich, als auch die Gottesdienste zu »biblischen Themen« und zum Kirchenjahr die Lebenswelt reflektieren und den Bezug zur Lebenswelt suchen.
3.2 Fragen und Antworten Im Themenbereich 1 – Kirchenjahr – kreisen die Erarbeitungen weitgehend um Aktualisierung der traditionellen Überlieferung und Aufklärung über den
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Kern der Feste (historisch/kirchengeschichtlich, kulturell, exegetisch). Ein Beispiel: Wie würde sich die lukanische Weihnachtsgeschichte heute abspielen?5 – Die jungen Leute wissen, dass die biblischen Weihnachtsgeschichten Symbolgeschichten sind. Sie entkleiden sie ihres traditionellen Gewandes – machen etwa aus Josef einen Arbeitslosen, auch dem Stall eine Garage, aus der Krippe eine Plastikwanne. Die Rolle der Hirten als Außenseiter der Gesellschaft übernehmen Obdachlose. Und diese stehen dann auch für die Pointe der Geschichte: Die »Könige aus dem Morgenland« werden zu der modernisierten Geschichte nicht zugelassen. Denn denen, die »nichts sind« gilt die Gute Nachricht des Evangelisten Lukas. Eine Sonderrolle kommt dem Silvestergottesdienst zu, im Material gleich mit zwei Entwürfen bedacht. Während der eine in der gewohnten historisch aufklärenden und informierenden Weise den Papst Silvester vorstellt, ist der andere dem Rückblick auf Lebenswege und der Frage nach der Zukunft gewidmet.6 Sie vergleichen das Auf und Ab der Lebenswege mit der Fahrt über ein Gefühlsmeer mit großen und kleinen Wellen. Als Lesetext wählen sie Prediger 3,1– 8: Alles hat seine Zeit und entfalten die Hochs und Tiefs des persönlichen Lebens an den Stationen »Gute Noten / frisch verliebt«, »Trauerfall«, »finanzielle Schwierigkeiten« und »Weihnachten«. Diese Stationen werden entfaltet und anschließend mit seelsorglichen Kommentaren versehen:
5 Ein modernisiertes Krippenspiel, ebd., 40 ff. 6 Silvester: Leben im Wechselbad der Gefühle, ebd., 81 ff.
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• »Um sich solchem Wellengang anzuvertrauen, ist der Glaube an einen Gott, der die Urkraft meines Lebens ist, sehr hilfreich.« (Sprecherin 2) • »Es gibt Zeiten in unserem Leben, in denen es uns schlecht geht und wir kein Licht mehr sehen. In diesen Momenten ist es wichtig, dir Trauer zuzulassen, aber wir sollten nie den Blick nach oben verlieren und in der Finsternis ausharren.« (Sprecherin 3) • »Es gibt … Menschen im Leben, die einem in schweren Zeiten beistehen und helfen, wo sie nur können. An diesen Menschen kann ich mich festhalten und neue Kraft und Hoffnung schöpfen für meine weiteren Wege. In und durch diese Menschen erlebe ich die Unterstützung Gottes.« (Sprecherin 3) • »Ich kann auf gute Erfahrungen zurückgreifen und lasse oft meinen Gedanken und meiner Fantasie freien Lauf. Diese Erfahrungen sind eine wichtige Kraftquelle für mich.« (Sprecherin 7). Hier zeigen die Jugendlichen ihre eigene Deutekompetenz und ihren gelebten und aus Erfahrung gespeisten Glauben: Gutes und Böses geschehen nun einmal; aber Menschen und Gedanken können helfen, Krisen durchzustehen. Darin wird der begleitende, zugewandte Gott erfahrbar. Im Themenbereich 2 – Bibel – finden sich zwei recht unterschiedliche Bearbeitungen: Die Verkündigung des Engels an Maria (Lk 1) und Josefs Traum (Mt 1)7 kommen zunächst wie historische Berichte in den Blick und werden als solche als unseriös verworfen. Mit Hinweis auf die symbolische Bedeutung solcher Geschichten wird dann herausgearbeitet,
worum es eigentlich geht: Jesus als besonderen Menschen, als Gottes Sohn zu erkennen. Die Pointe liegt dann jedoch quasi außerhalb der Bibelexegese: Josef wird zum Prototypen des mutigen und treuen Mannes, die Beziehung zwischen Josef und Maria zu einem Vorbild gelingenden Miteinanders. Die Versuchung Jesu8 wird als Kommentartext zu drei lebensweltlichen Anspielen verwendet. Zuerst erleben wir Versuchungen aus der Erfahrungswelt der Jugendlichen: Schummeln bei Klassenarbeiten, Anpassung an die angesagte Clique bis hin zur Selbstverleugnung, Drogenkonsum. Die Proben des Satans, die Jesus besteht, dienen als Begründung des Appells, den Versuchungen zu widerstehen. Die Jugendlichen gehen zwei Wege, Bibeltexte auszulegen und lebendig zu machen: zum einen historisch-kritisch und existenziell, zum anderen durch Analogie. In der Zusammenschau zeigt sich die theologisch-exegetische Kompetenz der Gruppe: Ihr Ziel – Glauben plausibel und existenziell zu machen – bedient sich der Bibeltexte – informiert und engagiert, zur Aufklärung wie zur Paränese. Aus dem Themenbereich 3 – Lebenswelt – seien zwei Beispiele herausgegriffen: die Gottesdienste zum »Baby auf Bestellung« sowie zum »Glauben«. In »ein Baby auf Bestellung«9 vergleicht eine Gruppe SchülerInnen ihre Unterrichtsstoffe und verweilt bei den Möglichkeiten der Gentechnologie. Im
7 Marias Schwangerschaft und was Josef damit zu tun hat, ebd., 99 ff. 8 Versuchung, ebd., 103 ff. 9 Ein Baby auf Bestellung, ebd., 114 ff.
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Gespräch werden Fragwürdigkeiten des wissenschaftlichen Fortschritts entfaltet. Die Würde des Menschen und die exklusive Schöpferrolle Gottes werden ebenso bedacht, wie die Leben erhaltenden und fördernden Möglichkeiten der Medizin gewürdigt werden. Ein Argument aber sticht in der gut informierten, offenen und fairen Argumentation hervor – und das wiederum ist eher erfahrungsgesättigt als theologisch: Angesichts der Vision des »perfekten« Menschen heißt es da, es gehörten gerade auch »Macken und Fehler zu uns Menschen, genauso wie besondere Fähigkeiten und Eigenschaften, die jeden individuell auszeichnen und das Leben interessant und abwechslungsreich machen.« Im Anspiel zum Thema »Glaube« treffen verschiedene Menschen und GlaubensTypen aufeinander; der Gottesdienstgruppe geht es erklärtermaßen darum, ein möglichst weites Spektrum von Positionen zu präsentieren. Zuerst geht es um den obligatorischen Gottesdienstbesuch einer Konfirmandin, die ihre Familie fragt, warum sie eigentlich nicht mitgehen. Dann werden Gottesdienstbesucher gefragt, warum sie hingehen, beziehungsweise Nicht-Gottesdienstbesucher, warum sie vorbeigehen. Ein »schwarzer Mann« spielt den Advocatus Diaboli. Auffällig: Niemand wird bekehrt. Es ist aber sicherlich kein Zufall, dass die Argumente der Kirchengänger durchdachter und ernst gemeinter wirken. Interessant sind das Fazit – »Einen Sinn im Besuch eines Gottesdienstes kann man nur sehen, wenn man an Gott glaubt … Letzten Endes ist also der Nutzen eines Gottesdienstes vom Glauben abhän10 gig« –
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sowie die abschließende und unbeantwortet bleibende Frage: »Bis jetzt ging es immer darum, was die Leute vom Gottesdienst haben. Und Gott? Sag mal: Was hat eigentlich Gott davon, wenn wir Got11 tesdienst feiern?«
Die jugendlichen Gottesdienst Gestaltenden bemühen sich angesichts lebensweltlicher Thema ausdrücklich um Objektivität und Meinungsvielfalt. Das hindert sich nicht, ihre eigene, bereits recht reflektierte Theologie mitzuteilen.
(a) Gott, die Wahrheit und die Lebensführung in der Predigt der Jungen Gemeinde Planig Gott kommt, wenn er vorkommt, als verlässlicher Begleiter und wohlmeinender Beobachter zur Sprache. Dabei ist ein symbolisches Gottesverständnis vorherrschend: Gottes Begleitung und Hilfe sind nicht die eines »deus ex machina«12, sondern viel eher mittelbar gedacht: In dem, was Menschen tun, und wie Menschen einander begegnen, ereignet sich Gottes Nähe. In der Diskussion um die Gentechnologie kommt Gott als Schöpfer und als Garant ethischer Werte in den Blick. Die Frage, ob die vorfindliche Schöpfung als absolut und zeitlos »gut« zu qualifizieren ist oder ob die Aussage »Und siehe, es war sehr gut« als relativ und damit veränderlich gedacht werden kann, wird aufgeworfen, bleibt aber offen. Der Gottesbegriff ist – durch alle Gottesdienste hinweg – positiv besetzt 10 Was bedeutet Glaube für uns?, ebd., 136. 11 Ebd. 12 Entsprechend der ersten Stufe in der kognitiven Auseinandersetzung mit Gott / dem Unverfügbaren bei Jean Piaget oder auch Fritz Oser / Paul Gmünder.
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und unbelastet von schwierigen Dogmen. Die Jugendlichen fühlen sich frei, von Gott zu reden und über Gott nachzudenken. Die Frage einer absoluten Wahrheit bleibt weitgehend unberücksichtigt. Im aufklärenden und informierenden Umgang mit biblischen Texten sowie dem Bemühen um das Aktualisieren der FestBotschaften wird eine vorsichtig werbende Tendenz deutlich. Der Umgang mit anderen Meinungen jedoch ist durchweg offen und fair. Besonders die Methode »Talkshow« oder »Interview«, die die Gruppe gern verwendet, ermöglicht es, plurale Meinungen darzustellen. Sie bleiben in der Regel unwidersprochen. Das ist allenfalls in eng gefassten ethischen Fragen anders: Angesichts des Themas »Versuchung« wurde der Appell deutlich, den Verführungen der modernen Welt (Noten, Marken, Drogen) zu widerstehen, ausdrücklich unter Berufung auf das Vorbild Jesu. Ethische Werte, die die Gottesdienste implizit transportieren, sind u.a.: Reden statt streiten, einander beistehen/trösten, füreinander da sein, aufeinander hören; nominal ausgedrückt: Mitmenschlichkeit, Achtsamkeit und Toleranz.
(b) Die Einbruchstellen des Glaubens in der Predigt der Jungen Gemeinde Planig Karl Ernst Nipkow meint mit »Einbruchstellen« diejenigen Stolpersteine des Glaubens, die ein christlich sozialisiertes Kind dazu bringen, mit wachsender Lebenserfahrung zunehmend kritisch nach Gott zu fragen bzw. ihm schließlich den Glauben aufzukündigen. Solche Stolpersteine sind die Unsichtbarkeit Gottes, die scheinbare Diskrepanz zwischen biblischer und naturwissenschaftlicher Darstellung (Schöpfung, Wunder), das Un-
recht in der Welt (Theodizee) sowie die Nichterhörung von Gebeten. Schon von der Anlage der Themen her ist die theologische Auseinandersetzung mit Gottesvorstellungen für die Jugendlichen aus Planig eher nicht im Blick. Vielmehr ist zu beobachten, dass sie mit Gott, den sie eher abstrakt als anthropomorph denken, im Einklang sind.13 Eine auffällige und vielsagende Ausnahme bildet der zuletzt vorgestellte Gottesdienst über den Glauben. Die Gruppe schickt als Einleitung voraus: »In diesem Rollenspiel treffen verschiedene Personen mit unterschiedlichen Meinungen zum Glauben und der Kirche aufeinander. Es sind alle dabei, von sehr positiv bis echt negativ.«14 Folgende Meinungen werden dann geäußert: • »Ich kann nur glauben und zur Kirche gehen, wenn mir wirklich danach ist.« (Vater der Konfirmandin) • »Ich muss nicht zur Kirche gehen, um zu beten. Das kann ich auch woanders. Aber die Kirche ist für mich ein Ort zum Nachdenken, ein Ort, wo ich sein kann … Ein Gottesdienst ist für mich eine Gabe an Gott. Ich gehe oft in den Gottesdienst, um Gott nahe zu sein …« (junge Dame) • »Natürlich glaube ich an Gott. Aber ich finde nicht, dass man extra deswe-
13 Vgl. Eva Maria Stögbauer, Die Frage nach Gott und dem Leid bei Jugendlichen wahrnehmen. Eine qualitativ-empirische Spurensuche, Bad Heilbrunn 2010; Ergebnisse bei der Untersuchung jugendlicher Gottesbilder: »Gott ist für sie nicht wie ein Mensch, sondern anders. Eine Möglichkeit, dieses Anderssein auszudrücken, finden Jugendliche in den Bezeichnungen Wesen, Macht oder Energie«, 297. 14 Was bedeutet Glaube für uns? (wie Anm. 4), 131.
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gen in den Gottesdienst gehen muss … Eins ist schon gut: Also, wenn mir was auf dem Herzen liegt oder ich traurig bin, und dann gehe ich in die Kirche und lasse den Gottesdienst über mich ergehen … – wie soll ich sagen: Danach gehts mir echt besser.« (Konfirmand) • »Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche. Manche sagen, aus Gewohnheit, andere sagen, weil es ihnen wichtig ist. Ich gehöre zu denjenigen, die sagen würden: Es ist mir wichtig! Ich gehe in die Kirche, um Gott nah zu sein. Er hat mich geschaffen und dafür danke ich ihm jedes Mal. … Im Gottesdienst fühle ich mich nicht allein, auch wenn ich als Einzige da wäre.« (Alte Dame) Diese Positionen erinnern an die Polarisierung der anfangs zitierten Studierenden zwischen »privater« und »öffentlicher« Religion – fallen hier aber im Trend deutlich offener gegenüber der Kirche (d.h. dem Gottesdienstbesuch) aus. Hier scheint der theologische Common Sense der Gruppe auf: Gott gibt Geborgenheit; er ist Schöpfer und Begleiter; in der Kirche wird seine Nähe gesucht (so ebenso die »junge« wie die »alte« Dame), wenn auch nicht exklusiv. Echte Glaubenskritik jedoch kommt von außen, von einem sogenannten »schwarzen Mann« (vor dem die Gottesdienstgruppe im Vorspann ausdrücklich »warnt«: »Dieser Gottesdienst ist einer unserer provokantesten, besonders der schwarze Mann ist eine negative Rolle.«15) Dieser schwarze Mann kommentiert nun aus dem Hintergrund, meistens relativ zusammenhanglos: • »Warum sollte ich in die Kirche gehen und beten? Gott gibt mir sowieso
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keine Antwort. Überhaupt ist es lächerlich zu beten! Niemand kann beweisen, dass es Gott gibt, und bei allem Leid auf der Welt erscheint seine Existenz erst recht unmöglich. Die moderne Wissenschaft hat die kirchlichen Lehren längt widerlegt.«16 • »Außerdem hat es doch eh keine Auswirkungen oder Konsequenzen, ob ich jetzt in die Kirche gehe oder nicht. Heute braucht man keine Kirche und keinen Gott mehr, die einem vorschreiben, wie man zu leben hat, man hat sein Leben selbst in der Hand.«17 Da sind sie angesprochen, all die Einbruchstellen: das Beten, die Frage der Existenz und Beweisbarkeit Gottes, die Theodizee. Das alles, als gerade die junge Dame ihr Interview gegeben hat, das so besonders positiv und zugleich differenziert über Gott und den Gottesdienst Auskunft gegeben hat. Dass niemand in der Szene den schwarzen Mann zu beachten scheint, kann zweierlei bedeuten: Man will ihn nicht »bekehren«. Oder: Was er sagt, ist eigentlich nicht von Belang. Im Rückschluss auf die Autoren ist das Bild ähnlich ambivalent: Haben sie den schwarzen Mann eingebaut, um allen Meinungen über Gott und Kirche gerecht zu werden, und ihn dann »ins Eckchen« gestellt, weil er ihnen letztlich doch ärgerlich oder gar unheimlich ist? Oder haben sie ihm ihre inneren Zweifel aufgebürdet, die sie gewissermaßen aus ihrem Glauben »abgespalten« haben, um sie nicht weiter bedenken zu müssen?
15 Was bedeutet Glaube für uns?, ebd., 131. 16 Ebd., 134. 17 Ebd.
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Nach diesem furiosen Auftakt (beide Stelle gehören zu seinem Auftaktmonolog) hat der schwarze Mann »sein Pulver verschossen« – es folgen nur noch Invektiven gegen die überkommene Form des Gottesdienstes: die altmodischen Lieder, die Langeweile, die »unchristliche« Uhrzeit, den frommen Schein, Alter und Anzahl der Gottesdienstbesucher. Da wird er mehr und mehr zum Miesmacher, der mit den Argumenten der ernsthaften Kirchgänger nicht mithalten kann. Im Schlussstatement der Jugendlichen heißt es ja (s.o.), der Streit über den Sinn des Gottesdienstes sei nicht beilegbar, weil der Glaube an Gott die Voraussetzung sei, um im Gottesdienst einen Sinn zu entdecken. Den Glauben an Gott aber bestreitet der schwarze Mann vehement, und zwar mit unwiderlegten Argumenten.
3.3 Bibel, Theologie und Dogmatik Die Akteure der Gottesdienstgruppe gehen mit großer Freiheit an ihre christlichen Themen heran: Ob sie den Sinn der christlichen Feste herausarbeiten oder Bibeltexte aktualisieren – sie stehen auf dem Boden ihres Grundkonsenses: »Wir glauben an Gott, der uns geschaffen hat und begleitet und der es gut mit uns meint.« Von da aus suchen sie Fakten (Historisches) und Wege, um Überliefertes und Erfahrbares miteinander in Einklang zu bringen. Ihr persönlicher Glaube an Gott ermächtigt sie, nach dem »wahren Sinn« in den Bibeltexten jenseits des Wortsinns zu suchen (vgl. den Gottesdienst zur Frage der Jungfrauengeburt); ihr selbstverständliches Vertrauen auf Jesus Christus als Lebensvorbild ermöglicht es ihnen, Szenen und Worte aus Jesu Leben
zum Maßstab für ethische Entscheidungen heute zu nehmen. In der Frage nach der Deutung von Ostern zeigt sich, dass die Gruppe mit Dogmen ähnlich frei umgeht wie mit Bibelgeschichten: Die Auferstehung sei historisch unerklärbar, die Osterbräuche kommerzialisiert – aber in all dem sei die »eigentliche Bedeutung« von Ostern doch auffindbar: »Ostern feiern wir die Auferstehung Jesu. Das Leben siegt über den Tod. Genau das erleben wir jedes Jahr im Frühling: Scheinbar tote Zweige treiben aus und überall sprießt neues Leben. Für uns ist das in jedem Jahr ein Neubeginn. Wenn die Natur zu neuem Leben erwacht, bekommen auch wir wieder neue Kraft und neuen Elan, um unser Leben zu gestalten. Diese Kraft können wir auch (!) aus der Auferstehung Jesu ziehen.«18 »Sünde«, »Rechtfertigung«, »Trinität« werden nicht angesprochen, letzteres besonders auffällig, da es einen Gottesdienst zum Sinn des Pfingstfestes gibt (Was ist eigentlich Pfingsten?); als »Mutmachfest« wird Pfingsten hier charakterisiert und die Beispielgeschichten, die »Studiogäste« einbringen, erzählen von politischem Ausbruch, friedlichem Widerstand und von Zivilcourage – sachgemäß, erfahrungsnah, appellativ. »Erfahrbarkeit vor Bibel vor Dogma« – so kann man den Zugang der Jugendlichen beschreiben.
3.4 Für wen und woraufhin? Besonders die über Herkunft und Sinn der christlichen Feste »aufklärenden« 18 Was ist eigentlich Ostern?, ebd., 64.
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Gottesdienste geben Aufschluss in der Frage nach Zielgruppe und Tendenz: Es sind Menschen, die (noch) Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Erntedank feiern, aber nicht (mehr) genau wissen, warum. Auf die Spitze getrieben wird dies mit dem Erntedank-Anspiel, das ausdrücklich darum kreist, einen Passanten, der »Erntedank« »altmodisch« findet, zu überzeugen, am Festgottesdienst teilzunehmen.19 Danken und weitergeben, so der Tenor, bringt Lebensqualität, auch hier und heute. Die Jugendlichen treten werbend auf, nutzen dazu jedoch weder Dogmen noch Bibelweisheiten, sondern die Erfahrungen der Gegenwart. Die Position ist vielleicht so zu beschreiben: »Seht her, wir haben ein sinnvolles, zeitgemäßes Angebot; eure Vorurteile können wir zerstreuen. Aber drängen werden wir euch nicht.«
4. Fallgruppe 2: Das Jugendgottesdienstteam St. Maria Das Jugendgottesdienstteam St. Maria20 besteht seit 2002 in wechselnder Konstellation; einige der Gründungsmitglieder sind noch immer aktiv (Julia Schmautz, Dominik, Franziska Ernst), ebenso Diakon Richard Fock, der den Anstoß zur ersten eigenen Gestaltung eines Gottesdienstes gab. Die Mitglieder des Teams sind katholisch, ihre ersten beiden Predigtanspiele entwickelten sie in ihrer Firmvorbereitungszeit. Für die Veröffentlichung hat Julia Schmautz als Herausgeberin die Anspiele jeweils mit einer kurzen Einführung ins Thema versehen, aus der Anlass und Absicht der Bearbeitung ersichtlich werden. Die anschließenden »Gedanken zum
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Spiel und zum Bibeltext« sind nachträglich aus anderer Feder hinzugekommen und darum hier nicht relevant. Wichtig für meine Fragestellung ist ein doppelter Hinweis in der Einleitung: »Die Szenen sind auf die Mitwirkenden zugeschnitten. Das betrifft sowohl die Anzahl der im Sketch vorkommenden Personen als auch die Charaktere, die dargestellt werden können. Jeder von ihnen ist Inspiration beim Schreiben der Sketche.«21 Beziehungsweise: »Die Namen der Darsteller entsprechen denen, die … zum jeweiligen Zeitpunkt im Team mitgewirkt haben. So sind auch die Rollen und Ausdrucksweisen häufig denen der Teammitglieder angepasst, so dass die Sketches möglichst authentisch dargestellt werden konnten.«22 Es ist also damit zu rechnen, dass die Schauspieler nicht gänzlich hinter ihren Rollen verschwinden, sondern vielmehr, dass hier junge Menschen eigene Positionen öffentlich vertreten und zur Diskussion stellen.
4.1 Themen Das Material ist in drei lebensweltliche Kategorien unterteilt: »Gott, Gottesdienst, Glaube« (1), »Gesellschaft, Generationen, Jugend« (2), »Lebenssinn – Lebenswahl« (3). Die vierte und schmalste berücksichtigt kirchenjahreszeitliche Themen: »Advent – Weihnachten – Karfreitag« (4). Die Themen der 19 Erntedank, ebd., 76 ff. 20 Jugendgottesdienstteam St. Maria, Spielen statt predigen. Szenen für Jugendgottesdienste, Göttingen 2011. 21 Ebd., 8. 22 Ebd., 9.
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Gottesdienste sind durchweg lebensweltlich formuliert. Es ist ihnen jeweils eine bestimmte Bibelstelle zugeordnet.
4.2 Fragen und Antworten Im Themenbereich 1 – Gott, Gottesdienst, Glaube – kreisen die Erarbeitungen um Wege, christliche Glaubenspraxis und Glaubenslehren für Menschen von heute plausibel und wertvoll zu machen. Bibelkritisches Arbeiten sowie Verknüpfungen zwischen Bibelwelt und Lebenswelt werden versucht und vorgestellt. Dabei sind Mitglieder des Teams mit eigenem Namen und eigener Identität auf der Bühne, dazu – als geliehene Identitäten – entweder Zweifler und Kritiker von außen (»Person 1«, »Person 2« usw.) oder eine Lehrkraft / ein Pfarrer, der moderierend und aufklärend/informierend tätig wird. »Müssen wir uns eigentlich verstecken, weil wir aktiv zur Gemeinde gehören?«, fragen die Teamer im Einführungstext zum ersten Anspiel »Kirche – just for fun?«23 Da werden sie mit dem Vorurteil konfrontiert, Kirche sei ein Spaß-Killer, und halten eifrig dagegen. Fazit: Kirche macht zwar Spaß und muss auch Spaß machen, wenn junge Leute zum Mitmachen verlockt werden sollen – im Spaß aber erschöpft sie sich nicht, sondern ist vielgestaltig wie das Leben selbst. Des Weiteren geht es um den Stellenwert der Bibel – alte, verstaubte Geschichten? Die Teamer klären im »Unterrichtsgespräch« mit einem »Lehrer«, wie Bibeltexte zu lesen sind, damit sie zu sprechen beginnen. Es gehe darum, sie ihrer historischen Schale zu entkleiden und in ein neues, zeitgemäßes Gewand zu stecken. Denn die Lebenslehren, die in
ihr stecken, seien zeitlos – und nicht nur das: revolutionär und aufrüttelnd, insbesondere im Neuen Testament.24 Die Kehrseite solcher Bibellektüre, ein wortwörtliches Bibelverständnis, führt zu radikalisierenden Halbwahrheiten (Beispiel: Kreationismus, Satanismus, von der Bibel sanktioniertes Patriarchat, Machiavellismus).25 Wichtiger als Fragen der äußeren Wirkung von Kirche und Religion sowie des Bibelverständnisses und -missverständnisses sind jedoch der persönliche Glaube (3), sein Inhalt (2) und seine Praxis (1). (1) In dem Anspiel »Deutschland sucht den Superchrist«26 geht es um Glaubenshelden und Glaubensheuchler und im Kern um die Rechtfertigung: »Chrissi: Und du willst Superchrist werden. Julian: Nö. Ich wollt euch einfach nur mal meine Meinung sagen. Ich finde eure Sendung absolut das Letzte. Wie kommt ihr drei Heinis eigentlich auf die Idee, einen Superchrist zu suchen? Das ist doch anmaßend! Gott liebt alle Menschen und ihr zerstört hier die Glaubensbilder glücklicher Menschen. Für Gott gibt es keinen Superchrist. Jeder glaubt auf seine Weise. Nur weil ihr irgendwas Theologisches studiert habt, seid ihr noch lange keine Heiligen. Nicht mal der Papst nennt sich Superchrist – und der gilt als unfehlbar! … Ich will nur, dass die Welt weiß, dass Gott alle Menschen liebt. Es gibt keinen Superchrist.«27 23 24 25 26 27
Ebd., 14. Ebd., 20 f. Ebd., 22 ff. Ebd. 26 ff. Ebd., 28.
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(2) In dem Anspiel »Wo gehöre ich hin?«28 werden die Existenz und das Wesen Gottes zum Thema. Im Verlauf eines »Unterrichtsgesprächs« bleiben verschiedene Glaubenspositionen nebeneinander stehen: der Glaube an einen »klassischen« Gott mit »Rauschebart«29, an ein »höheres Wesen«30, an irgendeinen Gott31, an den Dreieinigen.32 Die vermittelnde Position der »Lehrerin« und mehrerer Jugendlicher setzt sich durch: »FRANZI: Jeder muss für sich selbst herausfinden, wo er hingehört. KRISTINA: Außerdem hat man jederzeit die Möglichkeit, sich doch noch für Gott zu entscheiden. PHILIPP: Oder dagegen. BENNI: Oder auch dagegen. Außerdem glaube ich, dass Gott für alle da ist. Auch für die, 33 die nicht an ihn glauben.«
In der Einleitung klingt das so: »Die Existenz Gottes ist nicht wissenschaftlich belegbar, aber erfahrbar. Wer an Gott glaubt, kann seine Anwesenheit spüren und erfährt, dass Gott jeden Einzelnen von uns beim Namen kennt.«34 (1) In dem Anspiel »Bei Gott ist nie besetzt«35 wird die moderne (Nicht-)Kommunikationskultur aufs Korn genommen. Fazit: Ein Tag ohne Handys wäre ein Tag, an dem brachliegende Beziehungen wieder aufblühen könnten. Erst in der Ansprache erfolgt der Übertritt in die Transzendenz. Echte Kommunikation gibt es mit Gott: »Doch wem sollen wir uns anvertrauen, wenn überall besetzt ist? … Dann können wir beten. Gott hört zu.«36 Opulent werden in diesem Themenbereich Glaubensfragen ausgebreitet, in der Regel im Diskurs – entweder der Gruppe mit Außenstehenden oder auch
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gruppenintern. Dabei hilft die kritische Bibelexegese. Theologische Glaubenssätze verleihen dem eigenen Bekenntnis Worte und Nachdruck. Im Themenbereich 2 »Gesellschaft, Generationen, Jugend« sind sozialpolitische Fragestellungen versammelt: Kindersoldaten, die Ausbeutung der Menschen der Zweidrittelwelt, Werbung und Käuflichkeit, aber auch der Streit der Generationen werden dargestellt, kommentiert und kritisiert. Die Anspiele münden in Appelle, die Missstände wahrzunehmen und dagegen initiativ zu werden. So erarbeiten sich die Dialogpartner im Anspiel »Geiz ist geil – auch wirklich?«37 eine Handlungsmöglichkeit: »KRISTINA: Ich habe mal gehört, die Konsumenten hätten durchaus die Macht, das Handeln der Firmen zu beeinflussen. Sie müssten sich bloß zusammentun, demonstrieren und konsequent die Billigwaren boykottieren. BENNI: Du meinst, die müssten höhere Löhne zahlen? KRISTINA: ja. DOMINIK: Ob das funktioniert? TRINE: Wenn mans nicht versucht, kanns nix werden. JONAS: Auf jeden Fall zeigt das, dass Geiz 38 überhaupt nicht geil ist.«
28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Ebd., 31 ff. Ebd., 32 Ebd. Ebd. Ebd., 33. Ebd. Ebd., 31. Ebd., 35 ff. Ebd., 35. Ebd., 67 ff. Ebd., 70.
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Die christliche Motivation für solch verantwortliches Handeln wird in der Einführung bzw. dann in der Ansprache ausgeführt – »Jesus Christus hat sich stets für die Armen und Unterdrückten eingesetzt. Seinem Beispiel sollten wir folgen, um gegen das Unrecht in der Welt anzukämpfen«39 –; im Spiel aber bleibt sie in der Regel unausgesprochen. »Lebenswahl, Lebenssinn« steht über den Andachten des 3. Bereichs. Sucht, Sekten, Fun – falsche Antworten auf die Frage »Wer bin ich? Wo gehöre ich hin?« werden im Anspiel entlarvt. Gemeinschaft, Gemeinde, Freundschaft, Verständnis, Achtsamkeit und Liebe sind die Gegenmodelle. Nach einem recht einfachen Schema werden die falschen und richtigen Angebote nebeneinandergestellt, verkörpert durch Gruppenmitglieder bzw. »andere«; differenzierend kommt ins Spiel, dass das Umfeld häufig entweder als die Fehlentscheidung fördernd oder sogar verführend in den Blick kommt: Eltern, die keine Zeit für ihr Kind haben, Gruppenzwang, Einflüsterungen. Der Bezug zum Christentum wird wiederum durch Einführung bzw. Ansprache hergestellt, z.B. zum Thema »Sekten«: »Dem gegenüber steht die Kirche. Eine Gemeinschaft, die nichts erzwingt. In der jeder Mensch willkommen ist, so wie er ist. Jeder Einzelne ist ein Kind Gottes. Mit einer eigenen Persönlichkeit, eigenem Willen, Stärken und Schwächen. Aber stets von Gott geliebt.«40 Zu den Festen in Themenbereich 4 haben die Teamer von St. Maria Vorschläge zur Aneignung: • Die matthäische Episode mit den Weise aus dem Morgenland wird neu besetzt: Am Ende wird Jesus nicht
mehr als Kind in der Krippe vorgestellt, sondern als »der Weg«;41 • anlässlich des Pfingstfestes wird die Taufe Jesu bedacht und existenziell gedeutet • und Leidenswege der Menschen heute öffnen den Zugang zu Jesu Leidensweg bzw. finden dort Deutung, Würdigung und Trost: »Auf jedem von uns lastet ein Gewicht, das es zu tragen gilt, bis der Weg zu Ende ist. Doch wie schwer die Last auch sein mag, es gibt jemanden, der uns begleitet und der uns von Zeit zu Zeit hilft, unsere Last zu tragen. Er ist immer an unserer Seite und verlässt uns nicht.«42 Es geht in diesen Anspielen darum, den Geist der kirchlichen Feste erfahrbar zu machen – so auch in einer Diskussion darüber, wie Weihnachten auch mit begrenzten finanziellen Mitteln gefeiert werden kann (Antwort: in guter Gemeinschaft und Solidarität).43
(a) Gott, die Wahrheit und die Lebensführung in der Predigt des Jugendgottesdienstteams St. Maria Über Gott kann man trefflich streiten bzw. gar nicht. Das haben die im Themenbereich 2 vorgestellten Anspiele bereits gezeigt: Verschiedene Gottesbilder werden diskutiert – erwähnt auch die der anderen Religionen – die Unterschiede bleiben stehen und werden begrüßt. Dabei wird bekräftigt: Gott wird verschieden gesehen oder gar abgelehnt – aber er ist dennoch für alle da. 39 40 41 42 43
Ebd., 67. Ebd., 84. Ebd., 127. Ebd., 137. Ebd., 131.
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In den Einführungen von Julia Schmautz findet diese Zuversicht ihre deutlichste Ausgestaltung: Gott steht hinter allen Anspielen als Orientierung und Halt. Gott hört, Gott begleitet, Gott rechtfertigt. Er ist zwar nicht sichtbar, aber spürbar, er gibt Kraft und Mut. Er hat die Welt geschaffen und jeden Einzelnen von uns. Zur Frage der Wahrheit – etwa in Konkurrenz zu den anderen Weltreligionen – betont die »Lehrerin« (!) im Anspiel »Wo gehöre ich hin?«: »Auch wenn die Religionen teilweise sehr weit auseinanderliegen, ist der Grundgedanke doch der gleiche.«44 Die Jugendlichen pochen auf ihr Recht, »selbst zu entscheiden«, und betonen, es gebe auch »Aspekte aus anderen Religionen«, die ihnen »einleuchtend und ansprechend« vorkämen.45 Und: »Die beste Religion gibt es nicht. Nur die für mich beste Religion« (»Lehrerin«). In der Auseinandersetzung mit Sekten jedoch erweist sich das Christentum dadurch als die bessere, die »wahre« Religion, als ihr Angebot im Gegensatz zu anderen Leben fördernd, offen und zweckfrei sei. Komplementär betrachtet zeigen die unterschiedlichen Positionen – zum einen gegenüber anderen Religionen, zum anderen gegenüber Sekten –, dass die Wahrheit einer Religion sich für die Teammitglieder nicht an Dogmen erweist, sondern in der Praxis. Nüchtern formuliert klingt der pragmatische Ansatz etwa bei Trine so: »Wenn man so die ganzen Weltreligionen vergleicht, dann sind die Menschen an sich alle ähnlich. Ob die an einen Gott glauben oder an ganz viele. Deshalb sind die Menschen auch nicht schlechter oder besser.«46
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Großen Raum nehmen in den Anspielen des Gottesdienstteams St. Maria ethische Themen ein, sei es der soziale Zusammenhalt in Familie und Gesellschaft, seien es Frieden und Gerechtigkeit in der Einen Welt, sei es auch die Lebenswahl des einzelnen Jugendlichen. Als Maßstäbe der richtigen Entscheidung werden Gott der Schöpfer, die Taufzusage »Du bist Gottes geliebtes Kind« sowie Leben und Lehre Jesu Christi herangezogen. Angesichts der Tatsache, dass in allen Anspielen, gleichgültig welcher Thematik, Szenen aus der Lebenswelt der Jugendlichen entfaltet werden, können Fragen der Lebensführung/Lebenswahl als das eigentliche und übergeordnete Thema des Teams identifiziert werden – oder anders: wie sich der christliche Glaube im Alltag bewährt. Das Ideal der Gruppe (auch wenn postuliert wird, es gebe keinen »Superchrist«, sondern jeder sei mit seinen »Macken und Fehlern«47 geliebt und anerkannt) ist ein Mensch, der sich einsetzt, vernünftig entscheidet, die anderen im Blick hat, Gemeinschaft hoch hält, seinen Überzeugungen treu ist und um seinen eigenen Glaubensstandpunkt ringt. Als Vorbild empfiehlt sich Jesus Christus, als Rückhalt der unbeirrbar liebende Gott.
(b) Die Einbruchstellen des Glaubens in der Predigt des Jugendgottesdienstteams St. Maria In dem schon vielfach zitierten »Klassengespräch« »Wo gehöre ich hin?« spielt
44 45 46 47
Ebd., 33. Ebd., 20. Ebd., 32. Ebd., 95.
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Teammitglied Philipp die Rolle, die die Gottesdienstgruppe Planig dem »schwarzen Mann« zugewiesen hat. Philipp sagt, er glaube nicht an Gott, und begründet das mit drei Anfragen: Unsichtbarkeit, fehlende Plausibilität, Theodizee. • Ich kann mir nicht vorstellen, dass da oben auf Wolke Nummer-was-weißich ein alter Weißbärtiger allmächtiger Opa sitzt, der auf uns aufpasst. • Keiner hat ihn gesehen, aber jeder glaubt daran, dass er so aussieht. • Da seht ihr den nächsten Unsinn: Drei Personen in einer Person. So was geht nur in nem schlechten Science-FictionFilm. • Ja, was ist das überhaupt für ein Gott, der Schmerz und Tod zulässt?48 Die fehlende Plausibilität hat mit Tradition und Dogma zu tun: Über das Bild vom »alten Mann mit weißem Bart« mokiert sich der Jugendliche ebenso wie über das trinitarische Dogma. Überraschend ist, dass die Mit-Diskutanten keinerlei Versuche unternehmen, Philipps Anfragen zu beantworten. Sie sprechen lieber von eigenen Vorstellungen und Anfragen. Die Lehrerin vertagt zudem ausdrücklich die Theodizeefrage auf die »nächste Stunde«.49 Die einzige Antwort, die Philipp erhält: Er wird, obwohl er sich als ungläubig zu erkennen gibt, nicht ausgegrenzt!50 Es scheint, als sei die Jugendgruppe mit ihrer Aufarbeitung der »Einbruchstellen« noch nicht fertig. Die einzige Antwort, die sie bisher gemeinsam geben können, ist das Postulat Subjektivität. Jeder muss selbst suchen – jeder hat recht. Ein »Dach« bietet ihnen der feste Glaube, den Julia Schmautz in den Einführungstexten stellvertretend für alle formuliert: an einen persönlich begleiten-
den Gott und an das Vorbild Jesu. Wie lange dieses Dach alles zusammenhalten kann, ist abzuwarten.
4.3 Bibel, Theologie und Dogmatik Die Bibel hat eine doppelte Konnotation: verstaubtes Buch einerseits, aktueller Diskussionspartner andererseits. Auch hier wird die Differenz zwischen Gruppe und Herausgeberin deutlich: Der Einleitungstext zum Anspiel »Glauben, was bringt das?« nennt die Bibel als Quelle der folgenden lebhaften Diskussion. Die Teammitglieder äußern sich weniger euphorisch. In einem anderen Anspiel äußert etwa Trine wie nebenbei: »Und ich halte auch nix von der Bibel. Ich finde die so altmodisch.«51 (»Superchrist« wird sie mit diesem Statement freilich nicht …) Die Theologie der Gruppe bzw. der Herausgeberin ist bereits oben unter dem Stichwort »Gott« ausreichend entfaltet. In ihrem augenblicklichen Selbstverständnis ist Gott da – auch wenn er nicht »geglaubt« werden sollte; er hält das Leben in der Hand und jeden Menschen wert und lieb. Aussehen, Art und Erscheinungsform bleiben unreflektiert – auf seine Wirkung kommt es an. Gewisse Dogmen der Glaubenslehre klingen immer wieder einmal an: Es werden Aussagen zur Trinität, Inkarnation, Christologie, Kreuzestheologie und Rechtfertigung gemacht. Dagegen spielen die Auferstehung und die Sakramente (außer Taufe) keine Rolle.
48 49 50 51
Alle: Ebd., 32. Ebd., 33. Ebd., 34. Ebd., 27.
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Steinkühler Glaubensschwerpunkte und Glaubensfragen religiös aktiver Jugendlicher
Christologisch besonders interessant (Drei Könige) ist die Interpretation der matthäischen Weihnachtsgeschichte: »Und da lag auch kein Kind in der Krippe wie einst. Was sie fanden, war die Wahrheit über ihre eigene Persönlichkeit. Sie hatten sich selbst gefunden, den Sinn in ihrem eigenen Leben – in ihrem eigenen Herzen. So, wie es prophezeit war. Denn Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.« Während so die Christologie individualisierend aufgenommen wird, ist im Umgang mit Schöpfungstheologie eine ethisierende Tendenz zu beobachten. Ausgangspunkt einer Diskussion ist das Bibelzitat aus Gen 1: »Machet euch die Erde untertan.« Ein »Pfarrer« betont im Anspiel, das dürfe nicht wörtlich genommen werden: »Wir müssen auf die Schöpfung achten und sie ehren und bewahren. Gott hat den Menschen planvoll erschaffen. … Es war sein Wille, dass … der Mensch ein gutes, liebevolles, verzeihendes Wesen ist. Eure Aufgabe ist es jetzt, in unterschiedlichen Projekten diesen Auftrag Gottes an den Menschen zu erfüllen. Habt ihr Ideen für solche Projekte?«52 So wie die Anspiele in ihrer Gesamtheit vom Thema Orientierung/Lebenswahl dominiert werden, so geschieht es auch mit den Glaubenslehren der Kirche: Erst in der Anwendung erweisen sie ihre Bedeutung. »Praktischer Nutzen vor Bibel vor Dogma« – so kann man den Zugang der Jugendlichen beschreiben.
4.4 Für wen und woraufhin? Entsprechend ihrer Zielsetzung – JugendGottesdienste zu gestalten – zielen die Anspiele des Teams auf die Interessen und
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Fragen Jugendlicher: Junge Menschen auf der Suche nach Sinn, Identität und Orientierung werden in Sprache, Stil und Thematik da abgeholt, wo sie sind – und argumentativ dahin gebracht, sich an Angebote und Maßstäbe des christlichen Glaubens zu halten. Bibel und Gottesdienst werden apologetisch behandelt, christliche Verhaltensnormen aber offensiv vertreten: Dass es besser sei, in seine Zukunft zu investieren anstatt herumzuhängen, mit Freunden zu verkehren anstatt sich hinter Medien zu verschanzen, sich einzusetzen anstatt nur zu verbrauchen, auf innere Werte zu setzen anstatt auf Konsum, das erscheint selbsterklärend. Die kleinen Spiele gehen stets gut aus für die, die sich auf diese Botschaft einlassen. Ein Teil der Anspiele richtet sich aber auch an Erwachsene – Eltern und Angehörige der Jugendlichen vermutlich: Hier wird um Verständnis für die Jugend geworben, insbesondere im Hinblick auf die Pubertät sowie den »Generationenschock«: Früher war alles besser? Wirklich, stimmt das auch?
5. Die beiden Fallgruppen im Vergleich Wenn man, wie wir es an der Universität einüben, seine theologischen Standpunkte in einem Zirkel von Erfahrung, Bibel und Dogmatik gewinnt, so ist bei beiden Jugendgruppen ein Übergewicht der Erfahrung zu konstatieren. Die Gruppe aus Planig fragt, was es zu wissen und zu entdecken gibt, und kommt zu einem je individuellen Urteil. Die Gruppe St. Maria 52 Ebd., 24.
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hingegen fragt, was es »nützt« – der Allgemeinheit sowie dem Fortkommen auf einem Weg zu erfülltem Leben. Beide Gruppen rekurrieren immer wieder auf die in Schöpfung und Taufe greifbare Vorstellung eines Gottes, der jeden Menschen / mich so liebt, wie er ist / wie ich bin. Bis in die Formulierungen hinein (»Macken und Fehler«) gleichen sich hier die Entwürfe. Die Einbruchsstellen des Glaubens sind bekannt, scheinen aber den Kern der Gruppen nicht zu betreffen (das gilt für Planig noch mehr als für St. Maria). Offenbar sind die Erwartungen, die zu Enttäuschungen führen, für die beiden Gruppen kein Thema: Wer nicht erwartet, dass Gott Gebetswünsche umgehend erfüllt, kann unbefangen beten; wer nicht damit rechnet, dass Gott ins politische Geschehen und in die Naturgesetze eingreift, muss die Theodizeefrage nicht stellen. Wer schließlich aufgeklärt genug glaubt, um die Bibel nicht wortwörtlich zu nehmen, und sich mit Symbolen und Symbolsprache auskennt, kann mit biblischen Anthropomorphismen und sogar Widersprüchen und Stolpersteinen umgehen. Der Heilige Geist tritt als Mutmacher in Erscheinung, Jesus ist ein ethisches Vorbild – ohne Kreuz und Auferstehung wäre er dazu, so kann es scheinen, ebenso gut geeignet. Gott ist nicht Vater, aber Beschützer, nicht allgegenwärtig, aber immer bei »mir«, nicht allmächtig, aber für »mich« da – er hat »mich« geschaffen – nicht biologisch, aber ideell. Die Unterschiede zwischen evangelisch und katholisch fallen dabei nur wenig ins Gewicht. Hat es mit der Konfession zu tun, dass die einen eher auf Erfahrung,
die anderen eher auf Ethik ausgerichtet sind? Dass es hier eher ums Nachdenken und Empfinden, dort eher um richtiges oder falsches Handeln geht? Der Stellenwert von Dogmen ist in beiden Gruppen relativ. Allerdings sind die katholischen Jugendlichen mit dem, was sie relativieren, vertraut, während sich die evangelischen Jugendlichen gar nicht erst damit befassen. Beide Gruppen wissen auch um eine aufgeklärte Bibeldidaktik – zur Anwendung kommt sie bei den evangelischen Jugendlichen häufiger und selbstverständlicher, bei den Katholiken selten, dann aber radikal (Mt 2!). Beide Gruppen engagieren sich für den Gottesdienst, laden also ihre Adressaten ein, in die Gemeinde, in die Kirche zu kommen. Dennoch wurde an Beispielen deutlich: Glaube ist Privatsache – ist Haltung, Einstellung, Erfahrung, Gefühl. Hier sind die Jugendlichen der Gottesdienstgruppen sehr nahe bei den anfangs erwähnten Theologiestudierenden. Mitglieder beider Gruppen würden unterschreiben können, was die angehenden ReligionslehrerInnen schreiben: • »Ich glaube so, wie ich es für richtig halte und ich es mit meinem Weltbild vereinbaren kann.« • »Ich glaube an einen Gott, der mir hilft, mich unterstützt, dem ich alles anvertrauen kann. Wie er aussieht, ist mir egal. Er kann viele Namen haben. Für mich ist er einfach nur mein Gott.« • »Jeden Tag werde ich begleitet, nicht nur von anderen Menschen, sondern von etwas, das mir Sicherheit gibt, ohne fassbar zu sein.«
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Christiane Thiel Das Jugendbuch als Medium für eine Theologie für Jugendliche
1. Jedes gute Buch kann zum Theologisieren einladen, wenn die Bedingungen stimmen Voraussetzung, erfüllend mit Jugendlichen (und anderen Zielgruppen) mit Literatur zu arbeiten, ist stets, dass die Kommunikation gelingt, dass sie möglichst vorbehaltlos und offen ist, dass sie von Respekt und Wertschätzung geprägt ist und dass Neugier aufeinander ihr Grundton ist. Unter diesen Bedingungen ist der »Aufhänger« für ein Gespräch über Glauben und Zweifel fast egal, er muss nur passend und einladend sein. Besonders glücklich fügt es sich, wenn er noch dazu aktuell und spannend und in die Lebenswelt der Redenden gehörig ist. Die letzten drei Kriterien kann Jugendliteratur durchaus erfüllen, wobei der Aspekt der Lebensweltlichkeit zurücktreten kann. Im Fall historischer oder internationaler Jugendliteratur, deren kultureller Hintergrund fremd sein mag, oder Jugendliteratur aus dem Phantasy-Bereich bedarf es einer gründlichen Auseinandersetzung mit der dargestellten Welt und ihrer Übersetzbarkeit in die Vollzüge des Lebens der Nachdenkenden.
2. Theologisieren braucht Voraussetzungen Literatur ist lesbares Leben. Insofern ist der Ansatz zum Theologisieren in aller Literatur enthalten, wenn man davon ausgeht, dass das Leben mit Fragen des Glaubens und Zweifelns unbedingt zu tun hat. Allerdings sind nicht alle Lesenden an derartigen Fragen interessiert, erst recht erschließt sich nicht jede Literatur ohne Weiteres solchen Annäherungen. Für die Arbeit mit Jugendlichen gilt darüber hinaus, dass die, die das Gespräch anleiten, von enormer Bedeutung sind. Sind sie für Fragen und Infragestellung offen? Sind sie sprachfähig in Sachen Glauben und Zweifel? Sind sie zum persönlichen Zeugnis bereit? Sind sie glaubwürdig? Sind sie selbst Suchende? Besonders wichtig ist mir, dass die Anleitenden selbst das Buch, die Erzählung, den Text, mit dem sie arbeiten wollen und an dem sie ein Gespräch über Gott und Welt festmachen wollen, lieben. Ich wähle absichtlich das Wort »lieben«, weil es mir in der Tat um bloßes Kennen oder Wertschätzen hinausgeht. Mit Liebe eigne ich mir mehr an als Erkenntnis. In der Liebe liegen Enttäuschung und Glück eng beieinander. Die Liebe macht mich leidenschaftlich, verletzbar und zart. Wenn ich mit Heranwachsenden über Gott und Glauben und
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Religionspädagogische Anregungen
Zweifel ins Gespräch kommen will, muss ich eine leidenschaftlich Liebende sein. Alles andere bleibt Palaver.
3. Gemeindebezogene Jugendarbeit als Ort des Theologisierens mit Jugendlichen Als Protestantin, die in der DDR aufgewachsen ist und unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus zur Christin erzogen wurde, ist mir die Jugendarbeit, deren Schwerpunkt in der Kirchengemeinde liegt, ein Herzensanliegen. In dem, was im Osten »Junge Gemeinde« genannt wird, findet Glaubensbildung und Glaubensprägung statt. Hier ist Raum für Gespräche über Gott und die Welt. Hier kommt es zu Sternstunden des Theologisierens. Die Bedingungen sind optimal. Vor allem sind sie völlig freiwillig. Die Jugendgruppe ist i.d.R. heterogen. Die Begegnungen sind regelmäßig. Das Verhältnis zwischen Leitungsperson (und Team) und Gruppe wächst über Jahre. Das Ziel des Beisammenseins ist ebenfalls klar. Neben dem Freizeitcharakter ist die thematische Arbeit zu Fragen des Alltags und des Glaubens Grundmerkmal der »Jungen Gemeinde«. Das Theologisieren anhand eines literarischen Textes fordert Zeit. Da in der Arbeitsform »Junge Gemeinde« selten über mehrere Abende hinweg an einem Thema gearbeitet wird (die Zusammensetzung der Gruppe darf wechseln), bietet sich das Gespräch mittels eines Jugendbuches vor allem für eine Rüstzeit an. Häufig gehört eine Rüstzeit (oder Freizeit) zum Jahresprogramm einer Jungen Gemeinde und in den meisten Fällen ist eine solche gemeinsame Fahrt von interessanten thematischen Einheiten geprägt.
4. Aktuelle Jugendliteratur und die Fragen nach Glaube und Zweifel Als Mitglied des Vorstandes des »Evangelischen Literaturportal e.V., Verband für Büchereiarbeit und Leseförderung« (eliport), habe ich an einer Arbeitshilfe zu Jugendbüchern für Konfirmations- und Religionsunterricht mitgearbeitet. Ich war Mitglied in der Jury zum Evangelischen Buchpreis und arbeite als Rezensentin für den »Evangelischen Buchberater«, der bei eliport erscheint. Der Evangelische Buchpreis wird jährlich verliehen. Bis 2010 war er ein Spartenpreis, der zwischen Belletristik und Jugendbuch wechselte. Seit 2011 verleihen wir den Preis spartenübergreifend. Zum Preisbuch, das aus von Lesern und Leserinnen eingesandten Vorschlägen ausgewählt wird, wird eine Empfehlungsliste herausgegeben, die weitere Bücher enthält. Leitgedanke bei der Auswahl der Bücher ist die Frage: »Können wir dieses Buch als Christ oder Christin empfehlen?« Die Bücher müssen keineswegs ausdrücklich christliche Inhalte thematisieren, aber sie sollen ihren Gegenstand so beleuchten, dass sie zu Fragen nach Gott, Glaube und Zweifel einladen. In meiner Arbeit für und mit eliport hat sich meine Wahrnehmung als Leserin auf Fragen impliziter oder expliziter Theologie in Literatur verstärkt. Besonders die Suche nach Jugendbüchern, die irgendwie für Religions- und Konfirmationsunterricht geeignet sind, hat sich als mühselig erwiesen. Natürlich gilt, was ich unter 1. und 2. geschrieben habe, aber es muss ausdrücklich festgestellt werden, dass literarisch anspruchsvolle Jugendliteratur i.d.R. ohne expliziten Ausdruck christlicher Religion auskommt. Das sieht beim Befund jüdischer oder muslimischer
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Thiel Das Jugendbuch als Medium für eine Theologie für Jugendliche
Religiosität ganz anders aus. Ich habe keine Erklärung dafür, wie das kommt. Ich habe diesen Tatbestand jedenfalls mit großem Bedauern festgestellt. Auch in den letzten Jahren hat sich in diesem Bereich keine Veränderung ergeben. Zwar mag Jane Teller in »Nichts«1 einen frömmlerischen Jungen einführen, der auf dem Berg der Bedeutung das Kruzifix der Ortskirche zu opfern hat, als Ausdruck expliziter Religiosität würde ich diese Szene nicht ansehen, so wie ich das ganze Buch nicht als Einladung zum Theologisieren ansehen würde, weil ihm außer einem schonungslosen Blick auf die scheinbare Sinnlosigkeit allen menschlichen Bemühens keine den Blick weitende Perspektive auf ein gutes Leben gelungen ist. Denn – das wird an meiner Einschätzung dieses Buches unschwer deutlich – meine Zielsetzung bei einem Gespräch mit Jugendlichen über Gott, Glaube und Zweifel ist, Mut zum Glauben und Zweifeln zu wecken. Das Leben im Glauben soll als eine lebenswerte Form des Lebens entdeckbar, Gottvertrauen als eine gute Lebensgrundlage ins Spiel und ins Gespräch gebracht werden. Ich suche also nach Büchern, die das möglich machen.
5. Ein Klassiker2, eine Geschichte, eine Hoffnung Wenn ich mit Jugendlichen zu einem Jugendbuch arbeite, dann wähle ich meistens Chaim Potoks »Zebra« und daraus besonders »Nava«3, die Geschichte eines Mädchens, dessen Vater mit einem indigen Schamanen befreundet ist, der ihm im Vietnamkrieg das Leben gerettet hat. Diese Lebensrettungsgeschichte4 dient als Aufhänger zu weiteren Gesprächen. In der Gegenwart der Geschichte wird Nava
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von einem Drogendealer bedroht. Sie sucht Hilfe bei ihrem Vater. Der Konflikt gewinnt an Spannung. Nava wird Opfer eines Überfalls. Sie wehrt sich mit den Griffen und Kniffen, die ihr Vater ihr beigebracht hat, trotzdem ist sie unterlegen. Ein Passant kommt ihr zu Hilfe. In die erzählte Gegenwart hinein verwebt Potok die Lebenserinnerung des Vaters, dessen tiefe Freundschaft zu seinem Lebensretter und die Weltsicht der Navajos auf kunstvolle Weise. Der Punkt, an dem sich ein Gespräch über Gott, Glauben und Zweifel entwickeln kann, ist zum einen die Geschichte der Lebensrettung, aber auch die Einblicke in die Welt der Indianer, deren Vorstellung von kosmischer Harmonie, dem Wesen des Bösen und der Kraft des Guten. Das Thema Lebensrettung verweist auf das Gottes- und Menschenbild der Navajos, deren tiefe Weisheit über das Leben, trotz aller Entbehrungen. Im Gespräch gilt es den Zusammenhang von Mensch und Lebenswert zu ermitteln, insbesondere im Zusammenhang mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.
6. Entwurf zur Arbeit mit Chaim Potok: »Zebra« und Lk 10, 25–37 (Barmherziger Samariter) Die nachfolgende Gliederung ist ein Vorschlag für eine längere Beschäftigung mit
1 Janne Teller, Nichts was im Leben wichtig ist, München 2010, besonders 76–83. 2 Chaim Potok, Zebra. Geschichten aus Amerika, München 2004. 3 Ebd., 103–136. 4 Ebd., 105–106.
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Religionspädagogische Anregungen
1. Stilleübung mit Klangschale. (Ziel: Ankommen, Ruhig werden, Hören.) 10 Minuten 2. Vorlesen: S. 103–104, S. 113–114 (Die Bedrohung durch den Dealer wird hörbar.) 3. Gespräch I/Themeneinheit I: Wie gehe ich mit Bedrohungen um? Welche Wege sind denkbar, um in einer solchen oder ähnlichen Situation nicht in die Ausweglosigkeit zugeraten? (Ziel: Partner und Partnerinnen im eigenen erkennen, mit denen Auswege gesucht werden können.) 90 Minuten 4. Stilleübung 5. Vorlesen: S. 104–108 (Rettungsgeschichte des Vaters) 6. Gespräch II/Themeneinheit II: Zusammentragen, was die Gruppe über den Vietnamkrieg weiß. Was müssen wir über das Verhältnis der Navajos (den »nativ americans«) und der Weißen in den USA und ihrer Geschichte wissen? Welchen Wissensstand gibt es in der Gruppe? (Ziel: Entdecken, dass die Rettung des Vaters durch den Navajo durch die Umstände und Hintergründe noch bedeutender und überraschender wird.) 90 Minuten 7. Stilleübung 8. Vorlesen: »Als Dad mir zum ersten Mal diese Geschichte erzählte, fragte ich ihn, was das Böse genau sei. Er sagte, die Navajos sähen die Welt als eine harmonische Schöpfung an, und alles, was diese Harmonie störe, sei böse.«5 9. Gespräch III/Themeneinheit III: Gesprächseinheit über die eigenen Wahrnehmungen des Bösen und des Guten. Zusammentragen mittels Moderationskarten, welche Erfahrungen zum Stichwort »Böses« die Jugendlichen haben und wie sie sie deuten. (Ziel: Die Vielfalt der Deutungen entdecken und zugleich erfahren, dass das Benennen von Phänomen hilfreich und gut ist.) 90 Minuten 10. Stilleübung 11. Vorlesen : S. 104–108 (Rettungsgeschichte des Vaters zum zweiten Mal.) 12. Gespräch IV/Themeneinheit IV: Gespräch über Mutmaßungen zum Verstehen der Beweggründe des Navajo, dem weißen Soldaten unter den gegeben Bedingungen zu helfen. Leitfrage: Warum hilft er? Vertiefung: Was gibt ihm den nötigen Mut und die nötige Kraft dafür? (Ziel: Entdecken, dass das Welt- und Lebensbild, das ein Mensch hat, unmittelbare Auswirkungen auf seine Handlungen hat. Der Navajo-Heiler besiegt das Böse, wenn er Leben rettet. Für ihn gibt es dabei keine Unterscheidung zwischen Weiß und »nativ«, denn auch die Weißen gehören in die kosmische Harmonie der Schöpfung.) 90 Minuten 13. Stilleübung 14. Themeneinheit V: Die Bibel und Lk 10 14.1 Text lesen in verschiedenen Inszenierungen (an verschiedenen Orten, mit verschiedenen Stimmen) 14.2 Text austeilen und allein lesen und erarbeiten (Klares und Unklares unterscheiden.) 14.3 Plenum und Austausch zunächst unter der Fragestellung: Ist die Geschichte klar? 14.4 Gespräch in Dreiergruppen: Stellt einen Zusammenhang zwischen Lk 10 und der Rettungsgeschichte aus »Nava« her. (Text Potok, S. 104–108 als Kopie austeilen.) Gibt es Überschneidungen? Ähnlichkeiten? Widersprüche? Macht Euch Notizen und bereitet einen Beitrag für das Plenum vor. 30 Minuten 14.5 Gespräch und Austausch im Plenum über 14.4. 60 Min (Je nach Gruppengröße kann mehr Zeit benötigt werden.) 14.6 Vertiefung unter der Leitfrage: Wie kommt das alles unter dem Glauben an Gott zusammen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Glauben und Handeln? Wenn ja, welchen? Wie sieht das in meinem eigenen Leben aus? Habe ich genug Mut, fehlt es mir an Kraft? (Ziel: Über den eigenen Glauben nachdenken und dessen Relevanz vertiefend verstehen.)
5 Ebd., 108.
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dem Text. Die Stilleübungen gehören grundsätzlich zu meiner Arbeitsweise. Die Heranwachsenden werden angeleitet, in die Stille zu gehen und sie nach einer Weile (2–3 Minuten) mit Hilfe der Klangschale wieder zu verlassen.
7. Erfahrungen und Zusammenfassung Sechs Jahre lang habe ich als Stadtjugendpfarrerin in Leipzig gearbeitet, wobei zahlreiche Rüstzeiten zu meinem Jahrespensum gehörten. Ich habe immer mit den Gruppen inhaltlich gearbeitet, wiederholt auch zum oben genannten Buch, in Auszügen dem Entwurf folgend, einzelne Einheiten herausgreifend. Meine Erfahrungen sind durchweg positiv. Die Geschichte lädt in ihrer Breite zum Nachdenken und Theologisieren ein. Sie hat eine Schwäche, die literarischer Art ist: in manchem ist die Geschichte sprachlich für heutiges Empfinden Jugendlicher zu hölzern. Bedauerlich ist auch an ihr, dass ein explizit christlicher Bezug aus dem literarischen Text allein nicht zu gewinnen ist. Er muss entweder allein durch Intervention oder durch – wie hier vorgeschlagen – Ergänzung eines biblischen Textes hergestellt werden. Wie ich unter 4. festgestellt habe, gibt es keine literarisch überzeugenden Beispiele aktueller Jugendliteratur, die in irgendeiner Weise explizit christliche Theologie oder christlichen Glauben als Bestandteil der dargestellten Lebenswelt reflektieren würde.
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8. »Das Jahr, in dem ich 13 einhalb war«6 Die Beschäftigung mit Jugendliteratur und mein Leben als Leserin haben mich dazu gebracht, selbst ein Jugendbuch zu schreiben In diesem Buch habe ich versucht, zum einen die Lebenswirklichkeit in der völlig säkularisierten Wirklichkeit einer ostdeutschen Stadt (Leipzig) darzustellen, zum anderen die Spuren christlichen Lebens und Denkens in einer solchen Welt auffindbar zu machen. Mir ging es um die glaubwürdige Darstellung von liebenswerten Menschen, die in aller Gegenwärtigkeit und Lebenstüchtigkeit sich trotzdem als Christen und Christinnen zu erkennen geben.
9. »Mein Gott und ich. Ein Roman über die Weltreligionen«7 Der Verlag Arena trat einige Zeit nach Erscheinen von »Das Jahr, in dem ich 13 einhalb war« an mich mit der Frage heran, ob ich ein Jugendbuch mit Story über die Weltreligionen schreiben könnte. Ich habe mich an den Entwurf eines Plots gesetzt und dabei ist oben genannter Roman entstanden. Sein Gegenstand ist ein Wettbewerb, der sich als Antwort auf die Ausbreitung religiös fundamentalistischer Tendenzen versteht. Die Jugendlichen, die an ihm teilnehmen und von einer Jury als Siegende ausgewählt werden, haben die Möglichkeit, selbst eine Woche lang
6 Christiane Thiel, Das Jahr, in dem ich 13 einhalb war, Weinheim 2007. 7 Christiane Thiel, Mein Gott und ich. Ein Roman über die Weltreligionen, Würzburg 2009.
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Religionspädagogische Anregungen
in ganz unterschiedlich religiös geprägten Familien mit zu leben. Darüber berichten sie in einem Blog. Die Lesenden erfahren etwas über die Religionen und deren Wirklichkeit in Deutschland heute und zugleich begegnen ihnen durch die Perspektive der schreibenden Jugendlichen gefiltert und kommentiert Menschen, die einen Glauben leben.
10. Fazit Literatur ist erzähltes Leben. Wenn Gott, Glaube und Zweifel zum Leben gehören, werden sie auch in der Literatur zu finden sein. Auch in der Jugendliteratur. Eine Recherche lohnt sich. Lesen lohnt sich. Und Glauben sowieso.
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Tobias Petzoldt WortWerkStattFlüstern – Chancen einer Schreibwerkstatt Ein Plädoyer für das angeleitete Schreiben mit jungen Menschen
Ich möchte gern was schreiben, Das ewig könnte bleiben; Denn alles andere Treiben Will nur die Zeit vertreiben. Clemens Brentano1
Schreiben ist Ventil. Schreiben macht frei. Schreiben verbindet. Auf diese kurze Formel lässt sich bringen, was sich bei einer Schreibwerkstatt, also beim angeleiteten Verfassen von kurzen Texten in Form von festen und freien Schemen, mit jungen Menschen ereignet. Auf christlichen Freizeiten, bei Bildungsmaßnahmen und im Rahmen von Camps, Jugend- und Kirchentagen sind Schreibwerkstätten gern besuchte Workshops. Denn dass das Schreiben und Dichten bei vielen Jugendlichen alles andere als »out« ist, zeigen lyrisch anmutende Statusmeldungen in sozialen Netzwerken und literarisch angelegte Blogs im Internet ebenso wie die hohe Teilnehmerzahl junger Menschen bei literarischen Veranstaltungen wie Poetry Slams.2 Aus eigenen Erfahrungen des Verfassers beim Anleiten von Schreibwerkstätten sollen nachfolgend die Chancen von einem solchen Workshop mit jungen Menschen benannt und dazwischen einige Hinweise zum Gelingen angeführt werden.
Chance: Wenig Aufwand Ganz pragmatisch kann zunächst festgestellt werden, dass eine Schreibwerkstatt – sieht man von möglichen Honorarkosten für einen erfahrenen Begleiter ab – finanziell und materiell mit wenig Aufwand durchzuführen ist. Anders als andere kreative Workshops, die oft mit viel Materialund Medieneinsatz einhergehen, braucht es für eine Schreibwerkstatt allein Papier, Stifte und einen einigermaßen ruhigen und abgeschlossenen Raum. Letzterer ist wichtig, um eine möglichst hohe Konzentration auf den Schreibprozess zu ermöglichen. Gut ist es für einen störungsfreien Ablauf zudem, wenn die Teilnehmenden an Tischen sitzen können. Für ansprechende Ergebnisse braucht es mindestens zwei Stunden Workshopzeit.
Chance: Vertrautheit und Öffnung Wenn junge Menschen miteinander kreativ schreiben, geben sie oft viel von sich
1 Clemens Brentano (1778–1842): »Im Namen Jesu«. 2 Poetry Slam: Literarischer Vortragswettbewerb, bei dem selbstgeschriebene Texte in spezifischer Performanz innerhalb einer bestimmten Zeit dem Publikum vorgetragen werden.
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preis. Dieser wichtiger »Nebeneffekt« einer Schreibwerkstatt muss durch den Anleiter / die Anleiterin sensibel begleitet werden. Nur in einem einigermaßen vertrauten Umfeld kann jene Öffnung stattfinden, die es für kreatives Schreiben braucht. Darum sollte die Gruppe überschaubar bleiben. Ideal sind Gruppengrößen von acht bis fünfzehn Menschen. Eine Schreibgruppe muss im Lauf des Werkstattprozesses geschlossen sein, für Laufpublikum eignet sich eine Schreibwerkstatt nicht. Eine geschlechtsheterogene Zusammensetzung der Gruppe bietet für Verlauf und Ergebnis der Schreibwerkstatt nach Erfahrung des Verfassers übrigens eher einen Mehrwert denn einen Nachteil.
Chance: Soziale Begegnungen Beim gemeinsamen kreativen Arbeiten kommt man leicht und schnell mit anderen Menschen in Kontakt. Wenn sich die neu zusammengekommene Gruppe auch zunächst fremd ist und etwaige dichterische Vorerfahrungen verschieden sind, so werden sich nach den ersten Schreibrunden schnell Berührungsängste abbauen. An erster Stelle des Schreib- und Gruppenprozesses steht darum auch bei einer Schreibwerkstatt die persönliche Vorstellung. Diese kann bereits kreativ erfolgen, z.B. in Form einer Abstraktion (»Das bin ich – als Musikinstrument, als Pflanze, als Tier, in zehn Jahren«). Für das nachfolgende Geschehen eignen sich Schreibspiele, die ein Gruppenergebnis als Ziel haben. Einzelarbeiten sollten dann in späteren Schritten folgen.
Chance: Vielfältiger Kompetenzerwerb Grundsätzlich hat eine Schreibwerkstatt in der non-formalen pädagogischen Praxis das vordergründige Ziel, Schreibkompetenzen bei jungen Menschen zu wecken und diese mit zielleitenden Hinweisen zu Schreibtechniken zu erweitern. Daneben geht es aber auch um die Beschäftigung mit Inhalten, mit der eigenen Person und darum, mit den eigenen Gedanken und Schreibergebnissen nach außen zu gehen. Bei einer Schreibwerkstatt mit Jugendlichen macht es deshalb wenig Sinn, theoretische Grundlagen für »gute« Texte zu entfalten. Vielmehr soll das Ziel sein, die Teilnehmenden durch eine abwechslungsreiche Methodik zu ermuntern, mögliche Hemmnisse abzulegen und die Gedanken und Stifte kreisen zu lassen. Dies sollte nach einem festgelegten Rahmen geschehen: So kann man zum Beispiel zum freien Schreiben einladen, während im Hintergrund Vogelstimmen eingespielt werden, ein Metronom vor sich hin tickt oder sich auf dem Tisch in der Mitte eine »Rose von Jericho« entfaltet. In weiteren Schritten können dann unterschiedliche Möglichkeiten des freien Schreibens unter einem bestimmten Thema bzw. Impulse zur Erarbeitung von Lyrik eingebracht werden. Dass dabei die Ergebnisse der Teilnehmenden nicht gegeneinander auf- und abgewertet werden, versteht sich von selbst. Für junge Leute ist es übrigens oft eine besondere Erfahrung, längere Texte immer mehr zu verknappen und so im besten Wortsinn zu ver-dichten. Dazu können vorgegebene Lyrikformen (z.B. Haiku, Elfchen, 160-Zeichen-SMS) ebenso dienen wie eine schrittweise Verknap-
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Petzoldt WortWerkStattFlüstern – Chancen einer Schreibwerkstatt
pung des freien Textes, bis am Ende nur eine festgelegte Zahl an Wörtern übrig bleibt.
Chance: Echte inhaltliche Partizipation Besonders interessant wird es bei Schreibwerkstätten immer dann, wenn der Titel einer Veranstaltung mit der inhaltlichen Ausrichtung der zu schreibenden Texte korreliert. So können sich beispielsweise auf einem Jugendcamp oder Jugendtag die Jugendlichen mit dem Thema oder Motto der Gesamtveranstaltung auf ganz persönliche Weise in der Schreibwerkstatt auseinandersetzen. Die Grundsätze evangelischer Jugendverbandsarbeit »Subjektorientierung« und »Partizipation« könnten kaum besser verwirklicht werden!3 Daneben kann bei einer Schreibwerkstatt zudem in guter und individueller Weise eine Begegnung der Teilnehmenden mit geistlichen Grundlagen stattfinden. Möglich ist z.B., einen Bibeltext oder einen Bibelvers umzuschreiben oder neu zu erzählen. Spannend und persönlich zugleich wird es, wenn biblische Psalmtexte in heutige Sprach- und Lebenswelten übertragen bzw. »neue Psalmen« oder andere Gebete verfasst werden.
Chance: Selbsterkenntnis Schreiben dient auch der Selbsthygiene und führt nicht selten zu neuen Erkenntnissen auch über sich selbst. Wenn junge Menschen schreiben, kommen oft sehr persönliche und mitunter auch verborgene Gefühle und Gedanken an die
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Oberfläche. Darauf sollte der Begleiter / die Begleiterin der Werkstatt vorbereitet sein. Dennoch ist eine Schreibwerkstatt keine Selbsthilfegruppe, in der beschriebene Gefühle im Gruppengespräch aufgearbeitet werden können. Vielmehr geht es darum, durch gemeinsames Lesen und Zuhören den persönlichen Gedanken Raum zu geben. Möglicherweise besteht nach dem Schreibereignis noch die Chance, einzelne Teilnehmende zu besonderen Inhalten anzusprechen bzw. ihnen auch seelsorgerisch begegnen zu können.
Chance: Selbstwirksamkeitserfahrungen Junge Menschen brauchen Selbstwirksamkeitserfahrungen.4 Gut ist es darum, wenn Teile der entstandenen Texte einem größeren Publikum präsentiert werden können. Für den Leiter / die Leiterin der Schreibwerkstatt bedeutet dies, mit den beteiligten Jugendlichen zu prüfen, wer Teile seine Texte vortragen möchte (dies sind in der Regel längst nicht alle Teilnehmenden), gemeinsam eine Auswahl der Texte zu treffen und eine kleine Dramaturgie aus den zu präsentierenden Ergebnissen zu erstellen. Bei Jugendtagen ist es gut möglich, die Ergebnisse der Werkstatt in die Abschlussveranstaltung oder einen folgenden Jugendgottesdienst einzubringen und dort von den jugendlichen Verfassern vortragen zu lassen. Bei vergangenen 3 Vgl. Mike Corsa/ Michael Freitag, Jugendliche als Akteure im Verband, Hannover, 2 2006. 4 Vgl. Kirche und Jugend. Eine Handreichung des Rates der EKD. Gütersloh, 2010.
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Religionspädagogische Anregungen
Deutschen Evangelischen bzw. Ökumenischen Kirchentagen hat sich dafür das Format einer »Poetischen Nacht« bewährt.5 Auch im Konfirmandenunterricht lassen sich zu bestimmten Themen kleine Gedichte oder Gebete verfassen, die dann im nächsten Gottesdienst einen Platz finden.
Fazit »Ich hätte nie gedacht, dass ich selber Gedichte schreiben kann. Und dass die anderen meine Sachen ganz gut finden würden. Hier bei der Wortwerkstatt habe ich mir zum ersten Mal Gedanken über das Kirchentagsthema6 gemacht – und welche Hoffnung ich gerade brauche«, so die Aussage einer Teilnehmerin der Schreibwerkstatt »Hoffungsschimmer« beim Ökumenischen Kirchentag in München 2010. Eine Schreibwerkstatt ist also ein Prozess, der den Teilnehmenden neue Erkenntnisse bei der Beschäftigung mit der eigenen Person, mit der Methode, mit dem Inhalt und mit anderen Menschen verleiht. Freilich ist ein solch spezielles kreatives Arbeiten, wie es im Rahmen einer Schreibwerkstatt geschieht, selten ein Angebot für die Masse. Dennoch lassen sich oftmals auch junge Menschen,
die mit lyrischem Schreiben ansonsten wenig zu tun haben, nach anfänglichen Berührungsängsten gern auf kreative Schreibprozesse ein. Dabei können sie viel lernen – über das Thema, über die Dichtkunst und vor allem über sich selbst. So kann eine angeleitete Schreibwerkstatt im Rahmen einer jugendverbandlichen Maßnahme für einen jungen Menschen ein schönes und besonderes Erlebnis werden. Und möglicherweise eröffnet ein solches Ereignis sogar neue Blickwinkel auf das Göttliche – ganz in der Tradition derer, die vor unserer Zeit ihre Gedanken zu Papier brachten.
Drum schreib ich einen Namen, Drum lieb ich einen Namen Und leb in einem Namen, Der Jesus heißt – sprich Amen. Clemens Brentano7
5 Teilnehmende der Schreibwerkstatt bringen dabei ihre Ergebnisse im Rahmen einer Gesamtdramaturgie aus Liedern und Lyrik mit dem Leipziger PoetryRock-Projekt »zwischenFall« (www.zwischenfall.net) gezielt ein. 6 »Damit ihr Hoffnung habt.« 2. Ökumenischer Kirchentag München, 2010. 7 Clemens Brentano (1778–1842): »Im Namen Jesu«.
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Buchbesprechungen
■ Heinz Streib / Carsten Gennerich: Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher, JuventaVerlag, Weinheim 2011 »Religion gehört zu den großen gesellschaftlichen Themen, denen gegenüber sich Jugendliche in der Adoleszenz neu ins Verhältnis setzen.« Dieser Eingangssatz aus dem zu rezensierenden Werk macht neugierig, zumal die beiden Autoren, die Religionspädagogen Heinz Streib (Bielefeld) und Carsten Gennerich (Darmstadt) durch ihre Arbeiten auf dem Gebiet der empirischen Jugendforschung, der Religionssoziologie wie der religionspädagogischen Zusammenführung, Integration und Fruchtbarmachung von soziologischen, empirischen, theologischen und praktischen Aspekten als führende Fachspezialisten im deutschen und im angelsächsischen Sprachraum bewandert und bekannt sind. Hinsichtlich der Religion stellt sich den Heranwachsenden nach Streib/Gennerich im Jugendalter die Aufgabe, »religiöse Kindheitsmuster zu überarbeiten und Gott und die Welt neu zu erfinden, auch wenn diese Neukonstruktion kein Gesamtsystem und Gesamtkunstwerk ist, sondern vielmehr Patchwork bleibt.« (24) Die Konturen nachzuzeichnen, auf welche (vielfältige) Weisen sich Jugendliche dieser Aufgabe stellen und zu welchen (unterschiedlichen) Lösungen sie gelangen,
ist Ziel und Zweck der Veröffentlichung, und sie realisiert dies in vier großen Teilen oder Blöcken. Der erste Teil (13–54) widmet sich in zwei Kapiteln den Grundvoraussetzungen, zum ersten in theoretischer Hinsicht dem Religionsbegriff, im zweiten in praktischer dem empirischen Zugriff der religionssoziologischen Jugendforschung. Im ersten Kapitel (13–31) favorisieren die Autoren gegenüber der üblichen Dualität von substantiellem vs. funktionalem Religionsbegriff einen »diskursiven«, der einen dritten, innovativen Zugang zur Religion eröffnet mit der Frage »Was geht dich letztendlich an? / What concerns you ultimately?« (17) Um die gegenwärtige plurale religiöse Situation griffig und typologisierend fassen und strukturieren zu können, haben beide Autoren unterschiedliche Schemata entwickelt bzw. aufgenommen und weiter entfaltet, die sie nun auf konstruktive Art zusammenführen. Streib arbeitet mit dem »religiösen Feld«, das 5 bzw. 4 Formen von »Religiosität« konturiert: Kirchen(1) sowie Sektenverbundenheit (2), mystische, also traditionelle (3a) sowie religionskritische (3b) Spiritualität und zuletzt ein säkulares Selbstverständnis (4) (24–27, Tabelle 26). Gennerich verwendet das (auf Schwartz zurückgehende) Wertefeld mit den vier Polen »Bewahrung« vs. »Offenheit für Wandel« auf der x-Achse sowie »Selbststeigerung« vs. »Selbsttranszendenz« auf der y-Achse, die dann
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insgesamt vier Wertefelder aufspannen (27–29, Grafik 28). Die Kombination bzw. »Zusammenschau« bietet dann folgendes Bild: die kirchliche Religiosität rechts oben (also bewahrend-selbstranszendierend), die sektengebundene (mit Abgrenzung nach außen und starker Kontrolle nach innen) rechts unten; die Spiritualität – religionsaffin oder -kritisch – links oben, das säkulare Selbstverständnis (selbststeigernd-offen) schließlich links unten (29–31, Grafik 30). Im zweiten Kapitel (32–54) wenden sich die Autoren der (im Vergleich zum US-amerikanischen Raum) hierzulande eher selten gestellten soziologisch-empirischen Frage nach der Religiosität Jugendlicher zu. In diesem Zusammenhang stellen sie vorrangig (aber nicht nur) die eigene Bielefelder Online-Befragung Jugend & Religion vor (online erste Hälfte 2009), mit Fragen erstens zur demographischen Einordnung, zweitens zu religiösen Erfahrungen und Vorstellungen (darunter dem »Religious Schema Scale«, einer Weiterentwicklung des Fowlerschen Modells der Glaubensentwicklung durch Streib) und drittens zur (Schwartzschen) Werteskala (in der deutschen Kurzform nach Strack). Die Teilnehmer/innen waren 12–27 Jahre, im Durchschnitt gut 18 ½ Jahre alt, mehrheitlich weiblich, vom Status her in der Mehrzahl Schüler/innen, davon wiederum eine Mehrheit Gymnasiast/innen. Zur Auswertung bedienten sich die Autoren qualitativer wie quantitativer und schließlich »triangulierender« Methoden, bei denen qualitative sowie quantitative Schritte konstruktiv »vermittelnd« aufeinander bezogen werden. Die unterschiedlichen, in vielerlei Hinsicht interessanten generellen Ergebnisse der Befragung können hier nicht
alle dargestellt werden; genügen müssen drei kurze Hinweise auf den Befund, dass sich Jugendliche tendenziell eher als »religiös« denn als »spirituell« bezeichnen, auf die Zusammenhänge von Gottes- und Weltbildvorstellungen sowie auf die deutlich erkennbaren Korrelationen zwischen Religiosität und sozialen Einstellungen. Eine wichtige Folgerung aus dem Befund der Vielfalt im jugendlichen Religionsverständnis und in den angedeuteten Korrelationen lässt sich mit der paradoxen Formulierung ausdrücken, dass – pauschal gesprochen – »Religiosität nicht gleich Religiosität ist« (54), also Religion in einer Form zu eher sozial förderlichen, in einer anderen zu sozial nicht dienlichen, mitunter aber auch zu recht ambivalenten Folgen führen kann. Dieser Gedanke wird im dritten Block nochmals aufgenommen und dort anhand einzelner Themenstellungen konkretisiert. Block B (der zweite, mittlere und umfangreichste Teil des Bandes, 57–128) behandelt in vier Kapiteln (Kap. 3–6) die vier herausgearbeiteten Typen von Religiosität: Kirchenreligion, Sektenreligion, Spiritualität bzw. nicht-institutionalisierte Religiosität und zuletzt Säkularität vorrangig anhand einzelner Fallstudien, also auf qualitative Weise, jedoch wiederum unter Einbeziehung quantitativer Ergebnisse auch aus anderen Studien. Große Religionsgemeinschaften, so zeigt sich, haben (immer) noch »einigermaßen stabile religiöse Milieus von Jugendlichen«, wenn auch mit Tendenzen zu »Abwanderungen«; im Blick auf die Sektenmentalität mit einer relativ kleinen Anhängerschaft unter Jugendlichen lässt sich weitgehend »Entwarnung« geben; ein Trend zu einer spirituellen, nicht-gebunden bzw. »fluiden« Form von Religiosität ist unverkennbar – wenn auch für
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Deutschland keineswegs von einer »spirituellen Revolution« gesprochen werden kann wie für die USA –, wobei hier weniger an Esoterik und New Age als an (Grenz- )Erfahrungen mit Drogen oder Ekstase zu denken ist. Ein eigenes Kapitel (Kap. 7) ist schließlich der Religiosität islamischer Jugendlicher gewidmet, wobei hier zwar ein größerer Konservativismus festzustellen ist, jedoch keineswegs in dem Maß, dass damit ein »Sonderfall« vorläge, wie immer wieder behauptet (113–128). Der dritte Teil (131–178) greift wiederum auf die Bielefelder Online-Studie sowie weitere Bielefelder und andere empirische Studien zurück (u.a. insbes. auch auf Feige/Gennerich 2008 zur Berufsschule) und konkretisiert die Frage nach der Religion in drei Kapiteln (Kap. 8–10) anhand von drei wichtigen Funktionsbereichen von Religiosität in der Adoleszenz: erstens »Gesundheit und Unversehrtheit«, zweitens Todes- bzw. Nachtodvorstellungen und drittens Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Empirische Studien geben Hinweise darauf, dass (bestimmte Formen von) Religion (nicht aber bereits Religion »an sich«) für die eigene Selbstbewertung (die generell deutlich besser ist als weithin angenommen) eine Rolle spielen kann – insbesondere bei der konstruktiven »Bearbeitung von Selbst-Diskrepanzen« (140) –, ebenso wie auch für die Gesundheit von Jugendlichen generell (131–142, Kap. 8). Bei den Todes- bzw. Nachtod-Vorstellungen (143–164, Kap. 9) finden sich zwei große Gruppen, die zum einen den Tod als absolutes Ende des Lebens sehen, zum andern an ein Weiterleben im Himmel glauben (eine dritte, kleine Gruppe hängt der Reinkarnationslehre an), mit zwei
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auffälligen Tendenzen: zum einen steht der Glaube an ein Weiterleben im Himmel mit einem personalen Gottesbild vor allem mit positiver Füllung (Gott als Helfer, Liebe Gottes) in Korrelation und umgekehrt die Vorstellung vom Tod als definitivem Ende mit einer unpersönlichen Gottesvorstellung (oder der Ablehnung eines Gottesglaubens); zum zweiten nimmt die Vorstellung vom Tod als absolutem Ende mit zunehmendem Alter zu, ein Trend, der sich im Erwachsenenalter aber wieder umzukehren scheint, so dass die Autoren schlussfolgern, dass im höheren Jugendalter (aber ca. 18 Jahren) tendenziell ein »agnostisch-atheistisches Durchgangsstadium« durchlaufen wird, »das geprägt ist durch die Faszination von der neu erworbenen Fähigkeit, individuierend zu reflektieren und Kindheitsmuster hinter sich zu lassen« (164) (vgl. Stufe 4 nach Fowler). Sehr überzeugend wird beim Zusammenhang von Religion und Gewalt bzw. Xenophobie (165–178, Kap. 10) deutlich, dass eben nicht Religion gleich Religion bzw. Religiosität gleich Religiosität ist, dass man vielmehr differenzieren muss. Während nämlich eine personale Gottesvorstellung einerseits deutlich mit einem deeskalierenden (aktiv-mediativen) Streitverhalten korreliert, so auf der anderen Seite ebenso mit einer deutlichen Islamophobie (und hier besonders die Vorstellung von Gott als Erlöser und als Richter). Die Autoren ziehen darauf die »Schlussfolgerung: Die Religion der Jugendlichen sollte in die Schule gehen. Religiöse Kognitionen, die Gewalt und Fremdenfeindlichkeit verursachen oder verstärken, müssen bearbeitet und können verändert werden.« (178) Ein letzter, vierter Teil (181–186) bietet einen Ausblick und formuliert in
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einem abschließenden Kapitel (Kap. 11) »Zukunftsperspektiven« für die Erforschung der Religiosität Jugendlicher, die teilweise mühelos auch auf die religionspädagogische Praxis angewendet werden können: zum einen gilt es, die »Vielfalt der Religiosität Jugendlicher in den Blick [zu] bekommen« (181), zum andern, die »Lebensbezüge adoleszenter Religion wahr[zu]nehmen« (183). Insgesamt stellt der kompakte, übersichtliche, auch ohne großes Spezialwissen auf dem Feld quantitativer und qualitativer Forschung gut les- und verstehbare Band eine große Bereicherung, ja einen Meilenstein auf dem gegenwärtigen Weg einer intensiven und umfassenden Erforschung der Religiosität Jugendlicher dar, zum einen hinsichtlich der theoretischen Fundierung und Ausrichtung eines (diskursiven) Religionsbegriffs, zum zweiten eines kundigen Überblicks und einer Zusammenführung bisheriger empirischer Forschung zum Thema und zum dritten im Blick auf die Darstellung der reichhaltigen Ergebnisse der eigenen (Bielefelder) Studie zur Religiosität Jugendlicher. Das in jeder Hinsicht gelungene Werk kann nicht nur der im Bereich von Praktischer Theologie/Religionspädagogik angesiedelten, sondern auch der allgemeinen Jugendforschung wichtige Anregungen geben, die in Zukunft hoffentlich auch in Deutschland der Religion den ihr angemessenen Platz einräumt, wie dies in anderen Ländern längst geschieht. Zudem ist es all denen sehr zu empfehlen, die in der religionspädagogischen Praxis in Schule und Kirche tätig sind, eröffnet es doch einen fundierten, differenzierten Blick auf die Subjekte religiöser Bildung. Es sollte also weit über den engen Fachkreis hinaus Beachtung finden letztendlich bei allen, die in (religions-)pädago-
gisch verantworteter Weise mit Jugendlichen zu tun haben.
Veit-Jakobus Dieterich
■ Friedhelm Kraft / Hanna Roose: Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht. Christologie als Abenteuer entdecken, Göttingen 2011, 191 S. Ein solches Buch, gerichtet vor allem an (zukünftige) Lehrkräfte an Grund-, aber auch an weiterführenden Schulen, war überfällig: Es verbindet Erkenntnisse aus empirischen Studien, wie Kinder und Jugendliche über Jesus Christus denken, mit fachwissenschaftlichen Aspekten zur Christologie und lässt die Synthese in konkete Unterrichtsanregungen münden. Dabei verfolgt es einen dezidiert christologischen Ansatz: Die in vielen Bildungsplänen, Religionsbüchern und Unterrichtsstunden einseitig dominierende »Jesulogie«, die sich auf Zeit, Umwelt und das Leben Jesu beschränkt, bedarf der Erweiterung hin zu Christologie als wesentlicher Bestandteil von Religionsunterricht. Die beiden Verfasser begründen dies nicht nur theologisch, sondern auch didaktisch: Wenn Kinder und Jugendliche über Jesus Christus nachdenken und Aussagen über ihn treffen, ist solche Kinder- bzw. Jugendtheologie selbst eine Form von Christologie. Konsequent bietet darum der erste Teil eine knappe inhaltliche und methodische Zusammenfassung der vorliegenden empirischen Studien zur Kinder- und Jugendtheologie – ein echter Dienst an Lehrkräften, die in der Regel kaum Zeit haben, aktuelle Forschung zu verfolgen.
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Die vorgestellten Arbeiten von Helmut Hanisch / Siegfried Hoppe / Graff, Tobias Ziegler, Michaela Albrecht, Christian Butt und Mirjam Zimmermann untersuchen, wie Kinder und Jugendliche über die Wunder Jesu, Kreuzestod und Auferstehung Gottessohnschaft und ZweiNaturen-Lehre denken und sprechen, wie sie sie verstehen und welche Schwierigkeiten dabei zum Tragen kommen. Schon Grundschüler registrieren, dass Jesus »anders«, »größer« oder »besser« ist als die anderen Menschen und dass er in einem besonderen Verhältnis zu Gott als seinem Vater steht. Jugendliche tun sich schwerer mit dem Zugang zu Jesus Christus, doch auch sie sind zu eigenen theologischen Deutungsmustern fähig, wie Studien zum Sühnetod Jesu zeigen. So lautet das Fazit dieses Teils: Kinder und Jugendliche »sind auf christologische Themen ansprechbar«, »brauchen Wissen über Jesus Christus«, »die Ermutigung, eigenständig mit traditionellen (…) Formeln und Titeln zu »spielen« (51) – entsprechend benötigen Lehrkräfte ein differenziertes christologisches Wissen. Dass demgegenüber curriculare Vorgaben die christologische Dimension nicht immer in der nötigen Weise aufgreifen, dass Kompetenzvorgaben nicht immer realistisch sind und nicht immer die Denkperspektiven der Schüler/innen berücksichtigen, macht die anschließende exemplarische Sichtung der Bildungspläne von Baden-Württemberg und Niedersachsen deutlich. Dieses Kapitel sei besonders den Verantwortlichen für die Curricula ans Herz gelegt. Der eigene Feldversuch der Verfasser mit Viert- und Zehntklässlern führt unter anderem das gängige curicculare Modell der jahrgangsbezogenen Aufteilung von Jesulogie für jüngere und Christologie für ältere
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Schüler ad absurdum. Denn gerade das Jesusbild der betreffenden Kinder ist christologisch geprägt, während die theologische Argumentation und Begrifflichkeit der Jugendlichen sich eher begrenzt darstellt. Dem geforderten Grundwissen für die Lehrkräfte ist ein eigener Teil gewidmet, der freilich nicht als dogmatische »Minichristologie«, sondern von den Fragen und Überlegungen der Schüler/innen her strukturiert ist. Mit diesem Kriterium ist die Themenauswahl vorgegeben Zentrale Themenbereiche der Christologie – das Verhältnis von Glaube und Historie, historischem Jesus und verkündigendem Christus, Gottessohnschaft und Gebet, Gleichnisse und Wunder, Kreuz, Auferstehung und Erscheinungen – sind auf je gleiche Weise angelegt: am Beginn die »Stimmen« der Kinder und Jugendlichen, im Anschluss die aus Bibel und Exegese, aus der Religionspädagogik, gefolgt von Unterrichtsideen und Hinweisen zu weiterer Literatur. Leider fehlen zu den Stichworten »Göttlichkeit Jesu«, »Wunder« und »Sühnetod« Stimmen aus der neueren Systematischen Theologie. Zum Teil klingen deren Neuinterpretationen aber unter dem Abschnitt »Bibelwissenschaften« an. Didaktische Umsetzungen für die 4. und 10. Klasse, aus kinder- bzw. jugendtheologischer Perspektive konzipiert und in eigenen Unterrichtsprojekten erprobt, machen mit ihren detaillierten Stundenverlaufsdokumentationen Ernst mit der Christologie im Religionsunterricht. Die Taufperikope mit der Proklamation Jesu als »geliebter Sohn« findet dabei ebenso Verwendung wie das johanneische »Ichbin-Wort« vom Licht der Welt, die als gemeinhin »schwierig« geltende Emmaus-Erzählung ebenso wie die Arbeit
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mit verschiedenen Kreuzesdarstellungen. Wo Grundschüler/innen das »Besondere« an Jesus herausarbeiten, sind Jugendliche darüber hinaus zur Differenzung zwischen dem Wanderprediger Jesus und verkündigtem Christus fähig – auf das »Abenteuer Christologie« lassen sich in verschiedener Weise beide ein. Lehrkräfte werden sich nicht zuletzt von diesem abschließenden Teil anregen lassen, nicht nur von den verwendeten Texten, Medien und Methoden, sondern mindestens genauso von den jeweils vorangestellten didaktischen Überlegungen, die das gewählte Verfahren reflektieren und transparent machen. Die Verbindung von Theologie und Religionspädagogik, akademischer Theologie und Kinder- bzw. Jugendtheologie, Fachwissenschaft und Didaktik ist es, was die Arbeit von Roose und Kraft auszeichnet. Damit entspricht sie einer »religionspädagogischen Theologie«, für die sich vor allem Wolfgang Rothgangel stark gemacht hat und die Studierende des Lehramtes immer wieder einfordern. Zugleich vermag sie modellhaft zu zeigen, wie Elemente des Theologisierens in den Religionsunterricht integriert werden können. Weitere Bände, die an den genannten Schnittstellen im Kreuzungspunkt von Theologie, Religionspädagogik und Didaktik angesiedelt sind, wären im Blick auf die Zielgruppe der Lehrkräfte höchst wünschenswert. Der Themen gibt es genug, von der Schöpfung bis zur Eschatologie.
Sabine Pemsel-Maier
■ Petra Freudenberger-Lötz: Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen, Kösel Verlag / Calwer Verlag, München/Stuttgart 2012 Die Diskussion zur Jugendtheologie nimmt Fahrt auf. Als zweite Monographie nach Schlag/Schweitzer legt die Kasseler Religionspädagogin ihren Beitrag vor. Es ist ein für Petra Freudenberger-Lötz typisches Buch geworden. Im Mittelpunkt steht die Forschungswerkstatt zum Thema. Hier arbeiten angehende Lehrer/innen mit kleinen Schülergruppen an einem Unterrichtsthema im Sinne des Theologisierens. Wer die kommentierten Protokolle des ersten Teils des Buches liest, dem wird deutlich, dass es bei den theologischen Gesprächen um mehr geht als um Methode. Die angehenden Lehrer/innen lernen wie die Schüler/innen einen bestimmten Kommunikationsstil. Hier hat die Autorin eine gelungene Auswahl getroffen, von der Leser/innen mit unterschiedlichen Voraussetzungen ihren Nutzen ziehen können. Es ist spannend, die Gesprächssequenzen zur Gottesfrage, zu Wundern oder zur Christologie zu verfolgen. Man erlebt hier eine Theologie im Werden – mit existentieller Beteiligung und reflexivem Rückgriff auf die klassische Theologie. Im zweiten Teil des Buches werden die jugendtheologischen Ideen mit bekannten Elementen der Unterrichtsplanung verbunden und die handwerklichen Voraussetzungen für die Organisation theologischer Gespräche im Einzelnen vorgestellt: vom Schreibgespräch über Filme bis zu Formen der Gruppenarbeit. Das Buch bietet in der religionspädagogischen Diskussion eine Neuigkeit insofern, als es meines Wissens das erste
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Mal ist, dass eine Autorin ihren reichen Schatz an in der Grundschule gewonnener Praxiserfahrung für Forschungen in den Sekundarstufen nutzt und fruchtbar macht. Hier werden Oberstufenlehrer/innen – sofern sie offen dafür sind – eine Menge Anregungen gewinnen können. Die Textangebote im Schlussteil des Buches sind insbesondere für Anfänger/innen sinnvoll. Petra Freudenberger-Lötz Buch atmet den Geist der darin geronnenen Praxiserfahrungen, was es sehr lesefreundlich macht und zur Ermutigung für all die werden kann, die es mit dem Theologisieren mit Jugendlichen einmal versuchen wollen. Die Protokolle des ersten Teils laden zur Weiterreflexion und zur Theoriebildung in der Jugendtheologie ein.
Gerhard Büttner
■ Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer: Brauchen Jugendliche Theologie? – Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, NeukirchnerVerlagsgesellschaft, Neukirchen- Vluyn 2011 Den Titel, den man durchaus so lesen könnte, als würden Erwachsene die Frage beantworten, ob Jugendliche Theologie brauchen, wollen Schlag und Schweitzer in keinem Fall in dieser Weise verstehen. Vielmehr machen Sie ihr Anliegen deutlich, dass »Jugendtheologie an erster Stelle immer von den Jugendlichen selbst ausgehen muss« (S. 17). Sie verwahren sich damit gegen ein Interesse, den Ausgangspunkt in Schwierigkeiten zu suchen,
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die Erwachsene oder die Kirche als dringlich identifizieren würden. Ausdrücklich sei Jugendtheologie »nicht vermittlungsorientiert – sie zielt nicht auf gleichsam raffiniertere Möglichkeiten ab, den Jugendlichen etwas zu vermitteln« (ebd.). Gleichwohl soll sie dazu beitragen, dass die Jugendlichen ein »produktiveres Verhältnis zur christlichen Überlieferung und zum christlichen Glauben bekommen können« (ebd.). Diese Verortung der Jugendtheologie ist zentraler Inhalt des ersten Kapitels. Nachdem die Kindertheologie seit einigen Jahren zum gängigen Terminus der Religionspädagogik geworden ist, sind wir nunmehr Zeugen davon, dass die darauffolgende Altersstufe in den Blick der Religionspädagogen kommt. Fast muss man sich wundern, dass es so lange gedauert hat, bis explizit von einer Jugendtheologie die Rede ist. Mit dem vorliegenden Buch liegt nunmehr die erste Monographie mit systematischem Anspruch zum neuen Feld vor. Dabei profitiert das Buch ohne Zweifel von der Auseinandersetzung mit der Kindertheologie. So findet sich auch hier die Differenzierung in eine Theologie der Jugendlichen, mit und für Jugendliche, die Friedrich Schweitzer bereits für die Kindertheologie vorgeschlagen hatte und die dort »weithin rezipiert« wurde (S. 60, Anm. 16), wie die Autoren zu Recht anmerken. Handelt es sich bei der Jugendtheologie also um eine Art zweiten Aufguss der Kindertheologie? Die Autoren widmen der Frage nach der Nähe von Kinder- und Jugendtheologie das gesamte zweite Kapitel. Neben Nähen und Anleihen zur systematischen Bearbeitung des Feldes finden sie dabei aber auch zahlreiche Unterschiede, die es angeraten sein lassen, Jugendtheologie als durchaus
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selbständiges Paradigma zu begreifen. Insbesondere zählt dazu freilich die spezielle Signatur des Jugendalters als einer Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Schlag und Schweitzer plädieren begründet dafür, die Adressaten keineswegs nur unter einer Vermittlerperspektive in den Blick zu nehmen, sondern sie systematisch in die theologische Reflexion einzubeziehen. Diskutiert wird Jugendtheologie in ihrem Zusammenhang zur Jugendreligiosität und zur Jugendreligion – die Schweitzer und Schlag nicht abwertend verstehen. Darüber hinaus wird diskutiert, dass Jugendliche sich in kirchliche Praxis und theologische Debatten einmischen. Das Verhältnis von der Jugendtheologie zum Kompetenzbegriff, als eines weiteren Leitbegriffs gegenwärtiger Religionspädagogik wird angerissen, wobei insbesondere die Frage aufgenommen wird, ob von unterschiedlichen Niveaus von Jugendtheologie gesprochen werden kann, wie dies in der Philosophie mit Jugendlichen der Fall sei. Der Inhaltsaspekt der der Jugendtheologie wie jeder Theologie zukommt, wird unter der Überschrift »Jugendtheologie und wissenschaftliche Theologie« diskutiert. Schlag und Schweitzer setzen dabei keineswegs Jugendtheologie und wissenschaftliche Theologie gleich, vielmehr weisen sie darauf hin, dass die evangelische Theologie von Anfang an auf die theologische Bildung der Laien setzte und zu diesen keineswegs nur Erwachsenen gezählt wurden. Auch unter dem Stichwort »Kommunikation des Evangeliums« wird Jugendtheologie diskutiert. Insgesamt wird somit in diesem Kapitel, bei aller systematischen Nähe zur Kindertheologie das begründete Eigenrecht einer Jugendtheologie auf verschiedenen Ebenen plausibilisiert und zugleich wer-
den zentrale Fragestellungen des Buches insgesamt vorweggenommen. Zur systematischen Gestalt einer solchen Jugendtheologie jedoch finden sich im dritten Kapitel wesentliche Aussagen. Hier wird eine Matrix entwickelt, die der Argumentation des gesamten Buches zugrunde liegt. Auf der X-Achse des Diagramms ist dabei die bekannte Unterscheidung der Theologie von für und mit Jugendlichen eingetragen, auf der Y-Achse wird in implizite, in persönliche, in explizite Theologie und in theologische Deutung mithilfe theologischer Dogmatik und in ausdrücklich theologische Argumentation von Jugendlichen unterschieden. Diese Matrix ist im zusammenfassenden Kapitel 9 ausgefüllt und stellt so etwas wie das Herz der Argumentation des Buches dar. Ob die Unterscheidung der Y-Achse dabei genauso überzeugend ist wie die aus der Kindertheologie bekannte der X-Achse, wird sich im Laufe der weiteren Debatte wohl noch erweisen müssen. Ob z.B. zwischen »expliziter Theologie« und der Zeile »Jugendliche argumentieren ausdrücklich theologisch« wirklich immer trennscharf zu unterscheiden ist, oder ob sich eine sinnvolle Vereinfachung abzeichnen könnte, ist eben dieser Debatte zu überlassen. Unabhängig davon zeigt insbesondere die ausgefüllte Matrix die analytische Kraft des Schemas, das in der Tat hilft, unterschiedliche Fälle von Jugendtheologie in dem angegebenen Feld zu verorten und damit zu ihrem Verständnis beiträgt. Die Kapitel drei, vier und fünf folgen der vorgestellten X-Achse der Matrix und diskutieren jeweils die Theologie der Jugendlichen (Kap. 3), die Theologie mit Jugendlichen (Kap. 4) und die Theologie für Jugendliche (Kap. 5). Aufschlussreich
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ist dies insbesondere, weil die Autoren diese Diskussionen an sehr unterschiedlichem Material führen. So werden Quellen wie Selbstäusserungen von Jugendlichen, Liedtexte, qualitative und quantitative empirische Studien oder verschiedenste andere Textgattungen herangezogen und im Lichte der Unterscheidung interpretiert. Die von einem der Autoren mitverantwortete große Konfirmandenstudie (Ilg/Schweitzer/Elsenbast: Konfirmandenarbeit in Deutschland, Gütersloh 2009) stellt dabei ebenso ein erhellendes wie anscheinend schier unerschöpfliches Material zur Verfügung. Aber auch andere prägnante Analysen sorgen dafür, dass die Lektüre dieser Kapitel alles andere als langweilig, sondern vielmehr zuweilen aufschlussreich auf Gebieten ist, die man als Leser gar nicht erwartet hätte. So findet sich im Kapitel 5, das sich mit der Theologie für Jugendliche beschäftigt, eine der prägnantesten und dabei denkbar knappsten Auseinandersetzung mit dem EMMAUS-Glaubenskurs. Die am Anfang des Buches klar zum Ausdruck gebrachte Perspektive der Ablehnung einer ›Hermeneutik der Vermittlung‹ zugunsten von reflexiven Klärungsund Diskursprozessen trägt hier vielleicht am deutlichsten Früchte, denn den Autoren stehen somit Kriterien zur Beurteilung des EMMAUS-Glaubenskurses zur Verfügung, die in anderen Auseinandersetzungen mit diesen zumindest in der Literatur zunehmend Beachtung findenden missionarischen Rezepten schmerzlich fehlen. Die Autoren machen mehr als plausibel, weshalb diese Art von Glaubenskurs nicht zu dem Konzept von Jugendtheologie passt, das sie vertreten. Aber auch Gegenbeispiele führen die Autoren an, in denen eine Theologie für Jugendliche
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diese als Gesprächspartner erst nimmt und mit Gründen mit ihnen argumentiert und dabei auch die besondere Expertise des ausgebildeten Theologen nicht verschweigen muss. Auch wenn die zugrunde gelegten Texte aus der schulischen oder der gemeindlichen Theorie und Praxis das Konzept der Jugendtheologie meist selbst nicht kennen oder benennen, ist die Zuordnung unter dieses Paradigma gleichwohl sinnvoll. Ganz nebenbei wird damit ein Vorzug des Konzepts deutlich, da es in der Lage ist, den oftmals unüberbrückbar scheinenden Hiatus von schulischer Religionspädagogik und Gemeindepädagogik zu überwinden, indem Jugendtheologie ganz selbstverständlich beides umgreift. Unter dem Paradigma der Jugendtheologie werden gemeinsame Herausforderungen von schulischer Religionspädagogik und Gemeindepädagogik sichtbarer, als unter einer die Unterschiede heraushebenden trennenden Perspektive. Selbst das sechste Kapitel, das sich mit den theologischen Kompetenzen Jugendlicher beschäftigt und damit einen bis auf wenige Ausnahmen im schulischen Kontext beheimateten Diskurs aufgreift, wird auf seine Bedeutung für die gemeindliche Perspektive befragt und bewusst geöffnet. Die Forderung, die die Autoren aus jugendtheologischer Perspektive an Kompetenzmodelle stellen ist, dass diese »subjetbezogen«, »lebensweltbezogen« und »entwicklungsbezogen« sein müssen. Wenn sie das seien, dann könnten sie auch für die gemeindliche Bildungsarbeit relevant sein, weil sie dann nicht von der Schule als Institution, sondern von den Jugendlichen als Subjekten her gedacht seien, die in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden sollen (vgl. 145 f).
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Das siebente Kapitel thematisiert die Erwachsenen als die andere Seite der Jugendtheologie. Dabei ist der dritte Abschnitt, »Was Erwachsene in jedem Fall vermeiden müssen« (154 ff.) deshalb besonders herauszuheben, weil er einige grundsätzliche Bemerkungen erinnert, die in der mit einem doppelten Normativitätsproblem (von Seiten der Theologie und der Pädagogik herkommend) konfrontierten Religionspädagogik zu häufig nicht diskutiert werden. Einen weiteren Perspektivwechsel vollzieht das achte Kapitel wenn es danach fragt, was aus im engeren Sinne theologisch-anthropologischer Perspektive zum Jugendalter zu sagen wäre. Weshalb allerdings nach all dem in den vorangegangen Kapiteln zum Eigenwert der Jugendtheologie ausgeführten sich ausgerechnet »von ihrer Beantwortung her entscheidet […], welche Bedeutung der Jugendtheologie überhaupt beigemessen werden soll« leuchtet dem Rezensenten nicht ein. Die Probe braucht allerdings deshalb nicht aufs Exempel gemacht zu werden, weil die Autoren aus der Perspektive der Theologie des Jugendalters eine eindeutig positive Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit der Jugendtheologie geben: »Ohne Jugendtheologie keine jugendsensible Kirche« (S. 171 – Hervorhebung im Original). Darüber hinaus wird die Theologie des Jugendalters als Weiterführung der Jugendtheologie verstanden und ein Verhältnis der Angewiesenheit der Theologie des Jugendalters von der Jugendtheologie formuliert, das allerdings erst in jüngerer Zeit sich entwickelt habe, indem die Theologie nämlich die »Stimme der Jugendlichen selber hören wollte«, wohinter man nun jedoch nicht mehr zurück könne (175).
Im neunten Kapitel wird ein zusammenfassender Rückblick und Ausblick vorgenommen. Die nunmehr ausgefüllte Matrix als das Herz des Buches (179) ist bereits erwähnt worden. Vom Ausblick sei hier, neben der Forderung nach empirischer Forschung im Bereich der Jugendtheologie, die das Buch abschließende Wendung hervorgehoben, dass »jeglicher Versuch, abschließende Antworten auf die großen theologischen Fragen zu geben […] dem Charakter individuellen und gemeinsamen theologischen Nachdenkens fundamental widersprechen [würde und damit] … weder sinnvoll noch lebensdienlich« wäre (191). Daran ist nicht nur aufschlussreich, dass die Autoren die Jugendtheologie offensichtlich zu eben diesen großen theologischen Fragen rechnen, sondern mindestens ebensosehr, dass dieses Buch mit erkennbar systematischem Anspruch dennoch gleichsam den »Abschied vom Prinzipiellen« (Marquard) vollzogen hat, indem es Systematik auch im religionspädagogischen Bereich nicht mehr als Durchdringung zu idealiter unveränderlichen Prinzipien sondern zu sinnvollen Ordnungen versteht, die freilich auch anders sein können und häufig genug, wovon das Buch selbst reichlich Zeugnis ablegt, anders aufgefasst wurden und werden. Insofern praktiziert das Buch in seiner Struktur in gewisser Weise das, was es behauptet hat. Dieses Buch als Produkt einer »Theologie des Jugendalters« nimmt seine Leser ernst und diskutiert mit ihnen mit Gründen – ein Kennzeichen dessen, was die Autoren unter Jugendtheologie zu verstehen vorschlagen. Auf diese Weise muss der doppelt normative Aspekt der Religionspädagogik nicht verschwiegen werden, vielmehr wird die Leserin zur Diskussion aufgefordert und eingeladen. Sie muss der Argumentation
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der Autoren keineswegs überall folgen, aber diese ist offengelegt und begründet, so dass man sich mit ihr auseinandersetzen kann. Dieser Form von empiriefreundlicher Systematik in der Religionspädagogik zu einem Thema das an der Zeit ist, ist eine breite Leserschaft zu wünschen. Henning Schluß
■ Lukas Ohly: Warum Menschen von Gott reden. Modelle der Gotteserfahrung, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2011 Das ist ein Kippbild. Was sehen Sie? Eine Ente? Richtig. Einen Hasen? Auch richtig! Jeder hat sich schon einmal mit einem Kippbild beschäftigt oder kennt es aus dem Alltag. Auf Kippbildern sind Figuren zu sehen, die zweierlei bedeuten können, je nachdem, wie man das Bild sieht. Sie sind auch unter der Bezeichnung Kippfiguren oder Inversionsfiguren bekannt. Das Kippbild auf der linken Seite können Sie in dem kürzlich erschienen Buch von Lukas Ohly wiederfinden. Was können diese Kippbilder mit Gott zu tun haben? Haben sie überhaupt etwas mit Gott zu tun? Ein abwegiger Gedanke, könnte man meinen. Falls doch: Dann holt da einer weit aus, um Gott dem Menschen in der Postmoderne, dem der Glaube abhanden gekommen zu sein scheint, wieder schmackhaft zu machen, und zwar mit den Mitteln der Alltagssprache, zwar für jeden verständlich, aber doch der eigentlichen Sache,
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der Sache Gottes nämlich, recht unangemessen. Aber: Das ist weit gefehlt. Mit einem feinen Gespür für die »neue Gottesvergesslichkeit« (S. 11) geht Lukas Ohly der Frage nach, wo Gott auch heute noch zur Sprache kommt, auch wenn wir nicht von ihm reden. Sein reicher Erfahrungsschatz als Pfarrer einer südhessischen Ortsgemeinde ist dabei genauso ausschlaggebend wie seine intellektuelle Schärfe. Situationen des Alltags werden auf ihren eigentlichen theologischen Gehalt hin analysiert. Ohly verleiht seinen Fragestellungen und Reflexionen eine praktische Nähe und konkrete Anschaulichkeit. Die Erfahrung des Menschen ist für ihn Dreh- und Angelpunkt, um den Begriff Gottes zu bestimmen: »Meine Hauptthese ist, dass Menschen deshalb von Gott sprechen, weil sie ihn erfahren. Bereits in Wahrnehmungen – die jeder Mensch vollzieht – lässt sich Gott erfahren.« (S. 12)
Zum Inhalt des Buches: Lukas Ohly spürt in seinem Buch Warum Menschen von Gott reden. Modelle der Gotteserfahrung den Möglichkeiten nach, wo und wie heute Gott zur Sprache kommt und zur Erfahrung wird. Ob es die Begegnung mit einer anderen Person im Fahrstuhl ist, das Erleben eines Sonnenaufgangs, das Erlebnis der Stille oder das Betrachten des Kippbildes: Gott macht sich in diesen Situationen als Widerfahrnis offenbar. Es ereignet sich etwas. Menschen begegnen anderen Menschen, Menschen begegnen der Natur, Menschen begegnen sich selbst. Es ist das in jeder Begegnung jeweils unverfügbare Moment, dass etwas geschieht und einem widerfährt, was Ohly mit Gott in Verbindung bringt. »Dieser Theorie zufolge
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sind es nicht einfach Begegnungen, warum wir von Gott reden, sondern es ist das Begegnen von Begegnungen.« (S. 37) »Offenbarung Gottes« ereignet sich also nur da, wo mich Begegnungen affizieren, mitnehmen, inspirieren und betroffen machen, also nur da, wo Begegnungen mir begegnen. Ähnlich verhält es sich beim Kippbild. Ob ich einen Hasen sehe oder eine Ente: Entscheidend ist in dieser Begegnung der Moment – das Kippen des ersten Eindruckes –, wo mir auffällt, dass ein Bild zwei Bilder enthält. »Das Kippen selbst aber ist nicht wahrnehmbar. […] Aber Sie brauchen das Kippen, um das jeweilige Bild zu sehen. Sie brauchen nicht nur das auffällige Bild, sondern Sie brauchen den Moment des Auffallens des Auffälligen. Sie brauchen auch den Moment, der das Bild auffällig macht.« (S. 39) Gott ist so etwas wie das Auffällig-Werden dessen, was mir auffällt. Er widerfährt mir in der Begegnung. Er ist nicht die Begegnung selbst, sondern die Tatsache, dass mir etwas zur Begegnung wird. Diesen Gedanken von »Gott in Begegnung« oder »Gott als Widerfahrnis« verfolgt Ohly durch die klassischen Topoi der Gotteslehre hindurch. Er erörtert Möglichkeiten der Gotteserkenntnis (Gottesbeweise) und Gotteserfahrung (Gebet). Er erläutert vor dem Hintergrund seiner begrifflichen Bestimmung von Gott als Widerfahrnis die göttlichen Attribute der Allmacht, der Allwissenheit, der Ewigkeit und des Wesens Gottes als Liebe als auch den Gedanken der Theodizee, der Frage also nach der Vereinbarkeit von göttlichem Willem und menschlichem Schicksal. Ein Thema, dem Ohly besondere Aufmerksamkeit schenkt. Denn: »Die angemessene Beschreibung Gottes soll am Thema des menschlichen Leidens ihre Bewährungsprobe finden.« (S. 13)
Zum Bezug des Buches für den Religionsunterricht und zur Jugendtheologie: • Lukas Ohly beschreibt in seinem Buch Gott als Widerfahrnis und als Ereignis. Damit entfaltet er einen auf den Erfahrungen des Menschen in der Postmoderne gegründeten Begriff Gottes, der nicht nur einen hohen Grad an Authentizität im Bezug auf den ganz normalen Alltag der Menschen aufweist, sondern Ohlys Begriffsbestimmung Gottes ist substanzialistischer/essentialistischer Art. Mit Hilfe allgemein verständlicher Kategorien gelingt ihm eine Grundbestimmung Gottes: Gott als Widerfahrnis/Gott in der Begegnung. Diese allgemein gehaltene Bestimmung kann im Religionsunterricht Wege der interreligiösen Kommunikation aufzeigen, weil es erst einmal – unabhängig von dem Profil konkreter Religionen – in ganz grundsätzlicher Art um den Begriff Gottes als des »Gottes in Begegnung« geht. In dieser Hinsicht könnte der Gedanke von Gott als Widerfahrnis zum Ausgangspunkt des Theologisierens mit Jugendlichen werden, die unterschiedlichen religiösen bzw. areligiösen Kulturen und Kontexten entstammen. Fragen wie: »Kann Dir Gott im Fahrstuhl begegnen?« oder »Kann die Stille sprechen?« können Jugendliche in einen Diskurs um den Gottesbegriff verwickeln, wie ihn Ohly zugrundelegt. Jedenfalls lässt sich der unkonventionelle Gedanke von »Gott als Widerfahrnis« in der religiös-brüchigen Lebenswelt der Jugendlichen gut verankern. • Darüber hinaus liefert das Buch von Lukas Ohly wichtige Impulse zur eigenen theologischen Positionierung. Die zeitliche Straffung der Ausbildung von Religionslehrer/Innen trägt zuneh-
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mend dazu bei, dass Methodenkompetenz auf Kosten der theologischen Kompetenz geht. Nicht selten wird im Vorbereitungsdienst der Lehramtskandidaten eine Fertigkeit im Bezug auf Methoden und soziale Settings festgestellt, aber auf der Seite der theologischen Sachkompetenz ein Desiderat diagnostiziert. Das Buch von Lukas Ohly kann mit seinen grundlegenden Einsichten vor allem denjenigen eine wirkliche Orientierung bieten, die sich theologisch positionieren wollen und auf der anderen Seite einen anderen Zugang zu theologischen Themen als den traditionell theologisch- dogmatischen Weg wählen möchten: Gott als Widerfahrnis oder das Kippen des Bildes … eben.
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• Diese Schulung der theologischen Kompetenz Studierender und Lehrender ist im Bereich der Jugendtheologie grundlegende Voraussetzung, mit Jugendlichen in einen theologischen Diskurs zu treten. In gewisser Weise sind Lehrkräfte theologische Experten, die die Äußerungen der Schüler und Schülerinnen einordnen und neue, weiterführende theologische Impulse setzen müssen. Das Buch von Lukas Ohly fördert auf unkonventionelle Art die Auseinandersetzung Studierender mit theologischen Fragen und stellt deshalb eine Grundlage dar, in theologische Gespräche mit Schülern und Schülerinnen eintreten zu können.
Anke Kaloudis
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Die Autorinnen und Autoren
Dr. Veit-Jakobus Dieterich ist Professor für Evangelische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Dr. Petra Freudenberger-Lötz ist Professorin für Evangelische Religionspädagogik an der Universität Kassel und Gründerin der Kasseler »Forschungswerkstatt Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen«. Dr. Katharina Kammeyer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie an der Technischen Universität Dortmund. Dr. Hildrun Keßler ist Professorin für Religions- und Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule Berlin. Dr. Friedhelm Kraft ist Rektor des Religionspädagogischen Instituts der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und leitet ab 1. Januar 2013 die Bildungsabteilung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Dr. Michael Meyer-Blanck ist Professor für Religionspädagogik an der Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte neben der Religionspädagogik sind Liturgik, Geschichte der Praktischen Theologie und semiotische Theorien in der Praktischen Theologie.
Katharina Ochs, Studium der Evangelischen Theologie und Germanistik für das Lehramt an Gymnasien, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie/Religionspädagogik der Universität Kassel. Tobias Petzoldt ist Religionspädagoge und Dozent für Evangelische Bildungsarbeit mit Jugendlichen an der Evangelischen Hochschule Moritzburg sowie Verfasser von (geistlichen) Liedern und Texten sowie Anleiter von Schreibwerkstätten für Jugendliche. Dr. Bert Roebben ist Professor für Religionsdidaktik am Institut für Katholische Theologie der Technischen Universität Dortmund. Er leitet dort das Forschungsprojekt »Inter FIRE«. Zudem ist er Vorsitzender der International Association for the Study of Youth Ministry. Dr. Martin Rothgangel ist Professor für Religionspädagogik an der EvangelischTheologischen Fakultät der Universität Wien. Dr. Hartmut Rupp, bis zu seiner Pensionierung 2012 Direktor des Religionspädagogischen Instituts (RPI) der Evangelischen Landeskirche in Baden, ist Honorarprofessor an der Universität Heidelberg.
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Die Autorinnen und Autoren
Dr. Thomas Schlag, Pfarrer der Württembergischen Landeskirche, ist seit 2005 Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Kybernetik/Kirchentheorie an der Theologischen Fakultät und Leiter des Zentrums für Kirchenentwicklung (ZKE) der Universität Zürich. Dr. Martina Steinkühler ist Altphilologin und Theologin mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik. Sie arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeitende am Lehrstuhl Praktische Theologie der Universität Frankfurt und als Verlagslektorin beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen.
Dr. Eva-Maria Stögbauer ist Lehramtsassessorin für Deutsch und Katholische Religionslehre an Gymnasien in Bayern. Christiane Thiel ist Pfarrerin und Autorin in Leipzig; von 2001 bis 2007 war sie Stadtjugendpfarrerin.