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German Pages 306 [386] Year 1876
REGIMENT BIR BIBLIOTHEEK LMFANTERIE.
Jahrbücher
für die
Deutsche Armee
und
Marine.
Verantwortlich redigirt
von
G.
VON
MARÉES Major.
Zwanzigster Band . Juli bis September 1876.
BERLIN, 1876. F. SCHNEIDER & Co. (Goldschmidt & Wilhelmi.) Unter den Linden No. 21.
LOAN STACK
VAN OORLOG MINI
1 9286-5 . BIBLIOTHEKEN DEPOT
+49
U3 M6 July- Sept 1876
Inhalts -Verzeichniss .
I. II.
III. IV.
V. VI.
VII.
Seite Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes. Von Eugen 1 Keller, Hauptmann im Königl. Bayerischen Generalstabe Die Correspondenz Napoleons I. unter besonderer Berücksichtigung seines Briefwechsels in der zweiten Hälfte des Jahres 1805 23 Aus dem Amerikanischen Secessionskriege. Feldzüge von 1861 und 62 in den westlichen Alleghany-Gebirgen 48 • Die Bayern in der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813. Eine Berichtigung von A. Erhard , Major und Bataillons-Com 68 mandeur im Königl. Bayerischen 8. Infanterie- Regiment „ Pranckh“. militair Heeresbildner. Eine Wilhelm III. als Friedrich König historische Studie von A. von Crousaz, Major zur Disposition • 75 Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, welche zur Herstellung von Geschützrohren, im Besonderen von gezogenen, in Betracht kommen, mit vorzugsweiser Berücksichtigung der Deutschen Geschütze. Bearbeitet von Gaertner, Oberst- und Be zirks - Commandeur 102 Umschau in der Militair-Literatur :
Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militairwesen. Zweiter Jahrgang. Herausgegeben von Oberst H. v. Löbell · . 115
VIII.
Geschichte der Kurfürstlich und Königlich Sächsischen Feld Artillerie von 1620-1820. Ueber Benutzung archivalischer 123 Quellen bearbeitet von Hauptmann A. von Kretschmar Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze aus anderen militairi 125 schen Zeitschriften. ( 15. Mai bis 15. Juni 1876.)
IX.
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes. Von Eugen Keller, Hauptmann im Königl. Bayerischen Generalstabe. (Forts.) X. Die Correspondenz Napoleons I. unter besonderer Berücksichtigung seines Briefwechsels in der zweiten Hälfte des Jahres 1805. (Forts.) XI. Aus dem Amerikanischen Secessionskriege. Feldzüge von 1861 und 62 in den westlichen Alleghany-Gebirgen. (Schluss.) . XII. König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. Eine militair historische Studie von A. von Crousaz , Major zur Disposition. (Schluss.) . XIII.
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Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, welche zur Herstellung von Geschützrohren, im Besonderen von gezogenen, in Betracht kommen, mit vorzugsweiser Berücksichtigung der Deutschen Geschütze. Bearbeitet von Gaertner, Oberst und Be 223 zirks- Commandeur. (Schluss .) XIV. Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens auf die Feld - Artillerie des Italienischen Heeres. (Eine Ueber setzung des 7. Capitels aus dem Werke des Hauptmanns Barabino : 2L'artiglieria da campo in Italia") von Schmidt, Premier-Lieutenant 242 ím Pommerschen Fusz-Artillerie- Regiment Nr. 2
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Inhalts-Verzeichniss.
IV
Seite XV.
Umschau in der Militair-Literatur :
Die Schlacht von Königgrätz zum zehnjährigen Gedenktage des Sieges von Hauptmann Max Jähns. Mit einem Plane. Vergleichende Betrachtungen über die Schlachten von Belle Alliance und Königgrätz in strategischer und _taktischer Die Oester Beziehung von Hauptmann Frhr. v. Schleinitz. 250 reichische Nord - Armee im Feldzuge des Jahres 1866 Befehlsorganisation, Befehlsführung, Armee-Aufklärungsdienst von Hauptmann Georg Cardinal von Widdern. Mit 3 Karten und mehreren Skizzen 256 XVI. Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze aus anderen militairi · 257 schen Zeitschriften. (15. Juni bis 15. Juli 1876.) XVII. XVIII.
XIX.
XX.
XXI. XXII. XXIII.
XXIV.
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes. Von Eugen Keller, Hauptmann im Königl. Bayerischen Generalstabe. (Schluss . ) Die Correspondenz Napoleons I. unter besonderer Berücksichti gung seines Briefwechsels in der zweiten Hälfte des Jahres 1805 . (Schluss.) . Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens auf die Feld-Artillerie des Italienischen Heeres . (Eine Ueber setzung des 7. Capitels aus dem Werke des Hauptmanns Barabino : „L'artiglieria da campo in Italia") von H. Schmidt, Premier-Lieute nant im Pommerschen Fusz-Artillerie-Regiment Nr. 2. ( Schluss. ) Kritische Betrachtung über die Belagerung von Saragossa in den Jahren 1808 und 1809. Von Freiherr von Reitzenstein, Lieute . nant im Westphälischen Fusz- Artillerie-Regiment Nr. 7 Forcade. Einer der Bravsten der Braven des ,,alten Fritz" . · • · Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel . Umschau in der Militair- Literatur : Allgemeine Kriegsgeschichte aller Völker und Zeiten. Heraus gegeben unter der Redaction des Fürsten N. S. Galitzin. Aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt von Oberst Lieutenant Streccius. Mit 22 Plänen Die neue Fechtart der Infanterie, Cavallerie und Artillerie von C. v. Elgger . Instructionen des Generalmajors Karl von Schmidt. Geordnet und in wortgetreuer Wiedergabe der Originalien zusammen gestellt durch Rittmeister von Vollard-Bockelberg , einge leitet durch Major Kaehler. Mit dem Bildnisse des Generals von Schmidt · Deux Conférences extraites de l'histoire redigée par la section historique du grand état - major prussien par le major • Th. Weimerskirch · Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze aus anderen militairi schen Zeitschriften. (15. Juli bis 15. August 1876.) ·
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NFAN
I.
Die geschichtliche Entwickelung
des Offizier
standes. Von Eugen Keller, Hauptmann im Königl. Bayerischen Generalstabe. Wenn wir die Entwickelung
des Offizierstandes zu
verfolgen uns die Aufgabe setzen, so müssen wir für die Feststellung unserer Methode von dem Satze ausgehen, dass jede Entwicke lung nichts Anderes darstellt , als die Veränderung der bestimmenden Grundbedingungen . Denn zu jeden Zeiten nimmt unter dem Drucke der herrschenden Verhältnisse jedes Ding andere Gestalt an, und wenn wir die Reihenfolge der Veränderungen von einem gewissen Ausgangspunkte an bis auf den heutigen Zu stand betrachtet haben, so haben wir den Verlauf der Entwickelung des Gegenstandes an unseren Augen vorübergeführt . Allein die blosze chronologische Aufzählung genügt dem be trachtenden Geiste ebenso wenig, als die Entwickelung nur in einer
chronologischen Aufeinanderfolge besteht.
Denn in jeder Entwicke
lung bestimmt der Zustand in einer Zeitperiode schon genau die Grenzen für die Veränderungen, die in der nächsten möglich und nothwendig sind, und stellt sich demnach als wirkende Ursache den übrigen Verhältnissen der Zeit zur Seite.
Wenn wir nunmehr unter
nehmen, in chronologischer und causaler Verknüpfung die Ent wickelung, d . h. die Veränderung der Grundbedingungen des Offizierstandes zu betrachten, so haben wir uns erst diese Grundbedingungen vor Augen zu führen. Wir müssen hierzu etwas weiter ausholen. Der Zweck eines jeden Heeres , aus dessen Erfüllung sich von selbst die Thätigkeit eines jeden Soldaten herleitet, ist der kriegerische Der Sieg aber ist zunächst ein wesenloser Begriff und vermag das Thun der groszen Menge der Soldaten nicht zu Jahrbücher f d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX. 1
Erfolg, der Sieg.
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
beherrschen. Nur Wenige, die im Besitze reichlicher Kenntnisse und scharfen Verstandes sind, vermögen all' das, wodurch sie in engerem und weiterem Kreise zum Siege beitragen können, selbst aus diesem Zwecke heraus zu abstrahiren. Und selbst dies allein reicht nicht aus, weil der Mittel,
die zum Siege führen können, gar mancherlei
sind , während es jedoch nothwendig ist, alle Kräfte auf Eines der selben zu verwenden, und nicht die Wahl ,
sei sie an sich noch so
richtig , dem Einzelnen zu überlassen.
Welches nun gerade dieses Eine Mittel sein wird , kann nicht durch bloszes Denken gefunden, es muss Allen von Einem deutlich bezeichnet werden.
Damit stoszen
wir auf die Ueberzeugung, dass für die Einheitlichkeit der kriegeri schen Thätigkeit unerlässlich sei die Herrschaft einer einheitlichen Autorität über das Heer,
deren eigenes Bedürfniss zusammenfällt
mit der Nothwendigkeit des Sieges, und welche, mit der Person ihres Trägers sich an die Stelle des ideellen Zweckes setzend , die Handlungen aller Angehörigen
des Heeres persönlich beherrscht,
d. h. mit Worten klar bezeichnet , was Jeder zur Erreichung des Sieges zu thun und zu lassen habe. Die Person nun, in welcher die Einheitlichkeit der militairischen Autorität ihren höchsten Ausdruck findet , und von welcher allein aller Befehl ausgeht , ist der oberste Kriegsherr, der Monarch. In ihm vereinigen sich die gesammten Interessen des Staates mit der Verfügung über die gesammten Mittel desselben. Der Monarch nun ist mit seinen durch die menschliche Natur begrenzten Kräften nicht im Stande, den kriegerischen Befehl bis in seine letzten Verzweigungen persönlich zu führen .
Er setzt dem
Heere im Groszen seine Aufgaben und überträgt anderen Menschen die Lösung dieser Aufgaben zugleich mit der Befehlsbefugniss über die hierzu nöthigen Kräfte ; diese vertheilen wieder die Unteraufgaben und Unterkräfte an Andere, und so pflanzt sich die Gliederung der Aufgaben und Kräfte mit der Befehlsführung nach abwärts bis zum einzelnen Individuum.
Es entsteht so auf dem Wege der stufen
weisen Uebertragung der Befehlsbefugniss ein eng und logisch zu sammenhängendes Netz befehlender Organe, welches die Gesammt heit des Heeres umspannt und das Mittelglied bildet, durch welches praktisch der Kriegsherr die Macht seines Befehles über das ganze Heer bis in seine kleinsten Theile verzweigt. Dieses hierarchische Gefüge befehlender Organe wird im All gemeinen dargestellt durch den Offizierstand. Sein Zweck und seine Aufgabe ist die Vermittelung und Vertheilung des höchsten kriegerischen Willens unter die Vielzahl derer, welchen die Ausführung
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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obliegt. Die unterste Grenze wird gezogen durch die Erwägung, dass der Offizierstand ein Stand ist , d. h. eine Berufsmäszigkeit voraussetzt , und dass die Ausübung des Befehles wissenschaftliche und moralische Vorbedingungen stellt , deren Mangel das Befehlen zwar nicht ganz unmöglich macht , gleichwohl aber in seiner Voll kommenheit beschränkt. Dieser Zweck des Offizierstandes , die
Herrschaft des Kriegs
herrn über das Heer zu vermitteln, erfüllt sich unter zwei Grund bedingungen : die erste ist, dass das Verhältniss der Offiziere zu dem Kriegsherrn ein solches
sei , vermöge
dessen dieselben den
Willen des Kriegsherrn, sei es, dass dieser mittelbar oder unmittelbar ihnen verlautbart wird , selbst für den Inhalt ihres eigenen Willens annehmen, d . h. ihren militairischen Willen vollkommen mit jenem des Kriegsherrn identificiren ; die zweite ist die, dass der Einfluss der Offiziere auf ihre Untergebenen sachlich und persönlich von solcher Macht ist, dass sie den von oben empfangenen Willensaus druck unverfälscht nach Inhalt und Kraft zur Ausführung bringen lassen können. Die bestimmenden Grundbedingungen im Offizierstande beruhen demnach in dem Verhältnisse der Offiziere zum Kriegsherrn, und in dem Einflusse, den sie nach abwärts auf ihre Untergebenen ausüben. Unser Augenmerk wird sich demnach auf die Veränderungen, die an diesen Punkten im Laufe der Zeit eintreten, richten müssen, wenn wir die Entwickelung des Offizierstandes betrachten wollen. Wir brauchen hierfür in der Geschichte nicht allzuweit zurück zugehen.
Jedenfalls wird es für uns erlässlich sein, uns über die
Verhältnisse der Griechen und Römer zu verbreiten, denn die Ent wickelung dieser Völker hat durch deren Untergang einen endgültigen Abschluss gefunden .
Wir brauchen nicht weiter zurückzugreifen, als
höchstens bis zu jenem Zeitpunkte, aus welchem die gesammte Ge staltung unserer Zeit ihre Entwickelung herleitet , nämlich bis da, wo die Germanen die politische Herrschaft in Mitteleuropa antraten, nachdem das weströmische Reich unter dem Drucke der Völker wanderung erlegen war.
Es ist jedoch selbstverständlich , dass wir
auch innerhalb jener Begrenzung nicht den Offizierstand aller Länder und Zeiten zu erörtern haben, sondern dass es genügt , jene Er scheinungen hervorzuheben, welche für die Gestaltung des Offizier standes besonders epochemachend sind.
In diesen, die in verschie
denen Zeiten verschiedenen Staaten angehören, zeichnet sich nicht nur das Bild der ganzen Entwickelung in genügender Vollständigkeit ab, sondern ergiebt sich auch die specifische Charakteristik aller 1*
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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anderen Offiziercorps , nachdem diese doch in mehr oder minder vollkommenem Maasze das Vorbild ihrer Zeit nachahmen. Die ursprüngliche Heerform der Deutschen war der Heer bann , das allgemeine Aufgebot aller freien Männer, das, auf Wehr pflicht und Waffenrecht beruhend, nur für Zwecke und nur in einer allgemeinen Versammlung aller Freien beschlossen werden konnte . Die oberste Führung des Heerbanns hatte der König , unter ihm führten die Stämme und deren Gemeinden die Stammeshäupter und die Grafen.
Das Verhältniss der Befehlsführung war demnach voll
ständig an die territoriale Eintheilung und das Interesse am kriegeri schen Erfolge, an das politisch allgemeine Interesse aller Freien geknüpft. Es ist ersichtlich , dass der König als Kriegsherr in dieser Art von Heerverfassung nur eine beschränkte befehlende Macht besasz. Die Deutsche Nation jener Zeit glich mehr einer freien Vereinigung locker gefügter Republiken, denn einer Monarchie.
Fiel die Ent
scheidung über Krieg oder Frieden und über das Aufgebot des Heer banns eigentlich gar nicht dem Könige zu, so war auch die Macht, die er im kriegerischen Befehle auszuüben vermochte, durch die Be schränktheit seiner politischen Befugnisse beengt.
Schon jetzt lässt
sich sagen, dass dieses wenig straffe Gefüge mehr und mehr dem Auseinanderfallen zuneigen würde, und dass in der lockeren Or ganisation des Heerbanns und der Befehlsverhältnisse in demselben auch schon der Keim zu seinem Untergange lag. Bald und in der Folge mit steigender Kraft entwickelt sich denn auch im Heergeleite oder der Gefolgschaft der Rival des Heer banns .
Diese Heeresform, in welcher die Befehlsführung sich schon
weit klarer und kräftiger gliedert, fängt erst an, die Leistungen des Heerbanns an Zahl , dann an Umfang zu übertreffen, um endlich diesen selbst niederzuringen und sich allein an dessen Stelle zu setzen . Das Heergeleite oder die Gefolgschaft ist ein Ergebniss aus den Stammeszügen der zweiten Völkerwanderung, in welchen eine gröszere oder geringere Anzahl von Freien, mit ihren Hörigen und Sclaven , angestachelt durch Lust zum Kriege, oder dem Bedürfnisse nach neuen Wohnsitzen, oder dem Verlangen nach Beute, kurz aus per sönlichen Motiven sich unter die Führung eines erprobten Kriegs mannes begaben, um so in die Römischen Provinzen einzubrechen. Das eroberte Land wurde unter die Freien vertheilt, jedoch von den selben theilweise wieder gegen Zinspflicht an die früheren Besitzer, die damit zu Unterthanen wurden, zurückgegeben .
So entstand in
jeder Stammesherrschaft eine Reihe kleinerer Herrschaften unter den
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
einzelnen Freien, die nun oft über einige Hunderte von Unterthanen geboten, während der ursprüngliche Heerführer schon durch den Glanz des errungenen Erfolges und durch die Grösze des ihm bei der Vertheilung zugefallenen Besitzes ein moralisches sowohl , als auch ein materielles Uebergewicht für fernerhin sich sicherte und damit den Einfluss seiner Herrschaft noch fester begründete . Man sieht, dass in dem Heergeleite das Verhältniss der Führer nach unten und nach oben im Vergleiche zum Heerbann eine wesent liche
Veränderung
erfahren
hat.
Die
Stellung
der Freien,
welchen sich die Gefolgschaft ursprünglich zusammensetzte , mit der der Offiziere unserer Zeit in Analogie.
aus steht
Nach oben zum
Herzoge , dessen Macht und Ansehen sich allmälig zu dem eines Monarchen entwickelt , stehen sie von Anfang an in dem Verhält nisse persönlicher, freiwilliger Hingebung.
Mochte diese uranfäng
lich auch nur Privatinteressen entsprungen sein,
so lagen doch in
der Freiwilligkeit , in der Gemeinsamkeit des privaten Interesses, in der Gemeinsamkeit der erfochtenen Siege, der erduldeten Mühen und des errungenen Preises, und endlich in dem Ruhme des Herzog lichen Namens Gründe genug , das Band zwischen den nunmehr zu Edlen gewordenen Freien und ihrem Kriegsherrn auf eine innige Weise zu knüpfen .
Nach unten aber herrschten sie mit jenem
mächtigen Einflusse, welchen der Herr hat über seine Sclaven, deren Wohl in jeder Beziehung abhängig ist von dem guten Willen und der Zufriedenheit jenes.
Die Herrschaft der Freien über ihre Hörigen
verlor mit der Ausdehnung ihres Gebietes nicht an Kraft, denn schon die grosze Ueberlegenheit Milderung kommen.
dieses
des materiellen Besitzthums liesz
Abhängigkeitsverhältnisses
vorläufig
nicht
eine auf
Die Vermittelung des Befehles vom Herzoge zu den käm
pfenden Kriegern liesz demnach an Vollkommenheit Nichts zu wünschen übrig , allerdings so lange jenes innige Verhältniss zwischen den Edlen und ihrem Herzoge nicht erlahmte. Diese Clausel aber trägt den Keim in sich zur Degeneration des im Heergeleite gewonnenen Aufschwunges militairischer Führung. Waren auch Tradition, Gemeinschaftlichkeit der Interessen und per sönliche Anhänglichkeit mit im Spiele, so waren es eben doch nur persönliche Interessen gewesen, welche das Verhältniss zwischen den Edlen und dem Herzoge gebildet hatte. Da nicht vorauszusetzen war, dass die persönlichen Interessen der Einzelnen sich bei der zu nehmenden Ungleichheit lange decken würden , so war vorauszusehen, dass die wachsende Ueberlegenheit des Herzogs einen Kampf ums Dasein führen müsse zwischen ihm und seinen Gefolgsgenossen, der,
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
gegründet auf die Verschiedenheit der persönlichen Interessen, zu nächst die Befehlsführung von oben erschütterte, in Frage stellte und von seinem Ausgange abhängig machte.
Von dem Augenblicke aber, wo die Befehlsführer mit ihrem Kriegsherrn in Widerstreit ge rathen, wird das straffe Befehlsverhältniss zwischen den Edlen und Untergebenen , das bisher die Herrschaft des höchsten Befehles so vollkommen vermitteln geholfen, zu einer ebenso starken Waffe gegen den Kriegsherrn. Es giebt der Abneigung der Führer gegen oben eine Macht von unten in die Hand, welche ihrem Widerstreben gegen den Befehl des Kriegsherrn eine feste Stütze verleiht. Der Umstand also, dass die ganze Classe der Soldaten direct nur ihren Grund- und Gebietsherrn, dem Kriegsherrn aber nur mittel bar durch diese untergeben war, und ihre Unterordnung unter den Befehl des Kriegsherrn nur dann stattfand , wenn sie durch den Ge horsam der Edlen vermittelt war, bringt das militairische Befehls gefüge und damit den Offizierstand, so weit man einen solchen an nehmen kann, in die Gefahr der Zersetzung. Der Kampf zwischen dem Streben der Landesherrn, ihren krie gerischen Befehl aufrecht zu erhalten, und jenem des Adels , sich demselben zu entziehen, beginnt nach dem Tode Carl's des Groszen und vollzieht sich Hand in Hand mit der gleichzeitigen politischen Umwälzung in der Periode des Lehenswesens. Die in dem Heergeleite liegenden Keime der Zersetzung ver fehlten nicht, in politischer und militairischer Beziehung zur Reife zu gelangen.
Schon innerhalb der Gefolgschaften selbst trat dem
zunehmenden Streben
nach Erweiterung des
Uebergewichtes der
Herzöge der Selbstständigkeitstrieb ihres Adels entgegen ,
der im
Vorgefühle der für ihn sich hier zuspitzenden Existenzfrage zur weiteren Erhöhung der Herzogsmacht die Hand nicht mehr bieten wollte.
Dadurch waren die Herzöge genöthigt, andere Elemente in
ihr Interesse zu ziehen, auf die sie sich weiter stützen, und mit deren Hülfe sie ihrer Macht weiteren Fortgang verleihen konnten. Solcher Art waren die sogenannten Antrustionen oder der Dienst adel, den die Merovinger dadurch ins Leben riefen, dass sie Leuten, welche sich verpflichteten lebenslänglich in den Königlichen Dienst zu treten, durch Verleihung zahlreicher Privilegien und Belehnung mit Grundbesitz auf gleiche Stufe mit dem Erbadel stellten. Damit waren nun allerdings die Befehlsorgane geändert , ihr Verhältniss aber nach oben, wie nach unten war das Gleiche ge blieben, vielmehr war das rein Egoistische in der Verbindung der Führer mit dem Kriegsherrn noch verschärft, weil hier nur noch
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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das persönliche Interesse herrschte, während in dem ursprünglichen Heergeleite, wenigstens noch stellenweise, selbstlose Hingebung und Freundestreue gewaltet hatten.
wie
In diesem Fahrwasser treibt die militairische Führung , ebenso die politische, ihrem Untergange um so rascher entgegen.
Demselben Dienstadel der Merovinger gehörte jener Carl Martell an, der durch
seine
glücklichen Heereszüge
Schaaren
von Gefolgs
genossen um sich sammelte, gehörte auch jener Pipin an, der an der Spitze desselben Heergeleites die Meroving'sche Herrschaft stürzte und selbst den Fränkischen Thron bestieg. Damit war das Princip des Heergeleites nunmehr definitiv das Herrschende , der „ Herzog “ zum Könige geworden.
Die Kriege Carl's des Groszen waren nicht
wie jene, welche die Versammlung der Freien ehedem beschloss, es waren die Züge eines mächtigen Gefolgsherrn , unternommen zur Vergröszerung seiner Macht und nicht zum Besten des Staates . Durch diese zahlreichen Kriege aber wurde es , als Carl der Grosze den Heerbann wieder ins Leben rief, für die allmälig ver armenden Freien unmöglich , für ihren Besitz zu sorgen und zu· gleich Heerfolge zu leisten.
Die Ueberspannung der militairischen
Leistungsfähigkeit der Nation schuf jene Art militairischer Stellver tretung, der zu Folge alle jene , welche des Kriegsdienstes ledig sein wollten, ihr freies Eigenthum einem Anderen übergaben und es von diesem wieder als Lehen in Empfang nahmen, d. h. dessen Unter thanen wurden, wofür der Lehensherr die Pflicht der Heerfolge auf sich nahm . Auf diesem Wege entstand nun der nämliche Zersetzungsprocess , welcher schon den Erbadel zum Falle gebracht. Immer mehr bilden sich die Lehensherrn aus zu kleinen Fürsten . Der Königlichen Ge walt, welche nach Carl's des Groszen Tode immer schwächer wurde, ward es immer schwieriger, die Grafen und Herzöge in den Schranken ihrer ursprünglichen Stellung als Reichsbeamte zurückzuhalten. Immer entschiedener traten die Letzteren als Reichsfürsten auf und bildeten damit eine Anzahl neuer kleiner Souverainitäten im groszen Staate, kleiner Heergeleite in dem groszen. Mit dem 14. Jahrhundert sind es auszer den Städten nur noch die adeligen Lehensverbände, welche die Waffen führen, aber mehr gegen den Kriegsherrn, als gegen den äuszeren Feind .
Unter der
Einwirkung solcher materiellen Macht sahen sich die Lehensbesitzer versucht , sich dem Einflusse ihrer Lehensherrn mehr und mehr zu entziehen ; der alte Kampf zwischen der Herrschermacht und den neuerstandenen particularen Gewalten spitzt sich bis zum 15. Jahr
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
hundert am schärfsten zu .
Mit verschiedenartigem Ausgange wird
dieser Kampf in Deutschland, Frankreich und Italien durchgekämpft, sein Ausgang bleibt für die spätere Geschichte dieser Länder von entscheidender Bedeutung. In allen diesen Ländern aber endigt er gleichmäszig mit der Erstarkung der Königlichen Herrschaft. In Deutschland im Sinne der Zersplitterung, in Frankreich im Sinne der Einheit.
Daraus ent
wickelt sich denn in beiden Ländern für die neu erstandenen Herrscher gewalten das Bedürfniss , ihre Macht auf andere Grundlagen zu stützen, und namentlich ihren militairischen Befehl unabhängig zu stellen von dem guten Willen ihrer Untergebenen.
Allenthalben beginnen die
Monarchen ihren Adel der Dienstpflicht zu entbinden, die persönliche Heerfolge in eine Geldabgabe zu verwandeln und sich mit einer eigenen, nur ihnen ergebenen Heeresmacht zu versehen. Aus diesem Bestreben entstanden nun in rascher Aufeinander folge in Frankreich, Burgund und Oesterreich die ersten ge worbenen Abtheilungen.
Durch diese Werbung nahmen die
Regenten eine Anzahl von Bewaffneten in ihren persönlichen Dienst, bezahlten sie regelmäszig und sorgten für ihre kriegerische Uebung. Die Offiziere, die ebenfalls nur geworben waren, ernannte der Mo narch aus den ihm ergebensten Personen, bezahlte sie und sicherte sich damit einen ständigen persönlichen Einfluss auf sie . Damit entstand nun wieder eine Art von Heergeleite, aber ganz anderen Charakters, als das frühere. Das Befehlsverhältniss zwischen dem Kriegsherrn und den Offizieren seiner Gensdarmes- Compagnien war allerdings auch nur gegründet auf das persönliche Interesse, durch welches der Glanz der Krone und die Lockung des reichen Soldes den Führer an die Person des Kriegsherrn band , aber die Truppen waren nunmehr dem Offiziere nicht unmittelbar untergeben, sondern standen unmittelbar unter dem Kriegsherrn, der sie warb und unterhielt, und der Einfluss des Offiziers auf seine Untergebenen war nur noch ein abgeleiteter .
Er befehligte nicht, wie der Lehens
herr, über seine Hörigen, sondern weil er dem Könige diente und so lange er ihm diente. Eine unmittelbare und persönliche Abhängigkeit der Soldaten vom Führer kommt nur noch in der niedersten Gliederung jener Compagnien, in den „ Lanzen “ vor, welche je aus nur Einem voll ständig gerüsteten Reiter bestand, der sechs bis zehn Mann gewisser maaszen als seine persönliche Bedienung und Begleitung schon bei seiner Anwerbung mit sich brachte.
Das unmittelbare Abhängig
keitsverhältniss war jedoch damit auf so enge Grenzen beschränkt
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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und so sehr decentralisirt , dass der persönliche Einfluss , den der Führer der Lanze auf sein persönliches Gefolge noch ausüben konnte, als nicht mehr gefährlich zu erachten war. Mit der Aufrichtung dieser kleinen stehenden Heere empfängt demnach die Rolle des Führers einen anderen Charakter : der Begriff des Offiziers fängt an, sich genauer zu begrenzen. Mag man nur die Capitaine der Compagnien oder auch die Führer der Lanzen als Offiziere betrachten : sie dienten alle unmittelbar dem Könige, und waren nicht blos in Beziehung auf ihre ganze materielle Existenz von ihm allein abhängig , sondern fanden auch in seinem Dienste allein für ihr Streben nach äuszerem Ansehen Befriedigung.
Daraus
ist es ja zu erklären, dass es gerade der Adel war, dessen kriegs tüchtige Elemente vor Allem dieser neuen Einrichtung zuströmten, welche ihnen nicht nur an Stelle des kostspieligen Lehensdienstes ausreichenden Erwerb , sondern in der nahen Verbindung mit der Person des Monarchen auch äuszeren Glanz verschaffte. Es ist begreiflich, dass die Vorzüge dieser Einrichtung und die dadurch ermöglichte Vollkommenheit des militairischen Befehls um so mehr sich abschwächten, je zahlreicher die auf solche Weise zu Stande gekommenen Heere wurden .
Denn je zahlreicher das Heer
und je zahlreicher auch in Folge dessen die Offiziere wurden, desto weniger war es dem Monarchen möglich, sie unmittelbar zu be einflussen, sie auch unmittelbar mit seiner Person zu verketten . Je weniger aber dies der Fall war, um so mehr tritt jenes andere Ele ment der Werbung, das persönliche Interesse, der Erwerbsgedanke des Geworbenen in den Vordergrund und übt seine Wirkungen mit um so gröszerer Ausschlieszlichkeit. Und so kam es auch.
Aus äuszeren Gründen, die hier zu er
örtern zu weit führen würde, fand das Soldwesen eine immer gröszere Ausdehnung. Es war unmöglich , die angeschwollenen Heere direct unter die Macht des Kriegsherrn zu bringen. Die Werbung bestand schlieszlich darin, dass der Fürst, der eines Heeres bedurfte, mit einem Anführer auf Kriegsdauer einen Vertrag schloss, demgemäsz derselbe zu einem bestimmten Kriegszwecke und um eine bestimmte Pauschalsumme eine Schaar geübter Truppen aufzubringen und zu unterhalten unternahm.
Das Vertragsinstrument zwischen
diesem sogenannten Feldobersten und dem Landesherrn , der so genannte Artikelbrief,
enthielt die Bedingungen, zu welchen die
beiden contrahirenden Theile
sich verpflichteten ,
wesentlichen Hauptdienstesvorschriften fest.
und setzte die
Der Feldoberst begann
nun für seine Person Leute zu werben , engagirte auf Grund der
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
eingegangenen Bedingungen seine Freunde und Waffengenossen, Gleiches zu thun, und ernannte jene zugleich zu Hauptleuten der von ihnen aufgebrachten Truppenkörper (Fähnlein). Die Hauptleute lieszen dann auf dem Lande und in den Städten das Werbepatent bekannt machen und luden auf Grund der darin enthaltenen Versprechungen das Volk zum Kriegsdienste ein . An einem bestimmten Tage und Orte wurde das Ganze zusammengestellt, gemustert, und der Oberst, der nun sein selbst geworbenes Fähnlein der Führung eines von ihm geworbenen Oberstlieutenants übergab, trat den Oberbefehl über das Regiment an.
Die Hauptleute, welche
natürlich das Interesse hatten, mit so wenig Chargen als nur mög lich auszukommen, versahen sich mit einem Stellvertreter ( Lieute nant) und einem Fahnenträger. Von dem Augenblicke an,
wo dieser Werbevorgang zur all
gemeinen Form der Heeresergänzung wird , treten nun jene Nach theile auf, welche schon in den ersten geworbenen Compagnien ver borgen lagen, dort aber durch die Kleinheit der Heere und durch die Unmittelbarkeit des Königlichen Oberbefehles auszer Wirksam keit gehalten wurden. Aber jetzt ist es wieder das Band des per sönlichen Interesses , das die Offiziere nach oben und nach unten mit Kriegsherrn und Soldaten verknüpft ; und nur der Unterschied besteht jetzt im Vergleiche zum alten Heergeleite, dass das treibende Motiv nicht mehr die Sucht nach Macht , sondern der Trieb nach Erwerb, also ein Motiv noch niederen Ranges ist.
Das Verhältniss ,
welches die Soldaten mit dem Kriegsherrn verknüpfte, war nicht mehr ein unmittelbares, sondern ein sehr vermitteltes.
Allerdings
hatte der Feldoberst seine Befehlsbefugniss vom Kriegsherrn über tragen erhalten, allerdings führten die Hauptleute ihre Fähnlein auch nur auf Grund jener Vollmacht , welche der Feldoberst in Folge seiner abgeleiteten Befehlsbefugniss ihnen übertragen hatte , aber diese Befehlsleitung wurde dem Soldaten nicht in der Weise fühlbar. Vielmehr, indem die Hauptleute oder Obersten die Kosten für die Werbung und den Unterhalt der Truppen aus eigenem Säckel, wenn auch gegen Regress an den Kriegsherrn bestritten, war doch der höchste factische Einfluss über die Soldaten dem Feldobersten und den Hauptleuten überlassen.
Denn wenn auch der Soldat bei seinem
Eintritte seiner Verpflichtung gegen den Kriegsherrn gemahnt wurde, so war es für seinen äuszeren Eindruck doch nur der Hauptmann, der ihn warb und von dessen Hand allein
er jene Befriedigung
seines Erwerbstriebes erwarten zu können glaubte.
Analog stand es - Die Höhe des zwischen den Hauptleuten und dem Feldobersten.
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
factischen Einflusses, den die Führer nach unten besaszen, hing aber auch nur ab von dem Grade, in welchem der Feldoberst den Haupt leuten, die Hauptleute den Soldaten die Versprechungen ihrer Werbe patente zu halten vermochten, hing also ab von dem Reichthume oder doch wenigstens dem Credite der Offiziere. der Soldat die Erfüllung des Versprochenen,
Von ihnen forderte
und es kümmerte ibn
wenig , dass diese die Sache selbst nur von oben in Entreprise ge nommen hatten. Man kann sich denken, welcher Art die Herrschaft war, die diese Führer über ihre Truppen besaszen.
Nach oben waren
die Offiziere durch den Feldobersten allein mit dem Kriegsherrn ver bunden. Von der Persönlichkeit dieses Feldobersten, d . h. von seinem guten Willen, seiner Macht, seinem Credit und seiner Freigebigkeit hing also der Grad ab, in welchem die Hauptleute und die von ihnen vollständig abhängigen Lieutenants dem Willen des Kriegsherrn ge recht wurden.
Die ganze Erfüllung des Zweckes des militairischen
Vorgesetztenthums war von dieser einen Person abhängig.
Noch
bitterer wurden die Consequenzen dadurch, dass das Motiv des Kriegs dienstes in allen Elementen des Heeres und so auch in den Offi zieren nur das des Erwerbes war. Möglichst viel zu verdienen , das war der logische Grundzug , der das Streben aller Chargen, von der ersten bis zur letzten, innerhalb der Lehensansprüche einer jeden bestimmte. Consequenterweise suchten die Hauptleute und Obersten, in deren Hand die ganze Heeresverwaltung lag, den ihnen vertrags mäszig zugestandenen Sold anderweitig zu erhöhen, sei es auf Kosten der Präsenzstärke oder noch öfter auf Kosten der Mannschaft, indem sie entweder ihre Fähnlein unter dem Stande hielten oder den Sol daten ihre Gebühren schmälerten .
Stand die Achtung vor der Au
torität der Führer bei den Untergebenen ohnedies schon auf schwachen Füszen, weil sie in ihren Offizieren Leute sahen, die keinen besseren moralischen Standpunkt einnahmen, wie sie selbst, so discreditirte die Missverwaltung der gewinnsüchtigen Hauptleute dieses Ansehen in noch höherem Grade : von oben war eine unwürdige Behandlung und beschämende Controle, von unten Rebellion, Ungehorsam und De sertion die Folge .
Als Entschädigung aber für die erlittene Ein
busze erhielt der Soldat, oder nahm er sich die Erlaubniss
zur
Plünderung, an welcher auch Offiziere sich lebhaft betheiligten.
Der
reiche und mühelose Gewinn, der hierbei den Sieg belohnte, lockte gerade zu den Fahnen der besten Führer die zweifelhaftesten Elemente, die man , um die Sollstände voll zu erhalten , aufnehmen musste, während man eben dadurch die letzten edleren Elemente aus den Reihen vertrieb.
Gleichzeitig erweiterte sich durch diese Excesse
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
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die Kluft zwischen Soldaten und Bürger, das Verhältniss zwischen . beiden fängt nachgerade an ein feindseliges zu werden. Der Ausbildung der Soldaten nahmen sich die
Offiziere der
Soldheere gar nicht an ; sie konnten es auch wohl nicht in aus giebigem Maasze, so lange der Soldat nur im Kriege und für den Krieg geworben und nach Beendigung desselben wieder entlassen wurde.
Bei den kleinen stehenden Ordonnanz- und Gensdarmes
Compagnien, welche auch im Frieden präsent gehalten wurden , war es den Capitains ausdrücklich zur Pflicht gemacht , ihre Leute im Gebrauche der Waffen und in den taktischen Evolutionen zu üben ; in den Landsknechts- und Söldnerheeren war dies nicht mehr der Fall.
Was von Soldaten in Bezug auf die Handhabung seiner Waffen
verlangt wurde, das brachte der Gediente auf den Musterplatz mit oder lernte der Recrut im Verkehre mit seinen Kameraden. Aber die taktischen Evolutionen, die gerade mit dem zunehmenden Ein flusse des Feuergewehres
erhöhte Wichtigkeit gewannen, wurden
nicht gelehrt und nicht geübt.
Ihr Zustandekommen erforderte stets
ein persönliches Eingreifen der höheren Führer, die bald hier ein paar Soldaten hinschoben, bald dort einige wieder wegnahmen, bis die gewünschte Form nach vieler Mühe und groszem Geschrei end lich fertig dastand .
Da nun aber selbst viele Feldobersten wohl
recht tapfere Männer und reiche Leute waren, von den taktischen Bewegungen aber Nichts verstanden, oder von diesem mühseligen und schwierigen Geschäfte Nichts wissen wollten, schufen sie sich die Charge des Oberst-Wachtmeisters, d. h. sie warben sich einen militair-taktischen Specialisten, dem nun die gesammte Herstellung der taktischen Formen oblag. Damit war auch in dieser Beziehung der Einfluss der Offiziere auf die Mannschaft auf den Nullpunkt herabgesunken.
Das einzige
moralische Uebergewicht, das sie noch behaupteten, war das hervor ragender , persönlicher Tapferkeit , das auszer der Rücksicht auf materiellen Besitz allein noch bei der Wahl der Offiziere für den Feldobersten bestimmend war.
Das Beispiel des Führers also war
es allein, das diesem noch eine persönliche Ueberlegenheit und einen geistigen Einfluss auf seine Untergebenen gestattete .
Sonst war er
nichts als ihr selbstgemietheter Miethsherr, ein primus inter pares in jener groszen Erwerbsgesellschaft , die das Heer jener Zeit dar stellte .
Factisch aber hing das ganze Heer ab von der Persönlich
keit des Feldobersten, und die Stärke seiner Befehlsmacht hing eben so vollständig ab von dem Grade, in welchem er seine Hauptleute von sich abhängig zu machen wusste, wie seine Unterwürfigkeit
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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unter den Befehl des Kriegsherrn sich lediglich nach seiner ma teriellen und socialen Abhängigkeit von diesem richtete . Diese Charakteristik des Offizierstandes im
Soldheere
zeigt
sich in ihrem grellsten Lichte, und zwar nach beiden Seiten, nach oben und unten, in jenem groszen Ereignisse, das dem Gebrauche der Soldheere seine äuszerste Ausdehnung gab , das aber dessen Schattenseiten mit solcher Schärfe aufdeckte, dass diese Glanzperiode des Soldheeres
auch zugleich dessen Untergang bezeichnet im 30
jährigen Kriege. In dem ersten Theile dieses Riesenkampfes war die Macht der Ligue den Protestanten so entschieden überlegen , dass eine sehr starke Ausdehnung des Soldwesens zunächst nicht fühlbar wurde. Aber schon hier zeigt sich die abhängige Stellung des Kriegsherrn von seinem Feldobersten, in der glänzenden Stellung , welche der Führer der Ligue, der Churfürst Maximilian von Bayern, sich in diesem Zeitraume errang.
Der Kaiser, der bis dahin alle Erfolge
nur den Waffen Bayerns und der Ligue zu danken gehabt hatte, sah sich vor die nicht ganz unmögliche Gefahr gestellt , dass das übermächtige Bayern die Consequenzen seiner Ueberlegenheit ziehen Aber der Versuch, dieser Gefahr zu entrinnen, schleuderte
könnte.
den Kaiser in eine gleiche, verschärfte Gefahr, als er in dem Streben, sich von der drückenden Abhängigkeit von Bayern durch den Besitz eines eigenen Heeres zu befreien, 1625 dem Albrecht von Wald stein sich in die Arme warf, der, ein verdienter Kaiserlicher Offi zier, sich erboten hatte, für den Kaiser auf seine eigenen und seiner Freunde Kosten eine Armee auszurüsten und völlig zu bekleiden, ja sogar ganz zu unterhalten, wenn es ihm gestattet würde , sie bis auf 50,000 Mann zu vergröszern.
So viele damals über diesen Vor
schlag zweifelnd oder spottend die Achseln zuckten, so war es doch Wallenstein allein , der das Heerwesen seiner Zeit so gründlich kannte , dass seine Berechnungen mit vollster Zuverlässigkeit ein trafen. Sein Anerbieten fand willige Annahme und Wallenstein er hielt die Befugniss , die Offiziersstellen zu vergeben. Wallenstein war der Mann, der alle Bedingungen in sich ver einigte, sein Angebot zur Wahrheit zu machen.
Zahlreiche Erfolge,
die er in Kriegen gegen die Türken, Venetianer, Ungarn und Sieben bürgen errungen, seine glänzende Theilnahme an der Prager Schlacht und sein Sieg über eine Ungarische Armee in Mähren hatten ihm nicht blos einen glänzenden Kriegsruf und zahlreiche Freunde und Bewunderer, sondern auch mit dem Besitze vieler confiscirter Güter ein kolossales Vermögen verschafft.
An Glanz des Namens und an
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
Geld besasz Wallenstein genug , um auf den ersten Schall seiner Werbetrommel Massen von kriegslustigen und kriegskundigen Sol daten, aber auch alle jene Freibeuter und Schnapphähne herbeieilen zu sehen, welche nach Mannsfeld's und Christian's von Braunschweig Niederlage deren Dienste verlassen hatten. Aber auch das Anerbieten Wallenstein's, die Armee auf seine Kosten zu unterhalten, beruhte auf einer klaren Kenntniss der damaligen Verhältnisse.
Von Mannsfeld und Christian von Braunschweig, bei
deren chronischem Geldmangel das Plünderungs- und Erpressungs system in besonderen Schwung gekommen war, hatte Wallenstein gelernt, dass man nur dann die Heere aus dem besetzten Lande er nähren könne, wenn sie stark genug waren, jeden Widerstand, der sich gegen ihre Forderungen erheben konnte, niederzuhalten .
Mit
der Ermächtigung, sein Heer auf 50,000 Mann zu vergröszern, hatte Wallenstein das wirksamste Mittel in der Hand , jeden einzelnen Reichsstand , auch den mächtigsten, dem Namen des Kaisers , in Wirklichkeit aber seinem eigenen Reichthume dienstbar zu machen. Hierdurch , sowie durch die zunehmende Anerkennung des Kaisers steigerte Wallenstein sein Vermögen und seinen Territorialbesitz ins Ungeheuere. Vom Kaiser zum Herzog von Friedland erhoben, später mit dem von ihm eroberten Mecklenburg belehnt , im Besitze der reichsten und ausgebreitetsten Güter in Böhmen, war er der Mann, der an Glanz und Besitz alle Fürsten Deutschlands übertraf. Aber derselbe Geist war auch nicht dazu angethan , sich mit der be scheidenen Rolle
zu begnügen ,
welche die Feldobersten anderer
Heere spielten ; von dem Heere, das er geschaffen und das er unter hielt, betrachtete auch er sich als den absoluten Herrn.
Er errichtete
das Verhältniss der Majestät zwischen sich und seinen Truppen, und gestaltete darnach das Verhältniss der ihm untergebenen Obersten und Hauptleute sowohl zu ihm, als auch zu ihren Untergebenen. Eine der wichtigsten Concessionen, die er in dieser Beziehung dem Kaiser abgerungen, war die Ernennung der Offiziere.
Im Be
sitze dieses Rechtes machte er die Offiziere vollständig von sich ab hängig, die Verleihung höherer Stellen und der damit verbundenen Vortheile waren nur vom Herzoge von Friedland zu erwarten. Auszerdem aber verband er sich die Offiziere ebenso sehr durch seine persönliche Aufsicht und Strenge, als auch durch eine glän zende Freigebigkeit.
Von weiten Entfernungen aus behält Wallen
stein jedes Regiment und jede Compagnie in Controle, mahnt un ablässig zur strengsten Execution seiner Kriegsartikel und straft die Ungebühr auch an Offizieren mit den strengsten und schmählichsten
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes. Strafen.
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Dagegen giebt er auch bedeutende Vorschüsse aus eigenen
Mitteln , verspricht ihnen ihre Auslagen hundertfach
zu
erstatten,
und theilt unter jene, die seine Zufriedenheit erwerben, kolossale Belohnungen aus. Damit trat denn auch eine Aenderung ein in dem Verhältnisse der Offiziere nach unten.
Sie, deren ganze Existenz
abhing von der Gewogenheit ihres Feldherrn , konnten auch ihre Befehlsbefugniss nicht mehr für eine unmittelbare ansehen, sondern sich nur betrachten als die Träger jener überlegenen Macht , die über sie herrschte und die ihnen die Führung des Befehles über die geworbenen Truppen anvertraute.
Mit dieser engeren Beziehung zu
dem Oberhaupte des Heeres hören auch sie auf die ersten zu sein unter den gleichen, sie treten zu ihren Untergebenen in ein abge schiedeneres und gebietenderes Verhältniss . Die Soldaten aber erkennen in gleicher Weise, da sie nicht von ihren Offizieren in Sold genommen und unterhalten, sondern dem Friedländer zugelaufen und unterthan sind, in ihren Hauptleuten und Obersten die Stellvertreter jenes hoch über ihnen stehenden Feld herrn.
Zwei Umstände kamen dabei jedoch dem Einflusse der Offi
ziere zu statten.
In Folge ihrer näheren Beziehung zum Oberfeld
herrn blickten diese mit Verachtung hinab auf den Soldaten , der den
niedrigsten Volksclassen
hervorgegangen
war und die
Niedrigkeit seiner Gesinnung durch sein Betragen oft genug bewies. Hierzu kam als Zweites , dass die Erpressungen und Excesse der Wallenstein'schen Heere die Abneigung der bürgerlichen Elemente gegen den Soldatenstand zu einer Erbitterung steigerten, welche dem Soldaten die Rückkehr in das bürgerliche Leben versperrte oder verleidete, und ihn nöthigte,
sich dem Kriegshandwerke bei aller
Strenge der Führung auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Wallenstein'sche Organisation richtet demnach jene Ver kettung des Befehles wieder auf, welche in den Heergeleiten und in den Ordonnanz- und Gensdarmes-Compagnien sich schon als so vor trefflich bewiesen hatte : die unmittelbare Abhängigkeit aller Elemente von dem Herrn des Heeres und die Belehnung der Offiziere mit einer nur von diesem Herrn abgeleiteten Befehlsbefugniss .
In der näheren
Form dieser Organisation hat natürlich der einmal vorhandene Modus der Soldwerbung seine Wirkung geäuszert.
Es war eine Folge
dieses Principes, dass die Ueberlegenheit des Offizierstandes über den Soldatenstand, und der Einfluss, den jener auf diesen zu äuszern vermochte, sich nur aus der groszen Ueberlegenheit des Feldherrn und allenfalls noch aus der niedrigen moralischen Stufe herleitet, auf welcher die Soldaten-Elemente stehen .
Eine persönliche Ueber
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
legenheit derart , dass etwa eine höhere Bildung und Gesittung der Offiziere denselben eine persönliche Herrschaft und einen persönlich veredelnden Einfluss auf ihre Untergebenen gesichert hätten ,
war
auch hier nur in Beziehung auf höhere Tapferkeit, also auf das Bei spiel im Gefechte gegeben. Eine Ausbildung und Erziehung erhielt der Soldat auch hier vom Offizier weder in taktischer noch in mo ralischer Hinsicht. Wäre Wallenstein selbst der Monarch des Staates gewesen, dem sein Heer zu dienen bestimmt war, so hätte sich, unter der Voraus setzung des Soldheeres, kaum eine bessere Organisation des mili tairischen Befehles denken lassen.
Aber er war nicht der Monarch,
und darin zeigt sich denn auch die ganze Verderblichkeit jener Ein richtung , welche die volle materielle und moralische Gewalt über das Heer einem Manne in die Hand gab, der nicht wirklich der Kriegsherr war.
In dem Maasze, als die Macht Wallenstein wuchs ,
sank die Bedeutung des Kaisers , und es war vorherzusehen, dass dies zu einer Krisis führen müsse, durch welche der Feldherr zum Monarchen, oder der Monarch wieder zum Kriegsherrn wurde . Dieser Kampf, derselbe, durch welchen einmal Pipin (und etwa 1000 Jahre später Bonaparte) sich auf den Fränkischen Thron schwang, endigte hier mit entgegengesetztem Ausgange : dem Sturze und Tode Wallen steins . Die Lehre aber, die er in seinen Organisationen gab , auch für spätere Zeiten unvergessen .
blieb
Nach dem Tode Wallensteins und insbesondere in jener Periode des dreiszigjährigen Krieges zeigte es sich recht deutlich, wie wenig andere Persönlichkeiten es vermochten, durch Schaffung eines der obersten Führung unbedingt ergebenen Offizierscorps die Herrschaft des militairischen Befehles fest zu begründen. Wallenstein erreichte dies, weil er nicht blos ein Mann war von bedeutendem Herrscher geist, sondern auch von kolossalem Reichthume, und jener rücksichts losen Freigebigkeit, die nur da möglich ist, wo man sicher ist, das Aufgewendete doppelt und dreifach wieder eingebracht zu sehen . Aber die Mittel, mit welchen Wallenstein herrschte und mit welchen er bei dem Geiste der damaligen Heeresorganisation allein herrschen konnte, waren Anderen nicht gegeben.
Die Deutschen Fürsten, ins
besondere der Kaiser, waren theils an persönlichem Besitze nicht so reich, wie Wallenstein, theils waren sie bezüglich der Beschaffung ihrer Staatseinkünfte in einer drückenden Abhängigkeit von ihren Ständen, welche mit steigender Widerwilligkeit ihrem Fürsten die zur Führung des Krieges nöthigen Mittel vorenthielten, oder so karg als nur möglich zumaaszen.
Sich die Mittel jedoch durch Raub,
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Plünderung und Erpressung zu verschaffen , das war bei der Ver armung, welche im Laufe des Krieges einriss, nicht blos praktisch sehr schwer erreichbar, sondern auch die Fürsten mussten befürchten, dass sie ihr Ansehen durch derartige officielle Raubmaaszregeln voll ständig discreditiren würden .
Hatte ja schon der Kaiser auf der
Regensburger Fürstenversammlung die Erfahrung gemacht, wie die auf seinen Namen verübten Excesse des ersten Wallenstein'schen Heeres und seines Führers , so wenig dieselben vom Kaiser auch direct veranlasst waren, dennoch gerade gegen ihn alle Fürsten, katholische und protestantische, aufbrachten. Es ist deshalb wohl begreiflich, dass nach Wallenstein das Bild eines einheitlichen Offizierstandes, das er zum ersten Male in gröszerem Rahmen darzustellen bemüht war, nicht wieder zum Vorschein kommt. Im Gegentheile tritt jetzt die Verwilderung, die nur ein Wallenstein zu beherrschen verstanden hatte, in der grausigsten Weise ein. Die verschiedenen Generale, Obersten und Hauptleute, die einen reichen und freigebigen Principal nicht besaszen, betrachteten nunmehr wieder ihre geworbene Mannschaft und ihr kriegerisches Metier als den Gegenstand einer Speculation, welche ihnen durch Etatsbeschränkung, eigenmächtige Löhnungsverminderung
oder
Plünderung
das
auf
gewendete Capital aus dem Beutel des Kriegsherrn oder der Landes bewohner mit reichen Zinsen wieder einbringen sollte .
Hauptleute
und Obersten gaben ihre Abtheilungen für vollzählig an, ohne dass sie es waren ,
steckten Sold und Verpflegung für die Fehlenden
und meistens auch für die Präsenten in die eigene Tasche, und überlieszen es ihren Leuten, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Ganze Compagnien, für welche die Offiziere die vollen Bezüge ver langt und eingestrichen hatten, standen blos auf dem Papiere, und es wurde für ein Glück gehalten, wenn der präsente Soldat von Diese Uebelstände steigerten seiner Löhnung die Hälfte bekam. sich in dem Maasze, als die Dauer des Krieges die Verarmung ver gröszerte und die Elemente des Offizierstandes verschlechterte ; auch die Heere auf protestantischer Seite unter Bernhard von Weimar, Banner, Torstenson und Wrangel vollführten statt der Kriegszüge nur Raubzüge, auf welchen sie auch wieder nur so lange beisammen blieben, als der Erfolg ihr Zusammenhalten lohnte. Die Führer dieser Heere, die weder reich waren an Macht noch an Geld, mussten die mühsam zusammengebrachte Heeresmacht durch die gröszte Nachgiebigkeit und Nachsicht beisammenzuhalten suchen. Kein Excess , kein Ungehorsam stiesz auf die energische Gegenwirkung der Führung, ja oft waren es die Soldaten, welche tumultuarisch ihren 2 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
Führern die zu wählenden Operationsrichtungen und Objecte auf drangen. Bei alle dem machte dennoch jede verlorene Schlacht diese Heere in Nichts zerflieszen ; die 30,000 Mann Bernhard's von Weimar und Horn's zerstoben nach der unglücklichen Schlacht bei Nördlingen ebenso rasch und vollständig , wie die Sächsisch-Kaiserliche Armee nach der Schlacht von Wittstock sich auflöste, ihren ganzen Ar tillerie- und Munitionspark aufgebend, selbst ohne eigentlich taktisch geschlagen zu sein.
Die Verwilderung griff immer mehr um sich
und umfasste immer weitere Kreise, so dass der aus religiösem Vor wande begonnene, aus politischen Gründen geführte Krieg schliesz lich in einen socialen Kampf ausartete, in welchem Alles Feind hiesz, was noch besasz .
Deutlich hatte sich hiermit das System der Sold
werbung ad absurdum geführt, der Offizierstand an seiner sittlichen und geistigen Bedeutung kläglich Schiffbruch gelitten. In Mitten der gräulichen Verwirrung der Heereszustände im dreiszigjährigen Kriege tritt wie ein freundliches Licht , wenn auch nur kurze Zeit, das Heerwesen Gustav Adolfs auf. In Schweden hatte im Gegensatze zu Deutschland das auf den reinen Erwerbstrieb gegründete Soldwesen nie dauernd Wurzel geschlagen.
Nur eine
kleine Truppe geworbener Landsknechte hatte Gustav Wasa benutzt, um auf sie gestützt sich jenen Grad Königlicher Herrschaft in Schweden zu sichern, der nothwendig war, um in seinem Lande eine dem Heerbanne ähnliche nationale Organisation des
Heeres
dem Widerwillen der Stände gegenüber aufrecht zu erhalten und zu entwickeln.
Allein selbst diese geworbenen Soldaten, deren Zahl
sich in der Folge noch weiter vergröszerte , wurden nicht wieder dem groszen Soldatenmarkte zurückgegeben, sondern auch im Frieden präsent gehalten .
Zu ihrer Entlöhnung erhielt jeder ein nach seiner
Charge bemessenes Grundstück zum Eigenthum, auf welchem sich dann die Verpflichtung, im Kriege zu dienen, als ein dingliches Recht vererbte. Für den übrigen Theil der Schwedischen Wehrkraft war der Grundbesitz für die Aufgebotspflichtigkeit maaszgebend .
Auf dem
selben Principe, auf dem der alte Heerbann beruhte, auf dem Prin cipe der Pflicht gegen das Vaterland war auch die Schwedische Heeresbeschaffung aufgebaut.
Aber in jenem ging es unter dem
Drucke egoistischer Neigungen unter, in Schweden blieb es bestehen und kam zu Gedeihen ; dort, weil die Königliche Macht nicht stark genug war, durch ihren Einfluss den Forderungen des gemeinen Wohles Geltung zu verschaffen ; hier, weil in Schweden der König seinen Willen mit dem des Staates zu identificiren vermocht hatte
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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und durch seine materielle Macht die entgegenstehenden egoistischen Neigungen niederzuhalten im Stande war. Es ist von Belang darauf hinzuweisen, weil diese Erscheinung , die sich in der Folge öfters wiederholt, den Gang der nachfolgenden Entwickelung erklärt.
Als
Gustav Adolf den Schwedischen Thron bestieg, fand er bereits eine auf nationaler Grundlage beruhende Heeresergänzung vor, die auf dem Principe der Wehrpflicht beruhte . nur wenig zu thun übrig .
Es blieb dem Könige hierin
Er regelte das Aushebungsgeschäft und
die Vertheilung des Grundbesitzes , und brachte durch persönliche Aufsicht die Aushebung zu einer regelmäszigen und hohen Leistung. In höherem Grade jedoch zeigt er das Bestreben, diese Armee vollständig in die Hand der Führung und insbesondere unter seinen Befehl zu bringen. Das erste, was er that, war die Berufung tüchtiger Offiziere aus dem Auslande ; die Ernennung und Beförderung der Offiziere behielt er dabei sich ausschlieszlich vor.
Auch diese Offi
ziere nahmen Theil an dem für die geworbenen Soldaten bestimmten Grundbesitze, und wurden dadurch baldigst zu Schweden naturalisirt. Indem Gustav Adolf Feldherr und König in einer Person war, band er so die Offiziere zugleich an die Armee und an die Krone, und schuf sich so in dem nur ihm verpflichteten Offizierstande eine neue Art von Heergeleite, das nur ihm ergeben war, und welches seine Königliche Autorität in dem Maasze in der Armee und im Volke aufrecht erhielt, als es Einfluss in dem Heere besasz . Der König verfehlte consequenter Weise nicht , diesen Einfluss so gründlich als möglich zu sichern.
Seine Kriegsartikel stellen
zunächst die kriegerische Thätigkeit dar als eine Ehrenangelegen heit , als eine freie Thätigkeit , die den Waffentragenden ehre und über die grosze Menge sittlich erhebe. Es wird daher den Offizieren zur Pflicht gemacht, ihre rechtschaffenen Soldaten als Ehrenmänner zu betrachten und zu behandeln. Dem Soldaten aber wird jeder Offizier dargestellt als ein Stellvertreter der Königlichen Macht, dem daher der gleiche Gehorsam wie dieser selbst geschuldet werde. Hierzu trat noch die fleiszige Uebung und Ausbildung der Sol daten, die einerseits möglich war, weil das Heer sich stets im Lande befand, die aber auch nöthig war, nachdem Gustav Adolf die Thätig keit aller Waffen durch die von ihm angenommenen und durch geführten taktischen Formen auf die Voraussetzung einer tüchtigen Ausbildung gründete. Damit war den Offizieren ein weiterer Wir kungskreis und neue Gelegenheit gegeben, durch geistige Ueber legenheit ihr Ansehen bei der Mannschaft in noch höherem Grade zu befestigen.
Auszerdem wurde die Zucht wesentlich erleichtert 2*
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
einerseits dadurch , dass der Soldat , der Grund und Boden besasz, in seinem Eigenthume den Werth des Eigenthums
schätzen und,
selbst den Schutz der Gesetze genieszend, auch die Gesetze ehren lernte. Andererseits waren im Felde willkürliche Plünderungen streng verboten, denn was Schwedische Soldaten erobert hatten, das war Schwedisches Eigenthum und dessen Einwohner mussten wie Schwe dische Unterthanen angesehen und behandelt werden. Alle Re quisitionen wurden magazinirt und aus diesen Magazinen floss die Verpflegung, wie auch aus den Staatscassen der schmale Sold, den Truppen regelmäszig zu. Endlich ist noch eines zu erwähnen, was vielleicht in dieser Hinsicht noch nicht genügend gewürdigt war. Es war die Frömmigkeit , die in dem Schwedischen Heere bestand . Es lässt sich streiten, ob sie auf Ueberzeugung beruhte, jedenfalls aber war sie Tendenz und als solche von hervorragend gutem Ein flusse . Wenn in Schweden, im Gegensatze zu den anderen Ländern, das Heer nicht auf dem Grundsatze des Erwerbes aufgebaut werden sollte, mit welchem anderen Motive konnte man den Soldaten für seinen Dienst begeistern ?
Der Begriff des Vaterlandes , der sich
doch erst mit der Entwickelung des Staatsbegriffes etwas verdichtet, war zu jener Zeit von noch nicht ausreichender Kraft ; denn die Staatenbildung befand sich noch in den Tagen ihrer Kindheit , und gerade diese Staatenbildung war in Schweden unter so vielen Be drückungen der persönlichen Freiheit vor sich gegangen, dass kaum zu erwarten war, dass die Bevölkerung dieser neu aufströmenden Einrichtung, von der sie mehr die Härten als die Annehmlichkeiten Aber dazu war sah, sehr viel Sympathie entgegenbringen würde. gerade das in jenen Tagen mehr denn je gereizte religiöse Gefühl geeignet , dem kriegerischen Dienste den idealen Hintergrund einer höheren Pflichterfüllung zu verleihen und den Gedanken der Pflicht als das treibende Motiv des Soldatenstandes im Allgemeinen , des Offizierstandes im Besonderen hinzustellen , wenn auch der Ursprung dieser Pflicht zunächst nur dem Jenseits angehörte . So stand es in dem Schwedischen Heere, als dasselbe 1630 die Deutschen Küsten betrat.
Aus nationalen Soldaten gebildet , von
nationalen, tüchtigen und dem Könige ergebenen Offizieren geführt und durch das Princip der Pflicht mit höherem moralischen Auf schwunge erfüllt,
zeigt es das schönste Bild einer dem Königlichen
Befehle vollständig unterthanen Wehrkraft ; und
es beruhte nicht
wenig darauf, dass gerade im Anfange sich Sieg um Sieg an die Schwedischen Fahnen fesselte. Nach dem Tode des Königs aber ging es zu Grunde.
Der Heeresersatz aus Schweden reichte nicht
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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mehr, die Abgänge, geschweige denn den Bedarf für die zahlreichen Neuformationen zu decken ; geworbene Truppen derselben Art, wie sie die anderen Heere zusammensetzten , verstärkten in immer zu nehmender Zahl das Schwedische Heer.
Zunehmende Verarmung
in Schweden, Verminderung der Königlichen Macht giebt die Führung des Schwedischen Heeres seinen einzelnen Generalen in die Hand , nach der Schlacht bei Nördlingen war der letzte Rest des von Gustav Adolf mitgebrachten Heeres aufgebraucht, von da ab führte auch auf protestantischer Seite geworbenes Volk den Krieg , und unter schied sich Heer und Befehlsführung auch auf Schwedischer Seite um Nichts an Verwilderung und Unsitte von den Kaiserlichen Horden.
Es hätte nicht des dreiszigjährigen Krieges bedurft , um aller wärts die Ueberzeugung von der Unzulänglichkeit der Soldheere zu festigen.
Auszer mehrfachen anderen Nachtheilen, die auch nur aus
dem Erwerbsstandpunkte des ganzen Systemes hervorgingen, hatte man sich überzeugt, dass die Herrschaft der Führer über ihre Truppen entweder nicht möglich war, oder, wo sie zu Stande kam , dem wer benden Feldobersten eine Macht in die Hand gab, die ihn zu ihrem Missbrauche sehr leicht verleiten konnte.
Eine Centralisirung der
Werbung jedoch in der Hand des Kriegsherrn hatte sich praktisch für unmöglich erwiesen . Schon frühzeitig waren Versuche aufgetreten, die Heere wieder auf Grundlage des Heerbannes, oder vielmehr jener alten Reste des selben, die sich in dem sogenannten Aufgebote aus der Zeit des Lehenswesens erhalten hatten , aus nationalen Elementen zu er richten, also statt an das freie Angebot, an das Princip der Pflicht zu appelliren.
Dasselbe war, gerade was die Wehrpflicht anbe
langte, schon lange und tief eingeschlafen ; durch die geworbenen Heere überflüssig gemacht und den Fürsten wegen der Widersetz lichkeit des Lehensadels verleidet, war das Heerbannswesen praktisch ganz
in Vergessenheit gerathen .
Aber es waren immerhin
noch
Reste genug übrig , um bei gutem Willen wieder daran eine neue Organisation anzuknüpfen . So waren in Chursachsen schon 1613 unter dem Namen der „ Defensioner", in Würtemberg 1619 als „ Land- Defensions- Anstalt “ , in Preuszen 1623 als „ Aufgebot und Wybranzen", ebenso in Hessen und Braunschweig 77 Milizen " errichtet worden .
Selbst in Oesterreich
zwang die Kriegesnoth in den letzten Jahren des dreiszigjährigen Krieges zum Aufgebot des dreiszigsten Mannes und zur Requisition von Pferden. Auch in Frankreich hatte man versucht 1633 den
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
Arier-Bann, die Versammlung der wehrpflichtigen Edelleute wieder ins Leben zu rufen . Allenthalben waren aber diese Versuche kläglich gescheitert. Und zwar war hieran nicht blos der Krieg Schuld , der durch sein rasches Eintreten und die Heftigkeit seines Verlaufes die Einführung von Neuerungen schwierig machte. Denn immerhin dauerte derselbe Krieg noch lange genug , um neuen Heerformen eine genügende Sicherung ihres Daseins zu geben. Was aber das Aufgebot , so weit es in jenen Jahren wirklich zu Stande kam , werthlos machte, war einmal die völlige Kriegs entwöhnung der Bevölkerung.
Durch die zunehmende Dienstbarkeit
unter dem Lehensadel hatte das Volk verlernt nicht blos die Waffen zu führen, sondern auch kriegerisch zu denken und zu fühlen .
Sie
hatte sich bürgerlicher Beschäftigung hingegeben, in dem einträg lichen Erwerbe desselben ein befriedigendes Dasein gefunden und dabei vergessen, dass der Mensch höhere Güter besitze, als das Wohlbehagen seiner Person .
Der Adel aber, der bestimmt gewesen
wäre, dem Fürsten ein glänzendes und mächtiges Heergeleite zu geben, hatte diesen durch Widersetzlichkeit genöthigt , den besten Elementen der Wehrkraft die Waffen aus der Hand zu nehmen und ihnen die widerwillig erfüllte Pflicht der Heerfolge gegen mäszige Entschädigung zu erlassen .
Kein Wunder, wenn die Fürsten, als
sie sich nach Soldaten unter ihren Unterthanen umsahen, wohl Guts besitzer, Gewerbsleute, Bauern und Freibeuter fanden, sonst aber Nichts, was sie zu einem tüchtigen Heere hätten brauchen können. In Folge dessen wird das Aufgebot,
wo es zu Stande kommt, nie
zum Feldgebrauche, sondern höchstens zur Vertheidigung der eigenen Provinz für brauchbar erachtet.
Noch unhandsamer und unbequemer
wurde das Aufgebot durch den Einfluss , den die Landstände auf dessen Gestellung ausübten.
Die Stände, abgeneigt für Zwecke von
nicht sehr ausgesprochener Einträglichkeit Opfer zu bringen, wei gerten sich theils die Gestellung zu gestatten, oder versagten die hierzu nöthigen Mittel , oder hielten hartnäckig an ihrer herkömm lichen Berechtigung fest, nicht über die Grenzen der Provinz hinaus zu dienen ; derart hatte es in Hessen und in Oesterreich bei jedem Versuche zum Aufgebote Schwierigkeiten, Weitläufigkeiten und Ver zögerungen gegeben, in Frankreich brachte der passive Widerstand der Bannpflichtigen das Aufgebotsversuch zum Falle, in Brandenburg degenerirte das Aufgebot bis zur Lächerlichkeit. Was aber diese beiden Hindernisse einer nationaleren Gestaltung der Heere auszer Grundlage der Pflicht erst recht wirksam machte,
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes. das
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war die Schwäche der meisten Regierungen, die von ihren
Ständen bis zur Unwürdigkeit abhängig waren.
Nur dadurch wird
es erklärlich , dass dem klarsten Verständnisse und dem besten Willen des Fürsten sich Hindernisse unübersteiglicher Art entgegen setzten. Aber ebenso, wie all' die Hindernisse in diesem einen Punkte ihr Bestehen begründeten, so verloren sie es auch mit demselben. Die ganze zukünftige Entwickelung gipfelt in der Zunahme der monarchischen Gewalt ; war diese Forderung erfüllt , so war damit einer neuen Entwickelung die Bahn schon erschlossen.
Dies tritt nun mit dem Ende des dreiszigjährigen Krieges ein. Denn der Abschluss desselben bildet in seinen politischen Resultaten zugleich den Endpunkt des groszen Kampfes, der seit dem Eintritte des Lehenswesens geführt worden war zwischen dem Einheitsbestreben der Monarchen und den nach Selbstständigkeit strebenden Bestand theilen ihrer Staaten.
In Frankreich hatte dieser Kampf mit dem
glänzenden Siege des einheitlichen Königthums , in Deutschland mit dessen Niederlage, unter Schaffung einer Anzahl particularer Mo narchien, allenthalben aber mit der gröszten Erstarkung des monarchi schen Principes überhaupt geendigt. (Fortsetzung folgt.)
II .
Die Correspondenz Napoleons I. unter besonderer Berücksichtigung seines Briefwechsels in der zweiten Hälfte des Jahres 1805.
Das Verdienst, den Briefwechsel Napoleons I. mit seinen Mar schällen und Generalen, seinen Ministern und Gesandten, sowie mit den Mitgliedern seiner Familie gesammelt zu haben, gebührt Na poleon III ., dem Neffen des groszen Kaisers. -Auszer den Briefen des Kaisers enthält diese unter dem Namen der „ Correspondance de Napoleon I."
bekannte Sammlung alle Befehle und schriftlichen
Auslassungen, welche in der Zeit des
ersten Consulats und des
ersten Kaiserreichs von jenem groszen Manne ausgegangen sind.
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Die Correspondenz Napoleons I.
Dass dies Unternehmen wirklich ein Verdienst, für welches die Nach welt dem Urheber nicht genug Dank wissen kann, ist, das wird ein Jeder zugeben, der einen, wenn auch nur flüchtigen Einblick in das umfangreiche Werk gethan hat. -- Von früheren Versuchen ein solches Werk zu schaffen, ist zunächst eine noch auf Napoleons I. Veranlassung durch einen früheren Offizier Tranchant de Lavergne zusammengestellte Geschichte der Feldzüge von 1805 bis 1809 zu erwähnen, zu deren Herstellung die Sammlung der hierauf bezüg lichen Briefe und Documente erforderlich war. Diese Geschichte, welche zum Theil unter dem Titel „ Histoire des Campagnes de l'Empereur Napoléon 1805 bis 1809 " etwa im Jahre 1815 durch das „ Mémorial du dépôt de la guerre " in die Oeffentlichkeit übergegangen ist, war die erste Veranlassung zu einer Sammlung derartiger Docu mente.
Später, in den dreisziger Jahren , unterzog sich General
Pelet ,
unterstützt durch den damaligen Major im Französischen
Kriegs-Depot Pélissier, den nachmaligen Marschall von Frankreich, der mühevollen Arbeit, aus den reichhaltigen Schätzen des Französi schen Kriegs- Depots die Correspondenz des groszen Kaisers , die Briefe des Generals Berthier auszusondern .
sowie
Diese Sammlung
gelangte im Jahre 1839 zur Veröffentlichung. Beide Publicationen mögen für die spätere Sammlung der „ Corre spondance de Napoléon I. " immerhin eine gute Grundlage geboten haben, indess waren trotz derselben die Schwierigkeiten und Müh sale einer Sammlung von so zahlreichen und so wichtigen histori schen Documenten gewiss ganz auszerordentliche und müssten wohl eine längere Zeit angestrengter Arbeit in Anspruch nehmen.
Ein
groszer Theil der fraglichen Documente war durch die Stürme der bewegten Napoleonischen Zeit über aller Herren Länder zerstreut, und selbst der im Innlande befindliche Theil war meist in den Händen von Privatpersonen . Jahre Napoleon III.
Deshalb forderte zu Anfang der 50er
zunächst durch einen in allen Europäischen
Ländern bekannt gemachten Aufruf die Besitzer von Papieren, welche direct oder indirect mit seinem groszen Oheim zusammenhingen, auf, durch Abtretung derselben an die Französischen Archive zur För derung einer Sammlung der Correspondenz Napoleons I. beizutragen. Eine im September 1854 ernannte Commission, an deren Spitze der damalige Kriegsminister, Marschall Vaillant stand, und deren Mit glieder zumeist Mitglieder der Französischen Akademie oder höhere Militairs , wie Prosper Mérimée ,
Baron Dupin und General Pelet
waren, wurde mit der Sichtung des bedeutenden Materials und der demnächstigen Herausgabe desselben beauftragt.
Lange Jahre an
Die Correspondenz Napoleons I.
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gestrengten Fleiszes bewährter Fachmänner erforderte es, um Ordnung in jenes ungeheuere Chaos zu bringen.
Im Jahre 1858 ward die
Veröffentlichung begonnen und dauerte bis zum Jahre 1869, während welcher Zeit achtundzwanzig starke Bände von durchschnittlich 600 Seiten dem Publicum übergeben wurden.
Dem Forscher ist hiermit
Gelegenheit gegeben, die Thätigkeit dieses gewaltigen Mannes vom 25. October 1793, d . h. von dem Tage ab, von welchem nach des Kaisers
eigenen Worten sein öffentliches Leben beginnt , bis zum
4. August 1815, an welchem Tage sein Protest gegen die Verbannung nach St. Helena erfolgte , zu begleiten. Auszer diesen achtundzwanzig Bänden der Correspondance besitzen wir in sechs anderen die Me moiren von St. Helena , welche hauptsächlich Dictate Napoleons während der Zeit seiner Verbannung enthalten und welche geordnet und von fremden Bestandtheilen gesäubert im Jahre 1867 als „ Com mentaires de Napoléon I. " erschienen und eine Art Ergänzung seiner Correspondenz bilden. Gewiss ist, dass man diesem groszen Manne kein glänzenderes und dauernderes Denkmal hätte setzen können, als indem man seine geistige Thätigkeit während einer ereignissreichen geschichtlichen Epoche der Oeffentlichkeit übergab. Und mögen auch immerhin ehr geizige und prahlsüchtige Motive die Französische Nation und ihrem damaligen Beherrscher bei der Veröffentlichung dieses Werkes ge leitet haben, der Werth desselben wird hierdurch nicht verkleinert ; auch bietet dieser Umstand keine Entschuldigung dafür, dass man in Deutschland diesem bedeutsamen Werke eine verhältnissmäszig geringe Aufmerksamkeit zugewandt hat. Ein
sorgfältiges Studium der
Napoleonischen
Correspondenz
könnte ohne Zweifel viele Jahre der Lebensthätigkeit eines Menschen vollständig ausfüllen, und gewiss giebt es kaum ein anregenderes und lehrreicheres Studium, als das der Correspondenz groszer Männer wie Friedrich und Napoleon.
Denn gerade der Einblick in die
geistige Werkstatt dieser hervorragenden Geister giebt uns ja erst das Verständniss für die Thaten , die wir bewundern, und erschlieszt uns ihr Innerstes. Und wie lehrreich muss ein solcher Einblick bei einem Manne wie Napoleon sein, dessen Vielseitigkeit vor Allem zu bewundern ist. Da ist kein Zweig der Wissenschaft oder der Kunst, mit dem er nicht vertraut gewesen wäre, kein Zweig des öffent lichen und des Privatlebens, den er nicht mit Interesse erfasst, über den er sich nicht belehrt oder ein richtiges Urtheil abgegeben hätte. Seinen Geist interessirt Alles , er ist überall zu Hause. In diesem Augenblicke schreibt er an seine Marschälle die wichtigsten Befehle
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Die Correspondenz Napoleons I.
und Dispositionen, im nächsten giebt er dem Polizeiminister Directiven über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit , dann dem Finanzminister über die Verwendung der vorhandenen Gelder ; dann schreibt er seinem Admiral taktische Principien über die Verwendung seiner Flotte, und zeigt ihm, wie er in wirksamer Weise diese oder jene Diversion machen könne , dann dem Kriegsminister über die Organisation und Ausbildung der Reserven, des Munitionsnachschubes, dann einem Genie-Offiziere über Befestigung dieses oder jenes Punktes , dann über Musik und Malerei , über Familienverhältnisse, kurzum über alle möglichen Gegenstände .
Und dabei denkt er an Alles mit
einem Ordnungssinne und einer Pünktlichkeit , wie sie gewiss nur wenigen Menschen eigen ist. Sein stets arbeitsamer Geist versetzt sich mit einer Lebhaftigkeit aus den Verhältnissen, die ihn augen blicklich umgeben, in fremde, ihm räumlich unendlich fern liegende, dass er auch jene oft mit gröszerer Schärfe und meist weit richtiger erkannte, als diejenige Persönlichkeit ,
die seine eigene Wahl an
diese
Selbst inmitten der Auf
oder jene Stelle gesetzt hatte .
regungen und Anstrengungen eines Feldzuges leitet er gleichzeitig eine zweite und dritte Armee auf fremden, räumlich weit entfernten Kriegstheatern, und steht täglich in ununterbrochener Verbindung mit den dortigen Heerführern, immer bemüht seine meist richtigen und zutreffenden Gedanken mit überzeugender Kraft auf sie wirken zu lassen , wie ein Schachspieler, der mehrere Parthien zugleich spielt.
Es ist erstaunlich und bewundernswerth den groszen Mann bei seinen Arbeiten zu verfolgen, wie er beispielsweise in militairi schen Dingen Alles anordnete und besorgte, was auf den Gang der Operationen Bezug hatte, Alles bis ins kleinste Detail hinein. Für ein mittelmäsziges Genie würde gerade ein solches Einmischen in Details, welche die Unterführer ihrer freien Entschlieszung zum Theil beraubte , eine grosze Gefahr in sich bergen. vielseitige
Thätigkeit
hatte
splitterung und der Halbheit.
aber niemals
Napoleons
den Stempel der Zer
Was er erfasste, das erfasste er
ganz , mit der vollen Kraft seiner groszen Seele. Des halb steht denn auch die Art und Weise seiner militairischen Lei tung und das, was er als Feldherr geleistet hat, für alle Zeiten fast als etwas geradezu Unerreichbares da . Was ein Feldherr unserer Zeit mit einem zahlreichen und gut eingearbeiteten Personal leistet und schafft, das Alles war in jener Zeit in der Geistes- und Arbeits kraft des groszen Mannes vereint. Denn wenn er auch eine zweck mäszige Arbeitstheilung eintreten liesz , so waren alle Persönlich keiten seiner Umgebung in Bezug auf ihre Thätigkeit doch eigent
Die Correspondenz Napoleons I. lich unselbstständig und subaltern.
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Es gab nur den einen Willen
und den einen Kopf des Kaisers ; seiner Umgebung blieb wenig mehr als das technische Detail der Ausführung. An einem Tage liesz er oft 12 bis 20 theilweise sehr umfangreiche Depeschen, Instructionen, Befehle und Briefe verschiedensten Inhalts abgehen , die oft zum gröszten Theile von seiner eigenen Hand herrührten, die wichtigsten wenigstens stets. So gestatten uns die Tausende von Briefen, dem Gedankengange des groszen Mannes fast unausgesetzt zu folgen, und gewissermaaszen der Entstehung seiner Pläne und seiner stetigen Geistesarbeit , die nur Abwechselung in der Arbeit als Erholung kannte, beizuwohnen. Was ganz besonders an der Lectüre einer solchen Correspondenz fesselnd ist , das ist die Gewalt des universellen Verstandes,
dem
Nichts entgeht und der in diesem Augenblicke sich zu den höchsten Combinationen versteigt, um sich im nächsten mit der unbedeutend sten Kleinigkeit zu beschäftigen. schäftigung unwürdig . wichtigste politische,
Nichts
erscheint seiner Be
Die bescheidenste Verwaltungsfrage, wie die werden in seinen Briefen mit einer Genauig
keit behandelt, die erstaunlich ist.
In diesem Augenblicke giebt er
Europa's Staaten auf der Karte neue Abgrenzungen, im nächsten beschäftigt sich seine Sorgfalt mit einem abgebrannten Weiler seines Reiches, der wiederherzustellen ist. ― Aber auch mit der bloszen Ertheilung von Befehlen begnügt er sich nicht , er überwacht auch ihre Ausführung mit ängstlicher Sorgfalt.
Das ist es, was ihn gerade
als Feldherrn so grosz gemacht hat. Grundsätze und Wahrheiten der Kriegskunst, welche gerade wir in den Feldzügen der letzten zehn Jahre als richtig zu erproben Gelegenheit hatten, finden wir in den Briefen Napoleons I. zahlreich niedergelegt, und deshalb sind sie für Den, der darin zu lesen ver steht , eine unerschöpfliche Quelle der reichsten Belehrung. Aus diesem Grunde ist seine für Jedwedermann lehrreiche und interessante Correspondenz für den Militair von hervorragender Wichtigkeit.
Sagt
er doch selbst in seinen Memoiren, dass das immer wiederkehrende Studium der Werke groszer Feldherren des Alterthums und der Neuzeit das einzige Mittel sei , ein guter Feldherr zu werden. ewigen Grundwahrheiten der Strategie ,
Die
Grundsätze über die Or
ganisation und Behandlung der Massen, über Verpflegung des Heeres etc. finden wir in jenen Briefen und können dieselben noch heute als mustergültig betrachten. Aber nicht für den Feldherrn allein ,
auch für den jüngeren
Offizier ist das Studium der Correspondenz Napoleons I. eine un
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Die Correspondenz Napoleons I.
erlässliche Bedingung für das Verständniss
der Kriegsgeschichte.
Die Feldzüge Friedrichs des Groszen und Napoleons gerade , deren
sind
es ja
Studium jedem Offiziere als Bildungsmittel anzu
empfehlen sind .
Die Napoleonischen Feldzüge versteht man erst
dann, wenn man sich nicht mit den nackten Thatsachen begnügt, die ein mehr oder minder vollständiges kriegsgeschichtliches Werk uns fertig auftischt , sondern indem man an der Hand der Corre spondenz des groszen Mannes die Ereignisse durchgeht, wie sie sich von Tag zu Tag , von Stunde zu Stunde entwickeln und zur Krisis zuspitzen, wie Dies oder Jenes gar nicht anders geschehen konnte , als es geschah und wie sich Eins aus dem Andern psychologisch entwickelte.
Bei Anwendung
dieser Hülfsmittel erschlieszt uns
das Studium der Kriegsgeschichte neue Reize und ist recht eigent lich nutzbringend . Leider begünstigt nun
aber das äuszere Arrangement dieses
umfangreichen Briefwechsels eine Benutzung desselben zu kriegs geschichtlichen Studien keineswegs.
Denn dadurch , dass man alle
vom Kaiser herrührenden oder auf seine Thätigkeit Bezug habenden Documente der Sammlung einverleibte, wie es der Zweck derselben ja erforderte, trat eine gewisse Ueberfüllung ein, welche es schwer macht auf den ersten Blick hin das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden.
Wer könnte überdies die achtundzwanzig Bände
der Correspondenz des Kaisers und die sechs seiner Commentare mit der nöthigen Aufmerksamkeit und mit der Karte in der Hand studiren, ohne zu ermüden, und wer hat die hierzu nöthige Zeit ? Wir müssen es deshalb mit groszem Danke anerkennen, dass der zeitige Präsident der Französischen Republik , der Marschall Mac Mahon, vor Kurzem den Befehl gegeben hat, die militairische Corre spondenz Napoleons I. aus seinem Briefwechsel zu scheiden und zu einer ausgewählten Sammlung zu vereinigen, die uns die Hülfe , welche die Correspondenz für kriegsgeschichtliche Zwecke gewährt, minder beschwerlich macht. Kurz und schnell, wie sein Urtheil und sein Entschluss, ist auch der Styl des Kaisers durch Kürze und Präcision , durch strenge Logik und Schärfe ausgezeichnet. Mit drei Worten sagt er, was ein anderer in langathmigen Perioden bringt , und in seiner Kürze trifft er stets den Nagel auf den Kopf.
Fast in keinem seiner Briefe, sei er ge
schäftlichen oder privaten Inhaltes, ist eine Art von Einleitung oder von Formellem zu finden ; keine Phrase, keine Umschreibung . Immer geht er gleich in medias res . Diese Kürze und die Beschränkung auf das rein Sachliche
sind Vorzüge, welche die Lectüre seiner
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Die Correspondenz Napoleons I.
Correspondenz ungemein erleichtern und das Interesse bei der über reichen Masse an Stoff stets wach erhalten. Wir ersehen beispiels weise mit Verwunderung aus seiner Correspondenz mit den Mar schällen, dass das militairische Verständniss derselben und die Kunst sich in die Lage und in den Gedankengang ihres Gebieters hinein zu versetzen, besonders im Anfange ihrer militairischen Carrière oft ein sehr geringes war, und dass der Kaiser nur durch auszerordent liche Mühe, durch täglichen Briefwechsel und durch bis ins Detail , bis auf den Munitionsersatz und die Trains sich ausdehnende Befehle ibre richtige Mitwirkung erzielte . Wenn trotzdem die Französischen Feldherrn jener Zeit der Nachwelt achtunggebietende Namen hinter lassen haben, so danken sie dies hauptsächlich dem groszen Ober feldherrn, der sie unausgesetzt schulte und unterwies, und eben durch die Stetigkeit seiner Bemühungen sich den Erfolg sicherte.
Denn
später konnte allerdings der Kaiser die Früchte seiner Bemühungen ernten, er wusste, dass er an dieser oder jener Stelle sich auf den Marschall seiner Wahl verlassen könne .
Allerdings hielt er auch
mit seinem Urtheile über die Handlungsweise seiner Generale, seine Brüder nicht ausgenommen, keineswegs zurück , seine Briefe aller überflüssigen Zartheit.
entkleidete auch
„ Je ne puis trop Vous
témoigner mon mecontentement " etc. ist ein keineswegs seltener Anfang seiner Briefe an die Marschälle oder Minister, die nicht ver standen hatten in seinem Sinne zu handeln. Ich schreibe nicht zum Zeitvertreib, und bin nicht gewohnt umsonst zu schreiben “ , musste selbst sein Stiefsohn Eugène hören, als er eigenmächtig die ihm vom Kaiser ertheilten Befugnisse überschritten hatte.— Wir hatten von dem Style des Kaisers zu reden begonnen. Es wird sich kaum Besseres über seine Schreibweise sagen lassen, als das, was einige der eminentesten Französischen Schriftsteller und Politiker hierüber geäuszert haben.
Zwar beziehen sich die nach
folgenden Kritiken eigentlich mehr auf die Commentare des Kaisers , indess glaube ich ohne Bedenken sie auch auf seinen Briefwechsel anwenden zu dürfen. Einen interessanten und gewiss richtigen Vergleich zwischen der Schreibart Friedrichs des Groszen und Napoleons giebt uns Villemain, wenn er sagt : „Friedrich hat in seiner Erzählung mehr Trockenheit als Ein fachheit, mehr Nachlässigkeit ohne Geschmack als Natürlichkeit. Dann aber ist bei ihm ein Ueberfluss an rein militairischen Details vorhanden, und wer nicht Taktiker ist , folgt ihm mit Mühe in den Wechselfällen seiner heroischen Strategie. Auch werden seine
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Die Correspondenz Napoleons I.
Memoiren über den siebenjährigen Krieg und den Feldzug von 1778 nicht wie die Cäsars gelesen werden ; sie gewinnen in ihrer Ver kürzung, wie sie Napoleon auf St. Helena in den bewundernswürdigen Notizen über die klassischen Feldzüge groszer Feldherren auf zeichnete Ein hartnäckigerer und glücklicherer Feldherr als Napoleon, welchem er ein so glorreiches Lob abgerungen hat, ist Friedrich ihm als Schriftsteller unterlegen.
Bewundernswerth
durch sein Verständniss in der Benutzung der Vortheile des Krieges , in der Erhaltung seiner Eroberungen und in der Kunst, auf lange, blutige Kämpfe einen langen und glücklichen Frieden folgen
zu
lassen, hat Friedrich in der Ruhezeit seiner Studien und im vollen Genusse seines Ruhmes Nichts über diese Feldzüge geschrieben, was man mit den Zeilen vergleichen könnte, die Napoleon gefangen und sterbend auf St. Helena dictirte . . . . .
Es würde interessant sein,
die Stelle herauszugreifen, wo Friedrich in den n Memoiren seiner Zeit“ in malitiösem und spöttischem Tone den Verfall des christ lichen Glaubens bei den gebildeten Völkern Europa's beschreibt, und sie mit jenem Fragmente zu vergleichen, wo Napoleon Paris als Hauptstadt des Katholicismus träumt und den Stuhl St. Peters nach Notre Dame versetzt glaubt. Die Verschiedenheit beider Männer tritt da recht sichtlich hervor, mehr noch als die der beiden Epochen. Uebrigens nähert sich Napoleon, was die Majestät des historischen Styls anbetrifft, aus despotischem Instinct zuweilen Tacitus, obgleich er ihn nicht liebte" u. s . f. Noch treffender kennzeichnet ihn der greise Staatsmann und Schriftsteller Thiers, wenn er sagt : 99, Man kennt nur einen Theil Napoleons , wenn man nur seine Thaten kennt.
Napoleon
als Schriftsteller ist eben so grosz als An dem Tage, wo er seinen
Napoleon als Staatsmann und Feldherr.
ersten Sieg errang, schrieb er eine seiner schönsten Seiten, nämlich die Proclamation, welche er an seine Soldaten richtete, als er nach dem Siege über die Piemontesen bei Montenotte sich zur Verfolgung der Oesterreicher auf Italien warf. Er war groszer Feldherr und groszer Schriftsteller zugleich durch die Wirkung derselben Eigen schaften . Es ist das höhere Verständniss , welches befähigt , erhaben zu handeln und erhaben zu schreiben.
Der Genius , der Cäsars Com
mentare, einige Theile der Werke Friedrichs, die Memoiren Napoleons geschrieben hat, ist derselbe, der die Siege von Pharsalus, Leuthen und Austerlitz errang .
Es giebt keinen groszen Mann der That, der
nicht auch groszer Schriftsteller gewesen wäre.
Man könnte noch
Die Correspondenz Napoleons I.
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Cäsar, Napoleon, Friedrich und einen unter ihnen stehenden, aber auch bedeutenden Mann, Dumouriez anführen, welcher so geschrieben hat, als er handelte.
In dem groszen Manne der That schlummert
auch das, was zum groszen Schriftsteller befähigt : der Gedanke ; es liegt in ihm auch das, was das Erhabene im Style ausmacht : die Seele. Sie leuchtet aus Worten wie aus Thaten. Wer fühlt nicht aus den ersten von Italien her geschriebenen Proclamationen die Seele des Kriegers heraus, der sich in einem Monate vom Appenin hinabstürzte, seine Fahne an der Etsch aufpflanzte, und unter dem Gelübde, nicht zu weichen, diesem Gelübde des Genies nicht mehr untreu ward ? Den groszen Männern, die wir erwähnten, an Hoheit des Ge dankens gleich, vielleicht überlegen, besasz Napoleon mehr als sie alle die Leidenschaftlichkeit der Seele, und das ist es , was ihn über einen so weiten Bogen des Erdballs getragen hat, vom Berge Tabor zum Borysthenes über Madrid , Moskau
Paris , Wien ,
Berlin und
In seinen Memoiren ist eine Eigenschaft besonders merkwürdig : Er ist weniger glänzend, als zu der Zeit , wo Napoleon nach Italien hinabstieg, wo er am Fusze der Pyramiden oder an den
der Styl.
Ufern des Jordan schrieb, aber er ist gedrängter, conciser, vor allen Dingen correcter . Seltsam ist es und für Diejenigen kaum glaublich, die nicht die Memoiren Napoleons gelesen haben, dass dieser Styl in seiner Art einer der vollendetsten ist, die es giebt. Guter Ge schmack , Einfachheit , Reinheit, Correctheit, Gewandtheit des Aus Sein Satz ist mit drucks sind darin in hohem Grade vertreten . auszergewöhnlicher Sorgfalt construirt. Es ist jene Sorge um die Form, um eine schöne Form darin zu erkennen, welche den Menschen kennzeichnet, der die Kunst für sich selbst liebt und der sich darum bemüht. Sein Styl ist das Muster eines gelehrten, überlegten, in hervor ragendem Maasze unserer Zeit eigenthümlichen Styls .
Wir können
nicht mehr jene zugleich erhabene und naive Grösze besitzen, die Bossuet und Pascal eigen war, und die ebenso ihrem Jahrhundert, als ihnen gehörte . Wir können selbst nicht mehr die Feinheit , die Anmuth, die ausgesuchte Natürlichkeit Voltaire's haben. Diese Zeiten sind vorbei , aber einen einfachen, wahren, berechneten, gelehrten, durchgearbeiteten Styl , das dürfen wir hervorbringen.
Und es ist
noch ein schönes Loos , wenn man wichtige Wahrheiten auf diese Weise mittheilen kann.
Der Styl von Laplace in seiner Auseinander
setzung des Weltsystems, von Napoleon in seinen Memoiren sind
Die Correspondenz Napoleons I.
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die Muster des einfachen, überlegten, unserem Zeitalter eignenden Styls." Schlieszlich müssen wir noch eines durch seine Lebhaftigkeit und die Frische des Ausdrucks charakteristischen Urtheils des kürz lich
zum
Senator
erwählten
Herrn
Léonce
de
Lavergne
Er
wähnung thun.
99 Es giebt kein bedeutendes Ereigniss seines Lebens, " sagt der selbe, " welches er nicht selbst erzählt hätte.
Jeder seiner Feldzüge
als Soldat beginnt mit einer Proclamation, die ihm vorangeht, und endigt mit einem Triumph-Bulletin, welches er auf dem Schlacht felde dictirt. Diese aufeinander folgenden Denkmäler des Gedankens sind das , was seine auszergewöhnliche Seele am besten kennen lehrt ;
man
folgt ihm Schritt für Schritt in seiner stürmischen Entwickelung, man sieht in ihr den Willen entstehen und heranwachsen, der die Welt unterworfen und in Aufruhr, versetzt hat ; es giebt keine dieser inneren Bewegungen, die nicht in den Abwechselungen seines Styls zum Ausdrucke gelangt. In seiner Jugend wirft er die Unordnung des Gedankens, die ihn quält , in flüchtige und incorrecte Handlungen und haucht in leidenschaftlichen Invectiven seine republikanische Exaltation aus. In Italien schreibt er dem Directorium noch Briefe voll von der Unruhe seiner Jugend, aber diese Unruhe ist mehr ein glühendes Vorgefühl seines Genies . plant er.
Er vollbringt grosze Dinge, gröszere noch
Noch ist seine Sprache komisch , auszergewöhnlich, doch
weniger unzusammenhängend .
Auf jeder Zeile zeigt sich in ihm
mit einer Art von Naivetät jene Mischung von Kühnheit und List, von Phantasie und gesundem Verstande, der stets den Grund seines Charakters bilden wird. In Aegypten erhält sein Geist die Färbung
des Klima's ;
er
nimmt in den Formen seiner Sprache muselmännische Pracht an , wird Fatalist wie ein Bey und abergläubisch wie ein Iman ;
man
weisz nicht, welch' Nebelbild eines immensen Orient- Reiches ihn am Fusze der Pyramiden verfolgt , und ihn dazu treibt , seine Ankunft gleichzeitig dem Sherif von Mekka, dem Sultan von Marocco, dem Bey von Tripolis , dem Pascha von Syrien, dem Grosz -Vezier von Constantinopel und dem Sultan von Indien anzuzeigen. Als Consul ist er von selbst bemüht seinen Ungestüm zu zügeln ; aus dem Manne der Regellosigkeit und des Zufalls wird ein Ver standesmensch, seine Schriften tragen das Gepräge der Ordnung und Ruhe, die er in dem ganzen Lande wieder herstellt ;
er respectirt
Die Correspondenz Napoleons I.
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die Grammatik und den Verstand wie die Religion , das Eigenthum und die Gerechtigkeit. Als Kaiser erhebt er seine Stimme so laut als sein Geschick ; mit den Römischen Adlern und dem Mantel der Cäsaren nimmt er die stolze und kurze Wendung der alten Kaiserlichen Sprache an, die steinerne Energie , die erhabene Einfachheit des Lateinischen : imperatoria brevitas. So modificirt sich in ihm der Schriftsteller mit dem Menschen ; zuerst kochend und regellos wie eine Lava, wird sein Styl endlich hart, grosz und kalt wie Bronce. Wie die Bulletins von Arcola und Aboukir bewegt und malerisch sind ,
so sind die von Jena und
Austerlitz majestätisch und streng. Wenn die Periode des Unglücks herannaht, verdunkelt sich ihm 1 Alles zugleich und verschwindet ; mit geschwächter Hand zeichnet er die Erzählung seiner letzten Kämpfe auf , und findet seinen ge wohnten Schwung nur, um den verwundeten Adler von der Insel Elba nach Paris zurückfliegen zu lassen ; besiegt , endigt er sein öffentliches Leben durch einen unsterblichen Brief. Endlich hat er die schon so reiche Französische Literatur mit einer neuen Art ,
in der er ohne Nebenbuhler ist , bereichert : die
Proclamation ; er hat nach so viel oratorischen Triumphen eine neue Beredtsamkeit geschaffen : die militairische Beredtsamkeit. In dieser Beziehung ist er classisch und verdient an der Seite unserer ersten Schriftsteller zu stehen.
Er hat Proclamationen ge
macht , wie Pascal seine pensées , wie Bossuet seine Leichenreden, Lafontaine seine Fabeln, Molière seine Comödien ; Art der erste und letzte.
er ist in dieser
Keiner hat ähnliche vor ihm gemacht, keiner wird solche nach ihm machen ; die Welt wird noch andere Schauspiele sehen, ebenso grosze, vielleicht gröszere, aber sicherlich werden sich ähnliche persönliche Umstände nicht mehr ereignen und Napoleon wird Schriftsteller bleiben."
einzig als
Gewiss sind die vorstehenden Urtheile auch ihrerseits sprachlich des Gegenstandes würdig , den sie behandeln,
und Jeder, der sich
etwas mit den Schriften Napoleons beschäftigt hat , wird diesen Ur theilen gewiss aus voller Seele beistimmen. Die unter den Briefen des Kaisers befindlichen
zahlreichen
Bulletins an seine Armee enthalten grösztentheils kurze Beschrei bungen der stattgehabten Gefechte und Schlachten, und könnten da her als Eindrücke über die Sachlage unmittelbar nach der Action von Wichtigkeit und Nutzen für die Geschichtsschreibung sein, wenn 3 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
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Die Correspondenz Napoleons I.
nicht ihre Wahrhaftigkeit mit Recht mehrfach anzuzweifeln wäre. Mit der letzteren aber nahm es der Kaiser nicht so genau, und zu dem waren ja alle diese Bulletins und Proclamationen eben nur Mittel zum Zwecke, und so scheute er sich nicht, das genaue Gegen theil des wahren Thatbestandes in die Welt hinauszuschleudern, wenn es ihm für seine Absichten günstig schien.
Er that es meist , um
den Gegner zu täuschen, um den eigenen Truppen zu schmeicheln und ihren Muth neu zu beleben, ihren Ehrgeiz wach zu erhalten. Auf diese Weise sind die meisten der Bulletins von ächt Französi scher Prahlsucht und Schönfärberei und hochtrabenden Worten über lastet.
Aber auch hierin entwickelt der Kaiser ein Geschick und
zeigt ein Talent, seine Soldaten bei ihrer schwachen Seite zu fassen und sie seiner Person zu attachiren, die wir bewundern müssen. Daher die blinde Ergebenheit seiner Truppen, das völlige Vergessen der eigenen Person und der Familie,
die unbedingte Unterordnung
unter den Willen des Feldherrn, in welchem das Mitgefühl für seine Truppe doch häufig durch ehrgeizige Pläne erstickt ward. — Nach den schweren Verlusten bei Austerlitz hielt er es besonders geboten, die Truppen und ihre Tapferkeit durch Lobpreisungen zu erheben, und that es in zahlreichen Proclamationen und Tagesbefehlen . „ Il suffira de dire que vous étiez à la bataille d'Austerlitz pourqu'on réponde : voilà un brave, " so heiszt es in einer derselben .
Dann
ist er bemüht, seine Soldaten von der Friedfertigkeit seiner eigenen Gesinnungen zu überzeugen und seine Feinde stets als Friedens störer darzustellen.
Gegen diese versteht er ihren Hass derartig zu
schüren, dass der Gedanke an Frieden auch nach den gröszten Ver lusten nicht aufkommen kann . Charakteristisch ist übrigens, dass der Kaiser in ebendemselben Maasze, als er selbst Wahrhaftigkeit und Treue in seiner Handlungs weise oft vermissen liesz , solche von seinen Untergebenen und von seinen Bundesgenossen unbedingt in Anspruch nahm.
So gewährt
es beispielsweise einen fast komischen Eindruck, seinen Verkehr mit den verbündeten Süddeutschen Fürsten im Feldzuge von 1805 zu betrachten, wo er in ängstlicher Weise die Lauterkeit seiner eigenen Gesinnungs- und Handlungsweise zu zeigen bemüht ist , ihnen da gegen den Vorwurf des Treubruches macht , das Gegentheil in der That stattfand .
während doch genau
Man sieht , dass im guten
wie im bösen Sinne der grosze Mann stets nur auszergewöhnliche grosze Eigenschaften zeigte. Es soll in Nachstehendem nun der Versuch gemacht werden,
einzelne der hervorragendsten Briefe aus dem Jahre 1805, welches
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Die Correspondenz Napoleons I.
in kriegsgeschichtlicher Beziehung durch die Feldzüge von Ulm und Austerlitz eine besondere Bedeutung hat , in kurzem Auszuge mit zutheilen und an der Hand der Correspondenz
dieses Jahres die
militairischen Ereignisse desselben näher zu beleuchten.
Es wird
schon dieser kurze Versuch genügen , um das über die Bedeutung und das Wesen der Correspondenz Napoleons I. Gesagte darzuthun.— Vergegenwärtigen wir uns in aller Kürze die politische Situation Europa's im Sommer von 1805.
Die Absicht des Kaisers war, dem
Seekriege mit England durch eine Landung auf der Insel eine andere Wendung zu geben.
Seine Truppen waren in den groszen Lagern
des Nordens concentrirt ,
Befehle zur allmäligen Heranziehung von
Transportfahrzeugen gegeben. Admiral Villeneuve lag mit der Flotte im Hafen von Toulon bereit, nach den Westindischen Gewässern in See zu gehen.
Napoleon hoffte durch diese Diversion die Englische
Flotte unter Nelson nachzuziehen.
Geschah dies, so sollte Villeneuve
schnell nach Europa zurückkehren, die Häfen von Ferrol und Brest deblokiren und dann den Engländern weit überlegen im Canal er scheinen.
Sobald er hier angelangt , wollte Napoleon die Landung
versuchen und durch die Flotte den Canal absperren lassen. Dieser Moment war auf das letzte Drittel des Augusts festgesetzt. In dessen ging Villeneuve, nachdem er seine Fahrt nach Westindien ausgeführt, nach Europa zurückgekehrt und den Hafen von Ferrol schnell deblokirt hatte, nach Cadix und blieb hier unthätig, so dass Nelson, der den Französischen Plan alsbald richtig durchschaute, vollkommen Zeit zur Rückkehr gewann . Was den Admiral ver anlasste, nach Cadix anstatt nach Brest zu gehen, ist bis jetzt noch nicht ganz aufgeklärt , wenn man nicht annehmen will , dass ein Brief Napoleons vom 16. Juli , in welchem der Kaiser für den Fall unvorhergesehener Ereignisse bei Ferrol, welche die Lage des Ad mirals beträchtlich ändern könnten , im Hafen von Cadix vor Anker zu gehen befahl, den Admiral Villeneuve in seinem Entschlusse be stärkt habe .
Thatsächlich hatte aber der Kaiser diesen Fall immer
hin nur als einen bezeichnet , qui avec l'aide de Dieu n'arrivera pas." Jedenfalls steht fest , dass durch Villeneuve's Ausbleiben die Landung in England zur Unmöglichkeit wurde.
Nun aber hatten
sich auch bereits auf dem Continent bedenkliche Wetterwolken zu sammengezogen, und der Kaiser hatte, wie man annehmen darf, bereits seit dem Frühjahre die Möglichkeit eines Landkrieges ernstlich er wogen. Indessen noch am 13. August hofft er auf Villeneuve's Er scheinen
und ist voll von dem Gedanken , England zu strafen.
Niemals," schreibt er an diesem Tage dem Admiral, „ war ein Ge 3*
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Die Correspondenz Napoleons I.
schwader für ein gröszeres Ziel einigen Gefahren ausgesetzt, niemals werden meine Land- und Seesoldaten ihr Blut für einen edleren Zweck vergossen haben ; für den groszen Zweck eine Landung bei der Macht zu unternehmen, die Frankreich seit sechs Jahren unter drückt, könnten wir Alle sterben, ohne das Leben zu vermissen. Diese Gefühle sollen Sie , sollen alle meine Soldaten be seelen . “
Zwei Tage später kommen die ersten ungünstigen Nach
richten.
Il est impossible, d'avoir manoeuvré plus mal que Ville
neuve ne l'a fait, " lautet sein erster, heftiger Tadel gegen den Ad miral , welchen er dem Viceadmirale Décrès gegenüber ausspricht. Aber noch bleibt er bei seinem Landungsprojecte, ohne jedoch die für ihn unwillkommene Eventualität des Landkrieges aus den Augen zu verlieren.
Trotzdem sie ihm ungelegen, erfasst er sie mit der
ihm eigenthümlichen Energie, und an demselben Tage, wo er be geistert von dem Landungsprojecte an Villeneuve schreibt ( 13. Au gust), giebt er dem Minister des Auswärtigen, Talleyrand , umfassende Instructionen für den Fall eines Landkrieges.
Seine Briefe an Talley
rand sind durch die ungeheuere Lebendigkeit und Schärfe der Auf fassung besonders merkwürdig. Es sind nicht gewöhnliche diplo matische Instructionen . Der Kaiser versetzt sich mit einer solchen Lebhaftigkeit in die Verhältnisse seines Ministers , dass er ihm oft wörtlich vorschreibt , was er diesem oder jenem fremden Gesandten sagen soll , haltend.
zugleich eine Replik auf deren etwaige Antwort bereit
Der Brief an Talleyrand vom
13. August 1805 ist die erste
Gegenmaaszregel gegen die von England geschürte Oesterreichische Bewegung und die Ansammlung von Truppen in Tyrol. „ Ich er halte den Brief des Herrn von Larochefoucauld (Französischer Ge sandter in Wien).
Herr v. Cobenzl (Oesterreichischer Gesandter in
Paris) wird seinerseits voraussichtlich die Antwort auf die kürzlich überreichte grosze Note erhalten haben.
Das ist nicht meine Sache.
Mein Entschluss steht fest. Ich werde Oesterreich angreifen und vor dem Monat November in Wien sein, um gegen die Russen Front zu machen, falls sie sich zeigen ; oder ich will und zwar wört lich , dass nur ein Oesterreichisches Regiment in Tyrol und
acht in Steyermark und
Kärnthen sind .
Ich will,
dass die Befestigungsarbeiten bei Venedig aufhören, weil das Feld werke sind.
Ich will, dass die Truppen des Hauses Oesterreich sich
nach Böhmen oder Ungarn begeben, und dass man mich ruhig meinen Krieg mit England machen lasse. Lassen Sie Herrn v. Cobenzl holen, zeigen Sie ihm den Brief des Herrn von Larochefoucauld,
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Die Correspondenz Napoleons I.
dann die des Herrn Otto (Französischer Gesandter in München), dann die von Salzburg und Regensburg ;
endlich sammeln Sie mit
Affectation alle Schriftstücke, die Sie auftreiben können , die von der Bewegung und Ansammlung Oesterreichischer Truppen sprechen, und Macht er Schwierig
legen Sie ihm dieselben zur Abschrift vor. keiten, dies zu thun, so bringen Sie
ein Stündchen mit ihm zu,
bringen Sie es dahin, dass er Alles liest, und wenn er Alles gesehen hat, sagen Sie ihm : Sie haben eben eine grosze Zahl Briefe gelesen. Ich weisz nicht , welches der wahre Eindruck gewesen sein mag, den sie auf Sie gemacht haben ; was glauben Sie aber, dass die selben auf den Kaiser der Franzosen für einen Eindruck gemacht haben, der sie in Boulogne gelesen hat, inmitten seines Lagers und mit seinen überseeischen Operationen beschäftigt ?
Schon hat
er
die Ausführung der Feindseligkeiten angeordnet, er hat eingesehen, dass er nicht mit 150,000 Mann nach England gehen könne, wenn seine Südgrenzen bedroht sind.
Also der Kaiser von Deutschland
hat bereits eine Diversion zu Gunsten der Engländer gemacht ? Nun wohl, Ihr werdet in einem Monate Krieg haben, ja in einem Monate, das sage ich Euch mit Schmerz .
Entweder muss Alles in Oester
reich in derselben Ordnung bleiben, wie es vor drei Monaten war, Indem oder Ihr werdet in einem Monate Krieg haben ich so zu Euch rede, sage ich Euch die eigenen Ansichten des Kaisers der Franzosen, und Ihr werdet den Krieg gerade an dem Orte haben, wo Ihr keine Truppen habt, in dem, wo sie nicht versammelt sind ; Ihr werdet genöthigt sein, sie so schnell herbeizuholen, als Ihr sie an die Stelle gebracht habt , wo sie sich jetzt befinden . die Note, die ich beauftragt bin Ihnen zu übergeben. hofft noch immer,
Hier ist
Der Kaiser
dass man Ihren Hof täuscht, und dass die Ver
bündeten der Engländer, da sie einsehen, dass man den Kaiser von Deutschland nicht anders zum Kriege bestimmen kann, ihn unfrei willig dazu hinreiszen, weil sie wohl fühlen, dass der Kaiser der Franzosen, bereit das Wagniss einer groszen maritimen Expedition zu unternehmen, keine Oesterreichischen Truppenansammlungen in Tyrol oder an der Etsch dulden wird. Wenn jemals ein Mann gegen sein Vaterland und seinen Souverain eine grosze Verantwortlichkeit hat , so sind Sie es : Sie allein kennen Frankreich ; Sie allein von den Ihrigen wissen, dass der Kaiser den Frieden will ;
Sie wissen,
dass in den Departements am Rhein nicht ein Soldat ist . . Sie können also nicht verkennen, wer der Angreifer ist,
ob der,
der den Krieg erklären wird, oder der, der England zu Hülfe kommt, indem er Truppen an der Grenze versammelt , um Frankreich zu
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bedrohen. Wenn Sie diese Wahrheiten in ihrer vollen Gewalt Ihrem Herrn vorstellen, und wenn er wirklich nur hingerissen ist, so ist es unmöglich, dass er nicht einsieht, dass man ihn wider seinen Willen zum Kriege führt, und dann wird Alles beruhigt sein. Wenn aber Ihr Herr im Gegentheil den Krieg will, nun dann werden . Sie Ihre Pflicht gethan haben ; er wird nicht dazu hingerissen werden.
Aber sagen Sie ihm, dass er das Weihnachtsfest nicht in
Wien feiern wird ,
es sei denn, dass Ihr ein zahlreiches und ge
waltiges Heer habt : aber 300,000 Mann in schnelle Bewegung zu versetzen, das kann nur aus einem einzigen Kopfe herauskommen ; ein Cabinet kann Aehnliches nur langsam ausführen, und wenn die Französische Nation sehen wird , dass Oesterreich uns auf Antrieb Englands angreift , dann wird der Kaiser der Franzosen 600,000 Mann finden, welche wohl die 80,000 Ungarn aufwiegen, die nach Aussage der Zeitungen, sich dem Wiener Hofe anbieten, um Frank reich zu bekämpfen.
In vierzehn Tagen , bei Rückkehr meines
Couriers, muss der Kaiser der Franzosen nicht nur alle Sicherheiten haben, sondern er muss sehen, dass der Kaiser von Deutschland in der That mit Frankreich im Frieden leben will ; wenn nicht, so wird er alle Lager aufheben, seine Reserve-Armee einberufen und von da ab wird der Continent in Flammen sein." -Wir werden Gelegenheit haben noch öfters auf das vorstehend zum Theil mitgetheilte
merkwürdige Schreiben
zurückzukommen,
weil in demselben der Kaiser mit prophetischer Stimme bereits die kommenden Ereignisse so klar und deutlich ankündigt , wie sie in der That eintrafen. Deshalb ist dieser Brief, wie ähnliche im weiteren Verlaufe des Monats August 1805 an Talleyrand gerichtete, von so auszergewöhnlicher Bedeutung.
Was die wahre Sinnesmeinung des Kaisers gewesen sein mag, ist schwer zu entscheiden .
Seinen Briefen nach sollte man glauben,
dass die Englische Expedition ihm mehr am Herzen gelegen habe, und dass er den Krieg auf dem Continent erst für spätere Zeiten gewünscht hätte.
Nun aber verstand es England vortrefflich, durch Gewährung von Geldmitteln den Schlag von sich ab und auf Oester reich zu lenken, indem es dieses zum Kriege gegen Napoleon auf
reizte.
So musste das
unglückliche Oesterreich
auch
noch
den
Schein der Urheberschaft des Krieges auf dem Con tinent auf sich laden durch die in Tyrol angeordneten Truppen versammlungen. Die moralische Urheberschaft des Krieges fällt aber ohne Zweifel auch auf den Kaiser zurück , trotzdem Oesterreichs Truppenversammlungen ihn zur Kriegserklärung zwangen.
Denn
Die Correspondenz Napoleons I.
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man kann doch schwerlich annehmen, dass schon damals sein Kaiser wahnsinn einen so hohen Grad erreicht hatte, dass er vor den Augen der Europäischen Groszmächte im tiefsten Frieden Länder zu be setzen, Provinzen zu annectiren und Königreiche ungestraft gründen zu dürfen glaubte. Aber, wie dem auch sei, für die Zwecke unserer Untersuchung kommt nur die auszerordentliche Schnelligkeit des Entschlusses und der Handlung in Betracht , welche den Kaiser, sobald er erkannte, dass der Krieg auf dem Continent schon jetzt unausbleiblich sei, mit voller Energie einen neuen Plan ersinnen und ins Werk setzen lieszen. Gleichzeitig mit jenem Schreiben an Talleyrand wurden an alle Französischen Gesandten in Europa Instructionen erlassen, um die Friedensliebe des Kaisers der Franzosen im vollsten Lichte erscheinen zu lassen.
Die Klugheit gebot allerdings in diesem Augenblicke für
Frankreich den Frieden zu Lande, bis die Englische Expedition die Coalition der verbündeten Mächte ihres wichtigsten Bundesgenossen, des Geldes — und dieses kam ja von England - beraubt hatte. Noch an demselben Tage, an welchem der Kaiser den mit getheilten Brief an Talleyrand
schreibt , giebt er den Admiralen
Décrès und Villeneuve neue Vorschriften über die Leitung der Ope rationen und drängt zur Eile.
Bis in die zwanziger Tage des Au
gusts hinein lässt er den Gedanken an eine Landung in England nicht fahren.
Das beweisen die täglich an die Admirale Gantéaume
Villeneuve und Décrès abgesandten, immer dringender werdenden Depeschen.
„ Paraissez 24 heures," so ruft er noch am 22. August
Villeneuve zu,
et tout est terminé. "
Vom 23. August datiren zwei
neuere längere Schreiben an Talleyrand, in denen er die Wahrschein lichkeit eines Krieges mit Oesterreich und Russland aufs Neue her vorhebt.
„ Je mehr ich über die Lage Europa's nachdenke, desto
mehr sehe ich mich zu einem entscheidenden Entschlusse gedrängt. Mein Geschwader ist am 14. August von Ferrol mit 34 Schiffen aus gelaufen. Wenn es seine Instruction befolgt, sich mit dem Geschwader von Brest verbindet und in den Canal hineintritt, ist es noch Zeit : ich bin dann Herr Englands. Wenn im Gegentheile meine Admirale zaudern, schlecht manövriren und ihren Zweck nicht erfüllen, habe ich keine andere Hülfe als den Winter abzuwarten, um mit meiner Flotte hinüber zu segeln. noch mehr sein,
Die Operation ist gewagt , und würde es
wenn, durch die Zeit gedrängt, die politischen Er
eignisse mich zwingen würden von jetzt bis zum Monat April über zugehen. Bei dieser Sachlage wende ich mich zu Dem, was am
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Die Correspondenz Napoleons I.
meisten drängt : ich hebe mein Lager auf und lasse meine Kriegs Bataillone durch meine dritten Bataillone ersetzen, was mir immer hin eine genügend zu fürchtende Armee in Boulogne schafft ;
und
am 23. September bin ich mit 200,000 Mann in Deutschland und 25,000 Mann im Königreich Neapel.
Ich marschire auf Wien, und
lege die Waffen nicht nieder, bis ich Neapel und Wien habe, und die Staaten des Kurfürsten von Bayern so vergröszert sind , dass Oesterreich nicht mehr zu fürchten ist."
Gleichzeitig beauftragt er
ihn, mit Bayern und Würtemberg abzuschlieszen und einen Versuch zur Gewinnung Preuszens zu wagen.
Dann schreibt er an Berthier
und ertheilt ihm Befehl, die Truppen des in Hannover stehenden Marschalls Bernadotte zu versammeln und deren Concentration bei Göttingen vorzubereiten, Marmont in aller Stille auf Mainz in Marsch zu setzen, und befiehlt Dejean dort grosze Verpflegungsvorräthe auf zuhäufen.
Es ist nöthig, dass er (Marmont) hierüber ein undurch
dringliches Geheimniss bewahre, denn wenn der Fall eintritt, so will ich mich mit 300,000 Mann im Herzen Deutschlands befinden, ohne dass man es ahnt." Dann schreibt er dem Könige von Preuszen und kündigt die Ankunft seines getreuen Duroc, den er mit Vor schlägen zu ihm sende, an , und weist auf die Nothwendigkeit hin, dass Seine Preuszische Majestät nicht einen Tag verlieren dürfe, ohne eine Versammlung seiner Truppen an der Böhmischen Grenze anzuordnen. Es sind sieben gröszere Schriftstücke, darunter zwei Botschaften an Talleyrand,
welche sämmtlich von jenem wichtigen
Tage, dem 23. August, herrühren, wo die Gewissheit eines Krieges mit Oesterreich immer mehr aufzutreten beginnt. Am 24. August schreibt er an Talleyrand : „ Der Brief des Herrn von Larochefoucauld hat keinen Sinn und Verstand (n'a pas le sens commun) , geben Sie ihm meine Unzufriedenheit zu erkennen.
Er
soll seine Depeschen überlegen und sich nicht darein mischen, das Cabinet führen zu wollen."
Und weiter : „ Drücken Sie Herrn Lezay
meine Unzufriedenheit aus , dass er seinen Brief vom 12. August datirt und sich nicht des Französischen Kalenders bedient ; so lange ein Gesetz besteht, muss es ausgeführt werden und meinen Ministern gebührt es , das Beispiel der Achtung für die Gesetze zu geben. Vielleicht schreibt er mir nächstens Deutsch ! Ich hätte That sachen diesem unbedeutenden Geschwätze vorgezogen."
Man sieht
es, der Kaiser war durchaus nicht wählerisch in seinen Ausdrücken, selbst wenn von seinen höchsten Beamten oder von den Marschällen in irgend einer Weise gefehlt worden war.
Am 25. August lässt er die Maske Talleyrand gegenüber ganz
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Die Correspondenz Napoleons I.
im Geheimen fallen und schreibt ihm in Bezug auf eine Allianz mit Würtemberg :
27 Lassen Sie den Kurfürsten von Würtemberg wissen,
dass ich nicht schlafe, dass Oesterreichs Vorbereitungen meine Ein schiffung sistirt haben, und dass ich unter solchen Umständen eines aufrichtigen und schnellen Entschlusses von seiner Seite bedarf." Und später : „ Mein Entschluss ist gefasst , meine Bewegung ist be gonnen, am 30. August werde ich mit 200,000 Mann in Deutschland sein.
Das Alles ist nur für Sie, warten Sie ab , bis man in Paris
davon spricht ; Sie werden dann sagen, dass ich, da meine Grenzen entblöszt sind , 25,000 Mann marschiren lasse , um sie zu besetzen." Dann befiehlt er ihm sein Manifest für den Senat vorzubereiten, hebt einzelne Punkte hervor, die er darin enthalten wissen will, und fährt fort : ,,Von diesem Augenblicke ab wechsle ich meine Position : jetzt ist nicht Kühnheit, sondern Kleinmuth am Platze, damit ich Zeit habe, mich vorzubereiten. Zeigen Sie Herrn von Cobenzl die beiden Depeschen aus
Salzburg und
die
Auszüge
aus den Englischen
Blättern, sehen Sie, was er für Vermittelungsvorschläge macht.
Es
kommt mir darauf an, 20 Tage zu gewinnen und die Oesterreicher am Ueberschreiten des Inns zu hindern, während ich mich an den Rhein begeben werde .
Ich habe meinen Adjutanten, den General
Bertrand, nach Bayern geschickt mit einem Briefe für den Kurfürsten, worin ich ihm meine Pläne mittheile. Die Nachricht des Herrn von Luchesini hat keinen vernünftigen Sinn.
Sie besagt, dass Preuszen
befürchtet, dass es mich gereue und dass es seine Beute bereits ver schlingt.
Ich hätte die Oesterreicher nicht für so entschlossen ge
halten, aber ich habe mich in meinem Leben so oft getäuscht, dass ich nicht darüber erröthe.
Sei es, dass sie fürchten, ich werde
dennoch eine Landung unternehmen, sei es, dass sie, wie das bei solchen Ereignissen immer vorkommt, nicht darauf gefasst sind, was der Feind thut, und mit welcher Schnelligkeit ich meine 200,000 Mann Kehrt machen und nach Deutschland marschiren lassen werde ; Thatsache ist, dass die Bewegungen in Oesterreich sehr auszerge wöhnlich sind. Fahren Sie fort, die Paragraphen der Briefe aus Salzburg, Triest und Innspruck in den Moniteur zu setzen, um die öffentliche Meinung vom Kriege zu unterhalten. Versichern Sie indess , dass ich keine Vorbereitungen treffe, dass ich nur meine Grenzen schütze." Bertrand , der mit einem Handschreiben an den Kurfürsten von Bayern geht , um sich der blinden Hingabe Bayerns an Frankreich zu versichern, erhält ein bis ins kleinste Detail genaues Itinerar mit und den Auftrag, das ganze Land genau zu recognosciren und über
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Die Correspondenz Napoleons I.
Land und Leute Nachricht zu geben, ebenso wie über die Bedeutung der Oesterreichischen Truppenansammlungen in Tyrol.
In gleicher
Mission entsendet Napoleon am 25. August den Marschall Murat über Mainz, Frankfurt, Offenbach, Würzburg, Ulm, Ingolstadt und Regensburg an die Böhmische Grenze mit dem Befehle, bis Mitte September in Straszburg zurück zu sein und vorher die Debouchéen des Schwarzwaldes zu untersuchen. So wird keine Maaszregel auszer Acht gelassen, die zur wirk samen Durchführung eines Feldzuges gehören könnte. Wie die Generale und Adjutanten zu Verwendungen, wie beispielsweise jene Recognoscirungen ,
angelernt und vorgebildet sind , beweist unter
Anderem der vortreffliche Bericht, den Murat, bereits am 10. September nach Straszburg zurückgekehrt ,
an den Kaiser abfertigte, und in
welchem er die Straszennetze Bayerns und die Verbindungen und Uebergänge an der oberen Donau genau und scharf charakterisirte, auch richtig hervorhob, dass Oesterreich in Italien den Hauptschlag zu führen gedenke. Der in den oben erwähnten Briefen bereits öfters angedeutete Feldzugsplan des Kaisers bestand nun darin, seine Truppen schnell in das Thal der Donau zu führen und alle Nebenangriffe durch die Art und Weise zu vereiteln, in welcher er den Hauptangriff zurück schlagen würde. Trennung der Oesterreicher von den heranrücken den Russen war der erste Grundgedanke des Feldzuges , der aber nur durch rasches, entschlossenes Handeln verwirklicht werden konnte. Diesen Grundgedanken hatte der Kaiser, wie in allen seinen Feld zügen, rasch und scharf erfasst, und das ist das enorme Uebergewicht, was er durch sein initiatives Handeln der Kriegführung zu verleihen wusste.
In seinem Geiste war die Niederlage, die Oesterreichs
Heer am 19. October in und um Ulm erreichte, bereits Mitte August vollendet. Zur Erreichung seines Zieles schlug der Kaiser folgenden Weg ein : Das erste Corps, Bernadotte, sollte aus Hannover, wo es stand, durch Hessen und Franken gegen Würzburg , von da an die Donau marschiren ; das zweite Corps, Marmont, aus Holland dem Rhein ent lang rücken und über Mainz und Würzburg mit Bernadotte sich vereinigen.
Alle übrigen Truppen der groszen Armee, welche ihr
eigener Oberfeldherr die schönste Armee nennt , die je die Welt ge sehen hat , waren im Lager von Boulogne versammelt. Während nun Marmont und Bernadotte ihren Marsch von Norden nach Süden bewerkstelligten, wozu der erstere nur 17, der andere nur 14 Tage nöthig hatte, beabsichtigte der Kaiser, die an der Küste des Canals
Die Correspondenz Napoleons I.
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Le Manche liegenden Corps von Westen nach Osten heranzuführen, um sich den Anschein zu geben, als beabsichtige w er einen directen Angriff durch die Pässe des Schwarzwaldes ; in Wahrheit aber war es seine Absicht diese Pässe rechts liegen zu lassen, sich links durch das Würtembergische zu wenden und nach hergestellter Vereinigung mit Marmont und Bernadotte rasch die Donau zu überschreiten und sich im Rücken der Oesterreicher aufzustellen, wenn diese, wie nach den Ereignissen des Jahres 1800 sehr wahrscheinlich erschien , sich wieder zwischen Iller und Donau aufstellen sollten , und sie zu schlagen, ehe die Russische Hülfe herbeieilen konnte. Zur Erreichung dieses Zweckes war die Stellung von Marmont und Bernadotte von unschätzbarem Werthe. Beide standen bereits in der Flanke des Feindes , wenn der Anmarsch der Truppen von der Küste die Auf merksamkeit der Oesterreicher auf die Pässe des Schwarzwaldes zog . Im Laufe des 26. August erlässt der Kaiser die ersten positiven Befehle zu Boulogne, jedoch theilt er sie nur an seinen Generalstabs chef General Berthier mit , legt diesem das tiefste Schweigen auf, und ordnet an, dass am 27. August Abends die ausgefertigten Be fehle für alle Corps ihm zur Unterschrift vorgelegt werden sollen. Wir lassen hier ein Bruchstück aus der vom 26. August datirten Instruction an Berthier folgen, weil sie beweist, mit welcher Schärfe und Gründlichkeit der Kaiser bei Ertheilung seiner Befehle verfuhr, wie er, an Alles denkend, eigentlich selbst sein tüchtigster General stabsoffizier war. „Bereiten Sie Herr Vetter," so schreibt er ihm, die Befehle für General Marmont und den Marschall Bernadotte vor. Der General Marmont soll sich mit seinem ganzen 20,000 Mann starken Corps, seinem ganzen Artilleriematerial und so viel Kriegsvorräthen, als er mitnehmen kann, in Marsch setzen . Er soll sich nach Mainz be geben, wozu er vierzehn Tage Marsch braucht.
Dieser Befehl wird
am 27. August expedirt werden , nachdem Sie um 10 Uhr Abends die Erlaubniss von mir dazu verlangt haben ; er wird am 30. August ankommen ; der General Marmont wird am 1. September aufbrechen und wird am 14. in Mainz anlangen.
Er soll auf drei Straszen zu
gleich marschiren, so dass sein ganzes Corps in Mainz vor dem 16. September vereinigt ist.
Er soll den Sold für sein Corps bis
zum 23. October in die Cassen der Quartiermeister zahlen lassen . Sie werden mir, ebenfalls am 27. August um 9 Uhr Abends, die Be fehle für den Marschall Bernadotte vorlegen. Befehlen Sie ihm, sich bei Göttingen zu versammeln . Der Courier wird nicht vor dem 1. September ankommen.
Der Marschall Bernadotte wird am 2. auf
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Die Correspondenz Napoleons I.
brechen, er braucht vier Märsche bis zu seiner Concentration bei Göttingen.
Empfehlen Sie ihm, so viel als möglich Zugpferde aus
zuheben, und seinem Corps so viel Artillerie- und Kriegsmaterial zu liefern, als er irgend kann. — Auch die Befehle für Italien sollen Sie mir am
27. August Abends um 10 Uhr vorlegen, d. h.
den
Abmarsch sämmtlicher in Piemont und Genua befindlichen Truppen, welche die 4. und 5. Division bilden sollen, nach Brescia, ebenso aller Artillerie-, Chasseur-, Dragoner- und Cavallerie-Regimenter, die in Piemont sind. Lassen Sie die Citadellen von Turin und Alexandria, welche ich in diesem Feldzuge zu halten beabsichtige , sofort armiren und verproviantiren, da Alexandria allein meinen Zweck noch nicht erfüllen kann. Ihr Befehl wird am 1. September ankommen, und so wird vor dem 16. September Alles in Brescia fertig sein . Sie werden mir, ebenfalls am 27. August um 9 Uhr Abends, den Marschbefehl für die 1. Division vom Corps des Marschalls Davoust auf einer der groszen linksseitigen Straszen (Lille, Namur, Luxemburg , Saarlouis , Zweibrücken) , den Marschbefehl für die 1. Division vom Corps des Marschalls Soult auf einer der mittleren Straszen (St. Omer, Cambray, Mézières, Verdun, Château Salins, Brumath) und den für die 1. Division des Corps Ney auf einer der rechtsseitigen Straszen (Arras, Péronne, La Fère, Reims, Toul, Nancy, Luneville, Saverne, Hagenau) vorlegen. Diese erste Bewegung wird am 28. August stattfinden, am 30. werden die zweiten Divisionen aufbrechen, am 31. die dritten : und da man 24 Märsche braucht, um sich an den Rhein zu begeben, werden sie dort am 23. September eintreffen ...... Die Division Gazan und die 4. Division des Centrums sollen auf den beiden besten Straszen aufbrechen, unmittelbar nach den anderen Divisionen. Befehlen Sie, sofort jedem Soldaten der Division Gazan Mundvorräthe und das dritte Paar Schuhe auszugeben, wie die ganze Armee sie gehabt hat.
Befehlen Sie, dass man von Metz
Lagerungsmittel nach Straszburg absende, damit wir am 23. September Material haben, um 80,000 Mann unterzubringen. Jede Division soll mit ihrer Artillerie, -- Personal, Material und Geschirre, aus rücken, es sei denn, dass der erste Inspecteur garantire das Material in Straszburg zu beschaffen" u. s . f. In einer Nachschrift befiehlt er dann :
„ Lassen Sie die leichte Cavallerie-Division, welche der
General Broussier commandirte, am 28. August
früh
aufbrechen,
schicken Sie dieselbe auf Speyer auf der vierten Strasze, so dass sie die drei groszen Marschstraszen der Armee nicht hindert." Der Kaiser selbst wollte so lange in Boulogne verweilen, bis er
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Die Correspondenz Napoleons I.
die Ausführung seiner Befehle mit eigenen Augen gesehen hätte. Hierdurch wurde zugleich dem Gerüchte, dass nur ein Observations Corps von 30,000 Mann auf Straszburg marschire, mehr Wahrschein lichkeit gegeben.
Es ist erstaunlich, aus dem vorstehend im Auszuge mitgetheilten Befehle zu ersehen, wie genau und richtig der Kaiser die Märsche seiner Corps , berechnete, und dabei gleichzeitig einer Menge unter geordneter und dem Oberfeldherrn eigentlich fern stehender Details in richtiger Weise Rechnung trug. Man sieht , wie eifrig er die Karte studirte und wie er sie zu benutzen verstand. J'ai pondu sur la carte," lautet die Antwort auf die Frage eines seiner Be wunderer, der das Räthsel der ungeheueren Erfolge des Jahres 1805 von ihm erfahren wollte. Mit seltener Schnelligkeit und Präcision wurde die Bewegung so enormer Heeresmassen , wie die an der Nordküste Frankreichs versammelten, eingeleitet. Organisation und militairische Ausbildung, Tapferkeit des Soldaten und Tüchtigkeit der Führer wirkten hier in gleichem Maasze, um die pünktliche Lösung auch der schwierigsten Aufgabe zu erleichtern.
Jedes Armeecorps bildete unter einem her
vorragenden Führer eine Armee für sich, Alles griff in selbstthätiger Freiheit und doch in innigem Verständnisse ineinander. In dem Augenblicke, wo der Kaiser seine Truppen in Bewegung setzt, re cognosciren seine Generale bereits den Kriegsschauplatz und er mitteln, an welchen Orten er die Donau überschreiten kann, so dass er über alle Bewegungen in Feindesland schon jetzt mit ziemlicher Sicherheit disponirt. Man kann sagen, dass von dem Tage ab, wo der Kaiser die Bewegung der Armee einleitete, das Unternehmen die Sicherheit des Erfolges bereits in sich trug. Die Verwirklichung des Wortes , das der Kaiser schon am 23. August an Talleyrand ge schrieben
hatte : ,,Kommen die Flotten nicht ,
so rücke ich mit
200,000 Mann in Deutschland ein und stehe nicht still , bis ich die Thore Wiens berühret, den Oesterreichern Venedig sammt den anderen Italienischen Besitzungen genommen und die Bourbons aus Neapel verjagt habe ; ich lasse die Oesterreicher und Russen sich nicht vereinigen ; ich werde sie schlagen ,
ehe sie sich verbinden" . . .,
sie war nun im vollen Gange. Ehe wir nun die Französische Armee am Rheine und an der Donau wieder aufsuchen , müssen wir noch einen Blick
auf das
diplomatische Spiel werfen, das der Kaiser mit Preuszen trieb . Wie verwerflich
die
Napoleonische Diplomatie
vom
Standpunkte der
Moralität aus war, merkwürdig und grosz ist sie für uns dennoch,
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Die Correspondenz Napoleons I.
insofern als sie beweist, dass es für die Energie eines Mannes
wie
Napoleon I. keine Schranken gab , die er nicht siegreich zu über winden verstanden hätte. Ihm heiligte der Zweck jedes Mittel. Am 28. August theilt er dem nach Berlin entsandten General
Duroc die Einleitung der Bewegung mit und deutet die Möglichkeit einer Verletzung des neutralen Gebietes von Anspach und Bayreuth an, welche in seinem Geiste von dem Augenblicke an feststand, wo sein Feldzugsplan entworfen war. „ Da Sie dem Norden nahe sind," schreibt er an diesem Tage seinem Vertrauten,,, so führen Sie eine gemäszigte und friedliche Sprache. Aber sagen Sie dem Könige nur, dass Oesterreich mich zu sehr und in einer zu auffallenden Weise insultirt und dass es in der That den Krieg schon erklärt hat. Es ist möglich , dass ich binnen fünf oder sechs Tagen dem Marschall Bernadotte den Befehl sende, sich nách Würzburg zu be geben. Er wird dann durch ein neutrales Gebiet marschiren müssen. Fangen Sie an die ersten Schritte zu thun, um Erleichterungen für diesen Durchmarsch durch die Vermittelung Preuszens zu erlangen. Es kann, wenn man will, ein nach Frankreich marschirendes Corps sein, welches sich auf dem kürzesten Wege nach Straszburg be Dann empfiehlt er ihm in einer Nachschrift : ,, Nehmen Sie alle möglichen Karten von der Donau bis zum Main, von Böhmen,
giebt."
und bringen Sie mir die Organisation der Oesterreichischen und Russischen Armee." Am 1. September war Duroc in Berlin eingetroffen, wo Friedrich Wilhelm III. noch immer an die Erhaltung des Friedens glaubte. Eine am 6. September von Napoleon an Duroc gerichtete Instruction nannte diese Hoffnung eine gefährliche Illusion und hob bereits her vor, dass es sich in diesem Augenblicke nicht mehr um die Wahl zwischen Krieg und Frieden,
sondern nur zwischen einem kurzen
oder langen Kriege handle.
Und in der That begann der Krieg
zwei Tage später durch die Ueberschreitung des Inns seitens der Oesterreicher. Der Kaiser hatte es verstanden, die beleidigte Macht zum Kriege zu zwingen, trotzdem aber durch vorbereitende Maasz regeln die Initiative der Kriegführung seiner Armee zu sichern. Das ist in allen seinen Feldzügen eine der Hauptursachen seiner Erfolge gewesen.
Fast nie überliesz er die Initiative des Krieges
seinem zaudernden Gegner, sondern meist gelang es ihm , diesem die Gesetze des Handelns vorzuschreiben. Nun erfolgte in der That am 3. October Bernadotte's Durch marsch durch Preuszisches Gebiet und somit eine der offenkundigsten Verletzungen des Völkerrechts und der bestehenden Verträge.
Wie
Die Correspondenz Napoleons I.
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suchte der Kaiser diesen unerhörten Uebergriff zu entschuldigen ? nicht unterlassen, das vom 5. October datirte kurze
Ich kann
Schreiben an den König von Preuszen, welches auf den genannten Vorfall Bezug hat, hier mitzutheilen.
,,Ich höre, dass einige Schwierigkeiten entstanden sind wegen des Durchmarsches durch das Fürstenthum Anspach. Ich bin von der Baseler Convention und vom Gebrauche des letzten Krieges aus gegangen.
Aber ich bin weit entfernt Euer Majestät das Recht zu versagen , sich in Ihren Staaten zu benehmen , wie Hochdieselben wollen (!) . Sie sind aber zu gerecht , um mir nicht einzuräumen , dass ich davon unterrichtet
sein muss ,
wenn es dem Gebrauche früherer Kriege
zuwiderläuft ( !) .
Ich wünsche zu erfahren , mein Herr
Bruder , dass Euer Majestät wegen des Vorgefallenen in keiner Weise Groll gegen mich hegen ; Hochdieselben können sich von meinem Wunsche Ihnen gefällig zu sein überzeugt halten." „Der Prinz Eugen von Würtemberg wird Euer Majestät Nach richt von der Donau geben.
Wenn ich voraussetzen dürfte, dass
Hochdenselben dies angenehm wäre, würde ich gern zuweilen directe Nachricht geben , sobald Ereignisse vorkommen , die es der Mühe verlohnen." Das unerhörte Maasz von Frechheit, welches aus diesen Zeilen spricht, giebt denselben eine fast komische Färbung.
Es kam aber
einem Napoleon nicht darauf an, eine der gröbsten Verletzungen des Völkerrechts gleichsam en bagatelle mit vornehmer Unverschämt heit zu behandeln ,
sobald die Erreichung
Solches erforderte. (Schluss folgt. )
des gesteckten Zieles
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
48
III.
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege. Feldzüge von 1861 und 62 in den westlichen Alleghany Gebirgen .
Aus dem breiten, vielfach gewundenen, reich bebauten und dicht bevölkerten Thale des oberen Ohio steigen die waldbedeckten Berge des westlichen Virginiens fast überall unmittelbar zu einer Höhe von 200 bis 300 Fusz über dem Wasserspiegel des schönen Flusses an. Diese Höhe der in ununterbrochener Folge sich landeinwärts an reihenden Bergzüge wächst auch nur unmerklich auf 400 bis 500 Fusz , wenn man von Parkersburg aus auf der Ohio- Baltimore Eisen bahn nach Osten reist oder auf der Landstrasze zur Rechten der selben mehr südwärts etwa 90 Englische Meilen weit in das Innere des Landes eindringt . kleine Ortschaften .
Längs der Bahnlinie finden sich zahlreiche,
Die Gegend ist gebirgig, aber offen . Der west
liche Arm des Monongahela, eines der Quellflüsse des Ohio , wird 70 Meilen von Parkersburg bei Clarksburg, der östliche Arm 20 Meilen weiter bei Grafton , der Cheat River, ein Nebenfluss des Monongahela, nach abermals 20 Meilen überschritten . Jetzt befindet man sich im eigentlichen Gebirge und gelangt durch Tunnels und Viaducte rasch in jene tiefe Durchbruchsfurche, welche von Piedmont aus über Cumberland der Potomac sich in östlicher Richtung durch das ganze Appalachische Gebirgssystem gebahnt hat. Dieser Furche folgt die Eisenbahn durch das nördliche Virginien und wird dadurch zur
directesten Verbindungslinie
zwischen Washington und dem
Westen, sowie zu einer der wichtigsten Verkehrsadern des Con tinents, welche die Kohlenschätze des bisher am meisten ausgebeuteten Minendistricts von Cumberland sowohl den Hafenstädten der Atlanti schen Küste, wie den Binnenstädten des Ohio- Gebietes zuführt. militairischer Beziehung aber wird ihre
In
Wichtigkeit dadurch be
deutend beeinträchtigt, dass sie überall in der langen Durchbruchs furche ebenso leicht zu zerstören, als schwer wiederherzustellen und noch schwerer zu sichern ist. Parkersburg, am Einflusse des „ kleinen “ Kanawha in den Ohio, in ziemlich gleicher Entfernung von Pittsburg und Cincinnati ge legen, war vor Ausbruch des Secessionskrieges der Stapelplatz des
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
49
Petroleumgeschäfts geworden, welches vom westlichen Pennsylvanien aus naturgemäsz die Linie jenes merkwürdigen Bruches der Berg schichten verfolgt hatte, der einige Meilen oberhalb zwischen Marietta und Nieuport das Flussthal des Ohio in stdlicher Richtung durch schneidet und auf Virginischer Seite in den Thälern des kleinen Kanawha und Hughes-Run ein sogenanntes „ Oil dorado“ gebildet hatte, welches seit 1859 zum groszen Verdrusse der Virginischen Sklavenbesitzer eine nicht gewünschte Emigration über den Ohio zog.
Verfolgt man von Parkersburg aus die Landstrasze in dem
Thale des Little Kanawha oder in dem des Hughes-River flussauf wärts , so wird man von diesem " Eldorado" nicht besonders erbaut werden, denn das Land hat einen wilden und öden Charakter, die Ufer der Flüsse sind steil, die Thäler eng, die Berge mit Sandstein trümmern bedeckt, welche zwischen den Bäumen der Wälder an Ab hängen und auf den Gipfeln hervortreten. Ansiedelungen sind hier überall sehr dünn gesäet, und doch befindet man sich auf der haupt sächlichsten Verbindungslinie zwischen dem östlichen und dem west lichen Virginien,
der sogenannten ,,turnpike", welche von Parkers
burg über die oberen Flussthäler des Monongahela und alle Parallel ketten der westlichen Alleghany nach Staunton in das „,Thal von Virginien" und weiterhin nach Richmond führt. An dieser Straszen linie liegen westlich der Gebirge nur wenige kleine Ortschaften , das ganze Land ist äuszerst dünn bevölkert, bedeckt von einer ununter brochenen Folge von Bergrücken und Terrainwellen, welche dem Auge nichts bieten, als den immer wiederkehrenden Anblick wald bedeckter Abhänge und niedriger Bergkuppen .
Erst an den Quellen
des Monongahela und des kleinen Kanawha hat man das Hügelland Westvirginiens hinter sich und das eigentliche Gebirgsland betreten . Das Terrain nimmt einen anderen Charakter an. Die Höhenunter schiede sind auch jetzt noch nicht auffallend , dennoch merkt man, dass man sich auf einer absolut höheren Basis befindet. Man hat von Westen aus eine erste Terrasse erstiegen, welche hier durch die Rich- und Laurel- Mountains genannten Gebirgsketten deutlich markirt wird und Front gegen Westen eine erste, starke und zusammen hängende Vertheidigungslinie bildet. Rascher und angenehmer erreicht man diese
erste westliche
Terrasse des Appalachischen Gebirgssystems , wenn man etwa 60 Meilen flussabwärts von Parkersburg , bei dem hübsch gelegenen Städtchen Point Pleasant, auf einem Dampfboote aus dem Ohio in den schiffbaren „groszeń Kanawha" einlenkt.
Das Schiff hat bei
einigermaaszen hohem Wasserstande keine Schwierigkeit auf dem 4 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
50 schönen,
zwischen 400 bis 500 Fusz hohen Thalrändern in breiter
Mulde fortflieszenden Strome mehr als 70 Meilen weit hinaufzufahren. Das Thal ist gut bebaut , der Boden offenbar ein sehr ergiebiger. Auszer der Stadt Charleston sind verschiedene kleinere Ortschaften, überall Farmen, ja selbst elegante Landhäuser, Salzfactoreien, Kohlen werke sichtbar.
Die Bevölkerung, obwohl bei Weitem nicht so dicht,
als im Ohiothale, ist doch zusammenhängend bis zu jenem Punkte, den man die Fälle des groszen Kanawha nennt. Hier ändert sich die Scenerie. Wenn sie freundlich und überall den Blick erfrischend von Point Pleasant an war, dann wird sie hier romantisch schön. Zwischen den zu Gebirgsgruppen sich erhebenden Cotton-Hill und Gauley - Mountain stürzen die Gewässer des New - River zwischen hohen, senkrechten Felswänden, über niedrige Klippen brausend in das weite Bette, welches hier von der Natur zu ihrer Aufnahme be reitet wurde, und verbinden sich mit denen des Gauley- River,
um
fortan unter dem Namen des groszen Kanawha dem Ohio zuzu strömen. Wenn die absolute Höhe am Fusze der Fälle 581 Fusz über dem Meeresspiegel beträgt , dann überragen die umliegenden Berggruppen dieselben um mindestens ebenso viel. Man befindet sich, sobald man sie erstiegen hat, auf jener ersten Gebirgsterrasse, welche auf der von Parkersburg ausgehenden Landstrasze Rich- und Laurel-Montains benannt wird und sich südwärts durch die Elk- und Birch- zu den Gauley- Gebirgen fortsetzt.
Es folgen anf dieser Linie
nun rasch aufeinander weitere Terrassen, deren Höhenunterschied man daraus ermessen kann, dass etwa 40 Meilen oberhalb der Fälle des Kanawha der Wasserspiegel des New - River bei seinem
Zu
sammenflusse mit dem Greenbriar schon 1325 und da, wo derselbe Fluss die eigentlichen Parallelketten der Alleghanies durchbricht, 1577 Fusz über dem Meere liegt. Die Wegecommunication , welche im Thale des Kanawha auf beiden Ufern des schiffbaren Flusses eine gleich brauchbare ist, trennt sich an den Fällen desselben und entfernt sich von den Ufern, indem sie einerseits das Gauley-Gebirge, andererseits den Cotton Hill auf steilen Fahrstraszen ersteigt.
Die
erstere setzt auf dem Rücken des genannten Gebirges ihren Weg durch wild romantische Waldgegenden und leicht zu sperrende Pässe fort, passirt das noch höhere grosze und kleine Sewell- Gebirge und erreicht die Stadt Lewisburg, welche einen Verbindungspunkt zwischen Ost und West bildet, da in ihrer Nähe ein Canal vom Greenbriar Flusse ausgeht, die nächste Alleghany- Kette durchschneidet und öst lich derselben bei Covington den James-Fluss erreicht. Die Ge wässer des Ohio sind hierdurch mit denen des Atlantischen Oceans
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
51
zwar in directe Verbindung gebracht, eine schiffbare Communication nach Westen hin aber ist wegen der vielfachen Fälle des New-River nicht erzeugt worden.
Der Canal dient nur dem Osten , Lewisburg
bleibt ein von dort nach Westen vorgeschobener isolirter Posten , welcher von dem Thale des oberen James durch vier- oder fünffache parallele Gebirgszüge getrennt ist. In natürlicher Weise werden dieselben Gebirgszüge, welche den eigentlichen Rückgrat der Alleghanies bilden, wie erwähnt etwa 40 Meilen südwestlich der Canals vom New-River durchbrochen, welcher auf der östlichsten dieser Parallelketten, den ,,blauen Gebirgen", ent springt.
Die Durchbruchsfurche dieses Flusses wird durch die Ort
schaften Parisburg und Peterstown markirt , bei welcher letzteren alle zu beiden Seiten des Kanawha von Westen kommenden Wege communicationen zusammenlaufen.
Der Pass von Peterstown ist da
her der hauptsächlichste, welcher hier durch die Gebirge führt, aber er ist nicht der einzige.
Es giebt deren bis zur Grenze von Kentucki
mehrere , doch sind sie noch entlegener und schwieriger zu passiren. Man erreicht sie vom unteren Kanawha und Ohio aus auf
hin
Landwegen, welche in den Thälern des groszen und kleinen Coal River, des Guyandotte , des Big Sandy aufwärts führen, von den Fällen des
Kanawha
aber,
indem man den die dortige
Gegend
dominirenden, vom prächtigsten Laubwalde bedeckten Cotton- Hill er steigt und jenseits desselben weidereiche, wellenförmige Hochebenen Diese und den breiten Höhenrücken des Flat Top überschreitet . Gegend ist von Gebirgsketten vielfach durchschnitten, dünn bevölkert, und behält ihren Charakter auch noch jenseits des Sandy -River in Kentucki, wo die Cumberland-Gebirge es von dem höheren Gebirgs lande des östlichen Tennessee trennen . Schlieszlich geht sie in ein grünes Hügelland über, in welches die parallelen Gebirgsketten der Alleghanies sich verlaufen . Das ganze von den beschriebenen Operationslinien durchzogene Land bildet den Kern jenes groszen Appalachischen Kohlenbeckens, welches von Pennsylvanien durch Westvirginien, das östliche Kentucki und Tennessee nach dem nördlichen Alabama streift und bei einer wechselnden Breite von 30 bis 180 , eine Längenausdehnung von 875 Englischen Meilen hat. Es ist das mächtigste und reichhaltigste der Erde und bisher fast nur an seinen Rändern und in einzelnen Flussthälern erschlossen worden, obwohl an allen Abhängen, in allen Schluchten die mehrfachen Kohlenlager in 3 bis 15 Fusz Dicke offen zu Tage treten. Auf ihrer Oberfläche aber werden diese Kohlen schichten von mächtigen Wäldern in fast primitiver Gestalt und 4*
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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compacten, zusammenhängenden Massen bedeckt. Die weisze Eiche, die Buche vereinigen sich hier mit dem Nuss- und dem Lorbeer baume zu einem Laubdache, welches die Mineralschätze des Bodens noch heute zu bedecken strebt, da die Axt des Holzfällers hier lange Zeit ermüdet ausgeruht hat , weil der Bedarf der dünn gesäeten eigenen Bevölkerung an Bau- und Feuerungsmaterial leicht zu decken, das Land aber durch die Politik der südlichen Sklavenbesitzer der Der nördlichen Speculation möglichst verschlossen worden war. Betrieb von Salzwerken im unteren Theile des Kanawha-Thales und die Ausbeutung der fossilen Kohle (candle coal), welche dort, wie in verschiedenen Nebenthälern, in schönster, dunkelschwarzer Farbe sich findet, umfasste zur Zeit des Ausbruches des Secessionskrieges so ziemlich die ganze industrielle Thätigkeit der Bevölkerung dieses Border- oder Grenzlandes , welches im Süden als eine sichere Vor mauer des Instituts der Neger - Sklaverei betrachtet wurde. Doch gehörten in ganz Westvirginien auf etwa 340,000 Seelen uur 20,000 der Afrikanischen Race an. Auch bedurfte man im Lande selbst dieser Sklaven nicht, da dieselben im Ganzen zur Agricultur nicht geeignet waren und der Tabaksbau nur in den Flussthälern im ge ringen Maaszstabe betrieben wurde . In einzelnen abgelegenen Neben thälern des groszen Kanawha fanden sich hier und da jene mensch breeding institutions" vor, deren Producte , nachdem sie lichen marktfähig geworden waren, nach den Baumwolle bauenden Süd staaten geschickt zu werden pflegten .
Im Allgemeinen war das
Gebirgsland den Jägern überlassen worden, deren
Nachkommen,
nachdem die Jagd ausgebeutet worden war, sich in kleine Farmer verwandelten, welche von dem Ertrage der Viehzucht und geringen Landbaues sich selbstständig ernährten. Der ergiebigere Theil des Grund und Bodens befand sich im Besitze begüterter Familien Vir giniens, von denen die meisten indessen im östlichen Theile des Abhängig von denselben waren im Westen haupt sächlich die Kleinhändler der kleinen Städte und Flecken, sowie die
Staates lebten.
ärmste Classe der Weiszen, welche gar keinen Besitz hatte . Ganz anders lagen die Verhältnisse im nordwestlichsten Theile Virginiens , welcher längs des
oberen Ohio zwischen die Staaten
Pennsylvanien und Ohio hineinreicht , die Stadt Wheeling enthält und mit dem groszen Emporium Amerikanischer Industrie, Pittsburg, in innigster Verbindung steht. Hier wurde die Secessions- Acte der Virginischen Staatsconvention sofort annullirt und am 11. Juni 1861 eine Gegenregierung erwählt.
Hier hatten sich
die unionstreuen
Bürger als Homeguards organisirt und bewaffnet, und waren schon
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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in den letzten Tagen des Mai zum Angriffe übergegangen, als ein mit der Aushebung der Staatsmilizen von der Regierung in Rich mond beauftragter Virginischer Offizier die wichtige Brücke Grafton zu zerstören drohete.
von
Diese Drohung hatte gleichzeitig auch
mehrere westliche Freiwilligen- Regimenter über den Ohio herüber geführt und auf dem genannten Knotenpunkte eine Truppenmacht zusammengebracht , deren erste Waffenthat, unter Commando eines halbinvaliden, alten Oberstlieutenants der regulairen Armee, Namens Morris, am 3. Juni der Ueberfall und die Zersprengung einer beim Städtchen Philippa, 20 Meilen von Grafton, lagernden feindlichen Schaar von 500 bis 600 Mann war. Obwohl bei dieser ersten Affaire es eigentlich zu gar keinem Kampfe gekommen war, da die Se cessionisten unter Zurücklassung ihres Gepäcks und Lagergerätbs sich durch eilige Flucht der Gefangennahme entziehen konnten, so belebte der rasche Erfolg doch nicht wenig den Muth und Thaten durst der für drei Monate zur Erhaltung der Union unter die Waffen getretenen Ohio- und Indiana-Freiwilligen. Die ganze Eisenbahnlinie von Parkersburg bis Rowelsburg war in ihrem Besitze .
Ein Indiana-Regiment konnte auf derselben öst
lich sogar bis Cumberland vorgeschickt werden, am 11. Juni auf der nach Winchester führenden Strasze bis Romney vordringen und ein paar Compagnien
der
Shenandoah Rangers Turner Ashby's von
dort vertreiben. Die Herstellung der directesten Verbindung zwischen Westen und Osten schien eine Kleinigkeit zu sein ! An einen ernst lichen Krieg dachte Niemand.
Dennoch war die anscheinend so
harmlose Expedition der Indiana-Zouaven die Veranlassung zu einem ersten entscheidenden Acte dieses Krieges geworden . Auf die Kunde ihres Vordringens hatte nämlich der im „ Thale von Virginien " be fehligende General J. Johnston die Brücke von Harpers-Ferry sprengen lassen und sein Corps weiter rückwärts bei Winchester concentrirt, um dort in centraler Stellung die vermeintliche Ankunft der föderalen " Westarmee" erwarten zu können.
Er hatte, um sich über die Ab
sichten des Befehlshabers derselben Gewissheit zu verschaffen, den Colonel A. P. Hill mit zwei Regimentern nach Romney abgeschickt. Dieser drang , da er daselbst vom Feinde Niemand mehr vorfand, weiter westlich bis New-Creek und Piedmont vor, verjagte die dort mit zwei Geschützen befindlichen Homeguard-Compagnien am Morgen des 19. Juni, zerstörte die Eisenbahnbrücken, verbreitete einen pani schen Schrecken auf der ganzen Bahnlinie und trennte die in Cumber land befindlichen Indiana - Freiwilligen von den übrigen Truppen des Westens, ohne von diesen einen Mann zu Gesicht bekommen zu
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
54 haben.
Er konnte seinem Obergenerale mit Sicherheit melden , dass
von denselben kein Eingreifen in die Operationen auf dem östlichen Kriegsschauplatze zu befürchten wäre. Ihr Befehlshaber Mac Clellan befand sich während dieser Er eignisse noch gar nicht in Westvirginien, sondern in Cincinnati , von wo aus er in dem gegenüberliegenden Covington mit dem Comman danten der Milizen von Kentucki , General Buckner, conferirte und eigenmächtig die Neutralität dieses Staates anerkannte , welche einzig und allein der südlichen Conföderation zu Gute kam, indem sie deren noch unvollendete Rüstungen im Westen deckte und ihr erlaubte, die im östlichen Tennesse ausgebrochene Contrerevolution der dorti gen unionstreuen Bewohner mit Gewalt zu unterdrücken . Mac Clellan erreichte Grafton erst am 20. Juni , also am Tage nach dem durch Hill's Expedition längs der Bahnlinie erzeugten panischen Schrecken . Auch hatte er nicht im Sinne, die Operationen sofort nach Osten aus zudehnen, sondern vorerst Westvirginien zu pacificiren . Er erliesz zu diesem Zwecke am 23. Juni eine Proclamation an die Bewohner dieses Landes , in welcher er ihnen die Wahrung des Instituts der Sklaverei und der staatlichen Sonderrechte zusagte, und eine andere an die „ Armee des Westens " , in welcher er den Offizieren und Sol daten derselben die unbedingteste Berücksichtigung dieser Rechte anbefahl.
Mit der Organisation dieser rasch auf 15,000 bis 18,000
Mann angewachsenen „ Armee " in vier Brigaden und deren Dis locirung vergingen sodann die nächsten vierzehn Tage .
Während
eine Brigade die Eisenbahn besetzt hielt und General Morris mit der seinigen in Philippa noch auf den gewonnenen Lorbeeren ruhete, sammelte Mac Clellan die beiden anderen bei Clarksburg, um dem neuen Feinde entgegenzutreten , welcher auf der Landstrasze von Staunton aus den Gebirgen zu debouchiren und ihm den Besitz des nordwestlichen Virginiens streitig zu machen drohete.
Es war dies
der von der Regierung der Conföderation zum General ernannte Major der regulairen Armee Garnett , welcher mit etwa 6000 Mann (6 Regimenter, 1 Frei - Bataillon, 4 Compagnien Cavallerie und
12
Geschützen) auf der beschriebenen Staunton - Parkersburger Kunst strasze Beverley im oberen Tygart - Thale (östlichem Arme des Mo nongahela) erreicht und auf den Laurel- und Rich- Gebirgen da Po sition genommen hatte, wo dieselben durch die von Philippa und Clarksburg kommenden Straszen überschritten werden. Er stand hier auf der ersten Terrasse des westlichen Berglandes, bereit gegen die Eisenbahnlinie vorzudringen und der Colonne der Unionsarmee in die rechte Flanke zu fallen, wenn sie längs dieser Linie weiter
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege. nach Osten operiren sollte .
55
Um ihn in die Gebirge zurückzutreiben,
marschirte Mac Clellan von Clarksburg über Buckhannon mit zwei Brigaden gegen Beverley, wohin auch Morris von Philippa aus sich mit seiner Brigade auf der rechten Seite des Tygart-Flusses dirigirte und schon am 5. Juli den Feind auf dem Laurel-Hill, einem Sporne des Laurel- Gebirges, stark postirt fand .
General Garnett hatte näm
lich in Huttonsville ein Regiment zurückgelassen, ein anderes mit ein paar Compagnien Cavallerie und sechs Geschützen unter Colonel Pegram aber einige Meilen vorwärts Beverley auf dem Rich- Gebirge sich da verschanzen lassen, wo die nach Buckhannon führende Strasze den Roaring-Fork, einen Nebenfluss des Tygart, überschreitet .
Seine
rückwärtigen Communicationen im oberen Tygart-Thale hierdurch für gesichert haltend , hatte er mit dem Gros seines kleinen Corps sich gegen Morris gewandt , dessen Brigade er für die Avantgarde Mac Clellan's hielt.
Auch ein Recognoscirungsgefecht am 10. Juli klärte
ihn über die wirkliche Sachlage noch nicht auf, wohl aber am Abende die Meldung Pegram's , dass seine Cavallerie eine Ordonnanz auf gegriffen habe, deren Aussage zu Folge Mac Clellan mit neun Regi mentern Infanterie, zwei Compagnien Cavallerie und zwölf Geschützen in Front von Roaring-Fork angekommen wäre und diese Stellung am Morgen des 11. Juli anzugreifen beabsichtige.
Noch hatte Garnett
Zeit, seine ganze Division wieder bei Beverley zu concentriren, glaubte aber genug zu thun, indem er das bei Huttonsville zurück gelassene Reserve-Regiment Pegram zur Verfügung stellte, und ver harrte in seiner weitläufigen Gebirgsstellung auch am folgenden Tage. Am frühen Morgen des 11. Juli aber war sein Unterbefehlshaber an der Roaring- Fork bereits von der Brigade Rosecrans in der Flanke auf weitem Umwege umgangen worden,
während Mac Clellan mit
der Brigade Schleich ihm in der Front gegenüber Position nahm . Pegram hatte der Umgehungscolonne im Gebirge nur einige Com pagnien Virginier mit zwei Geschützen entgegenwerfen können , welche durch tapferen Widerstand Rosecrans auch wirklich während des Tages beschäftigten, die Umgehung aber doch nicht aufhalten konnten. Sie wurden schlieszlich auf der Strasze nach Beverley zurückgetrieben, und Pegram , welcher mit dem Reste seines Commando's während dieser Zeit Mac Clellan gegenüber ausgehalten hatte, durfte daher froh sein,
dass er nach eingebrochener Dunkelheit unter Zurück
lassung seiner Geschütze, seiner Zelte und Bagage sich ebenfalls dahin retten konnte.
Er hatte, da er von der zu seiner Unterstützung
von Huttonsville heranbeorderten Reserve irrthümlicher oder feiger Weise gar nicht erreicht worden war, in seiner isolirten Lage das
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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Möglichste geleistet,
indem er trotz der drohenden und auch erfolg
reichen Umgehung der Brigade Rosecrans die weit überlegene Macht Mac Clellan's während des ganzen Tages aufgehalten hatte. Der Letztere hatte während dieser Zeit sich damit beschäftigt, seine Ge schütze und Bataillone in fester Position zu etabliren, und war auch durch das am Nachmittage aus dem Gebirge herüberschallende Ge schütz- und Gewehrfeuer seiner Umgehungscolonne nicht bewogen worden, seine fünf Regimenter zur Erzwingung der Passage des Roaring- Fork vorzuführen. Erst am Morgen des folgenden Tages, des 12. Juli, nahm er von den feindlichen Schanzen und den ihm in denselben überlassenen Geschützen und Zelten Besitz. Nachdem er in seinen Proclamationen bereits die Halbheit seiner politischen Position offenbart hatte, bekundete er hier schon die Schüchtern heit oder, wenn man will, die grosze Vorsicht seiner Kriegführung überhaupt . Aber er hatte einen groszen Sieg erfochten , dessen weiterer Erfolg seine kühnsten Erwartungen übertreffen musste.
Der unglück
liche Pegram, welcher am 12. Juli in Beverley weder seine Reserve, noch General Garnett , noch Lebensmittel vorfand , von Rosecrans verfolgt und auf dem Wege nach Huttonsville sich zuvorgekommen sah, ergab sich, nachdem ein paar Hundert seiner Leute sich in den Gebirgen zerstreut hatten , der Gnade Mac Clellan's mit dem Reste seines Commando's.
Der Sieg hatte den Unionstruppen nur 11 Todte
und 40 Verwundete gekostet, aber 700 bis 800 Gefangene, sechs Ge schütze und ein ganzes Lagergeräth eingebracht. ,,Schlacht"
von Rich Mountain ,
welche,
auf die
Solches war die von
„, Philippa "
folgend , den Zeitungen des Landes Stoff bot , die Siege der moder nen Republikaner mit denen der alten Griechen zu vergleichen, das auszerordentliche strategische Genie Mac Clellan's zu bewundern und ihn mit dem Namen des Amerikanischen Napoleon zu begrüszen ! In Wahrheit war es ein ganz zufälliger Erfolg. General Garnett war nämlich erst auf die am Abende des 11. Juli erhaltene Kunde von dem unglücklichen Ausgange des Gefechtes von Rich Mountain zu dem Entschlusse gebracht worden , seine zersplitterten Streitkräfte in Beverley wieder
zu vereinigen.
Er
räumte
daher
nach
ein
gebrochener Dunkelheit von seinem Gegner Morris unbemerkt die Position von Laurel Hill und marschirte während der Nacht bis drei Meilen von Beverley zurück , als er zu seinem Erstaunen die Strasse durch Verhaue und Barrikaden versperrt fand .
Der Befehls
haber des erwähnten eigenen Reserve- Regiments hatte die erhaltene Instruction , sich durch Ungangbarmachung der Wege gegen den
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege. Feind zu decken , so
übereifrig ausgeführt , dass
57 er die Staunton
,,turnpike", welche die Operationslinie Garnett's bildete ,
auch für
diesen unpassirbar , sich selbst aber auf derselben aus dem Staube gemacht hatte.
Da Garnett keine Zeit mit Aufräumung der Barri
kaden zu verlieren hatte, so kehrte er noch in derselben Nacht auf dem gekommenen Wege nach Leedsville am Fusze des Laurel Hill zurück und konnte daselbst seinen erschöpften Leuten am Morgen des folgenden Tages noch ein paar Stunden Rast gewähren , bevor er sie in nördlicher Richtung durch ödes und beschwerliches Ge birgsland nach dem 20 Englische Meilen entfernten St. Georges am Cheat-River in Sicherheit brachte. Er konnte noch von Glück sagen, dass sein Gegner Morris seine nächtliche Abwesenheit gar nicht ge wahr geworden war , erst am späten Vormittage des 12. Juli die geräumte Position von Laurel Hill besetzte und daselbst die weite ren Befehle Mac Clellan's abwartete. Diese Befehle lauteten dahin , dass Morris den flüchtigen Feind auf dem
von ihm eingeschlagenen Gebirgswege am Morgen des
13. Juli verfolgen , und eine an der Eisenbahn bei Grafton und Rowelsburg zurückgelassene Brigade ihm im Cheat-River-Thale den Rückzug verlegen sollte , während der Oberbefehlshaber selbst in Beverley sein Hauptquartier aufschlagen und mit dem Gros seiner Armee die Ereignisse abwarten würde.
Morris , oder vielmehr sein
Stabschef, ein Capitain der regulairen Armee, machte sich am Morgen des 13. Juli mit den auf dem Laurel Hill versammelten Freiwilligen auch wirklich auf die Beine und begann , um die Versäumniss des vorigen Morgens wieder gut zu machen , eine jener Jagden , welche man mit dem Namen „ wild goat chase" zu bezeichnen pflegte und während der ersten Jahre des Krieges eine grosze Rolle spielten. Das heiszt , man lief dem vierundzwanzig Stunden früher abgezoge nen Feinde durch Dick und Dünn ohne Rast und Ruhe so lange nach, bis den Leuten entweder der Athem oder die mitgenommenen Lebensmittel ausgingen, und kehrte dann völlig erschöpft in groszer Auflösung auf demselben Wege wieder in das eigene Lager zurück . Im vorliegenden Falle hatte die Hetzjagd durch das Valley- Gebirge zufälliger Weise einen gewissen Erfolg. Es fielen den Verfolgern nicht nur ein in den schwierigen Gebirgswegen stecken gebliebenes Ge schütz , mehrere Gepäckwagen u. s . w. in die Hände , sondern man erreichte auch wirklich noch die Arrièregarde des Feindes an der Shavers Fork des Cheat-River , erbeutete bei dem entstandenen Ge fechte die Fahne eines Georgia - Regiments Hundert Gefangene .
und
machte
nahe
an
Die Hauptsache aber war, dass bei der weiteren
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
58
Verfolgung General Garnett getödtet wurde, als er, obwohl sein Corps längst in Sicherheit war ,
mit zehn oder zwölf zurückgehaltenen
Leuten an der Carrak's - Furth die Verfolger erwartete. damals an ,
Man nahm
dass er aus Scham über seinen unglücklichen Feldzug
den Tod gesucht habe.
Dieses möglicher Weise ganz zufällige Er
eigniss erhöhte den Nimbus, welcher die Siege Mac Clellan's damals umgab und wurde in den Zeitungen des Nordens als das Resultat seiner tief durchdachten strategischen Combinationen gepriesen .
Das
Corps Garnett's aber war glücklich entkommen , da die von der Eisenbahnlinie aus behufs Abschneidung desselben in Bewegung ge setzten Ohio- Regimenter zu spät kamen.
In voller Sicherheit befan
den sich die Virginier indessen erst, als sie die ,,Backbone" oder westlichste Hauptkette der Alleghanies hinter sich hatten und in das obere Thal des Potomac gelangt waren. Ihre Leiden endeten da selbst jedoch noch nicht.
Das Land konnte 4000 Mann auch nicht
für wenige Tage ernähren .
Sie wurden daher hungernd und aufs
Aeusserste erschöpft von Colonel Ramseur wieder nach Mac Dowell in Highland County zurückgeführt ,
wo sie von Staunton aus ver
proviantirt werden , sich mit den von Beverley direct durch die Ge birge zurückgegangenen Truppen Jackson's von Georgia Commando
vereinigen
und unter General
wieder reorganisiren
konnten.
Sie hatten eine Rundreise durch die westlichen Alleghanies und da bei die Erfahrung gemacht, dass dieselben ihnen kein gastfreies Ob dach zu gewähren vermochten.
General Mac Clellan hatte dieselbe
Ueberzeugung gewonnen und verzichtete in Beverley auf jede Fort setzung der Operationen auf der nach Staunton führenden Strasze . Er ging auf derselben nur bis Huttonsville vor und ordnete auf dem östlich vorliegenden Cheat-Mountain , d. h. auf der zweiten Parallel kette der Gebirge, den Bau weitläufiger Verschanzungslinien an, welche jeden ferneren Einfall von Osten her hindern und das nord westliche Virginien decken
sollten.
Er hatte also nur Defensiv
gedanken und fürchtete , wie er am 12. Juli noch nach Washington geschrieben hatte ,
dass jetzt Johnston vom Shenandoah - Thale und
Wyse von dem des Kanawha aus sich vereinigen möchten , um ihn zu erdrücken ! Johnston aber stand ,
wie
erwähnt ,
östlich
der Gebirge
in
Winchester , von wo aus er , nachdem seine Befürchtung , dass Mac Clellan so rasch als möglich längs der Ohio- Baltimore-Bahn vor dringen würde, sich als grundlos erwiesen und es sich gezeigt hatte , dass das bei Williamsport über den Potomac gegangene Pennsylva nische Milizcorps Patterson
ebenso wenig
zu fürchten
wäre ,
die
59
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege. Translocirung
seiner etwa 12,000 Mann starken Streitmacht ver
mittels der Manassas - Gap - Bahn nach dem entscheidenden Kriegs schauplatze einleitete. Wyse aber, ein ehemaliger Gouverneur von Virginien und einer der Promotoren der Secession dieses Staates, hatte in Richmond eine militairische Belohnung seiner politischen Parteidienste verlangt und das Commando im Kanawha - Thale erhalten . Er etablirte sein Hauptquartier Anfang Juni's in Charleston und organisirte daselbst eine Legion , welche bei der überwiegend secessionslustigen Stim mung der Bewohner dieses Districtes sehr rasch die Stärke von drei Bataillonen Infanterie, einem berittenen Regimente ( Kanahwa- Rangers) und einer Batterie von sechs Geschützen oder etwa 300 ) Mann er reichte, und um so genügender schien das reiche Thal gegen Einfälle von Ohio her zu sichern , als rechts und links desselben in den engen und waldigen Nebenthälern sich Guerillacorps gebildet und die Feindseligkeiten bereits durch Vertreibung der nördlichen Petro leumbohrer und Kohlengräber eröffnet hatten . Auszerdem hatten die Gewässer der zahlreichen Ströme dieses Landes ihre Ufer wäh rend des Frühjahres in noch gröszerem Maasze überfluthet, als dies gewöhnlich der Fall zu sein pflegt , Brücken weggerissen , Wege ungangbar gemacht und somit einer vorgearbeitet.
hartnäckigen Vertheidigung
Am rechten Ufer des groszen Kanawha und linken
des ihm zuflieszenden Elk- River in einer ziemlich ausgedehnten Thal ebene gelegen , ist Charleston der Stapelpunkt des Handels und der Industrie des ganzen Flussgebietes und bei der Nähe der unmittelbar oberhalb im Thale beginnenden ergiebigen Salzwerke auch der Sitz der Beaumonde des ganzen Gebirgslandes . cession rivalisirte
das
Städtchen
mit
Bei Ausbruch der Se
seiner
gröszeren
östlichen
Namensschwester , mit Richmond und Nashville in Demonstrationen südlichen Patriotismus und tiefsten Abscheues aller nördlichen Ab solutionisten ,
da
es einen der am weitesten nach Westen vorge
schobenen Vorposten des Reiches der Sklavenhalter bildete.
Wyse
sicherte die unmittelbar nicht zu vertheidigende Stadt durch Anlage von Verschanzungen zwei Englische Meilen flussabwärts und con centrirte hier auch seine Streitmacht, als wirklich von Ohio her die Invasion des Landes begann.
Dieselbe war von Mac Clellan dem
General Cox übertragen worden , einem noch jungen , aber wegen seiner Integrität und Intelligenz allgemein geachteten Advocaten des zuletzt genannten Staates, welcher bei der damaligen Anschauungs weise der Amerikaner es ebenfalls ganz natürlich gefunden hatte, dass man ihn mindestens zum Brigade- General der Freiwilligen er
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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nannte , da er während des Friedens ja schon als General der Staatsmilizen paradirt hatte. Sein im Uebrigen anspruchsloses und wohlwollendes Benehmen befähigte ihn mehr als militairische Talente zu der unabhängigen Rolle , welche ihm bei Aufführung des Schau spieles der Invasion des Virginischen Bodens zuertheilt worden war. Ein Politiker trat hier in Generalsuniform einem anderen gegenüber. Da die Wege auf beiden Ufern des Kanawha für Fahrzeuge un passirbar gemacht worden waren , der Fluss selbst aber im heiszen und trockenen Sommer für Dampfschiffe nicht befahrbar ist, so sam melte General Cox an seiner Mündung in den Ohio eine Zahl ge wöhnlicher Segelboote, welche er mit Proviant, Munition und Lager geräth belud und durch welche er die thalaufwärts marschirende Truppencolonne begleiten liesz , während starke Seitendetachements die Guerilla's aus den auf beiden Seiten der Operationslinie gelegenen Counties vertreiben sollten. General Wyse hatte, wie gesagt, seine Legion zwei Meilen unterhalb Charleston concentrirt und somit das untere Flussthal offen gelassen.
Cox konnte daher vier Ohio - Regimenter
einige 30 Meilen ungehindert flussaufwärts befördern , am rechten Flussufer an der Mündung des Pocotalico landen und in einem Lager etabliren, ohne dass es zu Feindseligkeiten gekommen wäre. Auch das linke Flankenregiment , welches wider Erwarten in Jackson County keinen ernsten Widerstand gefunden hatte, konnte im Lager von Poco" sich anschlieszen . Auf der linken Seite des Kanawha kam es dagegen am 12. Juli bei dem Städtchen Barboursville am Guyandotte zu einem heftigen Gefecht zwischen dem rechten Flanken detachement der Brigade Cox und den daselbst unter Leitung eines reichen Virginischen Grund- und Sklavenbesitzers, Namens Jenkins, sich bildenden Freicorps , in Folge dessen die über den Widerstand der Bewohner erbitterten nördlichen Freiwilligen den Ort brand schatzten. Der Bürgerkrieg, welcher im Allgemeinen bisher nur als Spiel betrachtet worden war ,
zeigte hier bereits seinen wahren
Charakter , die Bevölkerung am linken Flussufer bis nach Kentucki hinein war zum mörderischen Bushwhaker-Kampfe entschlossen. General Cox hatte im Lager von Poco bald 4000 bis 5000 Mann vereinigt , wagte aber nicht , dieselben gegen die nur wenige Meilen entfernte verschanzte Stellung Wyse's vorzuführen oder die Räumung derselben durch einen Marsch landeinwärts zu erzwingen, da er sich durch einen solchen von seiner auf dem Flusse ruhenden Verpflegungs basis entfernt haben würde . dem
linken
schmählich.
Ufer
des
Ein leiser Versuch, die Umgehung auf
Kanawha
zu
bewerkstelligen ,
scheiterte
Ein oder zwei über den Fluss gesetzte und daselbst in
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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der um jene Zeit noch üblichen vertrauensvollen Sorglosigkeit vor geführte Regimenter wurden am 17. Juli in dem Defilée des Scary Creek aus den zur Vertheidigung eingerichteten Blockhäusern, Schützengräben und Geschützemplacements mit so heftigem und wirksamem Feuer begrüszt , dass alle Bemühungen ihres tapferen Führers , sie zum Angriffe zu ordnen , vergeblich blieben und sie in eiliger Flucht wieder den rettenden Booten zustürzten . Das Ab surdeste aber bei dieser Affaire war, dass mehrere Offiziere anderer Regimenter der Brigade Cox , darunter zwei oder drei
Colonels " ,
um den „ Spasz " mit anzusehen, sich privatim ebenfalls hatten über den Fluss setzen lassen und dem siegreichen Feinde , der , nebenbei gesagt , nur aus zwei Compagnien und zwei Geschützen bestand, direct in den Rachen liefen. General Cox wäre daher auf dieser Operationslinie
wohl kaum weiter vorwärts
gelangt ,
wenn
sein
Gegner Wyse nach erhaltener Nachricht der Unfälle Garnett's nicht hätte befürchten müssen, dass Mac Clellan von Huttonsville aus ihm durch das Thal des Gauley-Flusses den Rückzug verlegen könne. In dieser Befürchtung räumte er Charleston und zog sich , auch die Salzwerke preisgebend und
die Brücken zerstörend , thalaufwärts
nach dem Gauley- Gebirge zurück .
Hier, auf der ersten Terrasse des
westlichen Gebirgslandes, hätte er in aller Sicherheit Halt machen und sich von Neuem verschanzen können . Persönliche Umstände veranlassten ihn jedoch, auch diese wichtige Position zu räumen und seine grosze Retirade zum Verdrusse seiner im Kanawha-Thale an geworbenen Leute über die Sewell-Gebirge nach Lewisburg fortzu setzen. In diesem hochgelegenen Städtchen war nämlich General Floyd mit drei in den Gebirgen formirten Regimentern , einem Bataillon Cavallerie und einer Batterie von sechs Geschützen er schienen und beanspruchte das Commando auf der ganzen Linie des Kanawha. Floyd war damals eine gewichtige Person in der neuen Conföderation , deren glückliche Geburt er , als Kriegssecretair des ehemaligen Präsidenten Buchanan , durch Füllung der in den Süd staaten liegenden Bundesarsenale, durch Wegziehung der Garnisonen aus den dortigen Küstenforts und Preisgebung der den Grenzcordon gegen Mexico bildenden Bundestruppen an die Milizen von Texas , vorzugsweise ermöglicht hatte .
Zur Belohnung dieser Dienste ver
langte er ein militairisches Commando .
Man gab ihm in Richmond
das des Landes , in welchem seine Familie seit langer Zeit ansässig war , ohne daran zu denken , dass man dasselbe ja schon ein em anderen politischen Haupte der Secession übertragen hatte . Der Hader beider Herren kam vorerst nur ihrem ziemlich in
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege .
62
offensiven Gegner, Herrn Cox, zu Gute, welcher nicht nur am 24. Juli das rebellische Charleston, sondern in den nächsten Tagen auch das Kanawha-Thal und sogar
die wichtige Position von Gauley , den
Schlüssel zum ganzen Flussgebiete, besetzen konnte .
In Verbindung
mit den Eroberungen im Nordwesten war der leichte Erwerb dieses Gebietes ein unzweifelhaft wichtiger Erfolg für die Sache der Union. Der gröszere Theil Westvirginiens war derselben zurückgegeben. Ein neuer, freier Staat konnte sich bilden. Mac Clellan's Name war um so mehr in den Vordergrund getreten , als mit der am 22. Juli in Ostvirginien am Bull Run verlorenen Hauptschlacht im Norden jede Hoffnung schwinden musste , den Krieg noch in diesem Jahre beenden zu können . der Noth.
Die Regierung erblickte in ihm den Retter in
Schon am 23. Juli erhielt er in Beverley das Telegramm,
welches ihn sofort nach Washington rief.
Man machte ihn daselbst
zum Generalmajor nicht nur der Freiwilligen , sondern auch der regulairen Armee , übertrug ihm das Commando der das ganze öst liche Kriegstheater umfassenden Militair - Division des Potomac und
stellte
ihn
an
die
Spitze
eines
Heeres ,
welches
in
den
nächsten Monaten rasch zu einer Effectivstärke von 200,000 Mann anwuchs. Selten hatte Fortuna eine solche Macht in die Hände eines noch jungen Mannes gelegt.
1826 als Sohn eines angesehenen
Arztes in Philadelphia geboren, 1842 als Cadett zur Militairakademie von
Westpoint
zugelassen
und
1846
als
Secondelieutenant
der
Ingenieure in die regulaire Armee getreten , hatte er als junger Ingenieuroffizier den Mexicanischen Krieg mitgemacht , war nach dem Friedensschlusse aber als Hülfslehrer zur Akademie zurück gekehrt und später mit topographischen Arbeiten im Westen be schäftigt worden.
Durch einige in Amerika so seltene elementare,
militairische Arbeiten als wissenschaftlich gebildeter Offizier bekannt geworden, wurde er zur Zeit des Krim-Krieges mit Lee und Mordecai auf Kosten des Staates nach Europa geschickt, um über Europäische Heeresorganisation und Kriegführung dem Congresse Bericht zu er statten und nach seiner Rückkehr zum Capitain eines neu errichteten Cavallerie- Regimentes ernannt. Jedoch schon 1857 verliesz er den Militairdienst und übernahm die einträgliche Stelle eines Superinten denten der Illinois- Centralbahn. des Secessionskrieges.
In derselben traf ihn der Ausbruch
Governor Dennison von Ohio bot ihm mit
dem Range eines Generalmajors der Milizen die Organisation und das Commando der Freiwilligen dieses Staates an und da er dieses Anerbieten nach Zusicherung seiner Rückkehr in die Reihen der regulairen Armee mit entsprechendem Range auch annahm , so war
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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aus einem verabschiedeten Capitain plötzlich ein Heerführer gewor den , dem zuerst die neu bewaffneten Schaaren der Staaten Ohio und Indiana , bald aber die des ganzen Nordens der Union zu Ge bote gestellt wurden.
Das leicht erregbare, momentanen Eindrücken
folgende amerikanische Volk begrüsste dieses selbst auf dem west lichen Continente beispiellose Avancement mit Jubel und erwartete Wunderdinge. Als Zweiter ging Rosecrans aus der Glücksurne her vor. Zum Brigadegeneral der regulairen und bald auch zum General major der freiwilligen Armee ernannt, wurde er mit dem Commando in Westvirginien betraut. In einer zum Katholicismus bekehrten holländischen Familie jüdischen Ursprungs 1819 in Ohio geboren, als Cadett zur Militairakademie zugelassen und 1842 als Secondelieutenant des Ingenieurcorps in die Armee getreten, war er theils als Hülfslehrer der Mathematik an der Militairschule , theils 1838
als topographischer und technischer Ingenieur verwendet worden, hatte aber schon 1853 seinen Abschied genommen und seither als Civilingenieur sein Glück versucht, als der Ausbruch des Secessionskrieges ihn zuerst als Colonel eines Ohio - Volontair regimentes nach Westvirginien führte , in welchem Lande er zwei bis drei Monate später als Höchstcommandirender befehligen sollte. Während das rasche Avancement Mac Clellan's zur Zeit von den im Dienste gebliebenen älteren Offizieren der regulären Armee mit groszer Resignation anerkannt worden war, rief Rosecrans'
vielen
plötzliche
Beförderung offene
Feindschaft und Eifersucht
hervor.
Dieser bekundete trotz seines eifrigen Katholicismus weniger Sym pathie für Erhaltung des Institutes der Negersklaverei und be absichtigte den Krieg aufrichtig und nach besten Kräften zu führen. Seine Aufgabe beschränkte sich indessen auf Deckung des so leicht
eroberten Gebietes ,
Reorganisirung und Ausbildung seiner
durch Abgang der Dreimonats- Freiwilligen und deren Ersatz durch Dreijahrs - Regimenter veränderten
Streitmacht.
Die Schlacht am
Bull Run hatte auch in Westvirginien die Hoffnungen der Secessio nisten wieder belebt. Kleine Banden bildeten sich. Die Dampf ⚫ boote auf dem unteren Kanawha und selbst dem Ohio wurden beschossen, einzelne Soldaten ermordet, Transporte überfallen . Auch das Land änderte seinen Charakter. Die während des Sommers so trockenen und überall gangbaren Wege begannen im Herbste mehr und mehr grundlos zu werden , die seichten Betten der Bäche und Flüsse des Landes füllten sich wieder mit Wasser , um bald ihre Ufer zu überfluthen und die Communication aus den Thälern und Schluchten auf die Saumpfade der bewaldeten Bergrücken zu
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
64 weisen.
Auch Floyd und Wyse schienen einen modus vivendi ge
funden zu haben und durch Thätigkeit ihre im Sommer begangenen Sünden
wieder
gut
machen
zu
wollen.
Der Letztere ging von
Lewisburg mit seiner Legion auf der Hauptstrasze wieder über die Sewell gegen das Gauley-Gebirge vor, der Erstere wandte sich, diese Gebirge umgehend, rechts nach dem oberen Gauley-Flussthale .
Ihr
Gegner Cox hatte in dem auf dem Gauley- Gebirge reizend gelegenen Landhause eines Virginischen Gutsbesitzers , Namens Tompkins, welcher in Wyse's Legion ein Bataillon befehligte, sich comfortabel eingerichtet und von dort aus bisher ungestört die schöne Aussicht auf die senkrechte Schlucht des New-River mit ihren Wasserfällen , sowie auf das dunkelgrüne Laubdach des gegenüberliegenden höheren Cotton-Hill genieszen können . Er hatte in seiner zwar ziemlich starken und nur leicht verschanzten Position indessen nur noch zwei Regimenter , eben so viele Compagnien Cavallerie und sechs Ge schütze zur Verfügung , da er, um seine fast 80 Englische Meilen lange Communicationslinie nur einigermaaszen zu decken , ein Regi ment compagnieweise im Kanawha -Thale gelassen , ein anderes aber zur Verhinderung der Umgehung seiner linken Flanke einige dreiszig Meilen weit nach Summerville im Gauley-Thale detachirt hatte.
Er
hatte daher allerdings Ursache , über die Rückkehr des Governor's unruhig zu werden und
seinen Obergeneral Rosecrans um rasche
Unterstützung zu bitten.
Vorläufig war die Gefahr indessen nicht
so grosz ,
als
es den Anschein hatte.
Wyse begnügte sich mit
Recognoscirungen und Scharmützeln in den zwischen den Sewell und Gauley - Gebirgen liegenden romantischen Engpässen von Dog wood Gap und Hawkes Nest ,
enthielt
sich aber jeden
ernsten
Angriffes. Sein Rival Floyd dagegen entwickelte um dieselbe Zeit eine grosze Thätigkeit.
Es gelang ihm , über den tiefen, reiszenden und
mit Wasser bereits gefüllten oberen Gauley- Strom einen Uebergang zu bewerkstelligen und in der Nähe von Summerville das von Cox zur Zerstörung der Brücken und Fähren abgeschickte
Regiment
während der Mittagsruhe in dem waldbedeckten Terrain am 26. August derart zu überfallen , dass dasselbe nach blutigem Einzelkampfe in völliger Auflösung in die öden Gebirge floh Charleston gesammelt werden konnte.
und erst wieder in
Die Brigade Cox in ihrer
isolirten Stellung auf dem Gauley- Gebirge wäre jetzt verloren ge wesen, wenn Floyd sie in der Flanke, Wyse in der Front bestürmt hätte .
Der Erstere konnte indessen , wie es in diesem Lande noch
oft sich wiederholen sollte , seinen Sieg nicht verfolgen , da er erst
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
65
die Ankunft eines Provianttrains abwarten musste und er gleichzeitig die Nachricht erhielt, dass Rosecrans mit einer starken Colonne von Norden her im Anzuge wäre, um sich mit Cox zu vereinigen .
Diese
Vereinigung glaubte er verhindern zu können , indem er wenige Meilen von Summerville unmittelbar am rechten Ufer des Gauley, bei Carnifex Ferry, durch Fällen von Baumstämmen, Zusammenlegen von nFence Rails " und Einschneiden von Schützengräben ein ziem lich starkes verschanztes Lager schuf, nach welchem er auch zwei von Lewisburg ihm nachgeschickte Regimenter ,
sowie Wyse mit seiner Legion berief. Rosecrans hatte nach Mac Clellan's Abreise die Position des Cheat Mountain
zu
beiden Seiten
der
nach Staunton
führenden
Strasze nach allen Regeln der Kunst verschanzen und durch acht oder neun Regimenter mit hinreichender Artillerie Reynolds besetzen lassen ,
unter General
sodann aber sein Hauptquartier nach
Clarksburg an der Eisenbahn zurückverlegt.
Dort sammelte er aus
neuangekommenen Regimentern eine zweite, etwa
7-8000 Mann
starke Division , mit welcher er persönlich die Operationen auf der Linie des Kanawha fortsetzen wollte.
Er setzte sich jedoch erst
Anfang September von Clarksburg durch das beschriebene niedrige Bergland in Marsch, überschritt mit seiner langen Colonne, in welcher die acht Regimenter, drei Cavallerie-Compagnien und sechs Geschütze unter der Menge der mitgeführten Zelt- , Bagage- , Munitions- und Proviantwagen fast ganz verschwanden, unter mancherlei Schwierig keiten zwischen dem Elk- und Gauley-Flusse die Birch- oder Powell Mountain genannte erste Terrasse des Gebirgslandes und debouchirte aus derselben bei Summerville am Vormittage des 10. September. Da man daselbst in Erfahrung brachte, dass Floyd die Ankunft der Unionstruppen in verschanzter Stellung erwarte, so wurde der Marsch fortgesetzt , bis die Spitze eine Meile vor derselben Halt machte. Aus
der langen Marschcolonne entwickelte
sich nun
zuerst
die
Avantgarden-Brigade mit ihren drei Bataillonen und zwei Geschützen rechts und links der Strasze in der üblichen line of battle - Ordnung und ging in gebrochenen Linien durch den Wald zur Recognoscirung vor.
Bei der durch einige cultivirte Felder und das Fällen der
Bäume entstandenen Lichtung angekommen, erhielten die Ohio -Frei willigen plötzlich das Feuer der hinter Baumstämmen , in Schützen gräben und Emplacements entwickelten drei Regimenter und sechs Geschütze Floyd's und kamen nun sofort zum Halten .
Es war der
erste Grusz , den sie in Feindesland erhalten hatten und bei ihrer 5 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
66
noch sehr geringen Ausbildung daher nicht zu verwundern , derselbe sie in grosze Aufregung versetzte .
dass
Sie liefen jedoch nicht
davon , sondern suchten Deckung hinter den Bäumen des Waldes . Jeder Versuch aber , sie aus demselben zum Angriffe vorzubringen, schlug fehl.
Zwei Colonels verloren dabei eigentlich unnützer Weise
ihr Leben , denn Rosecrans hatte ja nur eine Recognoscirung , nicht aber einen Angriff befohlen .
Auch war derselbe , als im Laufe des
Nachmittags die übrigen fünf Regimenter sich aus der Marschcolonne herausgewickelt und
einigermaaszen geordnet als zweites
Treffen
formirt hatten, noch gar nicht mit sich einig, ob er an demselben Tage einen Angriff unternehmen solle oder nicht.
An Artillerie war er
dem gut gedeckten Gegner kaum gewachsen , die Stärke der In fanterie desselben kannte er nicht genau . Dennoch erlaubte er einem einzelnen Regimente auf dem rechten Flügel noch einen sogenann ten Angriff zu unternehmen und gestattete, als auch dieser misslang, einem Colonel , welcher auf dem linken Flügel die schwache Seite des Feindes entdeckt haben wollte , noch am späten Nachmittage mit drei neuen Regimentern einen ernsten Versuch zu machen , der mit der gegenseitigen Beschieszung dieser Regimenter endete, welche bei der völlig Feinde hielten.
eingebrochenen Dunkelheit sich
untereinander
für
Solches war die „battle" von Carnifex Ferry, welche
Rosecrans von den Zeitungen des Nordens als ein Sieg, das Resultat seines tief durchdachten strategischen Operationsplanes, angerechnet werden konnte, weil Floyd noch in derselben Nacht sein exponirtes Lager räumte und sein kleines Corps auf Flöszen nach dem anderen Ufer des Gauley in Sicherheit brachte. deutende Verluste erlitten , gebracht.
Aber
Er hatte nur ganz unbe
dem Feinde aber sehr empfindliche bei
er beklagte sich bitter und , wie es scheint , mit
Recht , dass Wyse ihn nicht unterstützt habe.
Der Streit zwischen
den beiden in Generalsuniform gesteckten Virginischen Politikern war jetzt zum offenen Ausbruch gekommen.
Floyd zog sich mit
seinen Truppen über die Sewell - Gebirge zurück und befahl Wyse, ihm mit seiner Legion nach Lewisburg zu folgen .
Der Letztere aber
war plötzlich von groszer Kampfeslust beseelt worden .
Er folgte
zwar murrend bis auf den doppelten Rücken des genannten Gebirges, kündigte dort aber seinem „ Senior" im Range den Gehorsam , ver schanzte östlich des Big Sewell auf dem Little Sewell eine starke Stellung , welche er , wie es scheint , ebensowohl seinem Collegen wie seinem Gegner zum Trotz das „Camp Defiance "
nannte.
In
demselben wollte er, wie er am 18. September den Offizieren und
67
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
Mannschaften seiner Legion erklärte , bis zum letzten Mann aus· halten.
Er sollte jedoch nicht den Tod des Leonidas sterben !
Rosecrans Gauley - Gebirge
hatte
nach seiner Vereinigung mit Cox auf dem
etwa
13
Bataillone
Infanterie ,
4 Compagnien
Cavallerie und 12 Geschütze vereint , welche im Ganzen wohl eine effective Streitmacht von 10,000 Mann ausmachten und
daher in
diesem Lande eine „ Armee " repräsentirten, in welcher, beiläufig ge sagt , das Deutsche Element mehr als zum dritten Theile vertreten war.
Auszerdem füllten neu angekommene Regimenter das Kanawha
Thal, um die Communication mit dem Ohio endlich sicher zu stellen. Denn och waren die Operationen der Armee des Generals Rosecrans nicht von entscheidenden Schlägen begleitet.
Vorsichtig
hatte er
seinen Weg über Dogwood Ridge nach dem Big Sewell gefühlt und am 23. September auf dem breiten Rücken desselben, Wyse's " Camp Defiance " gegenüber , Position genommen . Zu einem Angriffe auf den höchstens 2500 Mann starken Feind kam es auch am folgenden Tage, den 24. September , nicht , sondern nur zu einem allgemeinen und resultatlosen Geplänkel der beiderseitigen Vorposten.
Am Abend
desselben Tages aber hatte sich die Situation bereits geändert. General Robert Lee war mit fünf Regimentern bei Wyse ange kommen und Camp Defiance nun von 6-7000 Mann und 11 bis 12 Geschützen besetzt ,
welche Force
durch Wiederheranziehung
Floyd's während der nächsten Tage auf 10,000 Combattanten und 17 oder 18 Geschütze gebracht wurde. föderirte standen unerwartet
Unionstruppen und Con
sich in gleicher Stärke
und unter
gleichen Chancen der Position auf dieser fernen und entlegenen Operationslinie gegenüber.
Die Blicke des Nordens wie des Südens
richteten sich nach dem bisher fast ungekannten westlichen Gebirgs rücken der Alleghanies.
Man erwartete mit gespanntem Interesse
das Schauspiel, welches auf den Höhen des Sewell ausgeführt wer den sollte. (Schluss folgt. )
5*
68
Die Bayern in der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813.
IV.
Die
Bayern
in
der
Schlacht
bei
Dennewitz
am 6. September 1813 . (Eine Berichtigung.) Das December-Heft ( 1875) der „ Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine " enthält S. 269 bis 308 ein kurzes Lebensbild des Obersten Hans von Thümen , in welchem auch die Schlacht bei Dennewitz berührt ist.
Gegen Ende derselben soll sich nun
nach den bisher ungedruckten Erinnerungen eines Obersten a. D. von Kalkreuth , geschrieben zu Berlin im April 1857 (S. 291), das Bataillon Treuberg vom 8. Bayerischen Infanterie Regiment nicht nur während des Kampfes muthlos, sondern auch nach seiner Gefangennehmung hinsichtlich einer leicht ausführbaren Selbstbefreiung unentschlossen gezeigt haben ( S. 297 bis 298).
Den
nebenher erzählten Vorfall von der Schwachmüthigkeit eines einzelnen Subaltern-Offiziers lasse ich jedoch in Nachfolgendem unbesprochen , einmal weil er mir unwesentlich erscheint , und dann wegen der Unmöglichkeit, nach so langer Zeit eine derartige Angabe auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
Ein Blick in die betreffende Regimentsgeschichte (Manuscript), sowie in Völderndorff's Kriegsgeschichte von Bayern unter König Maximilian Joseph I., Band IV, Buch 7, S. 170 lehrt allerdings so fort , dass sich hier ein Irrthum in der Regiments-Nummer einge schlichen hat, da Major Treuberg das II. Bataillon 9. Infanterie Regiments an dem in Rede stehenden Tage befehligte.
Gleichwohl
bleibt deshalb die Nothwendigkeit zur Ablehnung einer, wie ich dar legen werde, völlig ungenauen Behauptung ungeändert , wobei ieh freilich kaum nöthig habe zu versichern, wie meine Feststellung der Thatsachen ohne jede Erregung nur vom kriegsgeschichtlichen Stand punkte aus erfolgt, und ich zudem nicht übersehe, dass einem tapferen Mitkämpfer jenes entlegenen Schlachttages die Dinge so erschienen sind , wie er dem beschränkten Gesichtsfelde in einem Hand gemenge entsprechend - sie schildert. Bisher war fast in jedem Conversations- Lexikon zu lesen, dass in der Schlacht bei Dennewitz zuletzt nur noch die Sachsen und die Bayerische Division bei der allgemeinen Auflösung des
Die Bayern in der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813.
69
taktischen Verbandes im Französischen Heere feste Ordnung hielten ; so z. B. bei Brockhaus , 11. Aufl . , Bd . V, S. 135.
Das Nämliche
bezeugt ein wackerer Theilnehmer an jener Schlacht im Militair Wochenblatt Nr. 274 vom 22. September 1821 , S. 1979, wonach die Bayern nebst den Sachsen die Letzten auf der Wahlstatt waren „und
mit
eiferten“ .
diesen
in
Folgsamkeit
und Haltung wett
Das Bataillon, dessen Standhaftigkeit am 6. September
1813 ich hier vertreten will, zählte in seinen Reihen, besonders unter den Cadres, nicht wenige Männer, welche 1812 in Russland ge fochten hatten, und von denen der Russische Oberst Okouneff in seinen „ Considérations sur les grandes opérations , les batailles et les combats de la campagne de 1812 en Russie " , Paris 1829, S. 79 sagt, indem er von der Verstärkung spricht, die Marschall Oudinot bei Polotzk am 16. August durch das VI . Corps
(die Bayern
unter General Gouvion St. Cyr) erhielt : „ Il venait d'être renforcé par deux divisions de troupes fraîches, bien aguerries et d'une courage exemplaire ; " er fügt in einer Anmerkung hinzu : „J'ai eu l'occasion de m'en convaincre à la bataille de Polotzk et je puis dire que l'infanterie bavaroise est une des plus braves de l'Europe. " Ist es so schon unwahrscheinlich , dass ein Theil jener Truppen , welche sich kurz vorher musterhaft er wiesen hatten, bei Dennewitz die alte Art vergaszen, so stehen mir aber auch Zeugnisse vom Gegner dafür zu Gebote, dass das Bataillon Treuberg 9. Bayerischen Infanterie - Regiments sich an mehrfach erwähntem Tage brav gehalten hat. Vergegenwärtigen wir uns vor Allem den kritischen Gefechts moment.
Es war zwischen 4 und 5 Uhr Nachmittags, als das XII .
Französische Armeecorps Oudinot , dem die Bayerische Di vision Raglovich angehörte, auf dem Schlachtfelde eintraf, und kurz nachher vom Oberfeldherrn Marschall Ney den verhängniss vollen Befehl bekam, hinter dem schwer gedrängten VII. Armeecorps Reynier hinweg zur Unterstützung des IV. Armeecorps Bertrand nach dem rechten Flügel abzumarschiren. Allein dieser Rechts abmarsch des XII. Corps wurde, bevor es noch Dennewitz er reichen konnte , schon durch das Weichen des VII. Corps unter brochen. Von der Bayerischen Division , welche sich erst dem Plateau zwischen Oehna und Göhlsdorf näherte - der Deckung des ungeheueren Wagenparks wegen, die ihr übertragen , marschirte sie nämlich an der Queue - wurde auf Marschall Oudinot's Befehl eiligst die Batterie Weishaupt unter Bedeckung des Ba taillons Treuberg vorgeschoben.
Aber schon begann eine Kata
70
Die Bayern in der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813.
strophe, die ich nach dem dritten Beihefte zum Militair-Wochenblatt (für Februar bis einschlieszlich Juli) 1865 geben will.
In der muster
haften Darstellung der „ Geschichte der Nordarmee 1813 " ist nämlich S. 79 bis 80 zu lesen : 99..... Haltung und Leitung nahmen nun in raschem Maasze ab ; Geschütze und Wagen wurden umgeworfen , Bataillone auseinander gedrängt , sprengte vielfach überritten.
Tirailleurs und Ver
Auf der weiten Ebene jenseit Oehna
bis zum Walde bot sich dem Auge nichts mehr als ein weites Meer von Trümmern.
Kanonen, Wagen, Reiter jagten in wildem Gemische
durcheinander ; ledige Pferde , versprengte Abtheilungen , Generale ohne Truppen ,
jammernde Marketenderinnen
und Tausende
von
wimmernden Verwundeten , Alles in dichte Staubwolken gehüllt, bildeten ein wüistes Getümmel und erzeugten schaudererregende Scenen, wie sie keine Feder zu beschreiben vermag .
Umsonst hoben Ge
nerale die Degen empor, umsonst strengten sie ihre Stimmen an, um Ordnung in die Masse zu bringen ; sie hatten all' ihr Ansehen ver loren, und jeden Augenblick kreuzte von Neuem ein wilder Schwarm den Marsch geschlossen erhaltener Truppen und riss auch sie in den allgemeinen Strudel fort.
Die Infanterie lief im Trab, die Cavallerie
suchte Schutz bei der Infanterie und drängte sich in ihre Haufen, die Trainleute schnitten die Stränge los, lieszen Wagen und Kanonen stehen und retteten sich durch die Flucht.
Volle Kopflosigkeit hatte
die Masse erfasst, platzende Granaten und auffliegende Pulverkarren steigerten im dichten Haufen den Schrecken auf den höchsten Grad. Es war ein Zustand so schildert ein Würtembergischer Augen zeuge wie an der Berezina eingetreten, und jede folgende Minute zersetzte weiter und weiter die Armee bis in ihre Atome. Bei all' diesen
Eindrücken
bewahrten die
Sächsischen ,
Bayerischen ,
Würtembergischen und Polnischen Truppen immer noch einigen Ge horsam für die Stimme ihrer Führer, und man konnte ihre Bataillone noch als feste Körper erkennen .
Wiederholt kamen sie denn auch
mit der verfolgenden Cavallerie in Berührung und wiesen selbe in dieser Verfassung noch durch ihr Feuer zurück. Französische Generale Schutz Deutschen Bataillonen . " Wenn
nun
allerdings
gegen die
zugestanden
Mehrfach suchten
Reiterei
werden
zwischen
muss ,
dass
den die
Bayern bei ihrer geringeren Betheiligung am Kampfe am ebesten den Zusammenhang erhalten konnten , so ist doch auch nöthig zu erinnern, unter welchen kritischen Umständen dieses geschah.
Den
hieran sich reihenden Verfolgungsscenen gehört nämlich auch der
Die Bayern in der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813. Vorfall an, welcher mir die Feder in die Hand drückte.
71
Hören wir
zuerst die einheimischen Zeugnisse. Leider flieszt die Hauptquelle, die Geschichte des 9. In fanterie - Regiments , sehr spärlich, indem sie gar keine Details liefert.
Es heiszt dortselbst :
„ Das II . Bataillon , zur Deckung der
in die Schlachtlinie neben mehreren Französischen Batterien aufge fahrenen Bayerischen 6 - Pfünder - Batterie Weishaupt vorgerückt, erlitt einen sehr bedeutenden Verlust und unterlag nach mehr stündiger heldenmüthiger Vertheidigung , als eine der letzten Truppen auf dem Schlachtfelde , der Uebermacht der Preuszischen Cavallerie . Während des Gefechts und bei Durch brechung des arg gelichteten kleinen Vierecks wurden der Com mandant Major von Treuberg , ein Hauptmann, drei Lieutenants nebst vielen Soldaten verwundet und niedergehauen, der Rest aber in die Gefangenschaft abgeführt . “ Die Geschichte des 8. Infanterie - Regiments (Manu script) bringt Folgendes : „ Die Bayerische Division Rag lovich war gegen 7 Uhr Abends der einzige Truppenkörper, welcher in Ba taillons - Quarré's formirt beisammen blieb und dem Feinde noch einigen Widerstand leisten konnte, wiewohl derselbe öfter starke Cavallerie-Angriffe machte . Hierbei gelang es ihm endlich auch das Bataillons - Quarré des 9. Regiments , von der halben Batterie Weishaupt unterstützt, welches die Arrièregarde bildete , als es sich gänzlich verschossen hatte, zu sprengen, wonach dasselbe grösztentheils todt und blessirt auf dem Schlachtfelde liegen blieb. " Völderndorff a. a. O. , IV, 7, S. 171 bis 172 schildert diesen ehrenvollen Untergang des Bataillons in nachstehender Weise : „Der bisher geleistete Widerstand vom Heere Ney's verwandelte sich in Der Heertheil Reynier wich auf allen Punkten
regellose Flucht .
und riss einen Theil vom Heertheile Bertrand mit sich fort, während zahlreiche feindliche Haufen zwischen letztere und den Heertheil Oudinot eindrangen. und seines Geschützes.
Vergeblich war der Widerstand des letzteren Die noch im Feuer stehenden, jedoch nicht
aufgefahrenen vier Stücke der Bayerischen Batterie Weishaupt wurden von Preuszischer Reiterei im Rücken angegriffen. Ein groszer Theil ihrer Bedienung war schon durch das feindliche Kartätschen Major Treuberg , welcher dem Geschütze mit
feuer getödtet.
seinem schwachen Bataillone als Bedeckung gefolgt war, bildete ein Viereck um dasselbe, und vertheidigte sich männlich gegen den ringsum anstürmenden Feind . Doch die Uebermacht der Angreifer war zu grosz ; der ungeheuere Staub hinderte jede
72
Die Bayern in der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813.
Aussicht und Bewegung ; keine Unterstützung kam. Das Viereck der Bayern ward durchbrochen, der gröszte Theil der Mannschaft getödtet , der tapfere Anführer des Bataillons , der Ueberrest des letzteren, meist alles in ehrenreichem Kampfe verwundet , zwei Haubitzen und zwei Kanonen fielen in des Sieges Gewalt." In der mittlerweile eingegangenen, zu Darmstadt erschienenen Neuen Militairzeitung" findet sich in den Nummern 31 mit 33 des
zweiten Jahrganges 1857 ein Aufsatz : „ Die Bayern im Jahre 1813 “ betitelt , worin ein Bayerischer Offizier gegen mehrere Stellen in Beitzke's Freiheitskriegen polemisirt.
Es ist dort auf S. 252 zu
„ Gänzlich ermattet , vom brennendsten Durste gefoltert , be hauptete die Bayerische Division allein auf dem weiten Schlacht lesen :
felde ihre taktische, festgegliederte Colonnen- und Quarré formation zur Bewunderung und preisenden Anerkennung der vielen in die Bayerischen Vierecke geflüchteten Französischen Ge nerale und Offiziere, und rettete so die Ehre und den Ruhm unseres Heeres , wie vor 109 Jahren in der Schlacht von Höchstädt. Bis spät am Abende, noch bei eingetretener Dunkelheit, war die Division ungebrochenen Muthes im Marsche.
Das Bataillon des 9. In
fanterie - Regiments (Ysenburg - Büdingen) , die Batterie Carl Weishaupt deckend , wurde Nachts von zwei Preuszischen Husaren- Regimentern nach dreimaliger Attacke überwältigt, und gerieth , nachdem es dem Gegner groszen Schaden gethan, in Gefangenschaft ; vier Geschütze fielen in des Feindes Gewalt. Bei nahe alle Offiziere und Soldaten waren verwundet .
Gerecht und
parteilos kann hier nur von tapferem Verhalten der Bayern gesprochen werden . Erst mit völliger Nacht und bei der Ankunft an Brunnen und Quellen löste sich die Ordnung in den Colonnen . " Von Preuszischen Berichten ist zunächst Schöning's Ge schichte des Königlich Preuszischen 5. Husaren-Regiments , Berlin 1843, zu erwähnen, wo S. 453 nach dem officiellen Journale des Regiments jener Satz enthalten ist, den auch die „Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine " S. 298 wortgetreu geben. Derselbe beruht auf einem Ausspruche des damaligen Commandeurs genannten Husaren- Regiments, des Majors Hans von Thümen , und schwächt die Aufzeichnungen Kalkreuth's bedeutend ab, da auf die Aeusze mehrere Reprisen " zur Ueberwältigung nöthig rungen , dass waren und das attackirende Regiment einen ,„ nicht unbedeuten den Verlust " erlitt , Gewicht gelegt werden muss . Unrichtig ist dabei wieder , wenn vom 8. Bayerischen Linien-Infanterie - Regiment und von 2 Bataillonen erzählt wird.
Die Bayern in der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813.
73
Die Hauptvertheidigung liefert mir aber die „ Geschichte der Nordarmee" a. a. O., welche auch alle Bayerischen Quellen ge prüft hat und die gewiss allseitige Zustimmung findet.
Möchte doch
dort nachgelesen werden, wie gerecht und würdevoll die kriegerischen Leistungen vormaliger Gegner gewerthet sind ! S. 81 wie folgt dargestellt :
Unsere Episode ist
„ Die Preuszische Infanterie war durch
das Herstellen der Ordnung so lange aufgehalten worden, dass sie erst bei dem Dorfe Oehna wieder herbei kam .
Die ausschwärmen
den Schützen trieben die noch in Oehna stehenden feindlichen Truppen fast ohne Kampf vor sich her, und fanden jenseit Gelegen heit , die Cavallerie bei einem ernsteren Zusammenstosze zu unter stützen. Das Pommer'sche Husaren - Regiment wartete nämlich , in Linie formirt ,
südwärts ab , bis etwa der Feind den Ort verliesze,
und es dauerte nicht lange, so zeigten sich Truppen in der Bewegung nach Langen - Lipsdorf.
Es war das
noch
zurückgebliebene
Bayerische Bataillon Treuberg mit vier Geschützen der Batterie Weishaupt , welches sich seiner Division anzuschlieszen strebte . Major von Thümen liesz gegen dasselbe anreiten.
schwadronsweise vom rechten Flügel
Zwei Angriffe misslangen , indem
die Bayern Quarré um ihre Artillerie formirten und den Husaren namentlich den zuerst attackirenden Jägern und der 1. Schwadron - durch ihr Feuer starke Verluste bei brachten , bis sie endlich, trotz des entstandenen Getümmels , bei einem dritten Anlaufe, wo nur noch wenige Schüsse fielen , zum groszen Theile zusammengehauen wurden , und der Rest, bis auf 30 Entkommende , das Gewehr streckte .
Drei Geschütze
fielen dabei in die Hände der Husaren , während die Schützen der Pommer'schen Grenadiere das vierte und die Fahne erbeuteten.
Das
Husaren- Regiment erlitt einen Verlust von 4 Offizieren, 54 Mann und 91 Pferden, von denen indessen ein Theil schon durch das Kanonen feuer gefallen war. “ Dieser klaren Schilderung gemäsz scheint mir unwiderleglich bewiesen, dass der damalige Adjutant Thümen's , Lieutenant von Kalkreuth , das , wie wir hier vernehmen , auch von feind licher Infanterie hart bedrängte Quarré nicht mit einem Unter offizier und vierzehn Husaren gesprengt , und noch weniger das Bataillon rückwärts escortirt haben kann, wie man nach seiner Darstellung des Unterganges der tapferen Schaar glauben könnte. Vermuthlich wird sich die Erzählung Kalkreuth's nur auf einen Bruchtheil des bereits unterlegenen Bataillons beziehen. Es bleibt mir somit nur noch der Vorwurf zu beleuchten, warum
74
Die Bayern in der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813.
die Bayern des Nachts keinen Versuch zu ihrer Selbstbefreiung machten.
Dabei muss vor Allem die Lethargie betont werden,
welche sich aller am Kampfe betheiligten Truppen schon des Abends bemächtiget hatte .
Abermals mag mir hierbei die „ Geschichte
der Nord - Armee " zu Hülfe kommen, welche S. 84 den Zustand des Preuszischen Heeres wie nachsteht zeichnet :
„ Die Erschöpfung
war nunmehr (gegen Abends 7 Uhr nämlich) auf das Aeuszerste ge stiegen ; der Marsch am 5. September, die ruhelose Nacht zum 6. , die langen Bewegungen in Gefechts-Formation und der zähe Kampf des Tages , Alles das bei einer ganz ungewöhnlichen,
ausdörrenden
Sonnenhitze und erstickendem Staube, der das Gesicht larvenartig bedeckte und völlig unkenntlich machte, hatten die Ermattung zu einem solchen Grade gesteigert , dass die Macht des Commando wortes dem gegenüber fast aufhörte .
Es gelang nur mit gröszter
Aufopferung der Offiziere, nach und nach die Truppentheile wiederum zu sammeln und in einigermaaszen geordneter Weise zu lagern. Lebensmittel oder Stärkungen irgend einer Art, namentlich das sehr entbehrte Wasser, konnten nicht beschafft werden ; und dabei zeigte das weite Schlachtfeld im Rücken des Heeres all' den Jammer und all' die Schrecken, welche den grellen Gegensatz der Siegesfreude Wenn aber der Sieger, und des kriegerischen Stolzes bilden. " welchen wohl seine groszen Erfolge die Ermüdung hätten vergessen lassen sollen, in solcher Stimmung war, wie mag erst der Stumpf sinn der Besiegten gewesen sein, auf den doch die meisten der be schriebenen Verhältnisse gleichfalls passen ? Und endlich war noch ein schwer wiegender Grund vorhanden, der es den Bayern nicht wünschenswerth machte, in jener Nacht aus der Gefangenschaft zu kommen, die ja doch in wenig Tagen für sie enden musste. Thiers in seiner Histoire du consulat et de l'empire, tome XVI (Paris 1857), p . 433 hat ihn richtig angedeutet , wenn er meint , dass die Bayern die Elbe zu erreichen trachteten. Auch die " Geschichte der Nord-Armee ", S. 91 , zielt dahin ab, wenn sie es unentschieden lässt , ob sich die Bayerische Division schon von den Instructionen des Marschalls Ney lossagte, als sie sich am 7. September mit Tagesanbruch allein von allen übrigen Abtheilungen in Bewegung setzte und bis Torgau im Marsche blieb.
Die Bayern,
wie ihre höchsten Führer, haben damals bis zur letzten Stunde ihre Schuldigkeit im vollsten Maasze gethan und ihrem Verbündeten die Treue gehalten ;
sie können deshalb als Soldaten ruhig auf jene
politisch so eigenthümlichen Tage
zurückblicken (vgl. Völdern
dorff, IV, 7 , S. 251 bis 255 und 353 bis 355) .
Allein damit war
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
75
nicht ausgeschlossen , dass Bayern mit äuszerster Klugheit verfuhr und diplomatische Mittel anwendete, um vom Französischen Bünd nisse loszukommen (Völderndorff a. a. O., IV, 7, S. 101 und 211 ). Mögen auch die Mannschaften diese geheime Wendung der Dinge mehr gefühltals klar erkannt haben ,
die Offiziere täuschten
sich
über den nahen offenen Umschlag der Gesinnung in den höchsten Regionen
nicht.
Wie sollte da viel Neigung vorhanden gewesen
sein, mittelst Selbstbefreiung wieder in die Französischen Reihen zurückzutreten ? -
Metz , den 24. März 1876 .
A. Erhard, Major und Bataillons-Commandeur im Königlich Bayerischen 8. Infanterie-Regiment „ Pranckh".
V.
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. Eine militairhistorische Studie von
A. von Crousaz , Major zur Disposition. In Friedrich Wilhelm's III . ganzer Eigenart war die humane Staats- und Heeresreform so vorbereitet , wie der Baum im Samen korne ; - darauf deuteten selbst die Urtheile verneinender Geister, und das liesz sich aus Seinem Eigenen Meinungsausdrucke erkennen. Der bekannte Graf Mirabeau , welcher als Franzose und Frei heitsheld gegen Preuszen eingenommen war, sagte doch 1786 von dem damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm u. A.: „dass Alles an Ihm den Charakter verkünde, und er zwar ohne Gewandtheit, aber von vielsagender Physiognomie,
ohne Tünche, aber wahr sei ;
von Allem das Warum wissen wolle, und Ihn nur vernünftige An gaben befriedigen könnten.
Vielleicht reife Er zu groszen Bestim
mungen heran, und wenn sich einst eine Springfeder irgend einer groszen Revolution in Ihm entwickeln sollte, so würde man sich darüber nicht wundern dürfen."
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
76
Diese Worte enthielten nicht blos eine Charakteristik , sondern auch eine Weissagung ; dem scharfsinnigen Kritiker war das Cha rakterbild dieses Prinzen so eindrucksvoll, dass sich ihm die Prognose eines von demselben abzuleitenden Umschwunges vor sein geistiges Auge stellte . Der bei Saalfeld gebliebene Prinz Louis Ferdinand, dessen Na turell von demjenigen Friedrich Wilhelm's sehr abwich, sagte 1805 , wo ihm der Preuszische Staat schon am Rande des Abgrundes zu stehen schien : „er kenne nur einen Mann, der, wenn er sich nur selbst vertrauen wolle, den Staat retten könnte, - das sei Friedrich Wilhelm III." ; und der Oberst von Massenbach sprach späterhin in seinen schonungslosen Memoiren dennoch aus : diesem Monarchen nähern durfte,
„ So oft ich mich
habe ich die Sprache der reinen
Vernunft und des unumwölkten Urtheils zu bewundern Gelegenheit gehabt. " Was der Minister Stein über Friedrich Wilhelm's Befähigung ―――― sagte, ist bekannt genug ; — schon diese wenigen Aeuszerungen aber kennzeichnen das geistige Capital dieses Monarchen, und auf ihnen liegt ein um so gröszerer Accent, als es Anerkenntnisse sind, die, von meist contrairen Standpunkten ausgehend , nur auf dem Macht gebote der Wahrheit beruhen konnten . --Redeten diese von der zu groszem Vollbringen berufenen Fähig keit, so ist durch verschiedene Aeuszerungen, welche Friedrich Wil helm III . Selbst schon in den ersten Jahren Seines Regimes that, eine Gesinnung desselben kund geworden, welche den humanen Fort schritt des Staates in sichere Aussicht gab.
Gleich nach Seiner Thronbesteigung sagte der König in einer Verfügung an den Minister von Schrötter u. A.: „ Bei mir gilt Gleich heit vor dem Gesetze , und der geringste Unterthan hat den Werth der Menschheit ." Das war bereits die Grundmaxime in Betreff des humanen Staates , - und wenn dann der König in einer am 1. Januar 1798 erlassenen Cabinetsordre die
Ueberhebung jüngerer Offiziere
gegen den Bürgerstand rügte, und Seine Willensmeinung dahin aus sprach, „ dass das Ansehen des Militairs nicht auf Standesvorzügen, sondern auf dem Kriegsverdienste, zu Gunsten der Mitbürger, be ruhen solle , " so ging daraus hervor, dass überhaupt das Idol eines blos adeligen Offiziercorps als solches in Seiner Begriffs weise nicht mehr vorhanden war,
und Er vielmehr den militairischen
Schwerpunkt an die richtige Stelle wies und die Harmonisirung des Heeres mit der Nation wollte. Dass diese bei einer Fortdauer des Ausländerwesens und absoluten Adelsprincipes nicht zu ermöglichen sei , lag so nahe, dass es auch von einem weniger hellblickenden
König Friedrich Wilhelm III, als Heeresbildner.
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Monarchen sogleich erkannt worden wäre ; man kann also mit Be stimmtheit annehmen , dass Friedrich Wilhelm schon vor Eintritt des neuen Jahrhunderts die Idee einer humanen Heeresreform in Sich trug. Die Ausführung dieser letzteren konnte, bei der Fähigkeit und Gesinnung Friedrich Wilhelm's, nur noch eine Zeitfrage sein ; es ist aber bekannt genug, dass solche Neugestaltungen, wenn sie lebens fähig sein sollen ,
nicht durch den Monarchen allein, sondern nur
durch den Einklang aller zuständigen Factoren und zur richtigen Stunde ins Werk zu setzen sind.
Das in Friedrich Wilhelm aufgehende neue Programm musste das Heersystem Friedrich's des Groszen ausstreichen, und der junge König war in der Ehrfurcht gegen dieses aufgewachsen. Dasselbe hatte die Weltautorität Friedrich's , den ungeheueren Erfolg , das grosze Bewusstsein des Preuszischen Heeres und Volkes für sich, und Friedrich Wilhelm konnte dem nur, einerseits Seine persönlichen Neigungen und Ansichten, andererseits einen noch unvollendeten neuen Zeitgeist entgegenstellen .
Sich Selbst bemasz der König mit
allzugroszer Bescheidenheit ; wenn Er aber auch ein genügendes Selbstgefühl besessen hätte, so würde es Ihm, der beim Wechsel des Jahrhunderts immer noch ein junger Mann und ohne Erfahrung war, trotz aller Befähigung dennoch schwer geworden sein, gegen das System eines so groszen Vorfahren selbstwillig aufzutreten . Selbst Friedrich würde das in Seinem Falle kaum gethan haben ; noch weniger aber hätte Ihm, in einer Periode des Durchganges und der Dämmerung, Seine Weisheit ein schnelles Loslassen der alten Ord nung gestattet. Er würde vielmehr, sofern ein solcher Uebergang bei Ihm überhaupt möglich gewesen wäre, die neuen Ideen in Betreff des Heerwesens und der Kriegskunst, ebenso wie Friedrich Wilhelm, nur allmälig, je nach ihrer Abklärung und dem wachsenden Ver ständnisse dafür, in Thatsachen verwandelt haben.
Auch regte sich
dieser freie Geist , welcher das neue Jahrhundert bestimmen sollte, im Vaterlande nur erst sparsam ; in Frankreich aber, wo er mächtig hervorbrach, geschah dies mit so viel Sturm und Sünde, dass er dort in einen Dämon der Barbarei verkehrt war, welcher die freien Geistes regungen Wohlmeinender zurückschrecken musste. Wenn Friedrich Wilhelm so, einerseits vermöge der Pietät und Bescheidenheit, mit welcher Er die Ueberlieferungen Friedrich's be masz , andererseits vermöge des die neue Begriffsweise noch ein hüllenden Halbdunkels , und gegenüber der Gefahr Europa's , der tyrannischen Liberalität Frankreichs etc., in Sich Selbst Erwägungen
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König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
fand, welche die Heeres- und Staatsreform aufhielten , -
so ist Ihm,
nach diesen Richtungen hin, auch ein geistiger Widerstand derjenigen Staatsdiener begegnet, welche die Intelligenz des Heer- und Staats wesens vertraten, und durch die eine Reform beider nur zu be wirken war. Auf militairischem Gebiete stand die alte Schule noch felsen fest ; was sich gegen sie erheben wollte, wurde ebenso von der In telligenz wie vom Patriotismus verurtheilt. Das Heersystem Friedrich's galt für unabänderlich und unfehlbar ; man überschritt mit dem Cultus desselben bereits die Grenzen der Menschheit , in denen auch das Beste dem Zahne der Zeit und dem Ideenumschwunge verfällt. Bei der groszen Menge der Offiziere lag das alte System nur im Blute und in der Gewohnheit ; die Vertreter der militairischen Intelligenz waren im Hauptpunkte einig, theilten sich aber sonst in mehrere Schattirungen.
Die Strenggläubigen wollten im Heerwesen
nicht nur den Geist, sondern auch den Formalismus Friedrich's con serviren ; ihnen erschien der Zusammenhang beider unverletzlich, und die Orthodoxesten dieses Bekenntnisses glaubten, dass mit jedem verschwindenden Bruchtheile eines alten Zopfes der Armee ein Theil ihrer Kraft und Herrlichkeit verloren ginge.
Diese verschlossen sich
jedem kleinsten Fortschritte, und wenn ein Machtgebot des Kriegs herrn sie von ihrem alten Schema losgerissen hätte, so würden sie das Heer verlassen, oder sich doch als unlustige und deshalb un brauchbare Diener der neuen Ordnung gezeigt haben. Ihnen gegenüber wollte eine viel geringere Zahl geistig regsamer Offiziere nur den dem Heere inwohnenden Geist Friedrich's, aber in zeitgemäszer Formation conserviren .
Sie dachten wohl vielleicht
noch an keinen vollen und plötzlichen Bruch mit dem alten Systeme, wollten aber, durch Humanität, Kunst und Wissenschaft, dem alten Heldengeiste neue Hülfsmittel und Haltpunkte geben ; sie begriffen doch, dass er nur vermöge zeitgemäszer Formen in seiner Wirksam keit nach Auszen fortdauern konnte. Das waren die Vorläufer des neuen Heerwesens und Offizierthumes.
Sie pflanzten die Keime der
für dergleichen normalen und echt Preuszischen Begriffsweise, und sind für jetzt dem Könige, bei den zahlreichen einzelnen Besserungen des Heerwesens , die Er vor 1806 eintreten liesz , zu Hülfe ge was aber die Folgezeit betrifft, so schuf jeder ihrer kommen ; Gedanken, wie der ins Wasser fallende Stein, Kreis um Kreise, und aus ihnen und ihren Schülern gingen die nachmaligen Organisatoren und Schlachtendenker unseres Vaterlandes hervor. Jede gröszere Reform scheiterte gegenwärtig an dem Wider
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spruche der Altgläubigen , die sich in der Mehrzahl befanden, und bei denen der Einfluss und die Autorität war. Ihr Uebergewicht zu beseitigen , die Ideen des militairischen Fortschrittes voll zu ent wickeln, das Volk und Heer für sie ganz urbar zu machen, hätte es unter gewöhnlichen Umständen noch einer längeren Zeit bedurft ; die Krisis von 1806 aber zerhieb den Gordischen Knoten, beseitigte die Wächter des alten Apparates, reifte das Volk und beflügelte die Ritter des neuen Zeitgeistes . Konnte Friedrich Wilhelm III. in den ersten neun Jahren Seiner Regierung noch zu keiner Totalreform des Heerwesens gelangen, so sprach sich Sein Vorwärtsstreben zu Gunsten der Armee doch, auch schon in diesem Zeitraume, durch mancherlei organische und prin cipielle Neuentstehungen aus . Gleich nach Seiner Thronbesteigung , und dann Jahr für Jahr, traten bildende, versorgende und formirende Maaszregeln hervor. Die Regimenter wurden des Nutzens von Garnisonschulen für die Kinder ihrer Unteroffiziere und Gemeinen theilhaftig , die Brot verpflegung der Soldaten trat ein , eine kleine Gehaltszulage der Subalternoffiziere ermöglichte man durch Besteuerung der eingehen den fremden Waaren.
Die bisherigen drei Schwadronen Garde du
Corps wuchsen zu einem vollständigen Kürassier- Regimente von fünf Schwadronen, deren jede in zwei Compagnien zerfiel, an ; aus dem bisherigen Bosniaken-Regimente und dem von Friedrich Wilhelm II errichteten Tartarenpulk entstand ein Corps leichter Reiterei, unter dem Namen Towarczy's.
Die Formation der Infanterie-Regimenter
erfolgte, nach Reduction der Grenadiere, auf je zwei Compagnien per Regiment , in der Weise, dass nunmehr jedes Regiment aus drei Musketier-Bataillonen und zwei Grenadier- Compagnien bestand. Das Jahr 1801 war für das Preuszische Heerwesen von groszer
Bedeutung, denn einmal brachte es ihm in den Westphälischen und Sächsischen Landestheilen, welche der Staat zu dieser Zeit gewann, das Motiv neuer Truppenformationen ; zweitens ist in demselben der erste Anfang gemacht worden, das strenge Adelsprincip des Offizier thumes zu moderiren ; und wenn es auch nur leise war, so sprach sich doch darin schon ein neuer Gedanke aus. Endlich gelangte in diesem ersten Jahre des neuen Säculums Gerhard David Scharn horst , der nachherige Hauptfactor unserer Heeresreform nach 1807 , in den Preuszischen Militairdienst. Auf das letzte und vorletzte Factum greift die spätere Darlegung zurück ; was aber die neuen Truppenformationen betrifft, so entstand 1802 in Neu-Ostpreuszen das Dragoner- Regiment Nr. 13,
und 1803
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König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
ging für Westphalen das Dragoner- Regiment Nr. 14, nebst zwei neuen Infanterie- Regimentern und einem neuen Garnison-Artillerie Commando, hervor.
Von groszer Bedeutung waren die in diesen neun Jahren her vorgegangenen Förderungen
des Offizierbildungswesens .
Bei den
Regimentern wurden schon 1798 Junkerschulen zur wissenschaftlichen Ausbildung der Junker und Portepeefähnriche, zu Breslau und Kö nigsberg Akademische Anstalten zu Gunsten der Artillerie errichtet, und in Berlin entstand 1801 die Akademie für junge Offiziere, welche aber erst 1804 ihre feste Begründung fand . Mit diesem Institute trat Scharnhorst in eine überaus fruchtbare Beziehung. Er war in die Preuszische Artillerie getreten, that sich auf diesem Gebiete baldigst als Schriftsteller hervor, und hielt in Berlin kriegswissen schaftliche Vorlesungen, deren überzeugendes Eingreifen in die Praxis selbst Diejenigen anregte, die sonst einer wissenschaftlichen Auf fassung ihres Berufes abgeneigt waren. Demnächst wurde er in den Generalstab versetzt , und der Unterricht in der Kriegskunst, welchen er an der neuen Offizier-Akademie ertheilte, war von solcher Art , wie man es seit dem groszen Könige noch nicht wieder ge sehen hatte. Dem Berliner Cadettenhause wuchs 1800 eine fünfte Compagnie zu ; die Potsdamer Anstalt erhielt 1801 ihre bestimmte Einrichtung, und die Anstalten
zu Culm und Kalisch wurden erweitert ; der
Generalmajor von Rüchel erhielt 1798 die General-Inspection der sämmtlichen Offizier- Bildungsanstalten, und es finden sich zahlreiche Documente, welche einerseits die fruchtbare Thätigkeit, welche er sieben Jahre lang dieser Stellung widmete, andererseits das Ver trauen, dessen er vom Könige gewürdigt war, darthun.
Die Neu
gestaltung des Potsdamer Cadetteninstitutes beruhte auf einem Regle mentsentwurfe vom 2. October 1800, und nach diesem wurde durch Cabinetsordre vom 9. November 1800 festgesetzt, dass die eigentlich Berechtigten zu diesem Institute zwar nach wie vor Knaben adeliger Geburt sein, doch aber, ausnahmsweise, auch die Söhne bürgerlicher Offiziere Eingang finden sollten.
Hiernach konnte dann 1801 das
neue Potsdamer Cadettenhaus von 37 adeligen und 12 bürgerlichen Cadetten bezogen werden, und es ist eine bemerkenswerthe Er scheinung , dass dieses erste principielle Eintreten des bürgerlichen Standes in das Cadettenthum gerade mit dem Wechselpunkte des Jahrhunderts zusammenfiel, und gerade auf einem Vertreter der alten Schule beruhte.
Allerdings war diese Maasznahme in ihrer äuszeren
Dimension vorerst nur geringfügig ; aber es war an dieser Stelle
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
immer der Anfang eines neuen Systemes ; -
das
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bisher absolut
adelige Cadettencorps betrat damit die erste Stufe einer durch den neuen Zeitgeist bedingten Veränderung, und die weitere Entwickelung davon ergab sich weiterhin von selbst, - zunächst 1806, durch An wendung des gleichen Principes auf die Cadettenanstalten zu Culm, Stolpe und Kalisch. Ein bedeutender Fortschritt in der Heeres- Organisation wurde auch durch die 1803 ausgeführten Veränderungen im General- Quartiermeister stabe gemacht ; es erscheint dies aber um so belangreicher, als aus den darauf bezüglichen Verhandlungen schon eine geistige Kennzeichnung derjenigen Offiziere hervorgeht , welche damals die Intelligenz des Preuszischen Heeres vornehmlich repräsentirten, und man hier auch schon einen Blick auf ihre Stellung zum Zeitgeiste und in ihre Be ziehungen zum Könige und unter sich thun kann. Der General- Quartiermeisterstab entbehrte bis hierher noch einer zweckentsprechenden Organisation ; seine Mitglieder widmeten sich im Sommer der topographischen Aufnahme des Landes nach eigenen Principien, im Winter wurden schriftliche Arbeiten gemacht, Karten und Pläne gezeichnet, - aber das Alles geschah ohne ein gemein gültiges System. Der an der Spitze dieses Institutes stehende Generallieutenant von Geusau war durch verschiedene Aemter über bürdet, und Clausewitz sagte von ihm, 17 dass er zwar nicht ohne Regsamkeit und nach alter Art wohl unterrichtet, aber doch groszer leitender Ideen unfähig war und dem Generalstabe wenig sein und leisten konnte." Bei solcher Bewandtniss waren die General- Quartier meister-Lieutenants von Phull und von Massenbach die eigentlichen Leiter des jetzigen Generalstabes , ――― Beide von hervorragender Geistesbildung , aber über ihre Verdienste hinaus geschätzt , mehr glänzend als tief, mehr selbstsichtig als hingebend , der Theorie preisgegeben, und dem Könige nicht sympathisch. Dem Letzteren konnte Phull mit seinem planlosen Umhertreiben auf der Oberfläche des Wissens nur verschroben, und Massenbach mit seiner Ueberschwänglicheit nur lästig erscheinen ; ihre bunt auf geputzten Geister verhielten sich mit Seinem Eigenen Naturell zu widerspruchsvoll, aber Er duldete sie eben aus Rücksicht gegen das Hergebrachte und nach dieser Ihm eigenthümlichen Bescheidenheit, welche die Eigenen Ansichten ,
da wo es sich um eine Verletzung
Anderer handeln konnte, am wenigsten durchgreifen liesz. Massenbach machte sich schon durch seine Auszenseite als ein Enthusiast kennbar ;
er war geistvoll und thätig, aber ihm fehlten
Tact, Klarheit und Ruhe. Seine tibermäszige Phantasie riss ihn mit 6 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
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König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
fort , und schon hierdurch ist er verhindert worden, so stetig und consequent, so selbstständig in der Gefahr und so objectiv und um sichtig an jeder Stelle zu sein, wie dies für einen bei der Leitung des Heeres und Heerwesens betheiligten Offizier so vorzugsweise nöthig ist. Sein Patriotismus concentrirte sich in der Person Friedrich's, und in dem Maasze, als dessen System zu zerfallen begann, wandte er dem aufgehenden Sterne Bonaparte's seine Aufmerksamkeit zu . Massenbach überbot sich mit Schriften und Memoiren, er nahm jede schwebende Frage in die Hand und trat mit seiner Person an allen Stellen hervor ; ――――― kein Wunder also , dass seine Feder sich auch dem jetzt herantretenden Bedürfnisse einer Neuorganisation des Generalstabes widmete.
Seine hierauf bezügliche erste Denkschrift
reichte er im Januar 1802 dem Könige ein, und wenn diese auch seine Ideen in wenig geordneter Weise darlegte, so wurde sie doch gnädig empfangen, und dem General von Geusau, dem Herzoge von Braunschweig und Fürsten Hohenlohe, dem Feldmarschall Möllen dorff und Generalmajor von Zastrow zur Begutachtung vorgelegt. Alle erkannten die Nothwendigkeit einer festen Organisation des Generalstabes an ; den Massenbach'schen Vorschlag lobte núr Hohen lohe durchweg, und der Herzog von Braunschweig grösztentheils, die Anderen kritisirten ihn Jeder nach seiner Weise . Geusau und Möllendorf kennzeichneten dabei ihre Vorliebe für das gewohnte Alte und ihre Scheu vor jeder Neuerung, Zastrow erhob zum Theil wunderliche Bedenken und schien dem Vorschlage noch mehr ent gegen zu sein, als er es aussprach. Kaum lagen diese Urtheile vor, so erschien Massenbach im No vember 1802 mit einem zweiten Memorial über denselben Gegen stand, welches geordneter war, als das erste, und den ihm schon vorher kund gewordenen Ausstellungen gegen jenes einigermaaszen Rechnung trug.
Auf seinen Wunsch wurde der jetzige Vorschlag
auch den Urtheilen Rüchel's und Tempelhoff's unterworfen, und diese äuszerten sich darüber ausführlich, mit Anerkennung im Ganzen und mancher Anfechtung der Details. Der Generallieutenant von Geusau erhielt demnächst im März 1803 das zweite Massenbach'sche Me morial nebst sämmtlichen Gutachten, mit dem Auftrage, daraus einen Entwurf des neuen Organisationsplanes des Generalstabes, der dann dem Könige vorgelegt werden sollte, zu formiren.
Geusau machte
nun seine nicht sehr erheblichen Abänderungen , und Massenbach arbeitete hiernach einen neuen Entwurf aus, welcher im April 1803 in das Cabinet des Königs kam.
Auf ihn begründete sich die am
26. November 1803 ergangene Königliche Instruction für den General
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Quartiermeisterstab, welche die von Massenbach festgestellten Grund sätze im Wesentlichen festhielt, aber doch in anderer Formirung und unter mancherlei Zusätzen.
Diese Instruction blieb, mit verhältnissmäsziger Einschränkung, auch über den Tilsiter Frieden hinaus gültig, und wurde, durch eine anderweitige Organisation des Generalstabes , erst nach den Frei heitskriegen abgelöst ; manche ihrer Ideen pflanzten sich sogar bis zur Gegenwart fort .
Sie brachte dieser wichtigen Kategorie des
Heerwesens wenigstens ein System , und damit dieses präcise in seine Wege geleitet werden möchte, so wurde der Generalmajor von Gra wert nach Potsdam berufen, um die neue Organisation durchzuführen. Hierin lag immer ein indirectes Votum gegen Geusau, Phull und Massenbach , wenn auch Ersterem gegenüber die Königliche Ent schlieszung so motivirt war, dass sie den überalterten General- Quar tiermeister nicht verletzen konnte. Der Geist des Generalstabes konnte die Instruction nicht machen, und aus Geusau's Abgestorbenheit, Phull's Verwirrung und Massen bach's Ueberschwänglichkeit konnte er ebenso wenig hervorgehen. Für diesen Geist nahm der König den Oberstlieutenant Scharnhorst, fast zu der Zeit, wo die neue Organisation des Generalstabes hervor ging , in den letzteren, und da dieser gleichzeitig Oberst und auch in den Adelstand erhoben wurde, so liesz sich daran erkennen, welchen Werth der König auf ihn legte.
Friedrich Wilhelm III. hat
eben die auszerordentliche Eigenschaft gehabt , nicht nur für jeden Standpunkt, sondern auch für jeden tiefer liegenden geistigen Zweck den richtigen Mann zu finden ; Er durchdrang auch gleich ursprüng lich das Wesen Scharnhorst's und fand in ihm Sein Eigenes Denken und Wollen, welches durch die bedeutendste Productionskraft unter stützt war. So leitete Er ihn in eine für seinen Geist spielräumliche Bahn, und mochte es vorfühlen, dass Scharnhorst zunächst die Seele des Generalstabes sein, und dann, über diese Grenzen hinaus , den jenigen neuen Geist und Culturstand des Heeres bewirken werde, dessen allgemeines Programm der edle König bereits im Herzen trug. das
In Braunschweig, Möllendorf, Rüchel ehrte Friedrich Wilhelm Andenken Friedrich's
und
ihre
eigenen groszen Verdienste ;
Gensau wurde mit Pietät geduldet, Massenbach mit Vorsicht be nutzt ; - sie Alle waren dem Könige überliefert, und stellten sich als die Letztlinge
eines ruhmwürdigen Zeitalters , aber nicht als
Männer der Zukunft dar.
Seinen Scharnhorst hingegen ersah Sich
der König Selbst ; dieser war Ihm, auf dem Wege des Soldaten thumes, der geistige Erstling Seiner Zeit, der Träger und Vorkämpfer 6*
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Seines ,humanen Strebens . Wenn Scharnhorst in Betreff des General stabes sagte : „dass er das Organ, nicht das Orakel des Feldherrn sein, keinen Verein erhabener Sonderlinge, sondern verständiger , aus richtsamer Leute bilden, dass jeder Generalstabsoffizier in der Linie gedient haben, die Praxis aller Waffen genau kennen, Gedächtniss und Tact besitzen, und nicht erst im Generalstabe ein Mann werden wollen, sondern schon ein solcher sein müsse," ― so trifft das wohl den Nagel auf den Kopf, und man erkennt daran, dass der Mann, der so dachte, ganz dazu geeignet war, den neu hervorgegangenen Generalstab ganz im Sinne und Geiste des Königs zu beleben. Noch charakteristischer als die Organisation des Generalstabes waren für das durch den König angeregte militairische Vorwärts streben dieser Zeit die von Rüchel, Knesebeck und Courbière ge machten Vorschläge , welche theils organische, theils aber auch hu mane Besserungen des Heerwesens ins Auge nahmen, und deren volle Durchführung eine universelle Heeresreform schon so eingeleitet hätte, dass das ganze neue System in ihrer unmittelbaren Conse quenz lag. Man betrachte zunächst die Männer, von denen diese Vorschläge ausgingen. Rüchel , der Schüler Friedrich's des Groszen, konnte natürlich nur auf Seiten der alten Schule stehen, aber er repräsentirte sie sehr glanzvoll, und in ihm war so viel Geist und Strebsamkeit , dass er, an dem ganzen Systeme Friedrich's festhaltend , doch zugleich ein Förderer des einzelnen Fortschrittes
wurde.
Er hatte sich , als
Friedrich Wilhelm III. zur Regierung kam, schon als Kriegsheld und geistiger Arbeiter reich hervorgethan ; dass der König ihn auch um seiner selbst willen schätzte , ging aus Rüchel's Berufung an die Spitze der Offizierbildungsanstalten hervor.
Als späterhin das Ver
hängniss von 1806 ihm den Kranz der Vollendung genommen hatte, bezeichnete das Urtheil des Königs über ihn dennoch nicht blos seine Fehler, sondern auch seine Vorzüge. Knesebeck , zu dieser Zeit Major und Rüchel's Adjutant, eines braven Vaters bedeutender Sohn, den der sterbende Zieten 1786 zu Wustrau gesegnet hatte, der in seinen Lieutenantstagen mit Gleim befreundet war, 1812 , in Bezug auf die gegen Napoleon zu be obachtende Politik, mit dem Könige in einer Grundanschauung zu sammentraf, und nachher dessen vertrauter Generaladjutant wurde, ―――― er gehörte zu denjenigen Auserlesenen, auf welche sich die König liche Intention in Betreff des Heerwesens stützte, und war in unserer Armee einer der ursprünglichsten Factoren des neuen Zeitgeistes .
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Durch seine Begriffsweise mit dem Könige, und durch seine Stellung und Regsamkeit mit Rüchel, eng verbunden, bildete Knesebeck vor 1806 das Zwischenglied Beider, und es schien, dass er auf diesem Platze, wo ihm nach Vorwärts das Königliche Vertrauen entgegen kam , und andererseits sein Rücken durch Rüchel gedeckt wurde, es am leichtesten vermögen würde, eine Versöhnung des neuen Pro gramms mit der alten Schule zu bewirken. Courbière endlich, war zu dieser Zeit schon General der In fanterie und 70 Jahre alt ; er befand sich als Gouverneur von Grau denz auf einem entlegenen Posten, und stand mit der das Heerwesen leitenden und fördernden Intelligenz in keinem Verhältnisse äuszerer Berufung ;
dennoch trieb ihn
sein reger Geist ,
ebenso wie sein
Patriotismus, zu einem bedeutsamen Vorschlage, der nicht nur gegen wärtig Beachtung fand , sondern auch wohl die Grundidee zu jenen acht Jahre später sich so wirksam zeigenden Maasznahmen in Betreff der Krümper bildete. Die Vorsehung liesz eben auch aus der alten Schule noch einzelne Keime hervorwachsen, die den neuen Ordnungen fruchtbar wurden . Einer Immediat - Militair - Organisations - Commission, welche, für Neuorganisationen des Heeres , unter dem Vorsitze des Feldmarschalls von Möllendorf seit 1795 in Thätigkeit war, übergab der König, durch Cabinetsordre vom 25. Juli 1803,
einerseits ein Project des
Generallieutenants von Rüchel, zur Küstenvertheidigung der Ostsee, andererseits mehrere auch von Rüchel eingesandte Memoires des Majors von der Knesebeck, welche von der Errichtung einer Land miliz unter dem Namen „ Vaterlands-Reserve “ und „ Provinzial- oder Ehrenlegionen “ handelten, und deren Grundidee, nach Angabe Rüchel's von diesem selbst entsprungen, von Knesebeck aber ausgearbeitet war. Nach dieser Denkschrift sollte die Dienstzeit im Heere den Inländern von 20 auf 15 Jahre herabgesetzt, ihnen dagegen die Verpflichtung einer noch weiteren zehnjährigen Dienstzeit in der „ Land-Reserve " auferlegt werden .
Zu dieser sollten im Benöthigungsfalle auch noch
alle bedingt eximirten Cantonisten, so wie die Bewohner cantonfreier Districte herangezogen werden . Man rechnete hiermit auf eine Streit masse von 130,000 Mann, und die Mannschaften dieser Land- Reserve sollten nach und nach bei den Truppen ausexercirt und wieder ent lassen werden, dann aber, zur Exercirzeit, in angemessener Proportion bei den Regimentern üben, während dafür eben so viel Beurlaubte Die "" Vaterlands- Legionen " wies in den Cantons zurückblieben. dieses Project an die ausgedienten Soldaten und die Bürger der Städte ; beide Kategorien sollten, je nach dem Bedürfnisse, in den
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König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
Festungen oder im Felde verwandt werden ;
in ihnen sollte, dem
Kriegsfalle gegenüber, eine zweite und bereits ganz nationale Linie des Heeres beruhen .
Damit dieses Institut dem Lande sympathisch
werden, der ganze Soldatenstand in der Meinung des Volkes steigen und eine patriotische Belebung gewinnen möchte, proponirte Knese beck gleichzeitig die Abschaffung der erniedrigenden Strafen, die schulmäszige Erziehung soldatischen Geistes, gymnastische Uebungen und patriotische Vorträge.
Es galt einen geistigen und disciplinaren
Aufschwung, eine äuszere und innere Kräftigung des Heeres ;
dem
Zeitgeiste wurde mit diesem Programme schon die Hand geboten, die Grundgedanken der Landwehr und des Landsturmes, des nationa len Heeres und der Humanisirung des Heerwesens und Soldaten thumes beruhten schon darin. Das war bereits ein Anlauf zu zeitgemäszer Heeresreform .
Ein
solcher Vorschlag konnte nur unter dem Zepter eines dem humanen Fortschritte geneigten Königs gemacht und zur Prüfung übergeben werden ; aber die Zeit seiner Erfüllung war noch nicht da, und die Träger der alten Begriffsweise konnten sich in die Ideen nationaler Wehrkraft und vertrauensvoller Beziehungen zwischen gesetzten und Untergebenen durchaus nicht hineinfinden.
den
Vor
Ihren hauptsächlichsten Gegner fanden die Knesebeck'schen Vor schläge in dem Präses der Immediat-Commission, dem Feldmarschall von Möllendorf. Dieser schon 79jährige Held hatte sich eine äuszere Frische und Thatkraft erhalten, die aber nur noch dem Gleise der Gewohnheit, den Forderungen eines ruhigen und regulairen Dienstes gewachsen war.
Jene kriegerische Begabung, welche ihn im sieben
jährigen Kriege ausgezeichnet hatte, fand sich bei ihm nur noch überrestlich ; sein wohl ruhmvolles, aber nie geniales Feldherrnthum schien er überlebt zu haben, und befand sich schon jenseits dieser Linie, welche das menschliche Vorwärtsstreben und den Blick in die Zukunft abgrenzt.
Dieser Veteran lebte nur noch in seiner Ver
gangenheit, er war in das System Friedrich's eingerostet und klam merte sich an jedes Zopfband desselben ; wie jener Orientale Amru jedes geschriebene Wort, welches nicht in seinem Koran stand , für verderblich erklärte, so hatte auch Möllendorf für Alles, was über die Schablonen der Fridericianischen Zeit hinausging, nur ein Ana thema.
Durch ihn wurde die Orthodoxie der alten Schule am meisten
repräsentirt, und um ihn breitete sich ein auf das Ehemals begründeter Nimbus, durch welchen die Thatsache, dass dieser imponirenden Form ihr Geist schon entschwunden war, verhüllt wurde.
Die Majorität
des Offiziercorps war hinter ihm, der grosze Name Friedrich's, vor
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dem sich auch der König beugte, stand in seinem Banner und Schilde, — so kam es, dass Möllendorf, der der Vergangenheit an gehörte, noch dazu berufen war, die Strebungen der von ihm unver standenen Gegenwart zu bemessen. Einem solchen Kritiker konnten die Knesebeck'schen Vorschläge nur abenteuerlich erscheinen, und es lag in der Natur der Sache, dass sein Urtheil darüber auch dasjenige der berufenen Immediat Diese letztere liesz in ihrem am Commission werden musste. 15. August 1803 erstatteten Berichte nur überhaupt das Project einer zu bildenden Landmiliz , welche ja in der Geschichte des sieben jährigen Krieges bewährte Vorgänge hatte, gelten, sie verwarf aber den principiellen Inhalt des Knesebeck'schen Vorschlages, besonders die Aenderung des Strafsystems und die in Betracht genommenen geistigen und patriotischen Anregungen,
da man Beides theils für
überflüssig, theils sogar für bedenklich hielt.
Das Auseinandergehen
der von Rüchel dem Major von Knesebeck ertheilten bezüglichen Instruction und des Knesebeck'schen Vorschlages wird erörtert, der letztere für eine Abstraction von Englischen Heereseinrichtungen, die aber bei uns nicht anwendbar wären, erachtet, und das ganze Votum gipfelt in dem Satze : „ Die von dem Major von Knesebeck vorge schlagene gänzliche Umwälzung des Militairs und seiner Verhältnisse gegen den Staat ist nicht auf die durch Erfahrung bewährte Ver fassung Euer Königlichen Majestät siegreichen, allen übrigen Nationen zum Muster dienenden Armee, und ebenso wenig auf die Kräfte des Staates und den Nationalgeist der Unterthanen berechnet. " In Betreff einer Landmiliz überhaupt, wie sie in den Intentionen Rüchel's lag, befürwortete die Commission : dass eine solche, in Höhe von 50,000 Mann, aber doch so gebildet werden möchte, dass die bestehende Cantoneinrichtung und die Verfassung des Heeres dadurch nicht berührt würde etc. Dieses Gutachten billigend, befahl nun der König, bezüglich der zu
errichtenden Landmiliz ,
die Ausarbeitung eines
vollständigen
Planes ; während die Commission aber das hierzu nothwendige Ma terial sammelte, übergab ihr der König noch einen vom General von Courbière eingereichten Vorschlag , welcher dahin ging ,
durch
vermehrte Einziehung von Recruten und eben so viel Zurücklassung von Beurlaubten im Canton, einen Vorrath exercirter Mannschaft in den Cantons zu erhalten, aus welchem die Compagnien auf eine Kriegsstärke von je 160 Mann gebracht werden könnten. Im Kriegs falle sollten die beiden Feld- Bataillone eines jeden Infanterie- Regi ments je ihre fünfte Compagnie, jedes dritte Bataillon aber sollte
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König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
zwei Compagnien abgeben, um daraus ein drittes Feld-Bataillon zu formiren. Dieser letztere Vorschlag schmolz Immediat - Commission
mit
ein ,
27. September 1804 mit einem neuen Einrichtung.
und
nun ( in die Arbeiten der diese
erschien
endlich am
detaillirten Plane in Betreff der
Danach sollten 78 National - Bataillone formirt,
und in 26 Brigaden, je zu 3 Bataillonen, eingetheilt werden.
Die
Mannschaft derselben sollte aus abgedienten und noch weiter zu verpflichtenden Inländern, sowie aus der dienstfähigen Mannschaft cantonfreier Städte und den bedingt Eximirten bestehen ; die Stellen der Offiziere und Unteroffiziere aber wollte man theils durch Pen sionaire, theils durch solche Mitglieder des stehenden Heeres be setzen, welche sich der Invalidität näherten.
Der Vorschlag Cour
bières wurde im Wesentlichen zwar acceptirt, aber die Commission beantragte, dass die überschüssige Zahl der in den Cantons vor handenen Beurlaubten lediglich zur Mobilisirung der dritten Mus ketier-Bataillone verwendet werden möchte, wodurch diese dann auch Feld-Bataillone werden und in der Lage sein würden, ihre nicht mehr felddienstfähigen Leute an die National- Bataillone abzugeben. Der König genehmigte diesen Plan durch Cabinetsordre vom 17. August 1805 ; die neuen Milizen sollten jedoch nicht National-, sondern Land-Reserve-Truppen genannt werden. Im Einzelnen traten Modificationen ein, die Commission erhielt den Befehl, zur Ausführung dieses Vorhabens zu schreiten, hatte aber ihre dahin zielende Thätig keit kaum begonnen, als sie im Herbste 1805 durch die Mobilmachung des Heeres, welche auch ihre meisten Mitglieder in Anspruch nahm, darin unterbrochen wurde . Das Ober-Kriegs- Collegium sollte nun diese Arbeiten der Commission im Hauptsächlichen fortsetzen, die Katastrophe von 1806 brach aber dann so schnell und gewaltsam herein, dass sie das wirkliche Hervorgehen jener Miliz theils hinderte, theils wieder aufhob. Man hat gesehen , dass in diesen neun ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelm's III., trotz aller äuszeren und inneren Hemmnisse, doch militairisch viel gedacht und gearbeitet wurde .
Die einzelnen
Besserungen des Heerwesens, welche vor 1806 auf den Platz kamen, verdienen mehr Würdigung , als ihnen gewöhnlich zu Theil wird. Das Verhängniss von 1806 hat seinen Schatten darauf geworfen ; die Scharnhorst'sche Reorganisation, sowie die Glorie des Freiheitskrieges haben sie verdunkelt, und man übersieht meistens : dass alle Haupt factoren , alle Grundgedanken der nationalen Heeresreform schon in dieser ersten Periode bereit waren und der nachherige Fortschritt
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und Sieg , in dem Maasze ihres eigenen Wachsthumes und des ge reifteren Volkes, doch nur durch sie bewirkt wurde. Ist es zu bedauern , dass die Knesebeck'schen Vorschläge
an
dem Gegendruck der alten Schule scheiterten ? - Theoretisch gewiss , denn man bedauert rechtmäszig alle Hemmnisse des wirklichen Fort schrittes ; die praktische Erwägung stellt aber in diesem Falle heraus , dass eine zu jener Zeit angegriffene Reform dieser Art die Krisis von 1806 nicht verhindert , sondern vielleicht noch verschärft haben würde.
Da selbst die 1804 acceptirte Miliz beim Hereinbrechen des
unglücklichen Krieges kaum in ihrer
ersten Entstehung war ,
so
würde jene grosze Reform bis dahin um so weniger das Stadium einer auch nur annähernden Vollendung erreicht haben.
Jeder Ent
wickelung geht aber eine Verwickelung voraus, und gerade mit dieser konnte der Vorstosz Napoleons möglicher Weise zusammentreffen . Wenn man im Aufräumen und Umschwingen angegriffen wird , so ist das die schlimmste Position , welche es geben kann ; ―――― besser, wenn es Kampf giebt, ein veraltetes Rüstzeug, das noch zusammen hält , als ein im Umgusse begriffenes , das uns wehrlos macht.
Das
Knesebeck'sche Propos hätte , wenn es die alte Schule überwand, doch nur bei langjähriger Friedensdauer gefruchtet , und es wäre dann ,
weil
ihm
die
Impulsirung
gefehlt und der Ueberrest des
durch
das
Auszerordentliche
alten Zopfwesens immer noch im
Wege gestanden hätte , nur zu einem mäszigen Resultate gelangt. Wurden diese Vorschläge jetzt nicht effectuirt , so nahm ihnen dies nichts von ihrem Werthe und Nutzen. Möllendorf's äuszerlich durch dringendes und innerlich ganz
ohnmächtiges
" Veto ! " hat diesem
Reformprojecte nur als Folie gedient ; der Krieg von 1806 warf das Alte über Bord und blies dem Neuen in die Segel.
Das schein
bar ruhende Project ruhte dennoch nicht , sondern wuchs an Stoff und Idee mit jedem Tage ; ―― die mächtigsten Denker und That menschen traten in seinen Dienst und das von Knesebeck ange zündete Licht wurde in eine strahlende Sonne verwandelt. Was den König betrifft, so kennzeichnete sich Seine Gesinnung durch das bis hierher Geschehene schon hinreichend .
Er begünstigte
den militairischen Fortschritt an jeder Stelle und regte ihn noch mehr an , als sich äuszerlich auf den ersten Blick erkennen lässt. Scharnhorst und Knesebeck wurden von Ihm erkannt und gefördert ; der Aufschwung der Offiziererziehung , die Concession eines auch bürgerlichen Cadettenthumes, die Organisation des Generalstabes etc., das Alles hätte unter einem nicht strebsamen und scharf blickenden Könige gar nicht hervorgehen können.
Dass in Rüchel eine factisch
90
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
werthvolle Ueberlieferung des vorigen Jahrhunderts
beruhte ,
ging dem Könige
seine
nicht , und
dieses
Capital trug
ent
Zinsen.
Massenbach's unstäter Geist sprudelte immer auch gute Ideen her vor ,
welche der König seinem Heerwesen nicht
entgehen liesz ;
wie Er über die Häupter der alten Schule und über das Project einer militairischen Hauptreform vor
1806
Seiner
diesen
denn
Eigenen Er
sprach
Aeuszerung im Jahre
über 1811
dachte ,
das geht
Gegenstand
gegen den
aus
hervor,
damaligen
Oberst
von Minutoli, als dieser Gouverneur des Prinzen Carl geworden war, u. A. aus : „ Die Namen des Herzogs von Braunschweig und des Feldmarschalls von Möllendorf nebst vielen anderen hatten einen groszen Ruf im Heere und den Glanz der Vergangenheit für sich ; — aber diese Männer hatten keine Aufmerksamkeit für die Fortschritte des Kriegswesens seit der Französischen Revolution .
Ich hätte gern
bei der Armee eine Reform eintreten lassen , allein ich wagte das bei meiner Jugend und Unerfahrenheit nicht, und traute jenen beiden Veteranen , die unter Lorbeeren ergraut waren, und meines Dafür haltens das Alles viel besser als ich verstehen mussten. " Diese Bescheidenheit und dieser Autoritätsglaube in Gemeinschaft mit den früher angedeuteten Erwägungen hinderten den König , eine Reform des Heerwesens schon vor 1803 zu vollbringen ; nach 1803 war uns der Sturm der Zeit schon so nahe gerückt, dass sich, so lange diese Wetter am Horizonte standen, eine Totalreform nicht unternehmen liesz.
Der Krieg von 1806 hat Sterne ausgelöscht , Autoritäten zum Schweigen gebracht ;
der
Hereinbruch des
Unerhörten riss
auch
tüchtige Elemente mit fort ; alle Mängel des Heerwesens wurden beleuchtet, alle Widersacher des Zeitgeistes, alle Abgestorbenen und Untauglichen aus
der activen Welt geschafft.
Nie ist eine Ver
wickelung gröszer , eine mit Donnerschlägen hereingestürzte Krisis an Leiden, Erfahrungen und Früchten reicher gewesen als diese. Der Herzog von Braunschweig überlebte seinen Ruhm nicht ; Hohenlohe , Möllendorf und Rüchel wurden , als das Vaterland dar niederlag, auch durch ihre stolzen Erinnerungen kaum getröstet, und als es sich wieder erhob, ist dies durch Kräfte und Geister geschehen, welche sie nicht mehr begreifen konnten. Sie lebten noch geraume Zeit und waren doch historisch todt ; ihre ganze innere Welt wurde ihnen, nicht minder durch die Siege des neuen Systems , als durch Jena und Auerstädt genommen ; die Geschichte selbst hat vermöge des schlieszlichen Unsternes , ihre früheren Verdienste in den Schatten gestellt.
Bei Rüchel waren , wie der König Selbst sagte,
91
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
Ehrgeiz und Vorurtheil verderblich geworden ; Hohenlohe und Möllen dorf büszten dieses Ueberleben ihrer selbst , gröszte Fluch des Heldenthumes ist.
welches immer der
Massenbach
endete
in den
Irrwegen seiner Ueberspannung ; Scharnhorst aber trat jetzt in sein eigentliches Zeitalter, und um ihn schaarten sich die Denker und Ritter des neuen Zeitgeistes , durch sein System und seine Kriegs kunst wurden die in der Armee vorhandenen wundervollen Kräfte erst in ihre Wege geleitet und wirksam gemacht. Mitten in der Sturmfluth dieses unheilvollen Krieges
stand der
König mit starkem Geiste und lenkte nicht blos die strategischen Fäden , sondern widmete Sich auch gleichzeitig organischen Besse rungen des Heerwesens .
Diese waren als die ersten Thatsachen
einer dem 19. Jahrhunderte entsprechenden Totalreform an und für sich denkwürdig ; um so denkwürdiger , als sie vom Könige her rührten und in hohem Grade charakteristisch für Letzteren , da Er sie unter den drangvollsten Ereignissen und schwersten Sorgen ins Werk setzte. Schon am 23. November 1306, also etwa fünf Wochen nach den Unglücksschlachten an der Saale , erging von Osterode aus eine Königliche Instruction für die Generale bei der Armee in Ost preuszen", welche, nächst dem Operationsplane für den weiteren Kampf gegen Napoleon, auch ,
behufs wirksamerer Kriegführung,
neue Grundsätze der Taktik hervorgehen liesz .
In dem die niedere
Taktik betreffenden Theile wird die Colonne als Angriffsform em pfohlen und das zerstreute Gefecht accentuirt ; das bringt schon eine Abhülfe empfundener Mängel, brauchbaren
Lineartaktik
und der Fall der jetzt nicht mehr
ist
damit
eingeleitet.
Bezüglich
der
höheren Taktik werden Maximen aufgestellt , in welchen sich eine scharfsichtige Erkenntniss derjenigen Vortheile ausdrückt , den Franzosen bis hierher so hülfreich gewesen waren.
welche
„ Die Vor
posten sind möglichst weit vorzupoussiren , der Feind muss durch geschickte Streifpartien erkundschaftet und in seinen Communicationen gehindert werden.
Wenn man gegen ihn vorgeht , so geschehe es ,
je nach dem Terrain, in mehreren Hauptcolonnen, die Brigaden jeder Colonne neben einander . Die Avantgarde muss genau melden lassen, und sich nicht durch zu schnelles Vorgehen exponiren. Eine gute Stel lung soll durch Reserven und Flankencorps gestützt und ihre Behaup tung dem Angriffe vorgezogen werden. Beim Angriffe kann nur die reitende Artillerie nützen , die übrige Artillerie bleibt zurück und unterstützt
den Angriff aus
permanenten Stellungen.
Die Armee
formirt sich in zwei Treffen; mit verhältnissmäszigen Reserven, die
92
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
Schützen der beiden ersten sind vor der Front des ersteren ver theilt.
Man tiraillire mit dem Feinde, breche, während ihn das erste
Treffen beschieszt , mit dem in Colonnen formirten zweiten Treffen durch, und dringe schnell und kühn mit dem Bajonnet ein.
Die
Cavallerie setze man nicht zu früh dem Geschützfeuer aus und greife mit ihr keine Infanteriefronten an ; sie sei aber stets zur Hand und folge den
Infanteriedivisionen ,
welchen
sie
zugetheilt ist ,
oder
soutenire die Flügel der Armee , um jede feindliche Blösze und da mit die oft entscheidenden Augenblicke zu benutzen. liche Cavallerieangriffe formire man nur volle Carrée's.
Gegen feind Weitläufige
Dispositionen vor der Schlacht müssen unterbleiben ; man theile die Hauptidee den Führern kurz mit und zeige ihnen das Terrain , für das Weitere sind sie verantwortlich. Der schnellste Aufmarsch ist der beste.
Der Oberbefehlshaber muss stets das Ganze vor Augen
behalten und leiten , die Reserven müssen von ihm zweckmäszig dirigirt werden etc. " Demnächst
erging am 1. December von Ortelsburg
aus
ein
anderweitiger und von des Königs Eigener Hand geschriebener Er lass , welcher die zeitgemäszesten Vreränderungen des Heerwesens befahl. Das Tross- und Bagagewesen sollte vermindert , das Requisitionssystem in die Stelle des bisherigen Systems der Magazin verpflegung gesetzt , den gemeinen Soldaten endlich durch Aus zeichnung vor dem Feinde der Offiziersrang erreichbar sein .
Die
durch den ersteren Punkt erwachsende Erleichterung und Wohlthat war augenfällig ; an das Requisitionssystem, welches die Moral gegen sich hatte, aber den Franzosen gegenüber unerlässlich war, ging der König nur nothgedrungen ; das
im dritten Punkte neu auftretende
Princip zeigte sich als ebenso human wie vortheilhaft. Das waren schon Cardinalpunkte einer human-praktischen Haupt reform , und man erkennt daran das tiefe Verständniss , welches der König für Sein Heer und Seine Zeit besasz . Er hatte Sich damit vorher den Autoritäten der alten Schule untergeordnet , jetzt aber, wo diese von den Ereignissen widerlegt waren, jetzt gab Er, mitten im Unglück, das erhebendste Beispiel eines segensreichen und weit greifenden Selbstschaffens . Als der Friede von Tilsit unser Land und Volk auseinander gerissen hatte, wurde dieser Ueberrest Seines Landes , welcher dem Könige blieb, auch noch einem centnerschweren Drucke Französischer Willkür überliefert. Der Franzose blieb auch im Frieden unser Feind ; er blieb im Lande, nahm dessen Einkünfte und peinigte die Einwohner ;
alle Lebensregungen
der Regierung
und des Volkes
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
93
wurden überwacht , das Heer schrumpfte bis auf 42,000 Mann zu sammen ; -- es war ein schreckensvolles Interregnum in unserer Vater landsgeschichte . Napoleon rechnete , wie andere Menschen , auch nur auf Ge wöhnliches ; er streute einen Samen des Todes aus und glaubte, dass der Ruin Preuszens daraus emporwachsen müsste ; von einem stillen Heldenthume zwischen Ruinen , von der Impulsirung durch Unheil und der inneren Freiheit starker Geister hatte er keinen Begriff. Ein gewöhnliches Volk würde allerdings nach einem solchen Sturz todesmatt darniedergelegen oder sich in ohnmächtiger Verzweifelung nochmals aufgebäumt haben, um ganz unterzugehen ; dem Preuszischen Volke aber wuchs sein Unglück nicht über den Kopf.
Es behielt "War
seine Einsichten, seine Selbstherrschaft und sein Bewusstsein.
das Haus niedergebrannt , so musste es wieder aufgebaut werden ; " war der alte Geist aufs Haupt geschlagen, desto mehr Antrieb für den neuen , sich hervorzuthun. " " Kein Unheil , aus dem sich nicht Lehre und Vortheil ziehen lässt ;
Geist ist mehr als Besitz , und
wenn der Künstler blieb, so wird er neue Werke schaffen, wenn die alten zerstört sind . "
" Nichts ist verloren, so lange nicht Mannessinn
und Selbstgefühl wanken ;" „ das Herz des Muthigen überwindet die Welt und seine Thatkraft ist unerschöpflich. " Das
war das
Programm
Preuszischer
Nation ,
auf welches
Napoleon nicht rechnete, das er nicht erkannte. Aber diese tüchtige Nation würde ohne den richtigen Herrn und Meister an ihrer Spitze doch
nicht zum Ziele
gekommen
sein.
Dieser brauchte die ruhige Hand, den moralischen Muth, den tiefen, betriebsamen, erfindenden Geist ; er musste ein Soldat , aber gerade ein solcher Soldat sein , wie Friedrich Wilhelm III. war. Keiner von
den Monarchen jener
Zeit
hätte
in
solchem
Sturmwetter
seinen Staat zu reformiren , mit leeren Händen eine Armee hervor zuzaubern vermocht ; Alexander ermangelte der dazu nöthigen Praxis und Ruhe , Franz des beherrschung.
Genie's , Napoleon der Moral und Selbst
Hatten des Königs grosze Eigenschaften sich vor 1806 nur halb gezeigt, so zeigten sie sich von da ab ganz ; waren die organischen Anregungen während des Kriegssturmes bewunderungswürdig , so übertraf diese 1807 und weiterhin in Sack und Asche vollbrachte Totalreform alles bisher Dagewesene.
Sie
ist auf militairischem
Gebiete von Scharnhorst und der ihn umgebenden Gruppe ausgeführt worden, aber doch nur nach des Königs bis ins Einzelne greifender Intention.
Er wollte
und entwarf die Reform ,
Er
wählte jeden
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
94
Arbeiter und stellte ihn an seinen Platz, in Allem waltete Sein Geist und Alles war Sein Apparat.
Das gröszte Verdienst Seiner Werk
führer bestand darin , dass sie so treu in Seine Gedanken eingehen, und diese ungeheuere Reform in allem Einzelnwerke genau so aus führen konnten, wie sie von Ihm ersonnen und gemeint war. Der König hatte in allem Leide , welches Er trug , keinen Mo oder Verzagtheit ; nach dem Tilsiter Frieden
ment der Apathie
wurde Seine Reformbestrebung sogleich grosz und planmäszig. Es handelte sich vorerst darum , eine Commission einzusetzen , welche die Willensmeinung des Königs ganz erfassen , und ein zeitgemäszes neues System daraus machen möchte. Das war eine nur von Männern seltener Erleuchtung zu vollbringende Aufgabe ; die Vor bedingung des Gelingens hatte der König zu erfüllen, da Ihm die Wahl dieser Männer oblag . Dass Er sie ganz unvergleichlich wählte, bewiesen die Früchte ihrer Thätigkeit. Die in Rede stehende Commission wurde schon am 25. Juli 1807 eingesetzt.
An ihre Spitze kam der Generalmajor v. Scharnhorst ;
ihre anderen Mitglieder wurden : der Generalmajor v. Massenbach, die Oberstlieutenants Graf Lottum und v. Gneisenau und der Major v. Grolmann ;
zu diesen traten etwas später noch die Oberstlieute
nants Graf Götzen und v. Borstell , wurden aber mit Anfang 1808 durch den Major von Boyen abgelöst. Männer waren :
Die hervorragendsten dieser Scharnhorst, Gneisenau, Grolmann und Boyen, -
vier durchaus verschiedene, aber sich richtig ergänzende Charaktere, die hierdurch den von dem einen Klange so günstig unterschiedenen Einklang gaben. Jeder von
Sie waren über das Ziel und die Mittel einig ;
ihnen ordnete,
bei äuszerster Kraftanstrengung,
dem
Zwecke, auf welchen es ankam, sein eigenes Ich bereitwilligst unter, und so konnten Eifersucht
und Anmaszung,
von denen die Be
rathungen solcher Commissionen sonst oftmals beeinträchtigt sind, hier ganz fern bleiben.
Es war ein in seinem Geiste wie in seiner
Tugend erhabener Bund, der bei solcher Bewandtniss das Vertrauen des Königs rechtfertigen, Seine Willensmeinung ganz durchsetzen und dem Vaterlande Auszerordentliches leisten musste. Scharnhorst war das Haupt und Centrum dieser Vereinigung, Gneisenau unter stützte ihn mit dem Feuereifer seines genialen Geistes, Grolmann und Boyen waren die verständnissvollen fleiszigen Gehülfen. damalige Stabs-Capitain v. Clausewitz stand,
Der
als Scharnhorst's Ad
jutant und vertrautester Arbeiter, der späteren Organisationsthätig keit unzweifelhaft auch sehr nahe, und was den Minister von Stein betrifft , so musste dieser , als Reorganisator des Civilstaates , sich
König Friedrich Wilhelm III . als Heeresbildner.
95
mit der Heeresreform überall, zumal auf den Gebieten des Finanz wesens und der inneren Politik, unmittelbar berühren .
Die Cabinets
ordre vom 5. October 1807 räumte ihm sogar ein äusseres Recht zur Mitwirkung für die militairische Reorganisation ein , welches in den durch die Natur der Sache gegebenen Grenzen, also so weit als es für die in jetziger Sachlage so unerlässliche Einheit der Ver waltung nothwendig war, und ohne Einmischung in das innere und technische Wesen der in Erwägung stehenden militairischen Neu bildungen, geistreich und verdienstlich ausgebraucht wurde. Der König bezeichnete Seiner Reorganisations-Commission , in Eigenhändiger Zuschrift, neunzehn zu erwägende Punkte, und diese bildeten die Basis und den Leitfaden des ganzen Reformwerkes. Die Be antwortung derselben erfolgte schnell und die weitere Ausführung, welche sie ersteren gab , diente bereits zu ihrer Ueberleitung in bestimmte Formen ; es knüpften sich aber auch noch daran besondere Gutachten und Vorschläge einzelner Commissionsmitglieder, welche theilweise durch den König angeregt waren. So erschien, bald nach dem Zusammentreten der Commission, ein von Scharnhorst verfasztes Memorial in Bezug auf die Verfassung von Provinzialtruppen , in welchem sich zum Theil die Rüchel'schen und Knesebeck'schen Vor schläge aber doch in wesentlicher Vervollkommnung reproducirten . Er wollte in allen Staatsangehörigen die Verpflichtung gegen das Vaterland zum Bewusstsein bringen, und mit ihrem patriotisch be lebten Geiste eine so verbürgte Wehrkraft, wie sie durch den äuszer lichen Zusammenhalt nie entstehen konnte, hinstellen .
Die Idee der
Landwehr war damit wiederum mehr vorgerückt , und würde sich schon jetzt verwirklicht haben ; die in anderen Verhältnissen schon politische Bewegung unseres Vaterlandes aber drängte sie für jetzt zurück , und sie ist erst fünf Jahre später , dann aber auch um so Solche Gedanken mächtiger in ihr historisches Recht getreten. wachsen nicht urplötzlich aus der Erde , sondern sie bilden sich historisch ; sie kommen klein zur Welt und werden gröszer, sie ver unglücken und verschwinden und kommen doch wieder empor ; sie regeln und festigen sich im Schatten wie im Lichte. In aller Stille wird ein System daraus, und wenn dann das Stichwort kommt und die Stunde schlägt, -- dann springt das fertige Meisterwerk in die Scene, um von aller Welt bewundert zu werden. Wenn man noch zwei die Organisation der Artillerie betreffende Schriften Scharnhorst's, eine Eingabe der Commission in Betreff der oberen Militairärzte, und wurf zur
einen
von Gneisenau herrührenden Ent
Reorganisation der Militair - Erziehungs- Institute,
diese
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
96
sämmtlich im October, -
sodann eine Eingabe über Infanterie- Depots
vom 28. November, und den Entwurf eines Verpflegungs-Etats für ein Infanterie- Regiment , vom 18. December, hinzurechnet , so giebt dies im Wesentlichen die auf das Jahr 1807 fallenden Vorarbeiten der Commission, auf welche zunächst die 1807 , dann aber auch die späteren und erst nach und nach hervorgegangenen Heeresreformen sich begründeten. Die factische Reorganisation von mit den Arbeiten der Commission vor ;
1807 schritt in Parallelität was als Entwurf einging
wurde sofort als Material der neuen Militairgesetzgebung verarbeitet ; der König befand Sich in so rastloser Thätigkeit wie Seine Com mission, und die reformirenden Verordnungen erschienen in stetiger Folge, Schlag auf Schlag. Die Publicanda vom 29. Juli und 11. August
ordneten die Verabschiedung
aller den abgetretenen
Provinzen angehörigen oder sonst bei der Neuformation des Heeres Eine Cabinetsordre vom nicht wieder anzustellenden Offiziere. 5. September veränderte , im Sinne der Einfachheit , die bisherige Uniformirung ; durch Cabinetsordre vom 10. October wurde, aus An lass der augenblicklichen Finanznoth des Staates, der Präsenzstand einer jeden Compagnie
auf 50 Dienstthuende
beschränkt.
Noch
tiefer griffen die Cabinetsordres vom 16. October und 20. November 1807 ein, von denen erstere die Formation der Cavallerie, letztere diejenige der Infanterie betraf.
Erstere Waffe belief sich jetzt auf
86 Escadrons ; der Etat eines Cavallerie-Regimentes zu 4 Escadrons besagte 601 Pferde, 100 Pferde aber durften manquiren und wurden nur im Benöthigungsfalle gestellt.
An Infanterie hatte man jetzt
nur 50 Bataillone und 20 Compagnien ; ein Infanterie-Regiment war jetzt etatsmäszig auf 2648 Combattanten festgeseszt , da aber zur Ersparung eine ansehnliche Beurlaubung stattfand, so blieb nur ein Präsenzstand von 912 Dienstthuenden. Musketiere und Füsiliere sollten hinfort nur ein Corps bilden ; die bisherigen Schützen gingen ein, und dagegen wurde durchweg das dritte Glied zum Schützen dienste bestimmt. Eine Cabinetsordre vom 17. December cassirte die ausländische Werbung ; eine solche vom 21. December, die pro 1807 letzte dieses Zusammenhanges, schrieb der Commission die Reihenfolge ihrer ferneren Arbeiten vor. Man sieht also, wie direct und eingehend der Monarch das Ganze leitete. Im Jahre 1808 wurden die Arbeiten der Commission eifrig fort gesetzt, die thatsächlichen Ausführungen jedoch waren dadurch, dass noch der gröszte Theil des Landes und seiner Mittel in den Händen
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. des Feindes lag,
sehr
aufgehalten.
97
Dennoch ist bis zur Pariser
Convention, also vom Januar bis September 1808, schon viel ge schehen, es bezog sich indessen in den ersteren Monaten zumeist auf öconomische Details. Am 3. Juni erging eine vorläufige In struction für die Uebung der Truppen ;
im Juli erschienen zuerst
Verpflegungs-Etats für die drei Waffen, und von gröszter Wichtig keit war dann eine Cabinetsordre vom 25. Juli 1808 , welche das Exerciren der beurlaubten Mannschafteu in den Cantons befahl. Sehr inhaltsvoll war der August, denn die Verordnung vom 3. setzte neue Kriegsartikel, sowie Bestimmungen wegen der Militairstrafen überhaupt und der Bestrafung der Offiziere in Kraft ; die Ordres vom
6.
brachten
einerseits
eine
Regulirung
der
Cantons
und
des Ersatzes für die Regimenter, andererseits ein Reglement über die Besetzung der Stellen der Porteépéfähnriche und die Wahl zum Offiziere, welches von der durch Cabinetsordre vom 13. eingeführten Instruction zur Prüfung der Porteépéfähnrichs- und Offizier - Aspiranten begleitet war. Durch die neuen Kriegsartikel und die damit verbundenen Straf bestimmungen fiel die alte Herrschaft des Stockes und überhaupt der Die Offiziere das Ehrgefühl kränkenden Disciplinarmaaszregeln. wurden, nach Verhältniss, nicht minder von dem alten Drucke der mit ihrer Stellung unverhältnissmäszigen Arrestationen etc. befreit, und indem man sie ganz auf den Standpunkt von Ehre und Bildung stellte, wuchs damit gleichmäszig ihr Selbstbewusstsein und Kraft vermögen.
Ihr Verhältniss zu den Mannschaften verwandelte sich
gänzlich, und wenn ihre Autorität vorher auf den eisernen Zwang gegründet war, dem nur die Körper gehorchen, so kam sie jetzt auf die Bedingungen von Ehrgefühl, Liebe und Vertrauen , denen sich auch der Geist fügt, auf die Berufsfreudigkeit, welche ein freies und frohes Herz mit in die Wagschale der Leistungen legt.
Durch die
Einrichtung der Ehrengerichte wurde es den Offiziercorps möglich gemacht, sich von unwürdigen Mitgliedern zu befreien, und die in ihre Hände gegebene Offizierwahl setzte sie in den Stand, die Auf nahme solcher zu verhüten. Das Reglement wegen Besetzung der Porteépéfähnrichsstellen und der Wahl zum Offiziere setzte fest : „ Dass einen Anspruch auf Offizierstellen fortan im Frieden nur Bildung und Kenntniss, im Kriege ausgezeichnete Tapferkeit und Ueberblick gewähren sollten ; das Adelsprincip des Offiziercorps war also, dem Gesetze gegenüber, jetzt schon beseitigt, und wenn das neue Princip den Offizierstand so hob und geistig bereicherte, dem Staate und Heere neue Hebel gab, so ist auch dem Adel, und nicht minder den Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX. 7
98
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
bürgerlichen Ständen damit gedient worden.
Der Adel wurde von
seinem peinlichen Missverhältnisse zu der Zeit erlöst, in gröszere Strebsamkeit versetzt, und, bei Conservirung seines alten Ritter thumes, dem Offizierthume doppelt nutzbar gemacht ; den bürger lichen Ständen öffnete sich nicht blos äuszerlich ein neues Feld, sondern sie mussten durch das neue Princip auch in ihrem Bewusst sein gehoben, in ihrem Patriotismus gefördert werden. Die schroffen Klüfte zwischen den beiden Ständen wurden, wie in der bürgerlichen so auch in der militairischen Sphäre, ausgeglichen, die Nationalmasse, welche sich in ihren Bestandtheilen enger zusammenschloss, musste In dieser Organisation desto gediegener und stärker werden. walteten überall man verbesserte
tief eindringende und allgemeine Gedanken ; den Waffenapparat , blos mit ihnen nicht
sondern man hob und harmonisirte das ganze Volks- und Staatsleben. Solch' eine universelle Reform, welche das Heer und Volk so zu sammenschmolz, die Interessen der Civil- und Militairverwaltung so einigte, konnte in ihrem grossen Wie und Wohin nur von dem über dem Ganzen schwebenden Geiste des Landesherrn ausgehen. Der September des Jahres 1808 brachte jene Pariser Convention, welche das Preuszische Heer auf 42,000 Mann reducirte, selbst die Proportionen der Waffen und Regimenter vorschrieb und in diese Regel, welche für die Dauer der nächsten 10 Jahre gelten sollte, auch das Verbot milizartiger Streitkräfte einschloss. Hiermit fiel das Scharnhorst'sche Project in Bezug jetzt zusammen.
auf Provinzialtruppen etc. für
Die Räumung des Landes Seitens der Franzosen
begann erst gegen Ende Octobers des Jahres 1808, eine Anzahl von Festungen blieb in ihren Händen ; etwas mehr Spielraum,
die Organisation gewann jetzt
aber sie wandelte immer noch zwischen
Spähern und auf Dornen ; nur die frische innere Freiheit und mora lische Kraft, nur das äuszerste Genie und Geschick konnte sie, so wie es geschah, fortführen. Die Cabinetsordres vom 7. und 14.
September 1808, erstere
vom Könige Eigenhändig entworfen , verfügten über die Benennung und Uniformirung der Regimenter, und ein fernerer Eigenhändiger Entwurf des Königs gab darauf die Richtschnur,
nach welcher die
Eintheilung und Etatsstärke der Armee mit den Festsetzungen der Pariser Convention in Einklang zu bringen war. Nachdem durch Cabinetsordre vom 9. September im Allgemeinen bestimmt war, dass der Staat in 6 Militair-Cantons und die Armee in eben so viele Brigaden, nach den 6 Provinzen, eingetheilt werden solle, erfolgte in letzterer Hinsicht unterm 16. November die genauere Verfügung,
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
99
und man sieht, dass hiernach das Preuszische Heer jetzt in 6 Brigaden nur 44 Bataillone und 76 Escadrons, numerisch in diesen beiden Waffen kaum 36,000 Mann, nebst einer noch unbestimmten Artillerie hatte. Die demnächst stattfindenden Truppenformationen wurden durch verschiedene Cabinetsordres festgesetzt ; was speciell die Artillerie betrifft, so sollte diese, 6000 Mann stark, in drei gleiche Brigaden zerfallen, und jede Brigade aus 12 Compagnien Fusz- und 3 Com pagnien reitender Artillerie bestehen.
Unterm 23. October erschien ein Regulativ über die Bekleidung der Offiziere und der niederen Chargen, und hieran schlossen sich noch weitere uniformelle Bestimmungen ; durch Cabinetsordre vom 9. November wurde das chirurgische Personal der Armee, in ge rechter Erwägung seiner Dienste und seiner Bildung, zu den damit verhältnissmäszigen Rangstufen erhoben, und die Ordre vom 24. De cember regelte die Verhältnisse der Gouverneure zu den Brigade generalen, den Brigadiers und den unter ihnen stehenden Truppen. Die Cabinetsordre vom 25. December gab eine Vorschrift zur Ein richtung des Kriegs - Departements, welches die fünfte Haupt-Ab theilung des Staatsrathes bilden sollte, und von zwei am 26. De cember ergangenen Cabinetsordres verfügte die eine die Zutheilung von Generalstabs-Offizieren an die 6 Brigaden der Armee und die drei Gouvernements zu Berlin, Breslau und Königsberg, die andere setzte die Stellung der Regiments-Commandeure und der Comman danten der leichten Bataillone fest. So verlief auch dieses Organisationsjahr, und man übersieht, dass in ihm viel Wichtiges geschah. Die Formation des jetzigen Heeres war im Wesentlichen zu Stande gebracht, die leitenden oberen Behörden waren zweckmäsziger organisirt, die Wirkungskreise und gegenseitigen Beziehungen der Befehlshaber festgestellt, im Ersatz wesen wichtige Schritte gethan und für die Ergänzung des Offizier corps ganz neue Bedingungen gegeben. Auch für die taktische Aus bildung der Truppen war Zeitgemäszes angebahnt, und in den neuen Kriegsartikeln hatte sich eine volle Humanisirung der militairischen Disciplin ausgesprochen. Für den weiteren Fortgang der Reform bedarf es, nachdem ihr Geist und Fundament erörtert worden, nur um so kürzerer Angaben. Der Minister Stein verliesz im November 1807 den Preuszischen Staatsdienst ; eine civile Mitwirkung bei den Arbeiten der Reorgani sations-Commission fand, von da ab,
in solcher Weise wie bisher, 7*
100
König Friedrich Wilhelm III . als Heeresbildner.
nicht mehr statt, und es bedurfte auch ihrer nicht mehr ; die Arbeiten der Commission gingen ihren vorgezeichneten Gang. Am 17. März 1809 wurde eine Artillerie - Prüfungs - Commission zur Untersuchung aller die Vervollkommnung des Artilleriewesens bezweckenden Vorschläge eingesetzt ; am 20. März kam die Bestim mung, dass zur Aufnahme in das Cadettencorps hinfort hülfsbedürftige Offiziersöhne , ohne Ansehung des Adels, gelangen sollten, und jene Königliche Intention ,
welche
mit
dergleichen schon
ersten Anfang gemacht hatte, trat jetzt in ihre Fülle .
1801
einen
Am 27. März er
schien eine den Gebrauch des dritten Gliedes zum Tirailliren präci sirende Instruction , und am 16. Juli eine Instruction zum Exerciren der Infanterie ,
welche besonders die Anwendung
der Bataillons
colonnen und der vollen Carré's vorschrieb, und sich im Wesentlichen auf die der niederen Taktik gewidmeten Grundsätze jener König lichen Instruction vom 23. November 1806 gründete.
Von groszer
Wichtigkeit war auszerdem die am 19. Juli 1809 in Kraft tretende Reform des Militair- Justizwesens, welche die bisherige Militair- Juris diction in Civilsachen aufhob und über die Handhabung der Militair gerichtsbarkeit in Criminal- und Injuriensachen bestimmte. Nicht minderer Werth ist einem vom April bis September entrollten Zu sammenhange von Bestimmungen in Betreff des Militair - Medicinal wesens beizulegen.
Die unterm 8. September ertheilte Instruction
zur Schlacht- und Fechtordnung der Brigaden knüpfte sich folgerecht an die unmittelbar vorhergegangenen Bestimmungen in Betreff des Tiraillements und des Exercirens der Infanterie , und es wurden dies nachher sämmtlich Elemente des Exercir-Reglements von 1812 . Unterm 4. November 1809 kam endlich die neue Ordnung in Betreff des Ingenieur- und Pionier- Corps zu Stande , und man formirte da nach , analog der Formation der Artillerie , drei Ingenieur-Brigaden mit zusammen 56 Offizieren , und 3 Pionier-Abtheilungen, je zu zwei Compagnien. Im Jahre 1810 wurden, nachdem schon 1809 die Akademie für junge Offiziere sammt der Ingenieur- und Artillerie-Akademie auf gehoben war, nach einer auch schon vorjährigen Ordre die Kriegs schulen zu Berlin, Königsberg und Breslau, sowie eine Allgemeine Kriegsschule zu Berlin, zur höheren Ausbildung der Offiziere aller Waffen, errichtet.
Auszerdem erschienen in diesem Jahre Exercir
Instructionen
Cavallerie
für
und Artillerie ,
sowie
eine
auf die
Uebungen der Pioniere bezügliche Instruction, und man sah daran, dass der taktische Dienstbetrieb nach neuen Grundsätzen sich all seitig immer mehr regelte.
König Friedrich Wilhelm III, als Heeresbildner.
101
Das Jahr 1811 brachte im Januar ein Militair-Kirchenreglement, im Mai die Formation von Normaltruppentheilen, im August das Invalidenhaus zu Stolpe und im November die Medicinisch-chirurgische Akademie. Für das Wichtigste, was in diesem Jahre organisatorisch geschab, müssen die Maasznahmen in Betreff der Krümper, deren erste Anregungen schon früher stattgefunden, darum gehalten werden, weil sie eine auszerhalb des knappen Truppenetats liegende Schlag fertigkeit unseres Volkes bewirkten, auf welche es in diesen gegen wärtigen Umständen ganz besonders ankam . In diesem Sinne befahl der König am 7. Februar 1811 , dass jede Infanterie- und Fusz- Artillerie - Compagnie monatlich acht, jede Escadron und reitende Artillerie - Compagnie monatlich drei Cantonisten einziehen und ausbilden solle, wofür eben so viel ältere Leute zu beurlauben wären. Dies motivirte man dadurch, dass in der jetzigen aus Inländern bestehenden Armee es für diejenigen Soldaten, welche in dem der Landescultur gedeihlichsten Alter ständen,
zum Besten
des Landes einer Erleichterung bedürfe ; dies war aber der neben sächliche Grund, und die eigentliche Absicht musste verborgen werden. Zwar wäre sie leicht zu errathen gewesen, aber der Franzose, so scharfblickend und argwöhnisch er auch war, liesz es sich nicht träumen, dass das ruinirte Preuszen sich jetzt schon mit den Vor kehrungen für seine Erhebung beschäftigen könnte . Nach obiger Festsetzung konnte jede Infanterie- Compagnie jähr lich 96 und jede Escadron jährlich 36 Mann ausbilden, — das machte also bei 44 Bataillonen, je zu 4 Compagnien, jährlich 16,896 , und bei 76 Escadrons jährlich 2736, zusammen, ohne die Artillerie, nahe an 20,000 Mann, welche ein verborgener, aber in jedem Augenblicke verfügbarer Bestandtheil der schlagfertigen Kriegsmacht Preuszens wurden. Die Cabinetsordre vom 7. Februar fixirte aber nur eine Minimalzahl der Auszubildenden, und über diese Zahl hinauszugehen, war stillschweigend gestattet.
Je mehr Leute ein Truppentheil aus
bilden und ausexercirt als „ Krümper" in die Cantons entlassen konnte, desto verdienter machte er sich. Im Juli 1811 wurden für sämmtliche Truppen, mit Ausnahme der Garde, Exercirdepots er richtet , zu denen die Compagnien und Escadrons den Stamm her gaben, und die für den angegebenen Zweck um so nachdrücklicher wirkten.
Da sie meist in den Festungen stationirt waren, so entzog man dadurch diese Procedur der Französischen Aufmerksamkeit ; ―
dennoch gehörte eine eben so grosze Kühnheit als Vorsicht dazu , dasjenige, was so klug ersonnen war, über all' diese rings umliegenden
102
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
Klippen und Dornen hinweg und bis zu groszem Fruchtertrage zu führen. Im Jahre
1812
erschienen
endlich
die längst vorbereiteten
Exercir - Reglements der drei Hauptwaffen, und auszerdem wurden Unteroffizier- und Gemeinenschulen für die Regimenter und deta chirten Bataillone eingeführt, und es ging die Errichtung einer Gens darmerie, nach Provinzial- und Kreis-Brigaden, vor sich. Das waren in dieser langen Kette einer groszartigen Organisation, die hier eben nur angedeutet werden konnte, diesseits des Freiheits krieges, die letzten Glieder. Man wird aus dem Dargelegten immer einigermaaszen erkannt haben, einmal, was Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner überhaupt wollte und vermochte, und wie Selbst thätig Er war, - zweitens in wie eminenter Weise Seine Heeres reform auf Deutscher Erde die allererste war, welche nicht blos den Kriegsapparat und Waffensieg, sondern auch den gesammten Cultur fortschritt, die Eintracht und das Gedeihen des Volkes gefördert hat. Er rüstete den Krieg durch innere, für die äuszere Erhebung Preu szens , und um des Friedens willen ; Sein schaffendes und bildendes Soldatenthum würde eine grosze historische Nummer sein, auch wenn nach 1812 Ihn keine fernere Organisationsthätigkeit mehr hervor gehoben hätte.
(Schluss folgt. )
VI.
Einige Mittheilungen
über die verschiedenen Metalle, welche zur Herstellung von Geschützrohren, im Besonderen von gezogenen, in Betracht kommen, mit vorzugsweiser Berücksichtigung der Deutschen Geschütze . *) Bearbeitet von
Gaertner, Oberst- und Bezirks - Commandeur. Die Frage, welches Metall zur Geschützfabrication als das ge eignetste anzusehen ist , erregt wohl in neuerer Zeit nicht allein in *) Als Quellen sind bei der vorliegenden Arbeit , auszer vielen älteren Werken, von neueren besonders das von Schmölzl über gezogene Geschütze, die beiden Müller'schen, die Entwickelung der Feld- Artillerie und die Entwickelung
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
103
militairischen, sondern auch in weiteren Kreisen allgemeines Interesse, und kann nicht so einfach und kurz beantwortet werden, weil eine Menge der wichtigsten Einflüsse bei derselben zu berücksichtigen sind.
Bei den glatten Geschützen hatten sich mit der Zeit durch
die Praxis und Theorie ziemlich allgemein gültige Grundsätze bei allen Mächten ausgebildet , und im groszen Ganzen sind die Er fahrungen, die man aus der Zeit der glatten Geschütze mit herüber gebracht hat, keineswegs verloren gegangen, sondern haben wesent lich bei der Construction der gezogenen Geschütze mitgesprochen. In Bezug auf letztere Geschütze gingen aber die Ansichten von Hause aus weit auseinander ; es handelte sich sofort um Vorderlader mit Spielraum
und um Hinterlader mit und ohne denselben, und
dieser Kampf ist bis heutigen Tages, trotz der Erfahrungen des letzten groszen Krieges, noch nicht völlig zum Anstrage gebracht, obgleich meist und mit Recht der Hinterlader mit gepresster Ge schossführung den Vorzug errungen hat. Doch es handelt sich bei unserer Aufgabe weniger um das System der Hinter- oder Vorderlader, sondern um das zur Geschützfabrikation geeignetste Metall ,
und
hierbei ist folgerichtig zunächst zu erörtern, welche Anforderungen stellt man an ein gutes Geschützmetall . 1 ) Härte.
Man verlangt :
Bei Vorderladern sollen die Führungs-Vorstände der
Geschosse die Züge nicht verletzen, bei Hinterladern sollen die Blei-, Kupfer- oder Schmiedeeisen-Führungsmittel leicht von den Zügen durchschnitten werden, ohne dass letztere zu bald abgenutzt werden, wodurch selbstverständlich die Trefffähigkeit der Rohre sehr beein trächtigt werden müsste. Weiche Rohre schieszen sich auch leichter aus, als harte.
In dieser Beziehung steht als Geschützmetall Guss
eisen entschieden obenan, und sagt schon Scharnhorst : „ eine gute eiserne Kanone ist unverwüstlich " , d. h. mit Ausnahme des Zünd loches, welches in dem weicheren gehämmerten Kupfer länger dauert. In der That hat sich die Trefffähigkeit gezogener gusseiserner Ge schütze bei längerem Gebrauche jeder Kanone aus anderem Metalle weit überlegen gezeigt. 2) Elasticität , d. h. ein Geschützrohr darf durch den Stosz *) der Festungs- und Belagerungs - Artillerie, Etwas aus der Geschichte des Bürger krieges in den Vereinigten Staaten Amerika's von Sander, und das Buch über Broncelegirungen von Dr. Künzel etc. etc. mehrfach benutzt worden. *) Je schneller ein Pulver zusammenbrennt, um so stoszartiger wirkt das selbe, es ist mehr oder weniger offensiv gegen das Geschützmetall. Um das Pulver weniger offensiv zu machen, hat man zuerst die Kohle desselben nur braun gebrannt, was gleichzeitig noch einen anderen Vortheil mit sich brachte ;
104
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
der Pulverladung hauptsächlich im Ladungsraume (eigentlich Ver brennungsraum) nicht bleibend erweitert werden, sondern muss immer wieder seine ursprünglichen Abmessungen annehmen.
Diesen An
forderungen entspricht bis jetzt am meisten der Gussstahl, vielleicht auch Phosphor- oder Stahlbronce, am wenigsten gewöhnliche Ge schützbronce. Auch Schmiedeeisen ist wenig elastisch, besonders bei starken Ladungen, und wird bald permanent gestreckt. 3) Hohe absolute Festigkeit oder Haltbarkeit , d . h. dass auch bei den stärksten Gebrauchsladungen und nach langem Gebrauche ein unvorhergesehenes Springen von Geschützrohren nicht vorkommen kann. Bei der Belagerung von Charleston sprangen nicht weniger als 57, beim Bombardement des Forts Fisher durch die Flotte der Nordstaaten im December 1864 6 Parrot - Geschütze (gusseiserne Kernrohre ,
welche noch durch heisz
umgelegte
schmiedeeiserne
Bänder hinten verstärkt sind), und in letzterem Falle war der hier durch entstandene Verlust an Todten und Verwundeten gröszer, als der durch das feindliche Feuer hervorgerufene.
Gusseisen zeigt
seiner Sprödigkeit wegen die wenigste Haltbarkeit , und erst spät erkannte man einige, aber ziemlich unsichere Vorboten des wahr scheinlichen Zerspringens.
Gewöhnliche Bronce hat etwa nur die
halbe absolute Festigkeit des Gussstahles . 4) Zähigkeit. Dieselbe hängt unmittelbar mit der absoluten Festigkeit zusammen . Die Zähigkeit oder Dehnbarkeit muss so grosz sein, dass, nachdem die Elasticitätsgrenze *) überschritten ist und ehe Zerreiszung eintritt , ein unvermuthetes Zerspringen nicht vorkommen kann, welches nicht vorher durch bleibende Erweiterung im Ladungsraume angedeutet worden ist. In dieser Beziehung steht nicht gehärtete Bronce gutem Stahle fast gleich .
Schmiedeeisen ist
ebenfalls sehr zähe, am wenigsten Gusseisen. 5) Homogenität .
Ein Metall ist homogen, wenn sich Stäbchen
aus allen Theilen desselben entnommen behufs Längenstreckung bei zunehmender Belastung gleichmäszig im Querschnitt verjüngen, ohne Risse an der Oberfläche zu erhalten. Wechseln z. B. harte und weiche Stellen häufig im Metalle, so entstehen eben solche Risse. dann hat man grobkörniges, prismatisches (stark gepresstes in gröszeren Pris men mit durchgehenden Oeffnungen) etc. Pulver zu starken Ladungen, be sonders für Hinterlader ohne Spielraum eingeführt, welches viel langsamer ver brennt, dagegen die Bewegung des Geschosses im Rohre beschleunigt. *) Unter Elasticitätsgrenze versteht man bekanntlich die gröszte Belastung in Kilogramm ausgedrückt, welche ein Stäbchen von einem Quadrat-Centimeter Querschnitt noch erträgt, ohne eine bleibende Verlängerung zu erleiden.
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
105
Die schwächeren Stellen dehnen sich mehr und bekommen einen ge ringeren Querschnitt ; in einem solchen zerreiszt auch das Stäbchen Bronce ist nur bei geringem Zusatze von Zinn zum zuletzt. Kupfer ganz homogen herzustellen, viel schwieriger wird dies , wenn dieser Zusatz mehr als 5 Procent beträgt, wie es bei der Geschütz bronce der Fall ist. Höhere Procente an Zinn veranlassen selbst bei ziemlich schneller Abkühlung des Gusses die sogenannte Saige rung der Bronce, d. h. die am schnellsten abkühlenden und hart werdenden Theile der Bronce sind zinnärmer, während sich nach der Mitte des Gussstückes immer mehr zinnreichere Broncen, weil länger flüssig bleibend, bilden.
So zeigt ein Bronce - Geschützrohr, zu wel
chem 10 Procent Zinn genommen worden ist, an der äuszeren Wand circa 8 Procent, in der Seele 10 Procent Zinn, und das ausgebohrte Metall circa 12 Procent. In der Spandauer Geschützgieszerei werden solche Zinnausscheidungen fast ganz vermieden, indem man unter möglichst niedriger Temperatur gieszt, worauf man z. B. in Frank 10 Procent Zinn Zusatz zur
reich weniger achtet. Weniger wie Bronce macht dieselbe zu weich.
6) Widerstand gegen die Zersetzungsproducte des Schieszpulvers und gegen die sogenannten Ausbrennungen. Namentlich die Zünd löcher gusseiserner Geschütze brennen sehr schnell aus. Man setzt auch Zündlochstollen aus hämmerbarem weichen Kupfer in Bronce und Stahl-Geschütze von Hause aus ein, die später durch gröszere dergleichen wieder ersetzt werden können. Verfahren nicht angängig.
Bei Gusseisen ist dies
Auch broncene Rohre brennen nament
lich im Ladungsraume und im Anfange der Züge leicht aus, und es entstehen Gruben, welche besonders bei Vorderladern das Reinigen erschweren.
Bei Hinterladern ist die hintere Kante des Ladungs
raumes , gegen welche der Verschluss gepresst wird, häufigen Aus brennungen ausgesetzt, weshalb dieselbe meist anderweitig z. B. durch Einschrauben eines Stahlringes verstärkt wird . Auch ist der Uebergangsconus, d. h. der Uebergang aus dem etwas weiteren La dungsraume in den gezogenen Theil, Angriffen ausgesetzt, wodurch die Trefffähigkeit leidet. 7) Leichte, billige und sichere Herstellung der Geschützrohre in den Fabriken des Staates und möglichste Unabhängigkeit von der Privat- Industrie , namentlich des Auslandes. Welche bedenkliche Zustände könnten eintreten, wenn man zum Kriege mit einem Lande gezwungen ist, von dessen Privat-Industrie man vielleicht gerade mehr oder weniger abhängig ist ! 8) Eine möglichst günstige Wiederverwerthung des Materials zu
106
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
neuen Geschützen, wenn die alten auf irgend eine Weise den An forderungen an Brauchbarkeit nicht mehr entsprechen, oder wenn eine neue bessere Construction erfunden wird . In letzterer Beziehung stellt sich der Gussstahl in Bezug auf den Anschaffungspreis am ungünstigsten, da ein unbrauchbar gewordenes Gussstahl- Geschütz wohl nur den Werth von altem Eisen besitzt. Unbrauchbar gewordene Broncen dagegen behalten einen verhältnissmäszig sehr hohen Metall werth, ja die Bronce wird durch wiederholtes Umgieszen besser und homogener, wie Spandauer Erfahrungen beweisen. 9) Reinheit der Metalle von schädlichen Beimengungen versteht sich von selbst, ebenso Sicherheit gegen atmosphärische Einflüsse bei längerer Aufbewahrung .
Eisen und Gussstahl rosten sehr leicht,
und man sucht Rohre dieser Art durch Anstriche, Brünirungen etc. vor diesen Einflüssen zu bewahren. 10) Endlich ist bei der Wahl des Metalles die Construction und der Zweck der Rohre von Wichtigkeit. Es ist durchaus nicht gleich gültig, ob ein Geschütz für verhältnissmäszig starke Ladungen her gestellt werden soll, oder ob dies, wie z. B. bei Wurfgeschützen, nicht der Fall ist.
Es ist klar, dass man für gewisse Gefechts
zwecke nur von schwächeren Ladungen Gebrauch machen kann, und in diesem Falle kann man füglich zu weniger widerstands fähigem Material, z . B. zu der billigeren Bronce greifen, von der noch dazu überall grosze Bestände vorhanden sind. Dagegen strebt man in neuerer Zeit auch bei uns, in Amerika schon etwa seit 1860, meistens nach sehr groszer Anfangsgeschwindigkeit der schweren Geschosse, und bedarf dazu sehr starker Ladungen.
Für gewisse
Zwecke giebt es eben keinen Ausweg, man muss oft zum theuersten Materiale greifen ,
sowie zu den nicht billigen künstlichen Con
structionen, und in diesem Falle ist wenigstens bis jetzt der Guss stahl durch nichts Besseres zu ersetzen gewesen. Aus all' dem bisher Gesagten ist leicht erklärlich, dass die Wahl des richtigen Metalles zur Geschützfabrication nicht zu den einfachen Fragen gehört, sondern dass man zu dieser Entscheidung reife Er fahrung aus Theorie und Praxis mitbringen muss. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt dabei der Kostenpunkt selbst in reichen Staaten, da man nie sicher ist, ob nicht neue Erfindungen die bis herigen Geschützsysteme werfen.
mehr
oder
weniger über den
Haufen
Im groszen Ganzen aber scheint man jetzt zu einem ge
wissen Abschlusse gekommen zu sein, und wo Theorie und Praxis so Hand in Hand gehen, wie bei uns, sind grosze Sprünge kaum noch zu erwarten. Allerdings hat man aber auch bei einem soliden
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
107
Fortschritte *) öfters die meist kostspielige Erfahrung gemacht, dass das Bessere Feind des Guten ist. Gusseisen oder Bronce. Die Bronce, leichter schmelzbar als Eisen, ist letzterem bei allen Völkern der Vorzeit voraufgegangen , und in den Ueberresten der Pfahlbauten in Torfmooren findet man Werkzeuge und Geräthe aus Bronce lange vor solchen , die aus Eisen erzeugt sind.
Dieselben
Erfahrungen macht man bei den Ausgrabungen im heutigen Meso potamien, bei den uralten Bauwerken der Egypter, in Griechenland, in Kleinasien, sowie bei den Etruskern und Römern . Auch bei den Inkas und in Montezuma's Reich in Amerika fanden die Spanier bei ihren Eroberungszügen ähnliche Verhältnisse. Bald nach der Erfindung des Schieszpulvers findet man in allen europäischen Staaten neben Geschützen aus Schmiedeeisen und dem harten Gusseisen solche aus der theuereren und weicheren Bronce. Man erkannte bald, dass letztere in Bezug auf Dauer und besonders wegen schnellen Ausschieszens mit den härteren gusseisernen sich nicht messen konnten, obgleich diese wieder namentlich der Gefahr des Zerspringens mehr ausgesetzt waren.
Dies war vorzugsweise
darin begründet, dass man über die vortheilhaften Legirungen der Bronce im Zweifel und das Gussverfahren höchst mangelhaft war, während man gleichzeitig im Glockengusse schon recht Anerkennens werthes leistete. Freilich wurden die Glocken nicht solchen An strengungen ausgesetzt, als die Kanonenrohre. Bronce nennt man bekanntlich die Legirungen von Kupfer und Zinn, die häufig noch wegen der Unreinheit der verwendeten Metalle nicht beabsichtigte Beimengungen von Eisen , Blei , Zink etc. ent halten, wodurch die Eigenschaften der Legirungen mehr oder weniger Man unterscheidet zinnreiche und zinnarme verändert werden. Broncen, die im Allgemeinen bis zu einem Zusatze von einem Viertel Zinn zu drei Viertel Kupfer mit dem Wachsen der Zinnmenge an *) Hierher gehört wohl ein Beispiel von künstlichen Constructionen, von denen am Schlusse kurz die Rede sein wird . Noch im letzten groszen Kriege war der metallene oder gussstählerne 15 - Centimeter unser wichtigstes Belage rungsgeschütz , und es machte sich das Bedürfniss nach einer mächtigeren Kanone geltend, wozu aber unsere Küstengeschütze zu schwer und unbeweg lich waren . Der beregte 15- Centimeter, 18,5 Caliber lang, 25-2600 Kilogramm schwer, erreichte mit 3 Kilogramm Ladung eine Anfangsgeschwindigkeit von 299 Metern, während jetzt der Ring 15-Centimeter bei 20,4 Caliber Länge und einem Gewichte von 3020 Kilogramm mit 6,2 Kilogramm Ladung allerdings prismatischen Pulvers die grosze Anfangsgeschwindigkeit von 485 Metern erzielt.
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Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
Härte zunehmen, demnächst aber wieder weicher werden. zur Geschützfabrication
Bei
der
verwendeten Bronce hat sich erfahrungs
mäszig eine Legirung von ungefähr 10 Theilen Zinn auf 90 Theile Theile Kupfer als die beste herausgestellt ; in Spandau nimmt man auf 100 Theile Kupfer 11 Theile Zinn . Man benutzte in der Artillerie auch noch eine etwas härtere Bronce , 1 Theil Zinn enthielt, z. B.
die auf 8 Theile Kupfer
zu Radbuchsen und zu Richtwellen.
Trotzdem die Vorzüge des Eisens zur Geschützfabrication unleugbar waren , erkannte man aber auch bald die Nachtheile desselben. Gusseiserne Rohre hielten oft sehr starke Ladungen ohne den ge ringsten Schaden aus, und dieselben Rohre sprangen später ganz unerwartet, ohne dass man es sich erklären konnte, bei viel ge ringeren Anstrengungen,
die man ihnen auferlegte.
Die Gewalt
proben, welchen man die eisernen Geschütze unterwarf, boten also durchaus keine Sicherheit gegen späteres Zerspringen , wodurch häufig auch bei Friedensübungen Unglücksfälle eintraten. Am besten hielten sich die in Lüttich gegossenen Eisenrohre, und ganz vor züglich waren die Schwedischen wegen des ausgezeichneten Eisen erzes. In Preuszen machte man Anfangs der 20er Jahre, haupt sächlich um sich vom Auslande unabhängig zu machen und billiger wegzukommen, erneut Versuche mit dem Gusse eiserner Geschütze ; es bewährte sich das Sayner Eisen als das beste, und da die Ver suchsrohre Gewaltproben gut ausgehalten hatten, wurden auch Dauer versuche angeordnet. Zwei 12 - Pfünder hielten in kurzer Zeit je 3000 Schüsse aus, womit man sicher ganz zufrieden sein konnte. Nur die Zündlöcher waren sehr übel mitgenommen und ganz be deutend ausgebrannt.
Dieselben beiden Rohre wurden dann etwas
später nach Berlin geschafft , wo sie die Artillerie- Prüfungs-Com mission in Gebrauch nahm. Hierbei zersprang aber das eine Rohr nach dem dritten, das andere nach dem fünften Schusse, obgleich man nur die bracht hatte.
gewöhnliche
Gebrauchsladung in Anwendung
ge
Auf die ersten günstigen Ergebnisse hin hatte man bei der Sayner Hütte gröszere Bestellungen gemacht, jetzt wurde man wieder stutzig ; auch andere Versuche lieszen das Resultat in Zweifel und da bei Vergleichsversuchen die in Schweden und zwar in Finspang gegossenen Geschütze sich als die besten erwiesen hatten, wurde im Anfang der 30er Jahre eine grosze Anzahl von Geschützen dort in Auftrag gegeben. Aber auch bei dem Gebrauche der Finspanger Rohre traten bald Unglücksfälle auf , und man sah sich genöthigt, auf Kosten der rasanten Flugbahn der Geschosse die Gebrauchs
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
ladungen vorläufig
so weit als
möglich herabzusetzen.
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Für die
Feld- und Belagerungs -Artillerie hielt man wegen der nothwendigen starken Ladungen an der Bronce fest, für die Festungsartillerie blieb man der Billigkeit wegen beim Eisen mit schwächeren Ladungen. In den 50er Jahren vervollkommnete sich der Guss eiserner Geschütze besonders in der Königlichen Geschützgieszerei zu Span dau aus Sayner Eisen so , dass man um so unbedenklicher auch wieder zu gröszeren Ladungen übergehen konnte, als schon etwa 10 Jahre vorher der Stückseelenspiegel in Gebrauch gekommen war, mit welchem man die Seele , namentlich die Zündlöcher von Innen genau untersuchte , und alle Rohre verwarf, die vom Zündloche aus gehende Risse zeigten. So wuchs das Vertrauen zum Eisen wieder, welches nunmehr in Bezug auf Haltbarkeit der Bronce nahe kam, In Frankreich sonst dieselbe aber in jeder Beziehung übertraf. waren
die zu Ruelle gegossenen eisernen Kanonen Haltbarkeit berühmt.
wegen ihrer
Mit Ende der 50er Jahre kamen bekanntlich die gezogenen Geschütze in Aufnahme, und man griff zunächst aus nahe liegenden Gründen für dieselben bei uns zum Eisen. Waren doch die ersten glatten
Hinterlader auch von Eisen gewesen.
Man setzte dabei
wenigstens nicht ganz mit Unrecht voraus, dass Bronce in Bezug auf Haltbarkeit und Unveränderlichkeit der Züge mit dem Eisen nicht concurriren könne. Die ersten gezogenen Geschütze in Schweden waren übrigens eiserne , und wäre auch Bronce für die Verschlüsse als zu weich nie anwendbar gewesen. In Frankreich dagegen wandte man sich für das Vorderlade - System zur Bronce, und bekanntlich trat Napoleon III . im Feldzuge von 1859 gegen Oesterreich mit gezogenen broncenen Feldgeschützen auf, die ersten, die im Kriege überhaupt zur Anwendung kamen. Mit den in Preuszen von der Königlichen Geschützgieszerei im Jahre 1858 angefertigten gezogenen Hinterladern war man um so mehr zufrieden, als man den Eisenguss nunmehr ziemlich beherrschte, und bei den Versuchen mit den relativ geringen Ladungen keiner lei Unglücksfälle vorkamen . Der erste 15- Centimeter war allerdings bei den Schweidnitzer Breschversuchen im Jahre 1857 bei Anwen
dung der
schweren
Vollgeschosse
gesprungen.
So lange man
beim Kolbenverschlusse blieb, konnte man trotzdem jetzt unbedenk lich dem Eisen vertrauen , der erste für den Keilverschluss aptirte 15-Centimeter zerriss aber im Keilloche. Seit Einführung des Keilverschlusses kam, auch weil die Zünd löcher in den gusseisernen Geschützen sich wenig bewährten , dies
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Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle , etc.
Metall mehr und
mehr in Misscredit ,
trotzdem
man sonst kein
besseres für Haltbarkeit der Züge kannte , und 1864 wurde die fernere Fertigung eiserner gezogener Rohre bei uns untersagt , da man auch kupferne Zündlochstollen für eiserne Geschütze als unzu lässig erklären musste. Dennoch kam das Eisen noch einmal in Preuszen in Anwendung , als die kurze 15- Centimeter-Kanone ein geführt wurde , die sich wegen der schwächeren Ladung in dieser Construction wiederum bis auf das Zündloch vorzüglich bewährte. Man beschränkte hauptsächlich aus letzterem Grunde die Gebrauchs dauer für ein solches Geschütz auf 800 Schuss , obgleich sie viel mehr ohne zu zerspringen aushielten, und trotz der geringen Schuss zahl blieb das Geschütz billig.
Als aber auch ein kurzer 15- Centi
meter während des letzten groszen Krieges gegen Frankreich im Keilloche zersprang , wurde die fernere Fertigung dieser Rohre in Eisen ebenfalls verboten.
Aus alle dem bisher Mitgetheilten erklärt es sich, dass man mehr und mehr der Bronce den Vorzug gab , obgleich das Eisen seine unabweisbaren Vorzüge gezeigt und auch in dem Gusse des selben sich erhebliche Fortschritte geltend gemacht hatten. Der Bronce warf man mit Recht vor , dass bei ihrem im Allgemeinen mangelhaften Gusse die Rohre nur von sehr kurzer Dauer waren. Schon bei glatten Rohren hatten sich schnell Kugellager gebildet, die mitunter so weit vorgeschritten waren ,
dass mangelhafte Ge
schosse durch die heftigen Anschläge im Rohre in Stücke zerschellt wurden. Bei gezogenen Rohren erweiterten sich, wie bei glatten, die Ladungsräume erheblich , wodurch die Trefffähigkeit sich nicht unwesentlich verringerte . Da aber die broncenen Rohre äuszerst zähe waren, so dass sie nach längerem Gebrauche sogar Risse bekamen ohne plötzlich zu zerspringen, so hatte man früher bei den glatten Rohren, besonders dem langen 24- Pfünder ( 15-Centimeter), selbst ein Nachbohren der Seele bis auf ein gewisses Maasz gestatten können, damit die Kugel mehr zurück auf Metall zu liegen kam , bis wohin das Kugellager noch nicht reichte. Die Bronce hatte vordem schon bei allen Ge schützen, die eine starke Gebrauchsladung nicht entbehren konnten, die Oberhand bekommen, nunmehr überwog sie auch bei allen ge zogenen Kanonen mit Keilverschluss der Festungs- und Belagerungs Artillerie das Gusseisen, während der Gussstahl in der Feldartillerie und einem Theil der Belagerungs - 15 - Centimeter Bronce verdrängte .
Gusseisen
und
Zum Schlusse des Capitels seien noch die glatten Geschütze
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
111
schweren Calibers, nach dem Systeme Rodman aus Eisen gefertigt, kurz berührt. Um dem Eisen eine gröszere Widerstandskraft bei starken Ladungen zu verleihen, ihm also die Vortheile der Bronce zu verschaffen , versuchte Rodman beim Gusse der Rohre die Ab kühlung so zu verwerthen, dass man zu ähnlichen Vortheilen gelangt, wie bei den später im letzten Capitel zu erläuternden künstlichen Constructionen, bei welchen durch mehrere übereinander geschobene Cylinder von verschiedener nach Auszen zunehmender Spannung ein gewisser Druck der äuszeren Rohrtheile auf die inneren ausgeübt wird. Dadurch soll nämlich dem Stosze des Pulvers im Innern des Rohres ein gröszeres Gegengewicht entgegengestellt werden, als es einfach gegossene Rohre zu leisten im Stande sind . Rodman goss die Rohre über einen hohlen Kern , durch welchen anfänglich ein Strom kalten Wassers geleitet ,
später vermittelst eines starken Gebläses
Luft hindurch getrieben wird .
Während also die inneren Theile des
Rohres möglichst schnell abgekühlt werden , soll die Abnahme der Hitze an den äuszeren Rohrtheilen dagegen ebenso durch Kohlen Das Princip ist wohl ein richtiges zu
feuer verlangsamt werden.
nennen , doch sollen die nach dieser Methode erzeugten Geschütze Sie den auf sie gesetzten Erwartungen nicht entsprochen haben. wurden vielfach im Amerikanischen Secessionskriege bei den Nord Gezogene Geschütze auf diese Art gefertigt staaten verwendet. scheinen jedoch nicht im Gebrauche gewesen zu sein. Schmiedeeisen.
Aus dem bisher Entwickelten geht schon zur Genüge hervor, dass es eine der schwierigsten Aufgaben der Artillerie ist , dauer hafte Geschützrohre zu fertigen, die nach längerem Gebrauche nicht unbrauchbarer werden , nicht ohne deutlich erkennbare Vorzeichen springen und nicht zu kostspielig sind. Die ersten Kanonenrohre überhaupt wurden aus Schmiedeeisen gemacht.
Sie bestanden aus Stäben, die mittelst umgelegter Reifen
zusammengehalten wurden.
Sie
waren ziemlich schwierig anzu
fertigen, zersprangen trotz der Zähigkeit des Materiales sehr oft, und gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts hörte man auf, sich solcher mangelhafter Geschütze zu bedienen. Seit der Zeit kam besonders der Gebrauch von gusseisernen und broncenen Rohren in Aufnahme. In späteren Jahren versuchte man aber noch oft , im Ganzen ge schmiedete Rohre einzuführen ; die Verfahrungsarten zur Anfertigung derselben waren den früheren Bearbeitungen bei Weitem überlegen, dennoch aber blieben diese Versuche noch lange Zeit ohne jeden
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
112
nachhaltigen Erfolg.
Trotz alledem kommt man sogar neuerdings
noch manchmal auf schmiedeeiserne Geschütze zurück , wohl aus dem Grunde ,
weil es der Technik gelungen ist ,
durch schwere
Dampfhämmer oder Walzwerke grosze Eisenmassen gehörig durch zuarbeiten. Ein Mehreres sehe man darüber im letzten Capitel, welches von künstlichen Constructionen handelt. Gut geschmiedete Rohre hielten zwar die Proben meist recht gut aus , sie wurden aber namentlich deshalb unverhältnissmäszig theuer , weil sie trotz der schwierigen Herstellungsweise nur sehr wenig ausdauernd waren. Schmiedeeisen ist weicher als die Ge schützbronce, es hat also die Fehler der Bronce in erhöhtem Maasze. Die Wahrscheinlichkeit des Treffens nimmt sehr rasch ab, da sich bei glatten Rohren sehr bald grosze Kugellager bilden, wodurch heftige Anschläge der Geschosse im Rohre entstehen, welche die Seele de formiren.
Auch erweitert sich die letztere auffallend rasch, und mit Recht verwarf man Geschütze als unbrauchbar, wenn sich der Spiel raum verdoppelt hatte. Von einer gewissen Treffwahrscheinlichkeit war bald kaum noch die Rede. Für gezogene Geschütze ist Schmiedeeisen um so weniger ge eignet, als die Züge wegen der Weichheit des Materiales nicht dauer haft genug sind ;
sonst ist es ziemlich zähe , aber von zu geringer
Elasticität. Einige wenige historische Notizen verdienen wohl hier eine Stelle. Nach Guhlen's Büchsenmacherei von 1618 sind aus Stäben ge schmiedete Geschütze sehr gebräuchlich, werden aber vom Roste viel angegriffen und bekommen häufig Risse.
Sie lassen sich aber leicht
Nach Angabe von P. Sarti bestanden 1621 schmiede repariren. eiserne Rohre mit hinten besonders zu befestigender Kammer aus Gusseisen oder Bronce, welche eine Kugel von 100 Pfund schossen ; also gab es damals schon Hinterlader.
Ein Preuszisches Manuscript
das Vorurtheil gegen geschmiedete Geschütze sei In Nürnberg wird ein schmiedeeisernes Geschütz ge
von 1741 sagt , unbegründet.
zeigt, welches aus dem vorigen Jahrhunderte stammt und nur 114 Kilo gramm wiegt. 1779 tritt Feutry mit gezogenen Kanonen aus dem selben Materiale auf, welche von hinten zu laden waren , und eine Etwas frühere Versuche gedrängt eingehende Bleikugel schossen . in Preuszen mit geschmiedeten 3-Pfündern haben sich nicht bewährt. Ferner hatte man in Frankreich in St. Etienne 1813 glatte schmiede eiserne 8-Pfünder angefertigt, welche aber demnächst, wohl als nicht dauerhaft genug, verworfen wurden. Im Jahre 1826 legte ein Major Reiche den vollständigen Ent
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle , etc.
113
wurf zu einem von hinten zu ladenden schmiedeeisernen 3-pfündigen Kanonenrohre vor, welches er für geeignet hielt , sämmtliche Feld geschütze mit Vortheil zu ersetzen. Dasselbe hatte 16 ziemlich breite, aber flache Züge und als Verschluss eine Schwanzschraube mit Höhlung zur Aufnahme der Ladung. Das Geschoss war eine mit Blei umgebene 3-pfündige eiserne Kugel , die 2,85 Kilogramm wog und ein betalgtes Pflaster erhalten sollte. Die Laffete hatte ein zur Seite drehbares Obergestell . Dasselbe wurde zu einem Versuche von der Artillerie-Prüfungs Commission in Berlin empfohlen und derselbe Höchsten Orts ge nehmigt.
Da aber der Major das Rohr zunächst nicht lieferte, weil
es noch verbessert werden sollte, blieb die Angelegenheit bis 1829 liegen.
In diesem Jahre fand man das Project zu complicirt und
gab den Versuch auf.
Später, als man überhaupt mit den gezogenen
Geschützen sich eingehender beschäftigte , kam man auf das Modell zurück, dasselbe war aber nicht verkäuflich ; der Major Reiche war mittlerweile verstorben. Schmiedeeisen findet übrigens vielfach Anwendung, um durch dasselbe gusseiserne Geschütze gegen das Zerspringen zu schützen, Verfahrungsarten, die eigentlich in das Capitel der künstlichen Con structionen gehören , jedoch meist auf anderen Principien beruhen, als man jetzt verfolgt.
Der Franzose Thierry
will Anfangs der
30er Jahre die Seele aus Gusseisen herstellen (soll wohl heiszen ein Kernrohr aus diesem Metalle fertigen) Schmiedeeisen umgeben.
und mit einer Hülle von
Dergleichen Rohre
hielten in Metz bei
Versuchen mit dem ballistischen Pendel die allerstärksten Ladungen aus , während einfach gusseiserne sprangen.
bei den
ersten Schüssen
zer
Da bei gusseisernen Rohren aber der Boden häufig hinten
abspringt , schlägt Thierry vor , dieselben mit einem Längsbeschlage zu versehen , der von der Bodenfriese ausgehend an den Schild zapfen seinen Halt
finden sollte.
Hiergegen sprechen im Allge
meinen die Erfahrungen Blakely's , eines Engländers , welcher von einer solchen Verwendung Abstand nahm , weil das Schmiedeeisen zwar sehr zähe , jedoch die tibele Eigenschaft hat , seine Elasticität zu verlieren und permanent gestreckt zu bleiben. Es
sei
hier
noch des Versuches
erwähnt ,
schmiedeeiserne
Stangen und Reifen in die Gussform zu stellen und dieselben mit Gusseisen zu umgieszen.
Damit letzteres sich fest an die Stangen
anlehnte , musste das schmiedeeiserne Gerippe vor dem Gusse an gehitzt werden. Bei der Untersuchung ergab sich , dass die Ober Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX. 8
114
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle , etc.
fläche der schmiedeeisernen Stangen dabei in Stahl verwandelt war, während sie im Innern sich nicht verändert hatten. Ein solches im Jahre 1833 zu Fourchambault gefertigtes Rohr ist keinem Dauer oder Gewaltversuche unterworfen worden , es lässt sich aber wohl annehmen, dass die Verbindung zwischen beiden Eisensorten nicht innig genug hergestellt worden war ;
vielleicht würde die Gefahr
bei einem Zerspringen des Rohres nicht so grosz sein, als bei einem rein gusseisernen . Die , so weit uns bekannt , einzigen wirklich und in groszer Zahl zur ernsten Verwendung gekommenen schmiedeeisernen ge zogenen Geschütze
waren
die
während des Secessionskrieges in
Nordamerika nach dem sogenannten Vereinigte- Staaten- System ge fertigten Feldgeschütze ,
sowie
die
Hinterlader nach Armstrong's
System , welche letztere wohl ausschlieszlich von den Secessions Staaten gebraucht wurden.
Da die Armstrong - Kanonen aber mehr
zu den künstlichen Constructionen gehören, so werden sie im letzten • Capitel mit abgehandelt werden . Bei den Vereinigte - Staaten - Ge schützen werden um eine eiserne Kernstange schmiedeeiserne Platten, wie man solche zu Dampfkesseln verwendet , gelegt , bis sie einen Cylinder von der verlangten Stärke bilden. Demnächst wird der selbe bis zur Schweiszbarkeit erhitzt und zwischen schweren Walzen hindurch gepresst, so dass ein möglichst homogener schmiedeeiserner Körper entsteht.
Zuletzt werden die Schildzapfen angestaucht oder
angeschweiszt und endlich das Ganze auf die gewünschten Maasze abgedreht und ausgebohrt.
Das Rohr hatte sieben flache Züge von
11 Fusz Drall und man schoss eine neunpfündige Granate aus dem selben. Es lässt sich mit Bestimmtheit voraussetzen, dass die Treff sicherheit dieser Geschütze bei der Weichheit und Dehnbarkeit des Schmiedeeisens bald erheblich abnahm. Im Uebrigen hat der gewaltige Kampf, der vier Jahre lang Nord amerika in seinen Grundfesten erschütterte ,
in vieler Beziehung
wesentlich zur Klärung der Geschützfrage beigetragen ,
besonders
weil bei den geringen Vorräthen an diesem so wichtigen Kriegs materiale der Erfindungsgabe ein weiter Spielraum eröffnet war und Auch hatte das schnell, die Nachfrage sich auszerordentlich hob. doch auch oft übereilt Geschaffene ebenso schnell Gelegenheit , Probe und noch dazu auf dem Schlachtfelde zu bestehen .
die
Ganz
Europa verfolgte aufmerksam diesen Krieg, der auch den Seeverhält nissen einen
neuen
eigenthümlichen Stempel aufdrückte ,
ähnlich
wie die Augen der ganzen Welt 1864 auf den Kampf um die Düppel stellung gerichtet waren, wo die Preuszischen gezogenen Belagerungs
Umschau in der Militair-Literatur.
115
geschütze ihr erstes glänzendes Debut ablegten, während gleichzeitig zuerst die stählernen Feldgeschütze in ernste Wirksamkeit traten . Aus alle dem bisher über das Schmiedeeisen Gesagten geht im Allgemeinen wohl zur Genüge hervor , dass Schmiedeeisen allein und für sich als zur Geschützfabrication ungeeignet bezeichnet wer den muss , eine
nicht
während dasselbe bei den künstlichen Constructionen unbedeutende Rolle als Umhüllungsmaterial für einen
härteren Kern spielt.
(Schluss folgt )
VII . Umschau in der Militair-Literatur. Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Zweiter Jahrgang. 1875. - Herausgegeben Militairwesen. von H. v. Löbell, Oberst z. Disp . -Berlin 1876. E. S. Mittler Pr. 9 M. --und Sohn. gr. 8°. - 631 S. Es ist eine bekannte Thatsache, dass die periodische Deutsche Militair-Literatur sich im Allgemeinen in bescheideneren Grenzen bewegt, als dies bei den übrigen groszen Armeen der Fall ist. Um so erheblicher ist daher nur das Verdienst , ein Werk wie die vor liegenden Jahresberichte geschaffen zu haben, hinter welchen die ähnlichen Erzeugnisse des militairischen Auslandes weit zurück bleiben. Es ist diesen Berichten eine Vielseitigkeit und Gediegen heit verliehen worden, welchen wir volle Anerkennung zollen müssen ; es bewegen sich die einzelnen Aufsätze im Allgemeinen vollständig in den richtigen Grenzen, so dass das Werk als ein gut gegliedertes Lassen wir den forschenden, und abgerundetes Ganze dasteht. prüfenden Blick aber von dem gefälligen , einnehmenden Aeuszeren auch auf die Einzelheiten übergehen , so zeigt sich allerdings hier und da eine zu stark aufgebauschte Falte, hier eine künstlich über deckte Lücke , dort eine nicht ganz berechtigte Fülle des Stoffes . Mit einer gewissen Scheu treten wir mit dieser Ansicht hervor ; denn wir sind uns dessen sehr wohl bewusst, dass gerade in unserer Militair-Literatur eine krankhafte Empfindlichkeit der Autoren gegen jede nicht voll zustimmende Bemerkung des Kritikers herrscht, be dingtes
Lob wird schon
als Mangel an
Wohlwollen angesehen. 8*
Umschau in der Militair-Literatur.
116
Und doch leitet uns in dem
vorliegenden Falle nur der lebhafte
Wunsch , das gute Werk , dem ja gewiss noch eine glänzende Zu kunft bevorsteht, in der Folge noch besser zu sehen . Der Hauptinhalt des Werkes ist in die beiden Theile : „ Berichte über das Heerwesen der einzelnen Armeen" und „ Berichte über die einzelnen Zweige der Kriegswissenschaften " gegliedert.
Wohl nur
in Folge dieser Eintheilung figuriren das Material der Artillerie, die Festungs- und Belagerungs - Artillerie , die Küsten-Artillerie , das Schieszpulver und die Handfeuerwaffen etc. als einzelne Zweige der Kriegswissenschaften !
Auch in diesem Jahrgange ist dem Eisen
bahnwesen kein Bericht zugewendet, die periodische Militair-Literatur, welche doch auch ein beachtenswerthes Bildungsmittel sein dürfte, findet nicht die geringste Erwähnung !
Wenn wir uns ferner über
den Zweck klar sind, welche die Jahresberichte verfolgen : die Offi ziere des Deutschen Heeres bekannt zu machen mit dem augen blicklichen Zustande der einzelnen Heere und dem einzelnen Zweige der Kriegswissenschaft , so ist auch der Standpunkt gegeben, von welchem aus die Heereseinrichtungen der einzelnen Länder zu schildern sind . Nicht glücklich will es uns daher scheinen, wenn über einzelne Heere augenscheinlich von Angehörigen dieser Auf diese Weise ist mehreren der Heere berichtet worden ist. Berichte eine ganz parteiische und auch politische Färbung gegeben, welche ihren Werth für den objectiven Standpunkt des Deutschen Offiziers sehr beeinträchtigt ;
die Berichte über die Belgische und
Oesterreichische, besonders aber der über die Englische Armee leiden empfindlich an diesen Mängeln. geber
zweifelsohne
in
dem
Im Allgemeinen ist es dem Heraus zweiten
Jahrgange gelungen ,
weit
schweifige Wiederholungen zu vermeiden.
Wir geben aber in dieser
Beziehung doch besonders in Erwägung ,
ob sich Wiederholungen,
wie sie auch jetzt noch in den Berichten über das Material
der
Artillerie, über die Festungs- und Belagerungs - Artillerie und in den über die Küsten- Artillerie mehrfach vorliegen, für die Zukunft nicht auch vermeiden lassen.
Dieser kleine Uebelstand tritt diesmal ganz
besonders dadurch hervor, dass sich die Angaben der einzelnen Be richte über denselben Gegenstand nicht immer decken ;
man ver
gleiche z. B. nur das auf Seite 376 und 388 Gesagte mit dem auf Seite 409 Angegebenen . Diese wenigen Bemerkungen hätten wir über die Beanlagung des Werkes zu machen. Wenden wir uns nun den einzelnen Be richten zu , so ist uns in dem recht klaren und sachgemäszen Be richte über das Heerwesen Deutschlands sehr aufgefallen , dass man
Umschau in der Militair-Literatur.
117
mit einer ganz besonderen Ausführlichkeit (fast vier Druckseiten) den Sächsischen Casernenbauten und den darüber im Reichstage ge führten Verhandlungen näher getreten ist.
Von den Generalstabs
übungsreisen der Cavallerie finden wir nichts in diesem Berichte er wähnt. Sind, wie es Verfasser gethan, Paraden unter die gröszeren Truppenübungen zu zählen ? - Der Standpunkt, von welchem aus der Bericht über das Heerwesen Belgiens geschrieben, ist, wie schon oben erwähnt, nicht der des Deutschen Offiziers ; auch die Leiden schaftlichkeit und Parteistellung des Berichterstatters nimmt dem Aufsatze nicht wenig von seinem Werthe.
Gerne hätten wir eine Er
klärung darüber gehabt, was es heiszen soll , wenn auf Seite 79 ge sagt
ist , dass
man bei zu geringer Präsenzstärke während der 99 mit Stricken " hilft. — Dem
gröszeren Exercir - Uebungen sich
kurz und bündig gehaltenen Berichte über das Heerwesen Dänemarks folgt ein sehr langer über die Französische Armee, der unseres Er achtens viel zu viel Details enthält. richtes heiszt es unter Anderem :
In der Einleitung dieses Be „Wenn sich das Auge des Sol
daten nicht richtig auf die Eine stolze Gestalt seines Kriegsherrn zu heften vermag , so fängt es leicht an zu schielen - (!). Un erwähnt können wir hier auch nicht das auf Seite 31 in Betreff Bildung der 4. Bataillone Gesagte lassen. der Verfasser ,
"9 war diese Neugestaltung
„ Unverkennbar," sagt nicht
auf
eine ruhige
Schulung eingerichtet, und , wenn nicht dazu , wofür anders als für einen baldigen Krieg ? " beschlossen
wurde ,
ruhige Tage um
sich
herauf.
darüber
Zu der Zeit ,
als
diese Neuformation
beschworen ängstliche Gemüther einige un Seitdem ist aber Zeit genug verstrichen, klar
ganz unbegründet waren .
zu
werden ,
dass
jene
Unserer Ansicht nach hätte
Besorgnisse also
diesen Gegenstand ganz kurz hinweggegangen werden müssen.
über Es
bleibt uns dabei noch ganz besonders unverständlich, wie der jetzt vorliegende Bericht noch von „ treffenden " Berichten der „ National Zeitung" etc. sprechen kann, da die damaligen Voraussetzungen doch gar nicht zutreffend waren ! - Nachdem Griechenland mit einem sehr kurzen, aber genügenden Berichte vertreten ist , finden wir in dem über England wieder einen sehr gefärbten Standpunkt, von dem aus unter Anderem auf S. 146 gesagt ist : „ Der Englische Dragoner und Husar ist erst in neuester Zeit an das Studium der Kriegs wissenschaften herangegangen , aber in Allem , was esprit du corps und Schneidigkeit betrifft , kennt der Englische leichte Cavallerist kein von ihm nicht erreichtes Vorbild. " (! ) - Aus der langen Reihe der nächstfolgenden Berichte über das Heerwesen anderer Länder
118
Umschau in der Militair-Literatur.
wollen wir nur noch erwähnen, dass neben dem vielen Vortrefflichen, was dort gebracht ist, der Bericht über das Heerwesen der Nieder lande nicht zum Besten ausgefallen ist ;
der Bericht ist für einen
Deutschen Offizier wohl oft nicht verständlich genug.
Wir erfahren
aus diesem Berichte nicht einmal, wie viel Compagnien ein Holländisches Bataillon , was für ein Geschütz die Feld - Artillerie jenes Landes hat, wie viel Batterien das Heer in Ostindien besitzt. - Zu lang und eingehend scheinen uns noch die Oesterreichische und Russische Armee behandelt zu sein ; für erstere werden namentlich viel zu viel Details über die Avancements-Bestimmungen gebracht. - Sollen die Berichte über das Heerwesen der Staaten Südamerika's ein groszes Wir bezweifeln es. Sind da
Interesse beanspruchen dürfen ?
China und Japan nicht eher einer Betrachtung werth ?
Der Bericht
über das Ordenswesen beschäftigt sich ja auch ausschlieszlich mit letzterem Lande , während in dem Abschnitte über die Handfeuer waffen wohl über diese beiden Asiatischen Reiche gesprochen wird, aber nicht über die Südamerikanischen Staaten , deren Heerwesen zu schildern für gut befunden worden ist. In dem zweiten Theile der Jahresberichte eröffnet ein recht ge lungener Aufsatz über die Taktik der Infanterie den Reigen einer Menge höchst lehrreicher und interessanter Aufsätze.
Im Allgemeinen
können wir dem über die Taktik der Infanterie Gesagten vollständig beipflichten, nur hätten wir die Bedeutung der Infanterie in der modernen Taktik mit Rücksicht auf den Werth der anderen Waffen vielleicht nicht in so ausschlieszlicher Weise betont.
Auch den Satz ,
,,dass die vermehrte Pflege des Scheibenschieszens für die Kämpfe der Zukunft eine oft entscheidende taktische Bedeutung gewinnt", möchten wir nicht ganz unbeanstandet lassen. Wenn dann im Betreff der Französischen Armee behauptet ist, dass sie weniger wie jede andere Armee seit den Tagen der groszen Revolution ihre organisatorischen" reglementarischen und dienstlichen Einrichtungen den Bedürfnissen des Krieges anzupassen gemusst habe, so soll damit doch gewiss nur gesagt sein : seit den Tagen des groszen Napoleon . Seit jener Zeit bis zum letzten groszen Kriege war es der Französischen Armee vielleicht erlaubt, sich über ihren Werth ebenso zu täuschen, wie die Preuszische Armee von den Tagen Friedrich's des Groszen bis zur Schlacht bei Jena hierzu berechtigt zu sein glaubte .
Der Bericht
über die Taktik der Cavallerie verdient in gleichem Maasze wie sein eben erwähnter Vorgänger ganz besondere Beachtung und dürfte es dem kleinlichsten Suchen nach Ausstellungen schwer werden, irgendwie Erhebliches zu finden .
Durch den nächst folgenden Aufsatz finden
Umschau in der Militair-Literatur.
119
wir eine Lücke des vorigjährigen Jahresberichtes auf das Beste aus gefüllt ; derselbe handelt nämlich von der Taktik der Feld- Artillerie, welche nach des Verfassers Ansicht bis jetzt allerdings noch keine feste Gestalt erhalten hat. Aber in erfreulicher Weise wird in jüngster Zeit nach dieser Richtung hin geschaffen und steht zu erwarten , dass die Deutsche Artillerie sich recht bald mit Bezug auf taktische Vor schriften etc. in derselben Lage wie die anderen Waffen befinden wird. Wie wenig zur Zeit jedoch die Ansichten über die Taktik der Feld -Artillerie allgemein klar liegen, beweisen in dem vorliegenden Aufsatze die aus einzelnen hervorragenden militairischen
Werken
angeführten Stellen, welche sich mehrfach geradezu widersprechen. So heiszt es z. B. auf Seite 342 Nr. 36 : Nur in seltenen Fällen wird die Artillerie in der Lage sein, über die Infanterie hinwegfeuern zu müssen. Nr. 37 sagt aber : Die Artillerie muss sehr oft über die Infanterie hinwegfeuern . Während Nr. 35 dieser Aussprüche be hauptet, die Sicherheit der Artillerie liegt in ihrer Stellung zu den anderen Truppen, ist in Nr. 32 angeführt, Artillerie kann selbstständig Infanterie-Angriffe abschlagen, in Nr . 34, Artillerie kann unabhängig vor der Infanterie fechten, braucht dann aber Bedeckung.
In Nr. 33
ist jedoch erwähnt : Besondere Bedeckungen sind für die Artillerie im Gefechte nicht nöthig. ――― Der Bericht über die Taktik des Festungs krieges enthält gleichfalls recht treffende Bemerkungen ; der Aufsatz ist recht geschickt gruppirt , aber wohl ein wenig zu günstig für die Artillerie des Belagerers abgefasst. Manche Anfechtung wird gewiss nachstehender Satz (vergl. S. 363) finden : „ Der Geschütz kampf entscheidet jetzt, die Artilleriewaffe ist die entscheidende des Festungskrieges geworden.
Früher wurde ihre Thätigkeit hier, wie
es noch jetzt im Feldkriege ist , als die vorbereitende angesehen, welcher dann das entscheidende Eintreten
der
Infanterie
folgte ;
jetzt und in Zukunft wird der letzteren Waffe, ganz wie im letzten Feldzuge, der Regel nach nur die Cernirung , die Sicherung der Artillerie-Positionen gegen Ausfälle und die Deckung der entscheiden den Ingenieur - Arbeiten zufallen."
Hiergegen tritt vor Allem der
Feld- Artillerist auf, der im Feldkriege auch sehr oft seine Waffe als die entscheidende angesehen wissen will.
(Vergl. Hoffbauer's
Taktik der Feld- Artillerie.) Was aber den Festungskrieg anbelangt so nehme ich aus dem hier in dem Werke befindlichen Berichte über das Befestigungswesen den auf Seite 443 befindlichen Satz zur Hülfe . Es heiszt dort sehr treffend : „ Die einfache Thatsache scheint über sehen zu werden, dass die Entscheidung auch dann noch nur in dem auf dem Walle wehenden Siegeszeichen ihren Ausdruck finden
Umschau in der Militair-Literatur.
120
kann.
Seine Fahne kann
der Angreifer aber weder jetzt noch
später, selbst einer nur " normalen " Vertheidigung gegentiber , auf irgend einem anderen Wege hineintragen , als in Begleitung der Bajonnete auf einem Fuszmarsche , den uns kürzlich die feindlichen Festungen allerdings dadurch ersparten , dass sie die eigene Flagge senkten, noch ehe wir ihn unternahmen , dem aber immerhin jede Festung und jedes Fort mehr Hindernisse entgegen stellen können, als selbst die so brav vertheidigte , aber nicht sturmfreie Krimfestung es ver mochte." Alle solche aus den einzelnen Waffen verlautenden Stimmen über den zeitweiligen entscheidenden Einfluss derselben in den mo dernen Kämpfen dürften nicht volle Objectivität besitzen ; im Uebrigen sind alle Untersuchungen und Behauptungen über den Werth der einzelnen Waffen zu einander ganz überflüssig .
Jede Waffe hat in
einer bestimmten Richtung hin ihre grosze Bedeutung , erkennt sie diese richtig und ist sie bestrebt, ihre Thätigkeit in der bezeichneten Richtung mit aller Energie zu entfalten , so wird sie stets ihren hohen, vollen Werth behalten , ob es Infanterie, Cavallerie , Feld- oder Fusz Artillerie ist ! Die drei nächstfolgenden Aufsätze der Jahresberichte behandeln im Wesentlichen
alle
drei das
Material etc. der Festungs-,
Be
lagerungs- und Küsten-Artillerie . Wir haben schon Eingangs dieser Besprechung erwähnt , dass die an und für sich höchst schätzens werthen Beiträge viele Wiederholungen und auch mehrfach Angaben enthalten ,
welche
sich nicht vollständig decken.
Die 43 Seiten
dieser Berichte hätten gewiss zum Vortheile des Ganzen auf einen wesentlich geringeren Umfang zurückgeführt werden können . Der Bericht über die Handfeuerwaffen bringt uns eigentlich nicht so viel, als wir erwartet hatten, und doch hätten die dürftigen Angaben über Persien, Süd -Amerika und Asien ohne Nachtheil für die Sache fehlen können. ――― Mit groszem Interesse haben wir den Bericht über das Befestigungswesen durchgelesen ;
er giebt einerseits der Ver
theidigung fester Plätze einen höheren Werth , als dies von Seiten der Belagerungs - Artillerie meistentheils geschieht, andererseits durch weht den Aufsatz
überhaupt ein frischer Geist ,
der sich in recht
gediegenen Ansichten äuszert. Die Manen Friedrich's und Napoleon's sind für den Krieg mit dem Spaten nicht ganz glücklich ins Gefecht gebracht , auch das Beispiel des Nordamerikanischen Krieges wird die Deutsche Infanterie nicht von der Nothwendigkeit des ausgedehn ten Gebrauches von Spaten und Hacke in den Kriegen disciplinirter, gut geschulter Heere überzeugen.
Wir gehören gewiss mit zu Den
jenigen, welche die hohe Bedeutung des Nordamerikanischen Krieges
Umschau in der Militair-Literatur.
121
für manche Seite der Kriegswissenschaft voll und gerne anerkennen ; aber was die Infanterie - Taktik anbelangt , so kann es kaum eine schlechtere Begründung irgend welcher Behauptung geben, als Bei spiele aus dem genannten Kriege ! Verfasser rechnet übrigens auch noch mit 40 Aexten, welche die Mannschaften des Bataillons tragen, während es sich um Beile handelt. Dass hier kein Druckfehler vorliegt , beweist das auf Seite 450 Z. 1 und 2 von unten und auf Eine werthvolle Zugabe für die dies Seite 451 oben Gesagte . jährigen Jahresberichte ist auch der Aufsatz über die Entwickelung der Militair- Statistik und wollen wir hoffen, dass dieser Bericht nach den verschiedensten Seiten hin erneut Anregung giebt, diesem wich tigen Zweige der Kriegswissenschaft die gebührende Beachtung zu zuwenden. Recht sorgfältig und sachgemäsz ist der Bericht über die Militair - Verwaltung und die Natural - Verpflegung, sowie der über die Entwickelung der Genfer Convention etc. abgefasst. Wir ent nehmen dem ersteren dieser Berichte , dass nicht General K. H. v. Wedell , wie dies vor Kurzem in einem längeren Aufsatze dieser Zeitschrift mitgetheilt wurde , der erste Preuszische Kriegsminister war, sondern dass diese Ehre dem General - Feldmarschall v. Grumbkow bereits im Jahre 1715 zu Theil geworden ist.
Der Bericht über die
Militair - Telegraphie beschäftigt sich wohl zu sehr mit kleinlichen Details und hält sich fast lediglich an den Inhalt von Schriften und Aufsätzen über diesen Gegenstand . Sollte es z . B. aber nicht ange bracht und möglich gewesen sein , Näheres über die Benutzung der Militair-Telegraphen zu bringen, welche bei der Italienischen Armee im verflossenen Jahre während der gröszeren Uebungen in ausge dehnter Weise zur Anwendung kamen ? - Auch in diesem Jahre enthält das vorliegende Werk einen besonderen , wenn auch kurzen Bericht über das Kriegsspiel.
Uns will eine solche Ausscheidung
eines der vielen Mittel für die Heranbildung und Erziehung der Offiziere nicht recht sachgemäsz erscheinen ; mit gleichem Rechte wäre dann wohl auch ein Bericht über die militair-wissenschaftlichen Vereine oder über die gesammte wissenschaftliche Militair- Literatur am Platze gewesen .
Das ganze Capitel über Ausbildung etc. der
Offiziere gehört aber sachgemäsz wohl am besten in die Berichte über das Heerwesen der einzelnen Armeen. Die Berichte über Terrain - Lehre und Terrain - Kunde , sowie über Kartographie , Auf nehmen und Planzeichnen erfreuen sich eines sehr gewandten Dar stellers und werden dieselben in Folge dessen vielleicht eine wärmere als das Vorurtheil gegen den Gegenstand ihnen sonst eingeräumt hätte. Zu besonderen Bemerkungen über diese Aufnahme finden ,
Umschau in der Militair-Literatur.
122
etwa 30 Seiten umfassenden Berichte haben wir keine Veranlassung. Der Bericht über die kriegsgeschichtliche Literatur erscheint uns ein wenig leicht gehalten ; das Ingenieur - Comité hat unseres Wissens keine Werke herausgegeben , wohl sind aber auf Veranlassung der General - Inspection der Ingenieure und Festungen die bezüglichen Belagerungen in veröffentlichten Werken geschildert. Als eine Lücke dieses Aufsatzes müssen wir es bezeichnen , dass er mit Ausnahme eines Aufsatzes nicht die geringste Notiz von den Abhandlungen kriegsgeschichtlicher Natur Kenntniss nimmt ,
welche in den mili
tairischen Zeitschriften des In- und Auslandes 1875 erschienen sind. So hätte z . B. doch gewiss auf die in den Beiheften des Militair Wochenblattes erschienene gediegene Darstellung des Feldzuges von 1815 hingewiesen werden müssen. - Wohl mehr die Pflicht von Jahresberichten als das Interesse des Gegenstandes führt uns im dritten Theile des Werkes Aufsätze über den Verlauf des Karlisten krieges, sowie über den Krieg zwischen den Niederlanden und Atjeh vor ; beide Arbeiten halten das gebührliche Maasz genügend auf.
ein und klären
Den „ Ehrentempel " , welcher in dem nun folgenden
Nekrologe den im Jahre 1875 verstorbenen hervorragenden Offizieren errichtet ist, sehen wir als eine besondere Zierde der Jahresberichte an. Aber auch hier muss die Feder des Kritikers einen Augenblick verweilen, um darauf hinzudeuten ,
dass die pietätvolle Gabe doch
im Wesentlichen dem Deutschen Heere zu gelten hat.
Ob hiernach
der Herzog Franz v. Modena oder Kaiser Ferdinand I. und jeder der in dem Nekrologe aufgeführten Russischen , lischen etc. Generale den Vorzug vor den Chronik
dieses Werkes zwar
in
Italienischen, Eng der
militairischen
aufgeführten, aber durch Nekrologe
nicht ausgezeichneten verstorbenen Deutschen Offizieren : General der Cavallerie Herzog Eugen von Württemberg ,
General - Major
Meydam, General- Lieutenant z. D. v. Schenkendorf, General a. D. v. Heintz, General- Lieutenant z. D. Geyer v. Schweppenburg, General v. Frese , General -Lieutenant Graf zu Ysenburg und Büdingen, General a. D. v. Jacobi ,
General - Major v. Natzmer,
General v.
Kaltenborn und General-Lieutenant du Trossel, verdienen, geben wir in besondere Erwägung.
Es fiel uns bei Durchsicht des Nekrologes
auszerdem auch auf, dass in demselben nur Generale Aufnahme ge funden haben. Wir hätten hiermit unsere Besprechung der Loebell'schen Jahres berichte zu Ende geführt. Ein Rückblick auf die niedergeschriebenen Zeilen setzt uns selbst in Staunen , angewachsen ist,
wie unter der Feder der Stoff
wie sich Bemerkung an Bemerkung ,
Bedenken
Umschau in der Militair- Literatur.
123
und Frage an manche Stelle des Werkes geknüpft hat. voller Befriedigung legen wir die Feder aus der Hand .
Doch mit Das Ge
fühl des Wohlwollens und der regsten Theilnahme für die Jahres berichte hat uns bei dieser Besprechung nicht einen Augenblick verlassen . Wir glauben das für die Deutsche Militair - Literatur hochwichtige Werk mit regstem Eifer durchgelesen , mit einer Aus führlichkeit , die das Werk beanspruchen darf , beurtheilt zu haben. Wir irren gewiss oft in unseren Ansichten und sind auch weit davon entfernt, denselben einen hohen Werth beilegen zu wollen ;
es ist
nur eine Stimme unter vielen Tausenden , die sich berufen und ver pflichtet hält , von den Gedanken Rechenschaft zu geben , welche beim Lesen und Betrachten der vorliegenden Aufsätze aufgestiegen sind.
Vielleicht lässt sich einer oder der andere dieser Gedanken
in den späteren Jahrgängen dieser Berichte verwerthen.
Aber auch
ohne dies hat sich die Mühe und Zeit , welche wir dem Werke ge schenkt haben, reichlich belohnt gemacht , denn wir haben sehr viel aus demselben gelernt .
Geschichte der Kurfürstlich und Königlich Sächsischen Feld Artillerie von 1620-1820.
Ueber Benutzung archivalischer
Quellen bearbeitet von A. von Kretschmer, Hauptmann und 1. Königl. Sächs. Feld- Art.- Reg. Nr. 12 . ――――
Batteriechef im
Verlag von E. S. Mittler u. Sohn . - 8°.
Berlin 1876. Zahlreiche welche sich
Schriften
mit
sind in den letzten Jahren
der Vergangenheit
der
Artillerie
erschienen, beschäftigen.
Meistens sind es Special- Geschichten der Artillerie einzelner Länder, welche so in willkommener Weise nach und nach das Material für eine
allgemeine
Geschichte
dieser
Waffe
herbeischaffen.
Die
Sächsische Artillerie stand in dieser Beziehung bisher hinter den meisten anderen Deutschen Artillerien zurück , das oben genannte Buch hat nunmehr diese Lücke ausgefüllt.
Wir ersehen aus dem vorliegenden
Werke , dass die Sächsische Artillerie bereits 1620 , also früher als in allen anderen Deutschen Landen , einen ständigen Truppenver band gehabt hat ; dass sie vorher eine Zunft gewesen , ist wohl ein Irrthum .
Allerdings findet das Mährchen von der Artillerie-Zunft mit
ibren wandernden Gesellen ja noch viele Gläubigen , da eben das gesammte Kriegswesen vor Errichtung der stehenden Heere so viel Handwerksmäsziges
an sich hatte.
Die Artillerie machte
wohl
immer mehr oder weniger Anspruch darauf , eine Kunst zu sein .
Umschau in der Militair- Literatur.
124
Wie es mit dieser Artillerie-Kunst in alten Zeiten in Sachsen be schaffen gewesen ,
erfährt man allerdings
aus dem Buche zwar
nicht, dasselbe giebt vielmehr einen kurzen Abriss der Sächsischen Kriegsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Artillerie. Auf Grund benutzter Acten entrollt der Verfasser auf 7 Druckbogen eine immerhin interessante Truppengeschichte, welche allerdings für den Zeitraum bis zum Jahre 1730 noch manche Lücken hat. In den Beilagen des Buches finden sich Angaben über Personalien, Etats, Uniformirung u. s . w. Die grüne Grundfarbe in der Uniform lässt sich bis auf das Jahr 1717 zurückführen . Besonders interessant als Ergänzung eines Aufsatzes im Maihefte dieser Zeitschrift war uns auch die Notiz über die artilleristische Unterstützung, welche Kur fürst Johann Georg III. Der
wackere
1686
Stückhauptmann
den Venetianern angedeihen liesz. Nestvogel
durfte
trotz
besseren
Wissens die Bomben nicht, wie er wollte, mit einem Feuer werfen , die.Venetianer schienen seit Tartaglia nichts mehr gelernt zu haben ; der Kurfürst selbst vergleicht sie mit den Straszburgern, deren Kriegs verständige in demselben Jahre ( 1686) von Michael Mirth gebührend Die Sächsische Artillerie hat übrigens nicht
behandelt werden.
nur in personeller , sondern auch gerade in materieller Beziehung stets einen hohen Rang eingenommen, davon zeugen die Geschwind schüsse des Generals Obmausz , die Kastenprotzen des Oberst Geiszler, die Mörser mit conischer Kammer, die Granatstücke , später die Eisenblechlaffeten .
Hoffentlich wird der Verfasser recht bald eine
Entwickelungs - Geschichte des Sächsischen Artillerie - Materiales in gleicher Ausführlichkeit veröffentlichen , wie es hier in personeller .... ..n. Hinsicht geschehen ist.
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.
125
VIII. Verzeichniss
der
bedeutenderen Aufsätze aus
anderen militairischen Zeitschriften . (15. Mai bis 15. Juni 1876.) Neue militairische Blätter (Juni - Heft 1876) :
Die Preuszische
Jägerwaffe in ihrer geschichtlichen Entwickelung und ihrem Unter schiede gegenüber der heutigen Infanterie in Bezug auf Ersatz, Be waffnung, Ausbildung und taktische Bestimmung. - Der submarine Krieg. - Englische Schieszversuche einer Feld-Batterie gegen ver
— schiedene Waffen.
Die Wehrkraft Japans, Chinas und Indiens.
Allgemeine Militair-Zeitung (Nr. 19-22 pro 1876) : Ein Beitrag zur Geschichte des Carlisten- Krieges . -Kritische Betrachtungen über die vorjährigen Herbstmanöver. - General v. Peucker und die Preuszisch-Deutschen Kriegsschulen. Deutsche Heeres-Zeitung ( Nr. 21—23) : Zum 50jährigen Jubiläum des Generals der Infanterie von Kirchbach. - Das Brigade-Exerciren vor Sr. Maj . dem Kaiser von Russland am 12. Mai 1876. -
Die
historische Entwickelung der gröszeren Truppenübungen in Preuszen und deren heutige Grundsätze. ―― Das Retablissement der Deutschen Der Carlisten -Krieg. - Aufstand in der Herzegowina , Armee. Bosnien u. s. w. - Die schweren Geschütze der Marinen der Jetzt zeit. ――――――― Eine Russische Kritik über die vorjährigen Preuszischen 'Herbstmanöver. --
Ueber den Exerciranzug der Infanterie.
Streffleur's Oesterreichische militairische Zeitschrift (V. Heft) : Der innere Zusammenhang im Gefechte. - Organisation des Serbi schen Generalstabes . wwwxxxc Organisation und Bewegung des Landsturmes in Oesterreich. Vergleichung der gröszten Gefechtsverluste in den Feldzügen 1866 und 1870-71 . — Reflexionen über die kriegerischen Ereignisse von der Zeit des Einmarsches der Preuszen in Schlesien, 16. December 1740, bis zur Schlacht bei Mollwitz, 10. April 1741. — Streffleur's allgemeine Terrainlehre mit Beispielen zu deren praktischer Verwerthung für Militairs, Ingenieure, Naturforscher, Geographen etc. Organ der militair - wissenschaftlichen Vereine (4. Heft) : Die Schlacht bei Issus . -― Der Aufstand in der Herzegowina. - Ueber elektrische Zündmethoden . — Beiträge zur zeitgemäszen Verbesserung ' unserer Vorschriften über die Ausbildung der Infanterie im Schieszen . - DieWehrkraft Serbiens . - Beiträge zur Geschichte des Generalstabes.
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze
126
Oesterreichisch-Ungarische militairische Blätter (I. Juni) : Feld zeugmeister Franz Freiherr von John †. - Die neueste Karte vom nördlichen Türkischen Kriegsschauplatze . Oesterreichisch-Ungarische Wehr - Zeitung ( Nr. 41-44) : Ueber einzelne Posten des Kriegsbudgets. Gedanken über die Organi sation der Militair- Baubehörden . -
Die neue reglementarische Norm
für das Feuergefecht der Artillerie. Oesterreichisch- Ungarische Militair-Zeitung „ Vedette" (Nr. 28 bis ― Der Central-Infanterie- Curs . 33) ; Das Kriegsbudget. Oesterreichische Militair-Zeitung (Nr. 40-47) : Das Kriegsbudget pro 1877. ―――― Probeschieszen mit Stahlbronce- Geschützen. --- Zuviel Zur Unteroffiziersfrage . des Guten. -
Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wesens (5. Heft) : Das Krupp'sche 35,5- Centim . - Geschütz . ――――― Ueber das Ver halten von 9 -Centim.- Ring-Hohlgeschossen gegen feste Deckungen. Ueber neuere Deutsche Militair- und Humanitäts-Gebäudeanlagen. Mittheilungen aus dem Gebiete des Seewesens (Nr. 5 und 6) : Die modernen Explosivstoffe vom Gesichtspunkte der Sicherheit bezüg lich ihrer Handhabung und Anwendung . L'avenir militaire ( Nr. 353–359) : Das Gesetz für den Hospitals dienst. Entwurf eines Gesetzes über den Generalstabsdienst. Das Jahresbudget für 1877. ― Die Pontonniere in Oesterreich und in Russland. - Die moralische Seite des Gesetzes über den Lazareth dienst. ――― Die jährlichen Recognoscirungsreisen bei den Brigaden. Das Armeebudget für 1877. von 120 Millionen.
Gesetzesvorschlag betreff des Credits
Le Spectateur militaire (15. Mai 1876 ) : Die Rolle der Französi schen Armeen bei den politischen Revolutionen. ――― Die Expedition nach Cochinchina. ―――――――――― Studie jenes Theiles des Rapports des Herrn M. Serrot, der die Operationen der Ostarmee betrifft . - Wilhelm III. Neue hydraulische Schraubenbremse für die groszen Marine- Geschütze . Journal des sciences militaires ( Mai 1876 ) : Praktische Instruction über den Colonnendienst in Algier. -― Orographische Skizze über das Grenzsystem Frankreichs . Von der Widerstandskraft der Luft den Bewegungen der Geschosse gegentiber. - Der Feldzug der Russen im Khanat von Kokand. - Geschichte der Dragoner. Revue d'Artillerie (Mai 1876 ) : Küstenlaffete mit hydraulischer -- Ueber eine Formel , um beim Bresche- oder Senk
Bewegung.
schusse der Krümmung der Flugbahn zwischen der Deckung und Beschreibung der hauptsäch dem Ziele Rechnung zu tragen. lichsten fremden Brücken- Equipagen.
aus anderen militairischen Zeitschriften.
127
Russ. Invalide ( Nr. 96-113) : Die Vertheidigung der Schwedi schen und Norwegischen Küste. ― Die Taubenpost. - Die Festungs manöver.
Wojenny Sbornik ( Mai - Heft) : Die Französische und Deutsche Ueber die Mobilisirung der Armee vor dem Kriege von 1870. en Truppen-Offiziere. - . Die der Uebungsreis die Ueber — . Truppen Ausbildung im Schieszen Morskoi Sbornik
Mai - Heft) : Ueber die verschiedenen artilleristi
schen Einrichtungen auf den Schiffen der neuesten Zeit.
Russ. Artillerie - Journal ( Mai -Heft) : Der Einfluss der gezogenen Geschütze auf die Vertheidigung der Festungen, gefolgert aus der Vertheidigung von Belfort. - Vorschläge für die Leitung der Bri gade -Schulen. Russ. Ingenieur - Journal (Februar - Heft) : sätze des Januar-Heftes .
Fortsetzung der Auf
L'Esercito ( Nr. 58-69) : Das Heeresbudget. - Bilanz des Fran zösischen Kriegsheeres für das Jahr 1877.
Alpen- Regimenter.
Rivista militare italiana (Mai - Heft) : Militarismus in unseren Ein Weiteres von der Cavallerie. ――――― Betrachtungen über unterbrochene Befestigungen der verschanzten Lager. Eine Studie
Tagen. -
über
das
Gefühl der Pflicht ,
beobachtet in unserem Heere .
Straszen-Locomotiven . Giornale d'artiglieria e genio ( Mai - Heft) : Von der Widerstands kraft der hohlen , einfachen und zusammengesetzten Cylinder mit Anwendung auf die Widerstandskraft der Geschütze . Rivista marittima ( Mai- und Juni- Heft) : und deren Anwendung im Kriege. -
Ueber Explosivpulver
Ueber eine geeignetere Me
thode der Ladung für die Flotten-Artillerie . Cronaca militare estera ( Nr. 11) : Gesetzesvorschläge über den Generalstabsdienst in Frankreich . Die Stellung der Offiziere im Preuszischen Heere. Die Unteroffiziersfrage der Infanterie in Deutschland. Army and Navy Gazette ( Nr. 860-863) : Die Recrutirungs frage. -Armee-Verbrechen und ihre Bestrafung. Unsere mittel ländische Seemacht.
Das Whitworth- Geschütz .
Naval and Military Gazette (Nr . 2265–2269) : Der Telegraphen dienst während des Krieges . Army and Navy Journal ( Nr. 663–667) : Gedanken über Marine Administration . ― Artillerie -Taktik . La Belgique militaire (Nr. 278-281 ) : Civil- und Militair- Er ziehung. ―――― Philosophie des Krieges . --- Von den Wasserstraszen in
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.
140
-Belgien unter dem Gesichtspunkte der nationalen Vertheidigung. Die Recrutirung der Romanischen Armee. De militaire spectator ( Nr . 6) : Militair-Administration. - Heeres organisation. De nieuwe militaire spectator ( Nr. 6) :
Beiträge betreffend die
Vertheidigung der Cap- Colonie. Allgemeine Schweizerische Militair-Zeitung ( Nr. 20-23) : Schiesz instruction. Zeitschrift für die Schweizerische Artillerie (Nr. 5) : Die Be rechnung der Schusstafeln mit specieller Berücksichtigung der gra ― phischen Methode. Ueber die natürliche Streuung der Geschosse und das Gesetz der Irrthümer. - Betrachtungen über Feuerwirkung und Taktik. Revue militaire suisse ( Nr. 9-10 ) : Instructionsplan der In Unsere neuen Infanterie- Exercir- Reglements . fanterie für 1876. Das Fest der 400jährigen Wiederkehr des Schlachttages von Murten . Militaert Tidsskrift ( III. Heft) : Compagnie - Administration im Felde . ―― Frankreichs neue Festungsanlagen längs seiner Ostgrenzen. Revista militar (Nr. 9 und 10) :
Bemerkungen für eine Studie
tiber Militair-Administration. - Bewaffnung des Artillerie-Soldaten. Memorial de Ingenieros y revista cientifico militar (Nr. 10 u. 11) : Bemerkungen über den Feldzug des ersten nördlichen Armee- Corps Brückenarbeiten, ausgeführt, um den im Jahre 1874 bis 1875. ― Besitz der Oria-Linie zu sichern .
Berichtigung. Im Juni - Heft muss es auf Seite 271 , 272 und 273 an den betreffenden Stellen heiszen : "pro Mille" anstatt „ Procent".
Verantwortlich redigirt von Major v. Marées, Berlin, Bülow - Strasze 5. Verlag von F. Schneider & Co. (Goldschmidt & Wilhelmi), Berlin, Unt. d . Linden 21 .
Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
1 24 I NFRA
TERA
IX .
Die geschichtliche Entwickelung des Offizier. standes.
Von Eugen Keller, Hauptmann im Königl. Bayerischen Generalstabe. (Fortsetzung.)*) In allen Staaten tritt demnach der neue Gang der Entwickelung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Kraft, und äuszert seinen Einfluss auf die Gestaltung des Heerwesens .
Ueberall be
ginnen die Versuche von Neuem, die Elemente des eigenen Landes zur Heerbildung heranzuziehen , und wenn auch nicht gerade die besten Elemente hiervon betroffen wurden , so war es doch ein anderes Princip , welches die Heerbildung zu durchdringen begann : das der Pflicht , das des Gehorsams gegen das Staatsoberhaupt. Schon dadurch ist der neue wichtige Schritt geschehen, dass sämmt liche Elemente des Heeres nicht mehr ihren Führern, sondern den Monarchen allein verpflichtet waren. Am glänzendsten und prägnantesten spricht sich dieser Um schwung aus in Frankreich , wo die Macht des Königthums nach dem Westphälischen Frieden ihren Glanzpunkt erreichte.
Dort war unter den Regierungen Ludwig XIII . und , Mazarin's die letzte Ent scheidung über die oppositionellen Bestrebungen des Adels gefallen : unter jenem in den Kriegen gegen die Stände und Gerichtsparla mente, unter diesem in dem sogenannten Frohndekriege. Die Zer rüttungen dieser inneren Kämpfe hatten nur dazu beigetragen, die grosze Mehrzahl der bürgerlichen Elemente für die Wohlthaten mo narchischer Beherrschung um so erkenntlicher, und selbst für die Härten derselben um so nachsichtiger zu machen. Als nach dem Tode des Cardinals Mazarin
1661 König Ludwig XIV. die Selbst
*) Vergl. Jahrbücher Band XX, Seite 1 (Juli 1876) . Jahrbücher f d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
9
.
130
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
herrschaft in die Hand nahm, waren Ruhe, Ordnung und Einheit dem Französischen Lande nicht blos sicher gestellt , sondern auch durch eine nie dagewesene innere Entwickelung des Wohlstandes zur tiefempfundenen Wohlthat gemacht. Nicht leicht war eine Persönlichkeit so sehr geeignet, den Ge danken einheitlicher Beherrschung zur That zu machen, als Lud wig XIV., der keinen anderen Gedanken kannte, als in Frankreich keinen Willen, als den seinigen, in Europa keinen, denn Frankreichs zu dulden. Frankreich sollte hierzu geblendet werden durch den Glanz der fürstlich unterstützten Literatur und Kunst und durch die Pracht des Hofes , der Bauwerke und der Feste, welche den Mo narchen umgaben ; Europa sollte der Französischen Herrschaft ge horchen lernen durch ein zahlreiches , wohlgeschultes Heer und durch den Schrecken, den dasselbe seinem Namen durch erfolgreiche Er oberungskriege verlieh . Durch diese Principien seiner Herrschaft war es mehr denn je nothwendig geworden, das Heer aus nationalen Elementen zu er gänzen. War dies auch nicht auf einmal möglich , so war doch schon 1670 der Stand der Fremden in dem Französischen Heere auf ein Drittel vermindert, und sank mit der Vermehrung der neu ein gerichteten Französischen Nationalmiliz auf ein Viertel im stehenden, ein Fünftel im Gesammtheere . Durch den Sieg des Königthums und durch die
daran
sich
knüpfende Aenderung der Heeresform war auch die Stellung des Offiziers eine andere geworden.
Statt wie früher nach oben und
unten nur durch freien Vertrag geknüpft zu sein, wird er nach oben absolut dienend , nach unten absolut befehlend .
Alle Elemente des
Heeres stehen zu dem Fürsten in Abhängigkeit, die Befehlsbefugniss der Führer wird damit wieder zu einer lediglich übertragenen.
Jede
persönliche Errungenschaft musste von der Gnade des Monarchen erhofft werden.
Der König behielt, mit ganz geringen Ausnahmen,
die Ernennung aller Obersten sich allein vor, auch die Ernennun gen und Beförderungen der Hälfte der Capitains und Lieutenants, verlieh die Regimenter durch eigene Macht und stellte dadurch die Generale und Obersten auf den Standpunkt einfacher Diener der Krone , welche dieser für ihre kriegerische Thätigkeit nicht blos verantwortlich sind, sondern auch dieselbe von oben vorgeschrieben erhalten.
Der Druck der Autorität verpflanzt
sich von den dem
Könige unmittelbar verbundenem Obersten auf die Compagnien und von den Capitains zur Mannschaft, und fügte so das Ganze zu einem einheitlichen Körper zusammen, der so zusammenhängend war, dass
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
131
von dem Centralpunkte auf jeden beliebigen Theil jede beliebige Wirkung geübt werden konnte. Gleichzeitig empfing dieses Verhältniss auch sein äuszerliches Zeichen durch die Einführung der bisher unbekannten Uniformirung, die, von Oben vorgeschrieben, nun erst das Soldatenkleid zum „ Rocke des Königs" machte. Die Fahnen, deren Bestimmung bisher von den Hauptleuten abhing,
erhielten die Reichsabzeichen und Gleich
förmigkeit, und wurden so zum Symbol der Königlichen Herrschaft, zum Sinnbilde des Vaterlandes. In diesem Zustande scheint der Offizierstand schon unter Lud wig XIV. jene Stufe erreicht zu haben, auf welcher er der Forderung seiner Bestimmung gerecht werden konnte.
Aber ob dies wirklich
eintrat, ob der Offizierstand wirklich das nie versagende Instrument für die Verlautbarung des Königlichen Willens wurde, das hing we sentlich davon ab, wie sich das Verhältniss der Offiziere nach unten und nach oben gestaltete . Was die Stellung des Soldaten anbelangt, so war dieselbe noch niedriger geworden, als sie je war. Wenn früher nur die Lust nach Abenteuern, nach Beute und Gewinn die Schaaren mühselig bei der Fahne zusammenhielt , was konnte sie jetzt zusammenhalten , seit durch die bedeutende Soldverringerung die Möglichkeit persönlicher Bereicherung weggefallen war.
Jetzt, wo die Taktik ein festes Zu
sammenfügen aller Theile so unerlässlich machte , da musste die Stellung des Soldaten die Wege einschlagen, die ihr Wallenstein vor gezeichnet, der drückendste Zwang, der jetzt den Soldaten zur Fahne führte, musste ihn bei derselben erhalten . Damit gewinnt die Disciplin eine neue Richtung ; sie tritt ein in das Uebergangsstadium , welches sie hinüberführt von dem um des Erwerbes willen geleisteten Gehorsam zu dem aus der Pflicht entspringenden.
Man hat viel darüber geklagt ,
dass
nach dem
dreiszigjährigen Kriege der Soldat so ganz zur Maschine geworden und sein Stand herabgesunken sei zu einer Art von Sklaverei. Aber diese Erscheinung liegt in dem ganzen Gange der Entwickelung be gründet. Wie der absolute Staat des 18. Jahrhunderts eine uner lässliche Stufe war zu dem constitutionellen Staate des 19., eine Stufe, von der wir nicht einmal bestimmt sagen können, ob wir sie nicht zu schnell überschritten , - so war diese vollständige Ver nichtung des Individuums im Soldaten der unvermeidliche Schritt, mit welchem der bisher herrschende Egoismus erst ertödtet werden musste, wenn an seine Stelle ein edleres Motiv treten sollte. Aber allerdings hängt mit dieser Zwangsbehandlung nicht gerade 9*
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
132
die Erscheinung zusammen, die sich nun in Frankreich breit macht. Der Zwang ward nicht zum Erziehungsmittel, sondern zum Zeichen der Missachtung , er sollte weniger die sittliche Hebung bewirken, als vielmehr die Erniedrigung andeuten. Die entehrende Richtung, welche die Strafrechtspflege einschlägt , steht hiermit in Ueberein Der Grund hierfür liegt weniger darin, dass das Heer sich immer noch aus den schlechtesten Elementen des Staates zu sammensetzte, als in dem Verhältnisse, das der Offizierstand zu dem
stimmung.
Soldatenstande einnahm. Seit dem Aufblühen der absoluten Monarchie
hatte sich der
hohe und niedere Adel, welcher bis dahin, mit Ausnahme einzelner Führer, dem Kriegsdienste ganz ferne geblieben war, wieder mehr und mehr dem kriegerischen Berufe zugewendet. Dies war in be sonders hohem Grade in Frankreich der Fall. In keinem Staate war die Macht und das Ansehen des Adels so sehr gesunken, wie begreif licherweise in jenem, wo alle Macht und alles Ansehen in der Einen Person des unumschränkten Herrschers sich vereinigten.
Was war
natürlicher, als dass der Französische Adel die verlorene sociale Stellung sich durch ein enges Anschlieszen an den Thron wieder zu verschaffen trachtete, nachdem er sich von der Aussichtslosigkeit der thätlichen Opposition noch im Frohndekriege überzeugt hatte ? Bei der Unmöglichkeit in dem beschränkten Rahmen des Hofdienstes selbst unterzukommen, wendete sich der Adel der Armee zu,
die durch
die neue Ordnung der Dinge inniger denn je mit der Staatseinheit und deren Repräsentanten verknüpft war. Die Armee bot ein so kräftiges Mittel für die innere politische Herrschaft, und ein so un umgängliches für die weltbeherrschenden Tendenzen eines Ludwig XIV., dass die Krone ein besonderes Interesse der Armee zuwandte , und dass der Dienst in derselben in den Führerstellen nicht weniger ein unmittelbar Königlicher war, als der bei Hofe. Diesem Streben kam auch die Krone bereitwilligst entgegen,
denn die militairischen Neigungen des Adels waren ihr nur sehr will kommen. Wohl gerne mochte man sich der Zeit erinnern, wo noch die Blüthe der Französischen Edelleute den Kern des Heeres aus gemacht.
Noch damals enthielt der Adel seiner Mehrzahl nach die
gebildeten Elemente des Reiches, und seine Betheiligung liesz hoffen, dass die durch das Fortschreiten der Taktik nöthig gewordene In telligenz dem Heere zukommen werde.
Dazu kam, dass der König
wohl erwarten mochte, die Edelleute durch Anstellung in der Armee nicht blosz an seine Person zu fesseln, und dadurch deren Missver gnügen zu beseitigen, sondern auch kräftige Vertreter seines Willens
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
133
bei den Truppen sich zu verschaffen. So mehrt sich denn die Zahl der Offiziere und deren numerisches Verhältniss zu den Soldaten fortwährend. Kamen früher 3 Offiziere auf etwa 300 Mann, so kamen etwa um 1660 3 auf 150, 1670 3 auf 70, Mann.
1678 3 Offiziere auf 45
1687 kamen 4 Offiziere auf 45 Mann, nachdem die 1669 auf
gehobene zweite
Lieutenantsstelle per Compagnie
wieder
etatirt
wurde, lediglich um 900 junge Edelleute unterzubringen.
Nebenan geht eine bedeutende Vermehrung der höheren Chargen. 1667 wurden auszer den Obersten noch besondere Brigadiers an gestellt, welche, da damals der Brigadeverband im Frieden nicht existirte, gar Nichts zu thun hatten ; 1672 war die Zahl der General lieutenants allein innerhalb 30 Jahren von 5 auf 60 gestiegen, an Generalmajoren besasz fast jede Brigade 5. Ebenso verhielt es sich mit den Marschällen von Frankreich , deren im Jahre 1703 10 auf einmal ernannt wurden. Kurz vor der Revolution besasz die Armee gegen 1200 Generale, unter denen sich 20 Marschälle von Frank reich und 164 Generallieutenants befanden. * ) Alle Regimenter hatten wenigstens 2 Obersten, obgleich sie selten mehr als ein Bataillon stark waren, und sehr viele Obersten hatten gar keine Regimenter. Es tritt also in dem Verhältnisse der Offiziere zu den Soldaten eine weitere Verschärfung ein durch den groszen Unterschied der socialen Stellung.
Waren ursprünglich in den Werbeheeren sehr häufig Hauptleute und Lieutenants Eines Schlages mit der Mann
schaft , so trennte sie jetzt von dieser nicht blos die höhere von oben verliehene Macht und Befehlsbefugniss, sondern auch der Unter schied der Herkunft und des Namens mit allen sich hieran knüpfen den Vorurtheilen . Dieser gröszere Abstand zwischen dem Offizierstande und dem Soldatenstande hätte sehr wohl auch zu guten Erfolgen führen können, wenn die geistige und moralische Ueberlegenheit der Führer ihrer socialen entsprach.
In geistiger Hinsicht kann dies vielleicht als
gegeben erachtet werden, in moralischer Beziehung aber hing nun Alles davon ab, in welcher Weise die Offiziere den Begriff der mili tairischen Pflicht und die Anleitung und Erziehung zu ihrem Wir kungskreise von oben empfingen und wie sie der Fortpflanzung des Pflichtgedankens nach unten gerecht wurden.
* ) Das Preuszische Heer, welches zu jener Zeit stärker war, als das Fran zösische, zählte auf seinem höchsten Stande etwa 150 Generale, worunter 3 Feldmarschälle , das Oesterreichische etwa 200 Generale , worunter 10 Feld marschälle und 20 Feldzeugmeister.
134
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes. Für den Zusammenhang , in welchem die Offiziere zu ihrem
Kriegsherrn, dem Monarchen, standen, ist es schon eine verdächtige Wahrnehmung, dass es nicht der Trieb war, dem Vaterlande in der Armee zu dienen und dem Könige ein getreuer Gehülfe zu sein in der inneren und äuszeren Ausübung seiner Herrschaft, was den Adel zur Armee geführt hatte, sondern nur die Sucht, die in einem Jahr hunderte langen inneren Kampfe eingebüszte Stellung, Macht, An sehen und Reichthum zu erlangen, und zwar nicht durch Erfüllung strenger Pflichten, sondern nur durch die Nähe jenes Glanzes , der von der Krone ausstrahlte .
Ein rein egoistisches Interesse war es
also, das den Adel in seine Stellung geführt, das ihn darin festhielt voraussichtlich nur auf die Dauer seiner Befriedigung. In Folge dessen wurden die verliehenen Stellen nicht betrachtet als angewiesene Wirkungskreise, sondern als Renten ; Compagnien und Regimenter wurden wie Domainen für persönliche Bereicherung angesehen, durch Kauf auf Lebenszeit erworben , oft auch wieder verhandelt oder vererbt. Aber auch die Nähe des Hofes war nicht geeignet, den Off zieren etwa Principien sittlicher Art einzuflöszen.
Denn die Lehren
und das Beispiel, die von dem Hofe von Versailles ausgingen , waren nicht darnach.
Von dem Leben am Hofe Ludwig XIV. und seine
Nachfolger ist genug geschrieben worden ; die Schilderung desselben geht über den Bereich unseres Gegenstandes hinaus.
Aber jene
Wirkung desselben darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Edelleute an dem Leben des Hofes sich ein Beispiel nahmen, dass Prunk und Wohlleben, Ausschweifungen und Vergnügungen für den eigentlichen Zweck des Lebens galten, dass die sittlichen Principien der Pflicht und der Ehre als Lächerlichkeiten verspottet wurden , dass die Offi ziere in ihrem Streben, das Beispiel des Hofes nachzuahmen, ver schuldeten oder verkamen, kurz, dass sie an Alles eher dachten, als daran, dass sie um einer höheren Pflicht und nicht um ihrer selbst willen Offiziere waren.
Zugleich verband sich damit die Lockerung
aller Autorität innerhalb des Offiziercorps .
Wie konnte ein Lieute
nant oder ein Hauptmann die Vorstellung sich rege machen, es sei der Oberst ihres Regiments der Stellvertreter ihres Kriegsherrn und eine Macht höheren Grades, wenn sie ihn ebenso wenig seiner Pflicht nachleben sahen, wie sie es thaten ? Endlich kam hierzu in der Folge jene Spaltung zwischen hohem und niederem Adel , welcher das Französische Offiziercorps in zwei einander schied.
gewissermaaszen
feindlich gegenüberstehende
Heerlager
Die jungen Herrn des Hofadels hatten schon als Knaben,
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
135
ohne je gedient zu haben, als Lieutenants in den Listen eines Regi ments gestanden, wurden dann nach wenig Jahren Capitains und erhielten abermals nach kurzer Zeit Regimenter als Obersten. Der Angehörige des Provinzialadels begann seine Laufbahn auch als über zähliger Lieutenant, aber er musste dann, langsam aufrückend, in die etatsmäszigen Stellen und da , bei schmaler Besoldung ausharrend, weiter hinauf dienen, bis es ihm gelang, als ältester Lieutenant oft mit groszen Schwierigkeiten die paar Tausend Livres zusammenzubringen, die nöthig waren, um eine Compagnie zu kaufen, welche dann, wenn sie genügend ausgenutzt war, wieder verkauft wurde. Zu einer Oberstenstelle gelangte ein Solcher fast nie, denn die Preise jener Stellen waren für ihn fast unerschwinglich, und zudem solche Chargen selten vacant, da sie immer nach Hofgunst vergeben wurden. Der Königlichen Macht gegenüber standen demnach die Offizier corps nicht wie ein treu ergebenes Heergeleite und nicht wie ein brauchbares
tüchtiges Werkzeug der militairischen Beherrschung, sondern wie eine eigensüchtige Adelsclique, welche dem Könige nur ergeben war, weil und so lange sie bei ihm einen Quell mühelosen
Erwerbes und glänzender Stellung fand . Sie nahmen demnach Theil an den politischen Bewegungen der Zeit, wie eine politische Secte, sie schürten mit bei der aristokratischen Opposition gegen das Mi nisterium Turgot - Malesherbes, und es kam sogar vor, dass die Offi ziercorps von Regimentern, welche vom Kriegsminister den Befehl empfingen , gegen die widerspenstigen Parlamente zu marschiren, geradezu protestirten, und Jeden, der gehorchen würde, für ehrlos erklärten. Durch diesen Charakter des Offizierstandes wird es erklärlich, dass auch Seitens der Offiziere nichts geschieht, um den mächtigen Einfluss, den ihre bevorzugte Stellung ihnen ermöglicht hätte, festigen, zu erhöhen und zu veredeln.
zu
Gelegenheit dazu wäre ihnen
reichlich geboten gewesen. Was hätte die grosze Zahl von Offizieren für eine ergiebige Einwirkung auf die Mannschaft äuszern können, nachdem dieselben auch im Frieden präsent waren und ihre Aus bildung durch die Offiziere nicht blos möglich , sondern durch die zunehmende Schwierigkeit der taktischen Formen geradezu geboten war ? Allein die Offiziere bekümmerten sich nichts um die Aus bildung.
Zweimal wöchentlich wurden die Compagnien in den Hand
griffen, Chargirungen und Evolutionen geübt , dasselbe geschah ein mal in jedem Monate für die ganze Garnison durch den Offizier vom Platze.
Bitter beklagt sich der Marschall Villars in seinen Briefen
an den Kriegsminister Chamillard, „ dass die Offiziere Nichts thäten,
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
136 um
ihre Bataillone kriegsbrauchbarer zu machen".
Statt dessen
trieben sich die Offiziere selbst unter den Augen des Kriegsministers in Versailles und Paris herum, so dass trotz der Ueberzahl an Offi zieren oft ganze Regimenter ohne diese waren.
Später, als der
Missbrauch allzuarg wurde und die Anwesenheit der Offiziere bei ihren Regimentern mit gröszerer Strenge gefordert wurde, entstand die eigenthümliche und sehr bezeichnende Einrichtung, das sogenannte „Semestre", demzufolge die Hälfte aller Offiziere sechs Monate all jährlich Urlaub bekam, nach dessen Ablauf die andere Hälfte in Urlaub ging. Waren damit auch Offiziere genug bei den Regimentern, so waren diese doch nicht geneigt ,
sich der sechs Monate wegen
stark in den Dienst zu vertiefen, sie blieben zum Mindesten ihren Untergebenen fremd.
Die zwanzigjährigen hochadeligen Obersten
aber lebten überhaupt nur in Versailles und Paris, überlieszen die Führung der Regimenter den ältesten Capitains und machten nur von Zeit zu Zeit flüchtige Besuche in den Garnisonen.
Dabei blieb nicht nur die Ausbildung sehr zurück, so dass fast alle der gleichzeitigen Armeen, welche früher der Energie und der übermächtigen Kraft Ludwig XIV. erlegen waren, an innerer Tüchtig keit die Französischen Truppen weit übertrafen, sondern die Soldaten waren den gröszten Theil der Zeit über unbeschäftigt, dem Einflusse ihrer Unteroffiziere und dem Müsziggange überlassen.
Einmal in
diesem Fahrwasser, geriethen sie dann auch in die politischen Strö mungen, welche jene Zeiten erfüllten, sie besuchten die Volksver sammlungen und sogen die Lehren der Encyklopädisten ein .
Los
gelöst von jedem geistigen Zusammenhange mit ihren Vorgesetzten, neidisch und erbittert auf sie, die alle Freuden des Lebens genossen, während die Soldaten mit harten Strafgesetzen bedacht waren öffnet die Armee Ohr und Herz täglich mehr den verführerischen Stimmen der revolutionairen Propaganda, welche ihnen Freiheit und menschenwürdiges Dasein, und Erlösung von Disciplin, Strafgesetzen und Exerciren versprach . So tritt denn auch dem Offizierstande der Soldatenstand gegen über als eine politische Partei , von derselben Feindseligkeit gegen diese beseelt, wie der unterdrückte dritte Stand gegen den Adel des Versailler Hofes , der während jener den Druck der Steuern immer unerträglicher fand , das Erpresste in Zucht- und Sittenlosigkeit ver So bereitet sich im Offiziercorps des glänzenden Französi
geudete.
schen Königthumes die innere Zersetzung vor, durch welche dieses wie jenes so kläglich umkommen sollte .
137
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
Während so in Frankreich der Offizierstand unter der Ein wirkung des Egoismus sowohl selbst von einem so viel versprechen den Wege abkommt, als auch die Armee mit in die Verirrung zieht, entwickelt sich in Preuszen , ebenfalls unter der Aegide der ab soluten Monarchie, aber unter pflichtgetreuen, edeldenkenden Fürsten, der Offizierstand zu jener Erscheinung , in welcher er einmal ganz seinen Zweck erfüllt, und welche die edelste ist, in die er seit seiner Entstehung getreten ist. Auch in Preuszen bezeichnet der Westphälische Friede den Beginn jener Aera, in welcher die absolute Monarchie sich rasch und entschieden entwickelt, hier allerdings in kleinerem Rahmen und mit gröszeren Schwierigkeiten, als in Frankreich.
Die Auf
richtung der absoluten Herrschaft ist namentlich durch Friedrich Wilhelm, den groszen Churfürsten, erfolgt , der bei seiner 1640 er folgenden Thronbesteigung ein armes , von den Feinden besetztes, nach Innen zerrüttetes Land übernahm. Die erste Erfahrung, die er zu machen hatte, war, dass ihm drei Obersten den Eid der Treue verweigerten.
Er liesz einen davon verhaften, während die beiden
anderen entflohen, und löste zunächst deren Regimenter auf.
Ferner
schritt er zur Beseitigung des bis dahin allmächtigen Ministers Grafen Schwarzenberg , und verstand durch seine Energie hierbei die zahl reichen Anhänger dieses Mannes und dessen Sohnes seiner Autorität zu unterwerfen .
Den schwierigsten Stand hatte er jedoch seinen
Ständen, insbesondere den Preuszischen gegenüber.
Dieselben hatten
während der Regierung der früheren Churfürsten das Aufgebot voll ständig verkommen lassen, und als der Churfürst dasselbe berief, erschienen von etwa 1900 Pflichtigen etwa 200, 1644 aber erfuhr er statt der Gestellung eine formelle Weigerung .
Der Churfürst hatte sich dann, um sich von der lästigen Be vormundung der Stände frei zu machen, mit Hülfe Schwedischer und Holländischer Subsidien, und ohne sich an den Protest der Stände zu
kehren , mit einem kleinen,
Soldaten umgeben .
aber tüchtigen Heere geworbener Gestützt auf diese Macht , konnte er nun nicht
nur daran gehen, seine inneren Reformen selbst gegen den Einspruch der stets widerspenstigen Stände durchzuführen, sondern auch jenes Werbepatent vom 4. December 1656 zu erlassen, in welchem er für das neu reformirte Aufgebot die Gestellung jedes zwanzigsten Mannes , der vollständig ausgebildet sein musste, verlangte, und zugleich den verschiedenen Regimentern Werbedistricte für ihre Ergänzung im Inlande anwies. Damit war das stehende Nationalheer begründet, und von da ab entwickelt es sich bis zu seiner heutigen Erscheinung.
138
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
Denn die inländischen Regimenter wurden im Gegensatze zu den aus Ausländern zusammengesetzten nie völlig abgedankt , sondern nur durch Beurlaubung der Leute in den Werbebezirk und durch Verminderung der Compagniezahl reducirt. Das neue Institut der Garden durfte nur Inländer enthalten . Kein Unterthan des Chur fürsten durfte sich in fremde Kriegsdienste begeben, die in solchen befindlichen Unterthanen wurden zurückberufen, und fremden Werbern wurde nicht blos der Zutritt in das Land verboten, sondern auch deren sofortige Verhaftung sämmtlichen Behörden zur Pflicht ge macht. In dem Maasze, als das Heer wuchs , verstärkte sich auch die innere Macht des Churfürsten und vervollkommnete sich seine Herrschaft über sämmtliche Unterthanen jeden Grades . Eine neue Steigerung der Wehrkraft tritt ein durch die Schaffung der 1701 errichteten Landmiliz unter König Friedrich I., zu welcher auf fünfjährige Dienstzeit jeder Bürger verpflichtet sein sollte, und welche den wirklich Eingereihten besondere Privilegien und Vor theile in Aussicht stellte.
Zwar gelangte diese Miliz unter ihrem
Schöpfer niemals zu einer kriegerischen Thätigkeit, aber sie war auch jetzt schon ein kräftiges Mittel , den eingeschlummerten sol datischen Sinn der Bevölkerung und das Bewusstsein, dass die Ver theidigung des Vaterlandes eine Pflicht sei für jeden Bürger, wieder wachzurufen und zu befestigen.
In späteren Zeiten ist jedoch diese
Landmiliz, wiewohl vielfach aus praktischen Gründen, verändert oder ganz aufgehoben , nach ihrer jüngsten Reorganisation unter König Friedrich Wilhelm I. (1729) zu einer nützlichen Verstärkung der Armee geworden, als welche sie derselben nicht nur einige Ab theilungen
gedienter Soldaten lieferte ,
sondern auch Leistungen
während des siebenjährigen Krieges hervorbrachte , die deutlich genug zeigen , wie sehr der militairische Sinn , der Gedanke der Pflicht schon die Bevölkerung durchdrungen hatte. Für das stehende Heer aber entwickelte sich bis zu dem Jahre 1733 das sogenannte Cantonsystem, durch welches sämmtliche Feuerstellen des Landes, in Ergänzungsbezirke (Cantone) Regimentern zugewiesen wurden.
zusammengefasst ,
den
einzelnen
Alle jungen Leute, welche nicht
ausdrücklich eximirt waren , standen
hiermit zur Disposition des
Regiments, in dessen Bezirk sie wohnten. Jeder Bürger und Bauer war cantons-, d . h. kriegsdienstpflichtig, wurde hierzu mit seinem sechszehnten Jahre auf die Stammrolle seiner Compagnie und seines Regiments gesetzt und konnte von da Die zahlreichen bestehenden ab nach Bedarf einberufen werden. Exemptionen von der Wehrpflicht kamen vor Allem den höheren
139
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
Ständen, einzelnen Städten, den Beamten und Industriellen zu Gute, nicht etwa, um diesen ein besonderes angenehmes Privilegium zu gewähren, sondern auf Grund der Meinung, dass diese Stände auszer halb des Heeres dem Staate noch höheren Nutzen erweisen würden. Dies war eine Rücksicht , die zu jener Zeit , inneren Wohlstandes nach
wo die Hebung des
den Zerrüttungen des dreiszigjährigen
Krieges ein Gebot nicht nur der Nothwendigkeit , sondern auch der Klugheit war, wohl begreiflich ist. Wenn wir dies in Betracht ziehen, so erkennen wir, dass in dem Cantonsysteme eigentlich schon eine Art allgemeiner Wehrpflicht geschaffen war,
deren Wesen selbst
durch jene zahlreichen Ausnahmen nicht alterirt wurde,
weil nur
solche Stände Exemptionen genossen, welche durch ihre Vermögen oder ihre Thätigkeit als Beförderer des allgemeinen Wohlstandes an gesehen wurden. War auch damit die Werbung von Ausländern nicht vollständig ausgeschlossen, so blieb doch in längeren Kriegen das Angebot derselben so vollständig aus, dass z. B. während des sieben jährigen Krieges die ganze Last der auszerordentlichen Leistungen, welche dieser Krieg verlangte, von den Cantonspflichtigen allein ge tragen wurde, ein Erfolg, der um so respectabler erscheint, als auszer dem regulairen Heere von den nicht cantonspflichtigen Theilen der Bevölkerung noch über 20,000 Mann an Landmilizen auf die Beine gebracht wurden.
Es zeigt dies , welche Wirkung die Wehrfähig
machung der Nation schon geübt hatte, und wie sehr die Bevölkerung für den Segen der absoluten Herrschaft empfänglich geworden war, wenn sie solche Opfer dafür zu bringen vermochte. Das Cantonsystem blieb mit geringen Modificationen aufrecht erhalten bis zu der Katastrophe, welche den Preuszischen Staat im Jahre 1806 traf. Wehrpflichtigen
Diese Heeresergänzungsform setzt die einzelnen in
ein directes Abhängigkeitsverhältniss
zu dem
Kriegsherrn, der zugleich nun der Landesherr ist, und verknüpft sie gleichzeitig mit dem Vaterlande in dem Grade, als die Monarchen es verstanden, das Wohl des Vaterlandes zu fördern. Und das verstanden sie in der That in reichem Maasze .
Mit
Ausnahme etwa der Regierung des Glanz liebenden Königs Friedrich I. zeigt die Reihenfolge der Preuszischen Regenten vom groszen Chur fürsten ab eine stetige Folge von Regierungsthätigkeiten ,
die in
einem ebenso schneidenden als angenehmen Contraste zu der Miss wirthschaft der gleichzeitigen Französischen Maitressen-Regierungen stehen. War der grosze Churfürst noch durch die zahlreichen Kriege, die er zur Behauptung seines Territoriums zu führen hatte, zu einer
t
140
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
weiteren Ausdehnung seiner fürsorgenden Thätigkeit nicht im Stande, so kommt unter König Friedrich Wilhelm I. das Bestreben, die ab solute Macht des Monarchen zum Wohle des Ganzen zu gebrauchen , zur reichlichen Bethätigung. Dieser, weder weitblickende noch geist reiche, aber wackere und grundtüchtige Fürst sah als das Grund gesetz seiner ganzen Regierungsthätigkeit an, dass es Pflicht des Monarchen sei, für das Wohl des ganzen Landes zu sorgen,
und
Alles , was dieses Land hierdurch Weiteres zu leisten vermochte, demselben wieder zu Gute kommen zu lassen. Wie er selbst keinen Augenblick müszig ging , sondern seine ganze Zeit theilte zwischen der Leitung seiner obersten Verwaltungsbehörde, der Besichtigung der Staatsgüter und der Inspicirung der Regimenter, so duldete er auch nirgends einen Faullenzer, maaszregelte Geistlichkeit , Adel, Beamte, Gelehrte, Handels- und Gewerbsleute, Jeder sollte nur Unter than sein, Jeder nur seiner Pflicht leben, wie der König selbst es that.
Durch seine unerschütterliche Rechtschaffenheit ,
durch sein
ausgebildetes Pflichtgefühl, durch seine Arbeitsamkeit und Sparsam keit machte der König seinen schroffen, mitunter sehr beschränkten Despotismus zum Segen seines Landes ; in allen seinen Provinzen blühte der Ackerbau, wie sonst in Europa nur noch in Belgien und England, und der Staatsschatz war zum Ueberflieszen gefüllt. Durch Friedrich Wilhelm I. hatte die absolute Monarchie in Preuszen ihren charakteristischen Grundzug empfangen, der sie so wesentlich von der Französischen unterschied.
Der Regent erkennt
etwas Höheres über sich ; Dasselbe, dem er alle seine Unterthanen unterwirft , das lässt er auch über sich herrschen : das Princip der Pflicht gegen das Vaterland.
Die gesammte Staatskraft, welche die
entwickelnde Gewalt des Absolutismus erschlieszt , wird nicht der Person des Regenten, sondern nur durch diesen wieder dem Staate zur Verfügung gestellt.
Wenn auch in der allerabsolutistischsten
Form , so spricht sich darin doch nicht minder klar das Wesen der modernen Staatsidee aus. Es kam dieser Geistesrichtung des Königs wesentlich das streng militairische Naturell zu Gute, das ihm theils durch Anlage,
theils
durch seine Jugenderziehung zu Theil geworden war. Einen Fürsten, der keine Soldaten habe, hielt er für nicht geachtet in der Welt, und fest war er überzeugt ,
dass die Feder nicht hinreiche für die
Politik, wenn man diese nicht durch eine kräftige Armee unterstützen könne.
Der König verwendete deshalb nicht blos eine grosze Sorg
falt auf die Beschaffung einer tüchtigen zahlreichen Armee, sondern er verlieh, wie er selbst in seinem streng militairischen Wesen abhold
141
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
war allem Luxus und Allem, was nach Weichlichkeit aussah, und niemals anders , als in seiner knappen Uniform mit dem Degen an der Seite erschien, auch dem gesammten inneren Gefüge des Staates und Volkes jenes knappe, straffe militairische Gepräge , welches dem Preuszenthume seither unzertrennlich anhaften blieb und eine ebenso charakteristische , Wesens ist.
als
auch
hervorragende
Seite
seines
Einen noch edleren Charakter gewann dieses Princip unter Friedrich dem Groszen, der in einer an Prüfungen reichen Jugend zeit in der strengen, ja fast harten Schule seines Vaters dessen tiefes Pflichtgefühl eingesogen hatte , der aber auch durch den hohen Schwung seines Geistes demselben eine ideale Gestaltung zu ver leihen vermochte. Charakteristisch für die Auffassung seiner Stellung ist sein oft citirter Ausspruch , dass der Fürst nur der erste Diener und die erste obrigkeitliche Person des Staates sei, und dass er von den Mitteln desselben nur einen Gebrauch machen dürfe, der selbst wieder dem Staate zu Gut käme.
Diesem Gedanken lebte er aber
auch in der That mit einer Consequenz und einer Selbstverleugnung nach , die viel dazu beigetragen hat, dass dieses Lebensmaxim des Königs so rasch und Śvollständig alle Organe des Staates durch drungen hat.
Mit unermüdlichem Eifer besorgte er selbst die Ge
schäfte des Staates, oblag er selbst der Sorge für das Heer, manche Gesetze und Verordnungen und fast alle Reglements und Dienstes Instructionen für die Armee sind des Königs eigenstes Werk .
Seine
ungeheuere Arbeitskraft, die Jedem erst bekannt wird, wenn er die Menge der vortrefflichen Arbeiten dieses Königs übersieht, wurde nur übertroffen durch die Rastlosigkeit, mit welcher er sich ihrer bediente.
Seine eigene Person setzt er in jeder Beziehung den Rücksichten auf das Vaterland nach. So schreibt er 1759 an D'Argent : 99 Sie würden mich nicht wieder erkennen . Sie würden einen er
grauten Mann sehen, der nicht blos die Hälfte seiner Zähne, sondern auch seine Heiterkeit , sein Feuer, seine Einbildungskraft verloren hat. Es sind weniger die Wirkungen der Jahre ( Friedrich zählte damals 47 Jahre) als der Sorgen . " So schreibt der König auch in seiner instruction secrète pour le comte de Fink 10. Januar 1757 :
„Wenn ich das Unglück hätte,
in Feindes Hand zu fallen, so verbiete ich, dass die geringste Rücksicht auf meine Person genommen werde ....
Ich
will mich für meinen Staat opfern und verlange, dass man meinem Bruder gehorche, der ebenso, wie alle meine Minister und Generale , mit dem Kopfe verantwortlich ist, dass er weder eine Provinz noch
142
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
ein Lösegeld für mich anbieten, und den Krieg fortsetzen werde, indem er seinen Vortheil benützt, als wenn ich nie auf der Welt ge wesen wäre. " In demselben Maasze aber, als er selbst auf das Strengste seinen Pflichten nachlebte,
forderte er Gleiches auch von Allen, die unter
ihm standen, und brachte es durch die Strenge seiner Controle, durch unablässige Belehrung, durch Ermunterung, Anerkennung und ins besondere durch sein Beispiel dahin , dass Jeden in seinem Amte und Wirkungskreise das vollkommenste Pflichtbewusstsein erfüllte. Jeder bestrebte sich, in treuer Nachahmung des Königlichen Bei spiels so viel zu leisten,
als nur möglich , weil er ein Preusze, ein
Gehülfe König Friedrich's war,
und Jeder glaubte auch unter der
Leitung und Anordnung dieses ebenso energischen als geistvollen Regenten mehr leisten zu können, als jedes Individuum irgend einer anderen Nation.
Es ist aber ein wesentliches Merkmal für die Herrscherthätigkeit Friedrich's des Groszen, dass er die Arbeit und den Gehorsam seiner Unterthanen ebensowenig zu seinem eigenen Vortheile, eigenen Verherrlichung verlangte.
zu seiner
Er fordert , dass Jeder nur dem
gemeinsamen Vaterlande diene, er sieht die Unsterblichkeit und den wahren Ruhm nur in den Thaten, die Einer zum Besten des Vater landes geleistet, und nennt Den einen Gott auf Erden, der sein Vaterland rette. So war die Reihe der Regenten beschaffen, unter welchen in dem allmälig heranwachsenden jungen Preuszischen Staatswesen sich Armee und Offizierstand entwickelte.
Der grosze Churfürst kam
noch vollständig in die Verhältnisse hinein, wie sie sich zu Ende des dreiszigjährigen Krieges gestalteten . Die Obersten dienten nur auf Dienstvertrag und gegen genaue Einhaltung der ihnen in den Artikelbriefen und Capitulationen
eingeräumten Rechte ;
der
Churfürst konnte sie zwar ernennen, diese Ernennung war jedoch immer wieder verbunden mit dem Abschlusse eines Dienstvertrages, und der Churfürst musste sogar noch 1683 die Erfahrung machen, dass sein treuester und bester General, der alte Derfflinger, wider spenstig wurde, weil er seine Capitulation für verletzt hielt.
Einen
Schritt weiter gelangte der grosze Churfürst dadurch, dass er, be züglich der Subaltern- Offiziere, deren Ernennung den Obersten zu stand, sich das Bestätigungsrecht vorbehielt. In dem Maasze,
als durch die Heranziehung der Inländer zum
Wehrdienste das ursprüngliche Soldheer sich in ein nationales Con scriptions -Werbeheer verwandelte und sich die Rahmen desselben
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
143
immer mehr erweiterten, entstanden neue Regimenter, die der Chur fürst nunmehr aus eigener Befugniss jenen seiner Offiziere verlieh, auf die er besonderes Vertrauen setzte . Dadurch wurden auch die niederen Offiziere, die ihre Beförderung ausschlieszlich von der Gnade des Herrschers abhängig sahen, zur Ergebenheit gegen diesen und König zu dem Streben nach dessen Wohlgefallen veranlasst. Friedrich I.
verwandelt in
Obersten für die
der
Folge das
Ernennungsrecht der
Subalternen in einen bloszen dienstlichen Vor
schlag und die bisherige landesherrliche Bestätigung in ein Er nennungsrecht.
Nachdem so das gesammte Offiziercorps von der Krone ganz besonders abhängig gemacht und derselben verbunden war, konnte Friedrich Wilhelm I. daran gehen, den Offizierstand nicht blos in dienstlicher, sondern auch in allgemeiner Hinsicht mit einer Schärfe vom Soldatenstande zu scheiden , und ihnen ein Standesbewusstsein einzuflöszen, wie es in keiner anderen Armee, mit Ausnahme etwa der Englischen, erreicht worden ist. Der Offizierstand wurde mit dem einheimischen Adel identificirt und in seiner Totalität für hof fähig erklärt; aus ihm wählte der König seine persönliche Begleitung und die Umgebung seines Hofes . Zur Sicherung eines gediegenen Nachwuchses errichtete er eine Cadetten- Compagnie in Berlin, und verlangte von seinen Generalen, dass jeder derselben einige Pagen in seinem Gefolge halte und zu tüchtigen Offizieren bilde und erziehe. Durch unablässige Inspicirungen überzeugte sich der König von den Leistungen der Offiziere und von den Fortschritten der Cadetten, und tadelte, was ihm nicht wohlgefiel , mit ebenso unzweideutigen Worten, als er seine Zufriedenheit ausdrückte.
Sein eigenes Beispiel
trug viel dazu bei das Offiziercorps seinem Königlichen Herrn con form zu bilden und dessen Angehörigen jene Härte und Rücksichts losigkeit gegen sich selbst und Andere einzuflöszen , welche die kaum vermeidliche Begleiterin strenger Pflichterfüllung zu sein pflegt. Nach diesen wichtigen Fortschritten kam es Friedrich dem Groszen nur noch zu, diesem so gebildeten Offizierstande noch die veredelnde Wirkung seines Geistes aufzudrücken. Er schaffte die Capitulationen, die noch sein Vater mit den Obersten abgeschlossen, ab, und bestätigte sie nur im Allgemeinen, ohne in der Folge mehr neue Capitulationen mit den Regiments - Chefs abzuschlieszen.
Da
der König den Krieg für das wichtigste Ereigniss im Staate hielt, so wendete er den Vorbereitungen dazu und der kriegerischen Thätig keit selbst den Löwenantheil seines Fleiszes und seiner Aufopferung zu .
Er forderte von dem Offiziere vor Allem, dass er ein Ehren
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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der mit Herz und Seele seinem Vaterlande . Er fordert von den zukünftigen Offizieren (in einem
mann sei , ein Bürger, anhänge .
Dialogue de moral ,
1770 für den Commandeur des Cadettencorps
verfasst , dass sie alle ihre Fähigkeiten aufwenden, dem Vaterlande nützlich zu sein, dass sie es aufrichtig wie ihre gemeinsame Mutter lieben und ihren Besitz und ihr Leben opfern, wie es der Vortheil des Vaterlandes verlange. Der Degen des Offiziers und das Portépée wurden als Zeichen des Königlichen Vertrauens angesehen, ohne welches Keiner in oder auszer Dienst zu erscheinen wagen durfte, und ohne welche auch der Monarch, der selbst nie anders als in Uniform erschien,
sich
nicht sehen liesz. Das Tragen dieser Offiziersabzeichen war Keinem der anderen Stände erlaubt.
War schon unter Friedrich Wilhelm I. ein neues Dienst-Regle ment für die Offiziere 1726 publicirt worden, welches dem Gedanken der Pflicht und der neuen Stellung des Offizierstandes entsprechend war, so erfuhr dieses Dienst-Reglement 1743 eine neue Auflage, in welcher unter wiederholter Betonung der Ehre und Pflichterfüllung als der charakteristischen Grundlagen des Standes die Subordination auch unter den Offizieren auf das Strengste verlangt wurde. Es war insbesondere die Zeit zwischen dem zweiten Schlesischen und dem siebenjährigen Kriege, in welcher Friedrich der Grosze sich vorwiegend der Erziehung seiner Armee und namentlich seiner Offi ziere widmete.
Er besuchte oftmals die Regimenter,
verfasste In
structionen für die Generale, Offiziere und Truppen, überzeugte sich bei den Manövern von den gemachten Fortschritten, und drang un ablässig auf weitere Vervollkommnung.
Dagegen liesz er es auch
an Beweisen des Vertrauens und der Anerkennung nicht fehlen .
Im
Kriege aber forderte er unerbittlich die vollste Hingabe jedes Ein zelnen, sparte strenge, ja selbst harte Behandlung nicht gegen Die, mit welchen er unzufrieden war, und machte hierin auch keinen Unterschied in der Charge, denn auch Generale, ja sogar des Königs nächste Verwandten bekamen dies zu verspüren . Er liesz es aber auch an Belohnungen nicht fehlen .
Aber er
gab nie Geldgeschenke, nie Besitzthümer, wenngleich die Bezahlung der Preuszischen Offiziere unter Friedrich dem Groszen nur karg und der Verkauf der Offizierstellen, zu welchen nur lange Dienst jahre und des Königs Zufriedenheit verhelfen konnten, grundsätzlich verboten war.
Die Belohnungen, die König Friedrich gab, bestanden
in Beförderungen, Adelserhebung für Einzelne, Privilegien für her vorragende Thaten an Truppentheile, in dem Orden pour le mérite,
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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der nur für hervorragende kriegerische Handlungen verliehen wurde, endlich in jener glänzendsten aller Belohnungen, die er verleiht in der Vorrede zur Geschichte seiner Zeit , in welcher er sagt : „ Ich werde den unsterblichen Ruhm nicht vergessen, den so viele Offiziere erworben haben, und weihe ihnen diesen schwachen Versuch als ein Denkmal meiner Dankbarkeit , "
und in einer späteren Auflage des
selben Werkes, worin er in der Vorrede gedenkt
der herrlichen
Thaten seiner Offiziere, durch welche sich diese die Unsterblichkeit in der vollsten Bedeutung dieses Wortes erworben haben." Während er bei keiner Gelegenheit den Tadel gegen sich selbst spart, lobt er das ganze Heer bei jedem Anlasse .
Einzelnen Generalen widmete
der König eigene Nekrologe, Schwerin, Winterfeld, Seydlitz, Zieten und Keyth erhielten Bildsäulen in Berlin , eine damals seltene Aus zeichnung, während der König die Bitte seiner Offiziere, ihm selbst ein Denkmal setzen zu dürfen, abschlägig bescheidet. Analog, wie dies in allen anderen Monarchien der Fall war, und aus den gleichen politischen Gründen wie allenthalben, hatte auch in Preuszen mit der Zunahme der Macht der Monarchie der Adel sich bestrebt , seine
verlorene Stellung wieder durch einen
engeren Anschluss an die Krone zu gewinnen.
Mit Vorliebe hatte
er auch hier das Mittel des Eintrittes in die Armee ergriffen, welche durch die ganze politische Aufgabe dieses Staates das Interesse der Fürsten in noch höherem Grade auf sich zog als anderwärts .
Be
sonders war dies der Fall seit der Regierung Friedrich's I., der für die Hebung des Offizierstandes besonders viel gethan, und im Gegen satze
zu den Französischen Kriegen , welche den Adelstand zum
Offizierstand machten, den Offizierstand zum Adel gestaltet hatten , zu einem Adel, ähnlich jenem Dienstadel, der schon in den Heergeleiten sich auf der Basis treuer Hingebung erhoben hat. Das hohe Interesse , welches Friedrich der Grosze dem Kriegerstande widmete, zog den Adel in noch gröszerer Menge heran.
Auch er wollte dem Dienste
des Staates , dem der König selbst alle seine Kräfte weihte, sich hingeben, um das Königliche Wohlgefallen zu erringen ; und da die innere Verwaltung des Staates nur wenige Personen beanspruchte, wendete sich der gröszte Theil des Preuszischen Adels der Armee zu. Mehr die grosze Menge dieses Zuganges als ein Privilegium verursachte , dass fast sämmtliche Offizierstellen mit Adeligen be setzt wurden.
Doch waren auch Bürgerliche nicht ausgeschlossen ,
dieselben wurden aber, wenn sie zu des Königs Zufriedenheit bis zum Hauptmanne hinaufgedient , in den Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
Adelstand erhoben, und 10
146
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
dadurch praktisch die Anerkennung gegeben , dass treue Dienste gegen das Vaterland den Menschen adeln. Unter dem Einflusse, welchen der Königliche Kriegsherr persön lich auf die Offiziere ausübte, war das Herzuströmen so vieler ade liger Elemente der Armee von grösztem Nutzen. die Armee traten nicht um des Erwerbes willen,
Denn da sie in sondern um der
Ehre willen, mit welcher der König die militairische Pflichterfüllung umkleidete, sogen gerade jene Gebildeten und für die Ideale der Pflicht und der Ehre am meisten noch empfänglich gebliebenen Ele mente der Bevölkerung am leichtesten und gründlichsten die Vater landsliebe und das tiefe Pflichtgefühl des Königs in sich auf. So entsteht nun unter Friedrich dem Groszen wirklich ein voll kommener Offizierstand , der dem Könige mit unbedingter Ergeben heit anhängend , sich strenge von den übrigen Ständen des Staates abscheidet, und zwar nicht blos , weil er durch seine Identificirung mit dem Adel und durch sein näheres Verhältniss zum Könige eine höhere sociale, sondern auch durch ein fein gebildetes Ehrgefühl und ein ausgedehntes Pflichtbewusstsein eine höhere moralische Stellung einnahm . Es ist selbstverständlich, dass von einem solchen Offizierstande ein analoger Einfluss nach unten, auf die Soldaten, ausgeübt wurde, und diese Beeinflussung des Soldaten war in Preuszen um so näher gelegt , als schon seit Friedrich Wilhelm I. principiell die Offiziere nicht blos für die Ausbildung der Soldaten, sondern sogar für deren wirthschaftliches Leben verantwortlich gemacht und dadurch ver anlasst wurden, in einem stetigen Verkehre mit ihren Untergebenen diesen ihre eigenen Grundsätze und Empfindungen einzuflöszen . So wurde schon damals zum wesentlichen Unterschiede von anderen Armeen in Preuszen vom frühen Morgen bis zum späten Abende durch die Offiziere exercirt ,
visitirt und inspicirt , und der König
selbst, wie sein treuer Gehülfe, der Fürst Leopold von Anhalt, über zeugten sich fleiszig von den Resultaten dieser Thätigkeit .
Durch
die persönliche Betheiligung der Offiziere und durch den consequenten unablässigen Antrieb zur Arbeit , den sie von oben empfingen ,
ge
wann sowohl die militairische Ausbildung eine in der damaligen Welt unerreichte Höhe der Vollkommenheit , als auch die Offiziere einen Einfluss und eine Bekanntschaft mit ihren Untergebenen,
die
ihnen die vollste Herrschaft über dieselben sicherte.
Unter Friedrich dem Groszen ändert sich dieses Verhältniss nur insofern, als es durch die Veredelung des Offiziercorps und durch den auf die rein praktischen Erfordernisse des Krieges gerichteten
ད”
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
147
Geist des Königs geschah; denn unter der langen friedensreichen Regierung Friedrich Wilhelm I. war zwar die Ordnung und Disciplin in den Regimentern, nicht aber die Kriegsbrauchbarkeit der Truppe aufs Höchste entwickelt : „ Der Soldat polirte seine Flinte und lackirte sein Zeug, der Cavallerist seinen Zaum, seinen Sattel, ja sogar seine Stiefel , die Mähnen der Pferde waren mit Bändern durchflochten, und zuletzt artete die an sich gewiss höchst nützliche Reinlichkeit in den lächerlichsten Missbrauch aus . Wenn der Friede über 1740 hinaus gedauert hätte, so wären wir jetzt wahrscheinlich schon bei der Schminke und den Schönheitspflästerchen. Was aber noch mehr zu beklagen ist, die Hauptgegenstände des Krieges wurden ganz und gar vernachlässigt. "
Friedrich der Grosze wusste bald jene Extra
vaganzen auszumerzen , welche in der Beschäftigung des Soldaten eingerissen waren ; dagegen führte er in die Ausbildung einen höheren Grad von Evolutionsfähigkeit ein, wofür er durch vortreffliche Regle ments und Instructionen , wohl auch durch persönliche Belehrung und Demonstration an Offiziere aller Waffen sorgte. Er setzte dadurch die Offiziere in den Stand, bei der Ausbildung eine Thätigkeit aus zuüben, welche nicht blos für die Erfolge des Krieges unter den damaligen taktischen Verhältnissen von besonderer Wichtigkeit war, sondern auch die geistige Ueberlegenheit der Offiziere über ihre Mannschaft in höherem Grade bewies und dadurch deren Ansehen steigerte. Es ist allerdings wahr, in sanften Formen geschah diese Ein wirkung der Offiziere auf ihre Soldaten nicht.
Die Behandlung war
hart und der Stock spielte keine geringe Rolle.
Aber es war doch
ein groszer Unterschied zwischen dem Geiste ,
der den Stock in
Frankreich und jenem, der ihn in Preuszen schwang.
Dort hand
habte ihn der Offizier, weil er den Soldaten verachtete, und nicht, weil er ihn heben wollte ; hier sollte der Stock das Mittel sein, um die Pflichterfüllung zur Gewohnheit zu machen und den Soldaten, wenn auch nicht auf dem vernünftigen Wege reiner Belehrung,
so
doch auf dem mehr instinctiven der Gewöhnung, moralisch zu heben . Friedrich der Grosze hielt auch die Prügel nicht für etwas Gutes , aber er stellt sie eben jenen anderen unvermeidlichen Uebeln der Weltordnung gleich, welche jedesmal den Weg zu hohen Zielen be gleiten, und welche allerdings Dem gering erscheinen, welcher das Auge auf den Gesammtzweck gerichtet hat. Er sieht in dem schmerz vollen und harten Loose der Soldaten nur die Erfüllung jenes Natur gesetzes , welches dem gröszten Theile der Menschen Mühen und Entbehrungen auferlegt, dem geringeren, scheinbar begünstigten Theile 10 *
148
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
aber die Last der Sorge aufbürdet , die oft noch drückender ist als materielles Leiden. Im Uebrigen hat der König auch bei vielen Gelegenheiten gezeigt , Wohlwollte.
dass
er
seinen Soldaten auch persönlich
Es wäre der Offizierstand unter Friedrich dem Groszen auf den Gipfel gröszter Vollendung gelangt, wenigstens in Beziehung auf sein Verhältniss zum Kriegsherrn, das in der That vollendeter kaum ge dacht werden kann, und das Schaaren tapferer Offiziere in Friedrich's Feldzügen mit dem Opfer ihres Lebens besiegelten.
Aber in Be
ziehung auf ihren Einfluss nach unten sehen wir die Möglichkeit einer Verbesserung, eines Fortschrittes.
Unläugbar ist die Schatten
seite, dass in der militairischen Ausbildung noch ausschlieszlich der Zwang herrscht, und unverkennbar lag ein groszer Fortschritt darin, den Zwang mindestens theilweise zu ersetzen durch Eigenschaften, welche auch die Soldaten inniger dem Kriegsherrn verbinden . Dieser Fortschritt war allerdings bereits
angebahnt : die Ergänzung des
Heeres aus dem Innern der Bevölkerung , und die Dankbarkeit, welche das segensreiche Wirken jener pflichtgetreuen Monarchen bei den Unterthanen fand , waren wohl geeignet , auch die Soldaten mit der Ansicht zu erfüllen, dass es sich bei ihrem Berufe mehr um Er füllung einer heiligen Pflicht , als um eine drückende Last handle. Es ist nicht zu verkennen, wie dieser Gedanke während Friedrich's Regierung immer mehr Wurzel fasst, aber die Zeit seiner Verwirk lichung war noch nicht gekommen. Bevor noch das militairische Pflichtbewusstsein auch in die tieferen Schichten des Heeres ein dringt und hier dem Einflusse pflichtgetreu wirkender Offiziere eine freie Bahn eröffnet, erfährt auch der Preuszische Offizierstand selbst in Richtung seiner besten Eigenschaft einen Rückschritt. Nach dem siebenjährigen Kriege war der König darauf ange wiesen gewesen, die tiefen Wunden, die der Krieg geschlagen, dem Lande wieder zu heilen . Er widmete sich dieser Aufgabe mit der Hingebung seiner ganzen Arbeitskraft , und konnte in Folge dessen Dem war schon
seiner Armee weniger Aufmerksamkeit zuwenden.
die Schaffung der sogenannten Inspectionen entsprungen, welche vor wiegend die Bestimmung hatten , den König von dem persönlichen Verkehre mit den Truppentheilen zu entlasten.
Und doch hätte es
gerade dieses persönlichen Verkehres so nothwendig bedurft.
In
dem siebenjährigen Kriege war die Blüthe des altpreuszischen Offi ziercorps auf den Schlachtfeldern gefallen oder dienstunfähig ge worden ; der unablässige Krieg und die bedeutende Vermehrung der Preuszischen Armee machten es unmöglich, das Offiziercorps aus
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
149
denselben Elementen zu ergänzen, mit derselben Sorgfalt auszuwählen, in derselben Vollkommenheit zu erziehen , wie dies während des zehnjährigen Friedens nach dem zweiten Schlesischen Kriege der Fall war. In Folge dessen kamen viele Ausländer und gar manche Persönlichkeiten, denen es nicht gerade blos um den Stolz der Pflicht erfüllung zu thun war, viele Offiziere, die in Wahrheit diesen Namen nicht verdienten, und kam auch wieder ein egoistischer Geist hinein, der den altpreuszischen Geist verdrängte.
Das erste Anzeichen da
von tritt schon auf in dem Missvergnügen der Compagnie- Chefs mit der Instruction vom 9. Februar 1773, welche ihnen die bis dahin im Frieden bezogenen Löhnungen und Monturgelder sämmtlicher Beurlaubter theilweise nahm , und die Höhe dieser Revenüen bei verschiedenen Regimentern ungleichartig festsetzte.
Es mag viel
leicht hart gewesen sein für viele dieser Männer, welche während des Krieges in Erwartung
der Nutznieszungen des Friedens viel
von ihrem Vermögen zugesetzt hatten, sich in ihren Hoffnungen ge täuscht zu sehen .
Aber war es nicht schon ein eigennütziges Motiv,
Vermögensopfer zu bringen, weil man sie später vielleicht mit reichen Zinsen zurückzuerhalten hoffte, und waren nicht ganz andere Opfer von jenen Compagnie - Chefs gebracht worden ,
welche nicht blos
Theile ihres Vermögens, sondern ihre Gesundheit und ihr Leben im Kriege zugesetzt hatten ?
Man ist demnach wohl berechtigt, schon
diese Unzufriedenheit als ein Symptom moralischer Verschlechterung anzusehen.
Folgerichtig hiervon zeigt sich baldigst das Bestreben,
die entzogenen Einkünfte auf ungesetzliche Weise wieder hereinzu bringen und eine Praxis in die Armee einzuführen, welche alle Unter schleife der zünftigen Werbung wieder ins Leben rief und den Sinn für Ehre unter dem Schutte der Gewinnsucht begrub, die metho dische Fälschung der Rapporte und Listen. Einen traurigen Beleg hierfür bietet ein Circular Friedrich Wilhelm II . vom 17. Februar 1787, worin der König dem Offiziercorps die Fälschung der Listen um des Gewinnes willen vorwirft, „ anderer noch ungleich dunklerer Flecken der Armee nicht zu gedenken, worüber die häufigen De nunciationen und die befremdliche Menge schmutziger Processe in verschiedenen Regimentern ein höchst widriges Licht vor der Welt verbreitet haben. " Vergebens versucht der König die Haupt ursache dieser Entartung in den zerrütteten Vermögensumständen und dem dadurch erzeugten Eigennutz und der Habgier zu erkennen, und ihr durch Verbesserung der Bezüge der Offiziere und strengstes Verbot des Schuldenmachens entgegenzuwirken.
Aber der eigent
liche Grund des Uebels lag in der Menge der Fremden, welche der
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
Armee zugeströmt waren, ohne den charakteristischen Geist des einheimi schen Adels mitzubringen, welche nur die Gesinnung von geld- und ruhmgierigen Abenteuerern eingeschleppt und dem Offizierstande seinen einheitlichen, vaterländischen Typus der Ergebenheit gegen den Kriegsherrn, als den Vertreter des Heimathsstaates , genommen hatten. Die Pflege der Subordination unter solchen Elementen ent fernte sich in Folge dessen von jener edleren Auffassung , welche den dem Vorgesetzten erwiesenen Gehorsam als einer höheren Sache erwiesen ansieht, die über beiden steht.
An Stelle dessen trat das
Verhältniss der Abhängigkeit des Untergebenen von der Person seines Vorgesetzten, wie es im Söldnerheere bestand, und wie es den Ge horsam nicht nur gegen dessen dienstliche Befehle, sondern auch gegen dessen dienstwidrige Forderungen und Ansichten als Pflicht erklärte.
Das allerdings vorbehaltene Klagerecht des Untergebenen
war damit zu einer leeren Form geworden, denn das Schicksal der Subaltern- Offiziere war so sehr in die Hand ihrer Vorgesetzten ge legt, wie es nur in den blühendsten Zeiten der Feldobersten statt gefunden hatte, und die Schicksale York's und Blücher's lehren, dass selbst starke Charaktere nicht immer Anerkennung fanden. So geht unter dem Drucke der Entnationalisirung und der Ge winnsucht der Offiziere, sowie bei der geringeren persönlichen Be theiligung des Regenten an der Erziehung des Offizierstandes derselbe auch in einer Armee, in welcher er schon eine der höchsten Stufen erklommen zu haben scheint, zurück . Als 1806 Preuszen jene Kata strophe erfuhr, durch die es an den äuszersten Rand des Verderbens gerieth, da war es nicht blos die geistlose Anwendung der über lebten Form der schiefen Schlachtordnung , durch welche die Preu szische Armee eine bis dahin noch kaum dagewesene Niederlage erlitt ; sondern der Grund , warum nach den Schlachten bei Jena und Auerstädt die Armee sich so vollständig auflöste, lag zum groszen Theil in den Mängeln, welche dem Offiziercorps aus den erwähnten Ursachen anhafteten. *) (Schluss folgt.)
*) Auf Seite 11 dieses Aufsatzes muss es in der Zeile 21 „ Lebensansprüche“ anstatt „ Lehensansprüche, auf Seite 22 letzte Zeile „auf der“ anstatt „ auszer“ heiszen .
Die Correspondenz Napoleons I.
151
X.
Die Correspondenz Napoleons I. unter besonderer Berücksichtigung seines Briefwechsels in der zweiten Hälfte des Jahres 1805. (Fortsetzung.) *) Während die grosze Armee nach den mitgetheilten Dispositionen in Marsch gesetzt wurde , verweilte der Kaiser in Boulogne. Ein mal um, wie schon gesagt, selbst die Ausführung des Befohlenen zu controliren, dann aber, um der ausgestreuten Nachricht , dass nur ein 30,000 Mann starkes Observationscorps auf Straszburg marschire, mehr Wahrscheinlichkeit zu verleihen. Am 2. September verliesz er das Lager von Boulogne, langte Tags darauf bei der Kaiserin Josephine in Malmaison an und verweilte 20 Tage, theils auf diesem Luftschlosse, theils in Paris . Von hohem Interesse ist es, die emsige Thätigkeit zu beobachten, die er hier entfaltete, und die sich be sonders auf die Finanzen, die Verwendung der Nationalgarden, Bil dung einer Reserve und auf die Führung der Regierung während seiner Abwesenheit erstreckte. Es ist unglaublich, mit welch' ein gehender Sachkenntniss der Kaiser alle Fragen der Verwaltung der Finanzen, sowie alle organisatorischen behandelte. Besonders inter essant sind seine Erlasse an Herrn Barbé Marbois hinsichtlich der vorzunehmenden Finanzoperationen und sein Geschick Geld aufzu bringen , dessen er für die Füllung der Kriegscasse dringend be Die Führung der Regierung wird einem Reichskanzler durfte. anvertraut und den Ressort- Chefs die Erstattung wöchentlicher, wenn nöthig täglicher Meldungen auferlegt. So konnte der Kaiser, auch 100 Meilen fern von der Hauptstadt, das Scepter der Regierung mit sicherer Hand führen, und that es. Inmitten all' dieser Beschäftigungen lag dem Kaiser nun auch ob für die Operationen der Armee in Italien einen Plan zu ent werfen. Bei dieser Gelegenheit tritt gleichfalls die Schärfe seines Ge dankenganges und die prägnante Kürze des Ausdruckes charak teristisch hervor.
Wir entnehmen der vom Generalstabschef des
Kaisers, Marschall Berthier, an Massena, der in Italien commandirte,
*) Vergl. Jahrbücher Band XX, Seite 23 (Juli 1876).
152
Die Correspondenz Napoleons I.
gerichteten Instruction folgende Stelle, welche die Wiedergabe der Worte des Kaisers enthält. 99 Unter den jetzigen Umständen, " schreibt der Marschall, nachdem er Massena über die Bewegungen der groszen Armee informirt hat, "" kann ich Ihnen nur die eigenen Ausdrücke des Kaisers übermitteln " :
99 Wenn ich in Italien wäre, so würde ich meine Armee in sechs Divisionen, jede zu 7000 Mann Infanterie, 1000 Mann Cavallerie und Artillerie formiren. Ich würde meine Cürassiere mit einem oder zwei Dragoner- Regimentern als Reserve lassen. " „Vom 29. zum 30. September würde ich geräuschlos vor Tages anbruch auf der alten Brücke übergehen ; ich würde alle Höhen von Verona, die Stadt selbst wegnehmen, eine Cürassier-Reserve hinein gehen lassen und, je nach den Ereignissen, den Feind, den Degen in der Faust ,
verfolgen,
oder meine Positionen mit dem rechten
Flügel an der Etsch, mit dem linken an den Bergen nehmen,
ent
gegengesetzt denen, die der Feind etwa auf den Höhen von Caldiero einnehmen könnte, wenn er stark wäre."
99 Wie stark auch der Feind sei , er muss viel Truppen Padua und Legnago gegenüber behalten ; auch in Tyrol muss er welche behalten, deshalb kann er am Tage der Schlacht unmöglich mehr als 30,000 Mann in Verona und auf den Höhen haben . " „ Endlich ist bei diesem Manöver keine Gefahr vorhanden, da die alte Brücke durch ein gutes Werk und durch eine gute Batterie ge deckt ist ; man kann also unter diesem Schutze die Etsch über schreiten. " „ Hätte man sich Verona's bemächtigt, dann würde keine Gefahr mehr im Gefolge sein, da die ganze Enceinte als Brückenkopf dienen würde, und man durch Armirung der Wälle und Thürme durch einige Geschütze immer die Vereinigung der Armee decken könnte. " Inzwischen nähern sich die Corps bis auf einen Tagemarsch dem
Rheine. Am 23. September tritt der Kaiser in den Senat und kündigt in hochtrabenden Worten nun endlich die bevorstehenden kriegeri schen Ereignisse an. Wir heben diese Rede nur hervor, um zu zeigen, mit welchem Geschicke er seinem Volke gegenüber die Rolle des
unschuldig Gekränkten zu spielen verstand und sich die Sym pathien des Volkes und des Heeres zu erwerben wusste. 29 Die Wünsche der ewigen Feinde des Festlandes sind erfüllt, der Krieg hat mitten in Deutschland seinen Anfang genommen. Oesterreich und Russland haben sich mit England vereinigt, und das
gegenwärtige Geschlecht ist aufs Neue allen Schrecknissen des Krieges preisgegeben.
Noch vor wenigen Tagen hoffte ich, der Friede werde
Die Correspondenz Napoleons I.
153
nicht gestört werden ; ich ertrug Drohungen und Beleidigungen, aber die Oesterreichische Armee hat den Inn überschritten, München ist besetzt , der Kurfürst von Bayern aus seiner Heimath vertrieben ! Die Bosheit unserer ewigen Feinde hat sich enthüllt ; sie fürchteten meine Friedensliebe. Ich seufze über das Blut, das Europa dieser Krieg kosten wird, aber der Französische Name wird dadurch neuen
Glanz
gewinnen.
Obrigkeiten ,
Soldaten ,
Bürger, alle wollen das Vaterland frei erhalten vom Einflusse Eng lands, welches , wenn es die Oberhand gewänne, uns nur einen Frieden voll Erniedrigung und Schande zugestehen würde , und dessen Hauptbedingungen wären : Verbrennung unserer Flotten, Ver schüttung unserer Häfen, Vernichtung unserer Industrie. Alle Ver heiszungen, die ich dem Französischen Volke machte, habe ich auch gehalten, sowie seinerseits das Französische Volk keine Verpflichtun gen auf sich nahm , die es nicht übertroffen hätte .
In diesen für
seinen und meinen Ruhm so wichtigen Verhältnissen wird es fort fahren den Namen der „groszen Nation " fernerhin zu verdienen, mit dem ich es auf den Schlachtfeldern begrüszte. " „Franzosen !
Euer Kaiser wird seine Pflicht thun,
meine Sol
daten die ihrige, Ihr die Eurige. " Mit ähnlichen Proclamationen begrüszte er die „ Völker Italiens ", sowie seine .. grosze " und die Italienische Armee. Nachdem so der Kaiser während seines zwanzigtägigen Aufent haltes in Paris alle Angelegenheiten geregelt, bricht er am 24. Sep tember von der Hauptstadt auf und trifft am 26. in Straszburg ein . Zu derselben Zeit erscheinen
bereits die
Spitzen seiner Marsch
colonnen bei Würzburg, Mainz und Straszburg.
Bereits am 25. Sep
tember überschreitet das Corps Lannes den Rhein bei Kehl und ge winnt durch einen Gewaltmarsch Rastadt, während einige Divisionen der Reserve-Cavallerie unter Murat , welche gleichfalls bei Kehl den Rhein überschritten hatten, im Kinzig - Thal aufwärts zogen, als wären sie die Vorhut der Französischen Armee, welche den Schwarz wald überschreiten wollte.
Es gelang die
Oesterreichische Armee
unter Feldmarschall - Lieutenant Mack zu täuschen.
„Die Oester
reicher, " schreibt der Kaiser am 27. September von Straszburg aus seinem Minister Talleyrand , „ stehen an den Ausgängen des Schwarz waldes.
Wollte Gott, sie blieben da ; meine einzige Befürchtung ist,
dass wir ihnen zu viel Furcht einflöszen.
In weniger als 14 Tagen
werden wir grosze Dinge erleben." Mit prophetischer Stimme kündete so der Kaiser das Schicksal der Oesterreichischen Armee im Voraus an .
Die Correspondenz Napoleons I.
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Nicht eher verliesz Napoleon Straszburg , als bis er seine Ma gazine und Reserven unter Bedeckung einer Infanterie - Division in Bewegung gesehen hatte . Von seinen Garden umgeben überschreitet er dann am 1. October den Rhein und betritt Badisches Gebiet. Der Anschluss Badens , sowie Würtembergs an Frankreich konnte nach den Vorbereitungen, die der Kaiser durch seine Abgesandten an diesen Höfen hatte treffen lassen, keinem Zweifel mehr unterliegen, und wären solche noch vorhanden gewesen, so genügte das Er scheinen des Französischen Machthabers , um Fürsten , wie Karl Friedrich von Baden und Friedrich von Würtemberg , ihm völlig unterwürfig zu machen. Vom 2. bis 6. October verweilte der Kaiser in Ludwigsburg.
Der Marsch aller Colonnen war so angeordnet, dass
sie sämmtlich vom 6. bis 7. October in der groszen Ebene eintreffen mussten, welche sich zwischen Nördlingen, Donauwörth und Ingol stadt auf dem linken Ufer der Donau ausbreitet. Bis dahin musste die Oesterreichische Armee unter Mack möglichst in Täuschung er halten bleiben. Dies gelang . Am 6. October stand die Französische Armee bereits im Angesichte der Donau hinter der Position von Ulm ; General Mack war überflügelt , nicht mehr möglich.
seine Verbindung mit den Russen
Noch am 6. October Abends bemächtigt sich
die Vorhut der Division Vandamme des Donauüberganges bei Donau wörth, und damit ist das Gelingen der Pläne des Kaisers so gut wie gesichert.
Schon am 7. October Abends stehen die Corps Soult und
Lannes, sowie fast die ganze Cavallerie - Reserve, 65,000 Mann, auf dem rechten Ufer.
eine Masse von
Am 8. October überschreitet
Davoust die Donau bei Neuburg , mit ihm die Kürassier - Division d'Hautpoul , hinter ihm am 9. das Corps Marmont, mithin sind vier volle Corps und zwei Cavallerie-Divisionen am 9. auf dem rechten Donauufer im vollen Marsche auf Augsburg und München !
Die Anordnung dieser Märsche, wie des ganzen Feldzugsplanes, der Aufmarsch der Armee in der Bayerischen Ebene und der wenige Tage darauf durchgeführte Donauübergang gehören jedenfalls zu den genialsten strategischen Combinationen aller Zeiten. Es sei hier daran erinnert, dass der Kaiser schon im August von Boulogne aus an Talleyrand geschrieben hatte, er werde mit 200,000 Mann in Deutschland erscheinen, ehe man sich's versähe, und werde die Oesterreichische Armee von einer ganz anderen Seite angreifen, als sie es erwarte. Nun war wirklich erfüllt , was er sechs Wochen vorher verheiszen hatte. Verfolgen wir nun den Kaiser in seiner Thätigkeit während des Vormarsches der Armee vom Rheine an die Donau. Wir müssen
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Die Correspondenz Napoleons I.
hier besonders hervorheben, wie er im täglichen unausgesetzten Ver kehre mit seinen Marschällen blieb , wie er täglich umfassende In structionen an sie erliesz, wie er Jeden über die Lage des Anderen. zu unterrichten bemüht war, und wie er sie so unausgesetzt in Klar heit über die Situation im Ganzen versetzte. Diesem Umstande dürfen wir wohl nicht mit Unrecht das verständnissinnige Zusammen wirken der einzelnen Marschälle zuschreiben. In seinem rastlosen Geiste begleitete der Kaiser jedes einzelne Corps auf seinen Märschen. In seinem Arbeitszimmer waren stets die besten Karten zu finden, und täglich, ja stündlich vergegenwärtigte er sich die Lage seiner Armee. Von Nördlingen aus , wohin er sich am 7. October über Ludwigsburg und Aalen begeben hatte, - man sieht aus diesem Quartierwechsel, dass der Kaiser auch mit Energie zu reisen wusste, -— erlässt er am 7. October das erste Bulletin der groszen Armee, in welchem er die Ereignisse von seiner Abreise von Paris ab in ge drängter Kürze vorführt und die Armee über ihre augenblickliche Und wie er seine Armee durch ge Stellung in Kenntniss setzt. schicktes Schmeicheln am richtigen Orte stets zu neuer Thätigkeit zu ermuntern wusste, so stachelte er auch seine Generale selbst nach den gröszten Erfolgen immer zu neuen Thaten an und bewahrte sie davor, sich Ruhe zu gönnen. So schreibt er an Davoust aus Donau wörth am 8. October : „ Herr Vetter, heut früh um 8 Uhr war Nie mand in Neuburg und Sie hatten es noch nicht besetzt ?
Ich sehne
mich darnach, endlich Ihre Armee dort angelangt zu wissen. Ich muss sie morgen im Laufe des Tages bei Aichach versammelt haben" u. s. f. Es liegt nicht in den Grenzen der gestellten Aufgabe, den ver wickelten kriegerischen Ereignissen der Tage vom 6. zum 17. October, an welchem letzteren Tage die Katastrophe der Oesterreichischen Armee sich durch die Capitulation von Ulm vollzog , im Detail zu verfolgen. Wenn auch die Energie und Folgerichtigkeit der Handlungen des Kaisers den Erfolg im Groszen schon von dem Moment ab sicher gestellt hatte, wo seine ersten Corps die Donau überschritten, so verdankt Napoleon I. dennoch die Vollständigkeit des Erfolges , die Vernichtung der Oesterreichischen Armee , der grenzenlosen Ver blendung des feindlichen Oberfeldherrn, des Generals Mack.
Denn
nachdem der Kaiser fast sein ganzes Heer auf das rechte Donauufer gezogen hatte, war er, wie sein Briefwechsel unzweifelhaft beweist, im zweifachen Irrthume über die Pläne des Oesterreichischen Ober feldherrn, was übrigens gewiss verzeihlich erscheint, wenn man sich die Unnatur der strategischen Combinationen eines Mack vergegen
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Die Correspondenz Napoleons I.
wärtigt. Einmal glaubte der Kaiser Mack im Rückzuge nach Tyrol, dann hinter der Iller concentrirt. Seine Absicht war deshalb, zu nächst bei München bedeutende Kräfte zu versammeln, um in allen Fällen den Russen den Weg zu vertreten, mit dem Reste
seiner
Armee aber die Oesterreicher bei Ulm einzuschlieszen, oder sie in ihrem Rückzuge nach Tyrol zu verfolgen.
Dieser zweiten Voraus
setzung entsprechend , führt er dann später, als die von den Russen drohende Gefahr sich als beseitigt erweist, sein vereinigtes Heer gegen die Iller, um dort Mack eine Schlacht zu liefern, während das linke Ufer der Donau fast ganz vernachlässigt wurde , welchen Napoleon
ein Fehler,
selbst später eingestanden hat und der einem
thätigen Feinde gegenüber sich leicht empfindlich hätte strafen können . Der Oesterreichische Oberfeldherr aber liesz drei kostbare Tage (vom 11. bis 13. October), während welcher er die Donau über schreiten und nach Böhmen entfliehen konnte, unbenutzť. Indess auch einem Napoleon können wir diesen Fehler nicht anrechnen ; denn sobald er am Abende des 12. Octobers sich von der wahren Sachlage überzeugt, übersieht er sofort mit der ihm eigenen Klarheit die Situation und erlässt nun mit voller Bestimmtheit die Maaszregeln, die wieder die Garantie des Erfolges in sich tragen. Das freiwillig aufgegebene linke Donauufer wird durch das blutige Gefecht bei Elchingen wieder gewonnen und mit Windeseile die Con centration der Truppen derartig angeordnet , dass ehernen Umarmung des rinnen kann .
Französischen
Heeres
der Feind der
nicht
mehr
ent
Das ist das Grosze in der Kriegführung des Kaisers während der Tage bei Ulm, dass er stets den Hauptzweck richtig erkannte und, ihn fest im Auge behaltend , sich durch keine untergeordneten Umstände davon abschrecken liesz, ihn mit Energie zu verfolgen. Es ist charakteristisch ,
mit welcher Festigkeit und Sicherheit der
Kaiser an den unbedingten Erfolg seiner Combinationen glaubt. „ Es handelt sich nicht darum, " schreibt er schon am 12. October früh den bei Memmingen stehenden Marschall Soult ,
„ den Feind zu
schlagen , es darf kein Einziger entkommen.
Theilen Sie
ihren versammelten Truppenführern mit, dass, wenn ich den Feind nur hätte schlagen wollen, es nicht so vieler Märsche und Strapazen bedurft hätte, dass ich ihn aber ergreifen will, und dass es mein Wille ist , dass von diesem Heere, welches zuerst den Frieden ge brochen und unseren Kriegsplan zur See vereitelt hat , nicht ein Mann übrig bleibe , um die Nachricht der Niederlage nach Wien zu bringen, und dass der treulose Hof, der durch Englands Geld
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bestochen wurde, erst davon hören soll, wenn wir unter seinen Mauern stehen werden. " Zwei Stunden später schreibt er an Murat : „Après demain l'armée autrichienne aura existé et ce terrible coup 66 aura mis un terme à toute la guerre." Dann am 13. October be reitet er sein gesammtes Heer in einer Proclamation auf die kom menden Tage vor und stachelt ihren Ehrgeiz mit allen erdenklichen Künsten an. So hochtrabend diese Proclamation ist , so giebt sie doch im Groszen und Ganzen eine wahre und richtige Beurtheilung dessen, was die Französische Armee seit Ende August geleistet hatte. ,, Soldaten," heiszt es unter Anderem darin, „ der morgende Tag wird hundert Mal berühmter werden, als der von Marengo ; ich habe den Hätte ich den Feind nur Feind in dieselbe Lage versetzt · besiegen wollen, dann hätte ich nicht geglaubt an Euren Muth, an Eure Liebe für das Vaterland und für mich appelliren zu müssen ; aber ihn besiegen , wäre
eine That ,
die weder Eurer
noch Eures Kaisers würdig ist. Es darf kein Mann von der feindlichen Armee entkommen. " Aber auch hier denkt der Kaiser inmitten des gröszten Erfolges nie an ein Ausruhen auf den errunge nen Lorbeeren. Je vous félicite du succès que Vous avez obtenu ; mais point de repos , poursuivez l'ennemi l'épée dans les reins et coupez lui toutes les communications ," schreibt er am 17. October an Murat , der eben Glänzendes geleistet hatte. Auch hierin docu mentirte sich die Grösze des Kaisers als Feldherr, dass er nicht, nur zu siegen, sondern auch den Sieg zu benutzen , vortrefflich verstand. Charakteristisch und sehr richtig beurtheilt er auch die Art seiner Operationen, wenn er im sechsten Bulletin der groszen Armee, welches den Hergang der Capitulation von Ulm schildert , einem seiner Soldaten die Worte in den Mund legt :
" L'empereur a trouvé
une nouvelle méthode de faire la guerre, il ne se sert que de nos jambes et pas de nos baïonnettes . "
Und wenn er denselben am
Schlusse sagen lässt : „ou peut faire l'éloge de l'armée en deux mots : elle est digne de son chef," so klingt dies allerdings sehr anmaaszend, ist aber darum nicht unrichtig. Wir beschlieszen hiermit unsere Angaben über die Thätigkeit des Kaisers während des ersten Theiles des Feldzuges von 1805. Es bedarf hierbei wohl kaum der Erwähnung, dass die wenigen Proben, welche in der vorstehenden Auseinandersetzung von der Thätigkeit des Kaisers gegeben wurden, nur ein sehr schwaches und unvollständiges Bild derselben haben entrollen können.
Man kann sagen, dass nicht ein
einziger Brief aus dieser ereignissreichen Zeit ohne Bedeutung und
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Die Correspondenz Napoleons I.
Interesse ist. -
Ich möchte zum Schlusse noch eines Schreibens er
wähnen, welches der Kaiser am 19. October an seine Gattin richtete, und welches , mit Ausnahme eines , das er von Ludwigsburg an sie sandte und das durch seine lakonische Kürze tout va bien, je t'aime - charakteristisch ist , das einzige Lebenszeichen bildet, welches der thätige Mann seiner Gattin gab.
Dieser Brief beweist
uns zugleich , wie sehr der Kaiser auch durch die äuszerste eigene persönliche Anstrengung seine Erfolge erkaufen musste, ein Grund mehr, um seine schriftliche Thätigkeit während dieser Operationstage zu bewundern. Das Schreiben datirt aus der Abtei Elchingen vom 19. October und lautet : „ Ich bin, meine liebe Joséphine, mehr ermüdet gewesen, als nöthig war. Acht Tage beständigen Wassers auf dem Körper und kalter Füsze haben mir etwas Schaden gethan ; aber der heutige Tag, an dem ich nicht ausgegangen bin, hat mich wiederhergestellt. “ „ Ich habe meine Absicht erfüllt . Ich habe die Oesterreichische Armee durch einfache Märsche zertrümmert, habe 60,000 Gefangene gemacht, 120 Kanonen, über 90 Fahnen und mehr als 30 Generale genommen. "
99 Ich bin im Begriffe, mich gegen die Russen zu wenden. Sie sind verloren. Ich bin mit meiner Armee zufrieden. Ich habe nur 1500 Mann verloren, wovon zwei Drittel leicht verwundet. " „ Adieu , liebe Joséphine, tausend Grüsze überall. Karl eilt zum Schutze von Wien herbei. "
Der Prinz
„ Ich denke, dass Massena in diesem Augenblicke in Vicenza sein muss. Von dem Augenblicke ab, wo ich für Italien ruhig sein werde, werde ich Eugen schlagen lassen. Tausend Grüsze an Hortense.“ Napoleon. Wenden wir uns nun weiter, um den Kaiser auf dem zweiten Theile seiner Siegesbahn des Jahres 1805 nach Austerlitz zu geleiten.
II.
Der Feldzug von Austerlitz. „ Nous ne nous arrêterons pas là , Vous êtes impatients de com mencer une seconde campagne, " das waren die Worte, mit denen Kaiser Napoleon I., auf die Russische Armee hindeutend , in einer Proclamation vom 21. October 1805 seine Truppen zu neuer Thätig keit berief.
Der Grundgedanke seines Feldzugsplanes, die Trennung
der Oesterreicher von den Russen war verwirklicht, Oesterreichs Heer bei Ulm war vernichtet,
es galt nun den Russen
dasselbe
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Die Correspondenz Napoleons I.
Schicksal zu bereiten . Mit derselben ungestümen Energie, mit welcher er den Feldzug begonnen und sein Heer von den Ufern des Canals. in die Ebenen der Donau verpflanzt hatte, nahm er jetzt den zweiten Theil seiner Aufgabe in Angriff.
Bis zum 21. October ordnete er
in seinem Lager bei Elchingen auf dem linken Donauufer, zwei Meilen von Ulm, die mit der Uebergabe des Platzes und der feind lichen Armee verbundenen Geschäfte, dann verlegte er am 22. sein Hauptquartier nach Augsburg, am 25. nach München. Trotz des glänzenden Erfolges , den der Kaiser genau so, wie er vorausgesagt , in einer Frist von kaum zwei Monaten errungen hatte, war seine Lage und die weitere Fortsetzung des Krieges doch keineswegs ohne Gefahren.
Nahm er, wie er dies thun musste, an,
dass Russland seinen Verpflichtungen Oesterreich gegenüber betreffs der zu stellenden Hülfscorps vollständig nachkommen würde, so hatte er immer noch ein achtunggebietendes Heer von nahezu 140,000 bis 150,000 Mann zu erwarten, das, zum Schutze der bedrängten Oester reichischen Hauptstadt vereinigt , in fester Position zu bekämpfen war. Der Weg zur feindlichen Hauptstadt führte durch das Fluss gebiet der Donau, von deren bedeutenden Zuflüssen nicht weniger als vier zu überschreiten waren, eine für die noch fast 150,000 Mann starke Armee des Kaisers keineswegs leichte Aufgabe .
Beinahe
100 Deutsche Meilen trennten das Französische Heer in seiner augen blicklichen Aufstellung von der vaterländischen Hauptstadt , andere 60 waren bis zu dem neuen Operationsobjecte - Wien zurück zulegen .
Seine rückwärtigen Verbindungen liefen durch Länder,
welche durch die Schwachheit ihrer Fürsten und durch ihre unglück liche Lage sich
allerdings unaufhaltsam ihm hatten anschlieszen
müssen, auf deren Treue jedoch bei einem Misserfolge der Französi schen Waffen nicht mit Sicherheit gebaut werden konnte.
Dann lag
in der Flanke der Richtung des Vormarsches das Gebirgsland Tyrol, dessen Bewachung ebenfalls die Zurücklassung beträchtlicher Kräfte erforderte, und die Abberufung des 60,000 Mann starken Oester reichischen Heeres unter Erzherzog Carl aus Italien war zu er warten, wodurch das feindliche Heer eine dem Französischen min destens gleichkommende Stärke erreicht hätte.
Endlich stand nach
der Preuszischen Note vom 14. October zu befürchten, dass dieser Staat binnen Kurzem in den Kampf der Coalition gegen Napoleon auf Seite der Verbündeten eintreten würde, und die Gefahr einer Englischen Landung in Holland begann gleichfalls im Hintergrunde aufzutauchen. Das ungefähr war die Lage des Kaisers .
Einen minder kühnen
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Die Correspondenz Napoleons I.
und genialen Feldherrn hätten solche Erwägungen leicht von einer allzuschnellen Verfolgung neuer Angriffspläne zurückschrecken und zu einer mehr abwartenden Haltung veranlassen können.
Für einen
Feldherrn der Initiative, wie Napoleon dies war, konnten derartige Umstände kein Hinderniss bieten. Sein Operationsziel war und blieb die feindliche Hauptstadt Wien. In Augsburg und München war die Thätigkeit des Kaisers zu nächst auf die Organisation der Verpflegung und der Etappenlinien gerichtet.
Aber auch für untergeordnetere Zwecke, wie die Ver
wendung der nach Frankreich abzuführenden Gefangenen, fand er Zeit. "7 Fast 70,000 Gefangene begeben sich nach Frankreich, " schreibt er an Champagny, den Minister des Innern ;
„ schreiben Sie an die
Präfecten, damit die Besitzer, welche solche Leute zur Arbeit auf ihren Gütern verwenden wollen , ihre Forderungen anmelden , und damit man die Gefangenen in die verschiedenen Departements zer streuen kann. " Dann organisirt er ein vollständig geregeltes Contributionssystem unter eigens zu diesem Zwecke eingesetzten Behörden. Ein „corps des inspecteurs aux revues de la levée des contributions " übernimmt unter der Leitung des Herrn Villemanzy als inspecteur en chef die Eintreibung von Contributionen an Geld und Naturalien. Des ersteren Für die Verwaltung der
namentlich bedurfte der Kaiser dringend.
in Schwaben gelegenen Güter des Oesterreichischen Hauses wird gleichfalls ungesäumt ein Generalintendant eingesetzt. Augsburg wird zu einem Hauptdepot und Magazinplatze ein gerichtet, in Eile befestigt und mit Ulmer Geschützen armirt. „ Richten Sie, " schreibt er hierüber an den Artillerie- General Songis, „ daselbst ein kleines Arsenal ein, einen groszen Feuerwerkssaal, ein Patronen und Pulvermagazin, Sattlerwerkstätten für Ihre Geschirre, kurz für alle Gegenstände, welche ich in dieser Stadt halten will .
Richten
Sie daselbst eine Waffenhalle ein, eine Büchsenmacherwerkstatt, und vereinigen Sie an dem Platze die Gewehre und Kanonen, welche den Oesterreichern abgenommen worden sind. "
In gleicher Weise
beschäftigt ihn die Sorge für die Verpflegung . Schon früher hatte der Kaiser mit einem Privatunternehmer über die Gestellung von Wagencolonnen Contracte abgeschlossen, und unter dem 24. October schreibt er an den intendant général Petiet : „ Ich denke, dass in 18 Tagen die Transportmittel der Breidt'schen Gesellschaft in Augsburg angekommen sein werden .
Ich wünsche, dass Sie bis dahin in
Augsburg eine Million Biscuit- Portionen, genügend Oefen, um täglich 80,000 Stück zu backen, und Mehl in Magazinen für zwei Millionen
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Portionen haben , ferner 300,000 Scheffel Hafer und 100,000 Maasz Branntwein. " „Augsburg ist ein starker Platz .
Ich lasse ihn befestigen .
Er
wird immer mit Truppen versehen sein, um sich im Falle eines An griffes zu vertheidigen.
Ich habe es als letzten Evacuationsort für
Verwundete und Kranke bestimmt .
Man muss dort alle Magazine
centralisiren. Ich kann diese wichtigen Dinge nicht genug empfehlen. Die geringste Vernachlässigung , die geringste Verspätung kann für das Heer und das Reich die verderblichsten Wirkungen haben. " Eine Stunde später schreibt er an denselben Herrn Petiet in Be kleidungsangelegenheiten : „ Stellen Sie 5000 Paar Schuhe zur Ver fügung des Generals Marmont, damit er sie an sein Corps vertheilen kann . Schicken Sie 5000 Paar nach München zur Vertheilung an Schicken Sie 3000 nach das Armeecorps des Marschalls Soult. Landshut und lassen Sie dieselben morgen mit Tagesanbruch ab gehen ; diese Schuhe sind für die Division Oudinot vom Corps Lannes bestimmt.
Lassen Sie ebenfalls morgen 1000 Paar Schuhe unter
meine Garden vertheilen und , da Augsburg die Lieferung derselben nicht leisten kann, so sehen Sie ob Ulm, Donauwörth oder irgend eine andere Stadt Ihnen mehr Hülfsmittel bietet, und richten Sie sich darauf ein, auszer den an die Corps zu liefernden Schuhen einige Nichts ist so wichtig
50,000 Paar vorräthig zu haben. als dies."
Die Wahrheit dieses letzten Satzes zu bestätigen, bedarf es für jeden Militair wohl keiner weiteren Erörterung . Interessant für uns bleibt es aber, dass ein für den Feldherrn trotz seiner groszen Wichtigkeit so secundärer Gesichtspunkt so detaillirt vom Kaiser in eigener Person besprochen wurde , und dass er auch hierzu in einem Augenblicke Zeit fand ,
wo umfassende Pläne für die Fort
setzung des Feldzuges seinen Geist hinreichend beschäftigen mussten . Diese Fähigkeit mit den genialsten strategischen Combinationen eine bis ins kleinste Detail gehende Sorge für Truppenführung , Ver waltung und Verpflegung zu verbinden, und trotzdem sich nie zu zersplittern , diese Fähigkeit giebt ihm das Gepräge eines auszer gewöhnlichen Feldherrn Der Kaiser hatte, wie erwähnt, nach erfolgter Uebergabe Ulms bereits am 22. October 1805 sein Hauptquartier nach Augsburg ver legt. Ungesäumt setzte er nun seine Corps gegen den Inn in Marsch. Mit Ausnahme Bernadotte's , der während der Operationen um Ulm herum bei München stehen geblieben war, um Kienmayer's Corps und die Russen zu beobachten, und der auf der Verfolgung des Erz 11 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
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Die Correspondenz Napoleons I.
herzogs Ferdinand begriffenen Reiterei Murat's Corps um Ulm herum.
standen alle seine
Bereits am 25. October erreichten die Corps
von Davoust und Soult, sowie die Kaiserlichen Garden die Bayerische Hauptstadt , wo an demselben Tage der Kaiser sein Hauptquartier aufschlug. Ihnen folgten die Corps von Marmont und Lannes und das aus der Gegend von Nürnberg zurückkehrende Reitercorps des Prinzen Murat. Das 6. Corps Ney brach am 26. October von Ulm nach Landsberg am Lech zum Angriffe von Tyrol auf. Bei dieser Vorwärtsbewegung der Armee liesz der Kaiser nur die unberittenen Dragoner mit fünf Bataillonen Infanterie, sowie vier Escadrons Bayern an der oberen Donau zurück, ein Beweis, dass die Sorge um seinen Rücken den energischen Vormarsch mit allen Kräften nicht zu hindern im Stande war. Schon am 26. October überschritten sämmtliche Französischen Corps die Isar auf drei Punkten, und zwar das 5. Corps Lannes , gefolgt von Nansouty's Kürassieren bei Landshut, das 3. Corps Davoust bei Freising, das 2. und 4. Corps unter Marmont und Soult, die Garde und die Reiter- Divisionen der Generale d'Hautpoul , Walther und Beaumont bei München. An demselben Tage rückte auch das 1. Corps Bernadotte aus der Gegend von München gegen den Inn ab, den es bei Wasserburg überschreiten sollte.
Bernadotte gewann am 28. mit
seinem ganzen Corps bei dem genannten Orte das rechte Ufer dieses Stromes und rückte am 30. in Salzburg ein, welche Landschaft er zu erobern bestimmt war. Eine Marschleistung von siebzehn Meilen in vier Tagen ! - Zur Unterstützung Bernadotte's folgte Marmont auf einen Tagemarsch, ohne jedoch, wie jener, von Wasserburg auf Salzburg abzubiegen. Dieses Corps dirigirte sich vielmehr Wasserburg auf Laufen, wo es am 31. October einrückte.
von
Durch diese Maaszregel bezweckte der Kaiser, auszer der nöthi gen Deckung gegen die Alpen hin, sich den Besitz des oberen Inn so schnell als möglich zu versichern und hierdurch eine Vertheidigung des unteren Theiles dieser Flusslinie durch die Russisch- Oesterreichi schen Truppen zur Unmöglichkeit zu machen. Murat , Soult und die Garden zogen von München aus auf der groszen Strasze über Hohenlinden, Haag, Ampfing nach Mühldorf. Hier fand Murat die Brücke bereits von dem über Erding und Dorfen von Westen her angerückten Marschall Davoust wiederhergestellt, und detachirte demzufolge sofort eine Brigade stromabwärts auf Neu Oetting , um dort ein Gleiches zu bewerkstelligen.
Dass auch dies
ohne Schwierigkeiten gelungen sein muss , beweist die Thatsache, dass wir schon am 29. October die gesammte Reiterei Murat's jenseits
Hang Hohenlingen Wasserburg
Laufen
Inn
Hang
Wels
Linz Ebelsberg
,850,000 .:1=Maasstab 23 01 45
O
Haag
Stey Kremsmünster er Zell Enn s Raming Weye r
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Uebe rsichtskarte .
Erlaf
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Die Correspondenz Napoleons I.
Burghausen an der Salza treffen . Der stürmische Reiterführer hatte im raschen Vordringen seine Schaaren bereits auch über die Salza geführt , und somit stand Frankreichs Heer auf Oesterreichischem Boden.
In demselben Augenblicke, wo Lannes mit dem 5. Corps, welches von Landshut aus die Richtung über Vilsbiburg , Eggen felden und Thann genommen hatte, im Angesichte von Braunau er schien, langte auch Murat's Reiterei vor diesem Platze an, jedoch nur, um den Marsch ungesäumt fortzusetzen, sobald die Räumung der Stadt durch die Oesterreicher bekannt ward. Der Kaiser selbst war mit den Garden und dem Corps Soult auf der groszen Strasze über Mühldorf gefolgt und begab sich in voller Freude über die Be setzung des so wichtigen Punktes Braunau am 30. October dorthin. Nachdem er die in der Nähe des Zusammenflusses der Salza und des Inn gelegene Stadt , in welcher bedeutende Vorräthe gefunden worden waren, persönlich in Augenschein genommen hatte, befahl er ungesäumt einen groszen Theil der Vorräthe, deren Versammlung er ursprünglich in Augsburg befohlen hatte, nach Braunau zu schaffen, und diesen seiner Ansicht nach sehr wichtigen Platz zu einem Hauptdepotplatze zu machen, über welchen alle zur und von der Armee gehenden Transporte, Proviantvorräthe etc. ihren Weg nehmen sollten.
Demgemäsz veranlasste der Kaiser die Zurücklassung einer
starken Besatzung in Braunau und ernannte seinen Adjutanten, den General Lauriston , welcher eben von der Flotte des bei Trafalgar geschlagenen Admirals Villeneuve mit der Nachricht dieser Nieder lage im Kaiserlichen Hauptquartiere eingetroffen war, zum Comman danten des Platzes und übertrug ihm gleichzeitig die ganze Ver waltung, welche sich auf den Nachschub an Menschen, Material und Verpflegung erstreckte . Somit hatte der Kaiser mit der uns bereits bekannten Schnellig
keit und Präcision die grosze Armee in den Tagen vom 28. bis 30. October die schwierige Aufgabe des Ueberganges über einen so bedeutenden Fluss, wie der Inn, ausführen lassen und entschloss sich, dieselbe dem abziehenden Feinde nach unverzüglich an die Ufer der Traun vorzutreiben . Sofort wurde Lannes von Braunau aus am rechten Innufer abwärts entsandt, um die von Schärding über Effer ding nach Linz führende Strasze zu gewinnen, auf welcher noch am 29. October die Oesterreichische Nachhut gestanden hatte. Soult und Davoust erhielten Befehl über Ried nach Lambach resp . über Obern berg und Zell auf Wels abzugehen , Marmont wurde von Laufen über Straszwalchen und Vöcklabruck nach Lambach mit der Bestimmung dirigirt, von letzterem Orte rechts über Kremsmünster auf Steyer zu
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Die Correspondenz Napoleons I.
marschiren, so dass er für den Fall , dass man in der Front zum Schlagen kam , der Russisch- Oesterreichischen Armee in der Flanke stehen musste. Die unbedeutenden Nachtrabsgefechte, welche die Nachhut der feindlichen Armee den Franzosen bei Ried und Lambach lieferte , waren natürlich nicht im Stande, das Vordringen der Franzosen wirk sam aufzuhalten. Am Abende des 31. Octobers finden wir Murat be reits in Lambach, das 3. Corps vorwärts Haag, das 4. Corps in Ried, die Garden noch in Braunau, Lannes mit dem 5. Corps in vollem Marsche auf Linz , welches er in der Frühe des 2. Novembers mit der Vorhut, im Laufe des Tages mit dem gesammten Corps erreicht, und noch an demselben Abende seine Avantgarde gegen die Enns vorrücken lässt.
Die Herstellung der Donaubrücke bei Linz wurde
sofort energisch in Angriff genommen und, nachdem am 3. November der Feind bis hinter die Enns zurückgewichen war, konnten auch die weiter südlich bei Lambach und Wels die Traun überschreiten den Corps sofort zur Herstellung der Uebergänge schreiten.
Indess
überschritt die Reiterei nicht bei diesem Orte, sondern bei Ebelsberg die Traun, weil der Kaiser vorzugsweise auf der Hauptstrasze ernst lichen Widerstand erwartete. Aus diesen Gründen und um die noch zurückgebliebenen Truppen herankommen zu lassen ,
erfolgte das
Vorrücken etwas langsam, denn die am 2. November schon vor Enns erschienene Cavallerie stand am 4. November erst vollständig vor dieser Stadt.
Das Lannes'sche Corps lagerte um Linz , Soult war
mit seinen Truppen an diesem Tage bei Kronsdorf , wo man eine Brücke über die Enns zu schlagen beabsichtigte .
Auf dem rechten
Flügel zog Davoust gegen Steyer, Marmont stand bei Kremsmünster, wo gleichzeitig auch die Avantgarde des 1. Corps Bernadotte ein traf, welches mit den ihm attachirten Bayerischen Truppen von Salz burg abberufen worden war. Die Marschleistungen der einzelnen Corps bis zum Vormarsche an den Traun sind sehr beachtenswerth. Besonders zu erwähnen ist der Marsch des Lannes'schen Corps von Braunau auf Linz, eine Strecke von 16 Meilen, die in kaum vier Tagen auf schwierigen Wegen zurückgelegt wurde. Am 4. November traf der Kaiser selbst in Linz ein und schlug daselbst sein Hauptquartier auf. Verfolgen wir nun, wie früher, die schriftliche Thätigkeit des Kaisers während des Vormarsches von Augsburg bis Linz , so sind unter den Schriftstücken dieser Tage als besonders interessant und für die Kriegs geschichte wichtig die zahlreichen Bülletins hervorzuheben, welche uns die Bewegungen der groszen Armee veranschaulichen . Sie sind
Die Correspondenz Napoleons I.
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namentlich für die Zusammenstellung der Märsche, welche die ein zelnen Corps machten, und die Ziele , welche täglich erreicht wurden, von Bedeutung. Man gewinnt aus denselben den Eindruck, dass der Kaiser täglich die Bewegungen des Heeres selbst aufzeichnete oder von einem seiner Adjutanten dies Geschäft vornehmen liesz, und dass alle Corps-Commandanten, besonders die weit vorn befindlichen, unaus gesetzt diese Bülletins erhielten, um über den Zusammenhang der Operationen unterrichtet zu sein.
Auch an die Armee von Italien
scheinen diese Bülletins regelmäszig expedirt worden zu sein. Eine solche tägliche Orientirung der commandirenden Generale über den Fortgang der Bewegungen jedes einzelnen Corps und über alle Vor kommnisse von allgemeinem Interesse war eine Maaszregel äuszerster Wichtigkeit.
von
Sie erhöhte einmal das unbedingte Vertrauen
in die oberste Heeresleitung , dann aber machte sie den einzelnen Führern die Wahl des Entschlusses im entscheidenden Augenblicke leichter.
Jeder Marschall wusste, wenn er angegriffen wurde oder
angreifen wollte,
von welcher Seite und binnen welcher Zeit er
Unterstützung von einem benachbarten Corps erwarten konnte, und traf danach seine Maasznahmen . Nur wenige Feldherrn auszer Na poleon und unserem groszen Strategen der Jahre 1866 und 1870 bis 1871 haben in so ausgedehntem Maasze von diesem Principe Ge brauch zu machen gewusst.
Wir werden später Gelegenheit finden
zu sehen, wie Murat herben Tadel erfuhr, weil er nicht häufig genug Meldungen gemacht hatte, die für alle Corps von Wichtigkeit waren. Auch hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit sind die hier in Rede stehenden Bülletins von gröszerem Werthe,
als viele der vorher
gehenden, denn sie enthalten weniger Nachrichten über kriegerische Erfolge, die in jenen Tagen nur vereinzelt vorkamen, als einfache Zusammenstellungen über die Bewegungen der Armee, in denen weniger Gelegenheit zur Ruhmredigkeit und somit zur Uebertreibung gegeben war. Hervorzuheben ist ferner aus jenen Tagen ein an den König
von Preuszen aus München vom 27. November datirtes Schreiben, welches , wie das
im
ersten Theile
mitgetheilte
Schreiben vom
4. October, den Durchmarsch durch das Preuszische Gebiet zu ent schuldigen bestrebt ist. Meisterhaft in der Form, ist dieses Schreiben wie das erste, die herbste Satire einer Entschuldigung, nur dass es etwas würdevoller als jenes gehalten ist und im Hintergrunde offen ausspricht, dass Frankreich Preuszens Feindschaft nicht zu fürchten brauche. In einem anderen aus Lambach vom 3. November an den Kaiser von Oesterreich
gerichteten
Schreiben
übernimmt
Kaiser
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Die Correspondenz Napoleons I.
Napoleon wieder vollständig die Rolle des herausgeforderten fried fertigen Fürsten.
Für den Kaiser von Oesterreich war diese Fried
fertigkeit nach der Katastrophe von Ulm doppelt verletzend. „ Mein Herr Bruder, " so schreibt ihm der Kaiser,
der Eintritt
der Russen in Ihre Staaten und Ihres Heeres in Bayern, der Brief des Herrn von Cobenzl, durch welchen es klar wird, dass man mich zwingen wollte von England Gesetze anzunehmen, haben mir keine Wahl über den zu fassenden Entschluss gelassen.
Uebrigens habe
ich den Rhein überschreiten müssen , um Ihre schon an meinen Grenzen angelangte Armee zurückzudrängen .
Indess konnten Ew.
Majestät durch ein Wort den Krieg zur See beendigen.
England
hätte, falls es nicht sicher gewesen wäre, den Krieg auf dem Fest lande nicht anfachen zu können, die Nothwendigkeit gefühlt, auf die Bedingungen des Vertrages von Amiens zurückzukommen . Ew. Maje stät wären der Wohlthäter der ganzen Welt gewesen . ewige Rechte auf meinen Dank , Völker Englands gehabt ,
Sie hätten
auf den meiner Völker und der
welche ebenso wie die anderen die Last
eines langen Krieges empfinden.
Indess , wie dem auch sei, ich bin
bereit die Ungerechtigkeit dieses dritten Angriffes zu vergessen, und noch einmal zu versuchen, ob dieser dritte Vertrag gegen Englands Intriguen und Anstrengungen besser Stand halten kann , als die beiden ersten.
Es erscheint aus Ew. Majestät Briefen, als ob Die
selben den Frieden von einer anderen Macht abhängig machten.
Es
bleibt Ihnen überlassen , ob diese fremde Intervention die geeignetste ist, um die Bedürfnisse der Völker zu befriedigen, welche mehr von der Gegenwart der Russen , als von der meines Heeres zu leiden haben. " „Welchen Entschluss Ew. Majestät fassen mögen, sei es , dass Dieselben direct zur schnellen Erreichung des Friedens unterhandeln , sei es, dass Sie die Intervention anderer Staaten abwarten wollen , was den Abschluss um Vieles verzögern würde , so werden Sie fühlen, wenn ich das Glück benutze , welches mir so
dass es billig ist ,
günstig war, und dass die Friedensbedingungen mir eine sichere Garantie gegen eine vierte Coalition mit England geben müssen . Es darf zwischen uns kein Gegenstand des Zwiespaltes bestehen, kein Ding, von dem man Ihnen glauben machen könnte, dass ich es wünsche . Das ist das Mittel, Ew. Majestät endlich auf den wahren Gedanken zurückzuführen , dass Frankreich nicht Ihr natürlicher Feind ist, weil es Sie um Nichts zu beneiden hat." "" Mein Ehrgeiz ist einzig und allein auf die Wiederherstellung
Die Correspondenz Napoleons I.
168
meines Handels und meiner Marine gerichtet , und England wider setzt sich dem einen, wie dem anderen. " „ Ich erfülle eine letzte Pflicht gegen Ew. Majestät, und der Ton, den wir, obgleich Feinde , in unserer Correspondenz einnahmen, scheint mich dazu zu berechtigen . Verläugnen Sie nicht die äuszerste Abneigung Ihrer Völker gegen diesen dritten Krieg !
Ew. Majestät,
welche soviel Recht haben glücklich zu sein, soviel Tugenden, um derentwillen Ihre Völker Sie anbeten müssen, mögen aufhören das Unglück dieser und Ihr eigenes zu bereiten . . . . . . 66 etc. etc. Die gewöhnlichen Phrasen über persönliche Hingebung u. dgl . beschlieszen auch diesen Brief. Es scheint ,
als sei vorstehendes Schreiben eine Antwort auf
einen Brief des Kaisers von Oesterreich , der wohl des Friedens wegen geschrieben sein mag , gewesen.
Natürlich geht aus dieser
Antwort des Kaisers seine Absicht hervor, keinen Frieden zu schlieszen, ohne auch den Russen einen entscheidenden Schlag versetzt zu haben. Denn die Annahme von Bedingungen , wie er sie nach Austerlitz stellte , konnte er damals noch nicht erwarten. Trotzdem scheint dieser Brief beim Kaiser von Oesterreich keinen ungünstigen Ein druck gemacht zu haben, denn schon vier Tage später erschien (7. November) General Gyulai im Kaiserlichen Hauptquartiere mit einer Antwort seines Monarchen, welche ihrerseits in einem neuen aus Linz datirten Briefe des Kaisers Napoleon ihre Beantwortung fand. Dieser zweite Brief enthält nichts Positives , warnt den Kaiser von Oesterreich vor seinem Russischen Bundesgenossen, dessen In teressen ganz andere als die der Oesterreichischen Völker seien , und mahnt ihn für diese letzteren besser Sorge zu tragen etc. etc. Kaum ist dieser zweite Brief geschrieben, so fertigt er auf Grund der gemachten Wahrnehmungen einen Courier an Murat ab, theilt ihm Gyulai's Rückkehr nach Wien mit und schreibt ihm :
„ Treiben
Sie Ihre Vorposten bis an den Wiener Wald vor in der Annahme, dass der Feind Ihnen nicht zu starken Widerstand entgegensetzt. Seien Sie auf der Hut und concentrirt.
Ziehen Sie Soult an sich.
Bernadotte
sein.
wird morgen in
Schicken Sie
mir
zur häufigen Erstattung
von
Amstetten
Nachricht. " Wie strenge er die Marschälle
Meldungen anzuhalten wusste, zeigt folgender Passus aus einem Briefe an denselben Marschall aus Linz vom 6. November : „ Sie haben mich den ganzen gestrigen Tag ohne Nachricht gelassen, und ich erhalte erst um 8 Uhr die Nachricht von dem Engagement , welches Sie Sie müssen mir zwei , drei Mal täglich gestern gehabt haben.
169
Die Correspondenz Napoleons I. schreiben.
Hätte ich gewusst, dass der Feind da sei , so hätte ich
meine Dispositionen sofort gemacht.
Ziehen Sie die Division Suchet
an die Grenadiere heran, und machen Sie, dass diese Divisionen sich berühren und stets zusammen marschiren .
Es giebt keinen Weg.
Der Marschall Soult muss auf der groszen Strasze herankommen. Sie müssen also aufschlieszen, damit die Queue zur Verstärkung der Tête kommen kann.
Der Offizier, den Sie mir geschickt haben, ist
so dumm , dass er mir Nichts expliciren konnte, und auch Ihr Brief giebt keine Nachricht , so dass ich nicht weisz , ob der Feind sich zurückgezogen hat, ob er Position genommen hat, dass ich die Zahl seiner Geschütze und den Theil, der die Division Oudinot angegriffen hat, nicht kenne." Der Nachsatz desselben Briefes :
„ Es müssen auf Entfernung
von je drei Stunden Pikets von leichter Cavallerie zu sechs Mann stehen bleiben, um Ihre Briefe zu besorgen,"
zeigt uns , dass der
Kaiser auch für die Unterhaltung eines geregelten Relaisdienstes zu sorgen wusste. Eine grosze Schwierigkeit für die Fortbewegung der Armee lag in der geringen Anzahl guter Straszen . Um die wenigen vorhandenen ausschlieszlich den Truppen zu erhalten, wusste sich der Kaiser die Wasserstrasze der Donau für den Transport von Lebensmitteln und Munition zu Nutze zu machen und ordnete sofort die Bildung einer Donau - Flotille an , zu deren Bemannung die Fuszkranken und maroden Leute der Infanterie und die unberittenen Cavalleristen ver wandt wurden. Zu ihrer Organisation empfing Marschall Berthier folgende Instruction : „Herr Vetter, geben Sie dem Prinzen Murat Befehl, dem Fre gatten- Capitain Lostanges, der zu Ihrem Stabe gehört, alle unberitte nen Dragoner der Divisionen Beaumont , Walther, Klein zu über geben.
Geben Sie ebenfalls Lannes Befehl,
50 Mann der Division
Oudinot und je 50 Leute von den Divisionen Suchet und Gazan dem Capitain Lostanges zu stellen. Geben Sie ebenfalls dem General Marmont Befehl, 100 Mann, aus allen Regimentern seines Corps ent nommen, zu stellen . Diese 100 sollen unter dem Befehle eines Hauptmanns und eines Lieutenants stehen.
Man soll die maroden
und die lahmen Leute aussuchen, und diejenigen, die sich auf Wagen fahren lassen. Diese Leute werden bestimmt, auf Kähnen eingeschifft zu werden , welche unter dem Befehle des Capitains Lostanges Donau abwärts fahren sollen. Diesem Offiziere befehlen Sie, alle auf der Traun befindlichen Kähne zu sammeln und sie bis zur Enns mündung Donau abwärts über Ebelsberg zu befördern. "
Mit der
Die Correspondenz Napoleons I.
170
Bildung dieser Flotille wurde zugleich, wie wir später sehen werden, die Verbindung zwischen den einzelnen Heerestheilen vermittelt. Einen Beweis, wie Napoleon I. die Kräfte des occupirten Landes für seine Armee anzuspannen wusste, liefert uns eine Instruction an Berthier über die Behandlung der Stadt Linz :
99 Die zu treffenden
Maaszregeln ," schreibt er hierüber seinem Generalstabschef,
„ sind
folgende : 1) Diejenigen, welche etwa Magazine beraubt, oder unter dem Vorwande des Ankaufs Gegenstände aus den Magazinen in den letzten acht Tagen vor Ankunft der Franzosen entnommen haben sollten, müssen zur sofortigen Rückgabe an die Militair-Magazine angehalten werden. " 2) „ Die Stadt muss täglich zu bestimmten Stunden unter An drohung militairischer Execution 25,000 Brod Rationen liefern." 3) "" Es ist alles Leder und alle Schuhe, die man in Militair- und Privat-Magazinen finden kann , zu entnehmen, desgleichen alle Tuche, die zur Herstellung von Capoten geeignet sind, gegen Verabfolgung von Bons ." „ Ich wünsche hier Leder für einige 60,000 Paar Schuhe zu finden , Tuch für ebensoviel Capoten ,
und
feines Tuch für 4000 Offizier-Capoten, die ich den Offizieren gratis verabfolgen werde. " „Man muss sich der Municipalität bedienen, falls sie sich dazu
hergiebt, wenn nicht, sich direct an die Magazine der Stadt wenden, unter Anwendung von Polizisten, vereint mit Gensdarmen und Fran zösischen Soldaten, um Haussuchungen abzuhalten. "
"" Richten Sie diesen Befehl an Herrn Daru, der hier bleiben wird, und den Platz- Commandanten, und lassen Sie dieselben wissen, dass es meine Absicht ist, dass sie täglich 20,000 Brod- und eben soviel Branntwein-Portionen auf der Donau ablassen, Armee zu befördern .
um sie zur
Die Soldaten , aus denen die Stadtpolizei be
steht, müssen in Thätigkeit gesetzt werden, und man muss die Führer vereidigen, Nichts gegen meinen Dienst zu thun. Es wird dem Com mandanten leicht sein , unter diesen Soldaten einige Spione zu finden, die ihn über die Localitäten informiren. "
"" Man muss Alles , was irgend möglich ist , aus der Stadt herausziehen zum Wohle und zur Reorganisation der Armee. Es sollen Bons ausgegeben werden, auf Grund deren man später zahlen wird ; und mit dieser Förmlichkeit kann man aus Magazinen und Privat-Besitzungen entnehmen.
Man soll auch alles
Blei und Pulver, was sich in Privat-Magazinen befindet, aufsuchen. “
171
Die Correspondenz Napoleons I.
In einem Feldzuge, der, wie dieser, die physischen Kräfte der Armee in so hohem Grade in Anspruch nahm, war die Sorge für die Verpflegung und für die Bekleidung von allergröszter Bedeutung. Nur von einer in dieser Beziehung so vorzüglich, wie die Französische, versorgten Armee konnten Aufgaben gelöst werden, wie die Na poleonische Kriegführung sie stellte . Das rasche Vordringen der Französischen Heeresmassen gegen die Oesterreichische
Hauptstadt
machte
die
rückwärtigen
Ver
bindungen naturgemäsz mit jedem Tage länger und gefährlicher. Bei der neuen Stellung, welche Preuszen nach den früher erwähnten Briefen Napoleons an Friedrich Wilhelm III . eingenommen hatte, und besonders, da dieser Staat den Russischen Hülfstruppen Durch marsch durch sein Gebiet gestattete, fing die Lage der Länder im Norden, welche von den Franzosen besetzt waren, an eine bedenk liche zu werden. Hannover war nur schwach von Truppen besetzt, und der dort commandirende General Barbou war angewiesen, sich auf Vertheidigung der festen Plätze zu beschränken . Die Russen und Schweden konnten in dies Land einfallen , die Engländer in Holland landen, und beide ihre Vereinigung in kurzer Zeit bewerk stelligen. Der Kaiser Napoleon war nicht Unternehmungen entgegen zu treten .
in der Lage, solchen
Sehen wir, was er zur Abwendung der drohenden Gefahr unter nahm . - Weit entfernt, aus Besorgniss vor derselben sich des Vor theiles, den ihm ein schneller Vormarsch auf Wien bot, zu begeben, glaubte er vor der Hand in einer auf dem Papiere aufgestellten Armee einen ausreichenden Schild gegen diese Gefahren zu finden, und die Erfahrung hat gelehrt , dass ein Napoleon dergleichen un gestraft thun durfte. Ein von Linz am 8. November 1805 erlassenes Decret erschuf mit einem Schlage die Nord- Armee, welche aus sechs Divisionen bestehen sollte ; hiervon sollten die beiden ersten aus den in Holland befindlichen Truppen formirt und bei Antwerpen con centrirt werden, die dritte bei Jülich sollte aus der Avantgarde einer nur im Keime bestehenden Reserve -Armee von Mainz , die vierte aus der Avantgarde eines ähnlichen Corps bei Straszburg formirt werden. Hinsichtlich der beiden letzten Divisionen bestimmte das Decret sehr genial, aber wenig verständlich :
„ Les deux autres divisions seront
formées de toutes les troupes françaises et bataves et se réuniront " à ... • " womit die Nord- Armee geschaffen, und dem weiteren Vordringen der Französischen Heersäulen auf Wien kein Hinderniss mehr entgegenstand. Prinz Ludwig Napoleon sollte die Rolle des Feldherrn der Nord-Armee übernehmen.
172
Die Correspondenz Napoleons I. Zur Fortsetzung des offensiven Marsches gegen die feindliche
Hauptstadt , der unter den für grosze Truppenmassen schwierigsten Verhältnissen zwischen der Donau und den Alpen ausgeführt werden musste, traf der Kaiser in Linz, woselbst er vom 4. bis 9. November sein Hauptquartier aufschlug, folgende Dispositionen, über welche leider die Correspondenz uns kein Material
an die
Hand giebt.
Marmont wurde mit seinem Corps südlich auf Leoben dirigirt , um die Bewegungen der Hauptarmee gegen etwaige Detachirungen aus Italien zu decken, und erhielt den Auftrag, sich bei einem etwaigen Herannahen des Erzherzogs auf die grosze Armee zurückzuziehen und dann deren äuszerste Rechte zu bilden.
Für die Hauptmasse
der Armee und zwar die Cavallerie- Reserve unter Murat, die Garden, die Corps von Bernadotte ( 1. ) , Soult (4. ) und Lannes (5.) stand in dem schwierigen Gebirgsterrain nur die einzige grosze Strasze von Linz über Enns, Moelk, St. Pölten auf Wien zur Verfügung ,
ein
misslicher und den aufgeschlossenen Vormarsch sehr erschwerender Umstand.
Das 3. Corps Davoust musste zwischen der Hauptarmee
und dem Corps Marmont's den von Steyer über Waidhofen nach Lilienfeld hinabführenden Gebirgsweg einschlagen. Nun langte am 5. November im Kaiserlichen Hauptquartiere zu Linz auch die Nachricht von dem Herannahen einer neuen Russi schen Heerescolonne zur Verstärkung Kutusoff's an, und diese be stärkte den Kaiser in der sehr natürlichen Annahme, dass die Ver bündeten zur Rettung der Hauptstadt eine Vertheidigungsschlacht wagen würden. Napoleon hielt die Gegend von St. Pölten für das natürliche Schlachtfeld, und hoffte auf diese Weise, dass Davout, welcher, wie wir wissen, auf Lilienfeld dirigirt war, den feindlichen linken Flügel würde umfassen können.
Um auch den rechten um
fassen zu können, entschloss sich der Kaiser, auch auf dem linken Donauufer seine Dispositionen zu treffen. Zu diesem Zwecke formirte er ein besonderes Corps unter dem Commando des Marschalls Mortier aus den drei Divisionen Gazan (vom Lannes'schen Corps),
Dupont
(vom Corps Ney's) und Dumonceau (Holländische Truppen),
von
denen die beiden letzteren schleunigst aus Passau mit dem Befehle heranbeordert wurden, womöglich am 7. November Linz gegenüber auf dem linken Donauufer zu stehen. Indess die Ungeduld des Kaisers liesz die Ankunft der beiden Divisionen nicht abwarten, und der Marschall Mortier wurde angewiesen mit der Division Gazan allein aufzubrechen, ihm auch gleichzeitig die von Regensburg ab wärts auf dem linken Ufer ziehende Dragoner- Division Klein unter stellt.
Der Kaiser hoffte, dass Mortier mit seinem Corps sich früh
173
Die Correspondenz Napoleons I.
genug in Besitz des Donau-Ueberganges bei Mautern würde setzen können, um die Vereinigung Kutusoff's mit der aus Böhmen heran nahenden frischen Colonne bewirken zu können . Bei Durchführung dieses Planes hätte also der Kaiser auf der Höhe des Steyrischen Gebirges das Corps Marmont, auf halber Höhe das Corps Davoust, am Fusze desselben im Centrum die Masse des Heeres, Bernadotte, Soult, Lannes, Murat und die Garden, auf dem linken Ufer der Donau das Mortier'sche Corps gehabt, bereit,
von
beiden Flügeln her, von Norden und Süden, den Feind zu umfassen, wenn derselbe den Angriff des starken Centrums in der Gegend von St. Pölten annahm.
Die Verbindung des Centrums mit dem linken
Flügel sollte durch die Donauflotille bewerkstelligt werden, deren Organisation und Verwendung wir bereits früher kennen gelernt haben. Der Befehlshaber dieser Flotille, der Capitain Lostanges, wurde angewiesen,
alle Fahrzeuge auf der Donau, der Traun, der
Enns , der Salza und dem Inn zu sammeln .
Napoleons Wort :
„ il
faut qu'il n'y ait point de Danube " beweist, mit welcher Energie der Kaiser seine Befehle gehandhabt wissen wollte. Dies war also der Plan des Kaisers.
Dass Vieles anders kam,
als er es sich vorgestellt hatte, darf man ihm sicherlich nicht zum Vorwurfe machen .
Das Einzige, was an seinen Anordnungen viel
leicht zu tadeln wäre, ist die Uebereilung , mit welcher er Mortier mit der Division Gazan in Marsch setzte, ehe die Divisionen Dupont und Dumonceau herangekommen waren, ein Fehler, der sich nachher in dem blutigen Gefechte von Dürrenstein bitter rächte. Aber inter essant ist es , aus den Briefen des Kaisers
zu sehen,
wie er die
drohende Gefahr schon vorher richtig erkannte, als er von dem ver änderten Plane der Russen und von ihrem Donau-Uebergange bei Krems auf das linke Ufer Meldung erhielt. Dem stürmischen Murat, der mit seinen Reitern am liebsten gleich bis vor die Thore Wiens gegangen und einen Luftstosz gemacht hätte, während das feindliche Heer auf das andere Ufer ging, schreibt der Kaiser am 11. November aus Moelk : „ Ich kann Ihre Art des Vorgehens nicht billigen, wie ein Unbesonnener und Ihnen geben lasse.
Sie laufen
überlegen die Befehle nicht ,
die ich
Die Russen sind, anstatt Wien zu decken, bei
Krems wieder über die Donau gegangen.
Dieser auszergewöhnliche
Umstand hätte Ihnen begreiflich machen müssen, dass Sie nicht ohne neue Instructionen handeln durften Das verlohnte ohne Zweifel der Mühe.
Ohne zu wissen, welche Pläne der Feind haben kann , und
ohne meinen Willen bei diesen veränderten Umständen zu kennen,
174
Die Correspondenz Napoleons I.
engagiren Sie meine Armee auf Wien, und doch haben Sie den Be fehl
erhalten , den Ihnen Marschall Berthier übermittelt hat , die
Russen mit gezücktem Schwert zu verfolgen .
Das ist eine eigen
thümliche Art der Verfolgung , sich in Eilmärschen vom Feinde zu entfernen.
Diese Befehle waren Ihnen sogar gegeben,
seit Sie mir
Meldung gemacht hatten, dass sich die Russen auf Krems dirigirten. Vergebens suche ich nach Gründen, um mir Ihr Verhalten zu er klären. Ich habe eben dem Marschall Soult befohlen, die Bewegung, die Sie ihm angeordnet hatten, nicht auszuführen . Er wird ge zwungen sein, einen Contremarsch auszuführen, um sich auf Mautern zu dirigiren. Schicken Sie Recognoscirungen aus ; besetzen Sie Stadt Der Marschall Davoust Tulln und andere Punkte an der Donau. marschirt über Lilienfeld auf Wien, er wird heut Abend in Moedling sein. Bleiben Sie in Burkersdorf und der Marschall Davoust in Moedling bis auf neue Befehle . Möglicherweise hat der Feind die Absicht, die Donaubrücke bei Wien abzubrechen ; dann würden die Russen mit dem Corps Mortier machen können , was sie wollen ; Ich fürchte , dass es sehr exponirt ist , was nicht ein getreten wäre , wenn Sie meine Befehle ausgeführt hätten.
Da ich durch die getroffenen Maaszregeln über eine grosze
Zahl Schiffe verfügte, war ich nicht nur vor einem ähnlichen Er eignisse geschützt , sondern ich hatte begründete Hoffnung , einen Theil des Russischen Corps gefangen zu nehmen. Aber Sie haben mich zwei Tage verlieren lassen und sich nur um den Ruhm in Wien einzuziehen gekümmert . Ruhm ist nur da , wo Gefahr ist ; es ist kein Ruhm, in eine unvertheidigte Haupt stadt einzuziehen, besonders nach dem Siege des Marschalls Davoust, der den Rest des Kienmayer'schen Corps unter den Befehlen des Generals Merveldt geschlagen und gefangen genommen hat. " (Ge fecht bei Maria Zell am 8. November 1805.) Diesen heftigen und sehr begründeten Tadel gegen Murat sprach der Kaiser in dem Augenblicke aus, wo, ohne dass er es ahnte, vier Meilen von ihm entfernt das Corps Mortier bei Dürrenstein mit Mühe und Noth einer Katastrophe entrann.
Der um seine linke Flanke
zu wenig besorgte Marschall Mortier, dessen Division Dupont noch einen vollen Tagemarsch zurück war, liesz sich bei Dürrenstein in eine Falle locken und hatte bei diesem Orte am 11. November ein heftiges Gefecht gegen die Russische Uebermacht zu bestehen , in welchem die Division Gazan fast aufgelöst wurde und nur mit Mühe entkam. Fast scheint es , als hätte Murat , der ja allerdings den Rechtsabmarsch der Russen und ihren Donau- Uebergang bei Krems
Die Correspondenz Napoleons I.
175
nicht hätte ignoriren dürfen und ihnen auf den Fersen bleiben musste, die Schuld für Mortier, der auch nicht gänzlich freizusprechen ist, mit ausbaden müssen. Denn gegen diesen war der Kaiser in An betracht des verlustreichen Gefechtes bei Dürrenstein verhältniss mäszig sehr gnädig. keinen Tadel.
Der Briefwechsel wenigstens enthält für ihn
Nachdem Mortier's Adjutant mit der Nachricht von
dem Gefechte am 11. November Tags darauf im Kaiserlichen Haupt quartiere zu St. Pölten eingetroffen war, schreibt er ihm nur durch Ihr den Generalstabschef Berthier (St. Pölten, 12. November) : Adjutant Herr Marschall hat erst um 312 Uhr hier ankommen können, und doch wartete der Kaiser mit groszer Ungeduld auf die Meldung von Ihrem Engagement.
Wenn die Russen in der Position bleiben,
in welcher sie sind , oder wenn sie gegen den Inn marschiren , so sind sie eine verlorene Armee.
Der Prinz Murat, der heut in Wien
ist, hat den Befehl , dort die Donau zu überschreiten, um sich auf den Rücken der Oesterreichischen Armee zu werfen " u. s. f. , und dann zum Schluss :
„ Der Kaiser ist sehr zufrieden mit dem braven
Verhalten der Truppen, ebenso wie mit der guten Haltung, die Sie gezeigt haben, Herr Marschall."
Von der ungestümen Heftigkeit des
Kaisers und der Rücksichtslosigkeit, welche ein General, der einen Fehler begangen hatte und noch dazu geschlagen war, gewöhnlich erfuhr, war zu erwarten, dass auf das Gefecht von Dürrenstein einer jener bekannten, wenig sanften Briefe an Mortier folgen würde . Vielleicht ist ein Tadel auch deshalb unterblieben, weil der Kaiser seine Mitschuld an der Niederlage Mortier's , den er zum Antritte des Marsches gedrängt hatte, noch ehe die Divisionen Dupont und Dumonceau aus Passau heran waren, gefühlt haben mag. Auch an Murat schreibt er selbst wenige Stunden nach dem Eingange jener Meldung in voller Ruhe.
( 12. November, 5 Uhr Abends ) : „ Endlich
erhalte ich Nachrichten vom Marschall Mortier ;
sie sind nicht so
schlecht, als ich es befürchtet hatte" etc. etc. Folgt eine kurze Be schreibung des Gefechtes bei Dürrenstein .
Dann aber tritt sofort
wieder das Bestreben hervor, den Fehler, den Murat durch sein eiliges Vordringen auf Wien begangen hatte, sogar Nutzen aus demselben zu ziehen.
wieder gut zu machen und Denn nach dem Gefechte,
das Mortier bei Dürrenstein dem Gros der Russischen Armee geliefert hatte, konnte Murat's rasches Vordringen, wenn er nun schnell über die Donau ging und den Russen den Weg nach Znaym verlegte, entscheidend wirken. Die richtige schnelle Erkenntniss dieser Eventualität zeigt uns wieder einmal das auszerordentliche stra tegische Verständniss des Kaisers . In diesem Sinne fährt er in
176
Die Correspondenz Napoleons I.
dem qu . Schreiben fort : „ Der Marschall Mortier ist heut in Position zwischen Spitz und Weiszenkirchen . Die Russen scheinen nicht disponirt sich zurückzuziehen.
Sie müssen inzwischen die Brücke
bei Wien überschritten haben.
Falls Sie das Glück gehabt haben,
die Brücke intact zu finden ,
verlieren Sie nicht einen
Moment.
Passiren Sie die Donau mit einem Theile der Cavallerie, den Gre nadieren und der Division Suchet. Lassen Sie die Divisionen Legrand und Vandamme folgen.
Die Russische Armee kann durch ein solches
Manöver plötzlich ganz und gar gefangen genommen werden. Wenn im Gegentheile keine Möglichkeit ist, die Donau bei Wien zu über schreiten, und es leichter sein sollte, sie bei Stadt Tulln oder Kloster neuburg zu überschreiten, so schicken Sie Befehl , dass man dort In einer Nachschrift weist der Kaiser dann noch be
übergehe. "
sonders auf einen schnellen Betrieb des Relaisdienstes hin, der bei den groszen Entfernungen von hoher Wichtigkeit war. Auch an Soult wurde noch am 12. November in später Abend stunde entsprechende Weisung für Beschleunigung des Vormarsches der Divisionen Legrand und Vandamme abgesandt, wobei der Kaiser ausdrücklich bemerkt : „Tout me porte à croire que les Russes Thatsächlich war diese commencent leur mouvement cette nuit." Annahme dem Entschlusse des Russischen Oberfeldherrn Stunden vorausgegangen .
um
24
Denn nachdem Kutusoff am 13. November
Abends von der Besetzung Wiens und von der listigen Wegnahme der Donaubrücke durch Murat Kenntniss erhalten hatte, ordnete er noch in der Nacht zum 14. November den Rückzug der Armee über Meissau auf Schrattenthal an. Die Reflexionen, welche der Kaiser in jenen wichtigen Tagen über die Sachlage angestellt haben mag , finden wir in einem Memoire niedergelegt ,
das sein Generalstabschef am 13. November Abends
von St. Pölten aus
an Bernadotte expedirte.
In demselben waren
die drei Möglichkeiten ins Auge gefasst , dass der Feind entweder nach Böhmen oder nach Mähren abmarschiren, oder sich bei Krems concentriren würde, wobei indess diese letztere von vornherein als eine bezeichnet wurde,
,, qui paraît si absurde qu'on n'a voulu en
parler uniquement que pour présenter tout ce qui est possible. " Sollten aber unbekannte Gründe den Feind veranlassen, noch einige Tage in der Position von Stein oder von Krems stehen zu bleiben, so ungefähr schreibt Berthier dem genannten Marschalle, so müsse man sich begnügen, ihm gegenüber in der Gegend von Spitz auf dem linken Ufer Stellung zu nehmen und auf dem rechten Ufer bei Mautern Artillerie aufzustellen. Für den Fall eines Abmarsches nach
177
Die Correspondenz Napoleons I.
Mähren war auf die Wahrscheinlichkeit einer Ueberflügelung oder wenigstens eines Flankenangriffes durch Murat hingewiesen, und sollte in diesem Falle Bernadotte die Donau überschreiten und sich an die Fersen des Feindes hängen.
Mortier's erschöpftes Corps war
Bernadotte als Reserve bestimmt und sollte bei Krems stehen bleiben, wobei gleichzeitig eine Sicherung gegen etwaige Unternehmungen des Feindes gegen Linz hin erzielt wurde.
Auf einen schnellen
Donau-Uebergang seitens des Corps Bernadotte war besonders Ge wicht gelegt.
Dieser General hatte also keineswegs Veranlassung
denselben, nachdem der Abzug der Russen feststand, so lässig, als er es that, zu betreiben. Aus der Correspondenz ist ersichtlich, dass Bernadotte, aus welchem Grunde ist unbekannt ,
zwei volle Tage
verlor, und dass er erst am 16. November früh von Krems aus sich in Bewegung setzte. Ein ernster Tadel des Kaisers, dessen Haupt quartier inzwischen schon in Schönbrunn war, blieb nicht aus. „Der Kaiser, Herr Marschall, ist erzärnt , " lässt er ihm am 15. November durch Berthier schreiben, „dass in dem Augenblicke, wo Prinz Murat und die Marschälle Soult und Lannes sich zwei Tagemärsche von Wien entfernt schlagen,
Sie noch keinen einzigen Mann die Donau
haben überschreiten lassen . dauern,
Ihre Truppen werden ohne Zweifel be
dass sie nicht allen Ruhm, der ihnen gebührte, am Aus
gange dieses Feldzuges gehabt haben.
Der Kaiser hofft , dass mit
der Rückkehr meines Generalstabs - Offiziers Sie mir melden werden, dass Ihre ganze Armee übergegangen und auf der Verfolgung der Russen begriffen ist. " Thatsächlich hatte nun die Oesterreichische Heeresleitung auch hier den unglaublichen Fehler begangen, die Donaubrücke bei Wien unzerstört zu lassen. Trotzdem noch eine Streitmacht von 13,000 bis 15,000 Mann zu ihrem Schutze vorhanden war, fiel dieser wichtige Uebergang ohne Schwertstreich einer ganz gewöhnlichen Kriegslist Murat's und Lannes' zum Opfer. Auf diese Weise konnten die schon in der Frühe des 13. Novembers in Wien eingerückten Truppen der ge nannten Marschälle — im Ganzen circa 15,000 Mann - die Donau sofort überschreiten und noch an demselben Tage den Vormarsch in nord westlicher Richtung
fortsetzen.
Der Kaiser war, wie sich leicht
denken lässt , über diesen glücklichen und gänzlich unerwarteten Vorfall hoch erfreut. Bereits am 14. November folgte er selbst seinen Marschällen in die Oesterreichische Hauptstadt, um im Schön brunner Lustschlosse sein Hauptquartier aufzuschlagen, sechs Wochen, nachdem er bei Straszburg den Rhein überschritten hatte. Sehen wir, wie der Kaiser sich dieses glückliche Ereigniss für 12 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
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Die Correspondenz Napoleons I.
den weiteren Verlauf der Operationen zu Nutze zu machen wusste. Schon auf dem Marsche nach Schönbrunn am 14. November muss er von Mortier Meldung über den begonnenen Rückzug der Russen erhalten haben, denn kaum daselbst angelangt , schreibt er Murat (14. November) : „ Es scheint, als ob der Feind auf Znaym marschire. Es ist wahrscheinlich , dass sein Hauptquartier heute höchstens in Meiszau sein wird. Die Thatsachen beweisen uns, wie richtig auch diesmal die Combinationen des Kaisers waren. Er hatte Murat mit seinem Cavallerie- Corps , dann Soult und Lannes mit ihren Corps schon am 15. November aufbrechen lassen, um über Stockerau und Hollabrunn vorzurücken und General Kutusoff , welcher auf Znaym zurückging, von seinen durch Mähren heranrückenden Verstärkungen abzuschneiden, und ihm möglichst dasselbe Schicksal als Mack bei Ulm zu bereiten.
Bernadotte sollte, wie wir bereits früher sahen,
von Krems aus die Russen energisch verfolgen, Mortier ihm als Re serve dienen.
Davoust wurde zur Besatzung von Wien, sowie der
nach Pressburg und Brünn führenden Straszen herangeholt. Die getroffenen Dispositionen wären ohne Zweifel völlig geeignet gewesen, die Russische Armee unter Kutusoff in eine sehr kritische Lage zu versetzen, wenn nicht unvorhergesehene Umstände, an denen der Kaiser nicht Schuld trug, das Glück diesmal zu Gunsten seiner Feinde entschieden hätten.
Von Stockerau aus, bis wohin die Têten
des Murat'schen Reitercorps bereits am 13. November Abends
in
lobenswerthem Eifer gedrungen waren , sind nur acht Meilen bis Znaym .
Von Krems , wo Kutusoff stand , bis Znaym sind starke
zehn Meilen, jedoch sind diese beiden Orte nicht durchweg durch eine grosze Strasze verbunden, wie dies mit Wien und Znaym der Fall ist.
Vielmehr musste man bei Jetzelsdorf, drei Meilen südlich
Znaym, die grosze Strasze Wien - Znaym von Schrattenthal aus ge winnen , weil die von Schrattenthal auf Znaym führende Strasze damals noch nicht existirt zu haben scheint. Hält man auszerdem die bei Weitem höhere Marschleistungsfähigkeit der Franzosen der der Russen gegenüber ,
so gewinnt man leicht die Ueberzeugung,
dass Murat , welcher die Division Oudinot bei sich hatte, während Soult's Corps auf einem halben Tagemarsch folgte, wohl in der Lage gewesen wäre, den wichtigen Punkt Znaym in beträchtlicher Stärke vor den Russen zu erreichen und sich dem Feinde dort vorzulegen, insbesondere wenn Bernadotte von Krems aus die Russische Nach hut energisch gedrängt und so das feindliche Gros von zu groszer Beschleunigung des Marsches abgehalten hätte.
Nun aber versagte
einmal Bernadotte gänzlich den Dienst, und dann ging der kühne
179
Die Correspondenz Napoleons I.
Murat in eine Schlinge , welche ihm die List Kutusoff's zu legen wusste. Unerklärlicher Weise blieb Murat am 14. November bei Stockerau stehen.
Vielleicht wollte er Bernadotte Zeit lassen , seine Truppen
gegen die Russen zur Geltung zu bringen, was indess keine ge nügende Entschludigung sein dürfte. Kutusoff, der schon am 14. No vember die
ihm
von Murat drohende
Gefahr richtig
gewürdigt
hatte, entsandte am Abende dieses Tages den Fürsten Bagration mit etwa 7000 Mann, wobei sich auch das Oesterreichische Detachement des Grafen Nostiz befand , von Meiszau nach Hollabrunn mit dem Befehle, dort gegen Stockerau Front zu machen und so die für den 15. November beabsichtigte Bewegung seines Gros von Meiszau auf Jetzelsdorf, wo er die grosze Strasze Wien-Znaym gewinnen musste, in der Flanke zu decken.
In der That erreichte Bagration am 15.
Morgens Ober - Hollabrunn und schob den Grafen Nostiz auf dem linken Ufer des Göller Baches noch weiter gegen Stockerau vor. Zu gleicher Zeit erreichte Kutusoff mit der Tête seines Gros am 16. in der Frühe Jetzelsdorf, eine von Stockerau nur sechs Meilen entfernte Ortschaft , die Murat vor dieser Zeit hätte erreicht haben können, wenn er nicht den 14. November in Unthätigkeit verloren hätte.
Am 15. November stiesz nun die Tête des Murat'schen Corps
nördlich Stockerau auf die Reiter des Grafen Nostiz, die der Fran zösische Feldherr, mit welcher Berechtigung ist unbekannt , für die Vorhut der gesammten Russischen Armee hielt.
In der Absicht, das
Soult'sche Corps herankommen zu lassen, und auch Bernadotte, den er bereits von Krems aus im Marsche auf Znaym vermuthete, Ge legenheit zur Vollendung seiner Bewegung zu verschaffen, hielt er seine Reiterschaaren zurück, um dem Feinde später einen desto sichereren Untergang zu bereiten. Die Erinnerung an den vor zwei Tagen den Oesterreichern an der Wiener Donaubrücke gespielten Streich mag hier ihn dazu verlockt haben, den Versuch zu wagen, mit Nostiz Unterhandlungen anzuknüpfen.
Er wollte so Zeit ge
winnen, seine Truppen aufschlieszen zu lassen, und hoffte, dass die Russen durch die Vorspiegelung eines bereits abgeschlossenen Waffen stillstandes sich in ihrem Rückzuge würden aufhalten lassen .
Ba
gration, welcher die Stellung bei Ober-Hollabrunn seinen Absichten . nicht entsprechend gefunden hatte, war im Begriffe, sich weiter zu rückzuziehen und sich nach einer Position umzusehen. Er nahm auf Kutusoff's Rückzug bedacht die Gelegenheit wahr, von Murat's Frie densversicherungen Nutzen zu ziehen.
Die Absendung eines Adju
tanten in das Hauptquartier des Russischen Oberbefehlshabers hatte 12 *
Die Correspondenz Napoleons I.
180
zur Folge, dass der zufällig bei demselben anwesende Adjutant des Kaisers Alexander, General Wintzingerode, sofort zu Murat abgesandt ward mit dem Auftrage, eine Uebereinkunft abzuschlieszen, wonach die Russische Armee Deutschland verlassen, Murat's Truppen jedoch von der Verfolgung abstehen sollten .
Die Ausführung dieser Ueber
einkunft war von der Bestätigung Kaiser Napoleons abhängig ge macht.
Falls diese nicht erfolgte, so war die Eröffnung der Feind
seligkeiten auf vier Stunden nach erfolgter Aufkündigung fest gesetzt. Der schlaue Kutusoff benutzte bekanntlich die nun gewonnene
fast 24stündige Frist , denn so viel Zeit erforderte der Verkehr mit dem Kaiserlichen Hauptquartiere in Schönbrunn, um seine Armee den Marsch mit aller Energie fortsetzen zu lassen .
Nachdem er bei
Jetzelsdorf seine Truppen gesammelt und ihnen die nothwendige Ruhe gegönnt hatte, zog er am 16. November über Znaym nach Lechwitz und war so glücklich der Gefahr entronnen. Statt des Dankes, den Murat, welcher seinen Namen im Geiste bereits als den eines Friedensbegründers verherrlicht sah, von seinem Kaiserlichen Feldherrn erwartete, wurde dem düpirten Avantgarden führer am 16. November Nachmittags
einer der
unverblümtesten
Wischer zu Theil , den vielleicht je ein Französischer General von seinem gestrengen Kaiser erhalten hat. Denn der ruhige und scharfe Sinn des Kaisers hatte die Sachlage sofort richtig durchschaut und erkannt, dass nicht ihm , sondern nur seinen Feinden in diesem Augenblicke an dem Abschlusse eines Waffenstillstandes gelegen sein könne, es sei denn, dass er nach der Capitulation der Russischen Armee erfolgt wäre . In voller Entrüstung schrieb er daher folgende Zeilen,
mit deren Ueberbringung er einen seiner Adjutanten, den
General Lemarrois, beauftragte. Schönbrunn , den 16. November 1805, 8 Uhr Morgens : „ Ich finde keine Worte, um Ihnen meine Unzu friedenheit auszudrücken . Sie commandiren nur meine Avantgarde, und Sie haben kein Recht, ohne meine Befehle Waffenstillstand ab zuschlieszen. Sie bringen mich um die Früchte eines Feld zuges . Brechen Sie auf der Stelle den Waffenstillstand und mar schiren Sie gegen den Feind.
Lassen Sie ihm erklären, dass der
General , der diese Capitulation unterzeichnet hat, kein Recht hat, sie abzuschlieszen ; dass der Kaiser von Russland allein dies thun kann ; wenn jedoch der Kaiser von Russland die besagte Convention bestätigen würde, so werde ich sie auch bestätigen.
Aber dies ist
nur eine List. Marschiren Sie , vernichten Sie die Rus sische Armee. Sie sind in der Lage , ihre Bagage und ihre
Die Correspondenz Napoleons I. Artillerie zu nehmen .
181
Der Adjutant des Kaisers von Russland ist
ein Gassenjunge (polisson).
Die Offiziere sind Nichts , wenn sie
keine Vollmachten haben ; dieser hatte keine.
Die Oesterreicher
haben sich um den Brücken-Uebergang bei Wien betrügen lassen, Sie lassen sich durch einen Adjutanten des Russischen Kaisers be trügen. Ich verstehe nicht , wie Sie sich bis zu dem Grade haben betrügen lassen können. “ Und in der That, so war es . Vielleicht wäre der Feldzug ohne die Schlacht von Austerlitz beendigt gewesen, wenn Murat, statt durch Stehenbleiben einen Tag zu verlieren, den Feind rustig angegriffen hätte, ohne sich auf Friedensunterhandlungen einzulassen. So ward er der betrogene Betrüger. Nach Eingang dieses Antwortschreibens sah sich Murat ge zwungen, noch am späten Nachmittage des 16. Novembers zum An griffe gegen den ihm gegenüberstehenden Feind nördlich Ober-Holla brunn vorzugehen.
Was nutzte es dem Prinzen, dass das sich nun
entspinnende Gefecht von Schöngraben und Grund mit dem gänz lichen Rückzuge der Russen endete ? Der Hauptzweck des Feindes war trotz der Niederlage, die er erlitt, erreicht , und die am 17. und 18. November fortgesetzte energische Verfolgung vermochte den be gangenen Fehler nicht wieder gut zu machen .
Fürst Bagration ge
langte am 18. November bis Frainspitz, eine Meile von Pohrlitz, wo an diesem Tage noch Kutusoff stand .
Den letztgenannten Ort er
reichten an demselben Tage auch jene 13,000 Oesterreicher, welche am 15. November die Wiener Donaubrücke von Murat und Lannes durch List sich hatten entreiszen lassen .
Beides wäre den Fran
zösischen Marschällen möglich gewesen zu hindern. Sobald der Kaiser in Schönbrunn eingerückt war,
gab er auch
Marmont von den Vorfällen bei der groszen Armee Kenntniss, und giebt ihm hinsichtlich des zu beobachtenden Verfahrens sehr be achtungswerthe Directiven . Schönbrunn , den 14. November 1805, 1 Uhr Nachmittags : „ Ihre Position ist auf den Höhen zwischen Leoben und Bruck , dort allein müssen Sie sich schlagen . Die Di vision Gudin würde in einem Marsche zu Ihrer Verfügung stehen. Sie werden leicht einsehen, dass es jetzt nicht meine Absicht ist, in Steyermark der Angreifer zu sein, wenigstens erst in einigen Tagen. Die Corps der Marschälle Lannes , Soult , Bernadotte und ein Theil meiner Cavallerie greifen die Russische Armee an und machen Ge waltmärsche, um sie zu erreichen . Ich habe begründete Hoffnung, dass ich in fünf bis sechs Tagen ihr übel mitgespielt haben werde. Ney's Corps ist noch in Tyrol , das Corps des Marschalls Augereau jenseits des Inn und das des Marschalls Davoust in Wien.
Schlagen
Die Correspondenz Napoleons I.
182
Sie sich also nur in der Position, die ich Ihnen angegeben habe, und je später Sie angegriffen werden, desto mehr wird es meinen Absichten entsprechen.
Denn in wenigen Tagen werden Sie die
Avantgarde einer Armee von 60,000 Mann werden, wenn es nöthig wird. " Sehr richtig erkannte der Kaiser, dass in dem Augen blicke, wo er sich mit allen Kräften gegen die Russen wandte, von Marmont's richtigem und energischem Verhalten viel abhing.
Er
musste erwarten , dass der Erzherzog mit der Italienischen Armee zum Schutze der bedrohten Oesterreichischen Erbstaaten herbeieilen würde, und dass er sich dann gegen diesen würde wenden müssen. Es war erwünscht , dass dieser Moment erst dann eintrat , wenn er mit der Russischen Armee abgerechnet hatte .
Daher war es natür
lich, dass in jenen Tagen seine Blicke sich öfters mit Besorgniss zu Marmont wandten.
Am 15. November giebt er ihm abermals aus
Schönbrunn ein vortreffliches Exposé der Kriegslage und charakterisirt ihm seine Aufgabe : „Sie sind ein Observations-Corps, Herr General Marmont. Seit einigen Tagen können Sie nicht mehr durch die Armee unterstützt werden, da alle meine Kräfte gegen die Russen gerichtet sind .
Ich habe nicht Viel , da ich genöthigt bin Wien zu
halten und da ich, in der Absicht, die Feinde zu überflügeln, um sie ernstlich anzugreifen, mehr Kräfte brauche, als um sie nur zu bekämpfen.
Immerhin ist Ihre Rolle erfüllt ,
wenn Sie den Feind
hindern, sich des Soemmring - Berges zu bemächtigen und ins Thal der Donau zu debouchiren. Wenn ich Sie nicht für stark genug halte, um unabhängig zu handeln , so halte ich Sie für zu stark , um sich auf dem Soemmring- Berge postirt zu halten. Ich billige also, dass Sie Bruck, Leoben besetzen ; dass Sie starke Posten in Oedenburg und Grätz haben.
Wenn Sie weithin aufklären , so
haben Sie Zeit mich zu benachrichtigen, um Ihnen genügende Kräfte zu schicken, nicht nur um dem Feinde zu widerstehen, sondern um ihn zu vernichten.
Fast scheint er schon zu vermuthen, dass Sie
bei Leoben Stand halten können, da seine Couriere sich von Venedig auf Pressburg dirigiren, und da eine unserer Patrouillen soeben einen an den Thoren dieser Hauptstadt ergriffen hat.
Bei dieser Lage
der Dinge, und um Sie in die Lage zu versetzen, Ihre Berechnungen anzustellen, schicke ich Ihnen einen Auszug aus den Depeschen, welche man bei dem gefangenen Couriere gefunden hat.
Daraus
folgt , dass der Prinz Carl am 3. November noch in Vicenza war. Ich meine, dass sein Armeecorps mindestens acht Tage braucht, um sich in Gewaltmärschen nach Udine zu begeben, und noch acht andere, um
sich nach Leoben zu begeben.
Es würde also kein
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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Wunder sein, wenn er in der Zeit vom 24. zum 25. November ent weder nach Grätz oder Leoben im Marsche wäre, je nach der Strasze, die er eingeschlagen hätte .
Wir sind am 15., ich glaube also, dass
binnen neun oder zehn Tagen die Masse seiner Kräfte nicht in Ihrer Nähe sein kann . Ich hoffe somit durch Sie handeln zu können und Wir sehen aus Sie durch eine starke Armee zu unterstützen. " diesem Briefe von Neuem, dass dem groszen Manne, wenn er ein Ziel energisch verfolgte, keine Gefahren, die ihm von anderer Seite drohten, ein Hinderniss boten.
Auch diesmal waren seine Com
binationen, die er stets sehr geschickt aus den ihm zugegangenen Nachrichten abzuleiten wusste, vollständig richtig und zutreffend. Ney ward wegen der in Tyrol entfalteten Thätigkeit besonders be lobt und angewiesen, sich nach Salzburg hinzuziehen und über Leoben mit Marmont Verbindung aufzunehmen. Dann aber, sobald der Kaiser von Murat's Unterhandlungen hört, duldet ihn die Unruhe nicht mehr in Schönbrunn, und schon am 17. November verlegt er sein Haupt quartier nach Znaym. Noch hoffte er durch sein persönliches schnelles Eingreifen Murat's Fehler zu redressiren und liesz in dieser Hoffnung die Garden und Davoust weiter aufschlieszen. 3(Schluss folgt.)
XI.
Aus
dem Amerikanischen Secessionskriege.
Feldzüge von 1861 und 62 in den westlichen Alleghany Gebirgen . (Schluss.) *) Der frühere Oberst Lee, welcher seit seinem Uebertritte zur Sache der südlichen Conföderation nur als Organisator der Virgini schen Streitkräfte fungirt hatte, war von Jefferson Davis an Stelle des bei Carraghs - Furth gefallenen Garnett mit der Wiedereroberung des nordwestlichen Virginiens beauftragt worden .
Das durch den
Sieg von Bull-Run berauschte, südliche Volk knüpfte an das erste Erscheinen dieses hervorragendsten Offiziers der alten Vereinigten *) Vergl. Jahrbücher Band XX, Seite 48 (Juli 1876) .
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
184
Staaten-Armee die überschwenglichsten Hoffnungen. Es hoffte, dass er die " nördlichen Barbaren" sofort in den Ohio werfen, die ver letzten Grenzen des „ Old Dominion" intact wiederherstellen würde. Die Streitkräfte aber, welche man ihm zu diesem Zwecke zur Ver fügung stellte, beliefen sich auszer der bei Mac Dowell im Lager befindlichen, an Zahl sehr reducirten Division A. Jackson's
(aus
Georgia) nur noch auf die Tennessee-Brigade Anderson und einige neu organisirte Regimenter, im Ganzen auf höchstens 11,000 Mann.
10,000 bis
Auch hatte man ihm wieder die Staunton- Parkers
burger Landstrasze zur Operationslinie angewiesen, welche dieses Mal um so schwieriger zum Ziele führen konnte, als sie, wie wir gesehen haben, auf der vorletzten der zahlreichen, westlichen Pa rallelketten, dem Cheat-Mountain, durch eine stark verschanzte Po sition geschlossen war. und Ausrüstung
Die Nothwendigkeit der Verproviantirung
verzögerte überdies den Beginn der Expedition,
welche unmittelbar nach dem Siege von Bull-Run hätte unternommen werden sollen, bis zum Anfang Septembers. Die von Mac Clellan projectirten und von Rosecrans ausgeführten Verschanzungen im Cheat- Gebirge hatten eine Ausdehnung von 7 Englischen Meilen und waren auf dem Gebirgsrücken nur durch einen Saumpfad mit einander verbunden , auch konnten sie vom oberen Greenbriar- Thale aus auf Nebenwegen in ihrer rechten Flanke um gangen werden.
Zu ihrer Vertheidigung hatte General Reynolds, ein
tüchtiger, alter Offizier der regulairen Armee, 10 Regimenter Infanterie, mehrere Compagnien Cavallerie und 2 Batterien, im Ganzen etwa 9000 Mann.
Ein Angriff in der Front bot nur sehr geringe Chancen
des Erfolges . Lee entwarf daher eine sorgfältig, ausgearbeitete com plicirte Disposition, der zu Folge ein Colonel Rust mit 1500 bis 2000 Mann auf der Staunton-Parkersburger Strasze demonstriren und am hauptsächlichen
Gebirgspasse die Unionstruppen
beschäftigen
sollte, während er selbst vom Feinde unbemerkt seine Hauptmacht auf schwierigen Gebirgswegen aus dem Greenbriar-Thale über die gleichnamigen Gebirge, die Quellen des Elk und das Valley -Gebirge am 12. September in das obere Tygart-Thal führen und die feind liche Position in ihrer rechten Flanke umgehen wollte.
Bei dieser
Bedrohung musste er es jedoch nach einem unbedeutenden Gefechte bewenden lassen, da sein Unterbefehlshaber am Summit- Passe der Greenbriar-Gebirge angelangt aus Feigheit oder Unverstand die be fohlene Demonstration nicht aufgeführt hatte und Reynolds daher, seine Frontlinie nur schwach besetzt haltend, genügende Verstärkungen nach seiner bedroheten, rechten Flanke
führen konnte.
Lee hatte
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
185
auszer dem Fehlschlagen seines Planes noch den Tod seines Adju tanten Colonel John A. Washington zu beklagen, im Uebrigen aber belief sich der Verlust bei den entstandenen Gefechten auf jeder Seite nur auf etwa 70 bis 80 Todte und Verwundete. Ein eigentlicher Angriff war von ihm daher gar nicht unternommen worden, theils weil er einen solchen seinen neuen Truppen wohl noch nicht zu muthen wollte, theils weil seine Aufmerksamkeit um dieselbe Zeit nach der Operationslinie des New-River (Kanawha) hingelenkt wurde, wo Wyse und Floyd , obwohl von Rosecrans bedrängt, doch noch Musze gefunden hatten, unter sich einen Privatkrieg zu führen. Lee gab in Folge dessen jeden Gedanken an Fortsetzung der Operationen auf der Staunton-Parkersburger Linie auf, liesz zur Be obachtung der Position von Cheat Mountain die eine Hälfte seiner Division unter H. R. Jackson im oberen Greenbriar-Thale zurück und dirigirte die andere unter General Loring auf Lewisburg.
Persönlich
vorauseilend , kam er am 20. September im Lager Floyd's bei Meadow Bluff, und am 22. in Wyse's Camp Defiance an.
Diese seine recht
zeitige Ankunft auf dem Sewell - Gebirge machte dem Competenz streite Wyse's und Floyd's ein Ende und änderte daselbst, wie wir gesehen haben, die Situation. Das, was man im Süden von Lee er wartet, im Norden von ihm befürchtet hatte, that er indessen nicht. In Erwägung der vorgerückten Jahreszeit , der bereits aufge weichten Wege, der mit Wasser sich mehr und mehr füllenden Ge birgsthäler und Schluchten , der Unmöglichkeit 10,000 Mann in diesem Lande zu unterhalten oder dieselben während des Winters von Ost-Virginien her verproviantiren zu können ; in Erwägung end lich, dass auf dieser Operationslinie keine Entscheidung des aus gebrochenen groszen Krieges möglich wäre, gab er den Gedanken an einen Angriff der Position von Big - Sewell ebenso auf, wie er den eines Angriffes auf die Schanzen von Cheat Mountain aufgegeben hatte.
Er bekundete bei dieser Gelegenheit, dass er die Angelegen
heiten von einem allgemeinen Standpunkte aus auffasste und längst eingesehen hatte, dass die neue Conföderation die Länder westlich der Alleghanies überhaupt nicht zu behaupten im Stande wäre.
Er
schickte die mitgebrachten Truppen Loring's wieder nach Osten zurück , liesz Floyd im Commando des Westens und kehrte, ohne Erfolge errungen zu haben, nach Richmond zurück, wo er von den Heiszspornen der Secession wegen seiner Passivität und anscheinend geringen Thatkraft auf das Heftigste angefeindet wurde.
Unzweifel
haft hätte er, wie wir sehen werden, etwas mehr thun und seinen Gegner Rosecrans in eine recht unangenehme Lage versetzen können .
186
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
Floyd , nachdem auch Wyse nach Richmond zurückgerufen worden war, alleiniger Befehlshaber der conföderirten Streitkräfte westlich der Alleghanies , beschloss mit den ihm gebliebenen sechs Bataillonen, einem berittenen Regimente und zwei Batterien, d. h. mit etwa 5000 Mann das zu thun , was Lee nicht mit 10,000 gethan hatte.
Er
leitete, wie dies bald allgemeine Sitte wurde, seine grosze Unter nehmung mit einem Cavallerie-Raid ein, indem er seine „ Rangers" nach der linken Seite des New-River hinüber schickte, die Thäler des Coal- River und Guyandotte hinab nach dem unteren Kanawha und Ohio streifen,
die dort zur Deckung der Operationslinie der
Unions - Armee stationirten ,
neuen Regimenter allarmiren und den
Guerillakrieg wieder beleben liesz , welcher zur Tödtung von Offi zieren und Soldaten aus Hinterhalten und als Repressalie zur Nieder brennung von Ortschaften und Gehöften , sowie zu einzelnen Gefechten führte. Auch Rosecrans hatte eingesehen, dass auf dieser Operations linie kein weiteres Vordringen nach Osten möglich wäre, seine vier Brigaden daher vom Sewell nach dem Gauley-Gebirge zurückgezogen und sein Hauptquartier in Tompkin's Farm aufgeschlagen, wo er mit der Genugthuung einem Lee wirksam Schach geboten zu haben, sich vorläufig einem dolce far niente hingeben zu können glaubte. Demselben wurde er etwas unsanft entrissen, als am 30. October die auf der linken Seite der engen und tiefen Schlucht des New River sich erhebende, dominirende und waldbedeckte Berggruppe des Cotton-Hill vom Gipfel bis zum Fusz sich mit feindlichen Tirailleurs füllte.
Anfangs glaubte man im Hauptquartiere Rosecrans ' , dass es
nur ein Streich der, wie erwähnt , auf einem Raid begriffenen , be rittenen Rangers und der Bushwhakers des linken Fluss-Ufers wäre, als aber am folgenden Morgen eine feindliche Batterie vom jenseiti gen Abhange ihr Feuer über die Wasserfälle hinweg auf die Fähre eröffnete, welche am Fusze des Gauley- Gebirges die Verbindung mit dem an der Mündung des Gauley in den Kanawha etablirten Depot vermittelte, da kam man zu der Ueberzeugung, dass die gesammten Streitkräfte Floyd's dem Raid der Cavallerie über den New-River ge folgt war und die rückwärtigen Communicationen ernstlich bedrohte. Die in der Thalweitung lagernden Unionstruppen erhielten den un erwarteten Grusz beim Morgenkaffee und mussten eiligst sich aus ihren Zelten nach dem rückwärtigen Thalrande zurückziehen ,
den
auf dem Gauley- Gebirge campirenden Brigaden des Generals Rose crans aber war das tägliche Brot abgeschnitten, welches ihnen mit so vieler Mühe und so vielen Opfern an Pferden auf der steilen Strasze zugeführt zu werden pflegte .
Der Fehler, welchen man ge
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
187
macht hatte, den wichtigen Knotenpunkt des Flussgebietes nicht nach allen Seiten hin zu verschanzen, obwohl die Configuration des Terrains deutlich genug zeigte, wo man Feldwerke und Batterie-Emplacements anzulegen hatte , war von dem mit dem Lande wohl bekannten, thätigen Feinde trefflich benutzt worden. Es war bitter genug, dass man diese Belehrung in der Kriegskunst einem Laien, und noch dazu dem damals im ganzen Norden am meisten gehassten Ex- Kriegs secretair Bachanan's zu danken hatte, aber es war immer noch ein Trost , dass Lee es nicht der Mühe werth gehalten hatte, dieselbe zu ertheilen. Floyd konnte eine verhaltnissmäszig nur schwache Truppenmacht bei sich haben, die Communication im Kanawha-Thale daher wieder geöffnet werden. Auch wurde die ganze Geschichte bald mehr komisch, als ernst. Das Feuergefecht, welches sich entspann und während der folgenden Tage über den schönen und tiefen Fluss hinweg fortgesetzt wurde, war trotz des
Lärmes ,
den
das
heftige
Geschütz-
und
Klein
gewehrfeuer , vermischt mit dem Tosen der Wasserfälle und dem Geschrei geängstigter Quartiermeister
und Fuhrleute
verursachte ,
ziemlich harmlos , da vorläufig keiner der Gegner an ein Ueber schreiten des trennenden Stromes denken konnte . Auch fand man, dass bei dunkler Nacht die Proviantwagen ganz ungefährdet im Defilee des rechten Ufers durchschlüpfen und die abgeschnittenen Brigaden wieder mit Lebensmitteln versehen konnten . General Rose crans erholte sich in Tompkin's Farm daher um so leichter von seiner Bestürzung, als der Feind dieses Haus aus Rücksicht für den Besitzer nicht beschoss und entwarf, wie dies damals auf beiden Seiten Sitte war, einen ganz detaillirten, weitläufigen Operationsplan zur völligen Umfassung
des unverschämten Gegners .
Der Plan
scheiterte wie gewöhnlich an seiner Umständlichkeit, der Lässigkeit oder Unfähigkeit der Unterbefehlshaber und der Schwierigkeit des Terrains. Es dauerte mehr als eine Woche, bevor die Uebergangs mittel oberhalb und unterhalb der Fälle an Ort und Stelle waren, und aus dem unteren Kanawha - Thale eine Umgehungscolonne auf dem jenseitigen Fluss - Ufer herangezogen werden konnte .
Die Ge
birgsschluchten hatten überdies jetzt sich mit Wasser gefüllt , Wege waren zu Lehmpfützen geworden .
die
Floyd konnte daher sich
leicht dem ihn umstrickenden Netze entziehen, die Verfolgung des nachsetzenden Feindes an
allen Defileen durch seine abgesessene
Cavallerie so lange aufhalten, bis seine Colonne in Sicherheit war und mit verhältnissmäszig geringem Verluste über Fayetteville, Ra leigh , Princeton den Durchbruchspass des New - River durch die
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Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
eigentlichen Alleghanies bei Peterstown und die östlich derselben von Richmond über Lynchburg nach Tennessee laufende Eisenbahn gewinnen, auf welcher er später einige hundert Meilen weiter west lich wieder zum Vorscheine kam , um in die Katastrophe von Fort Donelson verwickelt zu werden, welche seiner kurzen militairischen Carrière ein Ende machte. Rosecrans hatte am 15. October seine Brigaden von ihrer nutz losen Hetzjagd zurückgerufen und hierdurch die Campagne geschlossen. Auch war es bei der vorgerückten Jahreszeit und dem völlig auf gelösten Zustande der Wege absolut unmöglich hier die Operationen fortzusetzen. Die bei Gauley erhaltene Lehre beherzigte er insoweit, als er nun auch das linke Ufer des New-River besetzt halten und bei Fayetteville Verschanzungen anlegen liesz , welche im Vereine mit einigen Batterie - Emplacements auf dem Gauley - Gebirge die Operationslinie des Kanawha ebenso schützen sollten, wie die Po sition von Cheat Mountain den Nordwesten geschützt hatte. Offensiv gedanken waren für beide Linien indessen in den militairischen Kreisen der Unions-Armee ebenso aufgegeben worden, als in denen der Secessions -Armee.
Die westlichen Alleghanies waren als eine
hauptsächlich wegen Transport- und Verpflegungs- Schwierigkeiten für gröszere Truppenmassen unpassirbare Barrière erkannt worden. Eine Combinirung der Operationen westlich und östlich dieser natür lichen Scheidelinie erwies sich für beide kämpfenden Theile praktisch gleich unausführbar.
Dennoch wurde dieselbe von beiden Parteien
aus politischen Gründen weiter versucht.
In Richmond konnten die
alten Familien des Landes den Verlust ihrer bisher wenig ausge nützten, aber immerhin werthvollen Besitzungen nicht verschmerzen ; in Washington wurde die Regierung durch Presse und Politiker ge drängt ,
direct Etwas zur Befreiung der unionstreuen Bevölkerung
des gebirgigen östlichen Tennessee zu thun, welche von den con föderirten Behörden mit groszer Härte unterdrückt worden war. Hülferufe, welche von dort her erschollen, die Flüchtlinge,
Die
welche
von dort dem Norden zueilten, zogen die Ereignisse die Alleghany Gebirge entlang weiter nach Westen. Die Pacificirung des zwischen dem Thale des groszen Kanawha und der Grenze von Kentucki gelegenen, gebirgigen und bisher an scheinend so feindseligen Theiles von West-Virginien war, nachdem der eintretende Winter weitere Raids der conföderirten Cavallerie unmöglich machte , um so leichter, als es sich jetzt zeigte, dass die kleineren Farmer auch hier von einer Minorität terrorisirt worden waren. Im östlichen Kentucki lagen die Verhältnisse ziemlich ähnlich.
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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Die ganze Gegend erschien aber noch mehr verwildert, und war vom Ohio aus schwerer zugänglich, als das westliche Virginien, da der daselbst die Operationslinie bildende Big Sandy nur 20 Meilen auf wärts bis Louisa schiffbar ist.
Hier gabeln sich die beiden Arme
dieses Flusses , deren schwierige, vielfach gekrümmte Thäler man noch 80 Meilen weit hinaufsteigen muss , um die Wasserscheide zu finden, hinter welcher der Clinch und der Holston zum Tennessee zusammenflieszen , und diejenige von Richmond kommende Eisen bahn über Lynchburg und Knoxville nach Chattanooga läuft, welche die nächste und wichtigste Communicationslinie zwischen dem Osten der Conföderation und ihrem Westen bildete. Die Zerstörung dieser Communication war eine Aufgabe, welche den kleineren Corps der Unions - Armee von selbst sich stellte, ihre Lösung auf der Linie des Big Sandy aber noch schwieriger, als auf der des Kanawha und New-River. Die Colonne, welche, nachdem im Spätherbste 1861 die Invasion Kentucki's vom Ohio aus begonnen hatte , in der Stärke von etwa 3000 Mann die Durchbruchspässe der oberen Wasserläufe des Sandy durch die Cumberland- Gebirge er reichen wollte, fand bald aus, dass dies bei der vorgerückten Jahres zeit und der Schwierigkeit des Terrains eine absolute Unmöglichkeit wäre, und begnügte sich, unfern der erwähnten Gabelung der beiden Arme des Flusses Position zu nehmen.
Hier hatte sie , kaum 30
Meilen vom Ohio entfernt , ihre eigene Subsistenz wenigstens ge sichert und konnte während des Winters unter Garfield's Befehlen der im höheren Berglande gegenüber stehenden conföderirten Brigade des
Kentuckiers
Humphrey Marshall wiederholte ,
ganz nutzlose Gefechte liefern .
aber eigentlich
Die erste westliche Terrasse der
Parallelketten der Alleghanies wurde auf diesem Wege nicht erreicht und hätte, wenn sie erreicht worden wäre, nicht gehalten werden können.
Auf derselben blieb Marshall Herr und Meister, und Nichts
als seine eigene persönliche Corpulenz konnte ihn in der Fortsetzung des Gebirgskrieges an der Grenze der Staaten Virginien, Kentucki und Tennessee beschränken. Leichter schien der Zugang zu Ost-Tennessee über die Cumber land-Gebirge, weiter westlich von dem Cincinnati gegenüber liegenden Covington aus, über Lexington, den Kentucki-Fluss und Cumberland Gap erreichbar . Das Land war bis zu dem genannten Flusse dicht bevölkert, gut angebaut und von Eisenbahnen durchkreuzt. Aber es enthielt die Hauptstadt des Staates Franfcort, den Sitz der secessions lustigen Regierung und den Brennpunkt der dortigen Secessions bewegung.
Auch wurde die Gegend jenseits des Kentucki- Flusses
190
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
wieder ärmer, weniger bevölkert , schwieriger und die Entfernung von Covington oder Louisville bis zum oben genannten Hauptpasse des Cumberland- Gebirges betrug 150 bis 160 Meilen.
Auf dieser
Operationslinie versuchte der linke Flügel der aus Ohio- und Indiana Freiwilligen bestehenden und auf 40,000 Mann anwachsenden mittle ren Invasions -Armee noch im Winter 1861 das ersehnte Ziel zu er reichen.
Aber der Ungestüm, mit welchem diese neuen Krieger in
das feindliche Land vordrangen, kühlte bald am Mangel der Lebens mittel sich ab.
Sie
Kentucki - Truppen
drängten zwar
rasch über
den
die
ihnen entgegentretenden
gleichnamigen Fluss
zurück,
konnten aber nicht verhindern , dass die Letzteren, auf 10,000 Mann verstärkt, sich noch westlich der Gebirge unter Crittendon's Führung bei Beach Grove, gegenüber Millsprings, am rechten Ufer des oberen Cumberland wieder festsetzten und in dieser verschanzten Stellung bereit blieben, jedes weitere Vordringen nach dem Cumberland-Passe in die rechte Flanke zu nehmen. Bisher waren von beiden Seiten auf diesem Kriegsschauplatze nur militairische Dilettanten thätig ge wesen. Der Anfang des Jahres 1862 fand alte Offiziere der regu lairen Armee im Commando . Crittendon hatte im Sommer des ver flossenen Jahres als Oberstlieutenant des Regiments „Mounted Rifles " seinen Abschied genommen, um als General in die Dienste der Con föderation zu treten, Thomas, sein nunmehriger Gegner, war, obwohl ein geborener Virginier und Major in demjenigen Cavallerie-Regi mente, welches die militairischen Heiszsporne der Secession enthielt, der Union treu geblieben und hatte die Reste der in Texas von ihrem eigenen Führer, dem damaligen Generalmajor Twiggs,
den
Milizen des genannten Staates in die Hände gespielten Truppen des Mexikanischen Grenzcordons nach Washington zurückgebracht. Pflicht treue bildete den Grundton seines Charakters und machte ihn auch im Verlaufe des groszen Bürgerkrieges zu dem geachtetsten aller Führer der nördlichen Heere. An seinen Namen heftete sich kein Makel.
Seine Fehler bestanden vielleicht nur in einer zu groszen
Bescheidenheit und einer gewissen methodischen Langsamkeit, welche ihn gehindert hatten ,
das Commando
derjenigen Armee
zu
be
anspruchen, welche der der Sache der Union nur wenig ergebene Buell befehligte und in welcher er jetzt commandirte.
Mit dieser Division ,
nur die vierte Division
welche aus einigen in West
virginien überflüssig gewordenen , darunter auch zwei westlichen Deutschen Regimentern und den von Hass gegen die südlichen Unter drücker beseelten , flüchtigen Gebirgsbewohnern Ost-Tennessee's be stand , that er den ersten entscheidenden Schlag in dem groszen
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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Kriege, indem er dieselbe von Lebanon rasch gegen den oberen • Cumberland vorführte, den für seine Verbindung mit der in Bowling Green concentrirten Hauptarmee S. Johnston's besorgten Crittendon aus seinen Verschanzungen von Beachgrove herauslockte und am 19. Januar bei Logan Cross-Roads so empfindlich schlug , dass der selbe mit Verlust seiner Geschütze, seiner Bagage und Zelte hinter die Cumberland- Gebirge floh . Die Eroberung des östlichen Kentucki war dadurch vollendet, der rechte Flügel des von der conföderirten West-Armee gebildeten Cordons über den Haufen geworfen , der Feldzug für die Union in möglichst vortheilhafter Weise eingeleitet worden. Der Pass des Cumberland - Gap aber wurde durch diesen Sieg noch nicht geöffnet. Die Operationen zogen sich um die Cumberland-Gebirge westlich herum, die Eroberung des westlichen Tennessee folgte nach , aber die Befreiung des östlichen liesz bis zum Spätsommer des Jahres 1863 auf sich warten, d. h. bis die sieg reichen föderalen West-Armeen Vicksburg am Mississippi genommen und Chattanooga am Tennessee besetzt hatten .
In Washington trug
man sich, wie gesagt, mit dem Gedanken der Rückeroberung jenes Landes während des ganzen Winters 1861 auf 1862 , ohne jemals zu einem festen Plane gelangen zu können.
Am 11. März endlich
glaubte Präsident Lincoln den gordischen Knoten am besten dadurch zu lösen, dass er, Mac Clellan im Commando des Ostens und Halleck in dem des Westens belassend, die Westabhänge der Alleghanies in ein Gebirgsdepartement verwandelte, welches das westliche Virginien und das östliche Kentucki umfasste , und dem als Erforscher der Felsengebirge und angeblicher Eroberer Californiens mit Uebersteigung von Bergen vertrauten Fremont zuwies .
Derselbe fand auszer einigen
Besatzungstruppen in seinem Departement nur noch einzelne mehr oder weniger starke Divisionen oder Brigaden auf den bisherigen vier Operationslinien der Ohio- Baltimore- Eisenbahn, der Parkersburg Stauntoner Landstrasze, des Kanawha und des Big Sandy vor, da während des Winters Mac Clellan 15,000 Mann unter Lander (später Shields) aus West- nach Ostvirginien gezogen hatte, um sich dem rechten Flügel seiner Potomac - Armee anzuschlieszen. Für eine passive Defensive
hatte Fremont westlich der
Alleghanies
noch
immer mehr Truppen, als zu einer solchen nöthig waren, für eine offensive Unternehmung nach Ost-Tennessee aber hatte er augen scheinlich zu wenig.
Auch hegte er damals noch durchaus keine
Lust , sich in dem Streite überhaupt passiv zu verhalten.
Als ehe
maliger Präsidentschafts - Candidat der republikanischen Partei und damaliger Repräsentant des revolutionairen, Europäischen Elements
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
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in den Vereinigten Staaten wollte er trotz seines im vorigen Jahre in Missouri gemachten Fiasco's eine militairische Rolle spielen, ver langte von Lincoln mehr Truppen, und erhielt die bereits dem zweiten Armeecorps der Operations-Armee Mac Clellan Blenker.
einverleibte Division
Aus einem Dutzend, zum gröszeren Theile unter der ein
gewanderten Bevölkerung der groszen Städte des Ostens geworbenen Regimentern bestehend und ursprünglich nahe an 10,000 Combattan ten zählend, hatte diese sogenannte Deutsche Division bei der groszen Zahl ehemaliger Europäischer Militairs, welche sich in ihren Reihen befanden ,
am raschesten von all'
den so plötzlich improvisirten
Schaaren einen gewissen Grad militairischer Ausbildung und Dis ciplin erlangt , welchen der Offizieren und Leuten so unbegreifliche Marsch von Manassas Junction rechts rückwärts in die öden, west lichen Gebirge bereits nicht wenig erschütterte. Nach einem Marsche von etwa 100 Englischen Meilen über die Blauen Gebirge, den unteren Shenandoah, fünf oder sechs weitere Nebenflüsse des oberen Potomac und ebenso viele Bergketten fanden die Deutschen ihren neuen Obergeneral, umgeben von seinem Stabe ehemaliger Französi scher, Ungarischer und Polnischer Revolutionsoffiziere am New- Creek unweit Piedmont. Statt aber mit der Ohio- Eisenbahn weiter nach Westen befördert zu werden, erfuhren sie, dass sie die Berge, welche sie in nordwestlicher Richtung soeben erst hinaufgestiegen waren, in südwestlicher wieder hinabsteigen sollten. Ost-Tennessee war aufgegeben worden .
Die Expedition nach
Statt derselben sollten die
im Kanawha-Thale verbliebenen Regimenter auf beiden Seiten des New -River allein durch die Gebirge bis zu der öfter erwähnten East-Tennessee- Virginia- Eisenbahn vordringen und dieselbe zerstören . Die im verschanzten Lager von Cheat-Mountain während des Winters belassene Division sollte auf der nach Staunton führenden Landstrasze über die vorliegenden Bergketten nach dem oberen Virginien-Thale operiren, Fremont aber mit den soeben erhaltenen Deutschen und ein Paar neuen Westvirginischen Regimentern von New- Creek aus das Längenthal des südlichen Armes des Potomac über Petersburg und Franklin hinaufsteigend , dasselbe Ziel erreichen und sich mit Banks vereinigen, welcher dort Jackson gegenüber stand.
Der Auf
bruch der Colonnen aus ihren Versammlungslagern geschah in den ersten Tagen des Monats Mai. Auf der Operationslinie des Kanawha hatte General Cox zwei Infanterie- Brigaden und ein Cavallerie-Regiment mit zwei Batterien um diese Zeit auf dem linken Ufer des New- River, eine Brigade auf dem rechten Ufer desselben Flusses bei Gauley concentrirt.
Die
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
193
Wege waren jetzt trocken und überall passirbar, die Truppen mit Transportmitteln reichlich versehen .
Das Wetter war prächtig, der
Marsch nach den höheren Gebirgsterrassen hatte keine Schwierig keiten. Die linke Colonne unter Befehl des sehr bald unter den jüngeren Offizieren der regulairen Armee sich besonders auszeichnen den Colonel Crook überstieg die Sewell- Gebirge und erreichte bei Lewisburg das Greenbriar-Thal , ohne auf Widerstand zu stoszen. Die dort während des Winters
reorganisirte feindliche Cavallerie
retirirte in die Gebirge, die nach dem James-River-Thale führenden Pässe besetzt haltend und den dortigen Ausgangspunkt der Virginia Central - Bahn bei Covington deckend .
Crook allein war viel zu
schwach auf dieser, vielleicht günstigsten Linie, in das obere Thal von Virginien vorzudringen, und hatte überdies am New-River mit seinem Obergeneral Cox einigermaaszen in Verbindung zu bleiben. Dieser verfolgte, wie erwähnt, die über die Ortschaften Fayetteville, Raleigh, Princeton auf der linken Seite des genannten Flusses laufende Wegecommunication, welche Floyd letzten Winter auf seinem Rück zuge eingeschlagen hatte. Dieselbe theilt sich bei Princeton in di vergirender Richtung und führt nach verschiedenen Pässen der vor liegenden Gebirgskette. Diesen wichtigen Umstand nicht weiter be achtend, setzte die lange Colonne ihren Reisemarsch gemuthlich links nach Peterstown im Durchbruchsthale des New- River fort. Kaum aber hatte die Avantgarde in diesem tiefen Passe die erste Gebirgs kette (East-River Mountain) hinter sich und den Ort Pearsburg be setzt , als sie am 10. Mai aus den nächsten Gebirgen (Wolfs- River Mountain) vom Feinde mit Uebermacht angegriffen und mit Verlust durch den Engpass zurückgetrieben wurde.
Es waren die aus Fort
Donnelson entkommenen Truppen Floyd's, welche jetzt unter Befehl von Jones auf diesen Gebirgen Position genommen hatten und dem Vordringen nach der Tennessee- und Virginia - Bahn sich in Front entgegenstellten.
Sie waren jedoch nicht die einzige conföderirte
Streitmacht, mit welcher Cox, der unter Bedeckung von einigen Com pagnien sein Hauptquartier in Princeton behalten hatte , Verpflegung zu regeln, es hier zu thun haben sollte.
um die
Er wurde da
selbst am Abende des 16. Mai von einem starken, aus ganz ent gegengesetzter Richtung kommenden Feinde überfallen und mit Ver lust seiner Zelte, Bagage und Pferde in die Wälder getrieben . Dieser Feind war der unerwarteter Weise aus dem östlichen Kentucki mit seiner Brigade herbeigeeilte, corpulente Humphrey Marshal, welcher der Unionscolonne in den Rücken gerathen war . Zum Glücke für Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
13
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
194
dieselbe entwickelte er hier nicht die ihm vom Mexikanischen Kriege her nachgesagte Energie .
Auch hatte sein College Jones ,
wie es
schien, keine Lust mit ihm weiter zu cooperiren, sondern wandte sich von Peterstown wieder dem rechten Ufer des New-River zu, wo er sich bald darauf bei Lewisburg durch die Brigade Crook eine Schlappe holte , welche ihn in die Gebirge zurücktrieb.
Die bei
Princeton so arglos in die Falle gerathenen Ohio - Regimenter hatten sich derselben mit zwar empfindlichem, aber verhältnissmäszig ge ringem Verluste entzogen. General Cox aber erneuerte seinen Ver such, nach der Virginia- und Tennessee-Eisenbahn vorzudringen, nicht. Schlimmer noch erging es der Colonne, welche von dem Cheat Gebirge aus unter Führung des zum General gemachten Indiana Advocaten, Milroy, auf der Strasze nach Staunton über die Green briar- und andere Alleghany- Bergrücken in Highland County bis zu den Thälern der oberen Zuflüsse des James vordrang und es sich zu Mac Dowell am Fusze des Bull - Pasture, eines Vorsprunges der Shenandoah-Gebirge, bequem machte, ein groszes Lager aufschlug und von demselben aus, mehr um zu fouragiren, als zu operiren, Detachements in das reiche Virginia-Thal vorsandte.
In demselben
stand Milroy auf dem Wege nach dem nur einige zwanzig Meilen entfernten Staunton, der conföderirte General B. Johnson mit einer Brigade von 2500 Mann gegenüber, dahinter an der Virginia- Central Bahn selbst Jackson mit seiner wieder auf 6000 Mann verstärkten Division.
Milroy hatte etwa 4000 Mann, Schenk, welcher ihm vom
Cheat Mountain aus auf derselben Strasze mit 2000 Mann folgte, war noch einige zwanzig Meilen zurück.
Banks, welcher im Thale
des Shenandoah den Oberbefehl führte, hatte daselbst nach Abgang der über die Blauen Gebirge nach Osten geschickten starken Division Shield's etwa 16,000 Mann, mit welchen er Anfang Mai noch Harri sonburg , einige dreiszig Meilen von Mac Dowell entfernt , besetzt hielt. Fremont war mit der Division Blenker und ein Paar an der Ohio-Baltimore Eisenbahn gesammelten Regimentern, also mit 10,000, höchstens 11,000 Mann noch in New - Creek am oberen Potomac, d. h. mehr als
100 Meilen von Milroy und 80 bis 90 Meilen von
Banks entfernt , am 4. Mai jedoch aufgebrochen, um sich mit ihnen zu vereinigen.
Solches war die Situation, als Jackson, die Unvor
sichtigkeit Milroy's benutzend, die Brigade Bushrod Johnson, durch einen Theil seiner eigenen Truppen verstärkt , am 7. Mai plötzlich auf das vorderste Regiment Milroy's warf, welches, von zwei anderen gefolgt, prospectirend und fouragirend über die Shenandoah-Gebirge vorgegangen war, während der letztgenannte Herr mit dem Reste
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege.
195
seines Commando's , keines Arges gewärtig , 15 Meilen und sein College Schenk mehr als 30 Meilen rückwärts im Lager geblieben Das erwähnte Regiment wurde mit Verlust seiner Bagage auf die demselben folgenden Schaaren zurückgetrieben, auch diese nach Mac Dowell zurückgedrängt und der Kampf am folgenden Tage
waren.
gegen die nun endlich vereinten Streitkräfte beider Civil - Generale bis zum Einbruche der Dunkelheit fortgesetzt. Die Ohio-, Indiana und Westvirginischen Freiwilligen hatten tapfer, obwohl in groszer Unordnung, gekämpft, ihre Führer aber, wie es scheint, völlig den Kopf verloren, indem sie während der Nacht den Rückzug nicht auf der Strasze antraten, auf welcher sie vorgegangen waren, sondern unter Zurücklassung ihres ganzen Lagergeräths in nördlicher Richtung nach dem oberen Potomac zu entflohen, um bei Fremont Hülfe zu suchen.
Dieser hatte am 7. Mai erst Petersburg erreicht und setzte
seinen Marsch von dort rasch noch 30 Meilen weiter bis Franklin fort, welches nur 20 von Mac Dowell, 30 von Harrisonburg und 40 Meilen von Staunton entfernt liegt.
Aber er befand sich daselbst
keineswegs in der Lage, die Operationen über die öden und schwieri gen Shenandoah-Gebirge sofort zu beginnen, da seine eigenen Leute die von New-Creek mitgebrachten Mundvorräthe beinahe aufgezehrt hatten, Milroy's und Schenk's Truppen aber in völliger Auflösung und von Allem entblöszt ihm in die Arme gelaufen waren. Er be schloss daher, in Franklin erst ein groszes Depot anzuhäufen, welches ihm als sichere Verpflegungsbasis dienen sollte.
Während dies aber
bei dem schwierigen Transporte im langsamen Entstehen begriffen war, steckten seine 16,000 Mann hungernd und enttäuscht auf einer Operationslinie, welche man in Washington eigens für ihren Ruin ausgesucht zu haben schien. Die conföderirten Generale dagegen konnten in dem sicheren Bewusstsein, dass vom Mountain- Departement Fremont's vorläufig keinerlei Gefahr drohe, schon am 12. Mai sich über jenen Operations plan einigen, demzufolge Jackson durch die Division Ewell auf 15,000 Combattanten verstärkt ,
im Shenandoah - Thale seinen bekannten
glänzenden Offensivstosz gegen Banks ausführte und Washington in Schrecken setzte, J. Johnston mit der Hauptarmee aber Richmond gegen Mac Clellan vertheidigte.
Fremont , dessen Unthätigkeit in
Franklin man die Hauptschuld der Niederlagen des militairisch ganz unfähigen Banks beimessen wollte, und welcher, wie man in Wa shington von ihm verlangte, von seinen Bergen aus Jackson nicht rechtzeitig den Rückweg verlegen konnte, begrub in denselben seinen 13*
196
Aus dem Amerikanischen Secessionskriege .
Namen für immer.
Die Politiker - Generale aber fanden aus ,
dass
für sie in diesen Gebirgen zwar Lorbeerbäume genug wuchsen, deren Zweige sich aber nicht zu Kränzen winden lieszen. von nun an das Gebirgsland dem Postenkriege.
Man überliesz
Befremden musste
es daher, dass Grant, als er im Frühjahre 1864 seine groszen Ope rationen im östlichen Virginien begann , wiederum daran dachte, Truppencorps aus dem westlichen zu denselben direct durch die Ge birge heranziehen zu wollen. Der Erfolg war nicht besser, als er 1862 gewesen war, obwohl kein Jackson mehr das Thal von Vir ginien bewachte.
Ein Breckenridge mit wenigen Tausend Mann
genügte, um Siegel ,
Hunter, Averill u. A. in die westlichen Alle
ghanies zurückzuwerfen und abermals einen die Bundeshauptstadt bedrohenden Stosz im Virginia-Thale vorzubereiten. Auch die Politiker in Richmond mussten anerkennen, dass, wie Lee ihnen bereits erklärt hatte, diese Gebirgsketten eine wirkliche strategische Barrière wären, nachdem im Herbste 1862 die Versuche der conföderirten Generale Loring und Kirby Smith das Kanawha Thal und das östliche Kentucki mit starken Corps wieder zu erobern, zwar mit deren raschem Vordringen bis nahe an den Ohio, aber auch mit deren ebenso raschem Rückzuge nach Ost-Virginien und Ost Tennessee geendet hatten, einzig und allein, weil sie in jenen ver nachlässigten Gegenden ihre Leute nicht ernähren und nicht ge Erst nügende Zufuhren durch die Gebirge heranziehen konnten . seitdem nach Beendigung des groszen Bürgerkrieges die reichen Westabhänge des Appalachischen Gebirgssystems der Industrie und dem Verkehre erschlossen und neue Eisenbahnlinien eröffnet worden sind, fangen auch diese strategischen Schranken an nach und nach zu verschwinden.
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
197
XII .
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. Eine militairhistorische Studie
von A. von Crousaz , Major zur Disposition. (Schluss . ) *) Die Napoleonische Kriegsfahrt und Hegemonie erreichte 1812 ihren Gipfel und trieb dann abwärts ; York that seinen Alexander hieb, und wurde darin vom Könige anerkannt ,
sobald es die Um
stände möglich machten ; der Freiheitskrieg verwerthete Preuszens Heeresreform und liesz sie in neuen Organisationen, die in der Wechselwirkung mit diesem groszen Völkerkriege um so bedeut samer waren, fortdauern. Die Vorbereitungen für die bevorstehende grosze Kriegsarbeit nahmen Preuszen , gleich im Anfange des Jahres 1813 , sehr be deutend in Anspruch.
Der König genehmigte ein von Scharnhorst
Ihm vorgelegtes Project
zur Bildung
freiwilliger Jägerschaaren ;
durch das Gesetz vom 9. Februar wurden, für die Dauer des Krieges, die statuirten Ausnahmen von der Verpflichtung zum Militairdienste, die dringlichsten Fälle abgerechnet , aufgehoben .
Durch Cabinets
ordre vom 10. März stiftete der König das Eiserne Kreuz mit er hebendem Worte, das aus Seinem Innersten hervorging ; am 17. März erliesz Er Seinen begeisternden Aufruf an das Volk , den Hippel zwar in Worte gebracht , der König aber dem Wesen nach aus Seinem Geiste und Herzen geboren hatte, und an demselben Tage erging, als Königliches Edict, die Verordnung über die Organisation der Landwehr, deren Kreuze an der Kopfbedeckung Er den von Ihm allein gefundenen, den allein richtigen Sinnspruch gab : „ Mit Gott, für König und Vaterland ! " Die Organisation der Landwehr ist eine der wichtigsten That sachen unserer Heeresgeschichte : durch ihre historischen Wurzeln, in dieser sonst nie und nirgends dagewesenen Eintracht des streng militairischen und liberalen Charakters, vermöge ihrer Leistungen im
*) Vergl. Jahrbücher Band XX, Seite 75 (Juli 1876) .
198
König Friedrich Wilhelm III . als Heeresbildner.
Kriege und Frieden, und endlich nach Dauerhaftigkeit und stets zeit gemäszer Entwickelung. Ihre Vorgeschichte lief als dünner Faden durch das ganze vorige Jahrhundert, gewann im Anfange des gegen wärtigen durch Knesebeck Aufschwung und durch Scharnhorst System, ruhte mehrjährig , um desto reifer zu werden, rechter Stunde ins Dasein.
und trat jetzt
zu
Die Landwehr war, bezüglich des Frei
heitskrieges, ein auf die Lage des Vaterlandes und die Stimmung des Volkes berechnetes Nothmittel ; die Praxis führte sie aber über diesen Standpunkt hinaus, und machte aus ihr einen integrirenden Theil unserer Streitkraft, einen Mitfactor unserer Siege.
Sie musste
sich den Fortschritten militairischer Erkenntniss, den stets wechseln den Umständen, Erfahrungen und Bedürfnissen fügen, aber ihr Grund gedanke und Hauptcharakter blieb stehen ; sie vervollkommnete sich nur in der Consequenz beider.
Die Landwehr ist , wie das ganze
Nationalheer, eine vom Geiste echter Liberalität erzeugte und durch drungene Institution , aber sie hatte mit den milizialen Ideen des modernen Liberalismus nie etwas gemein und wird es nie haben ; sie gehört daheim und bei den Fahnen immerdar dem guten Geiste des Preuszischen Soldatenthumes, und steht weitragend und dauer haft unter den kolossalen Denkmälern, welche Friedrich Wilhelm III gründete , welche von Ihm und Seiner Werkthätigkeit bis in die späteste Zeit reden werden. Die Kriegsereignisse nahmen ihren Lauf, die Landwehr konnte diesseits des Waffenstillstandes von 1813 noch fast gar nicht kriegerisch verwendet , eine Entscheidung der Waffen bis dahin noch nicht er reicht werden. Während des Waffenstillstandes konnten und mussten, nächst der politischen Action und strategischen Vorbereitung, auch mili tairische Formationen stattfinden. Sie betrafen zunächst die Land wehr und wurden ihrem kriegsfertigen Hervorgehen sehr hülfreich ; aber auch im übrigen Heere geschah Erhebliches. Ein zweites Garde Regiment zu Fusz wurde formirt ; aus den vorhandenen 43 Reserve Bataillonen entstanden 12 Reserve - Regimenter zu je 3 und 4 Ba taillonen, und neue Truppenkörper, welche von einzelnen Patrioten oder von den Ständen ganzer Provinzen ,
schon bei Beginn des
Krieges, in Angriff genommen waren, konnten jetzt fertig gerüstet und vorgeübt werden. Diese sind allerdings nicht durch den Zauber stab des Monarchen, sondern aus den im Volke selbst beruhenden Intentionen und Mitteln geschaffen worden, - aber doch unter des Ersteren Zulassung und Oberhoheit,
und immer vermöge der von
Ihm ausgehenden Haupt- Impulse.
Des Königs Geist war in die
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
199
Nation ausgeströmt, Sein Aufruf hatte sie wie einen Mann erhoben, was Er wollte, das wollten ebenso Seine Brandenburger, Preuszen, Schlesier, Pommern und Litthauer ; was Er that, das that Er aus ihrem, und was sie thaten, das thaten sie aus Seinem Herzen heraus. So müssen auch diese jetzt entstehenden Freicorps und National truppen, die sich sehr nützlich gemacht haben, dem Könige geistig zugerechnet werden. Die kaum
zehnwöchentliche
Kriegsepisode vom Ablaufe
des
Waffenstillstandes bis nach der Schlacht von Leipzig gab uns reiche Genugthuung für 1806 ; man hatte in jenem Jahre der Schmerzen bei Jena und Auerstädt geblutet, und triumphirte jetzt in fünf groszen Schlachten.
Sieht man die lange Zwischenzeit ,
wie das von dem
Standpunkte für das Ganze zulässig ist, nur für einen ausgedehnteren Waffenstillstand, für eine blosze Rüstzeit inwährend unseres Krieges gegen Frankreich, und die Feldzüge von 1806 und 1813 als Glieder eines nur äuszerlich unterbrochenen, aber sonst continuellen Zu sammenhanges an, so zeigt sich in letzterem ein Verhältniss zwischen Sieg und Verlust , wie es Friedrich der Grosze nicht günstiger ge habt hatte. Und das war die Frucht der von uns angedeuteten, der in ihrem Grundwesen dem Könige Friedrich Wilhelm III. verdankten Heeresform, welche 1806 schon begann und 1813 sich vollendete. Dieser Schlusspunkt wurde durch eine erschütternde Thatsache, den Tod Scharnhorst's , besiegelt. Letzterer erlag am 28. Juni 1813 , in politischer Mission nach Wien, seiner bei Lützen erhaltenen Wunde ; und wenn jeder Tod für's Vaterland ewiger Verehrung werth ist, so gilt dies bei ihm , der eine so auszerordentliche Mission erfüllt hatte, doppelt.
Seine zwölf Jahre Preuszischen Kriegsdienstes waren an
Geist und Arbeit , an Treue, Erfolg und Ruhm mehr als ein halbes Jahrhundert ; aber seine Arbeit war vollbracht , er hatte in fünf Jahren die Gedanken des Königs in Werke verwandelt. Das humane System bewährte sich, das nationale Heer stand im Felde, die fertige — Landwehr schwang ihre Waffen. Man accentuire Scharnhorst mit dem Geiste und Herzen, man widme ihm den grünsten Kranz und die unvergänglichste Dankbarkeit, - aber ohne Idealismus. Er war ein tiefer Denker, ein echter Organisator und Waffenschmidt, - aber die grosze Humanisirung und Heeresreform wäre auch ohne ihn ins Werk gegangen .
Gut und herrlich, dass Friedrich Wilhelm III. ihn
fand ; wenn Er ihn aber nicht gefunden hätte, so wäre ein anderes Organ gewählt worden.
Der Zeitgeist forderte, der König wollte
die Reform, die Frage wurde durch Jena brennend, den alten Sauer teig nahm die Krisis über Bord, ― wie konnte dieser Vorwärtsdrang
200
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
unerfüllt bleiben ! Ein Zeitgeist, der vorwärts will, schafft auch stets die ihn vollziehenden Talente ; einem Monarchen, der den Geist und das Herz zum Reformiren hat, bieten sich die zur Durchführung seines Vorhabens geeigneten Werkzeuge stets reichlich dar. zum Schwert berufene Nation,
wie die Preuszische,
dieses Berufes auch eine Fundgrube des militairischen Geistes ; historisches
Offiziercorps
mit
Ueberlieferungen
Eine
ist aus Grund
des
Geistes
ein und
Ruhmes muss in jeder Periode an keimenden Feldherren und Orga nisatoren
überreich sein.
Dieser Reichthum ist gröszer,
als man
glaubt ; zehn Geister sind berufen und nur einer wird auserwählt ; manches
kleinere Genie kommt auf den Stuhl
bleibt verborgen,
weil ihm
das Glück
nicht
Preuszischen Offiziercorps dieser Zeit sprühte Geist mächtig, und wenn man,
und das
grössere
zu Hülfe kam.
Im
sprudelte
der
und
mit schärfster Prüfung,
auch auf
seine jüngeren Elemente einging, so konnte sich noch Mächtigeres finden. Wenn es keinen Scharnhorst und selbst keinen Gneisenau, Grolmann und Boyen gab , ――― die Reorganisation hätte doch stattgefunden ; Königs
erkannt,
andere
Talente wären,
auf diese
Plätze
vom
getreten.
scharfen Auge Der
Geist
des
unseres
Heeres füllt zu jeder Zeit alle Lücken aus und sorgt für alle Be dürfnisse . Die Organisatoren von 1814 bis 1819, für welche man keinen Scharnhorst mehr, aber den König und die von der Kriegserfahrung beflügelte Intelligenz des Offiziercorps hatte, ansehnlich und bildeten einen neuen Cursus .
waren wiederum sehr
Die Landwehr war dabei wesentlich mit betheiligt. Sie bewährte und routinirte sich in dem Feldzuge von 1813 ; als man über den Rhein ging, kämpfte sie den Angriffs- und Occupationskrieg bis zu seinem Ende mit, um hierdurch auch für die Folgezeit einen gröszeren als den durch ihren Namen angezeigten Beruf zu gewinnen.
Das
Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 3. September 1814, von welchem das Heer in Kategorien getheilt, die Dienstzeit bei den Fahnen, in der Reserve und Landwehr regulirt wurde, führte
die letztere aus
ihrer
Vorläufigkeit
in
das
Definitivum,
aus der allgemeinen zur speciellen Ordnung. Es rangirte sie in die unterschiedenen Hälften des 1. und 2. Aufgebotes, gab ihr einen Rang und eine Zukunft, und blieb, in langer Dauer, die Grundein ihres regulairen Bestehens. Die Landwehr-Ordnung vom 21. November 1815 brachte nur nähere Bestimmungen über die Aus
richtung
führung jenes wichtigen Gesetzes.
Als der Krieg von 1814 beendet war,
wurde das errungene
201
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. Ziel durch zwei
Königliche Erlasse vom 3. Juni 1814
„ An
mein
Volk" und " An mein Heer" gefeiert, und der Königliche Herr legte damit einen groszen Dank und Segen auf die Häupter Seines Volkes. Von demselben Tage war eine Cabinetsordre wegen Ernennung des Staatsministeriums, das fortan aus den Ministerien der auswärtigen Angelegenheiten, der Justiz, der Finanzen, des Krieges, der Polizei und des Inneren bestehen sollte. Generalmajor von Boyen.
Das Kriegsministerium erhielt der
Grolmann
war zu
dieser Zeit General
major und Chef des groszen Generalstabes, Knesebeck Generallieute nant und erster Adjutant des Königs ;
Gneisenau wurde, nachdem
er so verdienstvoll Blücher's Stabschef gewesen, 1815 General der Infanterie und commandirender General am Rheine. Man sieht, dass der König Seine Heeresbildner nicht nur förderte,
sondern sie
auch an diejenigen Stellen wies, wo das in ihnen beruhende geistige Capital am meisten zu verwerthen war : Spitze der obersten Militairbehörde,
bei Seiner Person, an der
so wie an der des General
stabes, endlich an der fernen Westgrenze dem kaum besiegten, stets gährenden Nachbarvolke gegenüber. Eine Cabinetsordre vom 28. August 1814 befahl die Departements eintheilung des Kriegs-Ministeriums, und schon vorher waren unterm 18. Juni, statt der während des Krieges gewesenen Militair-Gouver nements,
General- Commando's
eingesetzt
worden , jedoch
vorerst
nur drei : für Brandenburg und Pommern zu Berlin, für Preuszen zu Königsberg und für Schlesien zu Breslau ; die übrigen traten erst im nächsten Jahre hinzu. Am 17. September
1814 wurde
ein
vom 13. August datirtes
Regulativ über die Demobilmachung der auf den Friedensfusz tre tenden Truppen ausgegeben ;
auszer diesen Gesetzen und Einrich
tungen aber brachte das Jahr 1814 auch die Errichtung eines Garde Schützenbataillons, und diejenige von zwei aus den bisherigen 6 Gre nadierbataillonen formirten neuen Grenadier-Regimentern , welche nach ihren hohen Chefs das Kaiser Alexander- und Kaiser Franz Regiment hieszen . An diese einzelnen wiederhergestellten
schlieszen sich ,
Besitzstandes
der
in natürlicher Folge des
Monarchie,
die
zahlreichen
Truppenformationen des Jahres 1815 . Schon unterm
2. Februar
1815 wurde aus den
vorhandenen
Gardetruppen und den neuen Grenadier-Regimentern ein Garde- und Grenadier- Corps gebildet, und dazu kamen noch drei neue Garde Cavallerie-Regimenter : Garde-Husaren, Garde-Ulanen und Garde Dragoner. Die 12 Reserve-Regimenter wurden zu den Infanterie
202
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
Regimentern 13-24, und im März gingen acht neu formirte Infanterie Regimenter (25-32) hervor.
Gleichzeitig entstanden vierzehn neue
Cavallerie-Regimenter ; im Juni folgte die Errichtung des zweiten (Magdeburgischen) Jäger- und und im
November
von 4 Garde-Landwehr-Bataillonen ; im December noch die Infanterie-Regimenter
endlich formirte man 33 und 34.
Auch sonst ergingen Heerwesens dass
des Rheinischen Schützen-Bataillons,
diejenige
zahlreiche
in
diesem Jahre für alle Hinsichten des
organische Bestimmungen ;
der Staat alle Kräfte
anstrengte,
man
sah eben,
seine Wehrkraft
mit
der
wiedergewonnenen Grösze und Machtvollkommenheit zu proportio niren ;
dass der König rastlos
zeitgemäzs
zu
ordnen
und
arbeitete, eine
immer
dass Seine Weisheit Alles gröszer
und
wirksamer
werdende Intelligenz des Heeres zu schaffen wusste. Das Jahr 1816 war wiederum productiv. In ihm entstanden 4 Grenadier-Landwehr-Bataillone ; es wurden Brigade- Schulen errichtet, die Artillerie des Heeres kam auf 8 Brigaden ; zu diesen trat bald noch eine Garde-Artillerie-Brigade, und es folgte eine analoge Maasznahme in Betreff des Ingenieurcorps und der Pioniere.
Im Juni wurde die
vereinigte Artillerie- und Ingenieur- Schule gestiftet, bald darauf eine Ober-Militair-Studien-Direction,
für
sämmtliche Unterrichtsanstalten
des Heeres, eingesetzt, und am 1. September trat die während des Krieges ausgesetzte Offizierkriegschule wieder ins Dasein, die sich aber von derjenigen von 1809 doch wesentlich und besonders dadurch unterschied,
dass sie jetzt nur noch eine von der Vorbereitung für
das Offizierexamen unabhängige Akademie für Offiziere war. Im Jahre 1817 wurden, nachdem die Eintheilung der Landwehr bezirke vollendet war,
jedem Infanterie-Regimente zwei Landwehr
Regiments -Bezirke zur Ergänzung zugewiesen, und es erschien dem nächst, zur bezüglichen weiteren Ausführung des Gesetzes vom 3. September 1814 ,
eine Instruction über die jährliche Aushebung
des Ersatzes zum stehenden Heere. Die acht Armee- Corps, nebst dem Garde- und Grenadier- Corps,
sollten,
nach einer schon im Mai ge
troffenen Bestimmung, noch in 4 Armeeabtheilungen, je zu 2 Armee corps combinirt, jedes Armeecorps sollte in zwei Divisionen getheilt, und durch eine Artillerie-Brigade und eine Pionier-Abtheilung ver vollständigt, hinsichtlich Grenadier- Corps
der Ergänzung aber, nur das Garde- und
auf den Bereich der ganzen Armee,
jedes andere
auf einen Ergänzungsbezirk angewiesen werden, welcher einer Haupt provinz des Staates ungefähr entspräche. Das Jahr 1817 liesz zwei neue Infanterie-Regimenter und ein
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
203
Garde-Landwehr- Cavallerie-Regiment hervorgehen ; auszerdem aber wurde es durch eine sowohl dem Zeitgeiste als der territorialen Wiederherstellung des Staates entsprechende Reform des Cadetten corps wichtig. Das Cadettencorps,
welches
nach
der
Niederlage von
1806
schwere Drangsale erlitten, durch den Tilsiter Frieden die Anstalten zu Cöln und Kalisch eingebüszt, während des Freiheitskrieges, alle Gedanken
sich jetzt, nach
geistiger Krisis ,
des Vaterlandes
der
sich in Anspruch nahm, keine innere Ruhe zum Lehren und Lernen gehabt hatte, ― befand
und Kräfte
für
wiederhergestelltem Frieden, in einer Art
einem Zwiespalte seiner altgläubigen und zeitge
mäszen Elemente. Der Kampf alter und neuer Begriffsweise, welcher im Staate und Heere längst entschieden war,
kam hier zehn Jahre
später ; der Mikrokosmus reproducirt in seinem verjüngten Maasz stabe die Actionen der groszen Welt gewöhnlich, wenn sie längst vorbei sind.
Es fehlte dem Cadettencorps, unter
Commandeur,
an Kraft,
einem überlebten
Harmonie und Freudigkeit,
und das Be
dürfniss, diesen Hauptnerv der Offiziererziehung mit dem zeitgemäss entwickelten Heere und Heerwesen in Einklang zu bringen , zeigte sich brennend .
Auch für diese Aufgabe, wie für jede andere, fand
Friedrich Wilhelm III. den richtigen Mann .
Die Reform des Ca
dettencorps an sich war schon durch Königliche Entschlieszung vom 29. Februar
1816 ,
welche
auch
eine Immediat- Commission dafür
ernannte, eingeleitet worden ; doch kam in diese Angelegenheit erst Leben und Fortschritt, als der bisherige Chef der Cadettenanstalten im September 1817 durch den Oberstlieutenant v. Brause, Gouverneur des Prinzen Wilhelm ,
abgelöst wurde.
Derselbe war während der
Kriegsereignisse von 1806 in unmittelbarer Nähe des Königs,
1812
Adjutant bei York gewesen, hatte 1813 bei Organisation der Land wehr mitgewirkt,
und 1814 sein wichtiges Amt bei dem Sohne des
Königs angetreten.
Brause ging an seinen neuen Beruf mit ebenso
viel Einsicht als Begeisterung ; durch ihn entwickelte sich Alles so schnell als zweckentsprechend,
und im Mai 1818 konnte die Com
mission das fertige Resultat ihrer Arbeiten einreichen, worauf dann die am 25. August 1818 ausgefertigte Königliche Instruction für das Cadettencorps, welches sich auf erstere gründete,
publicirt und in
Kraft gesetzt wurde. Im Sinne dieser Instruction gingen nun alle Specialbestimmungen hervor,
und durch ihre Grundsätze bildete sich der neue Geist und
Betrieb
des
Institutes .
Erziehung
und
Unterricht
stützten
sich
gegenseitig, und mit einträchtiger Kraft wurden fortan, in Ernst und
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
204
Liebe, die Zöglinge zu guten gebildeten Menschen und tüchtigen Kriegern erzogen. schwand,
die
Die Ueberschrift 17 Adeliges Cadettencorps " ver
wissenschaftliche Thätigkeit
und unter den Cadetten zeigte sich,
verlor ihre Pedanterie,
zumal in dem Verhältnisz des
Ausscheidens der älteren Elemente, ein neuer Kameradschaftsgeist. Brause war die Seele des Ganzen, und wenn die eigentliche Reform des Cadettencorps 1818 vollbracht war,
so hat er doch das durch
sie eingesetzte neue System, in der Zeit, wo er an der Spitze dieses Institutes stand,
unaufhörlich so fortgebaut,
belebt und verwerthet,
dass dadurch jede frühere Leistung des Cadettencorps weit über troffen wurde. Das Jahr 1819 , mit welchem dieser Organisationscursus abschloss, liesz, als wichtigste Neuentstehung,
eine anderweitige Eintheilung
der Landwehr hervorgehen. Der König sagte in Seiner hierauf be züglichen Cabinetsordre vom 22. December : „ dass Er das Gedeihen des Landwehr - Institutes mit Wohlgefallen wahrgenommen habe, durch die Erfahrung aber sich in demselben einige Mängel der Formation herausgestellt hätten, denen abgeholfen werden könne. " hülfe geht nun sofort ins Werk.
Diese Ab
„ Aus den zu einem Linien- Regi
mente bis jetzt gehörigen 2 Landwehr-Bataillonen werden drei solche in der Weise formirt, dass die Bezirke von 8 Landwehr-Compagnien per Landwehr- Regiment sich auf 6 reduciren, und je 2 Compagnie Bezirke mit ebenso vielen eines drittes Bataillon wehr-Inspectionen welche
vereinigt werden
angrenzenden Regimentes in ein
werden etc. auf
16
Die
bisherigen 28 Land
Landwehr - Brigaden reducirt,
die Nummern der Linien-Divisionen führen,
zu denen sie
gehören. Die bisherigen Inspecteure heiszen nun Landwehr-Brigade Commandeure, bearbeiten
alle auf die Landwehr und den Ersatz
der Linie Bezug habenden Geschäfte und sind den Divisions-Com mandeuren untergeordnet etc. “ ――― Am 27. December ging das Kriegsministerium von dem in den Ruhestand tretenden Generallieutenant v. Boyen auf den General lieutenant v. Hake über.
Dieser
grosze Hebel des Armeewesens
kam so wiederum in die Hand eines Meisters , knüpften sich gröszere Erinnerungen ; Thatsachen unserer Erhebung
aber
an Boyen
er hing mit den leuchtenden
und Restauration
enger zusammen.
Boyen, ein echter Denker und Patriot, derb und bieder, stimmte mit Scharnhorst in der äuszeren Einfachheit ,
im Opfern und Be
harren, und in der geistigen Hochstrebung so sehr überein,
dass er
diesem sehr nahe gestanden hatte, und gleichsam eine Fortsetzung seines Wesens bildete . Ihm hatte zumeist die Ausarbeitung des
205
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. Krümpersystems obgelegen ;
die gedeihliche Fortentwickelung
des
Landwehr- Institutes konnte, vermöge seiner, ganz im Sinne Scharn horst's bewerkstelligt werden, ― und wenn man auch jetzt durch Krieg und Organisation bis zu einer militairischen Ruhepause durch gedrungen war , so blieb es doch zu bedauern, dass eine noch so frische Kraft, wie diejenige Boyen's, für jetzt dem Staats- und Heer dienste entging. In diesem Jahre 1819 starb Blücher auf seinem Gute Krieblo witz
in
Schlesien.
Das war für die Heeresgeschichte ein tief
greifendes Moment ; dem Könige wurde damit sein erster Kriegs practicus ,
aber doch erst nach
Der König liebte
nicht
voller Berufserfüllung,
blos Blücher's
sondern auch dessen gerade
entrissen.
patriotisches Heldenthum,
einfache Natur,
diesen bescheidenen
Sinn, welcher „ Gottes Barmherzigkeit, der Preuszen Tapferkeit und Gneisenau's Besonnenheit" höher anschlug ,
als " sein Bischen Ver
wegenheit“ ; an seinem Sterbebette sprach Er vielsagende Worte, welche Seine Anerkenntniss für diesen Helden voll kennzeichneten. Friedrich Wilhelm III. am Sterbebette Blücher's, das ist ein auszerordentliches Bildniss ; man denkt dabei unwillkürlich an jenen Moment, in welchem der grosze König vor seinem in den Lehnstuhl gebannten Zieten stand. Was im Jahre 1820 Completirung so normal,
organisatorisch
des Bisherigen ;
geschah,
diente nur zur
das Preuszische Heer von 1820 war
als es im Verhältnisse mit seiner Zeit sein konnte.
Es
hatte sich gegen 1794 und 1806 in seinem Präsenzstande ansehnlich verkleinert,
aber eine solche Einrichtung gewonnen,
dass es erfor
derlichen Falles, in jedem Augenblicke auf eine viel gröszere Stärke als jene früheren Armeen
gebracht werden konnte ;
die Weisheit
des Königs leitete also, durch zeitgemäszen Fortschritt , auf einen Standpunkt der Dehnbarkeit und Beweglichkeit des Armeewesens, so wie zu einer sachgemäszen Unterscheidung des Friedens- und Kriegsverhältnisses. Einerseits war man durch das kleinere Friedens heer erleichtert , andererseits blieb doch der feste Heeresbestand so stark , dass man damit für die nie auszusetzende friedliche Vor bereitung des Krieges und der im Kriegsfalle nothwendigen mili tairischen Durchdringung des Kriegsheeres ausreichte.
Der Zeitraum von 1820-1840 repräsentirt die eigentliche Frie denshälfte der Regierung Friedrich Wilhelm's III. Unser Vaterland hatte von 1797 bis 1820 keinen stetigen Krieg, Zeiten, wo es nicht wirklich Krieg führte,
aber doch in den
den kriegerischen Vor
206
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
schmack oder Nachklang, die Stimmung und geistige Atmosphäre des Krieges ; man kann also, in freier Auffassung, von einem das erste Fünftheil des gegenwärtigen Jahrhunderts erfüllenden Kriegszeitalter An dieses schloss sich jetzt der zwanzigjährige Friede, in
reden.
welchem Preuszen an seinem Heerwesen zwar nur friedensmäszig, wie dort kriegsmäszig, baute, aber doch auf seinen Lorbeeren nicht geruht, sondern, mit dem Schwerte in der Hand, gewacht hat. Diese Friedensperiode Preuszens war für eine Zeit wilder Triebe und Bewegungen.
das übrige Europa
Der ganze Süden wurde
revolutionair erschüttert ; die bedeutendste Motion dieser Art ereignete sich,
nach verhältnissmäszig nur kurzer Ruhepause,
in Frankreich,
als dieses 1830 die Bourbonen vertrieb und das Orleanistische Bürger königthum einsetzte . Die Preuszische Politik dieses Zeitraumes lag in der Weisheit des Königs und in den Consequenzen Seiner Stellung zum heiligen Bunde ;
sie vermittelte,
zurückhaltend als thätig. gleichzeitig
wehrte und conservirte, Die
sie war eben so
Bewegungen von 1830 bedrohten
unsere Ost- und Westgrenze ;
es hätte unter
einem
minder besonnenen Herrscher eine derjenigen von 1792 ähnliche Das Heer musste den Krieg Situation daraus werden können . wünschen, der König musste ihn vermeiden ;
es trat einer von den
Momenten ein, wo eben der Königliche sich, in seinem durch höhere Rücksichten gebotenen Verhalten, von jedem anderen Krieger unter scheiden muss. Gleichwohl nahm der König in jener Krisis, um den Besitz und Wohlstand, das Ansehen und den Verkehr des Vater landes zu wahren, Sein Heer vielfach in Anspruch.
Es entstand für
diese Zwecke eine rege Hin- und Herbewegung, ein Besetzen Demonstriren, welches doch immer belebend wirkte.
und
Die auf diese zwanzig Jahre fallende Werkthätigkeit des Heeres beschränkte sich,
soweit es nach Auszen sichtbar werden konnte,
auf einzelne Ergänzungen, wie sie von Zeit und Umständen verlangt wurden.
Die Befestigung des Geistes und Systemes,
welche dieser
Zeitraum einschloss, der in ihm beruhende Cursus für die Feldherren und Organisatoren der Zukunft, der geistige Zinseszins , und die ganze innere Progression an Einsichten und Tugenden, welche dieses Stillleben des Heeres hervorbrachte , - sie werden oftmals über sehen, und bilden doch ein so groszes Capital.
Woher kam denn
nach 1840 auf einmal dieser enge Zusammenfluss von Praxis und Theorie, dieses Vermögen der Armee, im Frieden täglich kriegs fertiger zu werden, diese Ueberwindung aller innerer Verderbnisse und Gefahren,
und der unermessliche Aufschwung in Organisation und
-
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
207
Krieg? Woher kamen Brandenburg und Wrangel, Moltke und Roon, und alle Sieger der neuesten Aera ? Jenes ist und diese sind nicht vom Himmel gefallen ; ―――― solche Zustände und Männer des Heeres erwuchsen aus einer ernst und still arbeitenden Zeit,
welche die
Kräfte zusammenhielt, den Spielraum zum Pflanzen und Erziehen gönnte. Die unvergleichlichen Keime des Guten aller Art waren aus der Reorganisationszeit und dem Freiheitskriege entsprungen, aber gereift wurden sie erst in dieser contemplativen und studien vollen Zeit unseres sich an den Freiheitskrieg schlieszenden langen Friedens . Das ist sein goldener Kern ; - wenn aber ersterer mili tairisch gescholten wurde, so leitete sich dies mehr von dem indi viduellen Missbehagen Der König,
als
von der
allgemeinen
Erkenntniss ab.
in seinem Zenithe über dem Staate und Heere, wusste
sehr gut, was auch dem letzteren dieser Friede war,
und wenn Er
in Seinem Testamente bezüglich der Armee aussprach :
„Sie ist in
einem seltenen guten Zustande ; sie hat seit ihrer Reorganisation Meine Erwartungen, wie im Kriege so im Frieden erfüllt etc. " so ist es wohl unverkennbar, wusstsein gründete .
dass
sich dies auf ein tieferes Be
Die Bewährung der Armee
im Frieden wird
durch diesen Ausspruch ebenbürtig neben diejenige im Kriege gestellt, - das konnte aber nur vermöge einer genauen Kenntniss derjenigen Friedensarbeit des Heeres geschehen , die, wenn auch still und innerlich, doch so machtvoll war , dass sie eine grosze Zukunft des Heeres mit neuem Siege des Schwertes durch den Geist und des Geistes durch das Schwert, vorbereitete.
Aus allen gemachten Andeutungen geht hervor, dass Friedrich Wilhelm III . dem Preuszischen Heere einen Reichthum des äuszeren Apparates und der inneren Lebensfähigkeit geschaffen hatte, wie keiner Seiner Vorfahren . Was sind dagegen die Organisationen Friedrich Wilhelm's I., was ist selbst, im Verhältnisse der ganzen Zeit und des ganzen Nutzens, der eiserne Heerbann Friedrich's, gegen diese elastische und humane Wehrkraft, die der Zukunft die Hände bot, wo jener sich hermetisch abschloss ?! Recapituliren wir die groszen Brennpunkte des Geschehenen , es wird sich noch manche Ergänzung
und Erläuterung
daran
knüpfen lassen. — Friedrich Wilhelm III. schuf in Seiner ganzen Zeit das natio nale Heer, das dem neunzehnten Jahrhunderte entsprechende Offizier corps, und die zeitgemäsze Kriegskunst, - das sind die Haupttitel, unter welche sich der reiche Stoff ordnet.
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
208
Das nationale Heer,
wie es der König ersann und vollführte,
schloss zwei grosze Principe ein :
diejenigen des Patriotismus und
der Cultivirung . Durch beide wurde Fremdländerei des Heeres verstoszen.
das Werbesystem und die In den Ausländern konnte
kein Patriotismus sein ; sie konnten in dem bestehenden Heerzwange nicht nach Innen cultivirt werden, und also auch keine Cultur aus geben, - hätten sie aber auch die Fähigkeit dazu besessen, die zwischen dem Heer und Volk stehende Scheidewand würde jede solche Be strebung vereitelt haben. Jetzt, nach der Reorganisation von 1807 f £, gab es keine Ausländer, keine gepressten und gezwungenen Soldaten, keine Spieszruthen und Stockprügel mehr im Heere.
Der Soldat
war das Kind des Landes, seine Disciplin liesz ihm die natürlichen Ehrenrechte, er diente dem Vaterhause, und sein freies und frohes Herz trat jetzt mit in den Kampf ein. Es wurde eine Freude und eine Lust, Soldat zu sein, statt dass es früher eine Folter gewesen war ;
die besten Elemente der Nation strömten ins Heer,
und die
Cultur, welche mit ihnen kam, konnte wieder Cultur machen .
Die
Scheidewand zwischen Heer und Volk war entfernt, denn der Bürger und
Soldat gingen jetzt
brüderlich
Hand
in
Hand ;
als Kinder
eines Hauses vertraten sie dasselbe Interesse. Man disciplinirte die Soldaten jetzt andererseits .
durch
das Ehrgefühl
einer- und durch den Geist
Wo von Elementen der Heeresergänzung Einsichten
und Kenntnisse mitgebracht wurden, da konnten diese in der mili tairischen Gemeinschaft veredelnd wirken , Nation aber,
die
rohen Kräfte der
welche das Heer empfing, wurden in ihm, durch das
Heersystem selbst, geläutert und erzogen .
Körperlich und geistig
gefördert, an Regelmäszigkeit , Gehorsam und Thätigkeit gewöhnt, so be mit innerlichem Bewusstsein und Schicklichkeitsgefühle, gannen unsere Soldaten aus der Armee in ihre bürgerlichen Ver hältnisse zurückzukehren, erhalten hatten,
um hier die Erziehung,
welche sie dort
für ihr persönliches Beste und für dasjenige ihrer
bürgerlichen Heimathssphäre
zu verwerthen.
Das Heer wurde so
zu einer groszen Bildungsschule der Nation, und wir haben gesehen, dass mit seiner Cultur auch seine Wehrkraft gewachsen ist.
Wie
sehr Friedrich Wilhelm III., im Gegensatze mit der früheren Begriffs weise, den Geist des Heeres dem Mechanismus desselben überordnete, das liesz sich sehr genau erkennen , als Er gelegentlich aussprach : 99 Beim Exerciren und Einüben der Recruten kommt es nicht blos auf Schönheit und Gewandtheit an , dies ist mehr Nebensache ; die Hauptsache ist die Behandlung,
so dass
sie gern
und
mit Lust
Soldaten sind, und in guter Gesinnung ihre Schuldigkeit thun . “ —
209
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. Das Offiziercorps regenerirte Friedrich Wilhelm III. so, ihm sein traditionelles Ritterthum
blieb ,
und
dass
es gleichzeitig mit
dem nationalen Heere proportionirt, also auch mit dem Zeitgeiste harmonisirt, mit den Mitteln und Kräften desselben begabt wurde . Die abgestorbenen oder unlauteren Elemente des Offiziercorps beseitigte schon theilweise die Krisis von 1806 und dann der Tilsiter Friede ; ihren Ueberrest entfernte der König durch Versorgungs- und Straf maaszregeln.
Das Offiziercorps , welches Ihm blieb, war klein, aber
von echtem Golde ; seine groszen Zahl werthvoller
Completirung liesz sich , vermöge der Offiziere , welche die Heeresreduction
inactiv gemacht hatte, in jedem Augenblicke bewirken ; die in dem kleinen Häuflein vorhandenen Kräfte und Fähigkeiten dem auszerordentlichen Thatfelde,
kamen auf
welches sich ihnen darbot,
voller Entwickelung und Wirksamkeit.
zu
Durch die Zulassung aller
Stände zum Offizierthume ergab sich für dieses , mit dem weiteren Rayon, auch mehr geistiges Capital ; wenn die Bedingung der Intelli genz für diejenige des Adels eintrat , so tauschte man im Principe ein Factum gegen eine Schablone ein. dem Heere ja doch conservirt worden ;
In der Praxis ist der Adel
und mit der Intelligenz
vereinigt
was die bürgerliche Sphäre zuschoss , das war anfänglich
klein, wurde nach und nach gröszer, und ist, den Adel des Offizier thumes annehmend, seine Kräfte ihm darbringend, reiche Quelle desselben geworden.
Wie die geistige Bildung der
Offiziere Aufschwung und Allgemeinheit erhielt , ihre Berufspraxis
ein
neuer und
schlieszlich eine
so kam auch in
fruchtbringender Geist dadurch,
dass einerseits jetzt erst die theoretische Bildung für den Dienst flüssig wurde ,
andrerseits
die
Mannigfaltigkeit
der praktischen
Uebungen jeder Waffe, und die Gemeinschaft und Gegenseitigkeit der verschiedenen Waffen unter sich zunahm. Man wirkte auf alle Weise dahin, die Offiziere zu selbstständiger und durchdachter Behandlung ihres Dienstes zu bringen, und liesz sie schriftliche und praktische Aufgaben lösen , durch welche sich ihre Fähigkeit er probte ; alle bildenden und disciplinaren Maaszregeln zusammen aber, durch welche das Offizierthum gefördert wurde,
haben so
schnell
und auszerordentlich gewirkt, dass der Zustand, welchen man haben wollte, schon 1812 erreicht war. Die Träger der Heeresreform bildeten für diese nur ein engeres Comité , aber nächst ihnen betheiligte sich bei ersterer mehr und minder ein groszer Kreis anderer Offiziere ; man erkennt dies schon aus den doch wohl nur unvollständigen Angaben über die der Re Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX. 14
210
König Friedrich Wilhelm III . als Heeresbildner.
organisations-Commission in dieser Zeit eingereichten Memoriale, und kann daraus auf den schon im Eingange der Reform vorhandenen productiven Geist des Offiziercorps schlieszen. Der Generalstab, diese so überaus wichtige Kategorie des Offi ziercorps, hatte durch Friedrich Wilhelm III . schon 1803 eine feste Organisation erhalten ; im Jahre 1808 ging ein neuer Vorschlag zur künftigen Einrichtung des Generalstabes hervor, welcher sich ohne Datum und Namensunterschrift vorfindet,
doch wahrscheinlich von
dem damaligen Major von Rauch im Auftrage Scharnhorst's gefertigt war. Kam nun dieser Vorschlag auch nicht zur vollen Durch führung, so ist doch von seinem principiellen Inhalte, bei der späteren Geschäftseintheilung kommen,
des Generalstabes, Manches
zur Geltung ge
besonders das Streben, ihn in die engste Verbindung mit
den Truppen zu setzen , und jene Theilung seiner Mitglieder anzu bahnen, welche noch gegenwärtig in dem groszen Generalstabe, gegen. über den Generalstäben der Armeecorps und Divisionen, besteht. Der gegenwärtige Generalstab ist, gegenüber demjenigen des Frei heitskrieges, wie in den formellen Hinsichten , so auch innerlich zeitgemäsz vervollkommnet ; ――――― im Hauptsächlichen aber stellt er sich als derselbe Typus dar , welcher er durch Scharnhorst und mittelbar durch Friedrich Wilhelm III . geworden war. Man sehe ihm genau an, man orientire sich über die sein Thun, also seinen Erfolg bestimmenden Merkmale, -i und es wird nicht zu verkennen sein, dass sich das Charakterbild Friedrich Wilhelm's III. , die be sondere Art Seines Soldatenthumes darin abspiegelt. Stille und tiefe Kraft, siegreicher Geist mit einfachem Formalismus, Präcision, welche das Zuviel und Zuwenig, das Zufrüh und Zuspät meidet ; Sicherheit, Ruhe und Selbstbeherrschung, Calctil und Umschau, Zusammenklang von Wort und That, Ursache und Wirkung, ― diese sind es ja, durch welche unser Generalstab auf seine Höhe gestellt, zu seinen Siegen ermächtigt ist; hiermit kommen aber jene Eigenschaften Friedrich Wilhelm's III., durch welche Sein ganzer Charakter und besonders Sein Soldatenthum bestimmt wurde, im Hauptsächlichen sehr überein. Dieses von aller Welt bewunderte Institut musste einen König zum Autor
haben, und
das
konnte
nur Friedrich Wilhelm III. sein.
Friedrich Wilhelm I. hatte es mit seinem Geiste nicht erschwungen ; Friedrich der Grosze war ein zu blitzendes und springendes Genie, als dass er mit selbigem ein Wesen von dieser Stetigkeit und Be rechnung hervortreiben konnte . für die höchste Blüthe des
Der Generalstab unserer Tage ist
von einem
ruhig arbeitenden Geiste
durchdrungenen Systemes anzusehen , und System und Ruhe waren
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
211
es ja, welche das Soldatenthum Friedrich Wilhelm's III. am meisten charakterisirten. Betrachtet man das Preuszische Offiziercorps ,
wie es aus dem
Freiheitskriege und dem zweiten Organisations-Cursus hervorging, so zeigt es einen neuen Bestandtheil , eine von der ersteren unter schiedene zweite Hälfte das Landwehroffizierthum. Seine Mitglieder waren anders, zum Theil reichlicher , aber doch durchweg nicht so miltairisch vorgeschult, als diejenigen des permanenten Offiziercorps ; ihre Beschäftigung mit der militairischen Praxis konnte nicht stetig, ihre Aufmerksamkeit für den Waffenberuf derjenigen für ihre civilen Fächer nur untergeordnet sein. Sie schienen sich zu dem perma nenten Offiziercorps zunächst weniger günstig zu verhalten , als die Mannschaft der Landwehr zu derjenigen des stehenden Heeres ; das Landwehr-Institut schien hier seine schwache Stelle zu haben. Wirklich gab es hier Uebelstände, aber wie hätte man ihnen damals auszuweichen, wie der Landwehr, die doch einmal erfordert histori schen Ursprunges,
echt
nationalen Wesens,
und vor dem Feinde
tüchtig war, auf andere Weise ein Offiziercorps zu geben vermocht ? Auch war der Grundgedanke vortrefflich, ganz im Geiste der Natio nalisirung des Heeres, und aus ihm musste auch Vortreffliches ent springen, - es brauchte nur seine Zeit. Das Landwehr-Offiziercorps bildete nämlich, gleich von Haus aus, den Strebepol einer gewissen Elite der Nation und es wurde von ihm eine noch engere Beziehung des Offizierthumes überhaupt mit den anderen gebildeten Ständen vermittelt, als sie schon durch die ganze Heeresreform angebahnt war. Das historische Offizierthum war von so machtvollem Geiste, dass es sich des neuen Elementes bemeistern musste, und im Kerne des letzteren lag so viel allgemeine Bildung und Einsicht , dass es für die geistvolle Militairisirung leicht zugänglich war. So avancirten, den Unterschied auszugleichen , beide Hälften immer mehr gegen einander ; wenn aber dieser Ausgleichungsprocess in dem Ueberreste der gegenwärtigen Regierung nur langsam vorschritt, so hat dies wesentlich mit auf der langen Dauer des Friedens beruht. Im Frieden war der Landwehr-Offizier vorzugsweise Landwirth , Gelehrter und dgl., da blieb ihm der Tempel des Mars zu fern, und bei einzelnen Be suchen desselben fühlte er sich doch nur als Fremdling ; - als aber nachher der Krieg kam mit seiner Begeisterung und Nothwendigkeit, — da konnte der Landwehr- Offizier, weil er ja überhaupt gebildet und geistig regsam war, in die Erfordernisse des Dienstes und der militairischen Intelligenz schnell eingefügt werden. Auch sind nach mals Einrichtungen getroffen worden, welche selbst zur Friedenszeit 14*
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
212
die Landwehroffiziere mit den Linientruppen in eine regere Wechsel wirkung brachten, und das Landwehroffizierthum hat sich, mit solchen Hülfen,
wo es galt, überall bewährt.
Die Intentionen Friedrich
Wilhelm's III. sind auch in diesem Bereiche gekrönt worden , und wenn es, nach Verhältniss der obwaltenden Schwierigkeit,
nur all
mälig und zum Theil nach Seiner Zeit geschah , so thut dies doch Seinem Verdienste keinen Abbruch , und es wird vielmehr dadurch ins Licht gestellt, wie richtig, dauerhaft und bildsam Sein betreffender Grundgedanke war. Was die Generalität Friedrich Wilhelm's III. betrifft , schon von einem Theile derselben die Rede gewesen. die Häupter der
alten Schule
und
so ist
Wir haben
die Koryphäen unseres
Auf
schwunges, wo und wie sich die Gelegenheit darbot, erwähnt ; aber es bedarf noch eines
Hinblickes auf diejenigen anderen Männer,
welche, in ihrer Verhältnissstellung zum Könige, bedeutsam hervor traten, und durch die Art, in welcher sie von Ihm verwendet und gewürdigt wurden , so wie hinwiederum durch ihre Rückwirkungen auf Ihn , sich zu Haltpunkten seiner Charakteristik eignen. Von den Prinzen des Königlichen Hauses starb Louis Ferdinand, welcher ein stolzer, für's Vaterland.
schneidiger Held war,
bei Saalfeld den Tod
Prinz Wilhelm, der Bruder des Königs, hatte 1808 die schwere Mission nach Paris, um wegen Räumung der Preuszischen Länder zu unterhandeln . Er erzielte leider nur die Pariser Convention ; aber kein Sterblicher hätte in diesen Umständen Besseres vermocht.
Geistvoll, edel und ritterlich,
zu erreichen
mit der Vorwärtsstrebung
im Einklange, im Freiheitskriege ausgezeichnet , stand dieser Prinz mit seinem Königlichen Bruder in voller Sympathie, und hinterliesz zwei vortreffliche Söhne, die seinen Ruhm und Patriotismus fortsetzten . Prinz August, des Königs Oheim, des groszen Friedrich Neffe, trug von dem Geiste des Letzteren ein gutes Theil in sich . Er bekundete dies nicht minder durch sein Heldenthum bei allen Kriegs gelegenheiten, als durch seine geistvollen Beiträge zu dem Reor ganisationswerke von 1807–1812, wirkte überhaupt für die höchsten militairischen Interessen erfolgreich mit , und hat namentlich unsere Artillerie auszerordentlich gefördert.
In diesen beiden Prinzen Seines Hauses hatte der König zwei militairische Schildhalter von groszer Bedeutung, und wie Sein Geist sich in diesen Zeitgenossen desselben Blutes spiegelte, so sind auch sie wiederum Ihm hülfreich und ergänzend gewesen . Und wenn man auf die neue Generation blickte , so ging dem
213
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
Könige hier ein noch viel gröszerer Stern empor , -
Sein zweiter
Sohn, der Sich bereits 1814 als Soldat auszeichnete, immer gröszere Proben Seiner militairischen Berufung gab, und schon vor dem Ab scheiden Friedrich Wilhelm's III. als Spitze und Mittelpunkt des Heerwesens zu erkennen war. Welche Erhebung muss es dem Könige gewesen sein, in diesem Sohn Seine Eigenes Selbst erneuert, gleichsam von der Vorsehung bestätigt und fortgeführt zu sehen ! Es giebt keine gröszere Beweisführung in der Welt , als diejenige, welche, zu Gunsten der militairischen Eigenschaften Friedrich Wil helm's III., in Diesem Seinem, Ihm so ähnlichen Sohne beruht. Hier wie
dort dieselben
Grundtugenden :
Heldenmuth und
Präcision,
System und Einsicht, Arbeitsamkeit und Selbstbeherrschung ; nur die Eigenschaften des Sohnes denjenigen des Vaters gegenüber in verhältnissmäsziger Multiplication . Nur Gutes kann durch das Wachs thum auszerordentlich werden ; wenn aber Kaiser Wilhelm's Leistun gen und Erfolge so auszerordentlich wurden ,
dass diejenigen des
groszen Königs von ihnen übertroffen sind, so muss auch diese ganze Art des Soldatenthumes ,
welche in Seinem Vater war,
da sie mit
der Seinigen im Hauptwesen übereinkommt, so gewesen sein, dass sie noch gröszere Friedrich's.
Bürgschaften
der
Zukunft
ausgab ,
als jene
Von denjenigen Generalen, welche dem Könige als Adjutanten bei Seiner Person nahe traten, sind Köckeritz , Kleist, Knesebeck und Witzleben hervorzuheben, - sämmtlich Männer , deren blosze Aus wahl zu solchen Stellungen schon diesen Monarchen charakterisirte. Köckeritz, schon seit Friedrich Wilhelm's Thronbesteigung Gene raladjutant, wurde Dessen persönlicher Freund und hat Ihm als solcher durch Treue und Hochherzigkeit, zumal auch in den Tagen des Unglückes, viel zu sein vermocht.
Eine Stimme im Rathe über
Kriegsoperationen, eine unmittelbare Theilnahme an der Organisa tionsarbeit u. dgl., beanspruchte er nicht ; der Accent seines Lebens lag nicht auf einer eigentlich militairischen, sondern auf dieser freund schaftlichen Berufserfüllung , mit welcher er , als verständnissvoller Soldat ,
die Sorgen seines Herrn zu lindern ,
dessen Erheiterung
ernsthaft zu bewirken, Ihm in der Sphäre des Gemüthes und Ver trauens mit Rath und That beizustehen vermochte.
Das Schreiben ,
welches der König, bald nach Seiner Thronbesteigung, an Köckeritz richtete, und mit welchem Er ihn als Seinen Vertrauensmann berief, ist höchst charakteristisch ;
es
zeigt einen König ,
welcher volle
Wahrheit und echte Freundschaft will, und einen Diener, der beide zu gewähren vermag ; es prädestinirt eines dieser seltenen Verhält
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
214
nisse, in welchen der schlichte und offene Mann einflussreich wird. Wenn Köckeritz dem Könige auch geistig sehr untergeordnet war, so ergänzte er Ihn doch mit den Erfahrungen seines vorgeschrittenen Alters, mit seinem praktischen Sinne und seiner Personenkenntniss an manchen Stellen ; er brachte bisweilen des Königs Eigenste, aber bescheiden zurückgehaltene Absichten, durch seine gleichartige Beur theilung zum Durchschlage, und hat zur Berufung manch' wackerer Kraft, zum Hervorgehen mancher Wohlthat für Heer und Land, bei getragen. Kleist, welcher in der Krisis von 1806 des Königs vortragender Generaladjutant war , trug ein Feldherrentalent in sich und würde, wenn zu dieser Zeit ein Armee- Commando in seinen Händen lag, immer schon viel Besseres geleistet haben, als die Herren der alten Schule ; hätte der König 1806 Selbst commandirt , so wäre auch in diesem Falle das Genie
dieses Offizieres vermöge seiner Stellung
schon damals geltend geworden.
Dass er, so wie die Umstände
wirklich lagen, im Kriegsrathe nicht entscheidend wirkte, kann ihm kein Vorwurf sein ; wie hätte er, ein verhältnissmäszig noch jüngerer Offizier , gegen die alten Kriegsautoritäten , denen Sich selbst der König unterordnete, anmaaszend sein können ! Dass Kleist auch auf diesem Posten, bei der Person des Königs , sich überaus würdig und wacker zeigte, ist bekannt, und Bewunderung verdient es, dass der König Sich einen Adjutanten von solcher Begabung ersah. Der selbe wurde dadurch gehoben , Erfahrung geleitet, und
impulsirt,
in dem stets
zu weiter Umschau und
unmittelbaren Verkehre mit
dem Monarchen, musste er, zumal in so schnell arbeitender Zeit, Friedrich von dessen reichem Geiste unwillkürlich annehmen. Wilhelm III . trug so auch direct zur Vorbildung des Siegers von Nollendorf wesentlich mit bei, und dies ist um so interessanter, als Er nachher an derselben Stelle , wo Kleist auf Seinen militairischen Gipfel kam, Selbst in hervorragendster Weise thätig war. Von Knesebeck ist schon mehrfach die Rede gewesen ; er be
gegnete uns als Vorkämpfer der humanen
Heeresreform ,
als der
muthige erste Autor eines Programmes , welches sich , im Interesse des Vaterlandes, gegen die alte Autorität und Gewohnheit auflehnte, und schon dies würde ihn eines Denkmales werth machen . Nach dem
unglücklichen
Kriege
weilte
Knesebeck
als Oberst
auszer
Dienst auf seinen Gütern, aber er blieb dem Vertrauen des Königs nahe ; er war, wie die Ausexercirten in den Cantons, auch eine ver borgene Kraft Preuszens ,
und sein Stichwort zum Auftreten kam
noch früher, als dasjenige der ersteren.
Denn schon als der Fran
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. zösisch-Russische Kriegssturm von 1812
heraufzog,
215
und
die Lage
Preuszens dadurch so überaus schwierig wurde, erschien Knesebeck beim Könige, um mit Ihm die politische Stellung, welche zu nehmen sei, zu berathen.
Napoleon verlangte die Hülfe Preuszens gegen
Russland, und die Räthe des Königs waren, nach richtigem Gefühle, aber falschem Calcül , erkannte,
dass
gegen dieses Bündniss .
Der König allein
ein solches Verhalten eine Kriegserklärung gegen
Frankreich, und als solche jetzt überaus gefahrvoll sein ,
dem Ver
hängnisse vorgreifen und Preuszen, möglicher Weise, ganz ruiniren werde ; dass im gegenwärtigen Momente den Umständen nachzu geben,
der Erfolg dieses Angriffes auf Russland abzuwarten,
dann zweckentsprechend zu handeln sei.
und
Der König erkannte dies,
mit Seinem stets den Nagel auf den Kopf treffenden Verstande, aber er war gegen Seine Eigenen Urtheile stets misstrauisch , und hätte Sich, zu Seinem äuszersten Nachtheile, die Rathgeber vielleicht über den Kopf wachsen lassen, wenn Ihm nicht Knesebeck Seine Eigene Grundanschauung, ohne sie zu kennen, entgegengetragen hätte. Dieser sprach die gerechtfertigte Hoffnung aus, dass Napoleon in dem tiefen Inneren Russlands verunglücken würde ( ? die Red.), befürwortete das Abwarten und rieth, das von Napoleon verlangte Preuszische Hülfscorps von 20,000 Mann, welches ja doch den Gang der groszen Ereignisse nicht verändern würde, für jetzt zu stellen .
Jetzt drang
die richtige Erkenntniss durch, und das Programm derselben wurde für die Praxis so formulirt, dass, trotz des unerlässlichen Bündnisses mit Napoleon ,
doch
der
innere
Bruch Friedrich Wilhelm's
mit
Alexander gemieden werden konnte. Dies bewirkte man schliesz lich dadurch, dass Knesebeck als besonderer Sendbote nach Peters burg ging, um den Russischen Kaiser über das unabweisliche äuszere Verhalten und die damit heterogene innere Willensmeinung Preuszens zu verständigen.
Durch diese Vereinbarung war ja , für den Fall,
dass das, was man im Geiste voraussah, kommen würde, der Bruch mit Frankreich schon prämeditirt, und es konnte nachher von einer Missbilligung der Tauroggener Convention Seitens des Königs nur insofern, als Er diesen Schritt anfänglich für verfrüht und das Ver halten York's für zu selbstwillig und gefahrvoll hielt, aber nicht dem Principe nach, die Rede sein. Hatte Knesebeck durch sein Votum . von 1812 dem Vaterlande unberechenbar genützt ,
so diente er ihm
im Februar 1813 , als sich die Situation geklärt hatte, durch neue Botschaft seines Königs an den Russischen Kaiser, und indem er durch erstere das nunmehrige Bündniss Preuszens und Russlands gegen Frankreich zu Stande brachte .
Weiterhin war Knesebeck,
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner .
216
und zwar im Freiheitskriege, des Königs Generaladjutant, und muss wohl für den geistig Bedeutendsten , welchen Er überhaupt hatte, gehalten werden.
Ruhmvoll für solche Männer, dass sie die Adju
tanten eines derartigen Kriegsherrn sein konnten, aber noch ruhm voller für den Letzteren, dass Er mit jeder Wahl eines Adjutanten ins Centrum schoss , dass nur die Besten Seines Heeres Ihm so nahe kamen.
Was Knesebeck speciell betrifft, so reproducirte Er die In
tentionen des Königs, aus freier Geistesverwandtschaft mit Ihm an jeder Stelle, 1803 wie 1812 und ferner ; er wurde durch Ihn activirt und ermächtigt ,
so wie des Königs Intentionen hinwiederum durch
Knesebeck mehrfach befestigt und in die Praxis übergeführt wurden. Es bestand auf den Gebieten der Heerescultur, des Krieges und der kriegerischen Politik eine so rege Gegenseitigkeit Beider, dass da, wo es sich um militairische Charakteristiken handelt, mit dem Könige auch stets Knesebeck, und mit Knesebeck auch stets der König be trachtet werden muss. Witzleben endlich war Friedrich Wilhelm's schwer wiegender Generaladjutant in der Friedenszeit. Er gelangte zu dieser wichtigen Stellung , gleichzeitig zum Generalmajor befördert , 1818 , und be kleidete sie geraume Zeit, bis er 1834 Kriegsminister wurde, um als solcher, allerdings nur während einer kurzen Dauer, dem Vaterlande so Hervorragendes zu leisten, wie ihn dazu seine Naturanlage und Erfahrung befähigten . Er besasz so viel Klarheit als Tiefe , seine universelle Bildung war concentrirt, und Friedrich Wilhelm III. nannte ihn 99 einen glücklich organisirten Kopf" .
Mit schlichter Form und
taktvollem Wesen verband Witzleben eine Freimüthigkeit , welche ihn jedem anderen Herrscher unmöglich gemacht hätte, ――― aber für Friedrich Wilhelm III. war er der richtige Mann.
Wenn Witzleben
vor Diesem stets 77 fest und ruhig, offen und unbefangen, stets seiner Sache gewiss , in tiefem Respecte vor seinem Landes- und Kriegs herrn und doch mit noch tieferem vor der Macht der Wahrheit stand" , - so fand dies bei diesem Monarchen die gröszte Würdigung ; Er ehrte Seinen freisinnigen Rathgeber und vertraute ihm ganz, Er besasz an ihm noch im letzten Decennium Seiner Regierung einen nur dass dieser Freund , wie Er ihn im ersten besessen hatte, jetzige von gröszerer Begabung und Erkenntniss war, und einen weiteren Horizont überschaute als jener erste. Friedrich Wilhelm III. bestätigte , wie anderweitig , so auch durch dieses einträchtige Zu sammengehen mit Witzleben, die Beinamen „ der Gerechte“ und „der Wahrhaftige", welche Ihm die Geschichte giebt ; und wie der König durch einen so zupassenden Gehülfen Seine Intentionen stets voll
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
217
und rein in die Praxis überleiten konnte, so hat auch Witzleben, an der Seite eines solchen Herrn, und durch Ihn, immer Gröszeres zu leisten ,
und schlieszlich auf eine ganz
erfüllung zurückzublicken vermocht.
auszerordentliche Berufs
Und es gab in dieser Zeit,
wenn sie auch eine Friedenszeit war, am Staatsruder unendlich zu thun ; es sind in diesen 16 Jahren Probleme gelöst ,
Gefahren be
seitigt und sogar Abgründe überschritten worden, die der Menge ver borgen blieben ; man hat im Heere still gebaut und erzogen, an allen über die dabei zu Stellen geordnet , entwickelt und wohlgethan, Grunde liegende Sorge und Arbeit des Staatsoberhauptes aber sind sich, auch bei den nachher zu Tage gekommenen Früchten, nur Wenige klar geworden. Und in diesen Mühewaltungen eben leistete Witzleben dem Könige so Bedeutendes . „ Alles Grosze und Ausge zeichnete, was, nach errungenem Frieden, zum Heile des Vaterlandes darin geschehen sollte, hat er mit dem Könige berathen und be arbeitet. Seine schnelle Auffassung und energische Kürze , seine Bestimmtheit ,
Consequenz , Ausdauer und Zuverlässigkeit machten ihn, bezüglich der Ausführung aller Intentionen, dem Könige ebenso
werthvoll, als ihn, bei der Berathung, sein Scharfsinn und seine Frei müthigkeit gemacht hatten ; Alles zusammen aber wirkte dahin, dass Witzleben unter denjenigen Organen , durch welche Friedrich Wil helm III. in Seiner langen Regierung unmittelbar viel und nach allen Seiten hin gewirkt hat, eines der hauptsächlichsten war. " Von den Feldherrn Friedrich Wilhelm's , die eine so glänzende Gallerie bilden, möge nur noch York hier besonders accentuirt wer den, - ein so markiger, ehrenfester, gewaltiger Held, der nur, weil er als solcher vom Könige erkannt war, auf den schwierigen Posten in Kurland gestellt wurde.
Er war vor und nach 1812 ein schnei
diger Held , im ganzen Freiheitskriege sogar ein Hauptfactor des Sieges, aber seine gröszte Charakterprobe, die Spitze und das Centrum seines Heldenlaufes beruht doch in der Convention von Tauroggen, einer unvergleichlichen That patriotischer Hingabe und Selbstver läugnung, durch welche, auf das eigene Haupt hin, Alles gewagt und dem Vaterlande mehr geleistet wurde, als durch eine gewonnene Hauptschlacht. Wenn der König, vom Französischen Machteinflusse beengt , diese That nicht im ersten Augenblicke anerkannte,
so ist
sie doch bald nachher, als die Sachlage deutlich zu erkennen und der Französische Bann einmal gebrochen war, um so voller von Ihm gewürdigt worden, und es giebt wohl kein in Kürze präciseres Ur theil über York und diese seine That, als dasjenige, welches Friedrich Wilhelm III. der Uebersetzung des Segur'schen Werkes über den
König Friedrich Wilhelm III . als Heeresbildner.
218
In dieser heiszt es : Feldzug von 1812 Eigenhändig beischrieb. Diese Convention bietet ein bedeutsames Beispiel , wie ein 29 treuer Diener, durch die Umstände zu einem selbstständigen Ent schlusse gedrängt, seinem Könige die ihm anvertrauten Truppen und seinem Vaterlande die Vortheile einer augenblicklichen Entscheidung sichern , die Nachtheile der Verzögerung abwenden konnte ,
ohne
weiter zu greifen, als ihm gebührte, indem, wenn der von ihm ge thane Schritt zurückgethan werden sollte, nichts erforderlich war, als ein einzigesOpfer, wozu er sich selbst weihete ; auch in diesem Falle, wie immer, bereit, seine Treue mit seinem Blute zu besiegeln. " Die
der Wissenschaftlichkeit gewidmeten Generale Friedrich
Wilhelm's III. lassen sich eigentlich in keine besondere Kategorie bringen, weil sie in allen Kategorien vertheilt sind, weil die Wissen schaft, die dieser Monarch ans Ruder des Kriegsberufes gestellt hatte, in letzterem überall waltete.
Das war die freie und frohe Wissen
schaft, die Gefährtin der Praxis , wie sie unsere Organisatoren hand habten, wie sie auf die Schlachtfelder ging, und im Rathe des Königs sasz . In ganz specieller Weise stand der Generalstab auf dem Boden der Wissenschaft ; er war schon damals das Maximum einer mili tairischen Hochschule, aus welcher nach allen Richtungen hin die Lenker und Lehrer des Heeres hervorgingen. Ihm wurde schon die Mehrzahl der Hervorragenden, welche wir genannt haben, verdankt ; doch bleiben noch einige Offiziere zu erwähnen, deren aus gleicher Quelle entsprungene Wissenschaftlichkeit sich in ihrem Wirken noch specieller ausgedrückt , ihr ganzes historisches Wesen noch mehr gefärbt hat, als bei den Uebrigen.
Zu diesen kann Rauch gezählt
werden, welcher nach Witzleben, aber auch nur für die Dauer weni ger Jahre, Kriegsminister war ; v. Müffling I., welcher mit auszer ordentlichen Sendungen nach Constantinopel und St. Petersburg be traut wurde und 1838 die Präsidentur des Staatsrathes erhielt ; Va lentini ,
der sich von 1813 bis 1815 abwechselnd als York's und
Bülow's Generalstabschef, dann in verschiedenen Stellungen , und als Militairschriftsteller hervorthat, und 1828 zur General- Inspection des Militair-Erziehungs- und Bildungswesens gelangte ; Luck , 1811 in terimistischer Gouverneur des Kronprinzen, und
1834 Valentini's
Nachfolger in der General-Inspection des Militair - Erziehungs- und Bildungswesens ; Pirch II., der 1809 Gouverneur des Prinzen Wilhelm und Seines Vetters, des Prinzen Friedrich, 1813 Generalmajor wurde, und 1819 als Generallieutenant die Stellung als Ober-Director der Militair-Erziehungsanstalten erhielt ; v. Clausewitz II . endlich, welcher sich als Mitarbeiter der Scharnhorst'schen Organisationen hervorthat,
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
219
zweitens als Unterhändler der Convention von Tauroggen wichtige Dienste leistete, 1815 Chef des Generalstabes des III. Armeecorps , 1818 Generalmajor und Director der Allgemeinen Kriegsschule, 1830 Inspecteur der zweiten Artillerie-Inspection war, und 1831 als Chef des Generalstabes jener von Gneisenau befehligten Observations Armee im Posenschen starb. Clausewitz war einer der geistreichsten Offiziere unserer Armee, und bereits seine Schriften haben ihm ein Denkmal gesetzt . — Die Preuszische Kriegskunst, welche Friedrich Wilhelm III . über nahm, war genau diejenige des vorigen Jahrhunderts, und auch 1806 noch wich sie von derjenigen Friedrich's nur im Kleineren und Ein zelnen ab.
Der Grund zu ihrer zeitgemäszen Umgestaltung wurde
erst durch die Königlichen Verordnungen vom 23. November und 1. December 1806 gelegt ; diese waren aber von der auszerordent lichsten Bedeutung und Wirksamkeit.
Der König hatte sie Selbst
verfasst, sie kennzeichneten die auch nach dieser Richtung hin bereit liegenden Gedanken militairischer Reform, welche seither nur ein äuszerer Gegendruck von der Praxis fern hielt ,
und sie drangen
jetzt so schnell ein, dass man in den Preuszischen Operationen von 1807 schon ihre Bethätigung wahrnahm.
Gewiss war es eine sehr
merkwürdige und interessante Erscheinung, dass von den einen Zu sammenhang bildenden Feldzügen von 1806 und 1807 der erstere in unserem Heerlager noch ganz die Kriegskunst des 18. und der zweite schon in verschiedenen Hauptpunkten diejenige des 19. Jahrhunderts repräsentirte. Die neuen Grundsätze wurden nun im Zusammenhange der ganzen Reorganisation planmäszig entwickelt , für den praktischen Betrieb reglementarisch, für die militairische Intelligenz durch ein in Schriften und Vorträgen sich ausbreitendes System, festgestellt , und sowohl die ganze Kriegführung überhaupt, als die durch sie bedingte Fechtart jeder Waffe trat hiermit in ganz neuem Charakter auf. Was die Kriegführung im Ganzen betrifft ,
so wurde die For
mation und Gliederung der Streitkräfte zweckmäsziger ;
die
vor
handene Intelligenz der Führer aller Grade kam zu freierer Wirkung, jede Abtheilung des Heeres zu einer gröszeren als der bisherigen Selbstthätigkeit.
Wenn dies bei Jena und Auerstädt schon so ge
wesen wäre, so hätten die zahlreichen Capacitäten unseres in diesen Schlachten engagirt gewesenen Offiziercorps , welche sich auf tieferen Stufen befanden, eine Verwerthung gefunden, und das Resultat würde sich günstiger gestaltet haben. Man massirte jetzt die Streitkräfte und suchte
schnelle Ent
220
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner.
scheidungen durch grosze Schläge ; die Kriegführung wurde offen siver, stetiger und schneller.
Die Festungen,
bei denen früher zu
viel Zeit versäumt worden , liesz man jetzt unter Umständen aus, und sie durften mindestens nicht mehr die Bewegung nach dem Hauptziele des Krieges hin aufhalten .
Man marschirte getheilt und
schlug vereinigt ; das Terrain wurde geschickter benutzt , der Tross vermindert , und im Marsche, wie in der Action trat statt der pe dantischen Exercirmäszigkeit eine freiere Haltung und schnellere Bewegung ein. Die in üblen Kriegslagen bisweilen unsichere Magazinverpflegung war mit dem Requisitionssysteme vertauscht , welches ,
eine stets
sichere Ernährung der Truppen gewährend , diese zugleich leichter und freier machte.
Für den Kampf selbst formte man tiefe, schach
brettförmige Schlachtordnungen , und hielt grosze Reserven bereit, um durch sie entweder den Sieg entscheiden , oder den Ruin ab wenden zu können.
Jeder Sieg wurde durch systematische Ver
folgung des Feindes gründlich ausgenutzt, der Vorposten- und Pa trouillendienst lagernder und der Avantgardendienst marschirender Truppen so ausgebildet, dass man dadurch die wirksamste Sicherung und Hülfe bekam. Was die einzelnen Waffen betrifft, so veränderten sie ihre Fecht art gänzlich, und jede derselben kam hiermit zu einer anderen, als ihrer bisherigen Verhältnissstellung mit dem Kriege. Die Infanterie wurde durch die Vervollkommnung der Feuer taktik und das Tirailleursystem eine viel gröszere Nummer als bis her.
Die alte Lineartaktik war vor 1806 nur wenig modificirt, das
im Rheinkriege profitirte Tiraillement lag noch in seiner Kindheit. Der Krieg von 1807 entwickelte letzteres, sowie überhaupt die In fanterietaktik schon beträchtlich ; die Königlichen Bestimmungen vom 23. November 1806, 20. November 1807 , 27. März und 8. September 1809 brachten die derartigen Fortschritte auf feste Regeln.
Dieser
Vorwärtsstrebung gab das Exercir-Reglement für die Infanterie von 1812 einen vorläufigen Abschluss , und die Vorschriften desselben blieben für das äuszere Wesen der Infanterietaktik während der gegenwärtigen Regierungsperiode im Hauptsächlichen maaszgebend . Der für sie damit gewonnene Standpunkt contrastirte mit demjenigen von 1805 doch sehr bedeutend , denn auf ersterem befand sich die Infanterie noch im Zeitalter der nur wenig modificirten Lineartaktik, des Peloton- und Heckenfeuers, der schwerfälligen Bewegungen ; auf letzterem dominirte schon die infanteristische Schnelligkeit, die Co lonnentaktik und ein frequentes Tiraillement, - wenn diese auch,
König Friedrich Wilhelm III . als Heeresbildner.
221
wie die Folgezeit gelehrt hat, das Bedürfniss einer mächtigen Weiter entwickelung in sich trugen. Die Cavallerie konnte, bei den groszen Fortschritten der Feuer taktik, den groszen Rang, den sie als Kriegsfactor im siebenjährigen Kriege gehabt hatte, nicht ferner behaupten ; sie fand kein so uni verselles Reitergenie mehr, wie der grosze Seydlitz gewesen war, und wenn sie in vielen einzelnen Hinsichten vervollkommnet wurde, so ist sie doch als Ganzes , durch Zeit und Umstände, jetzt in ein genitives Verhältniss gesetzt worden.
Ihre neu eintretende Taktik
musste sie, nach Maaszgabe der in compacten Massen widerstehen den Infanterie, auf tiefere, als die vorherigen Angriffsformationen hinweisen ; was aber die äuszeren und reglementarischen Veränderun gen betrifft, welche unsere Cavallerie in der Reorganisationsperiode erfuhr, so beruhten diese hauptsächlich in der die neue Formation der Cavallerie bestimmenden Cabinetsordre vom 16. October 1807, in der im April 1809 erschienenen Exercir-Instruction für die Ca vallerie, und zumeist in dem Exercir-Reglement für die Cavallerie von 1812. Der natürliche Weiterfortbau fand dann auf dieser Grund lage statt. Auch die Artillerie ist durch die neue Infanterietaktik dieser Zeit beeinflusst worden, aber nicht blos nachtheilig, sondern auch in förderlicher Weise.
Erschwert wurde ihre Lage natürlich durch die
aus dem Tiraillement und der infanteristischen Behendigkeit ihr er wachsenden Gefahren ; förderlich mussten ihr die nunmehrigen tiefen Stellungen der Infanterie werden, da einerseits durch die so ver kleinerten Zielobjecte ihre Geschicklichkeit
mehr herausgefordert
wurde, andererseits jeder treffende Schuss jetzt in den tiefen Co lonnen viel mehr effectuirte, als vorher in den dünnen Linien. Ab gesehen davon, schritt die Artillerie dieser Zeit nicht nur in ihrer Ausrüstung, Formation und Gefechtslehre bedeutend vor, sondern sie ist auch erst jetzt ganz selbstständig gemacht worden .
Dies ver
dankte sie hauptsächlich dem Prinzen August, welcher, im Einver nehmen mit Scharnhorst, die stattgehabten Förderungen dieser Waffe herbeizuführen wusste . Als solche sind die Cabinetsordres vom 24. November und 7. December 1808, welche eine Neuformation der Artillerie anordneten , die Cabinetsordre vom 17. März 1809 , welche eine Artillerie-Prüfungs - Commission einsetzte, die Exercir- Instruction für die Artillerie vom März 1809 und das Exercir-Reglement für die Artillerie von 1812 zu nennen ; die thatsächlichen Veränderungen aber, welche vermöge dessen für die Artillerie eintraten, hauptsächlich in Folgendem :
beruhten
222
König Friedrich Wilhelm III. als Heeresbildner. „ Die Artillerie soll fortan in jedem Terrain gebraucht werden,
und man vervollkommnet sie danach in ihrer Beweglichkeit und ihrem Schieszvermögen.
Die bisherige Regiments - Artillerie hört im
Interesse der Einheit und Selbstständigkeit dieser Waffe auf ; die neuerrichtete vereinigte Artillerie- und Ingenieur- Schule erhöht die Wissenschaftlichkeit des Offiziercorps der Artillerie, und die fortan vorgeschriebenen Prüfungen, von denen der Uebergang in höhere Stellen abhängig ist, verstärkten und garantirten jenen Vortheil . Der mechanische Zustand der Artillerie wird im Ganzen durch Errichtung von Artillerie-Handwerksstätten verbessert ; die Einführung eiserner Axen für sämmtliches Feldgeschütz, und der Richtschraube statt des Keils u. a. wirkt im Einzelnen für diesen Zweck, und durch über einstimmende Munitionswagen für alle Batterien und Colonnen ge winnt die zweckdienliche Gegenseitigkeit der letzteren.
Die Ma
növrir- und Schieszfähigkeit der Artillerie ins Besondere wird auf mechanischem Wege durch verbesserte Anwendung des
Langtaus,
zweckmäszigere Einrichtung der Protzen, des Geschirrzeuges, sowie durch Einführung kleiner Kartuschen bei den Haubitzen und kleiner Kartätschkugeln etc. gefördert. Die reitende Artillerie gewinnt durch die taktische Verbindung , in welche sie jetzt mit der Cavallerie ge setzt wird, einen neuen Charakter und eine besondere Wirksamkeit. „, Das Ingenieurthum vervollkommnete sich äuszerlich und wissen schaftlich bedeutend, und hatte Gelegenheit, das so Gewonnene von 1813 bis 1815, namentlich in dem so reichhaltigen Belagerungskriege dieser Zeit, zu verwerthen. Es fand jetzt eine engere Einschlieszung und regelmäszigere Belagerung fester Plätze statt , als früher, und hat sich mit dergleichen namentlich pro 1815 das Deutsche Bundescorps und das 2. Preuszische Armeecorps in den Niederlanden hervorgethan. --
Wenn man Alles zusammenrechnet, was Friedrich Wilhelm III. mittelbar und unmittelbar, geistig und äuszerlich dem Heere, und hiermit auch für die Gegenwart und Zukunft des ganzen Vater landes schuf , - so giebt dies eine grosze Summe , ein schweres Gewicht.
Und es ist in allen Theilen so harmonisch , so tief und
doch überschaulich ; es befriedigt seine Gegenwart und reicht seiner Zukunft die Hände.
Wenn man sich den Zusammenhang zwischen
Jetzt und Damals ganz klar macht, so wird es augenfällig,
dass
unser ganzes siegreiches Heersystem des neuerstandenen Deutschen Reiches nur eine höhere Potenz des von Friedrich Wilhelm III . ein
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
223
die neue verbesserte Auflage eines groszen Werkes ist , welches , dem nationalen Typus und der zeitgemäszen gesetzten Systemes ,
Einrichtung nach, von Ihm Selbstständig geschaffen wurde.
XIII .
Einige Mittheilungen
über die verschiedenen Metalle, welche zur Herstellung von Geschützrohren, im Besonderen von gezogenen, in Betracht kommen, mit vorzugsweiser Berücksichtigung der Deutschen Geschütze. Bearbeitet von
Gaertner, Oberst- und Bezirks--Commandeur. (Schluss .) *) Bronce oder Gussstahl. Die Bronce hatte,
wie aus dem Schlusse des
ersten Capitels
ersichtlich geworden , fast bei allen Europäischen Artillerien mehr oder weniger zur Geschützfabrication die Oberhand gewonnen, behielt sie bis in die neueste Zeit, und es schien selbst, als wolle man für die Feldartillerie zu ihr zurückkehren.
Auch die ersten von Napo
leon III. im Italienischen Kriege 1859 verwendeten gezogenen Feld geschütze waren aus diesem Materiale,
während man in Preuszen
noch bei den Vorversuchen im Jahre 1851 den Vorschlag, zur Her stellung gezogener Rohre Bronce zu benutzen,
abgelehnt hatte in
der Meinung, dies Material sei wegen zu groszer Weichheit in den Zügen nicht brauchbar. Erst 1853 versuchte man auch bei uns aptirte broncene 6- und 12-Pfänder, liesz aber dies Metall wegen zu groszer Verschmutzung trotz Anwendung von Schmiermitteln wieder fallen. Die
Vorversuche
kamen
erst
durch
die
bekannten ,
Auf
sehen erregenden Breschversuche in Schweidnitz im Jahre 1857 *) Vergl. Jahrbücher Band XX, Seite 102 (Juli 1876) .
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
224
zu einem gewissen Abschlusse , indem unser jetztiger Kaiser noch als Prinz-Regent durch Allerhöchste Cabinetsordre vom 18. Februar 1858 die. Einführung der gezogenen 12- und 24-Pfünder, und zwar aus Eisen befahl . Die Versuche mit dem 6 - Pfünder waren noch nicht zur Entscheidung reif geworden. Der höchst verdienstvolle General Enke hatte schon im Früh jahre 1855 die Anfertigung eines gussstählernen 6 -Pfünders angeregt, bei welchem als besonderer Vorzug hervorgehoben wurde, dass dies Material bei gleichem Gewichte wie von Eisen oder Bronce eine für die Trefffähigkeit
sehr vortheilhafte gröszere Länge zulasse und
dabei eine sehr grosze Haltbarkeit und Unveränderlichkeit in den Zügen verspreche. Nach mancherlei Schwierigkeiten kam ein solches erst im Sommer 1856 in Versuch und bewährte sich im Allgemeinen vortrefflich,
so dass man sich seit Ende
1857
eingehend mit der
Frage beschäftigte, ob dies Rohr nicht allgemein in der Feld-Artillerie einzuführen sei.
Auch weil bei Schweidnitz ein eiserner 24-Pfünder gesprungen war, wurde der Entwurf für ein Rohr von diesem Caliber in Guss stahl ausgearbeitet, welcher aber vorläufig nicht zur Ausführung kam. Die Jülicher Versuche im Jahre 1860 , zu welchen mit groszer Liberalität zahlreiche fremde Offiziere zugelassen wurden, die Ansichten
über den Werth und
läuterten die Brauchbarkeit gezogener
Kanonen im Allgemeinen, und Preuszen lieferte bereitwillig für die kleineren Deutschen Bundesstaaten gezogene Geschütze (auch für die Bundesfestungen), welche im Jahre 1866 groszentheils gegen uns verwendet wurden. Bei diesen Jülicher Breschversuchen hatte man übrigens auch zwei der mittlerer Weile eingeführten gussstäblernen 6-Pfänder mit herangezogen, welche mit Belagerungs- 6 - Pfündern in einer Batterie standen. Bis zum Anfang der sechziger Jahre hatte sich die Frage über Ge schützmetall in Preuszen folgendermaaszen entwickelt. Zu Feld geschützen verwendete man nunmehr ausschlieszlich Gussstahl,
zu
Festungs- und Belagerungs-Geschützen Eisen und Bronce und zwar mit Kreiner'schem Doppelkeil- Verschlusse
und
Keilzügen ,
neben
welchen allerdings noch vielfach Geschütze mit Kolben-Verschluss in Gebrauch waren. Der Keilverschluss, von dem Mechanicus Kreiner im Jahre 1860 angegeben,
war bis
auf geringe Verbesserungen
dem von den Engländern Churich und Goddard in England patentirten Verschlusse sehr ähnlich. Die Bronce prävalirte bei den Belagerungs Geschützen der stärkeren Gebrauchsladung wegen und bei Aptirungen, während
Eisen
vornehmlich
zu Festungs - Geschützen
verwendet
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
225
wurde. Bei den 1863 neu angefertigten eisernen 6- und 24-Pfändern, die mit den broncenen aptirten 12-Pfündern für den Belagerungstrain bestimmt waren, hatte man öfters unangenehme Erfahrungen gemacht, namentlich waren mehrere 24- Pfünder gesprungen trotz groszer Fort schritte im Eisenguss , und so kam die Construction 1864 (C./64) zur Ausführung, indem neue broncene 12- und 24-Pfänder gegossen wurden. Die Versuche, die hintere Ladungsraum-Kante broncener Rohre vor zu rascher Ausbrennung
mehr
zu sichern, gelangten erst im
Jahre 1870 zur Entscheidung, indem an dieser besonders gefährdeten Stelle, und weil zu viele Rohre bald unbrauchbar geworden waren, auch bei Neuanfertigungen von Hause aus Stahlringe eingeschraubt wurden. Obgleich eigentlich nicht hierher gehörig, verdient doch erwähnt zu werden, dass man durch Anwendung kleiner Ladungen die drei gezogenen Caliber der Festungs- und Belagerungs-Artillerie, in ähnlicher Weise wie bei der Feld-Artillerie durch Ausbildung des hohen Bogenschusses 1866 kurz vor dem Kriege die Feldhaubitzen zum
Ausscheiden
Haubitzen
gekommen
waren ,
und Bomben-Kanonen
zum Ersatz der schweren • zu machen versuchte.
geeignet
Man erkannte aber bald, dass dieser Zweck nur durch Einführung kürzerer gezogener Rohre in möglichster Vollkommenheit zu erreichen war , und diese Erkenntniss führte zur Construction der broncenen und eisernen
kurzen 24-Pfünder ( 15-Centimeter) ,
eben auch von
Eisen wegen der verhältnissmäszig schwachen Ladung , und des gezogenen 21 - Centimeter-Mörsers aus Bronce. 1870 kamen diese Geschütze zur Einführung ; erstere machten den Krieg freilich noch im Versuchsstadium
mit,
nachdem 1868 zu Stettin ein Vergleichs
schieszen zwischen gewöhnlichen und kurzen 15- Centimetern zur Ausführung gekommen war. Neben dem broncenen 21-Centimeter Mörser war ein Eisen-Hartguss -Mörser desselben Calibers von Grüson versucht worden, von dem aber besonders seiner Schwere wegen Abstand genommen wurde. Die broncenen 21 - Centimeter - Mörser hatten sich bei den Silberberger Schieszversuchen 1869 im Allge meinen zur Einführung geeignet erwiesen. Es waren nunmehr 1870 auszer den beiden Arten der Feldge schütze von Gussstahl an gezogenen Geschützen vorhanden : von Gusseisen 9-, 12-, 15- und kurze 15- Centimeter- Kanonen, von Bronce 9-, 12- und 15- Centimeter-Kanonen und 21 - Centi meter-Mörser, von Stahl 9- und 15- Centimeter-Kanonen. Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
15
226
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
Der Zahl nach überwogen in der Festungs- und Belagerungs Artillerie die broncenen Geschütze die eisernen und stählernen be deutend.
Dabei
waren die gezogenen Kanonen hauptsächlich des
Verschlusses wegen etwas schwerer,
als die gleichnamigen glatten,
zum Theil die 15- Centimeter gezogenen etwas leichter. Auch nach dem Kriege 1870 gegen Frankreich hatte im Allge meinen die Bronce vor den anderen Metallen noch den Vorzug. Unmittelbar nach demselben erklärte eine Commission von höheren Artillerie-Offizieren , welche bei den Belagerungen thätig gewesen waren, unter Anderem, dass der Stahl beim 15- Centimeter keinen Vor theil gegenüber der Bronce gezeigt habe ; gleichzeitig wurde der einfache Keil und der Broadwellring für nothwendig erkannt , um den Aus brennungen an der hinteren Ladungsraum-Kante zu begegnen. Dazu kamen auch die Erfahrungen im Kriege 1866 mit Gussstahl- Feld geschützen , so wie die im letzten Feldzuge , und man konnte die Alleinherrschaft der Bronce mit Fug und Recht erwarten. Hatte man doch schon seit 1867 keine neuen Gussstahl 15- Centimeter mehr gefertigt, und für die Feldgeschütze hatte man bereits die alleinige Verwendung von Bronce in die Wege geleitet. Auch in anderen Staaten hatte man ähnliche sehr günstige Er fahrungen mit der Bronce gemacht, und ganz sicher spielte die Geldfrage eine wesentliche Rolle mit, so dass es völlig gerechtfertigt schien, statt des theueren Gussstahles nur Bronce zur Geschütz Dazu kamen die groszen Vorräthe an fabrication zu benutzen. Bronce der eigenen und der eroberten Geschütze. Es lässt sich nicht läugnen, dass die neu aufgetretenen Ansichten auch unbedingt berechtigt waren, so lange es sich um den Gebrauch Es von sowohl absolut als relativ geringen Ladungen handelte . musste aber sofort von derselben Abstand genommen werden,
als
die Nothwendigkeit sich herausstellte, die Ladungen ganz erheblich über die bisherigen Grenzen zu steigern. Zunächst traf dies zu bei den Geschützrohren der Küstenbatterien , bei dem langen 15-Centi meter und 21 -Centimeter-Kanonenrohren, für welche die Gebrauchs ladungen auf 162 resp. 17 Kilogramm normirt wurden. Die Anwendung von Bronce zu diesen Geschützen erwies sich sofort als unzulässig , als nach kurzem Gebrauche die Trefffähigkeit derselben wesentlich abnahm, erstens in Folge von groszen Erweite rungen des Ladungsraumes , zweitens von Stauchungen des Ueber gangconus und drittens , weil der Anfang des gezogenen Seelentheiles sich nicht dauerhaft genug zeigte.
Als auch für die Feldartillerie
erheblich stärkere Ladungen gefordert wurden, ebenso wie beim Be
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc. lagerungs- 15-Centimeter, musste
man nothwendig
227
zum Gussstable
zurückgreifen, in beiden Fällen ging man dabei gleichzeitig zu be ringten Rohren über. Trotzdem überwiegt
heute
noch bei uns
die Bronce in der
Festungs- und Belagerungs-Artillerie. Der für den Belagerungstrain be stimmte neue 9-Centimeter ist aus Bronce hergestellt, auch für den ver stärkten 12-Centimeter und die kurze 15 - Centimeter-Kanone kann die selbe beibehalten werden, da die Ladungen dieser Rohre verhältniss mäszig gering bleiben. Ebenso hat man sich beim 21 -Centimeter- Mörser für dies Metall entschieden, und auch die noch im Versuchsstadium sich befindenden 21 - Centimeter-Kanonen sind bis jetzt aus Bronce hergestellt. bewährt. „ Bei
Bei letzteren hat sich dieselbe aber, wie gesagt, nicht
der
augenblicklichen Sachlage
muss
das Urtheil dahin
lauten, dass die Bronce ihre Rolle bald ausgespielt haben wird. Sie ist nicht im Stande, den neuerdings gesteigerten Ladungen gegenüber, Unveränderlichkeit des Ladungsraumes und der Verschluss Einrichtungen zu bieten und das hintere Ende des gezogenen Theiles vor starkem und schnellem Ausbrennen zu sichern. Der Ersatz der
broncenen
9- Centimeter - Kanone
durch
das
neue schwere Feldgeschütz aus Gussstahl kann nur noch eine Frage der Zeit sein.
Die
broncene
12 - Centimeter-Kanone muss , wie noch nachge
wiesen
werden wird, durch ein Gussstahlgeschütz für erheblich stärkere Ladungen ersetzt werden. Die kurze 21 - Centimeter-Kanone wird aller Wahrscheinlichkeit
nach nur aus Stahl genügend haltbar und dauerhaft herzustellen sein. Demnach wird die Bronce nur für die Geschütze mit kleinen Ladungs quantitäten beibehalten werden können, das sind die kurze 15-Centi meter-Kanonen und der 21 -Centimeter- Mörser , vorausgesetzt , dass dessen jetzige Ladung, der Natur eines Mörsers entsprechend, wieder etwas herabgesetzt wird. " Es mag zweifelhaft, doch am Ende nicht wahrscheinlich bleiben, ob die Bronce dennoch berufen ist,
bei der Metallfrage für Geschütz
rohr-Anfertigung eine gröszere Rolle zu spielen, wenn dieselbe me chanisch weiter bearbeitet wird , sei es in Gestalt von Phosphor bronce, sei es als Stahlbronce à la Uchatius . Auch ist man sowohl in Frankreich, als auch in der so industriereichen Schweiz bei Fer tigung der neuen Feldgeschütze
zur Bronce zurückgekehrt
wohl
hauptsächlich , weil es in beiden Staaten nicht gelungen scheint, gröszere Blöcke aus Gussstahl , wie sie für Geschütze erforderlich 15 *
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
228
in genügender Güte und Homogenität herzustellen.
sind,
Auch in
England hat man sich vom reinen Gussstahle meist abgewendet , ist aber nicht zur Bronce umgekehrt, sondern zu künstlichen Construc tionen aus Stahl und Schmiedeeisen übergegangen. In Italien scheint man noch nicht vollständig zu einer sicheren Entscheidung gelangt zu sein.
Wenn sich auch das neueste Feld
geschütz daselbst, ein 7,5 - Centimeter-Hinterlader, mit cylindro-pris matischem Keil- Verschlusse und Broadwellring , von 12 Zügen bei den Schieszversuchen recht gut bewährt haben soll, so ist man doch für schwere Geschütze von der Bronce immer mehr und mehr zurückgekommen und zum Stahle und künstlichen Constructionen übergegangen . Die Preuszischen
Feldgeschütze von Krupp'schem Gussstahle, haben mit
allerdings auch noch durch einen Stahlring verstärkt,
dem neuen Pulver, dessen Körnergrösze 6-10 Millimeter beträgt, Anfangsgeschwindigkeiten erreicht und zwar der schwere 8,8 - Centi meter mit einer Ladung von 23 % des Geschossgewichtes von 1595′, einer Ladung von 25 % des Ge
der leichte 7,85 - Centimeter mit schossgewichtes von 1570 ',
eine
man
Geschwindigkeit, die
wohl
ohne dass
niemals aus einem Broncerohre wird erzielen können , letzteres in ganz kurzer Zeit unbrauchbar werden würde.
Russland, welches vorzugsweise dem Gussstable sich zuwendet, hat übrigens noch 1874 Versuche mit einem achtzolligen Rohre aus Bronce gemacht, welches mittelst Schalenguss und mechanischer Pressung während des Erkaltens hergestellt war. Man scheint aber keinen besonderen haben.
Vortheil
in
dieser
Fabrications -Methode
erkannt
zu
In neuester Zeit sind ganz schwere gusseiserne Geschütze
mit Stahl umringt worden.
Schweden, welches fast nur gusseiserne
Geschütze erzeugte, und zwar lange Zeit mit Recht,
weil es über
einen vorzüglichen Eisenstein verfügt, und dem Vorderladesysteme den Vorzug gab, hat im vorigen Jahre ebenfalls gezogene Hinterlader von 8,7 Centimeter aus Gussstahl von Krupp zu Versuchen bezogen. Die Französischen neuesten Feldgeschütze sind 7- und 5- Kilogramm Bronce-Kanonen , Hinterlader nach Reffye-System,
von denen
die
ersten als canons de sept im letzten groszen Kriege auftauchten. Der Verschluss besteht aus einer starken Schwanzschraube , bei welcher die Schraubengänge dreimal auf je % des Umfanges glatt weggeschnitten sind. Die Mutter im Rohre ist gleichfalls dreimal unterbrochen, beim Einsetzen des Verschlusses schieben sich die dreimal unterbrochenen Schraubengänge auf den glatten Theilen der Mutter vor und dann gentigt eine
-Umdrehung der Schwanzschraube,
229
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
um ihre Schraubengewinde in die Schraubengänge der Mutter ein greifen zu lassen. Die Dichtung erfolgt durch einen Kupferteller, der vorn an der Schwanzschraube befestigt ist. Das Reffye - System scheint
nicht völlig befriedigt zu haben,
und
hat man Versuche
gemacht, die Geschosse nach dem Vavasseur - Systeme mit Rinnen zu versehen, wodurch sie von den Feldern der Züge geführt werden . Schlieszlich scheint man vollständig zur Führung durch Kupferringe übergegangen zu sein ; ein hinterer, etwas breiterer Kupferring über nimmt die Führung,
ein vorderer schmälerer und um die Zugtiefe
schwächerer centrirt das Geschoss, ohne in die Felder zu schneiden. Phosphorbronce. Schon seit längerer Zeit hat man in verschiedenen Richtungen Versuche gemacht, durch Zusatz eines dritten Metalles die alte Ge schützbronce zu verbessern, aber in fast allen Fällen verschlechterten diese Zusätze
selbst
in geringfügigen Quantitäten geradezu
die
Bronce.
Hatte man in einer Richtung z. B. an Härte etwas ge
wonnen,
so verlor man an Zähigkeit ,
u. s . w.,
oder das sonstige Verhalten desselben gegen chemische
das Metall wurde spröde
Veränderungen wurde meist viel ungünstiger . So hat man namentlich mit Zusätzen von Aluminium,
Eisen,
Mangan, Nickel, Schwefel, Arsenik und Antimon , selbst von Silber Versuche gemacht, ohne ein günstiges Ergebniss zu erzielen, und nur ein Zusatz von Zink in ganz geringen Quantitäten, aber bis höchstens 2 %, hat die absolute Festigkeit und Zähigkeit des Ganzen um Etwas verbessert, wogegen an Härte ein geringer Verlust erwächst. Letzterer Umstand muss jedoch nothwendig nachtheilig besonders auf die Widerstandsfähigkeit der Züge einwirken. In Spandau darf die zum Geschützgusse verwendete Bronce bis 2 % Zink und 1 % Die früheren anderer fremder Metalle als Beimengung enthalten. günstigen Berichte über die theuere Aluminium -Bronce scheinen sich nicht bewährt zu haben. Allein „ Phosphor ist der einzige Zusatz, der die Geschützbronce wirklich und bedeutend verbessert, " sagt Dr. Künzel in seinem Werke über Broncelegirungen etc. etc. Dresden 1875, ein übrigens höchst interessantes, lesenswerthes Buch. Der Phosphor soll die Bronce härter, widerstandsfähiger und zugleich zäher machen, ohne, wie die Zusätze von anderen Metallen aus der Alkaligruppe, der Bronce eine Empfindlichkeit gegen atmosphärische Einflüsse zu verleihen und sie leicht oxydirbar zu machen.
An einer anderen Stelle wird gesagt , dass der Phosphorzusatz sämmtliche in der Bronce enthaltenen so gefährlichen Oxyde entfernt,
230
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
und dass das schwer krystallisirende Zinn durch Phosphor in einen krystallisationsfähigen
Zustand
(Phosphorzinn)
übergeführt wird,
und nunmehr mit dem ebenfalls leicht krystallisirbaren Kupfer eine homogene Metall- Legirung bildet,
bei welcher übrigens, wenn sie
langsam erstarrt, ein gewisser Grad von Saigerung eintritt .
Man
muss also auch beim Gusse von Phosphorbronce, um letztere zu ver meiden, ebenfalls
für
möglichst
rasche Abkühlung Sorge tragen .
Durch Festigkeits -Versuche glaubt Dr. Künzel bewiesen zu haben, dass einer so hergestellten Phosphorbronce ,
der gewöhnlichen Ge
schützbronce gegenüber, gröszere Zähigkeit, Elasticität und absolute Festigkeit inne wohnt, wovon man jedoch in Spandau nicht völlig überzeugt ist.
Durch Erhöhung des Phosphorzusatzes soll man die
Härte der Bronce beliebig steigern können, ohne merklich an Zähig keit zu verlieren. Jedenfalls scheint Phosphorbronce sehr Ausbren nungen ausgesetzt zu sein . In der Spandauer Geschützgieszerei,
wo der Bronceguss
zu
einer groszen Vollkommenheit gediehen ist , und wo in den letzten Jahren ebenfalls Versuche mit Phosphorbronce- Geschützen gemacht worden sind, hat man den Guss von Geschützen aus dieser Legirung wieder fallen lassen, und sich dem wohl solideren Stahle, wie im vorigen Capitel auseinandergesetzt ist, wenigstens für alle Geschütze, die starke Ladungen aushalten sollen, mehr und mehr zugewendet. Auch erkennt Dr. Künzel selbst an , dass alle einfach gegossenen Bronce-Geschütze, d . h. ohne dass sie weiter mechanisch bearbeitet sind, bei genügen.
den so erheblich gesteigerten Anforderungen nicht mehr er
Die Widerstandsfähigkeit und Härte von Bronce,
verwendet übrigens zur Phosphorbronce nur einen Zinngehalt von unter 6 %, - müsse daher von Neuem gesteigert werden, d. h. die Gussstücke noch einer weiteren mechanischen Bearbeitung unter worfen werden,
und so wie Stahl und Eisen (S. 62) das Maximum
der Widerstandsfähigkeit erst durch Hämmern, Walzen oder Ziehen erreichen, so sei es ebenfalls mit der Bronce der Fall. Durch eine solche Manipulation und zwar im kalten Zustande, wobei sich das Metall nicht über 100 ° C. erhitzen darf , nimmt nun zwar sowohl die Härte, als auch die Elasticität und die absolute Festigkeit der Phosphorbronce von niederem Zinngehalte bedeutend zu, die Zähigkeit aber gleichzeitig so erheblich ab, dass (vgl. S. 69 des genannten Werkes) nicht daran zu denken ist , eine vollständig hart geschmiedete Bronce, weil zu spröde, für die Darstellung homo gener Geschützrohre
zu verwenden .
Bronce bis zu einer gewissen
nicht
Wird aber die geschmiedete zu hohen Temperatur wieder
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc. erwärmt,
so behält
äuszerst zähe.
sie
die
guten Eigenschaften und wird auch
Dr. Künzel schlägt daher vor , die harte Phosphor
bronce für die Seele als Kernstück zu verwenden,
und dieses mit
wieder ausgeglühter geschmiedeter Bronce zu umkleiden, Kernrohre damit zu umringen . stellt,
231
dass ein Ausglühen
zu einer Temperatur
oder die
Durch Versuche hat sich herausge
der hartgeschmiedeten Bronce nur bis
von 260 ° C. gebracht werden darf,
um
ein
Metall zu gewinnen, welches (s. Seite 73) mit dem Stahle concurriren könne. Eine 5 % Zinn enthaltende hartgeschmiedete Phosphorbronce, die bis zu der angegebenen Temperatur erhitzt ist, soll eine doppelt so grosze Elasticität und eine mehr als doppelt so grosze absolute Festigkeit und Zähigkeit besitzen, als beste gewöhnliche Geschütz bronce mit 10 % Zinngehalt. Wir erlauben uns jedoch einstweilen die Schlussbemerkung des zweiten Capitels
in dem mehrfach
angezogenen Dr. Künzel'schen
Werke zu bezweifeln , wonach, wenn alle für die Geschützfabrication einschläglichen Eigenschaften des Stahles und der mechanisch be arbeiteten Phosphorbronce mit einander verglichen werden, Geschütze aus letzterem Metalle hergestellt , unter jeder Bedingung die Stahl geschütze übertreffen sollen, da man sich sicher in Spandau von dem theueren Gussstahle emancipiren würde , um so mehr , als alte un brauchbare Stahlgeschütze fast werthlos sind , dagegen immer behält, ja
nach
noch einen
während alte Bronce sehr
hohen Werth
den Spandauer Erfahrungen durch
verhältnissmäszig
wiederholten
Umguss eine immer gröszere Homogenität gewinnt. Trotzdem lässt sich nicht verkennen, dass auch die im Januar 1874 Seitens der Deutschen Marine zu Kiel angestellten Festigkeits versuche mit kaltgeschmiedeter Phosphorbronce sehr gute Resultate ergeben haben. Hier darf wohl
noch die Bemerkung
einflieszen ,
dass
die
Broncegeschütze mit den dünneren Theilen , also der Mündung, nach unten bei möglichst niederer Temperatur , wo sie eben noch dünn flüssig bleibt (in Spandau bei 1500-1525 ° C.) , gegossen werden müssen,
um hauptsächlich die Saigerung zu vermeiden, und dass
man bei gröszeren Kanonenrohren über die nicht brennbaren,
einen Kern gieszt, wobei
aus Wasserdampf bestehenden Kerngase mit
Heftigkeit aus den Abzugscanälen aufsteigen, um der zu langsamen Abkühlung des groszen Gussstückes von Auszen zu Hülfe zu kommen. Aus diesem Grunde wendet man auch hohle Kerne an, durch welche , um das Abkühlen von Innen zu beschleunigen , kalte Luft, Wasser oder leichtflüssiges Metall geleitet wird .
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
232
Der Guss über hohle Kerne ist zuerst von Rodmann angewendet bei Herstellung gusseiserner Rohre.
Die Durchleitung von Wasser
ist meist sehr gefährlich , von Luft zu langsam wirkend ; am besten bewährte
sich die Abkühlung
durch leicht
Wenn übrigens irgendwo behauptet wird ,
schmelzbare Metalle.
dass das Gieszen über
vollen Kern weniger gut sei als der Vollguss überhaupt, so hat man in Spandau andere Erfahrungen gemacht. Natürlich muss dem vollen oder hohlen Kerne während des Gusses gestattet sein, der steigenden Temperatur wegen sich der Länge nach ausdehnen zu können. Der Geschützguss in kalte Eisenformen statt in Lehmformen ist wohl deshalb zu verwerfen, weil man im ersteren Falle aus gewissen Gründen unter höherer Temperatur gieszen muss . Zuletzt wäre noch die Methode des Russischen Artillerie-Obersten Lavroff zu erwähnen, welcher statt des sogenannten verlorenen Kopfes (vermittelst dessen ein Druck auf das noch flüssige Rohrmetall , um es möglichst zu verdichten, ausgeübt werden soll, und aus welchem das Metall zur Ausfüllung von Saugestellen hergegeben wird, welcher endlich dazu dient , die auf der Metall-Oberfläche schwimmenden Unreinigkeiten, Schlacken etc. zu entfernen) vermöge eines besonderen Druckwerkes dem noch flüssigen und erstarrenden Metalle eine gröszere Dichtig keit beibringen will. Ueber das Verhalten von zinnarmen Phosphorbronce - Rohren,
welche über einen ein wenig conischen Stahldorn von etwa zwei Drittel des Durchmessers, den die Seele später haben soll, kalt ge schmiedet, demnächst abgedreht und ausgebohrt worden sind, und zuletzt auszerhalb auf eine gewisse Temperatur erhitzt werden, doch so, dass die Temperatur in den Seelenwänden 210 ° C. nicht über steigt (so nach Dr. Künzel), kann bislang ein definitives Urtheil nicht abgegeben werden, da vergleichende Versuche unseres Wissens in dieser Richtung noch nicht zur Ausführung gekommen sind . Zur Darstellung beringter Geschützrohre wird die Phosphorbronce für das Kernrohr hart geschmiedet unverändert angewendet , dann werden ein oder zwei Reifen warm aufgezogen.
und
Bei einem
Reifen soll derselbe hart geschmiedet und dann bis 360 ° C. erhitzt werden.
Kommen zwei Ringe übereinander, so wird der innere auf
260 °, der äuszere auf 360 ° C. erwärmt und einer nach dem andern aufgelegt. Im Uebrigen hat die Phosphorbronce bei Versuchen mit dem 15 Centimeter langen Marine- Rohre und dem verstärkten 15 - Centi meter - Belagerungscanon, die von unserer Artillerie - Prüfungs - Com mission probirt worden sind, weniger Stauchungen und Erweiterungen
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle , etc.
233
im Ladungsraume gezeigt , dagegen erhebliche Ausbrennungen er litten. Bei Oesterreichischen Vergleichsversuchen bekam ein 8- Pfünder Feldproberohr aus Phosphorbronce im Jahre 1873 Risse und starke Ausbrennungen und war nach 770 Schuss unbrauchbar, doch war das Rohr wohl nicht durchgeschmiedet . Es darf hier gelegentlich wohl noch erwähnt werden, dass das vierte Capitel des rühmlichst genannten Werkes von Dr. Künzel sehr interessante Thatsachen bringt über die Verwendung der Phosphor bronce zu technischen Zwecken,
zunächst zu Handfeuerwaffen und
Patronenhülsen, dann auszer zu vielerlei Maschinentheilen, zu Werk zeugen für Pulverfabriken, Schiffsbeschlägen etc. , zu Grubenseilen, Telegraphendraht, zu Kunstguss , Glocken und Münzen. Endlich sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass auf der groszen Wiener Welt ausstellung unter den Waffen Remington-Gewehre ausgestellt waren, welche entweder ganz aus Phosphorbronce hergestellt waren, oder bei denen wenigstens die Verschlusstheile aus diesem Materiale ge arbeitet waren . Stahlbronce. Als man vor wenigen Jahren in der Oesterreichisch-Ungarischen Monarchie sich in Bezug auf die Feldgeschütz - Frage entscheiden wollte , hatte man zum Vergleiche mit Bronce - Geschützen bei Fr. Krupp in Essen gussstählerne Hinterlader bestellt , zu welchen man zum Theil die Constructions-Bedingungen angegeben hatte.
Letztere
Kanonen übertrafen die broncenen in jeder Beziehung und in so überraschender Art und Weise, dass man schon die Frage einer Bestellung in gröszerem Maasze ventilirte , als Oberst Ritter von Uchatius mit seiner Erfindung von Geschützen aus sogenannter Stahl bronce hervortrat.
Diese Geschütze vor endgültiger Entscheidung
zu prüfen, war man um so mehr geneigt,
als die Kosten zur Be
schaffung derselben etwa nur ein Drittel derer der gussstählernen betragen sollten. Oberst Uchatius gab an, in etwa zwei Jahren die benöthigten Feldgeschütze mit einem Kostenaufwande von nur circa 18 Millionen Gulden herstellen zu können ; dabei blieb das Geld im Inlande, ein Grund, der wohl mit der Billigkeit überhaupt zugleich entscheidend wurde, unter der selbstverständlichen Voraussetzung, dass die Stahl bronce den neuen Anforderungen gegenüber sich bewähre . Der jetzige General von Uchatius, Director der Kaiserl. Königl. Geschützgieszerei zu Wien, hatte etwa seit Anfang des Jahres 1873 Versuche gemacht , der Bronce stahlähnliche Eigenschaften zu ver
234
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
leihen, woher dann auch später der Name Stahlbronce entstanden sein mag. Dies suchte er auf folgendem Wege zu erreichen. Er goss circa 8 % Zinn haltende Bronce in kalte Eisenformen über einen Kern , der nach mehrfacher Ueberlegung am besten aus ge schmiedetem Kupfer hergestellt wurde , bohrt die Blöcke auf einen etwas geringeren Durchmesser aus, als die Seele später haben soll, und erweitert die Seele nach und nach, indem er Stahlkolben von conischer Form und zunehmender Stärke vermittelst groszem hydrau lischen Drucke durch dieselbe presst. Er will dadurch dasselbe er reichen, was man beim kalten Schmieden oder Walzen der Bronce erlangt, nämlich dieselbe härter machen, aber dieses Härten nur den Theilen des Rohres angedeihen lassen, für welche es vortheilhaft ist. Dies ist eben die Seele, welche dadurch an Zähigkeit allerdings ver liert, während zu gleicher Zeit die äuszeren Theile des Rohres die gewöhnliche so vortheilhafte Zähigkeit der Bronce behalten. Die Schieszresultate, welche mit den neuen Uchatius'schen Stahl bronce-Geschützen auf dem Steinfelde bei Wien erlangt sind (zu den Versuchen waren bekanntlich auch die Abgeordneten des Oester reichischen Reichstages eingeladen worden), scheinen im Allgemeinen auszerordentlich befriedigt zu haben, doch sind auch gleichzeitig und wohl nicht allein in der Presse mancherlei Bedenken gegen diese Kanonen laut geworden.
Wahrscheinlich werden diese Geschütze
nach früheren Erfahrungen mit harter Bronce bei den verlangten starken Ladungen wohl schnell erheblichen Ausbrennungen unter worfen sein, wenn auch vielleicht zugegeben werden muss, dass sie voraussichtlich Ausbauchungen und Stauchungen im Ladungsraume, im Uebergangsconus und im Anfange der Züge weniger ausgesetzt sein werden, als Rohre aus gewöhnlicher Geschützbronce. Es bleibt vorläufig zweifelhaft, ob man die Stahlbronce- Geschütze, die ja jedenfalls eine wesentliche Verbesserung genannt zu werden verdienen, nicht blos als einen billig herzustellenden Uebergang zu den Stahlgeschützen zu betrachten haben wird , nämlich bis es der einheimischen Industrie gelungen sein würde, guten Gussstahl in gröszeren Blöcken herzustellen.
Aber auch in Oesterreich-Ungarn,
Italien, wie in Frankreich wird man voraussichtlich sich bald zum Gussstahl bekehren müssen .
In letzterem Lande und sogar in der
industriereichen Schweiz hat man neuerdings für die Feld- Artillerie wieder zur billigen Bronce gegriffen, wahrscheinlich wohl nur aus dem Grunde, weil die Stahlfabrication dort, wie bereits erwähnt, nicht auf der Höhe der Zeit angelangt ist.
Auch in England ist es bis jetzt
nicht recht gelungen, homogenen Stahl in sehr groszen Stücken zu
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
235
erzeugen, wenigstens wendet man sich dort bei der Herstellung von Geschützen mehr anderen Metallen zu. Und vorläufig spielt in Oesterreich- Ungarn wohl der Geldpunkt eine Hauptrolle.
Bei uns
und auch bisher nirgends anderswo hat man sich für Stahlbronce erwärmen können, obgleich die groszen Vorräthe von Bronce dazu auffordern dürften. Dr. Künzel sagt , allerdings bevor die Ergebnisse der Schiesz versuche völlig bekannt waren, es dürfe die Meinung ausgesprochen werden, dass die Darstellungsmethode der Uchatius- Geschütze ein fach als ein Palliativ zu betrachten sei. Es wäre ohne Zweifel, dass die nach dieser Methode hergestellten Rohre in Folge der com primirenden Bearbeitung der Seele bessere Resultate geben müssten, als einfach gegossene Bronce-Geschütze von irgend welcher Com position oder irgend einer anderen Darstellungsweise ; nie aber wür den derartige Geschütze einen Vergleich mit wirklich geschmiedeten, in denen die ganze Metallmasse eine vortheilhafte Molecularver änderung erlitten habe, während dies bei den Uchatius-Geschützen nur bei den der Seelenwand zunächst liegenden Metallschichten der Fall sein könne, und noch viel weniger mit bereiften Geschützen, bei denen auszerdem der Druck der warm aufgezogenen Ringe die primitive Widerstandsfähigkeit der inneren Metallschichten erhöhe, aushalten.
Auch glaubt er, dass beim Durchpressen der Stahlkolben
leicht Schieferungen entstehen können ,
und überhaupt bald Aus
brennungen vorkommen werden, besonders wenn sie aus gewöhn licher, nicht phosphorhaltiger Bronce hergestellt werden u. s . w. In der Oesterreichischen Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen pro 1874 ist ein Vortrag abgedruckt , den der Kaiserliche Oberst Ritter von Uchatius am 10. April dieses Jahres gehalten hat , in welchem er, nachdem zuerst die Anforderungen , die man an Ge schützmetall zu stellen hat, dann die Apparate zur Bestimmung dieser Anforderungen erläutert sind , ferner die im flüssigen Zustande ge presste Bronce und der in dickwandigen eisernen Schalen erzeugte Bronceguss besprochen sind , die Darstellung seiner Stahlbronce beschreibt. Ein 300 Millimeter langes , 260 Millimeter starkes Rohr wurde an einer Seite auf 180 Millimeter, am anderen Ende conisch zulaufend abgedreht.
Dasselbe war auf 80 Millimeter ausgebohrt , und diese
Ausbohrung wurde Stahlkolben,
die
vermittelst Hindurchpressen von 6
nach und
conischen
nach an Stärke ein wenig zunahmen,
bis auf 87 Millimeter erweitert .
Die hydraulische Presse ,
mit der
die Operation vorgenommen worden, vermochte als gröszte Leistung
236
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
einen Druck von 30.000 Kilogramm auszuüben.
Der äuszere Durch
messer des Rohres hatte nach der Operation um 2 %, etwas über " 5 Millimeter zugenommen , die Bohrungsfläche zeigte bei Spiegel glätte die Härte des Stahles und hätte nur noch des Einschneidens der Züge bedurft. Ferner
wird hervorgehoben , dass auch an dem schwächeren
conischen Ende des Gussstückes, bei welchem also die Widerstands fähigkeit gegen den Druck von Innen viel geringer sein muszte, dasselbe Resultat in Bezug auf Härte erzielt wurde, woraus Uchatius den wohl kaum zu rechtfertigenden Schluss zieht , wie wenig die äuszeren Metallschichten eines Geschützrohres in Anspruch genommen würden.
Dieser Schluss scheint aus dem Grunde wohl verfehlt ,
da
kaum in Vergleich zu stellen ist die mehr stoszartige Wirkung des doch rasch zusammenbrennenden Pulvers mit dem langsam
fort
schreitenden Drucke seiner durchgetriebenen Presskolben . Ferner sagt Uchatius , dass , wenn die Bronce nicht qualitäts mäszig sei, Risse in der Bohrung erscheinen, welche schlechte Rohre von selbst ausscheiden machen.
Von gröszter Wichtigkeit sei aber,
dass , nach Durchführung der Kolben,
namentlich
des letzten,
der
Durchmesser der Bohrung sich allerdings um sehr wenig elastisch wieder verkleinert.
Es müszten also die die Bohrung umgebenden
Metallschichten in elastische Spannung gebracht sein , und nunmehr einen Druck von Auszen nach Innen ausüben, welcher dem durch das Pressen von Innen nach Auszen hervorgerufenen gleichkomme. Dieser, nach den Typentafeln berechnet, betrüge ca. 2400 (! ?) Atmo sphären. Stäche man einen schwachen Ring von Aussen ab, so spränge derselbe, noch ehe der Meiszel die letzte dünne Metallschicht durchschnitten, ab und nähme einen etwas geringeren Durchmesser, als er auf dem Blocke sitzend hatte, an . Uchatius hat Bronce mit Zinngehalt von 10 , 8 und 6 % zu diesen Versuchen verwendet und kommt zu folgendem Schlusse : 1) Die auf diese Art erzeugten Broncerohre sind bezüglich der Haltbarkeit nur mit den beringten Stahlrohren zu vergleichen,
da
sie im Inneren dieselbe Festigkeit, Homogenität und Härte besitzen, und in denselben ein der Sprengwirkung des Pulvers mit Ueber maasz entgegenwirkender elastischer Druck von Auszen nach Innen hergestellt ist. 2) Ist die Qualität des Metalles im Stahlbroncerohre in jeder Schicht von der Bohrung gegen
die Auszenfläche
zu eine andere
und zwar gerade so, wie es der Zweck erfordert, nächst der Bohrung am meisten fest, hart und elastisch, dann nehmen diese Eigenschaften
237
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc. ab und wächst die Zähigkeit.
Die Elasticität im Innern und die
Zähigkeit auszen sind gröszer als beim Stahl. ( ! ?)
3) Die elastische, der Sprengwirkung im Vorhinein entgegen wirkende Spannung von Auszen gegen Innen zu, ist an Stahlbronce rohren continuirlich durch alle Schichten hergestellt. Die
neutrale Schicht ,
wo
sich der Druck von Innen
nach
Auszen und von Auszen nach Innen das Gleichgewicht hält , liegt ganz nahe der Bohrung. - Soll ein Rohr aus Stahlbronce zer springen, so müsste die Elasticitätsgrenze der ganzen Wandstärke zugleich und endlich die ungeheuere Zähigkeit der äuszeren Schichten, welche 40 % Streckung ohne Riss ertragen, überwunden werden . Beim beringten Stahlgeschütz , wo die neutrale Schicht an der Berührungsstelle
des Kornes
und der Ringe liegt (?),
muss der
Stosz der Sprengwirkung beinahe ganz von den Ringen aufgefangen werden. (Als ob die Zähigkeit und die Elasticität des inneren Rohres nicht erst mit überwunden werden müsste ! ) etc. etc. Springt durch das Uebermaasz des Stoszes ein Ring ab, so werden die übrigen wahrscheinlich nachfolgen . 4) Was das Ausbrennen der Geschützrohre anbetrifft, so habe ich mir, seitdem ich das Sandgebläse auf der hiesigen Weltausstellung gesehen habe, folgende Ansicht hierüber gebildet :
99 Das Ausbrennen der Rohre ist eine ganz mechanische Arbeit, der Chemismus spielt dabei gar keine Rolle.
Die Erfahrung lehrt,
dass spröde Metalle oder harte Stellen in Broncerohren am leichtesten ausbrennen ; die Zündlochstellen müssen daher aus weichstem Kupfer erzeugt werden.
So wie das Sandgebläse die weichen Stoffe ver
schont und die harten angreift ,
so frisst auch das hoch gespannte,
mit unverbrannten Pulverresten gemischte Pulvergas , welches durch eine enge Oeffnung ausbläst, die härtesten Stellen , welche es trifft, zuerst aus , und deshalb sind die alten Broncerohre dem Ausbrennen so stark unterworfen . Die
neuen Broncerohre
werden
Metall ist auch nicht spröde,
sie
keine Zinnflecken haben,
werden
ihr
daher auch nicht mehr
ausbrennen, als Stahlrohre. (?) . 5) Ist die Bronce der Zerstörung durch atmosphärische Ein flüsse (bei langer Aufbewahrung) weniger unterworfen, als der Stahl . (Ist wohl richtig. ) 6) Die Kosten stellen sich etc. bei einem Tiegelstahlrohr auf 1145 Flor. , bei einem Stahlbroncerohr auf 350 Flor. nach Abrechnung des bleibenden Metallwerthes. Das Arsenal kann bei vierzehnstündiger
238
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
Arbeitszeit täglich im Jahre anfertigen 150 beringte Stahlrohre, wenn die Blöcke geliefert werden, Stahlbroncerohre dagegen 1200 Stück. Zum Schlusse sagt Uchatius : Sachen, ungeachtet
„ Ich weiss , dass man bei neuen
der gröszten Vorsicht, stets auf Täuschungen
gefasst sein muss , und bin daher weit entfernt, zu behaupten, neuen
Broncerohre müssen
reussiren,
obwohl
keinen Grund angeben kann, warum sie Schieszen allein kann entscheiden. "
es
man
die
im Vorhinein
nicht sollten .
Das
Nach Fertigung der Proberohre fanden bekanntlich die Schiesz versuche statt, die vorläufig die Annahme der Stahlbronce-Feldge schütze in Oesterreich- Ungarn herbeigeführt haben.
Die Resultate
scheinen auch ganz günstig ausgefallen zu sein, doch hat man nicht erfahren, dass
Dauer- oder Gewalt- Versuche zur Ausführung ge
kommen sind * ). Auch hat man sich bis jetzt noch nirgend anderswo *) Soeben (Frühjahr 1876) wird uns über Dauerversuche mit Stahlbronce Geschützen Folgendes bekannt : Nach den Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie Wesens, Wien, Jahrgang 1875, Heft 9, sind mit einer Reihe von 10- bis 8,7 Centimeter-Hinterlad-Feldkanonen-Rohren aus Stahlbronce, die nach einem ver besserten Gussverfahren ohne Zinnflecke hergestellt waren, Dauerversuche vor genommen worden, welche in verschiedenen Richtungen von groszem Interesse waren, und im groszen Ganzen die völlige Brauchbarkeit der Stahlbronce für diese Feldgeschütze dargethan haben sollen. Von diesen Rohren waren fünf mit senkrechtem Zündloch durch das Rohrmetall und Kupferfutter, fünf mit schräger Zündlochstellung durch das hintere Rohrmetall und den Keil versehen. Die Geschosse wogen 6,355 Kilogramm, die Ladung betrug 1,5 Kilogramm von 1,61 bis 1,642 Korndichte. Die Rohre hatten mit Verschluss ein Gewicht von durchschnittlich 486,5 Kilogramm und ein Hintergewicht von 47 Kilogramm. Die Keile sind mit einer kupfernen Stoszplatte versehen, während die Abdichtung durch einen kupfernen Broadwell-Abschluss-Ring hergestellt wird . Ein Rohr wurde nach 45 Schuss wegen Ausbrennung im Ringlager zurüek gestellt, aus den übrigen neun wurden nach einem Vorversuche zwei, je eins mit senkrechtem und eins mit schiefem Zündloch, ausgewählt, um einem be sonderen Ausdauer-Versuche unterworfen zu werden. Im Ganzen wurden aus den beiden Rohren zu diesem Zwecke je 1820 Schuss und 78 Wurf abgegeben, in Folge deren durch Rohrabnutzung nur ein durchschnittlicher Geschwindig keitsverlust von zwei Meter sich äuszerte, was wohl mit Recht als für die Praxis ohne Belang bezeichnet wird. Die Geschwindigkeit der Geschosse 50 Meter vor der Mündung gemessen betrug circa 440 Meter. Die Schussweiten und Längenstreuungen beider Rohre waren ziemlich gleich. Die Bohrung der Rohre zeigte nur unerhebliche Rauhheiten, die Kanten der Felder sind theilweise ge quetscht und ausgezackt , wodurch aber die Präcision der Schüsse nicht ge litten hat. Das Endurtheil lautet, dass die Stahlbronce als für gezogene Bronce- Hinter lader völlig geeignet erscheinen muss. Leider ist aus den angegebenen Daten
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
239
↑
zu Versuchen mit Stahlbronce in der
:
nicht mit Unrecht , in den neuesten Feldgeschützen aus beringtem
angedeuteten Richtung ent
schlieszen können *). In Preuszen glaubt man jedenfalls und wohl
I
Gussstahle von keiner anderen Macht übertroffen zu sein, besonders da auch
die Verschluss-,
die Geschoss-
sowie
die Zünder-Frage
vorzüglich erledigt sind. Es verdient zum Schlusze übrigens wohl
noch hervorgehoben
zu werden, dass Dr. Künzel schon im März 1873 Stücke von ge walzter Phosphorbronce im natürlichen und wieder ausgeglühten Zustande an den Obersten Uchatius zur Probe eingeschickt hatte, und dass er auf Anfrage aus Wien die Darstellungsweise der zur hat. geeigneten Phosphorbronce mitgetheilt Geschützfabrication Weshalb man in Wien dieser Bronce zur Stahlbronce nicht den Vorzug gegeben hat, ist uns nicht bekannt geworden. Nach einer Mittheilung im 2. Heft der Darmstädter Allgemeinen Militair-Zeitung von 1875 sollte General von Uchatius übrigens selbst die Einführung der Stahlbronce nur als ein Uebergangsstadium be zeichnet haben, aus welchem seiner Zeit zum Gussstahle übergegangen werden solle . Noch auf eine Notiz
aus dem Militair - Wochenblatte Nr. 85
Jahrgang 1875 möge hier aufmerksam gemacht werden, nach welcher in einer Zuschrift eines Artillerie -Offiziers von Nord-Amerika an das Neu-Yorker Army- and Navy-Journal die Priorität der Erfindung der Stahlbronce in
für
einen Amerikaner ,
Anspruch genommen und
mitgetheilt
S. B. Dean aus Boston wird ,
dass
demselben
nicht zu erkennen, ob die Ladungsräume überhaupt und um wie viel sich aus gebaucht oder verlängert haben, und wie sich der Uebergangsconus, sowie der hintere Theil der Züge bewährt haben. Aus dem Resumé lässt sich übrigens noch kein Schluss ziehen, ob das beregte Metall sich auch zu Rohren gröszeren Calibers mit erheblich vermehrter Ladung als gegen viel höheren Gasdruck bewähren würde. Wir bleiben voll ständig bei unserer Ansicht, dass Gussstahlrohre vorläufig nicht durch solche aus Stahlbronce ersetzt werden können. *) Wir erfahren nachträglich, dass auch in Russland Versuche mit 4-Pfünder (8,69-Centimeter-) Rohren aus Stahlbronce angestellt wurden, die, wie es scheint, ganz nach dem Verfahren von Uchatius hergestellt sind, nur dass sie auch noch während des Erkaltens einem hohen Drucke ausgesetzt waren . Einige dieser Rohre besaszen einen constanten Drall von 51 bis 60 Calibern, andere Pro gressiv-Drall. Für erstere Rohre waren Granaten von 5,93 Kilogramm Gewicht mit Kupferringen oder Hartbleimänteln bestimmt, während für letztere nur Ge schosse mit zwei Kupferringen angeordnet waren. Man probirte ein- und doppel wandige Granaten, von denen die letzteren eine erheblich gröszere Zahl von Sprengstücken lieferten .
240
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
schon im Mai 1869 ein
Patent
auf Fabrication
von
Geschützen
aus ganz nach Uchatius Methode verbesserter Bronce in Wien , London und Washington ertheilt worden sei.
Schon im Jahre 1870
sollten nach diesem Verfahren für Nordamerika Geschütze herge stellt werden, dies sei aber wegen Mangel an Mitteln nicht zur Aus führung gekommen. Schluss . Zum Schlusse mögen nur noch einige ganz kurze Andeutungen über künstliche Constructionen folgen.
Es kommt nämlich heut zu
Tage nicht so entscheidend auf das Metall selbst an, welches man zur Geschützfabrication verwendet, besonders aus dem Grunde , weil es bei den so wesentlich gesteigerten Anstrengungen, denen die Rohre gegenwärtig unterworfen werden ,
absolut unmöglich ist , ohne Zu
hülfenahme künstlicher Constructionen genügend widerstandsfähige Kanonen herzustellen , als vielmehr auf die Erzeugungsart der Ge schütze . Die Erfahrung lehrt nämlich, der Rohrwände nur bis
zu
der Widerstandsfähigkeit ladung zur Folge hat.
dass
eine
einfache Verdickung
einer gewissen Grenze eine Erhöhung
derselben gegen den Stosz der
Pulver
Deshalb versuchte man die Haltbarkeit der
Rohre dadurch zu erhöhen,
dass
man um ein (möglichst hartes)
Kernrohr Ringe oder Mäntel derart legte , dass sie zugleich auf das innere Kernrohr einen hohen Druck ausübten. Letzteres war in doppelter Weise
zu
erreichen.
Einmal wurden die Ringe mit
innerem kleineren Durchmesser, als das Kernrohr stark ist,
durch
Hitze so ausgedehnt , dass sie sich willig aufschieben liessen
und
beim Erkalten sich fest zusammenzogen. Ein anderes Mal trieb man die
engen Ringe mit Gewalt vorzugsweise
mittelst
hydraulischer
Pressen auf. Die Kraft der Pulverladung hat dann beim Zusammen brennen also erst diese hohe Spannung zu überwinden , ehe sie auf das eigentliche Geschützrohr einwirkt. Es würde zu weit führen und gehört kaum noch in das eigentlich dieser Abhandlung
zu Grunde gelegte Thema,
alle die vielen in
neuester Zeit versuchten und bekannt gewordenen künstlichen Con structionen näher zu erläutern, es seien nur die hauptsächlichsten Systeme der Hauptmächte kurz aufgezählt. In England fertigt man schon seit längerer Zeit alle Rohre, die eine starke Ladung auszuhalten haben, nach Armstrong- oder Frazer-System an. Im Allgemeinen umringt man eine Stahlkern röhre mit Schmiedeeisen . Man scheint es dort noch nicht erreicht zu haben, Gussstahlblöcke von gröszerem Gewichte homogen herzu
Einige Mittheilungen über die verschiedenen Metalle, etc.
241
Die Umringung mit Schmiedeeisen ist zu verwerfen, weil
stellen.
dieses Metall zu wenig elastisch ist und die Eigenschaft besitzt, über eine gewisse Grenze ausgedehnt wieder anzunehmen.
nicht genau die frühere Gestalt
(Mehr über Englische Rohre siehe Deutsche
Heereszeitung, Seite 157 u. f.) In Frankreich umringt man gusseiserne Kernrohre mit Stahl ringen, bei denen übrigens meist in dem hinteren Seelentheile noch eine kurze Stahlröhre eingesetzt ist. In Russland hat man vorzugsweise eilf- und zwölfzöllige Stahl rohre, die mit Stahl umringt sind, eingeführt.
Dieselben werden in
den Obuchower Stahlwerken hergestellt. Neuerdings gieszt man dort übrigens vierzehnzöllige Kanonen mit Gusseisen, die man dann mit Stahlringen, ähnlich wie in Frankreich, verstärkt. Oesterreich hat in seinen Belagerungsparks noch viele nicht umringte Eisenkanonen aus dem vorzüglichen Steyermärkischen Eisen, doch auch schon stahlumringte 15 - Centimeter nach Preuszischem Hinterladesystem. Für schwere Marinekanonen bis zu 24 Centimeter hat man sowohl das Preuszische, als auch das Armstrong - System adoptirt. In Italien wendet man sich mehr und mehr dem Krupp'schen Systeme zu . Was die Deutschen Geschütze anbelangt, so erscheint es über flüssig, darauf näher einzugehen.
Es braucht nur daran erinnert zu
werden, dass unser berühmter Landsmann, der Geheime Commerzien rath Fr. Krupp in Essen, es bisher allein verstanden hat, grosze, sehr schwere Gussstahlblöcke völlig homogen herzustellen, dass er aber auch, um die Rohre nicht zu schwer ausfallen zu lassen, ver hältnissmäszig leichte Kernrohre mit Stahlmänteln oder Ringen um giebt.
So stellt er mächtige Geschütze her, die etwa zwei Drittel
so schwer, wie gleichcaliberige Englische, letztere jedoch erheblich an Wirkung übertreffen .
Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
16
242
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
XIV . Ueber
den
Einfluss
der
Gestalt
und
Boden
beschaffenheit Italiens auf die Feld-Artillerie des Italienischen Heeres . (Eine Uebersetzung des 7. Capitels aus dem Werke des Hauptmanns Barabino : „L'artiglieria da campo in Italia “ )
von H. Schmidt , Premier-Lieutenant im Pommerschen Fusz - Artillerie - Regiment Nr. 2. Die Anhänger einer groszen Anzahl schwerer Feld- Batterien stellen, um den Vorzug derselben vor dem leichten Caliber zu beweisen, als Grundlage ihrer Behauptung eine Reihe von Ansichten auf , deren Richtigkeit sie aber nicht weiter zu beweisen suchen.
Da mir die
selben nicht in allen Punkten zutreffend erscheinen , will ich ver suchen , sie zu widerlegen.
Mit groszer Besorgniss trete ich zwar an diese Arbeit heran; und obgleich ich mich der Aufgabe nicht vollständig gewachsen fühle, wage ich es doch sie meinen Gegnern gegenüber durchzuführen. Da ich mich selber durchaus für keine Autorität halte, so werde ich die Schwierigkeit meines Unternehmens dadurch zu überwinden suchen, dass ich mich auf die Aussprüche berühmter Militairschriftsteller berufe ; wo ich aber gezwungen bin, ein eigenes Urtheil abzugeben, werde ich mich immer an Thatsachen oder an allgemeine, für richtig anerkannte Principien halten, so dass ich hoffen darf, keine Gegner zu finden. Durch dieses von mir adoptirte Princip wird die Beweisführung zwar weitläuftiger, aber ich hoffe, dass ihr dann wenigstens nicht der Vorwurf der Partheilichkeit zu machen sein wird. Die Behauptungen der Gegner der leichten Feldartillerie sind im Wesentlichen die nachfolgenden : 1 ) Die Beschaffenheit unserer Halbinsel ist nicht der Art , um von der Maaszregel, die Zahl schwerer Feldbatterien zu vermehren, abzurathen. 2) Das Operationstheater, auf welchem sich zweifelsohne
das
Kriegsgeschick Italiens entscheiden wird, ist Oberitalien, oder, besser gesagt , das Thal von Padana .
Ist dieses verloren , so hat
eine
Fortsetzung des Kampfes keinen Zweck mehr, und würde nur noch mehr Opfer fordern .
auf die Feld- Artillerie des Italienischen Heeres.
243
3) Oberitalien ist nicht bergiger und stellt der Thätigkeit einer solchen Artillerie keine gröszeren Schwierigkeiten entgegen, als die ersten Operationstheater in einem Kriege Oesterreichs gegen Deutsch land und Deutschlands gegen Frankreich. 4) Die Schlachten, welche die Italienische Armee im Falle eines Defensivkrieges schlachten sein.
wird
schlagen müssen ,
werden
meist
Positions
5) Die gröszten Terrainschwierigkeiten Oberitaliens liegen in dem Reichthume eines sehr cultivirten und bebauten Bodens . Ich werde nun diese einzelnen Punkte in derselben Reihenfolge besprechen, wie ich sie hier aufgestellt habe ,
indem ich nur den
zuerst genannten übergehe, da er in den vier nachfolgenden gleich zeitig mit erledigt wird.
Ist es denn wirklich eine so unwiderlegbare Thatsache, dass unser Kriegsgeschick nur in Oberitalien oder, besser gesagt, nur in der Ebene von Padana entschieden werden kann ? Die Generale Carl und Ludwig Mezzacapo lassen ihren topo graphischen und strategischen Studien über Italien in der Einleitung die nachfolgende Stelle vorausgehen : „Italien, obwohl der Schauplatz der blutigsten Europäischen Kämpfe , focht nach der Epoche der Römer niemals für einheitliche Interessen seiner Provinzen. Dieser Umstand war die Ursache , dass die strategischen Verhältnisse des Landes von Fremden recognoscirt wurden, während unsere Militairs sie in der Zeit der inneren Kämpfe nicht mehr von einem einheit lichen und allgemeinen Gesichtspunkte studirten , und dadurch falsche Anschauungen entstanden, wie z. B. jene, dass , wenn das Po-Thal verloren, Italien gänzlich besiegt sei . Als ob dieser Theil Italiens der einzige sei, wo das Kriegsglück durch die Waffen wieder hergestellt werden könnte. " „Die Franzosen , die Deutschen , die Spanier und Oesterreicher, welche sich oft um die Herrschaft der schönen Halbinsel stritten, hatten ihre resp . Operationsbasen auf den Ost-, Central-, oder West alpen, oder auf dem Meere, niemals in Italien selbst, und daher hatten auch die Linien und strategischen Punkte eine verschiedene Bedeutung, abweichend von der, welche sie in einem ausschlieszlich italienischen Kriege haben würden . " Es wird dann in dem zweiten Abschnitte des Werkes der Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptungen ausführlich beigebracht. Auf welches Princip, wenn nicht auf das vom Generale Mezza capo aufgestellte, bezieht sich jener Bericht des Generals Cialdini, der im Senate in der Discussion über die Translocirung der Haupt 16 *
244
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
stadt von Turin nach Florenz auf die bessere militairische Lage der letzteren hinwies, welche durch drei aufeinander folgende Barrièren, der Alpen, des Po und der Appenninen, gedeckt ist ? Basirt sich nicht auf diese strategischen Betrachtungen allein der Vorschlag des Generals Brignone, der das Arno-Thal als Central sammelort der Landesvertheidigung einzurichten wünscht ? Man lese nur die Studien, betitelt : „ Ueber die Vertheidigung der Staaten im Allgemeinen, und die Italiens im Speciellen". Und lehren nicht in diesem Sinne die zahlreichen neueren Militairschriftsteller dasselbe, indem sie die Uebergänge der Liguri schen und Toscanischen Appenninen durch permanente Forts zu sperren beabsichtigen ?
Welchen Vortheil würden diese Anlagen gewähren,
wäre mit dem Po-Thal Italien überhaupt verloren ? Napoleon I., welcher in seinen auf St. Helena verfassten Me
moiren, die selbst seine Gegner für richtig anerkennen, der Er zählung seiner Feldzüge von 1796-97 in Italien eine synthetische Beschreibung unseres Landes vorausschickt , weissagt hier, dass, wenn sich Italien zum Trotze aller Nationen zu einem Reiche ver einigt haben wird : „ Rome est , sans contredit , la capitale que les italiens choisiront un jour, " und Rom deshalb , „ parcequ'il est dans un juste éloignement de tous les points de la frontière attaquable, “ und weil „ la frontière des Alpes forcée, elle est garantie par la fron · que Rome, tière du Po et enfin par la frontière des Appenins près des côtes de la Méditerranée et de l'Adriatique est à même à l'appro de pouvoir rapidement avec économie ... visionement et à la défense de la frontière de l'Isonzo et de l'Adige ·
et peut pourvoir aux besoins de la frontière du Var
et des Alpes cottiennes ; qu'elle est heureusement située pour in quieter par l'Adriatique et la Méditerranée les flancs d'une armée, qui passerait le Pô et s'engagerait dans l'Appenin sans être maitresse de la mer ; que de Rome les depôts que contient une grande capitale pouvraient être transportés sur Naples et Tarente pour les soustraire à un ennemi vainqueur". Kann man aus diesem Satze, den ich soeben citirt habe, etwas Anderes herleiten , als dass der grosze Feldherr die Vertheidigung Italiens als eine Aufgabe Italiens selbst betrachtet , dass man sich aber mit dieser Anschauung nicht begnügen dürfe, vielmehr hinzufügt, wie man gerade durch eine erneut in dieser Gegend zu liefernden Schlacht die Wiedereroberung versuchen müsse? Man bedenke ferner, dass eine grosze Seemacht, mit zahlreichen Transportschiffen, im Nothfalle von Handelsschiffen unterstüzt , einen
auf die Feld-Artillerie des Italienischen Heeres.
245
unvermutheten Angriff durch Landung groszer Truppenmengen an einem mehr oder weniger wichtigen Punkte unserer langen und wenig befestigten Küste versuchen würde, und dass man nicht hoffen darf, diese letztere an allen Punkten durch Batterien, Torpedo's etc. ver theidigen zu können.
Der ehemalige Fregatten-, jetzt Schiffscapitain Lovera di Maria rechnete im Jahre 1868 heraus, dass Frankreich
damals 80 Transportfahrzeuge mit ungefähr 160,000 Tonnen Inhalt besasz, welche für mehr als 40,000 Mann , 700 Wagen und 2800 Pferde Raum hatten, und dass dann noch ein Raum von 22,000 Tonnen übrig blieb, grosz genug, um 24 Escadrons ohne Hülfe der Handels marine zu transportiren. Der Major im Generalstabe Gandolfi führt den Beweis , dass die Möglichkeit einer gewaltsamen Landung wohl zu fürchten ist, denn auf Seite 36 seines Werkes, betitelt : ,, Bologna und die Appenninen bei der Vertheidigung Italiens", heiszt es : „ Im Herbste 1867 , als die unglückliche Politik des Cabinets Ratazzi uns nach Mentana führte, bereitete man in den Tuilerien einen Invasionsplan für Italien vor, für den Fall , dass eine neue Besetzung Roms durch die Franzosen zum Kriege geführt hätte.
Dieser Plan ging dahin , sich in den
Besitz von Spezzia zu setzen , sich auf dieses zu basiren, um dann auf Bologna zu operiren."
In diesem Falle würden die Uebergänge
des Cisa , des Correto oder Sassalbo , die Thäler der Magra, des Rosaro, der Aulella , über welche die fahrbaren Straszen hinweg führen, die des Taro, der Secchia und des Arno gerade die ersten und wichtigsten Punkte der Operationen
bilden.
Jetzt
sind die
genannten Thäler sehr geräumig , die Hindernisse beseitigt, das des Arno sogar unbedingt das am leichtesten zu überschreitende , wenn es auch in seinem unteren Theile unweit des Meeres durch die Berge von Pisa und Lucca, die sich vom Engpasse von Ripafratta bis Ponte dera ausdehnen ,
gesperrt wird ;
ein wenig weiter bergauf ist es
von Neuem von den Albanischen Bergen , welche es quer durch schneiden , speciell durch den Sattel von Serravalle am Hohlwege von Montelupo durchbrochen, und das zwischen diesen beiden Barriéren liegende Terrain durchzogen von ausgetrockneten Canälen des Bien tina- Sees, den Sümpfen von Fucechio und des anliegenden Geländes. In Folge dessen, scheint es mir, kann man behaupten, dass unser Heer nicht nur in continentalen Italien, sondern auch in diesem Theile unserer Halbinsel Gelegenheit
finden kann,
entscheidende
Schlachten zu schlagen ; dass es also durchaus nicht im Bereiche der Unmöglichkeit liegt, nach diesem soeben besprochenen Theile Italiens das erste Operationstheater eines Feldzuges verlegt zu sehen,
246
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
den die Anhänger einer möglichst zahlreichen schweren Feldartillerie Unter Berücksichtigung dieser an nur in Oberitalien suchen. geführten Terrainverhältnisse, erscheint mir der Besitz eines möglichst leichten Feldmateriales von grossem Nutzen. Aber angenommen , und doch nicht zugegeben, dass sich allein in Oberitalien die Geschicke des Reiches zu entscheiden haben, so liegt die Frage nahe, ob denn dieses Oberitalien nur ausschlieszlich aus der Padanischen Ebene besteht ? Und ob demnächst diese Ebene jene Gleichmäszigkeit des Bodens besitzt, wie die nördliche Germa nische Tiefebene , welche den verschiedenen Waffen, besonders der Cavallerie und speciell der Artillerie, in jeder Weise auch auszerhalb der Straszen eine freie Bewegung gestattet , ohne auf bedeutende Schwierigkeiten zu stoszen. Das geräumige Po-Thal, auch im engeren Sinne betrachtet, wenn man dazu die Thäler der Adda, Brenta, Piave und Tagliamento auf der einen Seite, des Lamone, Montone und Ronco auf der anderen rechnet, die alle direct dem Adriatischen Meere zuflieszen, bildet nicht allein dieses continentale Italien, welches sich durch drei Breitengrade in das Europäische Festland hineinerstreckt , und von Frankreich, Oesterreich und der Schweiz durch die gigantische Kette der Alpen getrennt wird ; hier stoszen auszerdem die Abhänge der Seealpen und Ligurischen Appenninen , welche dem Mittelmeere angehören, ebenso wie die Toscanischen Appenninen von der Quelle der Magra bis Rimini aneinander. Auszerhalb der groszen Padanischen Ebene findet man jetzt in Oberitalien eine im Vergleiche zur Länge nur sehr schmale Zone , welche sich von Roja bis zur Magra ausdehnt, militairisch aber von groszer Bedeutung ist. aus steilen Abhängen ,
Zahlreiche Hindernisse, bestehend
durch sehr tiefe Abgründe von einander
getrennt , mit nur einer Strasze, der von Cornice, seitlich von einer Bahn , mit dem Gebirge parallel gehend, begleitet, der Kamm des Gebirges nur auf einigen fahrbaren Straszen wie die des Tenda, Nava, St. Bernhard , Melogno etc. überschreitbar, das ist ungefähr der Charakter dieser Zone, deren militairische Wichtigkeit weitläuftig aus einandergesetzt wurde durch die speciellen Instructionen Napoleon's I. für die Italienische Armee im Jahre 1795 , und in seinen späteren Memoiren, welche er in St. Helena den Generälen Gourgaud und Montholon selbst dictirt hat, endlich aber durch die Feldzüge, welche dort in den Jahren 1792-96 und 1800 stattfanden. Die Stellungen von Anthion, und von Milleforche, die Hügel von Braus und Brouis über die steilsten und beschwerlichsten Abhänge des Monte Clapier, die Stellungen von Briga, Saorgio, der Abtei von Dalmazzo in dem
auf die Feld-Artillerie des Italienischen Heeres.
247
engen Thale von Roja, die Redoute von Marta unter dem Abhange des Monte Saccarello, die Redoute des Monte Legino, die Höhen von Loano, Montenotte, Montegrande etc. erlangten eine historische Be deutung durch die militairischen Operationen, welche sich in ihrer nächsten Nähe vollzogen.
Man vergesse nicht, dass gerade in dieser
Epoche das Uebergewicht zur See auf Seiten Englands war, dessen Flotte trotz der Alliance mit Oesterreich und Piemont dennoch defensiv verfuhr , während in
einem jetzt von uns gegen Frankreich zu
führenden Kriege das maritime Uebergewicht zweifelsohne dem An greifenden gehören würde, sich seine eigene Vertheidigung hingegen nicht leicht auf das Meer, d. h. Flotte basiren lässt. Ein Jeder weisz, dass auf diesem Wege der General Bonaparte
im Jahre 1796 in das Po-Thal eindrang, indem er die Bergkette von Cadibona innerhalb der Alpen umging , ebenso wie die Ebene des oberen Po ; vor ihm brach hier über den Monte Bocchetta schon der Marschall Maillebois ein, dem sich die Oesterreicher und Piemontesen entgegenstellten.
Er bedrohte die Ersteren unter Schulenburg in
der Flanke, zwang sie dadurch, sich auf Stradella zur Vertheidigung der Lombardei zurückzuziehen, und fiel nun mit allen seinen Kräften auf König Carl Emanuel,
welcher
nach dem Lager von Bassig
nano abgerückt war, um Piemont zu decken, bevor die Oesterreicher ihm noch helfen konnten. In Anbetracht der eigenthümlichen Configuration des groszen Thales von Padana sei mir erlaubt, an jene weite, bergige Strecke zu erinnern, die sich von dem Gipfel der Alpen bis zum linken Po Ufer und dessen ersten rechten Nebenflüssen ausbreitet, und zu dem Laufe der Alpen eine concentrische Lage hat, die aber in der Hori zontalprojection zwischen Borgo, St. Dalmazzo und dem Col di Tenda etwa 25 Kilometer und zwischen dem Stilfser Joch und den letzten Höhen von Brescia und Rezzato etwa um 130 Kilometer variirt. Zieht man aus diesen beiden Dimensionen das arithmetische Mittel , und rechnet noch die Ausdehnung der Kette der Alpen hinzu, so erhält man ungefähr die Oberfläche dieser Zone, welche unbedingt ein Theil des Po-Thales ist, und von nichts weniger als leicht zu ersteigenden Bergen eingeschlossen wird. Die hervorragende Bedeutung dieser Zone für die Vertheidigung des Reiches wurde schon im Verlaufe der letzten Jahre oft besprochen, so dass ich wohl nicht nöthig habe, nochmals darauf zurückzukommen. Da aber eine fernere Prüfung des Terrains, besonders vom Gesichts punkte der Beweglichkeit, die unsere Feldartillerie haben muss, sehr nützlich ist , so hoffe ich , dass man es mir verzeihen wird, wenn
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
248
ich hier noch einige Betrachtungen und Ermahnungen, kurz zusammen gefasst, wiederhole.
Napoleon I. sagt schon in seinen bekannten Memoiren über den Feldzug in Italien 1796 : „L'Italie n'a que cent- cinquante lieues de frontières avec le continent de l'Europe, et ces cent-cinquante lieues sont fortifiées par la plus forte barrière que l'on puisse opposer aux hommes , les plus hautes montagnes de l'Europe que defendent des neiges éternelles et des rochers escarpées." In der That besteht
das riesenförmige Alpengebiet von der
Quelle des Tanaro bis zu der des Isonzo aus den steilsten, wildesten und am wenigsten gangbaren Bergen von ganz Europa.
Auszerdem
ist dieser Gürtel im Inneren von den Quellen des Ticino bis zu den Thälern des Tagliamento und Isonzo durch eine zusammenhängende Widerlagerkette verstärkt , der, abgesehen davon, dass er jene Ge birgszone erweitert , die Schwierigkeiten in sofern erhöht, als hier eine ebenso wilde und zerklüftete Vorkette wie die Alpen selbst, vorhanden ist. Aus dieser Lage der Dinge folgt , dass die Quer verbindungen in diesem
Terrain keine andere Richtung nehmen
können, als die gröszeren Wasserläufe, also durch die langen, im allgemeinen aber wenig fruchtbaren Flussthäler, woraus für den An greifer die Nothwendigkeit entsteht , in getrennten Colonnen vorzu gehen ; allerdings mit der Gefahr für ihn, in jedem Momente vom Ver theidiger entdeckt und demnächst in seinem Vorgehen aufgehalten zu werden, oder aber den Vertheidiger in einer jener Positionen, welche die langen Alpenthäler mit ihren zahlreichen Engpässen darbieten, in fester Position zu finden. So hielt im Jahre 1708 eine Hand voll Landmilizen im Engpasze von Pierre Taillée im Aosta-Thale die 4-5000 Mann von De-Monroux auf, bis die Verstärkungen anlangten, welche ihn dann zurückwarfen ; ebenso erinnere ich an das berühmte Gefecht bei Assietta . In einer derartigen Situation ist aber der Weg , den der Vertheidiger ein schlagen muss, sehr deutlich vorgeschrieben. Zunächst muss man Alles daran setzen, um den Vormarsch der Invasionscolonnen in den Engpässen, auf welche man längs den Thälern stöszt, aufzuhalten, (starke Verbarrikadirungen, Alpencompagnien, Gebirgsartillerie), dem nächst Besetzung der wichtigsten Positionen am Debouchée selbst, Versuch die feindlichen Colonnen einzuschlieszen, falls sie sich nicht schon vorher aus Mangel an den nöthigen Lebensmitteln zum Rück veranlasst sehen würden (es erinnert sich wohl Jeder des
zuge
von nur 400 Mann besetzten Forts Bard, vor welchem Napoleon um ein Haar hätte zurückweichen müssen, als er damals vom St. Bern
auf die Feld-Artillerie des Italienischen Heeres.
249
hard nach Italien hinein marschirte), endlich mit allen disponibelen Kräften die Vereinigung der verschiedenen Colonnen, welche sich, um den Ausgang des Defilé's zu forciren, mit überlegener Truppen macht auf die eine oder andere der dort zur Vertheidigung
auf
gestellten Abtheilungen werfen wollen , zu verhindern suchen , um demnächst die benachbarte auf sich zu ziehen, und auf diese Weise der eigenen Nebencolonne das Debouchiren zu erleichtern. Die Oertlichkeiten , wo derartige Kämpfe stattfinden könnten, werden wahrscheinlich, wenn auch nicht bergig, so doch mit ziemlich steil abfallenden Rändern versehen sein , wie z. B. die Höhen von Ivrea an den Ausgängen des Thales der Dora Baltea, die von Rivoli und von Avigliano an der Dora Riparia ; die Hügelkette von St. Brigida und des Monte Oliveto durch den Chisone etc. Es ist dies so klar , dass der Nachweisz aus der Geschichte nicht nothwendig erscheint ; dennoch führe ich die Vertheidigung der Alpen durch die Piemontesen gegen die Franzosen aus den Jahren 1792 bis 1796 an (siehe Memoiren des Generals Revel), die Feld züge Suwarow's und Macdonald's in den Centralalpen , die beiden Schlachten von Rivoli , eine im Januar 1796 der Franzosen gegen die Oesterreicher, die andere 1848 der Piemontesen gegen die Oester reicher.
Jetzt nun, nachdem ich diese weite und bergige,
oder
wenigstens hügelige Zone , die sicher dereinst der Schauplatz der ersten Operationen unseres Heeres sein wird, besprochen habe, frage ich mich, ob die einzelnen Divisionen und Armeecorps nicht den Wunsch haben werden, möglichst viel leichte und wenig schwere Batterien mit sich zu führen, oder ob sie das Gegentheil verlangen. (Operationen, die uns in diesem soeben besprochenen Terrain , wenn sie gut eingeleitet sind, bis zum Beginne der Feindseligkeiten grosze moralische und materielle Vortheile gewähren). Hier, wo Hindernisse aller Art die Benutzung der Wege erschweren, den Marsch verlangsamen, hier, wo rechtzeitige Vereinigung der ein zelnen Colonnen, Schnelligkeit und möglichst unerwartete Ueber raschung des Feindes zu den ersten Bedingungen des Sieges gehören ; hier, wo Alles auf eine möglichst grosze Beweglichkeit ankommt ; hier, ich wiederhole es, scheint mir die Antwort darauf nicht zwei felhaft. -Auf den möglichen Einwand , dass die politischen Grenzen des Reiches nicht immer den von der Natur als solchen bezeichneten folgen, glaube ich antworten zu können : 1) Dass diese Grenzen nach der Französischen Seite hin in eine zusammenfallen.
250
Umschau in der Militair-Literatur.
2) Dass die Schweiz neutral bleibt, wie sie es im Jahre 1870/71 in der That gewesen ist. 3) Dass wenn auch Oesterreich-Ungarn, das Italienische Tirol, das Isonzo-Thal, das Thal der Adda , des Oglio, den gröszten Theil von dem der Chiese mit seinen Zuflüssen Caffaro, den Garda- See,
das
Etsch-Thal, das von Val- Saguna und der Piave und des Tagliamento besäsze , diese dennoch in der Gewalt Italiens sind und dass die Wasserscheide zwischen Isonzo und Torre zum gröszten Theile die Grenze gegen die Julischen Alpen hin bezeichnet. Nachdem ich nun eine kurze Andeutung über physische
Be
schaffenheit, militairische Bedeutung und Wichtigkeit dieser bergigen Zone Oberitaliens gegeben habe, erscheint es mir ebenso nothwendig, den ebenen Theil der groszen Po - Niederung zu betrachten. Von den zu beiden Seiten des Flusses liegenden Ebenen hat jene der linken Seite , die gerade die gröszte an Flächenraum ist, viel von ihrer militairischen Wichtigkeit verloren , welche sie für eine Armee hatte, deren Operationsbasis auszerhalb der Alpen lag. Im Gegensatze hierzu hat die rechte Seite, die in directer Verbindung mit dem übrigen Theile unserer Halbinsel steht, durch den Fluss selbst, wenn man ihn als Hinderniss betrachten will ,
eine erhöhte
Bedeutung erhalten ; sie allein ist unsere wahre Operationsbasis in einem Defensivkriege . ―― (Schluss folgt. )
XV.
Umschau in der Militair- Literatur. Die Schlacht von Königgrätz zum zehnjährigen Gedenktage des Sieges, auf Grund der gesammten einschläglichen Literatur dar gestellt von Max Jähns , Hauptmann vom Nebenetat des groszen Generalstabes etc. etc. Mit einem Plane. - Leipzig 1876. Fr. W. Grunow. ― Gr. 8º. 500 Seiten. Vergleichende Betrachtungen über die Schlachten von Belle Alliance und Königgrätz in strategischer und taktischer Be ziehung. Von Frhr. v. Schleinitz, Hauptmann und Compagnie Chef im Hannoverschen Jäger-Bataillon Nr. 10. ――― Berlin 1876. E. S. Mittler und Sohn. ―――― 8°. ――― 105 Seiten. -
Umschau in der Militair-Literatur.
251
Die Oesterreichische Nord-Armee im Feldzuge des Jahres 1866 vom Beginne der Feindseligkeiten bis zum Vorabende der Schlacht von Königgrätz .
Eine Reihe kriegsgeschichtlicher
Studien auf Grundlage des Oesterreichischen Generalstabs werkes. Erste Studie : Das Armee - Commando. ―――― Potsdam 1876. A. Stein. ― 8°. - 101 Seiten. „ Im rollenden Triumphe "
zog vor einem Jahrzehnt Preuszens
Kriegsheer durch die Gefilde Böhmens und Mährens der Hauptstadt des Gegners zu !
Blut und Eisen beseitigten einen guten Theil des
Unkrautes , welches ein
halbes Jahrhundert lang in Deutschland
üppig gewuchert und die nationalen Ideen des Jahres 1813 fast voll ständig erstickt hatte.
Neukräftig wuchs nun schnell das verjüngte
Deutschland auf, und erkämpfte vier Jahre später, geeint und stark wie nie zuvor, bereits Erfolge, welche Europa in Staunen setzten ! Unter dem Glanze der Letzteren mussten die Thaten des Jahres 1866 schnell erblassen.
Gleich einer halb verklungenen
jetzt nur noch aus jener Zeit an unser Ohr.
Sage tönt es
Wie Fehrbellin, Ross
bach und Leipzig, so ist auch Königgrätz einer jener Ruhmestage, welche der Welt dargelegt , dass die mit der groszen geistigen Re volution ausgesäete Idee eines neuen Deutschlands bei den Hohen zollern-Fürsten, bei Preuszens Volk nicht nur aufgekeimt war und sich immer weiter entwickelt hatte, dem Erndtetage zureifte.
sondern auch bereits mächtig
Aber bei alledem sind Angesichts der voll
zogenen Thatsache des Hohenzollern-Kaiserthumes diese Tage jetzt nur noch Pfeiler der Erinnerung ! Wie der Enkel unter dem Schutze und Schatten des mächtigen Eichbaumes in behaglicher Ruhe gerne der Zeiten gedenkt , da vorsorgliche Voreltern den Baum gepflanzt und gepflegt , so wendet des mächtigen Deutschlands Sohn seinen Blick auf die Zeit zurück , welche vor dem letzten groszen Kriege liegt ! Nicht nur politisch sind wir durch die ganz veränderte Welt lage den Tagen von 1866 schon vollständig entrückt , auch in rein militairischer Beziehung können wir den damaligen Krieg gegen Oesterreich nur als ein überwundenes Uebergangsstadium zu den jetzt obwaltenden, wesentlich anderen Verhältnissen ansehen.
Dieser
Krieg hat überdies auch die eingehendsten Darstellungen verschie denster Art gefunden, so dass das Thatsächliche desselben als all gemein bekannt vorausgesetzt werden darf; es werden daher im Allgemeinen jetzt nur noch die Schriften über den Krieg von 1866 ein gröszeres Interesse erwecken , welche sich wissenschaftlichen Betrachtungen über denselben zuwenden. Gleichzeitig mit der zehnjährigen Gedenkfeier des Krieges gegen
Umschau in der Militair-Literatur.
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Oesterreich sind jene obengenannten drei Werke erschienen resp . in unsere Hand gekommen. Das erste derselben bildet eine umfangreiche, sehr gründliche Darstellung der Schlacht bei Königgrätz, zusammengestellt nach den besten über diesen Gegenstand veröffentlichten Quellen.
Ein Blick
in das Buch beweist , dass der durch mehrere Werke bekannte Ver fasser mit groszem Geschicke das vorhandene Material zusammen gestellt hat .
Seine schwungvolle, in Anbetracht des Gegenstandes
mir allerdings manchmal zu weich scheinende Ausdrucksweise, giebt der Darstellung des Bekannten nicht selten neuen Reiz, doch ent schlüpfen dem Meister des Styls hin und wieder einzelne nicht ganz glücklich gewählte Bilder und sprachliche Wendungen.
So heiszt
es z. B. Seite 465 in Betreff der Oesterreichischen Gefangenen : „ Es war ein Jammer, diese stundenlangen Reihen anzusehen , wie sie ohne Gewehr und Tornister, aber mit Stabs- und Subaltern-Offizieren, gleich ganzen Regimentern unverwundet einherzogen."
Seite 478
erkundigt sich die Stimme des Monarchen nach dem Befinden des Generals v. Gablentz u. s. w.
Man darf nach der groszen Menge
von Werken, welche der Verfasser als Quellen benutzt hat, voraus setzen, dass in Betreff des Thatsächlichen das vorliegende Buch seinen Gegenstand genau und erschöpfend behandelt ; ein bestimmtes Urtheil in dieser Beziehung kann nur durch ein höchst sorgfältiges, vergleichendes , sehr lange Zeit in Anspruch nehmendes Studium ge wonnen werden.
Dies war mir bis jetzt nicht vergönnt, doch möge
nicht unerwähnt bleiben , dass auf dem Theile des Schlachtfeldes, auf welchem ich seiner Zeit selbst thätig war, Verfasser ein Bataillon kämpfen lässt, welches gar nicht an der Schlacht betheiligt war, auch einen genannten Offizier bei einem Truppentheile einreiht, dem er nicht zugehörte. — In einem kurzen Capitel „ Betrachtungen " sind die Stärke
und Verlust-Verhältnisse einer Menge von Schlachten ver Mir scheinen die angegebenen
gleichend nebeneinander gestellt. Zahlen nicht genau zu sein .
Bei Leuthen verloren die Preuszen
z. B. nicht 3000, sondern 6000 Mann, die Oesterreicher nicht 7000, sondern 9000 Mann an Todten und Verwundeten. Bei Leipzig hatte Napoleon nicht 60,000, sondern nur 45,000, bei Belle-Alliance nicht 35,000, sondern höchstens 25,000 Todte und Verwundete.
Der Ver
lust an Todten und Verwundeten auf Seite der Franzosen betrug bei Gravelotte 8000, nicht 12,000 Mann, bei Sedan 17,000, nicht 13,000 ; in letzterer Schlacht kämpften übrigens nicht 70,000 Fran zosen, sondern nach dem Generalstabswerke 124,000 . Dies die wesentlicheren der mir aufgefallenen Verschiedenheiten mit ander
Umschau in der Militair-Literatur. weitigen zuverlässigen Angaben .
253
Man wird annehmen dürfen, dass
bei solch anfechtbaren Grundlagen auch die daraus gezogenen Schluss folgerungen wankend werden ; auf Seite 486 lässt Verfasser übrigens Napoleon mit 65,000 Mann die Schlacht bei Austerlitz
schlagen ,
während er ihm zwei Seiten vorher 74,000 Mann angerechnet hat. Nicht glücklich scheint mir schlieszlich der auf S. 489 gemachte Versuch zu sein, den Sieg von Königgrätz ein Kunstwerk und vom kriegsästhetischen Standpunkte aus
schön “ zu nennen.
Krieg ein rauh, gewaltsam Handwerk !"
„Es ist der
Je mehr in der Schlacht
der Gegner zertrümmert und vernichtet wird, um so bedeutender ist der Sieg : das Maasz des Zertrümmerns und Vernichtens wäre hier also das Entscheidende für den Werth eines „Kunstwerkes " ? ! Eine sehr interessante kleine Schrift ist die zweite der obenge nannten.
In geistvoller Weise stellt der Verfasser vergleichende
Betrachtungen über die Schlachten von Belle-Alliance und Königgrätz in politischer, strategischer und taktischer Beziehung an.
Er sagt
sehr viel Treffendes und Vortreffliches, könnte sich jedoch nach meinem Dafürhalten manchmal ein wenig kürzer fassen.
Selbst
redend befinden sich unter diesen vergleichenden Betrachtungen auch solche, welche ein wenig hinken, oder Ansichten, welchen Jeder zustimmen wird.
nicht
Grundverschieden war die ganze Situation, mit welcher Napoleon 1815 in den Krieg trat, und diejenige, welche für Oesterreich 1866 obwaltete. Napoleon kämpfte um seine Existenz ; wenn er eine Schlacht verlor, entfiel ihm Krone und Macht.
Oesterreich durfte
seine politische Stellung in Deutschland , die schon längst unterminirt und nur noch künstlich zu halten war, nicht ohne Weiteres fallen lassen ; es nahm ein leichtes Rappier-Duell an, betrachtete sich nach den ersten erhaltenen Hieben für abgeführt und fügte sich in die Friedensbedingungen Preuszens , durch welche es übrigens nur das aufgab , was schon halb verloren war . Ich kann mich, von dieser Auffassung ausgehend , daher nicht dem auf S. 102 Gesagten an schlieszen, wo es heiszt : „ Auch Oesterreichs Krieg 1866 war im Grunde genommen doch nur ein erneuter Ausdruck jener traditionellen auf Länderzuwachs bedachten Politik etc." - Auf derselben Seite spricht Verfasser auch von einem „ Inhalte “ der siegreichen Kriege Preuszens. ―――― Was den strategischen, namentlich aber den taktischen Theil der Betrachtungen anbetrifft, so zeugen die Ansichten des Verfassers von einem sehr klaren Verständnisse der obwaltenden Verhältnisse und der Jetztzeit ; man vertieft sich gerne und gewiss nicht ohne Nutzen in die entwickelten Ideen . Neu war es mir, aus
Umschau in der Militair-Literatur.
254
dem vorliegenden Buche zu entnehmen, dass das bei Königgrätz auf dem linken Flügel kämpfende 8. Oesterreichische Corps einen ge ordneten Rückzug angetreten haben soll . Im Uebrigen scheinen für die thatsächlichen Verhältnisse , die selbstredend nur in groszen Zügen geschildert werden konnten ,
die besten Darstellungen der
beiden Schlachten als Grundlage gedient zu haben .
Mit Geschick
hat Verfasser das Wichtige von dem Unwesentlichen
zu trennen
gewusst und in die Betrachtungen mit groszer Gewandtheit Ansichten und Grundsätze strategischer
und taktischer Natur
eingeflochten.
Das Büchlein wird sich gewiss viele Freunde erwerben . — Mit derselben Befriedigung wie die 77 Vergleichenden Betrachtungen über die Schlachten von Belle-Alliance und Königgrätz “ haben wir das dritte der oben genannten Werke aus der Hand gelegt.
Wir finden
in diesen Studien auf Grundlage des Oesterreichischen Generalstabs werkes eingehende Betrachtungen über das Verhalten des Oester reichischen Armee- Commando's vom Beginn der Feindseligkeiten bis zur Schlacht bei Königgrätz angestellt. Klare, bestimmte Ausdrucks weise, die, entsprechend dem ernsten Gegenstand , sich aller über flüssigen Ausschmückungen und Redensarten enthält , zeichnen das kleine Buch ebenso aus, als jede Zeile desselben beweist , dass der Verfasser
nach jeder
handelten Stoffes.
Richtung hin vollständig
Meister des
be
In zwölf Capiteln ist die Zeit von Mitte Juni
1866 bis zum 2. Juli eingetheilt ; jedes Capitel enthält zuerst in wenigen Worten, was das Oesterreichische Ober-Commando während Dann wird in ausführlicher des betreffenden Abschnittes gethan. Weise wiederholt , wie das Betreffende beim Ober-Commando zur Entstehung und zum Ausdruck gelangte. In dem dritten Theile eines jeden Capitels sind dann wohlgegliederte , tiefdurchdachte Betrach tungen angestellt über die Auffassungen und Anordnungen Benedek's und wie sich letztere gegenüber der herrschenden Situation gestalteten. Es ist in spannender Weise in diesen Studien entwickelt, wie das Oesterreichische Ober- Commando zu dem Entschluss gelangt , sich bei Olmütz zu concentriren, wie es von dort nach der Linie Joseph stadt-Miletin vorzurücken befiehlt , wie alsdann zur Sicherung des Aufmarsches an der Elbe gegen die herannahende II. Armee ein zelne Corps entsendet werden , wie Benedek die Absicht , offensiv gegen
die Isarlinie vorzugehen,
allmälig
und
nur
nach langem
Sträuben fallen liesz , wie er zum Rückzug hinter die Elbe bestimmt wird und wie er sich schlieszlich doch zur Annahme der Schlacht diesseits des Flusses entscheidet.
Je näher die Armeespitzen dem
Bereich des Preuszischen Heeres kommen, je spannender die Ver
Umschau in der Militair-Literatur. hältnisse werden ,
255
je verwickelter die Situation erscheint , um
so
ausführlicher , gründlicher ist das kleine Werk in seinen Betrach tungen ; dramatisch entwickelt sich die Situation , dementsprechend steigert sich, wie es scheint, unwillkürlich die Darstellungsweise des Verfassers zu erhöhtem Effect. Das geistige Leben des Oesterreichischen Hauptquartiers wird lebendig an unserem geistigen Auge vorübergeführt, bis in den schweren Tagen schwankender Entscheidungen Benedek in
seiner ganzen Eigenthümlichkeit , mit all' seinen menschlichen
Empfindungen die volle Theilnahme des Lesers in Anspruch nimmt. Trotz der vielen Wiederholungen, welche die hier gewählte Methode mit sich bringt, weisz Verfasser doch immer in Spannung zu halten, zum Weiterstudiren zu reizen ;
sein Buch
drängt uns den Zirkel
und den Stift in die Hand ,
um nach den Angaben des Verfassers die fraglche Situation auf der Karte zu verfolgen und zu be trachten. Aus dem Studium eines solchen Büchleins muss Nutzen erwachsen, und glauben wir dem Verfasser versichern zu dürfen, dass eine Fortsetzung
seiner Studien gewiss überall höchst
will
kommen geheiszen wird. Zum Schlusse
dieser Besprechung
möchte ich
jedoch
noch
mit wenigen Worten auf das kurze Capitel zurückkommen , welches der Verfasser seinen Studien vorangesetzt hat.
Er spricht sich in
diesem einleitenden Abschnitt über das Studium der Kriegsgeschichte aus und theilt hierbei die Kriegskunst in die beiden Theile : das Handwerk und die eigentliche Kunst !
Er setzt alsdann auseinander,
wie das Handwerk generell, die Kunst individuell sei und hiernach auch das Studium der Kriegskunst in zweierlei Art betrieben werden müsse. Das Körnlein Wahrheit fehlt diesen Ansichten und Betrach tungen wohl nicht, doch halten wir die Idee einer Zweitheilung der Kriegskunst in dieser Weise nicht für glücklich. Der Krieg kann aller dings handwerksmäszig betrieben werden und er wurde es ja thatsäch lich zu jener Zeit, welche den weiter oben von uns benutzten Worten des Dichters gilt. Bei einem solchen Kriege ist dann aber von einer Kriegskunst kaum noch die Rede. Die Kriegskunst kann niemals handwerksmäszig betrieben werden, und wenn sich auch aus dem Studium der Kriegsgeschichte einzelne Regeln für den Gebrauch im Krieg ableiten lassen , so wird doch die Anwendung dieser Regeln niemals eine handwerksmäszige sein.
Es ist und bleibt eine Kunst
für jeden einzelnen, die im Frieden festgesetzten Regeln im Kriege richtig zur Anwendung zu bringen .
Hierzu gehört ein Erkennen,
Ueberlegen , Entschlussfassen in den schwierigsten , Momenten , Geistesthätigkeiten ,
gefahrvollsten
die niemals durch eine generelle
Umschau in der Militair-Literatur.
256
Erziehung und Ausbildung ermöglicht werden. Deshalb möchten wir, schon um
Missverständnissen vorgebeugt zu sehen , grundsätzlich
nicht von einem handwerksmäszigen Theile, von einem handwerks mäszigen Erlernen der Kriegskunst reden hören.
Befehlsorganisation , Befehlsführung, Armee-Aufklärungsdienst. ――――――― Beiträge zum Studium über höhere Truppenführung von Georg Cardinal v. Widdern, Hauptmann à la suite des Königs Grenadier- Regts (von Westpreuszen) Nr. 7, Lehrer der Taktik an der Kriegsschule zu Metz . — Mit 3 Karten und mehreren Skizzen. Gera. Verlag von A. Reisewitz 1876. 8 ° . 219 Seiten. Der erste Theil dieser anregenden Studien, welcher über Armee und Truppenstäbe, Geschäftsbetrieb und Befehlsführung handelt, hat wie Verfasser in der Einleitung des Werkes auch selbst hervorhebt, nicht unwesentlich an Bedeutung dadurch verloren , dass in dem vor Kurzem erschienenen zweiten Theile des bekannten Bronsart'schen Werkes über den Dienst des Generalstabes derselbe Gegenstand theilweise bereits behandelt ist. Die lebendige Darstellungsweise des Verfassers ,
sein Zurückgreifen
aus den Feldzügen 1866 und
auf entsprechende
Situationen
1870/71 , wobei er mit vieler Offen
heit kritisch betrachtet , geben jedoch diesem Theile seines Buches einen eigenthümlichen Reiz , der zum Studium auffordert.
So viel
Bekanntes in den einzelnen Abschnitten manchmal gesagt ist,
man
liest es in der gebrachten Art immer nochmals gerne , und wird in mancher Beziehung durch die gemachten Bemerkungen zu weiteren Praktisch sind nutzbringenden Betrachtungen veranlasst werden. Gedanken und Vorschläge des Verfassers fast durchgängig und er giebt viele für den Ernstfall gut anwendbare Winke, was um SO höher zu schätzen, als über die meisten der besprochenen Gegenstände eigentliche Instructionen nicht bestehen, Vorschriften nicht gegeben sind, sondern die Betreffenden sich selber die Verhältnisse nach bester Ein sicht zurecht legen und zu selbstständigem Handeln schreiten müssen . Auch in dem zweiten Theile seiner Studien weiss Verfasser den ge wählten Gegenstand, „ den Armee-Aufklärungsdienst", in recht ge schickter Weise zu gruppiren und zu besprechen.
Von spannendem
Interesse sind namentlich die Auslassungen über die Deutscherseits ausgeführten Recognoscirungen am 15. und 16. bei Mars la Tour und am 7. November 1870 vor dem Walde von Marchenoir. Mit vielem Tacte werden die einschlagenden Verhältnisse dargestellt und behandelt, gleichzeitig aber auch dem Leser die Möglichkeit geboten, sich nach jeder Richtung hin ein Urtheil zu bilden . Es lassen sich wohl gegen
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.
257
Manches, was der Verfasser über Organisation und Thätigkeit der Cavallerie-Divisionen sagt, Einwendungen machen ; doch im groszen Ganzen tritt auch hier überall der praktische Sinn eines erfahrenen und geistig regsamen Offiziers angenehm in den Vordergrund.
Die
vorliegenden Studien werden daher gewisz überall als ein werthvoller Beitrag für die weitere Entwickelung der Kriegswissenschaft freund liche Aufnahme finden und sei ihnen hiermit die weiteste Verbrei tung gewünscht.
XVI. Verzeichniss
der bedeutenderen Aufsätze aus
anderen militairischen Zeitschriften . (15. Juni bis 15. Juli 1876.) Neue militairische Blätter (Juli- und August - Heft) : Vor 90 Jahren. - Ein Beitrag zur Geschichte des Preuszischen Ingenieur Corps. - Die Mängel des Schwedischen Systems der Gymnastik als Soldatenturnerei und in Sonderheit die Schädlichkeit der beiden Die Französische Recruti Gerüste, Querbaum und Sprungkasten. rung im Jahre 1875. - Zur Unteroffizierfrage . - Ueber Eisenbahnen als Transportmittel für Truppen. - Die neuesten kriegerischen Er eignisse in Centralasien. - Ueber Brieftauben. Allgemeine Militair-Zeitung (Nr . 23-26) : General v. Peucker Das umgeänderte und die Preuszisch - Deutschen Kriegsschulen . Chassepot- und das Gras-Gewehr. - Der Englische Mobilmachungs plan. - Zur Statistik der Armee. Deutsche Heeres-Zeitung ( Nr. 24-28) : Ueber die Bildung von Ueber Der Carlisten -Krieg. Cavallerie-Divisionen im Frieden. ― Zimmergewehre. -
Ueber das Springen der 17 - Centimeter - Ring
kanone auf dem Artillerieschieszplatze zu Cunersdorf bei Jossen. Notizen über Herbstmanöver und andere taktische Uebungen Bayeri scher Truppentheile. Archiv für die Artillerie- und Ingenieur- Offiziere des Deutschen Reichsheeres (79. Band , 3. Heft) :
Ueber die Wirkung des Luft
widerstandes auf Körper von verschiedener Gestalt, insbesondere auch auf die Geschosse. - Das Oesterreichische 8- Centimeter- und das Deutsche 8,8-Centimeter-Feldgeschütz. Die Maasze für die Präcision der Handfeuerwaffen. - Geschichte der Torpedo's. 17 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze
258
Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie ( Heft VI) : Die Expedition S. M. S. „ Gazelle " . - Bericht über die an Bord S. M. S. ,Vineta" während der Reisen von Madeira nach Rio Monte 'video und Valparaiso angestellten hydrographischen und meteorologi schen Beobachtungen. ――――― Vergleich von drei Reisen im Atlantischen Ocean von 30º Nord-Br. bis 15 ° Süd-Br. ―――― Aus den Reiseberichten der Brigg „ Hermann Friedrich ". Oesterreichisch- Ungarische militairische Blätter (2. Juni - Heft) : Soll das Ingenieur-Geographen- Corps wieder errichtet werden ? Eine Studie. - Grundlagen für neue Geschoss- und Waffen- Systeme. Betrachtungen über die Reformen des Französischen Heeres . ―― (1. Juli- Heft) : Das Normal-Gefecht. - Episoden aus dem Kriege in Deutschland 1809 . Oesterreichisch-Ungarische Militair- Zeitung ,,Vedette" (Nr. 34 bis 37) : Die Streitkräfte der Türkei zur See. Oesterreichische Militair-Zeitung (Nr. 48-54) : Ueber Sebst ständigkeit der Commandanten. - Englands Flotte. - Ueber Eisen bahnen. Die groszen Manöver bei Nikolsburg. - Form und Wesen. -
Die Türkische Wehrkraft. -
Die Honved- Infanterie . -
Beiträge zur ärztlichen Kriegsbereitschaft. Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wesens (6. Heft) : Ueber den Werth des Infanterie-Feuers auf groszen Distancen. Ausdauerversuch mit sechs 7,5 Centimeter- Hinterlad Feldkanonen - Rohren aus Stahlbronce. Die Organisation der Die Ausstellung F. Krupp's zu Phila Italienischen Artillerie. delphia in artilleristischer Beziehung. Mittheilungen aus dem Gebiete des Seewesens (Nr. 7) : Geschichte der Entwickelung des magnetischen Charakters von Eisenschiffen Sr. Maj . Kriegsflotte und Entwurf eines aus derselben abgeleiteten Depolarisirungsverfahrens. - Hydropneumatische Laffete von Moncrieff. L'avenir militaire (Nr. 360-365) : Der Etat der Unteroffiziere . Der Gesundheitsdienst im Felde. - Die groszen Manöver im Jahre 1876. -
Die Streitkräfte der Türkei und Serbiens .
Le Spectateur militaire ( 15. Juni 1876 ) : Die Rolle der Französi schen Armeen in den politischen Revolutionen. - Die Expedition nach Mexico. ―――― Studie über jenen Theil des Berichtes des Herrn Reglement Perrot , der die Operationen der Ost - Armee betrifft. über die Manöver der Französischen Infanterie. Von den Militair Requisitionen. Journal des sciences militaires (Juni 1876) : Marschtaktik. Praktische Instruction über den Colonnendienst in Algier. - Vor
aus anderen militairischen Zeitschriften.
259
schläge für ein Reglement über den strategischen Dienst der Ca vallerie vor der Schlacht. --- Geschichte der Dragoner. ― Orogra phische Skizze über das Grenzsystem Frankreichs . Revue d'Artillerie (Juni 1876 ) :
Verwendung der Artillerie im
Offensiv- Gefechte im Hinblicke auf die Vorschriften des Reglements vom 12. Juni 1875 über die Infanterie-Manöver. - Die Shrapnels , ihre Construction , Kriege. ― Studie
ihre Eigenschaften
und
ihre Verwendung
im
einer empirischen Formel zur Darstellung der Flugbahnen der Geschosse. ― Ueber die Ursachen der Risse, die
bei den aus gewöhnlichem Guss hergestellten Geschossen zu Tage treten. Revue Maritime et Coloniale (Juni 1876) : Das Englische Marine Budget 1876-1877 . Studie über die Gefechtsübungen zur See. Die neuesten Kriegsschiffe . ―――― (Juli 1876 ) : Studie über die Gefechts taktik zweier isolirter Dampfschiffe. Ueber die Anwendung des Repetir- Gewehres in der Marine. - Die Seemächte und deren Politik. Russ. Invalide ( Nr. 114-143) : Berichte aus den Sommerlagern. — Militairisches aus Japan. Der Aufstand in der Türkei (mit Karte). Wojenny Sbornik (Juni - Heft) : Ueber das Studium und den Vor Skizze der Militairgerichtsbarkeit zu Zeiten
trag der Kriegskunst.
Peter des Groszen. - Ueber die Unterbringung der Truppen zu ihrer Erholung während der Kriegszeit. - Das Fürstenthum Montenegro . Russ. Artillerie -Journal (Juni - Heft) : Die Geschütze groszen Ca libers . Ueber eine neue Methode des Einschieszens. Russ. Ingenieur - Journal (April - Heft) : Zwei Artilleriekämpfe bei Paris. - Theorie der Wirkungen und Berechnung der Ladungen mit Explosionsstoffen . L'Esercito (Nr. 70-78) : Die Oesterreichisch-Ungarischen Truppen bei den Manövern von 1875. --- Episoden aus dem Italienischen Un abhängigkeitskriege. SUTP Die Beförderung im Heere und im General stabe. TER Marine- Militair-Gerichtsbehörden. Rivista militare italiana (Juni - Heft) :
Bemerkungen tiber den
Gebrauch der topographischen Karten und der schleunigen Terrain Aufnahme. Ueber den Dienst der Sicherheitstruppen und deren Führung. ― Einige Bemerkungen über die Zukunft der Genie waffe. -- Ueber militairische Tugenden. ―――― Das neue Französische Reglement über die Infanterie- Manöver. -- Militairische Betrachtun gen über unser Bahnnetz und über die Nothwendigkeit einer neuen Längenlinie. Noch einmal die Straszen-Locomotiven. Army and Navy Gazette (Nr . 864-867 ) : Infanterie - For mationen. - Torpedo-Experimente . -4 Deutsche Küstenbefestigung.—
PALIME GA BIBLIOTHER Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.
260
Die Marine-Budgets. -
Die Recrutirungs -Frage. ―――― Vergehen und
Bestrafung in der Marine. Naval and Military Gazette (Nr. 2270-2272) : Militair - Tele graphie. Das 38-Tons-Geschütz. - Die neue Infanterie-Angriffs Formation. - Stationen der Britischen Armee. Army and Navy Journal ( Nr. 670) : Guter Rath für junge Offiziere. La Belgique militaire (Nr. 284) : Aus dem Leben eines Militairs. - Vom militairischen Geiste. Die Ar L'armée belge ( Nr. 17-20) : Die Sommerübungen. Die fremden Armeen. — tillerie in den Kriegen der Gegenwart. -
Die Regimentsschulen in Frankreich. in der Gesellschaft.
Von der Stellung der Armee
De militaire spectator (Nr. 7) : Eine Reglementsstudie. ―
Das
Einschieszen von Küsten-Batterien . De nieuwe militaire spectator (Nr. 7) :
Küsten-Artillerie-Ange
legenheiten. Allgemeine Schweizerische Militair-Zeitung (Nr. 24-27) : Schiesz instructionen. Zur Technik der Handfeuerwaffen. - Einige Be trachtungen über die Instructionsmethode und das Instructionscorps . Zeitschrift für die Schweizerische Artillerie ( Nr . 6) : Betrachtun gen über Feuerwirkung und Taktik. - Die Berechnung der Schuss tafeln mit specieller Berücksichtigung der graphischen Methode. Revue militaire suisse (Nr. II) : Schieszinstruction zum Zwecke der Distanzschätzung . Revista militar ( Nr. Il und 12) : Bemerkungen für eine Studie über Militair- Administration. - Taktische Bemerkungen über Ca vallerie. Memorial de Ingenieros y revista cientifico militar (Nr. 12 u. 13) : Bemerkungen über den Feldzug des ersten nördlichen Armeecorps in den Jahren 1874 und 1875. - Der gezogene Hinterladungsmörser Oesterreichs. - Sicherheits-Apparat für verdeckte Schieszscharten. Kongl. Krigsvetenskaps- Akademiens Handlingar och Tidskrift (10. und II. Heft) : Jahresbericht über die Artilleriewissenschaft. Jahresbericht über die Befestigungskunst. Ein Wort über die Re crutirungsfrage bei geworbenen Armeen.
Verantwortlich redigirt von Major v. Marées, Berlin, Bülow- Strasze 5. Verlag von F. Schneider & Co. (Goldschmidt & Wilhelmi), Berlin, Unt. d. Linden 21. Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
XVII.
Die geschichtliche Entwickelung
des Offizier
standes. Von Eugen Keller , Hauptmann im Königl. Bayerischen Generalstabe.
( Schluss .) *) In Frankreich war unterdessen der Umsturz zur Reife ge langt, der schon längst durch die politische, militairische und sociale Zersetzung eingeleitet war. Ein charakteristisches Zeichen ist es , dass die militairischen Unruhen vor allen in Folge der Habgier und der Unzufriedenheit der Königlichen Soldaten veranlasst waren. Die Armee, welche, durch und durch vom Materialismus ange fressen, der Königlichen Macht nicht weiter eine Stütze war, als sie von derselben die Befriedigung
ihrer materiellen Interessen fand,
hörte auf diese Stütze zu sein, sobald das Königthum selbst in seinen Fundamenten zu wanken anfing.
So konnte es kommen, dass es
Königliche Soldaten waren, unter deren Augen der Pöbel den König auf seiner Flucht aufhielt und
zur Rückkehr zwang ;
Königliche
Soldaten, welche am 10. August 1792 mit dem Pöbel fraternisirten und die Oeffnung der Portale des Schlosses erzwangen.
Von dieser
Verderbniss bis zur Gefangennahme und Ermordung des Königs war kein allzugroszer Schritt mehr. Mit dem Tode des Königs hört auch formell die letzte Autorität in Frankreich auf. Es ist wahr, die Monarchie hatte seit Ludwig XIV. schwer gesündigt, sie hat ihren Untergang nur selbst heraufbeschworen, da sie durch ihr Beispiel , ihr Verhalten jene edlen geistigen und moralischen Potenzen, auf welchen das Wirken jeder Autorität ge gründet ist, verleugnet und erstickt hat ; und sie zeigt damit nur, dass die Wirksamkeit und das Ansehen jeder Autorität nicht nur begründet
*) Vergl. Jahrbücher Band XX, Seite 1 und 129 (Juli und August 1876) 18 Jahrbücher f d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
262
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
ist auf ihrer materiellen Macht, sondern in noch höherem Grade auf ihrer überlegenen Vernünftigkeit und Sittlichkeit. So lange die letztere Bedingung erfüllt ist, wird es ihr nicht an Macht fehlen, eine Mo narchie aber, welche diese Bedingungen so grob verletzte, musste sich nicht blosz den Boden ihrer moralischen Existenz, sondern auch den ihrer materiellen Macht unter den Füszen wegziehen.
König
Ludwig XVI., wiewohl vielleicht an alle dem am wenigsten schuldig, litt die Busze nur für die vielen Sünden seiner Vorfahren. Aber so gerecht dieses Weltgericht auch sein mochte, für Frank reich war es von der bedenklichsten Wirkung. Indem die Revolution sich an der höchsten und heiligsten Autorität vergriff, hat sie auch die letzte Grundlage einer moralischen Wiedererhebung weggerissen. Denn war dem Franzosen schon bisher nichts mehr heilig gewesen, hatte er über jede Art von Autorität spotten und lachen gelernt, waren ihm allmälig Ehre, Sittenreinheit und Uneigennützigkeit schliesz lich nur wie lächerliche Heuchelei vorgekommen, so war doch in der absoluten Macht des Königs noch eine Stütze geblieben, welche die Der
Wiederkehr idealer Auffassungen hätte ermöglichen können.
Sturz der Monarchie beseitigt diese letzte Hoffnung, denn dem poli tischen Sinne der Bevölkerung ersetzte die Nationalversammlung nicht den Gedanken des Vaterlandes ; selbst abgesehen davon, dass in dieser Versammlung , die selbst von Parteiungen zerwühlt war, gar zu deutlich nur persönliche Interessen das Ruder führten. Es steht damit in vollständigem Einklange, wenn der Aufruf der Freiwilligen von 1792 bei Weitem nicht die gehofften Früchte trug, abgesehen davon, dass dies eigentlich gar keine Freiwilligen waren ; denn sie waren besoldet und sogar höher als die Linientruppen. Der Aufruf vom 11. Juli 1792, der das Vaterland in Gefahr erklärte, lieferte auf dem Papiere nur 60,000 Mann, effectiv weit weniger, so dass dieser so hoch gerühmte und von den Franzosen unaufhörlich hervorgehobene Aufruf der Freiwilligen kaum den Ersatz für die allerdings massenhaften Verluste beibrachte, den die Armee an De serteuren und Kranken und zwar ohne zu fechten erlitt. Die äuszere Bedrängniss, in welche Frankreich dadurch gerathen war, dass es den Krieg erklärt hatte ohne die entsprechende mili tairische Kraftentfaltung, machte es nothwendig, dass in Ermangelung des freiwilligen Patriotismus der Convent am 20. Februar 1793 eine gezwungene Recrutirung von 300,000 Mann decretirte.
Aber auch
dies war so wenig im Sinne des Französischen Geschmackes , dass in den Gemeinden zahlreiche Widersetzlichkeiten und Thätlichkeiten vorfielen, die Bevölkerung der Dörfer haufenweise in die Städte floh,
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
263
und in der Vendée die lange verhaltene Unzufriedenheit in offenen Aufstand aufloderte.
Zu gleicher Zeit ( März 1793) wurde Dumouriez
bei Neerwinden total geschlagen und verlor mit diesem einen Schlage die kaum eroberten Belgisch-Oesterreichischen Provinzen. Es war in diesem Augenblicke eine Rettung für Frankreich, dass nun der Wohlfahrtsausschuss mit bisher unbekannter Energie die Zügel der Regierung ergriff. Seine rastlose Thätigkeit und die geschickte und hingebende Mitwirkung Carnot's brachte in der That, wenn auch kein Massenaufgebot, so doch eine groszartige Conscription zu Stande, in Folge deren nun die Franzosen massenhaft den Fahnen zuströmten , und die Republik im Stande war, mit groszen und zahlreichen Armeen ihre massige Kriegführung und Taktik ins Werk zu setzen. Allein es war nicht freiwillige Hingebung an das Vaterland, nicht eine etwaige Umkehr von der bisherigen Abneigung gegen den Kriegsdienst, was jetzt die Franzosen veranlasste, in groszen Schaaren zu den Fahnen zu eilen, sondern nur der rücksichtslose Zwang, der ausging von den Männern des Wohlfahrtsausschusses, und zwar auch wieder weniger mit Rücksicht auf das Wohl des Vaterlandes , als auf ihre eigene persönliche Behauptung.
Selbst unsoldatisch, selbst
unerfahren in den Erfordernissen des Krieges, in der Kunst und den Wissenschaften der Führung sahen die Gewalthaber des Wohlfahrts ausschusses das einzige Mittel ihrer Behauptung darin, dass sie mit derselben Rücksichtslosigkeit , mit welcher sie von ihren Generalen unablässig Siege und Erfolge forderten, auch ohne Aufhören den selben immer wieder neue Massen von Menschen in ihre Armeen nachsandten . Es war damit wohl wieder ein neuer Aufschwung begonnen, die Pflicht gegen das Vaterland, dessen Vertretung der Wohlfahrtsaus schuss sich anmaaszte, zum treibenden Motive für den Waffendienst geworden.
Aber sie war es nicht geworden aus dem Inneren des
Denkens und Fühlens heraus, etwa wie wenn die Revolution das politische Pflichtbewusstsein der Franzosen wieder erstarkt hätte, sondern es war nur die Furcht und der Schrecken vor der rück sichtslosen Gewaltthätigkeit
der
pflichtigen den Fahnen zuführten.
Machthaber,
welche
die
Wehr
Was freie Pflichterfüllung nicht
gewährte, das musste die egoistische Angst vor der Guillotine er zwingen.
Dass aber nach dem Sturze des Wohlfahrtsausschusses
diese Ergiebigkeit der Französischen Heeresergänzung nicht nach liesz, sondern vielmehr erhöhten Aufschwung gewann, das ist wieder nicht verursacht durch eine Erhebung des politischen Pflichtgefühls, 18 *
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
264
sondern theils dadurch, dass in Folge der errungenen Siege der dabei lockende Gewinn und Ruhm nun mit unwiderstehlicher Kraft an zogen, dass also das Motiv des Eigennutzes jenes der Furcht ab löste ; und dass gar bald an die Spitze Frankreichs ein Mann trat, der unter Benutzung dieser beiden
Motive die
Hülfsquellen
des
Landes in einer Ergiebigkeit zu erschlieszen verstand , die er nur durch seine Geschicklichkeit sie zu erschöpfen übertraf. Immerhin war es , wenn auch
zunächst sehr unter Beihülfe
egoistischer Motive gelungen , die Dienstbarkeit der Staatsbürger gegen den Staatsbegriff praktisch zu machen, und dadurch alle Ele mente des Heeres dem Kriegsherrn , als welcher die Republik er schien, direct unterzuordnen. Es kam nur noch darauf an, sie durch einen geeigneten Offizierstand zu beherrschen. Es war in dieser Beziehung schon misslich , dass eine grosze Menge der gedienten Offiziere des Königreiches theils ausgewandert, theils vertrieben, theils der Guillotine zum Opfer gefallen war. Allein sie lieszen sich ersetzen aus der beträchtlichen Anzahl der Offiziere des niederen Adels , welche der Revolution zugeneigt waren, und aus der Reihe der Unteroffiziere , welche doch einigermaaszen Kriegs erfahrung hatten .
Aber weit bedenklicher war es noch, dass die vollständige Ver nichtung jeder Autorität, durch welche die Französische Revolution ihre innere Politik bezeichnete, sich auch in das militairische Gebiet übertrug .
Es gab keinen Unterschied zwischen Offizieren und Sol daten, alle betrachteten und benannten sich gegenseitig als Bürger,
und die Disciplin wurde als etwas Aristokratisches gewissermaaszen für anrüchig erklärt. Die Generale standen nur in dem Verhältnisse zum Wohl fahrtsausschusse, dass dieser unablässig von ihnen Siege und Erfolge verlangte, ohne aber etwas dafür zu thun, dass die Generale auch wirklich eine Herrschaft über ihre Untergebenen ausübten . Im Gegen theile geschah Alles, um das Ansehen der Führer zu untergraben . Der Umstand , dass das treibende Interesse nicht das gemeinsame Staats wohl, nicht aufrichtiger Patriotismus, sondern nur das Interesse einer Partei war, das liesz die innere Uebereinstimmung der politischen Beherrschung mit der militairischen Führung zweifelhaft erscheinen, und der ersteren die Gefahr ahnen, welche durch eine Uebermacht der letzteren drohte .
Die Machthaber Frankreichs, welche es nicht
leiden konnten, wenn ein General durch seine persönlichen Eigen schaften sich über sie erhob und Einfluss und Ansehen bei der Armee gewann, thaten alles Mögliche, um solche Generale zu stürzen.
Der
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
265
Sturz des dem Convente verhassten Dumouriez war wesentlich ver ursacht dadurch, dass der Convent seine Armee so herunterkommen liesz, dass die Niederlage bei Neerwinden unausbleiblich wurde. Der Kriegsminister Bouchotte verlegte sich förmlich darauf, die Soldaten gegen die Offiziere aufzuhetzen, und liesz sogar eine Schmähschrift auf General Custine in Tausenden von Exemplaren in dessen Armee verbreiten.
Als gleichwohl Custine durch seine Energie es dahin
brachte, das vom Convent aufs Aeuszerste vernachlässigte Nordheer in einigermaaszen brauchbaren Zustand zu versetzen, wurde er hinter listig als Aristokrat verhaftet und hingerichtet , und als die Armee, gleichgültig gegen solche Verletzung ihrer Ehre, dies ruhig hinnahm, wurden nach und nach alle adeligen Generale verhaftet und deren 43 in einem Jahre guillotinirt.
Nichts anderes war es , als wieder
Schrecken und Furcht, was die Generale mit den politischen Herr schern des Staates verknüpfte.
Das Einzige aber, was ihnen diese
schwierige Lage versüszte, war die Möglichkeit groszer persönlicher Bereicherung.
Mit wenigen ehrenhaften Ausnahmen erpressten die
Generale ansehnliche Geschenke in Feindesland und trieben einträg lichen Handel mit Schutzwachen und Schutzbriefen. Als mit dem Sturze der Schreckensregierung Zwang und Furcht nachlieszen, blieb diese Sucht nach dem Glanze des Ruhmes und nach jenem des Geldes das Hauptmotiv für die Thätigkeit der Französischen Heer führer,
und dies erklärt die Richtung, welche die militairische Au
torität in der Folge in Frankreich nahm, zur Genüge. Aehnlich wie die Generale, trieben es auch die Commissaire, welchen die Verpflegung der Armee oblag ; sie betrogen und be stahlen nicht blosz die Bewohner des Feindeslandes , sondern mit gleicher Rücksichtslosigkeit auch die Französischen Cassen. Es war begreiflich ,
dass bei diesen Verhältnissen die höheren
Führer nach unten so gut wie keinen Einfluss besaszen. Abgesehen von der principiellen Gleichheit , welche ein höheres Ansehen nicht aufkommen liesz , und abgesehen von dem unwürdigen Verhält nisse, in welchem die Führer zur obersten Staatsleitung standen, war auch deren eigenes Verhalten wenig geeignet, ihnen einen ge bietenden Einfluss bei ihren Untergebenen zu sichern. Dazu kam viel mehr noch jene berüchtigte Einrichtung der sogenannten Volks Repräsentanten bei den Armeen, Regierungs- Abgeordneten, welche die Feldherren auf Schritt und Tritt controlirten ; und jenes nieder trächtige System der öffentlichen Ankläger, dem zufolge jedes Indi viduum der Armee das Recht hatte, seinen Vorgesetzten, den Ober general nicht ausgenommen, des Verrathes anzuklagen, und vor Ge
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
266
richt zu fordern, vielleicht auch auf die Guillotine zu bringen.
Es
ist keine Frage, dass dies nicht dazu angethan war, den höheren Führern einen Einfluss auf ihre Untergebenen zu sichern und ihrer schwer
geschädigten Autorität wieder aufzuhelfen,
und dass
die
schändlichsten Missbräuche getrieben wurden. Auf solche Art war der Einfluss, den die höheren Führer nach unten zu üben vermochten, auf ein Minimum reducirt ; die eigentliche Beherrschung der Heeresmassen war gewissermaaszen jener Gewalt, welche den Kriegsherrn darstellte, unmittelbar in die Hand gegeben. Was die Generale an factischem Einflusse besaszen, das hatten sie nicht als Stellvertreter der höchstgebietenden Autorität , sondern nur in Folge ihrer individuellen Eigenschaften.
Hohe persönliche Bra
vour, Energie und Glück im Erfolge, das waren die Dinge, welche den Soldaten und die niederen Chargen mit ihren Führern banden.
ver
Wo diese Eigenschaften fehlten, lockerte sich die Disciplin
in grauenerregender Weise, wo sie aber vorhanden waren, da ver liehen sie dem Führer eine persönliche Macht über die Truppen, welche im hohen Grade bedenklich werden konnte, und
welche
gerade den Grund abgab, warum mit Recht Wohlfahrtsausschuss und Directorium Angst vor so überlegenen Charakteren hatten. Aehnlich verhielt es sich mit den niederen Offiziers Graden , die vorerst ausschlieszlich, später zu einem beträchtlichen Theile, durch die Soldaten gewählt wurden.
Durch Nichts unter
schieden von ihren Untergebenen, aller Rangvorzüge , äuszeren Ab zeichen und Standesunterschiede beraubt, und selbst aus den näm lichen Volksclassen hervorgegangen, aus welchen sich die Unter gebenen recrutirten, sah sich der Bürger-Offizier, ohne irgend einen anderen autoritairen Einfluss , als den, dem ihm seine persönlichen Eigenschaften sicherten.
Er konnte versuchen, wie weit sein Bei
spiel es vermöge, die Soldaten mit sich zu reiszen, war dies aber nicht der Fall, so hatte die Macht seines Befehles kaum mehr weiteren Nachdruck zu vergeben.
Dass bei solchen Verhältnissen nicht eine vollständige Auflösung aller Ordnung eintrat, hat seinen Grund nur in der Strenge der Ver pflichtung, welche den Soldaten unmittelbar an die Fahne band.
Und
war diese Verpflichtung auch am Ende mehr der Furcht vor der Gewalt oder der Lust an Erfolg und Beute entsprungen, so war es eben doch die dadurch immerhin hergestellte
unmittelbare Ver
knüpfung zwischen Wehrpflichtigen und Staatsgewalt , welche eine selbst niedrigere Autorität des Offizierstandes wieder auszugleichen vermochte.
Es ist jedoch schon darauf hingewiesen worden,
dass
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
267
in dem Maasze, als nach dem Sturze der Schreckensregierung der Zwang allmälig aufhörte, dies nur deshalb nicht zum Zerfalle der Ordnung führte, weil an Stelle dessen theils die Lust an der Invasion , dem Erfolge und der Beute, theils der Ueberdruss an den inneren Uebelständen des Landes , zum Theil aber auch eine durch Ge wöhnung und reichen Erfolg hervorgerufene thatsächliche Lust am Soldatenberufe an Stelle des verschwindenden Zwanges zum Motive des Kriegsdienstes wurde. Der Verlauf der Revolution hatte auszerdem die Zahl der Chargen auszerordentlich gesteigert. Theils deshalb , weil die alt hergebrachte Sucht nach Auszeichnung einen Jeden mit dem Ehrgeize, Offizier zu werden,
erfüllte , theils weil bei der geringen Autorität
der Offiziere deren Einfluss wenigstens durch die Zahl etwas ge steigert werden musste, endlich, weil die meisten der Truppentheile das Recht hatten, sich ihre Offiziere selbst zu wählen, entstand ein Reichthum an Offizierchargen, wie ihn kaum die üppigste Zeit des Königthumes gekannt hatte.
Als 1793 die Armee eine neue Regu
larisirung erfuhr, blieben nicht weniger als 23,000 Offiziere über zählig.
Es ist bezeichnend für deren Bildung, dass lange nach den
ersten nothwendigsten Reductionen der Chargen der Convent die Absetzung aller jener Offiziere verfügen musste, welche weder lesen noch schreiben konnten, und dass diese Maaszregel in Folge der groszen Anzahl der Personen, welche sie traf, sich nur sehr lang sam ausführen liesz .
Die Verleihung dieser Stellen aber erfolgte
durchaus nicht immer nach Verdienst , die Wahl der Subalternen durch die Truppen geschah vielmehr oft lediglich unter rein egoisti schen Rücksichten. Die höheren Offiziere aber waren meist frühere Subalterne oder Unteroffiziere und Gemeine, welche sich hervorgethan, oder Leute, welche aus bürgerlichem Stande, durch Unverschämtheit oder Pro tection oder auch Kühnheit und Patriotismus zu hohen Führerstellen gelangt waren.
So fielen oft die höchsten Chargen Männern zu, die
zwar grosze Thatkraft hatten, aber aller, selbst der elementarsten Kenntnisse der Kriegswissenschaft ermangelten.
Nun tritt jene gigantische Natur auf den Schauplatz, welche überreich an Thatkraft, Bravour und Glück, die Herrschaft über die Armee auf ihre persönliche Ueberlegenheit begründete und sich da mit eine Autorität verschaffte, die es ihr leicht machte, auch die Herrschaft über den Staat in die Hand zu bekommen . Mit rück sichtsloser Folgerichtigkeit zog Bonaparte die Consequenzen aus
268
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
dem Verlaufe der Französischen Revolution.
So und so oft hatte er
die Erfahrung gemacht , dass die Macht über die Armee nur dem Generale zufalle, der durch den Glanz des Erfolges und durch gute Fürsorge die persönlichen Sympathien der Soldaten für sich gewann, und dass , als nach dem Ende der Schreckens-Regierung der Zwang abgeschwächt war, die Sucht nach Reichthum, Plünderung und Wohl leben ein um so kräftigeres Zugmittel bei den Soldaten war, je mehr die Armeen unter den zunehmenden Unterschleifen der Lieferanten
e
und Convents -Commissaire, und unter der niederträchtig schlechten
0
Verwaltung des Kriegsministeriums Mangel an dem Nothwendigsten litten. Sein Aufruf an die Italienische Armee von 1796 liefert hier für den deutlichsten Beleg :
Soldaten !
Ihr seid nackt , arm und
schlecht verpflegt, die Republik schuldet Euch Alles und kann Euch Ich will Euch in die reichsten Länder der Nichts geben . ... . .
E
Erde führen ; reiche Städte, blühende Provinzen sollen in Euerer
S
a
Gewalt sein ; Soldaten der Armee von Italien, werdet ihr es an Muth und Hingebung fehlen lassen ? "
Dieser Aufruf, dessen Inhalt Bona
parte während des ganzen Verlaufes dieses Feldzuges mit solcher Ergiebigkeit treu blieb, dass er nicht blosz seine eigene Armee reich lich mit Allem versah,
sondern auch colossale Summen dem voll
ständig erschöpften Französischen Staatsschatze zuflieszen liesz, zeigt recht deutlich , wie Bonaparte den Geist seiner Zeit beurtheilte. Nichts von Vaterland , nichts von Ehre und Pflicht, nur Verheiszungen des Reichthumes und Wohllebens müssen den Soldaten zu Muth und Hingebung anstacheln. Der glänzende Erfolg dieses ersten Feldzuges kettete die Armee
G
von Italien mit festen Banden an ihren siegreichen Feldherrn ; die
UT
Armee fühlte, dass sie mit allen ihren moralischen und materiellen Interessen an Bonaparte geknüpft war.
Von dieser Armee ging
Ge
auch der gleiche Geist in jene Truppentheile anderer Armeen, welche mit ihr vermischt waren, über, und Bonaparte's Person und nicht die Französische Republik beherrschte eine grosze Zahl kriegserprobter Soldaten.
da
Damit tritt nun dieser Feldherr auch in ein Verhältniss zur Denn seine Autorität verdankte er
QD
nicht der ihm von oben verliehenen Gewalt, sondern ganz den Eigen
En
Staatsgewalt , das abnorm war.
schaften seines Charakters, ganz sich selbst.
Und der Armee, die
ihn verehrte, galt er nicht hoch als der Stellvertreter der der Re
Ka
publik zugehörigen Kriegsherrlichkeit, sondern als der Feldherr, unter dessen persönlichen Befehlen der Soldat eine Befriedigung seiner
de
materiellen Interessen fand, wie sie ihm die Republik nicht gewähren
A
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes. konnte.
269
Was Wallenstein war für Kaiser Ferdinand, das war Bona
parte für die Französische Republik, das Ziel, das Wallenstein's Ehr geiz mit Hülfe seiner Armee anstrebte, darnach trachtete auch Bona parte ; Wallenstein ging darüber zu Grunde, Bonaparte aber reüssirte. Schon im September 1797 durfte er es wagen, durch sein gefügiges Werkzeug Augereau den gesetzgebenden Körper mit Bajonneten aus einandertreiben zu lassen. Auf dem einmal eingeschlagenen Wege schritt Bonaparte conse quent weiter.
Vergebens suchte das Directorium den übermächtigen
Feldherrn durch die Expedition nach Egypten abzuziehen, denn dort wand Bonaparte neue Lorbeeren um sein Haupt. kehrte Bonaparte eigenmächtig zurück ,
Von Egypten aber
stürzte mit
Hülfe seines
Einflusses auf die Armee auch die Directorial- Verfassung und setzte an deren Stelle das Consulat, in welchem er sich die tonangebende Stimme zu sichern verstand. Von diesem Augenblicke ab ist Bonaparte factisch auch im Be sitze der obersten politischen Gewalt in Frankreich.
Die militairische
Autorität und die politische beginnen sich wieder zu nähern , der Feldherr wird auch zum Kriegsherrn. Bonaparte verfehlte nicht , sein Augenmerk darauf zu richten, dass nun wieder das Offizier corps vollständig unter die Herr schaft der politischen Staatsgewalt gelangte. Hatte er schon kurz nach seinem Eintritte in den Wohlfahrtsausschuss verbannte Generale zurückgerufen, so verschaffte er sich jetzt in der Consular-Verfassung das ausschlieszliche Recht der Ernennung sämmtlicher Generale und Offziere .
Sofort schritt er daran, die schädlichen,
unzuverlässigen Elemente zu beseitigen und mit Hülfe seiner Armee auch seine politische Gewalt aufrecht zu erhalten.
Er theilte das
Gebiet der ganzen Republik in 25 militairische Territorien , über welche er ihm ergebene Generale zu Commandanten aufstellte. Schon zu dieser Zeit begann Bonaparte seiner Armee zu zeigen, dass der Vortheil , den sie bisher unter seiner Führung gefunden, ihr auch fürderhin sicher bleiben werde. Er zeigte groszes Interesse für die Armee durch fleiszige Inspicirungen, verlieh Ehrenwaffen, und bereitete seinen Feldzug gegen Oesterreich mit leidenschaftlicher Energie vor. Neue Siege knüpften sich an seinen Namen. Im Jahre 1805 zieht er das letzte Facit : Er lässt sich zum Kaiser ausrufen. Nunmehr ist auch die letzte formelle Schranke gefallen, welche den Feldherrn vom Kriegsherrn trennte ; politische und militairische Autorität sind nun wieder in einer Person vereinigt, und das Heer,
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
270
welches der Person des Feldherrn diente , dient darum doch den Zwecken des Staates, weil diese sich im Kriegsherrn personificiren. Aber es lag schon der Keim des Verderbens darin, dass die Zwecke der Person des Staatsoberhauptes sich mit den Zwecken des Staates nicht deckten. Die gigantische Arbeit Bonaparte's gehörte nicht seinem Lande, sondern ihm selbst , seinem eigenen Vortheile und Ruhme.
Und hierin scheint auch der Punkt zu liegen, worin
die beiden Charaktere Napoleon's und Friedrich's des Groszen , die in Beziehung auf das kriegerische Handeln einander so sehr ähnlich sind , so grundverschieden erscheinen .
Friedrich der Grosze strebte
auch nach dem Siege im Kriege mit Beiseitesetzung aller Vorsicht, aller Sparsamkeit , aller Theorie, wo es nöthig war. Er schreckte nie vor einer Entscheidung zurück, wo eine solche an ihn herantrat, und kannte keine Schwierigkeit. Aber sein ganzes militairisches und politisches Handeln und seine eigene Persönlichkeit hatte er einem höheren Zwecke unterworfen : der Aufgabe, sein Land glück lich zu machen. Der Staatsgedanke, das Ideal der menschlichen Gesellschaft, die öffentliche Wohlfahrt waren das Ziel, nach welchem sein ganzes Handeln und auch seine kriegerische Thätigkeit strebte, und wodurch gerade die letztere jene weise Beschränkung erfuhr, welche es möglich gemacht hat, in einem siebenjährigen Kampfe um die Existenz die Hülfsquellen seines Landes zu verbrauchen, ohne sie zu erschöpfen.
Napoleon aber war kein Fürst seines Volkes,
er war nicht einmal Franzose, er war vielmehr der glänzendste aller militairischen Abenteuerer , der Alle seines Gleichen darin weit überragte, dass er einsah , wie die Herrschaft über die Armee nur im Vereine mit der Herrschaft über das Land von Dauer sei , und darin ,
dass
er rücksichtslos
und
mit Erfolg
auch diese
Conse
quenz zog. Auf dem Wege, den Bonaparte als Ober- General und Consul gegangen, schritt Napoleon als Kaiser mit Erfolg weiter darin vor, die Offiziere aus ihrer Gleichheit mit der Mannschaft heraus zuheben und sie dadurch fest mit der Krone zu verbinden, dass er in jeder Beziehung sie von sich abhängig machte.
Zu seinem Rechte
der Ernennung und Beförderung fügte er im Verlaufe seiner Re gierung die Verleihung des mit Präbenden ausgestatteten Ordens der Ehrenlegion, der dem Staate eine jährliche Ausgabe von 11,000,000 Francs verursachte, fügte hinzu Titel und Würden, aber auch reiche Dotationen, wie sie längst schon von den Generalen gewünscht, ja sogar begehrt worden waren.
Ländereien und enorme Summen in
baarem Gelde und in Renten, die sich in der Folge noch verviel
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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fachten, sollten aus den Generalen der Französischen Armee einen Adel nicht blosz des Dienstes, sondern auch des Reichthumes bilden, der den Kaiserlichen Thron umgeben und durch seinen Glanz jenen der Krone noch erhöhen sollte .
Mit Geschick war bei Erhebung in
den Adelsstand die Bestimmung getroffen, dass der Adel nur so lange dauern solle, wie das Vermögen.
Und alle diese lockenden Preise
wurden ertheilt an die Männer, die sich um den Kaiser verdient machten, und bei dem groszen Interesse, welches der Kaiser vor Allem für die Armee an den Tag legte, war sicher zu gewärtigen, dass weder wirkliche Verdienste unbelohnt bleiben, noch auch Ver dienstlosigkeit es zu Etwas bringen werde .
Auszer diesem Kranze
eines hohen Militairadels umgab sich der Kaiser auch noch mit einem eigens bevorzugten Truppentheile, der Kaisergarde, welche er aus der schon früher organisirten Consulargarde entwickelte. Der Glanz der Kaiserlichen Macht , der Ruhm und der Reich thum , der in Folge der Kaiserlichen Siege unablässig nach Frank reich strömte, berauschten auch das Volk, und machten es so mög lich, dass die Conscriptionen, die Napoleon unaufhörlich dictirte , in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts einen Ertrag lieferten, der selbst die berühmte Ergiebigkeit sationen weit übertraf.
der revolutionairen Organi
Wiewohl der Schrecken und der Zwang in
weit geringerem Maasze, als damals herrschten, lieferten die von dem
gefügigen Senate unaufhörlich bewilligten Aushebungen an
standslos das nöthige colossale Menschenmaterial.
Aber nicht etwa
das Gefühl der Pflicht war es , das die Soldaten zur Fahne führte, sondern was sich um die Adler Napoleons schaarte, war, so weit es nicht widerwillig gepresste Recruten waren, eine vom Ruhme und Glanze betäubte, nach neuen Siegen und neuem Ruhme lechzende und beutegierige Soldateska. Das Band , das die Offiziere der Kaiserlichen Armee an ihren Kriegsherrn knüpfte, war durch die Art , in welcher Napoleon sich seine Führer dienstbar machte, klar genug bezeichnet : Es war der einfache Eigennutz, dessen Unersättlichkeit wuchs mit den Schätzen, die ihm zuflossen. Nicht zufrieden damit, benutzten die Französi schen Generale ihre Stellung zu den schamlosesten Plünderungen und Erpressungen, und lieszen sich sogar, natürlich für schweres Geld, bestechen. Namentlich reich an Beispielen solcher Art ist die Occu pation, die Preuszen in den Jahren 1806-1808 zu ertragen hatte, und welche gerade durch diese furchtbaren Härten nicht wenig die Erhebung des Jahres 1813 geschürt hat. Der Einfluss der Offiziere auf ihre Untergebenen stieg in dem
272
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
Maasze, als durch die Verbindung mit dem Kaiser die Stellung des Offiziers an Glanz gewann. Da dieser jedoch hauptsächlich den höheren Chargen zu Gute kam, so waren die niedereren vorwiegend auf den Einfluss
ihres
Beispieles
angewiesen.
Sie blieben demnach
wie
früher ziemlich auf gleicher Stufe mit den Soldaten stehen, und ge wannen nur dadurch an Autorität ,
dass die Strenge, mit welcher
der Kaiser den Gehorsam von allen Soldaten forderte, auch ihren Befehlen gröszeren Nachdruck verlieh. Noch mehr besserten sich diese Verhältnisse in jenen stehenden Lagern, in welchen der erste Consul von 1803-1806
seine Armee concentrirte.
Abgetrennt hier
von
allem Verkehre mit den bürgerlichen Elementen, entzogen aller Ver suchung zu Vergnügungen, sah der Soldat nur Himmel, Erde, Waffen und Vorgesetzte, und lernte hier seine Führer kennen , und
sich
daran gewöhnen, allen ihren Befehlen aufs strengste zu gehorchen. Die Ausbildung in taktischer und gymnastischer Beziehung ,
wie
auch die Disciplin erreichten in der Armee von 1805-1806 ihre höchste Stufe. Es ist jedoch begreiflich , dass eine derartige Zucht nicht nach dem Geschmacke einer Armee von der Erziehung der Französischen war.
Mehr und mehr musste der anfänglich nur latente Gegen
satz, der in dem Streben nach voller Herrschaft über die Armee und dem hierzu gewählten Wege lag, ans Tageslicht treten und sich zu spitzen.
Der vermehrte Druck erzeugt vermehrten Eigennutz
und
vermehrte Unzufriedenheit ; dadurch steigert sich der Druck
und
steigern sich dessen Wirkungen in steter Folge.
Zuerst waren es
die unteren Chargen, bei welchen sich der Widerwille gegen den Gehorsam kundgab. Schon im Feldzuge von 1807 löste die Disciplin sich theilweise auf, Unordnungen aller Art rissen ein, Zeichen des Unmuthes über den Winterfeldzug im Norden wurden laut , und die Truppen Napoleons, welche in der Schlacht bei Eylau mit der blan ken Waffe selbst einen Erfolg nicht erreicht hatten, dagegen der selben schaarenweise erlegen waren , befanden sich in einem Zu stande gröszerer Zerrüttung, als die geschlagene Russisch- Preuszische Armee.
Im Kriege gegen Spanien begann die Armee schon ihre
Rechnung auf dem Wege der Plünderung zu suchen, und erfuhr dort in der Capitulation von Baylen, die sie sich zuzog in Folge durch
Plünderungen
übermäszig
vermehrten
Trosses ,
ihre
des erste
Niederlage. Selbst auch nach Napoleons Ankunft zeigten sich be denkliche Anzeichen von Zerrüttung und Verstimmung . 1809 war es schon nothwendig, dass in der Schlacht von Wagram die Generale selbst sich exponirten, weil ihr Befehl allein nicht mehr hinreichte,
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
273
und dass die Führung zu einer Colonnenform greifen musste, die nun mit den gevierten Haufen der Landsknechte vergleichbar ist, blosz um die Desertionen im Feuer zu beschränken. Am meisten aber tritt die vollständige Auflösung aller Disciplin im Feldzuge 1812 auf, und zwar nicht erst bei und nach dem Brande von Moskau, sondern längst vor demselben.
Schon auf dem Marsche nach Russ
land führte die Armee massenhaftes Gepäck, Wagen mit allen Ar tikeln des Luxus beladen, deutliche Zeugen der eingerissenen Ver weichlichung und Genusssucht der Offiziere mit sich. Mit jedem Schritte vorwärts schwollen die Colonnen zu Caravanen von Beute fuhrwerken an, schon am Niemen zählte der Train 10,000 Pferde über den Etat.
Diese Ueppigkeit , welcher selbst Befehle keinen
Einhalt thun konnten, verursachte jetzt schon, dass trotz der reich lichen Vorräthe in Magazinen und Colonnen die Lebensmittel nicht bis zu den Truppen gelangen konnten, und diese bittere Noth litten . Hinter der Armee aber trieben sich Schaaren von Marodeurs herum , die auf zahllosen Wagen ihr geraubtes Gut fortschleppten.
Der
Plan des Krieges wurde durch diese Verhältnisse ebenso strategisch , wie moralisch vereitelt. Die Plünderung von Moskau bezeichnet den Gipfelpunkt der Auflösung. Dem nach dem Brande wieder in die Stadt zurückkehrenden Kaiser versperrten Züge von Plünderern den Weg, sogar in den besten Truppen, der alten Garde, war der Ge horsam geschwunden. Auf dem Rückzuge aber, den nun die Ele mente geboten, löste sich alle Autorität auf in der schnöden Gier nach Raub und Beute. Die Wagen der Offiziere hatten sich verdrei facht, Brücken- und Proviantwagen, Mantelsäcke und Tornister, Ge schütze und Munitionswagen waren mit Beute beladen und Vieles führten die Soldaten auf Schubkarren mit sich. Und gerade die altfranzösischen Divisionen, welche die Praxis des Kaiserreiches am längsten getrieben, wiesen die gröszte Unordnung und Zuchtlosig keit auf.
Zwanzig Tage nach dem Abzuge von Moskau war das
Heer auf 37,000 Mann geschmolzen ,
zu einer Zeit , wo erst 6000 Mann im Kampfe gefallen oder verwundet waren, wo es noch an Lebensmitteln nicht fehlte und die Kälte noch nicht mehr als fünf Grad unter Null hatte. Später, als die Kälte zunahm, Mangel an Lebensmitteln einriss, da nahm die Auflösung in noch viel höherem Grade zu. Mit Noth vermochte noch der Kaiser durch seine An wesenheit einzelne Theile beisammenzuhalten, aber nach seiner Ab reise lösten sich auch die letzten Verbände auf. Am 1. Februar 1813 waren von 125,000 Mann Französischer Infanterie noch 6400 Com battanten übrig.
274
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes. Man sieht, wie falsch es ist zu behaupten, dass der Brand von
Moskau und die Kälte des Russischen Winters die grosze Armee ins Verderben gestürzt haben. Diese beiden Umstände haben nur dazu gedient, dem eigentlichen Hauptgrunde eine so erschreckende Wirk samkeit zu eröffnen, die nämlich, dass der ganze Kitt in der Fran zösischen Armee nicht bestand in der Gemeinsamkeit der Pflicht gegen das Vaterland , sondern nur im Wetteifer nach persönlicher Bereicherung. Die egoistische Grundlage der Napoleon'schen Heeres schöpfungen und der vollständige Mangel an idealen Motiven haben den Untergang der Französischen Armee herbeigeführt.
Die Cor
ruption der Offiziere, die allerdings von Oben herab genährt und grosz gezogen war, hat die Katastrophe beschleunigt, und es hätte des Brandes von Moskau nicht bedurft, - sie musste kommen. Die nun folgende Zeit zeigt recht deutlich von der Reversseite, wie sehr das Kaiserliche Frankreich und die Kaiserliche Armee nur Zufriedenheit fanden in dem Begehre nach Ruhm und Beute, und dass, wo dies versagt blieb, nun auch die groszen Leistungen früherer Jahre verkümmern. Schon seit längerer Zeit hatte der Druck der Conscriptionen im Lande tiefes Missvergnügen hervorgerufen. Zum Feldzuge von 1812 mussten Streif-Commando's die Wehrpflichtigen beitreiben, und nicht blosz in den occupirten Ländern, sondern auch in Frankreich selbst erhoben sich Aufstände.
Nach dem üblen Ausgange des Russischen
Feldzuges versuchte Mallet die Kaiserliche Herrschaft zu stürzen, Moreau trat offen auf Seite Russlands. Die durch neue Conscriptionen bedrohten Wehrpflichtigen rotteten sich zu thätlichem Widerstande zusammen, und in Paris war der Kaiser den Insulten der Recruten preisgegeben. Schaaren von Deserteuren trieben sich plündernd und sengend in Frankreich herum.
Die Erfolge, welche Napoleon noch
1813 erzielte, mussten erkauft werden durch unverhältnissmäszige Opfer an Offizieren und Generalen. Als nun das Unglück noch weiter schritt , da fielen auch die selben Generale und Marschälle, die durch Napoleon reich und grosz geworden waren, schamlos von ihm ab. War es jetzt mit der Aus sicht auf weiteren Glanz und Reichthum vorbei, so wollten sie doch ihren Besitz nunmehr in Freuden genieszen ; denn nur um seinet willen waren sie dem Kaiser ergeben. Schon nach den Schlachten bei Culm und Dennewitz waren viele Generale und Offiziere voll ständig demoralisirt ; als der Kaiser 1814 in Frankreich nach den Schlachten bei Laon und Arcis s . A. beschloss, ostwärts auszuweichen, zeigte sich unter den Generalen eine unerhörte Haltung,
die auch
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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durch die Nachgiebigkeit Napoleons nur kurze Zeit beschwichtigt wurde.
In Juvisy gingen die Generale mit dem Kaiser um , als ob
er unzurechnungsfähig wäre ; Keiner gehorchte dem Befehle nach Paris umzukehren . Nachdem 1813 schon Marschall Bernadotte ab gefallen, sagte sich 1814 Murat los, und als der Senat, welcher bis her dem Kaiser gefügig zu Willen war, denselben des Thrones ver lustig erklärte , fielen die Marschälle sämmtlich von Bonaparte ab, zwangen ihm unter des rohen Ney taktlos polternder Führung die Abdankungsurkunde ab und wendeten sich der neuen Regierung zu . Was war bei diesem Verhalten der höheren Führer von den niedereren Offizierschargen zu erwarten, die Tag für Tag an ihren höheren Vorgesetzten das Beispiel gemeinsten Eigennutzes vor sich sahen ? Auch sie waren des Krieges überdrüssig und der Anstrengung und Aufopferung abhold, die sich nicht rentirte.
In dem Französi
schen Heere löste sich alle Zucht auf, und es ist bezeichnend hier für, dass das Corps Marmont's während der Abwesenheit seines Generals zum Feinde überging. Wie wenig die grosze Anspannung der militairischen Leistungs fähigkeit trotz der Traditionen der Revolution im Französischen Cha rakter lag, geht daraus hervor, dass die erste Concession, die Lud wig XVIII . machen zu müssen glaubte, um sich Sympathien zu er werben, die Abschaffung der Conscription und die Wiedereinführung der freiwilligen Anwerbung war. Noch einmal sollte sich die vollständige Zersetzung im Fran zösischen Offiziercorps bethätigen : Bei der Wiederkehr Napoleons. Dieselben Offiziere, welche die dem Kaiser geschworene Treue ge Ľ brochen und dem neuen Könige den Eid geleistet hatten, brachen
5 die Treue abermals , um sich dem Kaiser wieder zuzuwenden , SO lange das Glück diesen zu begünstigen schien, und als das Glück ihm wieder seinen Rücken kehrte, thaten sie dem Kaiser wieder das Gleiche. So war der Offizierstand , der aus den zersetzenden Einflüssen der Revolution emporgehoben war zu seiner eigentlichen Bestimmung durch einen glänzenden ,
energischen und ruhmvollen Monarchen,
gerade durch diesen selbst dem tiefsten Verderben überantwortet worden, weil dieser sein Streben nicht mit den Interessen des Vater landes identificirte, sondern ihn mit demselben Egoismus erfüllte, der allein alle seine Handlungen dictirte, und der die idealen Elemente der Revolution ebenso, wie diese die spärlichen Reste von Ritter lichkeit aus den Zeiten Heinrich's IV., Conde's oder des Marschalls von Sachsen vernichtet hat. Während der Revolution hat der Fran
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Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
zösische Offizierstand verlernt zu befehlen , unter dem Kaiserreiche zu dienen.
Unter den Schlägen der Französischen Armee war im Jahre 1806 Preuszen zusammengebrochen, hatte Niederlagen erfahren und eine Demüthigung,
welche dem Untergange beinahe gleich
kam.
Dieser Staat wäre unrettbar verloren gewesen, hätten in ihm nicht noch die alten glorreichen Traditionen aus König Friedrich's
des
Groszen Zeit und die sittlichen Principien gewaltet , die Preuszen damals grosz gemacht.
Wohl war das Volk durch die grosze Aus
dehnung der Exemptionen von der Cantonspflicht wieder unkriegeri scher, wohl der Offizierstand durch die Einmischung minder Elemente verschlechtert worden ; aber diese Erscheinungen
edler waren
nicht hervorgerufen worden durch Eigenschaften und Thätigkeiten der leitenden Personen, sondern trotz derselben durch äuszere Ver hältnisse.
Vielmehr waren in den gebildeten Ständen des Landes,
besonders in dem Adel, vor Allem aber in der Person des Königs das Princip der Vaterlandsliebe und der Pflichttreue tief genug ge wurzelt geblieben, als dass sie nicht noch die Schicksalsschläge von 1806 überlebt hätten. Es verschloss sich der Einsicht der maasz gebenden Persönlichkeiten keineswegs , dass die Schuld an dem so kläglichen Ausgange des Feldzuges hauptsächlich in der Wehrver fassung lag , welche das Schicksal des Landes auf eine einzige un wiederbringliche Armee setzte, und dass die Niederlage dieser Armee nicht nur durch die veraltete Taktik, sondern in noch höherem Grade durch die Verschlechterung des Offizierstandes hervorgerufen war. Die Heilung dieser Schäden machte sich König Friedrich Wilhelm III. zur besonderen Aufgabe.
Dass diese in so vollendeter Weise ge
lang, ist nicht wenig dem Umstande zu verdanken, dass in Preuszen das monarchische Princip, die volle Autorität des Landes- und des Kriegsherrn durch die Ereignisse, so betrübend diese auch waren, nicht erschüttert wurden.
Die Reformirung der Armee war wesent
lich dadurch gefördert , dass sie von einer unbestrittenen und auf sittlichen Principien aufgebauten Autorität vollzogen wurde .
Vor Allem erfuhr das Offiziercorps eine gänzliche Regeneration. Die Generale verloren ihre Compagnien, viele Regimenter wurden nicht mehr an Chefs verliehen, und dadurch die höheren Offiziere in den Stand gesetzt , ihre controlirende und erziehende Thätigkeit der Allgemeinheit, den ihnen Untergebenen vollständig zuzuwenden. Ein Ehrengericht prüfte das Verhalten aller einzelnen Offiziere, ver
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
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anlasste die Bestrafung oder Entlassung aller jener, deren Verhalten nicht frei von Makel war. Nach dieser Säuberung des Offizierstandes schritt der König dazu, das Princip der Ehre im Stande wieder mehr zu beleben. Eine Verordnung vom 3. August 1808 über die Bestrafung der Offi ziere stellte das Verhältniss zwischen Vorgesetzten und Untergebenen wieder auf seine vernünftige Basis ,
beseitigte alle erniedrigenden
Strafarten und gab in der Verleihung der Ehrengerichte die Rein erhaltung der Corpsehre den Offizieren selbst in die Hand.
Der Zu
tritt zu den Offizierstellen wurde, der bisherigen Gewohnheit ent gegen, nicht dem Geburtsadel, sondern nur Kenntnissen und Bildung oder im Kriege erprobter Tapferkeit und Umsicht eröffnet. Kein Offizier wurde ernannt , ohne dass ein Offiziercorps den Aspiranten für würdig der Stelle erklärte. Nun bildete das Offiziercorps wieder, wie vor Zeiten, ein fest geschlossenes einheitliches Ganze, welches dem Könige treu ergeben, den Geist der Ehre und des Pflichtgefühles , der Jenen und seine Umgebung beseelte, in sich aufnahm, und nun um so vollkommener seiner
Aufgabe gewachsen
war ,
als
zu dem
Friedericianischen
Geiste noch das Princip überlegener Bildung hinzutrat. Mit rastloser Thätigkeit wurde auch die Armee reformirt. Schon unter Friedrich Wilhelm II. war versucht worden die Cantonsein richtung zu revidiren, und bereits damals war davon die Pflege des Patriotismus abhängig erklärt worden. Das Reglement vom 12. Februar 1792 proclamirte rückhaltlos die allgemeine Wehrpflicht und erklärte die Ausnahme davon nur für jene Kategorien bestimmt, welche, nạch damaliger Ansicht, zur Beförderung des Wohlstandes, also in anderer Beziehung, dem Staate dienen. Praktisch jedoch kam man bei der Ausdehnung dieser Ausnahmen immer noch nicht über das Cantons system hinaus, vielmehr erlitt die Wehrkraft des Landes eine weitere Schwächung durch Aufhebung der Land - Regimenter.
Erst
1805
wurden dieselben unter dem Namen der Land-Reservetruppen, und zwar aus den gedienten Leuten der Regimenter, wieder organisirt. Die vollständige Durchführung dieser Institution wurde jedoch durch die Occupation der Franzosen unterbrochen. Nach den Unglücksschlägen von 1806 erhielt die Leitung dieser Organisationsarbeiten General von Scharnhorst , dessen Vorschläge im Allgemeinen über das vor dem Kriege Angestrebte nicht hinaus gingen. Seine Absicht war zunächst dahin gerichtet, die Reserve truppen bei der eng begrenzten Zahl der der Preuszischen Armee gestatteten Stärke, ohne Ueberschreitung derselben, auf einen mög Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX. 19
278
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes .
lichst hohen Stand zu bringen durch eine raschere Beurlaubung der Soldaten und Einziehung der Recruten, welche Maasznahmen im Verlaufe noch weitere Ausdehnung fanden . Als im Jahre 1812 der unglückliche Feldzug gegen Russland die Macht Napoleons tief erschütterte, schritt der König dazu, bei Bildung der freiwilligen Jägerschaaren an die Vaterlandsliebe der Bevölkerung Diesem Aufrufe hatte in noch höherem Grade, als die immerhin noch beschränkte Wehrverfassung , die Wirksamkeit zu appelliren.
des sogenannten Tugendbundes vorgearbeitet , der es sich zur Auf gabe gemacht , die Liebe zum Vaterlande und den Hass gegen die fremden Unterdrücker zu verbreiten, ebensosehr aber auch das schmäh liche Verhalten der Französischen Generale und Offiziere, welches den Ingrimm der Nation noch steigerte . Der reiche Zuzug , den diese freiwilligen Jäger - Detachements fanden , ermuthigte und berechtigte zu jenem weiteren berühmten Schritte, welcher am 9. Februar 1813 alle Ausnahmen von der Ver pflichtung zum Militairdienste aufhob und die bisher nur theoretisch vorhandene allgemeine Wehrpflicht zur Wahrheit machte. Das nunmehr gewonnene ungeheuere Material an Menschen er möglichte die Bildung der Landwehr, wodurch nicht blosz die Armee auszerordentlich vermehrt, sondern auch der Geist der militairischen Pflicht auf alle Kreise der Gesellschaft übertragen wurde. Glänzend war der Erfolg dieser Organisation in den alten Preuszischen Pro vinzen, insbesondere in der Churmark und in Ostpreuszen, welche am meisten schon unter Friedrich dem Groszen geleistet, am schwersten die Bedrückungen Napoleons empfunden hatten.
Das schlechteste Resultat lieferte Schlesien, das am wenigsten gelitten und unter der Herrschaft der Cantonsverfassung sich noch der meisten Ausnahmen zu erfreuen gehabt hatte . Die Offiziere für die nun so zahlreichen Neuformationen konnten von der stehenden Armee nicht abgegeben werden ; sie mussten aus der Landwehr selbst entnommen werden.
Der Drang der Zeit machte
es unmöglich , deren Ernennungen durchweg Seitens der Krone er folgen zu lassen ; nur die Generale und Brigadiers wurden durch den König, die übrigen Offiziere aber durch die Kreisausschüsse erwählt. Doch wurden die letzteren vom Könige bestätigt und für die Dauer des Krieges mit Patenten beliehen , jedoch derart , dass Landwehr Offiziere immer hinter den jüngsten Berufs - Offizieren der gleichen Charge rangirten .
Als nach Beendigung des Krieges am 3. September 1814 die Neuregelung der Wehrpflicht erfolgte, wurde das in dem Drange der
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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Umstände Gestaltete zu einem organischen Institute umgeschaffen, welches der gesammten Preuszischen Armee eine durchaus veränderte Während in Frankreich das selbst unter der Republik
Gestalt gab.
nie vollständig durchgeführte Princip der allgemeinen Wehrpflicht an dem Mangel an wahrem selbstlosen Patriotismus scheiterte, erhob es sich in Preuszen zu einer dauernden Grundinstitution des ganzen Staats- und Volkslebens . Indem so das gesammte Volk wieder dem Vaterlande dienstbar gemacht und mit dem militairischen Geiste patriotischer Pflicht erfüllung wieder inprägnirt wurde, gewann auch der nunmehr ver edelte Stand der Offiziere höheres Ansehen und gröszere Wirkung nach unten.
Er stellte jetzt erst in seiner unbedingten Ergebenheit
gegen das Staatsoberhaupt den festen inneren Kern dar für die nationale Wehrkraft, und erfuhr einen höheren Einfluss dadurch, dass der Offizierstand sich lediglich als Stellvertreter stempelte für den Willen der Königlichen Gewalt, mit welcher sich das Vaterland re präsentirte. Aber noch mehr ; dasselbe Gesetz vom 3. September 1814 er klärte das stehende Heer zur Hauptbildungsschule der ganzen Nation für den Krieg und eröffnete dem Offizierstande einen Wirkungskreis , in welchem seine Thätigkeit nicht blosz den präsenten Soldaten, sondern dem ganzen Volke sich mittheilte. Das Offiziercorps , das so zum Bildner und Erzieher der Nation wurde ,
erhielt dadurch seine edelste und
wichtigste Stellung , in welcher sein Geist in guter , wie in schlimmer Richtung zum Geiste des ganzen Volkes , und der Offizier stand zum sittlichen Prototyp des ganzen Staates wurde. Diese Fortschritte haben sich allmälig allen Deutschen Staaten mitgetheilt, und die Offiziere des Deutschen Heeres zu dem gemacht, was Friedrich der Grosze und die Befreiungskriege aus den Preuszi schen Offizieren gemacht haben . Eine Institution ist hierbei als vollständig neue entstanden : das Institut der Reserve- und Landwehr-Offiziere, das seine Entstehung der plötzlichen colossalen Vermehrung der Preuszischen Armee, seine Erhaltung aber der groszen Differenz zwischen der Stärke des im Frieden präsent gehaltenen stehenden Heeres und dessen groszartiger Anschwellung durch die allgemeine Wehrpflicht im Kriege verdankt. Neben dem eigentlichen Offizierstande, der berufsmäszig gebildet, die Führung des Heeres nicht blosz, sondern auch dessen Erziehung und Bildung zur Aufgabe hat, tritt nun eine andere Kategorie von 19 *
280
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
Offizieren , deren Aufgabe keine berufsmäszige ist und sich vor wiegend nur auf die Führung der Untergebenen im Kriege be schränkt.
Dem Offizierstande im engeren Sinne können diese, da
ihnen der berufsmäszige Charakter fehlt , nicht beigezählt werden. Da ihnen aber gleichwohl im Kriege die gleichen Aufgaben zufallen, wie den Berufs- Offizieren, so müssen jene so geartet sein, dass sie im Stande sind, bei ihrem Wiedereintritte in den Waffendienst sofort die Thätigkeit des Offizierstandes erfüllen zu können . Und ist auch ihnen die ausbildende Thätigkeit erspart , so müssen sie doch durch ihre persönlichen Eigenschaften im Stande sein, den Berufs-Offizier an Pflichttreue und Beispiel zu ersetzen .
Ist demnach die Thätig
keit dieser Kategorie von Offizieren zwar quantitativ eine geringere, so erfordert sie doch die gleichen persönlichen Eigenschaften, ins besondere jenes Pflichtgefühl, das, die eigene Person vollständig ver leugnend, nichts Anderes kennt, als den Gehorsam gegen die Inter essen und Gesetze des Vaterlandes. Die Hingebung und Treue gegen den Monarchen muss auch für sie in allen ihren Lebenslagen Princip sein, denn wenn sie derselben morgen bedürfen, können sie ihrer unmöglich heute entrathen. Unter dieser Voraussetzung bleibt auch ihre Wirksamkeit nach unten fest gesichert, ja sie findet sogar ihre Unterstützung darin, dass gerade das leuchtende Beispiel volks thümlicher Elemente noch mehr den gewöhnlichen Bürger mit sich zu ziehen vermag, als das eines besonderen Standes. -
Wir sind mit der Darstellung der geschichtlichen Entwickelung des Offizierstandes an dem Punkte, an welchem die Geschichte in die Jetztzeit übergeht, und damit an dem Ende unserer Aufgabe an gelangt.
Wie jedes Blatt der Geschichte reich ist an Lehren aller Art, so enthält auch die Geschichte des Offizierstandes unschätzbare
Erfahrungssätze darüber, schadet.
was dem Stande frommt und was
ihm
Was das Verhältniss des Offizierstandes zum Kriegsherrn be trifft , so ist jener nur dann das vollkommene, zuverlässige Organ für den Willen dieses, wenn er in dem Verhältnisse unbedingter Er gebenheit und Treue zu dem Kriegsherrn steht , wenn er demnach keine andere politische Meinung kennt , als die, welche ihm das Vaterland durch den Mund des Kriegsherrn kundgiebt. Dieses Ver hältniss steht am niedrigsten, so lange es nur beruht auf persönlicher Abhängigkeit und egoistischem Interesse, es steht und fällt dann mit diesen seinen Grundlagen.
Edler ist es , wenn das Band , das den
Offizierstand mit dem Kriegsherrn verknüpft, die Liebe zum Vater lande ist ; dass diese Anforderung im höheren Grade erfüllt ist, wenn
Die geschichtliche Entwickelung des Offizierstandes.
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Vaterland und Kriegsherrlichkeit sich in der sichtbaren Aeuszerlich keit eines Monarchen darstellen, ist aus der menschlichen Natur zur Genüge erklärt. In noch höherem Grade knüpft sich das Band zwi schen Offizierstand und Kriegsherrn, in dem Maasze, als der letztere sein persönliches Interesse der Armee entgegenträgt ; und am höchsten da, wo der Monarch und Kriegsherr auch der Feldherr ist. Der Einfluss des Offizierstandes nach unten ist vollkommener,
wenn die Herrschaft des Offiziers über seine Untergebenen nicht be ruht auf des letzteren persönlicher Abhängigkeit vom Vorgesetzten, sondern auf der von der höchsten Autorität abgeleiteten Befehls befugniss.
Sie wird es noch mehr, wenn der über den Offizierstand
gebietende Kriegsherr auch der Monarch ist über die Untergebenen im Heere, d. h. wenn Offiziere und Mannschaften gemeinsames Vater land und gemeinsames politisches und militairisches Oberhaupt haben. Der Einfluss des Offiziers wächst mit seiner geistigen und sittlichen Ueberlegenheit über die wehrpflichtigen Elemente, und in dem Maasze, als er mit diesen Eigenschaften in häufigem Verkehre und gutem Beispiele seinen Untergebenen durchdringt. Die höchste Stellung findet der Offizierstand , der im Besitze der höchsten Pflichttreue , der unbedingten geistigen Ueberlegen heit und der vollsten Herrschaft über die Untergebenen zum Erzieher einer Nation bestimmt ist. Verderblich wirkt in jeder Beziehung die Einmischung eigen süchtiger Bestrebung , die Sucht nach Glanz und das Streben nach Gewinn und Erwerb ;
das sind Dinge, die sich nicht mit dem Sol
datenstande, geschweige denn mit dem Offizierstande vertragen, und die es vermögen, eine glänzende und vortreffliche Armee in unglaub lich kurzer Zeit unglaublich weit herunter zu bringen. So zeichnet uns die Geschichte in der Darstellung vergangener Dinge unser Verhalten in Gegenwart und Zukunft vor.
An ihrer
Hand vermögen wir zu erkennen , dass wir uns auf dem rechten Wege zum Ideale befinden, können wir erforschen, nach welcher Richtung wir noch am meisten zu arbeiten haben, an ihrer Hand finden wir am besten die Kraft zur Arbeit und das Vertrauen zum Gelingen.
282
Die Correspondenz Napoleons I.
XVIII .
Die Correspondenz Napoleons
I.
unter besonderer Berücksichtigung seines Briefwechsels in der zweiten Hälfte des Jahres 1805.
(Schluss .) *) Bevor wir zu dem letzten Acte des Feldzuges von 1805, zur Schlacht von Austerlitz, übergehen, dürfte es angemessen sein , uns noch einmal kurz die Lage der groszen Armee am 17. November Abends nach dem Gemetzel von Schöngraben und Grund vor das Gedächtniss zu führen .
In und um Znaym, woselbst am 17. No
vember das Kaiserliche Hauptquartier aufgeschlagen wurde, standen vom Cavallerie-Corps des Prinzen Murat die Divisionen Nansouty, d'Hautpoul , Walther und mit ihnen vereint die Cavallerie- Division Lassalle des Lannes'schen Corps .
Von den übrigen Divisionen des
Murat'schen Reiter- Corps streifte die Dragoner- Division Klein an der oberen Thaya gegen die östliche Grenze Böhmens , die Dragoner Division Beaumont stand in der Gegend von Wien, während die Dragoner-Division Bourcier, erst gegen Ende October aus der Gegend von Geislingen abberufen, gegenwärtig auf dem Marsche nach Wien war,
wo sie mit der letzten Woche des Monats November eintraf.
Die unberittene Dragoner- Division des Generals Baraguay d'Hilliers operirte gegen die westliche Grenze Böhmens auf Waldmünchen. Die Garden und die Infanterie-Division Caffarelli erreichten die Thaya auf der Strasze Wien-Znaym, hinter ihm standen bei Jetzelsdorf die Divisionen Oudinot's und Suchet's vom Corps Lannes, Legrand und Vandamme vom Corps Soult, während dessen dritte Division St. Hilaire mit dem Reste der Cavallerie eben einen Marsch rückwärts bei Holla brunn eintraf.
Diese Truppen bildeten zusammen mit der erstge
nannten Reiter - Division vom Murat'schen Corps das Centrum. In seiner rechten Flanke hatte der Kaiser auf der Strasze von Wien nach Nikolsburg die leichte Cavallerie-Brigade Milhaud , welche zur Zeit des Inn - Ueberganges zur Armee gestoszen war bei Poysdorf, hinter ihr auf der Strasze nach Wien echelonnirt die Division Friant vom Davoust'schen Corps , dessen andere Division Gudin in und um
*) Vergl. Jahrbücher Band XX, Seite 23 und 151 (Juli und August 1876).
Die Correspondenz Napoleons I. Wien concentrirt war.
283
In der linken Flanke erreichte Bernadotte
mit dem ersten Corps und der ersten Bayerischen Division die Gegend von Schrattenthal ; hinter ihm überschritt Mortier bei Mautern mit den erschöpften Divisionen Gazan und Dupont die Donau, die Division Dumonceau auf dem rechten Ufer zwischen Mautern und Moelck belassend .
Linz war durch eine Würtembergische Brigade
besetzt, während die Badische Division auf die wichtigsten Plätze Bayerns vertheilt war. Den Rücken dieser Aufstellung der groszen Armee deckten Marmont in Steyermark, Ney in Tyrol und das Reserve- Corps des Marschalls Augereau, welches nach der Capitulation von Ulm von Mainz heranbeordert worden war, in Vorarlberg. Gleichzeitig operirten in Italien Massena am Isonzo und St. Cyr bei Venedig. Aus dem Gesagten geht hervor, dass in diesem Augenblicke die Lage der Dinge, trotz der schnellen Einnahme der feindlichen Haupt stadt und des Eindrucks , den die Nachricht hiervon auf die Feinde des Kaisers und auf ganz Europa gemacht haben musste , keine glänzende für denselben war, und dass der Fehler, welchen Murat in seiner Leichtgläubigkeit begangen hatte, um so ärgerlicher für Napoleon sein musste, als dem entronnenen Feinde in demselben Augenblicke Verstärkungen zugeführt wurden, wo die Deckung des eigenen Rückens und der Etappenlinien immer mehr Kräfte ab sorbirten .
Für eine Action im Norden Wiens, in der Gegend von
Znaym oder Brünn, waren Französischerseits in diesem Augenblicke nicht mehr als 60,000 Mann disponibel , die in ein bis anderthalb Tagen concentrirt sein konnten.
Die Marschälle Mortier und Davoust
konnten hierbei kaum in Betracht kommen,
da die erschöpften Di
visionen des Ersteren zu weit zurück und die des Letzteren gröszten theils durch die Besetzung von Wien absorbirt wurden .
Es war zu
befürchten, dass die in Böhmen gesammelten Truppen, circa 12,000 Mann, die der von Ulm geflüchtete Erzherzog Ferdinand commandirte, die Detachirung wenigstens eines Corps benöthigen würden , deren Theilnahme an einer Entscheidungsschlacht fraglich geworden wäre . Dann aber kam vor allen Dingen auch die Italienische Armee unter Erzherzog Karl in Betracht , welche, mit dem gröszten Theile der von Tyrol vereint , eine Macht von 80,000 Mann repräsentirte, die sich der Oesterreichischen Hauptstadt näherte, gehoben durch die in Italien bewiesene vorzügliche Haltung.
Die Stärke dieser Armee,
welche man in 10 bis 12 Tagen bei Wien erwarten durfte, war genügend, um die Franzosen in Niederösterreich zu beschäftigen und zugleich mit dem gröszeren Theile bei der Entscheidung in Mähren mitzuwirken.
284
Die Correspondenz Napoleons I. Wie peinlich war bei der Ausdehnung des Kriegsschauplatzes
für die grosze Armee das Herannahen einer feindlichen Armee im Rücken, und das Bewusstsein, die weit nach Osten vorgeschobene Stellung im Feindeslande gegen überlegene Massen mitten im Winter vertheidigen zu müssen ! Schlieszlich schien - und das war unter den drohenden Gefahren die bedenklichste - auch für Preuszen jetzt die Stunde der Entscheidung gekommen, denn die glückliche Wen dung , welche die Thätigkeit des Preuszischen Abgesandten , des Grafen Haugwitz , für Frankreich hervorbrachte, liesz sich in diesen Tagen noch nicht absehen. ― Es war also klar, dass man sich der Entscheidung in diesem letzten Acte des Feldzuges näherte , und dass alle die vorstehend hervorgehobenen Erwägungen eine solche leicht zu Gunsten der Alliirten hätten herbeiführen können. Denn auszer den soeben mit getheilten, für Frankreich ungünstigen Umständen kam noch die durch das Eintreffen der Armee des Russischen Generals Buxhövden bei Wischau eingetretene Verstärkung der unmittelbar gegenüber stehenden feindlichen Armee zur Geltung. Hierdurch hatten die Streitkräfte der Verbündeten unter Kutusoff im Ganzen die Zahl von 83,645 Streitern erlangt, sie war mithin Napoleon, der , wie wir ge sehen, für die nächsten Tage nur über 60,000 Mann verfügte, um ein Beträchtliches überlegen.
Aber weit entfernt, sich durch seine
numerische Unterlegenheit und die von allen Seiten drohenden ernst lichen Gefahren zu einer vorsichtigen Kriegführung verleiten zu lassen und sich zu einer rückwärtigen Concentration zu entschlieszen, konnte ein Feldherr wie Napoleon I. gerade in seiner Schwäche nur die Aufforderung zu gesteigerter Kühnheit finden .
Die Nothwendigkeit,
möglichst schnell und ehe die von allen Seiten herannahenden Ver stärkungen gefährlich werden konnten, in Mähren eine Entscheidung herbeizuführen, trat mit aller Klarheit vor seine Seele.
Er war ent
schlossen, die Schlacht, die, wie er glaubte, Kutusoff ihm bei Brünn anbieten würde, anzunehmen. Leider bietet gerade an dieser Stelle, wo wichtige Entschlüsse die Seele des groszen Mannes beschäftigten, die Correspondenz Na poleons I. eine bedauerliche Lücke.
Wir finden verhältnissmäszig
wenig Spuren seiner Thätigkeit während dieser Tage in Bezug auf die Operationen. Kutusoff zog am 18. November mit dem alliirten Heere nach Brünn, räumte jedoch alsbald auch diese Stadt und trat mit Bux hövden vereint den Rückzug auf Olmütz an. In der Nähe dieser Festung bezog er am 22. November die starke Stellung von Olschan,
285
Die Correspondenz Napoleons I.
deren linker Flügel an die hier zweimal überbrückte March gestützt und deren rechter Flügel durch bedeutende Moräste geschützt war. Die Voraussetzung des Kaisers, dass Kutusoff bei Brünn halten und eine Schlacht anbieten werde, fand sich also nicht bestätigt. dessen
In
waren alle Dispositionen für diese Eventualität getroffen .
Bei einer weiteren Verfolgung des Feindes musste jedoch ein Theil des Bernadotte'schen Corps zum Schutze der linken Flanke gegen Böhmen hin verwandt werden.
Der genannte Marschall erhielt daher
Befehl , mit der Tête seines Corps über Znaym
auf Budwitz zu
rücken, die hintere Division jedoch für die zu erwartende Entschei Wurde diese Entscheidungs dung bei Znaym stehen zu lassen. schlacht in den nächsten Tagen nicht geschlagen, so konnte der Kaiser auch noch auf die Heranziehung entfernterer Truppentheile des Davoust'schen Corps von Wien - rechnen, welches er durch Mortier mit den Divisionen Gazan und Dupont ersetzen liesz .
So
bald nun der weitere Rückzug des Feindes auf Brünn bekannt ward, erhielt in der Frühe des 19. Novembers Murat Befehl zur weiteren Verfolgung.
Lannes folgte ihm mit den Divisionen Oudinot und
Suchet auf Brünn . Ueber diesen Ort hinaus zu gehen, hielt der Kaiser nicht für opportun, vielmehr fühlte er sehr richtig das Bedürfniss, bei demselben Halt zu machen und aus einer gründlichen Ueber schau über seine weit zerstreuten Streitkräfte und die des Feindes Gesetze zu neuen Unternehmungen zu suchen.
Am 20. November
mit seinem Hauptquartiere bis Pohrlitz vorgerückt , bestärkten ihn Murat's Meldungen und die Aussagen der Gefangenen in der An nahme, dass die erwartete Schlacht etwas mehr in die Ferne gerückt sei .
Die getroffenen Maasznahmen gingen daher einzig und allein
dahin , dass Murat dem Feinde mit der gesammten Cavallerie auf den Fersen blieb, während das Lannes'sche Corps und die Division Caffarelli nicht über Brünn hinausgehen durften ,
und
Soult am
20. November von Nikolsburg nach Austerlitz dirigirt wurde, wo er am 21. November eintraf und nun den rechten Flügel des Kaisers bildete.
In der Mitte dieser Aufstellung standen die Kaiserlichen
Garden zur directen Verfügung ihres Herrn.
Bernadotte's Corps und
die ihm zugetheilte Bayerische Division Wrede wurde zur Deckung des linken Flügels auf der Strasze Znaym-Iglau derart echelonnirt, dass das Gros seines Corps in längstens 48 Stunden nach Brünn herangezogen werden konnte. Diese Maasznahmen des Kaisers waren der Situation vollkommen entsprechend .
Seine Lage musste
sich jedoch in Erwartung der mannigfachen, vorher besprochenen Umstände mit jeder Stunde ungünstiger gestalten.
Die Verbindung
286
Die Correspondenz Napoleons I.
der Armee mit den östlichen Grenzländern Frankreichs war bereits so lang, dass er sie nicht mehr als eine feste Basis betrachten durfte. Diese letztere lag vielmehr an der Donau und in den Oesterreichi schen Erbstaaten , deren Verwaltung er in die Hand genommen hatte. Sie war durch die von Italien vordringende Armee des Erzherzogs Wurde dieser von Massena verfolgt, und gelang es
Karl bedroht.
Letzterem seine Verbindung mit Marmont herzustellen, dann konnte der Erzherzog durch die Kräfte dieser beiden Marschälle wohl noch in seinem Vordringen aufgehalten werden . Aber am 22. November wusste der Kaiser noch Nichts von Massena's Verfolgung, wohl aber von dem Rückzuge des Erzherzogs . Er schreibt Ersterem daher an diesem Tage durch Berthier, nachdem er ihn über die Lage der groszen Armee und die des Marschalls Marmont orientirt hat , aus Brünn (22. November 1805 ) :
„ Es ist die Absicht des Kaisers, Herr Mar
schall , dass Sie den Feind ohne Aufenthalt verfolgen. Lassen Sie vor Venedig ein Beobachtungscorps und verfolgen Sie den Feind mit gezogenem Degen, damit er sich nicht auf uns werfen könne, die wir uns Angesichts der gesammten Kräfte des Russischen Heeres befinden. Der Kaiser erwartet also mit gröszter Ungeduld die Ankunft Ihrer Truppen in Laybach oder Gratz , weil Sie in dieser Stellung den Prinzen Karl im Zaume halten und ihn hindern werden über die Donau und durch Ungarn in die Höhe von Wien Wenn er dies Manöver machte, so würden Sie Zeit haben Befehle abzuwarten, sei es, um sich nach Ungarn zu begeben, zu kommen.
oder sich der groszen Armee zu nähern . “
„ Lassen Sie alle Italienischen Truppen , sowie die Polen zur Disposition des Vice-Königs, denn es ist die Absicht des Kaisers, sie nicht nach Tyrol vordringen zu lassen, bevor er nicht ihren Zustand kennt ; indess wird er in Bezug hierauf weitere Befehle geben. " 8 Gelang es Massena nicht im Sinne der Kaiserlichen Instruction zu verfahren, und näherte sich das Heer des Erzherzogs Karl der Donau, dann war der Kaiser gezwungen, sich mit dem bei Brünn versammelten Heere zum Schutze seines Rückens gegen den Sieger von Caldiero zu wenden und dessen Vereinigung mit den Russen entgegen zu treten. Dann war er der Gefahr, von seinen Feinden in die Mitte genommen zu werden, ausgesetzt. Blieb Napoleon bei Brünn stehen in der Erwartung eines feindlichen Angriffes, so konnte er beträchtliche Truppenmassen zum Schutze seiner Operationsbasis an der Donau belassen und sie im Bedarfsfalle nach Brünn heran ziehen, oder zu Marmont's Unterstützung abrücken lassen. Ergriff der Kaiser seinerseits über Brünn hinaus gegen den in fester Position
Die Correspondenz Napoleons I.
287
bei Olschan verschanzten Feind die Initiative, so befand er sich in einer taktisch höchst ungünstigen Lage und hätte zudem noch die Donau entblöszen müssen, weil die dort stehenden Truppen unbedingt zur Verstärkung hätten herangezogen werden müssen. Wer stand ihm dafür, dass der Feind von Olschan nicht abermals zurückging ? Dann war er zur Verfolgung genöthigt , musste die Donaulinie frei geben und dem Erzherzoge im Süden freie Hand lassen, wobei die weiteren Consequenzen gar nicht abzusehen waren. Diese Erwägungen hielten den Kaiser bei Brünn fest.
Er be
absichtigte in der Nähe der Mährischen Hauptstadt eine defensive Entscheidungsschlacht zu führen und zwar möglichst bald, ehe der An der Verzögerung des Erzherzog Karl heranrücken konnte. Marsches dieses Letzteren war daher Viel gelegen. Ging der Kaiser aus der Entscheidungsschlacht als Sieger hervor, dann war es klar, dass auch ein Beitritt Preuszens zur Coalition nicht mehr zu be fürchten war.
Bei der augenblicklichen Lage der Dinge und in
Anbetracht des Potsdamer Vertrages vom 3. November war aber Preuszens Beitritt mit jedem Moment zu gewärtigen . ―――――― Die stra tegische Lage des Kaisers lässt sich also mit wenigen Worten da hin präcisiren, dass er das gröszte Interesse hatte, bald eine Ent scheidungsschlacht zu schlagen, ohne jedoch seinen Feinden gegen über die
Rolle des
Angreifers
übernehmen zu können .
Um die
Herbeiführung des Kampfes dreht sich fortan die ganze Thätigkeit des Kaisers im Lager bei Brünn. Dieselben Erwägungen,
welche den Kaiser den Entscheidungs
kampf herbeisehnen lieszen, mussten es den Verbündeten wünschens werth machen, denselben so lange hinauszuschieben,
bis die Ein
wirkung des Erzherzogs Karl von der Donau her gesichert erschien , oder bis Preuszens schwankende Haltung sich entschieden hatte. Dass die Eitelkeit des Kaisers Alexander, welcher sich seit einiger Zeit im Russischen Hauptquartiere befand , und begierig war, sich als Feldherr zu zeigen, von einem Theile seiner Umgebung eifrigst genährt wurde und den Rathschlag Kutusoff's überwog, ist einer jener seltenen Glückszufälle, die das Genie Napoleons so häufig unterstützten . War man auf Seite der Verbündeten in diesem unheilvollen Feldzuge bis her anf allen Punkten zu spät gekommen, so wollte man nun den letzten Act des Feldzuges gewaltsam verfrühen und dem Feinde den Sieg in die Hand spielen.
Am 24. November ward
im Haupt
quartiere der Verbündeten der Entschluss gefasst , die Französische Armee in ihrer Stellung bei Brünn anzugreifen, lediglich aus dem Grunde, weil das eitle und hochmüthige Russenthum ungeduldig war,
Die Correspondenz Napoleons I.
288
den Kaiser an der Spitze seiner bei Dürrenstein und Schöngraben bewährten Truppen seinen Feldherrnruf durch einen Sieg über den Französischen Kaiser begründet zu sehen. Kutusoff's entgegengesetzte Ueberzeugung und sein ,
sowie Schwarzenberg's dringender
Rath
keinesfalls jetzt zu schlagen, ehe der Erzherzog zur Entscheidung mitwirken könne, waren nicht im Stande, das Verhängniss, dem man entgegeneilte, länger aufzuschieben. Betrachten wir nun die Thätigkeit des Kaisers für die zu er wartende Schlacht ! Am 24. November erlässt er einen Tagesbefehl, der auszer einer kurzen Orientirung folgende Punkte berührt : „ Es ist die Absicht des Kaisers der Armee einige Augenblicke Ruhe zu gönnen.
Die Truppenbefehlshaber sollen sie benutzen, um die Be
kleidung und das Schuhzeug repariren, die Waffen reinigen und Alles vereinigen zu lassen. Sie sollen sich die Mühe nehmen, eine Nach weisung der Nachzügler aufstellen zu lassen, die ohne gesetzlichen Grund zurückgeblieben sind ; sie sollen den Soldaten empfehlen, die selben mit Verachtung zu strafen, denn in einer Armee, wie die Französische, ist die härteste Strafe für Den, der nicht an den Ge fahren und am Ruhme hat Theil nehmen können, die Verachtung seiner Kameraden.
Wenn es übrigens Leute giebt, die sich in einer
solchen Lage befinden, so zweifelt der Kaiser nicht daran, dass sie begierig sein werden, sich bei den ersten Gefechten zu vereinen und Die Truppenbefehlshaber sollen sich an ihre Fahnen zu ketten. an ihre Majors schreiben, um den Etat der Depots zu heben,
und
sobald sie denselben erhalten haben, sollen sie ihn dem Major General (Berthier) einreichen.
Die Nachrichten aus Frankreich be
sagen, dass alle Recruten abgegangen sind und von allen Seiten zu sammenströmen. " „ Der Kaiser empfiehlt jedem Manne den Gebrauch des Bajonnets , welches stets die Lieblingswaffe des Französischen Soldaten war." Brünn sollte für die bevorstehende Schlacht dem Kaiser einen Stützpunkt bieten.
Es ward sofort die entsprechende Besetzung und
Armirung dieser Stadt angeordnet und für die Einrichtung von La zarethen zur Aufnahme von Verwundeten und Kranken umfassende Anstalten getroffen.
Um der Armee den schon seit längerer Zeit
rückständigen Sold zukommen zu lassen,
schrieb der Kaiser starke
Contributionen aus und führte ein geregeltes Requisitionssystem ein, die Kräfte Mährens in ausgedehnter Weise für die Zwecke seiner Armee ausnutzend . Da die Verbündeten eine bedeutende Masse Cavallerie auf dem
Die Correspondenz Napoleons I.
289
linken Marchufer zusammengezogen hatten, so erliesz der Kaiser, in der Befürchtung, dass solche Maaszregeln zur Maskirung einer auf die Wegnahme Wiens oder die Vereinigung mit Erzherzog Karl ab zielenden Bewegung dienen könnten, an Davoust Befehl, die Di vision Gudin bis Pressburg vorzuschieben und sich der Marchbrücke von Neudorf zu bemächtigen.
Gudin sollte bei Pressburg ein Ba
rackenlager in der Form eines Quadrats mit vier Redouten beziehen . Murat und seiner Cavallerie, sowie dem am meisten exponirten Soult' schen Corps , ward die äuszerste Wachsamkeit empfohlen .
Die Di
visionen des letzteren Corps mussten ebenso, wie die auf der Nikols burger Strasze bei Zistersdorf stehende Division Friant vom Davousť schen Corps, täglich bei Tagesgrauen concentrirt sein.
Auch für die
Vertheidigung der feindlichen Hauptstadt wurden alle Vorbereitungen getroffen, und die Räumung des Arsenals nach Braunau, welche schon am 23. November an General Songis befohlen war, möglichst beschleunigt.
Schlieszlich wurde zur Verbindung mit Marmont die
Division Dumonceau von Mautern nach Neustadt verlegt und zum Schutze der Donaubrücke bei erstgenanntem Orte nur ein schwaches Detachement belassen. Mit diesen taktischen Vorbereitungen ging ein genaues Studium des Terrainabschnittes zwischen Brünn und Austerlitz, als des voraus sichtlichen Schlachtfeldes, Hand in Hand . Tägliche Recognoscirungs ritte, welche meist in Begleitung der Marschälle ausgeführt wurden, mögen den Kaiser schon damals auf die wichtige Rolle aufmerksam gemacht haben, welche die Höhen von Pratzen in dem bevorstehen den Kampfe möglicherweise spielen könnten. zu viel gesagt ,
Indess ist es gewiss
wenn man behauptet , dass der
ganze Plan der
Schlacht schon in jenen letzten Novembertagen fertig vor der Seele des Kaisers gestanden habe.
Denn dazu war in jenen Tagen die
Absicht des Feindes doch zu wenig durchsichtig.
Erschienen doch
noch am 25. November Graf Gyulai und Stadion im Französischen Hauptquartiere , um Friedensunterhandlungen anzuknüpfen . Auf einen minder kühnen Feldherrn hätte das Erscheinen der beiden Unterhändler zu einer für die Französische Armee so gefährlichen Stunde leicht einen Eindruck machen können, der den Feldzug in anderer Weise entschieden hätte, als die Schlacht von Austerlitz. Ein Napoleon aber überwies die beiden Abgesandten seinem Minister Talleyrand nach Wien mit dem trockenen Bemerken , dass jener mehr Zeit zu Unterhandlungen habe . Er durchschaute sofort die Absicht der Verbündeten, den Streich, den man Murat gespielt hatte, mit ihm
zu wiederholen und
seine Wachsamkeit
einzuschläfern,
Die Correspondenz Napoleons I.
290
während das verbündete Heer seine Angriffsbewegung begann.
In
gleicher Weise wurde auch der Preuszische Abgesandte Graf Haug witz, nachdem er durch Napoleon so lange in Iglau aufgehalten war, dass er mit den Oesterreichischen Unterhändlern nicht zusammen treffen konnte, später an Talleyrand dirigirt. Am 26. November giebt der Kaiser dem Marschall Soult, und jedenfalls wohl auch den übrigen Marschällen, seine Ansicht über die den Russen gegenüber zu beobachtende Schlachtordnung zn erkennen. Sie war auf die Division als Einheit basirt, und bestimmte, dass von jeder Brigade ein Regiment im ersten Treffen *) , das zweite im zweiten Treffen, derart aufgestellt sein sollte, dass die beiden Ba taillone des zweiten die des ersten nach rechts, resp. links hin de bordirten , dass zwischen den Bataillonen des zweiten Treffens die Artillerie und hinter der ganzen Aufstellung mindestens
eine Es
cadron Cavallerie per Brigade stehen sollte.
Die Flügel der Auf stellung waren mit wenigen Geschützen bedacht. — Dann ergehen
am 28. November die Befehle zur Concentration an die Marschälle, in welchen auf den am 29. oder 30. November bevorstehenden Kampf hingewiesen wird.
Indess enthält die Correspondenz nur die an den
General Caffarelli und den Marschall Marmont gesandten mit der Bemerkung, dass analoge Briefe auch an Davoust, Mortier, Boyer und Marmont gesandt worden seien.
Wir lassen des Interesses für
die Form halber den an Bernadotte ausgefertigten Befehl hier folgen. Brünn, den 28. November, 8 Uhr Abends : „ Der Marschall Bernadotte erhält Befehl ,
seine Avantgarde so schnell als möglich auf Wien
dirigiren zu lassen ;
er selbst soll sich , ohne einen Augenblick zu
verlieren, mit seinen Truppen in Marsch setzen, um so schnell als möglich Brünn zu erreichen . Er soll seinen Adjutanten zu mir vorausschicken, um mich über die successive Ankunft seiner Truppen in Kenntniss zu setzen und die Positionen , die er jenseits Brünn einnehmen soll , zu erfahren .
Er soll die Bayern über alle seine
Bewegungen in Kenntniss setzen, damit sie sich an ihn heranziehen und nach Umständen handeln können ; der Marschall Bernadotte soll seine Armee wissen lassen, dass morgen oder übermorgen jenseits Brünn eine Schlacht stattfinden wird ; er soll die Gewehre in Stand setzen und sich mit Munition versehen, seine Artillerie wird kriegs mäszig marschiren und er soll so viel Brod als möglich mitnehmen . “ Zu diesen Concentrationsbewegungen mögen zum Theil die über den Feind
und dessen
beabsichtigte Bewegung eingegangenen
*) Das Französische Linien- Regiment hatte nur zwei Bataillone.
Nach
Die Correspondenz Napoleons I.
291
richten, zum Theil auch gerade die Ankunft der Oesterreichischen Unterhändler, deren Absicht der Kaiser richtig durchschaute , die Veranlassung gegeben haben. Ehe
wir
zur
Entstehungsgeschichte
des
Schlachtplanes
von
Austerlitz übergehen und die getroffenen Anordnungenkurz bespre chen, müssen wir noch eines vom 30. November 4 Uhr Nachmittags an Talleyrand gerichteten Schreibens gedenken, der, während der Kaiser sich zur Schlacht rüstete, mit Stadion, Gyulai und Graf Haug Nachdem er seinem Minister den witz in Wien unterhandelte. Wunsch, den Frieden geschlossen zu sehen, zu erkennen gegeben hat, fährt er fort : „ Sie werden Herrn von Haugwitz gesehen haben ; er hat in seiner Unterhaltung mit mir viel Feinheit, fast möchte ich sagen, viel Talent entwickelt ; indess habe ich mir sowohl aus dem Briefe, als aus seinen Reden die Ansicht erhalten , dass man in Berlin ungewiss über den zu fassenden Entschluss sei. Verlangen Sie ihm Erklärungen über den Eintritt der vereinigten Armee auf Hannoversches Gebiet ab. Er wird voraussichtlich antworten, dass diese Truppen in Uebereinstimmung mit den Principien des Königs , welche er mir mehrfach ausgesprochen hat , dort eingerückt sind , dass der König nicht wolle, dass sich der Krieg
im Norden ent
wickele, und dass er demzufolge die Russisch- Schwedisch-Englische Armee verhindern wolle, den Norden zu passiren und sich nach Morgen wird voraussichtlich eine sehr ernste Holland zu begeben. Ich habe Viel gethan , Schlacht mit den Russen stattfinden . sie zu verhindern , weil es umsonst vergossenes Blut ist. Ich habe mit dem Kaiser von Russland einen Briefwechsel ge habt.
Alles , was mir davon geblieben, ist die Ueberzeugung , dass
es ein braver, würdiger Mann ist , der durch seine Umgebung ge leitet wird, welche den Engländern dergestalt verkauft ist, dass sie mich zwingen wollen,
Genua dem Könige von Sardinien zu geben
und auf Belgien zu verzichten .
Sie werden auf den Rücken fallen ,
wenn Sie hören, dass Herr von Novosiltzoff proponirt hat , Belgien mit Holland zu vereinigen. Auch haben alle verständigen Leute denselben für verrückt erklärt und gesagt :
„ Die ganze Umgebung 6666
des Kaisers ist noch in denselben Gedanken befangen ·
99 Melden Sie nach Paris, dass ich seit vier Tagen inmitten meiner Grenadiere bivouakirend nur auf meinen Knieen schreibe und von jetzt ab schwerlich mehr schreiben kann . sehr gut. "
Im Uebrigen geht es mir
Die tiefe Menschenkenntniss des Kaisers , eine seiner hervor stechendsten Eigenschaften, deren hohe Bedeutung gerade für den
292
Die Correspondenz Napoleons I.
Feldherrn Jedermann klar ist , haben wir auch an dem, in diesem Briefe über Haugwitz und seine Mission und Kaiser Alexander ab gegebenen Urtheil zu erkennen Gelegenheit. Man thut nicht Un recht, wenn man in dieser Eigenschaft, in der richtigen Erkenntniss der Menschen und der Verhältnisse, einen Factor erblickt, der in direct ein wesentlicher Hebel zum Siege wurde. - Wenden wir uns nun zu den Ereignissen von Austerlitz. Wir hatten gesehen, dass der Kaiser,
sobald er von dem Ab
marsche der feindlichen Armee aus dem Lager von Olschan in der Richtung auf Brünn Kenntniss erhielt, die Concentration der Armee bei Brünn angeordnet hatte.
Im Laufe des 1. Decembers und bis
zum Abende dieses Tages trafen in Folge der erlassenen Befehle alle Heertheile, mit Ausnahme der Besatzung Wiens und der noch auf dem Marsche von der unteren March her befindlichen Division Gudin, in und bei Brünn ein , so dass der Kaiser am Morgen des 2. Decembers über circa 74,000 Mann verfügt haben mag. Die Versammlung erfolgte östlich Brünns auf dem rechten Ufer des Gold Baches und des Bosenitzer Baches unter der allgemeinen Idee, die Armee zu jeder Bewegung nach vorwärts oder rückwärts bereit zu halten und jeden von Seiten des Angreifers begangenen Fehler so fort benutzen zu können .
Um auf dem freieren, südlich der Haupt
strasze von Brünn auf Olmütz sich ausdehnenden Terrain in etwaigen offensiven Bewegungen nicht gehemmt zu sein, liesz der Kaiser die Position des Santon - Berges , welche jene Strasze nach Osten hin völlig beherrscht, stark befestigen und mit Geschützen krönen . Mit fieberhafter Aufmerksamkeit verfolgte er sodann den ganzen 1. De cember über von jenem Berge aus die Bewegungen der feindlichen Armee ; und noch ehe die Dunkelheit hereinbrach , hatte sich diese Bewegung schon so entschieden ausgesprochen, dass mit groszer Wahrscheinlichkeit die Positionen zu erkennen waren, welche die Verbündeten in der kommenden Nacht einnehmen würden, und aus welchen sie am folgenden Morgen zum Angriffe übergehen würden. Die Meldungen der Cavallerie bestätigten diese Wahrnehmungen des Kaisers und die Fortsetzung des Marsches der Verbündeten in der Richtung, wie sie der Kaiser erkannt hatte. Das Zurückhalten des feindlichen rechten Flügels und das weite Vorschieben des linken wiesen unzwei deutig darauf hin ,
dass die Absicht der Verbündeten
auf die Umgehung des Französischen rechten Flügels gerichtet sei und zwar unter der Voraussetzung , dass das Französische Heer in seiner Stellung hinter den
Die Correspondenz Napoleons I. 293
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9.Brünn Bell Bell owitz
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Maxendorf Goldbach
Kobelnitx
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Ottmarau
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SatesanT. 0 TECLA500 7000 2000 5000 OUTNEY Hollandai FORT 5000Schritte Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX. 5000 20
L
Die Correspondenz Napoleons I.
294
Defiléen des Gold- und Bosenitz - Baches verbleiben würde.
Die auszuführende Umgehung konnte dann nur auf einem
taktisch schwierigen Terrain,
zwischen den Teichen von Satchau
und Kobelnitz stattfinden, wodurch eine Trennung der Kräfte des Angreifers bedingt wurde.
Auf Grund dieser Erwägungen unter
nahm der Kaiser einen Plan, dem an Kühnheit und Wagniss kaum je eine militairische Unternehmung gleichgekommen ist .
Nicht wie
ein gewöhnlicher Feldherr wollte er sich durch das Defilée decken und sich hinter demselben aufstellen, sondern durch dasselbe hin durchstoszen, die Kräfte des Feindes theilen und den Umgehenden selbst umgehen. Es ist wieder die groszartige Idee der stetigen Initiative, die diesen Plan im Geiste des Kaisers gedeihen liesz. Niemals überliesz er, wenn irgend möglich, dem Gegner die Initiative und nahm von ihm die Gesetze des Handelns an ; aber diese in der strategischen Defensive bewiesene Initiative ist jedenfalls eine der groszartigsten Unternehmungen, welche die Kriegskunst aller Zeiten aufzuweisen hat. Das Hauptaugenmerk des Kaisers bei diesem • Plane war auf die schon erwähnte Höhe von Pratzen gerichtet. Während der Feind sich zur Umgehung des rechten Flügels an schicken
würde und sich in dem
schwierigen Terrain
zwischen
Sümpfen und Seen engagirte, sollte ein kühner Vorstosz aus dem Centrum auf die Höhen von Pratzen die Russisch-Oesterreichische Armee theilen und somit die Schlacht für den Kaiser von Frank reich entscheiden . In diesem Sinne erliesz der Kaiser seine Befehle, die wir nicht unterlassen dürfen , des hohen Interesses wegen in voller Ausdehnung mitzutheilen : „ Allgemeine Dispositionen für den Tag des 2. De cembers 1805. Bivouak östlich Brünn den 1. December 812 Uhr Abends . " „ Der Marschall Soult hat Befehle zu geben, dass seine drei Divisionen um 7 Uhr Morgens jenseits des Ravins so aufgestellt sind, dass sie bereit sind,
das Manöver des Tages zu beginnen,
welches ein echelonweiser Vormarsch sein soll unter Vorziehung des rechten Flügels . Der Marschall Soult hat sich um 712 Uhr Morgens beim Kaiser in dessen Bivouak einzufinden. " „S. H. der Prinz Murat wird der Cavallerie des Generals Kellermann, der der Generale Beaumont, Walther, Nansouty, d'Haut poul Befehl ertheilen ,
dass diese Divisionen um 7 Uhr Morgens
zwischen dem linken Flügel des Marschalls Soult und dem rechten des Marschalls Lannes derart aufgestellt sind, dass sie so wenig als möglich Raum einnehmen, und dass im Moment,
wo der Marschall
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Die Correspondenz Napoleons I.
Soult sich in Marsch setzt, die ganze Cavallerie unter den Befehlen des Prinzen Murat den Bosenitz-Bach passirt und sich im Centrum der Armee befinde. " „ Der General Caffarelli erhält Befehl, sich um 7 Uhr Morgens mit seinen Divisionen auf den rechten Flügel der Division Suchet zu begeben, nachdem er den Bach überschritten hat.
Da die Division
Suchet sich in zwei Treffen aufstellen soll , so hat sich die Division Caffarelli auch in zwei Treffen aufzustellen, mit je einer Brigade in einem Treffen ; dann wird der Platz, den augenblicklich die Division Suchet einnimmt, genügen für diese beiden Divisionen . " „ Der Marschall Lannes hat darauf Acht zu geben , dass die Divisionen Suchet und Caffarelli stets hinter dem Hügel sind , so dass sie vom Feinde nicht bemerkt werden . “
„ Der Marschall Bernadotte wird sich um 7 Uhr Morgens mit seinen beiden Infanterie- Divisionen in dieselbe Position begeben, die heute am 1. December durch die Division Caffarelli besetzt ist , mit der Ausnahme,
dass ihr linker Flügel in
der Höhe des Santon
Berges hinter diesem sein soll und dort in Regiments - Colonne zu bleiben hat. " „Der Marschall Lannes hat seiner Grenadier-Division Befehl zu ertheilen, sich in Schlachtordnung vor ihrer jetzigen Position auf zustellen mit dem linken Flügel hinter dem rechten der Division Caffarelli.
Der General Oudinot hat das Debouché, wo er den Bach
zu passiren hat, recognosciren zu lassen, welches dasselbe sein wird, durch welches der General Soult seinen Marsch genommen hat. " „ Der Marschall Davoust bricht mit der Division Friant und der Dragoner - Division des
Generals Bourcier um 5 Uhr Morgens von
der Abtei Raigern auf, um den rechten Flügel des Marschalls Soult zu gewinnen. Der Marschall Soult wird über die Division Gudin, sobald sie ankommt, verfügen . " Um 72 Uhr finden sich die Herren Marschälle beim Kaiser in dessen Bivouak ein, um neue Befehle zu erhalten, je nach den Bewegungen , könnte . "
die der Feind während der Nacht gemacht haben
„ Die Cavallerie des Marschalls Bernadotte wird in Gemäszheit obiger Dispositionen dem Befehle des Marschalls Murat unterstellt, der ihr die Stunde anzugeben hat, zu welcher sie aufbrechen muss, damit sie um 7 Uhr in Position ist. " „ Prinz Murat erhält auch über die leichte Cavallerie des Mar schalls Lannes den Befehl.
Alle Truppen verbleiben bis auf neuen
Befehl in dem oben erwähnten Verhältnisse. " 20 *
Die Correspondenz Napoleons I.
296
„ Da die Cavallerie des Prinzen Murat in ihrer ersten Stellung möglichst wenig Raum einnehmen soll, so ist sie in Colonne aufzu stellen.
Der Marschall Davoust wird an der Abtei 112 Escadrons
vom 21. Dragoner - Regiment finden , welche er in das Bivouak zu schicken hat." „Jeder der Herren Marschälle hat die auf ihn bezüglichen Be fehle auf Grund der vorliegenden Disposition zu erlassen. " Die wichtige Position des Santon-Berges , auf welchen der linke Flügel gestützt war, hatte der Kaiser bereits am Nachmittage des 1. Decembers dem 17. leichten Regimente unter dem Befehle des Generals Claparède übertragen und diesem Generale einen Eid ab genommen, dass er seinen Posten mit Aufopferung aller Kräfte ver theidigen werde. Der vorstehende Befehl , zu dessen besserem Verständnisse wir noch das 30. Bulletin der groszen Armee consultiren müssen, ent hielt also im Wesentlichen nichts Anderes als eine enge Concentration der Armee auf einem verhältnissmäszig geringen Raume, wobei der gröszte Theil des Heeres in der Frühe des 2. Decembers bereits über die Defiléen des Bosenitz-Baches vorgezogen war. Das Commando des rechten Flügels wurde dem Marschall Soult, das des linken dem Marschall Lannes, das des Centrums dem Marschall Bernadotte an vertraut , wobei theilweise ein Zerreiszen der taktischen Verbände nöthig wurde. Die gesammte auf einem Punkte vereinigte Cavallerie stand unter Murat's Befehlen. Der linke Flügel des Marschalls Lannes war auf den Santon gestützt, zu dessen specieller Vertheidi gung, wie erwähnt , das 17. leichte Regiment berufen war. Hieran schloss sich die Division Suchet (des 4. Corps) und die Division Caffarelli, so dass Lannes, dessen Division Oudinot zur Reserve ab gegeben war, nur über fremde Truppen verfügte.
An Caffarelli
lehnte sich Murat's Cavallerie, welche die Husaren und Chasseurs unter Kellermann, sowie die Dragoner-Divisionen Walther und Beau mont vorne ,
die
Cürassiere Nansouty's und d'Hautpoul's
in Re
serve hatte. Von Bernadotte's Truppen im Centrum schloss sich die Division Rivaud an Murat an, rechts von ihr stand die Division Drouet.
Das Soult'sche Corps, welches den rechten Flügel bildete,
war bis auf die Division Suchet vollständig versammelt und hatte links, an Drouet anschlieszend, die Division Vandamme, in der Mitte die Division St. Hilaire, rechts die Division Legrand , welcher die Vertheidigung der Defiléen von Sokolnitz und Tellnitz übertragen war.
Davoust , der um 5 Uhr von der Abtei Raigern aufbrechen
297
Die Correspondenz Napoleons I.
sollte, war bestimmt, den rechten Flügel Soult's zu verstärken und die Linie des unteren Gold-Baches zu vertheidigen. Der Kaiser selbst hatte sich die Disposition über die Garden und über die Grenadier-Division Oudinot als über eine allgemeine Reserve
vorbehalten.
Sie waren
hinter dem
Soult'schen
Corps
aufgestellt. Die weiteren Dispositionen waren sehr
richtig
von den Be
wegungen des Feindes abhängig gemacht und sollten in der Frühe des Schlachttages auf Grund der persönlichen Wahrnehmungen des Kaisers den um ihn versammelten Marschällen mündlich mitgetheilt werden. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass in der schwieri gen Lage, in welcher der Kaiser sich befand, die getroffenen Dis positionen als mustergültig zu bezeichnen sind. Nur einem so klaren und scharf denkenden Geiste, nur einem Kraftgenie wie Napoleon konnten sie entspringen. Und diese kühne Sicherheit des Feldherrn, diese feste Zuversicht auf den Sieg theilte
sich in wunderbarer
Weise, wie eine magnetische Kraft, dem ganzen Heere mit, welches inmitten einer kalten, schneeigen Winternacht vor Kampfbegier glühte. Bei einem nächtlichen Gange des Kaisers durch die Bivouaks seiner Truppen soll sich einer der ältesten Grenadiere, der ihn erkannt, ihm genähert und ihm die folgenden für die Stimmung der Armee charakteristischen Worte zugerufen haben : „ Sire tu n'auras pas besoin de t'exposer.
Je te promets que tu n'auras à combattre que des
yeux et que nous t'amènerons demain les drapeaux et l'artillerie de l'armée russe pour célébrer l'anniversaire de ton couronnement. " So verstehen wir auch , dass Napoleon, als er sich in seine Strohhütte zu kurzer Rast niederlegte, die Worte ausrief: soirée de ma vie."
„ Voilà la plus belle
Von der Richtigkeit seiner Wahrnehmungen über die Absichten des Feindes völlig überzeugt ,
erliesz der Kaiser am Abende des
1. Decembers , nachdem die Befehle für den folgenden Tag aus gegeben waren, folgende Proclamation an die Truppen, in welcher er seinen Schlachtplan in groszen Zügen mittheilt : „Soldaten ! Die Russische Armee stellt sich vor Euch , um die Oesterreichische von Ulm zu rächen.
Es sind dieselben Bataillone, die Ihr bei Holla
brunn geschlagen und seitdem unaufhörlich bis hierher verfolgt habt. Die Positionen, die wir behaupten, sind gewaltig, und während sie marschiren, um meinen rechten Flügel zu umgehen, werden sie mir die rechte Flanke bieten ." „Soldaten, ich werde selbst alle Eure Bataillone dirigiren , ich werde mich fern vom Feuer halten, wenn Ihr mit gewohnter Bravour
Die Correspondenz Napoleons I.
298
Unordnung und Verwirrung in des Feindes Reihen bringt.
Wenn
aber der Sieg einen Augenblick zweifelhaft wäre, dann würdet Ihr Euren Kaiser sich der drohendsten Gefahr aussetzen sehen, denn der Sieg darf nicht schwanken an diesem Tage, wo es sich um die Ehre der Französischen Infanterie handelt, welche einen wesentlichen Theil der Ehre der ganzen Nation bildet. "
„ Niemand verlasse die Reihen unter dem Vorwande, Verwundete abzuführen, und Jeder sei von dem Gedanken durchdrungen, diese Söldner Englands, welche ein so groszer Hass gegen unsere Nation erfüllt, zu besiegen. " „ Dieser Sieg wird unseren Feldzug beendigen, und wir werden unsere Winterquartiere wieder einnehmen können, wo uns die neuen Dann Armeen erreichen werden, die sich in Frankreich bilden. wird der Friede, den ich machen werde, würdig sein meines Volkes, Eurer und meiner."
Eine so stolze Sprache durfte der grosze Schlachtenlenker am Wie er Vorabende der Entscheidungsschlacht ungestraft führen . vorausgesagt, Wort für Wort, so geschah es . Noch leuchtender und bewundernswürdiger aber tritt uns das Feldherrngenie Napoleons , welches er in der Anlage und Vorbereitung der Schlacht von Austerlitz bekundete, hervor, wenn wir seinen An ordnungen die der verbündeten Heeresleitung gegenüber halten. Dieser kamen einmal alle jene für Napoleon ungünstigen, politischen und strategischen Constellationen ,
die wir
früher
eingehend
be
sprochen hatten, zu Gute, während sie andererseits auch das nu merische Uebergewicht hatte. Nachdem man sich zu dem unglück lichen Plane einer Offensive entschlossen hatte, zu einer Zeit , wo Abwarten geboten war, verzögerte man den Abmarsch um drei Tage, um die Armee zu verproviantiren, so dass Napoleon längst die Nach richt vom Vormarsche der Armee erhielt , noch ehe er angetreten wurde.
Der Vormarsch selbst, eine Strecke von sieben Meilen,
er
forderte fünf volle Tage ; man liesz also dem feindlichen Oberfeld herrn Zeit, seine Kräfte aus Böhmen und von der Donau an sich zu ziehen, ohne welche er den Schlag nicht führen konnte, man begab sich der Einwirkung des Erzherzogs Ferdinand in Böhmen, der des Erzherzogs Carl ,
welcher sich Wien näherte, und schlieszlich der
Mitwirkung einer noch im Anmarsche begriffenen Russischen Colonne. Nachdem man sich am 1. December angesichts der gesammten Fran zösischen Streitkräfte befand, entwarf die oberste Heeresleitung der Verbündeten einen Plan, der auf einer falschen Basis über die Stellung und Stärke des Feindes beruhte .
Ohne sich die Mühe zu geben,
299
Die Correspondenz Napoleons I.
die Cavallerie zu einer sorgfältigen Recognoscirung des Feindes zu verwenden, stützte der General Weyrother, Generalstabschef des ver bündeten Heeres, seinen Plan auf die Annahme, dass Napoleon, wie ein gewöhnlicher Feldherr, hinter dem Defilée stehen bleiben und dort die Schlacht annehmen werde.
Durch eine Umgebung seines
rechten Flügels wollte man den Feind von seiner Operationslinie ab- und ihn in Böhmens Gebirge zurückdrängen.
Auf Grund der
Karte entwarf dann der Generalstab der Verbündeten eine Disposition , die, mehrere Bogen umfassend, sich in tausend Unwahrscheinlichkeiten erging und für jeden einzelnen Fall jeder der fünf Colonnen , in die man jene ungefügige Armee, der einheitliche Leitung dringend Noth that, getheilt hatte, ihre Bewegungen vorschrieb.
General Weyrother
übersah dabei vollständig, dass die Durchführung dieser Disposition von den Bewegungen der ersten Colonne abhängig war, welche von ihrem Lagerplatze bis zu demjenigen Punkte, wo nach der Disposition der eigentliche Kampf erst beginnen sollte, also beim Dorfe Turas, 12 Deutsche Meilen zurückzulegen und dabei zwei schwierige, vom Feinde besetzte Defiléen zu passiren hatte ! Eine auf solchen Voraus setzungen fuszende Disposition , die noch
dazu in einer fremden
Sprache geschrieben war, mussten die Generale des
verbündeten
Heeres im Hauptquartiere Kutusoff's zu mitternächtlicher Stunde von dem Generale Weyrother verlesen hören , während der Russische Oberfeldherr selbst sich süszem Schlummer überliesz und beim Er wachen die Generale entliesz . Dann erst erfolgte die Uebersetzung der Weyrother'schen Dispositionen ins Russische und deren Ausgabe an die Truppen, welche am 2. December früh 8 Uhr in Besitz derselben gelangten, als sie alle bereits im Vormarsche und zum groszen Theile im Gefechte begriffen waren .
Nun aber
zeigte der Morgen des 2. Decembers Napoleons Heer vor dem selben Defilée , hinter welchem man es zu finden ge hofft hatte ,
und damit war der Sieg , falls man bei jener Dis
position beharrte, schon am Morgen für Napoleon entschieden . Ent schloss man sich noch am 2. December frühzeitig zu einem Angriffe des Französischen Centrums mit vereinter Kraft, so hätte dies Unter nehmen in Anbetracht der numerischen Ueberlegenheit noch einen glücklichen Ausgang der Schlacht möglich gemacht.
Wie verhielt sich nun Kaiser Napoleon in jener Nacht , wo im Hauptquartiere der Verbündeten General Weyrother mit stolzer Zu versicht seine Disposition vortrug und Kutusoff seine Opposition durch festen Schlaf ausdrückte ? Nachdem er am 1. December bis tief in die Nacht hinein bei den Vorposten gewesen, verlässt er am
Die Correspondenz Napoleons I.
300
2. December früh 4 Uhr sein Zelt, und begiebt sich wieder zu den Vorposten, um zu horchen.
Ein vernehmbares Geräusch von Kanonen
und Munitionswagen bestärkt ihn in der Annahme, dass eine Be wegung von dem linken nach dem rechten Flügel der Verbündeten vorgenommen wird .
Sobald der Tag graute , gegen 7 Uhr, ward
diese Annahme, wie sich der Kaiser persönlich überzeugte, zur Ge wissheit, und eine halbe Stunde später finden wir ihn im Kreise seiner Marschälle, diesen die gemachten Wahrnehmungen mittheilend und Befehle ertheilend.
In demselben Moment giebt der vom rechten
Flügel herübertönende Kanonendonner einen neuen Beweis, dass der Kaiser sich nicht geirrt habe. Sein Verhalten während der Schlacht ist bewunderungswürdig .
Nach 8 Uhr, als sich die Nebel zertheilen
und die Sonne durchbricht, bemerkt der Kaiser die von den Höhen von Pratzen in südwestlicher Richtung herabsteigende Russische Co lonne .
Nun schien der Moment zum Vorgehen gegen diese Höhen
gekommen, und mit voller Ruhe befiehlt er dem in seiner Nähe be findlichen Marschall Soult, noch eine Viertel- Stunde zu warten und dann gegen die Höhen vorzugehen . Der Kirchthurm von Pratzen wird den Divisionen Soult's als point de vue angegeben und im raschen Anlaufe werden diese Höhen gegen 11 Uhr genommen. Das Schicksal des Tages war damit entschieden, die Stellung der Ver bündeten war durchbrochen, ihr linker Flügel gänzlich abgeschnitten, dem rechten die Rückzugslinie auf Olschan verlegt. ―――――― Einen nicht unwesentlichen Theil für das Gelingen dieses Angriffes auf die Höhen von Pratzen trägt allerdings
der zähe Widerstand Davoust's am
unteren Gold - Bache, wo dieser tapfere General mit 10,000 Mann drei Stunden lang gegen fast vierfache Ueberlegenheit Stand hielt. Gelang es den Alliirten, das Davoust'sche Corps nach Norden hin aufzurollen, dann war der Vorstosz gegen die Höhen von Pratzen zur Unmöglichkeit gemacht. Mit dem Auge des Feldherrn beobachtete Napoleon von einer Höhe aus in vollkommenster Ruhe den Gang der Schlacht , jede Blösze, die sich der Gegner gab , zu seinem eigenen Vortheile aus nutzend , und für jede Bewegung mit gröszter Sicherheit die Minuten abwägend.
Es unterliegt keinem Zweifel , dass ,
wollte man den
Werth seiner Siege, die er in einer jahrelangen ruhmvollen Lauf bahn erfocht , mit einander vergleichen , dem Siege von Austerlitz der Preis zuzusprechen sei. Er hat hier bewiesen, dass nicht grosze Massen, auf einer weiten Strecke vertheilt, die Garantie des Erfolges in sich tragen ,
sondern , dass
auch weit schwächere Kräfte zur
rechten Zeit vereint durch die Richtung , in der sie der Feldherr
Die Correspondenz Napoleons I. verwendet
301
und durch die Schnelligkeit der Bewegung eine
nichtende Kraft besitzen können .
ver
Die Idee, über das Defilée zu
gehen, ist kühn und spricht das dem groszen Manne in so hohem Grade eigene Selbstvertrauen, welches ihm das Bewusstsein seiner geistigen Ueberlegenheit, die Kenntniss der eigenen und die richtige Beurtheilung der feindlichen Truppen verlieh, aus . Der Erfolg hat das Unternehmen gerechtfertigt. Ein mittelmäsziger Feldherr könnte in gleicher Lage leicht eine der glänzendsten Niederlagen erlitten haben, und man hätte seine Kühnheit bitter getadelt. Trotzdem aber lehrt uns die Geschichte aller groszen Männer, dass in der Kriegs kunst nur Derjenige Groszes zu vollbringen im Stande war, der den Muth hatte, zu wagen . Der Sieger von Austerlitz konnte nun am Morgen des 5. De cembers von Austerlitz, wo er sein Hauptquartier genommen, seine Armee in folgender stolzer Proclamation begrüszen : „ Soldaten !
Ich bin zufrieden mit Euch.
Alles , was ich von
Eurer Unerschrockenheit erwartete, habt Ihr am Tage von Auster litz gerechtfertigt. geziert.
Ihr habt Eure Adler mit unsterblichem Ruhme
Ein Heer von 100,000 Mann , von den Kaisern von Oester
reich und von Russland commandirt, ist in weniger als 24 Stunden abgeschnitten oder zerstreut worden . Was Eurem Schwerte entging, ist in den Teichen ertrunken. 40 Fahnen, die Standarten der Kaiser garde Russlands , 120 Geschütze, 20 Generale, mehr als 30,000 Ge fangene sind das Resultat dieses für ewig berühmten Tages .
Diese
so gerühmte Infanterie hat Eurem Angriffe nicht zu widerstehen ver mocht , und von jetzt ab habt Ihr keine Nebenbuhler fürchten.
mehr
zu
Der Friede kann nicht mehr fern sein ; ich werde nur
einen Frieden machen, der uns Garantien giebt und unseren Ver bündeten Belohnungen sichert." ,,Soldaten ! Als das Französische Volk die Kaiserkrone auf mein Haupt setzte, vertraute ich mich Euch, um sie stets in jenem Ruhmes glanze zu erhalten , der allein ihr in meinen Augen Werth verleiht. Aber in demselben Augenblicke sannen unsere Feinde darauf, sie zu zerstören und zu erniedrigen. Und diese mit dem Blute so vieler Franzosen erkaufte Eisenkrone wollte man mich zwingen auf das Haupt eines unserer grausamsten Feinde zu setzen. Kühne und thörichte Pläne, die Ihr am Jahrestage der Krönung Eures Kaisers vernichtet und zerstreut habt.
Ihr habt unseren Gegnern gelehrt, dass
es leichter ist, uns zu trotzen und uns zu drohen, als uns zu be siegen. " „ Soldaten !
Wenn Alles , was nöthig ist , um das Glück und
Die Correspondenz Napoleons I.
302
Wohl unseres Vaterlandes zu sichern, vollendet sein wird, werde ich Euch nach Frankreich zurückführen.
Dort werdet Ihr der Gegen
stand meiner zärtlichsten Fürsorge sein.
Mein Volk wird Euch mit
Freuden wiedersehen, und es wird genügen zu sagen : Ich war bei der Schlacht von Austerlitz , um Euch die Antwort zu erwerben : Das ist ein Tapferer. " Freilich ist unter den Tapferen und unter Denen, deren persön licher Anstrengung man den Sieg verdankte, in erster Linie der Kaiser selbst zu nennen, der am Abende des 5. Decembers an Joseph schreibt :
„ Ce soir je suis couché dans un lit dans le beau château
de M. de Kaunitz à Austerlitz et j'ai changé de chemise ce que ne m'était pas arrivé depuis huit jours." Unermüdlich, den ganzen Tag zu Pferde, theilte der Kaiser bekanntlich alle Leiden und Entbehrun gen mit seinen Soldaten . An Talleyrand , der inzwischen Gyulai , Stadion und Haugwitz in Wien hinzuhalten und zu beschäftigen gehabt hatte, schrieb er nun : „ Ich kann Ihnen nur zwei Worte schreiben. Eine Armee von 100,000 Mann, von beiden Kaisern befehligt, ist völlig zertrümmert. Jede Erklärung wird überflüssig.
Die Verhandlungen sind null und
nichtig, da es auf der Hand liegt, dass sie nur eine Kriegslist waren, um mich einzuschläfern.
Sagen Sie Herrn von Stadion,
dass ich
nicht der durch List Uebertölpelte gewesen bin, dass ich sie des halb von Brünn fortgeschickt habe, dass nach der verlorenen Schlacht die Bedingungen nicht mehr dieselben sein können. "
Dann schreibt
er ihm am 4. December nach der mit dem Kaiser von Oesterreich gehabten Zusammenkunft :
„ Der Kaiser von Deutschland hat
eine
Begegnung von mir verlangt , ich habe sie gewährt , sie hat von 2 bis 4 Uhr gedauert. Ich werde Ihnen laut sagen, was ich davon denke : Er hätte am liebsten gleich Frieden geschlossen ; er hat mich von der Gefühlsseite gepackt, ich habe mich vertheidigt, eine Kampfart, die mir, wie ich Sie versichere, nicht schwer wird .
Er hat einen
Waffenstillstand von mir verlangt , diese Nacht soll man kommen, die Bedingungen zu regeln. " Der diplomatischen Thätigkeit eröffnet.
wurde
nun
ein weites
Feld
Leider verbieten uns die dieser Aufgabe gestellten Grenzen der vielseitigen Thätigkeit des Kaisers, der sich nur indirect durch seinen Einfluss auf Talleyrand an den Unterhandlungen betheiligte, zu folgen. Hervorheben wollen wir jedoch , wie Kaiser Napoleon, trotzdem er den Frieden selbst wünschte und ihn als nahe bevorstehend ansah, stets bemüht war, den kriegerischen Geist seines Heeres zu erhalten,
303
Die Correspondenz Napoleons I.
und seine Kriegsfertigkeit ebenso unermüdlich zu fördern, als wenn er von Neuem in " einen Feldzug hätte eintreten müssen. Es blieb nun noch Neapel zu züchtigen, und auszerdem wollte der Kaiser jeden Augenblick bereit sein, den Krieg wieder aufzu nehmen , falls man sich seinen Bedingungen nicht fügte. „ Man giebt der öffentlichen Meinung," schreibt er am 13. December von Schön brunn aus an Fouché, „ eine falsche Richtung, indem man ihr soviel vom Frieden spricht. Abschluss .
Die Eröffnung der Unterhandlungen ist kein
Entwickeln Sie neue Thätigkeit, damit die Recruten
marschiren und dass die Mittel zur Verstärkung der groszen Armee fortdauern. "
Ja selbst von Paris aus ,
als der Friede schon ge
schlossen, schreibt er dem getreuen Berthier :
„ Da Herr von Haug
witz noch nicht hier ist, so wachen Sie darüber, dass meine Armee in der Lage bleibe, Krieg zu führen, und mit der Schnelligkeit des Gedankens zu handeln , damit ,
wenn der Fall einträte ,
meine Pläne nicht getäuscht werden. " Gedenken müssen wir auch noch der rühmlichen Fürsorge des Kaisers für die Hinterbliebenen der für das Vaterland Gefallenen. Schon am 7. December regelten zwei Decrete die Höhe der Pensionen für die Wittwen der Gefallenen und verhieszen die Adoption aller Kinder durch den Kaiser. - Dann wandte sich sein besorgter Blick nach dem Vaterlande, wo neue Thätigkeit seiner harrte und wo Vieles in seiner Abwesenheit Versäumte nachzuholen, Viel zu ver bessern war. Trotzdem aber ertheilte er über die Dislocation seiner Truppen während der Friedensunterhandlungen und über die Art der Evacuation des feindlichen Gebietes selbst wie früher in ähnlichen Sachen die umfassendsten Instructionen an Berthier.
Auch die Eva
cuation des erbeuteten Kriegsmaterials ordnete der Kaiser persönlich an und entfaltete bis zum letzten Augenblicke jene regsame, Alles umfassende Thätigkeit ,
die wir im Verlaufe dieser Darstellung un
ablässig hervorzuheben bemüht waren.
Dann nimmt er am 27. De
cember von seinem Heere Abschied , ermahnt es zur strengsten Mannszucht während des Rückmarsches nach Frankreich und ver kündet gleichzeitig die neue Arbeit , die in Italien einen Theil der Armee noch züchtigen.
erwarte ,
um
den treulosen König von
Neapel
zu
Die Energie, mit welcher er diesen Feldzug betrieben
wissen wollte, leuchtet aus dem Befehle, den er dem Prinzen Joseph, dem neu ernannten Oberbefehlshaber der Italienischen Armee zu kommen liesz, hervor : „ Partez 48 heures après la réception de cette lettre pour Vous rendre à Rom et que Votre prémière dépêche
304
Die Correspondenz Napoleons I.
m'apprenne votre entrée à Naples que Vous en avez chassé une cour perfide et rangé cette portion de l'Italie sous nos lois." Am 28. December 1805 tritt der Kaiser von Schönbrunn aus die Rückreise an und erreicht am 31. December München, wo er fast drei Wochen bis zum 18. Januar 1806 verweilte, um den Ver mählungsfeierlichkeiten seines Stiefsohnes Eugen mit der Prinzessin Auguste von Bayern beizuwohnen . Auch diese Heirath ist das Verdienst seiner allseitigen Thätigkeit.
Auch für die zarteren Ge
fühle des Herzens wusste er inmitten des Kriegsgetümmels Zeit zu erübrigen.
Am
18. Januar 1806 verlässt der Kaiser München und
trifft am 27. Januar über Carlsruhe und Straszburg in Paris ein, das er am 25. September 1805 verlassen hatte . hatte seine Abwesenheit gedauert .
Nicht volle vier Monate
Was innerhalb derselben ge
schah , und wie es geschah , das wissen wir, die wir den Kaiser während dieser Zeit Schritt für Schritt begleiteten. Die Blüthenlese
aus der Correspondenz
des groszen Kaisers
während des Feldzuges von 1805 in Deutschland hat hier ihr Ende erreicht, jedoch ohne dass Alles, was aus derselben interessant und lehrreich erschien, zur Mittheilung gelangen konnte. Wir haben bei Lösung dieser Aufgabe zum Theil unwillkührlich in eine Relation der denkwürdigen Ereignisse jenes Feldzuges verfallen müssen , die natürlich viel unvollständiger ausfallen musste, als man sie in vielen kriegsgeschichtlichen Darstellungen findet.
Mag
uns
hierfür
das
eigene Wort des groszen Schlachtenmeisters entschuldigen, dass ein immerwährend wiederholtes Studium der Feldzüge und Schlachten bedeutender Feldherrn das einzige Mittel sei , die Geheimnisse der Kriegskunst zu ergründen.
Der Einblick , welchen uns die Correspondenz Napoleons I. in die Seele dieses Riesengeistes gewährt , wird aber auch jedenfalls die Ueberzeugung in uns bestärkt haben, dass an Ordnungssinn, Pünktlichkeit und Arbeitskraft Keiner vor und nach ihm den groszen Gefangenen von St. Helena übertroffen hat. Um so mehr ist zu be dauern, dass blinde Leidenschaft und Parteihass, sowohl in seinem eigenen Vaterlande, als bei uns in Deutschland dieses werthvolle historische Denkmal bisher nicht genügend zu würdigen gewusst haben. _
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens etc. 305
XIX.
Ueber
den
Einfluss
der
Gestalt
und
Boden
beschaffenheit Italiens auf die Feld-Artillerie des Italienischen Heeres. (Eine Uebersetzung des 7. Capitels aus dem Werke des Hauptmanns Barabino : L'artiglieria da campo in Italia")
von H. Schmidt , Premier-Lieutenant im Pommerschen Fusz - Artillerie - Regiment Nr. 2. (Schluss. ) *) Wenn ich nun in aller Kürze auf einige allgemein bekannte Operationspläne, die im Po - Thale möglicherweise zur Ausführung kommen können, eingehen darf, so scheint es, dass, falls der Angreifer über die Westalpen hervorbricht , der Vertheidiger sicherlich nicht versuchen würde, in dieser Ebene , welche sich zwischen den öst lichen Abhängen dieser Alpen selbst und den westlichen von Langhe, den Albanischen Bergen, den Hügeln von Bra, Monta und Superga ausdehnt, Widerstand zu leisten, vielmehr liegt der Gedanke nahe, dass er in diesem Falle eine Stellung auf der soeben genannten Höhenkette nehmen wird.
Angenommen nun , dass die Neutralität der Schweiz verletzt wäre, und der Angreifer über die Centralalpen einzudringen sucht, so wird sich der Vertheidiger natürlicherweise beeilen, den Pass des Mont Cenis vorher in seine Gewalt zu bekommen, um von hier aus die eigentliche Vertheidigung der Alpen längs jener Vorkette, die sich vom Thale des Toce bis zu jenem des Oglio erstreckt , an ordnen zu können ; ist diese Linie forcirt, so wird der Vertheidiger Zwischen den Aus
an den Rückzug hinter den Po denken müssen.
läufern der Alpen und dem Flusse befindet sich keine Querlinie, die auch nur als ein mittelmäsziges taktisches Annäherungshinderniss betrachtet werden könnte , da sie nicht nur zwischen Ticino und Oglio, sondern auch zwischen Dora Baltea und Ticino in jedem Sinne von Canälen ( Cavour , Regio, Naviglio d'Ivrea und deren Ver zweigungen) , von der Sesia, Agogna, Terdobbia, Ticino, Adda, Oglio
*) Vergl. Jahrbücher Band XX, Seite 242 (August 1876).
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
306
durchschnitten ist .
Durch diese zuletzt genannten Flüsse, deren Ufer
mit zahlreichen Weiden- und Pappelgebüschen besetzt sind, wird die grosze Fruchtbarkeit dieser Ebene sehr befördert. Stände der Angriff von den Nordostalpen zu erwarten, so ist es möglich , dass der Vertheidiger zunächst alle Pässe von Tirol zu halten
und sich in den Julischen Alpen, oder wenigstens an dem
Engpasse zwischen Isonzo und Torre festzusetzen suchen wird .
In
einer solchen Voraussetzung würde das hügelige und bergige Terrain, welches sich von den äuszersten Abhängen der Alpen bis zu den Thalmündungen erstreckt , allerdings seine ganze Bedeutung und Werth zeigen , gerade wie dies mit den Hügeln und Bergketten, die den Garda - See umgeben , in den Feldzügen von 1796–97 , 1805-9-13-14-48-59 der Fall war. Die Namen von Salo, Lonato, Castiglione, Rivoli , Pastrengo, Sommacampagna, Custozza, Solferino , Vicenza, Primolano , Bassano, Cornuda, Longarone etc. würde man von Neuem in einem solchen Falle zu hören be kommen. Die Ebene von Friuli, unbedingt eine der geräumigsten Italiens, von einem Lagunenstrich des Meeres in der mittleren Breite von 10-15 Kilometer durchschnitten, ebenso wie vom Tagliamento, der Livenza, der Piave, der Sile und Brenta, würde als Vertheidigungs linie von geringem Nutzen sein, denn sobald Osoppo genommen, ist damit die lange Linie des Tagliamento umgangen ; bricht der Feind von Vittorio, Cornuda oder Bassano hervor, so sind die Linien der Livenza und der Piave nicht mehr zu halten, und es wird noth wendig, sich hinter die Etsch zurückzuziehen ; ist auch Rivoli und Pastrengo genommen, so wird der Vertheidiger hinter den Mincio zurückgehen müssen ; dasselbe gilt von den Stellungen bei Lonato und Desenzano . Alles das , was ich bis jetzt gesagt habe, scheint mir durch die zahlreichen kriegerischen Ereignisse, die sich hier abgespielt haben, und specieller derjenigen von 1813 und 1814 hinreichend bewiesen. In dieser Epoche musste der Prinz Eugen von Beauharnais mit nur wenigen und schlecht disciplinirten Truppen die Zugänge Italiens gegen die Oesterreicher vertheidigen.
Er marschirte jenseits der
Julischen Alpen und behauptete sich in dem Thale der Sau und Save so lange, bis Bayern im Vereine mit den übrigen Rheinbundstaaten sich definitiv gegen die heilige Alliance erklärten.
Durch diesen
Umstand wurde die Strasze des Puster- Thales dem Generale Hiller, der nun den Prinzen in der Front angriff, geöffnet, und die gleich anfangs eingeleitete Operation durch das Etsch-Thal auf Verona ge
auf die Feld -Artillerie des Italienischen Heeres.
307
nügte, obgleich sie nicht vollständig zu Ende geführt war, um den Prinzen zum Rückzuge bis hinter die Etsch zu zwingen. Die militairisch so wichtige Etschlinie zwischen den Carnischen, Julischen Alpen und dem Po stützt sich links an die äuszersten und steilsten Abhänge von Lessini , wo die bekannten Positionen von Montebello, Caldiero, Colognola etc. sich befinden ,
rechts an ein
Terrain, welches jetzt allerdings trocken gelegt ist, nämlich das Thal von Verona, aber nöthigenfalls von Neuem inundirt werden kann, wie das ganze Polinese.
In diesem Terrain war es, wo Napoleon
im Jahre 1792 bei Caldiero geschlagen wurde, aber schon zwei Tage darauf bei Arcole einen glänzenden Sieg davontrug. Es erübrigt nun noch einen flüchtigen Blick auf die Ebene rechts des Po zu werfen. Diese an und für sich wenig geräumige Ebene wird durch zwei Barrièren in drei verschiedene Abschnitte getheilt ; der erste gebildet durch die Hügelreihe von Langhe, Monferrato und Superga, der zweite durch die des Monte Corsica und Monte Antola. Von Westen nach Osten fortschreitend ,
findet man den zuerst
genannten Abschnitt in der von Saluzzo, Torino, Cuneo und Mondovi eingeschlossenen Ebene, die übrigens schon weiter oben andeutungs weise erwähnt worden ist. Diese Ebene, in der wir die für uns so unglücklichen Namen von Staffarda und Marsaglia finden, ist mit reichlichen Communications linien versehen und wenig bedeckt, daher zur Aufstellung gröszerer Truppenmassen an dem einen oder anderen Punkte sehr geeignet ; aber es erscheint mir nicht wahrscheinlich, dass der Vertheidiger, nachdem er den Angreifer am Vordringen in diese Ebene nicht hat hindern können, gerade hier eine Schlacht annehmen würde, während sich unmittelbar in seinem Rücken eine Reihe guter und vortheil hafter Positionen darbieten . Der zweite Abschnitt, der sich vom Monte Schiaro und Monte Settapani in den Seealpen bis zum Po, von Chivasso nach Bassignano erstreckt , gleicht bedeutend mehr dem angrenzenden Terrain von Villanova zwischen Dusino und Paolo, das übrigens im Allgemeinen von mehr oder weniger bedeutenden Höhenzügen durchzogen ist. Demnächst folgt der dritte und letzte Abschnitt, der von Alessan dria, welcher keine so bedeutende Ausdehnung hat, wie der vorige, und von der Orba und Bormida auf der einen, der Scrivia auf der anderen Seite eingeschlossen wird. Bietet dieser Abschnitt aber dem Vertheidiger, wenn er daselbst den Kampf annimmt, besondere Vortheile ? Der Major Gandolfi ver
308
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
neint diese Frage in seinem Werke, betitelt : „ Stradella und Alessandria in der westlichen Vertheidigung Italiens ", in welchem dem Leser in einer Reihe von Betrachtungen auseinandergesetzt wird, dass es für eine Armee, die Italien zu vertheidigen habe, gefährlich sei, gerade in dieser Ebene eine Stellung zu nehmen. Ich beschränke mich darauf, nur daran zu erinnern, wie die Schlacht bei Novi, welche dort im Jahre 1798 unter Joubert geschlagen wurde, gerade den Beweis liefert, dass diese Position für Denjenigen von Nutzen ist, der auf der westlichen Seite dieser soeben genannten Ebene operirt ; dass ferner der unglückliche Ausgang der Schlacht bei Marengo nicht minder beweist, wie nachtheilig diese im Osten gelegene Ope rationsbasis gewesen ist. Verfolgt man die Ebene von Alessandria weiter ostwärts, findet man, dass sie sich nach und nach verengt,
so
gleichzeitig aber
von den letzten Ausläufern jener zweiten bergigen Zone, welche ich vorhin schon genannt habe, beherrscht wird ; diese letztere trennt die Scrivia von der Trebbia und bildet bei Stradella jenen schönen Engpass, der im Vereine mit den benachbarten Ortschaften in den letzten Jahren sehr oft Gegenstand des Gespräches geworden ist. Es folgt nun noch eine dritte Zone, die ausgedehnteste der drei, die sich von Piacenza nach Osten erstreckt und sich allmälig erweiternd von einer Reihe stromartiger Wasserläufe, die den Appenninen ent springen und in steinigen und weiten Strombetten dem Po zuflieszen, quer durchschnitten wird. Es sind dies die Trebbia und Taro, die, ebeno wie der Rhein, von Dämmen eingeschlossen sind. „Gegen das Adriatische Meer hin wird diese Ebene durch die Lagune von Comacchio,
die ungefähr 25 Kilometer tief eindringt, und eine mehr östliche Richtung dieser Zone bewirkt, verengt, sagt Lavallée schon in seiner physikalischen und Militairgeographie, und bildet „ ein Chaos de digues, de fossés, de marais, de coupures etc. “ “ Die militairische Wichtigkeit dieser Ebene bleibt aber dennoch auch in ihren engeren Grenzen dieselbe ; im Norden das eine , aber sehr gewichtige, Annäherungshinderniss des Po, noch verstärkt durch die Festungswerke von Piacenza auf der linken , von denen Mantua's und den Positionen des Servaglio im Centrum, und denen von Po lesine auf der rechten Seite . Ist diese so begrenzte Zone verloren, so würde dem Vertheidiger sehr wahrscheinlich nichts weiter übrig bleiben, als sich auf Piacenza oder Bologna zurückzuziehen ; in beiden Fällen würden sich aber dann auch die weiteren Operationen in einem schwierigen, hügeligen und bergigen Terrain abspielen, wo dann die Ausläufer der Apen
auf die Feld- Artillerie des Italienischen Heeres.
309
ninen ganz dieselbe militairische Bedeutung erlangen würden, die, wie man gesehen hat, den Alpen angehören würden. Es ist vielleicht denkbar, dass man allen angeführten geogra
phischen Details den entsprechenden Werth giebt ,
wie dies Na
poleon I. in seinen oft citirten Memoiren that , als er schrieb :
„ La
guerre d'Italie exige moins de cavallerie que celle d'Allemagne ; trente mille cheveaux lui seraient suffisants ; l'arme de l'artillerie devrait être nombreuse pour pourvoir à la défense des côtes et des établissements maritimes." Aus dieser Ansicht kann man aber einen anderen Schluss ziehen und zwar zu Gunsten des Satzes, den ich aufrecht zu halten bestrebt bin. Anfangs scheint es allerdings , und dies ist ja wahr, als wolle der grosze Feldherr damit nur auf die Festungs-Artillerie hinweisen, und dies hat ja für die Vertheidigung der Marine - Etablissements und für die übrigen nahe der Küste gelegenen Institute auch seine Berechtigung. Aber die Küsten überhaupt, und specieller die so auszerordent lich entwickelten des Italienischen Reiches wird man nicht nach haltig genug vertheidigen
können ,
wenn
hier
nicht gleichzeitig
gröszere mobile Colonnen, aus leichten und manövrirfähigen Truppen zusammengesetzt, in Thätigkeit treten . Diese Corps werden aber unbedingt leichte Batterien in gröszerer Anzahl bedürfen, um ihrer Aufgabe entsprechen zu können. Schlieszlich scheint unseres Vaterlandes ,
mir , dass sowohl die Kriegsgeschichte als auch die der neueren Zeit in diesem
Falle als maaszgebend für die von mir aufgestellte Behauptung an gesehen werden kann , insofern nämlich , als die Anzahl der in bergigen und hügeligen Gegenden gelieferten Schlachten in keinem Verhältnisse zu denen schlagen wurden.
steht ,
die
in den gröszeren Ebenen ge
Verlangte nicht ein gewisser Grad von Bescheidenheit bei der Behandlung für mich so äuszerst schwieriger Fragen einige Zurück haltung, so möchte ich fast behaupten, dass gerade die im bedeckten Terrain gelieferten Schlachten die Regel , Ebenen geschlagenen die
seltenere
während die in den
Ausnahme bilden werden ;
dass diese letzteren dann aber fast immer entweder die Folge eines strategischen Fehlers, wie z . B. die Schlacht bei Mailand 1848 oder Novara 1849, oder aber die eines Rencontres, wie die Schlacht bei Marengo 1800, sein werden. Die allgemeine Frage (nämlich die Bestimmung und Beschreibung der für uns wahrscheinlichen Operationstheater, auf welchen die 21 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine , Band XX.
310
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
strategischen Operationen und Schlachten stattfinden werden) scheint mir mit Bezug auf diesen Punkt als eine in ihren Folgen sehr wichtige zu gelten, und wenn ich mich nicht sehr täusche, so lässt sie sich in wenigen Worten dahin präcisiren, dass die Italienische Armee einer überwiegend aus leichten Batterien bestehenden Feld Artillerie bedürfe, die grosze Beweglichkeit der einzelnen Geschütze aber auszer in anderen Umständen noch darin zu bestehen habe, dass sie nur vier Pferde zu ihrer Bespannung erfordern. Es bliebe mir nur noch die Prüfung dieser Frage im relativen Sinne übrig, nämlich die wahrscheinlichen Operationstheater Deutsch lands gegen Frankreichs, und Oesterreichs und Deutschlands gegen Russland zu prüfen und diese demnächst mit den soeben gemachten Studien zu vergleichen.
Wenn demnächst aus diesem Vergleiche
der Beweis geliefert wird , dass die Terrainverhältnisse, auf denen sich unsere Operationen abspielen werden, schwierigerer Art sind, als die vorher genannten, so wird man daraus nur folgern können, dass
wir also
nicht dasselbe Verfahren
einschlagen
dürfen,
welches für die soeben genannten vier Mächte seine Richtigkeit hat, welche die Zahl ihrer schweren Feld - Batterien auf Kosten der leichten schon vermehrt haben oder noch erhöhen wollen,
selbst
auch dann nicht, wenn man annimmt, dass das Aufgeben von einem Theile der Beweglichkeit zu Gunsten der Wirkung irgend welchen Vortheil gewähren würde. Es stellen sich dem Leser überhaupt zu viele und stellenweise zu schwierige Einwände in Bezug auf diesen Punkt entgegen,
und
glaube ich daher, dass man allen, von den Anhängern der schweren Feld-Batterien als maaszgebend hingestellten Ansichten durchaus nicht beipflichten kann. Auszer noch anderen Gründen sind sie nämlich der Ansicht, dass unsere voraussichtlichen ersten Operations theater nicht gröszer und schwieriger sein werden, als diejenigen, auf denen sich die ersten strategischen Bewegungen und demnächst die Schlachten zwischen zweien oder mehreren der soeben genannten Mächte abspielen können, und dass die Terrainverhältnisse für zwei gegeneinander operirende Armeen niemals ungünstiger sein können, als es 1870 bis 1871 der Fall war. Die Vogesen, Ardennen, Argonnen, Schwarzwald, Frankenwald, Thüringerwald, Taunus, Erzgebirge, Riesengebirge, deren allgemeine Wegbarkeit und Höhenverhältnisse nach der von Lavallée gegebe nen Beschreibung weit davon unseren Alpen
entfernt
oder Appenninen
würden den Ausspruch
sind ,
verglichen
des Linneo :
nur annähernd werden
zu
mit
können,
„ Natura non facit saltum “,
auf die Feld-Artillerie des Italienischen Heeres.
311
wenn er jemals Anspruch auf Richtigkeit hat , in diesem Falle zu dem unrichtigsten stempeln, gleichsam als ob die ersten Operations theater in einem Kriege zwischen Frankreich, Deutschland , Oester reich und Russland nur annähernd so bergig und schwer zu passiren wären, wie es gerade die unserigen in Italien sind. Uebrigens befinde ich mich in der Lage, aus dem soeben ge zogenen Schlusse noch einen prüfenden Blick auf die Operations theater der Hauptstaaten Europa's in ihrer Gesammtheit werfen zu können , und bei der Wichtigkeit der Frage bitte ich daher um die Nachsicht des Lesers . Ich beschränke mich zunächst nur auf die Operationen der Preuszischen und Französischen Armee im Jahre 1870. Auf dem
Schlachtplane des
14. August finde ich , dass die
höchste Kuppe , wenn ich nicht irre, die von St. Barbe (310 Meter über dem Niveau des Meeres), die niedrigsten die, wo das Fort Queuleu liegt, und die nördlich von Pouilly links des Pierre-Baches gelegenen (220 Meter) sind. Die höchste Kuppe liegt also im äuszersten Norden des Schlachtfeldes, die beiden niedrigsten im äuszersten Süden, die erstere von beiden letzteren in der Horizontalprojection mehr als neun Kilometer entfernt , obgleich sie in ihren Höhenverhältnissen kaum um 90 Meter differiren. Auszerdem erhebt sich die Kuppe von St. Barbe nur um circa 40 Meter über den an ihrem Fusze sich hinziehenden Grunde, ebenso wie die beiden anderen Kuppen ebenso hoch über dem Bache St. Pierre liegen. Es lagen daher auch , wenn ich nicht irre, die meisten und wichtigsten Artillerie- Positionen während der Schlacht selbst wenig mehr als 30 Meter über dem Abgrunde von Montoy- la Planchette, so jene Positionen zwischen Nouilly, Noisseville und der Brauerei von Noisseville ; ferner die von La Planchette zwischen den Be festigungen von Aubigny und Coincy. Der Lauf der Horizontalen lässt die Abhänge dieser Hügel sanfter und allmäliger erscheinen, als wie dies in irgend Terrain bei uns der Fall sein würde .
einem
Die Cotenzahlen sowohl , wie auch die Horizontalen beweisen also, dass dieses Schlachtfeld geeigneter ist , als irgend eins in unserem Lande, auch selbst wenn man es im Po-Thale erwählte. Auf diesem Schlachtfelde wurde, wie der Leser weisz, nur noch am 31. August und 1. September gekämpft. Indem ich jetzt zu dem Schlachtplane vom 16. August über gehe, und mich dabei auf den am schwierigsten zu passirenden Terrainabschnitt beschränke ,
und zwar denjenigen ,
der auf den 21 *
312
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
vier Seiten begrenzt wird von den Straszen Gorze - Rezonville, Re zonville - Mars - la - Tour, Mars - la -Tour - Buxières ,
Buxières - Gorze,
finde ich auf 284 Meter über dem Niveau des Meeres die weniger erhabene Kuppe (Ferme de Saulny) ziemlich im äuszersten Westen, und auf 326 Meter die höhere (Bois de Vionville) im Osten. 42 Meter.
Differenz
Im Nordwesten der letzteren liegt noch eine andere, 15 Meter niedrigere, die durch einen kleinen Sattel mit der ersteren in Ver bindung steht.
(Seite 15, Theil II von Hoffbauer.)
Die Höhe 326
erhebt sich daher ungefähr 140 Meter über die Schlucht , die von Vionville über Tantelainville an dem Wald von Gaumont vorbei sich hinzieht , indess die Kuppe der genannten Höhe noch gegen 2000 Meter von der Schlucht entfernt ist, so dass die Steilheit an dieser Stelle etwa nur 7 bis 8 Grad beträgt. Ingleichen erhebt sich die Höhe 284 nur 70 Meter und die mit der Zahl 311 nur 30 bis 50 Meter über die Schlucht , die an den Abhängen entlang führt und den Kirchhof von Vionville auf drei Seiten umgiebt. Hier sind die Abhänge allerdings steiler als die, welche die Deutsche Artillerie in der Schlacht am 14. August passiren musste, und sicherlich hat das waldige Terrain diese Schwierigkeiten noch erhöht. Aber abgesehen davon, dass der soeben von uns betrachtete Theil des Schlachtfeldes vom 16. August der schwierigste ist , so scheint mir, nachdem wir ihn auch mit unseren Berg- und Hügel landschaften, deren wir vorher Erwähnung thaten, verglichen haben, dass man daraus nur den Schluss ziehen kann, dass unsere wahr scheinlichen Operationstheater noch schwieriger und unwegsamer als diese sein werden .
Ein einfacher Blick auf den Schlachtplan des 18. August 1870 scheint mir das soeben Gesagte zu beweisen und mich dadurch jeder weiteren Deduction zu entheben. Es wäre nunmehr die vierte der Behauptungen , welche von den Anhängern der schweren Batterien aufgestellt worden sind, einer näheren Prüfung zu unterwerfen. Unsere Zukunftsschlachten , heiszt es , werden meist Positions schlachten sein, daher bedarf unsere Feld - Artillerie nur eines ge ringen Grades
an Beweglichkeit.
Was verstehen sie denn aber
eigentlich unter Positionsschlachten ?
Wenn sie
etwa damit
be
haupten wollen, dass unsere Armee auf einem vorher recognoscirten und künstlich durch die Fortification verstärkten Terrain ihre Schlachten schlagen wird, so wüsste ich in Bezug auf diese Voraus setzung nicht ,
was ich davon halten soll ,
bemerke nur, dass die
auf die Feld- Artillerie des Italienischen Heeres.
313
Artillerie aus diesem Grunde von der Positionsveränderung, dem Avanciren, dem Zurückgehen, kurz von allen diesen Bewegungen nicht wird befreit werden können,
ebensowenig wie sie sich selbst
dem feindlichen Artillerie-Feuer, oder der Pflicht anderen Batterien oder den anderen Waffen Unterstützung zu bringen, entziehen darf. Unter einer solchen Annahme ist das Bedürfniss , viele leichte Bat terien zu besitzen, mit dem aus der Rencontreschlacht hergeleiteten gleichbedeutend . Will man hierfür
ein Beispiel ?
Welche anderen Positions
schlachten könnte man denn noch anführen, auszer den beiden von Noisseville und Servigny ?
Die Deutschen cernirten Metz schon mehrere Tage hindurch, die Hauptpunkte ihrer Cernirungslinie waren durch Verschanzungen, Verhaue, Schützengräben, Barricaden und Geschützemplacements etc. verstärkt worden, und als nun die Rhein-Armee am 31. August zum Angriffe gegen das rechte Mosel - Ufer schritt und diesen auch am 1. September erneuerte, so secundirten sich die Deutschen Batterien gegenseitig durch ihr Feuer aus den zu diesem Zwecke vorbereiteten Emplacements ; dessenungeachtet zögerten sie nicht einen Moment, diese ihre Deckungen zu verlassen und sich frei hinzustellen, wenn die bessere Wirkung gegen den Feind dies erforderlich erscheinen liesz. Obwohl nun diese Schlachten sicherlich zur Kategorie der Positionsschlachten gehörten, so avancirten oder retirirten die Deut Batterien doch lediglich nach Maaszgabe der Umstände ;
schen
Batterien des rechten oder linken Flügels eilten nach dem Centrum und umgekehrt , je nach Lage der Sache , kurz sie manövrirten genau in demselben Sinne, als ob es eine Rencontreschlacht ge wesen wäre. Man ersieht , dass
in
einer
derartigen Positionsschlacht die
Truppen schon entwickelt in ihren Positionen vom anmarschirenden Feinde angetroffen werden, die Infanterie in Schützengräben, die Tirailleure in eben solchen Löchern, die Artillerie in Emplacements, und dennoch mache ich darauf aufmerksam, wie diese Voraussetzung doch wohl nur selten richtig sein wird, da ein General nur in ganz ausnahmsweisen Fällen mit Sicherheit den Ort, wo er sich mit dem Gegner schlagen will , wird bestimmen können. Die Kriege von 1866 und 1870 bis 1871 haben bewiesen, wie nachtheilig häufig die Einnahme von vorher bestimmten Positionen, wenn ich mich so ausdrücken darf, für eine Armee sein kann, besonders dann aber, wenn man an einzelnen Stellen derselben mit den dort entwickelten
314
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens
Truppen weder vorwärts noch rückwärts kann. Die Niederlage der Oesterreicher bei Sadowa hatte darin mit ihren Grund.
Die Oesterreichische Artillerie , welche sich in gut gedeckten Positionen befand, und Zeit hatte die Entfernungen der Hauptterrain punkte vor ihrer Front zu ermitteln, musste aus eigenem Instincte den Wunsch hegen, möglichst lange in ihren Emplacements zu ver bleiben, andererseits sich aber auch von dem Nachtheile überzeugen, den es für sie hatte, sie in gewissen Fällen aufzugeben; sie musste jedenfalls das Sichere dem Unsicheren vorziehen. So musste es sein und ereignete es sich auch. Im Kampfe mit einem beweglichen und im Manövriren geübten Gegner lieszen sie sich in ihren Positionen heldenmüthig nieder machen, gleich einer alten, aber starken Festungsmauer. Ich habe auch gelesen, und bin überzeugt , dass die letzten Niederlagen der Franzosen mit ihren Grund in dem zwischen 1866 und 1870 im Lager von Châlons abgehaltenen Uebungen hatten, wo man einen mehr als groszen Werth auf die schnelle Herstellung von Schützengräben und Geschützemplacements, kurz auf die Schaufel arbeiten
legte ,
wodurch in dem
Geiste
des
gemeinen
Mannes
die Ansicht erzeugt wurde, dass man zum Siegen nur einer guten Deckung , über welche man hinwegschieszen könne, bedürfe,
um
demnächst, wenn die Signalhörner ertönen, nur noch Siegeslieder an zustimmen. Man erinnere sich nur, wie von 1866 bis 1870 diese Dinge un aufhörlich in den militairischen Journalen besprochen wurden,
und
wie man bei jeder Gelegenheit auf das Verhalten der alten Römer hinwies, ohne dabei zu bedenken, dass, wenn ihre sieggewohnten Legionen sich auch im Lager hinter Wällen aufstellten, sie diese gerade verlieszen, sobald es zur Schlacht ging. Positionsschlacht im engeren Sinne des Wortes bedeutet nichts anderes , als dass der Soldat auf den Elan, der im Vorwärtsgehen liegt, verzichtet, dem Bajonnetstosze ausweicht, kurz alle Vortheile, die
ein gewandtes und schnelles Manövriren
darbietet , aufgiebt,
während diese Eigenschaften doch gerade sehr dazu geeignet sind, selbst dem weniger gut Bewaffneten und numerisch Schwächeren den Sieg zu verleihen. Es hiesze dies nichts weiter, als zu Gunsten des schönen Principes auf den Sieg verzichten. soin la défense passive , "
„Il faut éviter avec
sagt Vial auf Seite 404 seines Werkes
„über die Kriegskunst" . Selbst wenn man sich strategisch in der Defensive befindet, kann man taktisch dennoch offensiv verfahren, sagen bis zum heutigen Tage noch hunderte von Militairschrift
auf die Feld-Artillerie des Italienischen Heeres.
315
stellern, und die Franzosen haben ihr Verfahren in den Schlachten von 1870 bitter bereuen müssen.
In einzelnen Schriften habe ich die Behauptung ausgesprochen gefunden, dass die gegeneinander fechtenden Armeen in derartigen Positionsschlachten nur zu sehr dem so mörderischen Feuer des schon stehenden Theiles ausgesetzt sein werden ; dass die Artillerie des angreifenden Theiles durch das Feuer des Gegners gezwungen sein wird, in der einmal eingenommenen Position zu verbleiben ; dass man schlieszlich die Zukunftsschlachten mit zwei sich entgegen arbeitenden Wirbelwinden vergleichen kann, wo derjenige die Ober hand behalten wird , der in kürzester Zeit die meisten Bataillone und Batterien vernichten kann . Dies sind genau dieselben Ansichten, die bald nach 1866 auf tauchten, und die, wie ich schon erwähnt habe, den Schützengräben, Emplacements ,
kurz
dem
Spatenkriege
einen
so
hohen Werth
verliehen und zu dem Glauben Veranlassung gaben, dass die Dauer unserer Zukunftsschlachten nur noch nach Viertel oder halben Stunden zu zählen sein werden. Ein mörderischeres Feuer, als wie es in den Schlachten von 1870 von den Franzosen gegen die Deutschen unterhalten wurde, kann ich mir nicht vorstellen. Wer siegte aber nun? Wie manövrirte nicht die Deutsche Artillerie auf dem Schlachtfelde ? Sie änderte durchaus nicht alle Augenblicke ihre Stellung , sie that es vielmehr nur dann, wenn ihr Ziel sich zu sehr entfernte ;
sie änderte sie,
wenn sich ihr eine günstige Gelegenheit bot , von einer anderen Stelle aus ein neues Object mit Nachdruck beschieszen zu können, und endlich dann, um nach und nach diese groszen imposanten Ar tillerielinien ,
die Allen bekannt sind , herzustellen ; sie wechselte
jedesmal ihre Stellung , wenn sie den Angriff der Schwesterwaffen auf eine wirksame Entfernung vorbereiten und demnächst unter stützen musste ,
resp. wenn bei einem nicht gelungenen Angriffe
eine Aufnahme und Deckung der zurückweichenden Truppen ein treten musste. Es ist gerade dieses Verfahren von 1870 zu einem klar hervor getretenen Principe geworden ; denn ein gegen intakte Truppen ohne vorangegangenes Artilleriefeuer unternommener Angriff führt zu nichts anderem, als zu einer totalen Niederlage des Angreifers , wie der der Preuszischen Garden bei St. Privat als Beispiel dienen kann ; es folgt daraus , dass die Artillerie unter allen Umständen ein der artiges Unternehmen zuerst durch ihr Feuer einleiten muss . Da man aber die gegen jeden einzelnen Punkt
zu unternehmenden
316
Ueber den Einfluss der Gestalt und Bodenbeschaffenheit Italiens etc.
Angriffe weder genügend vorbereiten, noch von den zuerst einge nommenen Positionen unterstützen kann,
vielmehr das Gegentheil
der Fall sein wird , so folgt daraus , dass schon hierdurch die Ar tillerie zum Manövriren auf dem Schlachtfelde gezwungen ist. Ist aber jetzt unter dem schnellen und wohlgezielten Feuer ein ge wandtes und flottes Manövriren nicht schon ein wesentlicher Factor des Sieges ? Welche Artillerie wird dies aber können ; doch sicher lich nur die , welche das leichtere Geschütz besitzt . Die fünfte und letzte Frage, die mir nun noch zu prüfen übrig bleibt, besteht in der Behauptung, dass Oberitalien aus zu bedecktem und durchschnittenem Terrain bestehe ; dies scheint mir aber, wenn auch an sich richtig , doch nicht die gröszte Schwierigkeit zu sein. Hügeliges und bergiges Terrain, Flüsse, Bäche, Canäle, Entwässerungs gräben, Weinberge, Baumreihen, die hier und da von Hecken durch brochen sind, das Alles sind die Terrainschwierigkeiten dieser Zone, von der man fast ausschlieszlich behauptet, dass sie den Schauplatz der ersten Operationen in einem Kriege bilden würde .
Gerade alle
die hier genannten Umstände verlangen aber für unsere Armee eine möglichst leicht bewegliche Artillerie , die den anderen Waffen überall hin mit Leichtigkeit folgt und sie in jedem Moment unterstützt. Wirft der Leser einen Blick auf das Capitel, betitelt „ Beweg lichkeit“ , in dem Werke von Decristoforis, so wird er, glaube ich wenigstens, sich von der Wichtigkeit, eine zahlreiche und leicht be wegliche Artillerie zu besitzen, überzeugen ; eine Artillerie, die langen und energischen Widerstand leistet ,
die anstrengende und lange
Märsche erträgt , die noch marschfähig bleibt , so lange sich noch zwei Pferde auf den Beinen halten, die kein Hinderniss kennt, kurz eine Artillerie, auf deren rechtzeitiges Erscheinen auf dem Schlacht felde man mit Bestimmtheit rechnen kann, die die Schwesterwaffen wirksam unterstützt, nie aber zu spät kommt, oder für die anderen Truppen gar ein Hinderniss oder Impediment abgiebt.
Kritische Betrachtung über die Belagerung von Saragossa etc.
317
XX.
Kritische
Betrachtung
über
die
Belagerung
von Saragossa in den Jahren 1808 und 1809. Von Freiherr von Reitzenstein, Lieutenant im Westphälischen Fusz - Artillerie - Regiment Nr. 7.
Im Jahre 1808 , am 5. und 6. Mai ,
erzwang Napoleon I. zu
Bayonne die Verzichtleistung Carl IV. und Ferdinand VII. auf die Spanische Krone und legte die Zügel der Spanischen Regierung in die Hände seines Bruders Joseph Bonaparte. Diesem wurde zur Befestigung seines Ansehens von den über den Ebro vorgegangenen Französischen Truppen ein schwaches Heer nach Madrid mitgegeben. Aber schon kurze Zeit darauf gelang es der sich für Ferdinand VII . erhebenden Spanischen Nation, die Französischen Eindringlinge zu schlagen, so dass Joseph Bonaparte am 30. Juli desselben Jahres bereits wieder die Hauptstadt Spaniens verlassen musste. Der Jubel der Spanier sollte indessen nicht von langer Dauer sein, denn schon im August 1808 rückte ein 80,000 Mann starkes Französisches Heer an den Ebro und am 4. December 1808 hielt Joseph Bonaparte seinen abermaligen Einzug in Madrid. Zur Sicherung der rückwärtigen Verbindung mit der Französi schen Grenze musste Saragossa,
eine Stadt von damals 55,000 Ein
wohnern, auf dem rechten Ufer des Ebro liegend , genommen werden, weil sie den Uebergang über diesen Strom festhielt. Schon während des ersten Vormarsches der Franzosen
auf
Madrid hatte man versucht , sich dieser, zu jener Zeit mit einer vier Meter hohen und einen Meter starken Mauer umgebenen wichti gen Stadt zu bemächtigen.
Ein von Seiten der Franzosen unter
nommener gewaltsamer Angriff scheiterte vollständig an dem Muthe der zur kühnsten Gegenwehr entschlossenen Spanier. Der Angreifer sah sich daher genöthigt , den Weg der förmlichen Belagerung ein zuschlagen, wobei Saragossa aber nicht so dicht umschlossen werden konnte, dass die Verbindung mit der Provinz verloren ging und Verstärkung nicht hätte hineingelangen können. Nichtsdestoweniger nahm die Belagerung ―――― wie übrigens wohl kaum anders zu er warten war einen schnellen Verlauf. Am 3. August 1808 war die Stadtmauer durchbrochen.
Der sich nun entspinnende Häuser
318
Kritische Betrachtung über die Belagerung von Saragossa
kampf fällt in die Zeit des Rückzuges der Französischen Haupt macht und fand in der Aufhebung der Belagerung sein für Saragossa glückliches Ende. Diese erfolgreiche Abwehr hob den Muth der Vertheidiger sehr, und ganz Spanien glaubte in Saragossa ein unüberwindliches Boll werk zu besitzen, legte Truppen dort hinein, befestigte die Stadt und bildete zur Durchführung der Vertheidigung, neuen Angriffen der Franzosen gegenüber, frisch gebildete Bataillone aus . vier Monaten entstand
Innerhalb
eine Befestigung der umfangreichen Stadt,
hervorgerufen durch das Bedürfniss des Augenblickes, vollendet durch die rastlose Thätigkeit und die unglaubliche Ausdauer der Aragonier. Obgleich die Befestigungsanlagen mit mehr Mühe als
Kunst
ausgeführt wurden , so waren sie nichtsdestoweniger imponirend. In höchst umsichtiger Weise waren dabei die wichtigsten sich vor findenden Vertheidigungselemente, wie namentlich die grosze An zahl der vor der Stadtmauer liegenden Klöster,
benutzt worden .
Durch fortificatorische Einrichtung dieser starken, zur Aufnahme von Besatzung und Geschütz geeigneten Gebäude wurde ein systemati sches Reduit- und Abschnittswesen auf die befestigte Stadt über tragen.
Hierin beruhte ausschlieszlich die Stärke der sonst nur
schwach profilirten Umwallung der Stadt, und bewährte sich dasselbe allen Sturmversuchen gegenüber glänzend .
Der mehrmals einge
drungene Feind vermochte, zwischen crenelirten Mauern und zweck mäszig vertheidigten Gebäuden hervorbrechend, kein Terrain zu ge winnen. Mit den nachrückenden Reserven konnte er sich in den engen Räumen nicht ausbreiten und war daher der errungene Erfolg stets ein sehr beschränkter, wie es sich namentlich später bei Weg nahme der auf dem linken Ufer des Ebro liegenden Vorstadt ergab. Die alte Stadtmauer wurde als innerer Generalabschnitt beibehalten und vor derselben in höchst zweckmäsziger Weise ein Erdwall mit tiefliegendem Graben hergestellt.
Letzterer bildete zugleich die Ver
bindungslinie der zu Stützpunkten umgeschaffenen Klöster, unter denen das Kloster der barfüszigen Kapuziner, Kloster der Kapuziner, St. Ingratia, St. Monica und Kloster der Augustiner die bedeutend sten sind.
Die diese Baulichkeiten umgebenden Mauern wurden
crenelirt , die Fenster und Thüren versetzt ,
an geeigneten Stellen
Geschützstände und Traversen eingerichtet , die auch auf dem zwi schen der alten Stadtmauer und dem Walle gelegenen Theile der Befestigung in gleich geschickter Weise angebracht waren. Auf die Anlage von Auszenposten zur Begünstigung von Aus I fällen, zur Deckung der Hauptthore und der Uebergänge über den
in den Jahren 1808 und 1809.
319
Huerba-Bach , sowie zur wirksamen Beherrschung des zeitig auf 1500 Meter im Umkreise rasirten Vorterrains war gleichfalls dacht genommen.
Be
Als Auszenposten sind anzusehen die Befestigung
des Schlosses von Aljaferia, des Klosters St. Joseph, sowie die An lage der Lünette an dem Huerba-Bache. Diese Lünette lag vor der die Ufer des Baches verbindenden Brücke und verdient daher die Bezeichnung als Brückenkopf ; durch Retranchements war sie mit der Stadtenceinte verstärkt.
verbunden ,
auch war
sie durch
Contreminen
Zur Sicherung des Uferwechsels, also der über den Ebro führen den Brücke, war die offene Vorstadt durch eine in sich geschlossene Enceinte gesichert , in deren ausspringenden Winkeln Redouten an gelegt waren ,
die
durch geradlinige, vertheidigungsfähige Linien ,
pallisadirte Erdaufwürfe, crenelirte Gartenmauern verbunden waren. Die nahe der Brücke gelegenen Klöster St. Lazarus und Elisa beth können als Hauptreduits in der Vorstadt angesehen werden. Das Kloster der Jesuiten diente hier als Auszenwerk und war dem Zwecke entsprechend fortificatorisch eingerichtet. Für die Ausführung der Anlagen selbst war zunächst der grosze Umfang der Stadt auszerordentlich ungünstig , dann aber auch die kurze Zeit , in der man sich bei dem Mangel an Arbeitskräften auf die nothwendigste Vertheidigungseinrichtung beschränken musste. Natürlich konnte das Unterlassen solcher Einrichtungen im späteren Verlaufe der Vertheidigung nicht ungestraft bleiben.
So war zum
Beispiel bei den tiefen Gräben der Auszenposten nirgends auf eine Flankirung Bedacht genommen, und folgte daraus später die leichte Erstürmung der Breschen durch die Franzosen.
Ganz anders hätte
sich der Angriff gestaltet , wenn Blockhäuser vorhanden gewesen wären.
Der Artilleriekampf hätte dann längere Zeit in Anspruch
genommen, der Angreifer wurde gezwungen, die Sappen bis an die Blockhäuser heran vorzutreiben und sie schlieszlich durch den Mineur wegzunehmen.
Schon die Flankirung des Walles selbst war eine
durchaus spärliche. Die Linien waren zu lang und die Stützpunkte zu weit von einander entfernt. Auch war das horizontale Defile ment des Walles kein richtiges ; sämmtliche Linien konnten leicht enfilirt wie ricochettirt werden. Der Hauptnachtheil der Befestigung aber lag darin, dass den als Concentrationspunkte anzusehenden Klöstern jeglicher Schutz durch vorliegenden Erdwall fehlte. - Von einer vollen Deckung der hohen Gebäude konnte natürlich nicht die Rede sein, aber die unteren Stockwerke hätten geschützt werden müssen. Das Fehlen
320
Kritische Betrachtung über die Belagerung von Saragossa
dieser Deckung
war
die Ursache ,
dass
die
so wichtigen Ver
theidigungspunkte gegenüber der Wirkung der Französischen Bat terien nicht lange Stand zu halten vermochten, da ihre Mauern bis zum Fusze einzusehen waren.
Oberst Don Manuel glaubt den Grund
für das Fehlen mancher als nothwendig anerkannten Anlage nicht nur in dem Mangel an Zeit suchen
zu
müssen ,
sondern
giebt
auch offen zur Entschuldigung hierfür an, dass man in jener Zeit vielfach der Volksmeinung selbst gegen die bessere Ueber zeugung - hätte nachgeben müssen.
Wie dem aber auch sein mag,
der Erfolg der Befestigungsanlagen kann dessenungeachtet nur als ein durchaus glänzender angesehen werden .
Nach einer Richtung
wurde der Zweck der Anlage vollständig erreicht ; Zeitgewinn , indem die Franzosen auf langsame, oberung hingewiesen wurden. den gewaltsamen vollem Vertrauen .
sie gewährte
schrittweise Er
Die Sicherheit der Festung gegen
Angriff schlieszlich
erfüllte die Besatzung mit
Die Besatzung von Saragossa belief sich mit Einschluss von 2400 Freiwilligen und verschiedenen Detachements der Andalusischen Armee, in der Stärke von 4000 Köpfen, auf 31,000 Mann.
Es ist
dies eine immerhin geringe Zahl , wenn man bedenkt , dass die ge sammte Mannschaft nicht allein zur Vertheidigung , sondern auch zur Herstellung der Vertheidigungsmittel herangezogen werden musste. Diejenigen Männer, welche nicht zu Armirungsarbeiten heran gezogen wurden, übten sich in der Führung der Waffen. 20,000 Mann Infanterie rechnen.
Von den
sind nur 9000 zu den alten Truppen zu
Der Rest waren Aragonier, welche als starke,
rohe und
finstere Menschen wenig die Annehmlichkeiten des Lebens kennen und
durch den von Kindheit auf in den Pyrenäen betriebenen
Schleichhandel in der Führung der Waffen gewandt und erfahren sind .
Folgsam auf den Ruf ihrer Offiziere liefen sie zu den Waffen
und bekämpften die Franzosen mit einer Art von Wuth. Die Anzahl der Cavalleristen, 2000 Mann, war eine mehr denn ausreichende,
die der Artilleristen,
1800 Mann , dagegen nur eine
sehr geringe ; Pioniere waren 800 vorhanden. Befehlshaber der Besatzung war der durch die Einwohner ge wählte General- Capitain Palafox, ein Mann von seltener Einsicht, der das volle Vertrauen seiner Untergebenen besasz. Die artilleristische Ausrüstung des Platzes
( 160 bis 163 Ge
schütze) war eine sehr dürftige und machte sich sehr bald der Mangel an Mörsern fühlbar. Die Verwendung der wenigen Geschütze aber war eine durchaus zweckmäszige, und ist nur zu bedauern,
in den Jahren 1808 und 1809.
321
dass nicht rechtzeitig für die Beschaffung des genügenden Quantums an Munition Sorge getragen war. Im späteren Verlaufe der Ver theidigung musste der tägliche Bedarf an Pulver unmittelbar vor dem Gebrauche gefertigt werden. Trotz der angeführten Mängel der Befestigungsanlage und trotz der in mancher Beziehung geringen Ausrüstung mit personellen wie materiellen Streitkräften
muss
der Zustand Saragossa's bei dem
Herannahen des Belagerungscorps mit Rücksicht auf die Zeit und Fähigkeit der Besatzung, in und mit welcher die Armirung der im Anfange beinahe offenen Stadt auszuführen war, immerhin als ein guter bezeichnet werden. Das Belagerungscorps bestand aus 31,000 Mann, kam also der Festungsbesetzung genau gleich , während es mindestens drei Mal so stark sein musste.
Dazu kam noch der grosze Fehler, dass der
Commandeur desselben, General Moncey, zugleich Commandeur eines zur Belagerung verwandten Corps war und als solcher auch die Verantwortung für dasselbe behielt. Das Auftreten des Belagerers bei der ersten Berennung der Festung war ziemlich überraschend, und gelang daher auch die schnelle Wegnahme des Monte Torrero, wobei 1000 Mann Besatzung gefangen und 5 Kanonen erbeutet wurden. - Die Vertheidigung hatte versäumt ,
vielleicht auch aus Mangel an Zeit unterlassen,
diesen so wichtigen Stützpunkt genügend
zu sichern .
Jedenfalls
hätten zeitgerecht starke Detachirungen und Recognoscirungen nach allen Seiten der Festung hinaus vorgenommen werden müssen, um den Angreifer so lange wie möglich fern zu halten. Durch die ersten glücklichen Erfolge reifte Französischer Seits der Entschluss , trotz der erlittenen bedeutenden Verluste die auf dem linken Ufer des Ebro liegende Vorstadt sogleich gewaltsam zu nehmen. Der Besitz derselben war von groszer Bedeutung insofern, als hierdurch die Brücke gewonnen war und die Befestigungsanlagen der Stadt von da leicht im Rücken beschossen werden konnten. Gelang der Sturm, so wurde die Belagerung bedeutend abgekürzt. Die Vorbereitung zum Sturme durch Artilleriefeuer war aber keine genügende, so dass die wiederholten Sturmversuche durch die tapfere Gegenwehr der hinter vorzüglichen Deckungen placirten Spanier glänzend zurückgewiesen wurden . Den Franzosen blieb nunmehr allein der Weg des förmlichen, systematischen Angriffes offen, der kühn durchgeführt und durch sprungweises Vorgehen abgekürzt wurde . Dabei war die völlige Umfassung der Festung und die Durch
322
Kritische Betrachtung über die Belagerung von Saragossa
führung der drei Attacken -
gegen das Schloss Aljaferia, gegen
den Brückenkopf vor dem Huerba - Bache und gegen das Kloster St. Joseph von groszer Bedeutung. Die Anlage von Contravallations schanzen zwichen den einzelnen Attacken ist charakteristisch . In der Nacht vom 29. December zum 30. December 1808 be gann die Erbauung der ersten Parallele, begünstigt durch Witterung und Bodengestaltung, und konnte dieselbe bei der groszen Unauf merksamkeit und bei der unterlassenen Recognoscirung von Seiten des Vertheidigers bis auf 320 Meter an die Festungswerke heran gelegt werden. Schon am 12. Januar 1809 war der Bau der zweiten Parallele in Aussicht genommen. Erst zu dieser Zeit suchten die Spanier dem Angreifer das ohne Kampf überlassene Vorterrain wieder zu entreiszen.
Die zahl
reich unternommenen Ausfälle führten jetzt natürlich nicht mehr zu dem erwünschten Ziele. Kaum begreiflich ist es , dass Ausfälle gegen die Tranchéen bei Tage angeordnet werden konnten ,
da
Tranchéen stets , besonders aber in den ersten Tagen nach der Er bauung , stark mit Infanterie besetzt sind , also ein Gelingen von Ausfällen gegen Tranchéen überhaupt nicht leicht denkbar ist. Umgekehrt begingen auch die Franzosen eine grosze Unvor sichtigkeit , das Belagerungscorps gerade in dieser Zeit um eine ganze Division zu schwächen, da gröszere auf verschiedenen Seiten der Festung gemachte Ausfälle leicht hätten gelingen können .
Noth
wendiger Weise wurden die weiteren Operationen des Angriffes da durch verzögert und hätte man sich um so mehr mit der Herbei schaffung von Belagerungsgeschützen beeilen sollen.
Am 10. Januar
1809 aber war die Artillerie erst bereit den Sappenangriff mit 30 bis 32 Geschützen zu unterstützen, nachdem in der vorangegangenen Nacht die Batterien unter anhaltendem Granatfeuer aus der Festung erbaut und armirt waren. Die Lage der Batterien und die gleichzeitige Anlage von Bresch Batterien erwies sich als sehr zweckmäszig, überhaupt ist der ganze artilleristische Angriff ein durchaus planvoll und unter Berücksichti gung der geringfügigsten Umstände angelegter. Der Erfolg des Feuers war bereits am ersten Tage der Be schieszung so grosz , dass die Spanier sich genöthigt sahen, schon in der nächsten Nacht den gröszten Theil der hinter Mauerscharten aufgestellten Geschütze zurückzuziehen.
Ja man war, ohne
die
Fertigstellung der zweiten Parallele abwarten zu müssen, schon am 11. Januar im Stande , durch die vermittelst der Bresch - Batterien
in den Jahren 1808 und 1809.
323
geöffneten Mauern der Auszenwerke in diese mit dem Bajonnete einzudringen. Nach Fertigstellung der dritten Parallele, am 21. Januar 1809, konnte bereits die Erbauung der Demontir- und Bresch- Batterien in Aussicht genommen werden. Nichtsdestoweniger gerieth das Französische Belagerungscorps in eine sehr bedenkliche Lage durch die den Rücken bedrohenden Spanischen Streifcorps , während andererseits von der Stadt aus immer wieder kräftige Ausfälle unternommen wurden.
Zur rechten
Zeit übernahm der Marschall Lannes das Commando des Belagerungs corps .
Er führte dasselbe mit straffer Hand, sicherte durch kräftige
Vorstösze gegen die Streifcorps den Rücken des Corps und brachte Leben in den Fortschritt der Belagerung.
Sofort wurde der Huerba
Bach überschritten und rechts vor dem Kloster St. Joseph eine vierte Parallele hergestellt.
Gegen den Hauptwall wurden 50 Geschütze
in Batterien gestellt, und vermochte man die gesteckten Ziele, Ver nichtung der auf dem Hauptwalle der Festung placirten Artillerie und Erzeugung von drei Breschen in demselben , bald zu erreichen. Unmittelbar darauf wurde der Sturm gegen die Breschen beschlossen, und gelang es auch bereits nach vierwöchentlicher Belagerung, sich auf den Hauptwall der Festung auszudehnen und dort einzunisten. Die Capitulation aber sollte
erst nach dem erbittertesten Kampfe,
dem Kampfe um jedes einzelne Haus, stattfinden. ermuthigt durch die
erste Be
lagerung , von vornherein das meiste Vertrauen gesetzt.
Hierin hatten die Aragonier,
Die ver
theidigungsfähigen Häuserreihen, getrennt durch schmale Straszen, welche gewissermaaszen die Abschnittsgräben darstellten , wurden durch Geschützfeuer bestrichen, während andererseits die Enge und die vielfachen Krümmungen der Straszen die Entwickelung des An greifers beeinträchtigten.
Dazu kam noch die Schwierigkeit , zwi
schen den Ruinen und Schutthaufen Batterien anlegen zu müssen . Der Kampf konnte also nur mittelst Kleingewehrfeuer und Sprengung durch den Mineur geführt werden. Die
sich hieraus entwickelnde Taktik , Anlegung von Minen
unter den Häusern, Sprengen derselben und dann gewaltsames Vor stoszen unter Benutzung
der allgemeinen Verwirrung wurde mit
heldenmüthiger Aufopferung unter enormen Verlusten ausgeführt. Die vorgenommenen Sprengungen machten nicht den gewünschten Eindruck auf die Spanier, die selbst auf den Trümmern den Kampf fortsetzten.
324
Kritische Betrachtung über die Belagerung von Saragossa etc. Erst in Folge der glücklichen Wegnahme der Vorstadt und
Ueberführung
der bisher gegen das
Schloss Aljaferia vergeblich verwandten Geschütze dorthin gelang es am 20. Februar 1809, die Capitulation der Festung herbeizuführen , da nun die bisher noch gesicherte Stromseite der Stadt dem Feuer der Angriffs - Artillerie bloszgestellt war. Wenn dies nicht geschehen , die Kräfte der Be satzung
und Bevölkerung Saragossa's nicht durch Mangel an Lebensmitteln , durch Krankheit und fast übermenschliche An strengung erschöpft gewesen wären , so würde ohne Zweifel der Kampf noch fortgesetzt worden sein.
Dazu aber kam noch , dass
durch Hunger und Elend eine pestartige Epidemie unter den Be lagerten ausbrach . Das Gesammturtheil über die Belagerung ist dahin zu ziehen, dass dieselbe, durchaus nichts Neues bietend, kühn durchgeführt ist, dass trotzdem der förmliche Angriff zwar nöthig war, derselbe aber nicht systematisch, sondern sprungweise durchgeführt wurde.
Als besonders gut zeigte sich die völlige Umfassung der Festung, die Durchführung der drei Attacken , sowie das Uebergehen des Angreifers auf das linke Ebro-Ufer. Letzteres hätte noch früher ge schehen können. Verzögert wurde die Capitulation durch die Schwächung des an und für sich schon kleinen Belagerungscorps um eine ganze Division. Auf Seiten der Spanier ist für das letzte Stadium der Ver theidigung besonders der grosze Heldenmuth hervorzuheben , mit welchem sie Schritt für Schritt zurückwichen ; der Ruhm der Ver theidiger würde aber ein weit gröszerer sein, wenn sie von vorne herein den Widerstand in das Vorterrain verlegt und den Häuser kampf nur als letztes Rettungsmittel betrachtet hätten.
Forcade.
325
XXI.
Forcade. alten Fritz".
Einer der Bravsten der Braven des
"7 Wenn ich Soldaten sehen will, so muss ich dies Regiment sehen." - Archenholtz , der in 99 dieser" Heldenschaar „ zu dienen, die Ehre hatte", schrieb mit der Aufzeichnung obiger, dem Infanterie Regimente Nr. 23 geltenden, Königlichen Lobrede eine Regiments geschichte im Lapidarstile ; so schön und so trefflich , dass wir uns entschieden verpflichtet fühlen , mit hoher Verehrung zurück zu blicken auf jene Kerntruppe. Sie trug seit Juli 1748 bis 23. März 1765 nach ihrem Chef den Namen „Forcade". Alles Gute kommt von oben.
Wie das Haupt, so die Glieder.
Es liegt demnach der Wunsch nahe, denjenigen Mann kennen zu lernen, welcher durch sein hervorleuchtendes Beispiel den echten und rechten Kriegersinn bei seinem Regimente in dem Maasze zu befestigen wusste, dass der Heldenkönig dieser Truppe das ehrende Zeugniss gab, ihr Anblick sei Ihm eine Kriegsherrn- Augenweide. Friedrich Wilhelm Quirin v. Forcade wurde geboren 1699 zu Berlin , mit militairischem Blute in den Adern . 1729 als Preuszischer Generallieutenant ;
Sein Vater starb
seine Mutter
war eine
Generalmajorstochter. Im Jahre 1713 unter die Waffen getreten, machte er kaum sechszehnjährig seinen ersten Feldzug (Belagerung von Stralsund). Zum Oberstlieutenant im Jahre 1740 ernannt, wurde unser Forcade
den 30. Mai 1743 Oberst.
Einige
Tage
später
zeichnete ihn der König (durch eine Amtshauptmannschafts - Sinecure) mit einer persönlichen Gehaltszulage aus.
Im zweiten Schlesischen
Kriege erwarb sich Forcade den Pour le mérite und eine
neue
Dotation (Domherrnstelle). Die Beförderung zum Generalmajor er folgte am 4. December 1747 mit einem um vier Jahre vordatirten Patente.
Im nächsten Jahre übernahm Forcade als Chef dasjenige
Regiment, welches ehedem sein Vater gehabt.
Dass er es sich an
gelegen sein liesz , demselben ein stattliches Ansehen zu geben, wissen wir aus einer Königlichen Ordre d . d . Potsdam 3. Mai 1750, in welcher der Kriegsherr, nach Einsendung der Maaszlisten, recht groszem Vergnügen" anerkennt ,
„ mit
dass "9 das Euch anvertraute
Regiment sich seit vorigem Jahre sehr gebessert habe". 22 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
Forcade .
.326
Das Forcade'sche Regiment garnisonirte in Berlin. cruten entnahm es einigen Märkischen Bezirken.
Seine Re
Berlin war nicht
nur cantonfrei, sondern der König befahl auch am 20. Januar 1746, ,,bei Vermeidung schwerer Verantwortung und empfindlicher Un gnade ", weder der Chef, noch ein Capitain, Offizier,
Unteroffizier
und Gemeiner eines zu Berlin in Garnison stehenden Regiments solle sich unterstehen , unter irgend welchem Vorwande,
Scheine oder
Namen, einen Menschen in Berlin, er sei oder bedeute was er möge, anzuwerben oder wegzunehmen. ― Mithin entzog sich den Berliner Regimentern die günstige Gelegenheit, aus der in der Landeshaupt stadt vorhandenen Menge groszer und angemessen kräftiger Leute einen freiwillig dienenden Ersatz zu bekommen . seinen Compagniechefs
wusste
stellen betreffs der Anwerbung.
Forcade nebst
dennoch den König
zufrieden zu
Freilich mag dies etwelche Mühe
und wohl auch einige Geldopfer gekostet haben.
(Point d'argent,
point de Suisse .) Die
höchste Auszeichnung ,
welche Forcade
zu Theil
während der Friedensjahre 1746 bis 1756 , ist folgende.
ward
Bei einer
99 Cour" im Berliner Schlosse bemerkte des Königs scharfes Auge, -welcher gekommen war, um sich für die ihm neuer dings ( 1746) ertheilten Gnadenbeweise zu bedanken _ww.com sich in einer
dass Forcade
Fensternische anlehnte, weil sein in der Schlacht bei Sohr schwer verwundeter rechter Fusz ihn am langen Stehen noch behinderte. Höchsteigenhändig brachte der König einen Stuhl herbei , den er Forcade mit den Worten anbot : „ Mein lieber Oberst v. Forcade ! Ein so braver und würdiger Mann , als Er ist , verdient sehr wohl, dass auch der König Selbst ihm einen Stuhl bringt. " Forcade war auf der Wahlstatt von Sohr für todt liegen ge
blieben, nachdem er,
wie der König meinte,
groszentheils" zum
Siege beigetragen. 1757 den 10. Februar zum Generallieutenant ernannt , wurde Forcade am zweiten Tage nach der Leuthener Schlacht beehrt mit dem „ groszen“
Orden ; und einige Tage später schrieb der König
ihm : „Mein lieber p. p. ! Ich weisz , dass Er bei dieser Belagerung (von Breslau) viel ausgestanden hat ; und es ist ein Glück für Ihn, dass wir bald Herrn der Stadt geworden sind , weil Er sonst , ohne dass Ich ihm hätte helfen oder ablösen können, noch mehr würde ausstehen müssen. Ich danke Ihm also dafür ; und da Er am meisten ausgestanden hat , so soll Er auch allein die Ehre davon Ich ertheile Ihm also hiermit nicht nur den Schwarzen haben. Adler- Orden, sondern ernenne Ihn auch zum Vice-Gouverneur von
Forcade, Breslau.
327
Seinen ältesten Sohn aber, welcher bei Mir Adjutant ist,
habe Ich die vacante Grenadier-Compagnie beim Golzischen Regi ment ertheilet, weil er sie wohl meritirt. " *) In der Schlacht bei Zorndorf gehörte Forcade zu den Verwundeten.**) Seine in der Folgezeit geleisteten ausdauernd guten Dienste, theils als abgesondert Commandirender, theils als Untergeneral , wurden belohnt nach dem Hubertsburger Frieden durch eine Königliche Ehren gabe im Betrage von 8000 Thalern. Forcade starb , erst 65 Jahre alt , in Berlin am 23. März 1765. Der König Ein groszer Verlust für dessen zahlreiche Familie. richtete an die Wittwe
geborene de Montolieu, Baronin de Saint
Hippolyte, eine Generalstochter - ein wahrhaft ritterliches Trost schreiben, welches, als ein von Königlicher Hand auf das Grab eines unvergessbaren „ Soldaten "
niedergelegter Gnadenbrief,
in
gutem
Andenken zu bleiben geeignet ist ; denn diese Königlichen Zeilen gehören, ebenso wie das bekannte Hohenfriedberger Ehrendiplom des Dragoner-Regiments Baireuth, zu den werthvollsten Documenten für die Bereitwilligkeit des groszen Königs, hervorragende Leistungen zu belohnen mit auszergewöhnlichen Dankbarkeitsbeweisen. D. d. Potsdam 10. April 1765
schreibt der Monarch „ an die
verwittwete Generalin v. Forcade" : Je profite du premier moment de ma convalescence pour vous faire connaître la part que je prends à la perte que vous avez éprouvée, soulager votre juste douleur.
et ce que je veux faire pour
Je vous donne une première pension
de cinq cents écus pour les longs et fidèles services que m'a rendus votre époux , une seconde de pareille somme en considération de votre heureuse fécondité (23 Kinder, von denen zur Zeit noch 11 lebend), et une troisième, également de cinq cents écus, pour vous aider à élever vos enfants .
Je n'ai plus qu'à vous recommander de Schliesz
faire en sorte qu'ils marchent sur les traces de leur père.
lich wird der Adressatin mitgetheilt , dass dem General-Directorium bereits befohlen sei , ihr zeitlebens die ganze Summe ( 1500 Thaler)
*) Nach Graf Stillfried's Ordensliste, gedruckt 1871 in der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei, Seite 20, datirt Forcade's Schwarzer Adler Orden vom 7. December. Sollte in obigem Königlichen Schreiben der Passus : „Ich ertheile Ihm . . ." bedeuten : „Ich übersende Ihm ... “, oder „Ich habe Ihm nicht nur den Schwarzen Adler-Orden ertheilt . . ."? **) Der Königliche Generaladjutant v. Wopersnow schrieb an Graf Henckel, Adjutant des Prinzen Heinrich, am 30. August 1758 aus Tamsel , Eigenhändig : " Generallieutenant Forcade ist am Kopf ziemlich hart blessirt." 22 *
Forcade.
328 alljährlich zu verabfolgen ;
nund auszerdem geschieht es mit Ver
gnügen, dass Ich Ihnen die Versicherung geben kann, wie lieb Mir jede Gelegenheit sein wird , bei der Ich Ihnen Meine Achtung und Gewogenheit bezeugen kann. " Von diesem Königlichen Briefe (welcher, wie es scheint, zuerst 1782 druckschriftlich veröffentlicht worden ist *) ) sagt Graf Guibert in seinem Éloge du Roi de Prusse (London 1787) : "7 Malheur au pays où cette lettre ne serait pas trouvée touchante, et où l'analyse qu'elle contient paraîtrait petite et parcimonieuse ! " Wir, unsererseits, wollen zuvörderst beachten den hohen Grad der Königlichen Herzensgüte, welcher in den Worten : „ Je profite du premier moment de ma convalescence" liegt. Man darf nämlich Dieselben nicht einfach so deuten, dass der Monarch eine Generals wittwe huldvoll avisirt , Seine Zeilen an sie hätten sich Krankheit halber verspätet. Man muss jenen Briefanfang ganz wörtlich verstehen. Bekanntlich kehrte der grosze König zurück aus dem sieben jährigen Kriege mit gebrochener Körperkraft ; und mehr wie bevor hatte Er fortan zu leiden an Seinen ererbten Gichtbeschwerden. (Am 25. April 1765 benachrichtigt Er den Veteranen Fouqué : „ Mein lieber Freund !
Seit ungefähr sechs Wochen stellte sich bei mir
die Gicht ein, in einer heftigeren Weise als jemals .
Jetzt, nachdem
das Uebel überstanden und ich anfange, mich zu erholen .
.")
Aus einem Briefe des Königs d. d. Potsdam 22. April 1765 an die Markgräfin v. Schwedt, Seine Schwester, ersehen wir sehr klar, dass Er „ beim ersten Beginne
Seiner Genesung"
(am 10. April)
Sich anstrengen musste, um der Generalin v. Forcade - wie Er dies in dergleichen Fällen zu thun pflegte -- Eigenhändig zu schreiben.
Unter diesem (bisher noch nicht dargethanen ) Gesichtspunkte steigert sich also der Werth jenes tröstenden
und fürsorglichen Königlichen Handschreibens. Ferner wollen wir berücksichtigen : Es ist wohl mit Bestimmtheit anzunehmen, dass die verwittwete Generalin v. Forcade eingedenk der besonderen Gnade des Königs für ihren verstorbenen Gemahl - es unterliesz, eine Bitt schrift an Se. Majestät zu richten.
Jedenfalls empfand der grosze
König eine hohe Herzensfreude, wenn Er unaufgefordert Sich
*) „Sammlung ungedruckter Nachrichten", anonym publicirt in Dresden ; Theil I. Später in den „Anekdoten und Charakterzügen aus dem Leben Friedrich's II. ", Berlin bei Unger.
Forcade. der Hinterbliebenen
eines
329
wahrhaft verdienstvollen
Staatsdieners
väterlich annahm . Sicherlich ist eine erhebliche Menge von Belägen für solche Königliche Mildthätigkeitswerke uns unbekannt. jedoch wissen wir, und wir betonen es ,
Mit Bestimmtheit
dass König Friedrich von
der geringen Geldsumme, welche Er jährlich für Sich vom Staate beanspruchte, auch den Hinterbliebenen des Mannschaftsstandes verhältnissmäszig viel zuwendete und auszerdem noch ihnen gern hülfsbereit war. Freilich konnte der König nach dem siebenjährigen Kriege nicht in dem Maasze sorgen für die Invaliden, wie Er es während und nach Seinen ersten Feldzügen zu thun gewillt und beflissen war. haupten :
Keinenfalls aber darf man
sich erkühnen , zu be
Eine kaltsinnige Sparsamkeit sei Schuld an der unvoll
ständigen Invaliden- Unterstützung nach dem Hubertsburger Frieden. Es ist diese Anklage gegen Friedrich den Groszen erhoben worden, bald nach dessen Ableben, Seitens des Schwedischen Gesandten im Haag Baron Schulz von Ascherade, in einem lateinisch geschriebenen Buche ; und sie mag vielfach als auf Wahrheit beruhend erachtet worden sein ,
weil der Verfasser dieses Opus übrigens
sich als
ein unparteiischer Bewunderer unseres groszen Königs kundgiebt. Ins Deutsche übersetzt von Theodor Schmalz , erschien des ge nannten Barons (2 Theile. 8º). *)
" Geschichte
unserer
Zeit"
in Königsberg
Wir beschränken uns hier auf die Mittheilung :
1790
In den Jahren
1763 bis 1786 bestimmte der König von derjenigen Summe, die Er zu Neujahr jedesmal den Berliner Armen Theil für die dortigen Soldatenwittwen .
schenkte, den vierten
Sodann erinnern wir an
des Königs Eigenhändige Worte der Befürwortung wegen Anstellung eines alten Infanterie-Feldwebels als Salzfactor :
„Ihr (der Minister
v. Werder, welcher seit dem 31. December 1781 Chef des „ Salz departements ") werdet ja Meine Invaliden nicht verstoszen wollen. Ihr seid ja selbst Soldat gewesen ; Ich bin es noch , und sehe es gern, dass meine Cameraden versorgt werden . " Der betreffende er graute Kriegsgenosse hatte sich nämlich , nach langen vergeblichen Bemühungen wegen einer Civilversorgung , direct an den König ge wendet mit der
Bitte um Unterbringung
als Salzfactor.
König
*) In dem zur Secularerinnerung an den Frieden von Hubertsburg ge schriebenen Büchlein ,,Vom groszen König“ (Potsdam 1863 bei Ed. Döring) findet man Seite 112 bis 120 eine Abhandlung über Friedrich's des Groszen Beziehungen zu Seinen Invaliden ; zum Theil bisher unbekannte Archivalien.
Forcade.
330
Friedrich's Hülfsbereitschaft war nach dem siebenjährigen Kriege und nach dem „ Kartoffelkriege" die gleiche wie in den ersten Jahren Seines menschenfreundlichen Regierens . Am 24. Juni 1743 richtete die Wittwe eines Unteroffiziers,
der
in einem Märkischen Infanterie-Regimente gedient, ein Bittschreiben an den König. Potsdam
Er schrieb, zur Erledigung, dem Minister v. Brand ;
den 30. Juni :
„ Ich adressire an Euch hierbei die
stellung der Wittwe . . ., mit deren kümmerlichem Zustande gnädige compassion habe.
Vor ich
Ihr sollt also mit allem Ernst sehen, wie
sie irgendwo zu ihrem Unterhalt, etwa in einer Stiftung , Wittwen hause etc. untergebracht oder sonst versorget werden könne ;
und
wird es Mir zu gnädigem Gefallen gereichen, wenn ihr damit zu Stande kommet. " Es ist sehr anziehend , Friedrich kennen zu lernen in der wahren Herzlichkeit dieser Königlichen Fürsorge.
Seine desfallsigen Decrete
sind der vollgültige Ausdruck eines echt Fürstlichen Mildthätigkeits sinnes , welcher frei und fern ist von " Phrase " ; ganz so wie die ebenso schöne wie wahre - soldatisch begeisterte und kriegerisch begeisternde ―― Ruhmrede für das Regiment Forcade. " La valeur fait les
grands héros , l'humanité
fait
les
bons
princes." So sagt Friedrich in Seiner historischen Abhandlung über den groszen Kurfürsten . (Gr. L.)
XXII.
Die jüngsten Ereignisse
auf der Balkan
Halbinsel.
Seit dem Juli vorigen Jahres versucht bekanntlich die christ liche Bevölkerung Bosniens
und der Herzegowina,
Joch auf gewaltsame Weise abzuwälzen .
das Türkische
Von Bosnien und
der
Herzegowina hat sich der Aufstand dann über Bulgarien verbreitet, und vor Kurzem sind auch Serbien und Montenegro offen in den von religiösem Fanatismus genährten Kampf eingetreten. Das übrige Europa wird vorläufig nur von dem Branden des blutigen Gischtes berührt ; aber die Sorge liegt nahe, das entfesselte Element
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel. möge, weiter leckend ,
Elend und Jammer
über die Völker bringen.
in
331
unabsehbarer Weite
Bevor auf den Aufstand und den daraus
entstandenen Krieg selbst eingegangen wird , erscheint eine kurze Charakteristik der betreffenden Länder und Völker am Platze.
I.
Bosnien und die Herzegowina
sind ein Theil des alten Illyricum , welches dem Römischen Kaiser thume
mehrere Soldaten - Kaiser gegeben hatte ,
und
bilden den
äuszersten Nordwesten des groszen Ländercomplexes der Europäischen Türkei.
Im Mittelalter gehörte
dieser Landestheil wechselnd
zu
Croatien. Kaiser Friedrich III erhob die Herzegowina zu einem selbstständigen Herzogthume und belehnte die Familie Kranitsch mit der Herrschaft.
Muhamed II.
eroberte 1466 das Land,
liesz den
Islam mit Feuer und Schwert verbreiten und entvölkerte die Provinz . Nach langen Zwistigkeiten mit Oesterreich wurde dieselbe endlich im Carlowitzer Frieden 1699 von den Türken behauptet.
Das ganze Land, durchgängig gebirgig, wird von den Dinarischen Alpen, der Wasserscheide zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meere, durchschnitten. Die Herzegowina, von vielen kleinen, schroff abfallenden , zerklüfteten Ketten durchzogen, bildet den rauhesten Theil Bosniens und stöszt im Süden direct an das schon durch die Natur engverwandte Montenegro. Bosnien ,
mit groszen Wäldern bedeckt ,
entbehrt häufig des
Wassers, weil solches durch den porösen Kalkstein aufgesogen wird . Nachdem sich in unterirdischen Höhlen Wassermassen gesammelt, treten dann aber plötzlich an manchen Orten kleinere und gröszere Bäche hervor, um ebenso schnell wieder zu verschwinden. Die Hauptflüsse des Landes, die Narenta, Unna, Wrbas, Bosna, Drina nebst Sau, letztere blos die Nordgrenze des Landes berührend, bilden einerseits fruchtbare Thäler, andererseits natürliche Communications mittel, mit denen das Land sonst nur in der ärmlichsten Weise be dacht ist.
So existirt als einzige Eisenbahn die Strecke von Novi nach Banjaluka und von da als Fortsetzung der
über Priedor Eisenbahn
1 ) Eine Fahrstrasse über Jaice, Travnik, Serajevo, Visegrad, Pribo nach Bulgarien ; 2) die fahrbare Strasze von Brod über Maglai bei Vitez auf obige stoszend. 3) eine eben solche von Belina über Zwornik bei Baltici auf die ad 1 mündend.
Ferner
4) von Klek über Metcowitze,
Mostar, Nerevta nach Serajevo.
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
332
Von dieser bei Buna abzweigend, für Fuhrwerk nur schlecht pas sirbar:
5) über Stolacz, Ljubinje, Trebinje, Bilek, Niksitcz nach Bul garien, und 6) von Niksitez zurück über Metokia (Gatzko), Nevesinje nach Endlich
Mostar.
7) von Klek über Struitza, Jakopo, bei Slano auf die Strasze nach Trebinje führend. Einer der wichtigsten
Communicationspunkte für die Türkei
ist der Hafenort Klek am Adriatischen Meere, im Busen von Stagno. Auszer an diesem• Punkte berührt die Herzegowina noch am Busen von Cattaro das Meer. Durch diese vorspringenden Besitzungen der Türkei wird Dalmatien in drei Theile zerrissen , welcher Um stand in so fern ein historisches Interesse bietet , als die ans Meer anstoszenden Stücke seiner Zeit von der Republik Ragusa freiwillig an die Türken abgetreten wurden, um sich auf diese Weise von dem mächtigen Venedig zu
isoliren.
Den Meerbusen von Cattaro
konnten die Türken nicht zur Ausschiffung von Truppen benutzen, da derselbe ausschlieszlich ein Oesterreichisches Wasser ist. Um so mehr also war der hohen Pforte der Weg über Klek von groszer Be Die Landzunge mit dem dahinter liegenden Festlande ist Türkisches Gebiet und bildet die, mit Unrecht als solche benannte, deutung.
"Enclave" Klek ; die Ortschaft „ Klek " selbst liegt zwar hart an der Grenze, aber noch auf Dalmatinischem Gebiete. Dieser Ort darf nur nach
eingeholter
Erlaubniss Oesterreichs
schiffungspunkt benutzt werden.
als
militairischer Aus
(Vertrag von 1855.)
Von den Orten des Landes, welche für den jetzigen Aufstand eine einigermaaszen militairisch wichtige Bedeutung haben ,
sind
Trebinje, Niksitcz, Kolatschin, Popolje, auch der schon auszerhalb der Grenze liegende Ort Sienitza zu verzeichnen. sind die Hauptstadt Mostar, Stolacz,
Hauptstützpunkte
Ljubinje, Vitecz, Plateau und
Tiefebene von Gatzko . Abgesonderte Forts resp. Blockhäuser finden sich bei Subtza,
Grab,
Tubsi, dann
nach Ragusa das Fort Drieno ;
auf dem Wege von Trebinje
zwischen Gatzko und Vitecz Fort
Korota, ferner dort, wo der Weg nach Klickschitz abgeht, das Fort Krschatz und die Blockhäuser Golia, Nordre und Presjeka ; auf dem Wege von Gatzko nach Pivo die Forts Rawno und Goransko ; der Grenze von Montenegro noch Klobuck.
an
Diese Blockhäuser sind moderne Befestigungen, welche Omer Pascha nach dem Kriege mit Montenegro auf allen wichtigen Punkten der Herze gowina und im Süden Bosniens zum Schutze der Straszen anlegen liesz.
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
333
Trebinje ist eine kleine, arme Stadt, aus einigen hundert Hütten bestehend, in denen circa 3000 Menschen ein ärmliches Dasein fristen, im Thale des gleichnamigen Flusses. Die Befestigung des Ortes be steht aus einem verfallenen Walle, der allerdings hier und da mit Kanonen ältester Construction besetzt ist, und aus liegenden, mit Wasser gefüllten Graben.
einem davor
Die Festung hat nur einen
Ausgang über eine recht schlechte Brücke und bietet Raum Strategisch ist für 1800 bis höchstens 2000 Mann Besatzung. sie als Knotenpunkt Bedeutung.
der wenigen Straszen der Herzegowina von
Noch wichtiger durch seine Lage ist der an der Grenze von Montenegro
gelegene
Ort
Niksitcz ;
derselbe
hat starke ,
hohe,
steinerne, mit Schieszscharten versehene Mauern, einen Erdwall mit Geschützemplacements und auszerhalb der Festung selbst noch Block häuser für circa 600 Mann. Die Angaben über die vorhandenen Geschütze variiren zwischen 10 und 18 Stück. * Ist schon Bosnien ein armes, verödetes, in Uncultur versunkenes Land, so ist
die Herzegowina dies noch in weit höherem Maasze.
Die Laubwaldungen fehlen hier fast gänzlich , und es gedeihen nur hie und da kümmerlich Nadelhölzer. nahme in den wenigen Thälern , von
Mais ,
Knoblauch ,
Zwiebel ,
Von Ackerbau ist , mit Aus
kaum die Rede. hier
und
da
Anpflanzungen Wassermelonen,
auch vereinzelte , wenig gepflegte Oelbäume sind die Erzeugnisse des Bodens . Auch die Hausthiere sehen verkommen und verwildert aus.
Am meisten werden Ziegen gehalten , weil diese verhältniss
mäszig leichter auf dem Gebirge bei dem spärlichen Graswuchse zu erhalten sind , dann einige Saumthiere und halbverhungertes Feder vieh.
Der Handel ist selbstredend nur ein ganz unbedeutender und
werden die Waaren auf Saumthieren transportirt. Die Ausfuhr be schränkt sich auf etwas Wolle, weniges Oel, Schaf- und Ziegenfelle nach Ragusa und Cattaro, die Einfuhr auf Salz, Munition, grobe Bekleidungsstücke und einige Colonialwaaren. Die Bevölkerung vertheilt sich nach den Confessionen wie folgt : Muhamedaner 542,000 ,
Orthodoxe 580,000 ,
Zigeuner 18,000, Israeliten 3639,
Katholiken
215,540,
zusammen 1,359,179, und gehört
vorzugsweise der Serbo-croatischen Volksfamilie an ; die Sprache ist ein Bosnisch-Serbisches Idiom. Die Türkische Sprache ist nur sehr wenig vertreten.
Der Menschenschlag
zeichnet sich durch schöne
Körperformen aus, ist kriegerisch, von einfachen Sitten , in bestän diger Feindschaft mit der Türkischen Bevölkerung lebend. die
rauhere Natur des Landes
giebt
den Sitten
und
Schon
der ganzen
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
334
Lebensweise der Herzegoworzen etwas Schrofferes ,
als dies bei
den Bosniaken der Fall ; während erstere entschieden einen ritter lichen Charakter haben, zeigt sich der Bosniake in seinem Wesen und Handeln wenig entschieden und bestimmt. II . Bulgarien. Das untere Mösien der Römer hat seinen Namen von den Bul
garen, einem Tatarischen Volke, welches seit den frühesten Zeiten an der Wolga und dem Ural wohnte , bei Beginn der Völkerwan derung in die Donau-Gegenden und dann an der Donau hinauf zog und schon im fünften Jahrhundert wiederholte Einfälle in das Byzan tinische Reich machte .
In dem Zeitraum von 562 bis 635 lebten
die Bulgaren unter der Oberherrschaft der Avaren, bis ihr Fürst Kuvral sein Volk wieder befreite
und ein groszes Reich
stiftete,
welches die Söhne Kuvral's unter sich theilten, von denen der dritte das hier in Rede stehende, eigentliche Bulgarien erhielt, welches im Jahre 1392 von den Türken erobert wurde . Dasselbe bulgarische Volk, welches zu Anfang des Mittelalters, als die ehrgeizige Tatarische Dynastie über ihm thronte , wegen seines kriegerischen Sinnes, seiner Reichthümer und seiner Handels betriebsamkeit in hohem Ansehen stand, ist jetzt das schlichteste, friedliebendste unter den Völkern Europa's.
Der Bulgare ist dienst
willig, arbeitsam, äuszerst mäszig und im Handeln bedächtig, von seltener Beharrlichkeit .
aber
Sein Blick ist stolz, sein Körperbau
grosz und schön. Bei diesen Vorzügen ist er selten eines Enthusias mus fähig und sticht durch Schwerfälligkeit gegen seine Slavischen Nachbarn ab . Zählung
Am 20. September 1874 ergab die
der männlichen Bevölkerung
erste amtliche
im Donau -Vilajet folgende
Zahlen : Ansässige
Muhamedaner
392,369 ,
eingewanderte
Tataren,
Tscherkessen 64,398, muhamedanische Zigeuner 25,931 , zusammen Moslemine 482,698, Bulgaren 592,573, Griechen 7565, Armenier 2128, Israeliten 5375, Katholiken 3556, christliche Zigeuner 7663, andere Zigeuner 40,303, zusammen nicht Moslemine 659,253 , das Vilajet im Ganzen 1,141,951 . Das ganze Land bildet eine gegen 50 Meilen lange und 15-18 Meilen breite , vom Balkan zur Donau und nach dem Schwarzen Meere zerrissene, gebirgige Terrasse.
Die in die Donau flieszenden
Gewässer bewegen sich in schmalen engen Betten , welche keine vielmehr als Hindernisse anzusehen sind.
Communication zulassen,
Der Wechsel des Klima's ist ein sehr schneller,
wodurch, je nach
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
335
den Jahreszeiten, grosze Fruchtbarkeit mit Dürre wechselt. Im Früh jahre ist in Folge der mannigfachen Bewässerung ein Ueberfluss an Futterkräutern vorhanden ; doch im Sommer, gegen Mitte Juli, nach beendigter Ernte , bringen die unbeschatteten Felder und Wiesen keinen Grashalm hervor. Aber nicht allein die Jahreszeiten bedingen einen jähen Wechsel, auf brennende Tageshitze folgt ebenso schnell empfindliche Nachtkälte . Zum Schutze gegen solche Unannehmlich keiten des Klima's bedarf eine Armee in diesem Lande nicht nur einer entsprechenden Bekleidung, sondern auch guter Nahrung. Die Herbeischaffung der letzteren ist mit groszen Schwierigkeiten ver bunden . Ist auch Bulgarien die Kornkammer des Türkischen Reiches, so sind seine Producte doch nur mit Hülfe der Bewohner selbst zu erlangen, da in den ungangbaren, dicht bewaldeten Schluchten und Bergen sich Schlupfwinkel in reichlicher Zahl vorfinden ,
um den
Augen und Forschungen des Gegners die Vorräthe und die Heerden vollständig zu entziehen. Der in eine
Balkan ,
welcher
westliche und
eine
Bulgarien
durchzieht ,
östliche
Hauptmasse :
scheidet
sich
den Tschar
Dagh oder Scardus und den eigentlichen Balkan. Derselbe läuft pa rallel der Donau, 10 bis 15 Meilen von ihr entfernt, ist zerrissen, steinig, und bei seiner Länge von circa 50 Meilen nur auf wenigen Pässen zu überschreiten.
Seine Höhe übersteigt nicht 3500'.
Nach
Norden fallen die Höhen terrassenförmig ab und bilden, im Nordwesten an der Donau angelangt, das sogenannte Eiserne Thor ; den Nord abhang bedecken
prachtvolle Wälder,
die Südhänge sind hingegen
vollständig kahl. Die Wege des Landes stehen mit den Pässen des Balkan in engster Verbindung.
Ueber den zugänglichsten Theil des Gebirges,
den Emineh-Dagh , führen drei Pässe , der erste zwischen Aiwad schyk und Banakby , der zweite zwischen Misiwri und Burgas , der dritte zwischen Prawady und Aidos .
er
Der Pass von Schumla ist der wichtigste des östlichen Balkans ; nimmt sämmtliche Straszen aus der Dobrudscha und die der
festen Plätze an der Donau von Rassowa bis Rustschuk auf und führt als fortlaufendes Defilée nach Karnabad.
Ein fernerer Eng
pass ist das Eiserne Thor auf der Strasze von Tirnowa nach Slibno. Dieses vereinigt die von den Donau-Plätzen von Turtukai bis Sistowo nach Adrianopel führenden Wege. Ferner ist der Pass von Gabrowa nach Kesanlyk auf der Strasze von Ternowa zu nennen und endlich als siebenter Pass die augenblicklich am wahrscheinlichsten in Be tracht kommende
Trajans-Pforte ,
durch welche Sofia mit Tatar
336
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
Bazardschick verbunden ist.
Ueber diesen Pass führt die Strasze
grösztentheils als ein in den Felsen gehauener Saumpfad.
Dieselbe
nimmt alle Wege auf, welche von der Donau aus Serbien und Bos nien, sowie aus dem südwestlichen Theile Bulgariens über Sofia nach Constantinopel führen, und wird von allen Heeren, die von Nord westen und Westen gegen Constantinopel vordringen wollen, benutzt werden müssen. Zwischen Ichtiman und Bazardschick sind zur Vertheidigung dieser Strasze mehrere Forts erbaut.
Auszer diesem
sehr wichtigen Passe befinden sich auf der Strecke von der Donau nach dem Balkan zwei erwähnenswerthe Straszenknotenpunkte. Zum ersten, Tirnova führen : 1) Von Widdin längs der Donau nach Rahova und Ostrowa und von beiden nach Selwi ;
Orten
über
Glawa ,
Plena ,
Lowatz
Straszen
2) von Nikopolis ein neugebahnter Weg über Trstenik, Wladina nach Lowatz in die vorige ; 3) von Turtukai über Rasgard nach Tirnowa ; 4) von Silistria über Rasgard nach Tirnowa. Zum Straszen :
zweiten Straszenknotenpunkte Schumla
führen
folgende
1) Von Rustschuk über Wetowa im Thale des Aka-Lom auf wärts nach Rasgard und Osmar.
Diese Strasze zieht durch wohl
angebaute Gegenden und über freie Höhen bis in die Nähe von Schumla, wo sie sich zu einem Defilée gestaltet ; 2) von Silistria über Mewidschan, Kökludsche und Seklik nach Schumla ; 3) von Turtukai über Kaildere nach Seklik ;
4) von Rassowa über Bazardschik , Kosladschy , Jasatepe, Jeni bazar nach Schumla ; 5) von Braila über Mataschin durch die Dobrudscha über Karafu nach Bazardschik. Auf diese Strasze führen Seitenwege von Varna, Kavarna und Mangalia ; 6) von Tultscha über Babadagh, Kostensche und Mangalia nach Varna ein sehr schlecht unterhaltener Küstenweg . Die unter 3-6 angeführten Communicationen eignen sich wenig für den Marsch gröszerer Truppencorps wegen der schwierigen Passage durch kleine, felsige Thäler, gröszere oder kleinere Morast strecken und in Folge von Mangel an Holz und Trinkwasser. Die wichtigsten Defiléen befinden sich auf den Wegen 4 und 5 bei Ma taschin und Karafu ; ferner ist ein groszes Dickicht zwischen Ba zardschik und Kosladschy zu erwähnen. Von Varna führt schlieszlich
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
337
noch ein Defilée längst des Dewno- Sees über Prawady nach Schumla. Prawady sperrt das 300 Schritt breite Thal vollständig ab. Beide Wegeknoten werden durch den Engpass Jenikoi über den Dinar- Dagh verbunden. Eine wichtige Strasze führt ferner neben der Nissawa , einem Nebenflüsschen der Morawa, wie an dieser selbst , Nisch über Pirot über Leskowatz
mit
mit Sofia einerseits
und andererseits Nisch
Wranja verbindend.
Von Sofia aus führt die Bahn durch Thracien
über Philippopel, Adrianopel nach Constantinopel. Bedeutende Orte sind das an Mineralbädern reiche Sofia, jetzige
Hauptstadt, im Mittelpunkte des Reiches gelegen, mit Tuch-, Seide und Lederfabriken und blühendem Handel ; Tirnowa ist die vor malige Hauptstadt, wichtig für den Bulgarischen Handel , besonders durch Bereitung von Rosenessenz und Seide ; Samarkow im Balkan hat Hüttenwerke ; Palanka ist eine kleine Festung an der Nissawa ; Widdin, Stadt und Festung an der Donau im Norden des Vilajets, liegt von Morästen umgeben ; Nikopoli ist Handelsplatz mit Wein bau ;
Sistowa treibt Weinbau ;
Rustschuk,
Stadt und Festung hat
regen Handel in Wolle, Baumwolle, Seide, Leinewand, Leder und Tabak ; Silistria, bekannt aus dem Krimkriege , ist mit dicht be waldeten tiefen Gründen umgeben ; desgleichen Rassowa,
wo der
sich bis zum Schwarzen Meere erstreckende Tranjans- Wall beginnt ; Schumla, Festung und Stadt mit Kupfer- und Blechschmieden, Seiden Spinnereien und Leder-Fabriken ; Ratzgrad am Lom ist Vereinigungs punkt mehrerer Straszen und befestigt. Im nordöstlichen Theile Bul gariens , der Dobrudscha ,
sind zu nennen :
Hirnowa,
Baba-Dagh,
Mangalia, Bozardschik und Varna, Stadt und Festung. III. Die Serben
Serbien.
traten in Europa bereits im sechsten Jahrhundert
auf und bildeten in dem alten Illyrien, jetzt Serbien, Bosnien, Her zegowina, Dalmatien, Croatien und Slawonien, eigene Staaten, deren Oberhäupter Shupanen hieszen. Um die Mitte des zwölften Jahr hunderts erhob sich aus den damaligen Shupanen in dem jetzigen Serbien der Königliche Stamm der Nemanjas, aus welchem bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts acht selbstherrschende Könige und zwei Kaiser hervorgingen.
Mit dem Erlöschen des Geschlechtes
der Nemanjas fielen die von den Griechen gegen die Serben nach Europa gerufenen Türken in das Serbische, von Uneinigkeiten zer rissene Königreich ein. Nach dem Tode des Königs Lazar, welcher im Jahre 1389 am 15. Juni auf dem Amselfelde den Türken eine
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
338
grosze Schlacht geliefert hatte, wurde Serbien den Türken zinsbar. Noch einmal auf kurze Zeit wurde es frei ; doch bald bemächtigten sich
die Türken des ganzen Landes.
Im Jahre
1815 hatten die
Serben nach harten Kämpfen durch Russlands Vermittelung von der Pforte sehr günstige Bedingungen hinsichtlich ihres Abhängigkeits Diese Bedingungen wurden Verhältnisses zu derselben erhalten. im Frieden von Adrianopel 1829 nicht nur bestätigt , sondern noch erweitert. Hiernach bildet Serbien ein zwar der Pforte tributpflichtiges (der Tribut beträgt 726,800 Mark) ,
hinsichtlich
der inneren Ange
legenheiten aber selbstständiges, erbliches Fürstenthum, dessen Fürst unmittelbar mit der Pforte unterhandelt und einen Agenten bei der selben unterhält. Durch den Artikel 29 des Pariser Friedens vom 30. März 1856 wurde Serbien unter den Schutz lands , Frankreichs ,
Russlands , Eng
Oesterreichs , Italiens und Preuszens gestellt,
ohne deren Genehmigung nicht stattfinden darf.
eine bewaffnete Intervention in Serbien
Serbien, das obere Mösien der Römer, hat einen Flächeninhalt von circa 600 Quadrat-Meilen
und ungefähr 1 Million Einwohner,
fast nur Serben, auch Raizen oder Razen , nach dem Flusse Racza genannt, welche slavischen Stammes und griechische Christen sind. An Bildung übertreffen die Serben alle ihre Stammverwandten in der Türkei. In Kragujewatz ist ein höheres Gymnasium ; jeder Verwaltungsbezirk des Landes hat eine Normalschule, und wird für Hebung der Bildung von Seiten des Landes sehr viel gethan. Das Land ist fast durchgängig gebirgig uud mit groszen Wäldern bedeckt. Aus allen Wäldern flieszen eine Menge von Bächen und Flüssen , die sich hier und da in reiszende Ströme verwandeln . Nur in den Thälern der gröszeren Flüsse finden sich einige schmale Flächenstriche. An fruchtbaren Flächen zeichnet sich die Ebene von Magowa oder Chilok aus,
welche sich von der Mündung der Drina in die Sawe
von Rassa bis Schabatz und noch über Waljewo erstreckt. Ferner das sehr fruchtbare Marowa-Thal. Diese zwei Ebenen verbinden sich in der
Gegend
von
Czaczak .
Die
Gebirge
erreichen
die
Höhe eines bedeutenden Mittelgebirges. Sie sind reich an Me tallen und anderen werthvollen Mineralien. Im Jahre 1837 sind bedeutende Steinkohlenlager aufgefunden.
Der Boden liefert
Ge
treide, Hanf, Tabak, Obst, trefflichen Wein, Melonen etc.; zahlreiches Rindvieh,
besonders Schweine,
Pferde, Geflügel,
Bienen,
Fische,
Seidenraupen und viel Wildpret trifft man im Lande. Nach der Militair-Grenze und Ungarn werden Ochsen, Schweine, Häute, Pelz
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel. werk und Wachs in Menge verhandelt , wollen-Waaren, Leinewand eingeführt.
339
dagegen Papier ,
Baum
Im Norden Serbiens bildet die Donau von Belgrad bis Widdin ein äuszerst beschwerliches Defilée .
Im Stiden trennen hohe, un
wirthbare Gebirgszüge, die aber nicht so rauh als die Bosnischen sind , das Land von Macedonien und Albanien, während im Osten wilde, grösztentheils ungangbare Gebirge dasselbe von Bulgarien scheiden. Westlich wird Serbien durch die steil abfallende Ufer wand der Drina gedeckt. An Straszen, welche mit Geschütz und Fuhrwerk zu passiren sind folgende vorhanden :
1) Von Belgrad nach Nisch ; 2) von Tekin an der Donau, gegenüber von Orsowa nach Nisch über Gladowa,
Gabrowatz, Negotin, Saitschar (auch Zaitchar) am
Weli Timok und Gurgussowatz.
Auf diese Strasze führt ein fahr
barer Seitenweg von Negotin über Ginsowa, ferner von Saitschar über das
Fort Wraschkatsch-Kuka ,
vom Wratarnitza- Pass
über
Kula und von Gurgussowatz über Belgradschik, sämmtliche Wege nach Widdin ,
die drei letztgenannten über beschwerliche Defiléen .
Eine hochwichtige Bedeutung hat das Defilée von Wratarnitza ; nur durch dieses von der Natur geschaffene Thor ist es möglich , von Nisch aus über Knjazewacz
nach dem Norden Serbiens und nach
Widdin, oder umgekehrt, vorzudringen.
Sein Besitz sichert die un
gestörte Communication in dem Ufergebiete der Nissawa, des Timok und der Donau ; 3) von Rama oder Semendria nach
Nisch über Passarowatz,
Cupreya auf Weg 1 ; 4) von Belgrad über Ripani, Ralje, Nemikalja, Cumiti,
Kragu
jewatz, Krusewatz nach Nisch ; 5) von Raca an der Sawe über Radovinci , Ljesnica , Losnica, Zwornik, Bacevski, Krioiça, Uzica, Caitina in Bosnien, ferner über Rades, Nova Varos, Sienica nach Novi Bazar. Diese Strasze ist bis Uzica, mit Ausnahme weniger Strecken, zu jeder Zeit fahrbar ; 6) von Belgrad über Ostrusnica , Drazewatz, Uzica, Caitina, Rades in Bosnien in die Route 5 ; 7) von Belgrad
über
Zelesnik ,
Rogaia ,
Ub,
Lajkowac,
Satornya,
Brusnica, Czaczak, Ivanica, Daily nach Novi Bazar.
Rudnik,
Für Geschütze
nur bis Brusnica fahrbar ; 8) von Belgrad über Ripani, Tobolje , nach Kragujewatz , Vita nowatz, Kloster Studenica nach Novi Bazar. Die zwischen Karanowatz und Krusewatz über das Kopavnik- , Lepenatz- und Jastrebatz-Ge
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
340
birge ziehenden Communicationen sind durchgehends beschwerliche Saumpfade ! Von Transversalwegen führen : a) Von Raca über Belgrad nach Brzna-Palankn. Von Belgrad durch die sogenannte Eugenische Linie, sämmtliche Gewässer auf Brücken übersetzend , bis Golubac als Chaussée ; b) von Zwornik über Krupani ,
Waljewo ,
Toplica ,
Satoruja,
Kragujewatz, bis hierher für Geschütz brauchbar , dann über Jago dina, Cuprya, Mutnica nach Saitschar ;
c) von Visegrad (Bosnien) nach Uzica , Pozega , Ccaczak nach Kragujewatz . Von den Städten Serbiens finden:
mögen folgende
eine
Erwähnung
Belgrad als feste Hauptstadt am rechten Donau- und rechten Sau-Ufer, ehemals eine der stärksten Festungen Europa's, mit Waffen, Teppich-, Seiden-, Baumwollen-Waaren und Lederfabriken ; Kragu jewatz, frühere Residenz und Hauptstadt, ebenfalls befestigt ; Schabatz, Festung an der Sau ; Semendria, Festung, Weinbau ; Pasarowitz, Festung : Poretsch,
befestigter
Flecken auf der Donau- Insel
mit
Weinbau, Fischfang, Caviarbereitung ; Uzica, Stadt und Festung, Bibliothek und lebhafter Handel, Straszenknotenpunkt ; Waljewo, an einem Nebenflusse der Sau, befestigter Marktflecken ; Sokol, starke Bergfestung ; Kladowa, Stadt und Festung am rechten Donau- Ufer mit den Trümmern der Trajans-Brücke ;
Alexinatz mit stark
be
festigtem Lager Nisch gegenüber. An militairischen Streitkräften besitzt Serbien : 1 ) Die stehende Armee. Diese ist eigentlich nur als die Pflanzschule von Instructoren für die Miliz anzusehen. Indess ist ihr Etat kürzlich vergröszert worden.
So hat sie statt 2 Bataillone Infanterie und
2 Escadrons Cavallerie als Normalstand gegenwärtig das Doppelte, auszerdem 4 Feld- und 4 Gebirgs-Batterien zu je 6 Geschützen ; ein Sappeur- oder Pionier-Bataillon und 5 Compagnien Gensdarmerie, im Ganzen 5600 Mann mit 600 Pferden, inbegriffen den Generalstab und das Sanitäts-Detachement ;
2 ) Die Landwehr ersten Aufgebotes . Diese setzt sich zusammen aus 18 Infanterie- Brigaden, jede zu 8 Bataillonen ; 5 Regimenter Ca vallerie zu je 4 Escadrons, 18 Batterien Feld-Artillerie zu je 6 Ge schützen ; 4 Compagnien Festungs- Artillerie und 18 Pionier- Com pagnien. Im Ganzen 90,000 Mann, 3000 Pferde, 108 Geschtitze ; 3) Die Landwehr zweiten Aufgebotes : 64 Bataillone Infanterie,
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel .
341
13 Escadrons Cavallerie und 18 Batterien. Im Ganzen 40,000 Mann, 1300 Pferde, 108 Geschütze. Um den Landwehrmann des ersten wie zweiten Aufgebotes nicht nutzlos von seinem Heimathsorte zu entfernen, bildet jeder der 18 Districte des Landes gleichzeitig einen Militairbezirk, zu bestimmten Zeiten Uebungen abgehalten werden.
in welchem
Im Kriegsfalle
soll zunächst nur das erste Aufgebot mit der stehenden Truppe die Operations - Armee bilden ; sie beziffert sich Alles in Allem auf pr. pr. 95,600 Mann, 3600 Pferde und 156 Geschütze . Die Infanterie dieser Truppen ist im Allgemeinen mit Gewehren nach Peabody's System bewaffnet, indess sind im verflossenen Jahre seitens der Regierung im Auslande noch eine beträchtliche Anzahl Hinterlader verschiedener Systeme angekauft worden.
Die Zahl der Reserve-Gewehre in den
Serbischen Arsenalen wird auf pr. pr. 190,000 geschätzt. Die Geschütze sind grösztentheils Krupp'sche Stahlgeschütze. Jedoch giebt es auch noch Vorderlader nach dem la Hitt'schen Systeme.
In den Belgrader
Gieszereien ist man aufs Eifrigste beschäftigt , Geschütze zu ver fertigen, und befinden sich schon jetzt in den Arsenalen von Belgrad und Kragujewatz mehrere Hundert neue Geschütze. Cavallerie ist mit Säbel ,
Die Serbische
kleinen Gewehren und Pistolen bewaffnet,
die Pferde sind zwar klein, doch ausdauernd. hat vier Brücken - Trains ,
Die Serbische Armee
welche bei den schlechten Wegen und
mangelhaften Brücken von groszer Wichtigkeit sind . Die augenblickliche Zusammensetzung der Armee ist folgende : 1 ) Division der Drina . Sitz des Commando's : Valjevo, mandeur : Ranko Alimpitsch.
Com
Brigade von Schabaz : 5 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Brigade von Podzina : 3 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts -Abtheilung, Brigade von Valjevo : 5 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts - Abtheilung , Cavallerie-Regiment der Drina : 5 Escadrons , Artillerie- Regiment der Drina :
2 Feld-Batterien zu 8 und 3
Gebirgs- Batterien zu 4 Geschützen, Genie-Bataillon der Drina-Division , Feldlazareth , Munitions colonne , Birago'scher Brücken - Train , Feldpost , graphen-Abtheilung, Proviantcolonne.
Tele
In Summa : 13 Bataillone Infanterie, 5 Escadrons , 8 Batterien und 1 Genie-Bataillon, Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
23
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
342
2) Division der West - Morawa.
Sitz des Commando's : Tscha
tschak, Commandeur : Zach. Brigade von Uzica : 6 Bataillone Infanterie, 1 Sanitäts-Abtheilung,
1 Batterie und
Brigade von Tschatschak : 4 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts - Abtheilung , Brigade von Rudnik : 3 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Cavallerie-Regiment der West-Morawa : 5 Escadrons, Artillerie-Regiment der West-Morawa : 3 Batterien zu 8 und 2 Gebirgs-Batterien zu 4 Geschützen, Genie-Bataillon, Train etc. , wie oben. In Summa :
13 Bataillone Infanterie, 5 Escadrons, 8 Batterien und 1 Genie-Bataillon.
3 ) Division der Süd-Morawa.
Sitz des Commando's : Tjupreya
(Cupreya), Commandeur : Miljatin Savanoro. Brigade von Krusewatz : 5 Bataillone Infanterie, und 1 Sanitäts - Abtheilung,
1 Batterie
Brigade von Alexinatz : 3 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Brigade von Tjupreya : 4 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Cavallerie- Regiment der Süd-Morawa : 5 Escadrons, Artillerie- Regiment der Süd-Morawa : 5 Batterien zu 8 Ge schützen, Genie-Bataillon, Train etc., wie oben. In Summa : 12 Bataillone Infanterie, 5 Escadrons , 6 Batterien und 1 Genie-Bataillon. 4) Division des Timok . mandeur : Leschjanin.
Sitz des Commando's : Saitschar, Com
Brigade von Saitschar : 4 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Brigade von Lznorek : 4 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts -Abtheilung , Brigade von Krajina : 5 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Cavallerie-Regiment des Timok: 5 Escadrons,
Artillerie-Regiment des Timok : 3 Batterien zu 8 Geschützen, Genie-Bataillon, Train etc., wie oben. 13 Bataillone Infanterie, 5 Escadrons, 6 Batterien und
In Summa :
1 Genie-Bataillon.
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel. 5) Division der Donau. Commandeur : Probitz.
343
Sitz des Commando's : Kragujewatz,
Brigade von Posharewatz : 5 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts- Abtheilung, Brigade von Branicsewatz : 5 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts -Abtheilung, Brigade von Semendria : 4 Bataillone Infanterie,
1 Batterie
und 1 Sanitäts -Abtheilung, Cavallerie-Regiment der Donau : 6 Escadrons, Artillerie-Regiment der Donau : 3 Batterien zu 8 Geschützen, Genie-Bataillon, Train etc., wie oben. In Summa :
14 Bataillone Infanterie, 6 Escadrons, 6 Batterien und 1 Genie-Bataillon.
6) Division der Schumadia .
Sitz des Commando's : Kragujewatz ,
Commandeur : Ljubomir Ukum-Mirkowitz . Brigade von Belgrad : 5 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Brigade von Kragujewatz : 6 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Brigade von Jagodino : 4 Bataillone Infanterie, 1 Batterie und 1 Sanitäts-Abtheilung, Cavallerie-Regiment der Schumadia : 7 Escadrons, Artillerie -Regiment der Schumadia : 3 Batterien zu 8 Geschützen , Genie-Bataillon, Train etc., wie oben. In Summa : 15 Bataillone Infanterie, 7 Escadrons , 6 Batterien und 1 Genie-Bataillon .
IV.
Montenegro
oder die Zrnagora ist das Land des Ivo Zrnoj , der nach der Zer störung des groszen Serben-Reiches in der Schlacht am Kosovopolje 1389 mit jenen Serben, welche sich dem Türkischen Joche nicht unterziehen wollten, in dies Hochland flüchtete. Ungefähr 78 Quadrat Meilen grosz, liegt es eingekeilt zwischen der Herzegowina und Dal matien, durch dieses vom Meere getrennt. Zwischen ihm und der Mahmud II . versuchte Türkei herrscht ewiger Kriegszustand . Montenegro 1421 zu erobern, wurde aber fast gänzlich aufgerieben. Im Jahre 1483 weisen die Montenegriner abermals einen sehr heftigen Angriff der Türken mit bestem Erfolge zurück. 1516 legt Djurady V., der letzte Fürst aus dem Heldenstamme der Zrnojevic, die Fürsten macht in Gegenwart des ganzen Volkes in die Hände des Metropo litan Vasib und setzt damit die Kirche zur Lenkerin des Freistaates 23*
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
344
der schwarzen Berge ein.
1689 schloss Montenegro mit dem Kaiser
Leopold ein Bündniss gegen die Türken und ein eben solches 1693 mit Venedig. Trotz der wirksamen Hülfe vergasz man das Land Aber in der Weihnachtsnacht 1702 , der im Carlowitzer Frieden . Sicilianischen Vesper Montenegro's ,
schüttelte der tapfere Vladika
Danilo das Türkenjoch ab und vertrieb den letzten Türken aus seinen Bergen . 1711 schloss Peter der Grosze von Russland ein Bündniss mit den Montenegrinern und erkannte in einem feierlichen Manifeste ihre Unabhängigkeit an. In fortwährenden Kriegen blieben die Montenegriner nicht allein den Türken gegenüber siegreich, auch wiesen sie 1808 die Franzosen unter Marmont in ihren Bewegungen gegen die Donau zurück . 1813 bemächtigten sich sogar die Zrna gorzen Ragusa's, mussten dieses aber im Pariser Frieden wieder an Oesterreich abgeben.
1862 kam es in Folge eines Aufstandes der Her
zegowiner von Neuem zum offenen Kriege mit der Pforte, in welchem die Türken bis Cettinje vordrangen, doch, mit sehr mäszigen Friedens bedingungen zufrieden, das Land wieder räumten. Ganz Montenegro ist gebirgig ,
ein Chaos von Kalksteinfelsen,
von denen seine eigenen Bewohner erzählen : „ Als der Schöpfer über die Erde hinschritt , um die Steine zu vertheilen,
zerriss der Sack,
in dem er sie trug, und was noch darinnen war, fiel auf Montenegro . “ Die Dinarischen Alpen entsenden zwei Aeste , den einen gegen Cattaro und die Adria, den zweiten in der Richtung gegen den See von Scutari.
Die rauhesten Theile sind die Gebirgsgegend zunächst
dem Gebirgsstocke Kom, dann Ober-Vasojevic und der mittlere Theil der Moraca.
Ebenso unwegsam ist die Gegend zwischen der oberen
Moraca und dem Bosnischen Bezirke Kolatschin.
Niedriger und zu
gänglicher wird das Gebirge, welches westlich an die Niksitzer-Zupa grenzt , daher es als Durchzug zwischen Kolatschin ( Kolasin) und Der vortheilhafteste Uebergangspunkt vom Niksitz benutzt wird. Thale der oberen Moraca in das der Tusina und zum Gebirgskessel von Piva- Drobnjak bietet der Gebirgssattel Javocze. Die Hauptübergänge über die Herzegowinisch-Montenegrinischen Gebirgsrücken sind : 1 ) von Niksitz über den Gebirgssattel Slivje in das Zeta-Thal und 2 ) jener aus dem Grahowa-Thale nach Tresnjevo. Zugänglicher ist die Gebirgsgegend zwischen Cattaro und Cettinje, am meisten aber öffnet sich das Gebirge im Süden und Südosten gegen den Scardar- See und die Moraca .
Die Gebirge gehören der Karst
formation an und sind nackte, wildzerrissene Felsmassen ; die vor herrschende Felsart ist ein grauer oder weiszlicher Kalkstein . Kleinere Thäler sind jene von Njegus und Crmnica.
Am frucht
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel. barsten ist das Gebiet um den Scardar-See.
345
Es findet sich sehr viel
Wald vor, besonders gegen Osten . Das Klima ist sehr verschieden, im Norden und Nordwesten rauh, mit vielen selbst den Sommer oft überdauernden Schneefeldern, im östlichen Theile milder, so dass in der Nähe des Scardar- See's beinahe ein Italienisches Klima herrscht. Landesproducte sind Schafwolle ,
geräuchertes Hammelfleisch ,
ge
salzene Fische, Farbholz, Schafe, Ziegen, Schweine, Kartoffeln, Talg, Häute, Geflügel, Mais, Reis, Holzkohlen und Aepfel. Absatzorte für diese Producte sind Cattaro und Vir-Bazar am Scardar- See. Die Communicationen des Landes sind äuszerst dürftig. Haupt straszen-Knotenpunkt ist Cettinje, von wo aus nach allen Richtungen Straszen auslaufen .
Alle diese Wege sind aber ausschlieszlich für
den von Kindesbeinen an im Bergsteigen geübten Fusz des Hoch länders gangbar. Nur in dem flachen Flussthale der Zeta, in der Gegend der unteren Moraca und am Küstensaume des Scardar- See's kann leichte Cavallerie und Geschütz verwendet werden. Die Montenegriner sind ein ritterliches , Freiheit liebendes Volk von schönem Körperbau, geborene Soldaten ; sie besitzen ein stolzes Selbstgefühl, dabei aber eine grosze Missachtung gegen die Frauen ; in den Kriegen zeichnen sie sich durch ihre Rohheit ganz besonders aus , indem sie bis vor ganz kurzer Zeit jedem gefallenen Türken den Kopf abschnitten. Für die Volksbildung ist seit 1869 viel ge than ; so liefert seit dieser Zeit Cettinje für jedes einigermaaszen bedeutende Dorf gut versorgte Lehrer.
Die Anfänge zur Organi
sation eines Heeres fallen in das Jahr 1853.
Jeder Montenegriner
ist vom 25. bis 40. Lebensjahre wehrpflichtig, und vermag das Fürsten thum 22,000 bis 23,000 Mann gut ausgerüsteter Krieger unter die Waffen zu rufen.
Gegenwärtig sind zwei Divisionen von ungefähr
je 10,000 Mann mit je einer Berg - Batterie formirt.
Jede Division
hat zwei Brigaden, jede Brigade fünf Bataillone (je vier mit Minie und eine mit Zündnadel- Gewehr, System Sederl). zählt acht Compagnien, die Compagnie 106 Mann.
Ein Bataillon
Obercommandant
ist der Fürst selbst ; Generalstabschef ist gegenwärtig der Woiwode Senator Plamenatz.
Ein Corps führt augenblicklich ein Verwandter
des Fürsten „ Petrowitz " . Dieses soll gegen Albanien operiren, während der Fürst mit dem anderen Corps in die Herzegowina ein gerückt ist. V.
Die Türkischen Streitkräfte.
Nach der Reorganisation von 1869 vermag die Türkei im Jahre 1878 aufzustellen :
346
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel . 150,000 Moussaf Nizam , 70,000 Ichtjad 240,000 Redifs, 300,000 Mustachfis . Summa : 760,000 Mann. Das jährliche Contingent beträgt etwa 37,500 Mann ; danach
würden von 1870 bis 1876 sieben Jahrgänge verfügbar sein = 262,000 Mann ausgebildeter, regulairer Truppen. Nach Abzug der Nicht-Combattanten wird sich der Effectivstand stellen auf: 1 ) Moussaf circa 66,350 Mann Infanterie , 12,500 Mann Ca vallerie, 10,200 Mann Artillerie, 1100 Mann Genie, 2 ) Ichtjad 40,000 Mann,
3) Redifs 100,000 Mann, 4) Mustachfis 120,000 Mann, 5) Irregulaire 60,000 Mann. In Summa : 410,150 Mann mit 732 Geschützen. Durch die Aegyptischen und Tunesischen Hülfscorps würde sich die Stärke erhöhen auf circa 500,000 Mann mit 764 Geschützen exclusive Gebirgs - Batterien . Die Armee ist in sieben Armeecorps eingetheilt, von denen das erste als Gardecorps bezeichnet ist. Brigaden existiren im Frieden nur bei der Cavallerie, sonst sind die Regimenter direct dem Corps-Commando unterstellt.
Im Kriege
werden auch Infanterie-Brigaden und Divisionen formirt. Für jede Division waren bestimmt zwei Brigaden zu sechs In fanterie-Bataillonen, einem Jäger- Bataillon, drei Escadrons Dragoner und zwei Batterien.
Ein Armeecorps soll haben zwei solcher Divisionen und eine Corps - Reserve, letztere bestehend aus sechs Jäger -Bataillonen, sechs Batterien, drei Cavallerie- Regimentern (zwei Ulanen- und einem Dra goner-Regiment) als Cavallerie-Brigade und zwei reitenden Batterien. Die Bewaffnung der Infanterie besteht durchgehends aus Hinter ladern und einem Yatagan, speciell sind die Englischen Systeme Henri Martini und Snider eingeführt. Die Bekleidung bildet eine blaue Weste ohne Kragen, ein offener, bei einem Theile krapprother, bei dem anderen hellgrüner Spencer, eine blaue wollene Leibbinde und weite Hose von der Farbe des Spencers . Die Kopfbedeckung ist theils der Turban oder ein mit schwarzblauer Quaste versehener Fez. Der Mantel wie die Be schuhung ist nach Französischem Muster.
Ersterer hechtgrau ,
wird,
wenn nicht angezogen, in einem Kranze um den Tornister befestigt
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
347
getragen. An sonstigen Ausrüstungsgegenständen hat der Infanterist zwei Patrontaschen, einen Brodbeutel, eine Feldflasche und statt des Kochgeschirrs grosze Kessel oder kupferne Pfannen. Die Cavallerie hat grösztentheils Französische Korbsäbel , die zwar sehr klein, aber von guter Qualität sind.
Die Ulanen führen
14 Fusz lange, mit rothen Fähnchen versehene Lanzen. Die Bekleidung besteht ebenfalls aus Spencer und Weste mit etwas anderem Besatz und Verschnürung, als bei der Infanterie, an statt der Schuhe Stiefel mit Sporen ; die Cartouche wird am breiten schwarzledernen Riemen getragen. Die Tscherkessen-Regimenter haben einen dunkelblauen Tscher kessenrock mit gelbem Passepoil, rothe Beinkleider, schwarze Pelz mützen
und
Sporenstiefel ;
die
Kosaken - Regimenter
rothbraune
Spencer und schwarze Beinkleider. Die Sättel , Kissen.
ähnlich dem Ungarischen
Bocksattel , ruhen auf
Wenn irgend angängig , haben die Pferde einer Escadron
gleiche Farbe . Die Mannschaft der reitenden Artillerie trägt hohe Stiefel mit rothen Umschlagklappen, Cartouche am breiten schwarzen Riemen ; im übrigen Anzuge ähnlich der Cavallerie , zeichnet sie sich vor dieser noch durch besonders reiche Verschnürung an den Aermeln aus. Die Mannschaft der Fusz-Artillerie ist ziemlich gleich der In fanterie costümirt. Bei festlichen Gelegenheiten trägt die gesammte Artillerie einen schwarzsammetenen Fez mit gelbem Messingschild, auf welchem ein Koran abgebildet ist. Das Artilleriematerial ist ganz nach Preuszischem Muster ( 1842) construirt, nur sind alle Abmessungen, der schlechteren Arbeit wegen, etwas verstärkt.
Das Material der Rohre ist vorzüglich .
Gezogene
Geschütze nach dem System La Hitte sind viel vertreten und gröszten theils aus Frankreich bezogen. schütze geliefert. Der reitende Artillerist
Erst neuerdings hat Krupp die Ge
führt
den
Cavalleriesäbel und
zwei
Pistolen , der Fusz-Artillerist ein Faschinenmesser. Die Festungs Artillerie ist noch mit Enfield -Gewehren bewaffnet. Beim Beginne der Unruhen befanden sich in der Herzegowina vier Bataillone, eine Escadron, eine Berg-Batterie und eine Abtheilung Gensdarmerie ( 100 Mann) , ein Bataillon aus Niksitz , ein Herzego winisches Bataillon und zwei desgleichen von der Bosnischen Brigade . Im Ganzen mochten es 1700 Mann Infanterie, 60 Mann Cavallerie, 40 Mann Artillerie sein .
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
348
Diese geringe Truppenmacht war folgendermaaszen vertheilt : zwei Bataillone und die Batterie in Mostar, ein Bataillon in und bei Trebinje (Zubci und Klobuk) ; ein Bataillon hatte man in ganz kleinen Abtheilungen auseinandergezogen ; Niksitz, die Escadron in Fotsch. -
VI.
zwei
Compagnien standen
in
Der Aufstand bis zum Beginne des Krieges mit Serbien und Montenegro . Der offenkundige Anfang der Unruhen in der Herzegowina ist
wohl darin zu suchen, dass im December 1874 sich etwa zwanzig Christen aus Nevesinje nach Montenegro flüchteten, welche wegen der Ermordung eines Muselmannes zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Im Frühjahre 1875 baten die Flüchtlinge um die Erlaubniss zur Rückkehr in die Heimath.
Die Pforte gestattete ihnen dieselbe,
die Zurückgekehrten verweigerten aber die nachträgliche Bezahlung der Steuern , sowie die
Anerkennung der Behörden von Mostar.
Schlieszlich bewaffneten sich die Unzufriedenen und griffen zwischen Mostar und Nevesinje
eine
Karavane
von zwanzig Pferden an,
plünderten diese und tödteten sieben Muselmänner. Erfolg war entscheidend ,
Dieser
erste
schnell fanden die Aufständischen Unter
stützung , und wenige Tage später waren die Insurgenten schon so stark, dass sie es wagen durften, ein Detachement Gensdarmen an zugreifen. Der Gouverneur der Herzegowina, Selim Pascha, wandte sich jetzt um Hülfe an Derwisch Pascha, Gouverneur von Bosnien ; zehn bis zwölf Tage vergingen, trotzdem Mostar und Serajevo Telegraphen verbindung hat ,
ehe Derwisch Pascha antwortete, Selim möge mit
den ihm unterstellten Kräften thun, was ihm gut erscheine.
In Ver
folg dieser Antwort ging Selim mit zwei Bataillonen und Batterie aus Mostar ( 10. Juli ) nach Nevesinje .
einer
Auf dem Marsche
wurden die Truppen von einigen Schüssen und einem gewaltigen Steinhagel überrascht ; Selim selbst , leicht verwundet , gab Ordre zum Rückzuge. Ein Oesterreichischer Serbe, Namens Ljubobatrich , führte die Insurgenten ; 400 derselben warfen sich über Dubra und Ljubinje in das Thal der Trebincia, mit der Absicht, sich bei Zubci und Um gegend zu sammeln und zu verstärken, was ihnen auch sehr gut gelang. Beim Kloster Duze nahm Ljubobatrich sein Hauptquartier. Am 20. Juli etwa wurde Trebinje von den verstärkten Insurgenten umstellt und von jeder Communication abgeschnitten.
Selim Pascha
begnügte sich einstweilen damit , die Forts und Blockhäuser mit
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
Lebensmitteln zu versehen. auch in Bosnien zu gähren, Selim thun.
349
Derwisch Pascha konnte, da es anfing, seinerseits nichts zur Verstärkung des
Er vermochte in Bosnien, wo eine rein muselmännische
Bevölkerung ist , nur zwei Redifs-Bataillone zu bilden. Diese Ba taillone führte er demnächst persönlich nach Mostar und telegraphirte nach Constantinopel um Hülfe. Monat.
Hier zauderte man einen ganzen Die beiden Häupter der Regierung , Mahmud und Hussein
Aoni, waren über die zu ergreifenden Maaszregeln uneinig. Dieser rieth zur äuszersten Strenge, jener zur Milde. Endlich wurde die Mobilisirung der Armee beschlossen und zugleich die Aufstellung eines Beobachtungscorps gegen Serbien und Montenegro befohlen . Am 4. August erschien alsdann der erste Truppentransport vor Klek. Mit diesem Transport, zwei Bataillone ( 1000 Mann), marschirte Nedjib Pascha auf Neum. Hier erwartete er die Ankunft fernerer zwei Bataillone und rückte mit 2000 Mann am 8. August nach Stolacz, um sich mit Derwisch Pascha zu verbinden.
Die Insurgenten, denen
es ein Leichtes gewesen wäre, diese 2000 Mann auf ihrem Marsche, wenn auch nicht gänzlich aufzureiben, so doch schwer zu schädigen, machten keinerlei Anstalten zum Angriffe, und so traf Nedjib am 10. August in Stolacz ein.
Kleine Wachtposten wurden auf der
Strasze nach Klek vertheilt ; ein Verpflegungstransport, unter Escorte von zwei Bataillonen, kam ungehindert nach Trebinje.
Unterdessen
hatten sich die Insurgenten wesentlich verstärkt, belagerten Klobuk und Niksitz, nahmen im Sturme Krstacz und Koroto. In der Nähe von Kolatschin entwaffneten sie eine Türkische Compagnie. Ihre Führer waren Peko Pawlowitsch, der Pope Zarkow, Luka Petrowich, Miroslaw Hubmeyer u. A. Die Bewaffnung , theilweise mit Hinter ladern, schritt ziemlich rasch vorwärts. Nach Ankunft einiger Verstärkungen entschloss sich Derwisch Pascha inzwischen zum Handeln .
Hussein Pascha, unter dessen Be
fehlen zwei Bataillone und sechs Geschütze in Klek anlangten (1200 Mann), erhielt Befehl, direct von Klek im Thale der Trebincia nach Trebinje vorzurücken und die Insurgenten dort und bei Zubci auf zuheben.
Nedjib Pascha, mit vier Bataillonen und drei Geschützen
(2100 Mann),
sollte über Dubra und Fatanitza nach Bilek rücken,
die Umgegend der Stadt von den Insurgenten reinigen und Niksitz entsetzen.
Hussein marschirte am 14., Nedjib am 16. August ab .
Am 16. oder 17. August kam noch ein neuer Transport von zwei Bataillonen unter Achmed Chamdi Pascha in Klek an, als Reserve für Hussein.
Derselbe löste seinen Auftrag, vertrieb die Insurgenten
und blieb mit 41
Bataillonen und 6 Geschützen (2200 Mann ) in
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
350
Trebinje stehen .
Nedjib dagegen wurde gezwungen, sich auf Stolacz Ein Verpflegungs
zurückzuziehen , doch wurde Niksitz entsetzt. transport ,
der unter Escorte von zwei Bataillonen und einer Ab
theilung Baschi-Bozuk's am 20. August dahin abging, verproviantirte "und entsetzte den Ort. Ein Versuch Nedjib's, Verbindung mit Hussein zu finden, scheiterte vollständig.
Die Insurgenten überfielen einmal
ein, ein anderes Mal zwei Bataillone und machten viele Leute nieder ; Hussein nahm unterdessen das Fort Grab und warf eine Besatzung hinein.
Am 1. September stellte sich die Situation folgendermaaszen :
Es befanden sich in Trebinje 5 Bataillone und 6 Geschütze (2200 Mann) unter Hussein , in Bilek 4 Bataillone und 3 Geschütze (2000 Mann)
unter Nedjib ,
in Niksitz
213 Bataillone
und eine
Abtheilung Baschi-Bozuk's ( 1300 Mann), in verschiedenen Forts und Blockhäusern
23
Bataillone
(300 Mann) ,
in
Fotsch
1
Escadron
(60 Mann) , auf der Strasze von Trebinje nach Klek 2 Bataillone (1000 Mann) unter Achmed Chamdi , in Mostar 2 Bataillone und 3 Geschütze (850 Mann) unter Selim ; an Verstärkungen in Klek am 23. August 2 Bataillone (1200 Mann) unter Schewket Pascha , am 30. August 3 Escadrons (300 Mann) , am 31. August 2 Bataillone ( 1200 Mann) . Im Ganzen betrug die Stärke der Türken etwa 10,500 Mann = 20 Bataillone, 4 Escadrons und 12 Geschütze . Dieser regulairen Armee gegenüber hatten die Insurgenten 8000 bis 10,000 Mann, fast ausschlieszlich eingeborene Herzegowiner, unter den Waffen.
Aus Montenegro waren ungefähr 500 Mann, und sonst
noch vorzugsweise Italiener den Insurgenten zugezogen. Der Werth dieser Schaaren war fraglich, da die Mehrzahl nicht an die Strapazen eines Feldzuges gewöhnt war, und die Führer über wenige Geldmittel verfügten.
Die Insurgenten der Herzegowina gehören ausschlieszlich
zum rein Slavischen Theile der Bevölkerung ,
auszer den Musel
männern nehmen die Römisch- Katholiken, den Befehlen ihrer Geist lichkeit folgend , an dem Aufstande nicht nur keinen Theil, sondern leisten den Türken auch auf alle Weise Vorschub. Von den zur Beobachtung Serbiens und Montenegro's bestimmten Truppen stand zu dieser Zeit ein Corps vor Scutari gegen Monte negro ; an den Grenzen von Serbien befanden sich
in Zwornik
10 Bataillone, 1 Escadron und 3 Batterien mit 18 Geschützen (8500 Mann) unter Schewket Pascha , in Neu- Bazar 20 Bataillone, 11 Es cadrons und 5 Batterien mit 30 Geschützen ( 18,000 Mann) unter dem Ungarischen Renegaten Mahmud Ali Pascha (sein Stabschef Berzetsky ist ein früherer Dominikaner- Mönch) , in Nisch 30 Bataillone , 10 Es
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
351
cadrons und 8 Batterien mit 48 Geschützen (28,000 Mann) unter Achmed Zjander Pascha , in Widdin 15 Bataillone, 5 Escadrons und 4 Batterien mit 24 Geschützen (13,000 Mann) unter Yaver Pascha. Letztere hatten zugleich Rumänien zu beobachten. In Montenegro herrschte während des Aufstandes fortwährend die
gröszte Aufregung ; nur mit Mühe konnte Fürst Nikolaus die Kriegslust Serbischer Seits beschwerte man sich fort während über die Einengung ihrer Grenzen ; da diese Beschwerde aber erfolglos blieb, wurden 35,000 Mann mobil gemacht. Die Groszmächte der Bevölkerung zügeln .
überredeten, angesichts der bedenklichen Verhältnisse,
unterdessen
die hohe Pforte, eine Commission einzusetzen, welche die Ursache des Aufstandes ermitteln und mit den Insurgenten verhandeln sollte. Diese Commission kam in Mostar zusammen ; doch , da die Insur genten sich weigerten, dorthin zu gehen, und im Lande selbst auf gesucht werden wollten, scheiterten die Verhandlungen vollständig . Im Monat September hatten die Türken nur vier Transporte, Lebensmittel und 2900 Mann, nach Klek gebracht.
Es wurde der
Türkei bei dem gänzlichen Mangel an Geld ungemein schwer, Truppen in genügender Anzahl schnell auf die bedrohten Punkte zu werfen ; auch der Unterhalt für dieselben konnte kaum beschafft werden.
Es verdient daher die
vollste Bewunderung ,
dass
der
Türkische Soldat, der übrigens allgemein als genügsam, ausdauernd, unverdrossen und muthig zu rühmen ist, sich so vorzüglich schlug, Monate lang, da er nicht gelöhnt, schlecht genährt, schlecht gekleidet, schlecht geführt , als Kranker oder Verwundeter schlecht gepflegt worden war. Die Insurgenten hatten sich in dieser Zeit bedeutend verstärkt und waren im September nur die Umgegenden von Mostar, Konitza ,
Fotsch , Tschainitza frei von den Insurgenten ,
d . h. die
Theile des Landes , welche von Römisch-Katholiken oder Moslems Bei Glawka Doli überfielen die Insurgenten eine bewohnt sind . Colonne, welche Hussein auf Ragusa in Marsch gesetzt hatte, um einem Transporte die Hand zu reichen , welcher mit Genehmigung der Oesterreichischen Regierung direct von Ragusa nach Trebinje vorrückte.
In diesem Kampfe verloren die Türken 200 Mann an
Todten ; die Insurgenten erneuerten die Blockade von Trebinje, Auch Selim und welche aber bald wieder aufgehoben wurde. Derwisch Pascha wurden geschlagen ,
ersterer am 5. und 6. Sep
tember bei Gatzko, letzterer am 10. September bei Rawno.
Im
östlichen Theile der Herzegowina trug der Pope Zarkow mehrere kleine Erfolge mud Ali.
davon.
Gegen ihn kämpften
Truppen von Mah
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
352
Die Türken hatten jedoch hier und da auch kleine Erfolge aufzuweisen, die nicht selten als grosze Siegesberichte in Constanti nopel verkündet wurden.
Hussein,
der bei Trebinje nicht recht
vorwärts kommen konnte, erhielt 3 Bataillone unter Schewket und 4 Bataillone unter Ali Pascha als Verstärkung. gerade
zur
richtigen Zeit.
Diese Truppen kamen
Ljubobatrich und
brachen mit einem Haufen von 2400 Mann auf,
Peko
Pawlowitsch
bewegten sich im
Trebincia-Thale nach Popowopolje, mit der Absicht, die Verbindung der Türken mit Klek zu unterbrechen. In der Nähe von Struitza kam es zu einem dreitägigen Gefechte ( 16. - 18 . September), welches sich bereits zu Gunsten der Insurgenten wandte, als plötzlich uner wartet die 7 Bataillone von Gatzko eingriffen ; die Insurgenten mussten nun in die Berge nach Ljubinje ausweichen. Die 7 Ba taillone gingen nach Trebinje , wo am 24. September 11 Bataillone (4000 Mann) unter 3 Pascha's versammelt waren (ein Bataillon war vertheilt auf der Strasze nach Ragusa und in den kleineren Be festigungen). Inzwischen waren die beiden Hauptführer der Insur genten von Ljubinje unbehelligt wieder in das Thal der Trebincia hinabgestiegen ; Ljubobatrich gelang es sogar, von hier auf zwei Tage einen Abstecher nach Ragusa zu machen .
Die Insurgenten erfuhren
unterdess, dass in Klek wieder ein Transport von 2000 Türken ange kommen sei und ein groszer Verpflegungstransport escortirt werde.
nach Stolacz
Am 30. September gelang es ihnen, diesen Trans
port gänzlich aufzuheben und eine Abtheilung aus Stolacz dorthin zurückzuwerfen. Unterdessen waren auch in Bosnien Unruhen ausgebrochen. Es folgen mehrere kleine Scharmützel ,
wobei die Türken die Grenze
überschreiten , was die Oesterreichische Regierung bewog , ein Be obachtungscorps aufzustellen . Anfangs October zählten die Insur genten mindestens 15,000 Mann, darunter ungefähr 2000 Fremde ; von diesen Letzteren etwa die Hälfte Montenegriner, Italiener, Dalmatier und Serben.
die anderen
Die Türken mochten um diese
Zeit in der Herzegowina etwa 14,000 Mann haben. erschien noch eine Irade des Sultans,
Im September
welche am 21. September
veröffentlicht wurde und im Wesentlichen folgende Bestimmungen enthielt : 1 ) Die Zuschusssteuer von 22 % des Besitzthumes zur Zehnten steuer wird aufgehoben ; 2 ) alle Rückstände, welche bis 1872 laufen, fallen fort ; 3) es sollen Vertrauenspersonen ernannt werden behufs richtiger Vertheilung der Steuer ;
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan- Halbinsel.
353
4) der Zehnte wird in eine Grundsteuer umgewandelt ; 5) Bosnien
und Herzegowina
ein Administrationsrath wird
erhalten Repräsentativ-System ;
dem General-Gouverneur beigegeben,
ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses ; durch die Gemeinden ;
die Wahl geschieht
6) aus allen Provinzen sollen einmal im Jahre Deputirte nach Constantinopel geschickt werden,
um ihre Beschwerden etc. dort
anzubringen. In Folge dieser Irade nahmen Hussein und Derwisch Pascha ihren Abschied ; auf die Insurgenten aber verblieben die Irade und die bezüglichen Proclamationen Server Pascha's ohne Eindruck . Die Führer des Aufstandes versammelten sich am 2. October in Kosierovo und
verlangten eine vollständige Trennung der Herze
gowina von der Türkei. Unter Lazar Sotschia bildete sich während dessen in der Nähe von Piya ein neuer Insurgentenhaufen ; die Un ruhen in Bosnien, Epirus, Albanien vermehrten sich ; auch wurde in der Bulgarei eine Verschwörung entdeckt.
Die Türkischen Macht
haber beförderten durch ihre Handlungsweise selbst diese Unruhen ; so traten sie in Bulgarien mit der äuszersten Härte auf; in Bosnien unterstützte man den religiösen Fanatismus der dortigen Moslems, und mit Beifall blickte man auf die Gewaltthätigkeiten, welche diese gegen die Christen verübten .
Im Uebrigen bemühte sich die Pforte,
die Meinung Europa's zu beschwichtigen und ersetzte den kriegeri schen Hussein Pascha durch den friedliebenden Risa Pascha. Raouf Pascha, der neue General-Gouverneur von Bosnien und der Herze gowina , war ein Freund des Hussein und entschiedener Anhänger Zum Gouverneur der Herzegowina kriegerischer Maasznahmen. wurde Krnstan-Effendi ,
ein Christ ,
ernannt ,
der aber sehr zum
Islam neigte. Die Gefechte mit den Insurgenten
hatten vorläufig fast ganz
aufgehört, weil nach Verkündigung der Irade und der Proclamation Server's die Türkischen Truppen Befehl erhalten hatten , sich jeder Offensivbewegung zu enthalten ; den Türken fehlten übrigens auch Transportmaterial und Pferde. Unter den Insurgenten waren Zwistig keiten ausgebrochen, es hatte sich eine Serbische und eine Monte negrinische Partei gebildet ; zwar kam es nicht zu offener Feind schaft, doch wurde jedes energische Handeln unmöglich . Als sich die Beziehungen der beiden Länder im November besserten, trat auch sofort wieder ein energischeres Vorgehen der Insurgenten ein. Die Basis für ihre Operationen lag in dem südlichen Theile des Departe Im nördlichen Theile desselben liegen drei be ments von Zubci .
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
354
festigte Punkte : Grab, Tul und Presjek, ferner kleinere Blockhäuser, welche allgemein Lutschin Krest heiszen und von Türkischen Garni sonen eingenommen sind.
Am 8. October fasste man im Insurgenten
lager den Entschluss, Presjek anzugreifen. Zu diesem Zwecke rückten am 9. October
Ljubobatrich,
Peko Pawlowich ,
Luka
Petrowich,
Trifki Bunalowich und Graf Taël, Italienischer Volontair, aus ihrem befestigten Lager am Jastrebowa- Berge gegen Presjek.
Nach einem
halben Tagemarsche erreichten sie mit 1000 Mann und 2 Geschützen ihr Marschziel
(diese zwei
Geschütze
Insurgenten Anfang Octobers halten).
mit 400 Schuss hatten die
auf dem Seewege über Sutorina er
Beide Theile beschränkten sich auf eine an sich zweck
lose Kanonade.
Durch den Schall wurde jedoch die Besatzung von
Trebinje aufmerksam und brach am 10. Morgens mit circa 1500 Mann und mehreren Geschützen auf. Um 10 Uhr wurde dieses Detache ment von den Insurgenten bemerkt und unter Verlust von 52 Todten und 200 Verwundeten nach Trebinje zurückgeworfen. Die Insur genten erbeuteten
150 Gewehre und nahmen die Köpfe der Ge
fallenen als Trophäen
mit .
Auf dieses
gröszere Gefecht
folgten
in der Nähe von Niksitz noch einige kleinere Scharmützel. Selim, welcher Mitte Octobers circa 3000 Mann gesammelt hatte, begab sich mit diesen am 15. auf den Weg nach Niksitz, um dieses proviantiren , doch musste Gatzko
zurückkehren ;
er
unverrichteter Sache
auch wurde
ein Ausfall
zu ver
wieder
der Türken
nach von
Niksitz zurückgeschlagen . In der Gegend von Piva hatte unterdessen Lazar Sotschia eine Abtheilung von 1000 Mann gesammelt und zwang das kleine Fort Regni zur Capitulation . stark,
doch
machte
einen gewaltigen
Die Besatzung war
diese
nur 50 bis 70 Mann
erste Capitulation Türkischer Truppen
moralischen Eindruck .
Am 19. October erfolgte
ein Zusammenstosz von circa 2000 Insurgenten mit 1500 Türken, welcher für die Insurgenten glücklich verlief. In Bosnien schleppte sich der Aufstand mühsam fort.
Von Be
deutung war nur die Zerstörung der Telegraphen -Verbindung und der Eisenbahnbrücke zwischen Novi und Banjaluka bei Prjbugobacz. Einigermaaszen wichtig für die Insurgenten war der Anschluss von pr. pr. 300
Katholiken aus Popowopolje.
Seiten der Türken, Barbarismus
sahen sich in Folge
Diese, des
anfänglich auf
unerhört
der Türkischen Machthaber genöthigt ,
thörichten
in Dalmatien
Zuflucht zu suchen. Unter Orsip Kowatsch traten jene 300 Katho liken von dort mit Waffen zurück auf Seite der Insurgenten ; dieser Haufen wuchs bald bis auf 800 Mann .
355
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel,
Am 11. November brachen die vereinigten Colonnen Selim's und Schewket Pascha's in der Stärke von 5000 Mann von Gatzko auf, um das Fort Goransko zu verproviantiren und zu gleichem Zwecke sich auch nach Niksitz zu wenden. Auf dem Marsche wurden sie von den Insurgenten, circa 4000 Mann stark, heftig angegriffen. Der Kampf fand in der Nähe von Muradvica statt und dauerte bis zum 12. November. Die Türken, vollständig geschlagen, flohen nach Gatzko zurück . Die Insurgenten erbeuteten den ganzen mitgeführten Proviant, 20 Pferdeladungen Munition, 300 Hinterlader und 50 Zelte. Durch diesen glücklichen Sieg, der übrigens von den Türken eben falls als ein solcher nach Constantinopel gemeldet wurde, verbesserten sich die Zustände der Insurgenten bedeutend . Die vielen Partei gänger , welche an dem schlieszlichen Erfolge schon verzweifelten und das Land verlassen hatten,
kehrten
nach und nach aus Dal
matien in die Reihen der Kämpfenden zurück.
Die Geld-, Lebens
mittel- und Munitionssendungen aus den Slavischen Ländern Europa's flossen auch wieder reichlicher.
Umgekehrt litten die Türken viel
unter der herrschenden Kälte ;
sie hatten an Allem Mangel , was
zum Leben erforderlich, weshalb sich auch im Heere eine ziemlich gedrückte Stimmung bemerkbar machte. Die Insurgenten begannen sich für den Winter einzurichten und wählten als Concentrations punkt den District von Zubci, welcher ein natürliches verschanztes Lager bietet.
Aus Bosnien erlieszen
die Führer
einen Appell an
die Europäischen Diplomaten. In der Herzegowina war anerkannnter Führer Ljubobatrich als Ober-Woiwode.
Man beschloss den Beun
ruhigungskrieg im Gebiete von Gorantzko, Bilesci , Plana und Tre binje fortzusetzen.
Raouf Pascha verproviantirte inzwischen Go
rantzko, ohne auf Widerstand zu stoszen, da Peko Pawlowich, der mit 2000 Mann
blos 3 Stunden
entfernt stand ,
es
nicht
Jenen, welcher über 14,000 Mann verfügte, anzugreifen.
wagte,
Nach der
Verproviantirung theilte Raouf Pascha sein Corps in 3 Abtheilungen, von denen die eine sich gegen Plana, die andere südlich nach Gatzko wandte, während die dritte direct auf Piva und das Ufer des gleich namigen Flüsschens marschirte. Dies Manöver war den Insurgenten nicht entgangen und hatten sie Zeit genug, sitionen zu entwerfen.
hiernach
ihre Dispo
Lazar Sotschia schnitt den Weg nach Piva
ab ; Zimonowich besetzte die Schluchten von Gatzko ; Peko Pawlo wich mit der stärksten Abtheilung warf sich dem Feinde bei Plana entgegen und erfocht über Raouf Pascha einen Erfolg, indem er die Türken zwang,
sich über Plana zurückzuziehen.
Zimonowich und Lazar Sotschia waren
für
Die Kämpfe des
die Türken
günstiger
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
356 verlaufen,
doch ohne bedeutenden Erfolg.
reichischen Grenze
fanden ebenfalls
An der Bosnisch-Oester
kleinere
unwichtige Gefechte
statt und bildete hier Uzelac ein Bosnisches Corps , Visegrad marschirte. Der Zustand auf der Balkan- Halbinsel hatte
womit er auf
nach und nach
einen so bedrohlichen Charakter angenommen , dass sich bekanntlich die Groszmächte dazu entschlossen, einzuschreiten, und wurde seitens des Oesterreichischen Premier- Ministers Andrassy die nach ihm be nannte Reform- Note den Mächten zur Begutachtung, resp. zum Bei tritte übermittelt. Die Türkische Regierung kam aber in der That den Nord- Mächten in Betreff des Reform-Programmes zuvor ; denn schon vor Unterbreitung desselben verkündete ein officieller Ferman vom
12. December die Ausführung des selbstständig vorbereiteten
Reformwerkes .
Diese Reformen waren allerdings der umfassendsten
Art und ergänzten in ausgiebigster Weise , wie sich bald heraus ' stellte, d . h . auf dem Papiere, sowohl den Hatischerif von Gülhane, als auch den Hat-Humayum.
Die
christliche Bevölkerung
wurde
demgemäsz der muhamedanischen fast vollkommen gleichgestellt. Seitens der hohen Pforte war im December Achmed Moukthar Pascha mit dem Ober-Commando über die sämmtlichen Herzego winischen Truppen betraut und brachte derselbe noch zwei Bataillone Nizams, eine Munitionsladung und 300 Maulthiere in die Herzegowina mit.
Die Truppen erwarteten seine Ankunft bei Trebinje, während
die Insurgenten sich theils in der Gegend von Piva zeigten und die festen Plätze Goransko und Niksitz beunruhigten ,
anderentheils im
äuszersten Südwesten längs der ganzen Dalmatinischen Grenze von Radatici bis hinauf nach dem Fort Drieno sich ausbreiteten. Das Hauptquartier der Insurgenten befand sich in Grebci , von wo aus Ragusa in einem kurzen Marsche erreicht werden kann.
Im De
cember fanden mehrere kleinere Gefechte, eins bei Krstac, statt. Den Insurgenten gelang es, einen nicht unbedeutenden Transport den Türken abzunehmen. In den ersten Tagen des Januars brachen wieder Zwistigkeiten im Insurgentenlager aus und , um das Fort führen des Kampfes nicht zu erschweren, beschloss Ljubobatrich, frei willig die Insurgenten zu verlassen.
Er zog sich, nachdem er ein
Manifest erlassen, in welchem er sie aufforderte, weiter zu kämpfen, nach Ragusa zurück.
Der Gouverneur von Bosnien , Raouf Pascha,
hatte noch in den letzten Tagen des Decembers die in Nozdre, Presjek , Gatzko , Niksitz und Krstac stationirten Truppen verpro viantirt und wandte sich mit 12 Bataillonen von Niksitz über Duga gegen die Festung Krstac.
Er liesz zwischen Krstac und Gatzko
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
357
in Nevesinje und Ljubinje eine Besatzung von 7 Bataillonen , zog dann über Stolac nach Mostar , wo 3 andere Bataillone zurückge lassen wurden.
Drei Brigaden marschirten unterdessen unter Osman Pascha, Hussein Pascha, Mehemed Ali Pascha von Niksitz zurück
auf der Strasze von Banjani gegen Bilek und Trebinje. Nach be werkstelligter Verbindung auf dem Berge Kita sahen sie sich plötzlich am 2. Januar 1876 von 3 Insurgenten -Abtheilungen unter Führung des
Peko Pawlowich, Lazar Sotschia und des Popen Bogdan Zimonic angegriffen. Die Türken mussten sich zurückziehen und setzten ihren Marsch über Duga nach Gatzko fort. Hier trafen die 3 Brigaden den Militair-Gouverneur Achmed Moukthar Pascha, welcher am 4. Januar in Trebinje 4 Bataillone an sich gezogen hatte.
Am
nächsten Tage
marschirte
Achmed
Moukthar
über
Ljubinje in der Richtung auf Stolac. Die Besatzung von Trebinje bestand nunmehr aus 5 Bataillonen mit dem sehr geringen Stande von 300 bis höchstens 350 Mann pr. Bataillon und 1 Batterie Artil lerie unter dem Brigade-General Hussein Pascha. Kurz vor Ankunft Achmed Moukthar's bemächtigten sich die Insurgenten des 2 Stunden von Bilek entfernten Dorfes Plana und nahmen 1280 Hammel , 112 Ochsen und 37 Pferde weg. Die Türken litten immer mehr durch die Kälte und war der Gesundheitszustand im Allgemeinen ein un günstiger ; fast täglich starben 10 bis 12 Mann. Am 14. Januar rückte Achmed Moukthar auf Ragusa vor,
um an der Grenze Pro Die Insurgenten hatten die Höhe von Duze besetzt, und obwohl die Türken in bedeutender Uebermacht waren, konnten viant zu holen.
sie nicht in den Engpass eindringen.
Achmed Moukthar zog sich scheinbar auf Trebinje zurück und liesz das Gerücht verbreiten, dass von Klek aus neue Regimenter vorrückten. Die List gelang ; die Insurgenten zogen nach Nordwesten gegen Klek, der Pass wurde frei und die Türken holten den Proviant.
Am 16. Januar rückten die
Türken wieder aus Trebinje aus und abermals kam es bei Duze zum Kampfe ; die Türken wurden geschlagen und mussten sich so schnell zurückziehen, dass eine Abtheilung von 6 Compagnien nicht Zeit fand, sich anzuschlieszen. Diese verschanzte sich daher und wurde am 19. von den Insurgenten ohne Erfolg angegriffen. Am 20. wurde der Sturm mit gleichen Resultaten wiederholt und am 21. erst gelang es den Insurgenten, sich des Lagers zu bemächtigen. Mit Ausnahme von 10 Mann , die sich verborgen hatten , wurde Alles niedergemetzelt ; aber auch die Insurgenten hatten fast 200 Mann verloren. In Folge dieser Kämpfe verfügten die Insurgenten nunmehr über die ganze Länge der Strasze von Trebinje nach der 24 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
358
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
Oesterreichischen Grenze.
Am 26. schlugen aber die Türken auf
der Höhe Chouna die Insurgenten und mussten diese sich nach Vukowitcz zurückziehen, wodurch die Strasze wieder frei wurde: Am 28. zog Achmed Moukthar Pascha
mit
der gesammten Macht
gegen Vukowitcz,
fand aber die Insurgenten nicht mehr vor, weil sie bei Poljica die Trebincia überschritten und sich gegen Ljubinje gewendet hatten. Achmed Moukthar erzielte auf diese Weise die Verproviantirung von Trebinje. In Bosnien wuchsen im Januar zahlreiche
kleine
Insurgentenbanden
gleichsam
aus dem
Boden
hervor. Lieferten sie auch keine groszen Gefechte , so hielten sie die Türken doch stets in Athem. Beide Theile beschränkten sich im Allgemeinen darauf, raubend und plündernd im Lande herumzu ziehen, wobei von beiden Seiten die gröszten Gräuelthaten verübt wurden und der Hass zwischen Christen und Muselmännern immer neue Nahrung erhielt.
Solche kleinere Scharmützel fanden statt bei
Kostainitza, Jamnica, Topola, Oravica,
Dobretin u. a.
Bei letztge
nanntem Orte machten sich die Türken einer groben Grenzverletzung schuldig. Die Zahl der über die Grenze auf Oesterreichisches Gebiet flüchtenden Christen wuchs von Tag zu Tage, so überschritten blos an einem Tage zwischen Podove Irovac
nahezu
1500 Insurgenten
die Grenze. Im Ganzen betrug die Zahl der Flüchtlinge in Croatien 27,000 Menschen. Am 31. Januar wurde
der
hohen Pforte
seitens
des Oester
reichischen Botschafters die vom 30. December 1875 datirten Re form -Vorschläge des Grafen Andrassy übergeben. nach
einer historischen Darlegung dessen ,
Bosniens und der Herzegowina geschehen oder war :
sollte ,
nicht geschehen
1 ) volle und unverkürzte Religionsfreiheit ;
der Verpachtung der Steuern ; dass der Ertrag der
Herzegowina
zum
Besten
Sie verlangten
was zur Pacificirung
3) ein Gesetz ,
2) Abschaffung
welches verbürgen
directen Steuern von Bosnien und der der
Provinz
selbst
verwandt
werde ;
4) Einsetzung eines besonderen Ausschusses, in gleicher Anzahl aus Muselmännern und Christen bestehend, um die Ausführung der von den Mächten vorgeschlagenen, so wie der in dem Irade vom 2. October und im Ferman vom 12. December verkündeten Reformen zu über wachen ; 5) Verbesserung der wirthschaftlichen Lage der Landbe völkerung.
Diese Note wurde von der Pforte in einem Antwort
schreiben vom 13. Februar angenommen , dagegen von den Insur genten, da seitens der Groszmächte
für die Durchführung
keine
Garantien gegeben werden konnten, abgelehnt. Mitte Februars fanden zwei für die Insurgenten unglückliche
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
Gefechte statt.
359
Trotz solcher geringen, aber stets als grosze Sieges
Bulletins nach Constantinopel berichteten Erfolge konnte es der Pforte nicht entgehen, dass der Aufstand, statt localisirt zu werden, immer mehr und mehr sich ausdehnte, dass man daher zu noch ent schiedeneren Maaszregeln greifen müsse. Die Rüstungen wurden mit groszem Eifer fortgestetzt und schritt man bereits dazu, die Syrischen Redifs einzuberufen, so wie 16 Bataillone in den Dardanellen zu concentriren.
Auch aus Bulgarien trafen beunruhigende Nachrichten
ein, die Gährung wuchs hier in bedenklichem Maasze , junge Bul garen wanderten in Menge aus. Die Pforte schickte, um den Nord mächten den guten Willen zur Pacificirung zu zeigen, den ehemaligen Wiener Botschafter Haydar Effendi und den Obersten Vassa Effendi nach Bosnien und der Herzegowina. Hier zog mittlerweile Achmed Moukthar alle verfügbaren Truppen zusammen, um die Duga- Block häuser und Niksitz zu verproviantiren und die dort angesammelten Insurgenten zu zerstreuen .
Ljubobatrich, der sich wieder am Auf
stande persönlich betheiligte , war von Klobuk in nordwestlicher Richtung gegen Livno abgezogen ; er beabsichtigte, von hier nach Bosnien überzutreten und eine Verbindung zwischen den Insur genten Bosniens und der Herzegowina herzustellen.
Am 10. März
betrat Ljubobatrich bei Imoschi das Oesterreichische Gebiet , wurde aber hier mit seinem Stabe von einer Patrouille verhaftet. Die un gefähr 6000 Mann starke Hauptmacht des Peko Pawlowich und des Lazar Sotschia standen bei Piva nordwestlich von Niksitz und unternahmen von hier Streifzüge durch den Duga-Pass, der von den Türkischen Truppen passirt werden musste , wenn sie Niksitz ver proviantiren wollten. Unterdessen bemühte sich der Oesterreichische General Rodich, einen Waffenstillstand herbeizuführen. Achmed Moukthar willigte auch in einen solchen ein, falls die Insurgenten die Verproviantirung von Niksitz genehmigen würden , auch erliesz die Pforte eine Amnestie auf vier Wochen. Die Groszmächte machten inzwischen ihren Einfluss besonders auf Serbien
und Montenegro geltend ,
um
diese Staaten von der
directen Betheiligung am Aufstande abzuhalten.
Der Fürst Nikita
von Montenegro, welcher vollständige Unabhängigkeit beanspruchte, sah sein armes Land mit etwa 30,000 Flüchtlingen überschwemmt, und wurde von seinen Unterthanen mehrmals zu offener Theilnahme an dem Aufstande aufgefordert ,
musste aber bei allen Sympathien
für die Sache der Aufständischen jedes Mal erklären , er könne in den Kampf nicht eintreten, wenn nicht das mächtigere Serbien vor anginge.
In beiden Staaten wurden fortwährend Banden gebildet, 24*
360
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan -Halbinsel .
welche theils die bereits existirenden Insurgenten- Schaaren verstärkten, theils auf eigene Faust Grenzeinbrüche mit obligatem Viehraube ver übten. Seits
Angesichts solcher Einbrüche beschleunigte man Türkischer die Truppensendungen
nach Kräften.
Am 28. März
wurde
der Dampfer Ismase mit einem Transporte von 600 Türken von Sa lonichi einige
nach Klek
geschickt.
Redif-Bataillone
mit
In Valo derselben
holte
der Dampfer Assyr
Bestimmung
ab .
Achmed
Pascha , Militair- Commandant von Adrianopel , erhielt Ordre , unge säumt mit der ganzen ,
unter seinem Befehle bleibenden dortigen
Garnison zur Verstärkung des Observations- Corps von Nisch abzu gehen. Wie wenig die Pacifications- Arbeit Haidar Effendi's und die Unterhandlungen des Barons Rodich fruchteten, ging daraus her vor, dass in den ersten Tagen des Aprils in Bosnien der Aufstand auf der ganzen Linie , durch die Grausamkeiten der Türken selbst hervorgerufen, entbrannte.
Sie wurden durch Golub bei Babic ge
schlagen. Am 25. März hatten die Türken die Dörfer Mali, Ruischka, Podzwizd und Podkalinja geplündert ,
dabei Männer und Kinder
niedergemacht , Weiber und Mädchen geschändet.
Das Corps von
Dukir, welches durch Lazar Ziokovic einen Zuzug von 700 Insur genten erhielt , kämpfte am 26. März bei Dubovik , erstürmte dieses Dorf und schlug die Türken zurück. Am 1. April waren die In surgenten ebenfalls glücklich , während sie in dem Treffen bei Makrodol
zwischen
Kostainica
und
Doberlin ,
welches
auch am
1. April stattfand, geschlagen wurden. Die ganze Gegend von Krupa bis Stari Maidan erhob sich, von dort bis Priedor und Kozarac und südlich bis zum Dorfe Timar in der Nähe der Bahnstation Ivanska, drei Meilen von Banjaluka.
Zwanzig Dörfer in der Maidaner Nahia
waren von den Türken ausgeplündert und verbrannt worden.
Die
Insurgenten verfuhren übrigens nicht milder mit den von ihnen ein genommenen muselmännischen Orten.
So sind mehrere Fälle con
statirt, dass sie Einwohner und Gensdarmen auf die scheuszlichste Weise verbrannten und ermordeten.
Unter solchen Umständen war
an eine Pacification nicht zu denken.
Am 7. April gaben die In
surgenten - Chefs dem Barone Rodich die Bedingungen kund , unter welchen sie die Waffen niederlegen wollten . Nämlich : Ueberweisung des dritten Theiles des Grundbesitzes der Begs ; Aufbau der Häuser und Kirchen auf Staatskosten , Ausstattung mit Sämereien, Rindvieh und Ackergeräthen ; Errichtung von Kornmagazinen mit Vorräthen für ein Jahr ; dreijährige Befreiung von der Zehntensteuer ;
Abzug
der regulairen , Türkischen Truppen mit Belassung kleiner Garni sonen in Niksitz , Stolac , Fotscha , Mostar, Trebinje und Plewalje,
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan- Halbinsel.
361
allwo Russische und Oesterreichische Agenten als Ueberwachungs organe residiren sollten, ferner die Garantie aller Groszmächte und vorausgehende Entwaffnung der eingeborenen Türkischen Bevölke rung , worauf selbstredend von der hohen Pforte nicht eingegangen wurde. In den ersten Tagen des Aprils hatten mehrere Gefechte statt gefunden, so bei Palanka, wo ungefähr 5000 Mann, und bei Jasse nitza, wo circa 4000 Mann sich gegenüber standen. Die Insurgenten in der Herzegowina bedrängten Niksitz sehr, und war es die höchste Zeit , dass die Festung verproviantirt wurde . Achmed Moukthar Pascha versuchte Vorräthe von der Dalmatinischen Grenze aus hin zubringen, doch konnte er keinerlei Transportmittel bekommen, da es ihm an Geld fehlte, die nöthigen Thiere zu kaufen, und die Dal matinischen Bauern gegen Bons ihm solche nicht geben wollten . Der Türkische General-Consul Danisch Effendi kam am 11. April nach Trebinje und beschwor Achmed Moukthar, eine Verprovianti rung über Gatezko zu versuchen.
Diesen dringenden Vorstellungen
Rechnung tragend , machte sich Achmed Moukthar mit zwölf Tabors Infanterie noch im Laufe desselben Tages auf den Weg und führte alle Lebensmittel mit sich fort , die Trebinje nur zur Verfügung stellen konnte .
Im Duga - Passe kam es zu bedeutenden Kämpfen
und vermochte Achmed Moukthar nicht bis Niksitz vorzurücken , ob gleich auch die Niksitzer Besatzung einen Ausfall unternahm .
Ein
Theil des mitgeführten Proviants aber wurde, nach mehrfachen ver geblichen Versuchen Niksitz zu erreichen, in dem Fort Presjeka ge borgen.
Das Terrain erlaubte den Insurgenten durchaus keine ge
nügend dichte Einschlieszung von Niksitz , und gelang es der Be satzung daher immer wieder, von Zeit zu Zeit kleinere Proviantzufuhr zu bekommen ; auch brachten einige hundert Bürger auf Schleich wegen einen Theil der im Fort Presjeka zurtickgelassenen Vorräthe glücklich in die Festung.
Bei Gradac, in der Nähe von Klek, wurde
eine kleine Türkische Abtheilung von Insurgenten überfallen , wobei die Türken 50 Pferde und 370 Stück Hornvieh einbüszten . Achmed Moukthar hatte sich mittlerweile auf dem Plateau und der Tiefebene von Gatezko festgesetzt, und versuchte von hier aus immer wieder aufs Neue Niksitz zu entsetzen und zu verproviantiren.
Die Kämpfe,
die er den Insurgenten im Duga- Passe lieferte , gehörten jedenfalls zu den gröszten und blutigsten des ganzen Aufstandes. folgte diesen ernsten Kämpfen eine allgemeine Ruhe.
Plötzlich
Die Ursache
dieser nicht conventionellen Waffenruhe war ein zwischen dem 6. und 7. Mai ins Hauptquartier der Aufständischen bei Prejeka gelangter
Dic jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
362
confidentieller Wink , vor Abschluss der Berliner Conferenzen keine Offensivbewegung vorzunehmen .
Diesem Winke gab man Folge,
alle Abtheilungen blieben in ihren Positionen und sahen mit groszer Spannung der Conferenz der drei Kaisermächte entgegen. Bei den so tiberaus geringen Erfolgen der Türkischen Waffen
wurde es nämlich immer mehr und mehr fraglich, ob die hohe Pforte allein im Stande sein würde, den Aufstand zu bemeistern, der sich nun thatsächlich auch bereits über Bulgarien verbreitet hatte, und ob nicht doch noch seitens der Groszmächte eine eingreifende Hülfe leistung zur Pacificirung der werden müsste.
aufrührerischen Provinzen
gewährt
Bei Nisch herrschte unterdess reges Leben, fast keine Woche verging , ohne dass nicht neue Regimenter ankamen. Bis Ende April war nur regulaires Militair dorthin beordert und zeigten sich Offiziere wie Soldaten von vorzüglichem Geiste beseelt , trotzdem ihnen schon seit Monaten kein Sold ausgezahlt war. Bald folgten aber auch Sendungen von irregulairen Truppen und die Disciplin begann sich merklich zu lockern. dabei
stetig
vorwärts .
wechselten ab ,
Die Insurrection Bosniens schritt
Glückliche
und
unglückliche
Gefechte
es entspann sich ein vollkommener Vernichtungs
kampf , weder Greise, Frauen noch Kinder wurden geschont.
Die
Augen der Insurgenten waren mit Sehnsucht auf Serbien und Monte negro gerichtet.
Der Pforte entging das höchst zweideutige Be
nehmen Serbiens nicht ,
und sie begann deshalb mit aller Macht
dieses mit einem eisernen Ringe von Soldaten zu umgeben . entsendete Redif Veli Pascha ,
Auch
als Militair - Obercommandant nach
Bosnien geschickt , acht Genie- Offiziere aus seinem Stabe und liesz längs der Grenze provisorische Festungswerke aufführen, welche mit Munition und Geschützen ausgerüstet wurden . festigte man die Drina-Grenze .
Namentlich stark be
Das Niederbrennen der Dörfer hatte mittlerweile solche
Di
mensionen angenommen, dass solches selbst den Insurgenten anfing unbequem zu werden, und erliesz deshalb der politische Leiter der Bosnischen Insurrection , Vasa Pelagic , an alle Abtheilungs - Chefs einen Befehl , wonach Menschenleben, wie das Eigenthum von Privat personen geschont werden sollten.
Die nicht Widerstand leistenden
Muhamedaner, sowie alle Weiber und Kinder seien unbehelligt zu lassen.
Während es in den ersten Tagen des Mai in der Herzego
wina verhältnissmäszig ruhig war, wurden in Bosnien fast täglich Ge fechte geliefert.
So wurde Selim Pascha am 5. Mai bei Moschtainica
zum Rückzuge gezwungen .
Am 6. Mai kam es zu einem gröszeren
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
363
Gefechte zwischen Soliman Pascha und der durch Pop Karau be fehligten Insurgentenschaar.
Auf beiden Seiten ward mit groszer
Erbitterung gefochten, doch mussten die Türken, nachdem sie über 450 Mann, worunter ein Stabs-Offizier und acht Subaltern-Offiziere, verloren hatten , den Kampf abbrechen. Die Insurgenten lieszen auch mindestens 400 Mann auf dem Platze. Gleichfalls am 6. Mai erlitt eine grosze,
durch . einen Obersten commandirte Abtheilung
Baschi-Bozuk's, eine gänzliche Niederlage bei Suho-Polje, östlich von Maidan ; letzteres selbst war von den Insurgenten bedroht. Gefechte bei Stolica und Kestenovac am 12. Mai fielen ebenfalls für die Türken ungünstig aus , doch verloren die Insurgenten auch, trotz ihrer günstigen Positionen, viele Mannschaften.
Am 13. Mai lieferte
Peter Karagiorgewitsch , der Serbische Kronprätendent , ein unent schiedenes Gefecht.
Derartige unentschiedene Scharmützel wurden
den ganzen Mai mit der bestimmten Absicht der Insurgenten ge führt , die Türken möglichst zu beschäftigen und sie von der Serbi schen Grenze, von wo man einen Vorstosz erwartete, abzuziehen. Schon im Januar hatte die Serbische Regierung verschiedene Ueberschreitungen der Grenze durch die Türken constatirt.
In Bel
grad rüstete man mit groszem Eifer, um den sich so häufig wieder holenden Grenzverletzungen energisch entgegen treten zu können. Das Volk verlangte den Krieg gegen die Türken, und wie sehr der Fürst Milan einen solchen selbst bereits ins Auge gefasst hatte, konnte daraus ersehen werden, dass er am 18. April einem Kriegs rathe selbst präsidirte. Nach demselben reiste der Generalstabschef Zach mit einem Theile des Stabes an die Süd - Grenze , um die Stellung der Türken zu recognosciren. Zugleich wurden zwei mobile Batterien an die Grenze geschickt ; eine dritte Batterie folgte am 20. April und eine vierte am 21. April.
Die Mobilmachung des
ersten Aufgebotes war bereits erfolgt und erwarteten die Truppen jeden Tag den Befehl ,
an die Grenze zu rücken.
General Zach
liesz Alexinatz, Paratchin und Cuprya mit provisorischen Erdwerken von sehr groszen Dimensionen versehen.
Fürst Milan beauftragte
den Russischen General Tschernajeff, der von Petersburg nach Bel grad gekommen war, sämmtliche Festungen an der Grenze zu in spiciren und ihm einen Rapport über die militairischen Kräfte und deren Zustände zu machen .
Der Krieg schien unvermeidlich und
wurde nur noch durch die energischen Vorstellungen seitens der drei Kaisermächte herausgeschoben . Auch in Albanien begann es zu gähren, und sah sich die Türkei genöthigt , gröszere Truppen - Abtheilungen, die über Antivari nach
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
364
Scutari geschickt wurden , zu concentriren.
Diese Truppen hatten
zugleich den Auftrag , Montenegro zu beobachten, da dieses ebenso wie Serbien stark rüstete. In Bulgarien war der Aufstand gleichfalls in hellen Flammen ausgebrochen.
In Eski - Saghra , Provinz
Rumelien, westlich von
Adrianopel , hatte man ebenfalls eine Verschwörung entdeckt und viele Christen niedergemetzelt.
Bis zum 9. Mai hatten in Bulgarien
drei kleinere Gefechte stattgefunden und erstreckte sich das
in
surgirte Gebiet von Philippopel nach Sofia mit dem Centrum in Tatar-Basardschik.
Das erste Gefecht fand bei letztgenanntem Orte
statt ; der erste Ausbruch der Unruhen aber erfolgte in dem Städtchen Slatiza. Hier befanden sich nur einige Zapties (Gensdarmen) und 50 Mann Redifs als Garnison.
Ein Haufe Bulgarischer junger Leute
suchte mit den Zapties Händel.
Es kam zu gegenseitigen Thätlich
keiten, und sofort erschienen bis an die Zähne bewaffnete Trupps anderer jungen Leute. Die Aufforderung des Kaimakams zum ruhigen Auseinandergehen wurde mit einem thätlichen Angriffe auf denselben erwidert, worauf die Meuterer das Haus des Kaimakams zu stürmen suchten ; diesem gelang es zu flüchten und lieszen nun die Revoltanten
ihre Wuth an den Zapties aus , welcher dieselben
nebst Türkischen Subalternbeamten zum Opfer fielen. Durch das vergossene Blut und den Erfolg fanatisirt, setzte sich die Schaar in den Besitz des Ortes, dessen überraschte Einwohner keinen Wider stand wagten.
Gleichzeitig begann der Aufruhr in Tatar-Basardschik
und zwar in viel bedeutenderem Maasze .
Es wurde eines Ackers
wegen der Streit förmlich vom Zaune gebrochen, nur um einen schein baren Vorwand zur Revolte zu gewinnen . Auch bei dieser Gelegenheit erschienen die Aufständischen gleich sehr gut bewaffnet , und war ihr erstes Bestreben , die Türkischen Behörden zu verjagen und die Polizei-Organe zu massacriren. Hier, wie auch in Slatiza, fanden sich gleich Anführer vor, welche Befehle ertheilten und denen die Aufständischen auch gehorchten.
Mit dem Aufstande erfolgte ein
Manifest einer geheimen Nationalregierung ,
welches alle waffen
fähigen Bulgaren aufforderte , die Waffen zu ergreifen ;
die nicht
mehr Kampffähigen aber sollten den Aufstand durch Geld unter stützen.
Die Insurgenten waren zuerst überall siegreich ,
weil es
der hohen Pforte an Militair fast ganz gebrach, doch bald sammelte sich eine ansehnliche Truppenmacht und kam es zu vielen kleineren, mit wechselndem Erfolge geführten Scharmützeln.
Die Insurgenten
entzogen sich einem gröszeren Gefechte und operirten fortwährend in ausweichenden Bewegungen, dabei aber zerstörten sie alle be
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
365
wohnten und bewohnbaren Orte und folgten offenbar hierin einer geheimen Parole ;
so wurde Rakowitza, eine Stadt von mehreren
Tausend Einwohnern, wo sich am 9. Mai die Fahne des Aufstandes entfaltet hatte, binnen vier Tagen zu einem Schutt- und Aschen haufen. schickt.
Die Familien waren schon früher ins Balkan-Gebirge ge Der Aufstand muss längst verbreitet gewesen sein, da seit
dem Sommer 1875 ein Comité im Balkan die wehrpflichtigen Bul garen conscribirte, die Gutgesinnten anwarb und ihnen die Ordre er theilte, sich für den Mai 1876 bereit zu halten.
Am 1. Mai machte
man ihnen Tag und Ort der Waffenempfangnahme, sowie die Sammel stellen bekannt. Da von Rumänien fortwährend Waffen einge schmuggelt waren, wurde die Donau-Flottille armirt , eine für die Insurgenten und später für Serbien nicht zu unterschätzende Macht, die aber, da die Donau unterdessen neutralisirt ist, jetzt nicht mehr in Betracht kommt. Ende Mai berichten officielle Bulletins das Er löschen des Bulgarischen Aufstandes , während dennoch die Pforte ihre militairischen Anstrengungen im Lande fortsetzte .
Die Re
gierung ordnete die Einberufung der Reserven zweiter Klasse an, die zum 15. Juni zwischen Rustschuk, Schumla, Varna, Widdin und Sofia concentrirt sein sollten .
Wie wenig der Aufstand in der That
niedergeworfen war, beweist der Umstand , dass noch am 17. Juni bei Zeljesnik ein gröszeres Gefecht stattfand .
Ein förmliches Ge
metzel fand bei Trnova statt , wo 2000 Türken 4000 Insurgenten gegenüber standen . Der Uebermacht mussten die Türken weichen und verloren fast ein Drittel ihrer Mannschaft. Wären die Insur genten hier nicht von den Türken überrascht worden, so würden sie
schwerlich ein Gefecht angenommen haben , da sie sich fort
während nach dem Balkan zurückzogen, um sich hier erst zu or ganisiren.
In der kurzen Zeit vom 5. bis 17. Mai waren 6564 Hütten
in den Bezirken von Philippopel und Tatar- Basardschik eingeäschert ; davon gehörten 5643 christlichen und 921 nichtchristlichen Besitzern . Aber auch von den Ersteren ist die Mehrzahl nicht etwa durch die Tscherkessen und die Baschi- Bozuks zerstört worden, sondern durch die agitatorische Propaganda selber. In Constantinopel waren in den letzten Wochen des Mai's eben falls Unruhen ausgebrochen, die das lebhafte Interesse Europa's, welches bis dahin lediglich dem Kriegsschauplatze galt , dorthin lenkten. Die Softa's, welche sich bis dahin nur in den seltensten Fällen um Politik bekümmerten, waren von den Ulema's gegen das augenblickliche Ministerium aufgewiegelt worden. Als sich am 20. Mai circa 7000 Softa's in der Mehemmed -Moschee zu politischen
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan- Halbinsel.
366
Zwecken versammelt hatten, erschien im Auftrage des Sultans der erste Kammerherr und
ein Adjutant ,
um sie
zu fragen,
was sie
wünschten. Einer der Softa's bestieg darauf die Kanzel und erklärte : „Wir wollen Mahommed Pascha nicht , wir wollen den Scheich ül Islam und den Kriegs-Minister nicht ; wir wollen Midhat Pascha als Groszvezir und die Einsetzung einer National-Versammlung. " Diese Forderungen wurden durch die beiden Palast-Beamten dem Sultan zugleich mit der Drohung der Softa's gemeldet , dass sie im Falle der Nicht-Annahme sämmtliche Moscheen schlössen, d. h. mit anderen Worten, den offenen Aufstand proclamiren würden.
Nach
anfäng
licher Weigerung liesz der Sultan sich bewegen, den Forderungen zu entsprechen, Midhat erhielt das dem Mahmud abgeforderte Staats siegel, doch wurde diese Ernennung
schon nach wenigen Stunden
rückgängig gemacht und Mehemed Rudschi Pascha Muterdjim an die Stelle Midhat's gesetzt. Schon in wenigen Tagen sollte der Sultan Abdul Aziz erfahren , dass mit seiner Nachgiebigkeit für ihn Nichts gewonnen sei. Es hatte sich im Ministerium eine Partei ge bildet, die ihn stürzte. Die Verschwörung war von den Betheiligten aufs feinste angelegt und hatten dieselben es durchzusetzen gewusst, dass Abdul Aziz sie alle selbst in seinen Kronrath berief. Vielleicht würde man ihn auf seinem Throne gelassen haben, wenn er einge willigt hätte,
aus seinem groszen Privatvermögen den bedrängten
Cassen des Staates zu Hülfe zu kommen . Diese Weigerung kostete Abdul Aziz den Thron. Am 29. Mai versammelten sich sämmtliche Minister , der Groszvezir an ihrer Spitze , und der neuernannte Scheich ul Islam, Hairullah Effendi, im Palaste von Dolma - Bagdsche, wo sie sich Einlass verschafften und den Groszherrn von ihrer An wesenheit
benachrichtigten.
Hairullah
Effendi
kündigte
ihm
an,
dass das Volk mit seiner Regierung unzufrieden und er demnach entthront sei. Unmittelbar nach dieser den Sultan consternirenden Nachricht wurde
er mit der Sultanin Valide
Palast Tophaka überzusiedeln . zählig
gezwungen,
in den
Am 30. Morgens erklärten die voll
anwesenden Würdenträger in Gegenwart der Ulema dem
mittlerweile in ihre Mitte berufenen Murad Effendi seine Erhebung auf den Thron . Die Ruhe wurde nirgends gestört, doch fand die bis dahin unblutig verlaufene Palast-Revolution ein blutiges Nach spiel, indem, wie die officiellen Nachrichten besagen, der abgesetzte Sultan am 4. Juni an den Wunden verstorben sei , welche er sich selbst an den Armen vermittelst einer Scheere zugefügt hätte.
Nur
wenige Tage nachher versetzte die Ermordung des Kriegs-Ministers Hussein
Avni
Pascha ,
des
Ministers
des Auswärtigen Raschid
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
367
Pascha und die Verwundung des Marine-Ministers Kaiserli Pascha die Welt aufs Neue in Aufregung .
Die Minister waren am 15. bei
Midhat Pascha zur Berathung versammelt , als ein kürzlich abge setzter Offizier , Hassan, eindrang und auszer den genannten Per sonen noch einen Adjutanten und einen Diener tödtete.
Persönliche
Rache soll der Grund des Attentates gewesen sein . Der Aufstand in Bosnien ist in den ersten Tagen des Juni zum Stillstande gekommen.
Nach dem Thronwechsel in Constantinopel Insurgentenführer,
versammelten sich am 6. Juni die weiter zu fechten und lieszen richten,
um denselben
beschlossen
diesen Beschluss nach Cettinje be
den Insurgenten der Herzegowina kund zu
geben. Am 8. aber griffen sie unter Marko Bajalika und Gjenadja die Karaula Jelowatz am Wege zwischen Kostainitza und Priedor an. Die über 100 Mann starke Besatzung capitulirte und konnte mit Hinterlassung sämmtlicher Waffen, Munition und Proviant-Vor räthen abziehen.
Die Karaula wurde darauf in Brand gesteckt und
der Steinbau mit Dynamit in die Luft gesprengt. ein nur von 36 Türken escortirter ,
Ferner fiel ihnen
für Selim Pascha bestimmter
Transport in die Hände. Die im Kozara-Gebirge lagernden zahl reichen Insurgenten- Corps, welche den Türken mitunter sehr unan genehm zu werden begannen, veranlassten Selim Pascha und Ali Pascha, gemeinschaftlich einen Hauptstreich gegen dieselben zu unternehmen. Ihr Plan fiel aber den Insurgenten in die Ilände , indem diese einen höheren Offizier, welcher die Ordre bei sich hatte, auf dem Wege von Banjaluka nach Priedor aufhoben, was sie ver anlasste, alle Vorsichtsmaaszregeln zu treffen . Am 15. Juni rückte die Türkische Vorhut gegen das Kloster Mostanica an. genten
verblieben
ruhig
Die Insur
abwartend in ihren Positionen zwischen
Mostanica und Medrgak und lieszen das Hauptcorps heranziehen. Als sich dieses bis auf Schussweite genähert hatte , brach der linke Flügel unter Simo Beran hervor und eröffnete ein heftiges Gewehr feuer aus vorzüglichen, neuen Hinterladern.
Bald drangen auch das
Gjenadija und Despotovic und der rechte Die Baschi - Bozuks , von den Flügel unter Marko Bajalika vor. Centrum
unter Marko
Insurgenten weise als Angriffsobject ausersehen, wichen bald zurück und konnten von den ihnen auf dem Fusze folgenden regulairen Nizams nur mittelst blanker Waffe zum Stehen gezwungen werden. Drei An griffe wurden von den Insurgenten Abend sammelten sich die Türken
zurückgeschlagen und
gegen
zu einem nochmaligen Anlaufe.
Ein heftiger Gewitterregen goss in Strömen herab, als sie die letzten Dispositionen zum Angriffe trafen.
Da schlug der Blitz in einen in
368
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
der Nähe stehenden Baum und wirkte dies auf die abergläubischen Massen so deprimirend ein, dass man vom Angriff abliesz und den bald in Flucht ausartenden Rückzug antrat.
Am 24. kam es auch
bei Brod zu einem blutigen Treffen, in welchem ebenfalls die Türken geschlagen wurden . In der Herzegowina gelang es Achmed Moukthar Pascha Mitte Juni's , die Festung Niksitz ohne Gefecht zu verproviantiren . Das Grosz der Insurgenten lagerte unterdessen müszig bei Banjani ; von den Führern schienen sich zur Zeit viele in Montenegro aufgehalten zu haben. Am 27. Juni wurde im Majaner Gebirge eine Skuptschina der Chefs abgehalten und beschloss man , den Fürsten von Monte negro mit der Oberführung zu beauftragen .
In Montenegro erging
am 12. Juni an alle waffenfähigen Männer der Befehl, sich bis zum 18. mit viertägigem Proviant zu versehen und wurden die Schulen geschlossen. der Thüre.
Der Ausbruch des Krieges mit den Türken stand vor
Der Bulgarische Aufstand existirte trotz wiederholter Bulletins, dass er erloschen sei , immer noch und griff immer mehr um sich. Fasst man die Eruptionslinie des Aufstandes ins Auge,
so konnte
man genau erkennen,
das ganze
dass die Leiter des Aufstandes
südwestlich von der Donau liegende Gebiet, welches sich im Norden bis Turtukan,
im Westen bis jenseits Basardschik,
im Süden bis
Adrianopel und im Osten bis Samakow erstreckt, zum Insurrections schauplatze bestimmt hatten.
Dieses Gebiet bot ihnen den Vortheil,
dass es ganz gebirgig ist und von einer sehr zähen Bevölkerung bewohnt wird . Am 3. Juni brach der Aufstand in Hamero Ostscha aus.
Der vom Comité ernannte
Chef Ivantscha
vereinigte
Mannschaften beider Orte und concentrirte sie, 3500 Mann
die
stark,
bei letzterem. Mehemmed Ali Pascha hatte in Schumla die Bildung zweier Legionen, die eine aus Tscherkessen , die andere aus einge borenen Türken
bestehend,
angeordnet.
Auf dem flachen Lande
gelang es auch, des Aufstandes Herr zu werden, nicht aber im Ge birge und kann man mit Gewissheit annehmen,
dass in Bulgarien
Ende Juni's circa 35,000 Insurgenten standen . Von Serbien war der am 31. Mai fällige Tribut nicht gezahlt worden. Es fehlte dem Lande an Geld und hatte die Skuptschina eine Anleihe ausgeschrieben.
Um den auf Belgrad fallenden Antheil
zahlen zu können, nahm der Magistrat der Stadt zu einem Aufrufe um freiwillige Zeichnungen seine Zuflucht. Die Vorkehrungen zum Kriege wurden dabei energisch fortgesetzt und war am 8. Juni bereits die 2. Altersklasse der Armee
marschbereit.
Die Grenz
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
369
verletzungen durch das Türkische Militair häuften sich ; doch beeilte sich jetzt die Pforte den deshalb seitens der Serbischen Regierung erlassenen Reclamationen Gehör zu schenken , und sollte demnächst eine gemischte Commission eingesetzt werden, um die Untersuchungen in die Hand zu nehmen . Die eminenten Rüstungen Serbiens waren der Pforte aber auch nicht entgangen und liess sie in einer sehr höflich gehaltenen Note nach dem Grunde derselben fragen. Das Serbische Ministerium rechtfertigte die Rüstungen mit dem Argument, dass sich die Nothwendigkeit herausgestellt habe,
die bereits vom Fürsten Michael begonnene Organisation der Wehrkräfte des Landes
zu vollenden. Zur zeitweiligen Besetzung der Grenze sei Serbien durch die auszerordentlichen Verhältnisse in den Grenzprovinzen ge nöthigt worden . Der Wunsch der Serbischen Regierung sei übrigens, mit dem suzeränen Hofe in den besten Beziehungen zu stehen. Ein Special-Bevollmächtigter würde nach Constantinopel kommen und auszugleichen suchen . Die Pforte gab
persönlich alle Differenzen
sich mit diesen Bestimmungen zunächst zufrieden , faszte aber bald nachher den Beschlusz, den rückständigen Tribut von 40,500 Ducaten mit Nachdruck und drohendem Tone zu fordern . In Serbien liesz man hierauf den Gedanken an eine Special-Commission fallen und beorderte die gesammten Streitkräfte zur Concentration an die Grenze, damit jeden Augenblick zur Offensive übergegangen werden könne. Am 29. Juni verliess Fürst Milan seine Hauptstadt und schiffte sich auf der Donau nach Semendria ein, um von da zur Armee des Ge nerals Tschernajeff abzugehen.
In seiner Begleitung befand sich der Kriegs-Minister, Oberst Tichomir Nikolitsch , so wie der jüngst zum Chef des Generalstabes ernannte Oberst Ljubomir Ivannowitz, welcher lange Zeit hindurch Vorstand der
kartographischen Ab theilung im Kriegs-Ministerium, Commandant der Kriegsschule und vor zwei Jahren Bauten-Minister im Cabinet Marinowitsch gewesen war. Am 30. Juni erschien eine Proclamation des Fürsten, in welcher
unter Hinweis auf die Unerträglichkeit der Lage Serbiens erklärt wurde, dass nach jahrelanger Mäszigung im Namen der Humanität es ferner eine Schwäche sein würde, diesen Zustand noch länger zu ertragen. Beim Beginn der nunmehr sich entwickelnden Feind seligkeiten standen die Serbischen Streitkräfte wie folgt : An der Süd-Grenze im Thale der Morawa, gegenüber der türkischen Armee und der Festung Nisch, commandirte die Hauptmacht der Serbischen Truppen, der in die Dienste des Fürsten Milan getretene Russische General Tschernajeff, der Sieger von Taschkend. Den Kern seiner Armee bildeten die 3.,
5. und 6. Division,
ferner standen unter
370
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel .
seinem Befehle zahlreiche Freiwilligen- Corps, die durch den General Stratimirowitz, einem geborenen Ungarn, formirt wurden. Im Ganzen betrugen die Streitkräfte etwa 40,000 Mann.
Auszer dieser Armee,
welche die Türkische Hauptverbindungslinie von Constantinopel über Adrianopel, Philippopel, Sofia nach Nisch bedrohte, hatten die Serben noch an drei anderen Punkten beträchtliche Streitkräfte aufgestellt. An der Nordwest-Grenze des Landes, an der Drina , der Türkischen Stadt Bielina und der Festung Zwornik gegenüber stand der General Ranko Alimpitz mit der Drina - Armee. Alimpitz , welcher vor 18 Jahren seine militairische Bildung in Berlin vervollständigt hatte, demnächst Frankreich und Belgien bereiste , genieszt den Ruf eines kenntnissreichen , tüchtigen Offiziers. Sein Generalstabschef ist der als guter Theoretiker bekannte Oberst Anton Oreschkowitz, ehemals Oesterreichischer Hauptmann .
Den Kern der Drina-Armee bildet
die 1. Division ; derselben sind unter dem Oberstlieutenant Miskowic, dem Major Djoka Vlajkowitz , einem alten Haudegen, welcher bei Sebastopol ein Bein verlor und in Belgrad als Russischer Pensionair lebte, sowie unter dem Metropolitan Vuesicz stehende Freiwilligen Corps zugetheilt. Im Ganzen pr. pr. 22,000 Mann. An der Südwest Grenze am Ibarflusse stand die Ibar-Armee unter Befehl des Generals Zach , eines geborenen Tschechen. Er commandirte in der Ungari schen Revolution 1848 bis 1849 eine Slowakische Freischaar und trat vor mehr als 25 Jahren in die Serbische Armee. Leiter
der Belgrader
Militairschule
und
somit
Er war der
der Lehrer
des
gröszten Theiles der jüngeren Stabs- und Ober- Offiziere, und er freut sich eines bedeutenden Rufes als Kartograph und Kenner des Serbischen, wie des Bosnischen Terrains. der Oberstlieutenant
Kalinich ,
ein
Sein Generalstabschef ist
Kroate
seinem Fache ein bewanderter Offizier.
von
Geburt
und
in
Diese Armee besteht aus
der 2. Division und mehreren Freiwilligen Corps und ist im Ganzen circa 18,000 Mann stark . An der Nordost - Grenze ist unter Be fehl des
Obersten
Leschjanin ,
des früheren Kriegsministers , die
4. Division nebst Freiwilligen- Corps , etwa 12,000 Mann stark, als Gleich nach Ausbruch der Feindselig Timok-Armee versammelt. keiten ordnete der Serbische Kriegsminister, Oberst Tichomir Niko litsch, der Organisator der Serbischen Armee in ihrer jetzigen Ge stalt, aus dem mittlerweile einberufenen zweiten Aufgebot die For mation einer 7. Division unter Oberst Butschewitz an, dieser folgte bald die Aufstellung einer 8. Division.
Auch wurde sofort darauf
Bedacht genommen, die im Felde stehenden Armeen durch Nach schübe des zweiten Aufgebotes und von Freiwilligen- Corps, welche
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
371
aus den zahlreich nach Serbien strömenden Kriegsabenteuern ge bildet wurden, zu verstärken und zu ergänzen. Gleichzeitig mit Serbien trat auch Montenegro in die Action gegen die Türken ein.
Am 2. Juli wurde in Cettinje, vor der Resi
denz des Fürsten , ein feierlicher Gottesdienst abgehalten und vor der versammelten Volksmenge eine Proclamation verlesen , dass Montenegro der Türkei den Krieg erkläre. Eine halbe Stunde später erschien der Fürst mit der Kriegsfahne vor dem in Schlacht ordnung aufgestellten Heere .
Dasselbe war in zwei Corps getheilt,
das eine unter persönlichem Befehle des Fürsten Nikita, das andere unter dem Befehle eines Vetters des Fürsten, des Woiwoden Petro witcz ; ersteres marschirte an die Nord-, letzteres an die Süd-Grenze des Landes. Ihre natürlichen Bundesgenossen waren die Herzego winer und Bosnier.
Die Insurgenten der Herzegowina hatten sich
bereits in den letzten Tagen des Juni an der Montenegrinischen Grenze gesammelt und die Gebirgslandschaft Banjani besetzt. Die Türkische Armee war Anfangs Juli in Europa folgender maaszen dislocirt : Rechter Flügel bei Widdin unter Osman Pascha : 19 Bataillone, 48 Geschütze und 16,000 Baschi-Bozuks. Centrum bei Nisch : 55 Bataillone und 84 Geschütze unter Ach med Ejub Pascha ; derselbe, in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre stehend , hat seine Ausbildung in schule Harbije Mekteb erhalten ;
der Türkischen Militair
sein Generalstabschef ist Nedjib
Pascha, welcher in Brüssel den militairischen Studien obgelegen hat und als einer der geistreichsten Türkischen höheren Offiziere be kannt ist. Linker Flügel bei Novi Bazar unter Mehemed Ali Pascha, der ein geborener Preusze, und Hussein Husni Pascha : 30 Bataillone und 30 Geschütze. Die Bataillone sollen
800 Mann zählen, hatten aber bereits
beim Eintreffen in Constantinopel diese Stärke nicht. Die Bataillone der Flügel-Armeen sind ungefähr 600 , die des Centrums 500 Mann stark ; also : 49 Bataillone zu 600 Mann = 29,400 Mann, 55 zu 500 99 99 = 27,500 n = 16,000 Baschi - Bozuk's ""
Summa : 72,900 Mann und 162 Geschütze.
372
Die jüngsten Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel.
In Reserve waren zu Rustschuk ·
•
5 Bataillone und 12 Geschütze,
Eski Saghra (Centrum des Bul garischen Aufstandes)
·· ·
12
29
18
99
8
99
99
6
"
Linie Sofia bis Tatar - Basard
99
3
Linie Mitronitza-Salonichi
11
·
schik . .
43 Bataillone und 18 Geschütze . Diese Bataillone zu 600 Mann = 25,800 Mann und
18 Geschütze.
Diese Truppen sind aber nicht disponibel, da der Aufstand in Bul garien durchaus noch nicht erloschen ist, können also auch kaum als Re serve-Truppen angesehen werden.
In der Herzegowina und Bosnien unter Achmed Moukthar Pascha
32,000
92
12,000
99
Zwischen Scutari und Podgoritza gegen Montenegro unter Der wisch Pascha ..
"
Summa: 69,800 Mann und Transport von Seite 371 : 72,900
"
99
-
"9
18 Geschütze. 162
"
Mithin 142,700 Mann und 180 Geschütze als Gesammtstärke des Türkischen zu stehenden Heeres. *) --- *
genannter Zeit im
Felde
*) Ein Aufsatz über den weiteren Verlauf des Krieges wird möglichst D. Red. bald nachfolgen.
Umschau in der Militair-Literatur.
373
XXIII .
Umschau in der Militair- Literatur.
Allgemeine Kriegsgeschichte aller Völker und Zeiten. All gemeine Kriegsgeschichte des Alterthums. -- Herausgegeben unter der Redaction des Fürsten N. S. Galitzin.
Aus dem
Russischen ins Deutsche übersetzt von Streccius , Königlich Preuszischer Oberstlieutenant im 72. Infanterie-Regiment. Vierter Band : Vom Beginne der Römischen Bürger kriege bis zu Augustus oder der Gründung des Römischen Kaiserreichs. (133-30 v. Chr.) Mit 22 Plänen. ―――― Cassel 1876. — Th . Kay. ― Gr. 8 °. 364 S. Wir haben schon wiederholt, bei Erscheinen der früheren Bände dieses umfangreichen Werkes, in den Jahrbüchern auf die Bedeutung desselben aufmerksam gemacht. Unser früher abgegebenes Urtheil, dass namentlich für eine
allgemeine Belehrung über die Kriegs
geschichte des Alterthums das Werk sich vorzüglich eigene , be stätigt unseres Erachtens auch der jetzt vorliegende Band. selbe behandelt einen Abschnitt ,
Der
der nicht nur für die Römische
Geschichte, sondern auch für die Entwickelung der Kriegskunst von hoher Bedeutung.
Seinen Hauptinhalt bildet die Schilderung der
Kriegsthaten J. Cäsar's, eines jener hervorragenden Feldherrn, dessen Ruhm nie erbleichen wird, dessen Kriegszüge ein Friedrich und Na poleon nicht nur eingehend selbst studirten, um an ihnen zu lernen, sondern deren Studium sie
auch bei jeder Gelegenheit in ihren
Schriften empfohlen haben . In dem vorliegenden Bande sind selbstredend die einzelnen Kriege Cäsar's gegen die Gallier, die Kämpfe zwischen Cäsar und Pompejus resp. dessen Partei nicht in
erschöpfender Weise dar
gestellt , sondern nur auf Grund der besten über die verschiedenen Kriege erschienenen Werke
allgemeinere Schilderungen gebracht.
Dieselben sind aber doch so ausführlich, dass sie sowohl den Gang der Kriegsereignisse genau vor Augen führen, als auch die ge sammten militairischen Verhältnisse in strategischer und taktischer Beziehung klar legen.
Es ist somit dem Leser das Mittel geboten, sich über den Krieg und das Kriegswesen der Römer zu Cäsar's 25 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XX.
Umschau in der Militair-Literatur.
374
Zeiten nach jeder Richtung hin ein Bild zu machen. als
die
eigentlichen
Schilderungen
Mehr noch
der Kriege werden
zweifels
ohne die Abschnitte des Buches allgemein willkommen sein, welche höchst gediegene Betrachtungen über die Art und Kunst der Krieg führung bringen .
Recht sachgemäsz sind diese kritischen Capitel
in zwei Theile gegliedert ; der eine behandelt die Zeit der gallischen Kriege, der andere die des Bürgerkrieges und die im Zusammen hange mit demselben stehenden späteren Kämpfe.
Im Wesentlichen
wird man gewiss den hierbei entwickelten Ansichten voll beipflichten können.
Dieselben sind nicht durchweg neue Geisteskinder, sondern
theilweise gestützt auf die Aussprüche früherer Schriftsteller.
So
treffen wir namentlich zwei Deutsche werthgeschätzte Bekannte auf diesem Gebiete
vielfach :
Lossau's Ideale der Kriegführung
Rüstow's Heerwesen und Kriegführung J. Cäsar's.
und
Auch auf den
interessanten Vergleich, den das Werk zwischen Alexander, Hannibal und Cäsar auf den Seiten 320 bis 336 anstellt , sei hier noch be sonders hingewiesen.
Manchmal, so däucht es uns, könnte hier und
da das Urtheil bestimmter und prägnanter gegeben sein ; doch darf andererseits nicht auszer Acht gelassen werden, dass eine objective Geschichtsschreibung bei Prüfung der Handlungen , welche zwei tausend Jahre und länger hinter uns liegen, meistentheils auf einem unsicheren Boden einhergehen muss. Recht erwünscht wird manchem Leser auch die in der Ein leitung gebrachte Zusammenstellung über die Werke sein, welche die Kriege und Feldzüge der drei groszen ebengenannten Feldherrn behandeln.
Ob diese Nachweisung aber sämmtliche beachtenswerthe
Schriften über den beregten Gegenstand enthält , erscheint uns zweifelhaft. Von den neueren Werken finden wir unter anderen die Deutschen des Oberst v. Cohausen, C. v. W.'s , Eichheim's und Rospatt's nicht erwähnt. Schlieszlich halten wir es noch ;für unsere Pflicht , darauf auf merksam
zu
machen,
dass
die
einem angehefteten Kartenblatte kleine Skizzen gezeichnet ,
„22 Pläne " befinden .
sich sämmtlich Auf diesem
auf
sind 22
welche das Terrain und die Truppen
aufstellungen in den einzelnen Kämpfen, Belagerungen etc. Cäsar's veranschaulichen .
Wir wollen gerne zugeben , dass diese kleinen
Zeichnungen ihrem Zwecke entsprechen, oft sogar Stellung und Be wegung der Heere erst recht deutlich machen, aber mit dem Worte
77Plan" verbinden wir doch einen anderen Begriff , dem Werke gegeben worden ist.
als ihm hier in
Umschau in der Militair-Literatur.
375
Die neue Fechtart der Infanterie , Cavallerie und Artillerie, einzeln und verbunden und der Einfluss des Terrains auf dieselbe, mit vergleichenden Rückblicken auf die Taktik der drei Waffen der jüngsten Vergangenheit. Von C. v. Elgger . Luzern 1876. Doleschal. 8°. 473 S. Major v. Elgger hat sich namentlich durch seine taktischen Schriften bereits über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus einen Namen gemacht.
Auch in der vorliegenden Schrift zeigt uns jede
Zeile den kriegserfahrenen Offizier, der mit offenem Blicke, Verständ niss und strenger Prüfung
der Entwickelung der Taktik in den
letzten groszen Kriegen gefolgt ist. Zugleich geht aus dem Buche eine wirklich staunenswerthe Belesenheit des Verfassers hervor ; er unterstützt seine Ansichten nicht nur durch einschlagende Beispiele aus all' den Kriegen ,
die
sich
seit Napoleon I. in Europa und
Amerika abgespielt haben, wobei der Deutsch - Französische Krieg natürlicher Weise als Matador dasteht, sondern auch durch Wieder gabe einzelner geeigneter Stellen aus namhaften taktischen Schriften fast sämmtlicher gröszeren Heere Europa's. Auf diese Weise ist die Lectüre des Werkes besonders an
regend und lehrreich gemacht worden, für uns war aber der Um stand noch von wesentlicher Anziehungskraft , Urtheil und An sichten eines hervorragenden Schweizer- Offiziers kennen zu lernen. Wir hatten , ehrlich gestanden , als wir das Buch in die Hand nahmen, ein gewisses Vorurtheil, und glaubten, das Werk sei sicher lich nur für die Schweizer-Truppen zu gebrauchen. Diese Meinung wurde aber sehr bald hinfällig. Die ganze Art und Weise, wie Verfasser die Sache aufgefasst und den Gegenstand behandelt hat, ist uns recht praktisch erschienen, und jeder Deutsche Offizier, so unterrichtet er auch ist , wird aus der vorliegenden Schrift gewiss noch Manches
lernen ,
namentlich aber recht viel Anregung zum Manchmal , das lässt sich nicht leugnen, tritt
Nachdenken finden . allerdings der auf
hier und da der Schweizer - Offizier ein wenig hervor, die die heimathlichen Heereseinrichtungen und die Be
waffnung mit dem Repetirgewehr gebührend Rücksicht nehmen musste. Aber auch hier findet der Deutsche Offizier manchen prakti schen Wink. Die
Fechtart
der
Infanterie
nimmt
selbstverständlich
den
gröszten Theil des Werkes ein und können wir uns im Groszen und Ganzen mit den vom Verfasser entwickelten Grundsätzen ein verstanden erklären ; sprüchen
und
er
ist klar
beengt nicht
durch
und
bestimmt
kleinliche
in seinen
Aus
Form - Vorschriften. 25 *
Umschau in der Militair-Literatur.
376
wo es sich um Grundsätze handelt.
Zuweilen decken sich aller
dings unsere Ansichten nicht vollständig oder steigen Zweifel über das Zutreffende des Ausspruches auf. wird :
Wenn z. B. S. 103 gesagt
„ Es ist vortheilhaft , den Angriff von einer Seite zu unter
nehmen , von welcher der Feind weniger Gefahr befürchtet ,"
so
müssen wir dagegen bemerken, dass man leider nicht immer weisz, Konnte von welcher Seite der Feind weniger Gefahr befürchtet. man z. B. Deutscher Seits vermuthen , dass Marschall Bazaine am 16. und 18. August die Hauptgefahr darin erblickte, von Metz ab geschnitten zu werden ? Auch die auf S. 125 niedergelegte Be hauptung , dass bei gleichen oder überlegenen Kräften des Feindes ein Angriff in der Dunkelheit oft allein Chancen des Erfolges biete, möchten wir nicht unterstützen. Nur unter ganz auszerordentlich günstigen Umständen kann ein nächtlicher Ueberfall günstige Re sultate zur Folge haben ; vom theoretischen Standpunkte aus möchten wir aber jedes Nachtgefecht vermieden wissen. So allgemein zutreffend wie uns dann auch das zu sein scheint, was der Verfasser über die Taktik der Artillerie sagt , so steht er mit seinen Ansichten über die Kampfweise der Cavallerie aber auf einem ganz anderen Standpunkte wie wir und der gröszte Theil der Deutschen Offiziere .
So sagt er S. 175 :
Leichte Reiterei darf
eine frische Linie schwerer Reiter nicht ohne Weiteres angreifen. Seite 185 heiszt es :
Im Allgemeinen haben bei der Reiterei die
taktischen Formationen geringeren Werth als bei der Infanterie. Seite 193 lesen wir: 99 Eine mit Repetir - Carabinern bewaffnete Reiterei, welche den Angriff der feindlichen in Linie (wobei ein Glied genügt) erwartet , auf 100 oder 150 Schritt den Carabiner heraufnimmt und den Feind mit Repetir - Schnellfeuer empfängt, dürfte, obgleich die Unruhe der Pferde manchen Reiter am Schieszen hindern wird, sicher darauf zählen, den Angriff mit Verlust zurück zuweisen.
Auf Seite 209 sagt uns eine andere Stelle :
„ Die An
wendung der Feuerwaffen der Cavallerie scheint im Gefecht mit In fanterie allein das
verlorene Gleichgewicht herstellen zu können.
Es frägt sich nur, muss die Cavallerie, wenn sie in die Lage kommt, Infanterie bekämpfen zu müssen , absitzen und zu Fusz kämpfen, oder ist es möglich, die Pferde so zu dressiren , dass man auf einen wirksamen Gebrauch der Feuerwaffen zu Pferde hoffen darf? Gegen wärtig wird sie von den Cavalleristen verneint , doch diese haben nothgedrungen auch andere Vorurtheile aufgeben müssen. “ — Genug der Beispiele, um die Ansichten des Verfassers über den Gebrauch der Feuerwaffe bei der Cavallerie klar zu stellen .
Er kämpft schon
Umschau in der Militair-Literatur.
377
seit Jahren für solche Principien ; wir werden daher nicht im Stande sein, ihn hier durch eine kurze schriftliche Entgegnung zu bekehren. Wir wollen desshalb nur kurz auf die Thatsache hinweisen , dass bei der Deutschen Cavallerie jedes Schieszen zu Pferde verpönt ist und hoffentlich auch bleiben wird. Gerne hätten wir über einzelne Ansichten in Betreff der Taktik der verbundenen Waffen mit dem hochgeschätzten Verfasser hier unsere Ansicht noch ausgetauscht , aber der Raum verbietet es uns leider, für diesmal länger bei dem interessanten Werke zu verweilen. Wir dürfen dasselbe mit vollster Ueberzeugung der Deutschen Armee bestens empfehlen und sind der Ansicht , dass es namentlich bei taktischen Studien etc. mit vielem Nutzen verwerthet werden kann.
Instructionen des Generalmajors Karl von Schmidt , betreffend die Erziehung , Ausbildung , Verwendung und Führung der Reiterei von dem einzelnen Manne und Pferde bis zur Ca vallerie-Division.
Geordnet und in wortgetreuer Wiedergabe
der Originalien zusammengestellt durch von Vollard-Bockel berg ,
Rittmeister
Nr. 8
und
im
Adjutant
2.
Schlesischen
der 19.
Dragoner - Regiment
Division ,
eingeleitet
durch
Kaehler, Major und Commandeur des 2. Schlesischen Husaren Regiments Nr. 6. Mit dem Bildniss des Generals von Schmidt. Berlin 1876.
E. S. Mittler und Sohn.
gr. 8°. 267 Seiten.
Das vorliegende Werk, auf Veranlassung Sr. Königlichen Hoheit des General - Feldmarschalls Prinzen Friedrich Karl von Preuszen zusammengestellt, ist eben in unsere Hände gekommen und beeilen wir uns auf dessen Erscheinen aufmerksam zu machen. Bei dem Namen , welchen Generalmajor von Schmidt sich als Reiter führer erworben hat , bedarf es gewiss keiner weiteren Bemerkung, um auf die Bedeutung dieses Werkes hinzuweisen. Der ele gannten und reichlichen Ausstattung des Werkes sei jedoch noch lobend Erwähnung gethan.
Deux Conférences extraites de l'histoire redigée par la section historique du grand état-major prussien par le major Th . Wei merskirch du 11e régiment de ligne. ――― Liége 1876. -
Wir glauben auf diese, uns von befreundeter Hand zugegangene, 54 Seiten umfassende kleine Schrift schon deshalb aufmerksam machen zu
müssen, weil dieselbe den besten Beweis liefert , wie
Umschau in der Militair-Literatur.
378
sorgfältig und gewissenhaft die Deutschen kriegswissenschaftlichen Schriften in der Belgischen Armee gelesen, wie hoch namentlich dort die Studien des Oberstlieutnants von Scherff und die taktischen Bei spiele des Majors Helvig geschätzt werden . Die erste der Abhandlungen führt uns in objectiver und recht anschau licher Weise auf Grund der Angaben des Generalsstabswerkes den Vor marsch der dritten und Maas-Armee auf Chalons, sowie den Rechtsab marsch derselben vorAugen ; auch das Verhalten der Armee des Marschalls Mac Mahon in der betreffenden Zeit ist kritisch betrachtet. Ver fasser konnte in diesem Aufsatze, welcher ein so vielfach behandeltes Thema zum Gegenstande hat, selbstredend nicht viel Neues zu Tage fördern und kommt zu dem Schlusse , Mac Mahon hätte den Ober befehl niederlegen müssen, anstatt einen ihm unausführbar scheinenden Plan zu acceptiren und sich von Paris aus fortwährend Vorschriften machen zu lassen. In der zweiten Abhandlung versucht der Verfasser an dem Ver laufe des Gefechtes bei Nouart die Grundsätze der Demonstrative klar zu legen .
Eine recht glückliche Idee scheint es zu sein , dass
er, um seinen Belgischen Cameraden die ganzen Verhältnisse noch klarer und anregender zu machen , anstatt der Gegend bei Nouart ein ganz ähnliches Terrain bei Lüttich unterschiebt.
In dem kriti
schen Theil dieser Arbeit stützt sich Verfasser mit vielem Geschick im Wesentlichen auf die
in den Scherff'schen Studien über diese
Kampfesform entwickelten Grundsätze und zeigt hierbei eine ganz besondere Hochschätzung des Verfassers letztgenannten Werkes. Er meint sehr richtig, dass namentlich jüngere Offiziere sehr oft in die Lage kämen, sich in der Demonstrative zu bewegen und empfiehlt daher , sich vertraut zu machen mit den Grundsätzen derselben und mit der Art diese zur Anwendung zu bringen.
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.
379
XXIV .
Verzeichniss
der
bedeutenderen Aufsätze aus
anderen militairischen Zeitschriften . (15. Juli bis 15. August 1876.)
Allgemeine Militair - Zeitung ( Nr. 27–31) : Der Serbisch - Tür kische Krieg. General v. Peuker und die Preuszisch - Deutschen Kriegsschulen. - Die Feldübungen der Italienischen Armee im Jahre 1875. — Ueber die allgemeine Einführung von Fortbildungs schulen für das Heer. Deutsche Heeres - Zeitung (Nr. 29-33) : Die Todesfälle in der Deutschen Armee durch Hitzschlag. - Ueber das Reiten der Offi ziere der Fusztruppen.
Vergleich der Cadres eines Deutschen mit denen eines Französischen Infanterie - Regiments . ――― Die selbst ständigen Forts groszer Waffenplätze, ihr Zweck, ihr Wesen. Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie (Heft VII) : Aus den Reiseberichten S. M. S. „ Hertha “ . Streffleur's Oesterreichische militairische Zeitschrift VII. Heft) :
(VI. und
Die Grundsätze der Marschtechnik und Gefechtsleitung,
erläutert durch die Operationen am 23. und 24. Juni 1859 in Italien. - Eine organisatorische Studie über unser Verpflegs- und Trainwesen . - Reglements-Studie XXV, XXVI , XXVII. Organi sation und Bewegung des Landsturmes in Oesterreich. -
Einige
Schlagworte über das Verhalten eines im Vormarsche aufklärenden gröszeren Cavallerie- Körpers . Organ der militair-wissenschaftlichen Vereine (5. Heft) : Taktische Studien. --- Der Aufstand in der Herzegowina. — Beiträge zur Ge schichte des Generalstabes . Oesterreichisch-Ungarische militairische Blätter (2. Juli - Heft) : Kriegsgeschichtliche Studie über Märsche und Leistungen der Trup Die Laffeten der neuen Feldgeschtitze. (1. August- Heft) : pen. Episoden aus dem Kriege in Deutschland 1809. Oesterreichische Militair-Zeitung (Nr. 55-65 ) : Serbien und die Türkei. - Die Wehrverhältnisse des Ottomanischen Reiches.
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze
380
Beiträge zur ärztlichen Kriegsbereitschaft. - Der Serbische Kriegs plan. -- Das Stillen des Durstes auf dem Marsche. Das Russische -Heer. Die groszen Manöver bei Nikolsburg. Die Türkischen
Eisenbahnen. Oesterreichisch-Ungarische Militair-Zeitung „ Vedette" ( Nr. 40 bis 44) : Statistik der Bevölkerung in der Türkei. - Das Vilajet Zehn Jahre Oesterreichischer Flottenentwickelung. Bosnien. ― Der Serbisch-Türkische Krieg. - Des Serbisch-Türkischen Krieges I. Akt. -
Ueber die Ausbildung unserer Cavallerie im Felddienste.
Oesterreichisch-Ungarische Wehr - Zeitung ( Nr. 53) : schen Streitkräfte .
Die
Serbi
Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wesens Ueber den Werth des Infanterie - Feuers auf groszen Ausdauerversuch mit sechs 7,5- Centimeter-Hinterlad Die Organisation der Feldkanonen- Rohren aus Stahlbronce. (6. Heft) : Distancen.
Italienischen Artillerie. -
Die Ausstellung F. Krupp's zu Phila delphia in artilleristischer Beziehung. (7. Heft) : Theorie der Die flüchtige Elasticität und Festigkeit röhrenförmiger Körper. Feldbefestigung. L'avenir militaire (Nr. 366-370) : Der Sanitätsdienst im Felde. Die General- Inspectionen. -- Militair-Instruction und öffentlicher Unterricht. - Einige taktische Fragen. ――――――― Der Gesetzesvorschlag betreffs der Administration der Armee. ― Die Verhandlung über das Kriegsbudget . ---- Die Fortschritte der Feld - Artillerie von 1815 bis 1873. Le Spectateur militaire ( 15. Juli 1876 ) : Ueber die Orientfrage. Von der Moral der Chefs und der und Soldaten-Tugend . ―――― Reglement
Die Expedition nach Mexico. -
Truppen, von deren Charakter betreffs der Manöver der Französischen Infanterie.
Journal des sciences militaires (Juli 1876) : Marschtaktik. Praktische Instruction über den Colonnendienst in Algier. ―――― Der Infanterie-Capitain im Felde. -
Die militairische Beredsamkeit bei
den Römern .
Revue d'Artillerie (Juli 1876 ) :
Die Russische Brückenequipage.
-
Oesterreichisches Artillerie - Material , 8,7 - Centimeter- (Uchatius-) Kanone . - Die Shrapnels, ihre Construction, ihre Eigenschaften und ihre Anwendung im Kriege. Revue Maritime et Coloniale (August 1876) : Noch einmal die Entwaffnungsfrage. - Die neuesten Kriegsschiffe. - Die Marine
aus anderen militairischen Zeitschriften .
381
von Chili im Jahre 1875. ―――― Tafel der Durchdringung der Panzer bekleidungen durch Englische und Französische Geschosse. ――――― Das Englische Marinebudget. Russ. Invalide ( Nr. 144-165) : Berichte über die Kämpfe auf der Balkan-Halbinsel. Mittheilungen über die diesjährigen Russi schen Sommerlager . ― Ueber die Anwendung von Locomobilen. Die militairisch-öconomischen Verhältnisse der fremden Armeen. Wojenny Sbornik (Juli - Heft) :
Uebersicht der Operationen
im
Jahre 1870 bis einschlieszlich der Capitulation von Sedan. - Bruch stücke aus der Geschichte der Infanterie. - Neue Beobachtungen über die Deutsche Armee. ――― Algier. (Schluss. ) ―― Das Fürstenthum Montenegro .
(Schluss .)
Morskoi Sbornik (Juni- und Juli - Heft) : Beobachtungen der Magnet nadel im schwarzen Meer. - Blicke auf die Vergangenheit. Eine ― neue Art von Popavka. Eine neue sich selbst bewegende Mine. Die Russische Flotte in den Ostasiatischen Gewässern 1849-1856 . Das grosze L'Esercito (Nr. 80-96) : Die Alpen-Regimenter. Margarethe " . Die 17. Infanterie - Brigade im Lager bei Teano. - Einige Betrachtungen über die Zukunft der Cavallerie Waffe. ――― Betrachtungen über den Dienst in der Feld-Artillerie. Geschütz
Cronaca militare estera ( Nr. 3) : Der Krieg zwischen der Türkei, Serbien und Montenegro . Rivista militare italiana (Juli - Heft) : Die Theorie des wirklichen Krieges, angewandt auf die Feldzüge von 1796 und 1797 in Italien . - Noch Einiges über die Cavallerie im Jahre 1870. - Die Oester reichische Relation über den Feldzug von 1859 in Italien und die Schlacht von S. Martino . - Von den geographisch-statistisch-mili tairischen Verhältnissen der Europäischen kleineren Staaten und ihren Grenzen .
Türkei und
von den
Giornale d'artiglieria e genio ( Juli - Heft) : Die Französischen trag baren Waffen. Die Construction, Eigenschaft der Shrapnels und deren Anwendung im Kriege. ― Die Memoiren des Russischen -Artillerie-Oberst V. N. Sclarevic. Die Panzerthürme . Army and Navy Gazette (Nr . 868-872) : Lord Napier's Militair - Laufbahn. Die Militair - Correspondenz Napoleon's I. Das 81 -Tons -Geschütz. Die mobil gemachte Miliz. - Armee-Be förderungs-Commission.
Naval and Military Gazette (Nr. 2274-2277) : Die Explosion am Bord des Thunderer. - Mobilisation zweier Armee- Corps. - Das 25 **
382
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.
Königlich Indische Ingenieur-Collegium . - Die letzte Mobilmachung. - Die Sioux-Indianer und General Custer. Army and Navy Journal ( Nr. 671-675 ) : Niederlage des unter General Custer stehenden Commando's . Der Krieg mit den Sioux Indianern. La Belgique militaire (Nr. 285-291) :
Der Slavisch - Türkische
Krieg. — Militair-Etablissements . — Sommerübungen im Jahre 1876. — Ueber die Formation von Divisionen . De nieuwe militaire spectator (Nr. 8 und 9) : Die Manöver der 3. Division im Jahre 1875. ― Küsten-Artillerie-Angelegenheiten. Straszenlocomotiven. Allgemeine Schweizerische Militair-Zeitung (Nr. 28-32) : Einige Betrachtungen über die Instructionsmethode und das Instructions Corps . - Ueber Distanzenschätzen. - Ueber das künftige System der Schiffs -Propulsion. -
Die Offensive des Generals Briand gegen
Gisors und der Ueberfall von Etrépagny im November 1870. Revista militar ( Nr. 13) : Cavallerie.
Taktische
Betrachtungen
über die
Memorial de Ingenieros y revista cientifico militar (Nr. 14 u. 15) : Bemerkungen über den Feldzug des ersten nördlichen Armee-Corps in den Jahren 1874 bis 1875.
Verantwortlich redigirt von Major v. Marées, Berlin, Bülow - Strasze 5. Verlag von F. Schneider & Co. (Goldschmidt & Wilhelmi), Berlin, Unt. d. Linden 21 .
Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.