Jack B. Yeats: Nationale Identitätskonstruktionen in der irischen Moderne [1 ed.] 9783412527297, 9783412527273


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Jack B. Yeats: Nationale Identitätskonstruktionen in der irischen Moderne [1 ed.]
 9783412527297, 9783412527273

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JACK B. YEATS NATIONALE IDENTITÄTSKONSTRUKTIONEN IN DER IRISCHEN MODERNE

Elisabeth Ansel

Studien zur Kunst 49

Elisabeth Ansel

Jack B. Yeats Nationale Identitätskonstruktionen in der irischen Moderne

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Zugl.: Dresden, Univ., Diss., 2021 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Jack B. Yeats, The Fern in the Area, 1950, Öl auf Pappe, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Sotheby’s. Korrektorat  : Sebastian Schaffmeister, Köln Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-412-52729-7

Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   9 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 13 17 17 20 22 23 25

2. Paradigmen künstlerischer und kultureller Identitätsbildung um 1900 . . . . . . .

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28 28 30

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37 53 56 62 63 68

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72

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84

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95

1.1 Kunst und Identität. Ziele und Thesen . . . . . . . . . . . . 1.2 Forschungs- und Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Yeats-Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Methodisches Vorgehen und Kapitelübersicht. . . . . . . . . 1.3.1 Postkoloniale, transkulturelle und multiple Modernen . 1.3.2 Kapitelübersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 »Other Yeats«  : Künstlerfamilie, Künstlergenese und Künstlertopik . . . . 2.1.1 Yeats-Familie und Kindheit von Jack B. Yeats. . . . . . . . . . . . 2.1.2 The Education of Jack Yeats oder die Etablierung des Mythos vom intuitiven Künstlergenie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Künstlerische Anfänge.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Hinwendung zu Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Celtic Revival  : Rückbesinnung und Aufbruch.. . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Definition und kulturhistorische Einordung des Celtic Revival.. . 2.2.2 »Folk Memory«  : Gedenkfeiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Irische Caprichos  ? Yeats’ Broad Sheets, Broadsides und Ballad Singer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 »Great Nationalist leaders from O’Connell to Parnell«  : Politische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 »Vision of Ireland’s past, present and future«  : Archäologie, Keltologie und re-gälisierte Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Nationale Narrative und Kanonisierungsprozesse im postkolonialen Kontext  : Eigen- und Fremdperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

3.1 Painting in Modern Ireland. The Rise of the National School. Thomas MacGreevys Überlegungen zum irischen Nationalstil, 1922.. . . . . . . . 113 3.2 Repräsentationsstrategien im Irish Free State Official Handbook, 1932.. . . 120 3.3 Irland, Europa und Mexiko. Thomas Bodkins und Ernie O’Malleys kritische Diskussionen zur irischen Schule im globalen Kontext . . . . . . 127

6  |  Inhalt

3.4 Nationale Stereotype und Alteritätskonstruktionen am Beispiel der britischen Rezeption irischer Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4. »He paints the Ireland that matters«  : Yeats als Nationalkünstler  ? Eine kritische Betrachtung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.1 Der irische Westen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

4.1.1 »An artist of Gaelic Ireland«  : Die Rezeption des Künstlers als Maler des Westens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Das Atelier des Westens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 »Siegerpathos«  : The Aran Islands, 1907 . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Yeats, Hokusai und Degas. Der irische Westen als globaler Ort.. . 4.2 Kunst und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 »tragic and heroic phase of Irish history«  : Bachelor’s Walk, In Memory, 1915 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Ein irischer 3. Mai  ? The Funeral of Harry Boland, 1922.. . . . . . 4.2.3 Metamalerei nach der Unabhängigkeit  : Communicating with Prisoners, ca. 1924. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Politisches Traktat oder Künstlermanifest  ? Modern Aspects of Irish Art, 1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Dubliners. Städtische Sujets als Ausdruck des kulturellen Aufbruchs und der Diversität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Bilder der Großstadt und neues künstlerisches Selbstverständnis . . 4.3.2 Kunst, Sport und Außenpolitik  : The Liffey Swim, 1923. . . . . . . 4.4 Mythische Orte und Symbolträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Ut pictura poesis  : Yeats als Schriftsteller . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Das nationale Imaginäre  : A Race in Hy Brazil, 1937 . . . . . . . .

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144 150 165 186 204

. 205 . 224 . 236 . 248 . . . . . .

267 269 286 298 298 302

5. Inszenierungsstrategien  : Künstler und Kritiker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

5.1 Die Einflussnahme des Künstlers auf den Kunsthistoriker am Beispiel der Yeats-Monografie von Thomas MacGreevy, 1945 . . . . . . . . . . . . . . 312 5.2 »An artist who […] transcended national boundaries«  : Irlands Teilnahme an der Biennale von Vendig, 1950 – 62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 5.3 Kunst ohne Ursprung  : Samuel Becketts Hommage à Jack B. Yeats, 1954. . . 333

6. Hybride Identitäten und transkulturelle Verflechtungen . . . . . . . . . . . . . . 348 6.1 Amerikareflexionen, ›Orient‹-Fantasien und Irlandbilder . . . . . . . . . . 348

6.1.1 An Irishman in New York. Yeats’ New York-Reise und erste USamerikanische Einzelausstellung, 1904 . . . . . . . . . . . . . . . . 350 6.1.2 Wild-West-Fantasien und New York-Bilder als identifikative Projektionsräume  : A Sidewalk of New York, 1905. . . . . . . . . . . 361 6.1.3 Zwischen ›Orient‹-Begeisterung und Desillusionierung  : The Belle of Chinatown, 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

Inhalt | 7

6.1.4 New York  – Dublin  : Jazz Babies, 1929 . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Exhibiting Yeats  : Der Künstler im globalen Kontext am Beispiel USamerikanischer Ausstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Macbeth Gallery, New York, 1910 und Yeats’ Verbindung zur Ashcan School. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Armory Show, New York, 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 The Helen Hackett Gallery, Museum of Irish Art und Ferargil Galleries, New York, 1930 – 33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Mrs. Cornelius J. Sullivan Gallery, New York, 1937/38.. . . . . . 6.2.5 A First Retrospective American Exhibition, USA/Kanada, 1951/52..

. 372 . 378 . 380 . 388 . 392 . 396 . 400

7. Vielfalt der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

7.1 »Slashed on in a frenzy«  : Die Form als analytische Kategorie im postkolonialen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Yeats und die figurative Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 »Life above everything«  : Walter Sickert, Jack B. Yeats und Lucian Freud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 »You alone can to-day tell […] such touching stories  !« Jack B. Yeats und Oskar Kokoschka. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Postwar  : Grief, 1951. Yeats’ Antikriegsbild im Kontext . . . . . . . . . . .

408 416 418 428 447

8. Schlussbemerkungen  : Kunstdebatten jenseits nationaler Narrative. . . . . . . . . 454 Biografie Jack B. Yeats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 Abbildungsnachweise.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

Dank Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im März 2021 am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der Technischen Universität Dresden eingereicht und im Juni 2021 verteidigt wurde. Die Dissertation hätte ohne die Unterstützung und anregende Kritik vieler Menschen nicht entstehen können. Bei ihnen möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Zunächst gilt mein Dank Henrik Karge, der die Arbeit als Betreuer und Erstgutachter in ihrem Entstehen begleitet, das Vorhaben stets gefördert und mit gutem Rat unterstützt hat. Zudem gebührt mein herzlicher Dank Birgit Ulrike Münch, meiner Zweitgutachterin. Ihr verdanke ich wichtige Anregungen in entscheidenden Phasen der Arbeit, konstruktive Gespräche und wichtige Impulse. Darüber hinaus bin ich Bruno Klein zu Dank verpflichtet, der das Projekt ebenfalls begleitet und durch Gutachten und Empfehlungen unterstützt hat. Die Dissertation entstand zum Teil während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der Technischen Universität Dresden. Für das Vertrauen, das freundliche wissenschaftliche Arbeitsumfeld und viele anregende Gespräche mit Kolleg:innen möchte ich mich bedanken. Mein Dank richtet sich an Juliane Gatomski, Marie-Sophie Himmerich, Sandra Janßen, Florian Kayser, Andrea Kiehn, Silvia Lorenz, Frank Pawella, Julia Walter, vor allem aber an Jessica Buskirk und Bertram Kaschek. Im Wesentlichen wurde die Arbeit jedoch im Zuge eines ­Promotionsstipendiums, das vom Freistaat Sachsen gefördert wurde, erstellt. Hier gilt mein Dank den Mitar­ bei­ter:innen der Graduiertenakademie der Technischen Universität Dresden, die mir bei der erfolgreichen Einwerbung des Stipendiums, aber auch von Travel Grants im Rahmen von Forschungsaufenthalten hilfsbereit zur Seite standen. Den Anfang für die Auseinandersetzung mit der irischen Kunst im Allgemeinen und der von Jack B. Yeats im Besonderen bildete ein studienbegleitendes Praktikum an der National Gallery of Ireland in Dublin. Der konkrete Anstoß für die Arbeit ging schließlich von einem Symposium zu William Butler Yeats aus, das am ­Trinity College Dublin ausgerichtet wurde. In diesem Zusammenhang richtet sich mein aufrichtiger Dank an Anne Hodge, Niamh MacNally, John und Barbara Purser sowie Declan Foley, insbesondere aber an Hilary Pyle und Róisín Kennedy. Mit ihnen führte ich im Laufe des Projektes wiederholt anregende Diskussionen und erfuhr wertvolle Hinweise. Sachdienliche Auskünfte erhielt ich zudem von Christa-Maria Lerm Hayes, Brenda Moore-McCann und Yvonne Scott. Dank gebührt auch Brian O’Doherty (†), der mir zentrale Informationen zu Jack B. Yeats und dessen Schaffen zukommen ließ.

10  |  Dank

Für die Erarbeitung des Buches bildeten intensive Archivrecherchen eine zentrale Grundlage. Ich bin allen Mitarbeiter:innen zu großem Dank verpflichtet für ihr Entgegenkommen und die Unterstützung meiner Recherchen. Danken möchte ich den Mitarbeiter:innen der National Gallery of Ireland, Dublin, vor allem Pauline Swords und Leah Benson für die Bereitstellung zahlreicher Materialen und für sachkundige Hinweise. Weiterhin danke ich den Mitarbeiter:innen des Trinity College Dublin, insbesondere Simon Lang, sowie denen des Department of Foreign Affairs, Dublin. Zudem gilt mein Dank den Mitarbeiter:innen der Berg Collection und der Manuscripts and Archives Division der New York Public Library, der Tamiment Library & ­Wagner Archives der New York University, der Pierpont Morgan Library, der Frick Art Refe­ rence Library, des Yale Center for British Art sowie der Zentralbibliothek Zürich. Herzlich möchte ich mich zudem bei der Leiterin des Wiener Oskar Kokoschka Zentrums, Bernadette Reinhold, bedanken, die mir bei meinen Rechercheanfragen sehr geholfen und mir wertvolle Hinweise geliefert hat. Ein besonderer Dank geht an Cormac O’Malley, in dessen materialreichem Privatarchiv ich arbeiten durfte. Ich bedanke mich für seine große Gastfreundschaft und seine klugen Hinweise. Darüber hinaus wurde die Arbeit durch zentrale Impulse im Rahmen von Gastaufenthalten, Tagungen und Summer Schools befördert. Besonders wichtig war die durch ein ERASMUS-Programm geförderte Gastdozentur am University College Cork. Den Institutsmitarbeiter:innen Flavio Boggi, Sabine Kriebel und Ann Murray möchte ich herzlich für den wissenschaftlichen Austausch danken. Dem University College Dublin gilt mein Dank für die Einladung zu der Summer School »Irish Art and Language«. Die Drucklegung der Arbeit wurde durch die großzügige Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung der Geisteswissenschaften ermöglicht. Ihr bin ich zu großem Dank verpflichtet. Zudem möchte ich dem Böhlau Verlag für die bereitwillige Aufnahme in das Verlagsprogramm und insbesondere Kirsti Doepner und Fabian Böker für die professionelle und angenehme Zusammenarbeit danken. Mein herzlicher Dank geht darüber hinaus an die Kommissionsmitglieder der Technischen Universität Dresden und der Commerzbank AG für die Auszeichnung der Arbeit mit dem »Dissertationspreis der Kulturstiftung Dresden der Commerzbank 2021«. Für inspirierende Diskussionen, Zuspruch und nützliche Hinweise möchte ich neben den bereits Genannten auch Marcel Finke, Dietmar Rübel, Kathleen Rosenthal, Verena Schneider, Rainer Vowe und Erika Alsdorf danken. Teresa Ende, Christin Neubauer und Katja Schröck danke ich für viele anregende Gespräche und unterstützende sowie kritische Ermutigung. Ohne die bestärkende, liebevolle und bedingungslose Unterstützung meines Ehemannes, Frank Schmidt, wäre das Entstehen der Arbeit nicht möglich gewesen. Ihm gilt mein innigster Dank für seine aufmerksame und fachkundige Korrekturarbeit, seine konstruktive Kritik sowie seinen klugen Rat.

1. Einführung HARRY ROWOHLT  : »Iren […] können nicht malen.« RALF SOTSCHECK  : »Na, ein paar gibt es schon.« ROWOHLT  : »Wen denn zum Beispiel  ?« SOTSCHECK  : »Jack B. Yeats, den Bruder des Literaturnobelpreisträgers William Butler Yeats.« ROWOHLT  : »Den habe ich nicht vor dem geistigen Auge.« SOTSCHECK  : »Die Iren sind eben kein visuelles Volk.«1

»Horses, drink and ›tinkers‹  : Images of Ireland for sale«2, so kündigte die Irish Times eine am 17. März 2017 stattfindende Versteigerung im Dubliner Auktionshaus deVeres an. Pünktlich zum St. Patrick’s Day, dem inzwischen global zelebrierten irischen Nationalfeiertag, würden dort mit westirischen Landschaften, Pferdedarstellungen und ruralen Szenen »quintessentially Irish paintings«3 angeboten, die sämtlich nationale Klischees bedienten. Gleichzeitig resümierte das Blatt  : »These are the images of Ireland that sell.«4 Der Artikel verrät darüber hinaus, dass bei der Auktion insbesondere in ein Werk große Hoffnungen gesetzt wurden  : in das 1953 entstandene Gemälde From the Woods Shadow des irischen Malers Jack B. Yeats (1871 – 1957).5 Tatsächlich unterliegen Yeats’ Werke heute einer steten Wertsteigerung und werden weltweit gehandelt. Konnte man noch 1945 ein großformatiges Gemälde des Künstlers für 250 Pfund kaufen, musste man dafür nur sechs Jahre später bereits 2500 Pfund bezahlen.6 1 taz  : Harry Rowohlt über Polyneuropathen. »Viermal pro Jahr die Kante geben«, Interview mit Harry Rowohlt, geführt von Ralf Sotscheck, 12. Oktober 2009. 2 Irish Times, 11. März 2017  : https://www.irishtimes.com/life-and-style/homes-and-property/fineart-antiques/horses-drink-and-tinkers-images-of-ireland-for-sale-1.3002662 [17.12.2022]. 3 Irish Times, 11. März 2017. 4 Irish Times, 11. März 2017. 5 Jack B. Yeats, From the Woods Shadow, 1953, Öl auf Pappe, 35,5 × 46 cm, Privatbesitz. Zur Auktion siehe deVeres Auctions, Lot 96, Irish Art Auction, 4. April 2017  : https://www.deveres.ie/art/de tails/167665/?SearchString=&LotNumSearch=&GuidePrice=&OrderBy=&ArtistID=&Arrange By=&NumPerPage=&offset=96 [17.12.2022]. Auf die großen Erwartungen weist die Tatsache hin, dass es sich um das Werk mit dem höchsten Schätzwert handelte. Yeats’ Gemälde wurde für 82.000 Euro verkauft  ; es ist bemerkenswert, dass das für 140.000 Euro verkaufte Still Life (1973) des abstrakt arbeitenden Malers William Scott (1913 – 89) von der Irish Times in dem Artikel nicht einmal erwähnt wurde. Der Grund hierfür ist offensichtlich, passte es doch nicht zu dem im Artikel proklamierten »quintessentially Irish« Image. 6 Siehe dazu Yeats’ Angaben in seinen gesammelten Ausstellungskatalogen, AJ, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. Relativierend muss hier ergänzt werden, dass 250 Pfund 1945 viel Geld bedeuteten und dass auch bereits damals die hohen Preise von Yeats’ Gemälden in der Presse

12  |  Einführung

2021 schließlich waren Sammler:innen bereit, wie im Falle von Shouting (1950),7 1,4 Millionen Euro für eine Arbeit des Malers aufzubringen.8 Der Erwerb kultureller Identität hat folglich seinen Preis. Anhand steigender Summen auf dem Kunstmarkt zeigt sich denn auch, dass die von Pierre Bourdieu in Übereinstimmung gebrachten Komponenten von kulturellem und ökonomischem Status in der irischen Kunst auf paradigmatische Art und Weise korrelieren.9 Unter der irischen wie nicht-irischen Käuferschaft herrscht offenbar ein spezifischer Geschmack vor, der nach der Visualisierung nationaler Identität, vermittelt durch autochthone Bildformeln, verlangt. Folgt man der Irish Times, scheint der Anspruch auf lokale Selbstvergewisserung dabei vor allem im Werk von Jack B. Yeats zu kulminieren. In diesem Zusammenhang fällt jedoch auf, dass die internationale Dimension seines Schaffens im Zuge der identifikativen Aufladung zumeist vernachlässigt und eine Rückbindung an globale Strömungen der Moderne unterlassen wird. Damit geht einher, dass sich die Bekanntheit des Künstlers beinahe ausschließlich auf den englischsprachigen Raum beschränkt. Ein weiterer Umstand, der die Einschätzung irischer Bildkunst limitiert, kommt in Brian Fallons 1994 verfasstem Überblickswerk Irish Art. 1830 – 1990 zur Sprache und betrifft die hauptsächliche Wahrnehmung irischer Kultur über die Literatur  : Irish literature in the past century has gained a world hearing, from Yeats to Seamus Heaney  ; Irish painting and Irish sculpture are known only to a minority of scholars and cognoscenti, museum curators and a handful of salesroom addicts.10

Auch in den USA, wo Auswanderinnen und Auswanderer die eigene Kultur zu pflegen versuchten, galt das primäre Augenmerk lange Zeit hauptsächlich der irischen Literatur und Musik. Folglich bestand ein Ziel der 1996 in Boston ausgerichteten Ausstellung America’s Eye darin, dieses Bild zu revidieren. Entsprechend heißt es im zugehörigen Katalog  : With the exception of Jack Yeats, known to Americans as much as for his illustrious brother as for his own work, Ireland had produced no eminent artists since anonymous monks created the Book of Kells. Although rich in literary and musical traditions, Ireland appeared to Americans as a nation without a visual imagination. With America’s Eye  : Irish Paintings From the Collection of Brian P. Burns, Boston College corrects this misreading by presenting Ireland […] in all the »magnificent vitality of her painters«.11 thematisiert wurden. – Vgl. Dublin Opinion, April 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/4.   7 Jack B. Yeats, Shouting, 1950, Öl auf Leinwand, 101,6 × 152,4 cm, Privatbesitz.   8 Vgl. Whyte’s, Lot 37, Important Irish Art, 29. November 2021  : https://www.whytes.ie/art/shouting-1950/172415/ [17.12.2022].   9 Zum Zusammenhang von Geschmack, Habitus und kultureller Praxis siehe Bourdieu 1987. 10 Fallon 1994, S. 11. 11 Dalsimer/Kreilkamp 1996, S. 8.

Kunst und Identität. Ziele und Thesen | 13

Das im Text angeführte Book of Kells ist insofern ein spannendes Beispiel, als es, zusammen mit weiteren, zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert entstandenen Handschriften, auch aufgrund seiner künstlerischen Qualität, eine gesamteuropäische Wirkung entfaltete.12 Im Gegensatz dazu wurde für die irische Kunst der Moderne häufig angenommen, dass diese überwiegend in einem lokalen Vakuum geschaffen wurde, um im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen von Großbritannien nationale Identität qua Bildmacht zu manifestieren.13 Diese Lesart geht auf paradoxe Weise mit dem Narrativ der »nation without a visual imagination«14 einher. Demnach wird Kunst, die internen wie externen Zuschreibungen zufolge in der nationalen Isolation geschaffen wurde, eher selten auf internationalem Parkett diskutiert und ist damit weniger sichtbar. Bereits diese skizzierten Debatten zur irischen Kunst verdeutlichen die vielschichtige Dimension der identifikativen Wirkung visueller Entwürfe. Jack B. Yeats’ Schaffen scheint sich demnach auf geeignete Weise für die Erforschung des Konnexes von Bildwirksamkeit und nationaler Gemeinschaft zu eignen, wurde der Künstler doch überwiegend als »truly Irish artist«15 besprochen und damit eine bestimmte nationalcharakteristische Wahrnehmung vorgezeichnet, die bis heute andauert. Es lässt sich vermuten, dass Yeats auf ebendiese Problematik aufmerksam machen, vor allem aber der kulturell kodierten Unsichtbarmachung entkommen wollte, als er 1951 im Rahmen einer Wanderausstellung in den USA und Kanada konstatierte  : »It doesn’t matter who or what I am.«16 Da sein Beispiel über den Einzelfall hinaus Geltung beanspruchen kann, sollen in der Arbeit anhand seiner Kunst sowie deren nationaler und internationaler Rezeption Faktoren für die Konstruktion nationaler Identität untersucht werden. 1.1 Kunst und Identität. Ziele und Thesen

Die vorliegenden Analysen zur Konstruktion eines Nationalcharakters in der irischen Kunst sowie zur gesellschaftlichen und politischen Funktion gemeinschaftsstiftender Bilder stützen sich auf die kritischen Theorien der Nationalismusforschung, wie sie Anfang der 1980er Jahre von Benedict Anderson, Ernest Gellner und Eric Hobsbawm formuliert wurden.17 Ihnen zufolge stellt das Aufkommen des Nationalismus historisch 12 Diese europäische Dimension wurde etwa 1983 in Deutschland im Rahmen der Kölner Ausstellung Irische Kunst aus drei Jahrtausenden hervorgehoben. – Vgl. Ausst.-Kat. Köln 1983. Der Name des Evangeliars geht auf seinen ursprünglichen Aufbewahrungsort im Kloster Kells in der irischen Grafschaft Meath zurück. Gefertigt wurde das Book of Kells vermutlich um 800 im englischen Lindisfarne oder auf der schottischen Insel Iona, darüber besteht bis heute keine Einigkeit. – Vgl. Harbison 1993, S. 50. 13 Siehe etwa Fowler 1984. 14 Dalsimer/Kreilkamp 1996, S. 8. 15 MacGreevy 1922, S. 19. 16 Yeats zitiert in Ausst.-Kat. Boston 1951. 17 Vgl. Gellner 1995  ; Anderson 2016 und Hobsbawm/Ranger 2019. Alle drei erstmals 1983  ; auch

14  |  Einführung

gesehen ein relativ junges Phänomen dar, das durch den Wegfall alter religiöser oder absolutistischer Ordnungssysteme befördert wurde und zeitlich im 18. Jahrhundert zu verorten ist. Folgt man Gellner, liegt dem Zusammenhalt der Nation ein voluntaristisches Prinzip zugrunde, das vom gegenseitigen Wollen eines vom Menschen geschaffenen Verbandes ausgeht. Eine seiner zentralen Thesen lautet, dass die Gesellschaft des modernen Natio­nalstaates erst durch die Ausbildung einer homogenen Hochkultur definiert werde.18 In ähnlicher Weise ging auch Anderson vom konstruierten Charakter des modernen Nationalstaates aus und hat in diesem Zusammenhang die Vorstellung der »imagined political community«19 geprägt. Ausschlaggebend hierfür sei ein neues Empfinden von Zeit, das seit dem 18. Jahrhundert, verursacht durch neue technische Kulturleistungen wie den Roman oder die Zeitung, existiere und ein Gefühl von »simultaneity of past and future in an instantaneous present«20 verursache. Von Hobsbawm wurde der Zusammenhalt der Gemeinschaft zudem auf »invented traditions«21 zurückgeführt. Erfundene Traditionen, wie das Hissen der Flagge oder das Singen der Nationalhymne, seien erst im Industriezeitalter entwickelt worden, um eine Verbindung zur Vergangenheit herzustellen und Kontinuität zu erzeugen. Jene modernen Traditionen seien im Gehalt zwar oft unspezifisch und vage, erfüllten aber eine hohe emotionale und symbolische Funktion, die sich für ein einendes Gemeinschaftsgefühl als wesentlich erweise.22 Auf Irland sind diese Überlegungen insofern übertragbar, als dem Moment des Heraufbeschwörens einer weit zurückreichenden, antienglischen Kultur eine zentrale Rolle bei der Konstituierung der Nation als »gefühlsmäßige[r] Gemeinschaft«23 zugewiesen werden kann. vorangegangene Untersuchungen der Kunstgeschichte zum Zusammenhang von Kunst und nationaler Identität nahmen Bezug auf Gellner, Anderson und Hobsbawm. Zu Analysen, die sich mit der Konstruktion eines Nationalcharakters in der Kunst beschäftigten, siehe  : Für Irland etwa Dalsimer 1993a  ; für Tschechien Marek 2004  ; für Bulgarien Baleva 2012  ; für Lateinamerika im Vergleich siehe Karge 2016  ; für Mexiko Greely 2016  ; für Europa im Vergleich siehe etwa Flacke 2001  ; Facos/Hirsh 2003 oder Smith 2013  ; für Zentral- und Osteuropa siehe Rampley 2012a  ; zur kritischen Diskussion einer national ausgerichteten Kunstgeschichtsschreibung im globalen Kontext siehe etwa Rampley 2012b. 18 Vgl. Gellner 1995, S. 16 f. und S. 58 ff. 19 Anderson 2016, S. 6. 20 Anderson 2016, S. 24. 21 Hobsbawm 2019, S. 1. 22 Vgl. Hobwsbawm 2019, S. 1 f. und 10 f. 23 Weber 1924, S. 484. Laut Anthony D. Smith ist das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Nation darüber hinaus nicht an einen tatsächlich existierenden Staat gebunden. – Vgl. Smith 1991, S. 9. Das ist vor allem mit Blick auf Irland interessant, war dort doch bereits lange vor der Gründung des Irischen Freistaates ein Gespür für die Nationszugehörigkeit auszumachen  ; im Gegensatz zu seinem Lehrer, Ernest Gellner, ging Smith nicht davon aus, dass der Nationalismus ein rein modernes Phänomen sei. Im Rahmen der Nationalismusforschung nahm er diesbezüglich eine Sonderrolle ein. Smith plädierte vielmehr dafür, dass die Nation kein künstliches Konstrukt sei, sondern dass deren Eta­ blierung auf einer Langzeitentwicklung beruhe. – Vgl. Jansen/Borggräfe 2007, S. 99 – 104.

Kunst und Identität. Ziele und Thesen | 15

Im Kontext dieses Zugehörigkeitsempfindens kommt der Identität eine entscheidende Funktion zu. Der Definition nach bedeutet Identität die als ›Selbst‹ erlebte innere Einheit sowie die Gesamtheit bestimmter Eigenheiten, die über einen langen Zeitraum übereinstimmen (lat. idem = dasselbe). Gemäß Montserrat Guibernau ist die personale Identität durch zwei wichtige Aspekte gekennzeichnet, die sich auch auf die nationale Identität übertragen lassen  : Kontinuität und Abgrenzung von anderen. Für die Mitglieder einer Nation stelle es ein wesentliches Moment dar, sich auf eine gemeinsame Kultur, Geschichte, Religion, Sprache sowie auf gleiche Ursprungsmomente beziehen zu können. Das kollektive Erinnern und die Wiederholung bestimmter Rituale seien entscheidend, um einen Eindruck von Permanenz zu erzeugen. Zugleich könne (nationale) Identität nur in der Differenz zu anderen Personen und Nationen erfahrbar werden. Mittels des Einsatzes von Stereotypen können Eigen- und Fremdbilder kreiert werden, mit dem Zweck, das Selbstbild gegenüber der Außenwelt zu behaupten und zu verteidigen.24 Da nationale Identität über Bildung, Sprache und Moralvorstellungen konstruiert wird, ist sie eng an kulturelle Identität gekoppelt.25 Dem Soziologen Stuart Hall zufolge wird das Narrativ einer Nation diskursiv vermittelt  : Eine nationale Kultur ist ein Diskurs – eine Weise, Bedeutungen zu konstruieren, die sowohl unsere Handlungen als auch unsere Auffassungen von uns selbst beeinflußt und organisiert.26

Mittels medialer, literarischer und alltagskultureller Repräsentationsstrategien werde eine einheitliche »Erzählung von der Nation«27 entworfen, die Widersprüche ­ausblende und nationales Zugehörigkeitsgefühl erlebbar werden lasse. Stefan Germer hat in diesem Zusammenhang zu Recht auf das identifikative Potenzial visueller Entwürfe hingewiesen. Im Zuge der Nationenbildungsprozesse besäßen neben der Sprache vor allem Bilder die Macht, das Publikum, etwa über Darstellungen bestimmter Herkunftsgeschichten oder autochthon empfundener Landschaften, für die nationale Angelegenheit zu gewinnen.28 Gerade hinsichtlich der Wiedergabe historisch zentraler Ereignisse kann Bildern ein Fakten erzeugendes und agentielles Potenzial zugeschrieben werden.29 Bezüglich der politischen Dimension von Bildern sind mit der Produktion künstlerischer Zeugnisse und der Rezeption von Kunstwerken somit zwei Bereiche zu unterscheiden, die gleichermaßen auf das Verständnis einer als national wahrgenommenen Kunst einwirken. Die beiden damit verbundenen Ebenen, die sprachliche wie die visuelle, müssen jedoch nicht getrennt voneinander gedacht, sondern können über den 24 Vgl. Guibernau 2007, S. 9 – 11. 25 Vgl. Giesen 1996, S. 15. 26 Hall 1994, S. 201. Weiterführend zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität siehe auch Wodak 1998. 27 Hall 1994, S. 202. 28 Vgl. Germer 2001, S. 41. 29 Zum agentiellen Potenzial siehe etwa Bredekamp 2004, S. 29.

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Begriff des Viskurses miteinander verbunden und für die Erforschung nationaler Identität fruchtbar gemacht werden. Das heißt, dass mittels der Verschränkung von Diskursanalyse und Bildwissenschaft das Ineinandergreifen von kommunikativem Diskurs und visueller Darstellung sichtbar gemacht werden kann.30 Für den machtbestimmten Diskurs nationaler Identität im Bild stellt sich die Ebene der Rezeption insofern als bedeutsam heraus, als Kunstgeschichte sprachlich konstituiert ist. Hierbei ist es entscheidend, wer über Kunst spricht und Wissen generiert.31 Schließlich befördert die permanente Bewertung des ›Selbst‹ und des ›Anderen‹ im nationalen Kontext eine spezifische Debatte über Kunst. Dieser Diskurs erzeugt ein Konzept kultureller Singularität, das auf einer Politik der Differenz fußt. Hall zufolge besteht in ebendieser Konstruktion der Einheitlichkeit die Gefahr, dass der eigentlich disparate Charakter eines Kulturraumes durch die »Ausübung kultureller Macht«32 nivelliert wird. Bedingt durch die Erzeugung eines exklusiven kulturellen Klimas nimmt das Identitätsdispositiv in der Folge auch Einfluss auf die Praxis von Kunstschaffenden, die sich qua Abgrenzung oder Affirmation zu dem Diskurs ins Verhältnis setzen müssen. Ausgehend von diesen Überlegungen soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, inwieweit die für die irische Bildgeschichte entwickelten internen und exter­nen Narrative auf Grundlage von Homogenisierungsvorgängen spezifische Lesarten vorzeichneten. So wird zu fragen sein, wie sich etwa die Annahme, dass irische Maler:innen bevorzugt ›ursprüngliche‹ Themen bedienten und aufgrund dessen keine Kenntnis der globalen Moderne besaßen, kulturhistorisch einordnen lässt. Es handelt sich um eine Behauptung, die vor allem für Yeats wiederholt geäußert wurde, offenbar mit dem Ziel, ihn als dezidiert irischen Maler zu kennzeichnen.33 Zwar ist es richtig, dass sich Yeats zeit seines Lebens intensiv mit nationalen Themen auseinandersetzte und kontinuierlich auch die politische Situation Irlands spiegelte, das sich nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges 1921 von Großbritannien loslöste. Dennoch ist sein Werk – so die These der Arbeit – durch einen hybriden Charakter gekennzeichnet, als dessen Grundlage sich zahlreiche Aufenthalte im europäischen und US-amerikanischen Ausland sowie die Teilhabe am internationalen Kunstgeschehen ausmachen lassen. Die vorliegende Arbeit ist als Beitrag zum Diskurs um den Zusammenhang von Kunst und nationaler Identität zu verstehen. Hinsichtlich der Bedeutung des Nationalismus für die Gegenwart führt Anderson aus  : »The reality is quite plain  : the ›end of the era of nationalism,‹ so long prophesied, is not remotely in sight. Indeed, n ­ ation-ness is the most universally legitimate value in the political life of our time.«34 Seine Beob30 Zum Begriff des Viskurses siehe Frank 2010, S. 57. 31 Zum Zusammenhang von Literatur und Diskurs siehe Link/Heer 1990. 32 Hall 1994, S. 206. 33 So etwa Newton 1950, S. 238. 34 Anderson 2016, S. 3.

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achtung wird durch gegenwärtige Phänomene, wie etwa den Austritt Großbritanniens aus der EU, gestützt.35 Und auch die in Deutschland geführten Diskussionen um den Heimatbegriff sowie das Bedürfnis nach der »Wiedererfindung der Nation«36 belegen die Aktualität des Themas. Vor diesem Hintergrund gilt es, die Konstruktion nationaler Identität in der Moderne nachzuzeichnen und kritisch zu hinterfragen. 1.2 Forschungs- und Quellenlage

1.2.1 Yeats-Forschung Die Forschungsliteratur zu Jack B. Yeats wird bis heute hauptsächlich von der Diskussion um die irische Identität des Malers und seiner Werke dominiert. Eröffnet wurde diese Sichtweise 1911 durch Ernest Marriott, der in seiner Untersuchung zu Yeats’ Frühwerk nicht nur dessen künstlerische Hinwendung zu Irland,37 sondern auch die Authentizität der Darstellung seiner »Irish types«38 behauptete, die frei seien von Ideali­ sierungen. Ähnliche Stilisierungsversuche finden sich zur gleichen Zeit in der Presse, die das dezidiert nationale Moment seiner Werke hervorhob.39 Dass Yeats 1871 in London in eine anglo-irische Künstlerfamilie geboren wurde, die zwar irischstämmig war, aber dennoch stark unter dem kulturellen Einfluss Englands stand, vernachlässigten die Kritiker:innen zugunsten des nationalen Narrativs.40 Eine Verfestigung erfuhr diese Lesart durch Thomas MacGreevys 1945 veröffentlichte Studie Jack B. Yeats. An Appreciation and an Interpretation, bei der es sich um die erste grundlegende Yeats-Monografie handelt. Darin bettete der Autor die Entstehung der Gemälde in den Zusammenhang der irischen Unabhängigkeitsgeschichte ein.41 Auch Ernie O’Malley unterstrich 1945 Yeats’ Rolle als zentraler Vertreter der irischen Kunstgeschichte vor einem politischen Hintergrund.42 Lediglich Samuel Beckett plädierte in dieser Zeit für eine universelle Auslegung des Yeats’schen Œuvres und widersprach in dieser Hinsicht ausdrücklich MacGreevys Ansatz.43 35 Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Brexit sowie mit den Voraussetzungen für das vor allem emotionale Bedürfnis nach erneuter nationaler Erstarkung des ehemaligen Imperiums siehe O’Toole 2019. 36 So lautet der Titel von Aleida Assmanns Buch aus dem Jahr 2020, in dem sie ein neues Nachdenken über den Nationenbegriff anregen möchte. – Vgl. Assmann 2020. 37 Vgl. Marriott 1911. 38 Marriott 1911, S. 10. 39 Siehe etwa Æ  : An Artist of Gaelic Ireland, in  : Freeman’s Journal, 1903, abgeheftet in ZA, Yeats Ar­chive, Inv.-Nr.  Y1/JY/4/2/1. 40 Siehe etwa Markievicz 1909, o. S., abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. JY/Y1/4/2/1. 41 Vgl. MacGreevy 1945. 42 Vgl. O’Malley 1945. 43 Vgl. Beckett 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4 sowie Beckett 1954.

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Becketts Auffassung schlossen sich ab den 1960er Jahren mehrere Forscher:innen an. So verfolgt etwa T. G. Rosenthals Untersuchung Jack B. Yeats den Ansatz, den M ­ aler außerhalb eines politischen Kontextes zu deuten und ihn innerhalb eines e­igenen künstlerischen Universums zu situieren.44 Am deutlichsten wird die apolitische Dimension von Yeats’ Werk in der 1998 erschienenen Biografie des Kunstkritikers Bruce Arnold verteidigt.45 Allerdings bleibt in diesen Publikationen das nationale Dispositiv weiterhin Bestandteil der Argumentation. Denn auch wenn die Autor:innen eine rein nationale Ausdeutung kritisierten, manifestierten sie hierdurch doch ex negativo die zugrunde liegenden Schemata. Mit ihren maßgeblichen, sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden Arbeiten kann Hilary Pyle als zentrale Yeats-Forscherin betrachtet werden. Auch für sie gilt, dass sie sich unter weitgehender Ausblendung politischer Kontexte primär künstlerisch-biografischen Aspekten widmete. In der Folge ihrer 1970 erschienenen Studie Jack B. Yeats. A Biography machte sie 1992 mit dem dreibändigen Catalogue raisonné einen Großteil von Yeats’ malerischem Œuvre zugänglich, das insgesamt 1194 Gemälde umfasst.46 Diesem umfangreichen Fundament schloss sich 1993 und 1994 die Aufarbeitung des zeichnerischen und druckgrafischen Schaffens an.47 Es muss betont werden, dass Pyles Fokus vor allem dem Leben des Künstlers sowie der möglichst vollständigen Erfassung seines Schaffens galt, womit ein Verzicht auf ikonografische Werkbetrachtungen einhergeht. Ganz allgemein lässt sich für den Großteil der Literatur eine politisierende oder biografische Tendenz konstatieren, der Yvonne Scott mit ihrem 2008 herausgegebenen Band Jack B. Yeats. Old and New Departures kritisch begegnete.48 Hier ist insbesondere Róisín Kennedys Beitrag hervorzuheben, der sich diskursanalytisch mit der Kunstgeschichtsschreibung zu Yeats auseinandersetzt.49 Ähnlich kritische Reflexionen lassen sich den 1971 und 2011 erschienenen Aufsätzen des Künstlers und Kritikers Brian O’Doherty entnehmen.50 In Anlehnung an autorkritische Theorien, wie sie von Michel Foucault und Roland Barthes formuliert wurden, thematisierte er das Verhältnis von Maler, Werk und Entstehungskontext.51 Da aber sowohl Kennedy als auch O’Doherty hauptsächlich auf politische Aspekte abzielten, bieten sie keine neuen Ansätze für eine eingehende Untersuchung des Werkes. Auch liefern ihre Beiträge keine Positionierung des Yeats’schen Œuvres innerhalb eines internationalen Kunstgeschehens. 44 Vgl. Rosenthal 1966. 45 Vgl. Arnold 1998a. 46 Zur Yeats-Biografie siehe Pyle 1989 (erstmals 1970)  ; zum Werkkatalog siehe Pyle 1992. 47 Vgl. Pyle 1993 und Pyle 1994. 48 Vgl. Scott 2008. Yvonne Scott ist emeritierte Kunstgeschichtsprofessorin am Trinity College Dublin. Ihr Schwerpunkt ist die moderne und zeitgenössische Kunst. 49 Vgl. Kennedy 2008. Róisín Kennedy war zwischen 2006 und 2008 als Yeats-Kuratorin an der National Gallery of Ireland tätig. Seit 2009 lehrt sie am University College Dublin (UCD). Ihr Schwerpunkt ist die irische Kunst der Moderne, insbesondere deren Rezeption. 50 Vgl. O’Doherty 1971 und O’Doherty 2011. 51 Vgl. Kap. 5.3.

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Dagegen stellt Dymna Halpins unveröffentlichte Magisterarbeit aus dem Jahr 1986 einen der wenigen Versuche dar, Yeats’ Arbeiten innerhalb einer europäischen Kunstgeschichte zu verorten.52 Allerdings bleiben ihre Betrachtungen theoretischer Natur, verzichtete sie doch gleichfalls auf ikonografische Untersuchungen. Noch dazu ging sie im Sinne ihrer anationalen Lesart so weit, jegliche Zusammenhänge zwischen Yeats’ Schaffen und der irischen Geschichte zu negieren. In dieser Hinsicht widerspreche ich Halpin, da es sich, wie zu zeigen sein wird, für eine komplexe Lesart seines vielschichtigen Werkes als schwierig erweist, bestimmte Kontexte kategorisch auszublenden. Berücksichtigung finden entsprechende Wechselbeziehungen jedoch in der 2009 veröffentlichten, historisch-kritischen Untersuchung Modernism, Ireland and Civil War des Komparatisten Nicholas Allen. Darin wandte er sich dem Zusammenhang von kultureller Moderne und Nationenbildungsprozessen zu und behandelte neben Jack B. Yeats’ Werk auch das von Samuel Beckett und James Joyce.53 Auch wenn sein Text keine kunsthistorischen Auseinandersetzungen bietet, können seine Ansätze, ebenso wie die Róisín Kennedys, als Ausgangspunkt für die vorliegende kritische Untersuchung von Kunst und nationaler Identität dienen. Ein elementares Desiderat stellen bis dato eingehende Werkbesprechungen dar, die sich vom Narrativ des nationalen Künstlerindividuums lösen und eine allumfassende Kunstbetrachtung zum Thema machen. Vor allem eine über nationale Zuschreibungsversuche hinausgehende, internationale Kontextualisierung des vielseitigen Schaffens ist bisher weitgehend ausgeblieben.54 In diesem Zusammenhang sind allerdings neue Perspektiven zu erwähnen, die jüngst im Rahmen transkulturell ausgerichteter Untersuchungen aufgezeigt wurden. Die exemplarischen Analysen zu einzelnen Bildwerken sowie zur internationalen Vernetzung des Künstlers, die etwa Nathan O’Donnell lieferte, tangieren eine Forschungslücke, die die vorliegende Untersuchung zu schließen beabsichtigt.55 Dass der Forschungsstand an dieser Stelle lediglich kursorisch gehalten ist, entspricht dem diskursanalytischen Ansatz der Arbeit. Dieses Vorgehen sieht eine inten52 Vgl. Halpin 1986. Die Arbeit wurde am Trinity College Dublin eingereicht. Neben Halpin gab es in der Folge weitere Autor:innen, die sich in Aufsätzen mit internationalen Bezugnahmen beschäftigten. Allerdings wurden auch hier keine Bildanalysen angewandt, sodass die Vergleiche zwar nachvollziehbar sind, aber vage bleiben. – Vgl. etwa Booth 1991 oder Kennedy 1992. 53 Vgl. Allen 2009. 54 Auch der rezente Katalog Jack B. Yeats. Painting and Memory aus dem Jahr 2021, der die gleichnamige Ausstellung in der Dubliner National Gallery begleitete, liefert hier keine neuen Einsichten. Im Katalog wird keine Kontextualisierung innerhalb einer internationalen Moderne vorgenommen, vielmehr wird erneut, wenn auch weniger intensiv als zuvor, die nationale Dimension fokussiert. – Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2021. 55 Neben O’Donnell 2019 lassen sich mit dem dezidierten Fokus auf Yeats zudem Ansel 2018 und Ansel 2020a sowie in einem erweiterten irischen Zusammenhang O’Connor 2020 und Kennedy 2021 anführen. O’Connor gibt in ihrem Buch einen Überblick über Ausstellungen irischer Kunst in den USA. Kennedy wiederum liefert eine Analyse der irischen Moderne, die sie in einem globalen Kontext bespricht.

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sive Auseinandersetzung mit den betreffenden kunsthistorischen wie kunstkritischen Texten im Rahmen der Schwerpunktsetzung der jeweiligen Kapitel vor. Es ist das Ziel, die Rezeption zum Gegenstand der Arbeit zu machen und mit den bildkritischen Untersuchungen zu verschränken. 1.2.2 Quellenlage Für die vorliegende werk- und materialbasierte Analyse erwies es sich aus mehreren Gründen als unerlässlich, auf die erhaltenen Primärquellen zu Yeats zurückzugreifen. Die umfangreichen Dokumente, die Einblicke in die Vita des Künstlers und dessen Werk geben können, verteilen sich über mehrere internationale Archive. Bei den sämtlich unveröffentlichten Originalmaterialien handelt es sich um künstlerische Zeugnisse, Korrespondenzen und Notizbücher ebenso wie gesammelte Zeitungsausschnitte und Fotografien. Ausschlaggebend für die umfassende Quellenrecherche ist, dass die wesentlichen Arbeiten zum Künstler in einer Zeit entstanden, in der dieser selbst oder nahe Angehörige noch lebten. Aus dieser unmittelbaren Nähe zur Vita des Malers resultierte eine wenig distanzierte und teilweise als unwissenschaftlich zu bewertende Auseinandersetzung mit dessen Biografie und Schaffen. Demgemäß basieren die Schilderungen in frühen Publikationen häufig auf mündlicher Überlieferung, womit nicht selten der wiederholte Verzicht auf präzise Anmerkungsapparate einherging. Um eine objektive Annäherung an das Werk zu erreichen und die in der Literatur enthaltenen Angaben und Behauptungen zu verifizieren, war es folglich unerlässlich, auf das existierende Archivmaterial zurückzugreifen. Auf Grundlage der Quellenrecherche konnten so viele der fehlenden Hintergrundinformationen, die sich etwa für Pyles Yeats-Biografie benennen lassen, ausfindig gemacht werden. Darüber hinaus stellt die Einbeziehung der Dokumente ein wesentliches Instrumentarium für die Exploration der Werke sowie der Auseinandersetzung des Künstlers mit Zeitgenoss:innen dar. Hierüber konnten zudem viele bis dato unerforschte Aspekte, die sich für die Untersuchung als zentral erwiesen, erstmals erschlossen und in die Analyse einbezogen werden. Als wohl wichtigstes Archiv für die Recherchen zum Künstler ist das Yeats Archive zu benennen, das sich in der National Gallery of Irland in Dublin befindet. Die Sammlung beruht auf einer Schenkung der Nichte des Malers, Anne Yeats (1919 – 2001), die selbst künstlerisch tätig war und die Materialien ihres Onkels bis zur Übergabe im Jahr 1996 in ihren eigenen Räumen aufbewahrte.56 Ihrer umfangreichen Stiftung ist es 56 Anne Yeats ist die Tochter von W. B. Yeats und Georgie Hyde-Lees. Zu ihrer umfangreichen Schen­kung und der Gründung des Yeats Museum 1999 in der National Gallery of Ireland unter Hilary Pyle. – Vgl. Pyle 2001. Das Yeats Museum ist seit der umfassenden Renovierung der Natio­ nal Gallery of Ireland, die 2017 abgeschlossen wurde, nicht mehr existent, dafür aber noch das

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zu verdanken, dass zahlreiche Objekte für die Forschung erhalten blieben und nicht auf dem globalen Kunstmarkt verteilt wurden. Im Yeats Archive sind so etwa 204 der insgesamt 233 bekannten Skizzenbücher einsehbar,57 daneben Tagebücher, Werk- und Käuferverzeichnisse, Briefe und Postkarten, Fotografien, Kunstreproduktionen und Werbebilder, große Teile von Yeats’ Bibliothek sowie Zeitungsausschnitte und Ausstellungskataloge, die die Karriere des Künstlers dokumentieren. Weitere Recherchen erfolgten in der Manuscripts and Archives Research Library des Trinity College in Dublin, in der es mir möglich war, handschriftliche und maschinengeschriebene Unterlagen zu MacGreevy, Beckett und Yeats auszuwerten. In der Dubliner National Library of Ireland konnten zeithistorische Dokumente, wie Ausstellungskataloge zu anderen Künstler:innen oder lokale Zeitungsartikel, eingesehen werden. Zudem erhielt ich Zugang zu Materialien des Department of Foreign Affairs, die in den National Archives of Ireland aufbewahrt werden und Aufschluss über Irlands Beteiligung an der Biennale von Venedig zwischen 1951 und 1962 geben. Diese nicht publizierten Primärquellen lieferten mir grundlegende Informationen zur kulturellen und politischen Rezeption des Künstlers innerhalb und außerhalb Irlands. Um Yeats’ Austausch mit US-amerikanischen Sammler:innen und Galerist:innen sowie dessen Ausstellungstätigkeit in den USA nachvollziehen zu können, erfolgten darüber hinaus Archivrecherchen in der New York Public Library, in der Tamiment Library der New York University, in der Pierpont Morgan Library, in der Frick Art Reference Library, im Yale Center for British Art sowie in den Archives of American Art der Smithsonian Institution. Die dort von mir dokumentierten und ausgewerteten Unterlagen waren zentral für die Einbettung des Œuvres in einen transkulturellen Zusammenhang. Insbesondere der in der New York Public Library befindliche, unveröffentlichte Briefwechsel zwischen Jack B. Yeats und dem irischstämmigen New Yorker Anwalt und Kunstsammler John Quinn lieferte wichtige Erkenntnisse. So gibt die von 1902 bis 1923 andauernde Korrespondenz Aufschluss über Yeats’ Ansichten zu Kunst und Politik, aber auch zu dessen Bestrebungen, in den USA künstlerisches Renommee zu erlangen. Weitere Recherchen erfolgten in der Zentralbibliothek Zürich sowie im Oskar Kokoschka Zentrum in Wien. Die gewonnenen Erkenntnisse trugen dazu bei, die bisher nur ungenügend erforschte künstlerische Verbindung zwischen Yeats und Kokoschka umfassender zu beleuchten. Die aufgeführten Archivrecherchen erfolgten im Zeitraum zwischen 2015 und 2022. Sie fanden parallel zur Sichtung von Yeats’ malerischem Schaffen in öffentlichen und privaten Sammlungen statt. Aufgrund der kunsthistorischen wie bildwissenschaftlichen Schwerpunktsetzung der Arbeit erweist sich das Studium der Originale als zwin2002 gegründete Yeats Archive der Gallery, das nacheinander von Hilary Pyle, Róisín Kennedy und der Archivarin, Pauline Swords, geleitet wurde. Seit 2013 gibt es keinen Yeats Curator mehr. 57 Siehe hierfür Pyle 2001.

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gend erforderlich, nicht zuletzt deshalb, weil Yeats’ expressiver Stil in Reproduktionen nur unzureichend wiedergegeben werden kann. Die öffentlich zugänglichen Arbeiten des Künstlers werden hauptsächlich in Museen in Irland, Großbritannien, Kanada und den USA aufbewahrt. Den umfangreichsten Bestand weist hierbei die National Gallery of Ireland auf, die 37 Gemälde des Malers besitzt. Wenige Werke befinden sich zudem in Frankreich, Monaco und Israel.58 Die umfassende Sichtung von Objekten in situ diente in Verbindung mit den ausgewerteten Archivalien als zentrales Fundament, um den Arbeitsprozess des Künstlers ebenso wie dessen Themenwahl und die spezifische Bildlichkeit seiner Werke aufarbeiten zu können.59 Die Bild- und Archivrecherchen wurden durch Gespräche mit den Kunsthistorikerinnen Hilary Pyle und Róisín Kennedy sowie mit dem Literaturwissenschaftler John Purser ergänzt. Der Kommunikation mit Pyle und Kennedy verdanke ich wichtige Hinweise zu Yeats’ Schaffen und dessen Kontextualisierung innerhalb der irischen Kunstgeschichte. John Purser wiederum gewährte mir durch den persönlichen Austausch und den Zugang zu seinen Unterlagen zentrale Einblicke in das literarische Wirken des Malers. Zudem erhielt ich durch die Gespräche mit Cormac O’Malley, dem Sohn Ernie O’Malleys, und die Sichtung seines Privatarchivs politische und kulturhistorische Einblicke sowie Informationen zur Freundschaft zwischen Jack B. Yeats und Ernie O’Malley. Aus dem schriftlichen Austausch mit Brian O’Doherty gingen wichtige Informationen zu dessen Bekanntschaft mit Yeats sowie zu dessen zeitgenössischer Rezeption hervor.60 1.3 Methodisches Vorgehen und Kapitelübersicht

Dem Fokus der vorliegenden Arbeit soll mit einer bis dato in der Forschung ausgebliebenen Werkanalyse sowie der Einbettung des Œuvres in einen globalen Kontext begegnet werden. Um in diesem Zusammenhang wichtige Erkenntnisse der internationalen Austauschbeziehungen für eine komplexe Untersuchung des Werkes nutzbar zu machen, soll die bestehende Diskussion um den Aspekt kultureller Interdepen58 Vgl. Pyle 1992, Bd. 2, S. 1114. 59 Im Rahmen meiner Recherchen besuchte ich folgende Sammlungen  : Dublin, National Gallery of Ireland  ; Dublin, Hugh Lane Gallery  ; Dublin, Irish Museum of Modern Art  ; Sligo, The Model, Home of the Niland Collection  ; Cork, Crawford Art Gallery  ; Belfast, Ulster Museum  ; Leeds Art Gallery  ; New Haven, Yale Center for British Art (Depot) sowie Privatsammlungen in Schottland und den USA. Darüber hinaus bot sich die Möglichkeit, Werke im Vorfeld von Versteigerungen in diversen Dubliner Auktionshäusern (Adam’s  ; Whyte’s  ; deVeres) zu besichtigen. 60 Die Interviews mit Kennedy und Pyle führte ich im Frühjahr 2015 in Dublin durch, es folgten weitere für die Arbeit wichtige Gespräche mit ihnen. Die Gespräche mit Purser und die Recherche in seinem Archiv in Schottland fanden im Sommer 2011 statt. Im Winter 2019 besuchte ich Cormac O’Malley in den USA und konsultierte dort sein Privatarchiv. Die schriftliche Kommunikation mit Brian O’Doherty fand im Sommer 2015 statt.

Methodisches Vorgehen und Kapitelübersicht | 23

denzen erweitert werden. Meine Arbeit tangiert verschiedene Wissenschaftsbereiche und verfolgt daher einen interdisziplinären Ansatz, der aktuelle Debatten zur Nationalismus- und Identitätsforschung ebenso berücksichtigt wie neuere Theoriemodelle der Kunstgeschichte, wie sie die Postcolonial Studies, die Global Art History oder die transkulturelle Kunstgeschichtsforschung bieten.61 Zum Zweck der Erfassung transnationaler Zusammenhänge ist es außerdem erforderlich, die Theorie der »Multiple Modernities«62 heranzuziehen. Die aus der Untersuchung der irischen Kunstgeschichte gewonnenen Ergebnisse sollen auf diese Weise zu einem Diskurs beitragen, der sich der kritischen Erforschung nationaler Verortungen und politisierter Zuschreibungen von Künstlerindividuen widmet. 1.3.1 Postkoloniale, transkulturelle und multiple Modernen Für den Aspekt der Herausbildung einer irischen Identität spielt die Frage, inwieweit Irland überhaupt als ehemalige Kolonie betrachtet und folglich im Kontext postkolonialer Studien diskutiert werden kann, eine zentrale Rolle. Dieser Problematik wurde 2003 in dem von Carroll und King herausgegebenen Aufsatzband Ireland and Postcolo­ nial Theory grundlegend nachgegangen.63 In diesem Zusammenhang ist besonders der Beitrag von Joe Cleary zu nennen, der auf die kritischen Stimmen eingeht, die Irland aus drei Gründen keinen kolonialen Status zuerkennen. Erstens sei Irland weniger als britische Kolonie, sondern vielmehr als peripherer Staat innerhalb Europas zu begreifen. Zweitens hätten irische Freiheitskämpfer:innen selbst nie auf den kolonialen Status verwiesen oder sich mit anderen außereuropäischen Kolonien solidarisiert, und drittens habe Irland von der Zugehörigkeit zum britischen Imperium überwiegend profitiert, etwa im Zuge von Auswanderungen nach Australien oder Kanada.64 Diese Kritik weist laut Cleary auf das grundsätzliche Problem hin, dass es eine spezifische Vorstellung von kolonialen Erfahrungen gibt, die insbesondere an außereuropäische Kolonien geknüpft ist.65 Die Annahme geht im Kern auf Stuart Halls 1992 konstatierte Binärformel vom »Westen« und vom »Rest« zurück, die innerhalb der postkolonialen Studien breit rezipiert wurde. Hall zufolge bestimmt der europäisch-amerikanische »Westen« die entschei61 Zur Nationalismusforschung etwa Anderson 2016  ; Gellner 1995  ; Hobsbawm/Ranger 2019. Zum Zusammenhang von Kunst und Politik etwa Facos/Hirsh 2003  ; Flacke 2001  ; Smith 2013. Zu den Postcolonial Studies seien hier exemplarisch aufgeführt  : Carroll/King 2003  ; Schmidt-Linsenhoff 2010. Zu Debatten der Global Art History und der transkulturellen Kunstgeschichte etwa Allers­ torfer 2017a  ; Elkins 2010  ; Juneja 2012  ; Kravagna 2017  ; Rampley 2012b. 62 Zur soziologischen Perspektive siehe dazu den gleichnamigen Titel bei Eisenstadt 2000. Zur Übertragung auf die Kunstgeschichte siehe etwa Moxey 2013. 63 Vgl. Carroll/King 2003. 64 Vgl. Cleary 2003, S. 22 f. 65 Vgl. Cleary 2003, S. 23.

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denden Diskurse und determiniert auf diese Weise das Handeln gegenüber dem marginalisierten außereuropäischen »Rest«.66 Erweitert man Halls Perspektive jedoch und löst die strenge Dichotomie auf, indem man, so wie es Julia Allerstorfer 2017 am Beispiel Österreich-Ungarns praktiziert hat, seine Überlegungen auf einen innereuropäischen Kolonialismus überträgt, dann lässt sich auch Irland durchaus als Kolonie begreifen.67 Bereits 1995 hat der irische Kulturwissenschaftler Declan Kiberd in seiner Untersuchung Inventing Ireland. The Literature of the Modern Nation Edward Saids Studien zum Orientalismus für eine von Alteritätserfahrungen geprägte irische Kulturgeschichte fruchtbar gemacht.68 Laut Kiberd ist Irland demgemäß trotz seiner geografischen wie kulturellen Nähe zu England als Kolonie zu verstehen. Immerhin gebe es diverse Parallelen zu anderen kolonisierten Ländern, sodass die Untersuchung der irischen Kulturgeschichte von einem nationalen in einen globalen Kontext überführt werden könne. In diesem Zusammenhang wies auch Edward Said selbst 2003 auf die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Irland und anderen Kolonien hin, seien doch im Zuge der Sicherung der englischen Vormachtstellung in Irland sukzessive Siedlungen angelegt, die regionale Kultur unterdrückt und Differenzen markiert worden.69 Über die methodische Engführung von postkolonialen und kunsthistorischen Perspektiven sollen am Beispiel der irischen Kunstgeschichte visuelle Entwürfe sowie der Diskurs von Bildern vor dem Hintergrund von Alteritätskonstruktionen und kolonialen Ideologien besprochen werden. Die Auseinandersetzung mit dem hegemonialen Dispositiv verorte ich dabei zeitlich nicht erst – wie der Präfix post suggeriert – nach der Unabhängigkeit Irlands, sondern bereits ab dem Zeitpunkt der nachweisbaren politischen wie kulturellen Auseinandersetzung der Kolonisierten mit dem Kolonisator.70 Da die Herausbildung der kulturellen irischen Identität als ein andauernder Prozess betrachtet werden muss, der von einer steten Auseinandersetzung mit England, mit globalen Kunstzentren sowie mit anderen kolonisierten Kulturräumen begleitet wurde, gilt es neben dem postkolonialen Zugriff zugleich transkulturelle Theoriemodelle zu berücksichtigen, die nach globalen Wechselwirkungen fragen.71 Zugleich möchte ich die Diskussionen der transkulturell ausgerichteten Global Art History um die der aktuellen Europa-Forschungen ergänzen,72 die dafür plädieren, Eu66 Vgl. Hall 1992, S. 275 ff. Dennoch räumte er ein, dass der Westen von internen Differenzen geprägt sei und dass »the West had its own internal ›others‹«, Hall 1992, S. 280. 67 Vgl. Allerstorfer 2017b. 68 Vgl. Kiberd 1995. Zu Saids Untersuchung zum Orientalismus, die 1978 erstmals in den USA erschien, siehe Said 2010. 69 Vgl. Said 2003  ; ähnlich auch Cleary 2003. Bereits 1988 hatte Said in seiner Untersuchung zu W. B. Yeats, Nationalism, Colonialism and Literature. Yeats and Decolonization, seine Überlegungen zum Orientalismus auf Irland übertragen, wo er im postkolonialen Zusammenhang ähnliche Phänomene der Unterdrückung und des Aufbegehrens konstatierte. – Vgl. Said 1988. 70 So auch bereits Kiberd 1995, S. 5 f.; ebenso Allerstorfer 2017b, S. 34. 71 Vgl. Juneja 2012. 72 Siehe hier Lange 2020  ; Garcia 2020.

Methodisches Vorgehen und Kapitelübersicht | 25

ropa nicht als einheitliche Diskursmacht zu betrachten, sondern als disparates Gefüge, das, bedingt durch innereuropäische Kolonialismen, ebenfalls von Differenz schaffenden, hegemonialen Strukturen durchsetzt ist. So wurde Irland von der britischen wie US-amerikanischen Kunstkritik als peripherer Kulturraum diskutiert, der den westlichen Standards nicht genügen könne. Die irische Malerei im Allgemeinen und die von Yeats im Besonderen wurden als »provincial imagination« diskutiert, die außerhalb der normativ verstandenen »history of painting« stattfinde.73 Diese Einschätzung sagt dabei weniger etwas über Yeats als vielmehr über die kolonial geprägten Denkmuster des Kunstbetriebes aus. Zugleich offenbart sie die weitreichenden Folgen des Kolonialismus und dessen ideologische Verfasstheit auf lokaler wie globaler Ebene. In Anbetracht dieser globalen Interdependenzen möchte die vorliegende Arbeit Yeats’ Werk sowie dessen Rezeption innerhalb einer als differenziert und zugleich vernetzt zu verstehenden Moderne erforschen. Hierbei bediene ich mich des Konzeptes der »Multiple Modernities«, das die Moderne nicht als homogenes Phänomen verhandelt, sondern vielmehr die pluriforme Beschaffenheit der Moderne im Zeitalter der Globalisierung untersucht.74 Es ist das Ziel der Arbeit, die irische Kultur und ihre Ak­ teu­r:innen nicht in Abgrenzung, sondern im Austausch mit anderen Kunstschaffenden zu untersuchen. Mittels einer eingehenden Analyse des Yeats’schen Werkes und dessen Einbettung in reziproke künstlerische Bezugsysteme sowie der Berücksichtigung international verhandelter Kunstdiskurse können übergreifende Zusammenhänge kultureller Identitätskonstruktionen aufgezeigt und zugleich ein erweitertes Verständnis für Moderne formuliert werden. 1.3.2 Kapitelübersicht Der Anfang der Arbeit widmet sich der Auseinandersetzung mit Yeats’ Künstlerkarriere, die mit der Untersuchung der politischen und kulturellen Identitätsbildung Irlands um 1900 verknüpft wird. Diese Engführung trägt dem Umstand Rechnung, dass Yeats’ Genese als irischer Maler untrennbar mit der Herausbildung eines nationalen Bewusstseins verbunden ist, das von Politiker:innen wie Kulturschaffenden gleichermaßen formuliert wurde. Vor diesem Hintergrund soll der Frage nachgegangen werden, wie Yeats, der seine Ausbildung in England erfahren hatte, im Kontext der kulturellen Rückbesinnung auf erklärte irische Wurzeln ein künstlerisches Bewusstsein für Irland entwickelte. Sein grafisches Frühwerk, das geschichtliche Ereignisse, den menschlichen Alltag und politische Aktionen spiegelt, steht neben der Gegenüberstellung mit der Künstlerfamilie, aus der Yeats stammte, im Mittelpunkt der Analysen. Zum Zweck der Einordnung der kulturellen Entwicklung liefert die Arbeit zudem einen Abriss der 73 Die Zitate stammen von Kramer 1971, S. 23. Bereits 1942 hatte Kenneth Clark ähnlich diminuierende Äußerungen gegenüber der irischen Kultur vorgenommen. – Vgl. Clark 1942b. 74 Vgl. Eisenstadt 2000.

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historischen Ereignisse jener Zeit, der als Grundlage für das Verständnis der nachfolgenden Kapitel dienen soll. Der sich anschließende Abschnitt dient der Auseinandersetzung mit internen und externen Kanonisierungsprozessen irischer Kunst. Anhand von ausgewählten theoretischen Texten werden Eigen- und Fremdperspektiven beleuchtet, die Aufschluss geben über die Konstruktionsmechanismen einer nationalen Schule. Mittels vergleichender Analysen mit anderen Ländern dienen die Überlegungen zudem der Verortung der lokalen Stilgenese im globalen Kontext. Darüber hinaus bilden die Ausführungen zur Rezeption die Schnittstelle zum vierten Kapitel, das die Yeats zugedachte Rolle als Natio­nalkünstler kritisch hinterfragt. Auf Grundlage eingehender Untersuchungen exemplarischer Bildwerke soll ­darin exploriert werden, welche Motive als ausschlaggebend dafür zu betrachten sind, dass Yeats von Zeitgenoss:innen und innerhalb der Forschung wiederholt als Nationalkünstler diskutiert wurde. Mittels dieser vertiefenden Auseinandersetzung, die sich kunsthistorischer sowie bildwissenschaftlicher Ansätze bedient, begegne ich einem Forschungsdesiderat und beabsichtige, etablierte Interpretationsansätze zu überprüfen sowie das breite Bedeutungsspektrum des Yeats’schen Œuvres zu erschließen. Überdies ist es vorgesehen, den Diskurs der zeitgenössischen Kritik zu berücksichtigen, da Yeats’ Schaffen kontinuierlich von der Presse reflektiert wurde. Um innerhalb der kulturellen Identitätsbildungsprozesse mögliche Wandlungen und Widersprüche aufzeigen zu können, wird der Zeitraum weit gefasst. So setzt die Auswahl der behandelten Arbeiten mit dem Frühwerk um 1900 ein und reicht bis in das späte Schaffen um 1950, wobei neben dem grafischen und malerischen Œuvre auch die schriftstellerische Tätigkeit Jack B. Yeats’ Berücksichtigung finden soll. Diese Schwerpunktsetzung hat zum Ziel, die Deutungen von einer rein nationalen Lesart zu lösen und erstmals für einen werkanalytischen Zugang zu öffnen. In der Folge soll der Fokus auf die kunsthistorische Rezeption gelenkt werden, ­wobei es mir darum geht, die in der Forschung bisher nur marginal berücksichtigten, einschlägigen Inszenierungsstrategien offenzulegen, anhand derer sich die spezifischen Mechanismen für die Stilisierung eines nationalen Künstlertypus nachvollziehen lassen. Das Augenmerk soll sowohl auf die nationale als auch auf die internationale Vermarktung des Malers gerichtet werden, die im Zuge von Publikationen und Ausstellungsprojekten, wie etwa der Biennale von Venedig, angestrebt wurde. Es ist zugleich beabsichtigt, Yeats’ eigene Rolle innerhalb dieser Repräsentationsversuche zu beleuchten, um hierdurch zu eruieren, inwieweit er selbst auf die Erzählung seiner Künstlerpersona Einfluss nahm. In Hinsicht auf globale Austauschvorgänge wendet sich das sechste Kapitel den von der Literatur bis dato vernachlässigten Merkmalen und Ausprägungen der vielschichtigen Interdependenzen Irlands mit anderen Kulturräumen zu. Neben der Diskussion der Teilhabe des Künstlers am internationalen Kunstgeschehen, insbesondere in den USA, ist es ein zentrales Anliegen, auf Basis exemplarischer Werkbesprechungen der hybriden Ästhetik bestimmter Arbeiten nachzugehen. Mein Interesse besteht darin,

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das Yeats’sche Schaffen mithilfe transkultureller Perspektiven in einen globalen Zusammenhang zu überführen und darüber »Beziehungsprozesse mit anderen Kulturen«75 sichtbar zu machen. Im siebenten Kapitel soll schließlich unter Anwendung des plural gebrauchten Begriffes der vielfältigen Moderne die Peripherisierung der irischen Kunst diskutiert werden. Es ist die Absicht, das Kunstgeschehen des Landes anhand von Yeats’ Beispiel als Teil einer globalen Moderne zu besprechen. Das Erkenntnisinteresse ­besteht zudem darin, zu klären, ob Yeats’ Werk von Kritiker:innen allein auf Basis kolo­nialer Denkmuster für unmodern erklärt wurde oder ob sich diese Abwertung ab der Mitte des 20. Jahrhunderts womöglich auch mit seinem figurativen Stil erklären ließe. Schließlich nahmen die geopolitische Frontenbildung des Kalten Krieges und die Diskussionen um die sogenannte ›Stunde Null‹ maßgeblich Einfluss auf die Kunstdiskurse jener Zeit und führten zu einer Polarisierung von Abstraktion versus Figuration.76 Es lässt sich vermuten, dass Yeats’ Bilder nicht der Maxime einer »modernistische[n] Ma­le­rei«77 entsprachen. Um Yeats’ künstlerische Position vor diesem Hintergrund kontextualisierend zu erforschen, soll sein Werk dem Schaffen anderer figurativ arbeitender Künstler, wie Lucian Freud oder Oskar Kokoschka, gegenübergestellt werden. Die möglichen Gemeinsamkeiten der künstlerischen Positionen und Produktionsweisen der Maler sollen letztlich über einen vergleichenden Zugang erschlossen und für die Diskussion einer figurativen Moderne fruchtbar gemacht werden.

75 Juneja 2012, S. 7. 76 Zum politisch motivierten Paradigmenwechsel siehe etwa Hyman 2001, S. 202 – 204. 77 Mit »Modernistische Malerei« betitelte der US-amerikanische Kritiker Clement Greenberg seinen paradigmatischen, zwischen 1960 und 1961 verfassten Aufsatz zur abstrakten amerikanischen Moderne. – Vgl. Greenberg 1998.

2. Paradigmen künstlerischer und kultureller Identitätsbildung um 1900 Yeats’ künstlerisches Schaffen sowie die Genese seiner Künstlerpersönlichkeit stehen in enger Verbindung mit den politischen und kulturellen Entwicklungen seines Landes. Beide Aspekte sollen im Folgenden unter Anwendung des Begriffes des Paradigmas untersucht werden, der zum einen als Muster, Vorbild und Erzählung, zum anderen auch als Entwurf von Weltanschauungen sowie als Bruch mit vorangegangenen Denkansätzen verstanden werden kann.1 In dieser Vielschichtigkeit eignet sich die Idee, die auf Konstruktions- wie Dekonstruktionspotenziale gleichermaßen abzielt, für die Analyse der komplexen Phänomene der künstlerischen und kulturellen Identitätsbildung Irlands um 1900. Im Zuge der Herausbildung der irischen Selbstvergewisserung stellte die Berufung auf eine genuine Kultur ein wesentliches Instrument dar, um das ›Eigene‹ gegen den kolonialen Fremdentwurf abzugrenzen. Yeats’ Künstlervita, die in England wie in Irland geprägt wurde, muss innerhalb dieser Diskurse verortet werden. Um die Komplexität dieser interdependenten Strukturen fassen zu können, soll der Werdegang des Künstlers mit den Transformationsvorgängen des Landes enggeführt werden. Dieses Verfahren erweist sich insofern als notwendig, als sich Yeats’ Werk ohne das Verständnis für die kulturpolitischen Hintergründe nicht erschließen lässt. Eine Aneinanderreihung von biografischen oder historischen Daten soll hier allerdings vermieden werden. Vielmehr ist es das Ziel, am Beispiel der irischen Kunst und Kultur den Mechanismen von Kanonisierungs- und Identitätsbildungsprozessen nachzuspüren. 2.1 »Other Yeats«2  : Künstlerfamilie, Künstlergenese und Künstlertopik »How can we know the dancer from the dance  ?«3

Im Verlauf seines Lebens wurde Jack B. Yeats wiederholt als »other Yeats«4 bezeichnet. Es handelt sich um eine Abgrenzung, in der sich der größere Bekanntheitsgrad sei1 Zum Terminus des »Paradigmas« siehe Duden, Fremdwörterbuch, S. 571. Zu dem im Wesentlichen von Thomas S. Kuhn etablierten Begriff des Paradigmenwechsels und dessen Anwendbarkeit auf die Kunst siehe weiterführend Sakoparnig/Wolfsteiner/Bohm 2014. 2 The Boston Globe  : ›Other‹ Yeats Has His Day, 16. November 1971, S. 17. 3 Yeats 1997, S. 221. Das Zitat stammt aus dem Gedicht Among School Children, das erstmals 1928 in der Gedichtsammlung The Tower erschien. 4 Vgl. etwa Daily Boston Globe  : This Week in the Art World. Jack Yeats Has Found His Own Innisfree, 8. April 1951 sowie The Boston Globe  : ›Other‹ Yeats Has His Day, 16. November 1971, S. 17.

»Other Yeats«  : Künstlerfamilie, Künstlergenese und Künstlertopik | 29

nes Bruders, des Dichters William Butler Yeats (1865 – 1939, im Folgenden W. B.), ausdrückt, der 1923 als erster Ire den Literaturnobelpreis erhielt. Beide Geschwister widmeten sich irischen Themen, wobei sich auch Jack neben seiner künstlerischen Tätigkeit als Schriftsteller und Dramatiker betätigte und immerhin sieben Romane sowie neun Theaterstücke veröffentlichte.5 Dass dieser Umstand von den Medien gern vernachlässigt wurde, zeigt der ebenfalls geläufige Beiname »painting Yeats«6, der ihn auf sein hauptsächliches Ausdrucksmittel der Malerei beschränkte. Das vorliegende Kapitel verfolgt das Ziel, die Implikation ›other‹ in Bezug auf verschiedene Aspekte in Yeats’ Leben und Werk zu untersuchen. Folgende Stationen und Schwerpunkte sollen hierbei schlaglichtartig beleuchtet werden  : Yeats’ Kindheit und Jugend, die Herausbildung seiner politischen Überzeugungen sowie seine Ausbildung zum Künstler. Lässt sich die Behauptung der Andersartigkeit zunächst für Yeats’ Stellung innerhalb der Künstlerfamilie konstatieren, in der er während seines Heranwachsens eine Sonderrolle einnahm, trifft sie später auch hinsichtlich seiner Position als sich etablierender Maler im Spannungsfeld von irischer Identitätspolitik und Alteritätskonstruktionen zu. Darüber hinaus soll der Stilisierung des Malers zum autodidaktischen Künstlergenie nachgegangen werden, die zunächst von Yeats’ Vater John Butler Yeats (1839 – 1922) behauptet, in der Folge aber von der Literatur verfestigt wurde. Gerade vor dem Hintergrund, dass Yeats’ Ausbildung an mehreren Kunstschulen erfolgte, soll die zugewiesene Außenseiterposition grundsätzlich infrage gestellt und im Kontext tradierter Vitenschreibung und zeitgenössischer Künstlerbiografik erforscht werden. Für die kritische Analyse der biografischen Mythenbildung soll hierzu die einschlägige Untersuchung von Ernst Kris und Otto Kurz zur Legende vom Künstler herangezogen werden, in der das Narrativ des begabten Künstlers unter Anwendung psychologischer und soziologischer Parameter untersucht wird.7 Bezug nehmend auf die zentralen Überlegungen der Studie, die auf Topoi wie das »Autodidaktentum«, den Aufstieg zum Künstler oder die »Vorzeichen« für ein späteres Genie fokussieren,8 gilt es, Yeats’ individuelle Vita an ein universelles Künstlernarrativ rückzubinden.

5 Zu Yeats’ Wirken als Schriftsteller und Dramatiker siehe etwa Purser 1991. 6 Vgl. The Washington Post, Art Exhibits Open Today, 24. Juni 1951. Dort ist zu lesen  : »Open this afternoon, at the Phillips Gallery is an exhibition of paintings by the Irish artist, Jack B. Yeats, otherwise known as the ›painting Yeats‹, as distinguished from the poet.« 7 Vgl. Kris/Kurz 1995. Die Publikation erschien erstmals 1934. 8 Vgl. Kris/Kurz 1995, S. 37 (zu den Vorzeichen), S. 41 (zum Autodidaktentum und zum sozialen Aufstieg)  ; zum Konzept des Künstlers siehe auch folgende Untersuchungen, die sich kritisch mit den Parametern der Konstruktion des Künstlertums auseinandersetzen, etwa Böckem 2016 oder Soussloff 1997.

30  |  Paradigmen künstlerischer und kultureller Identitätsbildung um 1900

Abb. 1 John Butler Yeats, Dezember 1907, Fotografie von Alice Boughton.

2.1.1 Yeats-Familie und Kindheit von Jack B. Yeats Jack B. Yeats wurde 1871 als jüngstes von vier Kindern in London geboren, wo die irischstämmige, protestantische Familie seit 1867 lebte.9 In diesem Jahr hatte sein Vater John Butler Yeats (im Folgenden JBY) seine Karriere als Anwalt in Dublin aufgegeben, um eine künstlerische Ausbildung an der Londoner Heatherly’s Art School zu absolvieren und sich in der Folge als Porträtmaler zu betätigen (Abb. 1).10 Später sollte er diese Entscheidung als wichtigen Impuls für die musischen Karrieren seiner beiden Söhne beschreiben, die seiner Ansicht nach ansonsten wohl ebenfalls eine juristische Karriere angestrebt hätten.11

  9 Eigentlich auf den Namen »John Butler Yeats« getauft, wurde er bald nur noch Jack genannt. – Vgl. Murphy 2001, S. 77. Zwei weitere Geschwister, Robert und Jane Grace, verstarben bereits im Kindesalter. – Vgl. Pyle 1989, S. 10 – 13. 10 John Butler Yeats studierte ab 1867 an der Heatherley’s Art School. 1872 wechselte er an die Slade’s School of Art, wo er von Edward Poynter unterrichtet wurde. – Vgl. Pyle 1997, S. 34 – 36. 11 Brief JBY an seine Tochter Susan Mary (Lily) Yeats, 11. Juni 1920, in  : Yeats 1999a, S. 190.

»Other Yeats«  : Künstlerfamilie, Künstlergenese und Künstlertopik | 31

Abb. 2 John Butler Yeats, Pippa Passes, 1869/71, Gouache auf Papier, 48,4 × 34,6 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

Als angehender Porträtmaler integrierte sich JBY rasch in die Londoner Kunstwelt, wobei sein hauptsächlicher Fokus auf der Verwirklichung präraffaelitischer Ideale lag. Hieraus resultierte 1869 die Gründung der Künstlervereinigung The Brotherhood. Gemeinsam mit den Zeitgenossen John Trivett Nettleship (1841 – 1902), Edwin John Ellis (1848 – 1916) und Sydney Prior Hall (1842 – 1922) widmete sich Yeats der Umsetzung von Werken, die wie Pippa Passes (Abb. 2) stark von Arbeiten Edward BurneJones’ (1833 – 98) oder Dante Gabriel Rossettis (1828 – 82) beeinflusst waren. Trotz nachvollziehbarer Anerkennung von außen standen permanente Selbstzweifel, eine Leidenschaft zur vorrangig philosophischen Reflexion von Kunst sowie der Anspruch, allein der Kunst zu dienen, dem notwendigen wirtschaftlichen Erfolg im Weg.12 Bedingt durch die mangelnde Geschäftstüchtigkeit des Vaters blieb der Lebensunter­ halt der Familie in London ungesichert, sodass sich Susan Mary Yeats (1841 – 1900, Abb. 3), geb. Pollexfen, bereits 1872 gezwungen sah, mit den Kindern in die westirische Hafenstadt Sligo überzusiedeln, wo ihre vermögenden Eltern lebten.13

12 Vgl. Murphy 2001, S. 61 – 72. 13 Vgl. Murphy 2001, S. 78.

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Abb. 3 John Butler Yeats, Susan Mary Yeats, geb. Pollexfen, 1867, Bleistift und Tusche, 230 × 180 mm, Privatbesitz.

Erst als sich die Auftragslage 1874 gebessert hatte, konnte die Familie nach England zurückkehren.14 Nachdem sich die wiederholten Versuche von JBY, an den Ausstellungen der Royal Academy teilzunehmen und als Künstler Fuß zu fassen, endgültig als gescheitert erwiesen hatten, verlagerten die Yeatses ihren Wohnort 1881 erneut nach Dublin.15 Auch hier bestätigten sich die Hoffnungen auf eine einträgliche Karriere nicht langfristig, und so folgte 1886 wiederum der Umzug nach London, wo sich die Familie ab 1888 in der Künstlerkolonie Bedford Park niederließ.16 In dieser Zeit fertigte JBY Porträtzeichnungen der vier Geschwister an, in denen die unterschiedlichen Charaktere auf eindrückliche Weise einfangen werden (Abb. 4 – 7).

14 Vgl. Murphy 2001, S. 97 – 105. 15 Vgl. Murphy 2001, S. 120 – 124. Die Royal Academy in London war 1768 gegründet worden und richtete jährliche Ausstellungen aus. Für viele Künstler:innen markierte die Möglichkeit, in der Royal Academy auszustellen, den Beginn einer erfolgreichen Laufbahn. 16 Vgl. Murphy 2001, S. 150 f. JBY bewies als Maler keinen Geschäftssinn. Er malte nicht nur zu langsam, sondern war auch sehr wählerisch in Bezug darauf, wen er porträtieren wollte. Zudem war er nicht selten unzufrieden mit seiner Arbeit, sodass er Gemälde noch vor der Fertigstellung zerstörte.

»Other Yeats«  : Künstlerfamilie, Künstlergenese und Künstlertopik | 33

Abb. 4 John Butler Yeats, W.  B. Yeats, 1899, Bleistift, 235 × 195 mm, Privatbesitz.

Abb. 5 John Butler Yeats, Susan Mary (Lily) Yeats, ca. 1894, Bleistift, 235 × 180 mm, Privatbesitz.

Abb. 6 John Butler Yeats, Elizabeth Corbet (Lolly) Yeats, 1898, Bleistift, 260 × 210 mm, Privatbesitz.

Abb. 7 John Butler Yeats, Jack B. Yeats, 1899, Bleistift, 260 × 185 mm, Privatbesitz.

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Dieses unstete, von häufigen Wohnortwechseln und permanenten Geldnöten gekenn­ zeichnete Leben bestimmte vor allem die Kindheit und Jugend von Yeats’ älteren Geschwistern W. B., Susan Mary (1866 – 1949, genannt Lily) und Elizabeth Corbet (1868 – 1940, genannt Lolly).17 Jack hingegen wuchs von 1879 bis 1887, fernab der hehren Ansprüche des Vaters, im georgianischen Merville House seiner in Sligo ansässigen Großeltern auf.18 Während Lily, Lolly und W. B. an der Dubliner Metropolitan School of Art bereits früh eine künstlerische Ausbildung anstrebten und W. B. später auch an der Royal Hibernian Academy studierte,19 war Jacks Leben zur gleichen Zeit von den Kindheitserlebnissen eines ländlichen Irlands bestimmt. Zu den frühen und zugleich prägenden Impressionen zählten das Treiben der Jahrmärkte, Zirkusschauen und Pferderennen.20 Nachhaltige Eindrücke lieferte auch die Tätigkeit des Großvaters William P ­ ollexfen (1811 – 92), der seit 1865 ein großes Dampfschifffahrtunternehmen, die Sligo Steam Navigation Company, betrieb.21 Wie sehr die Schifffahrt und der Aufenthalt von Seeleuten an der westirischen Atlantikküste dem Heranwachsenden von einem abenteuerlichen Leben in der Ferne kündeten und auf diese Weise Einfluss auf dessen künstlerische Entwicklung nehmen sollten, belegen Werke wie eine 1912 entstandene Zeichnung, die einen tätowierten Matrosen darstellt,22 aber auch die von Yeats erfundene Figur des Seeräubers Theodore (Abb. 8), der seinem Enkel von den ruchlosen Zeiten auf hoher See berichtet.23 17 Pyle schreibt treffend, dass die rastlose Yeats-Familie vielmehr durch Blutsverwandtschaft als durch tatsächliche räumliche Nähe miteinander verbunden war  : »The Yeatses were a curiously ambivalent family, without roots, always and eagerly seeking new ideas and new vision, yet permanently linked to each other by blood«, Pyle 1989, S. 29. 18 Vgl. Murphy 2001, S. 122. Das Haus wurde 1867 durch William Pollexfen, Jack B. Yeats’ Großvater, erworben. – Vgl. Pierce 1995, S. 12. Es handelte sich dabei um ein um 1805 erbautes ge­orgianisches Herrenhaus, das über 24 Hektar Land verfügte. Das Haus wurde zwischen 1915 und 1952 sukzessive um den dreigeschossigen Gebäudekomplex des Nazareth House, ein von den Nazareth Sisters betriebenes Pflegeheim, ergänzt. Der von den Pollexfens bewohnte zweigeschossige Gebäudeteil ist heute mit einer Plakette gekennzeichnet. – Vgl. https://www.independent. ie/regionals/sligochampion/news/nazareth-house-plan-whats-in-store-under-unique-partnershipdeal-27532947.html [17.12.2022]. 19 Vgl. Murphy 2001, S. 139. Die Geschichte der DMSA (heute National College of Art and Design) reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. 1877 erhielt die staatlich kontrollierte Schule, zu der auch Frauen zugelassen waren, den Namen Dublin Metropolitan School of Art. Im Gegensatz zur Royal Hibernian Academy (Gründung 1823), wo man die Schüler:innen zu Künstler:innen ausbildete und bereits früh mit dem Aktstudium begann, fokussierte die DMSA auf das Heranziehen von Kunstlehrer:innen. Zudem lag der Schwerpunkt der Ausbildung an der DMSA auf der Zeichnung und den angewandten Künsten und weniger auf der Malerei. – Vgl. Turpin 1983, S. 50 f. 20 Vgl. Pyle 1989, S. 15. Derart fasziniert von diesen Ereignissen, hat Jack B. Yeats seinem Bruder zufolge gar selbst Eselrennen für die anderen Kinder aus Sligo organisiert. – Vgl. Yeats 1999b, S. 82. 21 Vgl. Murphy 2001, S. 37. 22 Jack B. Yeats, A Western Ocean Beau, 1912, Feder in Tusche, 268 × 194 mm, Privatbesitz. 23 Diese Szenen sind zudem als Referenz auf Yeats’ eigene Kindheit zu verstehen, als ihm Matro-

»Other Yeats«  : Künstlerfamilie, Künstlergenese und Künstlertopik | 35

Abb. 8 Jack B. Yeats, A Broadside  : Theodore to His Grandson, Nr. 8, Januar 1909, Cuala Press Print, handkoloriert.

Dass der Reiz, den diese Sphäre auf den Künstler ausübte, ein Leben lang anhielt, belegt ein Kommentar aus dem Jahr 1947  : […] Sligo […] is my spiritual home always, and the foundation of everything I paint is Sligo, and Sligo horses were the background to everything, everyone thought in terms of horses, except those that thought in terms of ships, and even the ship-men were [sic] – like all sailors ashore – liked to see themselves aloft on a horse.24 sen von ihren Erfahrungen auf See berichteten. – Vgl. dazu MacGreevy, Thomas  : unpublizierte Bildbeschreibung zu He Looks about Him (1949, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Schenkung des Künstlers an MacGreevy 1952), Typoskript, vermutlich 1960er Jahre, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 8149/142  : »[…] the days when the Pollexfens, owned their own ships and when the Gillen family, (including the young man, Michael Gillen who told stories of the sea to the boy Jack Yeats), piloted those same ships up the channel into Sligo, had stirred the artist’s imagination.« 24 Yeats zitiert nach Purser 1995, S. 94. Das Interview, zu dem Yeats in London zugegen war, wurde am 6. November 1947 aufgezeichnet. Im Nachgang beabsichtigte die BBC, das Interview von 40 auf 20 Minuten zu kürzen. – Vgl. Brief von Basil Taylor an MacGreevy vom 6. Mai 1948, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/8. Purser hat die im BBC-Archiv befindliche Tonaufnahme sowie ein altes Typoskript für seine Transkription herangezogen. Sie umfasst das

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Das Zitat dokumentiert Yeats’ Verbundenheit mit seiner selbsternannten Heimat, in die er auch während seiner Zeit in England noch jeden Sommer zurückkehrte und der er außerdem einen Roman widmete.25 Diese Verbundenheit spiegelt sich nicht in der heutigen Wahrnehmung der Region wider, wird doch die als Yeats Country beworbene Grafschaft Sligo vor allem mit W. B. Yeats in Verbindung gebracht.26 Der Ursprung dieser Zuordnung lässt sich bis zu einem 1948 verfassten Bericht des Reisemagazins Irish Travel zurückverfolgen, in dem W. B. Yeats’ Rolle als Ahnherr des Yeats Country ausführlich betont wird. Während dessen zentrale Gedichte in dem Artikel mit Titeln aufgeführt und in längeren Passagen zitiert werden, beschränkt sich die Erwähnung Jacks auf einen kurzen Absatz, wobei sein Schaffen lediglich als pittoreske Ergänzung des dichterischen Werkes seines Bruders geschildert wird, wenn es im Text heißt  : »The poet’s brother, the artist, Jack B. Yeats, also ows much to Sligo«. Dagegen findet das umfangreiche malerische Werk allenfalls am Rande Erwähnung  : »Some of his most famous canvases have a Sligo background […].«27 Was der Beitrag ausspart, ist die Tatsache, dass beide Brüder in ihren Arbeiten hinsichtlich ihrer Kindheitserinnerungen oftmals auf identische Motive zurückgriffen. Hierzu gehört die Verarbeitung des markanten Tafelberges Ben Bulben, dessen Silhouette vom Haus der Großeltern sichtbar war und der später zum Symbol irischer Selbstbehauptung avancierte  ; auch widmeten sie sich jeweils dem Ort Rosses Point, der mit seinem auffälligen Leuchtturm, dem sogenannten Metal Man,28 den Eingang zum Hafen von Sligo bildet sowie dem Dorf Drumcliff, dessen frühchristliche Klosteranlage und weit zurückreichende irische Tradition W. B. in seinem Epitaph Under Ben Bulben beschrieb und dessen Landschaft Jack wiederholt in Gemälden einfing.29 komplette Interview. – Vgl. Purser 1995, S. 91. Auf das im MacGreevy-Archiv vollständig erhaltene Transkript des Interviews, das dem Brief Basil Taylors beigefügt war, bezieht sich Purser hingegen nicht. 25 Vgl. Yeats 1930. 26 So wird die regionale sowie überregionale Wahrnehmung in den Medien, bei wissenschaftlichen Symposien der Yeats Society oder im Rahmen der touristischen Vermarktung beinahe ausschließlich auf W. B. Yeats gelenkt. 27 McLean 1948, S. 148, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 28 Jack B. Yeats, Memory Harbour (mit Metal Man im Hintergrund), 1900, Aquarell, 310 × 470 mm, Privatbesitz. 29 Etwa Jack B. Yeats, Mountain Window, 1946, Öl auf Pappe, 22 × 34,5 cm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection. Zu W. B. Yeats’ Epitaph Under Ben Bulben (1938), dessen letzte Worte (»Cast a cold eye on life, on death. Horseman, pass by  !«) sich auf W. B. Yeats’ Grabstein in Drumcliff befinden, siehe Yeats 1997, S. 333 – 336. Darüber hinaus widmete W. B. Yeats 1893 den Orten Drumcliff and Rosses ein eigenes Kapitel in seinem Band The Celtic Twilight. – Vgl. Yeats 1893, S. 135 – 149. Darin erinnert er sich an seine Kindheit  : »Drumcliff and Rosses were, are and ever shall be, please Heaven  ! places of unearthly resort. I have lived near by them and in them, time after time, and have gathered thus many a crumb of faery lore. Drumcliff is a wide green valey, lying at the foot of Ben Bulben, the mountain in whose side the square white door swings open at

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Dass sich aus der gemeinsamen Darstellung verwandter Sujets für W. B. gar eine Art Wettstreit entspann, der auch die unterschiedlichen Mittel von Dicht- und Bildkunst betraf, macht ein Zitat aus seiner 1914 verfassten Autobiografie Reveries over Childhood and Youth deutlich  : When I look at my brother’s picture, Memory Harbour […], I am full of disquiet and of excitement, and I am melancholy because I have not made more and better verses.30

Auf eine innerfamiliäre Konkurrenz weist auch die abschätzige Beurteilung der angeb­ lich mangelhaften Bildung Jacks hin, die zugleich Eifersucht über dessen inniges Verhältnis zu den Großeltern erkennen lässt. Obwohl Jack laut W. B. ein schlechter Schüler gewesen sei, habe er dies durch Warmherzigkeit und sein Talent für unterhaltsame Zeichnungen ausgleichen können  : My brother had partly taken my place in my grandmother’s affections. He had lived permanently in her house for some years now, and went to Sligo school where he was always bottom of his class. My grandmother did not mind that, for she said, »He is too kindhearted to pass the other boys«. […] Besides he had begun to amuse everybody with his drawings […].31

2.1.2 The Education of Jack Yeats32 oder die Etablierung des Mythos vom intuitiven Künstlergenie Eine ähnliche Einschätzung nahm wenige Jahre später, 1920, auch JBY in seinem Artikel The Education of Jack B. Yeats vor, der in der amerikanischen Zeitung Christian Science Monitor erschien. JBY lebte seit 1908 fernab der Familie in New York.33 In dem Text charakterisierte er seinen jüngeren Sohn folgendermaßen  : »[he] was never known to leave the lowest place in his class.«34 Auch habe er seine eigentliche Ausbildung allein nightfall to loose the faery riders on the world. The great St. Columba himself was the builder of many of the old ruins in the valley […]«, Yeats 1893, S. 135. 30 Yeats 1999b, S. 72. Reveries over Childhood and Youth wurde erstmals 1916 publiziert und gehört zu W. B. Yeats’ mehrteiligen Autobiographies. In dem Zitat bezieht sich W. B. auf Jack B. Yeats’ Aqua­rell Memory Harbour aus dem Jahr 1900. 31 Yeats 1999b, S. 82 f. Die schlechte Bildung von Jack betonte W. B. erneut 1932 bei einer Ausstellungseröffnung von Jack B. Yeats im New Yorker Museum of Irish Art, wo er als Redner geladen war  : »Jack was always last in school […]«, American  : Yeats Tells on His Brother, 30. Dezember 1932, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 32 Yeats 1920. 33 Yeats brach Ende Dezember 1907 mit seiner Tochter Lily für eine kurze Reise nach New York auf, blieb dann aber bis zu seinem Tod im Jahr 1922 in der Metropole und kehrte nie wieder nach Irland zurück. – Vgl. Murphy 2001, S. 324 – 326. 34 Yeats 1920.

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durch die Erziehung der Großeltern sowie durch den Einfluss der westirischen Lebenswelt erhalten. Weiterhin wird in dem Text »Jack’s idea of self-education« ­herausgehoben, habe dieser doch stets seinen eigenen Vorstellungen vertraut und bereits in frühen Jahren alles, was ihn umgab, zeichnerisch festgehalten.35 In dieser Lebensphase habe er alles gelernt, was ihn später als Maler auszeichnen sollte. So habe er auch durch sein ab 1887 an verschiedenen Londoner Kunstschulen absolviertes Studium nicht mehr viel Wissen erworben. Schließlich sei sein Interesse an den Inhalten des Unterrichtes nicht besonders ausgeprägt gewesen. Vielmehr verweist JBY, wie auch bereits W. B., auf die unterhaltsame Seite Jacks  : »What he did at the art school I could never find out. I fancy he was the wag and the wit and the storyteller, welcome with everybody […].«36 Allen sichtbaren Parallelen zum Trotz muss zwischen der Bewertung des Vaters und des älteren Bruders differenziert werden. Immerhin soll W. B. weder Jacks malerisches noch literarisches Werk besonders geschätzt haben.37 Dagegen ist die Beschreibung durch den Vater sehr wohl positiv konnotiert und erinnert an genialische Künstlerviten, wie sie etwa bei Giorgio Vasari zu finden sind.38 Dies zeigt ein Vergleich mit der bei Vasari geschilderten Entdeckung von Giottos Begabung  : […] Und da eine natürliche Veranlagung ihn [Giotto, Verf.] zur Zeichenkunst trieb, zeichnete er unablässig auf Steinplatten, auf der Erde oder in den Sand irgendwelche Dinge aus der Natur oder solche, die seiner Phantasie entsprangen. Eines Tages kam Cimabue […] nach Vespignano und traf auf Giotto, der seine Schafe weidete und währenddessen auf einer glatten, sauberen Steinplatte mit einem leicht spitz zulaufenden Stein ein Schaf naturgetreu wiedergab, ohne dies in irgendeiner Weise von jemand anderem gelernt zu haben als von der Natur selbst.39

Die konzeptuellen Parallelen zur Biografie des begabten Hirtenjungen Giotto di Bondone (um 1267 – 1337) sind dort offensichtlich, wo JBY seinen Sohn als intuitiven, 35 Yeats 1920. JBY schreibt  : »[Jack B. Yeats, Verf.] kept to his own ideas, his own plans […] and diligently drew what he observed.« 36 Yeats 1920. 37 Zur geringen Wertschätzung siehe Murphy 2001, S. 162  ; zudem W. B. Yeats’ eigene Aussage im New York Herald Tribune, im Dezember 1932. In dem Interview mit der Zeitung meinte er, dass er mit dem realistisch gehaltenen Frühwerk noch etwas anfangen könne, ihm sich aber die späteren Arbeiten nicht mehr erschließen würden, da man auf ihnen nichts erkennen könne. – Vgl. New York Herald Tribune  : Exhibition of Irish Art Opened at the Barbizon. William B. Yeats Speaks on Paintings of Brother, 30. Dezember 1932, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 38 Vasaris Le Vite wurden 1850 – 52 erstmals ins Englische übersetzt. – Vgl. Roberts 1992, S. 17. Die Überlegungen zur Analogie zwischen JBYs Biografie seines Sohnes und Vasaris Giotto-Vita finden sich erstmals bei Ansel 2016. Sie werden an dieser Stelle um den Kontext der genialischen Künstlerbiografik erweitert. 39 Vasari 2015, S. 54. Bezüglich Vasaris Giotto-Biografie wiesen Kris und Kurz darauf hin, dass der Vitenschreiber zwar auch Duccio als Lehrer erwähnte, dass bei ihm aber die frühe Begabung im Zentrum stand. – Vgl. Kris/Kurz 1995, S. 50 f.

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autodidaktischen Künstler beschreibt, der sich allein an der Natur orientiert und wenig Interesse an einer akademischen Ausbildung gezeigt habe. Jacks Lebensentwurf würde sich demzufolge in die von Kris und Kurz aufgezeigten formelhaften Erzählungen einreihen, nach denen der naturverbundene »Beruf des Hirtenknaben […] besonders geeignet [sei], Regungen künstlerischen Talents zu wecken«.40 Das Interesse an dem zu dieser Zeit als »father of modern art«41 bekannten Künstler war in Großbritannien vornehmlich durch John Ruskins (1819 – 1900) 1854 erschienene Monografie zu Giottos Fresken in der Cappella degli Scrovegni wieder entfacht worden.42 Darin wird Giotto als »daring naturalist«43 diskutiert, dessen Werke sich durch »defiance of tradition, idealism and formalism«44 ausgezeichnet und hierdurch die Kunst der Präraffeliten, insbesondere die John Everett Millais’ (1829 – 96), vorbereitet hätten. Indem der für sein umfangreiches Werk Modern Painters bekannt gewordene Ruskin einen Bogen zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert spannte, verortete er den Ursprung der Ideale der 1848 gegründeten Pre-Raphaelite Brotherhood im »Giottesque movement«45, das der Renaissance den Weg bereitete. Als Gemeinsamkeit der beiden Bewegungen machte er dabei eine dezidiert antiakademische Haltung »of spirit against letter, and of truth against tradition«46 aus. Es liegt nahe, dass der von den Idealen und Ideen der Präraffaeliten beeinflusste, vielseitig belesene JBY mit der Giotto-Monografie vertraut war, vor allem, weil er ­Ruskins Kunstanschauungen als vorbildhaft begriff.47 Auf diese Weise könnten auch die regelmäßig im Kreis von Freunden und Familie ausgetragenen Diskurse zu klassischer und zeitgenössischer Kunst Eingang in die Vita des eigenen Malersohnes gefunden haben. So wie Ruskin den Verweis auf das »Giottesque movement«48 heranzogen hatte, um die Präraffaeliten Mitte des 19. Jahrhunderts zu englischen Avantgardisten zu erklären, 40 Kris/Kurz 1995, S. 30. 41 Stokes 1908, S. 3. Interessanterweise wurde Giotto in England gegen Ende des 19. Jahrhunderts gar als Impressionist begriffen. So meinte Philip Wilson Steer (1860 – 1942) in seinem 1891 gehaltenen Vortrag vor der Art Workers’ Guild, dass Giotto ein Impressionist gewesen sei. – Vgl. Gruetzner Robins 1995, S. 89. 42 Ruskin 2018. 43 Ruskin 2018, S. 40. 44 Ruskin 2018, S. 40. 45 Ruskin 2018, S. 40. Zur Gründung der PRB siehe Prettejohn 2010, S. 28 f. Ruskins fünfbändi­ ges Hauptwerk Modern Painters entstand zwischen 1843 und 1860. Besonders der erste, 1943 erschienene Band, der William Turner gewidmet ist, wurde von den Präraffaeliten hinsichtlich der Forderung der Hinwendung zur Natur als wegweisend empfunden. – Vgl. Herbst 2004, S. 18. 46 Ruskin 2018, S. 40. Die Präraffaeliten lehnten die akademischen Forderungen Sir Joshua Reynolds’ ab, der 1768 die Royal Academy gegründet und seine Ansichten zur Kunst 1769 – 90 in den Discourses dargelegt hatte. Insbesondere verurteilten sie die starke Orientierung an alten Meistern, für die Reynolds, den sie abwertend »Sir Sloshua« nannten, plädiert hatte. – Vgl. Barringer/Rosenfeld 2012, S. 11. 47 Vgl. Murphy 2001, S. 558 f., Fn. 100. 48 Ruskin 2018, S. 40.

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verwendete JBY 70 Jahre später vergleichbare Bezüge, um Jack B. Yeats als Pionier einer irischen Moderne herauszustellen. Neben der kunstbiografischen Perspektive ist The Education of Jack B. Yeats auch in politischer Hinsicht aufschlussreich. Immerhin ist der Text 1920 und damit während der Zeit des Irischen Unabhängigkeitskrieges entstanden. In dieser politisch brisanten Periode galt es aus Sicht der irischen Revolutionäre, zusätzlich zu der politischen auch die kulturelle Eigenständigkeit gegenüber England zu behaupten. Dass JBYs Rückgriff auf eine englische Modernetradition offenbar im Widerspruch zur Maxime einer von Großbritannien losgelösten Kunst stand, erscheint hinsichtlich Irlands kultureller Eigenständigkeitsbemühungen nur auf den ersten Blick verwunderlich. So übernahmen Vertreter:innen genuin irischer Bewegungen, wie etwa die Protagonist:innen des Celtic Revival Movement, durchaus Impulse aus der englischen Wissenschaft und Kultur, obwohl sie in der Theorie ausdrücklich antiimperiale Forderungen formulierten.49 Bezogen auf die strukturelle Problematik hat Edward Said darauf hingewiesen, dass der kulturelle Horizont nationaler Bemühungen stets begrenzt sei durch die gemeinsame Geschichte von Kolonisator und Kolonialisiertem. Dies führe nicht selten zur Übernahme alter kolonialer Kulturleistungen, allerdings unter neuen nationalen Vorzeichen.50 Auch der in JBYs Artikel enthaltene Entwurf eines modernen irischen Künstlertypus lässt ebendiese Mechanismen sehr gut erkennen. Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass JBY von Zeitgenoss:innen als eloquenter Redner und Briefeschreiber geschätzt wurde.51 Vor diesem Hintergrund sollte dem Beitrag im Christian Science Monitor, der innerhalb der Literatur bisher vor allem als anekdotische Quelle rezipiert worden ist, durchaus eine größere Bedeutung beigemessen werden, liegt ihm doch meines Erachtens ein klar erkennbares Konzept zugrunde. So wirkt The Education of Jack B. Yeats geradezu wie ein bewusst komponierter biografischer Entwurf, der Jack als zentralen Künstler Irlands inszeniert, wobei der Autor sowohl kunsthistorischen als auch politischen Ansprüchen gerecht zu werden versuchte. Mittels der bereits benannten Referenzen auf klassische Künstlerviten verortete JBY das Werk und Wirken des Sohnes in einer bedeutenden Traditionslinie und wies ihm zugleich eine Vorreiterrolle innerhalb der irischen Kunstgeschichte zu. Dass er sich dabei auf die Kindheit und Jugend Jacks konzentrierte, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung immerhin bereits 49 Jahre alt war, kann als weiteres Argument für die Bezugnahme auf das Medium der Künstlerbiografik gewertet werden. Schließlich ist es laut Kris und Kurz für Vitenschreiber üblich gewesen, in Anlehnung an das Narrativ von Giottos Begabung, besonders das frühzeitig zur Ausprägung kommende

49 Vgl. Castle 2001, S. 5 ff. Castle weist hinsichtlich der kulturellen Eigenständigkeitsbemühungen darauf hin, dass es Einflüsse aus der englischen Wissenschaft sowie Kultur auf vermeintlich genuin irische Bewegungen gab, die den theoretischen antiimperialen Forderungen entgegenstanden. 50 Vgl. Said 1988, S. 9. 51 Vgl. etwa Pyle 1989, S. 10 f.

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Ingenium eines Künstlers anhand jugendlicher Leistungen zu betonen, durch die das weitere Schaffen präfiguriert werde.52 Die Analogie zur sich anbahnenden italienischen Renaissance markiert überdies die Idee des Wiedererwachens irischer Kultur, als deren wichtigster bildkünstlerischer Wegbereiter Jack B. Yeats durch den Vater inszeniert wurde. Bereits um 1900 hatten Kri­tiker:innen Yeats’ Arbeiten mit Werken von Renaissance-Größen wie Raffael (1483 –  1520) und Michelangelo (1475 – 1564) verglichen,53 eine Vorgehensweise, die JBY 20 Jahre später wiederholte.54 Zu dieser Konzeption gehört dabei auch, dass der Vater das beinahe mühelose Können des Sohnes hervorhob, das aus sich selbst heraus entstehe und keinerlei Ausbildung bedürfe  : »He has received the education of a man of genius.«55 Anders als der Artikel vorgibt, war dem Vater tatsächlich sehr daran gelegen, dass Jack in die akademische Lehre ging. Schließlich war er es, der ihn ursprünglich zum Besuch der Kunstschulen gedrängt hatte.56 Dass JBY die Bedeutung der akademischen Lehre später marginalisierte und die eigentlichen Impulse der künstlerischen Entwicklung beinahe ausschließlich in der ländlichen Kultur Irlands ausmachen wollte, unterstützt die These, dass er für Jack die Vita eines genuin irischen Malers zu entwerfen wünschte.57 Schließlich galt der irische Westen im Kontext irischer Eigenständigkeitsbemühungen als identitätsstiftender Ort, der fernab des englischen Einflusses besonders für die semantische Aufladung eines vermeintlich ›ursprünglichen‹ und zugleich neuen Irlands prädestiniert war. Entsprechend vermittelt der Text das Bild eines Malers, der seine Formensprache ohne fremde Einwirkung entwickelt hatte und damit zum Idealtyp eines nationalen Künstlers wurde. Eine ähnliche Stilisierung hatten vor JBY schon andere namhafte irische Kulturschaf­ fende vorgenommen, darunter George Russell (genannt Æ, 1867 – 1935) und Evelyn 52 Vgl. Kris/Kurz 1995, S. 37 – 53. 53 So etwa  : Ausst.-Kat. Dublin 1903, in dem die Daily News zitiert werden. Dort heißt es  : »It is a »Big Pedlar«, indeed, that he shows us silhouetted, head to foot, against the sky – a frolicsome variant of Raphael’s invention of human being dominating a landscape.« Oder auch Ausst.-Kat. Dublin 1902, in dem der Daily Express zitiert wird  : »There is something of the mind of Michael Angelo in Mr. Jack Yeats – he has the touch which makes the commonest things look as if they were charged with significance and spirituality – as, of course, they really are […].« – Beide Kataloge befinden sich im AJ, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. 54 Zwar gehörte Giotto dem Trecento an, dennoch wurde er spätestens seit Vasari als wichtige Vermittlerfigur zwischen Mittelalter und Renaissance begriffen. So hätte ohne Giotto kein neues Verständnis in den Künsten einsetzen können. Zur Rezeption Giottos siehe etwa Jonietz 2015, S.  48 – 52. 55 Yeats 1920. 56 Vgl. Purser 1995, S. 93. In dem von Purser transkribierten Interview aus dem Jahr 1947 sagt Yeats zu MacGreevy  : »My father believed that everyone should go to an art school whether they were intending to be a painter or not, because it was a foundation of all education, he said. I don’t know whether that particularly worked in my case […].« 57 JBY meinte konsequenterweise, der Impuls zum Studium in London sei allein von der Großmutter in Sligo ausgegangen. – Vgl. Yeats 1920.

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Gleeson (1855 – 1944), die beide auf die irische Herkunft des Malers verwiesen hatten.58 Die irische Freiheitskämpferin Constanze Markievicz (1868 – 1927) behauptete 1909 gar, Yeats sei nicht nur in Sligo aufgewachsen, sondern auch dort geboren worden. Wie selbstverständlich würde sich dieser Ursprung in seinen Werken wiederfinden  : »He has seen Ireland from a very Irish, but till now little exploited point of view.«59 Insbesondere lobte sie seine neuartige (»new«) und wahrhafte (»real«) Darstellung Irlands, die frei von akademischer Manier sei  : »an art that does not savour of the conventions and methods learned at an Art School«.60 Umso naheliegender ist es, dass JBY sich jener bereits etablierten Vitenschreibung anschloss und diese im Zuge von Irlands Unabhängigkeit noch einmal festigen wollte. Die Tatsache, dass er Irland selbst zum Lehrer seines Sohnes erklärte und dessen Schaffen damit in eine nationale Genealogie einschrieb, unterstützt diese Lesart. Gerade die spezifische Beschreibung eines einfachen Malers, der weder als Kind noch als Jugendlicher viel Bildung genossen habe und zudem eher für sich geblieben sei, als mit anderen in Austausch zu treten, wurde in der Folge auch in der Forschungsliteratur immer wieder aufgegriffen. Auf diese Weise wurde die Vitenrezeption innerhalb eines wissenschaftlichen Kontextes etabliert, ohne jedoch den konstruierten Charakter des Werdegangs zu berücksichtigen. Demgemäß findet sich etwa in Hilary Pyles Yeats-Biografie eine beinahe wörtliche Übernahme einer Formulierung JBYs, wenn sie über Yeats’ Schulbildung schreibt  : »Jack Yeats monopolized the lowest position in the class.«61 Der Kunstkritiker James White (1923 – 2003) wiederum kennzeichnete Yeats als Einzelgänger, der die Auseinandersetzung mit anderen künstlerischen Strömungen vermieden habe  : Yet he was almost uninfluenced by any of these [modern] artistic movements. Perhaps it would be true to say that he carefully preserved himself from all temptation to be caught up with such movements by nurturing the soil on which he was reared and developing his own natural abilities to draw and paint the one world which he loved and understood.62

Noch 2016 wurde das Bild des zurückgezogenen Einzelgängers, der keinen Kontakt zu anderen Künstler:innen gesucht habe, von Róisín Kennedy wieder aufgegriffen  : 58 Vgl. Æ.: An Artist of Gaelic Ireland, in  : Freeman’s Journal, 1901 und Gleeson, Evelyn  : The Celt, 1903 (?), beide abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Y1/JY/4/2/1. Evelyn Gleeson wurde zwar in England geboren, verlagerte ihren Lebensmittelpunkt ab 1900 allerdings nach Irland und war dort bis zu ihrem Tod im Kunstgewerbe tätig. 59 Markievicz 1909, o. S., abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. JY/Y1/4/2/1. 60 Markievicz 1909, o. S., abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. JY/Y1/4/2/1. 61 Pyle 1989, S. 15. Pyle ist nicht die Einzige, die JBYs Formulierungen übernahm. Auch David Pierce griff dieses Zitat 1995 in seiner Untersuchung zu W. B. Yeats unhinterfragt auf. – Vgl. Pierce 1995, S. 16. 62 White 1971a, S. 15  ; auch Terence de Vere White betonte Yeats’ vermeintliches Desinteresse gegenüber der Kunst anderer  : »I do not think that he is much interested in the work of others, ancient or modern«, White 1957, S. 119.

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»Yeats continued to be an outsider, avoiding active membership of clubs.«63 Ihre Behauptung verwundert insofern, als Yeats im Laufe seines Lebens Mitglied in mehreren Vereinigungen war, darunter dem United Arts Club (seit 1912), der Society of Dublin Painters (seit 1920) oder der Irish Exhibition of Living Art (seit 1943). Weitaus seltener anzutreffen sind Positionen, die die widersprüchlichen Aspekte, die sich aus solchen Behauptungen ergeben, kritisch hinterfragen. So hat Bruce Arnold darauf hingewiesen, dass das Yeats zugeschriebene Desinteresse kaum mit dessen Ansichten und Gewohnheiten übereinzubringen sei, der regelmäßig Ausstellungen besucht und sich über die dort präsentierten Werke ausgetauscht habe.64 Tatsächlich lassen sich in Yeats’ Unterlagen unzählige Kunstpostkarten und -magazine, Ausstellungskataloge mit Notizen zu einzelnen Objekten sowie Rezensionen finden, die das rege Interesse des Malers am Kunstbetrieb belegen.65 Auch die Tatsache, dass Yeats eine umfangreiche Bibliothek besaß, über deren Inhalt er genauestens Buch führte, ist bisher weitgehend ignoriert worden.66 Erst Karen E. Brown hat 2011 auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, allerdings aufgrund des ihr gering erscheinenden Bestandes an Kunstliteratur geschlussfolgert  : »[…] in reality, his collection reflects his preoccupation with everyday life more than a study on ›high art‹.«67 Damit bestätigte sie einmal mehr die Inszenierung eines bildungsfernen Malers irischer Couleur, der sich thematisch eher mit Alltagsbeobachtungen denn mit hoher Kunst beschäftigt habe. Dieser Feststellung muss schon insofern widersprochen werden, als Yeats weitaus mehr Bücher besaß, als heute im Dubliner Yeats Archive aufbewahrt werden. Dies geht sowohl aus Briefen als auch seinem Bibliothekskompendium hervor.68 Zu den erwähnten, aber nicht in die Sammlung gelangten Titeln gehören so einschlägige Werke wie Robert Alan Mowbray Stevensons Monografie The Art of Velásquez,69 für deren Übersendung sich Yeats 1902 bei dem befreundeten New Yorker Anwalt 63 Kennedy 2016c, S. 66  ; auch der Künstler und Kritiker Brian O’Doherty meinte 2011  : »The outsider is ultimately the artist himself, painting under the rose in his closed studio in his Fitzwilliam Square house, immune from modernist angst or formal anxieties«, O’Doherty 2011, S. 9. 64 Vgl. Arnold 1998a, S. 270  ; White behauptet sogar, dass Yeats jede Ausstellung besuchte. – Vgl. White 1957, S. 119. 65 Zu den Postkarten siehe Inv.-Nr. Y1/JY/6/3/3  ; zu den Ausstellungskatalogen siehe AJ, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/1/2  ; zu den Rezensionen siehe sämtliche Zeitungsausschnitte, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1 – 4. Alle Materialien sind Teil des Yeats Archive. 66 Vgl. BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1. 67 Brown 2011, S. 134. 68 Anne Yeats vermachte die Bibliothek als Teil ihrer umfangreichen Schenkung 1996 der National Gallery of Ireland. – Vgl. https://www.nationalgallery.ie/sites/default/files/2017-09/Y1Anne Yeats%20gift_%281996%29.pdf [17.12.2022]. Allerdings hatte sie wohl aus Platzgründen nicht alle Bücher aus Jack B. Yeats’ Besitz übernehmen können, sodass die Bibliothek nicht vollständig ist. Ich bedanke mich bei Pauline Swords, der ehemaligen Yeats-Archivarin, für diese Information. Das Gespräch mit der Verfasserin erfolgte im März 2012 im Yeats Archive  ; zum Bibliothekskompendium siehe BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1. 69 Siehe BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1.

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und Kunstsammler John Quinn (1870 – 1924) bedankt hatte.70 Auch andere Bücher wie Walter Paters Renaissance. Studies in Art and Poetry, die im Gowans & Gray-Verlag erschienenen Masterpieces of Rubens, ein Ausstellungskatalog zu André Derain, Goethes Faust oder Heinrich Heines Gedichte lassen sich nur noch über Einträge in Yeats’ Bibliothekskompendium nachweisen.71 Ergänzend zu seiner privaten Büchersammlung hatte Yeats zudem über Kunstvereine Zugang zu kunsthistorisch relevanter Literatur. So befasste er sich etwa im United Arts Club, dem er seit 1912 angehörte, mit zeitgenössischer deutscher Kunst, wie seine Lektüre der Münchner Zeitschrift Die Jugend nahelegt, die er für den Klub hatte erwerben lassen.72 Darüber hinaus dokumentiert selbst das erhaltene Konvolut noch Yeats’ umfangund facettenreiches Interesse für Kunst und Kultur. In Verbindung mit den bereits erwähnten Magazinen und Postkarten ergibt sich daraus das Bild eines vielseitig interessierten Malers, der aktuelle Kunstdiskurse sehr wohl wahrnahm und reflektierte. Das von ihm gesammelte Bildrepertoire bot ihm, wie zu zeigen sein wird, auch im Kontext der Werkstattpraxis einen umfangreichen visuellen Bestand, der von alten Meistern wie Jacopo Tintoretto (1518 – 94) bis zu zeitgenössischen Künstler:innen wie Henri Gaudier-­Brzeska (1891 – 1915) reichte.73 Dieser nachweislichen Beschäftigung mit Kunst und Kultur zum Trotz ist die selektive Wahrnehmung von Yeats als talentiertem, aber wenig gebildetem Maler in der Literatur fortwährend tradiert worden. Gegenteilige Erkenntnisse, wie die von Dymna Halpin, die darlegen konnte, dass Yeats ein guter und ehrgeiziger Schüler war, haben bisher nicht zu einer Revision geführt.74 Auch ein früher, vermutlich 1884 verfasster Brief an seine Schwester Lily verdeutlicht die zielstrebige und beflissene Haltung des Malers  : I was pretty good in some things […] we will have French, Latin, Scripture and Recitation tomorrow and besides the weekly marks will be counted so I might have a chance of a second prize.75

Nicht nur der vermittelte Fächerkanon, sondern auch die Prägung durch die Lebenswelt der wohlhabenden Großeltern wirft ein relativierendes Licht auf die Schilderung 70 Vgl. Brief Jack B. Yeats an Quinn, 15. Dezember 1902, unpubliziert, NYPL, Foster-Murphy collection, Box 12, NYPL. Jack hob in dem Brief vor allem die »fine illustrations« des Buches hervor und bezeichnete Velásquez als »mighty chap«. 71 Siehe BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1. 72 Vgl. Boylan 1988, S. 52 f. 73 Zu Tintoretto siehe Life-Magazin, 31  : 26, 24. Dezember 1951, Inv.-Nr. Y1/JY/23/1/48 und zu Gaudier-Brzeska siehe Mappe mit Werkreproduktionen, Inv.-Nr. Y1/JY/13/1/11, beides Yeats Archive. 74 Vgl. Halpin 1986, S. 12  ; auch Arnold 1998a, S. 253, weist darauf hin, dass W. B. Yeats’ Schilderung eines einfältigen Jungen nicht den Tatsachen entsprach. 75 Brief Jack B. Yeats an Lily Yeats, undatiert, wahrscheinlich 1884, ursprünglich Besitz Michael Yeats, zitiert nach Halpin 1986, S. 12.

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einer schlichten Kindheit auf dem Lande. Schließlich wuchs Yeats in Sligo umgeben von Dienstpersonal und in einem Herrenhaus auf, das laut W. B. so groß war, dass man sich darin verstecken konnte.76 Zwar gehörten die protestantischen Großeltern nicht zum Landadel, dennoch waren sie gesellschaftlich höhergestellt, auch wenn dieser Umstand in der Yeats-Familie später gern verdrängt wurde.77 Insbesondere der als »impoverished artist«78 bekannte JBY lehnte die Nähe zur anglo-irischen Oberschicht ab und bekannte sich zum »plebian [sic] pride«79 der einfachen Bevölkerung. In diesem Zusammenhang muss der von ihm skizzierte Lebenslauf eines ungebildeten Malers auch als Versuch interpretiert werden, die anglo-irischen Spuren darin zu verwischen, konnte er doch nur so das Bild eines antiakademischen Künstlergenies mit widerspruchsloser irischer Vita entwerfen. Die Behauptung eines voraussetzungslosen Schaffens steht geradezu im Kontrast zu Jack B. Yeats’ tatsächlicher Ausbildung, die er ab 1887, nach der Rückkehr in das elterliche Zuhause in London, aufnahm. Es ist kaum vorstellbar, dass das immerhin siebenjährige Studium den Künstler in keinerlei Weise geprägt haben soll. Mit zeitlichen Überschneidungen besuchte Yeats insgesamt vier verschiedene Schulen, wobei sich Ablauf und Inhalte des Studiums wie folgt zusammenfassen lassen  : 1887 begann Yeats ein Studium an der South Kensington School of Art (1887),80 bevor er 1888 an die Chiswick School of Art (1888 – 90) wechselte, die zur Künstlerkolonie Bedford Park gehörte. Zwischen 1890 und 1893 besuchte er parallel sowohl die West London School of Art (1890 – 93) als auch die Westminster School of Art (1890 – 94), wo er 1894 das Studium beendete.81 Die in dieser Zeit vermittelten praktischen und theoretischen Inhalte sind zum Teil nachvollziehbar. An der South Kensington lag der Schwerpunkt auf Zeichnung und Design, wobei ein strenges Curriculum mit klarer Abfolge der vorgesehenen Lehrinhalte vorgegeben wurde. Die Schule war die erfolgreichste der Government Schools of Design, die unter Henry Cole (1808 – 82), dem Initiator der Great Exhibition von 1851 und Gründungsdirektor des South Kensington Museum (später Victoria and Albert Museum), initiiert worden war. Im Laufe der Zeit verlagerte sich der Fokus der Schule 76 Vgl. Yeats 1999b, S. 41. Das Dienstpersonal wird bei MacGreevy erwähnt, siehe MacGreevy, Thomas  : unpublizierte Bildbeschreibung zu He Looks about Him (1949, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Schenkung des Künstlers an MacGreevy 1952), Typoskript, vermutlich 1960er Jahre, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/142. Zur Kindheit im Merville House siehe auch Murphy 2001, S. 92. 77 Vgl. Pierce 1995, S. 12 f. 78 Eglington, John  : Irish Literary Portraits, London 1935, S. 17 zitiert nach Pierce 1995, S. 5. 79 Brief JBY an Quinn, 18. Januar 1918, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 51. 80 Die wegen ihrer Lage und seit 1857 direkten Nähe zum South Kensington Museum (heute Victoria and Albert Museum) als South Kensington School bekannte Schule wurde 1837 als School of Design in Ornamental Art gegründet und 1864 in National Art Training School umbenannt. Seit 1896 führt die Schule den Namen Royal College of Art. – Vgl. Vaughn 1998, S. 274. 81 Vgl. Pyle 1988, S. 26 ff. und Arnold 1998a, S. 36 ff. Die Reihenfolge ergibt sich aus einem Brief von Jack B. Yeats an den irischen Kunsthistoriker Thomas Bodkin vom 8. Januar 1918, unpubliziert, TCD, Bodkin, Inv.-Nr. MS 6946/1352.

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immer mehr auf die Ausbildung von Designlehrer:innen. Dieser Umstand sorgte dafür, dass das South Kensington System bei Zeitgenossen wie Ruskin oder dem irischen Schriftsteller George Moore (1852 – 1933) in der Kritik stand.82 So äußerte sich Moore 1893 folgendermaßen  : »Be sure that after five years of the Beaux Arts you cannot become a great painter. Be sure that after five years of Kensington you can never become a painter at all.«83 Dennoch verdankte Yeats dem Besuch der Schule grundlegende Kenntnisse, stand dort Kunstgeschichte ebenso wie das Zeichnen nach der Antike auf seinem Stundenplan. Zudem bot sich ihm hier die Gelegenheit, die Werke des benachbarten South Kensington Museum, das über eine umfangreiche Sheepshank- und Turner-Sammlung verfügte, zu studieren. Durch die Vermittlung seines Lehrers Thomas Armstrong, der zuvor in Paris mit James Abbott McNeill Whistler (1834 – 1903) und JBYs Lehrer Edward Poynter (1836 – 1919) gearbeitet hatte, erhielt er darüber hinaus Einblicke in die französische Malerei.84 Nach nur einem Jahr wechselte Yeats, vermutlich in Verbindung mit dem Wohnortwechsel der Familie nach Bedford Park, an die dort beheimatete Chiswick School of Art, an der ebenfalls nach dem South Kensington System unterrichtet wurde. An der 1880 gegründeten Schule stand das Zeichnen nach Abgüssen sowie das Aktstudium im Vordergrund des Lehrprogramms.85 Zudem besuchte Yeats an der Ausbildungsstätte Anatomievorlesungen, wie aus seinen Notizbüchern hervorgeht.86 Folgt man Pyle, empfing Yeats erst unter seinem Lehrer an der Westminster School of Art, Prof. Frederick Brown (1851 – 1941), wichtige Impulse für seine spätere Karriere als Ölmaler.87 Worin diese von Pyle nicht näher bezeichneten Einflüsse bestanden haben könnten, wird nachvollziehbar, wenn man Browns Werdegang und Wirken betrachtet. Dieser war im Anschluss an eine – nach eigenen Aussagen stupide88 – Ausbildung an 82 Vgl. Vaughn 1998, S. 272 – 275. Das South Kensington System wurde auch in Dublin, an der Metropolitan School of Art (seit 1877, später National College of Art and Design), angewandt. Hier wurde ähnliche Kritik geäußert. W. B. Yeats, zum Beispiel, fühlte sich in seiner Individualität nicht gefördert und nahm Anstoß an der mechanischen Lehrweise. Zudem wurden auch hier angeblich nur Lehrer und keine Künstler ausgebildet. – Vgl. Turpin 1983. 83 Moore 1893, S. 68. 84 Vgl. Pyle 1989, S. 26. 85 Vgl. Bolsterli 1977, S. 69 f. 86 Vgl. Notizbuch 1889, Privatbesitz, http://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2017/yeatsfamily-collection-l17136/lot.162.html [17.12.2022]. 87 Vgl. Pyle 1989, S. 26. Arnold 1998a ordnet die Lehre bei Brown allerdings falsch, an der South Kensington School, ein. In seinem Buch (S. 36) bezieht er sich auf ein Interview in der Irish Times Weekly vom 3. August 1914, in dem Yeats Brown als Lehrer erwähnte. Allerdings werden in dem Zeitungsbericht einige fehlerhafte Angaben gemacht, unter anderem, dass Yeats bereits mit 12 Jahren nach London gegangen sei. – Vgl. Irish Times Weekly, 3. August 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Insofern ist die Information, dass Yeats an der South Kensington unter Frederick Brown studiert hat, nicht vertrauenswürdig. Arnold übernahm demnach die Angabe, ohne zu bemerken, dass Brown zu dieser Zeit gar nicht an der Schule tätig war. 88 Vgl. Ausst.-Kat. London 1995, S. 105.

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der South Kensington School nach Frankreich gegangen, um von 1883 bis 1884 an der Pariser Académie Julian bei Joseph Nicolas Robert-Fleury (1797 – 1890) und William Adolphe Bouguereau (1825 – 1905) zu studieren. Während dieser Zeit ließ er sich vom Schaffen französischer Impressionist:innen inspirieren, sodass er im Anschluss an seine Rückkehr nach England künstlerische Ansätze dieser Strömung in sein eigenes Werk übernahm.89 In seiner antiakademischen Ausrichtung stimmte er mit anderen Zeitgenoss:innen wie etwa Walter Sickert (1860 – 1942) überein, der ebenfalls maßgeblich vom französischen Impressionismus beeinflusst war, hatte er doch 1885 bei Edgar Degas (1834 – 1917) gelernt und zwischen 1898 und 1906 in Frankreich gearbeitet.90 Gemeinsam mit anderen Kunstschaffenden gründete Brown 1886 den wegweisenden New English Art Club, deren Mitglieder – darunter ab 1888 auch Sickert – sich gegen die festen Vorgaben der Royal Academy of Art auflehnten und von da an eigene, am französischen Impressionismus orientierte Ausstellungen organisierten.91 Im Hinblick auf das Aufbruchklima, das unter Browns Ägide an der Westminster School of Art herrschte und das den jungen Künstler maßgeblich geprägt haben muss, sind dabei besonders die 1889 veranstaltete Exposition der London Impressionists und die 1893 ausgerichtete Werkschau französischer Impressionist:innen in London hervorzuheben.92 Sieht man von jenen nonkonformistischen Einflüssen ab, kann konstatiert werden, dass Yeats am Ende seiner mehrjährigen Ausbildung über umfangreiche handwerkliche Fähigkeiten, klassische theoretische Grundlagen sowie eine Kenntnis zeitgenössischer Kunstdiskurse verfügte. Die Beständigkeit des Studiums legt zudem nahe, dass Yeats durchaus an einer umfangreichen Ausbildung gelegen war. Das intensive Studium sowie das kulturell geprägte Milieu seines Elternhauses widersprechen dem von der Forschung entworfenen Bild eines rein intuitiven Künstlers und vermitteln vielmehr den Eindruck eines gelehrten Malers. Bemerkenswerterweise wurde auf diesen Umstand bereits 1911 von Ernest Marriott hingewiesen, der in seiner Yeats-Monografie gleich zu Beginn die Herausbildung des ›Künstlergenies‹ beschreibt  : 89 Vgl. Ausst.-Kat. London 1995, S. 105. 90 Vgl. Gruetzner Robins 2002, S.  XXXVII – XXXVIII. Sickert lebte zwischen 1898 und 1906 in Dieppe, Paris und Venedig. Sein Werk wurde in dieser Zeit in Paris, Venedig, München und London ausgestellt. Nach seiner Rückkehr nach London galt Sickert jüngeren Künstler:innen als Meister und Vorreiter einer englischen Moderne. – Vgl. Gruetzner Robins 2002, S. XXXI. 1885 hatte Sickert bei der Arbeit als Modell in Degas’ Atelier zentrale Einblicke in die Arbeitsweise des Franzosen erhalten. – Siehe dazu Sickert  : A Monthly Chronicle, in  : Burlington Magazine, April 1916, veröffentlicht in Sickert 2008, S. 407. 91 Zur Geschichte und den Zielen des New English Art Club siehe die grundlegende Untersuchung von McConkey 2006. 92 Vgl. Gruetzner Robins 1999, S. 47. In der im April 1893 ausgerichteten Ausstellung französischer Impressionist:innen wurden unter anderem Werke von Edgar Degas, Berthe Morisot (1841 – 95) und Claude Monet (1840 – 1926) gezeigt. Die Kerngruppe der London Impressionists, die auch Impressionist clique genannt wurde, bestand aus folgenden Mitgliedern  : Theodore Roussel (1847 – 1926), Walter Sickert, Sidney Starr (1857 – 1925), Philip Wilson Steer und Fred Brown. Die Gruppe hatte nur kurze Zeit, von 1889 bis 1892, Bestand. – Vgl. Gruetzner Robins 1995, S. 87 ff.

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Sligo […] has all the qualifications necessary for exerting a romantic influence to direct and sway the senses and the budding faculties of talented children. […] Although natural surroundings must have had effect upon the boys’ natures, there was something more important. The great moulding influence was that of their father, John Butler Yeats. This intellectual guide, himself a painter and a very subtle and profound talker, shaped and directed the growing intelligence of his sons. All through their boyhood he talked to them a philosophy of art not unlike that of Nietzsche, and […] the results of this teaching can easily be traced in their work.93

Allerdings hat Marriotts Feststellung in der Forschungsliteratur keinerlei Berücksichtigung gefunden. Dass sich die Negierung intellektueller Einflüsse für Yeats nicht nur auf externe Zuschreibungsprozesse, sei es durch JBY oder die sich daran anschließende Forschung, beschränken lässt, offenbaren frühe Selbstaussagen des Künstlers, die sich im Zusammenhang mit der Rolle Browns und den modernen Tendenzen innerhalb der britischen Kunst interpretieren lassen. So zeigt ein 1909 im Irish Independent erschienenes Interview, dass sich Yeats zu Beginn seiner Karriere als einfacher Maler stilisierte, um damit die Wahrnehmung seiner Künstlerpersönlichkeit in eine bestimmte Richtung zu lenken  : »I can’t talk art. I cannot say ten words on the subject. I work hard and live in a little village far away from those who talk art.«94 An diese Formulierung anknüpfend wurde Yeats in demselben Artikel als ein Mann der Tat beschrieben, der offenbar nicht viel Zeit auf die intellektuelle Durchdringung der Welt verwende  : »Indeed, those who see the little exhibition in the Leinster Hall will have sufficient proof that Mr. Yeats is a genuine worker, and an Irish artist we may feel proud of.«95 Yeats’ Zitat im Irish Independent verdeutlicht, wie bewusst er darauf abzielte, für sich selbst eine Künstleridentität zu entwerfen, die, bezogen auf die Tradition, der eines pictor vulgaris, eines talentierten, aber akademiefremden Malers entspricht. Die Behauptung »I don’t talk art« ist hierbei als Maxime zu verstehen, die jedwede akademische Prägung zugunsten einer Zurschaustellung als moderner, nonkonformistischer Künstler in den Hintergrund treten lassen soll. Nicht zuletzt belegt Yeats’ Aussage »I cannot say ten words on the subject«96 die Absurdität dieses Entwurfes, muss doch sein 93 Marriott 1911, S. 7 f. Der Text wurde in einer Buchrezension im Sligo Independent wiederholt, siehe Sligo Independent  : Jack B. Yeats. An Appreciation, 6. Januar 1912  ; und auch am 16. Juni 1923 machte die Irish Times auf den Umstand aufmerksam, dass »Mr. Jack B. Yeats […] from a very distinguished family of artists« komme. Beide Besprechungen abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 94 Irish Independent  : Irish Artists and Irish Types, 11. Mai 1909, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 95 Irish Independent  : Irish Artists and Irish Types, 11. Mai 1909, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Bemerkenswerterweise wurde in dem Artikel nicht darauf hingewiesen, dass Yeats zu diesem Zeitpunkt im englischen Devonshire und nicht in Irland lebte. 96 Irish Independent  : Irish Artists and Irish Types, 11. Mai 1909, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Abb. 9 Jack B. Yeats, The Double Jockey Act, 1916, Öl auf Leinwand, 61 × 46 cm, Dublin, Natio­nal Gallery of Ireland.

Abb. 10 Georges Seurat, Le Cirque, 1891, Öl auf Leinwand, 186 × 152 cm, Paris, Musée d’Orsay.

umfangreiches Studium ebenso wie die kulturelle Prägung durch sein Elternhaus geradezu als conditio sine qua non seiner Selbstinszenierung verstanden werden. Der mögliche Impetus des Künstlers offenbart sich dabei erst vor dem Hintergrund moderner Kunstdebatten. Die in den Jahren 1898 und 1899 unternommenen Reisen nach Venedig und Paris sowie die dort gesammelten Eindrücke einer europäischen Moderne werden mit dazu beigetragen haben,97 dass sich Yeats in der Folge selbst als intuitiver Maler präsentierte. So verwundert es auch nicht, dass sein malerisches Frühwerk, das ab 1910 entstand, motivische und formale Bezugnahmen auf Künstler wie Degas oder Georges Seurat (1851 – 91) erkennen lässt,98 wobei vor allem Yeats’ Gemälde von Pferderennen oder Zirkusszenen die Auseinandersetzung mit französischen Vorbildern  97 SK 8  : Italy, Venice, März/April 1898, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/8  ; SK 9  : European Tour, März/April 1898, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/9 oder SK 21  : Paris, Strete, Barnum’s Circus, Juni/Juli 1899, Inv.Nr. Y1/JY/1/1/21, unpubliziert, alle aufbewahrt im Yeats Archive.  98 Yeats hatte dabei nicht nur in Frankreich, sondern auch in Irland Gelegenheit, Werke französischer Impressionist:innen zu sehen. So besuchte er die 1908 von Hugh Lane in Dublin eröffnete Municipal Gallery of Modern Art in der Harcourt Street. – Vgl. MacGreevy 1965, o. S. Lane hatte für seine Sammlung, die sich heute in Dublin und London befindet, auch französische Werke von dem Kunsthändler Paul Durand-Ruel (1831 – 1922) erworben, darunter Gemälde von Pierre-Auguste Renoir und Edgar Degas. – Vgl. Foster 2008, S. 19. Merkwürdigerweise geht die Yeats-Forschung nicht davon aus, dass Yeats die 1893er Ausstellung französischer Impres­

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nahelegen.99 Besonders anschaulich wird das in Yeats’ 1916 inszeniertem The Double Jockey Act, der kompositorisch deutliche Parallelen zu Seurats Zirkusszene Le Cirque aus dem Jahr 1891 aufweist (vgl. Abb. 9 und 10).100 Hier wie dort steht der waghalsige Balanceakt der Artist:innen auf dem rasant galoppierenden Pferd in der Manege im Fokus. Daneben könnte auch die Bekanntschaft mit Walter Sickert einen wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, dass sich Yeats als antiakademischer Maler verstand. Um 1907 war er regelmäßig zu Gast bei Sickert, der den jüngeren Kollegen stets als anregenden Gesprächspartner empfunden haben soll.101 Yeats’ Anleihen bei Sickert manifestieren sich zunächst in einer Vorliebe für regionale Sujets sowie in einer tonalen Farbgebung,102 später auch in den für beide Künstler typischen Theaterdarstellungen. Als Beispiel sei hier Sickerts Music Hall-Gemälde Gatti’s Hungerford Palace of Varieties, Second Turn of Katie Lawrence genannt, das 1888, im Jahr seiner Entstehung, im New English Art Club ausgestellt wurde. Es zeigt die Sängerin Katie Lawrence während ihres Auftritts sio­nis­t:innen in London gesehen hat. Dies ist aber bedingt durch das Studium bei Brown, der Mitorganisator der Ausstellung des New English Art Club war, mehr als wahrscheinlich.  99 Pyle bemerkt in diesem Zusammenhang die Ähnlichkeiten zwischen Degas’ und Yeats’ Werk, hält es aber für unwahrscheinlich, dass Yeats die Bilder des Franzosen gesehen und somit als Vorlage herangezogen hat. – Vgl. Pyle 1989, S. 107. Sie schreibt dort  : […] stylistically there is a good deal to compare, especially in the horse paintings. However, Yeats never referred to the other painter [Degas, Verf.] and the similarity could be incidental.« Von einer zufälligen Ähnlichkeit ist allerdings wohl kaum auszugehen, immerhin hat Yeats beständig Reproduktionen von Kunstwerken alter und neuer Meister gesammelt. Zudem muss sich Yeats mit Bildwerken von französischen Impressionist:innen vertraut gemacht haben, wie etwa dessen Lektüre von George Clausens 1904 publizierten Six Lectures on Painting nahelegt. Darin findet sich ein Kapitel zu Realism and Impressionsm, in dem Degas’ Werk gefeiert wird. – Vgl. Clausen 1904, S. 130 f. Das Buch ist in Yeats’ Bibliothekskompendium notiert. – Vgl. BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1. 100 Zum Zirkusthema bei Yeats siehe Ausst.-Kat. Dublin 2007  ; zum Sujet des Zirkus bei Seurat etwa Smith 1997, S. 132 – 139. 101 Laut Sickerts Frau war Yeats wohl einer der wenigen Gesprächspartner, die Sickert gern zu sich einlud. – Vgl. White 1957, S. 120. Bislang ist umstritten, wann genau Yeats und Sickert sich getroffen haben. Arnold nimmt als einziger den Zeitraum um 1907 an. – Vgl. Arnold 1998a, S. 163. Dies scheint plausibel, lebten doch beide zu dem Zeitpunkt in England. Ab 1910 lebte Yeats in Irland und kam nur für Besuche nach London  ; S. B. Kennedy geht von den 1920ern aus. – Vgl. Kennedy 1991b, S. 27 – 28. Vermutlich bezieht sich Kennedy hier auf den 1924 datierten Brief von Sickert an Yeats. Darin berichtet Sickert, dass er Yeats’ aktuelle Ausstellung in London gesehen und sehr genossen habe. – Vgl. Brief Sickert an Jack B. Yeats, Januar 1924, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/5/2/74  ; Pyle wiederum nennt keinen Zeitraum und weist lediglich darauf hin, dass beide sich kannten und ausgetauscht haben. – Vgl. Pyle 1989, S. 108 f. 102 Als beispielhaft für das tonal gehaltene Schaffen beider Künstler können hier folgende Werke aufgeführt werden  : Walter Sickert, The Old Church, Dieppe, 1905, Öl auf Leinwand, 33 × 41 cm, Dublin, Hugh Lane Gallery und Jack B. Yeats, Empty Creels, 1913, Öl auf Leinwand, 23 × 36 cm, Dublin, Hugh Lane Gallery.

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Abb. 11 Walter Sickert, Gatti’s Hungerford Palace of Varieties, Second Turn of Katie Lawrence, ca. 1888, Öl auf Leinwand, 38,1 × 47 cm, New Haven, Yale University Art Gallery.

Abb. 12 Jack B. Yeats, Patriotic Airs, 1923, Öl auf Leinwand, 35,5 × 46 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

in einem Varietétheater, wo sie vor einem Kulissenvorhang steht (Abb. 11). Der erweiterte Bildausschnitt gewährt den Betrachtenden dabei nicht nur einen Blick auf die Protagonistin, sondern auch ins Publikum.103 In ganz ähnlicher Weise konfrontiert uns Yeats’ 1923 geschaffenes Gemälde Patriotic Airs mit den visuellen und dramaturgischen Elementen einer Vorführung. In dem Bild studiert ein Dirigent im Dubliner Gaiety Theatre während einer Vorstellungspause mit seinem Publikum patriotische Lieder ein (Abb. 12). Wie bei Sickert bleibt der eigentliche Bühnenraum verschlossen, stattdessen steht der Orchesterleiter vor einem Vorhang, der mehrere Werbetafeln präsentiert. Sowohl Sickert als auch Yeats nutzten das Genre somit für die Reflexion unterschiedlicher Wahrnehmungsebenen sowie die Thematisierung ästhetischer Grenzlinien. Im Gegensatz zur Meinung der Kritiker:innen, die Yeats’ ungeschliffene Bearbeitung irischer Themen beinahe ausschließlich im Sinne einer nationalen Lesart verstanden wissen wollten, ist dessen eigene Darstellung als ›ungeübter‹ Maler folgerichtig eher an die Konzepte internationaler, moderner Kunstdebatten rückzubinden. Immerhin wurde nicht nur in Irland, sondern auch in Kontinentaleuropa und Großbritannien, etwa von Sickert oder der Gruppe der Vortizisten,104 für den Entwurf einer eigenen 103 Weiterführend zu Sickerts Music Hall-Darstellungen siehe etwa Corbett 2000. 104 Sickert plädierte für eine eigene landestypische Kunst, die von fremden Überformungen unbeeinflusst sein sollte. – Siehe dazu etwa seine mit Straws from Cumberland Market betitelte Vorlesungsreihe im Januar 1924, die im Londoner Royal Institute veranstaltet wurde, abgedruckt in Emmons 1992, S. 246. Ganz anders äußerte sich die Forderung nach Eigenheit bei den Vortizisten (von lat. vortex = Wirbel, Sturm). Die Gruppe wurde 1914 gegründet und hatte bis 1918 Bestand. Die Texte des von verschiedenen Künstlern, wie Ezra Pound, Wyndham Lewis und Henri Gaudier-Brzeska, herausgegebenen Manifestes Blast, das lediglich in zwei Ausgaben erschien, forderten auf polemische Art und Weise eine neue, vom traditionellen Großbritannien losgelöste und am Austausch mit einer internationalen Moderne interessierte Bildsprache für die englische

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Bildsprache plädiert, die ihrem Wesen nach voraussetzungslos sein sollte.105 Yeats machte sich diese Vorstellungen eines unabhängigen Künstlertypus für seine eigene Vita zunutze, wobei gerade dieser Umstand von irischen Zeitgenoss:innen als genuin landestypisch ausgedeutet wurde. Dass Yeats’ zur Schau gestellte ›otherness‹ letztlich dem gängigen Modus Operandi moderner Künstler:inneninszenierungen entsprach,106 ist bis heute, als Folge einer dominierenden nationalen Wahrnehmung seines Wirkens, weitestgehend übersehen worden.107 Diese eingeschränkte Perspektive, die dazu tendiert, das Wirken des Künstlers in einem regionalen Vakuum zu verorten, hat ihren Ursprung in einer stark biografisch orientierten Forschung. Durch diese Herangehensweise wird mittels der späteren Fremdbeschreibung die ursprüngliche Selbstdarstellung perpetuiert und die »Legende vom Künstler«108 fortgeschrieben. So äußerte etwa Pyle unter Bezugnahme auf ein Zitat von Yeats’ Schwester Lily, dass das Werk des einzelgängerischen Malers im Wesentlichen ohne Einflüsse entstanden sei  : Lane’s exhibition in Dublin of modern pictures had a certain effect on his work. But Life, and studying from life, took precedence over what any other artist could teach him. His sister, Lily Yeats, felt the habit of working independently had been formulated in his youth […]  : »he reigned alone and got the solitude he always needs – wanderings alone – drawing alone.«109 Kunst. Die anfängliche Nähe zu italienischen Futuristen lehnte die Gruppe jedoch recht bald ab. Der Fokus der Werke lag auf einer dynamischen Abstraktion, was sich unter anderem im Motiv des Tanzes oder einer von harten Kanten geprägten Maschinenästhetik äußerte. – Siehe dazu Ausst.-Kat. Hannover 1996. Yeats hat sich bemerkenswerterweise sehr für die abstrakten bildhauerischen Werke von Henri Gaudier-Brzeska interessiert, wie eine (unpublizierte) Mappe von Reproduktionen in seiner Sammlung belegt. – Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/15/1/11. 105 Weiterführend zum Finden einer eigenen, national ausgerichteten Formensprache in Europa um 1900 siehe Facos/Hirsh 2003. 106 Zu verschiedenen Strategien moderner Künstler:inneninszenierungen siehe etwa Laferl 2014. Laut Krieger war das Bild des modernen Künstlers seit 1800 insbesondere von den Aspekten der Innerlichkeit und des gesellschaftlichen Außenseitertums geprägt. – Vgl. Krieger 2007, S. 44. 107 Lediglich Cusack hat 2011 dezidiert darauf hingewiesen, dass Yeats sich eine bestimmte Künstleridentität zugelegt und als Außenseiter inszeniert habe  : »Yeats adopted an independent and even eccentric persona. That the artist should be outside bourgois society was a typical modernist con­ struction, and Yeats dressed the part of the unconventional outsider, wandering the Dublin quays in ›a curiously shaped black hat with a large silver buckle, a long black coat […] like a gaunt but kindly uncle out of some fairy-tale.‹ It was against bourgeois conventionality that Yeats invoked an alternative, unmediated life, associated with the Ireland of his youth as the goal and substance of a new Irish art«, Cusack 2011, S. 50. Das von Cusack aufgeführte Zitat stammt von McHugh 1971, S. 20. 108 Kris und Kurz wiesen darauf hin, dass »nicht der Lebenslauf des Künstlers, sondern das Urteil von Mit- und Nachwelt […], die Künstlerbiographik im weitesten Sinn«, entscheidend sei für das Bild beziehungsweise die »Legende vom Künstler«, Kris/Kurz 1995, S. 22. 109 Pyle 1992, Bd. 1, S. XXXIII. Pyle zitiert hier einen Brief von Lily Yeats an Constantine ›Con‹ Curran, 24. März 1941, University College Dublin, Special Collections. Der Tenor dieses Briefes

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Pyles Lesart ist insofern fragwürdig, als Yeats, gerade zu Beginn seiner Karriere, sehr wohl häufig mit anderen Künstler:innen zusammenarbeitete. 2.1.3 Künstlerische Anfänge So entstanden um 1900 gemeinschaftliche Werke mit der angloamerikanischen, in London ansässigen Künstlerin Pamela Colman Smith (1878 – 1951). Zwischen 1902 und 1903 gaben Smith und Yeats bei dem britischen Verleger Elkin Mathews (1851 – 1921) großformatige Einblattdrucke heraus, die sie jeweils als A Broad Sheet betitelten.110 Zusammen mit Mathews realisierte Yeats zudem die Veröffentlichung mehrerer Papiertheaterstücke. Deren Figuren und Bühnenbilder entwarf er gemeinsam mit seiner Frau Mary Cottenham Yeats (1863 – 1947), die selbst als Künstlerin tätig war.111 Die Arbeit an den Broad Sheets setzte Yeats in dem von Juni 1908 bis Mai 1915 währenden Projekt der Broadsides fort, bei denen es sich wiederum um künstlerische Drucke handelte, die jedoch auf drei Seiten gestaltet wurden und in einem kleineren Format erschienen. Gedruckt wurden die Blätter, für die Yeats sämtliche Illustrationen und gelegentlich auch Texte beisteuerte, zunächst in der Dun Emer Press und dann in der Cuala Press, die von seinen Schwestern Lily und Lolly Yeats betrieben wurden.112 Darüber hinaus arbeitete der Maler eng mit dem irischen Dramatiker John Millington Synge (1871 – 1909) zusammen, mit dem er von Juni bis Juli 1905 im Auftrag der britischen Tageszeitung Manchester Guardian den irischen Westen bereiste, um dort über die verarmten Gebiete, die sogenannten Congested Districts, zu berichten. Im Zuge dessen sollten sie sowohl die desolaten Lebensbedingungen als auch die bereits erkennbaren Fortschritte des Congested Districts Board for Ireland (CDB) dokumentieren.113 Hierfür lieferte Synge zwölf Artikel, zu denen Yeats fünfzehn Illustrationen beisteuerte.114 findet sich auch in Pyles Yeats-Biografie wieder, in der sie schreibt  : »When he left Art School Jack Yeats did not seek out the studios or society of established artists […]. He worked alone«, Pyle 1989, S. 32. 110 Vgl. Pyle 1994, S. 32. 111 Zwischen 1901 und 1903 entstanden drei Miniature Plays  : James Flaunty, or, The Terror of the Western Seas (1901), The Scourge of the Gulp (1901) und The Treasure of the Garden (1903). – Vgl. Pyle 1994, S. 29. Dass Yeats’ Frau Cottie bei der Realisierung der Theaterstücke half, war bis dato in der Literatur nicht bekannt. Die Zusammenarbeit geht aus einem Brief von Yeats an seinen Verleger hervor. Darin entschuldigt sich Yeats für die Verzögerung der Zusendung der Drucke und versichert, dass sowohl er als auch »Mrs. Jack« seit zwei Wochen ununterbrochen an der Handkolorierung arbeiten würden. – Vgl. Brief von Jack B. Yeats an Elkin Mathews, 1902, unpubliziert, Morgan Library, MA 4500. 112 Vgl. Pyle 1994, S. 33 – 34. Die Drucke messen 280 × 190 mm und wurden zunächst von Yeats in Feder und Tusche als Druckvorlage illustriert. Die Dun Emer Press bestand bis 1908 und ging danach in die von Lily und Lolly Yeats gegründete Cuala Press über. 113 Vgl. Grene 2009, S. XL – XLII. 114 Vgl. Bhreathnach-Lynch 1997a, S. 144 sowie Bourke 2003, S. 29.

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Yeats und Synge verband bis zum frühen Tod des Dramatikers im Jahr 1909 eine enge Freundschaft. Beiden gemein war, dass sie sich innerhalb ihres primären Mediums intensiv mit der irischen Lebenswelt auseinandersetzten. Was Yeats betrifft, fand diese Beschäftigung jedoch zunächst aus der Ferne statt, lebte er doch zu diesem Zeitpunkt im südenglischen Devon, wo er sein Geld als Illustrator für diverse englische Zeitschriften verdiente.115 Am längsten währte seine Arbeit für das Satiremagazin Punch, für das er ab 1896 erste Zeichnungen anfertigte und schließlich von 1910 bis 1941 regelmäßig unter dem Pseudonym W. Bird tätig war.116 In den grafischen Auftragsarbeiten hielt Yeats englische Alltagsszenen oder Sportereignisse wie Boxkämpfe und Pferderennen fest. Die Aufträge sicherten ihm bereits während des Studiums finanzielle Unabhängigkeit, was umso wichtiger war, wenn man an die wenig einträgliche Porträtmalerei seines Vaters denkt.117 Fraglich ist allerdings, inwiefern sich diese Vielfalt an Kooperationen und Aufträgen mit dem von Pyle und anderen Autor:innen beschriebenen angeblichen Einzelgängertum übereinbringen lässt.118 Bemerkenswerterweise weist Pyle an anderer Stelle auf die künstlerischen Bezüge hin, die Yeats’ Illustrationen zu entnehmen seien. So werden unter anderem die fantastischen Werke von Richard Doyle (1824 – 83) oder die lebhaften Arbeiten von George Cruikshank (1792 – 1878) als denkbare Vorbilder genannt.119 Dabei haben diese offenkundigen Widersprüche, die Pyles divergenter Darstellung des Künstlers innewohnen, ihren Ursprung vermutlich darin, dass die Autorin Yeats’ eigener »erzähl­ ter Lebensgeschichte«120 noch zu sehr verhaftet ist und diese als Ausdruck von Wahrhaftigkeit versteht. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von der »natürlichen Komplizenschaft des Biographen«, der nicht nur bereit sei, die »Neigung [des Künstlers], sich zum Ideologen des eigenen Lebens zu machen«, nachzugeben, sondern auch, »diese künstliche Sinnschöpfung zu akzeptieren«.121 Mittels ihrer anekdotischen Er115 Hierzu zählten die Magazine Vegetarian (ab 1888), Paddock Life (1891 bis 1894) und Ariel or London Puck (ab 1891). Weiterführend zu Yeats’ Tätigkeit als Illustrator siehe Connerty 2021. 116 Vgl. Pyle 1989, S. 32 – 41  ; zu Yeats’ Anfängen als Illustrator für Magazine und Bücher sowie als Karikaturist und Comiczeichner siehe zudem Pyle 1994, S. 14 – 27. Als Comiczeichner entwarf Yeats unter anderem die Figur des »Chubblock Homes«, eine Parodie auf Arthur Conan Doyles (1859 – 1930) Meisterdetektiv Sherlock Holmes, für das von 1892 bis 1901 erschienene Satiremagazin Funny Wonder  ; laut Halpin ist das von Yeats gewählte Pseudonym »W. Bird« als humurvolle Anspielung auf die Initialen seines Bruders W. B. zu verstehen.  – Vgl. Halpin 1986, S. 14. 117 Jack B. Yeats’ Schwester Lily schrieb in einem Brief, dass John Butler Yeats seiner kranken Ehefrau nicht die notwendige medizinische Hilfe zuteilwerden lassen konnte, da seine finanziellen Mittel nicht ausreichten. Anstatt seiner übernahm Jack B. Yeats die Verantwortung und kam mit seinen frühen Verdiensten als Illustrator für die Behandlungen auf. – Vgl. Murphy 1995, S. 277 f. Er zitiert einen Brief von Lily an Ruth Pollexfen, 15. Oktober 1934. 118 Etwa White 1971a  ; White 1957  ; Kennedy 2016. 119 Vgl. Pyle 1994, S. 16. 120 Bourdieu 1998, S. 81. Für den Aspekt der Konstruktion der eigenen Biografie im Kontext einer zielgerichteten Sinngebung siehe das Kapitel »Die biographische Illusion«, S. 75 – 83. 121 Bourdieu 1998, S. 76.

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Abb. 13 Jack B. Yeats, The Safety Lather, 1912, Tusche und Bleistift, 191 × 267 mm, Dublin, ­National Gallery of Ireland.

Abb. 14 Théophile-Alexandre Steinlen, Gil Blas, ­Cover, Nr. 23, 8. Juni 1900.

zählweise suggeriert Pyle letztlich eine persönliche Nähe zum Künstler und ein damit einhergehendes hohes Maß an Authentizität, womit sie sich an einer spezifischen Strategie moderner Künstlerbiografien seit dem 19. Jahrhundert orientiert.122 Hinterfragt man jedoch Yeats’ »autobiographische Erzählung«123 und denkt Pyles zaghafte Versuche einer ikonografischen Einordnung seines Œuvre weiter, dann wird spätestens bei der Sichtung des umfangreichen, vom Künstler zusammengetragenen Bildmaterials deutlich,124 dass dessen Verneinung jedweder künstlerischer Aneignung kaum der Wahrheit entsprach.125 Dies trifft bereits für dessen frühes Schaffen zu. 122 In Pyles Biografie finden sich zahlreiche Anekdoten, die offenbar lediglich mündlich tradiert und demzufolge nicht mit Quellen belegt wurden. Zudem evoziert auch die auf den Bänden des Catalogue raisonné angebrachte, stark vergrößerte Signatur den Eindruck der Nähe zwischen Werkkatalog und Künstler. Zur zentralen Bedeutung der Signatur als Ausdruck von Authentizität, siehe etwa Borchardt 2007, S. 276 ff.; zur modernen Künstlervita, die sich stark auf Selbstaussagen der zu beschreibenden Künstler:innen stützt, wie etwa Théophile Silvestres 1856 in Paris veröffentlichte Vitensammlung L’Histoire des Artistes vivants. Études d’après Nature, siehe etwa Marchal 2016, S. 120. 123 Bourdieu 1998, S. 76. 124 Dies bestand aus Magazinreproduktionen, Kunstpostkarten und diversen anderen Vorlagen. 125 Irish Independent  : Irish Artists and Irish Types, 11. Mai 1909, abgeheftet in ZA, Yeats Archive,

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Schließlich sammelte Yeats zwischen 1895 und 1900 mehrere Ausgaben des französischen Magazins Gil Blas.126 Die darin enthaltenen, unter anderem von ThéophileAlexandre Steinlen (1859 – 1923) stammenden und dem Jugendstil verpflichteten Illustrationen könnten ihm als Vorlage seiner eigenen Arbeiten jener Zeit gedient haben, wobei insbesondere die lebhaft-humoristischen Genreszenen im Punch an die französischen Darstellungen erinnern. So scheint etwa die am 27. November 1912 im PunchMagazin veröffentlichte Grafik The Safety Lather, die die Gefahren einer Rasur karikiert (Abb. 13), stilistische Anleihen am Gil Blas-Cover vom 8. Juni 1900 zu nehmen (Abb. 14). Mit dem Empfang eines ungleichen Paares in einem Künstlerrestaurant am Montmartre hatte Steinlen Georges Maureverts Kurzgeschichte Gueule-de-raie illustriert. Trotz inhaltlicher Unterschiede ist beiden Szenen eine detaillierte Schilderung scherzhafter Motive eigen, die auf pointierte Weise ins Bild gesetzt werden. 2.1.4 Hinwendung zu Irland Parallel zu seinen Illustrationsaufträgen wandte sich Yeats in kleinformatigen Aquarellen irischen Sujets zu, die 1899 erstmals in Einzelausstellungen in London und Irland präsentiert wurden.127 Die Auseinandersetzung mit Irland vertiefte sich in der Folge durch regelmäßige Reisen, die den Künstler vornehmlich in den Westen der Insel führten.128 Aufschlussreich ist, wie früh sich im Zusammenhang mit der Yeats-Rezeption der Topos vom nationalen Maler etablierte, denn obwohl sich dieser erst ab 1910 dauer­haft in Irland niederließ, besprach ihn die dortige Presse schon ab 1899 als genuin irischen Künstler.129 Jene Zuschreibung mag der Bekanntheit seines älteren Bruders W. B. Yeats geschuldet sein, den man zu diesem Zeitpunkt als zentralen Vertreter des sogenannten Celtic Revival feierte. Immerhin boten sich Jacks bildliche Entwürfe als ideale Ergänzung oder Erweiterung eines künstlerischen Wiedererwachens Irlands an. Es ist bezeichnend, dass im Kontext der kulturellen Selbstbestimmungsprozesse Irlands jedwede britischen Einflüsse negiert wurden, die noch Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem für Maler:innen und Schriftsteller:innen, existenziell gewesen waren. Hinsichtlich der schlechten Karrierechancen eines irischen Künstlers im eigenen Land schrieb der Dramatiker George Bernard Shaw (1856 – 1950) 1921  : Y1/JY/4/2/1. In dem Artikel wurde Yeats mit folgenden Worten zitiert  : »I […] live in a little village far away from those who talk art.« 126 Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/23/4/8. Das Magazin Gils Blas erschien zwischen 1879 und 1914 täglich, von 1921 bis 1940 dann nur noch sporadisch. 127 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, S. XII. 128 Vgl. Pyle 1989, S. 32  ; Pyle 1992, Bd. 1, S. XII. 129 Siehe etwa Æ, in  : Express, 1899. Er spricht in der Rezension von »racial emotions«  ; auch Free­ man’s Journal, 1899. Darin ist von Arbeiten die Rede, die »racy of the soil« seien  ; ebenso auch Irish Independent  : Irish Artists and Irish Types, 11. Mai 1909. Darin wird Yeats als genuin irischer Maler vorgestellt. Alle Texte abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Every Irishman who felt that his business in life was on the higher planes of the cultural professions felt that he must have a metropolitan domicile and an international culture  : that is, he felt that his first business was to get out of Ireland.130

Um 1900 kam es schließlich zu einem entgegengesetzten Phänomen, das Cullen und Foster wie folgt schildern  : Irish talent was exported to London in the nineteenth century  ; by the turn of the twentieth, it was being imported back, with interest, to an Ireland undergoing political radicalisation and cultural renaissance.131

In der Folge verlagerten viele irische Künstler:innen ihr intellektuelles und kulturelles Zentrum von London nach Dublin, wo sie aufgrund des politischen und kulturellen Wandels eine Aufgabe und Chance sahen. Hatte man noch 1891/92 gefragt  : »The Irish Intellectual Capital – Where is it  ?«,132 war bereits zur Jahrhundertwende klar, dass es sich dabei um Dublin handeln müsse.133 Noch vor Jack B. Yeats siedelten dessen Geschwister ihr Schaffen nacheinander in Irland an. W. B., der zuvor in London einen Kreis irischer Autor:innen etabliert und die Irish Literary Society mitgegründet hatte, um der »denationalisation«134 Irlands Einhalt zu gebieten, rief 1904 gemeinsam mit Lady Augusta Gregory (1852 – 1932) in Dublin das Abbey Theatre, das bis heute bestehende irische Nationaltheater, ins Leben.135 Susan Mary (Lily) Yeats transferierte, nachdem sie sich als Stickerin im Workshop von May Morris (1862 – 1938), der Tochter William Morris’ (1834 – 96),136 betätigt hatte, die Prinzipien des Arts and Crafts Movement nach Irland, wo sie zusammen mit ihrer Schwester Elizabeth Corbet (Lolly) die Dun Emer Industries sowie die Cuala Press aufbaute.137 130 Shaw 2001a, S. 10. 131 Ausst.-Kat. London 2005, kuratorisches Vorwort, S. 10. 132 Frayne, John P. in  : Yeats 1970a, S. 222. 133 Vgl. Ausst.-Kat. London 2005, S. 24. 134 Yeats 1970b, S. 223. W. B. Yeats gründete die Gesellschaft zusammen mit T. W. Rolleston im Dezember 1891. Yeats formulierte das Ziel der Gründung wie folgt  : »It was with the desire to do what we could to arrest this denationalisation that we founded the ›Irish Literary Society, London‹, and not to do anything absurd and impossible as to make London ›the intellectual centre of Ireland‹ […]«, Yeats 1970b, S. 223. 135 Vgl. Foster 2005, S. 23 f. W. B. Yeats siedelte zwar sein Schaffen in Irland an, allerdings pendelte er bis 1922 zwischen seinen Wohnsitzen in Irland und London hin und her. Erst mit der Gründung des Irischen Freistaates, 1922, ließ er sich, auch aufgrund seiner Senatorentätigkeit dauerhaft in Dublin am Merrion Square nieder. – Vgl. Howes 2006b, S. 11 – 14. 136 Vgl. Pyle 1997, S. 35 f. Lily Yeats arbeitete von 1888 bis 1894 in May Morris’ Workshop. 137 Vgl. Foster 2005, S. 23. Ab 1900 ließen sich die beiden Schwestern in Dublin nieder. Die Mutter Susan Mary Yeats, geb. Pollexfen, die denselben Namen wie ihre älteste Tochter trug, starb im selben Jahr  ; weiterführend zum irischen Arts and Crafts Movement etwa Bowe 1989.

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Welche Rolle dabei die Identifikation mit Irland einerseits und die Ausblendung fremder Impulse andererseits spielte, verdeutlicht eine Aussage Jack B. Yeats’ über seinen Freund Synge  : Synge had travelled a great deal in Italy in tracks he beat out for himself, and in Germany and in France, but he only occasionally spoke to me about these places. I think the Irish peasant had all his heart.138

Yeats’ rhetorische Nobilitierungsstrategie spiegelt dabei zugleich seine eigene Haltung wider, richtete doch auch er sein Augenmerk auf das ländliche Leben, das in seiner ›Ursprünglichkeit‹ als ideale Projektionsfläche für ein junges Land diente. Die Künstlerin und Kritikerin, Norah McGuinness (1901 – 80), wiederum hat darauf hingewiesen, dass das Zugehörigkeitsgefühl zu der selbsterklärten Heimat für jeden Künstler, abhängig von dessen gesellschaftlicher Herkunft, jeweils anders ausgefallen sei  : Every Irish artist […] had individually to define what it meant to be an »Irish artist«. As an Anglo-Irish writer, an outsider in both countries […], he [W. B. Yeats, Verf.] was in a very ambiguous situation. What was said of WB applies to Jack as well  : »In London he was an Irishman among Englishmen, in Sligo a Protestant among Catholics, at Merville a Yeats among Pollexfens. […] he was destined never to become a member of the majority no matter where he went.«139

Anglo-irische, protestantische Intellektuelle wie die Yeatses fühlten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts weder zur anglo-irischen Ober- noch zur katholischen Mittelschicht zugehörig.140 Historisch bedingt galt die sogenannte Anglo-Irish Ascendancy oder Protestant Ascendancy in Irland als herrschende Klasse. Die Etablierung dieser Schicht ging auf die zu Beginn des 17. Jahrhunderts stattfindende Ulster Plantation, die gezielte Besiedlung schottischer und englischer Protestanten in der nördlichen Provinz Ulster, zurück, die im Zuge der englischen Kolonialpolitik der Machtsicherung Irlands dienen sollte.141 138 Yeats 1911, S. 42. 139 McGuinness 1992, S. 14. Das Zitat stammt aus Murphy 2001, S. 113. 140 Vgl. Castle 2001, S. 8 f. 141 Vgl. Elvert 1993, S. 187 f. Vorangegangen war der Besiedlung die sogenannte Flucht der Grafen (Flight of the Earls), der gälischen Herrscher in Ulster. Hugh O’Neill, der am englischen Hof erzogen worden war, galt der englischen Krone unter Elizabeth I. in Irland zunächst als Verbündeter. Als nach der Konsolidierung Irlands im Süden und Südwesten die Machtherren jedoch weiter in Richtung Norden expandieren wollten, ließ sich O’Neill in gälischer Tradition zum Clan-Oberhaupt ausrufen und verbündete sich mit anderen nordirischen Fürsten. Aus dieser Rebellion erwuchs schließlich der Neunjährige Krieg (1594 – 1603), in dem O’Neill den spanischen Herrscher Phillip II. um militärische Hilfe bat, die allerdings erst 1601 unter Phillip III. zu einem ungünstigen Zeitpunkt kam, als der Krieg der Rebellenführer bereits verloren galt.

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Daraufhin kam es nicht nur zur Übertragung gälisch-katholischer Landbesitzungen an englische Siedler,142 sondern, begründet durch die seit 1691 zum Einsatz kommenden Penal Laws, auch zu zahlreichen weiteren Einschränkungen für die irisch-katholische Bevölkerung. Die antikatholischen Strafgesetze waren durch das irisch-protestantische Parlament erlassen worden,143 nachdem König Wilhelm III. in der 1690 ausgetragenen Schlacht am irischen Fluss Boyne den zuvor abgesetzten katholischen Herrscher Jakob II. besiegt hatte, der den englischen Thron von Irland aus zurückerobern wollte. Die jakobitischen Belagerer waren daraufhin zum Rückzug gezwungen, wodurch Irland wieder in protestantische Hände fiel.144 In der Folge wurde Katholiken etwa der Kauf von Land untersagt, die Erziehung im katholischen Glauben verboten oder das Wahlrecht entzogen.145 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts entwickelte die Ascendancy jedoch eine eigenständige kolonial-nationale Identität, die zuvor von protestantischen Denkern wie ­William Molyneux (1656 – 98) theoretisch artikuliert worden war.146 Vor allem durch den Ausgang des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges fühlten sich Vertreter der Ascen­ dancy in der Überzeugung bestärkt, dass eine irische Unabhängigkeit zu einer besseren Zusammenarbeit mit Großbritannien führen würde.147 Unter dem protestantischen Politiker Henry Grattan (1746 – 1820) wurde 1782 schließlich die legislative Unabhängigkeit von Großbritannien erreicht, was einen Höhepunkt für das irische Parlament und die Ascendancy bedeutete.148 Dieses Phänomen, nach dem das Bedürfnis nach nationaler Identität am stärksten von einer vermeintlich von außen kommenden Gruppe artikuliert wurde, lässt sich in jener Zeit auch für andere Länder Europas konstatieren. 1603 unterwarfen sich die Fürsten der englischen Herrschaft, die dem gälischen Adel sukzessive alle Befugnisse in Ulster entzogen, sodass O’Neill und seine Gefolgschaft Irland 1607 für ein europäisches Exil verließen. Dies bedeutete das Ende der gälischen Aristokratie in Ulster. – Vgl. Evert 1993, S. 171 – 178. 142 Besonders forciert wurden die Enteignungen unter Oliver Cromwell (1599 – 1658), der ab 1652 eine antikatholische Neuordnung in Irland vornehmen wollte. Als Folge dieser Politik, die mit dem Leitspruch »to hell or to Connacht« überschrieben war, kam es dabei auch zu Zwangsumsiedlungen der irischen Bevölkerung in unfruchtbare Regionen wie Clare oder Connacht. – Vgl. Elvert 1993, S. 232 f. 143 Erst 1829 wurden die Penal Laws abgeschafft. – Vgl. Breuer 2003, S. 67. 144 Vgl. Elvert 1993, S. 247 – 256. Wilhelm III. von Oranien-Nassau, Stadthalter der Niederlande, wurde als Folge der sogenannten Glorreichen Revolution 1689 König von England, wobei Jakob II. aus dem Haus Stuart nach Frankreich ins Exil ging. Er kehrte mit der Hilfe Ludwigs XIV. nach Irland zurück, um von dort den englischen Thron zurückzugewinnen. 145 Die Maßnahmen dienten sämtlich der Unterdrückung und verliehen der zu erreichenden protestantischen Vormachtstellung Ausdruck. – Vgl. Breuer 2003, S. 64. 146 Vgl. Elvert 1993, S. 267 – 275. Die Schrift von Molyneux erschien 1698 unter dem Titel The Case of Ireland’s Being Bound by Acts of Parliament in England, Stated. Seine Abhandlung wurde später auch von nordamerikanischen Kolonisten gelesen und hatte so Einfluss auf die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung. – Vgl. Elvert 1993, S. 272 f. 147 Vgl. Elvert 1993, S. 289. 148 Vgl. Breuer 2003, S. 67 f.

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Als beispielhaft hierfür kann Böhmen gelten, wo eine deutschsprachige Aristokratie Identitätsdebatten mitbestimmte, aber auch Finnland, wo sich eine schwedische Gemeinschaft als Wortführer etablierte. Hier wie dort wurde der Kampf um politische und kulturelle Selbstbestimmung dabei jenseits territorial formulierter Grenzen ausgefochten.149 Allerdings sah bereits der 1800 beschlossene Act of Union nicht nur die ­Vereinigung der Königreiche Großbritannien und Irland vor, sondern auch die Abschaffung von Grattan’s Parliament. Hierdurch sollte die protestantische Opposition in Irland geschwächt werden. Zugleich beförderte der Act of Union in Irland die Idee der Catholic Emancipation, die unter dem als »Liberator« bekannten Daniel O’Connell (1775 –  1847) 1829 durchgesetzt wurde, wodurch Katholiken zukünftig mehr Rechte erhielten. Aus O’Connells friedlicher Bewegung ging schließlich 1842 das Young Ireland Movement hervor, deren Anhänger bereit waren, für die Abschaffung des Act of Union (Repeal of the Union) und Irlands Unabhängigkeit auch militärische Mittel einzusetzen.150 Der Umstand, dass die irische Frage im Laufe der Zeit sowohl von protestantischer als auch von katholischer Seite verhandelt wurde, zeigt, dass die Konstruktion einer irischen Identität – wie auch im Falle anderer Kulturen – nicht als einheitlicher, sondern vielmehr als »diskursiver Entwurf«151 zu verstehen ist. Wie widerstreitend die Haltungen im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen waren, demonstriert das Beispiel David Patrick Morans (1869 – 1936). Der Herausgeber der Zeitschrift The Leader trat um 1900 für einen dezidiert ethnozentrischen Nationalismus ein, da ihm die etablierte Form des Patriotismus als zu protestantisch und folglich in ihrem Ursprung als unirisch erschien. Morans Kritik richtete sich dabei vor allem gegen anglo-irische Intellektuelle wie W. B. Yeats.152 149 Zur Verortung der irischen Unabhängigkeitsbestrebungen in einem internationalen Kontext siehe Augusteijn 2012, hier S. 20. 150 Vgl. Breuer 2003, S. 83. 151 Hall 1994, S. 206. 152 Vgl. Jackson 1999, S. 187. Unter D. P. Moran wurde die nationalistische Idee von Irish-Ireland geprägt, die antiprotestantisch und prokatholisch war. 1905 veröffentlichte er seine Kernvorstel­ lungen in einer mit The Philosophy of Irish Ireland betitelten Aufsatzsammlung, die verschiedene, zwischen 1898 und 1900 in der Zeitschrift New Ireland Review erschienene Texte zusammenfasste. – Vgl. Jackson 1999, S. 187. Paradox ist, dass auch Moran einen »London-Irish background« hatte, war er doch vor seiner Niederlassung in Irland als Journalist in London tätig gewesen. – Vgl. Foster 2005, S. 24. – Dass solche Fragen der Identitätspolitik und die der ›richtigen‹ und ›falschen‹ Aneignung auch heute noch von hoher Aktualität sind, kann man etwa an der Kontroverse um Dana Schutz’ Gemälde Open Casket (2016) ablesen, das 2017 im Rahmen der New Yorker Whitney-Biennale ausgestellt wurde. Die weiße US-Amerikanerin hat darin unter Rückgriff auf Fotografien aus den 1960er Jahren den Tod des 1955 von zwei Weißen ermordeten Schwarzen Emmett Till verarbeitet. Schutz’ Akt der kulturellen Appropriation wurde daraufhin von Schwarzen Künstler:innen kritisiert, von Hannah Black gar die Abnahme beziehungsweise Zerstörung des Gemäldes gefordert. – Vgl. dazu etwa Julia Pelta Feldmann  :

»Other Yeats«  : Künstlerfamilie, Künstlergenese und Künstlertopik | 61

Um 1900 sahen sich die Mitglieder der Familie demnach mit einer diversen identifikatorischen Gemengelage konfrontiert, als sie ihre eigenen künstlerischen Entwürfe für ein neues Irland hervorzubringen suchten. Howes beschrieb W. B. Yeats’ Ringen nach Authentizität denn auch wie folgt  : He had a complicated personal relation to several nationalities  ; a middle-class Irish Protestant by birth and upbringing, he sought to ally himself with the invented versions of Catholic Irish peasantry and the Anglo-Irish aristocracy.153

Diese Charakterisierung lässt sich ebenso auf Jack B. Yeats übertragen, dessen Darstellung einer vermeintlich ›ursprünglichen‹ Lebenswelt im irischen Westen als Versuch interpretiert werden darf, seiner Idee von Irland qua künstlerischer Anverwandlung Ausdruck zu verleihen. Folglich ging auch bei ihm die Hinwendung zu Irland Hand in Hand mit der behaupteten Abwendung von der englischen Herkunft und der gleichzeitigen Aneignung einer scheinbar genuin autochthonen Prägung. Bezüglich der inhärenten Widersprüche dieser kulturellen Identitätskonstruktion konstatierte der Künstler und Kritiker Brian O’Doherty (1928 – 2022) 1971 treffend  : »In painting the Irish, [Jack] Yeats was an outsider to the outsiders.«154 Vordergründig mag O’Dohertys diagnostizierte Außenseiterstellung überzeugen, beleuchtet sie doch das problematische Verhältnis von Eigen- und Fremdperspektive. Ein Blick auf die skizzierte vielschichtige Ausprägung künstlerischer Ansätze wirft allerdings die Frage auf, ob es sich bei Yeats’ Position tatsächlich um ein Einzel- und nicht vielmehr um ein übergreifendes Phänomen handelte. So waren neben Yeats auch andere protestantische Künstler:innen, wie George Russell (Æ), bestrebt, anhand von Bildern westirischer Landschaften eine allgemeingültige, widerspruchslose Vorstellung von Irland zu generieren.155 Stuart Hall zufolge waren derartige »Imaginationen vom ›ganzen‹ Ich« geeignet, die »tiefen inneren Spaltungen und Differenzen« der Nationenbildung zugunsten einer einheitlichen Kultur zu nivellieren.156 Irische Künstler:innen um 1900, allen voran die Yeatses, versuchten das »›ganze‹ Ich« dabei vor allem in der Verbindung von Retro- und Prospektion einer vernakularen Kultur auszumachen. Ihr Ziel bestand darin, keltische Impulse mit zeitgenössischen Strö-

Cencorship Now  !! In  : MERKUR, 19. Juli 2017  : https://www.merkur-zeitschrift.de/2017/07/19/ censorship-now/ [17.12.2022]. 153 Howes 1998, S. 4. 154 O’Doherty 1971, S. 83. 155 Inmitten des Irischen Bürgerkrieges (1919 – 21) malte Russell (Æ) in seinem Bild Celtic Twilight (Abb. 28) eine mystisch aufgeladene, im Westen Irlands angesiedelte Landschaftsszenerie mit weiten Wiesen im Vordergrund und Bergkämmen im Hintergrund. Russell (Æ) reminiszierte in diesem Gemälde während der Kriegswirren die friedlichen Ideen des keltischen Aufbruchs, die um 1900 von Schriftsteller:innen wie Maler:innen gleichermaßen formuliert worden waren. 156 Alle Zitate sind zu finden bei Hall 1994, S. 206.

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mungen zu vereinen, Impulse, die in der Bewegung des Celtic Revival ihren Ausgang nahmen und darauf ausgelegt waren, eine eigenständige Kunst zu begründen. Aus diesem Grund muss letztlich auch die Außenseiterhaltung, die Jack B. Yeats im Zusammenhang mit dessen Hinwendung zu Irland zugeschrieben wurde, relativiert werden. Schließlich kann er als Angehöriger einer intellektuellen Elite betrachtet werden, die dadurch verbunden war, dass sie um 1900 in unterschiedlichen Medien ähnliche identitätsstiftende Ansätze formulierte. 2.2 Celtic Revival  : Rückbesinnung und Aufbruch

1961 schrieb der britische Kunstkritiker Eric Newton (1893 – 1965) im Guardian über Jack B. Yeats, dass dieser »an extraordinary gift for turning an Irish brogue and a Celtic lilt into pigment« besessen habe.157 35 Jahre später griff auch eine in Großbritannien ausgerichtete Wanderausstellung den Gedanken einer keltischen Ausrichtung auf und bewarb den Maler als »Celtic Visionary«.158 In beiden, zeitlich weit auseinanderliegenden Fällen wird Yeats als dezidiert keltischer Künstler aufgefasst. Es handelt sich um eine Zuschreibung, die immer wieder auch für andere zeitgenössische irische Ma­ le­r:innen, darunter etwa Louis le Brocquy (1916 – 2012), vorgenommen wurde. Der Ausgang dieser Idee, der eine Verknüpfung zwischen einer vergangenen keltischen Kultur und der irischen Moderne herstellt, lässt sich dabei im Celtic Revival ausmachen. Tatsächlich wird das externe und interne Irlandbild bis heute von den weitreichenden Dimensionen dieses komplexen Phänomens mitbestimmt, weshalb es zunächst nötig ist, das Celtic Revival mit seinen künstlerischen, wissenschaftlichen, historischen sowie politischen Implikationen zu skizzieren. Daran anknüpfend soll mit Bezug auf das Schaffen Jack B. Yeats’ aufgezeigt werden, inwieweit dieser von den Ereignissen und Reflexionen des Revivals beeinflusst war und in welcher Weise eine mögliche Prägung die Rezeption des Künstlers längerfristig bestimmt haben könnte. Schließlich gilt es unter Anwendung eines imagologischen Ansatzes zu klären, welche spezifischen sozialen und ideologischen Voraussetzungen dazu beigetragen haben, dass das Keltische als analytische Kategorie in die Debatten zur irischen Kunst Einzug halten konnte.

157 Newton 1961. Dieses Zitat wurde im selben Jahr nochmals im Time-Magazin abgedruckt, siehe Time, Irishmen as They Are, 21. April 1961, 77  :17, S. 78. 158 Siehe Titel Ausst.-Kat. Manchester 1996.

Celtic Revival  : Rückbesinnung und Aufbruch | 63

2.2.1 Definition und kulturhistorische Einordung des Celtic Revival Ihren Ausgang nahm die kulturelle Bewegung, deren synonyme Bezeichnungen Irish Renaissance, Irish Literary Renaissance und Irish Revival lauten, nach heutiger Meinung um das Jahr 1890, während ihr Ende um 1920 datiert wird.159 Betrachtete die ältere Forschung das Celtic Revival als hauptsächlich literarisches Phänomen,160 beziehen aktuelle Ansätze auch die Bildkunst mit ein.161 Der zeitliche Rahmen wird dabei an die Entstehung zentraler Texte, wie etwa W. B. Yeats’ 1893 veröffentlichte Essay­sammlung The Celtic Twilight,162 aber auch an zwei politische Eckdaten geknüpft. So wird ihr Beginn mit dem Tod des Politikers Charles Stewart Parnell (1846 – 91) verbunden, auf den eine politische Desillusionierung folgte, ihr Ende wiederum mit Irlands Unabhängigkeit zu Beginn der 1920er Jahre.163 Mit Parnell, dem Führer der Irish Parliamentary Party, hatte das Home Rule Movement, das sich für die Eigenständigkeitsverwaltung Irlands einsetzte, eine Identifikationsfigur verloren, womit zunächst auch die Bewegung selbst zum Stillstand kam.164 Daraufhin wurde versucht, das politisches Vakuum durch – wie Heinz Kosok es formuliert – »kulturelle Ersatzvorgänge«165 zu füllen. Die Forderung der Hauptvertreter:innen des Celtic Revival zielte auf die Wiederentdeckung einer genuin irischen Kultur ab, die in der Zeit vor der anglo-normannischen Besetzung im 12. Jahrhundert ausgemacht wurde.166 Der Gründungsdirektor der ersten irischen Galerie der Moderne, Hugh Lane (1875 – 1915),167 schrieb im Katalog zu seiner 1904 in London veranlassten Ausstellung Exhibition of Works by Irish Painters, dass die irische Kunst vor dem 12. Jahrhundert in Europa ihresgleichen gesucht habe 159 Dieser Zeitraum wird von der Literatur bis auf Ausnahmen einstimmig angenommen. – Vgl. Kosok 1990, S. 143  ; Castle 2001, S. 12 nennt 1890 – 1922, da in diesem Zeitraum die zentralen Texte von W. B. Yeats, John Millington Synge und James Joyce entstanden  ; vgl. ebenso jüngst McDonald 2014, S. 52. Zu den verschiedenen Bezeichnungen siehe Kosok 1990, S. 144  ; in der aktuellen Forschung hat sich allerdings der Terminus Celtic Revival oder Irish Revival durchgesetzt, der diverse Aspekte der vielfältigen Bewegung einschließt, siehe etwa Castle 2001. 160 Vgl. etwa Kosok 1990  ; Sheehy 1980, S. 95. 161 Vgl. Foster 2012, S. 19  ; Kennedy 2016a. 162 Vgl. Yeats 1893. 163 Vgl. Castle 2001, S. 12  ; Kosok 1990, S. 143 f. 164 Vgl. Foster 2012, S. 13. 165 Kosok 1990, S. 143  ; ähnlich bewertete auch Kelleher die Vorgänge, die ihm zufolge in eine Zeit der politischen Desillusionierung fielen. – Vgl. Kelleher 2002, S. 6. 166 Irland wurde zwischen 1166 und 1172 von Anglo-Normannen eingenommen. 167 Zu Lanes Wirken siehe Ausst.-Kat. Dublin 2008. Seine Galerie wurde 1908 in Dublin gegründet und fand zunächst auf der Harcourt Street ihr Zuhause. Erst lange dem frühen Tod Lanes 1915 wurde 1933 ein dauerhafter Ort im Charlemont House für die Gallery of Modern Art gefunden. Die Sammlung bestand zu dem Zeitpunkt aus 300 Bildern, die sich aus kontinentaleuropäischer Kunst – hier überwiegend die des französischen Impressionismus – und zeitgenössischer irischer Kunst zusammensetzte. Es war Lanes Bestreben, die Kunst in Irland zu fördern.

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und ihre Entwicklung durch die anglo-normannische Invasion jäh abgebrochen worden sei  : We know by the fragments left to us that the Irish of early times had carried the arts of illumination, design, architecture, and metal-work farther than any other nation of Western Europe. These arts were moving towards their perfect form when (in the twelfth century) the Anglo-Norman invasion laid its forbidding hand on the crafts that needed wealth and a settle life. […] Within a century all these beautiful arts had withered away.168

Lanes Bestreben bestand darin, die zu etablierende irische Moderne an keltische Errungenschaften rückzubinden, um so, in Abgrenzung zur englischen Kunst, die größtmögliche Eigenständigkeit irischer Kultur zu fördern.169 Dieser konkret formulierte Drang nach Rückbesinnung setzte sich in der Folge fort und fand Jahrzehnte später, bemerkenswerterweise vor allem im Kontext der internationalen Vermarktung irischer Kunst, einen Widerhall. So schrieb der als Kritiker und später als Direktor der National Gallery of Ireland (1964 – 80) tätige James White in seinem Katalogtext zum irischen Beitrag der Venedig-Biennale im Jahr 1956, dass die von fremden Einflüssen losgelöste keltische Kultur Irlands in der Moderne wieder zu ihrem Recht gelangt sei.170 Folgt man dem Text, ließen sich die neuen Formen, die zeitgenössische Künstler:innen unter Rückgriff auf das kulturelle Erbe entwickelten, mit Tendenzen in der europäischen Moderne übereinbringen  : »The ancient Irish traditions have found a counterpart in the current styles of modern art in Northern Europe.«171 Es handelt sich um Formulierungen des Wiedererwachens, die im Zuge der irischen Autonomiebestrebungen sowie nach Erlangung der Unabhängigkeit auch in politischen Texten zur Anwendung kamen. So wurde im 1932 veröffentlichten Handbuch des Irischen Freistaates darauf verwiesen, dass England Irlands Politik für Jahrhunderte zum Erliegen gebracht habe  : The Treaty of 1921 and the establishment of Saorstát Eireann marked the opening for a new epoch. For the first time since the Middle Ages the needs and wishes of the Irish people now shape the policy of an Irish government.172 168 Lane 1904, S. IX. 169 Vgl. Kennedy 2016a, S. 119. 170 White, James  : Text für den Katalog der Biennale von Venedig, 1956, 8. April 1956, unpubliziert, 415/95 III, DFA/NAI. White hatte ähnliche Gedanken bereits ein Jahr zuvor in seiner Einführung zur 1955 in Iserlohn ausgerichteten Ausstellung Irische Kunst der Gegenwart formuliert. – Vgl. Irische Kunst der Gegenwart. Eine Ausstellung von Malerei und Plastik. Zusammengestellt vom Comhar Cultúra Éireann, in Deutschland gezeigt vom Deutschen Kunstrat. Eröffnung der Ausstellung anläßlich der »Irischen Woche« der »Sauerland-Kulturwochen« in Iserlohn, 1955, Vorwort von James White. 171 White, James  : Text für den Katalog der Biennale von Venedig, 1956, 8. April 1956, unpubliziert, 415/95 III, DFA/NAI. 172 Saorstát Éireann 1932, S. 15.

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In allen drei Beispielen, das heißt, in Lanes Prefatory Notice, in Whites Katalogtext sowie im Handbuch des Freistaates, wurden Kultur und Politik der irischen Moderne mit den Errungenschaften des Frühchristentums sowie des Mittelalters verknüpft. Dabei wurde hinsichtlich des kulturellen Hintergrundes nicht so sehr von irischer, sondern vielmehr von Celtic oder ancient art gesprochen, eröffnete doch die Idee des Keltischen für die noch zu gestaltende irische Moderne vielfältige metaphysische Anknüpfungspunkte und Assoziationsräume.173 Immerhin stellte das Celtic Revival um 1900 kein auf Irland beschränktes Phänomen dar, beriefen sich auch in Schottland, Wales, Cornwall oder der Bretagne Gleichgesinnte auf ihr keltisches Erbe. Im Zuge einer pankeltischen Bewegung wurden Theo­ rien eines gemeinsamen nationalen Ursprungs auch länderübergreifend diskutiert. Hierzu trug die Gründung keltischer Gesellschaften, wie die der 1888 in Dublin ins Leben gerufenen Pan-Celtic Society, bei.174 Trotz vieler Übereinstimmungen wurden die Ideen des Celticism, wie dies auch bei vergleichbaren Pannationalismen der Fall war,175 jeweils landesspezifisch ausgedeutet. Während etwa die schottische Rückbesin­ nung hinsichtlich ihrer britischen Ausrichtung von der aktuellen Forschung als »nationalist-unionist«176 charakterisiert wird, geht man im Falle Irlands eher von einer bewusst nationalistischen und dezidiert antienglischen Bewegung aus.177 Mit den Renais­sanceversuchen einer keltischen Kultur Irlands war zudem ein volksgruppenübergreifender Anspruch verbunden,178 wie er von W. B. Yeats in seinem 1901 verfassten Essay Ireland and the Arts formuliert wurde  : 173 Vgl. Kennedy 2016a, S. 118. 174 Vgl. Saddlemeyer 1965, S. 20 f. Zur Geschichte der Dubliner Pan-Celtic Society siehe Hughes 1953. Wie am 4. April 1888 in The Nation, dem 1842 ins Leben gerufenen Organ des Young Ireland Movement berichtet wurde, hatte die Pan-Celtic Society folgende, hauptsächlich auf die irische Kultur fokussierende Aspekte zum Ziel  : »The encouragement of Irish literature«, »the preservation of the Celtic language«, »the spread of a knowledge of Irish history and characteristics«, »the publication of original poems, essays and tales«, zitiert nach Hughes 1953, S. 15. 175 Zum Phänomen des Pan-Celticism in den einzelnen Kulturräumen siehe Löffler 2006. 176 Morrison 2003. Morrison geht beim schottischen Celtic Revival von einem einzigartigen Phänomen des »nationalist-unionism« aus, das sich nicht durch Unabhängigkeitstendenzen auszeichne und sich darin von Irland unterscheide  : »Thus although Scotland shared a Celtic past with Ireland, the character of the two movements was different.« Als bildkünstlerisches Beispiel führt Morrison das 1890 von George Henry und E. A. Hornel geschaffene Gemälde The Druids. Brin­ ging in the Mistletoe (Öl auf Leinwand, 152,4 × 152,4 cm, Glasgow, Kelvingrove Art Gallery and Museum) an. Die beiden Mitglieder der Glasgow Boys bezogen sich bei Wiedergabe keltischer Mythologie laut Morrison »on all Britain’s Celtic past, not only Scotland’s«, Morrison 2003, S. 199. 177 So etwa Saddlemeyer 1965, S. 20  ; zur Abgrenzung des eigenen Volkes gegen andere siehe ­Arendt 2014, S. 482  : »Politisch gesprochen ist es dem völkischen Nationalismus eigen, darauf zu bestehen, daß das eigene Volk von ›einer Welt von Feinden‹ umgeben, in der Situation des ›einer gegen alle‹ sich befindet, und daß es infolgedessen nur einen Unterschied in der Welt gibt, der zählt, den Unterschied zwischen einem selbst und allen anderen.« 178 Die Vorsilbe pan (aus dem Griechischen pãn = all) wird von Hannah Arendt hinsichtlich der

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Abb. 15 Book of Kells, Die Gefangennahme Christi, fol. 114r, um 800 (?), Trinity College Dublin.

I would have Ireland re-create the ancient arts, the arts as they were understood in Judaea, in India, in Scandinavia, in Greece and Rome, in every ancient land  ; as they were understood when they moved a whole people and not a few people.179

Auch nach W. B.  Yeats’ Auffassung waren Kunst und Politik demnach untrennbar miteinander verbunden. Sein Beispiel reiht sich damit in ein für die Zeit typisches irisches Geschichtsverständnis ein, nach dem der Beginn der anglo-normannischen Herrschaft kulturell eine Zäsur bedeutete. Im Umkehrschluss wurde der gesamte Zeitraum vor dem 12. Jahrhundert im Sinne einer nationalen Semantik als keltisch deklariert. Das Narrativ einer gemeinsamen, bis in die Vergangenheit zurückreichenden keltischen Kultur korreliert zugleich mit der Idee der »imagined community«, die laut Benedict

Panbewegungen teleologisch gedeutet, wobei etwa das Slawische oder das Germanische zum obersten Ziel erhoben wird. Zum Zusammenhang von Panbewegungen und völkischem Nationalismus siehe Arendt 2014, S. 472 – 482. 179 Yeats 1901, S. 206. Der Aufsatz Ireland and the Arts wurde zum ersten Mal im United Irishman, am 31. August 1904 veröffentlicht.

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Abb. 16 Mainie Jellett, Achill Horses, 1941, Öl auf Leinwand, 61 × 92 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

Anderson das Wesen der Nation ausmacht.180 Die vorgestellte Gleichheit der Gemeinschaft beförderte damit ein Zusammengehörigkeitsgefühl und trug sukzessive zur Herausbildung der nationalen Identität bei. Der Terminus Celtic art wird in der Literatur epochenübergreifend gefasst und beinhaltet Werke der La-Tène-Zeit, des Frühchristentums und des Mittelalters.181 Diese großzügige Auffassung ist insofern nachvollziehbar, als die keltische Formensprache der La-Tène-Kultur in Irland auch nach deren Ende fortbestand und ab dem 5. Jahrhundert Eingang in die Kunst des Christentums sowie ab dem 8. Jahrhundert in die der Wikinger fand. Spiralen und geometrische Formen sind typische Merkmale der keltisch-christlichen Kunst und bestimmten die Gestaltung von Feinschmiedearbeiten, Hochkreuzen sowie der Buchmalerei.182 Besonders anschaulich wird die Verschrän180 Anderson 2016, S. 5 f. 181 Vgl. Kennedy 2016a, S. 119. Die La-Tène-Kultur setzte sich in Irland im 3. Jahrhundert v. Chr. durch. Der Beginn der Christianisierung Irlands wird mit dem Eintreffen des Heiligen Patrick im Jahr 432 angenommen. – Vgl. Breuer 2003, S. 26 ff. 182 Vgl. Harbison 1993, S. 39 – 66. Die Wikinger zerstörten zwar auch Kunstwerke, dennoch ist ihnen der Erhalt vieler Objekte zu verdanken, die uns sonst womöglich nicht mehr überliefert wären. – Vgl. Harbison 1993, S. 53. Als Beispiel einer Feinschmiedearbeit lässt sich der Schatz von Ardagh, bestehend aus Kelch und Fibeln, anführen, der wahrscheinlich Mitte des 8. Jahrhunderts entstanden ist. Er wurde 1868 in Ardagh gefunden und ist heute Teil der Sammlung des Dubliner National Museum of Ireland. Als Beispiel eines Hochkreuzes wiederum kann etwa das

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kung von Figuration und Abstraktion in den Arbeiten des Book of Kells, wie etwa die Darstellung der Gefangennahme Christi (fol. 114r) anschaulich macht (Abb. 15).183 Die geometrische Gestaltung bleibt hier nicht nur der architektonischen Rahmung der Szene vorbehalten, sondern findet sich auch in den Figuren wieder. Es sind eben jene Charakteristika, die in der irischen Bildkunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere in der kubistischen Malerei Mainie Jelletts (1897 – 1944), wieder aufgegriffen und im Kontext der Moderne ausgedeutet wurden. Mit dem Ziel, eine genuin irische Kunst von zeitgenössischem Anspruch zu schaffen, überblendete die Künstlerin bewusst kubistische und keltische Bildprinzipien. Diese Vorgehensweise, die sich einer rein abbildenden Wiedergabe des Gesehenen verweigerte,184 fand auf exemplarische Weise in ihrem 1941 entstandenen Gemälde Achill Horses Umsetzung, das tänzelnde Pferde inmitten einer abstrakt aufgefassten westirischen Landschaft zeigt (Abb. 16).185 2.2.2 »Folk Memory«186  : Gedenkfeiern Die Herausbildung des Celtic Revival wurde durch mehrere Aspekte befördert, wobei neben den politischen Entwicklungen im 19. Jahrhundert auch neue Erkenntnisse der Archäologie und Studien der Keltologie eine Rolle spielten. Hervorzuheben sind mehrere an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begangene Jubiläen, die an die Verdienste wichtiger politischer Persönlichkeiten der irischen Geschichte erinnern sollten, als deren Erben sich die Befürworter:innen der nach Unabhängigkeit strebenden Nation inszenierten. Besondere Bedeutung kam dabei jenen Feiern zu, die an die Irische Rebellion von 1798 erinnerten. Hierzu zählte die 1898 veranstaltete Hundertjahrfeier der Schlacht von Carricknagat in der Grafschaft Sligo, anlässlich derer man auf dem ehemaligen Schlachtfeld ein Denkmal für den United Irishman Bartholomew Teeling (1764 – 98) errichtete.187 Als Hauptakteur des Aufstandes von 1798 kann wiederum Theobald Wolfe Tone (1763 – 98) gelten, ein protestantischer Rechtsanwalt, der sich für die Loslösung Irlands auf das 9. Jahrhundert datierende Muiredach-Kreuz in Monasterboice (County Louth) genannt werden. 183 Zum Book of Kells und seiner Entstehungszeit siehe Harbison 1993, S. 50. 184 Vgl. Jellett 1942, S. 7, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. Jellett plädiert in ihrem Text dafür, dass Künstler:innen keine »coloured photographs« schaffen, sondern vielmehr dem »inner consciousness« der Dinge auf den Grund gehen sollten. 185 Zum Kubismus in Irland sowie Mainie Jelletts Wirken siehe etwa Ausst.-Kat. Dublin 2013b  ; zu Jelletts Position in der Moderne siehe Kennedy 2021, S. 217 ff. Es muss ergänzt werden, dass Jellett diverse Impulse in ihre Kunst aufnahm, neben der Faszination für die keltische Kultur ist etwa auch ihre Auseinandersetzung mit der Kunst Chinas zu erwähnen. – Vgl. Coulter 2013, 103. 186 Guy Beiner diskutiert in seinem Aufsatz das Wiederaufleben des »folk memory« in Kunst und Gedenkfeiern. – Vgl. Beiner 2003. 187 Zur weiterführenden Information siehe Beiner 2007, S. 243 ff.

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von England einsetzte. Hierfür erschien ihm eine Einigung von Katholiken und Protestanten zwingend, konnte doch nur ein geschlossenes Vorgehen beziehungsweise eine gleichberechtigte parlamentarische Volksvertretung »prosperity and freedom of Ireland« herbeiführen.188 1791 gehörte er zu den Mitbegründern der United Irishmen, die, beeinflusst von den Idealen der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 und der Französischen Revolution 1789 sowie ermutigt von der Gründung des i­ rischen Parlamentes 1782, eine Befreiung Irlands planten.189 Nach einem erzwungenen Exil in Amerika gelang es ihm 1796, Frankreich zur militärischen Unterstützung einer Invasion zu bewegen. Gemeinsam mit dem französischen Expeditionskorps segelte er nach Irland, aufgrund ungünstiger Wetterbedingungen gelangten die Truppen jedoch nur bis zur Bantry Bay. Ein zweiter Versuch 1798 scheiterte endgültig, da die britische Armee durch den Einsatz von Informanten die Pläne der Aufrührer aufdecken konnte, die Aufstände niederschlug und die Rebellen, darunter auch Teeling und Wolfe Tone, gefangen nahm. Nur wenige Tage nach der Verurteilung wählte Wolfe Tone, um der Urteilsvollstreckung zu entgehen, den Freitod.190 In der Folge setzte Robert Emmet (1778 – 1803) den Kampf um die Unabhängigkeit fort, der, nach der beinahe endgültigen Zerschlagung der United Irishmen, in einem erfolglosen Aufstand 1803 endete. Auch Emmet wurde, wie die anderen Rebellen zuvor, wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Im Zuge der wiederauflebenden irischen Unabhängigkeitsbemühungen erklärte man Wolfe Tone und Robert Emmet zu nationalen Helden, deren als vorbildhaft angesehenen Ideale auch in Kunst und Musik reflektiert wurden.191 Im Falle von Jack B. Yeats manifestieren sich entsprechende Eindrücke zunächst in einem seiner Skizzenbücher. So nahm der Künstler während eines Irlandbesuches 1898 an der Gedenkfeier zu Ehren Teelings teil und hielt diesen Anlass, im Unterschied zu seinen sonst eher knappen Skizzenbuchschilderungen, gleich auf mehreren Seiten fest.192 Die aquarellierten Szenen zeigen die herbeiströmenden Besuchermassen – ein 188 Zitat in  : Society of United Irishmen 1791, S. 1  ; für weitere Informationen zu den United Irishmen siehe Jackson 1999, S. 12. 189 Vgl. Breuer 2003, S. 67 f. Grattan’s Parliament, benannt nach seinem Gründer Henry Grattan, bestand von 1782 bis 1800 und strebte unter anderem die Aufhebung der Penal Laws an, der 1691 vom englischen Königshaus veranlassten, scharfen antikatholischen Gesetze. Darüber hinaus setzte sich Grattan, einer der vielen Protestanten, die sich für die irische Sache engagierten, für die legislative Unabhängigkeit des irischen Parlamentes ein. – Vgl. Breuer 2003, S. 67 f. 190 Vgl. Breuer 2003. S. 66 – 70. Breuer weist darauf hin, dass ein Großteil der Milizen, die an der Niederschlagung beteiligt waren, aus der irischen Bevölkerung kam. Die Treue zum Königshaus und die Skepsis gegenüber einem antimonarchistischen Aufstand waren zu diesem Zeitpunkt der irischen Geschichte offenbar größer als der Wille zur Unabhängigkeit. 191 Vgl. Elvert 1993, S. 321  ; Jackson 1999, S. 102. 192 1898 wurden in ganz Irland Gedenkfeiern anlässlich der Ereignisse von 1798 ausgerichtet. Allein in der Grafschaft Sligo wurden zwei Teeling-Statuen errichtet, eine in der Stadt Sligo, die andere, deren Grundsteinlegung Yeats am 4. September 1898 beiwohnte, außerhalb von Collooney, auf dem Schlachtfeld von Carricknagat. – Vgl. Beiner 2007, S. 252  ; zum Datum der Grundsteinlegung siehe SK 16  : Cork, Sligo, Strete, London, 1898/99, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-

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ebenfalls im Skizzenbuch eingeklebter Zeitungsausschnitt aus dem Sligo Champion nennt 1500 Teilnehmer:innen –, eine Marschkapelle, Festzelte, die Grundsteinlegung des zu errichtenden Teeling-Monumentes und nicht zuletzt Banner, auf denen Symbolfiguren wie Robert Emmet oder Wolfe Tone in Verbindung mit der irischen Harfe, dem Symbol der United Irishmen, abgebildet sind.193 Obwohl die detailreiche Ausführung der mit Kommentaren versehenen Szenen eine spätere Überführung in die Malerei nahegelegt hätte, blieb diese aus, wie es überhaupt wenig explizite Historiendarstellungen des Künstlers gibt. Allerdings verarbeitete Yeats einzelne Szenen des Ereignisses 1912 in einem Broadside (Abb. 17).194 The Fair of Car­ ricknagat, so der Titel der Darstellung, schildert ein buntes Jahrmarkttreiben vor einer bergigen Landschaft. Auf dem weitläufigen Platz haben sich, wie auf einem Wimmelbild, dicht gedrängt zahlreiche Menschen versammelt – viele von ihnen zu Pferde. Am rechten Bildrand kennzeichnet eine zwischen Planwagen gehisste Fahne, auf der eine Harfe abgebildet ist, die Zusammenkunft als politisches Ereignis. Rechts davon haben zwei Polizisten einen Balladensänger ins Visier genommen, der gerade dabei ist, sein Lied vom Blatt vorzutragen. Der gesenkte Blick des Mannes suggeriert, dass ihn die Uniformierten bei der Verbreitung aufrührerischer Inhalte ertappt haben. In Yeats’ malerischen Arbeiten fallen bildkünstlerische Reflexionen konkreter Ereignisse dagegen eher indirekt aus, wobei sie häufig in Alltags- und Landschaftsdarstellungen durchscheinen. Spätere Gemälde, wie etwa das 1929 entstandene Going to Wolfe Tone’s Grave,195 belegen aber, dass sich Yeats kontinuierlich mit den zentralen irischen Freiheitskämpfer:innen befasste. Auch die Tatsache, dass der Künstler Balladen für die zwischen 1908 und 1915 von den Yeats-Geschwistern produzierten Broadsides unter dem Pseudonym Wolfe T. MacGowan verfasste und damit dem Widerstandskämpfer seine Reverenz bezeugte, weist in diese Richtung.196 Nr. Y1/JY/1/1/16. Yeats schreibt hier  : »On laying foundation stone of statue of Teeling. 98 celebration Carricknagat, September 4 1898.« 193 SK 16  : Cork, Sligo, Strete, London, 1898/99, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/16  ; anlässlich der Gedenkfeiern wurden in vielen Läden Drucke von bekannten Freiheitskämpfern Irlands verkauft. Die Zeichnungen von Robert Emmet, die Yeats in seinem Skizzenbuch anfertigte, basieren auf den Vorlagen bekannter Druckgrafiken. – Vgl. Arnold 1998a, S. 78  ; zum Symbol der Harfe bei den United Irishmen siehe O’Donnell 2014, S. 19 ff. 194 A Broadside, Nr. 3, August 1912, S. 3, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/2/5. 195 Jack B. Yeats, Going to Wolfe Tone’s Grave, 1929, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz. 196 Broadside-Gedichte, die unter dem Pseudonym Wolfe T. MacGowan (auch Mac Gowan oder McGowan) gedruckt wurden, sind  : Bring Wine, and Oil, and Barley Cakes, September 1908  ; Theodore to His Grandson, Januar 1909  ; The Petition of Tom Dermody to the Three Fates in Council Sitting (O Irlanda, Irlanda), September 1911  ; Die We Must, Mai 1912  ; Napoleon Buonaparte’s Farewell to Paris (The Gara River), August 1913. Yeats’ politische Pseudonyme werden bei Arnold 1998a, S. 169  ; McGuinness 1992, S. 38 sowie Pyle 1989, S. 96 erwähnt. Pyle merkt in diesem Zusammenhang an, dass ursprünglich der englische Schriftsteller John Masefield, mit dem Yeats befreundet war, hinter dem Pseudonym vermutet wurde. Sie selbst hält aber aus stilistischen Gründen Yeats für den einzig plausiblen Autor der Texte. – Vgl. Pyle 1989, S. 96  ;

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Abb. 17 Jack B. Yeats, A Broadside  : The Fair of Carricknagat, Nr. 3, August 1912, Cuala Press Print.

Pyle bemerkte in diesem Zusammenhang, dass Yeats Irland und dessen Landschaft zwar bereits vor 1898 in romantisierter Weise wahrgenommen, dass aber erst der Besuch der Teeling-Gedenkfeier von Carricknagat sein politisches Interesse für das aufkommende nationale Bewusstsein geweckt habe.197 Es ist in der Tat überzeugend, das Ereignis als Initiationsmoment für Yeats’ aufkeimende republikanische Einstellung zu betrachten, nicht nur weil Yeats in dem Skizzenbuch auch ein politisch recht eindeutiges Banner mit dem Titel »Ireland must be free«198 eingefangen hatte, sondern ferner, weil er sich noch Jahre später, 1929, in einem Brief an den Freund und ehemaligen IRA-Kämpfer Ernie O’Malley (1897 – 1957) lebhaft daran erinnerte  : Those were good conversations you gathered under the shadow of Benbulbin [sic] and Teeling. I was at the Carrignagat meeting in 1898 when the statue was unveiled. There was an orator there clothed in his special suit for oratory, not cloth of gold, but cloth of billiard table.199 Arnold erwähnt zudem das Pseudonym R. E. McGowan, das seines Erachtens auf Robert Emmet verweist. – Vgl. Arnold 1998a, S. 169  ; das Pseudonym R. E. McGowan findet sich im Broad­ side-Gedicht A Young Man’s Fancy, Juni 1910  ; für alle zwischen 1908 und 1915 erschienenen Broadsides siehe Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/2/5. 197 Vgl. Pyle 1989, S. 54. 198 SK 16  : Cork, Sligo, Strete, London, 1898/99, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/16. 199 Brief Jack B. Yeats an O’Malley, 29. Juni 1929, unpubliziert, Tamiment Library, O’Malley, Box 7, Ordner 59. Yeats muss sich hier etwas ungenau erinnert haben, wohnte er doch der Grund-

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Allerdings liegt es nahe, dass Yeats, wie der Rest der Familie, bereits früher durch die politischen Kontakte des Vaters geprägt wurde.200 Seit 1887 lebte Jack im Zusammenhang mit seiner Ausbildung wieder im Londoner Elternhaus. Insbesondere während der Zeit in der Künstlerkolonie Bedford Park kamen die Geschwister durch die Besuche zeitgenössischer Persönlichkeiten dabei nicht nur mit den Idealen präraffaelitischer Maler in Berührung, sondern auch mit den Vorstellungen irischer Nationalisten, darunter jenen John O’Learys (1830 – 1907).201 Auch die Vertrautheit Jacks mit Wolfe Tone kann möglicherweise bereits auf familiäre Bezüge zurückgeführt werden, stand doch W. B. Ende der 1890er Jahre als Präsident dem englischen Komitee der Wolfe Tone Memorial Association vor.202 Noch vor der Gedenkfeier 1898 und der dauerhaften Übersiedlung nach Irland 1910 war Yeats demnach durch die Kindheitserlebnisse im westirischen Sligo sowie durch den familiären Kontext in London für Irland und das wachsende Streben nach Unabhängigkeit sensibilisiert.203 2.2.3 Irische Caprichos  ? Yeats’ Broad Sheets, Broadsides und Ballad Singer Künstlerisch manifestierte sich Yeats’ Interesse für irische Themen zunächst in den bereits angesprochenen, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Aquarellen, die er parallel zu seiner Tätigkeit als Illustrator anfertigte. Wie andere Künstler:innen jener Zeit bediente sich Yeats darin häufig keltischer Symbole wie Rundturm, Harfe oder Menhir.204 Dass er sich in den frühen Arbeiten auf die Darstellung des ländlichen Raumes spezialisierte, ist ebenfalls im Kontext des Celtic Revival zu verstehen, wurde doch das Motiv der irischen Landschaft als Sinnbild für ein traditionelles, von England

steinlegung und nicht der Enthüllung der Statue bei. Mit »Benbulbin« verweist Yeats auf den Tafelberg etwa 10 km nördlich der Stadt Sligo. Dieser Berg taucht in vielen Darstellungen von Yeats und auch in den Gedichten seines Bruders W. B. auf und hat für die irische Kultur im Kontext des nationalen Erwachens symbolische Bedeutung. Der Redner war in Grün gekleidet. 200 Zum Zeitpunkt von Jack B. Yeats’ Rückkehr lebte die Familie wieder in London, ab 1888 dann in Bedford Park. – Vgl. Arnold 1998a, S. 17 ff. 201 Vgl. Pyle 1989, S. 27  ; Yeats 1999b, S. 67 und S. 114. Die Geschwister wurden etwa mit den Ideen des Malers Edwin John Ellis vertraut gemacht  ; im Gegensatz zu seinem Vater und seinem Bruder war Jack B. Yeats in seiner künstlerischen Auffassung nicht direkt von den Präraffaeliten beeinflusst. – Viele irische Künstler:innen und Politiker:innen hatten ihren Lebensmittelpunkt im viktorianischen London und setzten sich von England aus für die irische Sache ein. – Vgl. Ausst.-Kat. London 2005. 202 Vgl. Pyle 1989, S. 54. 203 Vgl. Allen 2009, S. 237 ff. Er schlägt vor, das politische Interesse zeitlich vor den Revolutionsjahren ab 1916 auszumachen. Er widerspricht zugleich der Annahme, Yeats wäre ausschließlich als Chronist zu verstehen, der die Ereignisse seines Landes dokumentarisch festgehalten habe. 204 Zu den zentralen Symbolen gehörten der Wolfshund, die Harfe, das Kleeblatt, das Hochkreuz sowie der Rundturm. – Vgl. Sheehy 1980, S. 9 ff.

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Abb. 18 Jack B. Yeats, The New Ballad, um 1915, Cuala Press Print, handkoloriert, 127 × 158 mm.

unbeeinflusstes Irland aufgefasst.205 Dass Yeats’ pastorale Szenen auch in dieser Weise wahrgenommen wurden, zeigen irische Pressestimmen, die die Werke wiederholt als Ausdruck einer keltischen Kunst besprachen. So schrieb etwa der Daily Irish Indepen­ dent 1899 über die in der Dubliner Leinster Hall ausgestellten Sketches of Life in the West of Ireland  : »The Celtic characteristics are alive in […] the colour-glimpses of the Rosses and the burren reaches of Sligo heather and stone.«206 Nicht selten finden sich in Yeats’ Darstellungen mehrere zeittypische Symbole vereint. Exemplarisch zeigt dies der um 1915 entstandene Cuala Press Print The New Ballad (Abb. 18), der 1916 erneut als Kalenderblatt erschien.207 Das im Querformat angelegte, 205 Vgl. Castle 2001, S. 5 f. 206 Daily Irish Independent, 1899, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1  ; auch Eve­ ning Mail, wo Yeats’ Sketches of Life in the West of Ireland 1901 als »Colour Studies of the Celt« bezeichnet wurden, alle abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 207 Pyle 1994, Nr. 2086, S. 295. Für die Drucke, die in der Cuala Press gefertigt wurden, soll nachfolgend der Eigenname Cuala Press Print verwendet werden. Für diese Drucke ­produzierte Yeats jeweils die zeichnerischen Entwürfe. Im Anschluss wurden die Vorlagen von den Drucker:innen der Cuala Press auf Zinkplatten, die auf Holzstöcken befestigt waren, übertragen. Bei dem

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kolorierte Blatt zeigt einen in Lumpen gekleideten Mann, aus dessen Manteltasche kleinformatige, bedruckte Blätter heraushängen. Seine abgetragenen Schuhe verraten, dass er bereits einen langen Weg hinter sich gebracht hat, auf dem er offenbar das weit aufragende Gebirge im Hintergrund sowie die im Tal gelegene Ortschaft durchquert hat. Mit großen Schritten und geöffnetem Mund läuft er auf die Betrachtenden zu, wobei er aus dem Lieddruck in seiner linken Hand vorträgt. Der Stock in seiner rechten Hand scheint ihm dabei weniger als Gehhilfe zu dienen, sondern vielmehr den Takt vorzugeben. Wer seine Zuhörer:innen sind, lässt sich auf der menschenleeren Straße indes nur erahnen  ; möglicherweise handelt es sich um die Bewohner:innen der am linken Wegesrand stehenden Bauernhäuser, die die Klänge dank der halbgeöffneten Klöntüren vernehmen können. Das an der Hauswand des vorderen Cottages lehnende Wagenrad ist in diesem Zusammenhang als zeitlicher Verweis zu verstehen, referiert Yeats doch mit dem Motiv des Balladensängers und -verkäufers auf eine bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende englische und irische Tradition, die insbesondere im Kontext der politischen Unabhängigkeitsbestrebungen im Irland des 19. Jahrhunderts neue Bedeutung erlangte.208 Vor allem die leseunkundige Landbevölkerung wurde durch umherziehende Balladensänger über Themen des Alltags informiert, bevor die Praxis im Verlauf der zunehmenden Alphabetisierung des Landes verloren ging. In Bezug auf die Rezeption und die vorwiegend politische Funktion der Balladen heißt es denn auch 1850 in der Zeitschrift Irishman, dass diese als »literature of the peasantry« fungierten und »a ballad singer […] a more powerful and useful missionary of the cause in the rural districts than a thousand pamphlets«209 sei. Yeats’ druckgrafische Arbeiten vom Beginn des 20. Jahrhunderts knüpfen an diese Tradition an. Dies gilt ebenso für die in Zusammenarbeit mit Pamela Colman Smith entstandenen Broad Sheets wie für die gemeinsam mit seinen Schwestern Lily und Lolly geschaffenen Broadsides (vgl. Kap. 2.1.3).210 Anders als die historischen street sheets Druck­vorgang handelte es sich um das Verfahren der Zinkografie, das größere Auflagen ermöglichte als der Holzdruck. Für die Auskunft zum Druckverfahren danke ich Simon Lang vom Department of Early Printed Books and Special Collections des Trinity College Dublin und der Leiterin der Grafiksammlung der National Gallery of Ireland, Anne Hodge, sowie der Professorin für Kunstgeschichte und Leiterin des Irish Art Research Centre (TRIARC) am Trinity College Dublin, Angela Griffith. Auch dem Restaurator, Olaf Simon, vom Kupferstich-Kabinett Dresden danke ich für wertvolle Hinweise. 208 Vgl. McCarthy 2009, S. 88 – 90  ; zur politischen Bedeutung der irischen Balladen im 19. Jahrhundert siehe Murphy 1979. Die Tradition des Gesanges von Straßenballaden gab es sowohl in England als auch in Irland. Im Gegensatz zu den englischen Balladen allerdings waren die irischen häufig mit politisch aufrührerischen Inhalten versehen. Wie Murphy herausgefunden hat, wurden verdächtige Texte von Polizisten an die Dienstelle des Chief Secretary im Dublin Castle, an die Schlüsselperson der britischen Verwaltung in Irland, übermittelt. – Vgl. Murphy 1979, S. 79. 209 Aus dem Irishman von 1850, einer nationalistischen Zeitung, zitiert nach Murphy 1979, S. 84. 210 Zum historischen Hintergrund der Broadsides sowie der Balladen siehe Shepard 1962. Der Ter-

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allerdings, die in großer Zahl verkauft wurden, richteten sich die künstlerischen Wiederaufnahmen der Broadsides mit einer kleinen monatlichen Auflage von 300 Stück hauptsächlich an eine ausgewählte englischsprachige und gebildete Sammlerschaft.211 Die Zeitschrift Literary World bemerkte dazu im Oktober 1912  : The ›Broadside‹ is an old and popular form of art, which Mr. Yeats has […] developed into a high form of artistic work. […] Mr. Yeats’s original drawings and excellent style of the paper, print and reproduction make these monthly leaflets things to prize and hoard.212

In diesem Zusammenhang hat Karen E. Brown treffend bemerkt, dass zwischen dem dargestellten ländlichen Personal und der anvisierten Käuferschaft der Blätter eine dialektische Spannung bestehe.213 Diese Widersprüchlichkeit ist symptomatisch für viele literarische und bildkünstlerische Produktionen des Celtiv Revival, deren autochthone Entwürfe zwar auf die Vorstellungen eines ›ursprünglichen‹ Irlands rekurrierten, sich aber an eine bildungsbürgerliche, urbane Klientel richteten. Der Soziologe Ernest Gellner sah in dieser Zusammenkunft von Volks- und Hochkultur die Grundvoraussetzung für die Etablierung des Nationalismus und konstatierte  : Wenn der Nationalismus gedeiht, schaltet er die fremde Hochkultur aus, ersetzt sie jedoch nicht durch die alte lokale niedrigere Kultur, er belebt oder erfindet vielmehr eine eigene lokale ›hohe‹, d. h. eine schriftkundige und von Spezialisten übermittelte Kultur […].214

Auf die Broad Sheets ebenso wie auf die Broadsides lassen sich Gellners Überlegungen beinahe mustergültig anwenden, wurden darin doch dem ländlichen Kontext entstamminus Broadsheet wurde oftmals synonym für Broadside verwendet, obwohl Broadsides eigentlich nur einseitig und Broadsheets doppelseitig bedruckt waren. Bei den Broadsides der YeatsGeschwister handelt es sich demnach streng genommen um Broadsheets. Die beiden Begriffe wurden für verschiedene Veröffentlichungen genutzt  : Werbung, religiöse Texte, Balladen, Lieder oder Ankündigungen. 211 Vgl. McCarthy 2009, S. 88 – 90. Ingesamt gibt es 252 Illustrationen von Jack B. Yeats, von denen 168 handkoloriert sind. – Vgl. https://www.bonhams.com/auctions/23459/lot/119/ [17.12. 2022]. Die geringe Auflage allerdings garantierte nicht, dass alle Exemplare verkauft wurden. 1914 berichtete Lily Yeats dem amerikanischen Rechtsanwalt und Kunstsammler John Quinn, dass sie auch an einer amerikanischen Käuferschaft interessiert seien, da es in Irland nur 135 Abonnent:innen gebe. – Vgl. Brief Lily Yeats an John Quinn, 25. Mai 1914, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 47. 212 Literary World  : Mr. Yeats’s ›Broadsides‹, Oktober 1912. Dieser Zeitungsausschnitt befindet sich in den Newspaper Cuttings der Cuala Press, die wahrscheinlich von Elizabeth Corbet (Lolly) Yeats gesammelt wurden. Zwölf Ausgaben konnten im Jahresabonnement für zwölf Schilling erworben werden. – Vgl. TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52, 2). 213 Vgl. Brown 2011, S. 50. 214 Gellner 1995, S. 89 f.

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mende, als genuin irisch geltende Identitätsentwürfe für ein städtisches Publikum in Szene gesetzt, um damit zugleich das Wirken der englischen, also das der »fremde[n] Hochkultur« zu unterbinden. Bereits 1892 hatte Douglas Hyde (1860 – 1949), Mitbegründer und erster Präsident der 1893 ins Leben gerufenen Gaelic League, die »Necessity for De-Anglicizing the Irish Nation« hervorgehoben.215 Er war der Überzeugung, die gälische Vergangenheit sei tief in den Herzen der Iren verankert und schütze sie davor, uneingeschränkte Zugehörigkeit für das Empire zu empfinden. Um der irischen Kultur wieder zur vollen Blüte zu verhelfen, regte er insbesondere die Wiederbelebung der gälischen Sprache, die zu dieser Zeit nur noch in den ländlichen Regionen beherrscht wurde, in der gesamten Bevölkerung an. Sein Ziel bestand in der Rückbesinnung auf das Eigene und einer damit einhergehenden Loslösung der Imitation des Fremden.216 Es erscheint nur folgerichtig, dass Hyde, dessen Texte Jack B. Yeats später in einigen seiner Broad Sheets abdruckte, auch das irische Arts and Crafts Movement unterstützte.217 Dass es Yeats in den Broad Sheets und Broadsides von Beginn an darum ging, dezidiert irische Konzepte zu vermitteln, lässt sich an seiner 1903 formulierten Prämisse ablesen, die Drucke nach dem Ausstieg seiner englischen Kollegin Smith »more Irish«218 gestalten zu wollen. In der häufig wiederkehrenden Darstellung von Balladensänger:innen,219 die das beharrliche Überdauern der mündlichen Kultur in Irland versinnbildlichen, einer Kultur, die laut Luke Gibbons charakteristisch ist für »the most resilient strains in Irish nationalism«,220 findet Yeats’ Forderung schließlich ihre Entsprechung. In den dreiseitigen Broadsides, die sowohl überlieferte als auch neue Balladen mit begleitenden Illustrationen präsentieren, tauchen wiederholt Balladensänger:innen auf. So zeigt etwa die im Juli 1908 erschienene Ausgabe unter dem Titel A Lamentation for Hugh Reynolds zwei Sänger, die ihre Balladen vor einer großen Menschenmenge vortragen (Abb. 19). Auf der zweiten Seite der Augustausgabe des Jahres 1914 wiederum illustriert eine einsame, den Betrachtenden zugewandte Sängerin den anonymen Text I Built a Bower in My Breast (Abb. 20).

215 Hyde 2000, S. 2. 216 Vgl. Hyde 2000, S. 3 ff. 217 Brown 2011, S. 33. 218 Nach dem Ausstieg von Pamela Colman Smith, Anfang 1903, führte Yeats die Produktion von A Broad Sheet alleine weiter und wollte die Drucke, wie er an John Quinn schrieb, »more Irish« gestalten  : »I hope to make the Broadsheet more Irish in 1903«, Brief Jack B. Yeats an Quinn, 16. Januar 1903, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 219 Allein in den von 1908 bis 1915 veröffentlichten Broadsides finden sich neun Darstellungen von Balladensängerinnen und -sängern. 220 Gibbons 1996, S. 134. Er macht am Beispiel von James Joyce und seinen literarischen Verweisen darauf aufmerksam, dass das beharrliche Überdauern der mündlichen Kultur charakteristisch sei für den irischen Nationalismus  : »For Joyce, it is this remnant of oral culture […] which is characteristic of the most resilient strains in Irish nationalism […].«

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Abb. 19 Jack B. Yeats, A Broadside  : A Lamentation for Hugh Reynolds, Nr. 2, Juli 1908, Cuala Press Print, ­handkoloriert.

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Abb. 20 Jack B. Yeats, A Broadside  : I Built a Bower in My Breast, Nr. 3, August 1914, Cuala Press Print, hand­ koloriert.

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Ihr traurige Klage über eine unglückliche Liebe verliert sich geradezu in der Dunkelheit der Nacht, niemand schenkt ihr Aufmerksamkeit. So liest der Mann, der sich in dem beleuchteten Hauseingang im Hintergrund niedergelassen hat, weiter unbeirrt in seiner Zeitung, während ein weiterer Nachtwandler seine Münzen zählt. McCarthy hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Yeats in der Szene den Verfall der öffentlich vorgetragenen Balladenkultur dargestellt habe, dessen gesellschaftliche Funktion durch das Aufkommen der Zeitungen an Bedeutung verloren hatte.221 Ebenso denkbar ist, dass der Künstler keinen Gegensatz inszenieren, sondern das Zeitungswesen vielmehr in eine Traditionslinie mit den Broadside Ballads stellen wollte, erfüllten doch viele der traditionellen Balladen den Zweck von Zeitungen.222 Dieser Gedanke wird durch die Tatsache unterstützt, dass nach Unabhängigkeit strebende politische Gruppierungen wie die United Irishmen sowohl Zeitungen als auch Liederbücher herausbrachten, mit dem Ziel, ihr Gedankengut möglichst weit zu verbreiten.223 Zahlreiche, in Yeats’ Bibliothek enthaltene Werke belegen, dass der Künstler mit dieser Praxis vertraut war.224 Bei McCarthy unerwähnt bleibt zudem das allen Broadsides inhärente Wort-BildVerhältnis, das im Falle von I Built a Bower in My Breast eine weitere Bedeutungsebene freilegt. So endet die Ballade mit den Worten  : »I’ll walk with my love now and then – Now and then, I’ll walk with my love now and then.«225 Für die Sängerin scheint es demnach unerheblich, ob ihr Gesang Gehör findet, trägt sie ihre Liebe doch für immer und ewig im Herzen. Durch die Ansprache an die Betrachtenden, die sich auch für den Protagonisten der 1915 entstandenen New Ballad (Abb. 18) konstatieren lässt, wird das Lied, das keiner innerbildlichen Zuhörerschaft bedarf, in einen zeitgenössischen Kontext transponiert. Vielmehr wird mittels der Verbindung des modernen Mediums der Zeitung mit der Balladentradition das Alte in das Neue (»now and then«) überführt, wie der unter dem Bild befindliche Text bekräftigt. Für die Analyse des Blattes ist der Zusammenhang von Bild und Text somit zwingend zu berücksichtigen.226 Es ist anzunehmen, dass Yeats seine Illustration bewusst in diesem Sinne konzipiert hat. Schließlich wird damit der wirkmächtige, die Bildgrenze überschreitende Charakter 221 Vgl. McCarthy 2009, S. 94 f. Zum umfassenden Zweck von Broadsides siehe Shepard 1962, S. 25  : »In fact, if you assemble all the different types of subject of the broadsides from the sixteenth to the nineteenth centuries, you will find the unvarying make-up of the modern newspaper – Royalty, Murders, Topical News, Politics, Sport, Humour and Advertisements.« 222 Vgl. Shepard 1962, S. 25. 223 Vgl. Thuente 1994, S. 89 ff. 224 Siehe dazu Bibliothek, Yeats Archive. 225 A Broadside, Nr. 3, August 1914, S. 2, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/2/5. 226 Bereits Brown 2011, S. 48, wies hinsichtlich der Ballad Singer-Illustrationen der Cuala Press auf den Zusammenhang von Text und Bild hin, der recht eigentlich erst den nationalen Zusammenhang freilege  : »[…] combining word (the ballad) and image (an illustration of a ballad singer) to signify Irish cultural heritage, and arguably promoting Irish cultural nationalism. When an image such as The Ballad Singer is reproduced independently of the text it originally accompanied, however, it loses some of ist political signification, promoting a more nostalgic reading.«

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der Darstellung betont. Auf diese Weise regt das Blatt einen Dialog zwischen Bildpersonal und Zuschauenden an, der darauf abzielt, die emotionale Wirkung des Gesanges in den Vordergrund zu rücken, die nüchtern aufgearbeiteten Informationen der Tagespresse dagegen in den Hintergrund treten zu lassen.227 Die vom Künstler eingesetzte Lichtregie, die das Zeitungswesen erhellt, die altmodische Balladentradition aber dem Dunkel überlässt, führt die Betrachtenden dabei zunächst in die Irre. Sie lenkt den Blick direkt in das Innere des Hauses und macht ihn zunächst glauben, der Zeitungsleser verdiene seine eigentliche Aufmerksamkeit. Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass die beiden Ebenen von Bild und Text durch eine dritte, nämlich die mündlich vorgetragene Darbietung, ergänzt werden. Der Gesang der Protagonistin benötigt dabei, anders als die Zeitung, keine Lichtquelle, um wahrgenommen zu werden. Hierdurch wird verdeutlicht, dass die Worte, die aus ihrem Mund kommen, ihren Ursprung weniger in dem Blatt in ihrer Hand als vielmehr in ihrem Inneren haben, womit zusätzlich auf das Orale als die ursprünglichste Form der Vermittlung verwiesen wird. Die jeweiligen, in dem Broadside präsenten Medien sprechen demnach verschiedene perzeptorische Ebenen an, erfüllen unterschiedliche Funktionen und erhalten hierdurch ihre Berechtigung. Es kann daher angenommen werden, dass Yeats in der Darstellung nicht lediglich, wie von McCarthy vermutet, eine dem Vergessen geweihte Kultur der modernen gegenüberstellte,228 sondern durch das gleichzeitige Aufgreifen mehrerer Sinnesbereiche den Zeitgenoss:innen deren jeweilige Wichtigkeit vor Augen (und Ohren) führte. Darüber hinaus ist auch die von Yeats angewandte Technik der Zinkografie, die ihrer Anmutung nach an einen Holzschnitt erinnert, ebenso wie der Balladengesang als Verweis auf Vergangenes zu verstehen, auch wenn dieser durch die Kontextualisierung mit dem modernen Irland eine neue Auslegung erfährt und nicht als bloßer Erinnerungsgestus zu lesen ist. Wie bereits bei den Vertreter:innen des Arts and Crafts Movement, an deren Ideen sich die Yeats-Geschwister orientierten,229 kann auch Jack B. Yeats’ Zusammenführung diverser Medien und Themen als Anregung an die Betrachtenden verstanden werden, die Verbindung von Tradition und Moderne nicht als reine Addition zu verstehen, sondern als spezifisches Merkmal irischer Kultur zu begreifen. Dass sich Yeats, auch über die Darstellung des Themas hinaus, intensiv mit der Bedeutungsvielfalt der Balladen beschäftigte, macht einmal mehr seine Bibliothek deutlich, in der sich unzählige Bücher und Materialien zu diesem Gegenstand ausfindig machen lassen. Neben Zeitungsausschnitten mit Balladentexten und Kompendien 227 Auf die emotionale Wirkung irischer Balladen machte auch bereits Brown 2011, S. 48, aufmerksam  : »The Irish ballad style, incorporating music and heroic or dramatic subject matter, was intended to have a profound and stirring effect on the sentimental psyche.« 228 Vgl. McCarthy 2009, S. 95. 229 Vgl. Pyle 1994, S. 27 und 34. Lily Yeats war über ihre Tätigkeit für May Morris zunächst in das englische Arts and Crafts Movement eingebunden, bevor sie sich mit ihrer Schwester Lolly sowie ihrem Bruder Jack in der Irish Arts and Crafts Society für die irische Handwerkskunst engagierte.

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zu Irish Ballads230 zählten auch historische Gesangsbücher wie The Emmet Song Book  : Specially Compiled for the Irish Patriot’s Centenary231 oder The Home Rule Song Book  : Containing the Finest Selection of Irish National Songs zur Sammlung des Künstlers.232 Bezeichnend ist, dass sich Yeats’ Sammelleidenschaft für irische Balladen nicht auf seine frühe Tätigkeit als Illustrator beschränkte, sondern bis 1950 fortwährte. Diese anhaltende Faszination lässt sich auch anhand zahlreicher bildkünstlerischer Variatio­ nen des Balladensujets bis ins spätere Schaffen hinein nachvollziehen, wie etwa das 1925 entstandene Gemälde Singing the Beautiful Picture zeigt.233 In den entsprechenden Darstellungen verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart, wobei die vernakularen Themen, angereichert mit traditionsreichen Symbolen, im Kontext der politischen Aufbruchsstimmung Irlands verortet werden müssen. So mag es wenig überraschen, dass sich in den letzten Ausgaben der Broadsides aus den Jahren 1914 und 1915 neben nationalromantischen Motiven wie den Balladensänger:innen auch Auseinandersetzungen mit tagespolitischen Ereignissen finden. Hierzu gehört etwa das Massaker an irischen Zivilist:innen durch das britische Militär in Dublin 1914.234 Es ist bekannt, dass Yeats zu dieser Zeit politischen Veranstaltungen und öffentlichen Reden beiwohnte, darunter jenen von Patrick Pearse (1879 – 1916), der nur wenig später, 1916, im Zuge des Osteraufstandes die Proklamation der Irischen Republik verlesen sollte. Beeindruckt von diesen Ereignissen hielt der Künstler die Szenen in seinen Skizzenbüchern (Abb. 21) und frühen Gemälden, wie The Public Speaker von 1915, fest (Abb. 22).235 Yeats’ Beispiel macht damit einmal mehr deutlich, wie eng künstlerische Aneignungs­ prozesse und politisches Geschehen im Zuge des Celtic Revival miteinander verknüpft waren. Die bisher von der Forschung nicht bemerkte stilistische Nähe von Bal­laden­sän­ ger:innen und politischen Rednern im Werk des Künstlers unterstützt diese Annahme.

230 Im Yeats Archive werden zwei Boxen mit Materialien zu irischen Balladen aufbewahrt, die den Zeitraum von um 1850 bis 1950 umfassen. – Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/86 und Y1/JY/24/1/6/87. 231 Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/96, vermutlich 1903. 232 Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/99, um 1890. 233 Jack B. Yeats, Singing the Beautiful Picture, 1925, Öl auf Holz, 23 × 35,5 cm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection. 234 Vgl. Pyle 1994, Nr. 1986, S. 273. A Broadside  : The Scene of a Tragedy, Nr. 9, Februar 1915, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/2/5, greift die Erschießung von Zivilist:innen am Bachelor’s Walk durch die King’s Own Scottish Borderers auf (Abb. 65). Das Thema hat Yeats 1915 ein weiteres Mal in seinem berühmten Gemälde A Bachelor’s Walk, In Memory (Abb. 63) verarbeitet. 235 SK 154  : Dublin and Greystones, Pearse, Campbell-poet, 1914, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/1/1/154  ; dazu auch Pyle 1989, S. 118 und Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 96, S. 83. 1914 besuchte Yeats öffentliche Reden von Patrick Pearse. Laut Murphy hat Jack B. Yeats, den er von allen Familienmitgliedern als »the most radical politically« beschreibt, zudem Sinn Féin-Treffen besucht. – Vgl. Murphy 2001, S. 455.

82  |  Paradigmen künstlerischer und kultureller Identitätsbildung um 1900 Abb. 21 Jack B. Yeats, P. H. Pearse, SK 154, 1914, Bleistift, 120 × 90 mm, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/154/31.

Abb. 22 Jack B. Yeats, The Public Speaker, 1915, Öl auf Holz, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz.

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In dem 1912 erschienenen Band Life in the West of Ireland werden beide Sphären des öffentlichen Lebens sogar innerhalb einer Darstellung miteinander verschränkt.236 So zeigt die Illustration Singing a Political Ballad zwei Balladensänger, die umringt von einer Zuhörerschar politische Lieder vortragen.237 Darüber hinaus belegt die Gegenüberstellung der Balladensänger in A Lamenation for Hugh Reynolds (Abb. 19) und The New Ballad (Abb. 18) mit den Skizzen des Redners Patrick Pearse (Abb. 21) die Interferenz der Motive, lassen sich die stolze Haltung und der nach oben gewandte Blick des Rhetors doch auch bei der Figur des Balladensängers von 1915 ausmachen. Denkbar ist, dass Yeats mit der Verknüpfung der Themen einmal mehr auch einen Rück­bezug auf die Geschichte ermöglichen wollte. Immerhin ist der verspielte Duktus, der noch bei den Balladensängern von 1908 zum Ausdruck kommt, bei dem Interpreten der New Ballad nicht mehr festzustellen. Stattdessen erinnert der Gestus des Mannes an politische Wortführer jener Zeit. So wirkt es, als ob die Gestalt, ihrer archaischen Anmutung zum Trotz, mit der New Ballad zugleich die Botschaft eines neuen Irlands verkünden wollte. Dass der Sänger dabei in geradezu versatzstückartiger Weise von den Ideen eines alten – als vorbildhaft imaginierten – Irlands umgeben wird, deutet bereits der prähistorische Menhir am rechten Bildrand an, der in diesem Zusammenhang als eindeutiger Verweis auf ein zeitlich weit zurückreichendes Irland verstanden werden muss. Im Vordergrund des Steinblockes ergänzt eine Steinmauer die Szenerie, die, wie auch die strohgedeckten Cottages am gegenüberliegenden Straßenrand, als typisch für den irischen Westen gelten kann. Vervollständigt wird die Kulisse durch eine ebenso karge wie eindrucksvolle Landschaft, in der alle Spezifika irischer Natur vereint sind. Neben der baumlosen Landschaft und den hoch aufragenden Bergen im Hintergrund zählt hierzu auch die Meeresküste samt einer vorgelagerten Insel. In Verbindung mit dem über die Bildgrenze hinausweisenden Weg des Balladensängers sowie dem ­Titel des Blattes verschmilzt so die Vorstellung eines vergangenen Irlands mit der eines kommenden, wobei die Armut des Mannes und der Szenerie – in Abgrenzung zum englischen Einfluss – zum Ideal umgedeutet wird. Von Zeitgenoss:innen wurde den Broadsides bereits früh ein dezidiert vernakularer Charakter bescheinigt, wobei man Yeats’ Arbeiten die Werke anderer, national bedeutsamer Künstlergrößen gegenüberstellte. So verglich der Schriftsteller Padraic Colum (1881 –  1972) dessen Arbeiten 1914 mit Francisco de Goyas (1746 – 1828) zwischen 1793 und 1799 entstandenen Caprichos  : »Through the ›Broadside‹ this artist has done for Ireland something like what Goya did for Spain through the ›Caprices‹ – described a great series of national types.«238 In Großbritannien und Irland war das Interesse an ­Goyas Werk vor allem durch die 1900 veröffentlichte Monografie William Rothensteins (1872 – 1945) geweckt und ins Bewusstsein von Künstler:innen und Kulturschaffen236 Vgl. Yeats 1912. 237 Jack B. Yeats, Singing a Political Ballad, Illustration aus Life in the West of Ireland, 1912. 238 Colum 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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den gerückt worden.239 Dies spiegeln auch die in dieser Zeit getätigten Ankäufe der National Gallery of Ireland wider.240 Dass Goyas Aquatinta-Radierungen und Yeats’ Zinkografien inhaltlich und formal­ ästhetisch eher Unterschiede als Übereinstimmungen aufweisen, scheint für Colum nicht von Bedeutung gewesen zu sein, ging es ihm doch nicht um den künstlerischen Vergleich der Arbeiten. Ihm kam es vielmehr zentral auf die Ähnlichkeit der beiden Serien in der Herausbildung von »national types«241 an. Zusätzlich referierte er mit dem Verweis auf die gesellschaftliche Dimension auf Goyas einmalige künstlerische Funktion im »Zeitalter der Revolutionen«242 und übertrug diese auf Yeats’ Rolle im von Umbrüchen geprägten Irland des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus lässt sich vermuten, dass er neben der nationalen Bedeutung auch die genuine Herangehensweise beider Künstler hervorheben wollte, mit der sie sich aktuellen Themen näherten.243 Was Rothenstein für Goya betonte, nämlich, dass der Spanier die Ereignisse in seine Kunst so übertrug, wie er sie zuvor »with his own eyes«244 gesehen habe, wurde um 1900 in ähnlicher Weise für Yeats konstatiert. Laut Colum malte auch der Ire nur das, was er tatsächlich gesehen hatte  : »Jack Yeats only paints what he has actually seen.« Diese Augenzeugenschaft würde zugleich den authentischen Charakter der Werke ausmachen, der die Betrachtenden zu dem einstimmigen Urteil führe  : »This is Ireland.«245 Letztlich ist Colums adelnder Analogieschluss als Versuch zu werten, Yeats’ Broad­sides einerseits in ihrer zentralen kulturellen sowie politischen Bedeutung für Irland hervorzuheben und diese andererseits in den Kanon der modernen Kunstgeschichte einzubetten. 2.2.4 »Great Nationalist leaders from O’Connell to Parnell«246  : Politische Dimension Die Forderungen nach einem autonomen Staatsgebilde reichen in Irland weit zurück (vgl. Kap. 2.1.4)  ; für die Erinnerungen des 20. Jahrhunderts spielen aber vor allem die Ereignisse seit der Wende zum 19. Jahrhundert eine entscheidende Rolle, die von »great

239 Vgl. Rothenstein 1900. 240 Zur Goya-Rezeption in Großbritannien und Irland siehe Glendinning 2010. Die National Gallery of Ireland kaufte 1905 und 1908 zwei Porträts des Spaniers  : Portrait of a Lady in a Black Mantilla, ca. 1824, Öl auf Leinwand, 54 × 43 cm und El Conde del Tajo, ca. 1800, Öl auf Leinwand, 61 × 51 cm. 241 Colum 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 242 Ausst.-Kat. Hamburg 1980, S. 21. 243 Zur antiakademischen Herangehensweise Goyas siehe etwa Traeger 2000, S. 56. 244 Rothenstein 1900, S. 23. 245 Colum 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 246 Cork Examiner, 30. Mai 1910, TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52, 2).

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Nationalist leaders from O’Connell to Parnell«247 geprägt wurden. Referenzen auf die spätere gesellschaftliche Verehrung von Politikern sind dabei häufig im kulturellen Bereich anzutreffen, so etwa in zeitgenössischen Ausstellungen zum Celtic Revival,248 aber auch in Yeats’ Skizzenbüchern. Darin finden sich Zeichnungen von Bannern, Porträtgrafiken oder Statuen von Persönlichkeiten wie Wolfe Tone, Robert Emmet, Daniel O’Connell oder Charles Stewart Parnell.249 Darüber hinaus hielt Yeats diese und andere für die irische Geschichte wegweisende Personen in Aquarellen und Gemälden fest und trug auf diese Weise selbst zur nachträglichen Idolisierung bei. Dass Yeats die Porträts, wie von Halpin vermutet, nur zu dokumentarischen Zwecken anfertigte, erscheint indes wenig plausibel.250 Vielmehr ist davon auszugehen, dass er sich mit den dargestellten Persönlichkeiten und deren Zielen in gewisser Weise identifizierte. Nicht nur in künstlerischen, sondern auch in politischen Zeugnissen dieser Zeit wurde versucht, Retrospektion und Zukunftsvision in Einklang zu bringen. Wie sehr beide Ebenen miteinander überblendet wurden, machen die Anfangsworte der bereits angeführten Proklamation von 1916 deutlich. Darin heißt es  : […] Irishmen and Irishwomen  : In the name of God and of the dead generations from which she receives her old tradition of nationhood, Ireland, through us, summons her children to her flag and strikes for her freedom.251

Damit wurde die Nation, ganz nach Max Webers 1912 formuliertem Verständnis, als »gefühlsmäßige Gemeinschaft« adressiert, »deren adäquater Ausdruck ein eigener Staat wäre«.252 Allen politischen Bewegungen ab 1798 war das Bestreben gemein, eine nationale Identität für Irland zu formulieren. Diese Versuche fielen in ihren jeweiligen Ausformungen allerdings sehr unterschiedlich aus. Während es den United Irishmen Ende des 18. Jahrhunderts, in Anlehnung an die Werte der Französischen Revolution, auf Brüderlichkeit und Gleichheit der Bevölkerung angekommen war, bemühte sich O’Connell erfolgreich um eine genuin katholische Emanzipation, die 1829 mit dem Act of Emancipation rechtskräftig wurde. Im Anschluss setzte O’Connell mit 247 Cork Examiner, 30. Mai 1910, TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52, 2). 248 Ausstellung zum Celtic Revival im Mai 1910, siehe Cork Examiner, 30. Mai 1910, TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52/2). 249 Etwa SK 154  : Dublin and Greystones, Pearse, Campbell-poet, 1914, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/154. 250 Vgl. Halpin 1986, S. 111 – 113. Halpin behauptet in ihrer Magisterarbeit, in der sie versucht, Yeats’ Œuvre von sämtlichen politischen Zuschreibungsprozessen zu lösen, dass Yeats zwar viele politische Figuren in Skizzenbüchern festgehalten, sich aber nicht mit politischen Strömungen identifiziert habe  : »He sketched some of the most notable personalities of the day in his sketchbooks, but not with a bias towards Irish nationalism«, Halpin 1986, S. 111. 251 Declaration of the Irish Republic, 24. April 1916, siehe https://www.christies.com/features/TheIrish-Proclamation-of-Independence-7498-3.aspx [17.12.2022]. 252 Weber 1924, S. 484.

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seiner Repeal-Bewegung alles daran, den 1801 in Kraft getretenen Act of Union mit dem Königreich Großbritannien wieder aufzuheben. Dabei zielte er nicht auf eine vollstän­dige Unabhängigkeit Irlands ab, vielmehr ging es ihm um eine Restoration des irischen Parlamentes und die Durchsetzung größerer politischer Selbstbestimmung. Bereits zu Lebzeiten wurde O’Connell nicht nur von der gebildeten Oberschicht des Landes, sondern auch von der gälischsprachigen Landbevölkerung verehrt. Das ist insofern bemerkenswert, als O’Connell selbst den fortschreitenden Niedergang der irischen Sprache in Kauf nahm, ging er doch davon aus, dass eine einheitliche, auf dem Englischen basierende Verständigung nützlicher für das Erwirken der politischen Ziele Irlands ­wäre.253 Diese Haltung gegenüber der irischen Sprache änderte sich mit dem Aufkommen des europaweiten Phänomens der Nationalromantik,254 deren Ideen auch von jungen irischen Politikern aufgegriffen wurden. Ein Hauptaugenmerk lag hierbei auf der Heraus­bildung einer nationalen Identität auf der Grundlage einer eigenen Sprache. So hatte Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) bereits 1785 formuliert  : Ein Volk hat keine Idee, zu der es kein Wort hat  : die lebhafteste Anschauung bleibt dunkles Gefühl, bis die Seele ein Merkmal findet und es durchs Wort dem […] Verstande […] einverleibet  : eine reine Vernunft ohne Sprache ist auf Erden ein utopisches Land.255

Das aus O’Connells letztlich erfolgloser Repeal-Bewegung hervorgegangene Young Ireland Movement knüpfte an ebendiese gedanklichen Grundlagen an. Mit dem Namen lehnte man sich an die Volksbewegung des Jungen Italien (Giovine Italia) an, die aus der 1831er Revolution erwachsen war.256 Thomas Osborne Davis (1814 – 45), der zu den Gründern des Jungen Irland gehörte, kam zwar aus der protestantischen Mittelschicht, machte aber in der irischen Sprache einen wesentlichen Motor für den nationalen Zusammenhalt aus.257 Ähnlich wie es Herder Jahrzehnte vor ihm formuliert hatte, schrieb Davis 1843  :

253 Vgl. Doyle 2015, 107 – 113. 254 Zum umfassenden Phänomen der Nationalromantik siehe Leerssen 2018. 255 Herder 1887, S. 357. 256 Vgl. Doyle 2015, S. 115  ; zur historischen Einordnung des Geheimbundes Giovine Italia siehe Lill 1988, S. 101 – 116  ; Quinn sieht die in der Forschung verbreitete Verbindung zum Jungen Italien allerdings eher kritisch, auch weil Giuseppe Mazzini, der Initiator der Bewegung, sich gegen Irlands Unabhängigkeit und für dessen Zugehörigkeit zu Großbritannien aussprach. – Vgl. Quinn 2015, S. 37. 257 Vgl. Doyle 2015, S. 115. Davis war, anders als O’Connell, der irischen Sprache nicht mächtig. Und obwohl er vehement für die Renaissance der Muttersprache eintrat, erreichte er doch mit der Veröffentlichung englischsprachiger Texte in The Nation eigentlich das Gegenteil seiner Prämisse.

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The language, which grows up with a people, is conformed to their organs, descriptive of their climate, constitution and manners, mingled inseparably with their history and their soil, fitted beyond any other languages to express their prevalent thoughts in the most natural and efficient way.258

Der Text erschien zuerst in der Zeitung The Nation, die Davis 1842 gemeinsam mit Charles Gavan Duffy (1816 – 1903) und John Blake Dillon (1814 – 66) gegründet hatte, um die politischen Ideen der Bewegung zu verbreiten. In dem Blatt wurden Balladen sowie Texte zur irischen Kunst, Architektur und Geschichte veröffentlicht, mit dem Ziel, das irische Volk, unabhängig von der jeweiligen R ­ eligionszugehörigkeit, mittels der Erzählung einer eigenen Kultur zu einen. Für Davis begründeten sich nationale Bilder dabei nicht durch einen formalen Stil, sondern durch Themen, die auf historischen Sujets beruhten, wodurch Helden und Märtyrer in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden sollten.259 Ein weiterer Schwerpunkt der Zeitung bestand darin, Irlands Schicksal mit dem anderer britischer Kolonien zu kontextualisieren. Der Fokus lag hierbei auf Ländern wie »India, Affghanistan [sic], and China«260, wobei im Zuge von »cross-colonial sympathies«261 ein auf Gemeinsamkeiten abzielendes Narrativ des »Oriental-Celtic and Asian-Irish«262 entwickelt wurde. Diese politische Ausprägung des sogenannten Irish Orientalism, der sich in ähnlichen Alteritätserfahrungen begründete, sollte um 1900 von den Protagonist:innen des Celtic Revival wie Lady Gregory, W. B. Yeats und George Russell (Æ) wieder aufgegriffen werden.263 Welche zentrale Bedeutung dem Presseorgan des Young Ireland Movement beigemessen wurde, machen Gemälde wie Henry McManus’ (ca. 1810 – 78) um 1850 entstandenes Ölbild Reading »The Nation« deutlich (Abb. 23). Darin haben sich mehrere Personen um einen älteren, weißhaarigen Mann versammelt, um sich von ihm aus einer Ausgabe der Nation vorlesen zu lassen. Das g­ otische Kirchenportal im Hintergrund kann dabei als Verweis auf die tief verwurzelte Religiosität Irlands und eine weit zurückgehende Geschichte verstanden werden.264 Die dargestellte Szene nimmt Bezug auf eine historisch belegte Praxis, wurden die Inhalte der Zeitung doch vor allem in 258 Thomas Davis zitiert nach Crowley 2005, S. 107. Der Text Our National Language, Part I erschien zuerst am 1. April 1843 in The Nation (Part II ebd. am 30. Dezember 1843). 259 Vgl. Sheehy 1980, S. 29 f. 260 The Nation, 15. Oktober 1842, S. 6, zitiert nach Lennon 2004, S. 216. 261 Lennon 2004, S. 219. 262 Lennon 2004, S. 216. 263 Vgl. Lennon 2004, S. 205 – 214. Lennon bespricht in seiner grundlegenden Untersuchung zum Irish Orientalism die politischen, kulturellen und historischen Vernetzungen zwischen Orientalismus und Keltentum. Im Gegensatz etwa zum britischen Orientalismus wurde der ›Orient‹ von Iren nicht als das ›Andere‹, sondern als das ›Gemeinsame‹ begriffen. Mittels der Identifikation mit dem ›Orient‹ verfolgte man Strategien der Dekolonisierung, siehe Lennon 2004, S. XXVIII – XXX. 264 Vgl. Sheehy 1980, S. 35. Sie weist darauf hin, dass es sich um eine Kirche in Munster handeln könnte, vor der sich die Menschen nach dem Gottesdienst versammelt haben. Meines Erachtens ist das Kirchengebäude hier vielmehr als symbolischer Verweis auf die Verbindung beider Re-

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Abb. 23 Henry McManus, Reading »The Nation«, um 1850, Öl auf Leinwand, 30,5 × 35,5 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

Regionen Irlands rezipiert, in denen es eine hohe Analphabetismusrate gab.265 Noch Jahrzehnte später berichtete der Fenier Jeremiah O’Donovan Rossa (1831 – 1915) in seiner Autobiografie, wie leseunkundigen Iren aus The Nation vorgetragen wurde  : I remember on Sundays, how I’d sit for hours in the workshop of Mick Hurley, the carpenter, at the lower side of the Pound Square [in Rosscarbery, Co. Cork, Verf.], listening to Patrick (Daniel) Keohane reading the Nation newspaper for the men who were members of the Club. He was the best scholar in our school.266

ligionen zu sehen, so auch bereits Ausst.-Kat. Dublin 2006b, S. 129, Kat.-Nr. 67, verfasst von Brendan Rooney. 265 Vgl. Murphy 2018, S. 45. Laut Welsh wurden ca. 10.000 Exemplare pro Ausgabe verkauft, die dann privat zirkulierten, was die Reichweite auf 250.000 Rezipienten erhöhte. – Vgl. Welch 1996, S. 390. 266 O’Donovan Rossa 1972, S. 106 f.

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Ganz im Sinne der Young Irelander und ihres Organs führte MacManus in dem querformatigen Werk alle Gesellschaftsschichten zusammen und vereinte Jung und Alt, Männer und Frauen, die angeregt über die identitätsstiftenden Inhalte des Tagesblattes debattieren. Sinnbildlich steht die Gruppe demnach für eine irische Nation, die ihre politischen und konfessionellen Differenzen durch die vermittelten Inhalte zu überwinden vermag. Bisher unbemerkt geblieben ist, dass diese Programmatik durch die Farbgebung des Gemäldes unterstrichen wird, rekurriert doch offenbar die Kleidung der rechts stehenden Frau, die aus einem grünen Kopftuch, einem orangefarbenen Umhang sowie einem weißen Unterkleid besteht, auf die irische Trikolore. Mit dem Gebetsbuch und dem Rosenkranz in ihrer rechten Hand wird die junge Irin zwar deutlich als Katholikin charakterisiert, ihr in Orange gehaltener Überwurf aber schließt auch den protestantischen Glauben mit ein. In Verbindung miteinander kennzeichnen die Farben die Protagonistin als allegorische Figur. Gleichzeitig wird hierdurch die Aktualität des Bildes hervorgehoben. Gehisst wurde die irische Flagge erstmals 1848 durch den Young Irelander ­Thomas Francis Meagher (1823 – 67) in Waterford. Die Inspiration für die Gestaltung der dreifarbigen Flagge verdankte er der französischen Trikolore und einem Frankreichaufenthalt im selben Jahr, wo er die revolutionären Umtriebe in dem Land verfolgte. Mit der symbolischen Verbindung von Orange und Grün zielte Meagher auf den Frieden zwischen Protestanten und Katholiken ab, der den Weg zu einer brüderlichen Einheit Irlands ebnen sollte  : The white in the centre signifies a lasting truce between Orange and Green and I trust that beneath its folds the hands of Irish Protestants and Irish Catholics may be clasped in generous and heroic brotherhood.267

Folglich gehen in MacManus’ Bild gemalte Darstellung und politische Botschaft Hand in Hand, wobei er die Zeitung als verbindende Kraft ins Zentrum rückte, mit dem sichtbaren Titel aber zugleich die Zielsetzung des Organs visualisierte. Unterstrichen wird diese Annahme durch die Tatsache, dass sich das Gemälde lange Zeit im Besitz des befreundeten Charles Gavan Duffy befand, der zu den Mitbegründern der Zeitung gehörte.268 Zeitlich nach der Niederschlagung der Young Irelander Rebellion im Juli 1848 entstanden, scheint das Gemälde zudem nicht nur die Ideen der Zeitung, sondern auch die Ideale des Aufstandes zu bekräftigen. Der gewalttätige Aufruhr folgte dem Beispiel der französischen Februarrevolution und reihte sich damit in die Reihe der europaweit aus-

267 Meagher zitiert nach https://www.gov.ie/en/publication/adc448-the-national-flag/ [17.12.2022]. 268 Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2006b, S. 129, Kat.-Nr. 67, verfasst von Brendan Rooney. Das Bild wurde 1903 durch die Familie von Charles Gavan Duffy der National Gallery of Ireland in Dublin geschenkt.

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zumachenden Unruhen von 1848/49 ein.269 Allerdings blieb die als »cabbage-garden revolution«270 bezeichnete Rebellion politisch zunächst folgenlos. Während die meisten Aufrührer und Sympathisanten Irland verließen, um einer Verhaftung zu entgehen, wurde The Nation vorübergehend eingestellt, allerdings bereits 1849, mit gemäßigteren Inhalten, wieder aufgelegt. So muss der Einfluss des Young Ireland Movement eher langfristig gesehen werden, diente die Bewegung doch nachfolgenden Bruderschaften als wichtiges Vorbild. Mit den politischen Flüchtlingen James Stephens (1825 – 1901) und John O’Mahony (1815 – 77) gründeten zwei Anhänger des Young Ireland Movement bald darauf neue nationalistische Gruppierungen. Dabei nahm Stephens sein in Frankreich gesammeltes Wissen über Untergrundbewegungen mit nach Irland und rief dort 1858 die Irish Republican Brotherhood (IRB) ins Leben, während O’Mahony zur gleichen Zeit in den USA die verbündete Fenian Brotherhood etablierte. Bereits 1867 kam es zum Fenian Rising, einem gegen die Union gerichteten Aufstand, der aber ebenso wie die Young Irelander Rebellion niedergeschlagen wurde und keine wesentlichen politischen Fortschritte brachte.271 Neben dem militärischen Streben nach Unabhängigkeit waren die Fenier den Young Irelanders auch in ihrem Interesse für kulturelle Belange verbunden. So führte etwa John O’Leary die Bemühungen der Bewegung fort, indem er seit 1863 die Zeitung Irish People mitherausgab.272 Zudem stand er seit 1885 als Präsident der literarischen Young Ireland Society in Dublin vor, einer Gesellschaft, die sich der literarischen Tradition des Young Ireland Movement verpflichtet sah.273 Die dort organisierten Veran­ staltungen wurden von bedeutenden Kulturschaffenden, darunter etwa W. B. Yeats, besucht.274 Im Unterschied zu Davis aber setzte O’Leary bei der Verbreitung irischer Inhalte ganz auf die Verwendung der englischen Sprache, ein Ansatz, der später auch von dem jungen W. B. Yeats geteilt wurde.275 Dass auch John Butler Yeats eine enge Bekanntschaft mit dem Fenier pflegte, zeigen O’Learys Besuche in Bedford Park und der Umstand, dass JBY ihn zwischen 1887 und 1904 gleich dreimal porträtierte.276 Besonders das 1887 gefertigte Bildnis, in dem der 269 Vgl. Jackson 1999, S. 55 f. 270 Zeitgenössischer Times-Journalist, zitiert nach Jackson 1999, S. 56. 271 Vgl. Doyle 2015, S. 117  ; Jackson 1999, S. 93. 272 Vgl. Andrews 2014, S. 188 – 192. 273 Vgl. Quinn 2015, S. 9 f. Sowohl O’Leary als auch W. B. Yeats betrachteten die Young IrelandBewegung auch kritisch und in Teilen als rückwärtsgewandt. – Vgl. Allison 2006, S. 190. W. B. Yeats nannte die Young Ireland Poetry »artificial«. – Vgl. Yeats 1999b, S. 359. 274 Vgl. Yeats 1999b, S. 103 und S. 437, Fn. 209. O’Leary hat den Namen der Gesellschaft in Anlehnung an die Young Ireland-Bewegung gewählt. 275 Siehe etwa Quinn 2015, S. 130 f. 276 Vgl. Pyle 1989, S. 27. Zu den Versionen siehe Portrait of John O’Leary (1830 – 1907), Nationalist and Journalist, 1887, Öl auf Leinwand, 92 × 71 cm, Dublin, National Gallery of Ireland  ; Portrait of John O’Leary (1830 – 1907), Nationalist and Journalist, 1904, Öl auf Leinwand, 112 × 87 cm,

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Abb. 24 John Butler Yeats, Portrait of John O’Leary (1830 – 1907). Nationalist and Journalist, 1887, Öl auf Leinwand, 92 × 71 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

bekannte Republikaner in Ehrfurcht gebietender Weise als bärtiger Mann mit Buch und Brille inszeniert wird (Abb. 24), zeigt, dass der Künstler den Fenier vor allem als Intellektuellen wahrnahm, dessen Ideen er teilte. Vor dem dunklen Hintergrund treten das Gesicht und die Hände O’Learys deutlich hervor. Mit nach innen gewandtem Blick schaut er in Richtung der Betrachtenden, so, als ob er im nächsten Moment das Wort an uns richten wollte. Darüber hinaus spiegelt das intime Porträt die Vertrautheit der beiden Männer wider. Für W. B.  Yeats verkörperte O’Leary ein Irland, das von Romantik und Nationalgefühl, der Verbindung von Kunst und nationaler Identität sowie dem selbstlosen Kampf für die gemeinsame Sache geprägt war.277 Seine Verehrung für den Politiker schlug sich in dem 1913 verfassten Gedicht September 1913 nieder, in dem, vor dem Hintergrund der Ablehnung von Hugh Lanes Modernesammlung durch die Dublin Municipal Corporation, das geringe Bewusstsein für kulturelle Errungenschaften in

Dublin, National Gallery of Ireland und Portrait of John O’Leary (1830 – 1907), Fenian, 1904, Öl auf Leinwand, 91 × 71 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 277 Bornstein 2006, S. 27 f.

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Irland bedauert wird  :278 »Romantic Ireland’s dead and gone. It’s with O’Leary in the grave.«279 Jack B. Yeats wiederum zeigte sich stärker von einem anderen Mitglied der IRB beeinflusst. So stellte, Pyle zufolge, Jeremiah O’Donovan Rossa für Jack B. Yeats eine ähnlich zentrale Identifikationsfigur dar wie O’Leary für John und W. B. Yeats.280 Das verdeutlichen vor allem die zahlreichen Skizzen, die der Künstler anlässlich von O’Donovan Rossas Begräbnis anfertigte.281 Nach dem Tod des Feniers 1915 in den USA war dessen Leichnam nach Dublin überführt, in der Dubliner City Hall aufgebahrt und schließlich auf dem Dubliner Glasnevin Cemetery beigesetzt worden, ein Ereignis, das von einer großen Menschenmenge begleitet wurde.282 Die flüchtigen Zeichnungen fangen neben der Bestattung auch das Grab sowie umstehende Hochkreuze, Dudelsackspieler und bewaffnete Irish Volunteers ein.283 Sowohl die Skizzen als auch eine Fotografie aus dem Daily Sketch, die die Aufbahrung in der City Hall zeigt, dienten Yeats nur wenig später als Vorlagen für die eigenständige Bleistiftzeichnung The Lying-in-State of the Exiled Fenian, Jeremiah O’Donovan Rossa (1831 – 1915), at Dublin City Hall, 2. August 1915 (Abb. 25).284 Der am rechten unteren Rand angebrachte Vermerk »turn over«285 verweist auf eine beschriftete Rückseite, die das dargestellte Geschehen der Vorderseite ausführlich erläutert. In Bild und Text schilderte Yeats, wie die Volunteers während der Aufbahrung nacheinander von dem Fenier Abschied nahmen, eine Szene, die Pyle als »anonymity of national grief«286 bezeichnete. Obwohl Yeats die Zeichnung nie in die Ölmalerei überführte, kann sie als Vorläufer anderer Begräbnisbilder des Künstlers gelten. Erwähnenswert sind zudem zwei Ver278 Vgl. Allison 2006, S. 192. 279 Yeats 1997, S. 107. 280 Vgl. Pyle 1993a, Nr. 715, S. 168 f. 281 SK 162  : Arklow, Circus at Greystones, Schull, 1915, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/162. 282 In Yeats’ Unterlagen finden sich bebilderte Zeitungsausschnitte zu O’Donovan Rossas Beerdigung. – Vgl. ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/13/2/2. Zur gemeinschaftsstärkenden Funktion offentlich inszenierter Begräbnisse, die ein Bewusstsein für irisches Märtyrertum evozieren sollten, siehe auch Hepburn 2014. O’Donovan Rossa wurde 1865 für seine aufrührerischen Aktivitäten verhaftet, kam aber 1870 frei und emigrierte in die USA, von wo aus er als Mitglied der Fenian Brotherhood eine gewalttätige Loslösung von Großbritannien propagierte. Nach seinem Tod im Jahr 1915 wurde sein Leichnam nach Irland überführt. Seiner Person wurde, politisch wirksam, in einem von Massen begleiteten Begräbnis gedacht. Seine Aufbahrung sowie seine Beerdigung wurden in zahlreichen Fotografien festgehalten und in Zeitungen veröffentlicht. 283 SK 162  : Arklow, Circus at Greystones, Schull, 1915, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/162. 284 Vgl. Daily Sketch  : O’Donovan Rossa Finds Rest at Last, 30. Juli 1915, abgeheftet in Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/15/2/2. 285 Jack B. Yeats  : The Lying-in-State of the Exiled Fenian, Jeremiah O’Donovan Rossa (1831 – 1915), at Dublin City Hall, 2. August 1915, recto, Inv.-Nr. NGI.3780. 286 Pyle 1986a, S. 38.

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Abb. 25 Jack B. Yeats, The Lying-in-State of the Exiled Fenian, Jeremiah O’Donovan Rossa (1831 – 1915), at Dublin City Hall, 2. August 1915, Bleistift auf Papier, 355 × 360 mm, Dublin, National Gallery of Ireland.

merke auf der Versoseite, wonach Yeats die Zeichnung »from memory«287 angefertigt habe. Es handelt sich um einen frühen Beleg seiner sich später verfestigenden collageartigen Arbeitsweise, für die er im vorliegenden Fall auf fotografische Vorlagen und Skizzen, aber auch auf persönliche Erinnerungen an O’Donovan Rossa zurückgriff. Das umfangreich dokumentierte Ereignis belegt dabei die hohe Wirkung, die das Schaffen O’Donovan Rossas sowie dessen immense identifikative Resonanz in der Bevölkerung bei Yeats hinterließ. So war der Fenier vornehmlich durch seine auf Gewalt setzende politische Propaganda sowie durch seine Inhaftierung in Erinnerung geblieben. Daneben jedoch setzte er sich intensiv für die irische Kultur und für den Erhalt der irischen Sprache ein. Innerhalb seiner Gruppierung blieb er damit eine Ausnahme. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die auf Davis zurückgehenden Bestrebungen wieder aufgegriffen, dann aber umso nachdrücklicher vorangetrieben.288 In der Folge des niedergeschlagenen Fenian Rising setzte sich bei vielen irischen Nationalist:innen die Überzeugung durch, dass politischer Erfolg nur durch 287 Jack B. Yeats  : The Lying-in-State of the Exiled Fenian, Jeremiah O’Donovan Rossa (1831 – 1915), at Dublin City Hall, 2. August 1915, verso, Inv.-Nr. NGI.3780. 288 Vgl. Crowley 2005, S. 107 f.

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konstitutio­nelle Reformen zu erreichen wäre. Hieraus resultierte 1870 die Gründung der Home Government Association durch Isaac Butt (1813 – 79). Die Initiative des Dubliner Rechtsanwaltes wurde rasch unter dem Namen Home Rule bekannt und brachte in der Folge die Irish Parliamentary Party hervor, die erfolgreich in Westminster einzog.289 Die Partei strebte, ähnlich wie bei O’Connells Repeal Movement, die Aufhebung des Act of Union und die Selbstverwaltung Irlands an. Selbst ehemalige Anhänger der Fenier, darunter auch W. B. Yeats, setzten sich bald für die gemäßigtere und damit erfolgversprechendere Bewegung ein.290 Butts Nachfolger, Charles Stewart Parnell (1846 – 91), verfolgte ab 1885 das Ideal eines autonomen Landes, wobei er von dem britischen Premierminister William Gladstone (1809 – 98) unterstützt wurde. Unter Parnell wurde 1886 die erste von drei Gesetzesvorlagen eingebracht, die aber keine Mehrheit erhielt und folglich nicht umgesetzt wurde.291 Ungefähr zeitgleich wurde die Irish National League gegründet, der es darum ging, Pächter gegen Gutsherren zu verteidigen.292 Der Ausgangspunkt zur Gründung der Irish National League war eine erneute Agrarkrise, die, anders als bei der Großen Hungersnot von 1845 – 49, politische und soziale Reaktionen in der Bevölkerung hervorrief. Die Kartoffelfäule hatte Mitte des 19. Jahrhunderts dazu geführt, dass eine Million Iren und damit 10 % der Gesamtbevölkerung an den Folgen der als Great Famine bekannt gewordenen Hungersnot starben. Eine weitere Million Menschen emigrierte zudem in die USA und nach Großbritannien. Ermöglicht worden war die Katastrophe erst durch die Laissez-faire-Politik der britischen Regierung, die keinerlei Hilfe für Irland vorsah und das dort geerntete Getreide weiter nach England exportieren ließ. Die auf den Penal Laws beruhende, ungerechte Landverteilung begünstigte die Armut der Bevölkerung.293 Es war diese soziale Schieflage, die durch die Aktivitäten der Irish National League bekämpft werden sollte. Parnell unterstützte die Bestrebungen, die schließlich zum Land War führten, an dessen Ausgang die Stärkung der Rechte irischer Mieter:innen stand.294 1890 wurde der von vielen verehrte Parnell allerdings durch eine Affäre mit einer verheirateten Frau zu Fall gebracht und musste von seinen Ämtern zurücktreten. Mit seinem Tod, nur ein Jahr später, verlor die Home Rule-Bewegung ihre charismatische Führungspersönlichkeit. Die weiteren Gesetzesvorschläge zur Umsetzung der Home Rule (1893 und 1912), die unter dem neuen Anführer John Redmond (1856 – 1918) eingereicht wurden, blieben erfolglos. In der Folge kam es zur erneuten Radikalisierung nationalistischer Gruppierungen, die sich nunmehr sowohl im protestantisch geprägten als auch im katholisch dominierten Lager herausbildeten. Damit einher ging das Ende der überkonfessionellen Be289 Vgl. Doyle 2015, S. 161 f. 290 Vgl. Howes 2006b, S. 10. 291 Vgl. Foster 2012, S. 13 – 19. 292 Vgl. Doyle 2015, S. 162 f. Die Irish National League wurde 1882 als Nachfolgeorganisation der Land League gegründet, die 1881 verboten worden war. 293 Vgl. Breuer 2003, S. 83 – 86. 294 Vgl. Doyle 2015, S. 162 f.

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mühungen des Home Rule Movement. 1913 gründete sich in der nördlichen Provinz Ulster die Bürgermiliz der Ulster Volunteers, die unionistische Ziele verfolgte und die in der dritten Home Rule Bill von 1912 geforderte Selbstverwaltung Irlands ablehnte. Als Reaktion darauf wurden noch im selben Jahr in Dublin die Irish Volunteers ins Leben gerufen, die Unterstützung durch die IRB erhielten. Beide Gruppierungen sahen den bewaffneten Kampf als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Vorhaben an. Allerdings bedeutete der Ausbruch des Ersten Weltkrieges für den Kampf auf beiden Seiten eine Zäsur, zumindest für eine gewisse Zeit.295 In welch umfangreicher Weise die nationalistischen Bemühungen am Beginn des 20. Jahrhunderts auch innerhalb der Künste reflektiert wurden, haben bereits die erwähnten Werke der Yeats-Familie aufgezeigt  : Neben John Butler Yeats’ Politikerporträts und W. B. Yeats’ Gedicht September 1913 sind hierzu auch Jack B. Yeats’ Zeichnungen von politischen Persönlichkeiten, Gedenkfeiern (vgl. Kap. 2.2.2) und Begräbnissen zu zählen. Die vielfältige und weit darüber hinausgehende Reflexion der Ereignisse ist auch damit zu erklären, dass die Geschehnisse als Teil des »kulturellen Gedächtnisses«296 anschlussfähig waren für das Narrativ einer genuin irischen Kultur der Moderne. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Divergenzen der unterschiedlichen politischen Ausprägungen – mal demokratisch, mal sektiererisch, mal konstitutionell, mal radikal – in der Kunst um 1900 nivelliert und zu einer Erzählung der nationalen Freiheitssuche im Sinne einer longue durée vereinheitlicht wurden. 2.2.5 »Vision of Ireland’s past, present and future«  :297 Archäologie, Keltologie und re-gälisierte Kunst Neben politischen Szenen entstanden um 1900 auch symbolische und romantisierende Werke, die den visuellen Charakter des Celtic Revival maßgeblich bestimmten. Der Ursprung jener Bildfindungen lag dabei häufig in archäologischen Funden keltischer Objekte, deren wissenschaftliche Aufarbeitung sowie museale Präsentation ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Hinzu kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts die vehemente Beförderung der irischen Sprache, mit der zugleich ein Interesse für die gälische Mythologie einherging. Dies führte in der Kunst zu einem gesteigerten Interesse für Themen, die dem Fantastischen verhaftet waren und die als wesentlicher Bestandteil des »Gedächtnis-Paradigmas«298 zu betrachten sind. 295 Vgl. Townshend 2013, S. 56 – 61  ; Doyle 2015, S. 161 – 163. Im Ersten Weltkrieg kämpften die Iren auf der Seite der Briten. 296 Assmann, S. 18. Assmann geht in ihrem Buch zum kulturellen Gedächtnis unter anderem auch dem Phänomen der Erinnerungspolitik nach, das einen wichtigen Faktor im Kontext der Identitätsbildung darstellt. 297 Cork Examiner, 30. Mai 1910, TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52,2). 298 Assmann, S. 17.

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Über eine Irish Art-Ausstellung in der Londoner Whitechapel Gallery, in der irische Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart präsentiert wurde, hieß es am 30. Mai 1910 in einer Rezension des Cork Examiner  : Here the Harp of Brian Boru, here the Tara Brooch, and here the glories of the Church, the Book of Kells, the Ardagh Chalice, the Cross of Cong […], the Golden Bell  ; lastly, the ruins of the great abbeys speak for themselves. There is little here to tell of the dark days of oppression […]. The new hope that goes back to the old, with Synge, »Æ«, Campbell, Jack Yeats, and many others in the van.299

Der Artikel entwirft eine Vorstellung, nach der sich die Kunst der Gegenwart als hoffnungsvolle Erneuerung aus den alten kulturellen Errungenschaften generiert. Die umfangreiche Präsentation irischer Artefakte würde in dem Besucher der Ausstellung nichts weniger hervorrufen als das Gefühl, dass Irland wieder an Größe gewinnen werde, kulturell wie politisch  : »Ireland will rise again like a Phoenix from its own ashes […].«300 Der den Arbeiten innewohnende »Celtic spirit«301 zeichne dabei die Besonderheit irischer Kunst aus. Doch wie waren die als keltisch bezeichneten Werke, wie die Harfe des Brian Boru,302 die Tara-Fibel oder die Ruinen der alten Kirchen, wieder ins Bewusstsein und schließlich in den Kontext zeitgenössischer Kunstausstellungen gelangt  ? Maßgeblich zu deren Wiederentdeckung beigetragen hatte George Petrie (1790 – 1866), der im e­ rsten Drittel des 19. Jahrhunderts die Archäologie in Irland als Wissenschaft etablierte. Nach dem Fund der Tara-Fibel etwa, im Jahr 1850,303 war Petrie, der zugleich als Maler und Musiker in Erscheinung trat, der erste, der die Anstecknadel im Rahmen einer wissenschaftlichen Präsentation für die Mitglieder der Royal Irish Academy beschrieb.304 Erklärtes Ziel Petries und archäologischer Gesellschaften, wie der 1845 gegründeten 299 Cork Examiner, 30. Mai 1910, TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52,2). 300 Cork Examiner, 30. Mai 1910, TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52,2). 301 Cork Examiner, 30. Mai 1910, TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52,2). 302 Um den Ursprung der Harfe, die heute im Trinity College in Dublin aufbewahrt wird, wurde in der irischen Forschung seit dem 18. Jahrhundert gestritten. Noch 1786 wurde sie von Charles Vallancey für die Harfe des Brian Boru (um 940 – 1014), des irischen Hochkönigs aus dem frühen 11. Jahrhundert, gehalten. Petrie widerlegte diese These 1840 und ordnete die Harfe zeitlich ins 14. oder frühe 15. Jahrhundert ein. – Vgl. O’Donnell 2014, S. 111 – 113. Sie wurde als Vorlage für Broschen, Gemälde und Grafiken herangezogen und ab 1862 sogar als Markenzeichen für die Guinness-Brauerei genutzt. – Vgl. Sheehy 1980, S. 12. 303 Bei der Tara-Fibel handelt es sich um eine vergoldete Anstecknadel aus dem frühen 8. Jahrhundert. Sie wurde 1850 in Bettystown, Co. Meath, gefunden. Die 8,7 cm große Brosche stellt einen Höhepunkt der Schmuckkunst des irischen ›Goldenen Zeitalters‹ dar und befindet sich heute im Dubliner National Museum of Ireland. Sie ist mit Tier- und Flechtformen sowie mit Bernsteinen versehen. Eine ähnliche stilistische Ausgestaltung findet sich an Hochkreuzen oder im Book of Lindisfarne. – Vgl. Harbison 1999, S. 70 f. 304 Vgl. Whitfield 1976, S. 14.

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Celtic Society, war es, das Alte zu erschließen, zu bewahren und für die Nachwelt zu erhalten. Dabei ging es nicht nur um die systematische Erfassung keltischer Kunstgegenstände, sondern auch um die Erschließung mittelalterlicher Bauwerke. Durch die Veröffentlichung zahlreicher Schriften, durch Museumsankäufe und die touristische Vermarktung der Objekte gelang es, die als homogen keltisch erkannte Vergangenheit in der gegenwärtigen Öffentlichkeit zu verankern.305 Unter anderem publizierte Petrie hierzu regelmäßige Beiträge im Young IrelandOrgan The Nation.306 Darüber hinaus verfasste er grundlegende wissenschaftliche Schriften zur mittelalterlichen Sakralarchitektur Irlands sowie zur baulichen Erschließung des Westens, die er mit eigenen Illustrationen versah. Seine Untersuchungen beschränkten sich dabei auf den Zeitraum »anterior to the Anglo-Norman invasion«307. Petries Zeichnungen und Gemälde wurden in Reiseführern des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts als Drucke wiederverwendet, wodurch sie entscheidend zur massenwirksamen Verbreitung seiner systematischen Erfassung irischer Kunst- und Bauwerke beitrugen.308 In der Folge setzten weitere Forscher:innen Petries Bemühungen fort. Hierzu gehört Margaret McNair Stokes (1832 – 1900), die sich den von ihr untersuchten Objek­ ten, ähnlich wie Petrie, in analytischen Beschreibungen und präzisen Zeichnungen näherte, mittels derer sie den »intellectual vigour«309 sowie die »native individuality«310 der vergangenen Kultur zu erhalten suchte. Darüber hinaus verfolgte sie aber ein weiterführendes Ziel, beabsichtigte sie doch, die Qualität der zeitgenössischen lokalen Kunstproduktion mittels der Wissensvermittlung alter Fertigungsmethoden zu erhöhen, wodurch zugleich der autochthone Charakter der gegenwärtigen Objekte verstärkt werden sollte. Entsprechend heißt es in ihrer 1887 erschienenen Untersuchung zur Early Christian Art in Ireland  : The arts in which Christian Ireland excelled before the thirteenth century were, the writing and ornamentation of MSS., metal-work, stone-cutting, and building. It is therefore for those who practise these handicrafts in the present day, that we hope to show the 305 Vgl. Sheehy 1980, S. 20 ff. 306 Vgl. Sheehy 1980, S. 30. 307 So hat Petrie in seinem 1845 in Dublin erschienenen Buch The Ecclesiastical Architecture of Ire­ land, anterior to the Anglo-Norman Invasion  ; Comprising an Essay on the Origin and Uses of the Round Towers of Ireland sämtliche Sakralbauten Irlands erfasst und die Texte um eigene Zeichnungen ergänzt. 308 Zum umfangreichen Schaffen Petries siehe Ausst.-Kat. Cork 2004. 309 Stokes, Margaret  : Christian Inscriptions in the Irish Language. Chiefly Collected and Drawn by George Petrie, hg. v. Stokes, Margaret, 2. Bde., Bd. 2, Dublin 1872 – 78, S. 154, zitiert nach McEvansoneya 2011, S. 160. 310 Stokes, Margaret  : Christian Inscriptions in the Irish Language. Chiefly Collected and Drawn by George Petrie, hg. v. Stokes, Margaret, 2. Bde., Bd. 2, Dublin 1872 – 78, S. 142, zitiert nach McEvansoneya 2011, S. 160.

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advantage of a close study of such of these ancient writings, relics, and monuments as have, through the energy and learning of our antiquaries, been discerned and preserved for our instruction. Two distinct benefits may be drawn from this pursuit, the first being the development among our illuminators, goldsmiths, and stone-cutters of a higher standard of technical execution, of precision and delicacy of finish, than exists in the present day  ; the second and larger benefit, that of indicating to a designer or architect where he may find the salient points in works of ancient Irish Art, which distinguish it from that of other countries, which give it a native character, and which, when once fully grasped, he can seize and graft upon his own design.311

Sowohl in Irland als auch in England hatte sich die Vermarktung keltischer Ästhetik zu diesem Zeitpunkt bereits durchgesetzt. So wurden von der Tara-Fibel schon kurz nach ihrer Entdeckung Repliken angefertigt und über die Firma Waterhouse and Co. verkauft. 1850 gelang es der Firma sogar, Queen Victoria zum Kauf zweier Tara-Fibel-Kopien anzuregen, woraufhin die Brosche unter dem Namen »Royal Tara Brooch« noch größere Bekanntheit erlangte.312 Inspiriert durch Waterhouses Vorgehen vertrieben in der Folge auch andere Unternehmen keltische Schmuckstücke. Der Verkauf der Kopien, deren Vorbilder man in Ausstellungen bestaunen konnte, erfolgte häufig im Rahmen von Großveranstaltungen, wie der Great Exhibition im Londoner Crystal Palace 1851 oder der Irish Industrial Exhibition in Dublin 1853, wo man eine breite Masse erreichen konnte.313 In der Dubliner Industrial Exhibition wurden Objekte wie das Book of Kells oder keltische Hochkreuze dabei neben zeitgenössischen Gemälden und Skulpturen prä­sen­tiert,314 die, wie John Hogans 1844 angefertigte, zentral platzierte Marmorskulp­tur Hibernia with the Bust of Lord Cloncurry, einen konkreten Bezug zu den historischen Artefakten herstellten.315 Hibernia, die Personifikation Irlands in Gestalt einer jungen Frau, legt ihren Arm um die Büste Lord Cloncurrys (1773 – 1853), während ihr linker Fuß auf einem irischen Wolfshund ruht. Ihr rechter Arm berührt sanft die Saiten einer Harfe. Der Kunstsammler und ehemalige United Irishman, Lord Cloncurry, hatte die Arbeit selbst in Auftrag gegeben, um sich und seine Schriften, die am Fuß der Büste aufgestellt sind, umringt von nationalen Symbolen im Dienste Irlands repräsentieren zu lassen.316 311 Stokes 1887, S. 6 f. 312 Vgl. Sheehy, S. 86 f. 313 Vgl. Sheehy 1980, S. 87. Die Irish Industrial Exhibition in Dublin wurde in Anlehnung an die Great Exhibition in London ausgerichtet. Finanziert wurde die Ausstellung irischer Erzeugnisse von dem Eisenbahnmagnaten William Dargan (1799 – 1867). Diese Ausstellung, die vor allem Gemälde und Skulpturen zeigte, war für das kulturelle Leben Dublins wegweisend. Nur ein Jahr später, 1854, wurde auf Grundlage der temporären Schau die ständige Sammlung der National Gallery of Ireland gegründet. – Vgl. Cullen 2012, S. 20 – 24. 314 Vgl. Cullen 2012, S. XIV  ; Netzer 1993, S. 96. 315 John Hogan, Hibernia with the Bust of Lord Cloncurry, 1844, University College Dublin, Belfield House. 316 Vgl. Cullen 2012, S. 21  ; Turpin 1980, S. 11.

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Neben Wolfshund und Harfe waren seit dem 19. Jahrhundert auch weitere Sinnbilder wie das Kleeblatt oder der Rundturm geeignet, Irishness zu veranschaulichen.317 Im Falle der Rundtürme waren es einmal mehr Petries Schriften, die zu deren Renaissance beitrugen  : Im Zuge des keltischen Wiedererwachens wurden die Türme, die im Kontext mittelalterlicher Klosteranlagen entstanden waren, aus ihren ursprünglichen baulichen Zusammenhängen gelöst und etwa als nationale Denkmäler nachgebildet. Das wohl bekannteste Beispiel ist der 1869 zu Ehren Daniel O’Connells errichtete Rundturm auf dem Glasnevin Cemetery in Dublin.318 Auch Jack B. Yeats hat um 1900 zahlreiche Beispiele von Rundtürmen in seinen Skizzenbüchern festgehalten, von denen einige in zeitnahen Exlibris-Entwürfen oder Broadsides wiederauftauchen.319 Hierzu zählt die Illustration zu Seumas O’Sullivans Gedicht Funerals auf der Titelseite des Broadside vom März 1910 (Abb. 26). Die Verse beschreiben, wie ein Passant in Glasnevin Tag für Tag die vorbeifahrenden Kutschen mit Särgen und Trauergästen betrachtet und sich ausmalt, bald selbst dort begraben zu werden. Yeats’ Darstellung zeigt eine aus vier Kutschen bestehende Prozession, der Friedhof aber wird nur über eine hohe Mauer und den dahinter aufragenden O’Connell-Rundturm verbildlicht, der demnach bereits fünfzig Jahre nach seiner Entstehung selbst zum ikonischen Monument geworden ist. Das Interesse des Künstlers an frühmittelalterlichen Gegenständen spiegelt sich auch in seiner Postkartensammlung wider, in der sich Abbildungen eines keltischen Hochkreuzes aus Sligo oder der Bell of St. Patrick erhalten haben.320 Darüber hinaus belegen zeitgenössische Berichte sowie eine Fotografie aus dem Jahr 1904 Yeats’ Begeisterung für die irische Schmuckmode.321 So zeigt ihn die Porträtaufnahme mit einem 317 Vgl. Sheehy 1980, S. 9 ff. Insbesondere nach der Unabhängigkeit wurde die Harfe wiederholt, auch im politischen Kontext, als Symbol eingesetzt. So eröffnet der 1955 ausgestrahlte Film A Conversation with Éamon de Valera, eine Produktion der National Broadcasting Company, mit der Einstellung einer Harfe spielenden alten Frau, die von Kindern umringt wird. Die folgenden Bilder der Stadt Dublin – wir sehen geschäftiges Treiben an übervollen Blumenständen, dann eine junge Frau, die uns am Dublin Castle auf einer Treppe fröhlich entgegeneilt, wir verweilen am Ufer der Liffey und nehmen schließlich Bauarbeiten im Zentrum wahr – werden von den Klängen der Harfe begleitet. Mittels der Tonspur werden Vergangenheit und Zukunft sinnbildlich zusammengeführt. – Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=QE-UjUGVZyw [17.12.2022]. 318 Vgl. O’Reilly 1999, S. 29 f. 319 Siehe etwa SK Ireland 1909, Skizze Roundtower, 125 × 90 mm, Bleistift und Aquarell, Privatbesitz, https://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2017/yeats-family-collection-l17136/ lot.204.html [17.12.2022] oder Stone Tower, Entwurf für Exlibris, 85 × 65 mm, Feder in Tusche, um 1900, Privatbesitz, https://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2017/yeats-familycollection-l17136/lot.188.html [17.12.2022]. 320 Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/6/3/3. Laut Überlieferung handelt es sich wohl um die Glocke des Heiligen Patrick, der Irland im 5. Jahrhundert christianisiert hat. Der eigens dafür angefertigte Schrein ist erst später, um 1100, entstanden. Beide Objekte befinden sich heute im National Museum of Ireland in Dublin. – Vgl. Harbison 1999, S. 274. 321 Vgl. Pyle 1989, S. 82 f. Auch Yeats’ Frau Cottie trug in dieser Zeit keltischen Schmuck, insbesondere Broschen.

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Abb. 26 Jack B. Yeats, A Broadside  : Funerals, Nr. 10, März 1910, Cuala Press Print, handkoloriert.

auffälligen keltischen Ring, den er am kleinen Finger seiner rechten Hand trägt und der sich durch eine auffällige lineare Ornamentik auszeichnet (Abb. 27). Yeats’ Auseinandersetzung mit den Motiven und kulturellen Diskursen des Celtic Revival lässt sich auch in seinen frühen Skizzenbüchern ausmachen. So sind im Vordeckel eines 1899 datierten Exemplars reproduzierte Abbildungen des symbolischen Quartetts aus Wolfshund, Rundturm, Kleeblatt und Harfe eingeklebt, wodurch die Motive den Zeichnungen offenkundig vorangestellt werden.322 Darüber hinaus zeigt die Äußerung im Cork Examiner, der »Jack Yeats« gemeinsam mit »Synge, »Æ« […] and many others in the van«323 diskutierte, dass er bereits von Zeitgenoss:innen als Teil der Bewegung wahrgenommen wurde. Ausschlaggebend hierfür mag gewesen sein, dass insbesondere sein älterer Bruder im Zentrum des gälischen Wiederwachens stand.

322 SK  : County Galway 1899, Galway, Dublin, eingeklebte Reproduktion im Vordeckel des Skizzenbuchs, unpubliziert, Privatbesitz (SK bei Pyle 1993a, S. 184, als Nummer 17 aufgeführt). 323 Cork Examiner, 30. Mai 1910 (?), TCD, Cuala Press, Inv.-Nr. MS 115353/52/2 (Box 52,2).

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Abb. 27 Jack B. Yeats mit keltischem Ring, ­Fotografie, um 1904.

Laut George Bernard Shaw nahmen die Bestrebungen ihren Ausgang dabei bemerkenswerterweise nicht etwa in Irland, sondern in London, behauptete er doch 1918  : »[…] the Gaelic League was invented in Bedford Park, London.«324 Hiermit bezog er sich auf den damaligen Wohnort von W. B. Yeats, der im elterlichen Haus in der 3 Blenheim Road lebte, wo zahlreiche irische Kulturschaffende, darunter auch Shaw selbst, zusammenkamen. Shaw verwies auf den romantisierenden Charakter der Bewegung und implizierte zudem die Verbindung der kulturellen Rückbesinnung zur englischen Keltologie, wie sie von dem englischen Dichter und Kulturkritiker Matthew Arnold (1822 – 88) vorangetrieben wurde. Auch in der Forschung wird W. B. Yeats’ Verständnis der keltischen Literatur stets an die Ideen Arnolds rückgebunden, die dieser unter anderem in der Untersuchung On the Study of Celtic Literature aus dem Jahr 1867 entwickelt hatte. Arnolds Behauptung, wonach die keltische Literatur, anders als die englische, nicht auf rationalen Grundlagen, sondern auf »sentiment« und »spirituality« basiere und daher nur »poetry«, nicht aber »great works« produzieren könne,325 wurde im Zuge des Celtic 324 Shaw 2001b, S. 177. 325 Arnolds Begriffe aus On the Study of Celtic Literature, London 1867 zitiert nach Kelleher 2002, S. 14.

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Revival unter veränderten Vorzeichen übernommen. Hierfür eignete man sich zunächst dessen Grundannahme an, der zufolge die keltische Literatur von Gefühl und Spiritualität geprägt sei. Darüber hinaus wurde die Idee des mystischen Charakters irischer Literatur in der Folge auf die Wahrnehmung der gesamten irischen Kultur erweitert. Ein wichtiger Unterschied in der Appropriation bestand darin, Arnolds diagnostizierte Schwächen in Stärken umzudeuten.326 Zugleich wurde das Wesensmerkmal der »spiritual beauty«327 von irischen Schriftsteller:innen wie Russell (Æ) als Gegenmodell zur englischen Weltauffassung verstanden, die seit jeher stärker am Tatsächlichen interessiert gewesen sei. Unter Verweis auf Charles Dickens (1812 – 70) schrieb Russell (Æ) 1899  : A man who loves Charles Dickens, for example, may grow to have a great tolerance for the grotesque characters which are the outcome of the social order in England, but he will not be assigned in the conception of a higher humanity  : and this is true of many English writers who lack a fundamental philosophy, and are content to take man as he seems to be for the moment, rather than as the pilgrim of eternity.328

Im Kontext vernakularer Autoreflexion erklärte Æ »the mystical view of nature« zur »national characteristic« und diskutierte sie, in Abgrenzung zu Arnold, als überlegen gegenüber der bloßen Realitätsbeschreibung englischer Literatur.329 So lassen sich bezüglich des Celtic Revival spezifische Alteritätserfahrungen und -konstruktionen nachzeichnen, ging es den Vertreter:innen der Bewegung doch darum, eine eigene Identität zu formulieren. Die Entwürfe, die im Spannungsfeld zwischen Affirmation und Abgrenzung bereits etablierter Konzepte angesiedelt werden können, zielten insbesondere darauf ab, sich von den identifikativen Vorstellungen englischer Wissenschaftler und einer fremden Vermessung des Keltischen abzusetzen. Dieses Phänomen ist auch vor dem Hintergrund rassentheoretischer Studien, wie sie etwa von dem englischen Ethnologen John Beddoe (1826 – 1911) vorangetrieben wurden, zu betrachten. Beddoe ordnete den irischen Kelten, im Gegensatz zum Angelsachsen, als minderwertig ein, wobei er ihn anhand der Bestimmung äußerlicher Merkmale abzugrenzen suchte. Mithilfe seines 1885 entwickelten Index of Nigrescence ordnete er die Kelten als »Africanoid Celts« ein.330 Vor allem in Zeiten des irischen Aufbegehrens 326 Vgl. Kelleher 2002, S. 9. 327 Russell (Æ) 2000, S. 46. 328 Russell (Æ) 2000, S. 46. 329 Russell (Æ) 2000, S. 46. 330 Vgl. Curtis 1997, S. 19. Beddoe veröffentlichte seine Untersuchung 1885 in London unter dem Titel The Races of Britain. A Contribution to the Anthropology of Western Europe  ; diffamierende Stereotype existierten bereits vorher, auch in anderen Ländern. So schrieb der von der Überlegenheit des Protestantismus überzeugte deutsche Ethnologe Knut Jungbohn Clement (1803 – 73) 1845 über die Iren, wobei er das negative englische Irlandbild übernahm  : »Die echtirische Physio­ gnomie […] hat etwas Wildes, Unstätes, Verstecktes und Schleuniges, nichts von germanischer Offenheit, Ehrlichkeit und Festigkeit […] es liegt im Blick des Irländers ausgedrückt, was man

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fanden derartige Stereotypisierungen in diffamierenden Karikaturen Widerhall, in denen Iren als ungezügelte, affenähnliche Wesen dargestellt wurden.331 Folgt man den Überlegungen Gregory Castles, fielen die Anfänge des Celtic ­Revival nicht zufällig mit der Etablierung der modernen Anthropologie zusammen, deren britische Vertreter, darunter etwa Alfred Cort Haddon (1855 – 1940), gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch den irischen Westen in den Blick nahmen. Demnach lag der Erschließung der irischen Folklore sowie der Mythologie, die Protagonist:innen wie W. B. Yeats und Lady Gregory im als authentisch deklarierten irischen Westen ausmachten, das Motiv der Selbsterzählung zugrunde  : »The Revivalists strove to relocate Irish folk culture in an Irish context and to create new, affirmative, and liberatory anthropological fictions of their own.«332 Die Krux ist, dass mit Ausnahme von Douglas Hyde nur wenige Vertreter:innen des Celtic Revival mit keltischer Literatur vertraut waren. Es handelt sich um eine Wissenslücke, die W. B. Yeats mit Wissenschaftlern wie Matthew Arnold verband. Laut Kelleher stellt dieser Umstand denn auch den eigentlichen Bezugspunkt zwischen dem Celtic Revival und der englischen Keltologie dar.333 Wie um diese Spuren zu verwischen, reevaluierte der Dichter 1897 Arnolds Thesen. Damit ging die Absicht einher, sich von den Positionen des Engländers zu distanzieren, um die Ideen des Celtic Revival auf diese Weise als genuin irisch herausstellen zu können. Yeats gestand zwar die Kenntnis von Arnolds Untersuchungen ein, kam aber zu dem wichtigen Schluss  : »I do not think any of us who write about Ireland have built any argument upon them.«334 Ein wesentlicher Impuls für dieses Vorgehen ging von der 1893 etablierten Gaelic League aus, deren oberste Prämisse die Re-Gälisierung Irlands, wenn auch ohne politischen Impetus, war. So forderte Douglas Hyde, der der League nicht nur als Vorsitzender vorstand, sondern später auch der erste Präsident des Irischen Freistaates werden sollte, 1892 eine Wiederbelebung der irischen Sprache, der Musik sowie des Sports.335 Er selbst hielt Reden auf Irisch und verfasste Theaterstücke in der Landessprache, was zu dieser Zeit durchaus ungewöhnlich war. Da um 1900 nur noch wenige Iren der Sprache mächtig waren, wurden im ganzen Land Sprachkurse angeboten.336 Darüber

hier zu Lande swinpolitisch nennt, denn der Knecht hat nie die Züge des Freien.« Clement  : Reisen in Irland oder Irland in historischer, statistischer und socialer Beziehung, Kiel 1845, S. 303, zitiert nach Dohmen 1994, S. 78. 331 Vgl. Curtis 1997, S. 16 – 22. 332 Castle 2001, S. 11. 333 Vgl. Kelleher 2002, S. 9. 334 Yeats 1897, S. 174. 335 Vgl. Hyde 2000. 336 Vgl. Doyle 2015, S. 177  ; Kosok 1990, S. 145. Kosok weist hier auf das paradoxe Phänomen hin, dass durch die angebotenen Feriensprachkurse zahlreiche junge Iren, die lediglich der englischen Sprache mächtig waren, in die irisch geprägten Regionen des Westens reisten und damit dort zu einer Zerstörung der autochthonen Kultur beitrugen.

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hinaus wurden jährliche Feste (irisch  : feis) veranstaltet, bei denen es sich zugleich um Gesangs- und Tanzwettbewerbe handelte.337 Auf einem solchen Feis kamen 1902 in Killeeneen auch die Yeats-Brüder, Lady Gregory, Douglas Hyde sowie der irischstämmige New Yorker Anwalt und Kunstsammler John Quinn zusammen, wie das von Jack B. Yeats mit Porträtskizzen versehene Programm verrät.338 Der darauf verzeichnete Untertitel verrät zugleich den Grund für die Veranstaltung  : »To Perpetuate the Memory of R AFTERY, the Connacht Poet, and aid the Revival of the Irish Language.«339 Antoine Raiftearaí (Anthony Raftery) (1779 –  1835) war ein blinder gälischer Dichter des frühen 19. Jahrhunderts, dessen Werke besonders von W. B. Yeats und Lady Gregory geschätzt und ins Englische übertragen wurden.340 Dass Jack B. Yeats gemeinsam mit den literarischen Vertreter:innen des Celtic Revival eine solche Veranstaltung besuchte und sich unter ihnen selbstbewusst als »The Artist« bezeichnete, verwundert kaum, wenn man an seine Illustrationen für die im gleichen Jahr erschienenen Ceachta beaga Gaedhilge. Irish Reading Lessons341 Norma Borthwicks und sein damit verbundenes Interesse für die irische Sprache denkt. Glaubt man Samuel Beckett (1906 – 89), habe er zudem beständig daran gearbeitet, sein Irisch zu verbessern.342 Umso fragwürdiger erscheint die Einschätzung Dymna Halpins  : »that there is not a real case for associating Yeats with the revival of the Irish language.«343 Darüber hinaus ist auch Yeats’ Begeisterung für den irischen Westen und dessen Bewohner:innen ganz deutlich in den ideellen Kontext des literarischen Revivals sowie des »Celtic nationalism«344 zu stellen. Als exemplarisch hierfür kann seine Reise zu den Aran Islands, einer abgelegenen Inselgruppe vor Galways Küste, gelten, die er 1899 337 Vgl. Doyle 2015, S. 179  ; Sheehy 1980, S. 98. 338 A Feis, Programm, 31. August 1902, versehen mit sechs Porträtskizzen in Feder und Tusche von Jack B. Yeats und Unterschriften der dargestellten Personen  : Lady Gregory, W. B. Yeats, John Quinn, An Craoibhín Aoibhinn (Douglas Hyde) und Jack B. Yeats »The Artist«. Zudem ist ein unbekannter Volkstänzer dargestellt, NYPL, Berg Coll MSS Yeats, JaB. 339 Feis-Programm, 31. August 1902, NYPL, Berg Coll MSS Yeats, JaB. 340 Vgl. Reid 1968, S. 9. 341 Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/12/1. Die erste Auflage der drei Bände erschien 1902. Daraufhin folgten weitere Auflagen. Die Ausgaben im Yeats Archive stammen von 1920. Zudem finden sich im Yeats Archive zwei Übungshefte für die irische Sprache (ca. 1920). Darin hat Yeats englische Wörter und phonetisch geschriebene irische Übersetzungen notiert. – Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/12/2. 342 »He [Yeats, Verf.] was always polishing up his Irish«, Beckett zitiert nach Knowlson 2006a, S. 60  ; auch O’Doherty hielt fest, dass Yeats die irische Sprache studierte  : »The artist sought an iconic mark of Irish nationalism by studying Irish, subscribing to the mantra ›Ga tir, gan teanga‹ (With­ out its language, no country)«, O’Doherty 2011, S. 19. 343 Halpin 1986, S. 111. Diese Einschätzung formulierte sie im Zusammenhang ihrer Zielsetzung, Yeats so wenig wie möglich als politisch interessierten Künstler darzustellen  ; ähnlich wie Halpin argumentiert auch Bhreathnach-Lynch, indem sie behauptet  : »Jack Yeats was a minor figure in the movement«, Bhreathnach-Lynch 1998, S. 56. 344 Cusack 1998, S. 202.

Celtic Revival  : Rückbesinnung und Aufbruch | 105

unternahm. In diesem Jahr hielt er sich auch auf Lady Gregorys Landsitz Coole Park in der Grafschaft Galway auf, wo er, Pyle zufolge, mit dem »core of the Irish literary world«345 zusammentraf. Um 1900 waren die Aran Islands für viele Künstler:innen ein beliebtes Reiseziel, galten sie doch in kultureller und landschaftlicher Hinsicht als authentischster Ort im gälisch geprägten Westen. Als terra incogita stellten sie ein Gegenmodell zu den etablierten Zentren der Moderne dar. In diesem Sinne empfahl etwa W. B. Yeats 1896 seinem Schriftstellerkollegen Synge in Paris  :346 Give up Paris. You will never create anything by reading Racine […]. Go to the Aran Islands. Live there as if you were one of the people themselves  ; express a life that has never found expression.347

Die Hinwendung zu einem vermeintlich ›ursprünglichen‹ Irland und dessen Mythen war allen Vertreter:innen des Celtic Revival gemein. Insofern kann George Russells (Æ) Ölgemälde Celtic Twilight als Reminiszenz an eine romantisch verklärte Zeit des Aufbruchs um 1900 betrachtet werden, nicht zuletzt, da es 1920, inmitten der Wirren des Irischen Unabhängigkeitskrieges, entstand (Abb. 28). Die westirische Landschaftsszenerie zeigt im Vordergrund zwei Mädchen, die sich in der Morgendämmerung vor einer kargen Moorlandschaft zusammengefunden haben. Der Lichtschleier, der sich über das Bild gelegt hat, lässt die Figuren wie Elfen aus einer anderen Welt erscheinen und verweist auf das für das Celtic Revival so wichtige Reich der Sagen. So hatte man sich im Zuge der Irish Literary Renaissance, die mit der Gaelic League eng verwandt war, auf überlieferte Sagen und Volkserzählungen aus den gälisch geprägten Regionen Irlands besonnen. Stellvertretend hierfür stehen die Veröffentlichun­gen Lady Gregorys, die auf in Galway zusammengetragenen Mythen beruhten. 1902 und 1904 erschienen die gesammelten Sagen in englischer Übersetzung, um sie einer breiteren Masse zugänglich machen zu können.348 Gemeinsam mit W. B. Yeats gründete Lady Gregory 1904 zudem das Abbey Theatre, mit dem Anspruch, dort viele, für die nationale Wahrnehmung wegweisende Stücke auf die Bühne zu bringen.349 Anders als Hyde setzten sie dabei auf eine Verbreitung der gälischen Inhalte in englischer Sprache. Allerdings lehnten sie die standardisierte britische Literatur ab und wandten im Gegenzug in ihren Werken einen dezidiert vernakularen Duktus an, den sie dem

345 Pyle 1989, S. 56. 346 Vgl. Greene/Stephens 1989, S. 66. 347 Yeats 1905, S. 299. 348 Vgl. Kosok 1990, S. 152  ; die Bände zur irischen Mythologie wurden unter folgenden Titeln publiziert  : Cuchulain of Muirtheme, 1902 und Gods and Fighting Men, 1904. 349 Erwähnt seien hier etwa das von Yeats zusammen mit Lady Gregory verfasste Drama Cathleen ni Houlihan (1902) oder das von John Millington Synge geschriebene Stück The Playboy of the Western World (1907).

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Abb. 28 George Russell (Æ), Celtic Twilight, 1920, Öl auf Leinwand, 61 × 76,5 cm, Privatbesitz.

Dialekt der Landbevölkerung entlehnten.350 Ihrer eigenen Behauptung zufolge schrieben sie dabei »in the English of the West of Ireland, the English of people who think in Irish.«351 Ganz allgemein sind die Arbeiten des Celtic Revival durchdrungen von mythischen Figuren wie Oisín oder Cuchulain sowie übernatürlichen Wesen und Landschaften, die weit in die Geschichte zurückreichten und bis in die Gegenwart wirkten.352 So schrieb W. B. Yeats in seiner Aufsatzsammlung The Celtic Twilight über die Orte seiner Kindheit  :

350 Vgl. Doyle 2015, S. 164. 351 Brief W. B. Yeats an den United Irishman, der am 5. Mai 1902 in der Zeitung veröffentlicht wurde, zitiert nach Pethica 1997, S. 218. 352 Siehe etwa W. B. Yeats 1889 veröffentlichtes Gedicht The Wanderings of Oisin. – Vgl. Yeats 1997, S. 361 – 391. Der keltische Krieger Cuchulain wurde durch Standish James O’Gradys Buch His­ tory of Ireland. Heroic Period (1878 – 1880) wieder ins nationale Bewusstsein gebracht. – Vgl. Kiberd 1995, S. 196.

Celtic Revival  : Rückbesinnung und Aufbruch | 107

Drumcliff and Rosses were, are and ever shall be […] places of unearthly resort. I have lived near by them and in them, time after time, and have gathered thus many a crumb of faery lore.353

Dabei hat sich Yeats’ »own myth of the Irish past«354, John P. Frayne zufolge, nicht aus eigenen Erfahrungen gespeist. Stattdessen hätten diese auf bereits etablierten Positionen sowie auf seinen spirituellen Vorstellungen gefußt. Laut Hobsbawm sind derartig konstruierte Rückbezüge weniger als gewachsene Gebilde, sondern vielmehr als »invented traditions«355 zu verstehen, die im Kontext kollektiver Selbstfindung zu verorten sind. Sie liefern die Grundlage für ein auf Kontinuität und Stabilität ausgerichtetes Geschichtsverständnis sowie für die Etablierung einer nationalen Identität, insbesondere in Zeiten großer Umbrüche.356 Diese Bestrebungen, die im Zusammenhang mit der Herausbildung moderner Nationalstaaten zu sehen sind, fanden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch in anderen Ländern Europas Parallelen. So erstarkte etwa unter den Tschechen im Kaisertum Österreich ab dem Ende des 18. Jahrhunderts das nationale Bewusstsein, wobei es zu einer Zelebrierung des Slawentums unter Rückgriff auf dessen lange Historie kam. In dieser Tradition ist auch Alfons Muchas (1860 – 1939) zwischen 1911 und 1928 entstandenes Slawisches Epos zu verstehen, das in einem Zyklus von 20 Gemälden den Bogen von der Urheimat der Slawen bis zu deren Apotheose spannt. Für die Konzeption seiner Werke griff Mucha auf literarische Vorlagen zurück, insbesondere auf Jan Kollárs (1793 – 1853) ab 1824 entstandenen Sonettenzyklus Slávy dcéra (Slawas Tochter). Darüber hinaus nahm er Bezug auf aktuelle politische Ideen, darunter die des späteren Staatspräsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk (1850 – 1937).357 W. B. Yeats reflektierte ebendiese globale Verwobenheit nationaler Mythen in seinen Schriften. Demnach sei jedwede Volksliteratur von dem Gedanken der Ewigkeit und Grenzüberschreitung geprägt, wobei er auf die finnische Kalevala oder den »Mahomedan king in the Song of Roland«358 verwies. Zudem wurde von den Revivalists, wie auch schon von den Young Irelanders zuvor (vgl. Kap. 2.2.4), ein keltisch-orientali353 Yeats 1893, S. 135  ; Yeats schrieb der Natur Irlands den Aspekt der Kontinuität zu. So schrieb er 1897  : »Surely if one goes far enough into the woods, one will find there all that one is seeking  ? Who knows how many centuries the birds of the woods have been singing  ?«, Yeats 1897, S. 179. 354 Frayne 1970, S. 50. 355 Hobsbawm 2019. 356 Vgl. Hobsbawm 2019, S. 1 f.; Germer beschreibt den Rückgriff auf Mythen als typisches Merkmal im Kontext der Nationalitätskonstruktion, wobei er auf Andersons Modell der »imagined communities« zurückgreift  : »Sie [Mythen, Verf.] stiften eine imaginäre Gemeinschaft in der Gegenwart, indem sie dieser eine fiktive Vergangenheit entwerfen, die als gemeinsamer Bezugspunkt anerkannt wird, weil sie die Fragen nach Herkunft, Legitimität und Bestimmung der zu konstituierenden Gruppe schlüssig beantwortet«, Germer 2001, S. 34. 357 Vgl. Gąsior 2010, S. 21 – 25  ; Ausst.-Kat. Krems 1994  ; zum globalen Phänomen des nationalen Rückbezuges in sich herausbildenden Nationen siehe Smith 1991, S. 66 – 68. 358 Yeats 1897, S. 179.

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scher Zusammenhang hergestellt, der mit dekolonialisierenden Absichten einherging. Es entstanden literarische Texte sowie Zeitungsartikel, die einerseits auf die Kultur, andererseits auf tagespolitische Ereignisse in fernen kolonisierten Ländern rekurrierten. Während sich W. B. Yeats hinsichtlich der Herausbildung der Figur des Cuchulain von indischen Dichtern und deren Version des Krishna inspirieren ließ,359 verfasste Lady Gregory 1882 den in der Times erschienenen Aufsatz Arabi and His Household. Darin bekundete sie Sympathien für die Urabi-Revolte in Ägypten, die sich zwischen 1881 und 1882 unter Ahmed Urabi Pascha (1841 – 1911) ereignete und gegen die britische Kontrolle gerichtet war. Insbesondere der Aufruf der ägyptischen Nationalisten »Ägypten den Ägyptern« stieß auf »cross-colonial« Widerhall in Indien und Irland und beeinflusste in der Folge die irische Darstellung des ›Orients‹.360 Dass sich Kunst und Politik im Zuge des Celtic Revival gegenseitig bedingten, zeigt sich auch daran, dass die Schriften, wenn auch nicht beabsichtigt, historische Folgen hatten. So zumindest wird es für W. B. Yeats’ Einakter Cathleen ni Houlihan behauptet, der 1902 in Dublin zur Uraufführung kam.361 Darin wiegelt eine alte Frau zur Zeit der Irish Rebellion von 1798 junge Männer zum Kampf für ihr Land auf. Nachdem sich einer der Männer zur Vermählung mit der Frau, und damit im übertragenen Sinne zum Aufstand, bereit erklärt hat, verwandelt sich die Alte in ein junges Mädchen.362 Die mythische Figur der Cathleen, die als nationales Emblem wiederholt Eingang in die Malerei fand,363 wird durch die Opferbereitschaft der Männer verjüngt. Jahrzehnte später reflektierte Yeats die Wirkung seines Stückes kritisch, indem er mit Blick auf die Niederschlagung des Osteraufstandes von 1916 fragte  : »Did that play of mine send out / Certain men the English shot  ?«364 Und auch George Russell (Æ) erkannte die Macht, die fiktive Heldengestalten auf reale Geschehnisse ausüben können, als er beschrieb, dass der sagenumwobene Krieger Cuchulain dem Revolutionär Patrick Pearse, der später selbst zum Märtyrer erhoben wurde, 1916 im Kampf gegen die Engländer zur Seite gestanden haben muss.365 Im weiteren Verlauf der irischen Geschichte wurden zahlreiche Symbole und Narrative des Celtic Revival im Sinne der Etablierung eines irischen N ­ ationalbewusstseins reproduziert und in politische Kontexte überführt. Diese im Zusammenhang der Natio­ 359 Vgl. Lennon 2004, S. 249. 360 Vgl. Lennon 2004, S. 228 – 231. Lady Gregorys Artikel erschien am 23. Oktober 1882. Während eines Besuches bei dem britischen Dichter Wilfrid Scawen Blunt hatte sie die Gelegenheit, Arabi zu treffen. Ihr Artikel richtete sich vor allem gegen die Negativdarstellung Arabis in der britischen Presse. 361 Jeffares/Knowland 1975, S. 31. 362 Vgl. Yeats 2001, S. 83 – 93. 363 Siehe etwa John Lavery Gemälde Portrait of Lady Lavery as Kathleen Ni Houlihan, 1927, Öl auf Leinwand, 75,5 × 62,5 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 364 Die Zeilen stammen aus W. B. Yeats’ Gedicht Man and the Echo aus dem Jahr 1938, siehe Yeats 1997, S. 353. 365 Vgl. Kiberd 1995, S. 196 f.

Celtic Revival  : Rückbesinnung und Aufbruch | 109

nenbildung zu verortenden »Zeichenbildungsprozesse«366 beschreibt Germer anhand von drei Phasen, die sich auch auf die irische Geschichte anwenden lassen (hier in Klammern benannt). Zunächst wird laut Germer von Intellektuellen und Künstler:in­ nen ein »un- oder vorpolitischer Wunsch« formuliert, »die populären Traditionen eines bestimmten Volkes dem Vergessen zu entreißen«367 (= Mythenbildung und Rückprojektion). Im nächsten Schritt folgt die Übertragung der Ideen nationaler Traditionen auf die politische Ebene (= Ereignisse um den Osteraufstand). In der dritten Phase schließlich werden die Vorstellungen von den Massen verinnerlicht (= Akzeptanz der Unabhängigkeitsbestrebungen in der irischen Bevölkerung).368 Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der zukünftige Einfluss des Celtic Revival wie auch der Verlauf der weiteren irischen Geschichte von dem irischen Historiker und Schriftsteller Standish James O’Grady (1846 – 1928) vorhergesehen worden. In seinem Buch History of Ireland. Heroic Period (1878 – 80) heißt es  : We have now a literary movement, it is not very important, […] it will be followed by a political movement, that will not be very important  ; then must come a military movement, that will be important indeed.369

Durch seine Fokussierung auf mythologische Aspekte prägte O’Gradys Buch die Celtic Revivalists wesentlich. Und wie er prognostiziert hatte, nahm der Rückgriff auf natio­nale Mythen, der als Ausdruck eines »gemeinsamen Wollens in der Gegenwart«370 verstanden werden kann, Einfluss auf das politische Denken und schließlich auch auf das Handeln der Bewegung. Neben diesen literarischen Einflüssen kam es in der Folge auch zur Übernahme bildlicher Konzepte. Jene um 1900 kreierten Entwürfe wurden dabei zum Zweck der Sinnstiftung auf verschiedenen kulturellen sowie staatlichen Ebenen eingesetzt. Hierauf fußend soll im nächsten Kapitel der Frage nachgegangen werden, welche visuellen Entwürfe man für die Charakterisierung des sich um Umbruch befindlichen Staates als besonders geeignet befand.

366 Germer 2001, S. 48. 367 Germer 2001, S. 48. 368 Zu den Phasen siehe Germer 2001, S. 48 – 50. 369 O’Grady zitiert nach Kiberd 1995, S. 196  ; O’Grady wurde 1904 von John Butler Yeats porträtiert. Das 112 × 87 cm große Ölgemälde befindet sich heute in der National Gallery of Ireland in Dublin. Ursprünglich wurde es von dem New Yorker Anwalt und Kunstsammler John Quinn in Auftrag gegeben. Nach dessen Tod ging es in den Besitz von Mr. C. Sullivan über, der ebenfalls Anwalt und Sammler irischer Kunst in den USA war  ; W. B. Yeats führte die Schriften von O’Grady in seiner am 27. Februar 1895 im Daily Express veröffentlichten Liste der Best Thirty Irish Books auf. – Vgl. Murphy 2018, S. 184 f. 370 Renan 1993, S. 308.

3. Nationale Narrative und Kanonisierungsprozesse im postkolonialen Kontext  : Eigen- und Fremdperspektiven

1922 beschrieb der irische Kunstkritiker Thomas MacGreevy (1893 – 1967) die Etablie­ rung eines nationalen Stils in der Kunst. In einem kurzen Text mit dem Titel The Painting in Modern Ireland. The Rise of the National School formulierte er folgende Überlegung  : For if political circumstances allow, there is no doubt whatever, that a genuinely Irish school of painters will rise to maturity, even in our time. The foundations have been laid.1

MacGreevy sprach dabei nicht von der Existenz einer irischen Schule, sondern von ihrer zukünftigen Genese. Für ihn stand die Kunst in Irland 1922, ebenso wie die Formierung eines eigenständigen Staates, ganz am Anfang. Der Text spiegelt damit die politische und kulturelle Aufbruchsstimmung des Landes wider, das seine Selbstbestimmung durch die Behauptung einer eigenen Kultur durchzusetzen suchte, wobei es von Vergangenheitsbezug und Modernitätsstreben gleichermaßen geprägt war. In Abgrenzung zur vormals britischen, protestantisch geprägten Übermacht wurde ein katholisches Irland, in dem Kirche und Staat eng miteinander verbunden sein sollten, geschaffen, dessen weit zurückreichender Ursprung im 5. Jahrhundert und damit vor der Zeit der englischen Besatzung ausgemacht wurde (vgl. Kap. 2.2.1).2 In diesem Zusammenhang wurde zum Zweck der Sichtbarmachung einer eigenen Tradition die Durchsetzung der irischen Sprache forciert, die man nach dem Erreichen der Unabhängigkeit zur Nationalsprache sowie zum schulischen Pflichtfach erklärte.3 Vor allem aber wurde in der Folgezeit die Macht der Bilder genutzt, um den neuen Staat adäquat zu repräsentieren. Es ist bezeichnend, dass man hierbei weniger an die malerischen Verarbeitungen der kriegerischen Auseinandersetzungen ab 1916 anknüpfte, sondern vielmehr an Sujets, die um 1900 etabliert worden waren. Doch bevor im nächsten Schritt mögliche Ursachen für diesen spezifischen Fokus diskutiert werden, soll zur 1 MacGreevy 1922, S. 19. 2 Vgl. Bhreathnach-Lynch 2007, S. 103 f. 3 Kiberd 1995, S. 265  ; Ó Buachalla 1984, S. 85. Nach der Etablierung des Irish Free State wurde das Fach Irisch in den 1920er Jahren an Schulen zum Pflichtfach erklärt  ; seit 1922 ist die irische Sprache in der Verfassung verankert.

Nationale Narrative und Kanonisierungsprozesse im postkolonialen Kontext | 111

Nachvollziehbarkeit der sich fortsetzenden Interdependenzen von Kunst und Politik ein kursorischer Abriss der Geschehnisse ab 1916 vorangestellt werden. Nach den bereits skizzierten vergeblichen Versuchen der Selbstbestimmung leiteten die Ausrufung der Republik (Easter Proclamation) im Jahr 1916 und der sich daran anschließende Osteraufstand (Easter Rising) die zum Erfolg führenden Unabhängigkeitsbestrebungen ein. Es ist bemerkenswert, dass sechs der sieben Unterzeichner der Easter Proclamation, die von Patrick Pearse vor dem General Post Office verlesen wurde, Mitglieder der Gaelic League waren. Dieser Umstand verdeutlicht, dass die ursprünglich unpolitische Vereinigung im Laufe der Zeit zu einem Bündnis von politischer Relevanz herangewachsen war.4 Der gewalttätige Aufstand war inmitten des Ersten Weltkrieges von abgespaltenen Mitgliedern der Irish Volunteers (vgl. Kap. 2.2.4) unter Pearse geplant worden. Unterstützung erhielten sie von der sozialistischen, von James Connolly geführten Irish Citizen Army. Beide Gruppierungen lehnten das gemäßigte Vorgehen der Home Rule-­ Bewegung ab. Während des Aufstandes besetzten die irischen Nationalisten das General Post Office und andere zentrale Gebäude in Dublin. Obwohl die Revolte binnen weniger Tage durch britische Soldaten niedergeschlagen wurde und somit erfolglos endete, führten die von der britischen Regierung angeordneten Hinrichtungen der 15 Anführer, darunter auch Pearse und Connolly, in der Folge zu einer zunehmenden Befürwortung der Unabhängigkeitsbestrebungen in der irischen Bevölkerung.5 Im Januar 1919 rief die 1905 von Arthur Griffith gegründete Partei Sinn Féin (Wir selbst) schließlich den Dáil Éireann, das nationale Parlament, aus und erklärte die Unabhängigkeit Irlands. Die Irish Republican Army (IRA), die einen Z ­ usammenschluss der Irish Volunteers und der Irish Republican Brotherhood darstellte, wurde zur legitimen Armee des Dáil Éireann bestimmt. Es folgte ein zwei Jahre andauernder Unabhängigkeitskrieg, der am 6. Dezember 1921 durch einen Waffenstillstand und einen Kompromissvertrag (Anglo-Irish Treaty) beendet wurde.6 Der Vertrag beinhaltete die Teilung des Landes in Nord- und Südirland. Sechs Grafschaften der Provinz Ulster verblieben dabei weiterhin unter britischer Hoheit, während den 26 übrigen Grafschaften Eigenständigkeit gewährt wurde.7 Darüber hinaus sah der Teilungsvertrag zwar einen eigenen irischen Staat vor, beharrte aber auf dem Verbleib Irlands im Empire und 4 Vgl. Doyle 2015, S. 208. 5 Vgl. Doyle 2015, S. 162 f.; 15 der Anführer wurden im Mai in Irland (im Kilmainham Jail in Dublin und in den Detention Barracks in Cork) erschossen. Roger Casement wurde im August in London (im Pentonville Prison) gehängt, sodass ingesamt 16 Aufständische hingerichtet wurden. 6 Die anschließende Ratifizierung des Vertrages durch den Dáil Éireann erfolgte am 7. Januar 1922. 7 Zur Beendigung des Konfliktes wurde das überwiegend protestantisch geprägte Ulster unter der britischen Regierung Lloyd George bereits 1920 im Government of Ireland Act als Nordirland von dem Rest der Insel getrennt. Am 22. Juni 1921 wurde das nordirische Parlament eröffnet. Im Zuge der Vertragsverhandlungen war die Nordirlandfrage entscheidend, ging es doch Südirland darum, den Teil des Nordens zu behalten. Erst 1925 akzeptierte Irland (der Irische Freistaat) formell die Teilung des Landes. – Vgl. Elvert 1993, S. 413 – 419.

112  |  Nationale Narrative und Kanonisierungsprozesse im postkolonialen Kontext

damit auf der weiterhin bestehenden Zugehörigkeit zur britischen Krone. Nach einer einjährigen Übergangsregierung wurde der Vertrag schließlich am 6. D ­ ezember 1922 durch die Gründung des Irish Free State (Saorstát Éireann), des Irischen Freistaa­tes, umgesetzt.8 Das Aufbegehren von republikanischen Gegner:innen des Vertrages führte im Juni 1922 zum Bürger­krieg,9 der im Mai 1923 mit dem Sieg der Ver­tragsbefür­worte­r:innen und der Bestätigung des Freistaates endete. Dieser bestand bis in das Jahr 1937 fort, wo durch eine Verfassungsänderung die Zughörigkeit zur britischen Krone gelöst und der Staat Éire gegründet wurde. Dabei nutzte der damalige irische Premierminister (Taoiseach) Éamon de Valera (1882 – 1972) die Abdankung König Edwards VIII., um alle Hinweise in der irischen Verfassung auf die Oberhoheit des Königs zu streichen. 1948 schließlich vollzog man den letzten Schritt, indem Irland den Status einer Republik annahm und das Commonwealth verließ.10 Gerade die Zeit nach der irischen Staatsbildung war von einer intensiven Suche nach einem genuinen Stil geprägt. Die folgenden Ausführungen haben zum Ziel, die unterschiedlichen Versuche der identifikativen Selbstfindung in den Blick zu nehmen. In Anlehnung an Stefan Germers These, dass Bilder »das entscheidende Mittel zur Schaffung nationaler Gemeinschaften«11 darstellen, soll analysiert werden, welche Dar­stellungen und Topoi geeignet schienen, das als ›eigen‹ Definierte zu repräsentieren, aber auch, welche Modi bei der Umsetzung autochthoner Themen Anwendung fanden. Dabei erscheint es notwendig, die Rollen der verschiedenen Akteure – von Künst­­ler:innen, Kritiker:innen und Vertreter:innen des Staates – zu bestimmen und jeweils zu hinterfragen, inwieweit diese gemeinsam oder disparat an einem Konzept der nationalen Identität und deren Verbreitung mitwirkten. Durch die Fokussierung auf ausgewählte zentrale Texte soll ein differenzierter Blick auf die Spezifika der irischen Stilkonstruktion ermöglicht und damit zugleich einem Forschungsdesiderat begegnet werden. In diesem Zusammenhang soll die lange Zeit in der irischen Literatur vorherrschende Sichtweise, nach der die in Irland entstandene Kunst nicht modern sein könne, kritisch diskutiert werden. Darüber hinaus lässt sich in der Außenwahrnehmung eine Abwertung irischer Kunst konstatieren, wurde diese doch insbesondere aus britischer Sicht als   8 Breuer 2003, S. 148 f.   9 Irland und vor allem das Parlament waren durch die Vertragsannahme tief gespalten. Der Dominion-Status, den auch Staaten wie Kanada innehatten, stellte keine vollständige Unabhängigkeit von Großbritannien dar. Zudem war das Land geteilt worden. Den Vertragsgegner:innen erschienen diese Vereinbarungen wie ein Verrat an den ursprünglichen Prinzipien des Unabhängigkeitsstrebens. – Vgl. Townshend 2013, S. 108 – 111. Michael Collins (1890 – 1922) jedoch, der den Vertrag mit ausgehandelt hatte und während des Bürgerkrieges von Vertragsgegnern erschossen wurde, befand  : »the treaty gives us freedom – not the ultimate freedom that all nations desire and develop to, but the freedom to achieve it«, zitiert nach Townshend 2013, S. 109. 10 Vgl. Breuer 2003, S. 153 – 157. Mit dem Republic of Ireland Act wurde Éire am 21. Dezember 1948 zur Republic of Ireland. Am 18. April 1949 verließ Irland das Commonwealth. 11 Germer 2001, S. 41.

Thomas MacGreevys Überlegungen zum irischen Nationalstil | 113

unzeitgemäß wahrgenommen. Unter Berücksichtigung politischer Prozesse soll daher neben der Eigen- auch die Fremdperspektive beleuchtet werden, um auf diese Weise sowohl intrinsische als auch extrinsische Faktoren nationaler ­Kanonbildung explorieren zu können. Als Analysegegenstand für die querschnittartige Untersuchung der irischen Stilgenese dienen dabei zunächst exemplarische Texte, die zwischen 1922 und 1947 unter der Ägide verschiedener Instanzen entstanden sind  : Ausgehend von Thomas MacGreevys 1922 publiziertem Beitrag Painting in Modern Ireland. The Rise of the National School sollen das 1932 vom Ministerium für Handel und Industrie geförderte Irish Free State Official Handbook sowie das 1940 von dem Kunstkritiker Thomas Bodkin (1887 – 1961) und dem Galeristen Victor Waddington (1907 – 81) veröffentlichte Buch Twelve Irish Artists erörtert werden. Darüber hinaus sollen die Texte des ehemaligen IRA-Kämpfers und späteren Kunstkritikers Ernie O’Malley herangezogen werden, gewähren diese doch mittels des Verfahrens der kulturübergreifenden Gegenüberstellung Einblicke in eine kritische Stildiskussion, indem sie die irische und die mexikanische Kunst und Kunstgeschichte miteinander vergleichen. Darüber hinaus ist es die Absicht zu klären, ob und inwiefern sich die mit der Etablierung des neuen Staates einhergehenden Widersprüche sowie die kontroversen Diskussionen und Partei- und Kurswechsel auch in den Texten gespiegelt finden oder ob darin, im Gegenteil, alle Gegensätze nivelliert werden, um hierdurch ein einheitliches Bild zu kreieren. Hinsichtlich einer externen Perspektivierung irischer Kunst können schließlich die Texte des britischen Kritikers Herbert Read (1893 – 1962) als aufschlussreich gelten, der noch 1962 von der irischen Kunst als »provincial myth«12 sprach, womit er diese gegen moderne Tendenzen abgrenzte. Anhand seiner Überlegungen zum irischen Kulturgeschehen soll untersucht werden, inwieweit der von Repräsentationsstrategien begleitete Diskurs zur nationalen Identität Differenzen produzierte und damit entscheidend die Rezeption irischer Kunst prägte. 3.1 Painting in Modern Ireland. The Rise of the National School. Thomas MacGreevys Überlegungen zum irischen Nationalstil, 1922

Thomas MacGreevys Painting in Modern Ireland. The Rise of the National School erschien am 27. Februar 1922 und damit nur wenige Wochen nach der Ratifi­zierung des Anglo-Irischen Vertrages.13 Publiziert wurde der kurze, aber prägnante Text, der die Etablierung eines nationalen Stils thematisiert, in der Zeitschrift The Gael. Als Organ der 1884 gegründeten Gaelic Athletic Association diente es der Förderung irischer Kultur. MacGreevy, dem als Dichter, Kunsthistoriker und -kritiker sowie später in seiner 12 Read 1962, S. 136. 13 Vgl. MacGreevy 1922.

114  |  Nationale Narrative und Kanonisierungsprozesse im postkolonialen Kontext

Funktion als Direktor der National Gallery of Ireland (1950 – 63) eine zentrale Rolle im irischen Kulturleben zukam, nahm im neu gegründeten Freistaat eine Vorreiterrolle ein. Als einer der ersten etablierte er die Kunstkritik als festen Bestandteil des öffentlichen Lebens und regte das Sprechen über Kunst an.14 Kontinuierlich äußerte er sich in Zeitschriften und Büchern zu internationalen und nationalen Künstlerinnen und Künstlern und plädierte dabei, anders als sein Freund Samuel Beckett, für eine nationale Lesart der irischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Beckett wiederum, der Irland 1937 endgültig den Rücken kehrte, wollte die irische Kunst unter globalen Vorzeichen diskutiert wissen. Offenbar sah er mit dieser Forderung bereits früh die Problematik einer einseitigen nationalen Zuordnung voraus, die sich im Nachhinein nur schwer revidieren lassen würde. In seinen Äußerungen zu irischen Künstler:innen, insbesondere zu Jack B. Yeats, trat er denn auch für eine werkbezogene und von nationalen Zuschreibungsprozessen losgelöste Interpretation ein.15 MacGreevy hingegen ging es vor allem um den Zusammenhang von Kunst und nationaler Identität. Hierzu führt Painting in Modern Ireland zu Beginn das Beispiel der holländischen Malerei des ›Goldenen Zeitalters‹ an, in der sich Kunst und nationales Selbstbewusstsein eng miteinander verbunden hätten. In der Folge benennt der Text Künstler, die, MacGreevy zufolge, stark mit ihrem Land assoziiert werden können  : Diego Velázquez (1599 – 1660), Rembrandt van Rijn (1606 – 69) und Antoine Watteau (1648 – 1721). Für die irische Kunst hingegen vermag er in der Vergangenheit keine Eigenständigkeit auszumachen  ; zu offensichtlich seien englische, italienische oder französische Anleihen  : »Now though there have been fine Irish painters in the past, of none of them can it be said that he painted anything that was essentially, characteristically Irish.«16 Umso mehr betont MacGreevy in der Folge die Bedeutung einer sich noch herauszubildenden irischen Schule. In diesem Zusammenhang hebt er einen Künstler, nämlich Jack B. Yeats, besonders hervor.17 Die von MacGreevy wahrgenommene irische Schwerpunktsetzung des Malers war ausschlaggebend dafür, dass er ihn innerhalb der folgenden Jahrzehnte zu einem Nationalkünstler stilisierte  ; doch bereits 1922 definierte der Kritiker, was Yeats als spezifisch irischen Künstler auszeichne  : 14 Zu MacGreevys Rolle als Kunsthistoriker und -kritiker im neu etablierten Staat siehe Coulter/ Kennedy 2014. 15 Zu den unterschiedlichen Positionen von MacGreevy und Beckett siehe etwa Kennedy 2004. Beckett und MacGreevy waren seit 1928 miteinander befreundet, obwohl sie aufgrund ihrer vielen Auslandsaufenthalte selten an ein und demselben Ort weilten. Sie lernten sich in Paris kennen, wo sie beide an der École normale supérieure als Englischdozenten tätig waren. Trotz der unterschiedlichen politischen Haltungen blieben sie bis zu MacGreevys Tod, 1967, in Kontakt. – Vgl. Schreibman 2006, S. 35 – 42  ; es liegt ein umfangreicher Briefwechsel zwischen beiden vor, der im Trinity College Dublin aufbewahrt wird. 16 MacGreevy 1922, S. 19. 17 MacGreevy 1922, S. 19, erwähnt noch drei weitere Maler, die sich als nationale Künstler hervorgetan hätten  : Seán Keating, William Conor (1881 – 1968) und Paul Henry.

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Twenty years ago Mr. Jack Yeats took up his brush, and without apparent effort or consciously revolutionary intent, painted pictures that are as Irish as Tenier’s pictures are Dutch. He left Dublin drawing-rooms, and went to Kerry, and to Galway, and looked around him. And he saw the giants of the West in boats and dances  ; he saw their small boys playing marbles and riding donkeys and sitting in circuses  ; and he was so thrilled by what he saw that he had to make pictures out of it. And now, instead of lagging behind those of his contemporaries who followed the English tradition, he has come to be recognised, in the estimation of all serious critics, as the first truly Irish painter.18

Mit erneutem Rückgriff auf die als ebenso originär wie nationaltypisch empfundene holländische Malerei des 17. Jahrhunderts charakterisiert MacGreevy Yeats als den ersten wahrhaft irischen Maler, wobei seine Beschreibung an das bereits etablierte Bild eines antiakademischen Künstlers anknüpft, der sich von fremden, genauer englischen Einflüssen zu lösen vermochte, um sich auf neuartige Weise dem irischen Alltag und besonders dem als ›urtümlich‹ empfundenen Leben im Westen des Landes zu widmen (vgl. Kap. 2.1.1). Wie bereits beschrieben, nahm man den Westen innerhalb der irischen Kultur des 20. Jahrhunderts als Region wahr, die dem englischen Einfluss weitgehend entzogen geblieben war, wodurch sie sich für die semantische Aufladung eines vermeintlich ›ursprünglichen‹ und zugleich neuen Irlands eignete. Laut Catherine Nash diente die raue Landschaft dabei als prägnantes Gegenbild zur Vorstellung von Südengland, wobei erstere mit der Kategorie des Erhabenen und letztere mit der des Schönen übereingebracht werden könne  : […] the celebration of the West as an archetypal Irish landscape was part of an attempt to identify with a landscape which was a confirmation of cultural identity. It was not simply or only that the West was farthest from England and therefore most isolated from cultural influences of anglicisation, but that its physical landscape provided the greatest contrast to the landscape of Englishness.19

Entsprechend reisten neben Yeats auch zahlreiche andere Bildkünstler:innen in den Westen, hierzu gehörten unter anderem Nathaniel Hone d. J. (1831 – 1917), Paul Henry (1876 – 1958), Harry Clark (1889 – 1931), Seán Keating (1889 – 1977), Charles Vincent Lamb (1893 – 1964), Mainie Jellett und Maurice MacGonigal (1900 – 79). Ihre Begeisterung galt neben der Landschaft auch der ›ursprünglichen‹ Lebensweise und der Ausübung der irischen Sprache.20

18 MacGreevy 1922, S. 19. 19 Nash 1993, S. 91. 20 Vgl. Bourke 2014.

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Aufschlussreich ist, dass MacGreevys Text vor allem Yeats’ frühe Werke in den Fokus rückt, während er aktuellere Gemälde unerwähnt lässt. Im Zuge dieser Schwerpunktsetzung verzichtete MacGreevy, der Yeats seit 1919 persönlich kannte,21 vor allem auf die Erwähnung politischer Sujets und stellte den Künstler stattdessen als Porträtisten eines ›urwüchsigen‹ Irlands und seiner Bewohner:innen dar. Dabei stellt für ihn nicht nur der erfasste Gegenstand, sondern auch dessen Umsetzung, also die Form und die Herangehensweise, ein wichtiges Kriterium im Zuge der Auseinandersetzung mit einzelnen Werken dar. Folgt man MacGreevys Argumentation, nähere sich Yeats seiner eigenen Kultur frei und unakademisch, wobei er es unterlasse, pittoreske Stereotype zu bedienen. Wie sich am Beispiel von Trevor Thomas Fowlers (1810 – 81) Children Dancing at the Crossroads (Abb. 29), einer ländlichen Szenerie mit jungem Tanzpaar, zeigen lässt, wurde die irische Peripherie noch im 19. Jahrhundert auf sehr gefällige Weise dargestellt und entsprach im Rückgriff auf die niederländische Genremalerei dem Geschmack der Londoner Royal Academy. Qua Bild wird hier die Botschaft vermittelt, bei den Iren handele es sich um ein lustiges, zum Tanzen und Trinken aufgelegtes Volk. Szenen der Großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts oder des Aufbegehrens fehlen dagegen beinahe völlig in der Malerei.22 Die idyllischen Motive waren aufs Beste geeignet, der gehobenen britischen Mittelschicht und vor allem dem englischen Publikum zu vermitteln, wie naiv und harmlos die irische Bevölkerung sei.23 Dieser Präsentation lag ein dezidiert koloniales 21 MacGreevy und Jack B. Yeats trafen sich bei einem der von Sarah Purser (1884 – 1943) veranstalteten Tuesdays, die regelmäßig in ihrem Salon im Mespil House in Dublin stattfanden. – Vgl. MacGreevy  : Speech at the Opening of the Jack B. Yeats Biennale Exhibition when Transferred to the Municipal Gallery Dublin 1962, unpubliziertes, vierseitiges Typoskript, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 7999/5, S. 1. Die impressionistische Malerin und Glaskünstlerin Sarah Purser versammelte bei diesen Treffen wichtige Künstler:innen und Kulturschaffende um sich. In der Dubliner Kulturszene waren diese monatlichen Nachmittage eine wichtige Instanz. – Vgl. White 1957, S. 129. 22 Zum Phänomen der Visualisierung der Hungersnot in Irland in verschiedenen Medien, zum überwiegenden Fehlen des Themas in der Hochkunst sowie zur Frage der Darstellbarkeit von Szenen des Elends siehe Nochlin 2018, Kap. 1 Misère. The Irish Paradigm. 23 Vgl. Bhreathnach-Lynch 2007, S. 58 – 70. Zwar gab es sogenannte Eviction Scenes, gemalte Darstellungen von Vertreibungen irischer Mieter:innen aus ihren Häusern oder Szenen von Emi­gran­ t:innen. Allerdings wurden diese Geschehnisse meist auf gefällige Weise für ein viktorianisches Publikum umgesetzt. An Ejected Family (1853, Öl auf Leinwand, 50 × 82 cm, Dublin, National Gallery of Ireland), ein Gemälde des schottischen Künstlers Erskine Nicol (1825 – 1904), der während der Großen Hungersnot in Irland lebte und auch danach für die Sommer nach Irland zurückkehrte, zeigt eine junge Familie mit mehreren Kindern und Großvater, die auf ihrem Weg ins Ungewisse eine Rast eingelegt hat. Im Hintergrund kann man inmitten der rauen Landschaft des Westens das Cottage sehen, das sie aufgrund von Zahlungsrückständen verlassen mussten. Die sie umgebenden dunklen Wolken künden von einem aufziehenden Unwetter, vor dem sich die obdachlose Familie nun nicht mehr schützen kann. Die pittoreske Darstellung entsprach dabei dem viktorianischen Dekorum, erfüllte diese doch die Forderung nach Sentimentalität, die nicht durch unnötigen Realitätsbezug zerstört werden sollte. Zeitgenössische Fotografien von Vertrie-

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Abb. 29 Trevor Thomas Fowler, Children Dancing at the Crossroads, um 1835, Öl auf Leinwand, 71 × 92 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

Blickregime zugrunde, das zwar einerseits zwischen Zentrum und Peripherie unterschied, aber andererseits auf die Vereinnahmung des ›Anderen‹ im ›Eigenen‹ abzielte. Durchbrochen wurde diese einseitige Perspektive zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als irische Schriftsteller:innen und Bildkünstler:innen versuchten, den Westen unter ›eigenen‹ Vorzeichen neu zu entdecken, wobei sie sich auf eine möglichst getreue Wiedergabe der dortigen Lebensverhältnisse konzentrierten. Dieser Prämisse schien Yeats aus MacGreevys Sicht auf vorbildhafte Weise nachzukommen. In seinem Text lobt er die direkt vor Ort angefertigten Studien des Künstlers sowie dessen Begeisterung für die Menschen, die er auf neuartige Weise und ohne klischeehafte Zurschaustellung einfange. Und tatsächlich werden etwa die Bewohner:innen der entlegenen Aran Islands bei Yeats nicht mehr als bloße Staffagefiguren festgehalten, sondern in selbstbewusster Pose inszeniert (Abb. 54). Allerdings vermitteln zeitgenössische Fotografien der Region einen weitaus nüchterneren Eindruck der ländlichen Lebensverhältnisse und legen nahe,24 dass Yeats’ Motive keinesfalls frei von inszenatorischen Überhöhungen sind, sondern eher als selbstbewusster Ausdruck irischer Nationalität zu verstehen sind.25 Es ist anzunehmen, dass MacGreevy, der diesen Umstand unerwähnt ließ, Yeats’ Ästhetisierung des ›urwüchsigen‹ Irlands schlichtweg in die Hände spielte, lieferte sie ihm doch im Kontext der versuchten Etablierung einer nationalen Schule wichtige Motive. benen oder Emigrant:innen konfrontieren die Betrachtenden dagegen umso deutlicher mit der tatsächlichen Armut und Misere der Bevölkerung. 24 So etwa Bringing Home the Turf, Fotografie, Ende 19. Jahrhundert, Dublin, Department of Irish Folklore, University College. 25 Zur fotografischen Erfassung des Westens siehe Breathnach 2007. Allerdings handelte es sich bei den zahlreichen Fotografien nicht ausschließlich um reine Abbildungen der Realität, sondern häufig auch um inszenierte Darstellungen, die dem »Victorian Gaze« entsprachen. Nicht selten wurden die Aufnahmen später in nachkolorierter Form als pittoreske Postkarten vertrieben, die eine typisch irische Lebenswelt bezeugen sollten. – Vgl. Walsh 2007, S. 126.

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Indem er Yeats’ Darstellungen der westirischen Bevölkerung als authentisch deklarierte, legte er zugleich den Grundstein für spätere Deutungen, die in den Bildern des Malers gleichfalls eine naturgetreue Wiedergabe des Gesehenen ausmachten. So bemerkte Pyle noch 2003, dass der Künstler lediglich »the life of the West as it was at the time, with local people living a traditional life«26 eingefangen habe, womit der Mythos vom Idealtyp des genuin irischen Malers perpetuiert wurde. Auch eine weitere Auslassung MacGreevys bekräftigt, wie konstruiert dessen Verortung Yeats’ innerhalb einer dezidiert nationalen Schule ist. So unterschlägt der Text dessen sieben Jahre währende Ausbildung an verschiedenen Londoner Kunstschulen und verweist stattdessen darauf, dass dieser die »Dublin drawing rooms«27 verlassen habe, um in Kerry und Galway den irischen Westen zu studieren. Mit dieser Charakterisierung schließt er sich den Narrativen der frühen Yeats-Biografik an, deren Ur­hebe­ r:innen, von Gleeson bis JBY, dem Maler über den Konnex von Leben und Werk eine idealisierte irische Künstlervita maßgeschneidert hatten (vgl. Kap. 2.1.2). Wie wichtig MacGreevy die Negierung einer englischen respektive fremdländischen Prägung war, zeigt seine wiederholte Betonung nationaler Zugehörigkeit als Grundvoraussetzung einer irischen Schule  : […] a great painter who happens to be an Irishman will belong […] truly to us, and we shall be […] perfectly interpreted by him if his subject matter is taken from the life about him.28

In diesem Sinne charakterisiert MacGreevy die Arbeiten des aus Belfast stammenden Paul Henry, obgleich er ihn ebenfalls zum sich herausbildenden irischen Kanon zählt, als weniger landestypisch, betrachte dieser seine Sujets doch durch die Augen eines »Post-Impressionist Frenchman«.29 Zwar hatte Henry zunächst in Belfast studiert, war aber im Anschluss daran nach Paris gegangen, was aus der Sicht des Kunstkritikers auch den Blick des Künstlers auf seine typisch irischen Sujets getrübt habe  :30 »I do not think Mr. Henry can be considered as belonging to Belfast. He paints pictures of the West, 26 Ausst.-Kat. Dublin 2003b, S. 5. 27 MacGreevy 1922, S. 19. 28 MacGreevy 1922, S. 19. 29 MacGreevy 1922, S. 19. 30 Zu Paul Henry und seinem Schaffen siehe etwa Kennedy 2007b sowie Ausst.-Kat. Dublin 2003a. Henry erhielt seine künstlerische Ausbildung an der Royal Belfast Academy und arbeitete im Anschluss daran von 1898 bis 1900 in Paris. Hier studierte er unter anderem unter Alfons Mucha und Whistler an der Académie Carmen, wobei Whistler einen lang anhaltenden Einfluss auf sein Werk ausüben sollte. Von 1900 bis 1910 lebte er in London, wo er ab 1908 auch zu den At Homes von Walter Sickert geladen war. Ein 1910 nur als Besuch auf Achill Island gedachter Aufenthalt führte zu einer langjährigen Niederlassung an dem westirischen Ort bis 1919, der seine Sujets wesentlich prägte. Danach zog er bis 1950 nach Dublin. An seinem letzten Wohnort in Bray in der Grafschaft Wicklow starb er 1958. – Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2003a, S. 1 – 3.

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but he came to the West by way of Paris.«31 Auch wenn der Künstler beim Erscheinen des Artikels bereits wieder seit zwölf Jahren in Irland lebte, seien die auf Achill Island entstandenen Figuren, im Gegensatz zu Yeats’ Protagonist:innen, dramatisierte Versionen der irischen Landbevölkerung, die MacGreevy ablehne. Erst wenn Henry bereit sei, sich von seiner bisherigen Malweise zu lösen, habe er die Aussicht, »more Irish« zu werden. Die vermehrt in seinen Bildern auftauchenden weißen Cottages könnten dabei als »effective labels of nationality as the windmills in a Dutch picture«32 fungieren. Für den Kritiker waren demnach Form und Inhalt der Arbeiten, aber auch der Wirkungsort des Künstlers entscheidend für die Einordung in eine irische Schule. Erst wenn alle drei Kriterien zutrafen, gelangte er zu einem positiven Ergebnis, auch wenn er dafür in Yeats’ Fall einige Aspekte retuschieren musste. MacGreevys Schwerpunktsetzung ist dabei auch aus wissenssoziologischer Perspektive aufschlussreich. Aufgrund seiner wechselnden Aufenthalte in England, Frankreich, Italien, Deutschland und Irland kann er selbst durchaus als Kosmopolit betrachtet werden. Seine rigide Ausklammerung europäischer Einflüsse ist daher nur zu verstehen, wenn man sich den hochgradig konstruierten Charakter seiner Theorie zur irischen Schule vor Augen führt. In der Folgezeit avancierte der Westen mit all seinen Implikationen zum beliebtesten Motiv des Irischen Freistaates. Insbesondere die Idee des Aufbruchs wurde zunehmend mit der ländlich geprägten Region verbunden. Padraic Colum hatte diese bereits 1914 innerhalb eines globalen Kontextes verortet  : […] the Irish are a youthful people like the fresh peasant communities of Servia and Bulgaria. Like the Balkan countries Ireland stands outside the declined Europe. […] Because they are youthful, Romance makes them hold their head high and put extravagance into their movements, their gestures, their speech.33

Colum zufolge war die ländliche Bevölkerung prädestiniert, ein junges Volk zu repräsentieren, wobei er Irland andere im Umbruch befindliche Länder gegenüberstellte. Diese vor allem auf dem Balkan gelegenen Staaten kontrastierte er mit der Negativfolie eines als überkommen gezeichneten Europas.34 Wie MacGreevy begriff er dabei Yeats als zentralen künstlerischen Vertreter seiner Nation  : »No other painter knows Ireland so well and no living writer knows Ireland better than Jack Yeats.«35

31 MacGreevy 1922, S. 19. 32 Beide Zitate bei MacGreevy 1922, S. 19. 33 Colum 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 34 Zum Begriff des Balkans sowie der Entstehung einer nationalen Identität auf dem Balkan, insbesondere Bulgarien, siehe Baleva 2012. Die Nationalstaaten auf dem Balkan bildeten sich im 19. Jahrhundert heraus, wobei diese sich von dem Habsburger- und dem Osmanischen Reich ablösten. – Vgl. Baleva 2012, S. 16 – 18. 35 Colum 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Abb. 30 Art O’Murnaghan, Cover des Irish Free State Official Handbook, 1932.

3.2 Repräsentationsstrategien im Irish Free State Official Handbook, 1932

Auch das 1932 von Bulmer Hobson herausgegebene Irish Free State Official Handbook,36 das anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Irischen Freistaates erschien, bedient sich der Rhetorik des Ländlichen. Die Herausgeber des Handbuches verfolgten in ihrem Anspruch, die gesamte Bevölkerung über den Fortschritt des Freistaates zu unterrichten, zuallererst didaktische Ziele. Auf 324 Seiten sollte das Handbuch über alle Bereiche des irischen Lebens informieren.37 Eigens für die Herausgabe des Bandes war vom Ministerium für Industrie und Handel die Bildung eines Komitees veranlasst worden, das die Aufgabe hatte, die Erstellung der einzelnen Kapitel sowie die Auswahl der Illustrationen an verschiedene Fachleute zu delegieren.38 36 Saorstát Éireann 1932. Die Arbeit an dem Handbuch wurde unter William Thomas Cosgraves Regierungspartei, der 2. Cumann na nGaedhael, begonnen und unter Éamon de Valeras Fianna Fáil-Regierung abgeschlossen. – Vgl. Redshaw 2002, S. 143. 37 Vgl. Saorstát Éireann 1932. Man deckte etwa folgende Bereiche ab  : Geschichte, Erziehung, Religion, Recht, Landwirtschaft, Technik, Kultur, Bildung und Tourismus. 38 Vgl. Saorstát Éireann 1932, S. 15 f.

Repräsentationsstrategien | 121

Abb. 31 Frontispiz des Irish Free State Official Handbook mit einer Reproduktion von Paul Henrys Gemälde Errigal, County Donegal, ca. 1929.

Das Buch enthält zudem zahlreiche Illustrationen sowie Bildreproduktionen, wobei diese Abbildungen nicht als Beiwerk, sondern als zentraler Bestandteil des Werkes zu betrachten sind. Dabei fällt zunächst der markante, von Art O’Murnaghan (1875 –  1955) gestaltete Buchdeckel auf, der formal an die keltische Ornamentik im Stil des ›Goldenen Zeitalters‹ Irlands sowie an wertvolle Zeugnisse keltischer Kultur wie das Book of Kells oder das Book of Durrow erinnert (Abb. 30). Es ist augenfällig, wie durch diese Motive die präkoloniale keltische Ära künstlerisch in das 20. Jahrhundert transponiert werden sollte, um in subtiler Form die Idee eines bedeutungsvollen ›Damals‹ mit dem Gedanken an ein wiedererstarktes, nationales ›Heute‹ zu verknüpfen. Die bildliche Übernahme der mittelalterlichen Abstraktion scheint bewusst gewählt. So enthält das Buch ein Kapitel zu den Bibliotheken des Freistaates, in dem darauf hingewiesen wird, dass sich beide Handschriften, also das Book of Durrow ebenso wie das Book of Kells, im Trinity College Dublin befinden. Auf diese Weise wird suggeriert, dass Irland schon immer ein buchkundiges Land gewesen sei. Das Frontispiz wiederum zeigt die Reproduktion eines Gemäldes von Paul Henry, in dem Errigal im nordwestlichen County Donegal dargestellt ist (Abb. 31). Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Handbuches hatten Henrys westirische Szenerien bereits einen enormen Bekanntheitsgrad erreicht  ; auch standen sie, anders als noch bei

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­MacGreevy, kaum mehr in der Kritik, europäischen und damit nicht-irischen Ursprungs zu sein. Für die Betrachtenden werden durch diese enge Aufeinanderfolge von keltischer Ornamentik und zeitgenössischer Landschaftsdarstellung Historie und Gegenwart erkennbar miteinander verknüpft. Gleichfalls wird durch ebenjene Verwobenheit von keltischem Erbe und aktueller Kunst einmal mehr die Botschaft einer irischen Kultur vermittelt, die auf einem festen historischen Fundament fußt und hierüber auch eine Rechtfertigung erfährt. Die bildliche Behauptung eines nahtlosen Übergangs vom frühen Mittelalter zum 20. Jahrhundert sorgt zusätzlich dafür, dass der Zeitraum der englischen Regierungszeit für den Leser ausgeblendet wird. Dieses Vorgehen offenbart ein Geschichtsbewusstsein, das wesentlich auf der Praxis des Vergessens beruht. Es lässt an Ernest Renans 1892 formulierte These denken, nach der es »das Wesen einer Nation ausmacht, dass alle Individuen etwas miteinander gemein haben [und] auch, dass sie viele Dinge vergessen haben.«39 Warum die Wahl für das Frontispiz des Buches ausgerechnet auf ein Landschaftsmotiv fiel, lässt sich mit der bereits geschilderten und fortgesetzt instrumentalisierten Symbolkraft des irischen Westens erklären.40 Dass man hierfür auf ein Werk Paul Henrys zurückgriff, kann indes kaum erstaunen, wenn man in Betracht zieht, dass seine Werke sowohl dem Zeitgeschmack als auch einer damit einhergehenden Konjunktur im Sinne einer idyllischen wie nationaltypisch verstandenen Landschaftsauffassung entsprachen. Nicht umsonst ziehen sich Henrys Darstellungen wie ein roter Faden durch das Buch, dessen Charakter sie neben ländlichen Szenen anderer Künstler:innen maßgeblich bestimmen. Folgt man der durch die Bildauswahl des Handbuches vermittelten Aussage, so fertigten moderne irische Künstler:innen hauptsächlich ländliche Szenerien mit Bergen, Bauern und Kirchen an. Durchaus existierende Sujets des modernen städtischen Lebens hingegen werden im Handbuch weitgehend ausgeblendet. Dies trifft auch für die Arbeiten Jack B. Yeats’ zu, enthält das Buch doch trotz zahlreicher Illustrationen keine Abbildungen seiner Werke. Vor dem Hintergrund von Colums und MacGreevys federführender Positionierung des Künstlers überrascht dieser Ausschluss, der innerhalb der Literatur unhinterfragt geblieben ist. Allerdings könnte der Umstand, dass Yeats aufgrund seiner republikanischen Einstellung dem Irischen Freistaat kritisch gegenüberstand, ein mögliches Motiv hierfür geliefert haben. Auch die persönliche Aversion des Künstlers gegen Reproduktionen ließe sich als denkbarer Grund anführen.41 Hinzu kommt, dass Yeats jedwede propagandistische Vereinnahmung von 39 Renan 1993, S. 294. Der Historiker Ernest Renan (1823 – 92) betrachtete »die Nation« als »ein geistiges Prinzip« (ebd., S. 307) und nicht als ein objektives Gut. In seiner Rede, die sich im Kontext der deutsch-französischen Konflikte des 19. Jahrhunderts gegen Nationalismus und Rassismus wandte, antizipierte er bereits die Idee der Europäischen Union. 40 Vgl. Scott 2005. 41 Zur Ablehnung von Reproduktionen siehe etwa Pyle 1989, S. 123.

Repräsentationsstrategien | 123

Kultur ablehnte,42 wie aus einem Interview von 1921 hervorgeht, in dem er sich zur Zukunft irischer Kunst äußerte  : I certainly think […] that the work of artists over here will be strongly national in spirit in the future. I do not mean that it will be didactic. Art degenerates into propaganda when it becomes that. But it will take Irish subjects and treat them in an Irish manner.43

Nicht außer Acht gelassen werden darf auch, dass Yeats seit den 1920er Jahren eine inhaltliche und formale Entwicklung durchlief  : So wandte er sich von ländlichen Themen ab und widmete sich häufiger mehrdeutigen, urban geprägten Motiven, womit er sich, Nicholas Allen zufolge, einer eindeutigen Zuordenbarkeit entzog.44 In diesem Zusammenhang beschreibt McGuinness, dass Yeats seit dem Ende der 1920er Jahre aufgrund seiner anglo-irischen Herkunft und seiner symbolischen Bilder, die sich nicht offenkundig als politische Werke lesen ließen, nicht mehr geschätzt wurde.45 Es handelt sich sämtlich um Spezifika, die der Forderung des Freistaates nach einer greifbaren Ästhetik diametral gegenüberstanden. Daneben könnte auch Yeats’ zunehmend expressiver Umgang mit Farbe die Entscheidungsträger:innen des Freistaates dazu bewogen haben, ihm die Rolle als zentralem künstlerischen Vertreter Irlands abzusprechen, nicht zuletzt wenn man die dem Handbuch zugrunde liegende konservative Ideologie berücksichtigt.46 Dass sich Yeats’ vorübergehender Ausschluss von repräsentativen Kontexten nicht auf das Handbuch beschränkte, zeigt die bereits 1927 veranstaltete Londoner Imperial Art Exhibition, in der Irland zwar durch Arbeiten von Henry und weiteren irischen Künstler:innen repräsentiert wurde, nicht aber durch Yeats – und das obwohl vor allem die englische Presse in ihm den hauptsächlichen Maler des Freistaates sah. Die Verwunderung hierüber lässt sich unter anderem einem Artikel im englischen Observer entnehmen  : The Irish Free State fully holds its own in this Empire Art contest, though again one has to deplore the absence of the man who must be regarded as the most typically Irish painter, Mr. Jack Yeats.47 42 Zu Yeats’ republikanischer Einstellung, die der seines Bruders, der ab 1922 als Senator für den Freistaat tätig war, widersprach, siehe etwa O’Doherty 1971, S. 85. 43 Yeats zitiert in Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1  ; zu Yeats’ kritischer Einstellung gegenüber dem Freistaat siehe unter anderem Lloyd 2016, S. 94. 44 Vgl. Allen 2009, S. 157. 45 Vgl. McGuinness 1992, S. 14 – 17. 46 Zu Yeats’ sich wandelnder Einstellung, die sich offenbar auch künstlerisch manifestierte. – Vgl. Kennedy 2008, S. 38. 47 Konody 1927, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2  ; 1943 bemerkte Lancester im Observer, dass Yeats in den 1920er und 30er Jahren aufgrund den vorherrschenden dogmatischen Kunstvorstellungen nicht zur ersten Garde zählte und erst seit Kurzem die ihm gebührende Anerkennung erhalte, siehe Lancester 1943, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4.

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Vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen lässt sich konstatieren, dass Yeats’ in dieser Zeit entstandene Kunst der charakteristischen Ästhetik des Freistaates, wie sie von den Verantwortlichen bestimmt worden war, schlichtweg nicht entsprach, womit aus staatlicher Sicht ein Prestigeverlust einherging. An seine Stelle traten im Handbuch stattdessen Künstler:innen wie Paul Henry, Harry Kernoff (1900 – 74), Maurice MacGonigal oder Estella Solomons (1882 – 1968), deren Werke den Rezipierenden ein Bild des Landes vermittelten, dessen Kraft sich vor allem aus einer ›ursprünglichen‹, traditionsbezogenen Kultur speist.48 Jene Fokussierung auf das Ländliche, wie sie etwa in dem im Band reproduzierten Henry-Gemälde Achill Head, Co. Mayo (1918 – 20) oder in dessen Lakeside Cottages (1929 – 32) zum Ausdruck kommt,49 stellt im Kontext der Konstruktion nationaler Identität einen gängigen Topos dar, der sich, gerade im Hinblick auf das Bemühen um nationale Eigenständigkeit, auch außerhalb Irlands beobachten lässt. Für die künstlerische Perspektive lässt sich dabei etwa die polnische Künstlergruppe Towarzystwo Artystów Polskich »Sztuka« (Verband polnischer Künstler »Sztuka«) anführen, die von 1897 bis 1950 Bestand hatte. Deren Vertreter:innen, darunter Włodzimierz Tetmajer (1861 – 1923), wählten ganz ähnliche ländliche Motive mit folkloristischer Anmutung, wie die um 1909 gefertigte Szene vor einer Dorfschenke zeigt (Abb. 32), um inmitten der politischen Unbestimmtheit eine dezidiert polnische Kultur zum Ausdruck zu bringen.50 Die Rückbesinnung auf traditionelles Kulturgut und die Ausbildung der modernen Nation gingen demnach Hand in Hand. In Bezug auf die Inanspruchnahme bäuerlichen Lebens hat Gellner denn auch in seiner Untersuchung zu Nationalismus und Mo­ derne betont, dass sich der Nationalismus ganz gezielt ›volkstümlicher‹ Ideen bediene  : Der Nationalismus tritt seinen Siegeszug für gewöhnlich im Namen einer vorgeblichen Volkskultur an. Seine Symbole bezieht er aus dem gesunden, unverfälschten, prallen Leben der Bauern, des Volkes, des narod.51 48 Eine Ausnahme stellt eine Zeichnung Seán Keatings dar, die die Arbeiten am S­ taudammprojekt The Shannon Scheme dokumentiert, das 1929 nach mehrjähriger Bauzeit fertiggestellt worden war. – Vgl. Saorstát Éireann 1932, S. 160. 49 Paul Henry, Achill Head, Co. Mayo, 1918 – 20, Öl auf Pappe, 30 × 23,5 cm, Limerick City Gallery of Art und Lakeside Cottages, 1929 – 32, Öl auf Leinwand, 40 × 60 cm, Hugh Lane Gallery, Dublin. 50 Vgl. Brzyski 2003. Die Künstler:innen wandten sich von einem konservativ-tradierten Kunstbegriff ab und suchten für vernakulare Themen moderne Ausdrucksformen. Der Impuls war dabei ursprünglich von der Wiener Secession ausgegangen, der einige polnische Künstler:innen vor der Gründung der »Sztuka« angehört hatten. Da Polen von 1795 und 1918 aufgrund der polnischen Teilungen zwischen Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt war, bildete sich unter den Künstler:innen ein Bedürfnis nach einer nationalen Sprache heraus. Den Mitgliedern ging es hauptsächlich darum, einen polnischen Stil zu entwickeln und diesen auf Ausstellungen im Ausland zu repräsentieren. 51 Gellner 1995, S. 89.

Repräsentationsstrategien | 125

Abb. 32 Włodzimierz Tetmajer, Vor einer Dorfschenke, um 1909, Öl auf Leinwand, 39 × 59 cm, Kielce, ­Muzeum Narodowe w Kielcach.

Ein wichtiger Grundgedanke ist dabei laut Stuart Hall, dass die Herausbildung der Volkskultur zunächst von intellektuellen Eliten vorangetrieben und erst in einem zweiten Schritt für einen auf staatlicher Ebene geführten Diskurs nationaler Identität fruchtbar gemacht wird.52 Entsprechend spielte für die Herausgeber des Handbuches die Instrumentalisierung des Ländlichen und der Gaeltacht, der irisch-sprachigen Regionen Irlands, unter Zuhilfenahme einer bereits etablierten Ikonografie eine wesentliche Rolle. Die Mythisierung der Region war vor allem von der Gaelic League forciert worden, die den ärmsten Gegenden das höchste Maß an Authentizität zusprach. Die Romantisierung der vorindustriellen und ›urtümlichen‹ Lebensverhältnisse brachte es mit sich, dass die dort vorherrschende Armut nach der Etablierung des Freistaates kaum bekämpft wurde. Daraus erwuchs für manche Vertreter die Negation jedweden Fortschritts in den Gebieten.53 Und tatsächlich investierte der Freistaat kaum Geld in die Verbesserung der teilweise desolaten Zustände.54 George Boyce spricht sogar davon, dass die Gaeltacht 52 Vgl. Hall 1994, S. 204. 53 Vgl. Doyle 2015, S. 201 – 205. 54 Vgl. Breathnach 2005, S. 170 – 174. Diese Situation wurde erst 1956 mit der Gründung des Department of the Gaeltacht geändert. Breathnach klärt in ihrer Untersuchung darüber auf, dass das 1891 gegründete britische Congested Districts Board, das von irischer Seite überwiegend kritisch

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nach der Unabhängigkeit verkümmerte.55 Das ›ursprüngliche‹ Volk selbst übte somit tatsächlich keine Macht aus, sondern diente lediglich dazu, die ideologische Grundlage für eine nationale Erzählung zu liefern, die darauf abzielte, sich von den ›Anderen‹ – und im Speziellen den Engländern – abzugrenzen. Das abschließende Kapitel des Handbuches zeigt an, dass man bereits zu diesem Zeitpunkt viel Energie darauf verwendete, eine für die Ideologisierung der eigenen Bevölkerung gedachte Idee auch auf die eigene Außendarstellung und insbesondere auf ein touristisches Publikum zu übertragen. Unter dem Titel Ireland for the Visitor wird in dem Abschnitt – einmal mehr in Abgrenzung zum Englischen – das Charakteristische des Westens betont, wofür das Beispiel der als typisch irisch deklarierten Kleinstadt Galway herangezogen wird  : It is a phase of town life strange to English eyes  ; but the town is small, and half an hour’s walking in any direction will take you out into some of the most characteristically Irish and Irish speaking country that exists.56

Bereits seit den 1920er Jahren war die Idee eines genuin irischen Landes, das der englisch geprägten Kultur angeblich diametral gegenüberstand, auf Railway-Postern inszeniert und touristisch vermarktet worden. Vor allem Henrys Landschaften erschienen als geeignet, Irland als Reiseziel anzupreisen, wie ein Reiseplakat von 1925 mit einer ›typischen‹ Ansicht der westirischen Region Connemara und eine Einschätzung der Irish Times aus demselben Jahr belegen  : If thousands of people in Great Britain and in America have been led this summer to think over the claims of Ireland as a holiday ground, it is largely through the lure of Mr. Paul Henry’s glowing landscape of a Connemara scene.57

Dass Henry lange Zeit in Frankreich gelebt hatte und sich, gemeinsam mit Jack B. Yeats, Mary Swanzy (1882 – 1978) und anderen Künstler:innen, ab 1920 in der Society bewertet wurde, wirksamer im Kampf gegen die Armut im Westen Irlands war, als bisher anerkannt ist. Nach der Gründung des Irish Free State wurde das CDB 1923 aufgelöst. Die bis 1923 erreichten Fortschritte des CDB wurden in der Folgezeit nicht weiterverfolgt. 55 Vgl. Boyce 1996, S. 354. 56 Saorstát Éireann 1932, S. 311  ; bis heute wird Irland als ein Land der ›Ursprünglichkeit‹ wahrgenommen. So titelte etwa Karsten-Thilo Raab 2005 in seinem Beitrag in der Zeit  : »Wo Irland am ursprünglichsten ist.« Und auch sein sich anschließender Text rekurriert auf tradierte Klischees  : »Die Aran Islands vor der Westküste der Grünen Insel gelten als raue Schönheit und letztes Refugium des keltischen Irlands. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein […]«, https:// www.spiegel.de/reise/europa/aran-islands-wo-irland-am-urspruenglichsten-ist-a-366156.html [17.12.2022]. 57 Irish Times, August 1925, zitiert nach Kennedy 2007b, S. 60. Das LMS (London Midland & Scottish Railway) Railway-Poster aus dem Jahr 1925 zeigt Connemara by Paul Henry, Ireland this Year.

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of Dublin Painters für eine Kunst engagierte, die im Austausch mit den Strömungen der europäischen Moderne stand,58 wurde nunmehr, anders als noch bei MacGreevy, in der Diskussion um die nationale Identität des Malers und seiner Werke ausgespart. 3.3 Irland, Europa und Mexiko. Thomas Bodkins und Ernie O’Malleys kritische Diskussionen zur irischen Schule im globalen Kontext

Dass der »Erzählung der [irischen, Verf.] Nation«59 auch in der Folge eine hohe Wirksamkeit beigemessen werden kann, die mittels ruraler Repräsentationsstrategien vorangetrieben wurde, zeigt sich auch an der bildlichen Rhetorik des 1940 erschienenen Buches Twelve Irish Artists.60 Dabei handelt es sich um einen sorgfältig gestalteten Band, der, einem Kalender vergleichbar, eine Auswahl von zwölf Werken unterschiedlicher Maler:innen präsentiert. Jenseits staatlicher Vorgaben verfolgten die beiden Initiatoren Victor Waddington und Thomas Bodkin mit dieser Publikation das Ziel, irische Kunstwerke einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die Notwendigkeit dieses Vorhabens ergab sich insbesondere aus der Tatsache, dass zu dieser Zeit in Irland nur wenige Bücher oder Kataloge mit Gemäldereproduktionen irischer Kunst existierten.61 Während der Dubliner Galerist Waddington für die Künstler:innen- und Werkauswahl zuständig war, lieferte Bodkin, der von 1927 bis 1935 die Direktion der National Gallery of Ireland innehatte, eine knappe, drei Seiten umfassende Einleitung zu dem Band. Innerhalb des Buches sind die ausgewählten Künstler:innen mit jeweils einem, von Waddington als aussagekräftig erachteten Werk vertreten. Der Leserschaft wird, wie bereits im Handbuch des Irischen Freistaates, eine Rundschau des irischen Landlebens geboten. Eine Ausnahme stellt die Porträtdarstellung des zu diesem Zeitpunkt bereits als Nationaldichter verehrten W. B. Yeats dar. Dagegen ist dessen Bruder Jack B. Yeats in Twelve Irish Artists, wie bereits im Handbuch, nicht durch ein Werk vertreten. Der Grund hierfür ist in diesem Fall jedoch eindeutig darin zu suchen, dass der Künstler farbige Reproduktionen für den Band nicht genehmigt hatte. Schließlich schätzte

58 Vgl. Gibbons 2014, S. 134  ; Kennedy 2010a, S. 182. 59 Hall 1994, S. 201 f. 60 Vgl. Bodkin 1940. 61 Bodkin berichtete 1949 in seinem Report on the Arts in Ireland, dass es (außer unter Hugh Lane) keine Kataloge der National Gallery gegeben und dass er während seiner Amtszeit als Direktor der National Gallery of Ireland dafür Sorge getragen habe, dass zumindest wenige Postkarten und auch ein (schnell vergriffener und nicht wieder aufgelegter) Katalog gedruckt wurden. Auch beschwerte er sich über die kaum vorhandene Öffentlichkeitsarbeit für die Gallery, die aufgrund dessen kaum jemandem in Irland bekannt sei. Bodkins Bemühungen um weitere Reproduktionen und Postkarten der wichtigsten Bilder der Gallery wurden vom Department of Finance offenbar immer wieder abgewiesen. – Vgl. Bodkin 1949, S. 20.

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Bodkin selbst Yeats sehr,62 während Waddington später als wichtigster Galerist für den Maler tätig werden sollte.63 In dem Band werden die zwölf enthaltenen Künstler:innen von Bodkin jeweils durch einen knappen Lebenslauf vorgestellt, dem auf der gegenüberliegenden Seite unkommentiert eine Reproduktion beigefügt ist.64 Diese Abbreviatur bedingt, dass sowohl die Künstler:innen als auch ihr Werk – wenn auch unbeabsichtigt – auf jeweils eine einzige Aussage reduziert werden. Welche Widersprüchlichkeit mit dieser eindimensionalen Inszenierung einherging, zeigt sich in exemplarischer Weise an der Charakterisierung Seán Keatings. Der Maler, der an Kunstschulen in Limerick und Dublin ausgebildet worden war, ist in Twelve Irish Artists mit einer auf den Aran Islands spielenden Szene vertreten. Zwar hat Keating sich oft auf den Inseln aufgehalten und diese immer wieder in Zeichnungen und Gemälden verewigt, seine Popularität aber verdankte er seinen politischen Sujets, die innerhalb des Buches jedoch keine Erwähnung finden. Als Beispiel hierfür ließe sich das zwischen 1915 und 1917 entstandene Gemälde Men of the West anführen (Abb. 33). Das querformatige Bild präsentiert drei junge Männer, die in ihren lässigen Posen sowie in ihrer Kleidung – Hemd mit Weste, Halstuch, Hut und Gewehr – an WildWest-Helden erinnern. Der Maler nahm hier offenkundig Bezug auf die tradierte Ikonografie irischer Cowboys, wie sie bereits um 1900 in der Fotografie entwickelt worden war. So inszeniert etwa Robert John Welchs (1859 – 1936) 1899 entstandene Aufnahme Kerry Cowboys drei Freunde des Fotografen in recht ähnlicher Weise.65 Im Gegensatz zu den entspannten Männern auf der Fotografie handelt es sich aber bei Keatings Westernern zugleich um bewaffnete Freiheitskämpfer. Als deutliches Erkennungszeichen dient ihnen dabei die irische Trikolore, die Aufständische während des Easter Rising am Dubliner General Post Office gehisst hatten. Folglich verknüpfte der Künstler das ikonische Bild des Westens mit den im Osten stattgefundenen Ereignissen des Osteraufstandes. Dass er sich auch persönlich mit dem bewaffneten Aufstand identifizierte, zeigt sich daran, dass die links stehende Figur die Gesichtszüge des Künstlers trägt.66 62 Vgl. Kelly 2002, S. 138 f. 63 Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2004. 64 Bei den Künstler:innen handelt es sich um James Humbert Craig (1877 – 1944), William Conor, Grace Henry (1868 – 1953), Paul Henry, Seán Keating, Harry Kernoff, Charles Vincent Lamb, Maurice MacGonigal, Frank McKelvey (1895 – 1974), Dermod O’Brien (1865 – 1945), Seán O’Sullivan und Leo Whelan (1892 – 1956). 65 Robert John Welch, Kerry Cowboys, 1899, Fotografie, Birmingham, Sir Benjamin Stone Collection. Zur Inszenierung der drei Freunde sowie allgemein zum inszenatorischen Moment bei Welch siehe Burns 2007, S. 73 f. 66 Vgl. O’Connor 2013, S. 121 f. Das Gemälde wurde zudem 1919 im Auftrag der republikanischen National Aid Association als Poster reproduziert, wobei die Erlöse aus dem Verkauf den Familien der Opfer sowie den Überlebenden der Ereignisse des Osteraufstandes zugutekommen sollten. Es ist wenig überraschend, dass die Obrigkeiten die Plakatherstellung 1920 einstellen ließen.

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Abb. 33 Seán Keating, Men of the West, 1915 – 17, Öl auf Leinwand, 97 × 125 cm, Dublin, Hugh Lane Gallery.

Verbürgt ist, dass der Maler seine radikale Haltung nach 1922 aufgab und sich von der Entwicklung des Landes deutlich enttäuscht zeigte. Auch Keatings IRA-Helden hatten nach 1922 zunächst keinen Platz mehr in der offiziellen Repräsentation, verkörperten sie doch in den Augen der Obrigkeit eine dekonstruktive Haltung, die der geregelten Politik des Freistaates entgegenstand. Zu den Zielsetzungen des jungen Staates gehörte es, die aufrührerischen Zeiten und deren Protagonist:innen im Sinne der Konsolidierung vergessen zu machen.67 Erst nach dem Ende des Irish Free State und im Zuge der erneuten Republikanisierung des Landes in den 1940er Jahren wurden auch die 67 Nachdem das Department of Education Keatings Bildideen zu irischen Helden abgelehnt hatte, schrieb Keating desillusioniert  : »Post-Treaty political bitterness may have been the reason why my appeal was refused, but politics, always ephemeral and often contemptible, should not be allowed to rob posterity […]. Revolutionaries should remember that they are making history, and that history belongs to posterity and should be documented in paint as well in print […] if the British in their successive wars always commissioned their best artists, at high salaries, to immortalize the men and events which they considered important, it is a pity that we, who despise them culturally, should have failed to record the birth of a nation«, Keating in einem Brief an das Büro des Präsidenten, 1951, zitiert nach O’Connor 2013, S. 135  ; vgl. auch Allen 2009, S. 156. Er meint  :

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politisch eindeutigeren Bilder Keatings wieder gezeigt.68 So fanden diese Aufnahme in die 1946 veranstaltete Exhibition of Pictures of Irish Historical Interest, mit der man das dreißigjährige Jubiläum des Osteraufstandes beging.69 Gemäß dem von Waddington vorgegebenen homogenen Bildkonzept von Twelve Irish Artists ging Bodkin in seiner Einführung jedoch weder auf die politischen Inhalte in Keatings Werk noch auf dessen zwiespältige Rezeption ein. Aufgrund anderer Aussagen des Kritikers darf aber davon ausgegangen werden, dass er die Wahrnehmung irischer Kunst nicht allein auf idyllische Postkartenmotive beschränkt sehen wollte. Dies geht bereits aus einem Aufsatz hervor, den Bodkin für das Handbuch des Irischen Freistaates verfasst und in dem er sich zur irischen Kunst der Moderne geäußert hatte. In dem Text beleuchtet er die historische Situation der Künste in Irland und erwähnt, dass es eigentlich erst seit 1922 möglich gewesen sei, eine irische Schule hervorzubringen. Erst seit dieser Zeit seien Künstler konsequent an irischen Kunsteinrichtungen und nicht länger im Ausland ausgebildet worden.70 An diese Beobachtung anknüpfend fordert Bodkin in der Einleitung zu Twelve Irish Artists, dass irischen Künstler:innen durch staatliche oder private Ankäufe ihrer Werke finanzielle Sicherheit und, damit einhergehend, die Möglichkeit geboten werden müsse, auch im Anschluss an ihre Ausbildung in Irland tätig zu sein. Auch eine andere Einschätzung Bodkins verweist, entgegen der einseitigen Bildauswahl des Bandes, auf seinen differenzierten Blick auf die irische Kunstproduktion sowie auf den von ihm ausgemachten Handlungsbedarf  : »While no one ever seems to recognize formally the existence of a distinct school of Irish painting, it is a real, if indefinable, thing.«71 Diese vorsichtige Beurteilung einer existenten, aber undefinierbaren irischen Schule muss im Zusammenhang mit Bodkins Biografie gesehen werden, der Irland und seinen renommierten Direktorenposten 1935 aufgrund politischer Differenzen verlassen hatte, um in Birmingham die Leitung des Barber Institute of Fine Art anzutreten.72 Bereits zwei Jahre vor seinem Ausscheiden als Direktor der National Gallery of Ireland hatte er 1933 beklagt, dass über Ankäufe nur noch auf der Grundlage nationaler Interessen entschieden werde. Trotz alledem setzte er sich – auch von England aus – weiterhin für zeitgenössische irische Künstler:innen ein und drängte auch in seiner Einleitung zu Twelve Irish Artists darauf, dass in Irland ein florierender Kunsthandel etabliert werden müsse. »[…] post-civil war rhetoric condemned rebublicans for their wanton destruction, their hysterical antipathy to what was ›right‹ and ›reasonable‹.« 68 Vgl. Kennedy 2008, S. 38. 69 Vgl. Ausst-Kat. Dublin 1946, Inner Hall, Nr. 9, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/17/1/51  ; Keatings Sujets des Westens wurden allerdings weiterhin gezeigt, siehe Konody 1927, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 70 Vgl. Bodkin 1932, S. 240 ff. 71 Bodkin 1940, S. 6. 72 Vgl. Kelly 2002, S. 138 f.; Kelly 1991/92, S. 175 f., weist zudem darauf hin, dass Bodkin die Politik von Fianna Fáil nicht guthieß, sondern dass er sich eher mit William Thomas Cosgrave von der Fine Gael-Partei verstand.

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Bodkins hauptsächliche Kritik galt aber der fehlenden Unterstützung der Künst­ le­r:in­­­nen von staatlicher Seite. Nachdem es bereits 1922 für wenige Monate ein unabhängiges Ministerium für Kunst (Department of Fine Arts) gegeben hatte, schlug er dessen erneute Gründung vor, sah er doch nur durch eine adäquate Förderung die Möglichkeit zur Etablierung einer irischen Schule gegeben. Auch betrachtete er es als notwendig, dass die Kunst in der irischen Gesellschaft auf diversen Ebenen sichtbar gemacht werde.73 Jahre später resümierte der langjährige Literaturredakteur der Irish Times, Terence de Vere White, über Bodkins Weggang nach England denn auch treffend  : He resigned in 1935 to take up the Directorship of the Barbour [sic] Institute in Birmingham, the founder of which did not share the illusion of the Irish authorities that in cultural matters the best things in life are free.74

Neben Bodkin betonten auch andere Kulturschaffende das mangelnde Bewusstsein für die eigene Kultur. Hierzu gehörte mit Ernie O’Malley ein ehemaliger IRA-Kämpfer,75 der sich ab den 1930er Jahren verstärkt für die irische Kunst – und insbesondere für Jack B. Yeats – engagierte,76 wobei er die geringe Einbindung der National Gallery in die 73 Vgl. Bodkin 1949, S. 65  ; O’Connor 2011, S. 16. In der Folge des Treaty wurde das unabhängige Ministerium für Kunst in das Department of Education integriert, wo politische und wirtschaftliche Interessen dominierten. Erst 60 Jahre später sollte es wieder ein Ministerium für Kunst geben  ; zur Geschichte des Arts Council, das bereits 1951 gegründet, dem aber erst 1982 staatliche Unabhängigkeit garantiert wurde, siehe Kennedy 1998. 74 White 1957, S. 124. 75 Der 1897 in Castlebar geborene Ernie O’Malley studierte Medizin am Dubliner University College, als sich der Osteraufstand ereignete. Der Aufruhr politisierte ihn und er trat in der Folge den Irish Volunteers (später IRA) bei. Im Unabhängigkeitskrieg kämpfte er an der Seite von Michael Collins. Als IRA-Kämpfer wurde er 1920 im Kilmainham Jail inhaftiert, aus dem er im Winter 1921 ausbrach. Als überzeugter Republikaner lehnte er den Anglo-Irischen Vertrag ab und wurde im November 1922, inmitten des Irischen Bürgerkrieges, als »Irregular« erneut gefangen genommen und inhaftiert. 1924 wurde er als letzter republikanischer Anführer aus der Haft entlassen. 1928 ging er in die USA, wo er die Künstlerin Helen Hooker kennenlernte und heiratete. 1935 kehrte er mit ihr zusammen nach Irland zurück. Sein bereits seit der Jugend ausgeprägtes Interesse für Kunst mündete ab den 1940er Jahren in zahlreiche Texte zur irischen und internationalen Kunst sowie in eine ausgeprägte Sammlertätigkeit. Auch verfasste er mehrere Bücher, die sein Leben reflektieren. Das bekannteste Buch ist das 1936 veröffentlichte, autobiografisch angelegte On Another Man’s Wound, das die Ereignisse der Zeit von 1916 bis 1921 behandelt. Ken Loachs Film The Wind That Shakes the Barley aus dem Jahr 2006 basiert in Teilen auf O’Malleys Buch. Zu O’Malleys Leben siehe etwa English 1998  ; zu O’Malley im Kontext von Kunst und Revolution siehe Cosgrove 2005 sowie O’Malley 2016. 76 O’Malley kannte Yeats seit 1937. – Vgl. O’Malley/Allen 2011, S. 134. 1939 kaufte er das erste Gemälde direkt in Yeats’ Atelier. – Vgl. Brief O’Malley an MacGreevy, 1. Mai 1939, abgedruckt in O’Malley/Allen 2011, S. 165  ; zu O’Malley und Yeats, die sich viel über Kunst austauschten, siehe etwa Allen 2009, S. 136 – 166 und Cosgrove 2005. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich

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»outside world«77 kritisierte. Hinsichtlich der von ihm konstatierten Wahrnehmungs­ störung äußerte er 1946  : »In paint also a tradition of seeing and of understanding has yet to be established as there is no national painting tradition.«78 O’Malley, der zwischen 1928 und 1935 in den USA und Mexiko gelebt hatte, zog dabei Parallelen zwischen Irland und Mexiko,79 wobei er in dem mexikanischen Umgang mit den eigenen Kunsterzeugnissen ein Vorbild für Irland sah  : Mexico is of interest to Ireland because for over three centuries it has been subject to foreign domination […]. Apart, however, from its political and economic interest Mexico has made and is now making an important contribution to art history.80

Für O’Malley bestand der wesentliche Vorteil für Mexiko darin, dass die Annäherung an die präkoloniale Kunst nahezu frei von geschichtlicher Assoziation möglich sei und diese ohne ideologische Prägung erschlossen werden könne. Insbesondere sah der Kritiker eine Vorreiterrolle in der vorurteilslosen Interferenz von vergangenem Kunsthandwerk und moderner Malerei, wie sie etwa in Diego Riveras (1886 – 1957) Arbeiten zum Ausdruck komme  : »Diego Rivera had used the bright colours of decorated pottery, or the weaver’s strength in all-over design.«81 Anders verhalte es sich mit der irischen Kunst, die als »compensation for a vanished past for which there has been no critical understanding« vereinnahmt worden sei, was in einer mangelnden Wissenschaftstradition sowie in einem »undue pride in superficial knowledge«82 begründet liege. Als wichtige Voraussetzung für die Etablierung einer eigenen Kunstschule sah O’Mal­ ley deshalb nicht nur die Kunstproduktion selbst an. So seien die H ­ ervorbringung einer fundierten Kunstkritik und -wissenschaft, die Etablierung eines Galerie­wesens, die Zugänglichkeit von Kunstwerken für ein breites Publikum sowie die ideologiefreie Förderung der Kultur seitens der Regierung weitere ausschlaggebende Fak­to­ren.83

Cormac O’Malley, von dem ich wertvolle Hinweise, sowohl zur Freundschaft zwischen O’Malley und Jack B. Yeats als auch zu O’Malleys umfassendem Interesse für das irische und das globale Kunstgeschehen, erhielt. Die Gespräche mit der Verfasserin fanden im Februar 2019 statt. 77 O’Malley 2011b, S. 405. 78 O’Malley 2011a, S. 396. 79 Diese Parallelen wurden später auch in der Kunstgeschichte gezogen, so etwa bei Barbara Lange. Sie weist darauf hin, dass sich in Mexiko lange Zeit ein ähnlicher Unabhängigkeitsweg vollzog wie in Irland. So besann man sich in Mexiko im Zuge der Unabhängigkeit von Spanien und der Suche nach Eigenständigkeit auf präkolumbianische Vorfahren. Im weiteren Verlauf wurde diese Kultur mit der spanischen verwoben und als panamerikanische Idee verfolgt. – Siehe dazu Lange 2016  ; weiterführend zur Herausbildung einer nationalen Identität in Lateinamerika siehe zudem Karge 2016. 80 O’Malley 2011d, S. 424. 81 O’Malley 2011c, S. 413. 82 Beide Zitate sind O’Malley 2011d, S. 430 entnommen. 83 Vgl. O’Malley 2011b, S. 406.

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Es lässt sich zusammenfassen, dass sowohl Bodkin als auch O’Malley die schlechten Bedingungen für Künstler:innen im unabhängigen Irland kritisierten und andere Länder als vorbildhafte Beispiele anführten. Während O’Malley in Mexiko eine mögliche Orientierung ausmachte, wies Bodkin verschiedenen europäischen Ländern in der universitären Verankerung der Kunstwissenschaft sowie in der staatlichen Unterstützung eine exemplarische Rolle zu.84 Für herausragende historische Formen des Mäzenatentums nannte er das Paris unter Richelieu oder das Dresden unter August dem Starken. Der entscheidende Punkt seiner Argumentation ist dabei, dass das Potenzial von Kunst für eine Region oder einen Staat erkannt und bestärkt werden müsse, ein Bewusstsein, das sich in Irland noch nicht durchgesetzt habe.85 Vor diesem Hintergrund muss die zunächst einseitig erscheinende Publikation Twelve Irish Artists neu bewertet und vielmehr als Versuch betrachtet werden, irische Künst­ler:innen ohne ideologischen Überbau zu fördern und deren Kunst einem großen Publikum zugänglich zu machen. Einig waren sich Bodkin und O’Malley zudem darin, dass ein ausschließlich politisierter Kunstdiskurs einer freien Kunstentfaltung und -wahrnehmung im Wege stehen und die Herausbildung eines nationalen Bewusstseins eher behindern würde. So äußerte Bodkin 1932 die Hoffnung auf die Möglichkeit einer freien Kultur, die dazu führen könne, that this nation, once so distinguished in the practice of the arts, will recreate a national art of its own, not based on out-worn styles and lost endeavours, but reflecting the energetic aspirations and enthusiasms of a reborn race.86

Beiden Kritikern ging es demnach zwar um das Bewusstsein für eine nationale Kunst, allerdings losgelöst von der Produktion eines hierarchisierenden, auf Stereotypen basierenden Kanons. Bemerkenswerterweise sollte sich in der Folgezeit, gerade in der ­Außenwahrnehmung, eine spezifische, auf nationalen Schemata beruhende Einschätzung irischer Kunst durchsetzen. Insbesondere die britische Perspektive, die im nächsten Unterpunkt besprochen werden soll, war dabei von verzerrenden Klischees geprägt.

84 Vgl. Bodkin 1949, S. 34. Er schreibt  : »The status of Fine Arts in Irish universities is negligible and precarious. […] In this neglect of the Fine Arts in university education Ireland occupies a regrettably unique position.«  ; das erste kunsthistorische Institut Irlands wurde 1965 durch die französische Archäologin und Kunsthistorikerin Françoise Henry am Dubliner University College (UCD) gegründet. 1966 folgte das Institut für Kunstgeschichte am Trinity College Dublin. Seit 2001 gibt es zudem das kunsthistorische Institut am University College in Cork. 85 Vgl. Bodkin 1949, S. 40. 86 Bodkin 1932, S. 244.

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3.4 Nationale Stereotype und Alteritätskonstruktionen am Beispiel der britischen Rezeption irischer Kunst

Hinsichtlich der nationalen Stilkonstruktion stellt das Spannungsfeld zwischen postkolonialer irischer Selbstbehauptung und britischem Überlegenheitsgestus einen wesentlichen, nicht außer Acht zu lassenden Faktor dar. Britische Einschätzungen zur irischen Kunst, wie sie von Herbert Read, Kenneth Clark (1903 – 83), Eric Newton oder Patrick Heron (1920 – 99) vorgenommen wurden, lassen dabei eine Position erkennen, die sich durch Negativkonnotationen und Klischeebilder auszeichnet und habituell aus dem Status der ehemaligen ›Übermacht‹ herzuleiten ist.87 In ihren diminuierenden Beurteilungen zielen diese Vertreter sämtlich darauf ab, die irische Kunst des 20. Jahrhunderts als unmodern einzustufen. Vor allem der Rekurs auf eine spezifisch keltische Wesenheit, die seit dem 19. Jahrhundert sowohl auf englischer als auch auf irischer Seite unter gegensätzlichen Vorzeichen debattiert worden war, taucht in der Mitte des 20. Jahrhunderts in britischen Kunstbesprechungen wieder auf. Dass sich entsprechende Einschätzungen nicht allein auf national vereinnahmte Maler wie Jack B. Yeats oder Paul Henry beschränkten, sondern auch auf nachfolgende Generationen von Künstlerinnen und Künstlern übertragen wurden, zeigt das Beispiel Louis le Brocquys. So kann die Rezeption seines Werkes als symptomatisch für eine politisch motivierte Diskussion irischer Kunst angeführt werden. Exemplarisch hierfür steht eine 1957 erschienene Rezension Herbert Reads, in der der zu dieser Zeit von Londoner Kritiker:innen und Galerien gefeierte Maler wie folgt charakterisiert wird  : This painter from Joyce’s Dublin did seem when I first met him in 1944 to have some qualities of Celtic origin. His images might have been found in a crock of gold, and both Yeats the poet and his brother the painter might have been among his ancestors. But since then Le Brocquy’s art has become emancipated from provincial myth and is now both independent and universal.88

In seiner kurzen Einschätzung setzt Read den ursprünglichen künstlerischen Ansatz le Brocquys, den er auf eine »Celtic origin« zurückführt, zu den neuen Tendenzen des Malers ins Verhältnis, die er als »independent and universal« einordnet. Darüber hinaus nennt er sowohl William Butler als auch Jack B. Yeats als Vorfahren le Brocquys, deren Kunst den Status des »provinvial myth« noch nicht überwunden habe. Diese Beurteilung ist insofern irritierend, als le Brocquy selbst sich von Jack B. Yeats’ genuiner künstlerischer Herangehensweise inspiriert zeigte und folglich zwischen dem Schaffen 87 Vgl. Read 1962  ; Clark 1942b  ; Heron 1948, aufbewahrt in NLI, und Newton 1950. Allen Autoren ist gemein, dass sie die irische Kunst vor der Folie gängiger westlicher Kunststandards besprechen und im Vergleich dazu als unmodern einstufen. 88 Read 1962, S. 136. Der Text war 1957 bereits als Rezension zu le Brocquys erster Ausstellung zur White-Serie erschienen. – Vgl. Walker 1981, S. 36 f.

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Abb. 34 Louis le Brocquy, Tinkers Resting, 1946, Öl auf Pappe, 50,8 × 35,6 cm, London, Tate ­Gallery.

des älteren Kollegen und seiner Kunst kaum einen Paradigmenwechsel auszumachen vermochte.89 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage Reads Urteil basierte und inwiefern dieses tatsächlich mit den Werken der behandelten Künstler in Verbindung zu bringen ist. In seinem ab 1940 zu datierenden Frühwerk wandte sich der autodidaktisch geschulte le Brocquy zunächst Darstellungen irischer Traveller zu, wie etwa in dem Ölbild Tinkers Resting aus dem Jahr 1946, das ein Paar bei der Rast zeigt (Abb. 34).90 Mit dieser Motivwahl stellte sich der Künstler in eine dezidiert irische Tradition. So durchzieht das Thema nicht nur die literarischen Werke Synges, sondern taucht auch wiederholt in Arbeiten Jack B. Yeats’ auf, dessen um 1905 entstandenes, hochformatiges Aquarell A Tin­ ker le Broquys frühe Arbeiten in besonderer Weise vorwegzunehmen scheint.91 Allerdings 89 Vgl. Madden 1994, S. 51. 90 Vgl. Walker 1981, S. 21  ; Kennedy 1991b, S. 133. Le Brocquy bereiste 1945 die irischen Midlands, wo er sich mit dem Leben der Traveller vertraut machte. 91 Jack B. Yeats, A Tinker, um 1905, Aquarell, 360 × 255 mm, Privatbesitz. Das Motiv des Travellers zieht sich auch durch Synges Werk. In seinem 1911 veröffentlichten Theaterstück The Tinker’s Wedding wandte er sich dezidiert diesem Thema zu. Weiterführend zur Verarbeitung des ›Tinker‹Themas bei Synge siehe Burke 2009.

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verortete le Brocquy das Sujet des Travellers in einem globalen Kontext, sah er darin doch ein universales Symbol, das das »individual as opposed to organised settled society«92 zum Ausdruck bringen könne. Trotz dieses übernationalen Ansatzes wurde der Künstler, der ab 1946 in London lebte, erst infolge eines behaupteten Stilwechsels von der britischen Presse als modern und schließlich von Kritikern wie John Berger (1926 – 2017) als »one of the most interesting British painters of his generation«93 wahrgenommen. Der künstlerische Umbruch wurde dabei thematisch und ästhetisch begründet. Hatte le Brocquy in seiner Tinker-Serie (ca. 1945 – 48) überwiegend farbig gearbeitet, wandte er sich in seiner Grey-Serie (ca. 1951 – 54) einer monochromen Arbeitsweise sowie dem Motiv der Familie zu.94 Und obwohl der Übergang zwischen beiden Serien fließend verlief und diese sogar zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen, wurde nur die vermeintlich neue Ausrichtung le Brocquys als britisch und somit als »universal and independent« wahrgenommen.95 Unter Verweis auf Reads Lesart sowie den verstärkten Fokus auf nationale Kriterien merkte Gibbons denn auch kritisch an, »[the] shedding of nationality [was] not required in the case of British artists.«96 Es kann kaum überraschen, dass sich irische Kunsthistoriker:innen wie MacGreevy gegen eine Wahrnehmung wehrten, nach der sich die irische Kunst erst spät vom Provinzialismus befreit habe. So brachte MacGreevy bereits 1944 seinen Ärger gegen einen früheren Text Reads zum Ausdruck, den dieser anlässlich der Dubliner Ausstellung Subjective Art verfasst hatte. Darin heißt es, dass die europäische Moderne erst mit der kürzlich gegründeten, überwiegend abstrakt arbeitenden White Stag Group in Irland Einzug gehalten habe.97 In seiner Reaktion verwehrte sich MacGreevy gegen derartige »half-truths« und merkte an, dass es ratsam sei, »[to] query every sentence of the English writer on art […]«.98 Zudem führt der Text die in Irland bereits etablierte Tradition der »experimental art«99 an und verteidigt die modernen Strömungen gegen derlei verkürzende Darstellungen.100

 92 Le Brocquy zitiert nach Kennedy 2005, S. 477.  93 Berger 1951, S. 680.  94 Siehe etwa Louis le Brocquy, A Family, 1951, Öl auf Leinwand, 147 × 185 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.  95 Zum auf nationalen Schemata basierenden Kunstdiskurs am Beispiel le Brocquys siehe Ansel 2020b.  96 Gibbons 2014, S. 137.  97 Vgl. Read 1944, S. 425. Die Ausstellung zeigte abstrakte Arbeiten von britischen und irischen Künstler:innen, die zu der in Dublin angesiedelten White Stag Group gehörten. – Vgl. Kennedy 2010a  ; MacGreevys Reaktion erfolgte in seinem in der Irish Times veröffentlichten Artikel zur sogenannten Subjective Art. – Vgl. MacGreevy 1944, S. 3.  98 MacGreevy 1944, S. 3.  99 MacGreevy 1944, S. 3. 100 Obwohl Read die aktuellen Strömungen innerhalb der irischen Kunst eingehend und innerhalb eines europäischen Zusammenhangs diskutiert – während etwa MacGreevys Texte vergleichsweise oberflächlich argumentieren –, lässt sich seine hegemoniale Rhetorik kaum ignorieren.

Nationale Stereotype und Alteritätskonstruktionen | 137

Im Zuge derart politisierter Kunstdiskurse, die von einer permanenten Beurteilung des ›Eigenen‹ und des ›Fremden‹ geprägt waren, hatten irische Künstler:innen es schwer, mit ihren Werken als modern wahrgenommen zu werden. So kann die Zuordnung zu einer irischen Herkunft – insbesondere in der Außenperspektive – geradezu zwangsläufig mit einem Ausschluss von aktuellen Tendenzen gleichgesetzt werden. Besonders augenfällig wird dies, wenn man den Werdegang des zunächst irisch assoziierten le Brocquy mit dem Francis Bacons (1909 – 92) vergleicht.101 Zwar war Bacon, ebenso wie le Brocquy in Dublin geboren worden und aufgewachsen, als Künstler trat er aber ausschließlich in Großbritannien in Erscheinung. Le Brocquy hingegen wurde spätestens ab 1956, dem Jahr, in dem er Irland bei der Biennale von Venedig vertrat, wieder verstärkt als genuin irischer Maler besprochen. Umgekehrt wurde Bacons 1954 stattgefundene Teilnahme für Großbritannien vom irischen Kunsthistoriker James White als unzulässige Vereinnahmung eines irischen Künstlers aufgefasst, weshalb er dem irischen Außenministerium riet, le Brocquy für das Land zu sichern  : I have reason to believe that the English are very eager to claim LeBrocquy for themselves and as they have already presented McWilliam and Francis Bacon, two Irish born artists at the Biennale it seems wise to establish LeBrocquys nationhood.102

Wie beliebig und losgelöst von objektiven Werkanalysen die Einordnung le Brocquys in der Folge vorgenommen wurde, macht die Besprechung Robert Melvilles aus dem Jahr 1961 deutlich, der unter Verweis auf le Brocquys Arbeiten von einer »Celtic version of cubism« sprach und sogar mutmaßte, »there is an estranged look about his linear construction of the figure that the English immediately identify as Irish.«103 Erklärbar sind derartige Einschätzungen – wie auch die im Falle le Brocquys kaum zu begründenden Rezeptionswechsel – nur mit den auf Kulturräumen basierenden Interpretationsmodi. Zugleich werden hierdurch die Grenzen jener kunsthistorischen Deutungen sichtbar, die ausschließlich auf nationalen Analysekriterien beruhen. Die Ursachen dafür sind in den inhärenten Machtstrukturen des Diskurses zur nationalen Identität auszumachen, der auf einer Politik der Differenz fußt und eine spezifische Kunstreflexion determiniert. Das Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin kann mit101 Zum ausführlichen Vergleich beider Karrieren siehe Cotter 2011. Bacon wird allerdings seit der Überführung seines Londoner Ateliers in die Dubliner Hugh Lane Gallery im Jahr 1998 von irischen Kunsthistoriker:innen verstärkt als irischer Künstler besprochen  ; le Brocquys Arbeiten wurden von Kritiker:innen oft mit denen von Bacon verglichen. – Vgl. Kennedy 2005, S. 479. Bacon selbst, der beinahe jede Londoner Ausstellung von le Brocquy sah, konnte den Vergleich nicht nachvollziehen. – Vgl. Madden 1994, S. 36. Le Brocquy allerdings schätzte Bacons Werk sehr. – Vgl. Madden 1994, S. 105  ; gerade seine verzerrte Portrait Heads-Serie (ab 1964) erinnert an Bacons dekonstruierte Heads und Portraits. 102 Brief James White an Mary Tinney, 29. Februar 1956, Cultural Relations Committee, Dublin, unpubliziert, 415/95 III, DFA/NAI. 103 Melville 1961, o. S.

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tels dieses einseitigen Fokus lediglich bruchstückhaft erfasst werden, was dazu führt, dass für Maler:innen wie le Brocquy in der aktuellen Forschung immer noch grundlegende ikonografische Analysen ausstehen.104 Wie paradox der an dieser Stelle exemplarisch aufgezeigte Zwang nach nationalen Zuordnungen ist, zeigt sich schon allein daran, dass le Brocquy ab 1960 in Frankreich lebte und erst 2000 nach Irland zurückkehrte. Konsequenterweise ist sein Werk von der Auseinandersetzung mit zahlreichen Kulturen geprägt, in die sich die Beschäftigung mit der irischen Wesenheit lediglich als eine von vielen einreiht. Darüber hinaus lassen sich Beispiele anführen, die zeigen, dass das politisch geprägte Sprechen über Kunst nicht nur in der externen, sondern auch in der internen Bewertung irischer Arbeiten dazu führte, moderne Strömungen zu relativieren. So äußerte etwa Joan Fowler 1984 unter Verweis auf eine restriktive sowie konservative Kulturpolitik, dass sich die Moderne in Irland nie ganz entfalten konnte.105 Solche Standpunkte, die der Unterstützung von »provincial myths« dienen, stellen allerdings ausschließlich auf staatlich gelenkte Ästhetikvorgaben scharf und ignorieren, dass Künstler:innen sich kaum konsequent von politischen Vorstellungen regieren lassen, sondern vielmehr häufig eine von nationalen Vorgaben losgelöste Formensprache entwickeln. Wie bereits die Negierung der außeririschen Stationen in den Viten Paul Henrys (Irish Free State Official Handbook) und Jack B. Yeats’ (Thomas MacGreevy, Painting in Modern Ireland) gezeigt hat, ist die Vereinnahmung eines künstlerischen Werkes kaum kongruent mit dem eigentlichen Charakter eines Œuvres sowie dessen immanenten dynamischen und hybriden Prozessen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die irische Stildiskussion von den ab 1922 vorherrschenden politischen Kontroversen beeinflusst war und eine einheitliche Bewertung einer nationalen Schule insofern schwierig erscheint. Weitgehende Einigkeit 104 Eine Ausnahme stellt hier Ansel 2020b dar. Sie liefert in ihrem Aufsatz eine ikonografische Analyse zu le Brocquys Gemälde A Family (1951) und begegnet damit einem Forschungsdesi­derat  ; erst kürzlich haben irische Wissenschaftler:innen damit begonnen, die Mechanismen nationaler Kanonbildung kritisch zu beleuchten. – Vgl. Gibbons 2014  ; Coulter 2008  ; Kennedy 2005. Kennedy weist dabei auch darauf hin, dass der Rückgriff auf postkoloniale Perspektiven in der irischen Forschung dazu führe, die irische Kunst allein vor politischen und weniger unter kunstwissenschaftlichen Vorzeichen zu diskutieren. – Vgl. Kennedy 2005, S. 486. 105 Vgl. Fowler 1984, S. 8. Sie spricht von dem Phänomen des »isolationism, both political and cultural«, und diskutiert jedwede irische Kunst, klassisch oder modern, vor dem Tableau nationaler Prägungen  ; laut Kelly Sullivan war die irische Kunstgeschichtsschreibung lange Zeit von der Sicht geprägt, dass die Kunst, die im rückwärtsgewandten katholischen Irland und unter nationalen Vorzeichen entstand, nicht modern sein könne. Sullivan zufolge wird diese Sichtweise inzwischen kritisch beleuchtet und Forscher:innen beginnen, neue Perspektiven zu etablieren  : »But in a landscape of revolution, civil war, and state building, did Ireland altogether bypass a Modernist material culture  ? Recent scholarship suggests otherwise, reading the postcolonial nation-building project as sharing the same underpinnings as Modernism itself, even in a repressive and conservative Catholic state«, Sullivan 2012, S. 10.

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herrschte lediglich hinsichtlich der Bestärkung einer gemäßigten, ländlich ausgerichteten Bildsprache, erwies sich doch die politische Instrumentalisierung der pastoralen Ikonografie als geeignetes Vehikel, um Irland als traditionsreichen und selbstbewussten Staat zu repräsentieren. Insbesondere die Darstellung des als ›ursprünglich‹ deklarierten Westens wurde, nicht zuletzt aufgrund seiner touristischen Erschließung, seit der Gründung des Freistaates begrüßt und gefördert, was das Bild des Landes, innerhalb wie außerhalb, bis heute prägt. Gleichzeitig standen Künstler:innen wie Louis le Brocquy, Mainie Jellett und Brian O’Doherty der Vermarktung dieser einseitigen Motivik sowie der nationalen Vereinnahmung vermeintlich autochthoner Kunstformen kritisch gegenüber.106 So äußerte sich etwa O’Doherty folgendermaßen zur teilweise surreal anmutenden gefälligen Ästhetik, die auch noch zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges verbreitet wurde  : »The picturesque Ireland everywhere represented when I was a kid was so unreal. We were bogged down in post-War gloom in the ’40s, but the clichés kept coming.«107 Le Brocquy ging in seiner Kritik noch einen Schritt weiter, indem er 1981 hinsichtlich der beliebten ländlichen Bildprogrammatik meinte, dass er sein Werk dringend schützen wolle  : from self-conscious nationalism, for instance, inducing picturesque images perhaps of Irish country folk dressed in the clothes of a preceding generation, or of thatched cottages arranged like dominos under convenient hills  ; images no more respectable in themselves than the sterile Nazi Kultur.108

Dass zwischen der Idee des Keltentums sowie der erwähnten »Nazi Kultur« in natio­ nal­sozialistischer Literatur und in Propagandazeitungen tatsächlich Parallelen g­ ezogen wurden, um eine Allianz zwischen Kelten und Teutonen gegen Angelsachsen zu behaupten,109 mag dem Künstler nicht bekannt gewesen sein, verleiht seinem Zitat allerdings einen weitsichtigen Charakter. 106 Institutionen, wie die 1823 gegründete Royal Hibernian Academy, unterstützten Künstler:innen, die die Ideen des Freistaates und der späteren Republik in ihren Werken zum Ausdruck brachten. – Vgl. Kennedy 2005, S. 480. Welch großen Einfluss diese bildlichen Identitätsentwürfe bis heute haben, zeigt sich daran, dass sich selbst zeitgenössische Künstler:innen, oft auf ironische Art und Weise, noch daran abarbeiten. So zeigt Seán Hillens Collage The Great Cliffs of College Green, Dublin, aus dem Jahr 1997 zwei miteinander verschränkte Touristenattraktionen  : einerseits das englisch geprägte Trinity College im Osten der Insel und anderseits die Great Cliffs of Moher, ganz im Westen. Die Collage macht damit gleichermaßen auf die manifesten Klischeebilder und die Widersprüche der nationalen Identitätsfindung aufmerksam  ; zu Jelletts Kritik an pittoresken Motiven, die von der Royal Hibernian Academy vorrangig gefördert würden, siehe Jellett 1942, S. 7, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 107 Brief O’Doherty an Yvonne Scott, 10. März 2006, zitiert nach Scott 2017, S. 181. O’Doherty bezog sich hier vor allem auf die Idealisierung des irischen Westens. 108 Le Brocquy 1981, S. 91. 109 Siehe dazu O’Neill 1985, S. 259. Artikel, die eine Verbindung zwischen Kelten und Teutonen herstellten, wurden etwa im Völkischen Beobachter, dem Organ der NSDAP, veröffentlicht  ; dass

140  |  Nationale Narrative und Kanonisierungsprozesse im postkolonialen Kontext

Darüber hinaus hat die Bekräftigung homogener Visualisierungsstrategien zur Ausblendung existierender kultureller Interdependenzen und avantgardistischer Strömungen geführt. Und auch der Blick von außen beförderte die einseitige Sicht auf die irische Kunst als keltische und unmoderne Erscheinungsform. Der Diskurs vom nationalen Bild perpetuiert somit die Politik der Differenz und läuft einer objektiven sowie werkorientierten Analyse zuwider. Es die Aufgabe des folgenden Teils der Arbeit, diese limitierte Sichtweise anhand von Einzeluntersuchungen zu Yeats’ Werk infrage zu stellen und alternative Lesarten zu entwickeln.

Geschichten des irischen Unabhängigkeitskampfes im Zuge des Zweiten Weltkrieges der Erbauung dienten, zeigt sich auch an deutschen Übersetzungen irischer Vorlagen, wie dem Buch von Desmond Ryan  : Éamon de Valera. Irlands Freiheitskampf, Berlin 1938. Die Biografie wurde zum Beispiel von Soldaten während der »Kriegsweihnacht 1940« in »Soudron/Marne« gelesen, wie ein Eintrag im Exemplar der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden verrät.

4. »He paints the Ireland that matters«1  : Yeats als Nationalkünstler  ? Eine kritische Betrachtung »What was Yeats’s attitude to Ireland  ? And what persona or mask did this involve  ?«2

Bereits um 1900 eröffneten Einschätzungen, wonach es sich bei Yeats um den »most national of all contemporary Irish-born artists«3 handle, eine spezifisch lokale Lesart, an die die spätere Yeats-Literatur wiederholt anknüpfte. Diese Urteile basierten zum einen auf der Gleichsetzung der vermeintlich genuin irischen Vita des Künstlers und seines Werkes, zum anderen auf dem Bedürfnis nach vernakularen Kunstformen. Inhaltliche Besprechungen bewegten sich dabei häufig an der Oberfläche und umfassten nur selten ikonografische Untersuchungen. Kamen diese zur Anwendung, lag der Fokus im Wesentlichen auf erklärten Hauptwerken mit nationalem Bezug, wobei die entsprechenden Motive der Stabilisierung einer autochthonen Argumentation sowie einer dezidiert irischen Auslegung dienten.4 In der Folge bestimmte diese Perspektive den Ton der Interpretation des gesamten Yeats-Œuvres, sodass das umfangreiche Opus, das neben den unzähligen (druck-)grafischen Arbeiten 1194 Gemälde umfasst (Abb. 35),5 eine lediglich einseitige Ausdeutung erfuhr. Und obwohl Kunstkritiker und -historiker:innen sich später zunehmend gegen diese ausschließlich landestypische Vereinnahmung aussprachen,6 wurde mit der A ­ bgrenzung von der irischen Inanspruchnahme, wenn auch unbeabsichtigt, die heimatbezogene Zuschreibung doch erst bestätigt. Schließlich fokussierten diese Diskussionen zwar kri1 MacGreevy 1945, S. 5. 2 O’Doherty 1971, S. 81. 3 Sunday Times, 1914, Rezension zu Life in the West of Ireland, Walker’s Gallery, New Bond Street, London, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 4 Zur nationalen Lesart insbesondere MacGreevy 1945  ; auch White 1971a, S. 15. 5 Diese Zahl bezieht sich auf Pyles Auflistung ihres Catalogue raisonné. – Vgl. Pyle 1992. Von dieser Zahl ausgenommen sind Zeichnungen und Druckgrafiken. Eigentlich umfasst das malerische Werk 1197 Arbeiten, allerdings wurden drei Gemälde, die 1916 im Rahmen der jährlichen Austellung der RHA gezeigt wurden, durch den Brand des Gebäudes im Zuge des Osteraufstandes zerstört. 6 Siehe etwa Arnold 2008  ; Brown 2014a  ; Cusack 2008  ; Halpin 1986  ; Kennedy 2008. Kennedy schreibt etwa hinsichtlich der national geprägten Lesart von Yeats’ Werk  : »It is impossible to ignore the role of Irish nationalism in the reception of Yeats’ work but, as Samuel Beckett asserted, the national aspects of Mr. Yeats’ genius have been overstated, and one should remain a little sceptical of them«, Kennedy 2008, S. 46. Auch Pyles Yeats-Biografie stellt den Versuch dar, den Maler von ausschließlich nationalen Zuordnungen zu lösen, was allerdings nicht an allen Stellen gelingt, bleibt sie doch dem Mythos vom irischen Maler überwiegend verhaftet. – Vgl. Pyle 1989.

142  |  Yeats als Nationalkünstler  ? Eine kritische Betrachtung

Romane

Theaterstücke

Gemälde

Skizzenbücher

Druckgrafik und Illustrationen

Aquarelle, Zeichnungen 0

500

1000

1500

2000

2500

Abb. 35 Schematische Darstellung zu Yeats’ Schaffen, 1897 bis 1955.

tisch auf die Etablierung nationaler Kanonisierungsprozesse, bekräftigten damit aber letztlich ex negativo die etablierten Denkmuster. Zudem lassen auch diese Auseinandersetzungen bis dato einschlägige Bildanalysen vermissen, die es vermögen würden, die Deutungen von einer nationalen auf eine kunsthistorische Ebene zu befördern.7 Im folgenden Kapitel soll anhand der Untersuchung exemplarischer Bildwerke exploriert werden, welche Gründe als ausschlaggebend dafür zu betrachten sind, dass Yeats von Zeitgenossen und innerhalb der Forschung wiederholt als »truly Irish painter«8 diskutiert wurde. Um diesem komplexen Sachverhalt adäquat nachgehen zu können, erweist sich die Einschränkung auf ausgewählte Arbeiten, die im Zeitraum von 1900 bis 1950 entstanden sind, als notwendig. Die in diesem Kapitel anvisierte kritische Analyse des nationalen Charakters der Arbeiten bedingt zudem den Fokus auf Sujets, die einen dezidiert lokalen Bezug aufweisen oder denen ein solcher wiederholt zugeordnet wurde. Hierfür sollen zunächst eingehende ikonografische sowie ikonologische Werkanalysen als Instrumentarium dienen. Diese Herangehensweise begegnet dabei nicht nur einem Forschungsdesiderat, sondern eröffnet die Möglichkeit, verfestigte Interpretationsmodi zu dekonstruieren und die Bildbetrachtung unter Berücksichtigung 7 Eine Ausnahme stellen hier Roísín Kennedys Texte zu auktionierten Werken bei Sotheby’s, Whyte’s oder Adam’s dar, die zwar keine wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, dafür aber ausführliche Beschreibungen liefern. 8 MacGreevy 1922, S. 19.

Der irische Westen | 143

historischer Aspekte in den Vordergrund zu rücken. Darüber hinaus muss aufgrund der auf den ersten Blick schwer verständlichen Bildsprache von Yeats’ Spätwerk zugleich ein hermeneutischer Ansatz angewandt werden, der sich bildimmanenten Strukturen und Strategien widmet.9 Damit soll insbesondere auf Aussagen reagiert werden, die Yeats’ Werke und deren »tatsächliche Bedeutung«10 für unlesbar und unverständlich erklären.11 Vor dem Hintergrund der nationalen Dimension der Bilder erscheint es ferner erforderlich, einen bildwissenschaftlichen Ansatz hinzuzuziehen. Dieser, über eine rein ikonografische Untersuchung hinausgehende bildtheoretische Modus bietet unter Anwendung aktueller Debatten zur Macht des Bildes sowie zur Wechselwirkung zwischen Bild und Betrachter  :in die Möglichkeit,12 die spezifische Bildwirksamkeit der jeweiligen Entwürfe entsprechend zu ergründen. Neben der Konzentration auf das malerische Korpus ist es von zentraler Bedeutung, den Diskurs zu Yeats’ Œuvre anhand zeitgenössischer Kritiken einzubeziehen. Ausgehend von dieser Schwerpunktsetzung ist es die Absicht des vorliegenden Kapitels, die Faktoren für die Konstruktion nationaler Identität zu untersuchen sowie kritisch zu hinterfragen. Diese Zielsetzung soll eine Neubetrachtung des Künstlers ermöglichen und zugleich befördern, dass das Werk von ausschließlich nationalen Analysekriterien und Bewertungsmaßstäben gelöst und damit für einen umfassenden kunsttheoretischen Diskurs geöffnet wird. 4.1 Der irische Westen

Im Zuge der konstituierenden Debatte um den irischen Westen als stilgebende Ästhetik des jungen Landes wurde Yeats bis in die 1920er Jahre vor allem auf seine Rolle als Maler des ländlichen Raumes reduziert. Neben der bereits angeführten Charakterisierung in MacGreevys Painting in Modern Ireland. The Rise of the National School machen dies auch zeitgenössische Zeitungskritiken deutlich. Bereits 1914 charakterisierte die New Weekly »Mr. Jack B. Yeats [as] the complete Irish artist, for his paintings and drawings are racy of the soil from which they spring […]«.13 Neun Jahre später hieß es im Freeman’s Journal über den Künstler  : »Like all of Mr. Yeats’s studies of Irish life,

  9 Zum bildhermeutischen Ansatz siehe etwa Bätschmann 2001. 10 Wilken 2006, S. 179. 11 So etwa Wilken 2003. Sie schreibt etwa hinsichtlich des 1943 entstandenen Gemäldes This Grand Conversation Was under the Rose (Öl auf Leinwand, 36 × 53 cm, Dublin, National Gallery of Ireland)  : »Der gedankliche Hintergrund des Künstlers, die tatsächliche Bedeutung des Bildes bleibt dem Betrachter verborgen, da es keine eindeutige Äußerung des Künstlers zu dieser Darstellung gibt«, Wilken 2003, S. 179. Auch für andere Gemälde bringt sie das Argument der Unlesbarkeit an und unterlässt es, eigene Interpretationsansätze zu liefern. 12 Zur kritischen Untersuchung der Macht des Bildes etwa Bredekamp 2015 oder Grave 2020. 13 The New Weekly, 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

144  |  Yeats als Nationalkünstler  ? Eine kritische Betrachtung

it is full of charm and instinct, with the atmosphere and feeling of the West.«14 Und als Yeats 1925 in der Dubliner Engineers’ Hall von diesem Typus abweichende Werke zeigte, merkte die Presse mit Erstaunen an, dass der Künstler sich nicht in gewohnter Manier mit »typical drawings of Western life and character«15 präsentieren würde. Die einseitige Wahrnehmung und die damit verbundene Verwunderung über den künstlerischen Wandel ging einher mit der manifesten Vorstellung eines Künstlers, der eins sei mit seinen Motiven, und überrascht insofern, als Yeats bereits in der zweiten Hälfte der 1910er Jahre erstmals Sujets aufgriff, die nicht mehr mit dem klischeehaften Bild des Westens übereinzubringen sind, sondern eindeutig urbane Themen visualisieren. Entsprechend soll in der Folge mittels einer Analyse exemplarischer Werke und deren Rezeption das dominante Klischee vom »complete Irish artist«16 erforscht werden. 4.1.1 »An artist of Gaelic Ireland«17  : Die Rezeption des Künstlers als Maler des Westens Jack B. Yeats’ Einordnung als Künstler keltischer Prägung, der sich dem gälischen Leben auf außerordentliche Art und Weise widme, setzte nahezu unmittelbar mit den Anfängen seiner bildkünstlerischen Karriere ein, die 1897 mit ersten Werkschauen begann.18 Schon die 1901 in der Dubliner Galerie 9 Merrion Row gezeigten Sketches of the Life in the West of Ireland wurden in der Presse euphorisch als »Colour Studies of the Celt«19 beschrieben und deren Schöpfer als »artist of Gaelic Ireland«20 gepriesen. Ausgehend von seinen westirischen Sujets, assoziierte man Yeats zunächst vorrangig mit der Bewegung und den Ideen des Celtic Revival, dessen namhafte Vertreter:innen, darunter Russell (Æ), Evelyn Gleeson oder Lady Gregory, aktiv an dieser Zuschreibung mitwirkten. So äußerte sich etwa Æ wie folgt über den Künstler  : »[…] it seemed to me that for the first time I saw something which could be called altogether Gaelic. […] It was the folk feeling lit up by genius and interpreted by love.«21 Bereits in dieser frühen Phase wurde 14 Freeman’s Journal, 8. Mai 1923, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 15 An Phoblacht, 24. Oktober 1925  ; zum Stilwechsel zudem auch Freeman’s Journal  : Developments in Work of Mr. Yeats, 27. März 1924, beide abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 16 The New Weekly, 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 17 Æ  : An Artist of Gaelic Ireland, in  : Freeman’s Journal, 1901, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/1. 18 Die erste Ausstellung fand 1897 in der Londoner Clifford Gallery statt. Ab 1899 stellte Yeats zum ersten Mal Aquarelle mit irischen Sujets aus. – Siehe Pyle 1989, Ausstellungsübersicht ab S. 203. 19 Evening Mail, Colour Studies of the Celt, 1903, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/1. 20 Æ  : An Artist of Gaelic Ireland, in  : Freeman’s Journal, 1901, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/1. 21 Æ  : An Artist of Gaelic Ireland, in  : Freeman’s Journal, 1901, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/1. Auch Æ betonte die unkonventionelle Einstellung des Malers  : »It was not, and is now less than ever, the patronage bestowed by the intellectual artist in the evidently picturesque

Der irische Westen | 145

zudem auf die irische Herkunft des Malers verwiesen, die laut Gleeson eine wesentliche Voraussetzung für dessen wahrhafte Erschaffung einer ›irischen Atmosphäre‹ darstellt  : Mr. Jack Yeats has a weird power of suggesting the Irish atmosphere  ; his stalwart peasants are men with a grim determination and a wild, reckless humour, that tell of the tragic past, poverty and toil, and the mystical enthusiasm of the Celt are there. […] A Polish artist, Mr. de Markivies [Markievicz, Verf.], has recently painted some very sympathetic pictures of Irish peasant life, which are in other ways most pleasing  ; but one sees in them the people from the outside  ; not all his power can approach the truth that is Mr. Jack Yeats’ birthright.22

Eine größere Öffentlichkeit erreichten die Werkschauen auch durch die von Lady Gregory in den Ausstellungsräumen ausgerichteten At Homes, Gesellschaften, zu denen sie zahlreiche Angehörige des Irish Renaissance Movement begrüßte, in deren Gegenwart Yeats’ Werke als wesentlicher Impuls für die Zukunft einer irischen Kunst gefeiert wurden.23 Auch darüber hinaus erwähnten irische Zeitungen aus dieser Zeit gleich mehrfach bedeutende Ausstellungsbesucher:innen, darunter Douglas Hyde, Margaret Stokes oder John O’Leary, die zum Teil Werke des Künstlers erstanden.24 Die genannten Beispiele machen deutlich, dass sich die Rezeption von Yeats’ Arbeiten auf eine gehobene Gesellschaftsschicht beschränkte, während die eigentlichen Protagonist:innen der Werke hiervon ausgeschlossen blieben. Es handelt sich um ein Paradox, das bereits in Verbindung mit der Käuferschaft seiner Broad Sheets und Broadsides thematisiert wurde (vgl. Kap. 2.2.3). Zentral, auch für die spätere Wahrnehmung des Künstlers, ist, dass sowohl die Titel der Ausstellungen als auch deren öffentliche Rezeption das Bild vom Maler des irischen Westens fortwährend manifestierten. So lassen sich für die Jahre 1899 bis 1924 regelmäßige Einzelausstellungen in Dubliner und Londoner Galerien nachvollziehen, die Zeichnungen, Grafiken oder Gemälde präsentierten, die dem Life in the West of Ireland gewidmet waren. Vorrangig handelte es sich bei den präsentierten Werken um Aquarelle, da Yeats erst 1902 begann, sich mit der Ölmalerei auseinanderzusetzen, bevor er die Technik, die er sich autodidaktisch angeeignet hatte, ab 1910 bevorzugt forms of a life below his own. I suspect Jack Yeats thinks the life of the Sligo fisherman is as good a method of life as any, and that he could share it for a long time without being in the least desirous of a return to the comfortable life of convention.« 22 Gleeson, Evelyn  : The Celt, 1903 (?), ohne Vermerk auf die Zeitung abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 23 Vgl. Social Review, 1900  ; Figaro, 1903. Dort heißt es  : »Lady Gregory gave an ›at home‹ in the room of the Exhibition on Friday evening.« Bei dieser Veranstaltung waren auch W. B. Yeats und JBY anwesend, die über den »present state and [the] prospects of art« sprachen, beide Rezensionen abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 24 Vgl. Weekly Independent, März 1900  ; Irish Times, März 1900, beide abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Auch Gäste aus dem Adel waren vertreten.

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anwandte.25 Nur selten fanden ab 1918 auch städtische Sujets Eingang in die Präsentationen, wo sie aber letztlich unter dem Oberthema des westirischen Lebens subsumiert wurden.26 Dass Yeats selbst einen entscheidenden Anteil an der Herausbildung dieser spezifischen Wahrnehmung hatte, zeigt sich daran, dass er an der Festlegung der Titel und der Auswahl der Werke beteiligt war.27 Sein langes Festhalten am Bild des ländlichen Künstlers kann dabei möglicherweise auch auf geschäftliche Gründe zurückgeführt werden. Womöglich bediente er sich seiner etablierten Reputation, um hierdurch ein sicheres Einkommen zu generieren, was ihm, wie aus den Notizen in seinem präzise geführten Ausstellungsjournal hervorgeht, sehr wichtig gewesen sein muss.28 Eine solche Strategie wäre auch vor dem Hintergrund wachsender wirtschaftlicher Probleme verständlich, die aus dem Ersten Weltkrieg, der zunehmend schwierigen politischen Situation in Irland und dem Ausbleiben von Einzelausstellungen in dieser Zeit resultierten. Auch die Ernennung zum Mitglied der Royal Hibernian Academy im Jahr 1915 konnte nicht darüber hinwegtäuschen,29 dass Yeats’ Karriere trotz harter Arbeit stagnierte, eine Situation, die zwischen Herbst 1915 und Sommer 1916 in einer anhaltenden Krankheit, wohl einem Nervenzusammenbruch, gipfelte. Als denkbarer Auslöser wurde später innerhalb der Literatur jedoch hauptsächlich die politische Situation in Irland in Erwägung gezogen. Pyle etwa datierte den Ausbruch fälschlicherweise nach hinten, genauer auf das Jahr 1916, womit sie einen konkreten Zusammenhang zwischen Yeats’ Erkrankung und dem gescheiterten Osteraufstand herstellte.30 Und auch McGuinness mutmaßte  : »The shattering of the revolutionary ideal, and his own compassion, made Yeats depressed and emotionally ill when the 1916 Easter Rising failed.«31 Wie aus dem Briefwechsel zwischen Yeats’ Schwester Lily und John Quinn hervorgeht, ist diese Deutung jedoch kaum aufrechtzuerhalten. Schließlich hatte sich Yeats’ Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Revolte bereits stark verbessert. So schrieb Lily am 8. Mai 1916, nur zehn Tage nach dem Ende des Aufstandes, 25 Vgl. Pyle 1989, S. 106. 26 Als städtisches Thema lässt sich hier etwa das Gemälde A Dublin Pavement Artist (Öl auf Holz, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz) anführen, das 1917 entstand und ein Jahr später in der Dubliner Mills Hall in der Ausstellung Drawings and Pictures in the Life in the West of Ireland ausgestellt wurde. – Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 1918, Nr. 5, AJ, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. 27 Vgl. Pyle 1986a, S. 50. 28 Siehe Ausstellungsjournal in Verbindung mit seiner Katalogsammlung, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/1/1 und Y1/JY/4/1/2. Zu jeder Ausstellung finden sich Einträge des Künstlers über die Käufer und die erzielten Preise. 29 Vgl. Pyle 1989, S. 117. 30 Vgl. Pyle 1989, S. 119 f. Zwar erwägt Pyle auch die künstlerische Krise als Ursache, betont aber die emotionale Belastung der irischen Revolte als Hauptauslöser, indem sie den Ausbruch der Krankheit fälschlicherweise erst 1916 ansetzt. 31 McGuinness 1992, S. 28  ; auch Murphy benannte allein die politische Situation Irlands, genauer den Osteraufstand, als Auslöser der Erkrankung. – Vgl. Murphy, S. 455. Lediglich Arnold sieht allein in dem künstlerischen Misserfolg die Ursache für den Zusammenbruch. – Vgl. Arnold 1998a, S.  185 f.

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an Quinn  : »[…] Jack hired a motor and came up on Sunday week to see if I was alive. I had not seen him for two months and think he looks enormously better.«32 Auch wenn sich die genaue Ursache der Erkrankung rückblickend nicht mehr rekonstruieren lässt, zeigt deren wiederholte politische Ausdeutung, die in einer Pathologisierung von Yeats’ Person mündete, wie vehement dessen Vita innerhalb eines nationalen Kontextes verstanden und vereinnahmt wurde.33 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war es dem Künstler möglich, seine Arbeiten wieder in Verkaufsausstellungen zu präsentieren, die nun sukzessive auch von einer neuen Klientel besucht wurden, zu der Kritiker:innen wie Thomas Bodkin zählten.34 1917 hatte sich der Künstler zudem direkt in Dublin niedergelassen,35 was sich in einer Zunahme urbaner Bildthemen niederschlug. Die in dieser Zeit entstandenen Werke deuten bereits auf ein verändertes künstlerisches Selbstverständnis hin, das aber noch nicht in einer neuen Vermarktungsstrategie mündete. Stattdessen konzentrierte sich der Künstler, der mutmaßlichen Nachfrage entsprechend, zunächst weiterhin auf vorwiegend ländliche Sujets, mit denen er ab 1921/22 auch der repräsentativen Ausrichtung des jungen Staates entsprach. Dementsprechend vermitteln die zwischen 1899 und 1924 vergebenen Ausstellungstitel das Bild eines sehr einseitig arbeitenden Malers, 32 Brief Lily Yeats an Quinn, 8. Mai 1916, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 47. Der Osteraufstand fand vom 24. bis zum 29. April 1916 statt. Lilys Aufzeichnungen geben genauen Aufschluss über den Verlauf der Krankheit, die der Künstler selbst nicht kommentierte. Aus Briefen zwischen John Quinn und Yeats’ Schwestern geht hervor, dass es sich wohl um eine ernsthafte Erkrankung gehandelt haben muss, die sich von November 1915 bis Juni 1916 erstreckte und alle in große Sorgen versetzte. Am 29. November 1915 schrieb Lily Yeats an Quinn  : »Jack is not very well – overwork – he has to rest and the doctor does not allow him to work more than a couple of hours a day. I am not telling Papa – we have had so much sickness this year to worry him. Cottie may tell him, but she probably won’t. Jack is better but it is slow. He has always worked too hard – that black and white work means no break even for a week, and this terrible war like dense fog over all – no one wants pictures or any artist’s work, except for nothing to put it in ›the Queen’s Giftbook‹ or ›Princess Mary’s Scrap Album‹. Things are bad, very bad here, and yet this must be paradise compared to Europe.« Und am 3. Februar 1916  : »The doctor says it is overwork – overwork for years […] Dr. Ross says Jack is perfectly healthy. The breakdown would have been a nervous breakdown.« Ab Mai/Juni 1916 trat trotz der Ereignisse des Osteraufstandes schließlich Besserung ein. Lily hielt am 11. Juni 1916 fest  : »He is very much better and looks a different man. He has at last seen a specialist who said the same as the doctor – a nervous breakdown from overwork«, alle Briefe unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 47. 33 Yeats’ Ausdeutung der Krankheit stellt innerhalb der Kunsthistoriografie allerdings keine Ausnahme dar. Sie kann vielmehr in den Kontext der Pathologisierung des Künstlers in der Moderne eingebettet werden. Zum Zusammenhang von Krankheit und Kunst siehe Gockel 2010. 34 Vgl. Arnold 1998a, S. 203  ; McGuinness, S. 59. Sie schreibt, dass Yeats ab 1921 als Künstler etabliert war, was vor allem seiner konsequenten Linie zu verdanken war. 35 Vgl. Pyle 1989, S. 120. Von 1910 bis 1917 hatte Yeats mit seiner Frau außerhalb von Dublin in Greystones gelebt. Ab 1917 ließen sich beide dann dauerhaft in der Hauptstadt nieder, zunächst im südlichen Stadtteil Donnybrook (61 Marlborough Road), später, ab 1929, schließlich direkt im Zentrum am Fitzwilliam Square Nr. 18.

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dessen künstlerische Entwicklung sowohl durch die Kritiker:innen als auch durch den Künstler selbst nur bedingt sichtbar gemacht wurde. Erst ab der Mitte der 1920er Jahre distanzierte sich Yeats, wohl auch als Reaktion auf eine befürchtete propagandistische Vereinnahmung seiner Arbeiten,36 von seiner bisherigen Schwerpunktsetzung und versuchte aktiv, sich vom Image des ›gälischen‹ Künstlers zu lösen.37 Dies schlug sich unter anderen in der Entscheidung nieder, Ausstellungen nicht mehr dem Leben im Westen zu widmen, sondern diese mit allgemeinen Titeln wie »Irish Life« oder »Paintings« zu überschreiben.38 Wie an den Reaktionen der zeitgenössischen Presse abzulesen ist,39 orientierte sich die Außenwahrnehmung des Künstlers dennoch weiterhin an den populären, überwiegend positiv besprochenen Sujets. Im Zuge dessen wurde insbesondere auf das Bild des »delightfully unconventional«40 Malers rekurriert, ein Entwurf, an dem auch Pyle noch 1997 festhielt, indem sie Synges »academic tendencies« Yeats’ Herangehensweise gegenüberstellte, die sie als »carefree«41 charakterisierte. Neben den überwiegend wohlwollenden Besprechungen von Yeats’ Werken lassen sich bereits früh auch ablehnende Stimmen ausmachen, wobei vor allem der ungeschönte und wenig gefällige Charakter seiner Arbeiten negativ angemerkt wurde. Besonders harsch fiel das Urteil Robert Elliotts aus, der Yeats’ Bilder für überschätzt hielt und diese 1903 als »a weak kind of happy-go-lucky link between the stronger art of certain London wood-block revivalists and certain phases of life in the West of Ireland«42 bezeichnete. Darüber hinaus stieß er sich an den Verkaufsstrategien des Künstlers, der auf den Rückseiten seiner Kataloge wohlmeinende Kritikerstimmen abdrucken ließ  : For indifferent drawing is, from every point of view on this earth, a defect. By publishing extracts from the papers on the last page of his catalogue, and hanging them up in the exhibition room, Mr. Yeats, in a manner, attempts to colour further criticism. Let me commend his wide-awake and business-like methods […].43 36 Yeats hatte 1921 in einem Interview mit Trevor Allen zwar für die Etablierung einer irischen Schule plädiert, aber auch vor einer propagandistischen Vereinnahmung gewarnt, siehe dazu Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 37 Vgl. Pyle 1989, S. 123 f. So gab er 1925 alle Arbeiten für die Cuala Press auf und lehnte weitere Reproduktionen seiner Motive ab. 38 Vgl. Pyle 1989, Ausstellungsregister ab S. 203. 39 Siehe etwa An Phoblacht, 24. Oktober 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 40 Vgl. Social Review 1902, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 41 Beide Zitate bei Pyle 1997, S. 28. 42 Elliott, Robert  : Sketches of Life, in  : Dublin Leader, 5. September 1903. Negative Kritik kam hinsichtlich der amateurhaften Arbeitweise auch von der Zeitung Rod and Gun, 1897 oder der Irish Times, 1903  : »Candidly we do not like his style  ; we prefer more solidity in workmanship, more pleasantness in colour schemes, less effort in realistic effect«, alle abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 43 Elliott, Robert  : Sketches of Life, in  : Dublin Leader, 5. September 1903, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Vor allem aber ärgerte sich Elliott über Yeats’ Nutzung eines von den Daily News gezogenen Vergleiches mit Raffaels Bildideen. So warb Yeats auf der Rückseite eines im selben Jahr erschienenen Kataloges mit dem Zitat  : »It is a ›Big Pedlar‹, indeed, that he shows us silhouetted, head to foot, against the sky – a frolicsome variant of Raphael’s invention of human being dominating a landscape«,44 eine Entscheidung, die Elliott folgendermaßen kommentierte  : But I wonder what Mr. Yeats would do without his titles that impress the Daily News writer so favourably that he drags in the mighty painter Raphael, to make an illustrative, an almost comparative point  ! Raphael mind you  !45

Aufschlussreich ist Elliotts kritische Positionierung gegenüber Yeats, die – im Gegensatz zu den positiven Kommentaren – in der Forschungsliteratur nahezu unerwähnt geblieben ist,46 insofern, als sie eine andere Perspektive auf den Künstler ermöglicht und schon früh dessen Geschäftstüchtigkeit und bewusste Selbstinszenierung in den Blick nimmt.47 Nicht nur hatte Yeats offensichtlich nichts gegen den Vergleich mit Raffael einzuwenden, er verwendete das Zitat sogar, um damit zum Zwecke der Verkaufsförderung und der eigenen Nobilitierung zu werben. Elliotts Urteil über Yeats findet in den Unterlagen des Künstlers teilweise Bestäti­ gung. So führte dieser genauestens Buch über Verkaufszahlen, las aufmerksam alle Kritiken zu seinen Ausstellungen, unterstrich relevante Passagen, nahm Korrekturen vor und heftete jeden Ausstellungskatalog ab. Auch die erhaltenen Dokumente weisen folglich darauf hin, dass Yeats bereits am Beginn seiner Karriere versuchte, diese durch Kontakte und Werbetaktiken in erfolgreiche Bahnen zu lenken. Was aus Sicht des Malers keineswegs ungewöhnlich erscheint, widerspricht allerdings dem tradierten Entwurf eines intuitiven Künstlers, der sich allen Vorgängen rund um die Vermarktung seiner Kunst entzogen habe. Die im Zusammenhang mit Yeats’ früher Rezeption und Vermarktung aufgezeigten Widersprüche haben deutlich gemacht, wie problematisch die noch in jüngerer Vergangenheit geäußerte Charakterisierung seiner Kunst als »carefree«48 ist. Auch stellt sich die Frage, wie das Wissen um Yeats’ Selbstinszenierung und geschäftsorientierte Herangehensweise mit Aussagen über seine angeblich spontane künstlerische Arbeitsweise in 44 Der Artikel erschien ursprünglich in der Daily News und wurde auf der Rückseite des Ausst.-Kat. Dublin 1903 zitiert, AJ, Yeats Archive, Y1/JY/4/1/2. 45 Elliott, Robert  : Sketches of Life, in  : Dublin Leader, 5. September 1903, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 46 Lediglich Arnold stellt hier eine Ausnahme dar, der ein paar wenige negative Besprechungen in seiner Yeats-Biografie erwähnt, allerdings ohne näher darauf einzugehen. – Vgl. Arnold 1998a, S. 158. 47 Hierfür ist es unerheblich, dass Elliotts Kritik überspitzt formuliert ist, der Journalist aus England stammte und zuvor mit JBY in Streit geraten war. – Vgl. Arnold 1998a, S. 389, Fn. 23. 48 Pyle 1997, S. 28.

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Einklang zu bringen ist. Begründete sich diese nur darin, dass der Maler schlicht, wie Pyle vermutete, kein Interesse an idealisierten oder pittoresken Landschaften hatte  ?49 Aktuelle Forschungsansätze widersprechen dieser Annahme und betonen im Gegenteil das konstruierende Moment in Yeats’ Arbeiten sowie die symbolische Aufladung seiner Figuren. Allerdings verzichten auch diese Studien auf detaillierte Werkanalysen.50 So sollen im nächsten Abschnitt auf der Basis exemplarischer close readings und in Anknüpfung an die bisher geleisteten Überlegungen die folgenden, in der Rezeption vorherrschenden Behauptungen kritisch hinterfragt werden. Erstens  : Yeats visualisierte das reale Leben  ; zweitens  : Er malte die Menschen, wie sie wirklich sind, und drittens  : Die Behandlung seiner Themen ist als rein irisch und antiakademisch einzustufen. Dabei gilt es herauszuarbeiten, inwiefern es sich bei Yeats’ Bildern des Westens tatsächlich um voraussetzungslose Arbeiten handelt, die in genuin irischen Bildformeln ihren Ausgang nahmen. Daran anknüpfend soll gefragt werden, inwiefern der Blick des Künstlers geschult war an der (europäischen) Kunstgeschichte und er dadurch in der Lage war, bereits bekannte Schemata für die zu etablierende irische Schule zum Einsatz zu bringen. In diesem Zusammenhang soll auch die Arbeitsweise des Künstlers in den Blick genommen werden, wobei insbesondere der Entstehungsprozess der Werke Aufschluss geben kann über die Art der Annäherung an die jeweiligen Darstellungsgegenstände. 4.1.2 Das Atelier des Westens Beginnend mit Aufenthalten in den Grafschaften Mayo, Sligo und Donegal im Jahr 1898 bereiste Yeats den irischen Westen in der Folge regelmäßig, wovon etwa der bereits erwähnte Besuch auf den Aran Islands im Folgejahr zeugt.51 Auf diese Weise erschloss sich der Künstler, neben der bereits aus der Kindheit und Jugend vertrauten Grafschaft Sligo, nach und nach weitere Regionen des Landes. Während der Reisen entstanden unzählige Skizzen, die ihm zum Teil als Grundlage für spätere Bildschöpfungen dienten. Als in künstlerischer Hinsicht besonders fruchtbar darf ein Auftrag der britischen Tageszeitung Manchester Guardian bezeichnet werden, der Yeats, gemeinsam mit John Millington Synge, 1905 in die von Armut geprägten Congested Districts im Westen Irlands führte.52 Synge zeigte sich mit dem Vorschlag des Herausgebers Charles Prestwich Scott (1846 – 1932), dass Yeats ihn als Illustrator begleiten solle, mehr als 49 Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2003b, S. 6. 50 Diese Positionen werden etwa von Sighle Bhreathnach-Lynch 1997a und Cusack 1998 vertreten. 51 Zu den Aufenthalten siehe folgende Skizzenbücher  : SK 14  : Sligo and Killybegs, 1898, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/14  ; SK 15  : Donegal, 1898, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/15 sowie SK  : Ireland 1898, unpubliziert, Privatbesitz (ohne Nummerierung, nicht bei Pyle 1993a aufgeführt). 52 Die für den Manchester Guardian verfassten Aufsätze wurden zusammen mit Yeats’ Illustrationen unter dem Titel In the »Congested Districts« veröffentlicht.

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einverstanden. Immerhin kannten sich die beiden bereits  ; zudem war der Maler mit dem Westen des Landes zu diesem Zeitpunkt bereits gut vertraut.53 Ihre Agenda sah zum einen vor, über die desolaten Lebensbedingungen in den Territorien zu berichten  ; zum anderen sollten sie auch die bereits erkennbaren Fortschritte der vom Congested Districts Board for Ireland (CDB) veranlassten Maßnahmen beschreiben. Die gemeinsame Reise dauerte vom 3. Juni bis 3. Juli 1905. Yeats reiste hierfür aus England an. Auf ihrer Fahrt durch den Westen Irlands nutzten sie die Kutsche und kamen zwischen den verschiedenen Stationen in Hotels unter.54 Synge dokumentierte den Aufenthalt in zwölf Artikeln, die zwischen dem 10. Juni und 26. Juli 1905 erschienen. Begleitet wurden die Beiträge von 15 Illustrationen, die auf Federzeichnungen Yeats’ basierten.55 Jahrzehnte später verarbeitete Yeats die Reise zudem in dem Gemälde Many Ferries (1948).56 Ein Problem, vor das sich Yeats und Synge gestellt sahen, bestand darin, dass sich die Beiträge an eine englische Leserschaft richteten. Für die Reisenden bedeutete dies, dass sie eine kulturelle Differenzerfahrung bewältigen mussten, sollten sie doch das ›Eigene‹ einem ›fremden‹ Blick präsentieren. Erschwerend kam hinzu, dass das 1891 als Verwaltungsbehörde der Regierung eingerichtete CDB von der irischen Bevölkerung kritisch betrachtet wurde. Schließlich bestand eines der Ziele der Institution darin, dem irischen Home Rule Movement zu begegnen und stattdessen einen Constructive Unionism zu befördern, wodurch eine Abspaltung Irlands verhindert werden sollte. Teil der Maßnahmen, die zur Vermeidung ländlicher Unruhen beitragen sollten, war unter anderem die Schaffung von Infrastrukturen in Gestalt von Eisenbahnstrecken und Straßen. Darüber hinaus versuchte man, die Armut in den überbevölkerten Regio­ nen zu verringern.57 Besonders Synge haderte mit der Forderung C. P. Scotts, den Fokus auf die Errungen­ schaften des CDB zu lenken, und nahm den Auftrag nur unter der Bedingung an, dass er auch seine eigene, auf nationalen Interessen beruhende Sicht schildern durfte. Dies wurde ihm von dem liberal eingestellten Herausgeber zugestanden, woraufhin Synge zwar über die Fortschritte des CDB berichtete, aber zugleich auch die irische Perspektive hervorhob.58 So heißt es in der letzten Ausgabe vom 26. Juli 1905, die über Possible Remedies gegen die Auswanderung nach Amerika informierte, kritisch  :

53 Vgl. Arnold 1998a, S. 135. Yeats wiederum stimmte der Einladung unverzüglich zu. 54 Vgl. Arnold 1998a, S. 136 – 144. 55 Vgl. Bhreathnach-Lynch 1997a, S. 144  ; Bourke 2003, S. 29. 56 Jack B. Yeats, Many Ferries, 1948, Öl auf Leinwand, 51 × 69 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 57 Vgl. Breathnach 2005, S. 11  ; Kennedy 2014, S. 15. Sie schreibt dort  : »[…] the Congested Districts Board, the body charged with improving local industry so as to avoid another catastrophe on the scale of the Great Famine of the mid-nineteenth century«. 58 Vgl. Grene 2009, S. XL–XLII.

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[…] one feels that the only real remedy for emigration is the restoration of some national life to the people. It is this conviction that makes most Irish politicians scorn all merely economic or agricultural reforms, for if Home Rule would not of itself make a national life it would do more to make such a life possible than half a million creameries.59

Das Beispiel zeigt, dass Synges Berichte über den irischen Westen weniger als Dokumen­ tation einer britischen Region, sondern vielmehr im Sinne der Formulierung und Bekräftigung einer irischen Identität zu verstehen sind. Qua Bild verlieh auch Yeats diesem Anspruch Ausdruck. Illustrationen wie die am 17. Juni 1905 publizierte, querformatige Szene Among the Relief Works lassen dabei kaum Raum für andere Lesarten, zu offensichtlich ist die bedrückende Situation der Notstandsarbeitenden aufgefasst (Abb. 36). Auf beiden Seiten der entstehenden Straße zerkleinern oder schleppen gebückte Männer Steine, während Frauen in Kiepen neuen Sand herantragen. Die für das Regierungsprojekt von ihren eigentlichen Tätigkeiten, wie der Landwirtschaft oder der Fischerei, abgezogenen Arbeitenden,60 werden von einem streng dreinblickenden Vorarbeiter überwacht, der auffällig im Vordergrund positioniert ist. Eine Kritik an den Maßnahmen deutet sich auch in Synges Text an, der zwar berichtet, dass die »primitive tracks« durch die Maßnahmen in ordentliche »roadways« verwandelt würden. Allerdings könnten die Straßen kaum bewirken, dass sich hierdurch auch die desolaten Zustände in den verarmten Dörfern ändern würden, die Yeats im Hintergrund angedeutet hat.61 Darüber hinaus beschreibt Synge auch die schlechte Entlohnung, die kaum zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen könne  : »The wages given on these works are usually a shilling each day, […] If this system of relief work has some things in its favour, it is far from satisfactory […].«62 In einigen Illustrationen finden sich denn auch Plakate dargestellt, die mit der Überfahrt nach Amerika werben. Nicht nur erschien diese vielen als einziger Ausweg aus der Armut, zusätzlich konnte das Überleben oftmals nur mit dem Geld der in die USA ausgewanderten Verwandten gesichert werden.63 Sowohl Synge als auch Yeats führten demnach der englischen Leserschaft die Armut und die begrenzten Erfolge des CDB unmissverständlich vor Augen und erschlossen ihr damit eine unbekannte Welt. Dabei setzten sie der hegemonialen Geste, die für die irische Bevölkerung von den Bestrebungen des CDB ausging, einen autochthonen Entwurf entgegen und formulierten im Zuge der um 1900 intensiv geführten Alteritätsdebatten alternative Vorstellungen von Irishness. Mithin betonte Yeats diverse 59 Synge 1905d, S. 5. 60 Vgl. Synge 1905a, S. 7. 61 Vgl. Synge 1905a, S. 7. 62 Synge 1905a, S. 7. 63 Vgl. Synge 1905b, S. 7  ; Plakate, die mit der Überfahrt »to America« werben, finden sich in folgenden Ausgaben des Manchester Guardian  : The Inner Lands of Mayo – The Village Shop, 19. Juli 1905 sowie Possible Remedies, 26. Juli 1905.

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Abb. 36 Jack B. Yeats, In the Congested Districts, Among the Relief Works, Illustration für den Manchester ­Guardian, 17. Juni 1905.

Aspekte des irischen Lebens, ohne hierdurch das Dasein der Protagonist:innen in diminuierender Art und Weise vorzuführen. So ist in einigen Szenen dargestellt, wie Menschen Seetang einholen, Boote bauen oder auf Jahrmärkten zusammenkommen.64 Bemerkenswerterweise handelt es sich bei Among the Relief Works auch um die einzige Illustration, die den Bestrebungen des CDB gewidmet ist. Alle anderen Darstellungen beziehen sich auf den genuinen Alltag der Bevölkerung, der der Erscheinung nach unberührt von den extern herangetragenen Bemühungen geblieben ist. Yeats konzentrierte sich hierbei fast ausschließlich auf die Visualisierung traditioneller Tätigkeiten und entsprach damit dem zeitgenössischen Ideal, wie es etwa von der Gaelic League formuliert worden war. Diesem Bild zufolge behauptete sich das ›wahre‹ Wesen Irlands in der vermeintlichen ›Ursprünglichkeit‹, weshalb es dieses zu erhalten galt. Mittels der in Bild und Text formulierten Botschaft wurde den Leser:innen der Zeitung somit zugleich die Position der Künstler offenbar, die eher für die Verbesserung der ansässigen Industrie sowie eine Förderung der selbstbestimmten Existenz der Landbevölkerung eintraten als humanitäre Hilfsmaßnahmen zu befürworten.65 Die Stationen der Reise werden in den Illustrationen zwar nüchtern, aber nicht ohne künstlerischen Impetus wiedergegeben. Und obwohl die 15, überwiegend 64 Manchester Guardian  : The Kelp Makers, 24. Juni 1905, The Boat-Builders, 28. Juni 1905 sowie The Small Town, 22. Juli 1905. 65 Vgl. Arnold 1998a, S. 142  ; Dalsimer 1993b, S. 215.

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170 × 250 mm messenden Federzeichnungen unmittelbar auf der Reise entstanden, von wo sie Yeats zusammen mit den Texten Synges an den Manchester ­Guardian über­ sandte,66 wirken die Kompositionen nie zufällig, sondern bewusst gewählt. Dennoch sind diese kaum, wie von Dalsimer angenommen, als bloße Wiedergabe des Gesehenen zu verstehen.67 Schließlich verlangte allein schon das zu beachtende Text-BildVerhältnis eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Sujets. Darüber hinaus griff Yeats bei der Bearbeitung der Motive auf die während der Reise entstandenen Skizzen sowie auf sein durch jahrelange Erfahrung als Illustrator und Künstler geschultes Bildgedächtnis zurück. Letzteres half ihm offenbar, die Blätter, trotz ihrer raschen Entstehung, jeweils klug zu komponieren. Immerhin begegnete der Illustrator dem Westen auf der Basis einer künstlerischen Ausbildung und einer umfangreichen kulturellen Bildung. Zudem, und das ist nicht unerheblich für Yeats’ Herangehensweise, war er für die Unternehmung aus England angereist, seinem zu dieser Zeit zentralen Arbeitsort. Er blickte demnach von außen auf die von ihm als ›eigen‹ darzustellende irische Lebenswelt. Dennoch liegt der Gedanke nahe, die gälischen Regionen während dieser Reise als Atelier zu begreifen, das den künstlerischen Schaffensprozess maßgeblich mitbestimmte. Diese Überlegung wird vor allem dann nachvollziehbar, wenn man vom Atelier nicht nur als realem Ort der Werkherstellung, sondern auch als symbolischer Inspirationsstätte ausgeht, die dem bloßen Sehen gewidmet ist.68 Die Mobilisierung des Produktionsortes und die Verlagerung des Schöpfungsaktes in den Außenraum hatte in der Pleinairmalerei des 19. Jahrhunderts ihren Ausgang genommen und dabei die »Natur, die ganze Welt […] zum Atelier«69 transformiert. Insbesondere für Yeats’ Zeichnungen im Auftrag des Manchester Guardian, die fernab des Ateliers im englischen Devon entstanden, lässt sich diese Abkehr von akademischen Maximen als bewusste Herangehensweise bei der Darstellung des irischen Westens konstatieren. Hiermit eröffnete der Künstler eine Tradition, die bis in die zeitgenössische irische Landschaftsmalerei hineinreicht, wie etwa Nick Millers (geb. 1962) sogenannte Truckscapes zeigen, die direkt im mobilen Atelier seines Lastwagens entstehen und auf Yeats’ genuine Annäherung an die westirischen Regionen rekurrieren.70 66 Vgl. Arnold 1998a, S. 136 – 144. Manche der Grafiken weisen auch ein kleineres Format auf. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn mehr als ein Bild den Text begleitet. 67 Vgl. Dalsimer 1993b, S. 213. Sie spricht von realistischen Wiedergaben des Gesehenen. 68 Zu den verschiedenen Funktionen des Ateliers sowie dessen Historie siehe Thurn 2012. 69 Conzen 2012, S. 16. 70 Die Aussagen basieren auf Nick Millers Vortrag am 28. Februar 2015 Living and Working in the West of Ireland im Rahmen der Tagung Visualising the West, die in der National Gallery of Ireland in Dublin ausgerichtet wurde  ; zu Millers Bezugnahme auf Jack B. Yeats siehe auch Plagens 2007, S. 3  ; eine für den Herbst 2020 geplante Ausstellung im Museum De Buitenplaats in Eelde, die als Gegenüberstellung von Jack B. Yeats’ Landschaftsgemälden und Nick Millers Truckscapes geplant war, musste coronabedingt abgesagt werden. – Vgl. https://www.nickmiller.ie/HOME_SettingSunsCloseHorizons/ [17.12.2022].

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In den innerhalb dieser Freilichtwerkstatt produzierten Zeichnungen übersetzte Yeats in mehreren Arbeitsschritten, die sich aus der Anfertigung von Skizzen, den gesammelten Geschichten vor Ort, der Rezeption von Synges Texten und letztlich dem Rückgriff auf abgespeichertes Bildwissen zusammensetzten, die vor ihm liegende Natur in Kultur. Doch während für Synge, etwa im Zuge der Forschungen des Irish Orientalism, der konstruierte Charakter seiner Artikel durchaus erkannt wurde,71 trifft dies für Yeats’ Illustrationen bisher kaum zu. Dies überrascht insofern, als die Entstehung der jeweiligen Arbeiten von einer engen Zusammenarbeit und einem intensiven Ideenaustausch geprägt war. Hierzu bediente sich Yeats intensiv Synges begleitender Texte, aus denen sich auch exotisierende Referenzen entnehmen lassen. Allein schon bedingt durch die enge künstlerische Verzahnung der Arbeitsprozesse ist davon auszugehen, dass Yeats in seinen Grafiken ebenfalls diskursive Projektionsräume eröffnete, die in die Ferne griffen, um die Nähe fassen zu können. Wie Schmidt-Linsenhoff in ihrer Untersuchung zur Ästhetik der Differenz aufgezeigt hat, stellten im Zuge der Avantgarde insbesondere ferne Orte, die als ›exotisch‹ galten, neue Kunst- und Produktionsstätten dar.72 In Bezug auf Paul Gauguin (1848 – 1903) und dessen Tahiti-Gemälde wird dabei dessen angestrebtes »Atelier der Tropen«73 im Kontext neuer ästhetischer Fragestellungen thematisiert. Dabei werden vorherrschende Debatten zu Gauguins Südseebildern, die in der feministischen Literatur kritisch als rassistische und misogyne Produkte, in zurückliegenden Ausstellungsprojekten hingegen lediglich als beobachtende Annäherungen interpretiert wurden, unter Rückgriff auf postkoloniale Ansätze beleuchtet.74 Darauf Bezug nehmend stellt ihr Aufsatz die These auf, dass die Werke des Franzosen in Verbindung mit den zeitgenössischen Texten des Marinearztes Victor Segalen (1878 – 1919), der 1904 einen Essay zu Gauguin als Südseemaler verfasst hatte, eine andere – auf dessen Ästhetik des Diversen beruhende – Lesart ermöglichen.75 Schließlich berücksichtigte Segalen den Blick der Kolonisierten und vermied die Formulierung von Klischeebildern, was innerhalb der größtenteils euro­zentristisch ausgerichteten Kunstgeschichtsschreibung ein Novum darstellte. Für ihn bedeutete Exotismus die »Wahrnehmung des Diversen, das Wissen, daß etwas nicht das eigene Ich ist, und die Fähigkeit des Exotismus, das heißt, die Fähigkeit, anders aufzufassen.«76 Mit dem Wissen um alternative zeitgenössische Ausrichtungen innerhalb des Exotismus plädierte Schmidt-Linsenhoff dafür, Gauguins Werk nicht einseitig zu lesen, sondern dem Künstler vielmehr eine kritische sowie selbstreflexive Haltung gegenüber dem kolonialen Blickregime zu attestieren.77 Letztlich zeigt ihre 71 Etwa Carville 2007, S. 98  ; Castle 2001, S. 98 ff.; Kiberd 1995, S. 287 und Lennon 2004. 72 Vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010, S. 87 – 108. 73 Brief Paul Gauguin an Émile Bernard, Juni 1890, zitiert nach Otterbeck 2007, S. 71. 74 Vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010, S. 88. 75 Sie bezieht sich dabei auf Victor Segalen  : Paul Gauguin in seiner letzten Umgebung, Frankfurt am Main 1991. Später machte Segalen daraus einen längeren Essay, siehe Segalen 1994. 76 Segalen 1994, S. 41. 77 Vgl. Schmidt-Linsenhoff 2010, S. 87 – 108. Sie macht dies an Gauguins Gemälde Manaò Tupapaú

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Diskussion, dass der künstlerische Zugriff auf ›fremde‹ Welten noch immer Fragen aufwirft und in einem breiten transkulturellen Kontext untersucht werden muss, um die jeweiligen Arbeiten adäquat besprechen zu können. Anknüpfend an das Vorgehen Schmidt-Linsenhoffs erscheint es legitim, analog auch Synges Texte heranzuziehen, um eine neue Perspektive auf Yeats’ Arbeiten zu erhalten. Dass hierbei ausgerechnet der Schauplatz Tahiti als Verbindung zwischen Gauguin und Synge zu denken ist, mag zunächst irritieren. Allerdings diente die Insel um 1900 nicht nur französischen Künstler:innen als Sehnsuchtsort, deren Interesse durch die Lektüre von Pierre Lotis (1850 – 1923) 1880 veröffentlichter Liebesgeschichte Le mariage de Loti angeregt worden war. Auch der welterfahrene und kultivierte Synge, der in Deutschland, Frankreich sowie Italien Musik und Literatur studiert hatte, gehörte zu der Leserschaft der romantisierenden Beschreibung einer mariage coloniale. Darüber hinaus war er, wie zahlreiche Irish Revivalists, von den Strömungen des Primitivismus und Exotismus beeinflusst, für die entlegene Regionen und Inseln zentrale Bezugsorte darstellten.78 Im Zusammenhang mit diesen Einflüssen sind auch Synges Aufenthalte auf den Aran Islands zu verstehen  : Zwischen 1898 und 1902 verbrachte der Dramatiker die Sommer- oder Herbstmonate auf Inis Meáin, der einsamsten der drei Inseln, um die irische Sprache zu erlernen, wobei er das Leben auf den Arans als »perhaps the most primitive that is left in Europe«79 charakterisierte. Dennoch nahm er die Kultur auf den Inseln nicht als hermetisch abgeschlossen wahr  ; stattdessen verwies er auf die transkulturellen Verschränkungen der lokalen Literatur und Musik. Hierzu gehörten »European associations«80, die er in den Erzählungen der Insulaner:innen ausmachte oder der Ähnlichkeit ihrer Gesänge zu ›orientalischen‹ Klängen.81 Wie um diese als einzigartig wahrgenommene Welt zu dokumentieren, hielt er seine Eindrücke sowohl fotografisch als auch in Tagebucheinträgen fest.82 Auf den Aufenthalten basierend erschien 1907 sein zwischen ethnografischer Feldstudie und semi-autobiografischer Beschreibung einzuordnendes Buch The Aran Islands,83 das er von Yeats illustrieren ließ. In den darin enthaltenen Schilderungen des »primitive life«84 der peasantry finden sich wiederholt Verweise auf den fremdländischen Eindruck des (Der Geist der Toten wacht), 1892, Öl auf Leinwand, 73 × 92 cm, Albright-Knox Art Gallery, Buffalo (New York) anschaulich. Sie schreibt dazu  : »Gauguin markiert deutlich die Position des Künstlers und thematisiert die sexuelle und koloniale Angst, die sein Blick auslöst«, SchmidtLinsenhoff 2010, S. 104. 78 Vgl. Robinson 1992, S. XXIV. Um 1900 stellte der Primitivismus eine der Hauptströmungen der Avantgarde dar. Künstler:innen ließen sich von ›ursprünglicher‹ Kunst jedweder Art inspirieren, die im Gegensatz zu akademischen Prämissen stand. – Vgl. Otterbeck 2007, S. 207 ff. 79 Synge 1907, S. 8  ; zu den insgesamt fünf Aufenthalten siehe Greene/Stephens 1989, S. 79 – 96. 80 Synge 1907, S. 24. 81 Vgl. Synge 1907, S. 129. 82 Vgl. Robinson 1992, S. XXIV – XXXIII. 83 Vgl. Castle 2001, S. 115. 84 Synge 1907, S. 118.

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Insellebens, wobei ihn insbesondere die farbenfrohe Kleidung der Bewohner:innen faszinierte  : In Aran even manufacture is of interest. The low flame-edged kiln, sending out dense clouds of creamy smoke, with a band of red and grey clothed workers moving in the haze, and usually some petticoated boys and women who come down with drink, forms a scene with as much variety and colour as any picture from the East.85

Es ist offensichtlich, dass Synges Referenzen auf den ›Osten‹ respektive den ›Orient‹ bewusst darauf abzielten, das Leben auf den Aran Islands zu exotisieren. Diese Heran­ gehensweise wirft die Frage auf, wie sich der Blick des Schriftstellers auf die Einheimischen näher bestimmen lässt. Laut Justin Carville ist sein Vorgehen in den Kontext des Cross-Colonialism einzuordnen  : Synge’s visual analogy between Aran and the »East« could be identified as yet one more example of what has been described in recent Irish literary criticism as Revivalist »cross-colonialism«  : the identification of familiar experiences and representations between colonies as an anti-colonial strategy aimed at destabilising the dominant relations between imperial centre and colony.86

Carvilles Argumentation leuchtet insofern ein, als sich Synge deutlich von der Sichtweise der Kolonisatoren abgrenzte. Diese Tendenz zeigt sich bereits früher und im Zusammenhang mit seiner Artikelserie In the Congested Districts, hatte er doch seine Vorbehalte formuliert, Texte über eine britische Behörde für den Manchester Guardian zu verfassen. Aus diesem Grund ist Synges Zugang zum Inselleben auch nicht mit dem von Christian Kravagna beschriebenen Rückgriff auf das Fremdartige übereinzubringen, nach dem »Primitivismus und Exotismus der europäischen Moderne im Allgemeinen eine Barriere gegen fruchtbare transkulturelle Kontakte […] über koloniale Grenzen […] hinweg«87 bildeten. Allerdings ist Synges Position durchaus als ambivalent zu bezeichnen. Schließlich näherte er sich als Fremder der vermeintlich ›primitiven‹ Welt, um sich auf diese Weise als Schriftsteller innerhalb der sich herausbildenden »native intelligentsia«88 Irlands zu etablieren. In diesem Kontext ist die zeitgenössische Einschätzung George Bernard Shaws aufschlussreich, der in seinem Vortrag zur Literature

85 Synge 1907, S. 43 f. An einer anderen Stelle vergleicht Synge den Gesang eines Inselbewohners Inis Oírrs, der kleinsten der drei Aran-Inseln, mit ›orientalischen‹ Klängen  : »The music […] reminded me in general effect of a chant I once heard from a party of Orientals I was travelling with in a third-class carriage from Paris to Dieppe, but the islander ran his voice over a much wider range.« – Synge 1907, S. 129. 86 Carville 2007, S. 98. 87 Kravagna 2017, S. 9. 88 Castle 2001, S. 116.

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in Ireland am 26. Oktober 1918 Folgendes über Synges Theaterstücke, die auf dem Ideenfundament der Aran Islands fußten, äußerte  : The thing [Synges Theaterstücke, Verf.] did not come out of Irish life  ; it came out of that life which a man learns a good deal about in Paris. […] nevertheless, the intellectual drawing of the thing was not Irish at all. It could not have been produced by a man who had never been out of Ireland, and who did not avail the modern methods by which people got the culture of Paris from the reading of books. The same thing was true of the literature of the modern movement. The play that idealizes Ireland is almost always a play which comes from foreign inspiration.89

Mit seiner Einschätzung nahm Shaw bereits Frantz Fanons 1961 veröffentlichte Überlegungen zum »kolonisierte[n] Intellektuelle[n]« vorweg, die das ambivalente Verhältnis zwischen Kolonisator und Kolonisierten erörtern  : Der kolonisierte Intellektuelle macht sich nicht bewusst, daß er genau in dem Moment, da er sich bemüht, eine Kultur zu schaffen, Techniken und Sprache benutzt, die dem Okkupanten entliehen sind. Er begnügt sich damit, diese Instrumente mit einem Siegel zu versehen, das national sein soll, jedoch merkwürdig an Exotismus erinnert. Der kolonisierte Intellektuelle, der mittels der Kultur zu seinem eigenen Volk zurückkehrt, verhält sich in Wirklichkeit wie ein Ausländer.90

Shaws Zeilen, die den autochthonen Wesenszug von Synges Schriften infrage stellen und stattdessen deren konstruierten und intellektuell überhöhenden Charakter betonen, lassen sich möglicherweise auch auf Yeats’ Bildwelten übertragen, wenn man an die eng miteinander verschränkten Arbeiten für den Manchester Guardian denkt. Inwiefern diese Annahme zutrifft, soll anhand eines exemplarischen Beitrages und auf Grundlage der Gegenüberstellung von Text und Visualisierung geprüft werden. Am 8. Juli 1905 berichtete Synge aus der Region Erris in der Grafschaft Mayo, wo er und Yeats besonders arme Bedingungen antrafen. Die Schilderung des Autors verrät dabei, wie eindrücklich sich die Begegnung mit der indigenen Bevölkerung gestaltete  :

89 Shaw 2001b, S. 177 f. Die zeitgenössische Rezeption stand Synges vermeintlich naiver Verherrlichung der Einheimischen kritisch gegenüber. Ein Rezensent bezeichnete Synge sogar als »peasant addict«, Pritchett, V. S.: Current Literature, in  : New Statesman and Nation, 19. April 1914, S. 413, zitiert nach Castle 2001, S. 115. Laut Castle sahen die Kritiker in Synges Herangehensweise der intellektuellen Erfassung des ›urtümlichen‹ Lebens eine unrechtmäßige Aneignung. – Vgl. Castle 2001, S. 115 f. In der zeitgenössischen Kritik der kultivierten urbanen Mittelklasse an Synge schwang zugleich die Ablehnung der Idee mit, dass der Ursprung eines authentischen Irlands im ›primitiven‹ Leben der Landbevölkerung auszumachen sei. – Vgl. Gilmartin 2009. 90 Fanon 2008, S. 170 f. Fanons Analyse des Kolonialismus erschien unter dem Titel Les damnés de la terre 1961 erstmals in französischer Sprache.

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Abb. 37 Jack B. Yeats, In the Congested Districts, Erris, Illustration für den Manchester Guardian, 8. Juli 1905.

At one corner we came on a group of dark brown asses with panniers, and women standing among them in red dresses with white or coloured handkerchiefs over their heads, and the whole scene had a strangely foreign, almost Eastern, look, though in its own way it was peculiarly characteristic of Ireland.91

Yeats illustrierte diese Schilderung, indem er eine Gruppe traditionell gekleideter Frauen, umgeben von ihren Kindern, vor ihren reetgedeckten Cottages darstellte (Abb. 37). Besonders die Figur im linken Vordergrund scheint dabei auf Synges Text abzustellen und den »strangely foreign, almost Eastern, look« der Bewohner:innen über einen dunkleren Teint der Frau einzufangen. Wie in anderen Zeichnungen der Congested Districts-Serie ordnete Yeats seine Signa­ tur zudem als Bestandteil der porträtierten Umgebung an, indem er sie am linken unteren Bildrand inmitten der aufgeschichteten Steine positionierte.92 Dadurch, dass er seinem Namen die konkretisierende Ortsbezeichnung »Belmullet« hinzufügte, inszenierte er sich als Teil des irischen Westens. Er versicherte damit dem englischen Publikum, die Szene mit eigenen Augen gesehen zu haben. Hierdurch verlieh er den 91 Synge 1905b, S. 7. 92 Besonders auffällig ist die Positionierung im Falle des gemeinsamen ›Selbstporträts‹, wo der Künstler die Signatur unmittelbar neben seiner Figur als Teil der Steinmauer inszenierte. – Siehe Jack B. Yeats, (Jack B. Yeats and John Millington Synge) Near Costelloe, Illustration für den Manchester Guardian, 10. Juni 1905.

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Illustrationen eine persönliche Note, die seine Schilderungen vom Anspruch fotografischer Darstellungen jener Zeit unterscheidet. So wirken etwa Robert John Welchs Aufnahmen des Westens, die in den 1890er Jahren entstanden und ebenfalls traditionelle Szenen des Alltags einfingen, in ihrer Anmutung viel objektiver, schrieb sich der Fotograf doch nicht wie der Illustrator in den Moment ein. Obwohl die Fotografien durchaus gestellt waren und in ihrer minutiösen Anordnung der Personen oft gekünstelt wirken, entwerfen sie für die Rezipierenden eine Ästhetik der sachlichen Berichterstattung (Abb. 38). Vor allem aber bringen Welchs Aufnahmen ein typisiertes Irish Life zum Ausdruck, das die bekannten Klischees des ›Paddy‹ oder der ›Colleen‹, des schönen irischen Mädchens, bediente. Als pittoreske Varianten in Form von kolorierten Postkarten nahmen sie in der Folge Einfluss auf das kulturelle Bildgedächtnis.93 Auch Yeats war mit dieser Tradition vertraut, wie Aufnahmen von Connemara Peasants in seiner Ansichtskartensammlung zeigen.94 Dass Yeats’ Zugang nicht mit dem eines Fotografen zu vergleichen ist, hängt auch damit zusammen, dass er nicht durch die Anwesenheit einer Kamera in das Geschehen eingriff. Stattdessen bediente sich der Künstler einer subtilen Arbeitsweise, die er in einem bisher unberücksichtigten Skizzenblatt aus dem Jahr 1916 festgehalten hat. In der Sketching through Pocket überschriebenen Szene ist zu sehen, wie er seine Skizzen geschickt, im Versteck seiner Manteltasche, anfertigte (Abb. 39).95 Hierdurch war es ihm möglich, das beobachtete Geschehen beiläufig und unbemerkt für die Umstehenden einzufangen.96 Diese Herangehensweise bot den Vorteil, dass er auch spontane Szenen festhalten konnte. Derartige ›ungekünstelte‹ Momentaufnahmen blieben dem Fotografen verwehrt, hatten die Einheimischen, wie Paul Henry berichtete, doch Angst vor dem »sketcher«, dem Mann mit der Kamera, weshalb sie sich vor ihm versteckten.97 Ein weiterer Vorzug der Yeats’schen Methode war, dass er aus einem umfangreichen Repertoire von Skizzen auswählen konnte, die er im Nachgang zu ›repräsentativen‹, die Artikel Synges illustrierenden Kompositionen verdichtete. Motive, wie etwa den »strangely foreign […] look« der Einheimischen setzte er dabei, synonym zu Synge, als 93 Vgl. Walsh 2007, S. 126. 94 Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/6/3/3. Die Postkarten sind mit Connemara Peasant Home-Spun Industry  : VII. Spinning und IX. Weaving betitelt und stammen aus der Valentine Series. 95 SK 164  : Greystones, half Memory House and Inn, 1916, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/164/73. 96 Die Motivation für dieses Vorgehen scheint klar, wenn man sich vor Augen führt, dass Yeats Szenen gern unbemerkt von ›seinen‹ Protagonist:innen einfing. Hatte er der Fotografie zu diesem Zeitpunkt noch etwas voraus, bedienten sich nur wenige Jahrzehnte später Künstler:innen wie Helen Levitt (1913 – 2009) und Walker Evans (1903 – 75) einer ähnlichen Produktionsweise, indem sie unbemerkt von ihren Sujets in der New Yorker Subway fotografierten. 97 Zitat aus Henry 1951, S. 52  ; Walsh 2007, S. 120 erwähnt in diesem Zusammenhang eine Fotografie aus der Zeit, auf der eine junge Frau mit Kind zu sehen ist, die mit angsterfülltem Gesicht vor dem Kameramann davonläuft.

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Abb. 38 Robert John Welch, A Glendun Turf Slide Car, Co. Antrim, 1890er Jahre, Silbergelatine, Belfast, Ulster Museum collection. Abb. 39 Jack B. Yeats, Sketching through Pocket, SK 164, 1916, Bleistift, 125 × 90 mm, Dublin, Yeats ­Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/164/73.

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»peculiarly characteristic of Ireland« ins Bild. Diese Strategien ermöglichten es ihm, um es mit Segalen zu formulieren, »die Fähigkeit« auszudrücken, »anders aufzufassen«98. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Ausgaben des Manchester Guardian jemals die einheimische Bevölkerung erreichten und sie Zugang zu ihrer von außen gespiegelten Lebenswelt erhielt. Zwar ist bekannt, dass Synge den Bewohner:innen der Aran Islands seine dort angefertigten Fotografien im Nachhinein zeigte, so etwa bei seinem zweiten Aufenthalt auf Inis Meáin,99 für Yeats allerdings ist eine solche Praxis nicht belegt. So lässt sich höchstens vermuten, dass die Bewohner:innen der Congested Districts mit Synges bereits vorliegenden Fotografien anderer Gegenden in Berührung kamen, nicht aber mit aktuellen Aufnahmen oder Yeats’ Zeichnungen.100 Bei der Betrachtung der Blätter muss daher immer berücksichtigt werden, dass die Abgeschiedenheit der Protagonist:innen für ein externes Publikum zur Schau gestellt wurde und daher zwangsläufig nicht ohne vorangegangene bildkünstlerische Übersetzungsleistung zu denken ist. Hier bestätigt sich erneut die Annahme, dass der Westen als Yeats’ mobiles Atelier fungierte und somit als künstlicher Raum zu begreifen ist, der eigenen Gesetzmäßigkeiten des Sehens und Entwerfens unterworfen war. Yeats bewegte sich eben nicht in der bloßen Natur, sondern stets in einem durch die diversen Schöpfungsvorgänge vorgeprägten Kulturraum. Synge und Yeats hatten dabei gleichermaßen ein besonderes Interesse an der bewussten Inszenierung eines als ›ursprünglich‹ verstandenen Lebens. So fällt auf, dass die Einheimischen in ihren Schilderungen hauptsächlich in traditioneller Kleidung erfasst wurden. Allerdings entsprach es nicht der Realität, dass die Bewohner:innen des Westens ausschließlich ihre selbst hergestellte Kleidung trugen. Zu bestimmten Anlässen zeigten sie sich gern in ihrer Sonntagsmode, die sie andernorts erworben hatten. Es ist bezeichnend, dass sie viel lieber in diesem festlichen Aufzug porträtiert worden wären als in ihren traditionellen Gewändern, wie aus einer Passage aus Synges Aran Islands hervorgeht  : We [Synge und Michael, Verf.] nearly quarrelled because he wanted me to take his photograph in his Sunday clothes from Galway, instead of his native homespuns that become him far better, though he does not like them as they seem to connect him with the primitive life of the island.101

Entgegen der Bitte des Insulaners befand Synge, dass die lokal gefertigten Kleidungsstücke den westirischen Bewohner viel deutlicher als autochthonen Iren kennzeichnen  98 Segalen 1994, S. 41.  99 Vgl. Synge 1907, S. 81 f. 100 Vgl. Synge 1907, S. 82. Auf den Aran Islands zeigte er den Einheimischen so auch Aufnahmen von Bewohner:innen aus der Grafschaft Wicklow, also dem Osten des Landes. Das belegt, dass Synge seine fotografischen Aufnahmen bei sich trug und diese später, entfernt vom Entstehungsort, präsentierte. 101 Synge 1907, S. 118.

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Abb. 40 Jack B. Yeats, Glory on Child’s Hat, Chinaman in Belmullet, SK Swinford, Synge, 1905, Bleistift, Aquarell, 125 × 90 mm, New York Public Library, Berg Collection.

würden als »Sunday clothes from Galway«102. Für den Schriftsteller stand in der Situa­ tion also nicht der Wunsch des zu Porträtierenden im Vordergrund, sondern sein eigener Anspruch, der Kultur einer ›uririschen‹ Bevölkerung Ausdruck zu verleihen. Wie seine Bildfindungen zeigen, muss Yeats hierin mit Synge übereingestimmt haben. Auch seine Grafiken sind in diesem Sinne als subjektive Setzungen zu verstehen, die für die Betrachtenden eine dezidierte Lesart vorzeichneten. Dass auch der Künstler eine Affinität zu ›exotisch‹ anmutenden Szenen hatte, zeigt sich an einer im Verlauf der Reise entstandenen Skizze, die mit dem Titel Chinaman in Belmullet bezeichnet ist (Abb. 40).103 Das hochformatige, mit Bleistift gezeichnete sowie nachträglich aquarellierte Blatt zeigt einen Mann in blauer Kleidung und mit langem Zopf in Rückenansicht. Er steht inmitten einer Menschenmenge, die sich auf einem Jahrmarkt versammelt hat, und trägt ein Kind mit breitkrempigem Hut auf seinem Arm. Ein kleiner Junge in Matrosenkleidung und -mütze hat sich neben den Mann gestellt, um sich an ihm festzuhalten.

102 Synge 1907, S. 118. 103 SK Swinford 1905, Synge  : Chinaman in Belmullet, NYPL, Berg Coll MSS Yeats, JaB.

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Obwohl Yeats’ Beobachtung keinen Eingang in die Illustrationen zu den Conges­ ted Districts gefunden hat, hielt Synge das Ereignis in seinem Bericht über Erris fest  : »A little later there was another stir, and I saw a Chinaman wandering about followed by a wondering crowd.«104 Der Schriftsteller intensivierte dabei noch einmal den aufsehenerregenden Charakter des Schauspiels, indem er, abweichend von Yeats’ Momentaufnahme, behauptete, die Menge sei dem Chinesen staunend gefolgt. Beiden Darstellungen gemein ist allerdings, dass die gälischen Regionen als fremdartiger und schillernder Ort geschildert werden. Qua Bild und Text werden der irische Westen und der Ferne Osten überblendet, ein Stilmittel, durch das der behauptete ›exotische‹ Charakter der Gaeltacht betont und zugleich das ›Andere‹ als das ›Eigene‹ vermittelt wird. Über diese Herangehensweise verschränkten sowohl Synge als auch Yeats in ihren Œuvres die Ideen des Exotismus mit denen des Primitivismus und machten diese für die Vorstellung eines ›wahrhaften‹ Irlands nutzbar. Im Falle von Yeats’ visuellen Reflexionen handelt es sich somit um diskursive Ausein­ andersetzungen mit dem jeweiligen Gegenstand, die über die rein dokumentarische Erfassung hinausgehen. Sie sind als diskursiv zu bezeichnen, weil Yeats die ihm bekannten, etablierten Klischees der Peripherie eben nicht perpetuierte, sondern eine eigene Sprache entwickelte, die wiederum spezifische Topoi der Andersartigkeit referenziert. Paradoxerweise wurde genau diese hybride Bildlichkeit von der zeitgenössischen Kritik als besonders genuin wahrgenommen. In diesem Kontext ist es aufschlussreich, dass Gauguins Tahiti-Bilder von irischen Kri­tiker:innen als ähnlich ›ursprünglich‹ rezipiert wurden wie Yeats’ Bilder des Westens. So schrieb Bodkin anlässlich der 1911 in Dublin ausgerichteten Exhibition of Works by Post-Impressionist Painters – einer vom United Arts Club veranstalteten Ausstellung, die 39 Werke aus Roger Frys federführender Londoner Schau Manet and the Post-Im­ pressionists zeigte –,105 Gauguins Zwei Frauen von Tahiti seien »a sincerity, purifying as fire, it sweeps aside all the tricks and conventional artifices with which modern artists had bound and bedizened themselves«106. Dabei ist es offensichtlich, dass Gauguins Südseegemälde nicht ohne den kulturhistorischen Kontext der Avantgarde und schon gar nicht ohne »tricks« gedacht werden können. Das Gleiche trifft für Yeats zu, dessen Visualisierungen des irischen Lebens im engen Zusammenhang mit den lokalen und globalen künstlerischen Debatten, insbesondere denen des Primitivismus und Exotismus, reflektiert werden müssen. Auch wenn Yeats die Veranschaulichung des irischen Westens der zeitgenössischen Kritik zufolge aufgrund seiner Vita beinahe mühelos gelang, bedeutet das nicht, dass 104 Synge 1905b, S. 7. 105 Zu den in Irland unter Ellen Duncan ausgerichteten Ausstellungen des Post-Impressionismus im Jahr 1911 und 1912 siehe Kennedy 2015. 106 Bodkin, Thomas  : Post-Impressionists in Dublin, in  : Freeman’s Journal, 26. Januar 1911, S. 8, zitiert nach Kennedy 2015, S. 65  ; das 1899 entstandene, 94 × 72,4 cm messende Ölgemälde befindet sich heute im Metropolitan Museum of Art in New York.

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seinen Bildern keine inszenatorischen Strategien zugrunde liegen. Im folgenden Kapitel sollen daher genauer die Modi seiner Darstellungen, unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Stilmittel, untersucht werden. 4.1.3 »Siegerpathos«107  : The Aran Islands, 1907 Im Nachgang der Arbeiten für den Manchester Guardian entstand zwischen 1905 und 1906 ein zweites Gemeinschaftsprojekt der beiden Künstler. Für die illustrierte Ausgabe der Aran Islands fertigte Yeats zwölf Zeichnungen an, für die er sich an Synges fotografischen Vorlagen orientierte, die dieser, wenige Jahre zuvor, während seiner Aufenthalte auf den Inseln angefertigt hatte. Das Buch erschien schließlich 1907, wobei parallel zur Schwarz-Weiß-Ausgabe eine aufwendigere und im Format größer angelegte Fassung mit handkolorierten Drucken herausgegeben wurde.108 Insbesondere die auf 150 Exemplare limitierte Prachtausgabe macht deutlich, dass Text und Bild des Bandes eigenständig nebeneinander stehen, wobei Yeats’ Illustrationen eher die Stimmung des Buches unterstützen, als dessen Handlung wortgetreu zu bebildern. Die charakteristische Ausformulierung der Blätter fand dabei nicht nur Zustimmung. So kritisierte Robinson noch 1992, dass sich »[…] only one or two remotely adequate to the subtle and vigorous text«109 verhielten. Die Einschätzung mag auch darin begründet sein, dass sich nicht alle Grafiken unmittelbar auf den vorangegangenen oder nachfolgenden Text beziehen, sondern recht frei im Buch angeordnet sind. Dass sich Yeats im Werkprozess von Fotografien Synges anregen ließ, kann laut Arnold als einmalig betrachtet werden. So sei es bei keiner weiteren Illustrationstätigkeit zu einer derart intensiven Zusammenarbeit gekommen.110 In der Tat ist das enge Verhältnis der beiden Künstler zu betonen, allerdings arbeitete Yeats auch bei anderen Gelegenheiten nach Fotografien jedweder Art. Zudem muss betont werden, dass ihm, bis auf seine 1899 auf den Aran Islands angefertigten Skizzen, keine weiteren Bildmaterialien zur Verfügung standen,111 weshalb er Synges Fotografien als dankbare Vorlagen geschätzt haben dürfte. Zusätzlich vermittelten sie dem Künstler einen Eindruck vom 107 Warburg 2000, S. 26. 108 Die Verzögerung hinsichtlich des Erscheinens entstand laut Yeats aufseiten des Verlages  : »Synge’s book of Aran Islands for which I did the drawings should be out soon, but the printers are delaying it.« – Vgl. Brief Jack B. Yeats an Quinn, 12. März 1907, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. Die Originalzeichnungen, die alle, bis auf das Frontispiz, das 305 × 230 mm groß ist, 280 × 220 mm messen, kolorierte Yeats per Hand nach und präsentierte diese später in Ausstellungen. Die Formate der Vorlagen wurden für die der Buchillustrationen angepasst und verkleinert. – Vgl. Pyle 1994, S. 185 – 188. 109 Robinson 1992, XXXIII. 110 Vgl. Arnold 1998a, S. 146. 111 Vgl. SK  : Co. Galway 1899, Isle of Aran, unpubliziert, Privatbesitz (bei Pyle 1993a, S. 184, als Nummer 16 aufgeführt).

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Zugang des Schriftstellers zu den Bewohner:innen und ihrer Umwelt, eine Perspektive, die für Yeats bei der Erarbeitung seiner Entwürfe hilfreich gewesen sein muss. So schrieb er denn auch im Februar 1906 an Synge, der ihm nur wenige Wochen zuvor sein Manuskript sowie 14 Fotos übersandt hatte  : The photographs you send are fine  ! and are a great help, and thank you very much for letting me have them – when I finished reading your manuscript – I was bothered to understand how you could leave such people. I wish I could live in Ireland […].112

Wenn man bedenkt, dass die Illustrationen bereits im Juli 1906 fertiggestellt waren, erscheint es bemerkenswert, wie schnell sich Yeats in die Produktion einarbeitete.113 Ursprünglich hatte Synge vorgesehen, nur eine mit eigenen Aufnahmen illustrierte Ausgabe zu veröffentlichen.114 Trotzdem besteht die Möglichkeit, dass das gemeinsame Projekt schon während der gemeinsamen Reise durch Westirland besprochen wurde.115 Vermuten lässt sich, dass die Kooperation sowohl den Künstlern als auch den Verlegern naheliegend erschien. So könnten sich die kooperierenden Verlage Maunsel & Co. (Dublin) und Elkin Mathews (London) gesteigerte Verkaufsaussichten versprochen haben, indem sie, ähnlich wie der Manchester Guardian vor ihnen, Synges Renommee mit dem Yeats’ verknüpften, der sich als Porträtist des westirischen Lebens bereits einen Namen gemacht hatte. Dass man die Illustrationen des Künstlers möglicherweise bevorzugte, ließe sich auch mit dem damals noch geringen Stellenwert der Fotografie erklären. Immerhin war 1897 die Qualität einer Yeats-Ausstellung in der Londoner Clifford Gallery vom Star noch folgendermaßen begründet worden  : »They [Yeats’ Sketches of Life in West Country, Verf.] have the great virtue of not being in the least photographic.«116 Die für ihren individuellen Charakter bekannten Arbeiten sollten so offenbar eine Entsprechung zum persönlichen Ton von Synges Bericht liefern. Für die nachfolgende Analyse der Illustrationen stellt der Referenzrahmen des Buches sowie der Fotos einen wichtigen Bezugspunkt dar. Neben Einblicken in die Werk112 Brief Jack B. Yeats an Synge, Februar 1906, TCD, Inv.-Nr. MS 4424 – 6/188, zitiert nach Arnold 1998a, S. 146. Die Schwarz-Weiß-Fotografien, die heute aufgrund der Lichteinwirkung einen Sepiaton aufweisen, befinden sich im Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/14/2 – 14. Es gibt noch weitere Aufnahmen, die Synge auf den Aran Islands angefertigt hatte. Möglicherweise kannte Yeats auch diese Abzüge, das zumindest legen die teilweise motivischen Übereinstimmungen nahe, siehe dazu Synge 1971, TCD, Synge, Inv.-Nr. MS 11332. 113 Vgl. Brief Jack B. Yeats an Quinn, 28. Juli 1906, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 114 Vgl. Arnold 1998a, S. 145. Synge arbeitete mit einer Plattenkamera des Typs Klito, die von der englischen Firma Houghtons hergestellt worden war. – Vgl. Synge 1971, TCD, Synge, Inv.Nr. MS 11332. Synge fertigte von den Glasplatten, von denen sich heute noch wenige Exem­ plare im Archiv des Trinity College in Dublin befinden, Schwarz-Weiß-Abzüge an. 115 Allerdings ist nicht mehr zu rekonstruieren, wann und wie der Entschluss zu der gemeinsamen Arbeit letztlich fiel. 116 Ausstellungsbesprechung zu Watercolour Sketches of Life in the West Country by Jack B. Yeats, im Star, 1897, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. JY/Y1/4/2/1.

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genese kann er auch darüber Auskunft geben, inwieweit Yeats bei der Entwicklung seiner Bildsprache von den jeweiligen Vorlagen abwich sowie eigene Wege beschritt und welche Effekte er dadurch zu evozieren suchte. Anhand fünf ausgewählter Beispiele soll Yeats’ Arbeitsprozess analysiert sowie diskutiert werden, welche Strategien er anwandte, um Ereignisse zu bebildern, die er nicht persönlich, sondern lediglich in der Vermittlung durch Synge erlebt hatte. Yeats’ im Zusammenhang mit der Lektüre des Manuskriptes erhaltene Äußerung »I wish I could live in Ireland«117 wirft zudem die Frage auf, ob seine hierdurch angeregte Irlandsehnsucht die Arbeit in irgendeiner Weise beeinflusste, das heißt, ob er den Auftragsarbeiten eigene Informationen und Projektionen einschrieb. Hiermit verbunden ist die Diskussion der Bedeutung der Darstellungen für den Band, immerhin enthält der 189 Seiten umfassende Text lediglich zwölf Abbildungen. Im direkten Vergleich der Illustrationen mit den Fotografien fällt zunächst auf, dass Yeats nur wenig konkrete Informationen aus Synges Aufnahmen in seine Arbeiten übertrug. Vielmehr scheint es, als ob die Schwarz-Weiß-Abzüge nur das allgemeine thematische Setting vorgaben, während der Text die Aufgabe hatte, szenische Informationen bereitzustellen. Hinsichtlich ihrer Sujets stimmen die folgenden Illustrationen mit Fotografien überein  : The Pier mit On the Pier Kilronan (vgl. Abb. 44 und 43)  ; The Evictions mit After Eviction, Middle Island (vgl. Abb. 56 und 57)  ; A Four-Oared C ­ uragh mit South Island (vgl. Abb. 41 und 42)  ; Carrying Seaweed for Kelp mit Harvesting Seaweed sowie Bringing Home Straw (vgl. Abb. 50, 51 und 52)  ; The Man Who Told the Stories mit Storyteller Twisting Sugawn und An Island Horseman mit Man and Boy with Pony (vgl. Abb. 54 und 55).118 Für Thatching, The Hooker’s Owner, Kelp Making, It’s Real Heavy She Is, ­Porter und An Island Man (Abb. 47) liefern die Aufnahmen hingegen keine konkrete Vorlage, wobei Yeats für die Motive durchaus Versatzstücke wie Kleidung und Haltung einzelner Personen übernahm.119 Abgesehen davon ist bei den zuletzt genannten Abbildungen jeweils ein konkreter Bezug zum Text des Buches gegeben. Insbesondere die Illustration The Pier verdeutlicht (Abb. 44), wie aufwendig Yeats’ Kompilationsverfahren im Falle der Aran Islands funktionierte. So zog er, wie zu zeigen ist, neben Synges Aufnahme On the Pier Kilronan (Abb. 43) noch weitere Fotografien heran. Unter zusätzlicher Bezugnahme auf diverse Textstellen des Manuskriptes sowie unter Rückgriff auf sein Bildgedächtnis entwickelte er schließlich einen ganz eigenen Entwurf, der offenbar alle für ihn wesentlichen Elemente zusammenführte. Bei der dargestellten Mole handelt es sich um jene in Cill Rónáin, dem größten Ort auf der 117 Brief Jack B. Yeats an Synge, Februar 1906, TCD, Inv.-Nr. MS 4424 – 6/188, zitiert nach Arnold 1998a, S. 146 118 Jack B. Yeats, The Man Who Told the Stories, handkolorierte Illustration zu den Aran Islands, 1907, S. 180 und John M. Synge, Storyteller Twisting Sugawn, 1898 – 1905, Fotografie, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/14/6. 119 Jack B. Yeats, handkolorierte Illustration zu den Aran Islands, 1907  : Thatching, S. 114, The Hooker’s Owner, S. 28, Kelp Making, S. 44, It’s Real Heavy She Is, S. 102 und Porter, S. 136.

168  |  Yeats als Nationalkünstler  ? Eine kritische Betrachtung Abb. 41 Jack B. Yeats, A Four-Oared Curagh, handkolorierte Illustration zu den Aran Islands, 1907, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/14/1.

Abb. 42 John M. Synge, South Island, 1898 – 1905, Fotografie.

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Abb. 43 John M. Synge, On the Pier Kilronan, 1898 – 1905, Fotografie.

Hauptinsel der Aran Islands, Inis Mór. Hier kam Synge, seinem Bericht zufolge, nach einer dreistündigen Überfahrt von Galway aus an. In der Folge schreibt er immer wieder über den für die Einheimischen so wichtigen Ort, der bei gutem Seegang den Ausgangspunkt für den Fischfang, den Besuch auf dem Festland und den Handel – etwa mit Rindern, Schweinen oder Kelp – bildete. Nur an diesem Hafen konnten Dampfer direkt anlegen, während auf den zwei anderen Inseln kleinere Holzboote, sogenannte Curaghs, eingesetzt werden mussten, um Passagiere oder Fracht an Land zu bringen. Während Synges Fotografie vom Blick auf traditionell gekleidete Frauen und das bunte Treiben auf der Mole bestimmt ist, stellt sich die Perspektive bei Yeats um 90 Grad gewendet dar. Uns mit dem Rücken zugewandt stehen die Männer und Jungen an der Hafenmauer und blicken hinaus auf das Meer, wo ein sich nähernder Dampfer mit Regen und hohem Wellengang zu kämpfen hat. Die Szene lässt offen, ob die Männer Besucher:innen und eintreffende Ware erwarten oder selbst Fracht aufgeben wollen, wie das Fass zu ihren Füßen nahelegt. Die ambivalent aufgefasste Situation spiegelt ein typisches Wesensmerkmal der Aran Islands, das zum einen auf die Abhängigkeit von den Gezeiten und vom Schiffsverkehr als auch auf den immerwährenden Transfer zwischen den Welten rekurriert. Die zwei vor der Mauer kauernden Frauen, deren Köpfe und Oberkörper durch große Tücher fast vollständig verhüllt sind, entnahm Yeats beinahe ohne Veränderung Synges Aufnahme, ein Vorgehen, das für den Künstler eher ungewöhnlich war. Auch das im Vordergrund sichtbare Fischernetz findet sich bereits in der Vorlage, wird in der Zeichnung aber von einem Fischer besetzt, der darauf Platz genommen hat. Wie in Synges Text wird das Geschehen auch in der Zeichnung als lebendig und aufregend geschildert, wofür auch eigene Kindheitserfahrungen Yeats’ eingeflossen sein könnten. Immerhin war er in Sligo aufgewachsen und als Neffe eines Dampfschifffahrtsunternehmers mit dem Leben in einer Hafenstadt vertraut,120 sodass 120 Vgl. Murphy 2001, S. 37.

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Abb. 44 Jack B. Yeats, The Pier, handkolorierte Illustration zu den Aran Islands, 1907, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/14/1.

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es ihm leichtgefallen sein dürfte, die vom internationalen Austausch bestimmten »ways of seaport towns«121 ins Bild zu setzen. Mit dem Motiv der aufs Meer schauenden Rückenfiguren präsentierte Yeats jedoch eine vollkommen eigene Gestaltung, die in keiner der Fotografien seines Archivs zu finden ist.122 Offenkundig griff der Künstler hierbei auf das durch Caspar David Friedrich (1774 – 1840) etablierte romantische Bildschema zurück, das im zwischen 1808 und 1810 entstandenen Gemälde Mönch am Meer seine radikalste Ausformulierung fand.123 Die ins Bildgedächtnis eingegangene Formel der solitären Rückengestalt dürfte Yeats vermutlich über Reproduktionen bekannt gewesen sein. Sicher aber war er mit dem Motiv über Whistlers Rezeption vertraut, der die Komposition der einsamen Figur am Meer bereits 1865 in Gemälden wie Harmony in Blue and Silver  : Trouville oder Sea and Rain (Abb. 45) aufgegriffen hatte.124 Wie eine von der Literatur bisher nahezu unbemerkte Skizze belegt, hatte Yeats Anfang 1905 selbst die große WhistlerGedenkausstellung in der Londoner New Gallery besucht und dort auch das Gemälde Sea and Rain im Original gesehen (Abb. 46).125 Dabei sind die Männer an Yeats’ Pier nur ein Beispiel dafür, wie sich der Künstler mittels bewusster Anlehnungen an berühmte Vorbilder in die Tradition der modernen Kunstgeschichte einschrieb und sich dieser zugleich für die Etablierung einer nationalen Bildsprache bediente. Überführt in den irischen Kontext referenzierte der Künstler damit eine imaginierte Freiheit, die den Revivalists um 1900 an der irischen Atlantikküste besonders greifbar schien.

121 Synge 1907, S. 130. 122 Synge hatte zwar in seinen Aufnahmen ebenfalls einen Insulaner in Rückenansicht festgehalten, siehe Synge 1971, Nr. 44, TCD, Synge, Inv.-Nr. MS 11332. Allerdings befand sich diese Fotografie nicht in Yeats’ Besitz, und es lässt sich nicht mehr klären, ob der Maler den Abzug kannte. 123 Caspar David Friedrich, Mönch am Meer, 1808/10, Öl auf Leinwand, 110 × 171,5 cm, Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Alte Nationalgalerie. 124 James Abbott McNeill Whistler, Harmony in Blue and Silver  : Trouville, 1865, Öl auf Leinwand, 51 × 76,7 cm, Boston, Isabella Stewart Gardner Museum. Zur Übernahme des Friedrich’schen Motivs bei Whistler siehe Chong 2003, S. 198 f. Whistler, der in den späten 1850er und frühen 1860er Jahren in Trouville an der Seite von Gustave Courbet gearbeitet hatte, bezog sich in seinem Gemälde wiederum auf Courbets 1854 entstandenes Die Küste bei Palavas  ; zu Courbets Referenz auf Friedrich siehe Wolf 2012, S. 34. 125 SK 80  : London, Strete, 1905  : Whistler Exhibition at New Gallery, Yeats Archive, Inv.-Nr. 1/ JY/1/1/80/30. Die Skizze, die bis dato lediglich im Ausst.-Kat. Dublin 2013a auf S. 98 abgebildet, allerdings nicht weiter besprochen wurde, zeigt mehrere Personen in den Ausstellungsräumlichkeiten. Mit der Person im linken Bildvordergrund, die einen Anzug und Hut trägt, könnte sich Yeats selbst inmitten der Ausstellung festgehalten und somit zugleich ins Verhältnis zu der verehrten Künstlergröße gesetzt haben  ; zur Whistler-Ausstellung siehe Ausst.-Kat. London 1905, S. 75, Nr. 3. Das Gemälde war im West Room unter der Rubrik Nocturnes, Marines, and Che­ valet Pieces ausgestellt. In der umfangreichen Ausstellung, die auf mehrere Räume verteilt war, wurden Druckgrafiken, Zeichnungen und Gemälde gezeigt.

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Abb. 45 James Abbott McNeill Whistler, Sea and Rain, 1865, Öl auf Leinwand, 53 x 73 cm, Michigan, University of Michigan Museum of Art.

Abb. 46 Jack B. Yeats, Whistler Exhibition at New Gallery, SK 80, 1905, Tusche, Bleistift, Aquarell, 90 × 125 mm, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/80/30.

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Wie zentral die Bedeutung des kontemplativen Rückenmotivs für den Künstler war, zeigt sich daran, dass er für die Gestaltung des Frontispizes erneut darauf zurückgriff (Abb. 47). Anders als seine berühmten Vorgänger aber, die das Thema stets im Querformat angelegt und den einsam am Strand stehenden Mann perspektivisch von oben erfasst hatten, präsentiert Yeats seinen Island Man im Hochformat und in starker Untersicht. Das Blatt zeigt einen auf einem Felsvorsprung thronenden Insulaner, der stoisch auf das vor ihm liegende Meer blickt. In Yeats’ Ausdeutung wird der Mann als eins mit der ihn umgebenden Natur dargestellt. Die Inszenierung unterscheidet sich mithin wesentlich von den vorbildhaften Werken, in denen ein sentimentalisches Verhältnis zur Natur geschildert wird, das einen reflexiven Blick auf die Landschaft bedingt.126 Auch die Kleidung des Island Man, die Yeats Synges Fotografien entnahm, verweist auf den Wunsch des Künstlers, einen mit der Natur verbundenen Charakter zu präsentieren. Diese besteht aus Pampooties (traditionellen Kuhlederschläppchen), ausgefranster Baumwollhose, Hemd, Wollweste (Bainínjacke) sowie einem breitkrempigen Hut und ist damit ideal auf die rauen Umweltbedingungen abgestimmt. In dieser Interpretation einer noblen Gestalt, die in ihrer aufrechten Haltung als stolzer Insulaner erscheint, entsprach Yeats der literarischen Vorlage Synges, der die Einheimischen zwar als einfach, aber würdevoll beschrieb. Ganz im Sinne einer neo-romantischen Zivilisationskritik bezeichnete Synge die Inselbewohner:innen in ihrer Anpassungsfähigkeit an die Natur denn auch als ›edle Wilde‹  : The absence of the heavy boot of Europe has preserved to these people the agile walk of the wild animal, while the general simplicity of their lives has given them many other points of physical perfection.127

Sowohl Synges als auch Yeats’ Darstellung bedient demnach nicht mehr das britische Klischee des lustigen ›Paddy‹, »that was once thought to represent the real peasant of Ireland«128. Für Yeats hat O’Doherty diesen künstlerischen Aushandlungsprozess zwischen Kolonisator und Kolonisierten wie folgt gefasst  : Yeats, an example of the great tradition of the Anglo-Irishman gone native, infuses the alien stereotype with national pride (which was just emerging). The way in which he did it is typical of the paradoxical transactions between master and servant. He suffused the stereotype with an excess of all its attributes, making the poetry more poetic, the rhetoric more rhetorical, the eccentric outlandish. Instead of parodying the parody and 126 Zum reflexiven Moment der Landschaft in der Malerei Friedrichs siehe etwa Grave 2012. Zum sentimentalischen Blick auf die Natur, der einem naiven Verhältnis zur Natur gegenübergestellt wird, siehe zudem Schiller 1962. 127 Synge 1907, S. 25. 128 Synge 1907, S. 128.

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Abb. 47 Jack B. Yeats, An Island Man, handkolorierte Illustration zu den Aran Islands, Frontispiz, 1907, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/14/1.

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Abb. 48 Paul Henry, The Watcher, 1911, Öl auf Leinwand, 61 × 51 cm, Privatbesitz. Abb. 49 Marguerite Mespoulet, Rückenansicht einer Frau im Claddagh-Gewand, Irland, Galway, 26. Mai 1913, Autochrom für Albert Kahns Les Archives de la Planète.

producing farce he made it, in an extraordinary exchange between a painter and a national image, heroic.129

Es sind ebendiese künstlerischen Entwürfe von Synge und Yeats, auf die sich Colum 1914 bezog, als er von den Iren als »a youthful people like the fresh peasant communities of Servia and Bulgaria«130 sprach und ihnen damit eine vorbildhafte Funktion zuschrieb. Losgelöst von ihrem illustrativen Kontext erfuhr Yeats’ prägnante Rückenfigur in der bildenden Kunst weitere Nachahmer:innen. So griffen in der Folge auch andere Künstlerinnen und Künstler das Motiv auf und versahen dieses dadurch mit einem ikonischen Status. Ein besonders zeitnaher Bezug lässt sich dabei für Paul Henry ausmachen, der die Anordnung 1911 auf sein Gemälde The Watcher übertrug (Abb. 48). Allerdings ist es bei ihm, statt eines selbstbewussten Insulaners, eine Frau, die ihre linke Hand vor ihrem Kinn zur Faust geballt hat. Der sorgenvolle Gestus gilt offenbar ihrem Mann, der angesichts einer stürmischen See noch nicht heimgekehrt ist.131 Ähnlich wie Yeats 129 O’Doherty 1971, S. 85. 130 Colum 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 131 Darauf verweist auch das Taschentuch in ihrer rechten Hand, das sich kaum vom grauen Himmel abhebt.

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und Synge sah Henry in der einfachen Lebensweise im Westen seine wesentliche Inspirationsquelle. Jahrzehnte später erinnerte er sich in seiner Autobiografie  : »The habits and ways of this remote community surrounded by savage rocks and treacherous seas provided me with all I required as a painter.«132 Neben Yeats’ Grafik gingen für Henry dabei auch von Synges Schriften wesentliche Impulse aus.133 In der Darstellung der eindrücklichen Frauengestalt in leuchtend rotem Rock könnte er sich demgemäß an Synges romantisierender Beschreibung der Inselbewohnerinnen orientiert haben  : »No one who has not lived for weeks among these grey clouds and seas can realise the joy with which the eye rests on the red dresses of the women […].«134 Bemerkenswerterweise fand dieses typisierte Bild junger Frauen auch in der Fremdperspektive seinen Niederschlag, wie das von der Anglistin Marguerite Mespoulet 1913 hergestellte Autochrom Rückenansicht einer Frau im Claddagh-Gewand zeigt (Abb. 49). Mespoulet (1880 – 1965) bereiste Irland im Frühjahr 1913, wobei sie im Auftrag von Albert Kahn (1860 – 1940) 70 Autochrome anfertigte, die für dessen Ar­ chives de la Planète, das damals größte ethnologische Foto- und Filmprojekt, gedacht waren. Das Ziel von Kahns Projekt bestand in der fotografischen Erschließung der Welt. Laut Franziska Scheuer ließ sich Mespoulet zunächst von den zahlreichen Col­ leens inspirieren, die sie 1908 im irischen Raum der Franco-Britischen Ausstellung in London gesehen hatte. Allerdings bestätigte sie in ihren Farbaufnahmen nicht den kolonialen Blick, der Irland in der Verkörperung der jungen, schönen Frau zwar als romantisch und ›wild‹, aber ungefährlich kennzeichnet. Vielmehr vollzog Mespoulet mit der spezifischen Bearbeitung ihrer Protagonistin, die, gehüllt in einen roten Fransenschal, stolz ihr Kinn nach oben gestreckt hält, die Selbstermächtigungsgesten der Iren im Bild nach.135 Diese Ausdeutung Scheuers lässt sich dahingehend ergänzen, dass Mespoulet sich nicht nur mit politischen Stimmungen auseinandersetzte, sondern auch mit den kulturellen Strömungen rund um das Celtic Revival. So könnte ihr Motiv etwa an W. B. Yeats’ 1902 auf die Bühne gebrachte Cathleen Ni Houlihan oder Henrys The Watcher angeknüpft haben, Figuren, die im nationalen Kontext als stark und heldenhaft wahrgenommen wurden. Henrys Bild könnte die Fotografin in der Dubliner Royal Hibernian Academy gesehen haben, wo es im April 1913 ausgestellt war.136 Insbesondere die ikonografischen Übereinstimmungen legen nahe, dass der kulturell gebildeten Mespoulet die literarischen und visuellen Diskurse zum nationalen Imaginären durchaus bekannt waren und dass sie diese in ihren Aufnahmen referenzierte. Für ausländische 132 Henry 1951, S. 25. Henry bezog sich allerdings auf das Leben auf Achill Island, wo er zwischen 1910 und 1919 lebte und wo sich Jahrzehnte später auch der Schriftsteller Heinrich Böll in den Sommermonaten niederließ. 133 Vgl. Bhreathnach-Lynch 1997a. 134 Synge 1907, S. 28. 135 Vgl. Scheuer 2013, S. 21 f. 136 Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2003a, S. 60. Erstmals präsentiert worden war das Bild im Herbst 1911 in der Belfast Art Society, seitdem war es auch wiederholt in der Presse besprochen worden.

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Abb. 50 Jack B. Yeats, Carrying Seaweed for Kelp, handkolorierte Illustration zu den Aran Islands, 1907, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/14/1.

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Abb. 51 John M. Synge, Harvesting Seaweed, 1898 – 1905, Fotografie.

Abb. 52 John M. Synge, Bringing Home Straw, 1898 – 1905, Fotografie.

Be­­trachter:innen forcierte sie in ihrer pittoresken Szene darüber hinaus das ›exotische‹ Moment, wofür sie auf diverse etablierte Bildformeln von Irishness zurückgriff. Auch in Yeats’ Illustrationen der Aran Islands findet sich die Darstellung einer solitär ins Bild gesetzten Insulanerin. Allerdings übertrifft deren heroische Erscheinung Henrys und Mespoulets Inszenierungen. Mit der jungen Frau, die den Betrachtenden in gerader Haltung gegenübersteht und diese mit ihrem Blick fixiert, schuf er geradezu ein weibliches Pendant zum Island Man, ein Eindruck, der sich durch den spiegelbildlichen Aufbau der Landschaft verstärkt (Abb. 50). Auch sie trägt mit Schläppchen, rotem wadenlangem Rock, Pullover, Jacke und Kopftuch die traditionelle Kleidung der Insel. Dabei steht sie, wie ihr männliches Gegenüber, auf einem Felsvorsprung inmitten der Klippen, die ins offene Meer hineinragen. Ihre Arbeit, Carrying Seaweed for Kelp, verrichtet sie trotz starken Regens, und der große Korb, in dem sich der feuchte Seetang so hoch auftürmt, dass er weit über ihren Kopf hinausragt, erscheint aufgrund ihrer aufrechten Haltung kaum als Last. Für die Inszenierung der Szene bezog sich Yeats auf mehrere Vorlagen. Zunächst orientierte er sich an Synges Aufnahmen, die den Vorgang der Seetang- und Strohernte schildern (Abb. 51 und 52). Die Fotografien können aber allenfalls als allgemeine Bezugspunkte betrachtet werden, zeigen sie doch jeweils arbeitende Männer, die an Lasttieren angebrachte Körbe mit Seetang oder Stroh befüllen. Die konkrete Vorlage der Illustration stammt in diesem Fall vielmehr aus Yeats’ eigenem Bildrepertoire. So findet sich in der für den Manchester Guardian angefertigten Zeichnung The Kelp Makers bereits eine ähnliche Frauenfigur festgehalten (Abb. 53). Für die Aran Islands löste Yeats diese stark vergrößert aus dem Ursprungskontext heraus, um sie auf diese Weise zur alleinigen Protagonistin zu machen. Mittels dieser Bildfindung gelang es ihm, folgende, von Synge beschriebene Begebenheit eindrücklich zu vermitteln  : At the south-west corner of the island I came upon a number of people gathering the seaweed that is now thick on the rocks. It was raked from the surf by the men, and then carried up to the brow of the cliff by a party of young girls. In addition to their ordinary clothing these girls wore a raw sheepskin on their shoulders, to catch the oozing sea-wa-

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Abb. 53 Jack B. Yeats, The Kelp ­Makers, Illustration für den Manchester Guardian, 24. Juni 1905.

ter, and they looked strangely wild and seal-like with the salt caked upon their lips and wreaths of seaweed in their hair.137

Synges Feststellung, wonach die Anmutung der Frauen »strangely wild« gewesen sei, findet eine Entsprechung in Yeats’ Visualisierung der Protagonistin, die durch harte Gesichtszüge und einen ernsten Ausdruck charakterisiert wird. Zusätzlich kennzeichnete der Künstler die Dargestellte durch ihren hoch aufragenden, künstlich vergrößerten Körper als erhabene Figur. Dass Yeats ausgerechnet diese Zeilen ins Bild setzte, kann vor dem Hintergrund, dass Kelp Making, also die Verarbeitung von Seetang, etwas für westlich geprägte Augen Neuartiges darstellte, kaum verwundern. Wie außergewöhnlich diese Arbeiten um 1900 selbst für Iren waren, verdeutlichen die an Synge gerichteten Worte eines Insulaners  : »Bedad, then«, he said, »isn’t it a great wonder that you’ve seen France, and Germany, and the holy Father, and never seen a man making kelp till you came to Inishmaan.«138

In Verbindung mit der ›urtümlichen‹ Erscheinung der Frau erhob Yeats demnach den genuinen Charakter Westirlands zur zentralen Aussage, der in seiner Andersartigkeit eine Folie nationaler Einzigartigkeit darbot. Sowohl der Island Man als auch sein Pendant wirken durch die spezifische Zurschaustellung wie Paradefiguren des nationalen Neubeginns, der für Yeats zu dieser Zeit deutlich spürbar war. Demgemäß schrieb er am 16. September 1907 an John Quinn  : »Ireland consists of all sorts of people, in fact it is a nation ready to start at any time.«139 Dieser formale und inhaltliche Tenor wird in einer weiteren Illustration nochmals gesteigert. Dabei erscheint der Island Horseman (Abb. 54) beinahe als beschleunigte Variante des Island Man (Abb. 47), wobei die anatomisch etwas unglückliche Dar137 Synge 1907, S. 85. 138 Synge 1907, S. 44. 139 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 16. September 1907, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49.

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Abb. 54 Jack B. Yeats, An Island Horseman, handkolorierte Illustration zu den Aran Islands, 1907, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/14/1.

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Abb. 55 John M. Synge, Man and Boy with Pony, 1898 – 1905, Fotografie.

stellung des Mannes verdeutlicht, dass es sich weniger um die Wiedergabe einer beobachteten Szene als vielmehr um eine erneute heroische Stilisierung handelt. Diese wird durch den Gestus des emphatisch zum Gruß erhobenen Armes sowie durch die perspektivische Untersicht eindrücklich zum Ausdruck gebracht. In rasantem Galopp reitet uns der Insulaner entgegen, wobei er im Begriff ist, im nächsten Moment die vordere Bildgrenze zu durchbrechen. Der an dem Pferd befestigte Korb legt nahe, dass es sich bei ihm um einen Torfsammler handelt, wobei der Vorgang in zeitgenössischen Fotografien in sehr viel nüchternerer Art und Weise geschildert w ­ urde.140 Auch Synges Aufnahme Man and Boy with Pony wirft, im Unterschied zu Yeats’ Inszenierung, einen deutlich reduzierteren und statischeren Blick auf den Arbeitsvorgang (Abb. 55). Dass es Yeats jedoch weniger um die dokumentarische Bebilderung des Torfsammelns als vielmehr um die rasante Darstellung des Mannes gegangen sein muss, zeigt Synges Beschreibung eines ungestümen Inselreiters, die der Künstler offenbar zu visualisieren versucht hat  : The islanders themselves ride with a simple halter and a stick, yet sometimes travel, at least in the larger island, at a desperate gallop. As the horses usually have panniers, the rider sits sideways over the withers, and if the panniers are empty they go at full speed in this position without anything to hold to.141

Der seitlich auf dem Pferd sitzende Mann, der im »desperate gallop« die Straße entlangreitet, wird dabei von zwei hinter einer Mauer stehenden Frauen beobachtet, die

140 Siehe dazu etwa Bringing Home the Turf, Fotografie, Ende 19. Jahrhundert, Dublin, Department of Irish Folklore, University College. 141 Synge 1907, S. 45.

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von den lauten Hufschlägen und dem Gruß des Reiters von ihrer Feldarbeit aufgeschreckt worden sind. Yeats’ dynamische Umsetzung des Sujets geht weit über die bloße illustrative Funktion hinaus und erscheint geradezu als Sinnbild des politischen und kulturellen Aufbruchs. Diese Lesart wird durch die spezifische Bild und -Zeichenhaftigkeit des Blattes unterstützt, die innerhalb der Tradition der Reiterdarstellungen, insbesondere jener der Reitermonumente, zu verorten ist.142 Dadurch wird zugleich der Kontext der Herrscherikonografie eröffnet. Mittels der erhöhten Position des Reiters wird den Betrachtenden dessen Überlegenheit suggeriert, die noch durch die aufrechte Körperhaltung sowie dessen erhobenen Arm forciert wird. Sein linker Arm jedoch ist hier nicht zum Kampf in die Höhe gereckt, sondern zum Gruß, hält der Protagonist doch statt einer Waffe lediglich seinen Hut in der Hand. Dessen ungeachtet erinnert die Geste unmissverständlich an die Darstellungstradition von Siegern und gerinnt mittels dieser formelhaften Übernahme zur Pathosformel.143 Unter Verweis auf derartige Herrschaftsallegorien avanciert Yeats’ Bewohner des Westens zur stilisierten Ikone und bietet eine ideale Projektionsfläche im Kontext kultureller Identitätskonstruktionen. Zugleich ist die Referenz auf das »Siegerpathos«144, das Aby Warburg in seinem Mnemosyne-Atlas insbesondere anhand von Herrschaft verkörpernden Reiterbildern umgesetzt sah, im Zusammenhang mit den Dekolonisierungsstrategien des Celtic Revival zu betrachten. Mittels des Rückgriffes auf tradierte Gebärden und Bildformeln entzieht sich der Island Horseman dem Stereotyp des unterdrückten Iren und verdeutlicht als Symbol des Heldentums die Inbesitznahme der eigenen Kultur. Der mögliche Bezug auf britische Reiterstandbilder legt zugleich die Methode der politischen Inversion nahe. Vor allem die formale Referenz auf das 1874 von Charles Bacon am Londoner Holborn Circus errichtete Reitermonument Prinz Alberts scheint hier meines Erachtens sinnfällig. Schließlich zeigt die Bronzestatue den Prince Consort dabei, wie er dem Publikum mit seinem rechten Arm den Hut zum Gruß entgegenstreckt. Das Denkmal wurde im Zuge des landesweiten Albert- und Monarchiekultes aufgestellt und 142 Yeats hatte etwa auf seiner Venedigreise im Jahr 1898 die Möglichkeit, Andrea del Verrochios 1493 gefertigtes Reiterbildnis des Söldners Bartolomeo Colleoni zu sehen. Darüber hinaus muss er auch die in London und Dublin aufgestellten Reiterstandbilder in Erinnerung gehabt haben sowie Statuen, die er sicherlich in diversen Skulpturensammlungen gesehen hatte. 143 Der Begriff der Pathosformel wurde von Aby Warburg erstmals 1905 verwendet und in der Folge von Kunsthistorikern wie Erwin Panofsky für ihre Forschungen aufgegriffen. Warburg untersuchte, wie die in der Antike präfigurierten Gesten und Gebärden Eingang in einen universell gültigen Bilderkanon fanden und in der Renaissance als Pathosformeln rezipiert wurden. Dieses Fortleben der Antike versuchte er, mittels seines Mnemosyne-Atlas nachzuweisen. Dieser setzte spezifische Bildmotive aus verschiedenen Jahrhunderten zueinander in Beziehung.  – Vgl. Warnke 1980, S. 61 – 68. 144 Siehe Tafel 7 in Warburgs Bilderatlas, die dem Thema des »Siegerpathos« gewidmet ist und in der sich auch Darstellungen von reitenden Herrschern finden. – Vgl. Warburg 2000, S. 26 f.

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diente der nationalen Selbstversicherung der Briten.145 Offenbar bediente sich Yeats, dem das Monument durch seine Londoner Studienzeit bekannt gewesen sein muss, der Grußgeste des Monarchen sowie des Habitus der Überlegenheit, indem er den Inselbewohner aus starker Untersicht einfing und ihn damit im übertragenen Sinne auf einen Sockel stellte. Die Starre des Reitermonumentes wirkt in der Illustration jedoch aufgehoben  ; frei, ungezwungen und in rasantem Tempo bewegt sich die Figur auf die Betrachtenden zu. Durch diese Herangehensweise wird das Symbol der britischen Monarchie transformiert und in verfremdeter Form in den Kontext der irischen Eigenständigkeitsbewegung überführt. Dabei handelt es sich um eine wirkmächtige Strategie, die anerkannte Machtdiskurse sprengt. Zugleich gelingt es mittels der Übertragung des kolonialherrschaftlichen britischen Narrativs in den Bereich der kolonisierten Peripherie, die etablierten Strukturen zu hinterfragen und qua Bild zu unterwandern. Der selbstbewussten Gebärde des Empire wird eine genuine Geste irischer Selbstbehauptung gegenübergestellt, die jedoch nicht unbeweglich, sondern energisch und damit umso Ehrfurcht gebietender daherkommt. Die emotional aufgeladene Bildsprache wirkt wie ein Appell an die Betrachtenden, die, wie Warburg es in seiner Einleitung zum Bilderatlas formuliert hat, »zum Nacherleben menschlicher Ergriffenheiten«, ja gar »zur aktiven Sieghaftigkeit«146 angeregt werden können. Yeats’ Illustrationen der Aran Islands lassen sich somit als Ausdruck der Selbstermäch­tigung lesen, die den Entwürfen der Kolonisatoren eigene Konzepte entgegensetzten und zugleich mittels einer emotionalisierten Bildlichkeit eine ideelle Affektgemeinschaft adressierten.147 Dieser berührende Effekt kommt auch in The Evictions zum Tragen, einer weiteren Illustration, die die Vertreibung einer verarmten Familie aus ihrem Haus durch Polizisten schildert und damit ein für die irische Geschichte zentrales Thema aufgreift (Abb. 56). Die uniformierten Ordnungshüter werden, gestützt auf ihre Gewehre, im Vordergrund der Szene dargestellt. Vor einer Hauswand sitzend scheinen sie sich auszuruhen. Dabei nehmen sie keinen Anteil an dem Schicksal der Vertriebenen, die sich im Hintergrund zusammen mit anderen Dorfbewohner:innen versammelt haben. Auf diese Weise wird der Gegensatz zwischen den englischen Repräsentanten und der irischen Bevölkerung deutlich hervorgehoben, womit der Künstler auf folgende Textstelle Bezug nahm  : The police when not in motion lay sweating and gasping under the walls with their tunics unbuttoned. They were not attractive, and I kept comparing them with the islandmen, who walked up and down as cool and fresh-looking as the sea-gulls.148 145 Vgl. Rausch 2006, S. 179. 146 Beide Zitate aus Warburg 2000, S. 5. 147 Zum Affektpotenzial von Bildern sowie zur von Bildern evozierten Emotion bei den Betrachtenden siehe etwa Böhm 2018. 148 Synge 1907, S. 60. Das Thema der Vertreibung der irischen Bevölkerung durch anglo-irische,

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Abb. 56 Jack B. Yeats, The Evictions, handkolorierte Illustration zu den Aran Islands, 1907, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/14/1.

Mittels ihrer synonymen, deutlich negativen Charakterisierung der Polizisten bezogen beide Künstler in den Aran Islands Stellung und distanzierten sich von ihrer eigenen Klassenzugehörigkeit. Qua Bild und Text erklärten sich »Yeats the nephew and Synge the brother of a land agent« damit jeweils zu »socialists and nationalists«149. Nach Synges Tod erinnerte sich Yeats an eine eindrückliche Szene, die ganz offensichtlich Einfluss auf die Bearbeitung der Darstellung genommen hatte  : I remember his [Synges, Verf.] delight at the words of a local politician who told us how he became a Nationalist. »[…] I was but a little child with my little book going to school, and by the house there I saw the agent. He took the unfortunate tenant and thrun him in the road, and I saw the man’s wife come out crying and the agent’s wife thrun her in the channel, and when I saw that, though I was but a child, I swore I’d be also der Oberschicht zugehörige Pächter war im irischen Bewusstsein omnipräsent, wurde aber, wie bereits an anderer Stelle der Arbeit ausgeführt, im Bild selten verhandelt. Yeats’ Darstellung stellt also insofern eine Besonderheit und Weiterentwicklung des Themas dar, als es eine tatsächliche Vertreibung visualisiert. 149 McGuinness 1992, S. 33.

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Abb. 57 John M. Synge, After Eviction, Middle Island, 1898 – 1905, Fotografie.

a Nationalist. I swore by heaven, and I swore by hell and all the rivers that run through them.«150

Ebenjenes Kind, das die Vertreibung mit eigenen Augen gesehen und sich geschworen hatte, zum Nationalisten heranzuwachsen, scheint Yeats in seinem Blatt mit aufgenom­men zu haben. So platzierte er im linken Vordergrund ein blondes Mädchen in rotem Kleid, eine Figur, deren Kleidung und Haltung er annähernd Synges Aufnahme des Storytellers entlehnte.151 In seiner Bezeugung des Vorgangs fungiert das Kind in der Illustration offenkundig als Symbol der Unschuld und Reinheit, womit es den Unterschied zwischen den feisten Polizisten und den ›edlen­‹ Insulanern zusätzlich unterstreicht. Durch die Hinzufügung der Ordnungsmacht und des Mädchens wich der Maler grundlegend von Synges Fotografie desselben Themas ab, in der der Schriftsteller lediglich die Einheimischen nach der Vertreibung eingefangen hatte (Abb. 57). Die dichotome Bildstruktur stellt für die Betrachtenden deutlich die Personengruppen heraus, mit denen sie sich negativ oder positiv zu identifizieren haben. Dem Kind kommt hierbei die tragende Rolle zu, den Kolonisatoren, in Gestalt der Polizisten, sinnbildlich als zukünftiges, freies Irland entgegenzutreten. Yeats bezog in seiner Ausformulierung des Sujets als politisch motivierter Künstler Stellung, indem er das anklagende Kind zur Identifikationsfigur für die Betrachtenden machte, die darüber einen emphatischen Zugang zum Gezeigten erhalten. Basierend auf dieser Lesart wird deutlich, dass den Darstellungen der Aran Islands eine spezifische Agentialität, eine bestimmte Handlungsmacht zukommt, die sich auf 150 Yeats 1911, S. 41. 151 John M. Synge, Storyteller Twisting Sugawn, 1898 – 1905, Fotografie, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/14/6.

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das Publikum übertragen kann und soll. Voraussetzung für diese Überlegung ist, dass Yeats die den Blättern innewohnende dramatische Wirkung für einen Rezi­pien­t:in­ nenkreis inszenierte, der sich mit dem präsentierten westirischen Personal verbunden fühlte oder, wie Gotthold Ephraim Lessing es in seiner Hamburgischen Dramaturgie formulierte, »von gleichem Schrot und Korne«152 war. Ich plädiere daher dafür, die Grafiken aufgrund ihrer von ihnen ausgehenden gefühlsmäßigen Wirkung als bildmächtige Zeugnisse zu verstehen, die im Zuge der Betrachtung ein agentielles Potenzial entfalten, das sowohl auf kognitiver als auch auf emotionaler Ebene zum Tragen kommt.153 Yeats’ Bilder sind demgemäß als Träger affektiver Ausdrücke zu deuten, die seiner eigenen Emotionalität entsprangen und sich zugleich an ein affiziertes und noch zu affizierendes Publikum richteten. Die Illustrationen werfen eben keinen realen, sondern einen romantisierenden Blick aus der Ferne auf ein qua visueller Wirkmacht zu entwerfendes Irland. Bezeichnenderweise schrieb Yeats am 7. September 1906 an John Quinn  : You say I miss a lot not being in Ireland. I don’t think I miss much from a financial point of view but I know I miss lots of joy of life, it’s a queer thing to live in an alien country. – But I wouldn’t give a […] to live in Dublin. I would want to be somewhere in the west and by the sea.154

Dieses Zitat liefert gewissermaßen die clavis interpretandi zu den Arbeiten, die erst vor dem Hintergrund von Yeats’ eigener euphorischer Haltung in Gänze zu verstehen sind, werden die Kultur und die Lebensweise des Westens doch in den Blättern als vorbildhaft für das künftige Land entworfen. Konsequenterweise implementierte der Künstler in seinen Arbeiten, unter Bezugnahme auf universell gültige Gebärden, eine genuine und an das Gefühl gerichtete Bildlichkeit, die, auch losgelöst von Synges Text, ein starkes Potenzial für die nationale Selbstfindung lieferte und damit im Sinne einer kulturellen Transformation den ideellen Weg zur Unabhängigkeit mitbestimmte. 4.1.4 Yeats, Hokusai und Degas. Der irische Westen als globaler Ort In seinem Bericht über die Aran Islands erinnert sich Synge an ein Gespräch mit einem ehemaligen Hafenlotsen. Jener Austausch über die internationale Atmosphäre in Hafenstädten habe sich zu einem »great talk […] about Germans, and Italians, and Russians […]«155 entsponnen. Diese Episode offenbart das enge Aufeinandertreffen hei152 Lessing 1973, S. 580. 153 Zur Diskussion der Agentialität von Bildern siehe etwa Bredekamp 2015, S. 60  ; Belting 2007  ; Böhm 2018 oder Grave 2020. 154 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 7. September 1906, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 155 Synge 1907, S. 180.

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mischer und fremder Kosmen in Küstenregionen. Auch für Yeats lässt sich das Gefühl einer konstanten Verbindung und Durchlässigkeit zwischen den diversen Kulturen bereits seit seiner frühen Kindheit fassen. Immer wieder finden sich in seinen Arbeiten Reflexionen jener Erzählungen, die die in Sligo an Land gegangenen Seemänner aus anderen Regionen der Welt mitbrachten.156 Diese schon früh ausgeprägte nautische Annäherung an die Welt lässt sich meines Erachtens auch auf Yeats’ künstlerische Praxis übertragen, die von einer steten Auseinander­ setzung mit unterschiedlichsten Orten und visuellen Phänomenen geprägt war. Bei der Herausbildung seiner eigenen Bildsprache griff er wiederholt auf sein ausgeprägtes Bildwissen zurück, wobei er bekannte Motive nicht einfach nur kopierte, sondern neu konfigurierte und spezifischen Übersetzungsvorgängen unterwarf. Mit dieser These möchte ich Monica Junejas Überlegungen zu transkulturellen Perspektiven, die sie für eine globale Kunstgeschichte formuliert hat, auf peripher wahrgenommene Kunsträume in Europa übertragen.157 Schließlich war und ist auch das Sprechen über die irische Kunst, die von dem britischen Kunsthistoriker Kenneth Clark noch 1942 »on the outer rim of European painting«158 verortet wurde, von Ausklammerungsprozessen betroffen, die einen ­Ausschluss aus der modernen (westlich geprägten) Kanonbildung zur Folge hatten. Für die interne und externe Rezeption von Yeats’ Schaffen bedeutete dies eine lang andauernde Negation fremder Impulse. Diese einseitige Ausrichtung unterlag erst seit den 1980er Jahren einem Wandel, einer Zeit, in der innerhalb der irischen Kunstgeschichte sukzessive ein Bewusstsein für die Auseinandersetzung des Künstlers mit der Moderne einsetzte.159 Dennoch konstatierte Arnold auch noch 2008, dass die Aufarbeitung der künstlerischen Bezugnahmen ein grundsätzliches Desiderat darstellen würde.160 Tatsächlich fehlen bis dato Einzelanalysen, die am konkreten Beispiel diesen künstlerischen Transferprozessen nachgehen, eine Fehlstelle, der ich im Folgenden anhand von close readings ausgewählter Werke begegnen möchte. In diesem Kontext soll zudem untersucht werden, wie die Vorbilder im Zuge der persönlichen Aneignung in einen irischen Kontext transponiert wurden.

156 Siehe etwa A Broadside  : Theodore to His Grandson, Nr. 8, Januar 1909, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/24/1/2/5 oder Yeats 1930  ; noch 1949 nahm die Evening Mail darauf Bezug, indem sie Yeats’ Vorliebe für Sligoer Themen herausstellte  : »For, to Sligo came the men of the sea with tales of the outer world«, Evening Mail  : Women’s Feature. Fashion and Gossip, 7. Oktober 1949, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 157 Vgl. Juneja 2012. 158 Clark 1942b, S. 42. 159 Wurden diese Impulse in der Yeats-Forschung lange Zeit ausgeblendet, fand mit der Magisterarbeit von Halpin eine erste Aufarbeitung der Einflussnahme der Moderne statt, siehe Halpin 1986  ; auch Booth 1991 nahm die Impulse des französischen Impressionismus auf Yeats’ Werk in den Blick. 160 Vgl. Arnold 2008, S. 53.

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Ansichten des irischen Westens. Yeats’ Referenz auf Hokusai

Yeats’ frühe Arbeiten sind, wie ich behaupte, von einer intensiven Auseinandersetzung mit asiatischer Kunst bestimmt, eine Bezugnahme, die in der bisherigen Forschungsliteratur unbemerkt geblieben ist.161 Mit der erzwungenen handelspolitischen Öffnung der japanischen Häfen durch die amerikanische Flotte sowie durch die Modernisierung des Landes während der Meiji-Ära war die fernöstliche Bildwelt dem Westen seit 1854 zugänglich geworden.162 Wie viele andere Künstler:innen, darunter Degas, van Gogh, Whistler oder Aubrey Beardsley (1872 – 98), begeisterte sich auch Yeats für die japanische Kunst und machte sie für seine eigenen Arbeiten nutzbar. Das Phänomen des Japonismus hatte in Frankreich seinen Ausgang genommen, wo die Faszination für die fernöstliche Ästhetik insbesondere unter den Impressionist:innen ausgeprägt war.163 Zu Yeats’ Londoner Studienzeiten hatte sich der Japonismus durch Whistlers Vermittlung allerdings auch in England etabliert, wobei das bildliche Anschauungsmaterial sowohl in Magazinen als auch in den entstehenden, öffentlich zugänglichen GrafikSammlungen des British Museum oder des South Kensington Museum einsehbar war.164 Darüber hinaus erwarb Yeats sukzessive eine eigene Japansammlung  ; neben einem Kompendium aus asiatischen Druckgrafiken hat sich in seiner Bibliothek eine illustrierte Monografie zu japanischen Künstlern erhalten.165 Des Weiteren besuchte er japanische Thea­terstücke, etwa jene, die als Teil einer europaweiten Tournee im Londoner Shaftesbury Theatre aufgeführt wurden. 1901 sah er dort die Aufführung The Geisha and the Knight, ein modernes Drama unter der Leitung des Schauspielers und Prinzipals Otojirō Kawakami (1864 – 1911), das im Anschluss an Loïe Fullers (1862 – 1928) Tanzaufführungen präsentiert wurde. Fuller trat hierbei als Agentin des populären KawakamiEnsembles auf und ergänzte ihren Schleiertanz gezielt mit dem ›exotisch‹ anmutenden 161 Lediglich Pyle bemerkte hinsichtlich dreier früher Grafiken, die japanische Schauspieler zeigen, dass Yeats ein »passing interest in the Japanese print […] and Japanese drama« gehabt habe. Sie verfolgte dieses vermeintlich flüchtige Interesse in ihren Untersuchungen jedoch nicht weiter. – Vgl. Pyle 1993a, S. 108. 162 Vgl. Budde 1993, S. 164. Die Meiji-Ära dauerte von 1868 bis 1912. 163 Der Begriff des Japonismus wurde von dem französischen Kunstkritiker und Sammler Philippe Burty (1830 – 90) durch seine ab 1872 in der Zeitschrift La Renaissance littéraire et artistique erschienene Titelreihe Japonisme geprägt, die sich dem Phänomen der Japanbegeisterung in der Kunst und Mode widmete. – Vgl. Budde 2011, S. 27. Auch in Skandinavien war der Japonismus verbreitet und wurde etwa von Edvard Munch aufgegriffen. – Vgl. Benesch 2018, S. 10. 164 Vgl. Gertner Zatlin 1997, S. 12 f.; Gertner Zatlin 2006, S. 155 – 158. Whistler lebte ab 1859 in Paris und London und machte das britische Publikum mit den ästhetischen Prinzipien des Japonismus vertraut. Mit den fremden Bildentwürfen stieß er allerdings überwiegend auf Ablehnung. 165 In Yeats’ Sammlung von Bildreproduktionen finden sich mehrere japanische Druckgrafiken sowie das Buch von Edward Fairbrother Strange  : The Colour Prints of Japan. An Appreciation and History, London 1904, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/75. Whistler und Degas gehörten zu den ersten Künstlern, die sich eine Japansammlung anlegten. – Vgl. Däubler-Hauschke 2009, S. 10 ff.

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Abb. 58 Jack B. Yeats, Japanese Pirate, 1901, Aquarell, 370 × 240 mm, Privatbesitz.

Shimpa-Theater (Shimpa = Neue Schule). Jene kulturelle Gegenüberstellung sicherte den Vorstellungen hohe Zuschauerzahlen und finanziellen Erfolg. Seinen Besuch des Stückes dokumentierte Yeats in einem Skizzenbuch, wobei es bemerkenswert ist, dass er lediglich die Darbietungen der Kawakami-Truppe festhielt, nicht aber den zur damaligen Zeit von vielen Künstlerinnen und Künstlern gefeierten modernen Tanz Loïe Fullers.166 Yeats’ Begeisterung schlug sich zudem in drei Aquarellen aus demselben Jahr nieder.167 Darin haben sich die jeweiligen, mit mehreren Schwertern bewaffneten Protagonisten 166 Vgl. Pyle 1993a, Nr. 367, 368 und 368a, S. 108  ; SK 34  : London, Bacon and Crossland, Loi Fuller, Japanese Play, Juli 1901, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/34  ; für das Theaterstück und die Zusammenarbeit mit Fuller, die bereits 1900 in Paris begonnen hatte, siehe Anderson 2011, Bd. 1, S. 483 – 500  ; Fullers Schleiertanz wurde etwa von Henri de ToulouseLautrec (1864 – 1901) eingefangen, aber auch von dem Wiener Werkstätte-Künstler Koloman Moser (1868 – 1918) oder dem italienischen Futuristen Giacomo Balla (1871 – 1951). 167 Die Blätter sind in Pyle 1993a, S. 108 erwähnt  ; ähnliche Transformationen finden sich auch bei dem böhmischen Maler und Grafiker Emil Orlik (1870 – 1932), der in Kyoto und Berlin ebenfalls Kawakamis Aufführungen gesehen hatte und diese in der Folge für seine Exlibris sowie seine Bühnenbildentwürfe für Max Reinhardts (1873 – 1943) Berliner Kammerspiele einsetzte. – Vgl. Ahrens 2001, S. 64 – 67.

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in Stellung gebracht haben, um kampfbereit die im Hintergrund lauernden Gegner zu erwarten oder die Unterwerfung eines Besiegten zur Kenntnis zu nehmen (Abb. 58).168 Yeats’ Beschriftung der Arbeiten zufolge handelt es sich bei den Kämpfern um japanische Piraten, die mit typischen Attributen der Samurai dargestellt werden. Damit präsentieren die Blätter eine hybride Mischung aus Yeats’ eigener, von Seefahrerfantasien geprägten Kindheitswelt und dem Bilderkosmos japanischer Holzschnitte und Theaterstücke. Auch hinsichtlich der Positionierung von Inschrift und Signatur hat der Künstler auf fernöstliche Vorbilder Bezug genommen. So verlaufen die englischen Buchstaben um 90 Grad gekippt senkrecht, was auf die traditionelle Anordnung japanischer Schriftzeichen rekurriert und ihnen eine entsprechende Anmutung verleiht. Das zusätzlich angebrachte Stempelzeichen vollendet diesen Eindruck und belegt Yeats’ Studium asiatischer Vorlagen. Doch wie übertrug Yeats die asiatische Bildlichkeit in seine eigenen visuellen Konzepte, und wozu diente ihm die Orientierung an einer fernöstlichen Ästhetik  ? Als erste Annäherung an diese Frage kann der Eindruck dienen, den japanische Stücke bei Yeats’ älterem Bruder W. B. hinterließen. Denn bemerkenswerterweise erinnerten ihn die asiatischen Dramen des Nô-Theaters in ihren geisterhaften Bezügen an szenische Verarbeitungen der westirischen Lebenswelt  : »[…] and the ghost-lovers in Nishi-kigi remind me of the Aran boy and girl who in Lady Gregory’s story come to the priest after death to be married.«169 Auch Jack B. Yeats setzte Japan und Irland in Beziehung zueinander, verwies dabei aber weniger auf deren fantastische Momente und den Jenseitsbezug als vielmehr auf die spezifische, auf Diesseitigkeit ausgerichtete Genremotivik. Dass die japanischen Einflüsse in seinem Werk früh bemerkt wurden, zeigt ein 1899 im Morning Leader veröffentlichter Kommentar  : »Like many other artists he has learned something from Japanese prints.«170 Worauf der Rezensent verwiesen haben könnte, sind die von Yeats’ eingesetzten leeren Räume, die in den Schwarz-Weiß-Illustrationen der Congested Dis­ tricts, wie The Ferryman of Dinish Island oder The Kelp Makers (Abb. 53) besonders präsent sind.171 Auch der flächige, kontrastreiche Charakter sowie der Verzicht auf Schatten erinnern an die Tradition der japanischen Farbholzschnitte, der Ukiyo-e, die Yeats nicht nur wegen der reduzierten Formensprache, sondern mutmaßlich auch wegen der selbstbewussten Behandlung alltäglicher Sujets imponiert haben müssen. Ebenso scheint die konsequente Zusammenführung von Alltagsszenen und Landschaftsdarstellungen für ihn eine wichtige Quelle der Inspiration gewesen zu sein. Demgemäß fügte er in der Illustration The Kelp Makers, die das Sammeln von Seetang an der Küste zeigt, nur wenige Figuren in eine von Meer und Himmel dominierte Komposition ein. 168 Zum Siegreichen siehe Jack B. Yeats, Japanese Pirate, 1901, Aquarell, 160 × 111 mm, Privatbesitz. 169 Yeats 1916, S. 232. 170 Morning Leader, Februar 1899, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 171 Jack B. Yeats, The Ferryman of Dinish Island, Illustration für den Manchester Guardian, 21. Juni 1905.

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Abb. 59 Katsushika Hokusai, Sundai in Edo (36 Ansichten des Berges Fuji), um 1830, Farbholzschnitt.

Die Elemente sind dabei lediglich als abstrahierte, hintereinander gestaffelte Flächen aufgefasst, die nur durch den Einsatz reduzierter Konturen überhaupt Gestalt annehmen. Es liegt nahe, dass sich Yeats hinsichtlich seiner Bildfindungen vor allem auf die Holzschnitte Katsushika Hokusais (1760 – 1849) bezog, hegte er doch, wie aus seiner Sammlung hervorgeht, eine besondere Affinität für den japanischen Meister.172 So erinnern Yeats’ westirische Entwürfe formal zunächst an Hokusais Anfang der 1830er Jahre veröffentlichte Serie der 36 Ansichten des Berges Fuji, wobei sich The Kelp Makers an der Anordnung der arbeitenden Menschen im Vordergrund von Sundai in Edo zu orientieren scheint (vgl. Abb. 53 und 59). In beiden Blättern stechen die vereinzelt dargestellten Figuren,173 die unterschiedlichen Verrichtungen nachgehen, aus der sie 172 In Yeats’ Bibliothek finden sich folgende Bücher zu Hokusai  : Katsushika Hokusai  : An Album of True Paintings Copied from Hokusai, Tokyo 1892, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/69  ; Katsushika Hokusai  : Hokusai. His Cartoons, Bd. II, ca. 1879, Y1/JY/24/1/6/70. Darüber hinaus ist neben den illustrierten Büchern auch das Blatt Kajikazawa in der Kai Provinz aus Hokusais Anfang der 1830er Jahre veröffentlichter Serie 36 Ansichten des Berges Fuji Teil seines Archives, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/15/1/10  ; mit dieser Faszination fügte sich Yeats in eine Welle der HokusaiBegeisterung ein, verkörperte der Japaner doch für viele die japanische Kunst überhaupt. – Vgl. Budde 2011, S. 25  ; weiterführend zur Hokusai-Rezeption außerhalb Japans siehe auch Calza 2003, S. 399 ff. 173 In Hokusais Grafik sind Reisende und Pilger, fliegende Händler und ein von Dienern begleiteter

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umgebenden Landschaft heraus. Und wie in der Darstellung des Japaners verliert sich auch in der irischen Grafik die Kleinteiligkeit der Details beinahe in der Leere der Flächen, einer Leere, die sich im irischen Kontext als symbolischer und künstlerischer Freiraum interpretieren lässt. Besonders augenfällig sind die Übernahmen aus Hokusais Bildrepertoire in A FourOared Curagh, einer weiteren Illustration zu Synges Aran Islands (Abb. 41). Für das im Hochformat angelegte Blatt, das vier mit dem Meer kämpfende Männer in einem Ruderboot zeigt, griff Yeats offenkundig auf den berühmten und zu dieser Zeit häufig rezipierten Holzschnitt der Großen Welle vor Kanagawa zurück.174 Allerdings werden die Seemänner, anders als bei Hokusai, nicht von einer übermächtigen Welle, sondern von einer offenen, unruhigen See bedroht. Die von der Natur ausgehende Gefahr wird durch die Komposition der Grafik unterstützt. So wird das Curagh auf einer von rechts unten ausgehenden Bilddiagonale in Schräglage präsentiert, wodurch es gegenüber der waagerechten Horizontlinie instabil erscheint. Zudem ist das nahansichtige Boot bei Yeats ins Zentrum gerückt. Mit dieser Entscheidung und der detaillierten Darstellung der Ruderer wird das Schicksal der Männer deutlicher zum Thema gemacht als in der japanischen Vorlage. Indem der Künstler das Boot zudem nur angeschnitten zeigt, wird der Szene zugleich eine zeitliche, auf den Moment konzentrierte Dimension eingeschrieben, die neben der formalen auch als kunsttheoretische Referenz auf die Bedeutung der Ukiyo-e gedeutet werden kann. Schließlich sind die Farbholzschnitte dem Namen nach als Bilder der fließenden Welt, also als Momentaufnahmen, zu verstehen.175 Yeats’ Rückgriff auf die modernen Bildprinzipien, die sowohl in den Sujets als auch in der spontan anmutenden Ästhetik zum Ausdruck kommen, kann dabei als implizite Ablehnung der englischen akademischen Maltradition verstanden werden. Immerhin griff er für seine Landschaftsdarstellungen nicht auf deren etablierte Schemata zurück. Stattdessen näherte er sich der Darstellung des irischen Westens unter Bezugnahme auf die japanische Bildtradition des Alltäglichen. Indem er sich auf rurale Themen beschränkte, unterschied er sich von anderen Künstler:innen, die sich auf die Darstellung städtischer Sujets konzentrierten, womit er auch im Kontext des Japonismus eigene Wege beschritt.176 Samurai zu sehen, die vor dem Fluss Sumida zusammenkommen. – Vgl. Bouquillard 2007, S. 24. 174 Katsushika Hokusai, Große Welle vor Kanagawa (36 Ansichten des Berges Fuji), um 1830, Farbholzschnitt. 175 Vgl. Budde 2011, S. 27. Ukyo bedeutet fließend, vergänglich, e Bild. Die in Japan teilweise eher gering geschätzten preiswerten Holzschnitte griffen Alltagssujets auf, etwa Theater-, Ringkampfoder Prostitutionsszenen, verarbeiteten aber auch Landschaften  ; in Europa kam es bald zu einem explosionsartigen Import von Japonaiserien, die als Massenwaren in Läden verkauft wurden. Parallel dazu beeinflussten die japanischen Bildprinzipien die avantgardistischen Strömungen der Kunst. – Vgl. Friborg 2018, S. 53 – 55. 176 Als britisches Beispiel ist hier etwa Aubrey Beardsley zu nennen. Zu seiner Rezeption japanischer Vorbilder siehe die grundlegende Analyse von Gertner Zatlin 1997  ; für die französische Moderne lässt sich Félix Valloton aufführen, der zum Beispiel in seinem 1893 entstandenen,

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Abb. 60 Brief Jack B. Yeats an John Quinn, 10. Juli 1911, New York Public Library, Berg Collection.

Hokusais Serie der 36 Ansichten des Berges Fuji, die die Landschaft als autonomes Sujet in den Blick nimmt,177 muss sich für Yeats darüber hinaus nicht nur formal, sondern auch inhaltlich als paradigmatisch erwiesen haben, da sie ihm geeignete Vorlagen für die Verknüpfung von Landschaft und menschlichem Dasein lieferte. Während in Hokusais Serie der Berg Fuji als ständig wiederkehrendes Element auftaucht, sind es in Yeats’ Ansichten des Westens die markanten Motive des Atlantiks und der weiten, hügeligen Landschaft, die den symbolträchtigen Eindruck der Darstellungen evozieren. Dass sich der Maler bewusst zu Hokusai ins Verhältnis setzte, wird letztlich aus einem Brief des Iren an Quinn vom 10. Juli 1911 ersichtlich. Darin beschrieb Yeats den Blick aus dem Fenster seines Ateliers, der direkt auf den Berg des Great Sugar Loaf in den Wicklow Mountains gerichtet ist  : »We [Yeats und seine Frau, Verf.] see the sugar loaf […] from our window, the top of it sticking up into the evening air like Foocheyama [sic] in the Japanese prints.« Zwischen den Zeilen findet sich zudem eine Zeichnung, die den Pfeife rauchenden Künstler vor der beschriebenen ostirischen Kulisse zeigt (Abb. 60), versehen mit der Bildunterschrift  : »Romantic drawing of an artist contem250 × 323 mm messenden Holzschnitt Le Bon Marché, für die Wiedergabe einer Menschenmenge in einem Einkaufsmarkt auf japanische Bildprinzien zurückgriff. 177 Vgl. Bouquillard 2007, S. 7 – 13.

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plating a mountain.«178 Mit Wort und Text bekundete er auf spielerische Weise seine Leidenschaft für fernöstliche Bildprinzipien, die er auf seine eigenen Arbeiten zu übertragen suchte. Die Tatsache, dass sich Yeats selbst als Porträt in die japonisierte Variante der ostirischen Szenerie eingeschrieben hat, unterstreicht seine tiefe Verbundenheit mit der Kunst Asiens. Mittels der Methode der aufgezeigten Interferenz zwischen Ost und West gelang es dem Maler, das ländliche Geschehen Irlands als nationales Sujet salonfähig zu machen. Darüber hinaus bot ihm der Rückgriff auf japanische Vorlagen die Möglichkeit, sich mit eigenen Bildfindungen in der Moderne zu verorten. Die lokale Bildproduktion wird somit erst durch die Berücksichtigung globaler Kontexte und durch die Mechanismen der spezifischen Übersetzungsvorgänge verständlich. Mittels dieses transkulturellen Zugangs werden auch Yeats’ selbstreferenzielle Bezugnahmen deutlich, die neben dem Brief auch in der Grafik A Japanese Toy in Mayo zum Ausdruck kommen.179 Die Illustration erschien 1912 als Teil des Buches Life in the West of Ireland. Darin abgebildet sind drei Kinder, die auf einer beidseitig von Häusern gesäumten leeren Straße mit einer japanischen Handpuppe spielen. Erstaunt und mit großer Freude wenden sie sich dem Spielzeug zu, das augenscheinlich aus einer ihnen fremden Welt stammt. Dies deuten zumindest der Zeigegestus des rechts angeordneten Jungen und der verwunderte Gesichtsausdruck des mittig stehenden Kindes an, denen die Puppe von ihrem Spielkameraden präsentiert wird. Übertragen auf eine kindliche Perspektive vermittelt uns der Künstler hier seine eigene Faszination für den Transfer zwischen den Welten, eine Interferenz, die er wiederholt als typisches Merkmal des irischen Westens herausstellte. Yeats und Degas

Die vorgenannten Überlegungen lassen sich in ähnlicher Weise auch auf Yeats’ Rezeption des französischen Impressionismus anwenden, mit dem er mittelbar bereits während seines Studiums unter Prof. Brown an der Westminster School of Art (1890 – 94) in Berührung gekommen war, bevor er über die Rezeption der Werke Whistlers und Sickerts – Sickert gehörte wie Brown zu den London Impressionists – weitere Impulse erhielt.180 Obwohl es in der Literatur keine Erwähnung findet, liegt es nahe, dass Yeats während seiner Ausbildung die im April 1893 in London ausgerichtete Ausstellung französischer Impressionist:innen gesehen hat, in der unter anderem Werke Degas’, Berthe Morisots (1841 – 95) und Claude Monets (1840 – 1926) gezeigt wurden. Bis zur wegweisenden, 1910 von Roger Fry ausgerichteten Ausstellung Manet and the Post-Im­ pressionists handelte es sich bei der Präsentation um die größte Werkschau französischer Impressionist:innen in Großbritannien.181 Dass sich Yeats nachweislich mit Werken 178 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 10. Juli 1911, NYPL, Foster-Murphy collection, Box 12, NYPL. 179 Jack B. Yeats, A Japanese Toy in Mayo, Illustration aus Life in the West of Ireland, 1912. 180 Vgl. Gruetzner Robins 1995, S. 87 ff. 181 Vgl. Gruetzner Robins 1999, S. 47.

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französischer Impressionist:innen befasste, belegt seine Lektüre der von George Clausen 1904 publizierten Six Lectures on Painting.182 In dem darin enthaltenen Kapitel Realism and Impressionism wird neben Whistler auch Degas positiv hervorgehoben und mit den von Clausen verehrten japanischen Bildern auf eine Stufe gestellt.183 Im Zuge seiner 1899 unternommenen Parisreise muss der Ire zudem auch in situ mit Originalen in Berührung gekommen sein. Daraus, dass seine Pariser Skizzen nur Alltagsszenen umfassen, lässt sich zumindest kaum schließen, dass sich der vielseitig interessierte Yeats nicht dem pulsierenden Pariser Kunstleben gewidmet hat  ;184 immerhin hielt er in seinen zahlreichen Skizzenbüchern kaum Ausstellungsbesuche fest. Darüber hinaus hatte er neben England und Frankreich auch in Irland Gelegenheit, Werke französischer Impressionist:innen zu sehen. So ist belegt, dass Yeats die Sammlung der 1908 von Hugh Lane in Dublin eröffneten Municipal Gallery of Modern Art in der Harcourt Street kannte, die ein Panorama moderner Kunst präsentierte.185 Zu den dort gezeigten Werken gehörten auch Arbeiten von Pierre-Auguste Renoir (1841 – 1919) und Degas, die Hugh Lane zuvor von Paul Durand-Ruel (1831 – 1922) erworben hatte.186 In Yeats’ Frühwerk sind die Impulse der französischen Motive und Malweise denn auch deutlich spürbar, wobei sich der Maler offenbar bevorzugt an Degas orientierte, was vor allem seine Darstellungen von Pferderennen zeigen.187 Bemerkenswerterweise hielt Pyle die konkrete Bezugnahme auf Degas’ Arbeiten für ausgeschlossen und beschrieb Ähnlichkeiten als »incidental«188. Allerdings sind die motivischen und technischen Anleihen so klar erkennbar, dass kaum von einer lediglich zufälligen Übereinstimmung auszugehen ist. Bereits für das 1905 entstandene querformatige Aquarell Only Two in It ist die intensive Auseinandersetzung mit Degas zu benennen. Das Blatt, das die traditionellen irischen Strandrennen zum Thema hat, zeigt zwei Jockeys, die sich kurz vor der Zielgeraden ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.189 Im Hintergrund sind, weit abgeschlagen, zwei weitere Reiter auszumachen. Die Zuschauenden werden durch die angeschnittene Perspektive im Vordergrund direkt in das rasante Geschehen eingebunden. Der Eindruck der Unmittelbarkeit wird noch dadurch verstärkt, dass der Blick des blau 182 Vgl. BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1. Das Buch befindet sich heute nicht mehr in der Archivbibliothek des Künstlers, weshalb es von der Literatur bis dato nicht erwähnt wurde. 183 Vgl. Clausen 1904, S. 130 f. 184 SK 21  : Circus. Paris, Strete, Barnum, Juni 1899, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/21. 185 Vgl. MacGreevy 1965, o. S. Die Hugh Lane-Sammlung befindet sich heute in Dublin und London. 186 Vgl. Foster 2008, S. 19 187 Zu Degas’ zahlreichen Darstellungen von Pferden und Pferderennen siehe Ausst.-Kat. Washington 1998. 188 Pyle 1989, S. 107. 189 Jack B. Yeats, Only Two in It, 1905, Aquarell, 260 × 360 mm, Privatbesitz.

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gekleideten Jockeys direkt auf die Betrachtenden gerichtet ist. Es handelt sich um eine Adressierung, die sich auch für den Protagonisten des 1912 entstandenen Gemäldes Strand Races (Races on the Strand) konstatieren lässt.190 Als Sportillustrator in London war der sportaffine Yeats bereits in den 1890er Jahren mit Pferderennen und Reitern in Kontakt gekommen, die er für Magazine wie den Ariel oder Paddock Life porträtiert hatte.191 In Only Two in It wird das urbane Sujet aus der Großstadthektik in eine ländliche Umgebung überführt. In diesem Zusammenhang galt Yeats’ Interesse nicht nur dem Rennen selbst, sondern auch der in einen weiten Himmel übergehenden Strandszenerie, die von einer bergigen Landschaft hinterfangen wird. In seiner Auffassung unterscheidet sich das Werk von jenen des französischen Malers, der seine Reiter stets mitten im Bild und vor einem hoch ansetzenden Horizont präsentierte. Bei Yeats dagegen wird die Landschaft zum wichtigen Bestandteil, wofür sich der Künstler einmal mehr an der Gestaltung japanischer Vorbilder orientierte. Die von Clausen formulierte gegenseitige Durchdringung der westlichen und fernöstlichen Bildprinzipien in Whistlers und Degas’ Arbeiten lässt sich demzufolge auch auf Yeats übertragen  : The two schools [die moderne europäische und die japanische, Verf.] do not agree, and one would say that it is impossible to combine their points of view, were it not for the work of Whistler and Degas. […] the work of Degas shows the same influence of unexpectedness of its arrangements and its decorative balance and spacing.192

Es ist jene Interdependenz, von der auch Yeats’ Aquarell kennzeichnet ist, findet sich darin doch Hokusais Landschaftsauffassung mit Degas’ impressionistischer »un­ex­pec­ tedness«193 verknüpft, wobei beide Aspekte in einem westirischen Setting neu konfiguriert werden. Dass Yeats Degas’ Arbeiten kannte und bewusst referenzierte, wird neben den motivischen und stilistischen Übernahmen auch durch die von ihm gewählten Bildtitel nahegelegt. So ist die Benennung des 1915 entstandenen Gemäldes dreier Jockeys mit Before the Start als unmissverständlicher Verweis zu verstehen. Yeats nahm damit offenkundig auf Degas’ Arbeiten desselben Themas Bezug, möglicherweise sogar auf zwei in London ausgestellte Werke, die er dort selbst gesehen haben könnte. Eines der Gemälde wurde 1905 in den Grafton Galleries unter dem Titel At the Races. Before the Start (Abb. 61), das andere 1908 in der New Gallery unter dem Namen Before the Race gezeigt.194 Durch 190 Jack B. Yeats, Strand Races (Races on the Strand), 1912, Öl auf Leinwand, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz. 191 Vgl. Pyle 1989, S. 32 ff. 192 Clausen 1904, S. 130 f. 193 Clausen 1904, S. 131. 194 Edgar Degas, Before the Race, 1882 – 88, Öl auf Papier, 29 × 46 cm, Collection of Mrs. John Hay Whitney. Zur Ausstellungshistorie siehe Ausst.-Kat. Washington 1998, S. 255, Nr. 72 und S. 258, Nr. 94. At The Races  : Before the Start (1885 – 92) wurde von Januar bis Februar 1905 in

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Abb. 61 Edgar Degas, At the Races. Before the Start, 1885 – 92, Öl auf Leinwand, 40 × 90 cm, Richmond, ­Virginia Museum of Fine Arts.

die Wahl des Titels könnte Yeats beabsichtigt haben, seine Positionierung als irischer Maler innerhalb einer international vernetzten Moderne aufzuzeigen.195 Im Unterschied zu Degas, dessen Kompositionen meist einen größeren Informationsumfang bieten, sticht Yeats’ Before the Start durch die flächige Gestaltung des tief ansetzenden Himmels hervor, die, wie auch die umrissartige Gestaltung der Figuren, einmal mehr an japanische Holzschnitte erinnert (Abb. 62). Darüber hinaus aber enthält das 1915 entstandene Ölgemälde zahlreiche Anlehnungen an den Franzosen. Dies gilt zuallererst für die hintereinander gestaffelte Reitergruppe, die in beiden Arbeiten Degas’ präsent ist und bei Yeats zum Hauptmotiv verdichtet wird. Beiden Künstlern gemein ist zudem die Beschneidung des Bildraumes. Allerdings wird bei Yeats, anders als in Degas’ At the Races. Before the Start, die Komposition auch im Vordergrund beschnitten, wodurch die Momentaneität der Szene stärker betont wird. Lokale Verortung des Globalen

Obwohl Yeats’ künstlerische Bearbeitung des Themas erneut erkennbar an das globale Kunstgeschehen anknüpft, ist seine Ausarbeitung dennoch als äußerst eigenständig zu bewerten. Zudem fällt auf, dass der Künstler für Before the Start mit seiner eigenen Darstellungstradition gebrochen hat. Schließlich wird das Sujet in seinen zahlreichen den Grafton Galleries in der Ausstellung Pictures by Boudin, Cézanne, Degas, Manet, Monet, Mo­ risot, Pissarro, Renoir, Sisley gezeigt. Das zwischen 1882 und 1888 entstandene Gemälde Before the Race war 1908 in der Eighth Exhibition of the International Society of Sculptors, Painters and Engravers in der New Gallery zu sehen. 195 Bezeichnenderweise wurde sein Gemälde Before the Start, das ab 1915 regelmäßig in irischen und englischen Expositionen zu sehen war, 1918 ebenfalls in den Londoner Grafton Galleries ausgestellt. – Vgl. Pyle 1986a, S. 40.

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Abb. 62 Jack B. Yeats, Before the Start, 1915, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

grafischen Variationen jeweils dynamischer aufgefasst, wobei stets der Moment des Rennens selbst und die zentralen Aspekte des Gewinnens oder Verlierens präsentiert werden (Abb. 62). Auch das nur drei Jahre früher entstandene Strand Races (Races on the Strand) hält, obgleich es lediglich einen einzelnen Jockey zeigt, den Reiter noch im Augenblick des schnellen Galopps fest. All diesen Sujets ist gemein, dass sie auf Yeats’ Leidenschaft für Pferde referieren, die, wie er selbst einmal meinte, während seiner Kindheit in Sligo entfacht wurde  : »The foundation of everything I paint is Sligo, and Sligo horses were the background to everything, everyone thought in terms of horses […].«196 Dementsprechend vermitteln die meisten seiner Rennszenen eine Leichtigkeit, die offensichtlich Hand in Hand geht mit einer gewissen kindlichen Romantisierung des Themas. Insofern irritiert es, dass Before the Start durch seine ausdrückliche Ernsthaftigkeit hervorsticht. Darüber hinaus sind auch für die übrigen Bildelemente Abweichungen von Yeats’ bis dahin für das Thema etablierten Schemata festzustellen. So schauen wir von einem leicht erhöhten Betrachterstandpunkt in die konzentrierten Gesichter der Jockeys, die sich eng aneinandergereiht auf der Startlinie positioniert haben. Vor den Reitern hat sich eine modisch gekleidete Gruppe aus Frauen und Männern versammelt, die dem 196 Yeats zitiert nach Purser 1995, S. 94.

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Beginn des Rennens entgegenfiebert. Der angeschnittene Vordergrund öffnet den Bildraum für die Rezipierenden und lässt sie inmitten der Wartenden an dem Ereignis teilhaben. Auch der blau gekleidete und unter seiner Kappe hervorschauende Jockey adressiert uns mit seinem Blick, womit er uns gleichfalls in das Geschehen einbezieht und als Vermittlerfigur zwischen Bild- und Betrachterraum fungiert. Die Statik des Momentes, die durch die Dynamik des Rennens bereits im nächsten Augenblick gekippt werden könnte, betonte der Künstler durch den senkrecht aufragenden Startmast mit weiß-grüner Fahne, der das Geschehen rahmt. Mit der auffälligen Platzierung der Fahne wird der Fokus weniger auf das Rennen selbst als auf die Zusammenkunft der Menschen und die Aufregung um die Anwärter des Rennens gelenkt. Im Zusammenhang mit der erhöhten Position der Jockeys, der Menge im Vordergrund und dem allgemein statischen Eindruck der Szenerie sticht die Flagge zudem deutlich heraus. Zwar hat Yeats in all seinen Rennszenen Masten eingefügt, jedoch sind die Fahnen dort stets farbig und mitunter auch in der landestypischen Trikolore gefasst. Noch dazu finden sich in seinen Dokumentationen von Pferderennen, wie sie sich etwa in seinem 1914 angefertigten Skizzenbuch Greystones, Dublin, Trotting, Calary Races erhalten haben,197 keine dicht gedrängten Menschenansammlungen. Dagegen verknüpft bereits das 1905 entstandene großformatige Aquarell A Political Meeting, das ein Treffen der Irish National Foresters zeigt, das Motiv der Menge mit der Präsentation mehrerer Reiterfiguren.198 Diese ragen sichtbar aus der vor dem Imperial Hotel in Sligo versammelten Masse hervor. Mehrere, von den Menschen emporgehaltene Robert Emmet-Banner verweisen auf den nationalen Charakter des Zusammenkommens und erinnern an Yeats’ Skizzen zu den Bartholomew Teeling-Feierlichkeiten von 1898.199 Führt man das frühere Political Meeting und Before the Start, dessen Entstehung in die Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs fiel, nicht nur motivisch, sondern auch inhaltlich zusammen, dann lässt sich auch für das Gemälde möglicherweise eine zusätzliche, politische Bedeutung annehmen. Es ist belegt, dass Jack B. Yeats, den Murphy als »the most radical politically«200 von allen Familienmitgliedern beschrieb, politisch interessiert war und selbst an mehreren Kundgebungen teilnahm.201 So geht aus Yeats’ Briefen an Quinn sowie aus seinen Skizzenbüchern hervor, dass er 1913 Ansprachen James Larkins beiwohnte.202 197 SK 155  : Greystones, Dublin, Trotting, Calary Races 1914, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/1/1/155. 198 Jack B. Yeats, A Political Meeting, 1900 – 10, Aquarell, 532,5 × 715 mm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection. Die Irish National Foresters hatten sich 1877 von der britischen Ancient Order of Foresters separiert. 199 Vgl. Tinney 1998, S. 16  ; zu den Zeichnungen der Teeling-Feierlichkeiten siehe SK 16  : Cork, Sligo, Strete, London, 1898/99, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/16. 200 Murphy 2001, S. 455. Laut Murphy hat Yeats nach seiner Niederlassung in Irland an Sinn FéinTreffen teilgenommen. 201 Vgl. Pyle 1989, S. 118. 202 SK 150  : Kerry and Greystones 1913  : James Larkin at Liberty Hall, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/

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Der Sozialreformer Larkin (1876 – 1947) hatte 1912 gemeinsam mit James Connolly (1868 – 1916) die Irish Labour Party gegründet, die auf eine Verbindung aus sozialen Reformen und nationaler Emanzipation setzte. Zudem initiierte Larkin die irische Gewerkschaftsbewegung (Irish Transport and General Workers Union) und rief die Arbeiterinnen und Arbeiter zum Zweck der Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu Streiks auf. Die Aufstände resultierten 1913 im sogenannten Dublin Lockout, in der monatelangen Aussperrung von Arbeitenden, eine Maßnahme, die der Unterdrückung der Gewerkschaftsbewegung dienen sollte und zur Verarmung der Streikenden führte. In einer von Yeats’ Skizzen findet sich eine Rede Larkins dokumentiert, die dieser vom Fenster der Dubliner Liberty Hall gehalten hatte.203 Das Gebäude beherbergte den Hauptsitz von Larkins und Connollys ITGWU. Auf einer weiteren Doppelseite ist nicht nur die erhöhte Position des Fenster erfasst, sondern auch die darunter versammelte Menge »outside Liberty Hall«204. Die eindrücklich eingefangenen, schnell hingeworfenen Szenen weisen darauf hin, dass sich Yeats inmitten der Menschen befunden haben muss. Zugleich verraten sie etwas über seine Sympathien in der von politischen und sozialen Auseinandersetzungen geprägten Zeit. Allerdings positionierte sich Larkin im Ersten Weltkrieg, ebenso wie Roger Casement (1864 – 1916), auf der Seite der Deutschen, wodurch er sich militärische Unterstützung im Kampf gegen Großbritannien erhoffte. Im Gegensatz zu Casement jedoch ließ sich Larkin nicht mit deutschen Agenten ein.205 JY/1/1/150/15  ; Brief Jack B. Yeats an Quinn, 22. November 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 203 SK 150  : Kerry and Greystones 1913  : James Larkin, Liberty Hall, Bleistift, 125 × 90 mm, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/150/15. 204 SK 150  : Kerry and Greystones 1913  : Cinema Being Taken, Cheering on Warning Hats, outside Liberty Hall, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/150/14. 205 Aus dem erstmals 1998 veröffentlichtem Affidavit Larkins, den er 1934 für die US-Regierung, die die Deutschen für Sabotageakte im Ersten Weltkrieg belangen wollte, zu Protokoll gab, geht dessen Kontakt zu deutschen Agenten in den USA und Mexiko in der Zeit zwischen 1914 und 1917 hervor. Larkin hatte etwa Kontakt zu dem deutschen Konsul von Bopp, der Larkin und seinen Einsatz für die irische Sache sehr schätzte und diesen zur Sabotage der Alliierten überreden wollte. Larkin lehnte dies allerdings ab. – Vgl. Nevin 2006, S. 298 ff.; zu Roger Casements Wirken siehe Ausst.-Kat. Dublin 2016. Casements Versuch, deutsche Waffen in einem Boot nach Irland zu schmuggeln, um den dortigen Osteraufstand militärisch zu unterstützen, wurde am 21. April 1916 von der britischen Marine vereitelt. Er wurde gefasst und zum Tode verurteilt. Am 3. August 1916 wurde er im Londoner Pentonville Prison gehängt  ; inmitten des Ersten Weltkrieges wurde von englischer und irischer Seite diskutiert, ob Irland lieber England oder dem Deutschen Reich angehören wolle. Zwar behaupteten irische Nationalisten auf einem Banner, das 1916 an der Wand der Liberty Hall zu sehen war  : »We serve neither King nor Kaiser but Ireland«, dennoch meinte etwa James Connolly 1916, dass das Deutsche Reich trotz seiner Kolonie in Namibia weniger schlimm sei als die despotische Kolonialmacht Großbritannien  : »We do not wish to be ruled by either empire, but we certainly believe that the first named [German Empire, Verf.] contains in germ more of the possibilities of freedom and civilisation than the latter [British Empire, Verf.]«, Connolly, in  : Worker’s Republic, 18. März 1916, zitiert nach O’Toole 2013, S. 4.

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Einen Einblick in Yeats’ eigene Überzeugungen gibt dessen Briefkontakt mit John Quinn, mit dem er sich intensiv über die politische Situation austauschte. So schrieb der Anwalt und Kunstsammler Yeats am 31. Dezember 1914 aus New York  : Larkin is out here too. I hear vaguely of him making fiery speeches before pro German-­ Irish audiences. Casement has gone over to Berlin, legally committing treason  ; actually making it impossible for him to do anything for Ireland in Ireland with the volunteers or anybody either during the war or after the war. I told him that his place was in Ireland. He would be a very sick man to see the Germans in control of Ireland for six months and the »patriots« would at the end of that time look back upon these times as the golden days.206

Was Larkin betrifft, so endeten dessen Bemühungen 1914 ohne Erfolg, allerdings wurden seine Forderungen in der Folge auch von der Unabhängigkeitsbewegung übernommen. Dies galt etwa für den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, den Patrick Pearse (1879 – 1916) am 24. April 1916 als Teil der Proclamation of the Irish Republic verlas.207 Eine weitere Skizze, die der Künstler etwa ein Jahr nach dem Gemälde The Public Speaker verarbeitete, verrät, dass er auch Ansprachen Pearses verfolgte. Erneut hat der Künstler die Rede, die anlässlich eines Treffens der Irish Volunteers in Dundrum stattfand, dabei aus der dicht gedrängten Menge heraus eingefangen. Einmal mehr zeigte er auch, wie die Zuhörerschaft zu dem über ihr stehenden Redner aufschaut,208 eine Konstellation, die der Maler später für das Gemälde übernahm (Abb. 22). Betrachtet man Before the Start auf der Grundlage seiner Entstehung und der zahlreichen Parallelen, dann fällt auf, dass die Menge darin, ähnlich wie in Yeats’ Skizzen zu politischen Reden, um das zentrale Ereignis gruppiert wird. Hier wie dort werden die jeweiligen Protagonisten zudem erhöht dargestellt (Abb. 62). Diese Übereinstimmung sowie die Heroisierung der Jockeys wurden zwar bereits von Donal Maguire bemerkt, allerdings nicht an einen möglichen erweiterten Bedeutungskontext des Gemäldes rückgebunden.209 Die aufgezeigten ikonografischen Parallelen des Gemäldes zu den Skizzen sowie zu A Political Meeting (1900 – 10) deuten jedoch meines Erachtens da­ rauf hin, dass Yeats in Before the Start keineswegs nur den für Irland so zentralen Pferderennsport als nationales Thema zelebrieren wollte.210 Stattdessen scheint der Schlüs206 Brief Quinn an Jack B. Yeats, 31. Dezember 1914, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 207 Vgl. Jackson 1999, S. 190 – 195  ; Yeates 2013, S. 11 – 14. 208 SK 154  : Dublin and Greystones, Pearse, Campbell-poet, 1914  : P. H. Pearse Speaking at the Vo­ lunteers Meeting at Dundrum, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/154/28 209 Vgl. Maguire 2006, S. 63. Er schreibt  : »In Before the Start, Yeats extends the respect that a public speaker might be said to expect to humble jockeys with whom it was not perhaps so readily associated.« 210 Zur Bedeutung der Pferderennen in der irischen Geschichte siehe exemplarisch Lalor 2003, S. 502 f. und Lynd 1912, S. 32 ff. Lynd schreibt in seinem Kapitel Galway of the Races von der weit verbreiteten Begeisterung für das gesellschaftliche Ereignis der Pferderennen.

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sel für die Interpretation in der Verknüpfung von Genreszene und politischer Sphäre zu liegen. Dementsprechend erscheint es legitim, in den unterschiedlich charakterisierten Reitern metaphorische Verkörperungen der in der Bevölkerung vorherrschenden Positionen zu sehen, womit die Szene ein subversives Stimmungsbild eines »country […] at the crossroads«211 liefern würde. Während der ältere Jockey im Hintergrund entschlossen nach vorn und in Richtung des Zieles schaut, muss der verträumte Blick des mittleren Reiters eher als indifferent eingeordnet werden. Der dritte Jockey wiederum fixiert uns mit ernster Miene und kommt damit der Pose der von Yeats dokumentierten Redner am nächsten. Das Gemälde ließe sich vor diesem Hintergrund als Sinnbild jener denkbaren Richtungen lesen, die der Künstler 1915 für Irlands politische Zukunft vorhersah. Die Anbringung der für den Start eines Pferderennens untypisch weiß-grün changie­ renden Flagge, die in der Literatur bisher unerwähnt geblieben ist,212 scheint dabei den retardierenden Moment des dargestellten Abwartens zu markieren. In anderen Pferderennszenen des Malers ist die Startflagge stets in einem für den Sport üblichen kräftigen Grün wiedergegeben.213 Im Zusammenhang mit den kolonialen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen sowie dem nationalen Aufbegehren könnte das Attribut als bildliches Plädoyer des Künstlers für gewaltfreie Eigenständigkeitsbemühungen gelesen werden. Schließlich signalisiert das Hissen einer weißen Flagge in kriegerischen Kontexten die Bereitschaft zur Waffenruhe. Diese visuelle Implikation wird durch die Tatsache gestützt, dass Yeats zwar Republikaner war, aber Gewalt verabscheute.214 Dass das Werk ein Jahr nach dem blutigen Ereignis am Dubliner Bachelor’s Walk entstand, bei dem Angehörige der King’s Own Scottish Borderers drei Zivilist:innen erschossen hatten, könnte diese Intention und eine damit einhergehende Mahnung an einen friedvollen Verlauf der Geschichte unterstreichen. Eine möglicherweise radikalere Position formuliert sich darüber hinaus am unteren Bildrand durch den Mann mit blauer Kopfbedeckung. Bemerkenswerterweise wurde diese irritierende Kommentarfigur, die uns aus der Menge heraus anblickt, in der Forschung nicht bemerkt. Es scheint ganz so, als wollte uns der schiefe, unter der Mütze hervorschielende Blick des Mannes bedeuten, dass er etwas im Schilde führt. Während aber die Gestalt im Kontext einer Genreszene als Dieb oder Buchmacher erscheinen würde, stellt sie sich im Kontext einer politischen Ausdeutung in einem anderen Licht dar. Indem uns der Mann, vergleichbar dem blau gekleideten Jockey, konspirativ anblickt und keiner der Umstehenden die Szene zu registrieren scheint, bezieht er uns ein und ringt auch uns eine (politische) Entscheidung ab. 211 Yeates 2013, S. 11. 212 Lediglich Pyle erwähnte sie in ihrem Catalogue raisonné. Allerdings weist sie der Flagge einzig eine grüne Farbe zu  : »A green flag also stands up against the sky […]«. – Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 99, S. 87. 213 Siehe etwa Jack B. Yeats, Strand Races. The Start, 1907 und 1908, Cuala Press Print, handkoloriert, 140 × 440 mm. 214 Vgl. Pyle 1989, S. 119. Sie schreibt  : »Yeats hated war and evil.«

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Trotz dieser Details und der werkimmanenten Kongruenzen wurde dem Gemälde innerhalb der Literatur bisher keine politische Lesart zugesprochen, eine Ausblendung, die unter anderem auch im Zusammenhang mit der häufigen Präsentation des Bildes in Ausstellungen zum irischen Westen verstanden werden kann. So wurde Before the Start von der zeitgenössischen Kritik lediglich zu den »scenes from Irish life […] as simple and convincing in their epic thruth as a folk song«215 gezählt. Diese Lesart wurde noch 1986 von Halpin wiederholt, die dem Gemälde jedwede nationale oder symbolische Aufladung absprach.216 Die vorangegangenen Ausführungen haben hingegen aufgezeigt, in welcher Weise der Künstler tradierte Sujets des irischen Westens auch in seinen Gemälden mit aktuellen und politischen Ereignissen des Landes verwob. Während er sich bei der Herausbildung des Themas einer internationalen Bildlichkeit bedient hatte, positionierte er sich durch deren Transformation als dezidiert irischer Künstler innerhalb einer globalen Moderne. Dabei wandte er, unter Einsatz (selbst)referenzieller Bezugnahmen, ein geschicktes Überblendungsverfahren diverser semantischer Ebenen an, was bereits durch den mehrdeutig zu verstehenden Titel nahegelegt wird. Der hierdurch in Aussicht gestellte Beginn des Rennens ließe sich demzufolge auch als Verweis auf das Initiationsmoment eines modernen Staates begreifen, war doch die irische Nation nach Aussagen des Künstlers »ready to start at any time«217. Weiterhin hat die vergleichende Analyse der zwischen 1900 und 1915 in unterschiedlichen Kontexten entstandenen Arbeiten mit ländlichen Sujets deutlich gemacht, dass Yeats’ Darstellungen des irischen Westens, aller oberflächlichen Parallelen zum Trotz, einem fortwährenden künstlerischen Wandel unterlagen. Aufgrund der persistenten Wahrnehmung des Künstlers als Maler der »perfect realisation of Irish Life as it is«218 wurde diese Entwicklung von der Kritik allerdings kaum zur Kenntnis genommen. So hieß es etwa anlässlich der 1918 in der Dubliner Mills Hall ausgerichteten Ausstellung Drawings and Pictures of Life in the West of Ireland by Mr. Jack B. Yeats, R.H.A. im Freeman’s Journal  : »The secret of Mr. Yeats’s achievement is his discovery of the wonderland of the West.«219 Mit dieser symptomatischen Einschätzung wurden allerdings nicht nur die aufgezeigten globalen Bezugnahmen ausgeblendet, die für Yeats’ lokale Bildfindungen wichtige Impulse lieferten, sondern auch seine visuell verdichteten Kommentare zur politischen Lage. 215 Rutter, Frank  : Ausstellungsrezension zur achten Salonausstellung der Allied Artists’ Association in den Londoner Grafton Galleries, 1916, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. In dem 1908 von Frank Rutter, dem Kunstkritiker der Sunday Times, gegründeten Salon der Allied Artists’ Association folgte man mit der Ausstellung moderner Kunst dem Pariser Vorbild der Société des Artistes Indépendants. Yeats’ Werke wurden hier unter anderem neben Arbeiten des Vortizisten Henri Gaudier-Brzeska ausgestellt. 216 Vgl. Halpin 1986, S. 5. 217 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 16. September 1907, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 218 Ausst.-Kat. London 1919, o. S., AJ, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. 219 Freeman’s Journal, 1918, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

204  |  Yeats als Nationalkünstler  ? Eine kritische Betrachtung

4.2 Kunst und Politik

Die zeitgenössische Tendenz, politische Aspekte in Yeats’ Œuvre zunächst auszublenden, wird auch anhand der Wahrnehmung weiterer Werke manifest. Einen eindrucksvollen Beleg hierfür liefert die wechselhafte Rezeption des 1915 entstandenen Gemäldes Bachelor’s Walk, In Memory, das heute als ikonische Arbeit des Künstlers gilt. Erst 1942, also lange nach seiner Entstehung, sollte das Werk durch Thomas MacGreevys wegweisende Untersuchung Three Historical Paintings by Jack B. Yeats ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.220 Die Studie behandelt noch zwei weitere Gemälde mit politischen Themen, das 1922 gemalte The Funeral of Harry Boland sowie das um 1924 gefertigte Communicating with Prisoners (siehe Abb. 63, 67 und 69). Alle drei Arbeiten erfuhren erst durch diese Besprechung öffentliche Aufmerksamkeit und wurden schließlich 1945, nachdem sie jahrzehntelang gar nicht oder äußerst selten in Ausstellungen gezeigt worden waren, in der für den Künstler zentralen Dubliner National Loan Exhibition einem breiten Publikum zugänglich gemacht.221 Mittels der Herausstellung dieser drei Werke verfolgte MacGreevy offenkundig das Ziel, Yeats auf das Podest des nationalen Künstlers zu stellen. Hierfür lenkte er den Fokus auf die bislang wenig beachteten Arbeiten, deren Inhalt erkennbar historisch und politisch war.222 Es ist bezeichnend, dass er die Stilisierung des Malers zum Nationalkünstler retrospektiv vornahm, indem er für seine Argumentation Gemälde heranzog, die Ereignisse der Unabhängigkeitsbemühungen und deren Nachwirren reflektieren. Im Folgenden soll, ausgehend von detaillierten Werkanalysen, diskutiert werden, inwieweit sich die Arbeiten tatsächlich, wie von MacGreevy propagiert, uneingeschränkt als nationale Aussagen des Künstlers verstehen lassen. Im Zuge dessen erscheint es nötig, auch apolitische Deutungen der Werke zu diskutieren, wie sie etwa von Arnold oder Halpin geliefert wurden.223 Aufgrund der persistenten Engführung von Künstler und Werk ist es zudem notwendig, die vorzunehmende Besprechung der Arbeiten mit einer diskursanalytischen Untersuchung zu verbinden. Ziel dieser kontextualisierenden Herangehensweise ist es, auf der Grundlage von Yeats’ Fallbeispiel den Interdependenzen von Kunst und Politik nachzugehen.

220 Vgl. MacGreevy 1942. 221 Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 1945, Kat. Nr. 30, 32 und 47. 222 Vgl. Brown 2014a, S. 205. 223 Vgl. Halpin 1986 und Arnold 1998a, S. 191 – 193.

Kunst und Politik | 205

4.2.1 »tragic and heroic phase of Irish history«224  : Bachelor’s Walk, In Memory, 1915 Will man ein vorrangiges Ziel für MacGreevys Auseinandersetzung mit Bachelor’s Walk, In Memory formulieren, so ging es dem Kritiker wohl vor allem darum, das Werk in die Kategorie der zeitgenössischen Historienmalerei einzuordnen (Abb. 63). Folgt man seinen Ausführungen, zeichnet sich ein zeitgemäßes Geschichtsbild durch eine realitätsnahe Wiedergabe aus, die ohne den Zwang auskommt, das Alltagsgeschehen zu kostümieren.225 MacGreevy grenzte Yeats’ Konzept hierin vom Ansatz vorangegangener Maler:innengenerationen ab, wobei der Text neben internationalen Vertretern wie Eugène Delacroix (1798 – 1863) auch auf irische Künstler wie Daniel Maclise (1806 – 70) Bezug nimmt. Maclises um 1854 vollendetes, überlebensgroßes Gemälde Marriage of Strongbow and Aoife,226 das im Text als Beispiel angeführt wird, zeigt vor der Folie der politischen Vereinigung im viktorianischen Zeitalter die ins 12. Jahrhundert zurückgehende Vermählung zwischen dem Normannen Richard de Clare, genannt Strongbow, und der Tochter des irischen Königs von Leinster. Gerahmt wird die Hochzeitsszene vom Schlachtengeschehen zwischen den normannischen Eroberern und der irischen Bevölkerung, deren Kultur im Bild durch die Harfe und das Hochkreuz versinnbildlicht wird.227 Aufgrund jener historisierenden Darstellungsweise kritisierte MacGreevy das Werk für seinen »entirely unimaginative materialism, emphasising mere archaeological superficialities.«228 Yeats hingegen verzichte auf »antique trappings«229  ; seine zeitgemäße Erfassung des Themas beruhe auf einer genauen Alltagsbeobachtung, die dem Künstler »a transition from genre to history« ermögliche. »The main theme is ›historical‹, the incidentals are everyday.«230 Mit dieser Einschätzung schloss MacGreevy an seine frühere Einordnung 224 MacGreevy 1942, S. 240. 225 Vgl. MacGreevy 1942, S. 238. 226 Daniel Maclise, The Marriage of Strongbow and Aoife, um 1854, Öl auf Leinwand, 309 × 505 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 227 Das Gemälde des irischen Malers Daniel Maclise, der in Cork seine Ausbildung erfahren hatte und ab 1828 als Mitglied der Royal Academy in London tätig war sowie in den 1840er Jahren mehrere Reisen nach Paris unternahm, wurde in der irischen Forschung divergent interpretiert. Während das Werk, das deutliche Anleihen an die Historienmalerei Delaxroix’ und Théodore Géricaults zeigt, in der Vergangenheit oftmals als nationalistische Anklage gegen die Unterdrückung der Iren durch die Briten betrachtet wurde, kam Tom Dunne 2016 zu dem Schluss, das Werk in einem unionistischen Kontext zu lesen. Schließlich entstand das Gemälde im Auftrag der Royal Commissioners of Fine Art für das neue Houses of Parliament. – Vgl. Dunne 2016  ; zu Daniel Maclises Schaffen siehe Ausst.-Kat. Cork 2008  ; Strongbows Fuß ruht auf einem gestürzten keltischen Kreuz im Bildmittelgrund. Die Harfe, deren Saiten ein keltischer Barde zupft, ist im linken Vordergrund zu sehen. 228 MacGreevy 1942, S. 238. 229 MacGreevy 1942, S. 238. 230 MacGreevy 1942, S. 249.

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Abb. 63 Jack B. Yeats, Bachelor’s Walk, In Memory, 1915, Öl auf Leinwand, 45,7 × 61 cm, Dublin, National ­Gallery of Ireland.

aus dem Jahr 1922 an,231 mit der er Yeats als zentralen Vertreter der irischen Genremalerei positioniert hatte, und ergänzte diese um die höher bewertete Gattung der Historie. Diese historiografische Vorgehensweise war zugleich geeignet, Yeats mittels der erweiterten Gattungszuweisung als Künstler von Rang zu nobilitieren. Wenn man bedenkt, dass Yeats’ malerisches Œuvre zum Zeitpunkt der Entstehung des Textes bereits 522 Gemälde umfasste,232 erscheint es überraschend, dass MacGreevy sich für seine Argumentation auf drei Werke beschränkte. Erklären lässt sich dies mit dem Impetus des Autors, Yeats als dezidiert politischen Künstler mit einem starken geschichtlichen Bewusstsein zu etablieren. Hiermit einher geht die Fokussierung auf die Schaffensjahre 1915 bis 1924, die zugleich die entscheidenden Jahre in der jüngeren irischen Geschichte darstellen  : The situation created in Ireland by the outbreak of the Great War of 1914 – 1918 led to the alliance of the Volunteers and the Citizens Army, to the Rising of 1916 and the struggle that went on from then up to 1921. With the offer of the Treaty by England, the 231 Vgl. MacGreevy 1922. 232 Mit der Zahl beziehe ich mich auf Pyle 1992, Bd. 1.

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issue was confused for the people as a whole, and in fratricidal civil war the Irish armies disintegrated into elements that could only be said to correspond ultimately, if at all, to the old units of Citizens Army and Volunteers. The Civil War came to an end in 1923. Those years constituted a tragic and heroic phase of Irish history. And in the pictures commemorating them, Jack Yeats lifted the art of painting in Ireland on to a plane of heroic tragedy it had never before attained to.233

Im Zusammenhang mit dieser Schilderung stellt sich die Frage, inwieweit ­MacGreevys Einschätzung der heroisierenden Darstellung tragischer Ereignisse tatsächlich mit der Ästhetik und dem Inhalt von Bachelor’s Walk, In Memory übereinzubringen ist. Weiterhin gilt es zu klären, warum Bruce Arnold dem Gemälde noch Jahrzehnte später jedwede politische Intention absprach und weshalb er in seiner Deutung lediglich auf den emotionalen Gehalt des Gezeigten abstellte.234 Schließlich ist von Interesse, aus welchen Gründen die drei von MacGreevy besprochenen Gemälde bis 1942 kaum gezeigt oder wahrgenommen wurden. Bereits anhand dieser Fragen zeichnet sich ab, dass die Lesart der drei Bilder vom Wandel der politischen Diskurse geprägt war und daher eine kontextualisierende Betrachtung von Bachelor’s Walk, In Memory geboten ist. »Bachelor’s Walk, In Memory« Revisited

Das querformatige, 45,7 × 61 cm messende Gemälde zeigt eine junge Blumenverkäuferin im Profil, die zwei rote Nelken aus ihrem Korb entnommen und an einem Häusereingang am Dubliner Bachelor’s Walk abgeworfen hat (Abb. 63). Es handelt sich um jenen Ort, an dem zuvor drei Zivilist:innen durch britische Soldaten getötet worden waren. Hinter der Frau steht ein barfüßiger Junge in abgetragener Kleidung, dessen Blick auf ein Ereignis außerhalb des Bildraumes gerichtet ist. Die Szene ist in der Dubliner Innenstadt, nahe der O’Connell Bridge, am Kai der Liffey angesiedelt und fängt neben dem Moment des Gedenkens auch das Treiben am Flussufer ein. So überquert auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Figur die Ha’penny Bridge, die die Liffey auf der Höhe von Temple Bar überspannt, während ein weiterer Mann an der Flussmauer entlangläuft. Unmittelbar daneben sehen wir einen Kutscher auf einem leeren Pferdekarren davonfahren, der uns, in Verbindung mit den übrigen Hintergrundfiguren, auf die Zeitlichkeit des zunächst starr anmutenden Sujets verweist. Am gegenüberliegenden Ufer der Liffey zeichnen sich emporragende Häuser ab. Yeats selbst beschrieb den Kontext der Entstehung Ende Dezember 1921 in einem Interview, das der für die Londoner Westminster Gazette arbeitende Journalist Trevor Allen mit ihm führte, folgendermaßen  : 233 MacGreevy 1942, S. 240. 234 Vgl. Arnold 1998a, S. 191 – 193.

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It reflects an incident I witnessed just before the Easter week outbreak. […] Some of our fellows had been shot along the quay here. A common flower woman, passing with a basket of carnations, dropped one or two of them as a memory-offering on the spot where one fell. They were her stock-in-trade, and I thought it a noble action.235

Die Aussage des Malers irritiert insofern, als sich das Massaker am Bachelor’s Walk bereits am 26. Juli 1914, also zwei Jahre vor dem Osteraufstand, zugetragen hatte. Zudem ist das Gemälde bereits 1915 und nicht erst 1916 entstanden, wie aus den Unterlagen des Künstlers hervorgeht  : Darin findet sich auf einer fotografischen Reproduktion des Werkes aus den 1930er Jahren die von Yeats selbst vermerkte Angabe 1915.236 Allen jedoch erwähnte in seinem Artikel kein Entstehungsdatum und notierte lediglich, dass das Werk bisher nicht ausgestellt worden sei. Es ist nicht mehr nachprüfbar, inwiefern Allen Yeats’ Ausführungen in der Druckfassung möglicherweise modifizierte oder ob sich der Künstler schlicht ›falsch‹ erinnerte. Den Leser:innen der Zeitung aber wird durch diese Passage suggeriert, Yeats habe mit dem Bild konkreten Bezug auf die Ereignisse des Osteraufstandes genommen. In diesem Zusammenhang ist auch der Verweis auf »our fellows« als eindeutig politische Stellungnahme des Künstlers zu interpretieren, mit der er sich, nach dem Ende des Irischen Unabhängigkeitskrieges und im Zuge der Unterzeichnung des Anglo-Irischen Vertrages am 6. Dezember 1921, auf republikanischer Seite positionierte. Vor dem Hintergrund der im Interview zum Ausdruck kommenden Haltung des Malers überrascht es, dass Arnold, der die Passage in seiner Yeats-Biografie ebenfalls zitiert hat, über die zeitliche Abweichung hinwegging, das Bekenntnis zu seinen »fellows« ignorierte und die »noble action« als unpolitisch deklarierte  : The nobility and feeling in the event itself is what matters and Jack’s interest was in expressing the instant of human emotion and not the abstraction of ›national feeling‹.237

Auch nahm er keinen Anstoß daran, dass der Künstler dem Interviewer ausgerechnet dieses Gemälde präsentiert und das Werk dabei,238 Allen zufolge, als »indication of the new spirit which we may reasonably look for in the Irish Art of to-morrow […]«239 charakterisierte hatte.

235 Yeats zitiert in Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 236 Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/4/8  ; Pyle 1992, Bd. 1, S. 85  ; bemerkenswerterweise hat es der Künstler unterlassen, das Gemälde in seinem Gemäldeverzeichnis zu datieren, was für ihn ansonsten gängige Praxis war, siehe GI, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/5-1. 237 Arnold 1998a, S. 193. 238 Vgl. Arnold 1998a, S. 193. Arnold weist sogar ausdrücklich auf die Textstelle hin, aus der hervorgeht, dass Yeats das Bild für den Journalisten gezielt aus seiner für Besucher:innen unsichtbar gehaltenen Gemäldesammlung herausgesucht hatte. Allerdings fand Arnold das nicht auffällig. 239 Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Allerdings muss Arnolds Beschreibung unter der Prämisse gelesen werden, dass er sich dezidiert gegen die vorangegangenen, von MacGreevy, O’Malley oder Rosenthal vertretenen nationalen Ausdeutungen des Werkes verwehrte.240 Mithin ist sie als Versuch zu werten, das Gemälde vom Renommee einer »nationalist icon«241 zu befreien und Yeats, entgegen aller Hinweise, als neutralen Maler darzustellen. Dabei ging der Kritiker, der sich im Gegensatz zu MacGreevy unionistisch positioniert,242 in einem 2007 im Irish Independent erschienenen Artikel sogar so weit, das Gemälde als misslungen zu beschreiben, um dessen Bedeutung nicht nur in nationaler, sondern auch in künstlerischer Hinsicht zu relativieren  : »Bachelor’s Walk  : In Memory is not a ­terribly good painting. It is a gloomy monochrome predominantly tinted in mauve-grey ­colours. The composition lacks finesse.«243 Arnolds Beurteilung des Werkes fällt demnach ähnlich verkürzend aus wie MacGreevys Kategorisierung, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Dabei ist das Vorgehen beider Kritiker insofern als synonym zu bezeichnen, als es auf der Ausblendung wichtiger Einzelheiten basiert. Für MacGreevy trifft dies insbesondere für seine Beschreibung der historischen Ereignisse zu  : The flower-girl is casting her blooms on the ground at the point in Bachelor’s Walk, Dublin, where in the late afternoon of Sunday, July 26, 1914, a detachment of the King’s Own Scottish Borderers fired at the people on the pavement, wounding thirty-two and killing three, a youth of eighteen and a middle-aged man and woman.244

Seine Fassung liefert somit eine stark vereinfachte Version der Geschichte, die den Hergang des Vorfalls unterschlägt und vor allem auf die Opfer des Massakers fokussiert. Christopher Baran führt diese Verkürzung unter anderem darauf zurück, dass die Veröffentlichung des Textes während des Zweiten Weltkrieges erfolgte, also in einer für Irland innen- wie außenpolitisch brisanten Zeit. Schließlich deklarierte der junge Staat unter Verweis auf seine Unabhängigkeit zwar einerseits Neutralität, versuchte aber andererseits seine Stellung inmitten des globalen Geschehens zu verorten. Diese 240 Vgl. O’Malley 1945, S. 12. Er verweist darauf, dass Yeats das Thema des »funeral or burial as a symbol« einsetzte  ; Rosenthal 1993, S. 23, betrachtet das Gemälde als »major political statement«. 241 Arnold 1998a, S. 191. 242 Arnold wurde 1936 in London geboren und zog 1957 nach Irland, wo er als Journalist, unter anderem für die Irish Times, und Kunstkritiker arbeitete. Seine Position kann daher als beobachtende eingestuft werden. Von sich selbst behauptete er, als er von einem irischen Kollegen auf seinen englischen Akzent und seine damit verbundene Herkunft angesprochen wurde  : »I belong to the English middle class«, siehe Arnold 2003. 243 Arnold 2007. In seinem Artikel beschrieb Arnold allerdings auch das Spätwerk als misslungen. Dieser Groll gegen einige Arbeiten des Malers, mit dem er sich in seiner Biografie immerhin intensiv auseinandergesetzt hatte, lässt sich womöglich durch eine Abneigung gegenüber der wachsenden Berühmtheit und Idealisierung von Yeats erklären. 244 MacGreevy 1942, S. 249.

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Ambivalenz zeigt sich daran, dass der Staat, entgegen der offiziellen Positionierung, durchaus Kooperationen mit den Alliierten einging. Jahrzehnte nach der Entstehung von Bachelor’s Walk, In Memory sah sich MacGreevy dabei mit einer komplexen historischen Situation konfrontiert, der er mit einer verknappten Wiedergabe der Vergangenheit begegnete.245 Dass neben weltgeschichtlichen Ereignissen auch MacGreevys eigene Biografie Einfluss auf die Darstellung der irischen Geschichte sowie von Yeats’ Werk gehabt haben könnte, legt dessen von Widersprüchen geprägte Vita nahe  : So hatte der Kritiker im Ersten Weltkrieg auf britischer Seite gekämpft und war später für längere Zeit als Kritiker in England tätig gewesen. Die selektiven und intentional verkürzten Ausdeutungen des Werkes haben aufgezeigt, dass eine Einordnung von Bachelor’s Walk, In Memory nur auf der Grundlage einer präziseren Auseinandersetzung mit den historischen Vorgängen erfolgen kann. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass dem Tod der Zivilist:innen am 26. Juli 1914 das sogenannte Howth gun-running vorausgegangen war. Dabei handelte es sich um eine illegal organisierte Lieferung deutscher Waffen an die Irish Volunteers, die im nördlich von Dublin gelegenen Hafen von Howth eingegangen war. Die Bewaffnung der Volunteers stellte eine unmittelbare Reaktion auf das im April stattgefundene Larne gun-running in Ulster dar. Diese ebenfalls aus Deutschland stammende Waffenlieferung hatte die Stärkung der gegnerischen Ulster Volunteers im Kampf gegen die Home Rule-Bewegung zum Ziel. Die während des Tages stattfindende Entladung der Waffen sowie deren Transport in die Dubliner Innenstadt zog nicht nur die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich, sondern führte auch zur Aussendung der King’s Own Scottish Borderers, die die Entwaffnung der Volunteers vornehmen sollten. Durch die Zerstreuung der Volunteers schlug das polizeiliche Vorhaben fehl, woraufhin die abziehende Truppe auf dem Weg durch das Stadtzentrum von einer sie verhöhnenden Menge begleitet wurde. Erst in dieser aufgeheizten Stimmung verlor die Polizei die Kontrolle und reagierte mit den bereits erwähnten Schüssen am Bachelor’s Walk.246 In der irischen Presse wurden die 245 Vgl. Baran 2003  ; zur von Éamon de Valera durchgesetzten Neutralität Irlands während des Zwei­ten Weltkrieges, einer Zeit, die auch unter dem Terminus Emergency bekannt ist, siehe weiterführend Wills 2007  ; laut O’Doherty war sich MacGreevy dieser biografischen Brüche durchaus bewusst und versuchte, diese zu negieren. O’Doherty, der MacGreevy kannte und sowohl ihm als auch Yeats die Zusage zu einem Stipendium in den USA verdankte, nahm darauf Rücksicht  : »I knew enough never to raise his past, for Tom, when I knew him, had been infused with a heavy dose of nationalism and its corollary, a hostility to things British. […] England, where he had worked as a critic […] did not please him«, O’Doherty 2013, S. 253. 246 Vgl. Lee 2006, S. 22 sowie Townshend 2013, S. 66 f. Die deutschen Waffen wurden auf der Asgard, dem Segelschiff des irischen Schriftstellers und Freiheitskämpfers Erskine Childers (1870 –  1922), geschmuggelt. Die Waffen wurden 1916 im Osteraufstand verwendet. Am Bache­lor’s Walk wurden drei Zivilist:innen getötet, ein viertes Opfer starb später an den Folgen seiner Verletzungen. Mehr als 30 weitere Personen wurden verwundet. Am 29. Juli 1914 wurden die Opfer öffentlich zu Grabe getragen, wobei der durch Dublin führende Trauerzug von Zehntausenden begleitet wurde.

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Ereignisse im Nachgang als Bluttaufe der Volunteers ausgelegt. So hieß es im Irish Freedom, dem Organ der IRB  : »The Volunteer Movement has been formally baptised in blood.«247 Die hier aufgegriffene Rhetorik des Martyriums ist insofern aufschlussreich, als sie meines Erachtens, wenn auch in veränderter Form, durchaus auf Yeats’ Gemälde angewendet werden kann. Bereits MacGreevy sprach hinsichtlich der Darstellung des Blumenmädchens von einer »Hellenic maiden at an altar« und fügte hinzu  : »[…] the Jack Yeats picture does represent a sacrifice offered at a spot where innocent people fell upon tragedy.«248 Obwohl der Text das Motiv vom Opfertod vor allem im Kontext einer politischen Deutung aufgreift, ließe sich Yeats’ erhabene Inszenierung der weiblichen Figur durchaus auch im Kontext mythologischer oder sakraler Darstellungen interpretieren. So vermitteln die aufrechte Statur und der leicht nach unten geneigte Kopf der Frau einen ebenso anmutigen wie demütigen Eindruck. Ihre starr wiedergegebene Physiognomie, die ihr tugendhaftes Handeln unterstreicht, erinnert dabei an antike Statuen oder Reliefs. Darüber hinaus aber legen die Attribute, die von der Literatur bisher nicht zusammenhängend gedeutet worden sind, wie auch der restliche Bildaufbau eher eine christliche Ausdeutung nahe. Vor dem Hintergrund einer solchen Wahrnehmung könnten etwa der gefüllte Blumenkorb und der flankierende Knabe auf die Ikonografie der Heiligen Dorothea verweisen, die durch das Sujet in einen zeitgenössischen Rahmen überführt würde. Dass sich Yeats im Zuge der Bearbeitung für dieses Motiv entschieden haben könnte, lässt sich nach meinem Dafürhalten mit einer eigenen Beobachtung des Künstlers übereinbringen. Schließlich hatte Yeats in der Folge des Massakers selbst Blumenverkäuferinnen gesehen, die in Erinnerung an die Opfer des Massakers Blumen im Stadtzentrum niederlegten. Dies geht aus einer Ende Juli 1914 entstandenen Skizze hervor, die unter anderem eine mit schnellem Strich wiedergegebene Hauswand mit Einschusslöchern zeigt und folgende begleitende Zeilen aufführt (Abb. 64)  : Where the people were shot on Sunday  ; Bullet hole in shop window  ; a few paces further towards O’Connell Bridge flower girls had thrown flowers. I suppose one of those killed fell there.249

Allerdings sind in der Skizze selbst keine Personen festgehalten. Ausschlaggebend für die Annahme, dass Yeats die Blumenverkäuferin in der Folge ganz bewusst zur zentralen Figur seines Bildes erhob, ist auch, dass eine frühere zeichnerische Verarbeitung des Ereignisses noch eine gänzlich andere Situation schildert.

247 Irish Freedom, August 1914, zitiert nach Dorney 2014. 248 MacGreevy 1942, S. 249. 249 SK 154  : Circus, Dublin, Greystones, Clay Pipe Making  : Where the People Were Shot on Sunday, 30. Juli  ? 1914, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/157/23.

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Abb. 64 Jack B. Yeats, Where the People Were Shot on Sunday, 30. Juli  ? 1914, SK 154, Bleistift, 125 × 90 mm, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/157/23.

Abb. 65 Jack B. Yeats, A Broadside  : The Scene of a Tragedy, Nr. 9, Februar 1915.

Diese zwischen 1914 und 1915 entstandene Federzeichnung wurde 1915 in der Februar-Ausgabe der Broadsides unter dem Titel The Scene of a Tragedy reproduziert (Abb. 65).250 Vor dem Schaufenster eines Antiquitätengeschäftes, neben dem rechts eine weitere Straße abzweigt, ist dort ein kleiner Junge stehengeblieben, um seinen Eltern zwei Kreidekreuze an der Hauswand zu zeigen. Diese verweisen, wie der Schriftzug »R.I.P.«, auf die bei dem Massaker getöteten Zivilist:innen. Die Gestaltung des detailliert wiedergegebenen Schaufensters orientiert sich relativ genau an einer im selben Jahr entstandenen Skizze, die das Äußere des J. F. Kaitcher Antique Shop wiedergibt.251 Bereits dort ist die Gegenüberstellung von Eltern und Kind auszumachen, wie auch die Markierung der Kreuze an der Wand. Yeats’ intensive Auseinandersetzung mit den Geschehnissen und politischen Zusammenhängen lässt sich zudem durch weitere Szenen des Skizzenbuches belegen. Neben dem Ort des Massakers und den Reaktionen darauf

250 A Broadside, Nr. 9, Februar 1915, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/2/5. 251 SK 157  : Circus, Dublin, Greystones, Clay Pipe Making  : J. F. Kaitcher Antique Shop, 1914, Bleistift, 125 × 90 mm, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/157/24.

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Abb. 66 Anonym, Bullet Holes in a Window, Bachelor’s Walk, Fotografie, Dublin, 28. Juli 1914.

hielt er darin auch eine durch die Marine unternommene Waffensuche auf See fest, die er mit der Beschriftung  : »Off Greystones, Looking for Guns, 27th July 1914«252 versah. Vor dem Hintergrund der zahlreich eingefangenen Motive ist es durchaus bemerkenswert, dass der Künstler für das 1915 entstandene Gemälde auf ein völlig neues Sujet zurückgriff, das er keiner Skizze, sondern lediglich einer schriftlichen Notiz verdankte. Die spezifische Anordnung sowohl der Frau als auch des Kindes rekurriert dabei, wie von der Forschung bisher nicht bemerkt wurde, auf eine zeitgenössische Fotografie, die einen annähernd identischen Bildaufbau aufweist (vgl. Abb. 63 und 66). Die dokumentarische Aufnahme vom 28. Juli 1914 gehört zu den zahlreichen Szenen rund um das Massaker, die mit der Kamera erfasst und in Zeitungen reproduziert wurden. Darauf ist eine ältere Frau mit Kopftuch zu sehen, deren ausgestreckter linker Arm auf ein Einschussloch in einer Fensterscheibe zeigt. Ein Mann und ein Kind in ihrem Rücken beobachten sie dabei, während ein weiterer Junge, der eine Schiebermütze trägt, direkt in die Kameralinse blickt. Yeats’ Gemälde stellt sich demnach als Verdichtung der fotografischen Komposition dar, reduzierte er die Vordergrunddarstellung seines Bildes doch auf die Wiedergabe der Frau und den aus dem Bildraum herausschauenden Knaben. Die Bedeutung des 252 SK 157  : Circus, Dublin, Greystones, Clay Pipe, Making  : Off Greystones, Looking for Guns, 27th July 1914, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/157/10 und 11.

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Jungen, der durch seinen Blick zugleich als Vermittler fungiert, wird in dem Gemälde zusätzlich dadurch verstärkt, dass er als Ganzfigur präsentiert wird. Auch bei der weiblichen Protagonistin lassen sich entscheidende Änderungen ausmachen. So stellt sie sich im Gemälde deutlich verjüngt dar, auch verhüllt ihr traditioneller Umhang nur ihre Schultern, was sich vermutlich damit begründen lässt, dass ihre gebeugte Kopfhaltung hierdurch besser zum Ausdruck kommt. Der Vergleich der Quellen macht deutlich, dass Yeats in der Darstellung eigene Notizen mit der fotografischen Vorlage vermengt hat. So beziehen sich das jugendliche Alter der Frau wie auch der Akt der Blumenniederlegung eindeutig auf die schriftliche Notiz im Skizzenbuch. Da für die »flower girls«253 am Bachelor’s Walk jedoch keine bildliche Vorlage existierte, griff der Künstler hierfür auf die Pressefotografie zurück. Symptomatisch für die in dem Bild nachvollziehbare Kompilationstechnik des Künstlers ist auch der emporgehobene rechte Arm seiner Protagonistin. Dieser verweist natürlich zuallererst auf die linke Hand der Frau in der Fotografie, die durch ihre Geste ein Einschussloch im Schaufenster präsentiert, aber auch auf den kleinen Jungen der Broadside-Vorlage, der seinen Eltern die Kreuze an der Hauswand zeigt. Yeats selbst hatte die Spuren des Massakers in einer Skizze als »Bullet hole in shop window«254 bezeichnet. Allerdings fällt auf, dass der Gestus des »flower girls« auf kein konkretes Motiv verweist, sondern eher an einen Erinnerungsgestus denken lässt, wodurch wir auf eine intimere Form des Andenkens verwiesen wären. Nicht nur die fehlenden Einschusslöcher zeigen dabei an, dass es dem Maler kaum um die getreue Wiedergabe des eigentlichen Ereignisses gegangen sein kann. Hierin unterscheidet sich sein Gemälde etwa von der in den Illustrated London News veröffentlichten Illustration, die das Publikum direkt mit den Schüssen in die Bevölkerung sowie mit den am Boden liegenden Toten konfrontiert.255 Im Gegensatz dazu entschied sich Yeats gegen eine emotionalisierende Darstellung der Gewalt und lenkte den Fokus stattdessen auf die Auswirkungen des Massakers auf die irische Gesellschaft. Im Zuge dessen wählte er offenbar eine sinnbildhafte Ausformulierung, die er in der hybriden Figur des Blumenmädchens konzentrierte. Wie die Beschreibung des Gemäldes bereits angedeutet hat, werden in der Gestalt profane und sakrale Elemente miteinander verschränkt, wobei es naheliegt, in der Darstellung eine Anspielung auf die Heilige Dorothea zu vermuten. Dass Yeats mit der Ikonografie von Heiligen vertraut war, belegen nicht nur die in seiner Sammlung enthaltenen umfangreichen Bildmaterialien zu christlichen Szenen und Figuren,256 sondern 253 SK 157  : Circus, Dublin, Greystones, Clay Pipe Making  : Where the People Were Shot on Sunday, 30. Juli  ? 1914, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/157/23. 254 SK 157  : Circus, Dublin, Greystones, Clay Pipe Making  : Where the People Were Shot on Sunday, 30. Juli  ? 1914, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/157/23. 255 Illustrated London News, Chaotic Scenes at Bachelor’s Walk, 1. August 1914  : https://www.rte.ie/ centuryireland/index.php/articles/three-people-shot-dead-by-british-soldiers-on-bachelors-walk [17.12.2022]. 256 Siehe hierzu Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/15/2/1.

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auch mehrere Vorlagen für Heiligenbanner, die er 1903 für die Loughrea Cathedral im County Galway angefertigt hatte.257 Für die Protagonistin des Gemäldes lässt sich die Verbindung zu der christlichen Märtyrerin vor allem über die ihr beigeordneten Attribute begründen. So wurde auch die Heilige Dorothea zumeist mit einem Blumenkorb und einem sie begleitenden Knaben dargestellt.258 Der Überlieferung nach war diese im Zuge der Christenverfolgung von einem sie verhöhnenden jungen Mann um Blüten ihres himmlischen Bräutigams gebeten worden. Daraufhin sei ein Engel erschienen, der ihr einen Blumenkorb überreicht habe, wodurch der Spötter bekehrt wurde. In späteren Darstellungen des Themas wurde der Engel dabei auch mit Nimbus wiedergegeben, wodurch er sich als Jesusknabe zu erkennen gab. Mittelbar könnte Yeats mit der Verbindung aus Blumenmädchen und Kind also nicht nur auf das Thema der Heiligen Dorothea, sondern zugleich auf das omnipräsente Motiv der Maria mit Kind angespielt haben. Für eine semantische Überblendung der Dorothea mit der Gottesmutter spricht, dass Yeats seine Figur nicht, wie es für die Heilige üblich gewesen wäre, mit Rosen ausgestattet hat. Stattdessen handelt es sich bei den von ihr geworfenen Blumen eindeutig um Nelken. Diese allerdings sind in der Darstellungstradition der Maria mit dem Jesuskind verknüpft, wo sie als symbolischer Verweis auf die Passion Christi gelten. Die sinnbildliche Referenz auf die Heilige Dorothea ließe sich dabei zunächst mit deren Rolle als Patronin der Blumenhändler:innen sowie mit ihrer Verehrung als Nothelferin begründen. Schließlich kann der Akt der Blumenniederlegung als eine an die Betrachtenden gerichtete Geste des Andenkens interpretiert werden, die Empathie vermittelt. Bedingt durch diesen Rückgriff auf ikonische Formeln sowie durch die »ästhetische Isolierung der Hauptfiguren«259 kommt dem Gemälde augenscheinlich die Funktion eines modernen Andachtsbildes zu, das der Kontemplation dient.260 Die durch die Anschauung hervorgerufene Erinnerung an die Leiden der Opfer wird wiederum durch das Aufgreifen des Mutter-Kind-Paares und der implizierten Passionsgeschichte verstärkt. Es ist diese von Yeats angewandte Bildlichkeit, die es ihm ermöglichte, das angedeutete christliche Martyrium in ein nationales zu transponieren und Andachts- und Geschichtsbild miteinander zu verknüpfen. Mit dieser Herangehensweise orientierte sich Yeats offenbar an der Tradition der modernen Historienmalerei, deren Beginn in der Forschung gemeinhin mit Goyas malerischen Reflexionen zeitgenössischer Ereignisse 257 Vgl. Larmour 1984. Yeats lieferte zusammen mit Æ die Entwürfe für die männlichen Heiligenfiguren, darunter St. Malachy und St. Kevin, Mary Cottenham Yeats die für die weiblichen. Die Webarbeiten wurden von den Mitarbeiterinnen der Dun Emer Guild durchgeführt. 258 Siehe etwa Francesco di Giorgio, Heilige Dorothea mit Jesusknaben, um 1460, Tempera und Gold auf Holz, 33,3 × 20,6 cm, London, National Gallery. Dass das Thema auch im 19. Jahrhundert noch populär war, zeigt etwa Edward Burne-Jones’ Aquarell Heilige Dorothea (o. D., 953 × 412 mm), das sich in Privatbesitz befindet. 259 Belting 1995, S. 88. 260 Vgl. Belting 1995, S. 88. Belting unterscheidet hier Historien- und Andachtsbilder. In Yeats’ Fall kommt dem Gemälde in meinen Augen die Funktion sowohl eines Andachts- als auch eines Historiengemäldes zu, werden doch diverse Bildformeln miteinander vereint.

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angesetzt wird.261 Besondere Bedeutung für Yeats scheint die von Goya eingesetzte Verschränkung sakraler und profaner Bildelemente gehabt zu haben, die paradigmatisch in dessen Gemälde Die Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808 zum Tragen kommt.262 In der Szene, die die Exekution von Aufständischen durch Napoleons Soldaten dargestellt, blickt eines der Opfer seiner Erschießung mit weit ausgebreiteten Armen entgegen, in einer Pose also, die ikonografisch mit dem sterbenden Christus am Kreuz verknüpft ist. Auf der Grundlage dieser Überblendung ist das Gemälde in der Literatur wiederholt als Märtyrerbild besprochen worden.263 Wie aus dem Briefwechsel mit John Quinn hervorgeht, war Yeats mit dem Œuvre des Spaniers bestens vertraut. So heißt es in seinem Brief vom 7. Juli 1908  : »I have a great book of Goya’s drawings and reproductions of his pictures. He was the cords and the strands of a painter  !«264 Eine solch offen geäußerte Bewunderung findet sich bei Yeats für kaum einen anderen Maler, was die besondere Stellung Goyas für den Iren verdeutlicht. Zugleich belegt sie Yeats’ intensive Auseinandersetzung mit dessen Werken, eine Auseinandersetzung, die innerhalb der Literatur bisher kaum Beachtung gefunden hat.265 Während sich aber Künstler wie Édouard Manet (1832 – 82) nachvollziehbar auf die Ikonografie des Erschießungsbildes bezogen,266 sah Yeats von konkreten Motiv261 Exemplarisch hier Licht 2001, S. 159. Licht bezieht sich hier insbesondere auf die Gemälde Kampf mit den Mamelucken am 2. Mai 1808 und Die Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808, die 1814 entstanden sind. Beide Werke sind Teil der Sammlung des Prado in Madrid. 262 Francisco de Goya, Die Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808, 1814, Öl auf Leinwand, 268 × 347 cm, Madrid, Museo del Prado. 263 So Busch 2014, S. 229. Die Pose der emporgestreckten Arme wird zudem als Referenz auf den Gott anflehenden Christus am Ölberg verstanden. 264 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 7. Juli 1908, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49  ; Pyle ordnet das Zitat in ihrer Yeats-Biografie einem falschen Brief zu, dem vom 16. September 1907. – Vgl. Pyle 1989, S. 108. Unter Rückgriff auf Pyles Angabe wurde dieser Zitatfehler in der Forschungsliteratur bis dato wiederholt. 265 So zitierte Pyle Yeats’ Zitat zu Goya ohne weitere werkbezogene Besprechung. – Vgl. Pyle 1989, S. 108  ; auch Arnold erwähnte die Bewunderung lediglich, zog daraus allerdings keine ikonografischen Schlüsse. – Vgl. Arnold 1998a, S. 161, und jüngst hat auch O’Doherty hinsichtlich der politischen Gemälde ohne weitere stilistische oder inhaltliche Bestimmung von »Goya-like« Arbeiten gesprochen, O’Doherty 2011, S. 19  ; in der zeitgenössischen Kritik wurde gelegentlich der Vergleich zwischen Yeats und anderen Malern gezogen, darunter auch Goya. Allerdings blieb es stets bei einer bloßen Erwähnung, so etwa bei W. T. Earp, der Yeats hinsichtlich der Lebendigkeit seiner Arbeiten neben Kokoschka und Rembrandt auch mit Goya verglich  : »Of the moderns, Daumier, Rouault, Ensor, Kokoshka [sic], and even Chagall, would provide appropriate company for his canvases, but they could take their place, too, beside Rembrandt, Rubens, Watteau or Goya. Such cataloguing implies no comparison of quality  ; but it puts Mr. Yeats among those artists who have used a maximum, instead of a minimum, of the means which their art supplies in order to express their vision«, Earp 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/2. 266 Manets vier gemalte Fassungen der Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko (1867 – 69) sind eines der vielen Beispiele, die sich hier für die umfassende Rezeption der Erschießung der Aufstän­ dischen am 3. Mai 1808 anführen lassen.

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übernahmen ab. Stattdessen orientierte er sich, um das Zeitgeschehen fassen zu können, allgemein an der verknüpfenden Herangehensweise Goyas. Ein möglicher Grund für den Verzicht auf die explizite Wiedergabe des Ereignisses am Bachelor’s Walk kann zudem auch darin vermutet werden, dass es für den sowohl in England als auch in Irland bekannten Yeats, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eingeschränkter wirtschaftlicher Bedingungen, äußerst heikel gewesen wäre, sich mittels seiner Gemälde in eindeutiger Weise zu positionieren. Er selbst äußerte dazu 1921 im Gespräch mit Allen  : Has the Republican movement found direct expression in art yet  ? Scarcely at all. Only one painter, to my knowledge, has drawn on the incidents of the last few years. We have had no Sinn Fein war artist. The conditions of the conflict made that almost impossible.«267

Mit dem erwähnten »one painter« bezog sich Yeats vermutlich auf Seán Keating und seine Porträts von irischen Freiheitskämpfern, etwa das ebenfalls 1915 entstandene Men of the West (Abb. 33), das eindeutig auf den bewaffneten Konflikt referiert. Yeats hingegen ließ die historischen Ereignisse lediglich als Verweis durchscheinen und setzte stattdessen eine dem christlichen Zusammenhang entlehnte Szene ins Bildzentrum. Der blockartige Pfeiler des Hauseinganges, vor dem sich die junge Frau eingefunden hat, erinnert in diesem Zusammenhang an den Aufbau eines Altars und unterstützt die Überlegung, dass Yeats mit der Blumenniederlegung nicht nur die Erinnerung an die gefallenen Zivilist:innen zu evozieren suchte, sondern zugleich auch die Idee des Opfertodes thematisierte. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass O’Doherty 2011 hinsichtlich der Darstellung von einem »tribute to murdered Volunteers«268 sprach, womit er das Gemälde als eindeutige politische Äußerung auffasste. Anders als von Arnold behauptet kann Bachelor’s Walk, In Memory also durchaus als gesellschaftliche Stellungnahme gewertet werden, die aber, vermittelt durch die symbolische Bildsprache, Raum für Interpretationen lässt. Diese dem Bild inhärente Ambivalenz erlaubte es dem Maler denn auch, das Werk 1921, sechs Jahre nach seiner Entstehung, an ein anderes historisches Ereignis rückzubinden, an das des Osteraufstandes.269 Innerhalb dieses erweiterten Deutungsspielraumes kommen meinem Verständnis nach auch weiteren Elementen zusätzliche Sinnebenen zu. So kann etwa die rote Nelke, die im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Symbol der Arbeiterbewegung avancierte, als Hinweis auf Yeats’ Sympathien für Larkins sozialistische Bestrebungen und die Ziele seiner Labour Party gewertet werden. Schon John Purser meinte, Yeats sei ein »leftwinger«270 gewesen, was er unter anderem daran festmachte, dass der Künstler in einem seiner Stücke, in Harlequin’s Positions, Irland die Fähigkeit zugestand, den ökonomi267 Yeats zitiert in Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 268 O’Doherty 2011, S. 19. 269 Vgl. Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 270 Purser 1991, S. 5.

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schen und militärischen Druck wohlhabenderer Nationen abwehren zu können. Offenkundig bezog sich Yeats dabei auf die mögliche wirtschaftliche Unabhängigkeit von Großbritannien, die sein Landsmann George Bernard Shaw für Irland ausgeschlossen hatte.271 Yeats’ sozialistische, antienglische Haltung kommt auch in einem Brief vom 22. November 1913 deutlich zum Ausdruck, in dem er sich gegenüber Quinn aufseiten der Arbeiter positionierte, aber Larkins Bitte um englische Unterstützung im Kampf für die Arbeiter vehement ablehnte  : And now he [Larkin, Verf.] has gone to England to raise »the fiery cross«. My sympathies are with all the workers, who have never had quite enough to eat. But I object to any help from England. But Dublin is always inclined to take all its different forms of pap from England. Thank to God the rest of Ireland is not so.272

Überträgt man diese politischen Ideale auf das zeitnah entstandene Sujet, so kann die junge Blumenfrau als Repräsentantin des einfachen Volkes und zugleich als Sinnbild eines ungebundenen Staates gelten. Dadurch verweist das Gemälde nicht nur auf eine vergangene Begebenheit, sondern stellt mit der »noble action« zugleich eine verheißungsvollere Zukunft in Aussicht, die mit der Figur des Jungen und seinem in die Ferne gerichteten Blick noch klarer konturiert wird. Schließlich zieht sich das Motiv kindlicher Kommentarfiguren wie ein roter Faden durch das Œuvre des Künstlers, wo es meist im Zusammenhang mit der Funktion eines Hoffnungsträgers zu interpretieren ist.273 Auch der Fahrer des Fuhrwerkes, den Yeats im gleichen Jahr im Rahmen eines Broad­side verewigte,274 kann als Wegbereiter gelten, der das Geschehene mit dem Kommenden verknüpft. Bei seinem Gefährt handelt es sich um ein Jaunting Car oder Irish Outside Car, ein traditionelles Fortbewegungsmittel, das im 19. Jahrhundert als

271 Vgl. Purser 1991, S. 5. Das zwischen 1936 und 1938 verfasste Theaterstück Harlequin’s Positions wurde 1939 am Dubliner Abbey Theater uraufgeführt und ist laut Purser als Bezugnahme auf Shaws 1904 verfasste Komödie John Bull’s Other Island zu verstehen, die unter anderem die wirtschaftliche Abhängigkeit Irlands von Großbritannien thematisiert. 272 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 22. November 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. Yeats kontrastierte das ländliche Irland, das der Unabhängigkeitsidee verplichtet sei, mit dem korrumpierbaren Dublin. Zudem schrieb Yeats im Postskriptum, dass er kürzlich einem Boxkampf beigewohnt habe, dessen Erlös man dem »strikers’ fund« zukommen ließ  ; Quinn widersprach Yeats in seiner Anwort vom 16. Dezember 1913 in dieser Angelegenheit, indem er für eine internationale Einheit der Arbeiter und gegen die Verklärung einer nationalen Idee plädierte. Auch hielt er Englands Hilfe für eine gute Idee. – Vgl. Brief Quinn an Jack B. Yeats, 16. Dezember 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 273 So bereits in den Illustrationen zu den Aran Islands (vgl. Kap. 4.1.3). 274 Vgl. A Broadside, Nr. 10, März 1915. Die Reproduktion basiert auf der 1915 entstandenen Zeichnung The Old Car Driver. – Vgl. Pyle 1994, S. 274 f.; 1919 hat Yeats das Motiv fahrender Kutscher weitere Male verarbeitet, so etwa in dem Gemälde An Old Car Driver – Winter Sun­ shine. – Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, S. 112.

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»national vehicle«275 Irlands beschrieben wurde. Mit der Einfügung des Motivs nahm Yeats auf die Zuschreibung Bezug und verknüpfte diese mit der Jetztzeit. Folglich fährt der Kutscher, nachdem er die Szene im Vordergrund passiert hat, dem Horizont entgegen und öffnet den Bildraum für die Betrachtenden in eine unbekannte Ferne. Die einzelnen Elemente verbinden demnach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es handelt sich um spezifische Implikationen von Zeitlichkeit, die dem Gemälde einen präfigurierenden Charakter verleihen und zugleich Fragen an den Fortgang der irischen Geschichte formulieren. Dieser Eindruck der Zeiterfahrung wird zusätzlich durch den produktionsästhetischen Ansatz des Künstlers forciert, der die Kompilation der jeweiligen visuellen Sequen­ zen nach Skizzen, fotografischen Vorlagen sowie gesammelten Eindrücken vorsah. Auch aufgrund dieser Eigenschaft kann der durch das Blumenmädchen durchgeführte Gestus des »memory-offering«276 beinahe widerspruchlos an den späteren Osteraufstand geknüpft werden. Auf einer doppelseitigen Skizze mit dem Titel Dublin from O’Connell Bridge, May 12th 1916 hatte Yeats zwar mit der zerstörten Innenstadt die Folgen der Revolte dokumentiert, das Thema aber später nicht malerisch umgesetzt.277 Wie ein am 8. Mai 1916 von Lily Yeats formulierter Bericht an Quinn nahelegt, war das Ausmaß der Verwüstung vermutlich zu schrecklich, um ihm künstlerisch begegnen zu können  : The sound of machine guns I will never forget and the fires at night – all Dublin seemed in flames. The Abbey is safe. I hope to go to town tomorrow and look at the ruins. We have Martial law and cannot be out of our house after 7  : 30 p.m. For ten days we had no mails, no papers and were completely cut off from the rest of Ireland and all the world. Now is really the horrible time, the clear up, the paying, the reckoning. 160 civil­ ians were killed in the streets. How many injured I don’t know. Sackville Street from the Bridge to the Pillar is a ruin, still smoking – some thousands must be out of work. 2000 they say taken to England and interned – for how long we don’t know. 8 shot, one bullet making a widow of Maud Gonne. Joseph Plunkett shot, his two young brothers, 10 years each.278 275 Iglis, Henry D.: Ireland 1834. A Journey throughout Ireland during the Spring, Summer, and Autumn of 1834, 2. Bde., London 1834, Bd. 1, S. 24, zitiert nach Ausst.-Kat. Liverpool 1998, S. 172. 276 Yeats zitiert in Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 277 SK 185  : Dublin (1916) 1925 and Some Greystones  : Dublin from O’Connell Bridge, May 12th 1916, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/185/11. Yeats gelangte kurze Zeit nach dem Osteraufstand mittels einer speziellen Bescheinigung in die Dubliner Innenstadt, wo er Zeuge der Zerstörung wurde. – Vgl. Halpin 1986, S. 113. Laut Bhreathnach-Lynch gibt es kaum Darstellungen des Osteraufstandes, was wohl auch damit zusammenhängt, dass die Bevölkerung von dem Ereignis vollkommen überrascht wurde. – Vgl. Bhreathnach-Lynch 1997b, S. 39. 278 Brief Lily Yeats an Quinn, 8. Mai 1916, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 47  ; bei der im Brief erwähnten Sackville Street handelt es sich um die heutige O’Connell Street. Mit dem Pillar ist der 1966 von IRA-Aktivisten in die Luft gesprengte Nelson’s Pillar (eingeweiht 1809) gemeint, an dessen Stelle 2003 die Spire of Dublin errichtet wurde.

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Aufgrund der Tatsache, dass die politischen und gesellschaftlichen Unruhen bereits in Bachelor’s Walk, In Memory adäquat Ausdruck gefunden hatten, eröffnete sich in der Retrospektive die Möglichkeit der semantischen Zusammenführung der Ereignisse. Schließlich birgt die bezeichnende Bildlichkeit des Gemäldes eine eigene Logik in sich,279 die, wie aus den unterschiedlichen Zuordnungen und Interpretationen des Künstlers und der Kritiker hervorgeht, eine andauernde Erweiterung des Bedeutungskontextes begünstigte. Rezeption und Provenienz

Dass dem Gemälde von Anfang an eine dezidiert politische Dimension beigemessen wurde, lässt sich insbesondere an dessen Ausstellungshistorie belegen. Ein Jahr nachdem Trevor Allen das Werk in Yeats’ Atelier gesehen hatte, wurde es 1922 zum ersten Mal in der Exposition d’Art Irlandais in der Pariser Galeries Barbazanges gezeigt.280 Jene Ausstellung fand parallel zur Irish Race Conference statt, die sich zum Ziel gesetzt hatte, »to link the people of Ireland with their cousins around the globe«281. Auf dem Kongress, der Irlands Unabhängigkeit auf internationaler Ebene bekräftigen sollte, hielten Vertreter:innen aus der irischen Politik und Kultur Reden, darunter auch W. B. und Jack B. Yeats.282 Die insgesamt 281 Werke umfassende Ausstellung bildete das kulturelle Rahmenprogramm der Veranstaltung, wobei die Arbeiten dem französischen Publikum in dem begleitenden Katalog als Teil einer »École Irlandaise« nähergebracht wurden.283 Die irische Presse schrieb über die ausländische Präsentation des Gemäldes, das ein weiteres Mal im Frühjahr 1922 in der Stephen’s Green Gallery in Dublin gezeigt wurde  : It has not hitherto been exhibited in Ireland, but made its first appearance at the Art Section of the Irish Race Congress in Paris. One could rest satisfied that the exhibition was truly national in character if it contained many works of this calibre.284 279 Dass Bildern ein eigener Logos anhaftet, der keiner sprachlichen Vorgabe bedarf, ist eine Überlegung aus der Bildwissenschaft, wie sie etwa von Gottfried Boehm oder Hans Belting formuliert worden ist. – Vgl. Belting 2007, S. 21. 280 Vgl. Ausst.-Kat. Paris 1922, Nr. 83 Bachelor’s Walk. En Souvenir, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/17/1/13  ; zur internationalen Wahrnehmung dieser Ausstellung siehe etwa American Art News, 20  :20, 25. Februar 1922, S. 7. 281 Keown 2001, S. 365. 282 Zu dem Verlauf des Kongresses und den genaueren historischen Hintergründen siehe Keown 2001. 283 Vgl. Ausst.-Kat. Paris 1922, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/17/1/13. Der Artikel wurde von dem französischen Kritiker Arsène Alexandre (1859 – 1937) verfasst. 284 The Leader  : Mr. Jack B. Yeats’ Pictures, 6. Mai 1922, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/1  ; zur Ausstellung in der Stephen’s Green Gallery siehe Ausst.-Kat. Dublin 1922, Nr. 11, AJ, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2.

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Anhand dieser Besprechung, die das nationale Moment des Werkes hervorhob, wird deutlich, dass Bachelor’s Walk, In Memory offenkundig als politisches Zeugnis verstanden wurde und sich folglich für ideologische Vereinnahmungen eignete. Allerdings stand diese eindeutige Assoziation nach dem Ende des Bürgerkrieges und mit der Bestätigung des Freistaates den gewünschten vernakularen Repräsentationsstrategien entgegen. Laut Nicholas Allen verurteilte die sich herausbildende »post-civil war rhetoric […] republicans for their wanton destruction, their hysterical antipathy to what was ›right‹ and ›reasonable‹.«285 In der Ablehnung der Erinnerung an republikanische Aufständische sowie in dem Drang nach gemäßigteren Bildthemen kann denn auch der Grund vermutet werden, dass Yeats stattdessen weiterhin als Maler des Westens angepriesen und das Gemälde bis 1945 nicht mehr ausgestellt wurde. In gewisser Hinsicht lässt sich damit für seine politischen Sujets eine ähnliche Tendenz ausmachen wie für jene Seán Keatings. Eine erste Zäsur bedeutete in diesem Kontext der 1932 vollzogene Regierungswechsel, bei dem die Cumann na nGaedhealPartei unter William Thomas Cosgrave (1880 – 1965) von der Fianna Fáil-Partei unter Éamon de Valera abgelöst wurde.286 Mit dem Ende des Freistaates im Jahr 1937 und einer neuen Konjunktur des Republikanismus wurde auch Bachelor’s Walk, In Memory wieder regelmäßig in der Öffentlichkeit gezeigt. So war es 1946 neben Keatings Men of the West in der Exhibition of Pictures of Irish Historical Interest im Dubliner National College of Art vertreten, einer Ausstellung, die anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums des Osteraufstandes eine Auswahl politischer Werke versammelte.287 Darauf folgten in kurzem Abstand mehrere nationale und internationale Präsentationen des Bildes. 1971 schließlich wurde es sogar als Katalogtitel einer internationalen Yeats-Retrospektive ausgewählt, die in Dublin, Belfast und New York gezeigt wurde.288 Auf diese Weise ging das Bild, das MacGreevy zur Nobilitierung Yeats’ zum nationalen Künstler ausgewählt hatte, in einer global vermittelten Vorstellung von genuin irischer Kunst auf. MacGreevys 1942 verfasste Deutung korrespondierte demnach mit dem aufkommenden Bedürfnis nach Verbreitung nationaler Bildlichkeit im öffentlichen Bewusstsein. In diesen Kontext kann auch die 1954 geäußerte Bereitschaft der Regierung eingeordnet werden, den Ankauf von Bachelor’s Walk, In Memory für die National Gallery of Ireland finanziell zu unterstützen, um das Bild für die Bevölkerung zugänglich machen zu können. Dies geht aus einem vertraulichen Brief MacGreevys an die Regierung 285 Allen 2009, S. 156. 286 Vgl. Kennedy 2008, S. 38 und O’Doherty 1971, S. 86  ; William Thomas Cosgrave war als Nachfolger von Michael Collins Befürworter des Vertrages. Er war der 1. Präsident des Exekutivrates des Irischen Freistaates (1922 – 1932). Cosgrave gründete 1923 die 2. Cumann na nGaedhealPartei (Bündnis der Gälen) und regierte bis 1932. Danach wurde er von dem Vertragsgegner de Valera und seiner 1926 gegründeten Fianna Fáil-Partei (Soldaten des Schickals) abgelöst. Die Wahlniederlage Cosgraves resultierte schließlich in der Neugründung der Fine Gael-Partei im Jahr 1933 (Familie der Iren). Beide Parteien existieren bis heute. 287 Inner Hall, Nr. 6, siehe Ausst.-Kat. Dublin 1946, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/17/1/51. 288 Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 1971.

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hervor.289 Offenbar bot sich die Gelegenheit zum Kauf dadurch, dass Father Senan (1900 – 70) Teile seiner Sammlung, zu der seit 1941 auch Bachelor’s Walk, In Memory gehörte, veräußerte.290 Als Herausgeber des 1930 gegründeten, dezidiert irischen Ca­ puchin Annual hatte der Kapuziner die kulturelle Landschaft lange Zeit geprägt  ; unter anderem war auch MacGreevys Three Historical Paintings by Jack B. Yeats in der Reihe erschienen. Allerdings lehnte der Vorstand der National Gallery die Akquisition trotz der angebotenen Förderung der Regierung ab, folgte das Museum doch dem Grundsatz, keine Werke von lebenden Künstler:innen anzukaufen. Letztlich erwarb Lady Dunsany (Mrs Randal Plunkett, 1912 – 99) das Gemälde,291 sehr zum Bedauern von MacGreevy, der sich 1957, nach Yeats’ Tod, mit der Bitte an de Valera wandte, das Werk doch noch für die Galerie anzukaufen. Die Wichtigkeit des Werkes hervorhebend schrieb er  : If at all possible Mrs Plunkett should be persuaded to surrender the ownership of Bach­ elor’s Walk – In Memory, which is one of the most moving and beautiful pictures by the artist ever painted.292

Allerdings blieb auch dieser Versuch erfolglos und das Werk somit Teil der Sammlung im Dunsany Castle im County Meath, wo es 1990, zusammen mit einem weiteren Yeats-Gemälde und drei Arbeiten Anthonis van Dycks, gestohlen wurde.293 17 Jahre 289 Vgl. Brief MacGreevy an die Regierung  : Confidential, Jack Yeats’s Pictures, Typoskript, nach Mai 1957, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/78. 290 Zu Father Senans Sammlung gehörten seit 1941 auch die Gemälde The Funeral of Harry Boland und Communicating with Prisoners. Laut MacGreevy bot die Dubliner Dawson Gallery 1954 alle drei Gemälde zum Verkauf an, wobei offenbar nur Bachelor’s Walk, In Memory von Lady Dunsany erworben wurde. – Vgl. Brief MacGreevy an die Regierung  : Confidential, Jack Yeats’s Pictures, Typoskript, nach Mai 1957, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/78. Die anderen beiden Bilder wurden erst 1962 von der Niland Collection in Sligo angekauft. Dass sich alle drei Bilder Mitte der 1950er Jahre in der Dawson Gallery befanden, wie MacGreevy schreibt, wurde von der zentralen Yeats-Forschung bisher nicht bemerkt, weder bei Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 97, S. 84  ; Nr, 178, S. 156  ; Nr. 246, S. 221 noch bei Arnold 1998a, S. 320. Vielmehr gingen beide von dem Verbleib in der Father Senan Collection bis Anfang 1960 aus  ; Somerville-Large wies zwar in seiner Untersuchung zur National Gallery of Ireland auf den gewünschten Verkauf aus der Dawson Gallery hin, bemerkte bei seiner Schilderung allerdings nicht die Widersprüche der Sammlungszugehörigkeit und behaupte sogar, dass Father Senan, dessen Tod für 1970 belegt ist, bereits Mitte der 1950er Jahre gestorben sei. – Vgl. Somerville-Large, S. 359. 291 Vgl. Brief MacGreevy an die Regierung  : Confidential, Jack Yeats’s Pictures, Typoskript, nach Mai 1957, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/78  ; zur Ablehnung siehe auch Schreibman 2005, S. 99. Sie weist auf das »Minute Book« der National Gallery of Ireland hin, aus dem die Sitzung des Board of the National Gallery of Ireland zum Ankauf vom 11. Juni 1954 hervorgeht, in der das Board gegen den Erwerb votierte. 292 Brief MacGreevy an Éamon de Valera, 15. April 1957, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8148 – 250, zitiert nach Somerville-Large, S. 359. 293 Vgl. Art Theft. Yeats Painting for Sale 2007, RTÉ Archives, https://www.rte.ie/archives/2017/0117 /845541-stolen-jack-b-yeats-painting/ [17.12.2022].

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lang galt es als verschollen, ein Umstand, der seinen ikonischen Charakter zusätzlich befeuerte. Demgemäß resümierte Somerville-Large 2004  : »There is no doubt if the NGI had acquired these pictures, they would have been by far the most popular of Yeats’ pictures in possession.«294 Erst 2007 tauchte das Werk im Zuge einer Versteigerung des Londoner Auktionshauses Sotheby’s wieder auf und gelangte in die DunsanySammlung zurück. Seit 2009 ist es dank einer Dauerleihgabe in der National Gallery of Ireland zu sehen.295 Im Zuge der aufsehenerregenden Rückkehr des populären Bildes brachen auch die Debatten um dessen Rezeption wieder auf. In einem Artikel, den Arnold unmittelbar nach dem Fund von Bachelor’s Walk, In Memory veröffentlichte, beharrte er auf der bereits in seiner Yeats-Biografie propagierten Meinung, wonach das Gemälde apolitisch sei  : »Bachelor’s Walk  : In Memory is a painting of huge interest, a good deal of it for the wrong reasons. It is not, as many critics have asserted, ›iconic‹ or ›symbolic‹.«296 Bilanzierend lässt sich festhalten, dass die fortwährende Diskussion um Yeats’ politische Bildwerke vor allem als Spiegelbild der Verhandlungen um eine vermeintlich irische Identität zu bewerten ist, die seit der Gründung des Staates einer kontinuierlichen Evaluierung unterlag. Brian O’Doherty hat die Auseinandersetzung, die letztlich dem Wechsel politischer Ausrichtungen unterworfen war und sich insbesondere durch die divergierende Beurteilung des Osteraufstandes auszeichnete, 2011 treffend zusammengefasst  : The subject [nationaler Zuschreibung, Verf.] can still provoke unease, as when it led to a nervous denial of the country’s own Republican traditions – the suppression in 1996 of ›celebrations‹ of the sixtieth anniversary of the 1916 Rising. Would such celebrations be misinterpreted as support for Sinn Fein and incite 1916 violence  ? The country’s self-image was – is – still being brokered.297

Wie die Analyse der ikonografischen Elemente des Gemäldes ergeben hat, entzieht sich Bachelor’s Walk, In Memory eindeutigen Zuordnungsversuchen. Hinsichtlich der verdichteten Komposition sowie der Interferenz alltäglicher und christlicher Motivik handelt es sich um ein komplexes und höchst referenzielles Bild, das keineswegs als bloße Dokumentation irischer Ereignisse betrachtet werden kann. Vielmehr bedient das Gemälde geschickt den Modus der Augenzeugenschaft und bindet es so an eine 294 Somerville-Large 2004, S. 359. Er bezog sich hier zudem auf die beiden anderen zentralen Werke The Funeral of Harry Boland und Communicating with Prisoners, die ebenfalls zur Sammlung von Father Senan gehörten, jedoch nicht von der National Gallery erworben worden waren. 295 2007 tauchte es bei einer Versteigerung des Auktionshauses Sotheby’s zufällig wieder auf, jedoch ohne erkannt zu werden. Das ist insofern bemerkenswert, als es sich um das wohl bekannteste Werk von Yeats handelt. – Vgl. Art Theft. Yeats Painting for Sale 2007, RTÉ Archives, https:// www.rte.ie/archives/2017/0117/845541-stolen-jack-b-yeats-painting/ [17.12.2022]. 296 Arnold 2007  ; ebenso Arnold 1998a, S. 191 – 193. 297 O’Doherty 2011, S. 21.

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gemeinsame Erfahrungswelt rück. Wie die Werkgenese deutlich gemacht hat, arbeitete der Künstler dabei unter Rückgriff auf eigene Notizen und Erinnerungen sowie zeitgenössische Fotografien und tradierte Ikonografien. Zusätzlich widerspricht auch die Bildlichkeit selbst der Annahme des reinen Abbildcharakters. Schließlich richtet sich das Gemälde in Form eines modernen Andachtsbildes direkt an das Publikum, das durch die Kommentarfigur des Jungen in besonderer Weise in das Geschehen eingebunden wird. Ähnlich wie bei Yeats’ früheren Bildern des Westens ist auch Bachelor’s Walk, In Memory in dieser Hinsicht eine spezifische Bildmacht eigen, die die Interaktion mit den Betrachtenden evoziert. Die durch das Werk angedeutete kommunikative Ebene greift damit bildlich bereits die wenig später geäußerte theoretische Forderung des Künstlers nach der Bezugnahme auf das Publikum vorweg  : »Pictures are a method of communication between the artist and those who look at their pictures […].«298 Mittels der Übernahme tradierter Gebärden lieferte die Darstellung eine geeignete Vorlage für identifikative Bildentwürfe. Es ist diese affizierende Wirkmacht des Gemäldes, die es für nationale wie universelle Deutungen gleichermaßen prädestinierte. 4.2.2 Ein irischer 3. Mai  ? The Funeral of Harry Boland, 1922 Während der Zeit des Unabhängigkeitskampfes und seiner Folgen schuf Yeats weitere Werke, die sich thematisch auf die Nachwirkungen zentraler Ereignisse bezogen, womit sie, ähnlich wie Bachelor’s Walk, In Memory, als Erinnerungsbilder gedeutet werden können. Zu diesen Gedenksujets gehören vor allem Darstellungen von Begräbnissen, die wiederholt in seinem Œuvre zu finden sind. Bereits 1915 hatte Yeats mit der Zeichnung The Lying-in-State of the Exiled Fenian, Jeremiah O’Donovan Rossa (1831 – 1915), at Dublin City Hall, 2. August 1915 das Begräbnis des Feniers O’Donovan Rossa eingefangen (Abb. 25). Neben diesen eindeutig politisch konnotierten Motiven, die die Zeit der Unruhen in Irland spiegeln, finden sich auch zwei Werke, die Begräbnisse im Westen Irlands zeigen und sich auf den ersten Blick nicht durch eine entsprechende Aufladung auszeichnen. Das 1918 entstandene Gemälde The (Swinford) Funeral beschränkt sich auf die Wiedergabe einer Trauerprozession auf einer ländlich anmutenden, von Trockensteinmau-

298 Yeats 1922c, S. 10  ; wie universell die Bildsprache sowie das Motiv der Blumenniederlegung als Befriedungsgeste im Zusammenhang politischer Konflikte ist, zeigt sich an den Bildern, die im Juni 2020 von den friedlichen Protesten der Black Lives Matter-Bewegung in den USA entstanden sind. So zeigt eine fotografische Aufnahme von John Minchillo, die in New York City im Stadtteil Manhattan aufgenommen wurde, einen Mann, der eine Blume vor bewaffneten Polizisten niederlegt. Die Blume wurde in Erinnerung an den durch Polizeigewalt zu Tode gekommenen George Floyd niedergelegt, eine Geste, die sich gegen strukturellen Rassismus richtet. Diese bildliche Analogie rückt Yeats’ Gemälde zugleich in den Kontext von Protestbildern.

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ern gesäumten Straße.299 Hinter einem Einspänner, der dem Transport des Sarges dient, folgen mit gesenkten Köpfen die Angehörigen, bei denen es sich nahezu ausnahmslos um Frauen handelt. Beschlossen wird der Trauerzug von einem Geistlichen  ; am linken Bildrand beobachten zudem zwei einfach gekleidete Männer das Geschehen. Das Bild bezieht sich relativ detailgetreu auf eine Skizze, die 1905 während der gemeinsamen Reise mit Synge entstanden war.300 Damit handelt es sich um eines der wenigen Gemälde, die einen gezeichneten Entwurf beinahe unverändert wiedergeben. Bereits im Skizzenbuch ist die Szene zudem mit Swinford bezeichnet, wobei es sich um eine kleine Stadt im County Mayo handelt. Während Yeats die Komposition nicht innerhalb der Illustrationen des Congested Districts-Berichtes umsetzte, findet sich im Manchester Guar­dian eine ausführliche Beschreibung des Ereignisses durch Synge  : Turning out of Swinford, soon after our arrival, we were met almost at once by a country funeral coming towards the town with a large crowd, mostly women, walking after it. The coffin was tied on one side of an outside car, and two old women, probably chief mourners, were sitting on the other side. In the crowd itself we could see a few men leading horses or bicycles, and several young women who seemed by their dress to be returned Americans.301

Ein weiteres »country funeral«302 hielt der Künstler 1923 in The Island Funeral fest, wobei er erneut das Sujet der gemeinsamen Wehklage ins Zentrum stellte.303 Dargestellt ist ein Segelboot, auf dem Hinterbliebene einen Sarg von den Blasket Islands aufs Festland überführen. Bei der Szene handelt es sich um ein typisch westirisches Sujet, gab es doch auf den entlegenen Inseln keine Friedhöfe. Mittelbar bezog sich der Künstler mit dem Motiv auch auf die klassische Mythologie, in der Charon die Toten auf dem Styx in den Hades überführt.304 Auf diese Weise wird dem traditionellen irischen Kla-

299 Jack B. Yeats, The (Swinford) Funeral, 1918, Öl auf Leinwand, 23,2 × 36,1 cm, Baltimore, The Walters Art Gallery. 300 SK Swinford 1905, Synge  : Swinford, Bleistift, Aquarell, 90 × 125 mm, unpubliziert, NYPL, Berg Coll MSS Yeats, JaB  ; auch ein angebrachtes Schild auf der Rückseite des Gemäldes, das sich seit 1987 im Walters Art Museum in Baltimore befindet, verweist auf Synge und die gemeinsame Reise. – Vgl. Walters Art Museum, Baltimore, https://art.thewalters.org/detail/20184/the-swinford-funeral/ [17.12.2022]. 301 Synge 1905c, S. 5. 302 Synge 1905c, S. 5. 303 Jack B. Yeats, An Island Funeral, 1923, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection. 304 Dass es sich bei den Trauernden um Bewohner:innen der Blasket Islands handelt, hat zuerst Pyle vermutet, wohl auch weil Yeats 1921 Dingle bereist und dort auch den Transfer zwischen den Inseln wahrgenommen hatte. – Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 207, S. 182 f. Der naheliegende Hinweis zur Mythologie stammt von Kennedy 2020.

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geritual, dem sogenannten Keening, das bis heute bei Prozessionen und Beisetzungen üblich ist, eine übergeordnete Identität verliehen.305 Während sich beide Gemälde nicht an eine persönliche Verlusterfahrung rückbinden lassen, erlauben sie möglicherweise eine politische Konnotation. Immerhin entstanden beide Werke im zeitlichen Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeit. Vor allem hinsichtlich ihrer Symbolhaftigkeit lassen sie sich damit im übertragenen Sinne als Manifestation kollektiver Trauer auffassen. Dafür spricht, dass Yeats The (Swinford) Funeral erst lange nach der Entstehung der Skizze umsetzte. Bezeichnend ist auch, dass der Maler zwischen 1915 und 1929 verschiedene Beerdigungsszenarien erfasst hat. In der Folge soll überprüft werden, inwiefern sich diese als visuelle Indikatoren für den gewaltvollen Konflikt sowie den gesellschaftlichen Umgang damit begreifen lassen. Mit Early Morning, Glasnevin ist 1923,306 und damit im selben Jahr wie The Island Funeral, ein weiteres Beerdigungsbild entstanden, das hinsichtlich seiner nationalen Aussage eindeutiger ausfällt. So handelt es sich bei dem titelgebenden Friedhof um den Glasnevin Cemetery, den irischen Nationalfriedhof im gleichnamigen Dubliner Stadtteil Glasnevin, wo während des Bürgerkrieges zahlreiche Opfer des Konfliktes beigesetzt wurden. 1923 galt Dublin aufgrund der zahlreichen Attentate und Hinrichtungen denn auch als Stadt der Begräbnisse.307 Ob es sich bei dem Toten in Early Morning, Glasnevin um einen Republikaner oder einen Vertragsbefürworter handelt, lässt das Bild offen. Bekannt ist nur, dass Yeats unter den Trauergästen auch bekannte Persönlichkeiten dargestellt hat, darunter Dermod O’Brien,308 den Präsidenten der Royal Hibernian Academy, der er selbst angehörte. Der Künstler hielt damit Personen aus seinem unmittelbaren Umfeld fest und legte zugleich seine innerbildliche Zeugenschaft nahe. Anders verhält es sich bei dem 1922 vollendeten Gemälde The Funeral of Harry Boland, das durch die Erwähnung des Namens der beigesetzten Person unmissverständlich auf die Trauerfeier eines Vertragsgegners hindeutet (Abb. 67). Das 61 × 91,5 cm große Ölgemälde, das heute Teil der Niland Collection in Sligo ist, stellt die Beisetzung des republikanischen Politikers Harry Boland (1887 – 1922) dar, der 1922 im Zuge des Bürgerkrieges von Soldaten des Freistaates erschossen worden war.309 Bezeichnend ist, dass Yeats das Bild 1923 für die Ausstellung der Royal Hibernian Academy unter dem 305 Das Ritual des lauten Wehklagens wird unter anderem beschrieben bei Synge 1907, S. 38 f.; gegenüber O’Doherty beteuerte Yeats Mitte der 1950er Jahre, dass es sich bei den dargestellten Frauen um »keeners« handelt. – Vgl. O’Doherty 2011, S. 24. 306 Jack B. Yeats, Early Morning, Glasnevin, 1923, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Privatbesitz. 307 Vgl. Kennedy 2020. 308 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 205, S. 180  ; die anderen offenbar bekannten Personen benennt Pyle allerdings nicht. 309 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 178, S. 156  ; eine erste diskursanalytische sowie kritische ikonografische Einordnung, die über eine bloße deskriptive Besprechung hinausgeht, erfolgte bei Ansel 2019.

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Abb. 67 Jack B. Yeats, The Funeral of Harry Boland, 1922, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection.

gekürzten Namen A Funeral einreichte,310 offenbar, um inmitten des gesellschaftlichen Umbruches keine persönliche Parteinahme zu signalisieren. Seine Vorsicht war durchaus begründet, immerhin wurde das Begräbnis vom Freistaat nicht gebilligt.311 Wie aus seinem Gemäldeindex hervorgeht, ergänzte er den Namen des Bildes auch erst später um die Angabe der Persönlichkeit.312 Dass die politische Konnotation nicht unbemerkt blieb, zeigt sich daran, dass MacGreevy das Gemälde in einem unpublizierten und nicht datierten, vermutlich aber bereits 1926 verfassten Aufsatz als Republican Funeral besprach.313 Darüber hinaus ist es aufschlussreich, dass das Bild, im Gegensatz zu den allgemein gehaltenen Beerdi310 Siehe dazu GI, Yeats Archive, Inv-Nr. Y1/JY/4/1/5-1. Hier ist der Titel »A Funeral« vermerkt zusammen mit dem Eintrag »Hibernian 1923«. 311 Vgl. Bhreathnach-Lynch 2007, S. 148. 312 Ein weiterer Eintrag des Künstlers nennt den späteren Titel »Funeral Harry Boland«, unter dem es 1941 in der Waddington Gallery gezeigt und verkauft wurde. – Vgl. GI, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/1/5-1  ; allerdings wurde das Gemälde in amerikanischen Zeitungen bereits 1927 als The Funeral of a Republican reproduziert. Wahrscheinlich hatte Yeats selbst das Gemälde unter dem erweiterten Titel zur Veröffentlichung im Ausland freigegeben. – Vgl. The Dial, Februar 1927, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. JY/Y1/4/2/2. 313 Vgl. MacGreevy  : ohne Titel, unpubliziertes, achtseitiges Manuskript zu Jack Yeats, undatiert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 7999/1. Der Artikel datiert meines Erachtens auf 1926, da im

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gungsdarstellungen, keine Erwähnung in der Presse fand. So wurde etwa The Island Funeral mehrfach positiv besprochen, wobei vor allem der universell zu verstehende Inhalt des Bildes hervorgehoben wurde. So heißt es im Freeman’s Journal vom 6. April 1924 über das Werk  : »It [The Island Funeral, Verf.] is a typical specimen, displaying his [Yeats’, Verf.] accustomed skill, and his faculty of selecting objects worth depicting.«314 MacGreevy wiederum war gerade von der vermeintlich politischen Botschaft von The Funeral of Harry Boland angetan, diente ihm doch die Verortung des Gemäldes in einem nationalen Kontext dazu, den Maler einmal mehr zum Nationalkünstler zu stilisieren. In seinem Manuskript verglich er Yeats’ Kunst denn auch mit keiner geringeren als der Francisco de Goyas. Seine Parallelisierung reihte sich damit in ein ›volkstümliches‹ Narrativ ein, dessen Anfang bereits in der 1914 vorgenommenen Analogie Padraic Colums auszumachen war. Schließlich hatte dieser dafür plädiert, Yeats’ Broadsides hinsichtlich ihrer landestypischen Stellung eine ebenso große Bedeutung beizumessen wie Goyas Caprichos.315 Im Sinne der patriotischen Erhöhung von Yeats’ Kunst konstatierte MacGreevy  : Yeats’ […] pictures such as A Republican Funeral will [one day] be considered as important a part of the nation’s history as the [sic] Goya’s 8th [sic] May is to the Spanish art lover.316

Bemerkenswert an dieser Gegenüberstellung ist zunächst, dass der Kritiker die historischen Ereignisse im Spanien Goyas mit jenen im Irland des 20. Jahrhunderts verglich  : It has been a period comparable to that through which Spain passed in Goya’s day, a period in which a savage war fought between the people and their conquerors, fought the very ground that the people were fighting for.317

Zusätzlich reihte der Kritiker Yeats damit in eine künstlerische Traditionslinie ein, sei er doch, ebenso wie der spanische Hofmaler, in der Lage gewesen, zeithistorische Zusammenhänge seiner Heimat in adäquater Weise in die eigene Kunst zu übersetzen,318

Text auf Yeats’ Gemälde Back from the Races (1925) und dessen Erwerb durch die Tate Britain ein Jahr vor der Entstehung des Textes hingewiesen wird (die Tate hatte das Bild 1925 angekauft). 314 Freeman’s Journal, 6. April 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 315 Vgl. Colum 1914, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Y1/JY/4/2/1. 316 MacGreevy  : ohne Titel, unpubliziertes, achtseitiges Manuskript zu Jack Yeats, undatiert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 7999/1, S. 8. 317 MacGreevy  : ohne Titel, unpubliziertes, achtseitiges Manuskript zu Jack Yeats, undatiert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 7999/1, S. 3. 318 Vgl. MacGreevy  : The Art of Jack B. Yeats, unpubliziertes, dreiseitiges Typoskript, undatiert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. 7999/2, S. 3  : »He has translated life in Ireland during the first third of the XXth century into terms of art and in so doing he has made himself – and in the absence

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wobei er dessen Republican Funeral ausgerechnet mit dem wohl bedeutendsten Gemälde Goyas gleichsetzte. Darüber hinaus belegen die von MacGreevy behaupteten Übereinstimmungen zwischen Goyas Erschießungsbild und Yeats’ Bestattungsgemälde die zentrale Bedeutung, die er Yeats innerhalb der irischen Kunstgeschichtsschreibung zugedacht wissen wollte. Nicht umsonst betonte MacGreevy die dokumentarische Qualität der Darstellung, bei der es sich aufgrund eines Kameraverbotes um das einzige bildliche Zeugnis der Beisetzung gehandelt habe.319 Allerdings, und das ist symptomatisch für Kanonisierungsversuche nationaler Kunst, geht mit MacGreevys Überhöhung des Werkes auch die Verstellung des Blickes auf dessen kritische Nuancen und ambivalente Vielschichtigkeit einher. So ist bekannt, dass Intellektuelle und Künstler:innen, darunter auch Yeats, dem etablierten Freistaat durchaus kritisch gegenüberstanden,320 eine Haltung, die in The Funeral of Harry Bo­ land deutlich zum Ausdruck kommt. Dennoch stellt die Schilderung des Ereignisses auf dem irischen Nationalfriedhof weniger ein klares politisches Bekenntnis als vielmehr eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Haltungen und der Widersprüchlichkeit der jungen irischen Geschichte dar. So fällt auf, dass das im Querformat angelegte Gemälde gar nicht das Grab selbst zeigt, das durch die Umstehenden verdeckt wird, sondern stattdessen die große Trauergemeinde in den Blick nimmt. Der Kreis der Gäste, zu denen auch Vertreter der Irish Republican Army gehören, ist dabei um einen riesigen Berg von Blumenkränzen herum angeordnet, der sich vor der Grabstelle auftürmt. Zwei überdimensioniert angelegte Hochkreuze, die im linken Bildhintergrund unter dem grauen Himmel und zwischen Baumreihen in die Höhe ragen, verweisen zusammen mit dem hinter der Menschenmenge angeordneten Fuß des Rundturmes auf die Renaissance der irischen Kultur im 19. Jahrhundert. Immerhin handelt es sich bei dem Bauwerk um das bereits erwähnte, auch in einem Broadside verewigte Denkmal (Abb. 26), das 1869 zu Ehren Daniel O’Connells errichtet worden war. Im vorliegenden Fall lässt es sich somit, auch durch seine prominente Positionierung, als Referenz auf die ins 19. Jahrhundert zurückreichenden irischen Befreiungsversuche verstehen. Innerhalb der geschlossen wirkenden Komposition sticht eine isoliert stehende Figur in der rechten Bildhälfte heraus, die für das Verständnis des Bildes wesentlich ist. Schließlich handelt es sich, der Yeats-Forschung zufolge, um Kevin O’Higgins (1892 – 

of any true tradition it was exceptionally difficult of achievement – one of the masters in the history of painting.« 319 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 178, S. 157. Yeats selbst hat laut Pyle behauptet, es habe sich bei seinem Gemälde um das einzige Zeugnis des Ereignisses gehandelt, eine Behauptung, die Fitzpatrick 2003 widerlegen konnte. Wohl nicht alle Kameras wurden konfisziert, wie Fotografien des Ereignisses aus dem Archiv der Familie Boland beweisen. – Vgl. Fitzpatrick 2003, S. 330 f., Fn. 39. 320 Vgl. Lloyd 2016, S. 94.

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1927), den damaligen Justizminister des Freistaates.321 Dass Yeats, der sich selbst als Republikaner verstand, O’Higgins, der im Bürgerkrieg zahlreiche Hinrichtungen von republikanischen Vertragsgegnern veranlasst hatte,322 in das Bild aufnahm, verdeutlicht seine differenzierte Haltung gegenüber der Verfasstheit des Freistaates. Während die republikanische Seite durch die Mehrheit der Trauergemeinde repräsentiert wird, tritt der etablierte Staat, vertreten durch seinen Justizminister, als Minderheit in Erscheinung. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass MacGreevy die Figur in seinem 1942 entstandenen Aufsatz nicht als O’Higgins, sondern als »Republican who was in charge of the proceedings«323 interpretierte. Seine Lesart legt nahe, dass Yeats in dem Gemälde ausschließlich republikanische Anhänger erfasst hat. Mit dieser Annahme verkannte MacGreevy jedoch jene innerbildlichen Widersprüche, die doch erst die Brisanz des Werkes ausmachen. Diese interpretatorische Abweichung ist von der Literatur bisher nicht bemerkt worden, was insofern irritiert, als andere Passagen des Textes regelmäßig zitiert wurden. In jedem Fall lässt die Beschreibung des Kritikers deutlich dessen eigene politische Haltung erkennen, die sich in der Ablehnung des Freistaates äußerte, wobei er seinen voreingenommenen Blick auf Yeats’ Werk übertrug. Beachtet werden muss, dass MacGreevy diese Einschätzung 1942 vornahm, zu einem Zeitpunkt, als der Freistaat bereits nicht mehr existierte und sich hingegen eine Politik des Republikanismus durchgesetzt hatte. Der Kritiker erhob das Gemälde hiermit retrospektiv zum Paradebild republikanischer Politik und brachte zugleich zum Ausdruck, dass Yeats von Beginn an der irischen Sache verpflichtet gewesen sei. MacGreevys früherer Vergleich mit Goyas Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808, den er – vermutlich, um die Eigenständigkeit von Yeats’ Werk nicht zu tangieren – nicht noch einmal so konkret wiederholte, bildete dabei offenbar den Ausgangspunkt für die politische Ausrichtung der Historiografie, die er konsequent fortsetzte und im Rahmen einer nationalen Künstlertopik verfestigte. Allerdings ist dem Werk, wenn auch in anderer Form als von MacGreevy intendiert, durchaus eine Anlehnung an Goyas Herangehensweise zu entnehmen. Es handelt sich um eine Bezugnahme, die bereits für das frühere Bachelor’s Walk, In Memory konstatiert wurde  : So hat der Künst321 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 178, S. 157  ; allerdings hielt der Historiker David Fitzpatrick (ohne Angabe von Gründen) diese Zuordnung für unwahrscheinlich. – Vgl. Fitzpatrick 2003, S. 6  ; seine Skepsis wurde von der Yeats-Forschung bisher jedoch nur von Foster geteilt. – Vgl. Foster 2016, S. 264  ; Allen, Lloyd und O’Doherty etwa gehen weiterhin von O’Higgins als Dargestelltem aus. – Vgl. Allen 2009, S. 137 und Lloyd 2016, S. 93 sowie O’Doherty 2011, S. 20. Die hohe Stirn des Dargestellten sowie dessen Gestalt stimmen tatsächlich mit zeitgenössischen Fotografien von O’Higgins überein, weshalb ich mich hier der überwiegenden Forschungsmeinung anschließe. 322 Vgl. Lloyd 2016, S. 92. O’Higgins sollte später ebenfalls Opfer von politischer Gewalt werden, als er 1927 von IRA-Mitgliedern auf offener Straße erschossen wurde. – Vgl. O’Doherty 2011, S. 20. 323 MacGreevy 1942, S. 249 f.

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ler auch The Funeral of Harry Boland, einem übergeordneten Verständnis folgend, einen hoffnungsstiftenden Moment eingeschrieben, ist doch dem Motiv der Grablegung im christologischen Zusammenhang der Gedanke der Auferstehung inhärent. Neben der Verschränkung von Sakralem und Historischem bestehen die Gemeinsamkeiten zwischen den Kompositionen Goyas und Yeats’ folglich in der bei beiden Künstlern zu konstatierenden Verweigerung dokumentarischer Genauigkeit. Bereits Susan Sontag hat darauf hingewiesen, dass »Goyas Bilder […] eine Synthese« bilden, deren Anspruch es sei, zu behaupten, »solche Dinge sind geschehen«.324 Seine gleichfalls synthetische Herangehensweise eröffnete Yeats dabei die Möglichkeit, widersprüchliche Wahrheiten – die MacGreevys nationaler Geschichtskonstruktion zum Trotz existierten – sichtbar zu machen. Die in Yeats’ Werk angelegte Ambivalenz ist es auch, die seinen Ansatz von dem seiner Zeitgenoss:innen unterscheidet. Dies zeigt das Beispiel Sir John Laverys (1856 –  1941), der das Thema des nationalen Begräbnisses in seinem ebenfalls 1923 entstandenen Ölgemälde Michael Collins (Love of Ireland) in geradezu gegensätzlicher Weise verarbeitete. Collins, der als Angehöriger der Delegation zu den Unterzeichnern des Anglo-Irischen Vertrages gehörte und den man für die Gründung des Freistaates verantwortlich machte, war 1922 im Bürgerkrieg von IRA-Vertragsgegnern erschossen worden (Abb. 68). Das heute in der Dubliner Hugh Lane Gallery gezeigte Bild präsentiert den aufgebahrten Collins aus großer Nähe. In starker Untersicht und unnatürlich heller Beleuchtung wird der schräg ins Bild gesetzte Oberkörper des Toten ausgestellt, wobei Attribute wie ein Kruzifix und die irische Trikolore die heroische Zurschaustellung komplettieren. Während die Flagge den Körper des Toten umhüllt und Collins postum als Verfechter der irischen Sache darstellt, verweist das Kreuz sinnbildlich auf die im Freistaat angestrebte Vereinigung von Staat und Kirche. Alle zentralen Attribute hatte der Künstler 1922 schon einmal in dem Werk The Blessing of the Colours verwendet,325 das einen knienden Freistaatsoldaten dabei zeigt, wie er dem Erzbischof von Dublin die irische Fahne zum Zweck der Segnung entgegenhält.326 Laverys Darstellung des verstorbenen Collins ist insofern einzigartig, als sie zugleich auf die besondere Stellung des Malers hindeutet. Der in Belfast geborene Lavery war gleichermaßen eng mit Großbritannien wie mit Irland verbunden, was sich auch in seinen Themen niederschlug. Exemplarisch hierfür sind seine Porträts beider politischer Lager  : Ebenso wie den Unionisten und Gegner der Home Rule-Bewegung, Edward Carson, stellte er den Nationalisten John Redmond dar. Sein ausdrückliches Interesse 324 Sontag 2003, S. 56. 325 John Lavery, The Blessing of the Colours, 1922, Öl auf Leinwand, 243,8 × 182,9 cm, Dublin, Hugh Lane Gallery. 326 Vgl. Kennedy 2016d, S. 164. Lavery bezog sich hier auf eine von ihm angefertigte Fotografie einer ähnlichen Zeremonie. Kennedy vermerkt zudem, dass bereits der Young Irelander Thomas Davis 1843 die Präsentation der Trikolore als nationales Sujet für bildwürdig erklärte. Sie bezieht sich auf Davis 2000, S. 73.

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Abb. 68 John Lavery, Michael Collins (Love of Ireland), 1922, Öl auf Leinwand, 63,8 × 76,8 cm, Dublin, Hugh Lane Gallery.

an der irischen Sache kam 1916 zudem dadurch zum Ausdruck, dass er mit The Court of Criminal Appeal. London. 1916. (Roger Casement), die Gerichtsverhandlungen zu Roger Casement malerisch dokumentierte,327 eine Arbeit, die von britischer Seite aus argwöhnisch betrachtet wurde. Dennoch wurde Lavery, der sowohl Mitglied der Royal Academy als auch der Royal Hibernian Academy war, 1918 vom britischen König zum Ritter geschlagen.328 Seine Haltung gegenüber dem errichteten Free State war folglich weniger kritisch als die von Yeats, noch dazu verkehrte der Maler mit Ministern wie Kevin O’Higgins.329 Obwohl sich keine endgültige Aussage über Laverys diesbezügliche Position treffen lässt, darf das ikonisch aufgeladene Michael Collins (Love of Ire­ 327 John Lavery, The Court of Criminal Appeal. London. 1916. (Roger Casement), 1916, Öl auf Holz, 80 × 63,5 cm, Dublin, Hugh Lane Gallery. 328 Vgl. Ausst.-Kat. Liverpool 1998, S. 174  ; Dawson 2010, S. 6 ff. 329 Vgl. McCoole 2010, S. 89 – 95. 1923 fertigte Lavery zudem ein Porträt von Kevin O’Higgins an (Öl auf Pappe, 101,6 x 76,2 cm), das sich in der Dubliner Hugh Lane Gallery befindet.

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land) doch als deutliche Zustimmung für den Freistaat und dessen Ideale interpretiert werden.330 Im Gegensatz dazu bieten Yeats’ Arbeiten keine Porträts, die die erklärten Helden in Nahaufnahme einfangen. Im Unterschied zu seinen frühen Aran Islands-Illustrationen und deren heroischen Protagonist:innen fangen die späteren Bilder die historisch zentralen Figuren nicht isoliert oder überhöht ein. Gerade bei den Begräbnisbildern liegt der Fokus des Künstlers stattdessen auf den Trauernden und deren verschiedenen Perspektiven, die sich aus den nationalen Konflikten und Positionierungen ergaben. Die Werke schildern somit einen diversen Blick auf ein Land, in dem das Leben inmitten politischer Spannungen stattfand, wobei Yeats die gesellschaftliche Spaltung infolge des Freiheitskampfes, anders als der auf nationale Eindeutigkeit zielende Lavery, nicht unterschlug. Auffällig ist auch, dass Yeats keine lebenden Helden festhielt und sich zum Beispiel, anders als etwa Seán Keating, heroischen Inszenierungen von bewaffneten IRAKämpfern verweigerte. Vielmehr findet sich Anerkennung bei ihm nur in Form von Beerdigungsdarstellungen. Im historischen Kontext wiederum stellt diese Form der Visualisierung keine Ausnahme dar, nahm doch die Gattung des Begräbnisbildes seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der irischen Bildkunst einen festen Platz ein. Dies belegen Werke wie das 1850 entstandene Gemälde The Village Funeral. An Irish Family by a Graveside during the Great Famine, mit dem der aus Cork stammende Maler Daniel MacDonald (1821 – 53) der Opfer der Großen Hungersnot gedachte.331 Die auf diese Weise etablierte Erinnerungskultur verband sich im 20. Jahrhundert mit dem Gedenken an politische Opfer, dessen umfangreiche fotografische und filmische Dokumentation zur Installation nationaler Helden und Mythen beitrug.332 Yeats’ Bilder sind in diesem Zusammenhang als Erweiterung des fotografischen Blickregimes zu interpretieren, fokussierte er doch mit The Funeral of Harry Boland auf ein Ereignis, das, anders als das staatlich organisierte Begräbnis für Michael Collins, keine Billigung vonseiten des neu etablierten Freistaates fand. Obwohl sich der Maler dabei eher mit der kollektiven Rückschau als mit Heldenbekenntnissen beschäftigte, ist die Auswahl der in den Gemälden Betrauerten bei ihm daher keineswegs als zufällig zu betrachten. So handelt es sich bei den Toten, deren Identität er ausschließlich über die Titel der Werke kommunizierte, ausnahmslos um republikanisch gesinnte Politiker und Rebellen. Seine Bilder können damit vor allem als Trauergesten an eine nicht verwirklichte nationale Idee gelten. Dass sich der Künstler noch in dem 1929 entstandenen Gemälde 330 So auch bereits Kennedy 2016d, S. 164. 331 Daniel MacDonald, The Village Funeral. An Irish Family by a Graveside during the Great Famine, o. D., Öl auf Leinwand, 47,5 × 56 cm, Privatbesitz. 332 Vgl. Hepburn 2014. Auch in der Literatur, etwa in James Joyce’s Ullysses, wurden nationale Beerdingungen und Prozessionszüge reflektiert  ; bemerkenswerterweise gibt es keine grundlegenden Untersuchungen zur irischen Bildkultur der Beerdigungsdarstellungen.

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Going to Wolfe Tone’s Grave der jährlich stattfindenden Pilgerreise zu Wolfe Tones Grab in Bodenstown im County Kildare zuwandte,333 ist bezeichnend und belegt zunächst seine anhaltende Faszination für den 1798 verstorbenen Anführer der United Irishmen (vgl. Kap. 2.2.2). Mit dem Aufeinandertreffen der Pilgernden in der Dubliner Kingsbridge Station (heute Heuston Station) hat der Künstler aber nicht nur das Bedauern über eine gescheiterte Staatsform festgehalten, sondern auch die unterschiedlichen Motive für das Festhalten an alten Idealen.334 Ein Zitat aus einem unpublizierten Typoskript MacGreevys liefert zudem einen weiteren aufschlussreichen Anhaltspunkt für die Wahl des Themas. Unter Verweis auf die Bedeutung der United Irishmen für Yeats schrieb der Kritiker  : Most important for the ageing Jack Yeats, however, was the fact that the Partition of Ireland in 1920 gave heightened significance to the word United in the name by which the 1798 independent movement is remembered. The aims of the United Irishmen were even more significant for Jack Yeats of later years […].335

Die Hinwendung zu den erklärten republikanischen Idealen der United Irishmen ging nach der Errichtung des Freistaates Hand in Hand mit einer Ablehnung der Teilung des Landes, die der vollständigen Durchsetzung der Republik erkennbar im Weg stand.336 Für MacGreevys Charakterisierung des Malers muss hierbei zwar einmal mehr seine eigene Intention berücksichtigt werden, allerdings erscheint die Behauptung aufgrund des Sujets durchaus überzeugend. Somit brachte Yeats, den selbst Beckett, der den Maler aus dem nationalen Kontext zu lösen versuchte,337 als »very Republican«338 einstufte, in dem Gemälde nachweislich seine kritische Haltung gegenüber dem Freistaat und der Trennung Irlands zum Ausdruck, das er lieber vereint gesehen hätte. Wie im Falle der Begräbnisbilder offenbart sich die politische Tragweite von Going to Wolfe Tone’s Grave dabei erst durch den Titel. Hieran zeigt sich nicht nur die zentrale Bedeutung von Bildunterschriften für den Künstler, der in der Folge mehrere Romane und Theaterstücke veröffentlichte, sondern auch die Mehrdeutigkeit alltäglicher Szenen, die sich insbesondere in gesellschaftlichen Umbruchszeiten einer sofortigen Zuordenbarkeit entziehen. Zugleich kann diese Form der Interdependenz von Wort und 333 Jack B. Yeats, Going to Wolfe Tone’s Grave, 1929, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz. 334 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 384, S. 351. 335 MacGreevy  : Bildbeschreibung zu He Looks about Him (1949, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Schenkung des Künstlers an MacGreevy 1952), Typoskript, vermutlich 1960er Jahre, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/142. MacGreevy hatte die Bildbeschreibung einer Freundin zugesandt und diese 1966 in einem Brief von ihr zurückerhalten. – Vgl. TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/141. 336 Vgl. Cullen 1998, S. 4. 337 Vgl. Beckett 1954. 338 Beckett zitiert nach Knowlson 2006, S. 58  ; auch Terence de Vere White beschrieb Yeats als »[…] as staunch a supporter of the Irregulars«, White 1957, S. 117.

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Bild auch als Medienreflexion gesehen werden. Schließlich sind bebilderte Schlagzeilen in Zeitungen stets mit Unterschriften versehen, die den Kontext des Ereignisses zu erkennen geben. Yeats, der sich bei seiner Arbeit stets auf eigenes sowie externes visuelles Material stützte, setzte sich dabei offenbar ganz bewusst mit Medienberichten und Pressefotografien auseinander und auch kritisch zu diesen ins Verhältnis. Bezeichnenderweise wurde sein Malvorgang dabei von einem zeitgenössischen Rezensenten auch mit dem eines Fotografen verglichen  : That his pictures have the balanced distribution of masses which make for good design is probably due to instinct rather than to deliberate planning. They are snapshots of unsophisticated Irish life, but the scenes are not snapped indiscriminately. The camera is carefully adjusted so as to take in a section of the visual field which will form an orderly design in the picture square.339

Und obwohl sich auch dieser Autor des etablierten Topos vom Maler als intuitivem Künstler bediente, macht seine Analogie doch auf die spezifische Ästhetik der Yeats’schen Kompositionen aufmerksam, die auf der Beobachtungsgabe des Künstlers beruht und einen genauen Blick für wesentliche Szenen verrät. Dass Yeats laut Pyle behauptete, es habe sich bei seinem Gemälde The Funeral of Harry Boland um den einzigen bildlichen Nachweis des Ereignisses gehandelt, da alle Kameras konfisziert worden seien,340 kann vor diesem Hintergrund demnach nicht nur als politische, sondern auch als gattungstheoretische Aussage interpretiert werden. Hiermit ginge die Behauptung einher, dass der dokumentarische Wesenszug der Fotografie dem der Malerei inhärenten Charakter der Wahrhaftigkeit unterlegen sei. Der zunehmend expressiver werdende Pinselduktus des Malers, der sich deutlich von der linear gehaltenen Manier in Bachelor’s Walk, In Memory unterscheidet, unterstützt die Annahme des intermedialen Diskurses. Zugleich weisen die Sichtbarmachung des Malaktes sowie die damit verbundene Abweichung von einem strengen Abbildcharakter darauf hin, dass sich Yeats in seinen Werken eben nicht den in der Presse verbreiteten Themen widmete, sondern sich stattdessen bewusst auf ausgeblendete Ereignisse konzentrierte. Mit der künstlerischen Anverwandlung der Trauerfeiern von Harry Boland und Wolfe Tone richtete der Maler seinen Fokus auf im Freistaat negierte Helden sowie auf deren öffentliches Erinnern und präsentierte damit Gegenentwürfe zur offiziellen Doktrin. Künstlerische und politische Selbstbehauptung überlagern sich in diesen Bildern und sorgen bis heute für divergente Interpretationen, deren argumentative Pole von MacGreevy und Arnold vorgezeichnet wurden. Nicht umsonst schrieb O’Doherty noch 2011  : »This work’s reception still provokes conflict  ; predictably, it 339 The Observer, 13. Januar 1924. Besprechung von Yeats’ Ausstellung Paintings of Irish Life in der Londoner Gieves Art Gallery, 7. – 18. Januar 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/1. 340 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 178, S. 157.

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has been under-praised (Arnold) and over-praised (MacGreevy).«341 Dass The Funeral of Harry Boland nach der ersten Ausstellung 1923 zunächst kein weiteres Mal gezeigt, seit dem Erscheinen von MacGreevys Three Historical Paintings by Jack B. Yeats aber wieder regelmäßig präsentiert wurde,342 belegt, wie schon im Fall von Bachelor’s Walk, In ­Memory, die widerstreitende Rezeption und verweist erneut auf die für Irland spezifische enge Verzahnung von Kunst und Politik. 4.2.3 Metamalerei nach der Unabhängigkeit  : Communicating with Prisoners, ca. 1924 Neben Bachelor’s Walk, In Memory und The Funeral of Harry Boland zählt auch das ca. 1924 entstandene Communicating with Prisoners (Abb. 69) zu der von MacGreevy benannten Trias historischer »Schlagbilder«343. Der von Warburg geprägte Begriff, den dieser in Anlehnung an das Phänomen des Schlagwortes für die Untersuchung von massenwirksamer Bildpropaganda in der Reformationszeit etablierte, lässt sich nach meinem Dafürhalten durchaus auf MacGreevys Verständnis von Yeats’ Gemälden übertragen. Immerhin gestand der Kritiker den drei Werken die Macht zu, politische Botschaften zu vermitteln, ja mehr noch, wies er ihnen im nationalen Zusammenhang die eindeutige Funktion zu, »[…] of giving adequate statement to essential […] truth«.344 Nach MacGreevys Verständnis würden die Werke auf komprimierte Art und Weise zentrale Ereignisse der irischen Geschichte darstellen, wobei historischen Helden adäquat Ausdruck verliehen werde. Schließlich resümiert er in seinem Text  :

341 O’Doherty 2011, S. 20  ; dass ausgerechnet O’Doherty eine hohe Sensibilität für das Bedeutungsspektrum von Yeats’ Beerdigungsszenarien bewies, ist dabei nicht ganz zufällig. Schließlich rekurrierte er mit der Grabtragung seiner Persona Patrick Ireland 2008 im Dubliner Irish Museum of Modern Art, die er als Reaktion auf die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Nordirland 1972 in der Performance Name Change ›geboren‹ hatte, auf die für Irland bedeutsame politische Ikonografie von Begräbnissen. O’Dohertys Protest richtete sich vor allem gegen die Bloody Sunday-Massaker. Ab dieser Zeit signierte er all seine Werke mit Patrick Ireland. Zur politischen Persona Patrick Ireland siehe Moos 2006, S. 82 – 87  ; 2008 trug er sein Alter Ego in einer Performance zu Grabe. Patrick Irelands Grabstein befindet sich vor dem Irish Museum of Modern Art. Zu dem Begräbnis sagte O’Doherty Folgendes  : »With the Good Friday Agreement in 1998, I began to hope I might reclaim my birth name. Now that the ›evolution‹, as they call it, has taken place, and both Sinn Fein and the IRA are represented in Parliament, I am astonished to be able to lay the name Patrick Ireland to rest«, Art Forum, Interview mit Brian O’Doherty, 29. Mai 2008  : https://www.artforum.com/interviews/brian-o-doherty-talks-about-the-burial-of-patrickireland-20219 [17.12.2022]. 342 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 178, S. 156. 343 Der Begriff des »Schlagbildes« wurde von Warburg in Auseinandersetzung mit der massenwirksamen Bildpropaganda des Ersten Weltkrieges und dem affizierenden Potenzial bildlicher Entwürfe entwickelt. – Vgl. Warnke 1980, S. 79 – 83. 344 MacGreevy 1942, S. 250.

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[…] in them as in others of his pictures akin to them, he has consecrated his superb gifts to immortalising the spirit of Irishmen and Irishwomen, no matter how lowly, who fulfilled themselves in sacrifice, who gave and gave and gave, all that they had, flowers, freedom and life itself, for what they believed in. It is not the least of their rewards that there was an artist amongst them who could and did rise to the unprecedented heights of understanding and interpretation that were necessary to commemorate them worthily. And it is part of their glory and of the glory of the Ireland that was to come after them, as it was the artist’s glory, that in commemorating them he lifted modern Irish art to such a mood of historical and spiritual exaltation and to such an aesthetic plane as it had never reached before.345

Es ist offensichtlich, dass der Kritiker eine stark emotionsgeladene Sprache verwendete, um die Inhalte von Yeats’ Gemälden sowie deren Wirkung zu erfassen. Zugleich zeichnete er mit seiner persönlich geprägten Interpretation für die Leserschaft eine Denkrichtung vor, nach der die Arbeiten sich für eine Heroisierung der modernen Geschichte Irlands eigneten. An dieser Stelle muss man sich erneut in Erinnerung rufen, dass MacGreevy den Bildern seine Deutung nachträglich oktroyierte und damit teilweise deren ursprünglichen künstlerischen Entstehungszusammenhang verzerrte. Schließlich entzieht sich auch Communicating with Prisoners, wie bereits die anderen beiden Gemälde, der konstatierten Eindeutigkeit und reiht sich vielmehr in das von Ambivalenz gekennzeichnete Œuvre des Malers ein. Wie schon im Falle des zwei Jahre zuvor entstandenen Gemäldes The Funeral of Harry Boland klärt uns auch hier erst der Titel über den genauen Inhalt auf, bei dem es sich ebenfalls um ein seinerzeit unerwünschtes Thema handelt  : die Unterstützung politischer Gefangener. Das 44 × 59 cm messende, querformatige Communicating with Prisoners stellt sieben junge, modisch gekleidete Frauen in Rückenansicht dar, die zu der weit oben angeordneten Fensterreihe eines massiven Gefängnisbaus hinaufschauen. In den Fensteröffnungen lassen sich, dicht gedrängt, inhaftierte Insassinnen ausmachen, die, MacGreevys Deutung zufolge, die Fensterscheiben zerschlagen haben, um durch lautes Rufen auf sich aufmerksam zu machen.346 Vorbildhaft für die dargestellte Architektur war das südlich der Liffey gelegene, zwischen 1786 und 1796 errichtete Kilmainham Jail, wobei der Künstler das Gebäude als eine Art Turm inszenierte und auf die Darstellung der sich über mehrere Stockwerke erstreckenden Lichtöffnungen verzichtete, vermutlich, um die wehrhafte und unüberwindbare Anmutung des Gefängnisses steigern und zugleich effektvoller mit dem Freiheitsstreben der eingesperrten Frauen kontrastieren zu können. Deren Wortführerin scheint die zentral inszenierte Figur in der Mitte der Fensterreihe zu sein, die sich mit weit vorgestrecktem Oberkörper Gehör verschafft, wozu sie ihre Hände zum Trichter geformt hat. Es ist offensichtlich, dass ihre Adressatinnen die im Vordergrund stehen345 MacGreevy 1942, S. 251. 346 Vgl. MacGreevy 1942, S. 250.

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Abb. 69 Jack B. Yeats, Communicating with Prisoners, ca. 1924, Öl auf Leinwand, 44 × 59 cm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection.

den Frauen sind. Unter ihnen sticht, nicht nur der Größe nach, die dunkel gekleidete, etwa bildmittig angeordnete Frau hervor, die offenkundig die Rufe der Gefangenen mit in die Höhe gerecktem Kopf und vor Anspannung geballten Fäusten erwidert. Die umstehenden Frauen scheinen das Gespräch dabei aufmerksam zu verfolgen. Bezeugt wird die Szene von einem kleinen Jungen, der in der rechten unteren Bildecke angeordnet ist. Dass er möglicherweise, wie in anderen Werken des Künstlers, als autobiografisch angelegte Kommentarfigur aufgefasst werden kann, legt die Signatur nahe, die über den Körper des Kindes verläuft.347 Indem Yeats auf die Menschen verwies, die für ihre republikanische Einstellung im Bürgerkrieg verhaftet und im Kilmainham Jail oder anderen Gefängnissen eingesperrt worden waren, machte er einmal mehr auf einen blinden Fleck im neu gegründeten Freistaat aufmerksam. Dass der Maler sich ausgerechnet für die Wiedergabe der 1924 geschlossenen Haftanstalt entschied, mag vor allem mit deren zentraler Bedeutung für die irische Geschichte zusammenhängen, wurden hier doch 1916 die Anführer 347 Darüber hinaus stützt diese Vermutung eine Anekdote MacGreevys, die besagt, Yeats habe als Knabe Kundgebungen anlässlich der Freilassung politischer Gefangener beigewohnt. – Vgl. MacGreevy 1963, S. 3.

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des niedergeschlagenen Osteraufstandes hingerichtet. Zwar verschonte man weibliche Aufständische, wie etwa Constance Markievicz, von der Hinrichtung, nicht aber von einer Inhaftierung. Das dargestellte Geschehen referiert insofern auf mehrere Ereignisse  : Während es auf einer historischen Ebene an das vergessene Schicksal der ehemals gefeierten Freiheitskämpfer:innen erinnert, spielt es im Zusammenhang mit der Gründung des Freistaates auf die Inhaftierung republikanischer Vertragsgegner:innen an. Darüber hinaus gedachte Yeats des Engagements politischer Frauenbewegungen, darunter der 1914 gegründeten Cumann na mBan (Gesellschaft der Frauen), einer pa­ra­militärischen Organisation, die während des Osteraufstandes und während des Bür­gerkrieges aktiv war. Die Vereinigung war 1923 vom Freistaat verboten und ihre Anhängerinnen im Kilmainham Jail inhaftiert worden. Zu den zentralen Figuren der Bewegung gehörte Maud Gonne (1866 – 1953), eine von W. B.  Yeats literarisch wie persönlich verehrte Schauspielerin, die in der Rolle der Cathleen Ní Houlihan landesweite Berühmtheit erlangt hatte.348 Verbündete, wie die Aktivistin und Freundin von Gonne, Charlotte Despard (1844 – 1939), engagierten sich für ihre Freilassung und positionierten sich zur Unterstützung regelmäßig außerhalb des Gebäudes.349 Noch im selben Jahr traten Gonne und ihre Mithäftlinge in den Hungerstreik. Da sie nach der Etablierung des Freistaates vor allem unter Republikaner:innen als Heldin galt und auch die Freistaatregierung ihren Tod nicht in Kauf nehmen wollte, war man gezwungen, die Streikenden in der Folge freizulassen.350 Die Ereignisse wurden in der irischen Öffentlichkeit breit diskutiert, weshalb Pyle vermutete, dass auch Communicating with Prisoners nach einer fotografischen Vorlage entstanden sein könnte.351 Denkbar ist auch, dass die Handlung des Bildes, dessen genaues Entstehungsdatum unsicher ist, vor oder nach der Inhaftierung Maud Gonnes angesiedelt ist.352 In diesem Fall könnte der Künstler, was bisher nicht erwogen wurde, Gonne selbst unter den Demonstrantinnen dargestellt haben. Die ausdrückliche Feministin hatte sich vor ihrer Festnahme auch als Gründerin der Women Prisoners’ Defence League hervorgetan, einer Organisation, die inhaftierten Frauen Unterstützung zukommen ließ und mit 348 Vgl. Cullen 2003, S. 856 – 866  ; W. B. Yeats schrieb das Drama Cathleen Ní Houlihan für die politisch engagierte Maud Gonne, die darin auch die Hauptrolle übernahm. Gonne, die wie andere zum Katholizismus konvertierte, lehnte die zahlreichen Heiratsanträge von Yeats ab, da er ihr offenbar nicht nationalistisch genug war, und heiratete hingegen den Rebellen John MacBride, der 1916 hingerichtet wurde. Seán MacBride (1904 – 88), der gemeinsame Sohn, war nach dem Zweiten Weltkrieg, 1948 bis 1951, irischer Außenminister und gehörte zu den Gründern von Amnesty International. 349 Vgl. McCoole 2004, S. 119  ; Rooney 2016, S. 247. 350 Wie widersprüchlich die politischen Vorgänge in der Zeit waren, zeigt sich auch daran, dass W. B. Yeats, der im Freistaat eine zentrale Rolle innehatte, dennoch bei Cosgrave um Gonnes Freilassung bat. – Vgl. Coxhead 1965, S. 70  ; McCoole 2004, S. 119. 351 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 246, S. 221. 352 Maud Gonne wurde am 10. April 1923 inhaftiert und Ende April, nachdem sie mit anderen Insassinnen in den Hungerstreik getreteten war, entlassen. Ende Juni 1923 protestierte sie mit anderen Aktivistinnen vor dem Kilmainham Jail. – Vgl. McCoole 2004, S. 118 – 129.

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Flugblättern über desolate Haftbedingungen informierte. Tatsächlich scheint eine der Frauen mehrere Blätter bei sich zu führen. Auch Gonne selbst trat im Rahmen ihres Engagements seit 1922 bei Anti-Gefängnis-Demonstrationen in Erscheinung.353 Vor diesem Hintergrund könnte es sich bei ihr um die hochgewachsene Person handeln, die sichtbar aus der Gruppe der Protestierenden hervorragt, ist doch verbürgt, dass die Schauspielerin 1,83 Meter groß war.354 Diese Annahme würde auch durch die dunkle Kleidung der Figur Bestätigung finden. So trug Gonne, wie zeitgenössische Fotografien belegen, selbst vorzugsweise Schwarz.355 Der Umstand, dass sie zu der Zeit als eine der wichtigsten Unabhängigkeitskämpferinnen galt, würde zudem ihre Positionierung im Zentrum der Szene rechtfertigen. Irritierend ist, dass die Gestaltung des Vordergrundes im ersten Moment der Betrachtung von dem ernsten Sujet ablenkt. Neben der bunten Kleidung der Frauen ist hierfür vor allem die am linken Rand angeordnete Werbetafel verantwortlich. Eine der grellen Anzeigen, die unter der Überschrift »Bazaar« Santa Claus zeigt, lässt an eine zeitliche Einordnung des Geschehens um Weihnachten denken. Die Kontrastierung der modischen Kleidung im Vordergrund, die in Verbindung mit der Reklame auf die Schnelllebigkeit des Alltags rekurriert, mit dem grauen, wehrhaften Turm im Hintergrund führt das Paradoxon verurteilter politischer Einstellungen inmitten erwünschter Freistaatidylle vor Augen. Darüber hinaus kennzeichnete Yeats seine Protagonistinnen als starke, heldenhafte Figuren, die sich Gehör verschaffen. Dass es sich ausschließlich um Frauen handelt, war Yeats wichtig, schließlich korrigierte er 1938 in einem Brief an MacGreevy dessen Interpretation, nach der in dem Bild männliche Gefangene erfasst worden seien  : »The description of the prison picture is not quite right. There are women prisoners only looking from the window.«356 Communicating with Prisoners ist demnach auch als Gegenentwurf zum proklamierten maskulinen Identitätsideal des Freistaates zu lesen. Obwohl sich Frauen wesentlich am Kampf um die Unabhängigkeit beteiligt hatten, wurden ab den 1920er Jahren ausschließlich Männer als Helden der Nation inszeniert, während Frauen, unter Hinzuziehung christlicher Marienmotivik, als unterstützende Mutterfiguren inszeniert wurden. Diese dichotome Bildformel, die etwa von Künstlern wie Seán Keating oder Maurice MacGonigal verwendet wurde (Abb. 70), ordnete sich ein in die vom Freistaat propagierte Idee des »manly Gael«357, des männlichen Gälen. Unter Verweis auf den Zusammenhang von Nationalismus und Gender hat Geraldine Meaney darauf auf353 Vgl. Cullen 2003, S. 865  ; McCoole 2004, S. 129. 354 Kommentare zu ihrer außergewöhnlichen Körpergröße finden sich wiederholt, unter anderem auch bei W. B. Yeats  : »To-day [1920er Jahre, Verf.], with her great height and the unchangeable lineaments of her form, she looks the Sibyl I would have played by Florence Farr, but in that day [1889, Verf.] she seemed a classical impersonation of the Spring […],« Yeats 1999b, S. 120. 355 Siehe etwa J. E. Purdy & Co., Porträtfotografie von Maud Gonne, 1901. 356 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 6. Januar 1938, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/151. 357 Vgl. Bhreathnach-Lynch 2007, S. 85 f.

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Abb. 70 Maurice MacGonigal, Mathair agus Naoidhneann (Mother and Child), ca. 1943, Öl auf Leinwand, 101,8 × 76,5 cm, Cork, Crawford Art Gallery.

merksam gemacht, dass der neu etablierte Staat im Zuge seiner Selbstermächtigung gegenüber dem ehemaligen Kolonisator das imperiale Stereotyp des femininen, unkontrollierbaren Charakters in ein konsolidierendes Schema von Männlichkeit umdeutete. Demgemäß wurde die Rolle der aktiven Frau mittels bildlicher und gesetzlicher Vorgaben im Freistaat sukzessive zu einer passiven invertiert.358 In Yeats’ Gemälde werden Frauen hingegen als energische, politisch aktive Bürgerinnen porträtiert, die sich den vorgegebenen Maximen widersetzen. Auch die modische Kleidung der Protagonistinnen darf als ungewöhnlich bezeichnet werden, schließlich wurden Frauen in der zeitgenössischen irischen Kunst häufig in bäuerlichen Trachten dargestellt, was ihrer angedachten Rolle als Vertreterinnen des ›urwüchsigen‹ Lebens entsprach.359

358 Vgl. Meaney 2010, S. 4 f. Meaney erörtert zudem, dass nicht nur Irland Männlichkeitsentwürfe postulierte, sondern auch andere sich neu herausbildende Staaten wie etwa Polen  ; weiterführend zum Zusammenhang von Gender, Nationalismus und Revolution siehe auch Connolly 2020. 359 Siehe etwa Charles Vincent Lamb, Nan Mhicil Liam, 1940er Jahre, Öl auf Pappe, 41 × 36 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

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Dass der Künstler mit seinem Gemälde keineswegs dem angestrebten Repräsentationsmodus nachkam, lässt sich, wie bei den anderen beiden Werken, an dessen Ausstellungshistorie belegen. So wurde Communicating with Prisoners nach seiner Fertigstellung um 1924 zunächst nicht im Rahmen einer Ausstellung gezeigt, sondern erst in der 1945 veranstalteten Dubliner National Loan Exhibition öffentlich präsentiert. An dieser doppelten Ausblendung politischer Devianz, der realen wie der verbildlichten, lässt sich erkennen, dass Yeats’ Gemälde in seinem unmittelbaren Entstehungskontext zunächst kaum als »Schlagbild« gewertet werden kann. Vielmehr positionierte sich der Maler damit außerhalb normativer Visualisierungsstrategien und eröffnete stattdessen alternative Denkräume. Sowohl O’Doherty als auch McGuinness setzten Werk und Autor an dieser Stelle parallel, indem sie darauf hinwiesen, dass Yeats mit der Darstellung von gesellschaftlichen Außenseiter:innen seine eigene abweichende Ansicht dokumentiert habe. Laut McGuinness hätten persönliche Einstellung und künstlerische Umsetzung dabei am deutlichsten im Gefängnissujet kongruiert  : Political Prisoners seemed to Yeats to be an especially fascinating kind of ›outsider‹, and the political outsider constitutes the aspect of his hero monomyth most clearly reinforced by nationalist aesthetics.360

Und auch bei O’Doherty wird die Thematisierung der Rebell:innen als eigenes Engagement für die politische Sache gewertet  : In these paintings [Bachelor’s Walk, In Memory, The Funeral of Harry Boland und Com­ municating with Prisoners, Verf.] the outsider [Yeats, Verf.] records the outsider’s travails – first the revolutionaries, then the republicans in the Civil War.361

Dass Yeats im Gegensatz zu seinem Bruder, der ab 1922 Senator des Freistaates war,362 der Teilung des Landes und der auf Kompromissen basierenden Etablierung des Free State kritisch gegenüberstand, ist zwar bekannt und wurde in der vorliegenden Untersuchung auch bereits dargelegt,363 dennoch birgt die Überblendung von künstlerischem Schaffen und Urheber die Gefahr der Verkürzung des Œuvres. Zunächst ist zu betonen, dass Yeats seine ablehnende Haltung nicht als Solitär vertrat, sondern darin mit anderen Intellektuellen übereinstimmte.364 Schon in dieser Hinsicht muss die behauptete Außenseiterposition relativiert werden. Spätestens aber, wenn unter360 McGuinness 1992, S. 32. 361 O’Doherty 2011, S. 20. 362 W. B. Yeats beriet vom 11. Dezember 1922 bis 28. November 1928 als Senator die Regierung in den Angelegenheiten Erziehung, Literatur und Künste. – Vgl. Pearce 2001, S. 1 – 16. 363 Siehe etwa O’Doherty 2011, S. 19  ; auch White 1957, S. 117. 364 Vgl. Lloyd 2016, S. 94.

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schiedliche Interpretationen und Vereinnahmungen aufeinandertreffen, wird offenbar, wie wenig hilfreich diese Kategorien für die Analyse des Werkes sind. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie der von McGuinness und O’Doherty beschriebene Outsider mit dem Insider zusammenpasst, als den MacGreevy den Maler Jahrzehnte nach Entstehung der Bilder herausstellte. Dass Yeats’ vielschichtiges Werk nicht auf politische Kontexte beschränkt werden kann, legen bereits seine Skizzenbücher der frühen 1920er Jahre nahe, die parallel völlig gegensätzliche Motive behandeln. So finden sich etwa 1922 neben der Darstellung einer Bürgerkriegsszene, die zwei bewaffnete Jungen vor zerstörten Gebäuden zeigt, idyllische Landschafts- und Alltagsszenen.365 Darüber hinaus hat Yeats allein 1924 neben Communicating with Prisoners 36 weitere Gemälde geschaffen, deren unterschiedliche Sujets das große thematische Spektrum seines Schaffens untermauern.366 Bezüglich der transitorischen Vorgänge im Werk des Malers ist daher vielmehr Allen zu folgen, der bemerkte  : As official society encouraged increasing codification of what it meant to be a subject of the Free State, Yeats maintained an alternative language of openness and suggestion […].367

Der im Zitat konstatierte Anspielungsreichtum wird in Yeats’ Werken auch immer wieder über Wort-Text-Beziehungen zum Ausdruck gebracht, wobei im Falle von Commu­ nicating with Prisoners neben innerbildlichen Verweiselementen auch der vielsagende Titel in die Betrachtung einbezogen werden muss. Dabei handelt es sich meines Erachtens um einen programmatischen Titel insofern, als dieser nicht nur als Bezeichnung, sondern auch als Appell zur Anbahnung einer Kommunikation zwischen verschiedenen Parteien verstanden werden kann. Das Bild ist damit neben der Betonung der Augenzeugenschaft zusätzlich als Aufforderung an die Betrachtenden zu werten, sich im übertragenen Sinne hinter den Frauen einzureihen und eine Verbindung zu den ehemals Verbündeten herzustellen, eine Verbindung, die infolge der Vertragsverhandlungen und des sich anschließenden Bürgerkrieges gekappt worden war. Auch die innerbildliche Kommunikation bleibt nicht auf die Gefangenen und ihre Unterstützerinnen beschränkt  ; stattdessen werden durch die Werbetafel am linken Bildrand, die immerhin ein Viertel der Komposition einnimmt, weitere interpretatorische Angebote eröffnet, die von der Forschung bisher nicht näher untersucht worden sind.368 Dass Yeats in dem Bild, ähnlich einer Collage, bildliche Versatzstücke ver365 Siehe hier SK 176  : Cahirciveen and Dublin, 1921 – 1922, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/1/1/176. 366 Siehe hierzu Pyle 1992, Bd. 1. Darunter finden sich etwa Marktszenen und Landschaften. 367 Allen 2009, S. 157. 368 Es wird lediglich allgemein auf den Kontrast zwischen den Kennzeichen der Moderne, vermittelt durch Werbung und Mode, und den konservativen Wertvorstellungen des Freistaates (Gefängnismaßnahmen) verwiesen. – Siehe etwa Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 246, S. 221.

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mengt und damit eine metatextuelle Dimension eröffnet hat, darf als typisch für sein Werk gelten und lässt sich schon in seinen frühen künstlerischen Arbeiten ausmachen. Als exemplarisch hierfür können jene Plakate gelten, die als Teil von Ladenausstattungen oder Straßenszenerien für die Überfahrt nach Amerika oder zu konsumierende Produkte werben und die unter anderem in den Broadsides oder Yeats’ Illustrationen für den Manchester Guardian auftauchen. Indem Yeats Reklameanzeigen in seinen Gemälden als Bild im Bild implementierte, rekurrierte er zugleich unverkennbar auf tradierte metakünstlerische Diskurse, die, wie Victor Stoichita gezeigt hat, als Ausdruck »bildnerischen Denkens«369 seit dem frühen 17. Jahrhundert in Form von Galeriebildern in der flämischen und niederländischen Malerei verhandelt wurden.370 Wie aus Yeats’ persönlichem Archiv hervorgeht, war der Maler mit Cabinets d’ama­ teurs-Darstellungen aufs Beste vertraut. So findet sich in seinen Unterlagen unter anderem eine Reproduktion des um 1620 entstandenen flämischen Gemäldes Cognoscenti in a Room Hung with Pictures,371 das seit 1889 zur Sammlung der Londoner National Gallery gehört.372 Möglicherweise hatte der Maler das Original dort während eines Museumsbesuches gesehen und die Schwarz-Weiß-Abbildung später als visuelle Vorlage in seinen Bildkatalog aufgenommen. Das in dem Galeriegemälde angewandte Verfahren der mise en abyme, das der Reflexion der Malerei als Medium und des eigenen Schaffensprozesses diente,373 wird in Communicating with Prisoners ins 20. Jahrhundert übertragen, indem die Werbung als zentrale zeitgenössische Kommunikationsform verstanden und in Form eines Bildzitates eingefügt wird (Abb. 69). Mit dieser metapikturalen Herangehensweise knüpfte Yeats nicht nur an die althergebrachte Tradition an, sondern schrieb sich unverkennbar in die Moderne ein. Schließlich arbeiteten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert viele Künstler:innen mit der Methode der Referenz und bezogen auf diese Weise variantenreich Stellung zu berühmten Vorbildern. Zwar unterließ es Yeats, ikonische Arbeiten heranzuziehen, womit er sich von AvantgardeKünstlern wie Kasimir Malewitsch (1878 – 1935) oder Marcel Duchamp (1887 – 1968) unterschied.374 Dennoch eröffnen auch seine Bild-im-Bild-Metaphern den formalen wie inhaltlichen Dialog mit überlieferten Topoi der Kunstgeschichte, ein Zwiegespräch, das eng mit dem innerbildlichen Geschehen verbunden ist. 369 Stoichita 2002, S. 11. 370 Zur Herausbildung der Metamalerei anhand niederländischer und flämischer Galeriebilder siehe Stoichita 2002. 371 Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/15/2/2. 372 Flämisch, Cognoscenti in a Room Hung with Pictures, um 1620, Öl auf Eichenholz, 95,9 × 123,5 cm, London, The National Gallery. 373 Vgl. Stoichita 2002, S. 13. Der Begriff mise en abyme geht auf André Gide zurück, der ihn 1893 in seinem Tagebuch erwähnte. 374 Man denke nur an die in provokativer Geste verwendeten Anknüpfungen an konkrete Beispiele, wie etwa Leonardo da Vincis Mona Lisa. Zu den Begrifflichkeiten und den diversen Ausprägungen der Metamalerei und der Metakunst im 20. Jahrhundert siehe Zuschlag 2002. In seinem Aufsatz spannt der Autor einen Bogen von Manet über Duchamp bis hin zur Performance-Kunst.

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Dass mit den ausgewählten Werbeplakaten durchaus eine Aussage verknüpft ist, belegen insbesondere die zwei in der oberen Hälfte angeordneten Motive durch ihre Bezugnahme zur Gesamtkomposition. Die bereits beschriebene Figur des Santa Claus kann hierbei als zeitlicher und inhaltlicher Indikator gelesen werden. Zunächst rekurriert das Sujet auf das Weihnachtsfest, das, entgegen der Tradition, nicht über den Topos der Heiligen Familie, sondern durch die weihnachtliche Populärgestalt vermittelt wird. Damit verknüpft ist die Idee des Schenkens, wodurch darauf verwiesen wird, dass sich die Unterstützer:innen mit den Gefangenen auch über dringend benötigte Waren austauschten.375 In diesem Sinne steht Santa Claus auch für die mit dem Weihnachtsfest verbundene christliche Botschaft der Nächstenliebe. Der in Richtung des Turmes weisende Arm der Figur ist in diesem Zusammenhang als Zeigegestus zu werten, der die Lesart für die Rezipierenden vorzeichnet. Durch die Überlagerung historischer und zeitgenössischer sowie sakraler und profaner Bildformeln setzte sich der Maler damit auf äußerst pointierte Weise einmal mehr zur modernen Historienmalerei ins Verhältnis. In diesem Zusammenhang überrascht es kaum, dass O’Doherty das Gemälde als »Yeats’s most Goya-like work«376 beschrieb. Darüber hinaus möchte ich vorschlagen, auch den neben dem Weihnachtsmann lesbaren Schriftzug »Bazaar« in die Deutung mit einzubeziehen und diesen als selbstreferenziellen Verweis zu werten. Zwar wird mit der Ankündigung zunächst auf einen Weihnachtsbasar verwiesen, allerdings kommt dem Wort unter Berücksichtigung zeitnah entstandener Arbeiten des Malers offenkundig noch eine weitere Bedeutung zu. Ein ebenfalls 1924 entstandenes Gemälde, das eine von zahlreichen Besucher:innen frequentierte Halle mit mehreren Verkaufsständen zeigt, legt dabei einen werkimmanenten Zusammenhang nahe.377 Am vorderen linken Bildrand ist ein Croupier zu sehen, an dessen Roulettetisch ein Elternpaar mit drei Kindern Platz genommen hat. An der Decke des Innenraumes sind Fahnen und Wimpel angebracht, die das bunte Treiben vervollständigen. Bekannt ist die Szene unter dem Titel A Republican Bazaar,378 wodurch die auf den ersten Blick harmlose Genredarstellung eine politische Aufladung erfährt. Schließlich wurden derartige Märkte nach dem Osteraufstand vom republika375 So beschreibt MacGreevy 1942, S. 251, dass die Gefangenen über die Rufe »prison needs« kommunizierten. 376 O’Doherty 2011, S. 19. 377 Jack B. Yeats, A Republican Bazaar, 1924, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Privatbesitz. 378 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 245, S. 220. Pyle führt zwei Titel auf  : A Bazaar und A Republican Bazaar  ; in den einschlägigen Ausstellungskatalogen sowie in Yeats’ Gemälde- und Eigentümerindex findet sich lediglich der Name A Bazaar. – Vgl. Yeats Archive, GI, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/5-1 und EI, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/6-I, beides unpubliziert. Allerdings führten die New Yorker ART­ news das Gemälde 1925 in ihrer Besprechung der Ausstellung der Society of Independent Artists als »Republican Bazaar« auf und bezogen sich dabei auf den im Expositionskatalog angegebenen Titel, den Yeats vermutlich so vermittelt hatte. – Vgl. ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1 und Marlor 1984, S. 588. Die zwei Titelversionen weisen, wie bereits The Funeral of Harry Boland, auf das Problem hin, dass sich Yeats zwar im Ausland, offenbar aber nicht in Irland mit einem eindeutig zu wertenden Titel politisch positionieren wollte.

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nischen Irish National Aid Association and Volunteer Dependents’ Fund organisiert, um Opfer der Revolution sowie deren Familien zu unterstützen. Bezeichnenderweise gehörten zu den Mitgliedern des INAAVDF auch Angehörige der Cumann na mBan.379 Durch die sichtbare Anbringung des doppeldeutigen Schlüsselwortes »Bazaar« führte Yeats den Schauplatz von Communicating with Prisoners inhaltlich mit dem Geschehen von A Republican Bazaar zusammen und erweiterte mittels dieser autoreferenziellen Bezugnahme den historischen Kontext des Gefängnisbildes. Auch das am linken oberen Bildrand angeschnittene Plakat erweitert den Bezugsrahmen des Werkes, wobei Yeats ein weiteres Mal auf eine formale und inhaltliche Interdependenz zwischen verschiedenen Ebenen abzielte. Das Motiv zeigt einen Mann, der eine Leiter emporsteigt und bei dem es sich möglicherweise um einen Plakat­kleber handelt. Die Leiter korrespondiert kompositorisch mit dem Stützbalken der Anzeigetafel, der sich als deren Weiterführung lesen lässt und die abfallende Diagonale nach unten fortsetzt. Einerseits wird dadurch der vertikalen Anordnung im rechten Teil der Komposition wie auch den Blicken der Frauen etwas entgegengesetzt. Andererseits ermöglicht das Motiv der Leiter, in Analogie zur Weihnachtsthematik, auch eine christologische Deutung. So erinnert der auf den Sprossen stehende Plakatierer an die Ikonografie von Jakobs Himmelsleiter (Gen 28, 11), die der Typologie nach als alttestamentliche Präfiguration von Christi Himmelfahrt gilt. Wie in The Funeral of Harry Boland wird dem Bild dadurch assoziierbar die Symbolik der Auferstehung eingeschrieben. Unterstützung erfährt diese Deutung durch den angeschnittenen Bildraum und die lediglich halbfigurig erfasste Person, deren zu erklimmendes Ziel außerhalb des Plakatrahmens liegt und damit für die Betrachtenden unbestimmt bleibt. Im nationalen Kontext verbindet sich die in dem Motiv angelegte Transzendenz zudem mit der für das Narrativ von Befreiungskämpfen üblichen Märtyrermetaphorik. Daran anschließend versinnbildlicht die Durchbrechung der Bildgrenze zugleich die geforderte Freilassung der Gefangenen. Dadurch aber, dass diese Symbolik durch eine Werbefigur vermittelt wird, wirkt der Hinweis weniger wie eine visuelle Verherrlichungsgeste als vielmehr wie ein ironischer Kommentar zur staatskonformen Bilderflut. Forciert wird diese Überlegung durch die Tatsache, dass der Künstler sich gegen eine propagandistische Funktion von Kunst aussprach, wie aus dem bereits erwähnten Interview mit Trevor Allen aus dem Jahr 1921 hervorgeht  : I certainly think that the work of artists over here will be strongly national in the future. I do not mean that it will be didactic. Art degenerates into propaganda when it becomes that.380 379 Diese Märkte wurden häufig im Dubliner Mansion House organisiert, dessen Innenraum Yeats hier offenbar eingefangen hat. – Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 245, S. 220. Der INAAVDF hatte von 1916 bis 1918 Bestand und organisierte während dieser Zeit auch Spendenaufrufe in den USA. – Vgl. Matthews 2014, S. 148 – 157. 380 Yeats zitiert in Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Vor dem Hintergrund dieser Aussage, die zwar für eine vernakulare Ausformulierung irischer Kultur, nicht aber für eine dem Staat dienende Kunst plädiert, ist es äußerst zweifelhaft, dem Gemälde eine didaktische Intention zuzuschreiben. Schließlich agierte Yeats als Künstler und nicht als Politiker. Daher möchte ich vorschlagen, das Bild, stärker als bisher geschehen, unter Berücksichtigung des bis dato kaum beachteten »metapikturalen Diskurses«381 zu deuten. Schließlich ermöglicht dieses Vorgehen die Zusammenführung mehrerer semantischer Ebenen sowie die kritische Reflexion der Macht von Bildern im Freistaat. Während rurale Sujets und Anzeigen für Vergnügungsveranstaltungen erwünscht waren, wurde die Verbreitung von Protestplakaten, wie sie Gonne mit ihren Mitstreiterinnen betrieb, ebenso wie die Formulierung abweichender ästhetischer Meinungen unterbunden. In Communicating with Prisoners aber unterwanderte der Maler auf geschickte Art und Weise diese Diskrepanz, indem er die grelle Werbetafel und den durch die Frauen repräsentierten Widerstand direkt nebeneinander anordnete und dadurch den von Zensur und Repressionen geprägten Alltag des Landes konterkarierte. Damit könnte der Künstler auch auf die restriktive Politik des neuen Staates Bezug genommen haben, der eine enge Verbindung mit der katholischen Kirche einging und gerade in den ersten beiden Dekaden von Zensur, Restriktionen und Repressionen bestimmt war. Diese betrafen viele Bereiche des sozialen und kulturellen Lebens, wobei ab 1923 durch den umgesetzten Censorship of Films Act zunächst die Inhalte von Filmen, sukzessive aber auch die Presse, das Musikwesen sowie das Radio kontrolliert wurden.382 Wie bei seinen vorangegangenen Gemälden bediente sich der Maler für die Umsetzung seiner Bildlichkeit unterschiedlicher visueller Vorlagen und setzte diese mittels einer fragmentarischen Vorgehensweise bewusst zusammen. Neben Zeitungsartikeln, Pressefotos und Werbemotiven griff er zudem erneut auf eigene Skizzen zurück und überführte diese in einen neuen Zusammenhang. So fing er während des Unabhängigkeitskrieges Anti-Gefängnis-Kampagnen ein, wie eine 1920 entstandene Zeichnung eines Zeitungsjungen zeigt, der eine mit »Pray for Ireland’s Prisoners« beschriftete Anzeigetafel trägt.383 Dieses Sujet der politischen Bekanntmachung fand in abgeänderter Form Eingang in das Gemälde, wo es mit der Gruppierung junger, modebewusster Frauen und deren Hilfsaktion für die Gefangenen kombiniert wurde. Im Zusammenhang mit der eingefügten ästhetischen Metaebene der Werbung erweitert sich der Deutungshorizont hin zu einer Bildkritik an der Politik des irischen Freistaates. 1961 nahm der britische Publizist Eric Newton auf Yeats’ bis 1927 entstandene Arbeiten Bezug, indem er den Künstler als »social commentator«384 charakterisierte, der die wesentlichen Aspekte schnell erfasst und in seinen Werken angewendet habe. Dieser 381 Stoichita 2002, S. 13. 382 Vgl. Brown 2004, S. 3  ; Gibbons 2005, S. 210 sowie Kennedy 2018. 383 SK 171  : Skibereen, Dublin half Memory Scandinavian Market, 1919 – 1920  : News Boy, Pray for Ireland’s Prisoners, 14. April 1920, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/171/54. 384 Newton 1961.

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Einschätzung ist hinsichtlich der Skizzen des Künstlers durchaus zuzustimmen, nicht aber bezüglich der komplex aufgebauten Gemälde. Neben den übrigen von MacGreevy besprochenen Werken hat vielmehr auch Communicating with Prisoners deutlich gemacht, dass Yeats nicht lediglich Szenen des irischen Lebens festhielt, sondern dass er unter Anwendung einer versatzstückartigen und reflexiven Produktionsästhetik sowie Bezug nehmend auf moderne Visualisierungsformen die Funktion bildlicher Rhetorik im Freistaat zum Thema machte. Anders als von MacGreevy vermutet, lassen sich Yeats’ »historical paintings«385 im unmittelbaren Zeitraum ihrer Entstehung daher kaum als die »Schlagbilder« begreifen, zu denen sie später gemacht wurden. Vielmehr sind die Gemälde, insbesondere jene, die nach der Etablierung des Free State gefertigt wurden, als prüfende Auseinandersetzungen mit der anvisierten pittoresken Bildpropaganda zu verstehen.386 4.2.4 Politisches Traktat oder Künstlermanifest  ? Modern Aspects of Irish Art, 1922 In seinem 1922 veröffentlichten Text Modern Aspects of Irish Art widmete sich Yeats auch aus theoretischer Perspektive der Funktion von Bildern im staatlichen Kontext (Abb. 71).387 Der Text basiert auf einer Rede, die Yeats im Rahmen des Kulturprogrammes der vom 21. bis 28. Januar 1922 in Paris veranstalteten Irish Race Conference gehalten hatte. Der Vortrag wurde unter dem Titel Ireland and Painting in der Zeitung The New Ire­ land abgedruckt, wo er, über zwei Ausgaben verteilt, am 18. und 25. Februar erschien. Zugleich wurde er, um den Leser:innen »a complete grasp of his [Yeats’, Verf.] ideas«388 zu vermitteln, auch in Buchform veröffentlicht, wofür Éamon de Valera ein Vorwort beisteuerte.389 Yeats’ Text und Vortrag fallen dabei in eine äußerst brisante, von politischen Spannungen geprägte Zeit. Bereits im Februar 1921 war in Südafrika von der Irish Repu­ blican Association of South Africa (I.R.A.S.A.) entschieden worden, die Bemühungen zur Errichtung und Anerkennung einer irischen Republik mittels einer internationalen Irish Race Conference zu unterstützen, in deren Rahmen »[…] a permanent link between the scattered elements of the Irish race all over the world […]«390 hergestellt 385 Siehe gleichnamiger Titel von MacGreevy 1942. 386 Ab 1925 vollzog Yeats zudem einen Sinneswandel und distanzierte sich von seinem Image als Maler des ländlichen Lebens, indem er alle Arbeiten für die Cuala Press ablehnte. – Vgl. Pyle 1989, S. 123 f. Dass sich Yeats gegen eine propagandistische Vereinnahmung von Kunst aussprach, geht aus dem bereits erwähnten Interview mit Allen aus dem Jahr 1921 hervor. – Vgl. Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 387 Vgl. Yeats 1922c. 388 Yeats a und b, Vorrede. 389 Vgl. Yeats 1922a, b und c. 390 Freeman’s Journal  : To Confer in Paris, 19. Januar 1922, S. 6  ; zum Hintergrund und den Fakten der Irish Race Conference siehe ausführlich Keown 2001.

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Abb. 71 Jack B. Yeats, Modern Aspects of Irish Art, Dublin 1922, Buchcover.

werden sollte. Als Datum für diese globale Zusammenkunft der irischen Gemeinschaft wurde der dritte Jahrestag des Dáil Éireann, des irischen Parlamentes, Ende Januar 1922 gewählt. In dieser Vorbereitungszeit war Jack B. Yeats neben anderen Kulturvertreter:innen vom Organisationskomitee Fine Gaedheal (Familie der Gälen) um einen Beitrag gebeten worden, den der Künstler zusagte.391 Allerdings kam es während der Planungsphase am 7. Januar 1922 zur Ratifizierung des Anglo-Irischen Vertrages, der nicht nur zum Rücktritt de Valeras als Parlamentspräsident, sondern auch zur Spaltung der Sinn Féin-Bewegung führte. Diese Trennung der einstigen Verbündeten in Vertragsbefürworter und -gegner sorgte dafür, dass das ursprüngliche Ziel, auf der Konferenz – zu der Delegierte aus der ganzen Welt, darunter aus Argentinien, Mexiko und Chile, angereist waren –, politische Einigkeit zu demonstrieren, scheiterte.392 Während etwa Arthur Griffith und seine Anhänger den Vertrag befürworteten, standen Harry Boland und de Valera auf der anderen Seite, wobei das Zerwürfnis zusätzlich dadurch befördert wurde, dass letzterer den Kongress

391 Vgl. Pyle 1989, S. 104. 392 Vgl. Murray 2001, S. 8.

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als Plattform nutzte, um im Ausland für einen republikanischen Staat zu werben.393 Lediglich in kulturellen Belangen (Literatur, Kunst, Musik) trat man geschlossen auf. Auch die unterschiedlichen Positionen der an der Tagung beteiligten Yeats-Brüder spiegelten die Spaltung Irlands. So schrieb selbst Arnold, der Jack B. Yeats kaum je eine politische Haltung zugestand, »that he found himself increasingly allied to Sinn Féin, or Republican side, in Irish politics«.394 Zwar räumte Brown an dieser Stelle ein, dass der Künstler trotz seiner republikanischen Überzeugungen Pazifist geblieben sei, allerdings stützte sie ihre im Kern richtige Behauptung auf ein fälschlicherweise dem Maler zugewiesenes Zitat, das sie dem Briefwechsel zwischen John Quinn und Yeats entnommen hatte.395 Der von Brown Yeats zugeschriebene Text stammt dabei recht eigentlich von dem in politischen Angelegenheiten stets gemäßigter auftretenden Quinn, der am 12. Juni 1921 an Yeats schrieb  : Things political in Ireland are still black, but of one thing I am certain and that is that the Sinn Feiners will not quit. I would not fight for what is technically a republic, but I think Ireland should govern herself the same as Canada and South Africa do.396

Diese abwägende Haltung ist dabei nicht nur faktisch Quinn zuzuschreiben, sondern entspricht dem Anwalt auch in inhaltlicher Hinsicht. Schließlich hätte Yeats, der sich in seinen Briefen an Quinn im Übrigen nur selten zu politischen Aspekten äußerte, vor dem Hintergrund seiner republikanischen Einstellung kaum einen Dominion-Status für Irland vorgeschlagen, der durch den Vergleich mit Kanada und Südafrika nahegelegt wird. Wohl auch deshalb stand er auf der Tagung mit de Valera in Kontakt und nicht mit den Vertragsbefürwortern. Yeats’ Einstellung in dieser Zeit wurde von Pyle folgendermaßen beschrieben  : Jack Yeats’s patriotism was intense and of a deeply idealistic nature. To him the Free Staters were middle-class, while the Republicans represented all that was noble and free. […] Yeats hated war and evil.397

Bedingt durch den Entstehungszusammenhang wurde Yeats’ kurzes Traktat, bei dem es sich um seinen einzigen theoretischen Text zur Kunst handelt, stets als politischer Kommentar des Malers gewertet. Demgemäß wurden darin enthaltene Aussagen wie »[…] there is a country more ready than any other to lift painting into its rightful 393 Vgl. Keown 2001, S. 367 – 370. 394 Arnold 1998b, S. 57  ; diese Haltung bestätigt auch Pyle 1989, S. 119. 395 Vgl. Brown 2014a, S. 207. 396 Brief von Quinn an Jack B. Yeats, 12. Juni 1921, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. Dass der Brief eindeutig von Quinn verfasst wurde, belegt nicht nur der Ton der Zeilen, sondern vor allem die Tatsache, dass er am Ende »With kind regards to Mrs. Jack« auch Yeats’ Frau grüßen lässt. 397 Vgl. Pyle 1989, S. 119  ; lediglich Murphy bezeichnete Yeats auch als Befürworter von Gewalt, falls es politisch erforderlich sein sollte. – Vgl. Murphy 2001, S. 127.

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place, and that is Ireland, this land of ours« oder »[…] the roots of every art must be in the country of the artist, and no man can have two countries« (M. A., 4)398 als Belege für die ausschließlich nationale Lesart des Textes herangezogen. Diese Diskussion hat jedoch vollkommen außer Acht gelassen, dass das eigentliche Thema des Vortrages wie auch des Aufsatzes nicht die politische Lage Irlands,399 sondern die Herausbildung und der Stellenwert einer modernen Kunst in Irland ist. Ich möchte daher anhand einer eingehenden Analyse des Textes prüfen, welche kunsttheoretische Dimension Yeats’ Thesen aufweisen und inwieweit sich diese zu tradierten sowie modernen Traktaten in Bezug setzen lassen. Die Untersuchung soll darüber hinaus Aufschluss über die Moderne-Auffassung des Künstlers bieten. Vor dem Hintergrund des Dispositivs des Nationalen gilt es zudem zu klären, inwieweit Yeats gegen koloniale Blickregime argumentierte. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist, wie sich in Yeats’ Kunstbegriff ästhetische und politische Aspekte durchdringen. Der Maler beginnt seinen Text mit folgender Behauptung  : »The majority of people like to think that the painter of pictures is a man who was born ambidextrous, and has been taught juggling« (M. A., 1). Ihm zufolge gibt es nur wenige Künstler, die die Kunstproduktion nicht als einen »trick of juggling« (M. A., 1) begreifen würden und sich dagegen der Natur zugewandt hätten. Daraufhin kontrastiert er zwei Praktiken, die wahre (»true«) und die falsche (»false«) Malweise, und macht diese Gegensätze zum Ausgangspunkt für seine weitere Argumentation. Allerdings diskutiert Yeats nicht nur das Kunstschaffen, sondern geht auch auf das Publikum ein. Hierbei kritisiert er, dass die meisten Menschen Kunst nicht verstünden und die Interpretation daher den Malern überließen (M. A., 1). Laut Yeats entstehen falsche Bilder nicht »from nature, but from other pictures«, mit dem Ziel, »cleverness« (M. A., 3) zu demonstrieren. Im Gegensatz dazu bewiesen wahrhaftige Werke einen individuellen Ausdruck und belegten, dass das künstlerische Auge an das eigene Gedächtnis (»own memory«) sowie den eigenen Charakter (»own character«) rückgebunden sei. Demgemäß sollten Maler nicht versuchen, eine objektiv zu begreifende Perfektion zu erreichen  : If the exact model is the highest aim of the artist, then the greatest artist in the world would be the man who painted a five-dollar bill on a sidewalk of New York so correctly, that the passers-by were actually trying to pick it up (M. A., 2).

398 Im Folgenden werden die Seitenzahlen von Modern Aspects of Irish Art hinter den aufgeführten Zitaten in Klammern nach der Abkürzung des Titels M. A. vermerkt. 399 Die einzige Ausnahme stellt hier Ansel 2016 dar, die sich in ihrem Aufsatz erstmals der kunsttheoretischen Dimension des Textes zuwandte. Im Folgenden werden die darin entwickelten Überlegungen als Grundlage für die Analyse herangezogen.

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Mit dieser beispielhaften Episode rekurrierte der Autor offenkundig auf seine eigene Auseinandersetzung mit US-amerikanischer Trompe-l’œil-Malerei, die er während seines mehrwöchigen New York-Aufenthaltes im Jahr 1904 im Original hatte sehen können. So griffen Künstler wie John Haberle (1856 – 1933) oder Nicholas Alden Brooks (1840 – 1904) seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auf die Tradition des realistischen Stilllebens zurück und überführten diese in einen zeitgenössischen Zusammenhang,400 indem sie etwa illusionistisch wiedergegebene Dollar-Scheine malten, die für die Betrachtenden unmittelbar greifbar zu sein schienen.401 Mittels der modernen Referenz verwies Yeats zugleich auf die weit zurückreichende Tradition der naturgetreuen Malerei, deren Vorbild die von Plinius (23/24 – 79 n. Chr.) geschilderte Konkurrenz zwischen den antiken Malern Zeuxis und Parrhasius war. Der Überlieferung nach schuf Zeuxis ein derart überzeugendes Bild mit Trauben, dass vorbeifliegende Vögel daran pflücken wollten. Parrhasius übertraf den Kollegen allerdings noch, indem er vor sein Bild einen lebensechten Vorhang malte, ein Betrug, den Zeuxis erst erkannte, als er den Stoff beiseite ziehen wollte.402 Ebendiese Kunstfertigkeit der Augentäuschung wird von Yeats’ Text kritisiert, sei es doch nur »the painter himself who makes the worth of the picture« (M. A., 2). Hierdurch stellt der Text auf das grundlegende Problem der Nachahmung ab, das seit der Antike fest im kunsttheoretischen Diskurs verankert ist. Dabei wurde die Definition der mimesis im Laufe der Jahrhunderte antagonistisch ausgelegt. In diesem Zusammenhang spielte der Begriff der imitatio eine zentrale Rolle. Mal wurde dafür plädiert, seinen eigenen Zugang zur Naturdarstellung zu wählen, mal dafür, das Nacheifern vorangegangener Meister in den Vordergrund zu rücken (imitatio, aemulatio und supe­ ratio). Die letztgenannte Praxis fand vor allem Niederschlag im akademischen Studium der Kunstschulen.403 Auch Yeats war im Rahmen seiner Ausbildung mit diesem Curriculum konfrontiert worden und setzte sich in dem Text verneinend damit auseinander. Seine kritische Haltung ist dabei kaum als voraussetzungslos zu bezeichnen, sondern vielmehr in die individualistischen Bestrebungen moderner Künstler:innen einzuordnen, die, wie Harald Bloom es formulierte, seit dem späten 18. Jahrhundert von einer »anxiety of influence«404 geprägt waren. Mit der Betonung des Naturideals orientierte sich Yeats paradoxerweise sehr wohl an Vorbildern, etwa an Whistler, in dessen 1888 veröffentlichtem Aufsatz Mr. Whistler’s Ten O’Clock, der sich auch in der Bibliothek des Iren befand, mehrfach der Terminus »nature« verhandelt wird. Bereits für Whistler barg die Natur alle für Kunstschaffende 400 Vgl. etwa John Haberle, Imitation, 1887, Öl auf Leinwand, 25,5 × 35,6 cm, Washington, National Gallery of Art sowie Nicholas Alden Brooks, A Ten Dollar Bill, nach 1893, Öl auf Leinwand, 26 × 41,3 cm, Boston, Museum of Fine Arts. 401 Zur weiterführenden Lektüre zu den US-amerikanischen Trompe l’œil-Künstlern siehe Chambers 1988. 402 Plinius d. Ä. 2007, S. 57 – 59. 403 Zum Begriff der imitatio siehe Pochat 2001. Besonders in der italienischen Renaissance wurden die beiden Strömungen unter Humanisten diskutiert. 404 Bloom 1973, siehe gleichnamiger Titel.

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wesentlichen Komponenten  : »Nature contains the elements, in colour and form, of all pictures, as the keyboard contains the notes of all music.«405 Anders als Whistler jedoch, der den Aspekt der »science« für die Bildfindung mit einschloss,406 wehrte sich Yeats explizit gegen eine wissenschaftliche Annäherung an die Bildkunst. Neben dem Gegensatzpaar der wahren und falschen Malerei eröffnet der Künstler im Text nämlich ein weiteres, das der Wissenschaft (»science«) und der Natur (»nature«). Laut Yeats nahm die Geschichte der wissenschaftlichen Malerei ihren Ausgang in der Zeit der Entdeckung der Perspektive, während der »artists […] began torturing […] pictures with pavements and ceilings and walls covered with patterns so as to use the laws of perspective« (M. A., 3). Erneut wandte sich der Maler damit gegen den illusionistischen Charakter von Bildwerken. Darüber hinaus belegt diese Passage Yeats’ Kenntnis italienischer Kunst sowie theoretischer Prinzipien, wie sie etwa von Leon Battista Alberti (1475 – 1564) formuliert worden waren.407 Dass Yeats mit Alberti vertraut war, darf durch sein humanistisch geprägtes Elternhaus ebenso wie durch sein mehrjähriges Studium und seine Lektüre angenommen werden. Immerhin befand sich in seiner Bibliothek nicht nur Walter Paters The Renaissance. Studies in Art and Poetry, sondern auch John Addington Symonds Biografie zu Michelangelo, in der Alberti Erwähnung findet.408 Die Fortsetzung dieser wissenschaftlichen Herangehensweise sah Yeats in den zeitgenössischen Strömungen des Vortizismus und des Futurismus,409 wobei er die Ursache des kritisierten Verfahrens in der Einfallslosigkeit seiner »lazy-minded« Kollegen ausmachte  : »Science is easier to follow than life. One can learn science from a handbook« (M. A., 3). Um die angestrebte wahre Kunst zu realisieren, müsse man jedoch ausschließlich nach der Natur arbeiten und seiner eigenen Vorstellungskraft folgen, eine Arbeitsweise, die von Yeats mit »observation and memory« (M. A., 1) überschrieben wird. Dadurch, dass sich die Malerei und damit auch »the painter’s vision« (M. A., 3) ausschließlich über den Sehsinn übertrage, bedürften diese keiner Übersetzung in Worte. Es sei dieser unmittelbare Charakter, der die Malerei auf den ersten Platz der Künste hebe und damit in der Rangordnung vor der Dichtung verorte (M. A., 3). Hier zeigt sich abermals 405 Whistler 1888, S. 14  ; in Yeats’ Besitz befand sich die Ausgabe von 1899, siehe Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/23/3/2. 406 »But the artist is born to pick, and choose, and group with science, these elements, that the result may be beautiful […]«, Whistler 1888, S. 14. 407 Zu Albertis Überlegungen zur Vermessung der Räume und Dinge siehe Alberti 2002, S. 116 – 127 sowie Pochat 2001, S. 28. 408 Pater, Walter  : The Renaissance. Studies in Art and Poetry, London 1910, BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1 und Symonds, John Addington  : The Life of Michelangelo Buonarroti. Based on Studies in the Archives of the Buonarroti Family at Florence, 3. Ausg., London 1901, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/3/4. 409 Diese Sichtweise, die zugleich Yeats’ immenses Interesse am internationalen Kunstgeschehen belegt, hatte er bereits 1919 Quinn gegenüber geäußert  : »I went to a lecture some weeks ago here on the futurist painters. That is another science. […] But there is no reason why it should fasten itself to painting except that painting is so anaemic that it cannot lift itself up enough to protect itself.« Brief Jack Yeats an Quinn, 10. Dezember 1919, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49.

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Yeats’ Vertrautheit mit kunsttheoretischen Fragen, referiert er mit der Gegenüberstellung doch auf den Paragone, den er 1922 noch zugunsten der Malerei entschied, bevor er in den 1930er Jahren wesentlich als Schriftsteller in Erscheinung treten sollte. Indem Yeats in einer der Malerei innewohnenden Kommunikationsfähigkeit von Gedanken und Gefühlen den großen Vorteil gegenüber anderen Künsten ausmachte, distanzierte er sich in seinem Text erneut deutlich von dem Konzept der Imitation sowie von akademischen Prinzipien, die ihm während der Ausbildung vermittelt worden waren. Demgemäß forderte er, dass Künstler sich der Nachahmung anderer Künstler sowie der idealisierten Naturdarstellung entgegensetzen sollten. Schließlich gelte die Schönheit als das oberste Ziel, das weder durch die Anwendung wissenschaftlicher Vorgaben noch durch die Nachbildung, sondern allein durch die Wahrheit zu sich selbst (»be true to yourself«) erreicht werden könne (M. A., 11). Der mögliche kunsttheoretische Referenzrahmen, in den Yeats’ Text eingeordnet werden kann, ist bis dato gänzlich unkommentiert geblieben. Allerdings lassen sich hinsichtlich der Ideen und der Struktur des Traktates, das sowohl erklärende als auch anekdotische Passagen enthält, neben Parallelen zu Mr. Whistler’s Ten O’Clock durchaus weitere Analogien zu tradierten und zeitgenössischen Diskursen ausmachen. So ähnelt etwa Yeats’ Wortwahl sehr der seines Kollegen Walter Sickert, mit dem er sich über Kunst austauschte und der 1924 in einem am Londoner Royal Institute gehaltenen Vortrag konstatierte  : In these days we no longer believe in drawing, perspective, architecture. Why  ? Because we don’t wish to believe in them. […] Quality in paint results from a natural gift together with study and practice. These will give a nonchalance, a looseness, a rapidity, which in themselves are of great beauty. A supreme example of this is Hogarth’s Shrimp Girl, which combines solidity with a tremendous sense of rapidity.410

Es ist bemerkenswert, dass Sickert seinen Freund zuvor in einem Brief über diesen Vortrag unterrichtet hatte und dass Yeats die Veröffentlichung dieser Rede, die 1941 durch Emmons erfolgte, später in seinen Zeitungsausschnitten abheftete.411 Obwohl Sickert seine Grundsätze erst nach der Publikation von Modern Aspects of Irish Art formulierte, muss davon ausgegangen werden, dass Yeats die Positionen seines Kollegen bereits durch die gemeinsamen Gespräche kannte.412 Es ist jedenfalls auffällig, dass sich Yeats und Sickert mit gleicher Vehemenz gegen die Anwendung der Perspektivlehre sowie die Nachahmung der Antiken aussprachen und im Gegenzug eine Hinwendung zur individuellen Arbeitsweise verlangten. Dass Yeats eine Reproduktion des von Sickert angeführten Hogarth-Gemäldes The Shrimp 410 Sickert, Walter  : Vortrag zum Thema Straws from Cumberland Market, gehalten im Januar 1924 im Londoner Royal Institute, abgedruckt in Emmons 1992, S. 246 f. 411 Vgl. ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4  ; Brief Sickert an Jack B. Yeats, Januar 1924, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/5/2/74. 412 Zum Austausch der beiden siehe White 1957, S. 120.

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Girl in seiner Bildersammlung aufbewahrte,413 ist in diesem Zusammenhang als ein weiteres Indiz zu bewerten. Was Yeats und Sickert in ihren Ansichten aber zwingend zusammenführte, ist die Betonung einer vernakularen Malerei. So schreibt der Ire in seinem Manifest, dass ein Künstler seine Visionen am geeignetsten kommunizieren könne, wenn er »part of the land and of the life he paints« (M. A., 4) sei. Mit dieser Forderung bezieht sich Yeats, ohne es zu benennen, auf seine eigene Handhabung, die Sickert als vorbildhaft ansah. Bereits in seinem Brief vom Januar 1924 hatte der Engländer seine Begeisterung für die Vorgehensweise des irischen Kollegen betont  : […] I think your exhibition superb. It fulfils my theory that there can be modern painting. Life above everything. […] I must speak about them [Yeats’ Landschaften, Verf.] at a lecture I am giving at the Royal Institution […].414

Sickert hielt Wort und benannte in seinem angekündigten Vortrag Yeats tatsächlich als ausdrücklichen Vorreiter einer modernen Malerei, die nach seinem Dafürhalten an der eigenen Kultur orientiert sein müsse  : »Jack Yeats is doing what I would like to urge young painters to do  : painting the life of his own country.«415 Sickert lobte Yeats zudem für dessen genuinen Herstellungsprozess, der sich keiner »imported air«416 bediene. Und auch Yeats hielt den Import fremder Einflüsse für verdächtig und im Falle Irlands für gänzlich unnötig. Schließlich habe sein Land den Vorteil, frei von falschen Überformungen zu sein  : »[…] here we have not too many false traditions about painting to get rid of […]« (M. A., 4). Für beide, Sickert und Yeats, zeichnete sich das Wesen einer modernen Kunst demnach durch die Loslösung von externen Einflüssen und den Fokus auf das Eigene aus. Yeats’ Streben nach einer vernakularen Malerei ist daher weniger als nationalistisches Bekenntnis als vielmehr als Rekurs auf einen europäischen Modernediskurs zu verstehen, der seinerseits wiederum Vorläufer hat. In dieser Hinsicht erinnert Yeats’ Idee einer voraussetzungslosen Kunst an Joshua Reynolds’ (1723 – 92) Discourses on Art, in denen der Präsident der 1768 gegründeten Royal Academy die englische Kunst und deren Vorteile wie folgt eingeordnet hatte  : »One advantage, […], we shall have in our Academy, which no other nation can boast. We shall have nothing to unlearn.«417 Allerdings ist kaum zu vermuten, dass sich der 413 William Hogarth, The Shrimp Girl, 1740 – 45, Öl auf Leinwand, 63,5 × 52,5 cm, London, The National Gallery. Zu Yeats’ Reproduktion (unpubliziert) siehe Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/15/1/18. 414 Brief Sickert an Jack B. Yeats, Januar 1924, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/5/2/74. Yeats’ Ausstellung der Paintings of Irish Life, auf die sich Sickert bezieht, fand vom 7. bis 18. Januar 1924 in der Londoner Gieves Art Gallery statt. 415 Sickert zitiert in Emmons 1992, S. 246. 416 Sickert zitiert in Emmons 1992, S. 246. 417 Reynolds 1988, S. 16, Discourse I. Der Discourse I basiert auf dem Vortrag zur Eröffnung der Royal Academy, den Reynolds am 2. Januar 1769 gehalten hatte.

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nonkonformistisch auftretende Maler hier ernsthaft an dem Verfechter der Akademie orientierte. Zwar ist gerade gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Kreisen des New English Art Club eine neue Konjunktur der Discourses zu verzeichnen,418 was die Idee, dass diese vorbildhaft auf Yeats gewirkt haben könnten, generell unterstützt  ; dennoch gehe ich davon aus, dass die in Modern Aspects zum Ausdruck kommende Anlehnung vielmehr als inverser Verweis zu verstehen ist. In diesem Sinne erfolgte die rhetorische Motivübernahme offenbar nur, um die irische Kunst von der englischen abzugrenzen, so wie Reynolds über ein Jahrhundert zuvor eine Distanzierung der englischen Malerei von der kontinentalen vorgenommen hatte. Mittels der für gebildete Leser erkennbaren Referenz konnte Yeats demonstrieren, dass es sich bei der zeitgenössischen irischen Kunst um die wahre Ausdrucksform der Moderne handelt. Als eigentliches Modell für Yeats’ Text können meines Erachtens die Schriften John Ruskins gedient haben, der in seinen Überlegungen zur Architektur sowie zur modernen Malerei wegweisende Prämissen für die nachfolgenden Künstler:innengenerationen formuliert hatte. In diesem Zusammenhang ist es auffällig, dass Yeats bestimmten Begriffen besonderes Gewicht verlieh. Zu erwähnen sind folgende Schlagwörter  : »Life«, »Truth«, »Memory« und »Beauty«. Diese Ideen erinnern unverkennbar an jene Grundgedanken Ruskins, die ausführlich in dessen Malerei- wie Architekturtraktaten erörtert worden waren.419 Dies zeigt besonders die im ersten, 1843 veröffentlichten Band der Modern Painters ausgesprochene Empfehlung zur modernen Malerei  : From young artists nothing ought to be tolerated but simple bonâ fide imitation of nature. They have no business to ape the execution of masters  ; to utter weak and disjointed repetitions of other men’s words, and mimic the gestures of the preacher, without understanding his meaning or sharing in his emotions. We do not want their crude ideas of composition, their unformed conceptions of the Beautiful, their unsystematized experiments upon the Sublime. We scorn their velocity  ; for it is without direction  : we reject their decision  ; for it is without grounds  : we contemn their composition  ; for it is without materials  : we reprobate their choice  ; for it is without comparison. Their duty is neither to choose, nor compose, nor imagine, nor experimentalize  ; but to be humble and earnest in following the steps of nature, and tracing the finger of God. Nothing is so bad a symptom, in the work of young artists, as too much dexterity of handling  ; for it is a sign that they are satisfied with their work, and have tried to do nothing more than they were able to do. Their work should be full of failures  ; for these are the signs of efforts. They should keep to quiet colours, greys and browns  ; and […] should go to 418 Vgl. Gruetzner Robins 1999, S. 49 f. So lasen viele Mitglieder des New English Art Club wieder Reynolds’ Texte. Roger Fry gab 1905 sogar eine Neuauflage der Discourses heraus. 419 Etwa in dem 1849 erschienenen Seven Lamps of Architecture, wo in sieben Kapiteln folgende Ansprüche an Architektur formuliert werden  : Sacrifice, Truth, Power, Beauty, Life, Memory und Obedience. Bereits vorher besprach Ruskin diese Grundsätze in seinem ersten Band von Modern Painters, der 1843 veröffentlicht wurde.

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Nature in all singleness of heart, and walk with her laboriously and trustingly, having no other thoughts but how best to penetrate her meaning, and remember her instruction  ; rejecting nothing, selecting nothing, and scorning nothing  ; believing all things to be right and good, and rejoicing always in the truth. Then, when their memories are stored, and their imaginations fed, and their hands firm, let them take up the scarlet and the gold, give the reins to their fancy, and show us what their heads are made of. We will follow them wherever they choose to lead  ; we will check at nothing  ; they are then our masters, and are fit to be so. They have placed themselves above our criticism, and we will listen to their words in all faith and humility  ; but not unless they themselves have before bowed, in the same submission, to a higher Authority and Master.420

Es erscheint offenkundig, dass Yeats auf die Ausführungen Bezug nahm, wobei insbesondere die von Ruskin konstatierten Postulate der Hinwendung zur Natur sowie des Findens einer eigenen, unabhängig von künstlichen Vorbildern entwickelten Sprache Yeats’ Überlegungen erkennbar beeinflussten. Dass sich der Künstler in seinem Text zugleich auch an Whistler anlehnte, der von Ruskin für seine vermeintliche Farbschleuderei abgeurteilt worden war,421 steht dabei nicht im Widerspruch zur aufgezeigten Vorbildwirkung. Schließlich hatte auch Whistler zunächst unter Ruskins Einfluss gestanden und war von dem Kritiker wohl vielmehr für seine Ähnlichkeit zu William Turners (1775 – 1851) Malstil gerügt worden als für sein ästhetizistisches Kunstverständnis. Immerhin war die künstlerische Übereinstimmung beider Maler unter Zeitgenoss:innen nicht unentdeckt geblieben und sorgte so bei Ruskin, der als Turners Mentor auftrat, für Missstimmung.422 Ruskins Schrift Modern Painters hatte neben Yeats auch anderen Künstlern wie Whistler und Sickert als Vorbild gedient.423 Folglich sind für Yeats’ Text Verschränkungen diverser Moderne-Debatten zu konstatieren, die typisch waren für kunsttheoretische Schriften jener Zeit. Seine Überlegungen lassen sich somit in einen internationalen Zusammenhang einbetten. Dass diese Interferenzen von der Forschung bisher gänzlich übersehen worden sind, lässt sich zunächst mit der zur Schau gestellten Beiläufigkeit begründen, mit der Yeats diese Anspielungen in den Text einfließen ließ. 420 Ruskin 1903, S. 623 f. 421 Ruskin schrieb am 2. Juli 1877 in der Zeitschrift Fors Claviga über Whistler  : »I have seen and heard much of a Cockney impudence before now  ; but never expected to hear a coxcomb ask two hundred guineas for flinging a pot of paint in the public’s face«, Ruskin zitiert nach Lochnan 2004, S. 24. 422 Vgl. Lochnan 2004, S. 24. So konstatierte Berthe Morisot während ihres London-Aufenthaltes im Jahr 1875 bei einem Besuch der National Gallery die deutliche Bezugnahme Whistlers auf Turner. 423 Laut Lochnan nahm Whistler in seiner Ten O’Clock-Schrift auch auf Ruskin Bezug. – Vgl. Lochnan 2004, S. 29. Sickert, der in den 1880er Jahren in Frankreich mit Whistler zusammengearbeitet hatte, bezog sich hinsichtlich des Naturbegriffes ebenfalls auf Ruskin. – Vgl. Emmons 1992, S. 247. Zum Verhältnis von Whistler und Sickert siehe etwa Gruetzer Robins 1988, S. 225 ff.

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Jedoch erst die Tatsache, dass der Künstler hauptsächlich als intuitiver und antiakademischer, dafür aber umso mehr als an nationalen Belangen interessierter Maler rezipiert wurde, erklärt die ausgebliebene kunsttheoretische Untersuchung der Modern Aspects. Diese persistente Ausblendung einer intellektuellen Dimension der Abhandlung führte zu einer rein politischen Auslegung der von Yeats’ angewandten Abgrenzungsrhetorik, eine Interpretation, die an das bereits etablierte Bild vom künstlerischen Außenseiter auf geeignete Weise anschloss. Dass sich Yeats mit den zahlreichen in der Schrift platzierten Innuendos vielmehr als Insider zu erkennen gab, macht folgende Textstelle besonders deutlich. In Bezug auf die Rezeption moderner Kunst kritisiert der Autor jene Maler:innen, die ihre eigenen Ideen ständig wiederholen würden, und das Publikum, das ebenjene Einfallslosigkeit mit Lob belohne  : The painter who always uses the same streaks of paint to indicate water, and the same colours to indicate a sunrise, is what they like. If the first time they saw his paintings they were labelled »Water«, »A Sunrise«, his water streaks and sunrise colours became symbols for them, and they can recognise them again without trouble. The lazy half-alive ones are satisfied that they have seen a picture of »Water« and a picture of »Sunrise« […] (M. A., 10).

Zwar erwähnt Yeats den als Negativbeispiel aufgeführten Maler nicht namentlich, allerdings geben die mit »water« und »sunrise« benannten Titel der Gemälde unübersehbare Hinweise auf die Persönlichkeit, bei der es sich nur um Claude Monet handeln kann. Yeats’ Kritik, die auf das Problem der Kunst als modisches Phänomen abzielt, knüpft darin an den bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Sickert formulierten Unwillen gegen Monets neuen, ungezügelten Pinselduktus an, der lediglich einem aktuellen Trend nachkomme.424 Wie sehr Yeats’ Aussagen mit denen von Sickert übereinstimmen, macht darüber hinaus eine weitere gemeinsame Aversion augenfällig, die sich gegen die übertriebene Verehrung Paul Cézannes (1839 – 1906) richtete. So dichtete Sickert um 1914 als Reaktion auf die von Roger Fry befeuerte Würdigung des französischen Malers in England missbilligend  : If he proves a simple codger, Unload Steer, and load up Roger  ! And he’ll like you all the better if you do  ! For Rogers you may trust in, Though the Cézanne boom he bustin’, And he’ll like you all the better if you do  !425 424 Neben Sickert äußerten auch weitere Mitglieder des New English Art Club Kritik an Monets neuestem Stil und dem der Neo-Impressionisten. – Vgl. Gruetzner Robins 1999, S. 48. 425 Das Gedicht Lines to an Expert ist in Emmons 1992, S. 269 abgedruckt.

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Eine ähnliche Verurteilung des Cézanne-Booms findet sich auch bei Yeats, der bei einer Feier, die anlässlich eines Vortrages eines Kunsthistorikers ausgerichtet worden war, eine überschwängliche Diskussion über Cézanne mit folgenden Worten jäh unterbrochen haben soll  : »Cézanne, Cézanne, Cézanne, sez you  !«426 Basierend auf diesen und anderen Äußerungen, die eine abgrenzende Haltung evozieren, stuften Kritiker:innen den Maler später als »complete individualist«427 ein und verkannten damit den internationalen Hintergrund derartiger Absagen an fremde Einflüsse. Und noch 2014 kam Brown aufgrund Yeats’ zum Ausdruck gebrachter Affirmation des Eigenen in den Modern Aspects zu dem Schluss, dass dieser eine »separatist view« verfolgt und sich damit von frankophilen Zeitgenoss:innen wie Paul Henry unterschieden habe.428 Zwar muten häufig zitierte Formulierungen des Traktates wie »we must look to ourselves for the springs of our art. We must not look to Paris or London for a pace-maker« (M. A., 5) auf den ersten Blick wie nationalistische Bekenntnisse an, allerdings müssen diese unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Kunstdebatten global eingeordnet werden. Bereits der Text selbst liefert hier relativierende Kommentare, die die proklamierte Eigenständigkeit in einem anderen Licht erscheinen lassen und die bezeichnenderweise von der Yeats-Forschung bislang nie zitiert worden sind  : The painter who works in the land of which he is a part need not build a wall about himself. It will do him nothing but good to know and admire all the fine painters of the world. But he can never be any one of them – he can never be anyone but himself (M. A., 5/6).

Yeats forderte mit seinen Aussagen daher weniger, dass Künstler:innen sich von internationalen Strömungen abschotten, als vielmehr, dass sie sich heimischen Themen und Herangehensweisen nähern sollten, eine Forderung, die in ihrer rhetorischen Vehemenz auch innerhalb des postkolonialen Kontextes reflektiert werden muss. Darüber hinaus ist die Tatsache, dass der Künstler 1921 die Etablierung einer eigenen Kunstszene beschwor und dabei Bezug auf berühmte Londoner Künstlerviertel nahm, erneut vielsagend  : Of course, we have nothing like a school over here […]. There is the Arts Club, but only a very few painters belong to it. There is the Hibernian Academy, where we hold meetings periodically. But for the most part we work singly over here. There is no rendezvous in Dublin, for instance, like the Café Royal in London  ; nor is there an artists’ quarter like Chelsea. Some years ago Orpen had a school over here, but he did not remain long enough to influence style to any great extent.429 426 Yeats zitiert in White 1957, S. 117 f. Die Anekdote wird von White zeitlich nicht eingeordnet. 427 Annual Report, Royal Hibernian Academy, 1957, zitiert nach Pyle 1993b, S. 86. 428 Vgl. Brown 2014a, S. 205. 429 Yeats zitiert in Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Dem Maler ging es demnach in Anlehnung an ausländische Beispiele um eine dezidierte Förderung zeitgenössischer Kunst in Irland, ein Aspekt, dem Anfang der 1920er Jahre offenkundig nur wenig Aufmerksamkeit zuteilwurde. Dass er sich zudem ab 1920, zusammen mit Paul Henry, Mary Swanzy und anderen, mit der Gründung der Society of Dublin Painters für eine moderne Kunst einsetzte, die sich offen zeigte für internationale Impulse,430 widerlegt ein weiteres Mal die Annahme der »separatist view«431. Vielmehr war Yeats und seinen Kolleg:innen daran gelegen, mit der Betonung einer regionalen Malerei die wirtschaftliche Absicherung für irische Künstler:innen zu thematisieren. Anlässlich der Eröffnung der Society of Dublin Painters hieß es in der Presse über ebendiese Ziele der Gruppe  : The object of The Dublin Painters is to educate the Irish public into a habit of buying pictures as well as merely criticizing them, and to make Ireland not so good a place as it is now for native painters to live out of.432

Und auch die Irish Times bedauerte 1924 die geringe Bereitschaft in der Bevölkerung, in irische Gemälde zu investieren, obwohl das Kapital doch vorhanden sei  : Persons who never grudge large sums for entertainment at the theatre commonly are found to objecting to the price of books, which cost less than a single seat at a play and last a lifetime. So, too, in this age of extravagant expenditure on entertainments and luxuries original pictures wait long for buyers.433

Yeats’ energische Fürsprache für regionale Künstler:innen, die in Modern Aspects of Irish Art transportiert wird, richtete sich daher nicht nur an Malerinnen und Maler, sondern vor allem auch an Sammler:innen. Seine Schrift beleuchtet in diesem Zusammenhang zugleich die Voraussetzungen, die für die Etablierung eines eigenen Kunstverständnisses geschaffen werden müssen. Wesentliche Aspekte liegen für ihn in der Ausbildung, in der Erziehung durch Kunst, in einer unvoreingenommenen Betrachtungsweise von Gemälden sowie in erforderlichen Vermittlungsformen mittels geeigneter Ausstellungsformate. Mit seinem Text zielte Yeats somit darauf ab, Grundlagen zu schaffen und Anfänge zu markieren. 430 Die Gruppe wurde im August 1920 gegründet, ein Ereignis, das in der Presse breit besprochen wurde. Die regelmäßigen Ausstellungen fanden in der Dubliner Stephen’s Green Gallery statt. Zur Rezeption siehe etwa Athenaeum  : Notes from Ireland, 13. August 1920 oder Freeman’s Jour­ nal  : New Society’s Successful Opening Exhibition, 6. August 1920, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 431 Brown 2014a, S. 205. 432 Athenaeum  : Notes from Ireland, 13. August 1920, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/1. 433 Irish Times  : Art in the Home, 10. Februar 1924, abgeheftet in Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/1.

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In diesem Sinne rief er zur Abwendung von akademischen Lehrformen auf, die zwar das handwerkliche Können, nicht aber die Kreativität fördern würden. Im Gegensatz dazu appellierte er an einen Neubeginn der Malerei, der sich am ›Ursprung des Kunstschaffens‹ orientieren solle. Schließlich hätten bereits die frühen Künstler:innen der ›primitiven‹ Höhlenmalerei eine besondere Freude an der Naturwiedergabe empfunden und auf diese Weise ihrer Umgebung adäquat Ausdruck verliehen  : »The finest of these early drawings are in caves in Spain  : there are drawings there of horses, deer, and buffaloes which have great beauty« (M. A., 8). Es ist bemerkenswert und bisher unentdeckt geblieben, dass Yeats mit diesen Worten auf die 1879 entdeckten und um die Jahrhundertwende als echt erkannten Höhlenzeichnungen von Altamira rekurrierte und damit an einen lebhaften Kulturdiskurs seiner Zeit anschloss, der die ›Anfänge der Kunst‹ thematisierte.434 Auch wenn sich in Yeats’ Unterlagen keine Abhandlungen zu dem Thema finden, so geben doch die zahlreich vorhandenen Kunstpostkarten von Altamira-Darstellungen in seiner Sammlung sowie die Formulierungen in den Mo­ dern Aspects Aufschluss über dessen Kenntnis der Debatten zum Beginn der Malerei.435 Seine dargelegte Begeisterung gegenüber der unverfälschten Herangehensweise der prähistorischen Ahnen offenbart zudem eine Position, die der anderer Künstler:innen sowie Kulturschaffender jener Zeit gleichkam und die die urgeschichtliche Kunst unvoreingenommen als eigenständige Leistung wertschätzte. Als Beispiel hierfür kann die 1913 in Leipzig organisierte Ausstellung zur vergleichen­ den Entwicklungsgeschichte der primitiven Kunst bei den Naturvölkern, den Kindern und in der Urgeschichte genannt werden, die insofern einen Paradigmenwechsel darstellte, als diese fachübergreifend vorgeschichtliche und noch existierende ›primitive‹ Kulturen zu künstlerischen Äußerungen von Kindern ins Verhältnis setzte. Der Prähistoriker Herbert Kühn führte diese Überlegungen 1923 in seinem Buch Die Kunst der Primi­ tiven zusammen und sprach sich darin für einen Perspektivwechsel aus, der neben der bereits etablierten Hochkunst, wie etwa dem Griechentum oder der Renaissance, auch zu einer Berücksichtigung und Neubewertung bislang unbekannter sowie unterschätzter Kulturleistungen führen müsse. Zeitgleich wurde das Thema in US-amerikanischen Untersuchungen, etwa in George Grant MacCurdys 1916 erschienenem Text The Dawn of Art. Cave Paintings, Engravings and Sculpture, aufgegriffen.436 Diese Neube434 Vgl. Pfisterer 2007, S. 16. Die Echtheit wurde Pfisterer zufolge 1902 von Emile Cartailhac bestätigt, siehe Cartailhac, Emile  : Les cavernes ornées de dessins. La grotte d’Altamira, Espagne  : ›Mea culpa‹ d’un sceptique, in  : L’Anthropologie, 13, 1902, S. 348 – 354  ; zu den frühgeschichtlichen Ausformungen des Primitivismus siehe auch Küster 2003, S. 67 ff. 435 Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/15/2/2. Yeats’ Plädoyer für Amateure, das er 1920 in einem Brief an Quinn formulierte, kann ebenfalls in diesem Zusammenhang verortet werden. In dem Brief teilt er die Kunstwelt in professionelle Bildermacher, die sich durch Faulheit auszeichnen, und Amateure, die keine Regeln haben und durch einen wachen Blick hervorstechen, ein. – Vgl. Brief Jack B. Yeats an Quinn, unpubliziert, 29. Juni 1920, NYPL, Quinn, Box 49. 436 Vgl. Pfisterer 2007, S. 59 – 64. Pfisterer zitiert hier Passagen aus Kühn, Herbert  : Die Kunst der Primitiven, München 1923. Er weist darauf hin, dass bereits 1916 englischsprachige Unter-

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wertung der vorgeschichtlichen Kunst fiel zusammen mit den programmatischen und ästhetischen Ansätzen der künstlerischen Avantgarden, die sich mittels der Dekonstruktion eines althergebrachten Kunstdispositivs und der Hinwendung zu alternativen Ausdrucksformen neuen Konzepten zuwandten.437 Yeats’ formulierter Anspruch einer unverbrauchten und bahnbrechenden Bildsprache lässt sich – entgegen seiner proklamierten Abneigung gegen andere Gruppierungen – daher in den Bedeutungsrahmen der Avantgarden einordnen.438 Hinsichtlich Yeats’ Überlegungen zur Höhlenmalerei fällt auf, dass er diese in seinen Zeilen ebenfalls an ein kindliches Sehen koppelt und daran anknüpfend seine Leser:innen animiert, sich im Zeichnen zu üben  : »Every child in every corner of Ireland should be encouraged in this natural desire to draw what they see, and not only every child, but every man and woman […]« (M. A., 8). Zugleich warnt er das Publikum vor einer vorschnellen Verurteilung fremder künstlerischer Methoden und ungewohnter Ästhetiken (M. A., 10). Durch die implizite Parallelsetzung der prähistorischen Wandmalereien mit der irischen Moderne empfahl er seinen Landsleuten, Bezug nehmend auf die Produktion heimischer Kunst sowie deren Rezeption, ein ähnliches Vorgehen, das ausschließlich von »affection« (M. A., 8) geprägt sein solle. Es lässt sich daher konstatieren, dass Yeats mittels der aufgezeigten Vorbildwirkung die Idee des ›Ursprungs der Malerei‹ mit der Genese einer nationalen Schule verband. Der von ihm gewünschte unvoreingenommene und von akademischen Richtlinien losgelöste Blick liefere die notwendigen Voraussetzungen für die Herstellung und das Verständnis einer genuin irischen Kunst. Begünstigt werde dieses Verfahren dadurch, dass das »life in Ireland […] nearer to nature« sei und der Maler a priori den Vorteil habe, die zu zeichnenden Gegenstände »with his own fresh eye« (M. A., 6/7) zu erfassen. Mit der diesen Überlegungen zugrunde liegenden Binärformel von »nature« und »fashion« verwies er erneut auf den echten Charakter der irischen Kunst, der im Gegensatz stünde zur schulisch überformten Malerei. suchungen zu dem Thema vorlagen, etwa MacCurdy, George Grant  : The Dawn of Art. Cave Paintings, Engravings and Sculpture, in  : Art and Archaelogy, 4, 1916, S. 71 – 90. 437 Vgl. Kaufmann 2013, S. 110 f. sowie Küster 2003. Zu nennen sind hier etwa folgende Bewegungen  : Expressionismus, Dada, Surrealismus oder Neue Sachlichkeit. 438 Aussagen wie »The Moderns so far do not shake me in my plans«, die er am 15. Dezember 1913, offenbar im Nachgang der Armory Show, an der er selbst mit sechs Werken beteiligt war, gegenüber Quinn geäußert hatte, belegen zwar Yeats’ behauptete Ablehnung der »Moderns«, andererseits zeigen sie auch deutlich seine Auseinandersetzung mit neuen Tendenzen. – Vgl. Brief Jack B. Yeats an Quinn, 15. Dezember 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. Für Yeats kann vermutlich am ehesten die Gruppe der Vortizisten als Einfluss geltend gemacht werden. Yeats wandte sich in seinem Text zwar explizit gegen die Vortizisten und deren vermeintlichen »scientific« Ansatz, dennoch ist seine Abhandlung nur vor dem Hintergrund solcher dekonstruktivistischen Praktiken zu verstehen, die darüber hinaus ebenfalls für eine nationale Kunst einstanden. Dass Yeats sich durchaus für die Vortizisten interessierte, offenbart seine umfangreiche Bildsammlung zu Henri Gaudier-Brzeskas Arbeiten. – Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/15/1/11.

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Berücksichtigt man den Kontext von Yeats’ Ausbildung an englischen Kunstschulen und seine zum Ausdruck gebrachte Aversion gegen alles Künstliche, dann erinnern diese Formulierungen unweigerlich an die Charakterisierung englischer Malerei in William Rothensteins Goya-Biografie aus dem Jahr 1900  : »A general tendency among English painters has been […] to seek inspiration from pictures rather than from Nature.«439 In dem Werk, das sich in Yeats’ Bibliothek befand, kontrastierte der britische Maler und Kunsthistoriker die Praxis englischer Maler:innen mit der Goyas. Schließlich habe es sich der Spanier zum Ziel gemacht »to preserve the freshness of nature«,440 eine Maxime, die Yeats als Bewunderer Goyas gleichermaßen verfolgte. Um seinen Leser:innen zu verdeutlichen, wie diese an der Natur orientierte Malerei am besten zu realisieren sei, verweist der Ire zum wiederholten Mal in seinem Text auf das Prinzip von »observation and memory«, das er an dieser Stelle mit konkreten Anweisungen verknüpft  : Then look long at some scene  ; a good subject to begin with is the view from your own window, for the frame of the window will naturally frame your view and keep your eyes from wandering. Take a long look and try and commit to memory as much as you can take in with this look. […] Then turn to your paper and first make a square to represent the shape of the window frame, and then fill in as much as your memory holds of what you saw […] (M. A., 9).

Mit diesen Vorgaben, die er gleichermaßen an Künstler:innen und Laien richtet, belegt der Maler, allem Nonkonformismus zum Trotz, erneut seine Kenntnis klassischer Texte. Schließlich spielt die Passage unverkennbar auf Albertis Idee der »finestra aperta« an, die dem italienischen Gelehrten zufolge eine objektive Wiedergabe der Welt auf Basis der Anwendung des wissenschaftlichen Instrumentariums der Zentralperspektive ermöglicht.441 Allerdings verkehrt Yeats’ Text diese Maxime im Kontext der Herausbildung einer irischen Kunst in ihr Gegenteil. Schließlich kann das Konzept der Erinnerung meines Erachtens als Replik auf die akademische Tradition verstanden werden, mittels derer der Künstler die subjektive Weltsicht zur maßgeblichen Betrachtungsweise erklärt. Dieses auf Individualität abzielende Vorgehen weist zugleich starke Parallelen zu Charles Baudelaires (1821 – 67) Forderung nach einer »mnemonischen Kunst« 439 Rothenstein 1900, S. 5 f., Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/74. 440 Rothenstein 1900, S. 14, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/74  ; es ist bezeichnend, dass Rothensteins Sohn, der Kunsthistoriker und langjährige Direktor der Londoner Tate Gallery, John Rothenstein, Yeats sehr schätzte und ihn Mitte der 1940er Jahre in Dublin besuchte, um über seine Kunst zu berichten. – Vgl. Rothenstein 1946. 441 Alberti 2002, S. 92 f. Yeats’ Fenster-Passage erinnert stark an Albertis Textstelle zur Gleichung von Bild und Fenster, was die Orientierung an Albertis Renaissance-Traktat Della Pittura deutlich nahelegt. Bei Alberti heißt es  : »Als Erstes zeichne ich auf der zu bemalenden Fläche ein rechtwinkliges Viereck von beliebiger Größe  ; von diesem nehme ich an, es sei ein offenstehendes Fenster, durch das ich betrachte, was hier gemalt werden soll«, Alberti 2002, S. 93.

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auf, die das Malen »nach dem Modell« ablehnte und für das Zeichnen »aus dem Kopfe« plädierte.442 Einmal mehr wird deutlich, dass Yeats sich mit seinen Modern Aspects of Irish Art in den Kanon moderner Kunstliteratur einzureihen versuchte, den er auf diese Weise um eine irische Perspektive bereichern wollte. Dabei behauptet der Text, dass die individuelle Zeichenpraxis es jedem ermögliche, sich mit Kunstwerken vertraut zu machen, wodurch die Freude am Betrachten von Bildern gesteigert werde. Darüber hinaus werde sichergestellt, dass nicht mehr nur diejenigen, die der Kunstwelt angehören, in der Lage sein würden, Bilder zu beurteilen, sondern auch alle anderen (M. A., 10). Diese Feststellung erscheint mir als zentral für Yeats’ Überlegungen, fokussiert sie doch stark auf die Vermittlung von Kunst, mittels derer man verschiedene Bevölkerungsgruppen mit der jungen irischen Malerei vertraut machen könne. Auch hierfür standen dem Künstler vorbildhafte Texte zur Verfügung, die im Zusammenhang der Verbreitung moderner Kunstformen die gleichen Schlüsse artikulierten. Impulse scheint Yeats dabei insbesondere aus dem 1913 von John Quinn verfassten Memorandum on behalf of the Association of American Painters and Sculptors, Inc. bezogen zu haben. Auch dieser Text widmet sich der Position einheimischer Maler:innen und verweist zu diesem Zweck unter anderem auf die bevorstehende Armory Show, eine Ausstellung, die einer breiten Masse zugänglich sein sollte. Quinn hatte Yeats ein Exemplar des Memorandums zukommen lassen, das der Ire mit großem Interesse las, wobei er sich augenscheinlich vor allem für die Ausführungen zur Schaffung größtmöglicher Publizität für aktuelle Kunst interessierte.443 Dazu heißt es bei Quinn  : The plea that I make for free contemporary fine art is a plea that art may be brought within the reach of people of modest means and not remain the trading commodity of wealthy art-dealers or become merely a hobby or the exclusive possession of the rich. John Ruskin and William Morris did perhaps more than any men of their time to bring art to the people and to promote art made by the people and for the people, as a joy to the maker and to the user […].444

Wie Quinn setzte sich Yeats für einen demokratischen Zugang zur Malerei ein, der unentgeltlich sein und zugleich weite Teile des Landes einbeziehen sollte. Als Beispiel für die Zusammenführung von Künstler:innen und Betrachtenden zieht er in seinem Text allerdings nicht die Armory Show, sondern russische Wanderausstellungen heran  : 442 Alle im Satz aufgeführten Zitate stammen aus Baudelaire 1994, S. 303  ; dass Yeats mit Baudelaires Ideen vertraut war, geht aus seiner Bibliothekssammlung hervor, in der sich Baudelaires 1857 erschienener Gedichtband Les fleurs du mal befand, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/24/1/6/238. 443 Zum Memorandum an den Senat vgl. Quinn 1913, NYPL, Quinn  ; Brief von Quinn an Jack B. Yeats, 26. Juli 1913 sowie Brief Jack B. Yeats an Quinn, 18. August 1913, beide unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 444 Quinn 1913, S. 19 f., NYPL, Quinn.

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I would like to see loan exhibitions of pictures at some time organised all over the country. In Russia there was a very well arranged system by which a picture exhibition was brought to the far parts of that land. A long Pullman railway coach was built, suitably lit for showing pictures, the sides of the coach were telescopic, so that they could be elongated out to form a really good-size gallery, the walls of which were hung with fine pictures which were lent by the artists and the owners. The couch was hauled free by the different railways to any place where the road penetrated, and a travelling secretary lived on board the coach (M. A., 11).

Mit dieser Sequenz lenkte er die Aufmerksamkeit, was bisher übersehen wurde, auf die Praxis der Vereinigung der Peredwischniki, der Gesellschaft der künstlerischen Wanderausstellungen, die ihre erste Exposition 1871 in St. Petersburg veranstaltet hatte. In den Folgejahren zeigten die sogenannten ›Reisenden‹ ihre Kunst in einer Reihe von Wanderschauen in vielen Teilen des Landes und weit über die Kunstzentren St. Petersburg und Moskau hinaus.445 Viele Mitglieder der Künstlervereinigung lehnten dabei die Beschäftigung mit moderner Kunst aus dem Ausland ab und sprachen sich für eine thematische Hinwendung zum ländlichen Russland aus.446 Diese behauptete Konzentration auf nationale Sujets und das Ziel, die Kunst einem breiten Publikum zugänglich zu machen, liefert zugleich eine Erklärung dafür, warum Yeats das Beispiel der Peredwischniki wählte. Der Analogieschluss zeigt weiterhin auf, dass er seine Ideen zur autochthonen Malerei abermals in einem globalen Kontext verortete, der vom Streben nach Unmittelbarkeit und nach neuen Sehgewohnheiten bestimmt war. Yeats’ Prämisse, nach der »the roots of every art […] in the country of the artist« (M. A., 4) auszumachen seien, schließt an jenes Paradigma unverfälschter sowie selbstbestimmter Kunst an. Die Modern Aspects of Irish Art können als modernes Kunsttraktat verstanden werden, das scheinbar beiläufig auf diverse tradierte und zeitgenössische Abhandlungen rekurriert. So griff Yeats darin nicht nur den Topos des Paragone sowie das Konzept der Imitation auf und setzte sich kritisch mit Theoretikern wie Alberti auseinander, sondern flocht Kunstdiskurse zur Moderne ein, wie die Anlehnungen an Ruskin, Whistler, Sickert und andere belegen. Der selbstreferenzielle Charakter, der bereits für seine Gemälde aufgezeigt werden konnte, erhebt dabei Anspruch auf neue Deutungshorizonte, die für die irische Malerei eine zentrale und wegweisende Position innerhalb der Kunstgeschichtsschreibung vorsehen. In Anlehnung an prominente Vorbilder distanzierte sich Yeats im Sinne der Förderung einer aktuellen irischen Kultur in seinem Text mehrfach von der akademischen Maltradition und plädierte stattdessen für einen authentischen und individuellen Schaffensprozess. Der während der Entstehung des Textes stattfindende gesellschaftliche Umbruch ließ den Künstler offenbar davon ausgehen, dass er den kulturpolitischen Diskurs sei445 Vgl. Jackson 2012, S. 21 f. 446 Vgl. Hedström 2012, S. 43. Er nennt hier die Maler Wassili Maximow und Wladimir Stassow.

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nes Landes wesentlich mitbestimmen könnte.447 Zu diesem Eindruck trägt bei, dass der Aufsatz, der mit Kunstschaffenden, Laien, Sammler:innen, Ausstellungsbesucher:innen und Kulturverantwortlichen einen breiten Adressatenkreis ins Visier nahm, mit einem Vorwort Éamon de Valeras erschien, der noch bis Anfang 1922 das Amt des Parlamentspräsidenten innehatte. Yeats’ klare Vorgaben zu einer autochthonen Ästhetik, zu Ausstellungsformaten und zu Vermittlungsansätzen sowie sein Aufruf, irischen Künstler:innen eine Lebensgrundlage in der Heimat zu bieten, müssen vor diesem Hintergrund eingeschätzt werden. Zusätzlich offenbaren seine Ausführungen, dass er vernakularen Bildentwürfen die Macht zuschrieb, auf visueller Ebene Einfluss auf das nationale Imaginäre zu nehmen. Die Tatsache, dass er im Oktober 1922 in einem Interview mit dem Freeman’s Journal konkrete Ideen für einen Museumsbau der irischen Moderne im Zentrum Dublins formulierte, unterstreicht diesen Gedanken  : My idea would be to start building a Gallery, beginning on one side of Merrion Square, eventually to continue round the four sides of the square – a one-storey building, of course, for top-lighting. There should be entrances at frequent intervals to make it as easy as possible to get in and out. In a Modern Gallery you want length, not height. All pictures should be hung on the natural horizon. […] Ireland should have a big gallery to exhibit her own works  ; a permanent gallery, and also a gallery for annual and semi-annual exhibitions. The gallery should be State-supplied  ; but the State should not select pictures.448

Es ist bezeichnend, dass Yeats die Galerie, die die Sammlung der Municipal Gallery of Modern Art beherbergen sollte, als einen demokratischen Ort beschrieb, der vielen auf einfache Weise zugänglich sein sollte. Wie ernst es dem Künstler mit dieser Forderung war, wird auch daran ersichtlich, dass er nur kurze Zeit später einen Entwurf für das von ihm beschriebene Museum am Merrion Square anfertigte.449 Insofern trat Yeats mit seinen Modern Aspects of Irish Art tatsächlich auch als politischer Akteur in Erscheinung, dessen antiidealistisches Postulat als Ausdruck des Aufbegehrens gegen einen kolonialen Kunstbegriff sowie gegen ein von Machtasymmetrien bestimmtes Kunstsystem zu verstehen ist. Es ist dieser letztgenannte, dekonstruktivistische Aspekt, der das Traktat unverkennbar in den Kontext der diskursiven Debatten der Avantgardebewegungen des frühen 20. Jahrhunderts rückt.450 447 Dies lässt sich auch daraus schließen, dass Yeats 1929 in einem Interview mit dem Daily Chro­ nicle zugeben musste, dass sich seine 1922 geäußerte Vorsehung, dass die Revolution Einfluss nehmen werde auf die irische Kunst, nicht bewahrheitet und dass sich hinsichtlich der Position der Kunst kaum etwas geändert habe. – Vgl. Daily Chronicle  : Revolution and Art, 9. Februar 1929, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 448 Freeman’s Journal  : Mr. Jack B. Yeats Has Grandiose Ideas of Gallery in Merrion Square, 7. Oktober 1922, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 449 SK 179  : Dublin 1923 – 1924  : Gallery Merrion Square, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/179/22. 450 Zu den vergleichbaren globalen Avantgarde-Bewegungen, die sich insbesondere an der Forde-

Städtische Sujets als Ausdruck des kulturellen Aufbruchs und der Diversität | 267

4.3 Dubliners. Städtische Sujets als Ausdruck des kulturellen Aufbruchs und der Diversität

In den 1920er Jahren integrierte Yeats sukzessive das Sujet der Stadt in sein Schaffen, wobei er das Leben in Dublin facettenreich einfing. Neben den bereits erörterten politisch besetzten Themen nahm er weitere Aspekte des urbanen Treibens in den Blick und verhandelte diese in zahlreichen Gemälden. Bereits aus den Jahren 1904 bis 1907 datiert James Joyces (1882 – 1941) ­literarische Auseinandersetzung mit dem Alltagsleben in der irischen Metropole, die 1914 in der Veröffentlichung der Dubliners resultierte. In den insgesamt 15 Kurzgeschichten beschrieb der Autor, der seit 1904 im europäischen Ausland lebte, die Stadt in einem Zustand der Paralyse, der die Handlungen in Form von Immobilität sowie der Unmöglichkeit des Entkommens wie ein roter Faden durchzieht.451 Die dem Werk innewohnende Stimmung wurde dabei von Declan Kiberd treffend zusammengefasst  : There Joyce had described an Ireland filled with echoes and shadows, a place of copied and derived gestures, whose denizens were turned outward to serve a distant source of authority in London.452

Alle Charaktere leiden unter der von Joyce gestellten Diagnose der Paralyse,453 die sinnbildlich für die koloniale Ohnmacht des gesamten Landes steht. Und obwohl der Autor ursprünglich beabsichtigt hatte, die »moral history« ganz Irlands zu schildern, konzentrierte er sich letztlich bewusst auf Dublin, galt ihm doch die Stadt als »the centre of paralyis«454. rung nach einer ›primitiven‹ Kunst orientierten, um sich mittels des Bruchs mit den Konventionen neuen Paradigmen zuzuwenden siehe Gess 2013, dort insbesondere Hansen-Löve 2013, S. 269 ff. Er untersucht die dekonstruktiven Mechanismen der Traktakte der russischen Avantgarde  ; in diesem Zusammenhang ist erneut auf Yeats’ Interesse an der englischen Bewegung der Vortizisten hinzuweisen, die sich mit ihrem Manifest Blast gegen die bestehende Ordnung wandten, um Neues entstehen zu lassen. Zu den Vortizisten siehe etwa Antliff 2013 oder Orchard 1996. 451 Vgl. Johnson 2008, S. XXXI. Die Dubliners wurden zwischen 1904 und 1907 verfasst, allerdings erst nach einer langen Suche nach einem Verlag, der bereit war, das Buch zu drucken, 1914 in London bei Grant Richards veröffentlicht. Der Dubliner Verlag Maunsel and Company hatte die Veröffentlichung des Manuskriptes aufgrund angeblicher Majestätsbeleidigungen gegenüber der englischen Krone und aufgrund der als zu realistisch empfundenen Schilderungen sowie der teilweise derben Sprache abgelehnt. Es wird vermutet, dass 1000 Exemplare verbrannt wurden. – Vgl. Johnson 2008, S. XLI – XLV. 452 Kiberd 1995, S. 350. 453 Bereits die erste Kurzgeschichte The Sisters führt das Wort als Vorahnung eines Zustandes ein, der in den folgenden Geschichten wie ein Damoklesschwert über den Protagonist:innen schwebt  : »[…] I said softly to myself the word paralysis«, Joyce 2008, S. 3. 454 Brief Joyce an Grant Richards, 5. Mai 1906, in  : Joyce 1966, S. 134.

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Joyce und Yeats verband seit Ende 1920 eine Brieffreundschaft, die durch ­MacGreevy vermittelt worden war. Im Rahmen dieser Korrespondenz tauschten sich die beiden auch über ihre Arbeiten aus, wobei Yeats durch das Lesen von Joyces Manuskripten Einblicke in dessen Vorgehen erhielt.455 Der Schriftsteller wiederum erwarb zwei Gemälde des Malers, Porter Boats (1927) und Salmon Leap, Leixlip (1929),456 in deren Themen er Bezüge zu seinen Romanen entdeckte. In einem Interview erklärte er später sogar, Yeats und er hätten dieselbe Arbeitsweise  : »Jack Yeats and I have the same method.«457 Die nachgewiesene gegenseitige Anerkennung sowie die Tatsache, dass Yeats Joyces Werke, insbesondere die Dubliners, schon vor ihrer Freundschaft kannte,458 eröffnet die Frage, inwieweit ihm die Geschichten und deren Stimmung Impulse für sein malerisches Schaffen lieferten. Konkret ist von Interesse, ob jene Gemälde, die in der Zeit nach der Unabhängigkeit entstanden, ein ähnliches Gefühl des Stillstandes und der Resignation vermitteln oder ob sich diese, geprägt von der vorherrschenden Aufbruchsstimmung, vielmehr durch ein dynamisches Narrativ auszeichnen. An diese Überlegung anknüpfend soll unter Heranziehung exemplarischer Werke diskutiert werden, welche Atmosphäre Yeats’ Arbeiten evozierten und inwieweit das darin zum Ausdruck gebrachte Lebensgefühl mögliche identifikative Entwürfe für die Hauptstadt lieferte. Zudem sollen seine Vorstellungen in einen kulturellen sowie politischen Kontext eingeordnet und mit anderen künstlerischen Ansätzen verglichen werden. Dabei muss letztlich auch der werkimmanente Rahmen berücksichtigt und erörtert werden, wie sich die urbane Ästhetik zu den von Yeats über zwei Jahrzehnte etablierten Sujets des ruralen Westens in Relation setzen lässt.

455 Vgl. Arnold, S. 234. Yeats las etwa das mit »Work in Progress« betitelte Manuskript, das 1939 als Finnegans Wake veröffentlicht wurde. 456 Jack B. Yeats, Porter Boats, Öl auf Holz, 23 × 35,5 cm und Salmon Leap, Leixlip, Öl auf Holz, 23 × 35,5 cm. Joyce erwarb die Gemälde 1929 in der Verkaufsausstellung, die in der Londoner Alpine Club Gallery ausgerichtet wurde. – Vgl. Vermerk durch Yeats im Ausst.-Kat. London 1929, Nr. 4 und 31, AJ, Yeats Archive, Inv.-Nr.  Y1/JY/4/1/2  ; in Yeats’ Gemäldeindex sind folgende Angaben dazu vermerkt  : »Sold to James Joyce, care of Miss Silvia, 12 Rue de l’Odéon, Paris«, beide Gemälde wurden für 15 £ verkauft, GI, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/1/5 I. Der Verbleib der Gemälde ist heute ungeklärt. 457 James Joyce im Interview mit dem Kunstkritiker Frank O’Connor, veröffentlicht 1952, zitiert nach Ellmann 1982, S. 702. 458 Vgl. Arnold 1998a, S. 235. Arnold zitiert eine von Lady Gregory verfasste Passage (allerdings ohne Angabe der Quelle), in der sie davon berichtet, wie sie sich mit Yeats 1925 ausführlich über Joyce unterhalten habe, auch über Dubliners. In dem Gespräch berichtete Yeats auch von den Manuskriptverbrennungen, die ihm zufolge dazu führten, dass Joyce in seinem Heimatland nur wenig Bekanntheit erlangt habe.

Städtische Sujets als Ausdruck des kulturellen Aufbruchs und der Diversität | 269

4.3.1 Bilder der Großstadt und neues künstlerisches Selbstverständnis Die Genese von Yeats’ Stadtbildern steht in engem Zusammenhang mit einem neuen künstlerischen Selbstverständnis des Malers, das sowohl in seinen Themen als sukzessive auch in seiner expressiver werdenden Malweise zum Ausdruck kam. Mit dem 1917 vollzogenen Wohnortwechsel nach Dublin ging eine zunehmende Fokussierung auf urbane Sujets einher,459 bevor diese sein Œuvre ab der Mitte der 1920er Jahre wesentlich bestimmen sollten. Vor dem Hintergrund seiner ehemals geäußerten Abneigung gegen die irische Metropole ist dieses aufkommende Interesse bemerkenswert und deutet auf einen Wandel seiner Einstellung hin. Immerhin hatte Yeats noch 1913 in einem Brief an Quinn das ländliche Irland, das der Unabhängigkeitsidee verpflichtet sei, mit dem England zugewandten Dublin kontrastiert  : But Dublin is always inclined to take all its different forms of pap from England. Thanks be to God the rest of Ireland is not so. You see Dublin suffers from the fact that she likes to think of herself as by an under footman out of a country wench, and she thinks more of her connection with the great house (through the under footman) than she does of her mother’s people.460

Das von ihm gezeichnete Bild der Hauptstadt als opportunes, unfreies Gebilde korrespondiert dabei unverkennbar mit dem von Joyce beschriebenen paralysierten Zustand Dublins, der von der kolonialen Spannung zwischen Aufbegehren und Unterordnung bestimmt war. Auffällig an dieser Charakterisierung ist die starke Unterscheidung zwischen einem gälischen Westen und einem englisch geprägten Osten, eine Differen­ zierung, die an den ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Diskurs »West Britons« anschließt, der Dublins Nähe zur englischen Krone thematisierte.461 Allerdings sind bei Yeats bereits 1917 kritische Tendenzen gegenüber einer konstatierten Erhöhung Irlands zu verzeichnen, die offenbar auch die idyllische ­Verklärung des Ländlichen einbezog. Yeats, der selbst erst 1910 nach Irland übergesiedelt war und das Land aus der englischen Ferne größtenteils idealisiert wahrgenommen hatte, wandte sich nun gegen eine romantisierende Haltung im Ausland lebender Iren. Demgemäß äußerte er Quinn gegenüber am 22. August 1917  : »[…] the London exiled gaels […] move in a strange Ireland of their own holiday imagination.«462 Der Maler

459 Vgl. Pyle 1989, S. 120. Yeats zog im Oktober 1917 von dem Dubliner Vorort Greystones, wo er seit 1910 gelebt hatte, nach Dublin. Atelier und Wohnung befanden sich in ein und demselben Gebäude in der 61 Marlborough Road im Dubliner Stadtteil Donnybrook. 460 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 22. November 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 461 Vgl. Boyd 1924, S. 140 – 145. Boyd bezeichnete den West Briton als »the near Englishman, the counterpart of the synthetic Gael«, Boyd 1924, S. 140. 462 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 22. August 1917, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. Zudem beurteilte Yeats den irischen Staat als unvollständig und instabil  : »The queer thing about this

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grenzte sich mit diesen Zeilen von seiner eigenen Vita ab und wies sich als Einheimischer aus, der die politische Lage Irlands in ihrer Gesamtheit begriff. Darüber hinaus wandte er sich ab 1922 neben dem Ländlichen bewusst auch der Darstellung städtischer Themen zu und löste damit die strenge Dichotomie von Peripherie und Zentrum auf. In diesem Sinne bescheinigte er in den Modern Aspects of Irish Art der Landschaft zwar weiterhin den Wesenszug der ›Ursprünglichkeit‹, eine Eigenschaft, die den Künstler zur wahren Malerei führen könne, erklärte nun aber zusätzlich die Wiedergabe des urbanen Raumes zur Notwendigkeit  : It is most necessary that the phases of the life of our big towns and cities should be felt and painted. But the artist will be bothered with many pitfalls, he is too often tempted to see things in the form that others have seen them and not with his own fresh eye (M. A., 7).

Dieser Aufgabe nahm er sich in seinen Stadtsujets an, die eine genuine Perspektive des öffentlichen Lebens präsentieren sollten. Mit der Hinwendung zur Urbanität ging zugleich seine Abkehr von dem etablierten Renommee als dezidiert gälischer Künstler einher. Ab 1925 lehnte er etwa alle weiteren Arbeiten für die Cuala Press ab, da sie seiner Reputation schaden würden und nicht länger mit seiner neuen Persona vereinbar seien.463 Der inzwischen Vierundfünfzigjährige bezeichnete sich nun selbstbewusst als »the first living painter in the world«464 und griff damit erkennbar auf den seit der Antike etablierten Topos der Lebendigkeit zurück, der insbesondere während des 19. Jahrhunderts von Künstler:innen als antiakademischer Ausdruck von Natürlichkeit und generativer Spontaneität verstanden wurde.465 Zu dieser Autoreflexion passt, dass Yeats den Malprozess in einem späteren Interview mit dem Künstler und Kritiker John Berger als »event«466 charakterisierte, das nicht planbar sei. Wie um dieses hinzugewonnene Selbstverständnis zu visualisieren, wurde Yeats in seinem Pinselduktus energischer und expressiver. Dieses Vorgehen hatte sich bereits ein Jahrzehnt zuvor in Bildern wie dem 1912 entstandenen The Circus Dwarf,467 das bezeichnenderweise für die Jahrespräsentation der Royal Hibernian Academy abgelehnt, für die Armory Show hingegen berücksichtigt worden war,468 oder dem 1916 gefertigten The Double Jockey Act angedeutet (Abb. 9), brach sich aber schließlich Ende

imaginary Ireland of them is that it is so like the country. It is like an anatomical figure in which one or two of the muscles and several of the larger bones are missing.« 463 Vgl. Brief Jack B. Yeats an W. B. Yeats, 31. Oktober 1925, aufgeführt bei Pyle 1989, S. 123 f. 464 Brief Jack B. Yeats an W. B. Yeats, 31. Oktober 1925, aufgeführt bei Pyle 1989, S. 124. 465 Vgl. Fehrenbach 2011, S. 273 – 278. 466 Yeats zitiert in Berger 1956, S. 741. 467 Jack B. Yeats, The Circus Dwarf, 1912, Öl auf Leinwand, 91,5 × 61 cm, Privatbesitz. 468 Zur Ablehnung der RHA siehe Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 40, S. 39  ; zur Beteiligung an der New Yorker Armory Show 1913 siehe Ausst.-Kat. New York 1913, S. 33, Nr. 356.

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Abb. 72 Charles E. Kelly  : The Man who Tried to Get a Hang of a Jack Yeats Picture, Dublin Opinion, Mai 1929.

Abb. 73 Charles E. Kelly  : Mr. Jack Yeats Paints a ­Picture (As Imagined by Our Irresponsible ­Artist, Dublin Opinion, Mai 1930.

der 1920er Jahre in Werken wie The Singing Clown (1928) deutlich Bahn.469 Von der Presse wurde dieser wahrgenommene Stilwechsel ambivalent besprochen. Einerseits begegneten die Kritiker:innen diesem mit Unverständnis, wobei sie im Wesentlichen die Abkehr von der realistischen Malweise bedauerten, die dazu führe, dass man die Themen nicht mehr erkennen könne. Im Dublin Opinion wurde dieser Skepsis in mehreren Karikaturen Ausdruck verliehen. Ein 1929 veröffentlichter Cartoon schildert einen Galeriebesuch, bei dem der Betrachter vor einem Yeats-Gemälde nach und nach den Verstand verliert (Abb. 72). 1930 wiederum wurde der Künstler bei der Arbeit als unkontrollierter Farbschleuderer charakterisiert (Abb. 73), bevor eine Szene aus dem Jahr 1931 den überzeichnet wiedergegebenen Maler in einer Ausstellung zeigt, der unter dem Motto »I wish I’d brought a catalogue along. I wonder which of my pictures that is« sein eigenes Werk nicht mehr erkennt.470 469 Jack B. Yeats, Johnny Patterson Singing ‘Bridget Donoghue’ (The Singing Clown), 1928, Öl auf Leinwand, 45 × 59 cm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection. 470 Vgl. Charles E. Kelly  : The Man Who Tried to Get a Hang of a Jack Yeats Picture, Dublin Opinion, Mai 1929 sowie Charles E. Kelly  : Mr. Jack Yeats Paints a Picture (As Imagined by Our Irresponsible Artist), Dublin Opinion, Mai 1930 und Charles E. Kelly  : At the R.H.A. Mr. JACK B. Y. .TS  : »I Wish I’d Brought a Catalogue along. I Wonder which of My Pictures that Is«, Dublin Opinion, Mai 1931, alle abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2.

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Der gemeinsame Tenor dieses Unverständnisses für die aktuellen Arbeiten, die T. W. Earp sogar als »bad joke«471 bezeichnete, war letztlich in einer Abneigung gegen die vermeintliche technische Ungenauigkeit auszumachen, deren ­Ursache in geringem künstlerischen Können und der Abwendung von der akademischen Tradition vermutet wurde.472 Im Gegenzug zu diesen konservativ gehaltenen Einschätzungen, die von irischer wie britischer Seite gleichermaßen vorgetragen wurden, gab es allerdings auch positive Reaktionen. Diese feierten den modernen Zugang zu den Themen und verorteten diesen mal im irischen,473 mal im europäischen Zusammenhang. So finden sich nobilitierende Vergleiche mit James Ensor (1860 – 1949), Maurice de Vlaminck (1876 – 1958), Oskar Kokoschka (1886 – 1980) und Vincent van Gogh.474 Besonders deutlich fiel die Zuordnung zur europäischen Moderne 1924 im Freeman’s Journal aus, wo man konstatierte  : Mr. Yeats, as we all know, is possesed [sic] like Van Gogh and Vlaminck, by an inordinate passion for paint. […] Mr. Yeats’ reputation has been assured for many years now. The present exhibition, however, may seem to necessitate a revision of our values, for in it he has shown himself to be not merely an Irish painter of distinction, but one who may likely find himself among the great Europeans of his generation.475

Die zeitgenössischen Kritiken antizipierten dabei die späteren Debatten um Yeats’ Stilwechsel, der auf der einen Seite ausschließlich als innerer Prozess, auf der anderen hingegen als bewusste Beschäftigung mit der europäischen Moderne beschrieben wurde. Einmal mehr war dabei zunächst MacGreevy tonangebend, der den Tenor der Diskussion lange Zeit mit seiner Sichtweise der inneren Einkehr des Künstlers bestimmte. Er beschrieb einen gesteigerten subjektiven Charakter der Arbeiten, den er ab 1924 ansetzte und insbesondere in der Hinwendung zur Materialität ausmachte, trug Yeats 471 Earp 1928, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. Er machte Yeats zudem den Vorwurf der »up-to-dateness« und der sklavischen Anbiederung an »Paris tricks«. 472 Etwa Irish Truth  : The Jack Yeats Exhibition in London, 24. April 1924  : »Mr. J. B. Yeats cares nothing for technique […]«, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1 oder Scots­ man, 7. Februar 1929  : »[…] he gets more and more careless of accurate draughtsmanship as time goes on. The present exhibition reveals that, like many other artists late in their careers, he seeks to get a more synthetic and spiritual vision of life by abandoning all academic traditions […]«, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 473 Siehe etwa Ni Braonain 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Sie bewertet den neuen Stil ausschließlich im irischen Kontext  ; ebenso Evening Herald  : Our National Artist, 13. Oktober 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Hier wird der neue Stil als genuin irischer gefeiert. 474 Zu Vlaminck und van Gogh siehe Freeman’s Journal  : Developments in Work of Mr. Jack B. Yeats. The Three Stage, 27. März 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1  ; zu Kokoschka und Ensor siehe Earp 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 475 Freeman’s Journal  : Developments in Work of Mr. Jack B. Yeats. The Three Stage, 27. März 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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doch nun die Farbschichten nicht mehr nur mit dem Pinsel, sondern auch mit dem Palettmesser und teilweise auch den Händen auf die Leinwand auf. Mit der Behauptung »[…] this development was due to the turn of events in Ireland […]«476 begründete MacGreevy diese veränderte, als kontemplativ eingeschätzte Arbeitsweise mit Yeats’ Auseinandersetzung mit den jüngsten Ereignissen der irischen Geschichte, die bei dem Künstler zu einer Abkehr vom Politischen geführt habe. Und auch Pyle definierte den Wandel als inneres Ereignis, das sie aber, anders als MacGreevy, nicht als politischen, sondern als künstlerischen Impuls deutete. Ihre Interpretation, die jedwede Inspiration durch externe Einflüsse ausschließt, offenbart in dieser Hinsicht ein weiteres Mal ihre Nähe zur biografischen Erzählung des Künstlers  : »Yeats himself recognized during the year 1924 to 1925 that something dramatic had happened within himself and his work from which he would never turn back.«477 Mit dieser Lesart knüpfte sie an Yeats’ eigene Fassung des voraussetzungslosen, stilistischen Bruches an, den dieser nach der ersten Erwähnung 1925 wiederholt in Interviews lancierte. Entsprechend äußerte er sich in einem Gespräch mit dem japanischen W. B. Yeats-Forscher Shotaro Oshima 1938 wie folgt  : My style has changed recently. You have been to Rosses Point, I think. The picture which was titled Memory Harbour […] represents the harbour in that village. At that time I intended to be realistic.478

Die sich anschließende Frage Oshimas, ob Yeats sich nun nicht mehr als Realist verstehe, beantwortete dieser wie folgt  : Art flows on incessantly and changes all the time. Things in the external world may seem always the same to some people, but an artist finds them different when a change is brought about in him. He must not try to go against this inner change.479

In dem Gespräch, das in Yeats’ Atelier am Fitzwilliam Square stattfand, beschrieb der Künstler seine malerische Entwicklung demnach als »inner change« und verortete diesen Prozess allein in sich selbst. Äußere kreative Anregungen hingegen finden keine Erwähnung, ein Vorgehen, das sich in das bisher konstatierte Autonarrativ des Malers fügt, indem er ein Bild seiner selbst als Einzelgänger zeichnete. Allerdings, und das

476 MacGreevy 1945, S. 28. 477 Pyle 1992, Bd. 1, S. XXIV  ; ähnlich auch bereits Caldwell. Sie schrieb 1970  : »The primary reason Jack Yeats changed his technique undoubtedly lay within himself and his inherent development as an artist rather than as a result of outside influences.«, Caldwell, Martha  : Jack Butler Yeats  : Painter of Life in the West of Ireland, unpublizierte Dissertation, Indiana University 1970, o. S., zitiert nach Halpin 1986, S. 31. 478 Yeats zitiert in Oshima 1965a, S. 110. 479 Yeats zitiert in Oshima 1965a, S. 110.

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ist bemerkenswert, verglich er seine stilistische Mobilität sowie seine Arbeitsweise mit dem von ihm geschätzten Joyce  : Every artist, if he deserves that name, must necessarily change. Perhaps you know James Joyce’s style. It is natural that an artist should change incessantly in his style like Joyce. It is an inevitable process.480

In Anlehnung an Joyce erklärte Yeats den Wandel zum künstlerischen Prinzip, das einem intrinsischen Bedürfnis folge. Dieses Motiv der Veränderung brachte er ein weiteres Mal 1946 gegenüber dem Direktor der Londoner Tate Gallery, John Rothenstein, zum Ausdruck. Nachdem Yeats ihm in seinem Dubliner Studio mehrere Gemälde aus verschiedenen Werkphasen gezeigt hatte, fragte der Kunsthistoriker nach dem Grund der Veränderung  : The contrast between such works as these, of which the subjects only emerge as it were reluctantly from an apparent confusion of impassioned brush-strokes to yield themselves fully to the attentive spectator, and earlier works such as the landscape with the black horse’s head, in which each object is distinguished by a contour, definite if imperfectly precise, prompted me to ask Jack Yeats why it was that the artist’s vision developed all but invariably in the direction of increased generalisation and his handling of paint in that of breadth. »I believe«, he replied, »that the painter always begins by expressing himself by line – that is, by the most obvious means  ; then he becomes aware that line, once so necessary, is in fact hemming him in, and as soon as he feels strong enough he breaks out of its confines.«481

Es ist auffällig, dass Yeats sowohl Oshima als auch Rothenstein bewusst auf den Wandel aufmerksam machte, indem er das Gespräch durch die Erwähnung oder die Präsentation spezifischer Arbeiten in diese Richtung lenkte. Yeats inszenierte sich demnach gezielt als wandlungsfähiger Künstler, wobei er den Schwerpunkt auf die Neuerungen und die Aktualität seiner Werke legte. Diese ab den 1920er Jahren mit Emphase vorgetragene neue Malweise wurde meines Erachtens durch die Teilnahme an internationalen Ausstellungen, insbesondere den New Yorker Jahresexpositionen der Society of

480 Yeats zitiert in Oshima 1965a, S. 112. 481 Rothenstein 1946, S. 43. Es war Ernie O’Malley, der den Maler 1945 Rothenstein bei einem Abendessen vorgestellt hatte. Yeats bedankte sich bei O’Malley am 9. Dezember 1945 dafür, dass er Rothenstein mit ihm bekannt gemacht hatte, und stimmte einem gemeinsamen Treffen in seinem Atelier zu, bei dem sich Rothenstein seine Gemälde anschauen wollte. – Vgl. Brief Jack B. Yeats an O’Malley, unpubliziert, 9. Dezember 1945, Tamiment Library, O’Malley, Box 7, Ordner 59. Rothenstein kaufte bei einem seiner Besuche, im März 1946, auch ein Gemälde des Künstlers, das 1945 vollendete Autumn (1945). – Vgl. Eintrag EI, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/6.

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Independent Artists, wo Yeats seine Werke zwischen 1921 und 1926 präsentierte,482 zusätzlich befeuert. In seinen gesammelten Zeitungsausschnitten finden sich zahlreiche Rezensionen von New Yorker, Pariser und Dubliner Blättern, die Yeats inmitten zentraler Künstler:innen der Moderne aus den USA »and from Russia, France, Ireland and China«483 verorteten. Die gesammelten Presseartikel belegen Yeats’ Bewusstsein für sein internationales Ansehen, das wiederum zu einer neuen Selbstinszenierung in der Heimat führte. Auch der Ankauf eines seiner Werke durch die Londoner Tate Gallery im Jahr 1925, ein Ereignis, dessen Besprechung Yeats ebenfalls abgeheftet hatte,484 wird zu der selbstsichereren Eigendarstellung beigetragen haben. Entscheidend ist dabei – und damit widerspreche ich der gängigen Forschung zu Yeats’ Stilwechsel –,485 dass weniger das Werk von einer drastischen Änderung betroffen war als vielmehr die Selbstwahrnehmung des Künstlers. Berücksichtigt man die formalen Aspekte seines Œuvres, dann fällt auf, dass die Arbeiten von Beginn seines Schaffens an sowohl von der Linie als auch von der Farbe bestimmt waren. Denn während er als Illustrator einem linearen Charakter verpflichtet war, setzte er in seinen Aquarellen auf die Wirkung der Farbe. In seinen frühen Skizzen vereinte er sogar beide Ansätze, fing er doch stets mit Bleistift die erste Idee ein und löste im Anschluss mittels der Aquarellierung der Blätter die Kontur in der Fläche auf. Mit zunehmender Sicherheit in der Ölmalerei, eine Technik, die er sich ab 1902 sukzessive autodidaktisch aneignete und ab 1910 schließlich hauptsächlich anwandte,486 bedurfte er zudem immer weniger seiner aufwendigen Skizzen, die in ihrer detaillierten Ausformulierung beinahe wie Studien daherkamen. Die Zeichnungen fielen in ihren wenigen, hastig gefertigten Bleistiftstrichen nun zunehmend reduzierter aus und entsprachen damit dem Wesen nach eher ersten Momentaufnahmen.487 Ab 1928 fertigte Yeats zudem kaum noch Skizzen an. 482 Eine genaue Auflistung der amerikanischen Ausstellungen bis 1924, mit gezeigten und verkauften Werken, findet sich auf der letzten Seite seines frühen Workbooks, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/1/1  ; siehe auch Pyle 1989, S. 211 f.; die Society of Independent Artists wurde 1916 von Marcel Duchamp in New York ins Leben gerufen. Zur Geschichte der Gesellschaft siehe Marlor 1984. 483 American Art News  : Independents’ Show Biggest in America, 1. März 1924, S. 2, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 484 Vgl. Irish Independent  : Gallery Buys Yeats Picture, 2. April 1925 sowie American Art News  : National Gallery Buys a Yeats, 25. April 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Bei dem Gemälde handelt es sich um das 1925 entstandene Back from the Races, Öl auf Holz, 24 × 26 cm. 485 Etwa Kennedy 1993, S. 115  ; MacGreevy 1945, S. 28  ; Pyle 1992, Bd. 1, S. XXIV sowie Rothenstein 1946, S. 43  ; lediglich Scott widerprach der These vom Bruch und behauptete, dass Yeats von Beginn an ein Interesse für »disturbed surfaces« gehabt habe, eine Faszination, die sich zunehmend stärker ausprägte. Allerdings führte sie diese Beobachtung nicht näher anhand von Werkbeispielen aus. – Vgl. Scott 2004, S. 22. 486 Vgl. Pyle 1989, S. 106. 487 Ab ca. 1909 fertigte Yeats seine Skizzen fast ausschließlich mit Bleistift an und verzichtete auf

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217

16 1894/95 bis 1927

1928 bis ca. 1953

Abb. 74 Schematische Darstellung zum Umfang von Yeats’ Skizzenbüchern, 1894/95 bis ca. 1953.

Hatte er zwischen 1894/95 und 1928 immerhin 217 Skizzenbücher angelegt, nutzte er im Zeitraum von 1928 bis 1953 lediglich weitere 16 Exemplare (Abb. 74).488 Diese Tatsache spricht dafür, dass Yeats zwar weiterhin auf seine zeichnerisch festgehaltenen Erinnerungen zurückgriff, er seine Impressionen aber von nun an direkt auf die Leinwand übertrug. Dieser Eindruck wird auch durch konservatorische Untersuchungen gestützt, die belegen, dass Yeats keine Unterzeichnungen anfertigte und unmittelbar mit dem Malprozess begann.489 Damit einher ging, dass nun die Gemälde selbst eine skizzenhafte Ästhetik aufwiesen. Darin stimmten sie mit den auf Individualität ausgerichteten Maximen modernistischer Strömungen wie dem Impressionismus oder dem Expressionismus überein. Wiederholt war Yeats’ Arbeitsweise, negativ wie positiv, als flüchtig und impulsiv bezeichnet worden, eine Einschätzung, die mit der 1913 geäußerten Behauptung Max Raphaels korrelierte, nach der »jede Leinwand eines Impressionisten […] eine Skizze«490 sei. Und wenngleich insbesondere in der internationalen zeitgenössischen Kritik noch eine deutliche Trennlinie zwischen Im- und Expressionismus gezogen wurde, die Herwarth Walden 1918 etwa als »Kunstwende«491 markierte, werden mittlerweile in der aktuellen Forschung verstärkt die Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Sujets sowie des ephemeren Charakters der Arbeiten beider Ismen betont.492 Auch für Yeats’ Œuvre und dessen Wahrnehmung ist diese festgestellte Kongruenz bedeutsam. Schließlich ordneten Kunstkritiker:innen und -historiker:innen seine Arbeiten aufgrund der imden Einsatz von Aquarellfarben. – Vgl. dazu sämtliche Skizzenbücher im Yeats Archive  ; mit dem Wechsel zur Ölmalerei sah er demnach auch in seinen Skizzen von der Technik des Aquarells ab. 488 Vgl. Pyle 1993a, S. 183 – 193. 204 der insgesamt 233 bekannten Skizzenbücher befinden sich heute im Yeats Archive der National Gallery of Ireland in Dublin. 489 Vgl. Kennedy 1993, S. 118. 490 Raphael 1919, S. 65. 491 Walden 1918. 492 Siehe dazu insbesondere Ausst.-Kat. Berlin 2015.

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provisierten Anmutung wahlweise der einen oder der anderen Kunstrichtung zu, wobei es ein Paradoxon darstellt, dass identische Gemälde mal als »impressionist« und mal als »expressionist« bezeichnet wurden.493 Zusätzlich schrieben einige Autor:innen, wie etwa Robert Spira oder O’Doherty, dem künstlerischen Gesamtwerk eine strenge, in einzelne Kompartimente unterteilte Entwicklungslinie ein, der gemäß der Maler sein Schaffen in realistischer Manier begonnen, in impressionistischer fortgesetzt und schließlich in expressionistischer abgeschlossen habe.494 An diese Verschlagwortung anknüpfend stellte die spätere Forschung, den frühen Kritiken vergleichbar, Yeats’ Kunst wiederholt zahlreichen, vollkommen unterschiedlich agierenden Künstlern gegenüber. Das breite Assoziationsspektrum reichte dabei von Degas, Ferdinand Hodler, Lovis Corinth (1858 – 1925), Georges Rouault (1871 – 1958) und Kokoschka über Ensor und Marc Chagall (1887 – 1985) bis hin zu van Gogh, um nur eine Auswahl zu nennen.495 Für die eigentliche Werkannäherung erwiesen sich die deskriptiven Zuordnungen allerdings als wenig hilfreich, verblieben diese doch lediglich an der Oberfläche und tangierten analytisch kaum den Kern der Arbeiten. Auch mögliche künstlerische Austauschvorgänge wurden kaum diskutiert. Anhand dieser beliebig wirkenden Einordnungsmanie wird so auch am irischen Beispiel die Widersprüchlichkeit etablierter Stilkategorien sowie die Eindimensionalität derartiger Grenzziehungen offenbar.496 Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen plädiere ich daher dafür, Yeats’ Schaffen als kontinuierliche Entwicklung zu begreifen und weniger als lineare Aneinanderreihung streng abgegrenzter Werkphasen. Das impliziert, dass die Genese des Werkes, formal wie inhaltlich, als von Mehrstimmigkeit, Wiederholungen, Synkopen und Überlappungen gekennzeichnet zu betrachten ist. Dass die These vom Bruch oder vom »sud493 Am deutlichsten wird das anhand der Rezensionen zu der 1936er Ausstellung in der Londoner Rembrandt Gallery, wo dieselben Arbeiten von Wackrill im Spectator als impressionistisch, in der Times hingegen als expressionistisch gedeutet wurden, siehe Wackrill, H. R.: o. T, in  : The Spectator, 24. April 1936. o. S. und The Times  : Mr. Jack B. Yeats, 24. März 1936, beide abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/3  ; und auch später sind sich die Stimmen uneins  : Lerm Hayes etwa plädiert für eine impressionistische Einordnung von Yeats’ Werk, das mehr Gemeinsamkeiten mit Corinth habe als mit den Brücke-Künstler:innen. – Vgl. Lerm Hayes 2004, S. 338, Fn. 77  ; ebenso MacGreevy, der das Œuvre eher im- als expressionistisch einschätzte. – Vgl. MacGreevy 1948, S. 5  ; für eine expressionistische Bewertung hingegen etwa  : Read 1942, S. 50 und auch Kennedy 1991a. 494 Vgl. O’Doherty 2011, S. 13 und Spira 1961, S. 9. 495 Der Vergleich zu Degas etwa bei Kennedy 2007a, S. 62  ; zu den Impressionsten allgemein O’Doherty 1955, S. 22  ; zu Hodler siehe Bodmer 1926, S. 332  ; zu Rouault, Ensor und Kokoschka, siehe Arnold 2008, S. 53 sowie Kennedy 1991b, S. 27 f.; zu Corinth als erster Gerold 1978, S. 224, dann auch Lerm Hayes 2004, S. 338, Fn. 77  ; zu van Gogh und Chagall siehe Kennedy 1991a, S. 28. 496 Vgl. dazu begleitender Ausst.-Kat. Berlin 2015 zur Ausstellung Impressionismus – Expressionismus, der die Grenzziehungen zwischen beiden Stilen kritisch hinterfragt und anhand von Einzeluntersuchungen neu bewertet.

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den leap«497, wie O’Doherty es noch 2011 formulierte, wenig überzeugend ist, zeigt sich auch daran, dass hierfür in der Literatur unterschiedliche Daten genannt wurden, die die Willkürlichkeit dieser Festlegung indizieren.498 Ignoriert wird dabei vollkommen, dass der Maler bereits 1921 von Neuerungstendenzen gesprochen, diese allerdings als Teil einer steten künstlerischen Entfaltung beschrieben hatte  : »We change from year to year […].«499 Die hier erörterte Version einer immerwährenden Veränderung setzte sich jedoch in der Wahrnehmung nicht durch, vielmehr wurde für Yeats das stilgeschichtliche Narrativ von technisch und ästhetisch abgrenzenden Phänomenen geprägt, die man a posteriori an diverse historische, politische und kulturelle Metadiskurse zu koppeln vermochte. MacGreevys politisch motivierte Aufteilung der Yeats’schen Ausdrucksform, die im Frühwerk von der Hin-, im Spätwerk hingegen von der Abwendung der Ereignisse seines Landes geprägt gewesen sei, verdeutlicht das. In dieser landestypischen Ausdeutung erinnert MacGreevys Einschätzung an Heinrich Wölfflins (1864 – 1945) Stilbestimmung moderner Kunst, die, wie Prange gezeigt hat, als »Ausdruck einer national oder regional kodierten Psychologie des Künstlersubjekts«500 fungierte. Wie widersprüchlich die Zuordnungen in Yeats’ Fall letztlich sind, wird durch die Tatsache offenbar, dass für die behaupteten Neuerungen gegensätzliche Ursachen vermutet wurden. Einerseits brachte man die ästhetische Zäsur mit einer zunehmenden Individualität des Künstlers in Verbindung, anderseits wertete man diese als Reaktion auf eine Auseinandersetzung mit der europäischen Moderne. So bezeichnete Brian P. Kennedy den Maler noch 1993 als »classic individualist«501, dessen Werk höchstens zufällig Einflüsse anderer Strömungen aufweise, während Mark Haworth Booth bereits zwei Jahre zuvor eine bewusste Bezugnahme zur Kunst Kontinentaleuropas vermutet hatte  : »He [Yeats, Verf.] visited Paris in 1922 and his painting changed dramatically – towards the freedom of his final manner – in 1924 – 25.«502 Booth reihte sich mit seiner These in einen argumentativen Rahmen ein, der 1986 durch Halpins Überlegungen zu 497 O’Doherty 2011, S. 13. 498 MacGreevy ging von 1924 aus. – Vgl. MacGreevy 1945, S. 28  ; Rothenstein von 1922. – Vgl. Rothenstein 1946, S. 43  ; Pyle wiederum von 1925, wobei sie zumindest graduelle Abstufungen einräumt. – Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, S. XXIV  ; und Kennedy unterteilt das Werk sogar in drei Phasen, eine frühe (um 1915), eine mittlere (um 1923) und eine späte. – Vgl. Kennedy 1993, S. 115. 499 Ireland’s Own  : A Great Irish Artist, 2. März 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/1. 500 Prange 2016, S. 95. Prange macht das an Wölfflins zwischen 1927 und 1928 entstandenen Besprechungen zu Ferdinand Hodler und Max Liebermann exemplarisch. Die Formprinzipien der beiden Künstler, bei Liebermann »die innerliche Beweglichkeit der […] Zeichnung und Farbe«, bei Hodler »die tektonische Ordnung«, wurden von dem Kunsthistoriker in Bezug auf die Herkunft und Wirkungsstätte besprochen. So war laut Wölfflin für Liebermann das großstädtische Berlin prägend, für Hodler wiederum die »schwere Geistesart« der Schweiz. – Vgl. Wölfflin 1946, S. 139 – 144. Die aufgeführten Zitate finden sich auf S. 139 f. 501 Kennedy 1993, S. 119. 502 Booth 1991, S. 29.

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Yeats’ Verbindung zur internationalen Moderne eröffnet worden war. Damit verbunden ist allerdings die irrtümliche Annahme, dass der Ire externe Impulse erstmals in den 1920er Jahren in sein Werk aufgenommen habe.503 Booths Vermutung, dass der Stilwechsel erst durch die während einer Paris-Reise gesammelten Eindrücke herbeigeführt worden sei, ist insofern unhaltbar, als Yeats’ Werk schon seit seiner Studienzeit von künstlerischen Transferprozessen geprägt war. So entstanden auch die vor 1922 gefertigten Arbeiten nicht in einem nationalen Vakuum, sondern waren von einem permanenten Austausch bestimmt. Bereits die 1898 unternommene Venedig-Reise nahm entscheidenden Einfluss auf Yeats’ Werk, wie sich an den bunt schillernden Zeichnungen in seinem Skizzenbuch nachweisen lässt, die die Betrachtenden in einen regelrechten Farbrausch versetzen und dem venezianischen Kolorit verpflichtet sind (Abb. 75).504 Die immer wieder geäußerte Farb- und Materialbegeisterung, die beinahe ausnahmslos auf seine späteren Arbeiten bezogen wurde,505 nahm also schon früh ihren Ausgang. Dies wird deutlich, wenn man die Venedig-Skizzen mit Werken aus dem Spätwerk vergleicht, etwa dem 1950 entstandenen The Fern in the Area (Abb. 76).506 Das beinahe abstrakt wirkende Ölbild zeigt ein mit pastosem Pinselstrich gemaltes Farngewächs vor einem undefinierbaren, blau-grün changierenden Hintergrund. Wie die frühe Reiseimpression ist die Arbeit durch einen skizzenhaften Duktus gekennzeichnet und stark von der momenthaften Arbeitsweise des Künstlers geprägt. Zusätzlich widerlegt auch die Auseinandersetzung mit konkreten Vorbildern der Moderne, wie etwa mit Edvard Munch (1863 – 1944), die Annahme, dass Yeats erst spät auf globale Strömungen reagiert habe. Wie bereits dargelegt wurde, arbeitete der Maler nicht in der irischen Isolation, vielmehr verfolgte er die internationale Kunst aufmerksam. In diesem Zusammenhang ist bisher unbemerkt geblieben, dass Yeats mit seinem 1913 geschaffenen Aquarell The Coolun,507 das eine junge Irin vor einer west­ irischen Landschaft zeigt (Abb. 77), mit den zum Kopf erhobenen Armen der Frau und ihrem weit aufgerissenen Mund direkt Bezug auf Munchs 20 Jahre zuvor entwickeltes Motiv Der Schrei (Abb. 78) nahm und dieses in eine irische Umgebung transponierte. 503 Vgl. Booth 1991, S. 29 und Halpin 1986, S. 37  ; zusätzlich auch Kennedy 1991b, S. 27 f. Zumindest machte Kennedy nicht ein singuläres Ereignis, sondern unterschiedliche Impulse für Yeats’ Veränderung verantwortlich. 504 SK 8  : Italy, Venice 1898, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/8. 505 Immerhin merkte MacGreevy 1948 an, dass Yeats seit seiner Venedig-Reise von der venezianischen Malerei beeindruckt gewesen sei und dass dieser Einfluss auch in seinem Spätwerk zum Ausdruck komme. Seine Beobachtung bezüglich seiner späteren Arbeiten ist recht treffend  : »[…] in his later paintings he […] comes to drawing through colour«, MacGreevy 1948, S. 5. 506 Jack B. Yeats, The Fern in the Area, 1950, Öl auf Pappe, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz. Zur Provenienz siehe Pyle 1992, Bd. 2, Nr. 1036, S. 940. 507 Die Zeichnung wurde in A Broadside, Nr. 6, November 1913 reproduziert. – Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/2/5. Bei The Coolun handelt es sich um eines der beliebtesten irischen Liebeslieder. – Vgl. Pyle 1994, Nr. 1939, S. 267.

280  |  Yeats als Nationalkünstler  ? Eine kritische Betrachtung Abb. 75 Jack B. Yeats, Italy, Venice 1898, SK 8, 1898, Aquarell, 125 × 90 mm, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/8. Abb. 76 Jack B. Yeats, The Fern in the Area, 1950, Öl auf Pappe, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz.

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Abb. 77 Jack B. Yeats, A Broadside  : The Coolun, Nr. 6, November 1913, Cuala Press Print, handkoloriert. Abb. 78 Edvard Munch, Der Schrei, 1893, Tempera und Fettstift auf Pappe, 91 × 73,5 cm, Oslo, Nasjonalmuseet.

Diese frühe Beschäftigung mit dem norwegischen Maler sollte Yeats bis in sein Spätwerk begleiten. Das belegt sein 1950 entstandenes Werk The Sick Bed.508 Entsprechend rekurriert das dargestellte Sujet des Krankenbettes meines Erachtens nicht nur auf das viktorianische Thema des Sickroom,509 sondern erneut auch auf Munch, genauer auf dessen sechs zwischen 1885 und 1927 entstandene Gemälde, die alle den Titel Das kranke Kind tragen. Es lässt sich vermuten, dass Yeats sich durch Munchs persönlich formuliertes Sujet, mit dem der Norweger das frühe Sterben seiner Schwester thematisiert hatte, anregen ließ, um dem Tod seiner Frau Cottie im Jahr 1947 visuell begegnen zu können.510 So schuf Yeats in den darauffolgenden Jahren mehrere Werke, die sich mit dem Thema des Verlustes auseinandersetzen. Neben dem 1949 gefertigten There Is No Night,511 das laut Pyle in Erinnerung an seine Frau entstand,512 ist nach meinem Dafürhalten auch The Sick Bed als Verarbeitung ihres Todes zu verstehen. Vorbildhaft 508 Jack B. Yeats, The Sick Bed, 1950, Öl auf Leinwand, 45,8 × 61 cm, Privatbesitz. 509 Zum Motiv des Sickroom im viktorianischen Zeitalter siehe etwa Bailin 1994. 510 Zu Munchs Bildern des kranken Kindes siehe etwa Schneede 1995, S. 30 – 32. 511 Jack B. Yeats, There is No Night, 1949, Öl auf Leinwand, 102 × 153 cm, Dublin Hugh Lane Gallery. 512 Vgl. Pyle 1986b, S. 40.

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hierfür könnte – schon aufgrund des ähnlichen Titels – die vierte, 1907 entstandene Fassung von Munchs The Sick Child gewesen sein, die seit 1939 zum Bestand der Londoner Tate Gallery gehört.513 Es handelt sich um Beispiele, die aufzeigen, dass weder der Wandel noch die Kenntnisnahme internationaler Tendenzen plötzlich und voraussetzungslos in Yeats’ Schaffen Einzug hielten. Sowohl die Hinwendung zur Stadt als auch die Inszenierung als »first living painter«514 sind daran anknüpfend als Entwicklung zu begreifen, die der Künstler Mitte der 1920er Jahre jedoch wirksam als Zäsur vermittelte. Dessen ungeachtet ist nicht zu verkennen, dass Yeats in dieser Zeit zunehmend als Maler der Metropole in Erscheinung trat und dabei offensichtlich an die stilübergreifenden Diskussionen zur Großstadt anknüpfte, die mit Baudelaires 1863 veröffentlichtem Essay Der Maler des modernen Lebens und dem darin aufgezeigten Konnex von Urbanität und Moderne ihren Ausgang nahmen.515 Dass Yeats in seiner Bibliothek Baudelaires Gedichtband Die Blumen des Bösen aufbewahrte,516 weist neben dem Umstand, dass er um 1900, ausgehend von seinem damaligen Wohnort London, auch Paris und New York bereist und damit einen Eindruck von den damaligen Weltmetropolen gewonnen hatte,517 auf einen größer angelegten Bedeutungsrahmen seiner Dubliner Bilder hin. Yeats’ in den 1920er entstandene Arbeiten, die variantenreich das Großstadtleben auf Dublins Straßen, in Bars, Theatern oder Lichtspielhäusern thematisieren, lassen eine deutliche Verbindung seiner Werke zu anderen Stadtbildern der Moderne erkennen. Sie erinnern an die englischen Music Halls von Sickert (vgl. Abb. 11 und 12), die Pariser Bars von Manet oder an die Dresdner Stadtlandschaften von Kokoschka.518 513 Edvard Munch, Das kranke Kind, 1907, Öl auf Leinwand, 118,5 × 121 cm, London, Tate Gallery. Bis zur Brandmarkung als »entartete Kunst« gehörte das Bild ursprünglich zum Bestand der Dresdner Gemäldegalerie, bevor es nach seiner Rettung im Jahr 1939 in die Sammlung der Londoner Tate Gallery gelangte. In der Folge könnte Yeats das Werk dort bei einem seiner Besuche in London gesehen haben. 514 Brief Jack B. Yeats an W. B. Yeats, 31. Oktober 1925, aufgeführt bei Pyle 1989, S. 123 f. 515 Baudelaire 1994  ; zur Großstadt als Thema der Kunst der Moderne anhand diverser Fallstudien siehe Dogramaci 2010. 516 Vgl. Bibliothek, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/238. Bei Yeats’ Exemplar handelt es sich um folgende Ausgabe  : Charles Baudelaire  : Les fleurs du mal, Paris, Librarie Alphonse Lemerre, ca.1890. Der Gedichtband erschien erstmals 1857  ; in Yeats’ Bibliothek befinden sich zudem mehrere Englisch-Französisch-Wörterbücher, die nahelegen, dass er des Französischen mächtig war. 517 Paris hatte Yeats 1899 bereist, New York 1904. Zwar galt New York zu diesem Zeitpunkt noch nicht als das Zentrum der Moderne, als das es später, vor allem für Maler:innen, bekannt werden sollte, allerdings nahm Yeats die Metropole von Anfang an als vibrierende, divers geprägte Stadt wahr, wie aus seinen New Yorker Skizzenbüchern und den Briefen an John Quinn hervorgeht. Siehe dazu auch weiterführend Kap. 6 der vorliegenden Arbeit. 518 Siehe Édouard Manet, Bar in den Folies-Bergère, 1881/82, Öl auf Leinwand, 96 × 130 cm, London, Courtauld Institute of Art und Jack B. Yeats, The Bar, 1925, Öl auf Leinwand, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz. Zur Übereinstimmung zwischen Manets und Yeats’ Barszene auch bereits Ausst.Kat. Monaco 1990, S. 27  ; Kokoschka lebte von 1919 bis 1923 in Dresden, wo er als Professor an der Akademie für Bildende Künste unterrichtete.

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Abb. 79 Oskar Kokoschka, Dresden, Augustusbrücke mit Rückenfigur, 1923, Öl auf Leinwand, 65,5 × 95,7 cm, Essen, Museum Folkwang.

Abb. 80 Jack B. Yeats, O’Connell Bridge, 1925, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Privatbesitz.

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Ähnlich wie dessen Ölbild Dresden, Augustusbrücke mit Rückenfigur aus dem Jahr 1923, das den Blick auf die Elbe freigibt (Abb. 79), fängt Yeats’ 1925 gefertigtes Gemälde O’Connell Bridge über die Köpfe der Menschen hinweg den Lauf der Liffey und damit ein zentrales Motiv der Hauptstadt ein (Abb. 80). Es lassen sich aber auch Ähnlichkeiten zu den New Yorker Straßenszenen der 1908 gegründeten Ashcan School herstellen (vgl. Abb. 81 und 82), in deren Kreis Yeats’ Vater nach seiner Niederlassung in der US-amerikanischen Metropole 1908 regelmäßig verkehrte. Über ihn kam Jack B. Yeats etwa mit den Werken von Robert Henri (1865 – 1925) oder John Sloan (1871 – 1951) in Kontakt. Bezeichnenderweise verglich JBY Sloans New Yorker Alltagsschilderungen mit Jacks Darstellungen des irischen Lebens.519 Wie seine Zeitgenossen legte Yeats in seinen Dublin-Sujets den Charakter der Haupt­stadt in all seiner Widersprüchlichkeit offen, indem er etwa den Gegensatz von Arm und Reich verhandelte. So stellt beispielsweise das 1924 entstandene Gemälde The Beggarman in the Shop einen Bettler einem modisch gekleideten Paar aus der geho­ be­nen Mittelschicht gegenüber,520 während das zwei Jahre später geschaffene Werk Flower Girl, Dublin das sich anbahnende Geschäft zwischen einer Blumenverkäuferin und einer als vornehm gekennzeichneten Kundin zeigt.521 Auch das rasante Tempo des Großstadtlebens fand Eingang in seine Bilder. Demgemäß entstanden unzählige Straßenbahnmotive, die wie In the Tram (1923) symbolisch für den Aufbruch und die Dynamik der Stadt stehen.522 Daneben visualisieren Szenen wie People in a Street das Zusammentreffen einzelner Individuen im Strom der Massen.523 Paradigmatisch für die entsprechenden Werke des Künstlers ist, dass sie die Beziehungen der Städter:innen untereinander thematisieren, die laut Georg Simmels 1903 veröffentlichtem Aufsatz Die Großstädte und das Geistesleben »mannigfaltige und komplizierte« sind, »vor allem durch die Anhäufung so vieler Menschen mit so differenzierten Interessen«.524 Dass das Zusammenleben, wie Simmel konstatierte, von den durch die Geldwirtschaft verursachten Unterschieden geprägt sei, machte der Künstler nicht nur in der Gegenüberstellung unterschiedlicher Milieus deutlich, sondern auch in Arbeiten wie Dublin Night (Abb. 82). Das querformatige, heute in Birmingham befindliche Werk fängt das pulsierende Nachtleben im Dubliner Zentrum ein. Vor einer tiefen Straßenschlucht begegnen sich dort zahlreiche Passant:innen an einer Kreuzung, die von Straßenbahnen und Pferdekutschen befahren wird. Von einem Wagen herab beäugt eine Dame im

519 Vgl. Murphy 2001, S. 360. Er bezieht sich auf JBYs Brief an Lily Yeats vom 22. Oktober 1909. 520 Jack B. Yeats, The Beggarman in the Shop, 1924, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 521 Jack B. Yeats, Flower Girl, Dublin, 1926, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 522 Jack B. Yeats, In the Tram, 1923, Öl auf Pappe, 23 × 36 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 523 Jack B. Yeats, People in a Street, 1936, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Dublin, Irish Museum of Modern Art. 524 Simmel 1995, S. 119.

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Abb. 81 John Sloan, Six O’Clock, Winter, 1912, Öl auf Leinwand, 66 × 81 cm, Washington, Philips Collection.

Abb. 82 Jack B. Yeats, Dublin Night, 1925, Öl auf Holz, 23 × 35,5 cm, Birmingham Museum and Art Gallery.

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pelzbesetzten Mantel das Treiben, wobei ihr Blick von dem Zeitungsjungen am linken unteren Bildrand erwidert wird. Die vielschichtigen Bilder der Metropole trugen dazu bei, dass Yeats bald als »›arty‹ city man«525 gepriesen wurde. In seinen Werken referenzierte er global verhandelte Großstadttopoi, mit denen er durch seine internationale Ausstellungstätigkeit, durch Reisen sowie durch seine Lektüre ausländischer Kunstzeitschriften in Berührung gekommen war, und verknüpfte diese mit einer nationalen Bildsprache. Mittels dieser Herangehensweise fand er einen genuinen Zugang zur irischen Metropole, deren ambivalenter Stimmung er vor dem Hintergrund der jüngst erworbenen Unabhängigkeit visuell Ausdruck verlieh. 4.3.2 Kunst, Sport und Außenpolitik  : The Liffey Swim, 1923 Auch Yeats’ 1923 entstandenes, 61 × 91 cm messendes Ölgemälde The Liffey Swim ent­ wirft unter Rückgriff auf bereits etablierte Muster eine autochthone Großstadt­variante (Abb. 83). Es handelt sich um ein Werk, das trotz – oder gerade wegen – seines lokalen Sujets im Zuge eines internationalen Wettkampfes mit einem Preis prämiert wurde und aus diesem Grund internationale Beachtung fand. Noch heute kann die Angelegenheit der externen Vermarktung Aufschluss darüber geben, wie das Gemälde und damit auch das Bild Irlands im Ausland rezipiert wurde, ein Sachverhalt, den es im Folgenden zu untersuchen gilt. Um die Dimension der ausgetragenen kulturpolitischen Alteritätsdiskurse adäquat erfassen zu können, sollen zunächst das Werk selbst und dessen Entstehungskontext in den Blick genommen werden. Thema des Bildes ist der namensgebende, seit 1920 jährlich ausgetragene Liffey Swim. Das Wettschwimmen wird bis heute als Großereignis zelebriert, dessen zunehmende Popularität auch zur wachsenden Bekanntheit des Gemäldes beigetragen hat. Wie eng Kunstwerk und Wettbewerb heute miteinander verwoben sind, zeigt sich daran, dass 2019, anlässlich des hundertsten Liffey Swim, ein Tableau vivant der Komposition in Dublin nachgestellt wurde. Im selben Jahr veröffentlichte die irische Post (An Post) zudem eine Sonderbriefmarke mit Yeats’ Motiv.526 Die volksfestartige Stimmung wird im Bild über die großen Menschenmassen vermittelt, die sich an den Kaimauern des Bachelor’s Walk und des am anderen Ufer verlaufenden Aston Quay sowie auf der im Hintergrund dargestellten O’Connell Bridge versammelt haben, um das Kopf-an-Kopf-Rennen der Schwimmer gebannt zu verfolgen. Inmitten der Menschenmenge bahnen sich überfüllte Doppeldecker-Straßenbahnen den Weg, deren offene Obergeschosse gleichfalls als Stehtribünen fungieren. 525 Cork Examiner  : The Yeats’ Pictures, 15. Oktober 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/1. 526 Vgl. https://www.irishtimes.com/culture/art-and-design/the-liffey-swim-how-jack-b-yeats-and-hispainting-won-an-olympic-medal-for-ireland-1.3963896 [17.12.2022].

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Abb. 83 Jack B. Yeats, The Liffey Swim, 1923, Öl auf Leinwand, 61 × 91 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

Obwohl zum Entstehungszeitpunkt des Gemäldes bereits geschlossene Bahnen verkehrten, werden diese im Bild mit offenem Verdeck dargestellt, ein Kunstgriff, der es Yeats ermöglichte, den Andrang auch auf einer weiteren Ebene zu inszenieren.527 Die Betonung der Vertikale korrespondiert dabei kompositorisch mit den das Ufer flankierenden, steil aufragenden Häusern, deren Höhe Yeats erkennbar übertrieb, wie der Vergleich mit einer fotografischen Aufnahme der zeitgenössischen Bebauung zeigt.528 Es liegt nahe, dass sich der Maler mit der veränderten Dimensionierung an eigenen Eindrücken orientierte, die er zuvor in Metropolen wie Paris und New York gesammelt hatte, um auf diese Weise das vergleichsweise kleine Dublin ebenfalls als Großstadt erscheinen zu lassen. Darüber hinaus verraten weitere Details, dass es sich keineswegs um eine dokumentarische Erfassung des Liffey Swim aus dem Jahr 1923 handelt. So war der Wettbewerb in dem Jahr von schlechtem Wetter überschattet worden, woraufhin das Publikum Presseberichten zufolge Regenschirme aufspannen musste.529 Yeats fokussierte demnach 527 Vgl. Murphy 1979, S. 7 f. Straßenbahnen gab es in Dublin seit 1872. Anfangs wurden sie mit Pferden, ab 1896 elektrisch betrieben. 1922 wurden Bahnen mit geschlossenem Dach Standard. 1959 wurden sie zugunsten von Bussen abgeschafft. Seit 2004 gibt es allerdings mit dem Luas wieder ein Straßenbahnnetz in der Stadt. 528 Bridge Dublin & River Liffey, William Lawrence Publisher, kolorierte Postkarte, nach 1896. Die Karte befindet sich in Yeats’ Postkartensammlung, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/6/3/3. 529 Vgl. Irish Independent, 20. August 1923, angegeben in Ausst.-Kat. Dublin 2006b, S. 66.

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nicht auf eine konkrete Begebenheit, sondern setzte die Darstellung, seiner Arbeitsweise entsprechend, im Nachhinein aus unterschiedlichen Versatzstücken zusammen. Trotzdem liefert die Komposition Anhaltspunkte für den Zeitpunkt des dargestellten Geschehens, ist doch das am nördlichen Kai gelegene, im linken Hintergrund des Bildes erkennbare Custom House ohne dessen prominente Kuppel dargestellt. Ursächlich für den Zustand des Gebäudes war, dass das ehemalige, zwischen 1781 und 1791 errichtete Zollamt 1921 von der IRA durch einen Brand maßgeblich zerstört worden war.530 Die visuelle Leerstelle wiederum verortet das Geschehen unmissverständlich im Irischen Freistaat. Yeats’ spontan anmutende Momentaufnahme entpuppt sich demnach als inszenierter Entwurf, der Imaginationen der urbanen Selbstständigkeit qua Bild artikuliert. Der Gedanke wird noch dadurch akzentuiert, dass der Maler das Sportereignis kurz vor der Zielgeraden am Bachelor’s Walk einfing, womit er metaphorisch an den Ort des Massakers aus dem Jahr 1914 zurückkehrte. Nicholas Allen sah sich hierdurch zu der folgenden Feststellung veranlasst  : »Yeats’s continuing return to Bachelor’s Walk suggests a general unease.«531 Auch wenn Allen hinsichtlich der durch die Identifizierbarkeit des Ortes evozierten Selbstreferenzialität des Bildes zugestimmt werden kann, muss das konstatierte Unbehagen dennoch skeptisch betrachtet werden. Vielmehr plädiere ich dafür, The Liffey Swim auch als ein selbstvergewisserndes Sujet des Aufbruchs zu verstehen, das dem Bild des damals kriegszerstörten Dublin entgegengesetzt werden sollte. Schließlich lagen große Teile der Innenstadt zum Zeitpunkt der Entstehung noch in Trümmern und mussten erst wiederaufgebaut werden, wie zeitgenössische Fotografien belegen (Abb. 84). Mit dieser Intention geht einher, dass der sportliche Anlass regelrecht in den Hintergrund gerät. Während Yeats’ frühe Pferderennszenen noch deutlich auf die Reiter im vollen Galopp scharfgestellt hatten, erfasst The Liffey Swim die Schwimmer nur noch am Rande und rückt stattdessen das vibrierende und diverse Großstadtleben ins Zentrum. Die Vielseitigkeit wird durch die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die sich aus Männern und Frauen, aus Jung und Alt und, wie die unterschiedliche Kleidung verrät, aus Arm und Reich zusammensetzen, gespiegelt. Hierfür ist von Bedeutung, dass das Ereignis Zuschauer:innen aus beiden Teilen Dublins anlockte  : Neben dem Publikum aus dem verarmten Norden, dessen Bewohner:innen vorrangig auf engem Raum in Armensiedlungen zusammenlebten, war dabei auch die gehobene ­anglo-irische Mittelschicht vertreten, die im wohlhabenderen Süden der Stadt wohnte. Die verschiedenen sozialen Milieus, deren Trennung soziogeografisch durch die Liffey markiert wurde,532 530 Vgl. O’Brien/Guinness 1994, S. 177. Der Angriff auf das von James Gandon entworfene Gebäude fand während des Unabhängigkeitskrieges statt und galt der britischen Regierung. Heute ist in dem Baudenkmal das Department of Housing, Local Government and Heritage untergebracht. 531 Allen 2009, S. 158. 532 Der Dubliner Norden ist historisch bedingt der ärmere Teil der Stadt, dessen georgianische Bebauung nach der 1801 vollzogenen Union mit Großbritannien und dem Abzug der Parlamentarier nach London zusehends verwahrloste und schließlich den unteren Schichten als Armenbe-

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Abb. 84 Workmen Cleaning up after Destruction, Dublin, 1922, Fotografie, 10 × 12 cm, Dublin, National ­Library of Ireland.

sind im Bild durch die kompositorische Verdichtung vereint dargestellt. Der Maler, der – obwohl er selbst im Süden lebte – bekanntlich Sympathien für die Arbeiterklasse hegte,533 inszenierte den Fluss auf diese Weise nicht als Grenze zwischen den Gesellschaftsschichten, sondern als Bindeglied der Bevölkerung. Dieses milieuübergreifende Interesse für die Menge, das Baudelaire am Beispiel von Constantin Guys (1802 – 92) als Erkennungsmerkmal moderner Großstadtdarstellungen beschrieben hatte,534 wurde in der zeitgenössischen Presse auch für Yeats konstatiert. So schrieb die Daily Mail am 1. April 1925  : His little exhibition proves him to be an artist who does for the life of his own land what Constantin Guys did for the life of his beloved Paris. Keenness of observation and a lively interest in the doings and manners of all classes of society constitute a link between these two chroniclers of contemporary life.535 hausung diente. Zentrales Beispiel ist hierfür die heute sanierte Henrietta Street. Der Dubliner Süden war von dem Wandel nach der Union nicht so stark betroffen und wurde überwiegend von der gehobenen anglo-irischen Mittelschicht bewohnt. – Vgl. O’Brien/Guinness 1994, S. 79 sowie Brown 2004, S. 6 und Brown 2014b, S. XX f. 533 Vgl. Brief Jack B. Yeats an Quinn, 22. November 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 534 Vgl. Baudelaire 1994, S. 297 ff. 535 Daily Mail  : Pictures of Irish Life, 1. April 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/1. Die Rezension bezieht sich auf die Ausstellung in der Londoner Tooth Gallery, 1925.

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Yeats, der die Rezension in seinem persönlichen Zeitungsarchiv abgeheftet hatte, wird den Vergleich zwischen ihm und Guys, zwischen Dublin und Paris, wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Aufschlussreich ist der Artikel auch insofern, als er das Œuvre des Iren in den Zusammenhang internationaler Urbanitätsdebatten sowie genuin irischer Stadtdiskurse gleichermaßen einbettet. Berücksichtigt man, dass Yeats, dessen Malweise zugegebenermaßen deutlich expressiver ausfiel als die des bereits verstorbenen Guys, nicht nur derartige Gegenüberstellungen, sondern auch Baudelaires Überlegungen kannte,536 dann scheint die Auseinandersetzung des Malers mit dem Schriftsteller äußerst naheliegend. Es ist beachtlich, dass diese Beschäftigung in der Forschung bisher nicht zur Kenntnis genommen wurde. Schließlich wirken die in The Liffey Swim angewandten Bildprinzipien wie eine Visualisierung von Baudelaires Gedanken, die er in seinem Text zum Maler des modernen Lebens für Guys formuliert hatte  : Die Menge ist seine [Guys’, Verf.] Domäne, wie die Luft des Vogels, wie das Wasser des Fisches Domäne ist. Seine Leidenschaft und sein Beruf ist, sich der Menge zu vermählen. Für den vollkommenen Flaneur, für den passionierten Beobachter ist es ein ungeheurer Genuß, in der Masse zu hausen, im Wogenden, in der Bewegung, im Flüchtigen und Unendlichen.537

The Liffey Swim macht das »Wogende« zum zentralen Thema des Gemäldes, wobei das Motiv des Wellenganges mehrmals wiederholt wird  : im Strom des Wassers, in den Wolkenformationen des Himmels, im alternierenden Auf und Ab der Hausdächer und in den Bewegungen der Menschen. Die zum Ausdruck gebrachte Vitalität unterscheidet sich deutlich vom Stillstand, den Yeats noch 1915 in Before the Start zum Ausdruck gebracht hatte und der der Joyce’schen Beschreibung der im Land herrschenden Paralyse zu entsprechen schien (Abb. 62). Im Umkehrschluss scheint der postkoloniale Handlungsrahmen des Gemäldes auch das gesteigerte Tempo der Darstellung beeinflusst zu haben, sodass nationale Aufbruchsstimmung und moderner Malstil darin Hand in Hand gehen. Hinsichtlich der durch das Ölbild vermittelten spezifischen Belebtheit schrieb Bodmer als erster deutscher Kritiker, der sich Yeats’ Werk näherte, 1926 treffend über The Liffey Swim  : Figuren und Objekte sind nicht länger voneinander isoliert, sondern werden von einem brausenden Farbenwirbel zusammengerissen. […] Im »Liffey Swim« schwimmen Wasser, Zuschauer und Häuser in einem Strom.538 536 Vgl. Yeats’ Bibliothek, in der sich Baudelaires Gedichtband Die Blumen des Bösen befindet, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/238. 537 Baudelaire 1994, S. 297. 538 Bodmer 1926, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. Yeats hat den Artikel, der im Cicerone erschienen war, übersetzen lassen. Die Übersetzung findet sich ebenfalls in

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Damit hat er als bisher einziger Kritiker implizit darauf hingewiesen, dass der Wellengang das Gemälde formal wie inhaltlich bestimmt. In der Tat sind Malweise und Aussage des Bildes kongruent, wobei der expressive, hastig gesetzte Pinselduktus der euphorischen Großstadtstimmung adäquaten Ausdruck verleiht. Bezeichnend ist auch, dass sich Yeats inmitten der Menge selbst dargestellt hat  : Vor dem Straßenbahnwagen ist er mit braunem Hut und blauem Anzug auszumachen, womit er sich in seiner Funktion als Maler inmitten der Menge und somit als Teil des urbanen Lebens inszenierte. Dabei scheint er weniger das Rennen als vielmehr das ihn umgebende Treiben zu beobachten. Sein Blick kennzeichnet ihn folglich als wachsamen Augenzeugen, der vielleicht nur kurz den Kopf gehoben hat, um neue Alltagseindrücke in sein visuelles Gedächtnis aufzunehmen und diese in sein Skizzenbuch zu übertragen, das er stets in seiner Hosentasche bei sich führte.539 Der Maler gab sich somit als Flaneur zu erkennen, der es, ganz wie in der Schilderung Baudelaires, genoss, als »passionierter Beobachter […] in der Menge zu hausen.«540 Dass Yeats auch außerhalb seiner Gemälde als Großstadtdandy in Erscheinung trat, verdeutlicht zudem eine von Kathleen O’Brennan 1943 im Leader veröffentlichte Beschreibung des Künstlers  : Have you ever met Jack Yeats walking down O’Connell Street of an afternoon, the lapels of his great Irish tweed coat flapping behind his head in the air studying sky and building  ? I believe he knows the City better than any Dubliner, and, although Sligo has claim as his birthplace, he is one of our Dublin personalities. […] Tramping around he sees more in an afternoon, and I believe always something new, as most citizens might in a year.541 den Zeitungsausschnitten. Diese deutsche Besprechung wurde bislang von der Yeats-Literatur nicht registriert. Eine weitere deutsche Besprechung, die der Leiterin des »Deutsch-Englischen Kulturaustauschs« in Halle, Lore Liebenam, wurde von der Forschung ebenfalls bis dato nicht regisitriert. Der zweiseitige Text zum Thema »Von irischem Land und Volk« befindet sich in Yeats’ Zeitungssausschnitten und ist mit dem Bleistifteintrag »April 1931« und »Kreis von Halle« beschriftet. Die Autorin bespricht in ihrem Aufsatz die irische Literatur, insbesondere die von W. B. Yeats. In diesem Zusammenhang geht sie auch auf das künstlerische Schaffen der gesamten Yeats-Familie ein und nennt John Butler Yeats sowie die Yeats-Schwestern. Ein eigener Absatz ist dem »Maler des irischen Volkslebens«, Jack B. Yeats, gewidmet und wurde, vermutlich von Yeats selbst, unterstrichen. – Vgl. ZA, Yeats Archve, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 539 SK 164  : Greystones, half Memory House and Inn, 1916, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/1/1/164/73. Wie im Falle der im Westen entstandenen Skizzen erlaubte ihm dieses Vorgehen, nahezu unbeobachtet zu arbeiten. 540 Baudelaire 1994, S. 297. 541 O’Brennan 1943, S. 349  ; ähnlich äußert sich auch Cusack und weist auf Yeats’ Selbstinszenierung als »unconventional outsider« hin. – Vgl. Cusack 2011, S. 50. Bereits 1925 wurde Yeats’ verändertes Erscheinungsbild von der Presse wahrgenommen, das sich vom Bauern zum Stadtmenschen entwickelt habe. So schrieb der Cork Examiner  : »When he [Yeats, Verf.] first arrived [in Dublin, Verf.] he was garbed like one of his own peasants, even to the slouch hat, his urbanization has proceeded rapidly, and he now looks an ›arty‹ city man«, Cork Examiner  : The Yeats’ Pictures, 15. Oktober 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Das von O’Brennan entworfene Bild des ›Tramps‹ rekurriert dabei offenkundig auf Yeats’ zahlreiche Gemälde von Travellern,542 das die Kritikerin mittels der Überblendung von Maler und Werk in einen urbanen Zusammenhang transferierte, indem sie den Maler als ›Großstadttramp‹ charakterisierte. Wie um diese Interdependenz von Leben und Kunst auch selbst zu befördern, inszenierte sich Yeats in seinen Gemälden wiederholt als genuiner Wanderer in Dublin. Besonders eindrücklich vermittelt dies das um 1937 entstandene Morning in a City.543 Inmitten einer vom Sonnenaufgang rot gefärbten Dubliner Innenstadt hat sich der Maler darin zentral und in souveräner Pose dargestellt. Seine vornehme, durch Hut, Anzug und Mantel hervorgehobene Erscheinung tritt umso deutlicher hervor, als er inmitten einer Häuserschlucht steht und von umhereilenden Menschen umgeben ist, die sich vermutlich auf dem Weg zur Arbeit befinden. Unbeirrt schaut er in Richtung der Betrachtenden und kennzeichnet sich selbstsicher als Dubliner Persönlichkeit, die – wie O’Brennans Kommentar belegt – von Zeitgenoss:innen durchaus erkannt wurde. Hierzu hatten seine Bilder der Stadt entscheidend beigetragen. Dies gilt in besonderer Weise für The Liffey Swim. Immerhin erlangte das Gemälde (und mit ihm der Künstler) nur ein Jahr nach seiner Entstehung sowohl im In- als auch im Ausland schlagartig Berühmtheit, nachdem es 1924 bei den in Paris ausgetragenen Olympischen Sommerspielen in der Disziplin Malerei die Silbermedaille gewonnen hatte. Die Teilnahme des Malers an dem Wettbewerb mag aus heutiger Sicht irritierend erscheinen, allerdings bildeten die Künste, die sich aus den Kategorien Architektur, Musik, Literatur, Malerei und Skulptur zusammensetzten, zwischen 1912 und 1948 einen festen Bestandteil der Spiele. Sie waren auf Initiative des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Pierre de Coubertin, integriert worden, mit der Absicht nicht allein den Sport, sondern auch das nationale Genie zu fördern  : »There is need for something else besides athleticism and sport, we want the presence of national genius […].«544 1924 nahm auch der Irish Free State erstmals als unabhängiger Staat an den Spielen teil, was durch die selbstbewusste Länderbezeichnung Irlande noch betont wurde. Neben Athlet:innen entsandte man Bildhauer:innen, Schriftsteller:innen und Ma­le­ r:in­nen, deren Werke, den Teilnahmebedingungen folgend, das Thema Sport verhandelten. In der Sparte Malerei traten in dem Jahr insgesamt neun Länder an. Da sie jeweils durch mehrere Repräsentant:innen vertreten wurden, konkurrierten letztlich 62 Künstler:innen miteinander.545 Die Mitwirkung an den künstlerischen Sektionen er542 Siehe etwa Jack B. Yeats, Two Travellers, 1942, Öl auf Leinwand, 92 × 123 cm, London, Tate Gallery. 543 Jack B. Yeats, Morning in a City, ca. 1937, Öl auf Leinwand, 61 × 91 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 544 Pierre de Coubertin in seiner Abschlussrede während der VIII. Olympischen Spiele in Paris 1924, zitiert nach Stanton 2000, S. 82  ; zur Teilnahme der irischen Künste bei den Olympischen Spielen siehe Culleton 2014. 545 Folgende Länder waren 1924 beteiligt  : Belgien, Dänemark, Ägypten, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Irland, Luxemburg und die Schweiz. – Vgl. Kat. Paris 1924, S. 608.

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öffnete Irland die Möglichkeit, nationale Charakteristika und Stilphänomene auf globaler Ebene sichtbar zu machen.546 Leider lässt sich aufgrund der schlechten Aktenlage nicht mehr rekonstruieren, wie die Vorauswahl der Maler:innen vonstattenging und welche konkreten Repräsentationsstrategien man verfolgte. Aufgrund des gemeinsamen, für alle Länder gültigen Prozederes ist aber bekannt, dass ein nationales Komitee eine Vorauswahl traf, bei der die Werke zusammengetragen und im Anschluss für die Teilnahme an den Olympischen Spielen selektiert wurden.547 Im Gegensatz dazu ist der Entstehungskontext des Literaturbeitrages überliefert. So hatte man den Dichter Oliver St. John Gogarty (1878 – 1957) gebeten, eine Ode zu verfassen,548 deren Thema einen vom Freistaat gleichfalls 1924 ins Leben gerufenen Wettbewerb behandeln sollte, die kurz nach den Oympischen Spielen veranstalteten Tailteann Games. In Paris wurde Gogartys Ode to the Tailteann Games mit einer Bronzemedaille geehrt, womit sie in der angestrebten Weise für die ersten gälischen Spiele des Freistaates warb. Schließlich sollten sich die Tailteann Games nach dem Wunsch der Regierung als eine Art keltische Variante der Olympischen Spiele etablieren, mit denen man ein positives Außenbild des neuen Staates inszenieren wollte. Der Idee nach bezog man sich zwar auf eine weit zurückreichende Tradition, deren Ursprung im Jahr 1896 v. Chr. ausgemacht werden kann.549 In der Praxis aber orientierte man sich stark an den Olympischen Spielen, sodass auch die Tailteann Games zusätzlich zu den sportlichen Wettbewerben über eine Kunstsektion verfügten. Während Yeats dort, wie von der Presse bedauert wurde, selbst nicht mit seinen Werken im Wettbewerb vertreten war, entschied er als Teil der Jury über die Preisträger:innen mit.550 Die internationale Dimension von Olympia war im irischen Fall demnach eng mit den nationalen Interessen verknüpft. Entsprechend nutzte der Freistaat seine Beteiligung mittels der dargebotenen Ode Gogartys geschickt als Reklame für die Wiedergeburt keltischer Wettkämpfe, die einmal mehr die kulturelle und politische Unabhängigkeit demonstrieren sollten. Anders als für Gogarty ist für Yeats nicht davon auszugehen, dass seine Einreichungen im Auftrag entstanden, hatte er doch beide Gemälde – neben The Liffey Swim war der Maler auch mit Before the Start vertreten – längst fertiggestellt, die Pferderennszene

546 Eine ähnliche Option bot sich dem Land durch seine Teilnahme an der seit 1895 ausgerichteten Biennale von Venedig, an der die Republik Irland jedoch erst ab 1948 teilnahm. 547 Vgl. Culleton 2014, S. 27 – 30. Sie schreibt, dass die betreffenden Dokumente hierzu in Irland nicht mehr erhalten sind. 548 Vgl. Culleton 2014, S. 31. 549 Vgl. Cronin 2003, S. 397. 550 Vgl. Cronin 2005, S. 64 f. Die Tailteann Games fanden insgesamt dreimal statt  : 1924, 1928 und 1932. Der Tailteann-Kunstwettbewerb wurde in der Royal Dublin Society ausgerichtet, wo 1597 Arbeiten zu sehen waren. Keating gewann beim ersten nationalen Wettkampf für Homage to Sir Hugh Lane (1920, Öl auf Leinwand, 183 × 208,3 cm, Hugh Lane Gallery, Dublin) die Goldmedaille.

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sogar bereits neun Jahre zuvor (Abb. 62).551 So findet sich etwa in Yeats’ Aufzeichnungen keine die Olympischen Spiele betreffende Korrespondenz, die Aufschluss über die Hintergründe der Beteiligung geben könnte. In seinem Gemäldeindex hat der Maler zwar mit dem Kommentar »Paris Olympic 1924 (Silver Medal)«552 den verliehenen Preis vermerkt, damit aber nur auf den Ausgang des Ereignisses verwiesen, auf den er sehr stolz gewesen sein muss. Dies belegen die zahlreichen, in seinen Unterlagen abgehefteten Presseberichte zur Titelvergabe sowie die handschriftlich notierte Aufzählung aller Blätter, die die Prämierung erwähnten (Abb. 85).553 Neben Yeats wurde der Freistaat bei dem Wettbewerb durch Seán Keating und John Lavery vertreten. Die Teilnahme der drei als zentral erachteten Künstler legt nahe, dass die junge Nation optimal abschneiden, sich aber zugleich möglichst landestypisch präsentieren wollte.554 Hierfür spricht, dass neben Yeats auch Keating 1922 von MacGreevy als »truly Irish«555 besprochen worden war. Unter den drei Beiträgern kann Yeats zweifelsohne als derjenige gelten, der am besten ins Profil des athletischen Malereiwettstreites passte, war er doch in London mehrere Jahre als Sportillustrator ­tätig gewesen. Aber auch Keating und Lavery hatten sportive Darstellungen eingereicht. Keating trat mit dem Gemälde Hunter with Pheasants, einer Jagddarstellung, an, die heute verschollen ist.556 Lavery wiederum lieferte das Porträt eines Jockeys, bei dem es sich jedoch merkwürdigerweise mit Stephen Donaghue um einen prominenten englischen Sportler handelte.557

551 Auch der Yeats-Literatur lassen sich hierzu keine näheren Informationen entnehmen. Die Erwähnungen beschränken sich vielmehr auf den Gewinn der Medaille, ohne dabei den olympischen Kontext zu beleuchten. Pyle etwa erwähnt lediglich eine Einladung zur Teilnahme sowie den Gewinn der Silbermedaille. – Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, S. XXXIII. 552 GI I, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/5-1. 553 Etwa  : Freeman’s Journal  : Art and Athletics. French Journal’s Tribute to Irish Painter’s Work, 3. Juni 1924 oder Irish Times  : Success of Irish Artist. Olympic Silver Medal for Mr. J. B. Yeats, 31. Mai 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1  ; ob Yeats letztlich bei der Verleihung in Paris vor Ort war, muss offenbleiben. Zwar wurde in der Presse berichtet, dass die Preise zur gleichen Zeit an die Athlet:innen und an die Kunstschaffenden verliehen wurden, allerdings gibt es keine fotografischen Aufnahmen oder sonstigen Nachweise, die Yeats’ Anwesenheit in Paris belegen würden. 554 Lavery etwa war 1904 in Hugh Lanes zentraler Ausstellung Exhibition of Works by Irish Painters mit mehreren Arbeiten vertreten, siehe Ausst.-Kat. London 1904  ; zudem wurden beide Maler Mitte der 1920er Jahre von der irischen Presse neben Yeats als die wichtigsten Künstler hervorgehoben, siehe etwa  : Dublin Opinion, Mai 1925 und Cork Examiner, 6. April 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 555 MacGreevy 1922, S. 19. MacGreevy gestand neben Yeats auch Keating, allerdings nur in seinen ›guten‹ Arbeiten, typisch irische Stilmerkmale zu. 556 Vgl. O’Connor 2013, S. 317, Fn. 2. Im Katalog ist das Werk als The Fowler bezeichnet. – Vgl. Kat. Paris 1924, S. 608. 557 John Lavery, Stephen Donoghue in the King’s Colours, ca. 1923, Öl auf Leinwand, o. A., Edinburgh, Royal Scottish Academy of Art & Architecture  ; siehe Kat. Paris 1924, S. 608.

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Abb. 85 Jack B. Yeats, Zeitungsausschnitte anlässlich der Olympischen Spiele von Paris 1924, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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Bereits diese Ungereimtheiten offenbaren die von Widersprüchen geprägte Suche nach einer repräsentativen, durch Kunstwerke nach außen kommunizierten Identität, die insbesondere für die Anfangsjahre des Freistaates bestimmend war. Erwähnenswert ist zudem, dass Lavery, der überdies Mitglied der Pariser »Jury de Peinture«558 war, im Nachhinein nicht mehr von der irischen Presse als Teilnehmer genannt wurde.559 Zwar war auch Keatings Beitrag unprämiert geblieben, dennoch wurde der Künstler im Nachgang noch namentlich aufgeführt. Die Tatsache, dass Yeats’ von der französischen Presse als »realistic«560 und im Nachgang als »distinctly Irish«561 gefeiertes Gemälde The Liffey Swim gewann, mag letztlich nicht nur am nationalen Sujet, sondern auch an der Vitalität der Darstellung gelegen haben. Dies geht zunächst daraus hervor, dass Before the Start, möglicherweise aufgrund seiner statischeren Anmutung, nicht berücksichtigt wurde. Darüber hinaus lässt sich am Vergleich mit den Siegerbildern des luxemburgischen Malers Jean Jacoby (1891 – 1936) der Geschmack der Jury für lebendig erzählte Sportbilder ablesen. Schließlich fangen Jacobys Gemälde Rugby- und Fußballspieler in dynamisch inszenierter Nahaufnahme ein und beweisen eine expressive Bewegtheit,562 die sich auch für Yeats’ Arbeit konstatieren lässt. Bestätigung findet diese Annahme durch die Bronze­ medaille, mit der der niederländische Künstler Johan van Hell (1889 – 1952) geehrt wurde. Sein Winterbild mit Schlittschuhläufern,563 das als moderne Variante altmeisterlicher holländischer Eisvergnügungen erscheint, besticht durch eine schwungvolle Wiedergabe des Treibens. Vor dem Hintergrund jedoch, dass Yeats zu diesem Zeitpunkt noch überwiegend als Maler des Westens wahrgenommen wurde,564 ist der Medaillengewinn für The Liffey Swim in jedem Fall von Bedeutung. Immerhin wurde nicht das für den Künstler weit typischere Sujet westirischer Jockeys gewürdigt, sondern sein Entwurf des urbanen Aufbruchs. Dass der Künstler seine Neuausrichtung Mitte der 1920er Jahre forcieren konnte, ist also zugleich diesem Sieg zu verdanken. In der Presse wurde Yeats Mitte der 1920er Jahre sukzessive auch als Maler der Großstadt wahrgenommen, der internationale Impulse und nationale Wesenszüge auf ge558 Vgl. Kat. Paris 1924, S. 604. 559 Vgl. hierzu  : Freeman’s Journal  : Art and Athletics. French Journal’s Tribute to Irish Painter’s Work, 3. Juni 1924 oder Irish Times  : Success of Irish Artist. Olympic Silver Medal for Mr. J. B. Yeats, 31. Mai 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 560 Freeman’s Journal  : Art and Athletics. French Journal’s Tribute to Irish Painter’s Work, 3. Juni 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Das Freeman’s Journal zitiert hier (in englischer Übersetzung) das französische Magazin Auto  : »Everything is realistic in this picture, and it merits the medal which it has won.« 561 Irish Times, 7. April 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 562 Jean Jacoby, Rugby und Corner, beide vor 1924. 563 Johan van Hell, Patineurs, 1919  ; siehe Kat. Paris 1924, S. 608. 564 So etwa Cork Examiner  : The Yeats’ Pictures, 15. Oktober 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Die Zeitung beschrieb die ländlichen Sujets als die typischsten Bilder des Künstlers, der sich nun jedoch auch der Urbanität zuwende.

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lungene Art und Weise überblenden könne. So betonte das Freeman’s Journal 1924 unter der Überschrift »Dublin as the artist sees it«, dass Yeats’ Hauptstadtmotive einerseits »astonishingly suggestive of Paris« seien, andererseits aber den typischen Charakter Dublins zeigen würden, »that no other city possesses«.565 Auch der Manchester Guardian bewertete sowohl die ländlichen als auch die urbanen Motive – unter denen The Liffey Swim als Paradebeispiel hervorgehoben wurde – als Ausdruck einer dezidiert irischen Malerei und verband dies mit der Frage  : »Are there any English pictures as English as Mr. Jack B. Yeats’s pictures are Irish  ?«566 Folgt man den Kritiken, hatte Yeats sein in den Modern Aspects of Irish Art formuliertes Ziel, neben dem Land- auch das Stadtleben auf genuin irische Weise »with […] own fresh eye« (M. A., 7) einzufangen, ohne dabei fremde Vorbilder sklavisch nachzuahmen, offenbar erreicht. Zwar wurden diverse Anleihen an bereits existierende Darstellungen von Metropolen, etwa den konstatierten Pariser Impressionen, bemerkt, jedoch nicht als negativ oder vordergründig empfunden. Vielmehr schien die den Werken anzumerkende Weltläufigkeit die Yeats’schen Gemälde und damit auch das Bild Dublins aufzuwerten und vom Vorwurf der Provinzialität zu befreien. Seinen freien Umgang mit Farbe bewertete man dabei, wie auch den beschwingten Ausdruck seiner Werke, als Kennzeichen einer lebendigen zeitgenössischen Kunst, während etwa den Arbeiten Keatings und Leo Whelans (1892 – 1956) ernüchtert eine »absence of modernism«567 attestiert wurde. Es scheint daher wenig überraschend, dass The Liffey Swim bereits kurze Zeit später in mehreren nationalen wie internationalen Ausstellungen in Dublin, London und Liverpool gezeigt wurde,568 wobei man stets auf die irischen Eigenheiten der Yeats’schen Arbeiten verwies. Das von Alteritätskonstruktionen bestimmte Sprechen, das die Debatten zu Yeats’ Kunst von Beginn an geprägt hatte, dominierte diese nun auch nach der Unabhängigkeit. Die internationale Präsentation seiner Arbeiten im Rahmen von Olympia befeuerte diesen identitätsstiftenden Diskurs zusätzlich, war doch der Künstler in Paris als nationale Größe von internationalem Rang vorgestellt worden. Als paradigmatisch für die auszumachende Irishness seiner Bilder galten dabei insbesondere kunstgeografische Aspekte, wie sie später ähnlich in Nikolaus Pevsners Analysen für das dezidiert Englische in der englischen Malerei zu finden sind.569 Die Presse sprach dem565 Freeman’s Journal  : Dublin as the Artist Sees It, 8. Januar 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 566 Manchester Guardian  : Mr. Yeats’s Pictures, 9. April 1926, S. 13. 567 The Madras Mail  : Art Show, 26. April 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/2. 568 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 208, S. 184. Dublin  : RHA 1925, London  : Tooth Gallery 1926, Liverpool  : Walker Art Gallery 1926. 569 Vgl. Pevsner 1956. In seiner Untersuchung zur Englishness of English Art ging Pevsner dem Nationalcharakter der englischen Kunst nach. Sein Ziel war es, anhand ausgewählter Künstler, darunter William Hogarth, Joshua Reynolds oder John Constable, »to analyse for each of these individually what is English in them« (Pevsner 1956, S. 18). Er wandte hierfür die Methode der

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gemäß von der »very moisture of the Irish breezes«570, von »Irish skies« und »quaint homely folk«571, Merkmale, die das spezifisch Irische in Yeats’ Gemälden ausmachen würden. Es ist wohl dieser durch den Olympiaerfolg hervorgerufenen, verdichteten Expertise zuzuschreiben, dass The Liffey Swim 1931 als erstes Gemälde des Malers im Rahmen einer Schenkung in den Bestand der National Gallery of Ireland aufgenommen wurde und damit den Grundstein der heute bestehenden Yeats-Sammlung legte.572 Paradoxerweise gab offenbar der internationale Anspruch, dem die Komposition durch ihre lebendige Bildsprache sowie durch ihre Ausstellungshistorie gerecht wurde, den Ausschlag dafür, es zum Beispielwerk nationaler Repräsentation zu küren. In Verbindung mit der jährlich wiederkehrenden ›Aufführungspraxis‹ des Liffey-Schwimmens im Dubliner Zentrum verfestigte sich Yeats’ Stadt- und Lebensentwurf letztlich im kulturellen Gedächtnis. Dieses Konzept, das bemerkenswerterweise jenseits der üblichen ländlichen Repräsentationsstrategien angesiedelt war, bestätigte in der internen wie externen Wahrnehmung die nationale Eigenständigkeit. 4.4 Mythische Orte und Symbolträger

4.4.1 Ut pictura poesis  : Yeats als Schriftsteller Trotz der olympischen Anerkennung und der positiven Resonanz der Presse hatte Yeats auch in der Folge noch mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dass die Verkaufsausstellungen in den 1920er und 1930er Jahren für den Künstler nachweislich nicht erfolgreich verliefen, zeigen bereits die von Yeats gesammelten Expositionskataloge, in denen sich nur äußerst selten der Vermerk »sold« hinter den Katalognummern Kunstgeografie an, da man mittels dieser epocheübergreifende Phänomene erfassen und sich dem Nationalcharakter umfassend nähern könne. 570 The Observer, 13. Januar 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 571 Sunday Independent, 17. Mai(?) 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 572 Vgl. Irish Times  : The Liffey Swim, 11. Dezember 1930. Das Gemälde war 1930 durch den Haverty Trust erworben worden  ; 1931 ging es als Schenkung an die National Gallery of Ireland in Dublin. – Vgl. Irish Times, 29. August 1931, beide Artikel abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. Allerdings wurde das Gemälde lange Zeit als Leihgabe in der Hugh Lane Gallery ausgestellt, da die National Gallery die Prämisse hatte, keine Werke von lebenden Künstler:innen zu zeigen. Erst Jahre später gelangten weitere Yeats-Werke in die National Gallery of Ireland  : 1941 A Morning in a City (1937), 1946 Men of Destiny (1946), 1947 Above the Fair (1946). Keines der Werke wurde angekauft, sondern als Schenkung erworben. – Vgl. Pyle 1986a, S. 66, S. 72 und S. 74. Die erste öffentliche Sammlung, die Yeats-Werke erwarb, war die Hugh Lane Gallery. Hier wurden bereits um 1900 Aquarelle von Yeats gesammelt. Auch die Tate Britain erwarb noch vor der National Gallery of Ireland Werke des Iren, wobei es sich hier überwiegend um Ankäufe und nicht um Schenkungen handelte. Das früheste Gemälde ist das 1925 erworbende Back from the Races (1925).

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findet.573 Als konkretes Beispiel für die ausbleibenden Verkäufe lässt sich dabei die 1929 in der Londoner Alpine Club Gallery gezeigte Ausstellung anführen. Obwohl diese in der Presse außerordentlich positiv besprochen wurde, verkauften sich nur sieben der 36 präsentierten Gemälde. Noch dazu handelte es sich dabei um kleinformatige Arbeiten, die mit 15 oder 30 Pfund weitaus günstiger waren als die nicht veräußerten, 100 oder 250 Pfund teuren Großformate.574 Der ausbleibende Erfolg lässt sich nicht nur mit der expressiver werdenden Malweise des Künstlers begründen, die insbesondere von einer konservativen Klientel nicht geschätzt wurde, sondern auch mit seinen oft als zu liberal empfundenen Themen, die im Widerspruch zu den Maximen des jungen, konservativ eingestellten Freistaates standen. Zwar war Yeats’ Werk nie, wie das seines Freundes Samuel Beckett, von Zensur betroffen, dennoch stießen vor allem seine Inszenierungen Dublins, die bei ihm als weltoffene Hauptstadt erscheint, bei reaktionär-nationalistisch Gesinnten und strengen Katholiken auf Ablehnung.575 Yeats’ Briefe aus dieser Zeit vermitteln einen Eindruck davon, wie inständig er auf den einsetzenden finanziellen Durchbruch hoffte.576 In der Literatur wird die Enttäuschung über den monetären Missstand und die damit verbundene Geringschätzung seiner Werke gelegentlich als Ursache dafür benannt, dass sich der Maler in den 1930er Jahren verstärkt dem Schreiben zuwandte.577 Wie auch bei Pyles Feststellung, nach der »the unburdening of his very active mind«578 den Ausgangspunkt von Yeats’ schriftstellerischer Tätigkeit bildete, handelt es sich dabei lediglich um Vermutungen. Welche Beweggründe Yeats letztlich dazu veranlassten, sich verstärkt der Literatur zuzuwenden, ist für uns heute daher nicht endgültig zu klären. Tatsache ist aber, dass zwischen 1929 und 1944 sieben Romane und neun Theaterstücke und nur vergleichsweise wenige Gemälde entstanden.579 Dies zeigt ein Vergleich mit der vorherigen Aktivität  : Hatte Yeats zwischen 1920 und 1930 noch 273 Arbeiten geschaffen, waren es im darauffolgen573 Vgl. Yeats Archive, AJ, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. Yeats vermerkte alle Verkaufsvorgänge akribisch. 574 Immerhin befand sich unter den Käufern James Joyce, der hier zwei Gemälde erwarb, wie Yeats in dem Katalog notierte. – Vgl. AJ, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2  ; zur positiven Besprechung, für die Yeats eigens in seinem Atelier fotografiert und als »our Irish artist« benannt wurde, siehe etwa Irish Sketch, März 1929, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 575 Zur vom Zensur geprägten Irland in der Zeit von 1924 und 1940 siehe Kennedy 2018  ; Beckett, dessen eigene Arbeiten, etwa More Kicks than Pricks (1934), auf dem irischen Index verbotener Schriften standen, klagte in seinem 1935 verfassten Text Zensur im Irischen Freistaat (Censorship in the Saorstat) die erlassenen Zensurgesetze an, die die Verbreitung zahlreicher nationaler und internationaler Publikationen untersagten. – Vgl. Beckett 2010b. 576 Vgl. Arnold, S. 238 – 240. Arnold verweist auf den Briefwechsel zwischen T. Murray Ragg, dem Redaktionsleiter des Routledge-Verlages, und Yeats, aus dem hervorgeht, dass der Maler nach Möglichkeiten des finanziellen Erfolges suchte. 577 Vgl. Arnold, S. 238 f. 578 Pyle 1989, S. 139. 579 Zur Untersuchung von Yeats’ literarischem Œuvre siehe grundlegend Skelton 1971 und 1991 sowie McGuinness 1992 und Purser 1991.

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den Jahrzehnt nur noch 106 Bilder.580 Diese Verlagerung spiegelt sich zudem in Yeats’ persönlicher Sammlung ihn betreffender Zeitungsausschnitte wider, die in dieser Zeit deutlich auf die Besprechung der schriftstellerischen Tätigkeit fokussiert. Bezeichnenderweise wurden Yeats’ literarische Werke und die in dieser Zeit entstandenen Gemälde häufig synonym besprochen und als ähnlich irritierend empfunden. So heißt es 1930 im Apollo-Magazin über den im selben Jahr veröffentlichten Debütroman Sligo sowie die Ausstellung seiner Gemälde in der Londoner Alpine Club Gallery  : Mr. Yeats cares not one iota for you, his reader or spectator. He just »jettisons« like a playful ocean depositing confetti on the sands after a carnival  ; or better still, if only precious stones would float, not confetti but rubies and amethysts, emeralds, topaz, turquois, garnets, cairngorms, opals, diamonds, onyx – as if some travelling jeweller had thrown his stock-in-trade overboard. You never in your life saw such a medley, such a profusion, such a confusion of gems – in prose or pigment. You do not know what you are reading whilst you turn over his pages  ; you do not know what you are seeing whilst you are looking at the walls of this exhibition.581

Daneben gab es auch positive Stimmen, etwa in der Saturday Review, die die »visual quality of Mr. Yeats’ imagination«582 lobte, die Romanen wie Sligo Lebendigkeit verleihen würde. Auch Karen E. Browns 2011 veröffentlichte Untersuchung zur Bildlichkeit der Yeats’schen Schriften geht dieser Frage nach.583 Die tatsächlich auszumachenden Parallelen zwischen den unterschiedlichen Medien zeigen sich zunächst an den oftmals poetischen Titeln der Gemälde. Aber auch inhaltliche Überlagerungen zwischen Bild und Text lassen sich ausmachen. Hierzu gehört das Motiv des Umherreisens zwischen imaginierten, erinnerten und realen Orten. Bereits der erste Roman Sligo, für den der Autor an den Ort seiner Kindheit und Jugend zurückkehrte, liest sich in seiner Aneinanderreihung von Eindrücken ohne Kapitelunterbrechungen wie eine globale Odyssee, deren Kurs von der Erinnerung des Erzählers bestimmt wird.584 Der Manchester Guardian hat diese transitorischen Reflexionen, die

580 Als Grundlage für die Anzahl der Gemälde des jeweiligen Zeitraums siehe Pyle 1992, Bd. 1. 581 Apollo  : Paintings by Jack B. Yeats at the Alpine Club Gallery, and also his book »Sligo«, August 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. Mit dem Wort »jettison« zitiert das Magazin den Roman, in dem es heißt  : »[…] that is why I am writing this book. To jettison some memories«, Yeats 1930, S. 28. 582 Saturday Review  : A Painter’s Prose, 28. Juni 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/2. 583 Vgl. Brown 2011, S. 129 – 168. Während ihre Erkenntnisse zur Bild-Text-Relation aufschlussreich sind, fehlt ihren Analysen gelegentlich das Verständnis für die Gemälde, was offenbar damit zu begründen ist, dass sie keine Kunsthistorikerin ist. 584 Vgl. Yeats 1930. Yeats spricht in seinem Roman auch davon, dass er ein »chain Thinker« sei, Yeats 1930, S. 28.

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W. B. Yeats mit »James Joyce’s linked associations«585 verglich, treffend beschrieben  : »One passes from a »flapping meeting« in Connaught to a London East End boxing match […] or a Dublin quay or a New York store.«586 Und auch die nachfolgenden Romane bedienten sich kontinuierlich des Mittels scheinbar wahlloser Ortswechsel und Zeitverschiebungen, wodurch sich Herbert Read dazu veranlasst sah, Yeats’ vierte Veröffentlichung The Amaranthers als »surrealist novel«587 zu charakterisieren. Auch wenn der Künstler das Malen in diesen Jahren stark einschränkte, betrachtete er die beiden Tätigkeiten nie getrennt voneinander. Das am Ende seiner schriftstellerischen Arbeit stehende, 1944 vollendete Gemälde The Novelist, das uns einen auf einer Bank sitzenden Mann in Rückenansicht zeigt, verrät dabei viel über die aus Yeats’ Sicht enge Verwobenheit der unterschiedlichen Professionen.588 Schließlich kann der in Mantel und Hut gekleidete Protagonist, der mit einem Stift an den Lippen und einem Notizbuch in den Händen von den Klippen aus auf das vor ihm liegende Meer blickt, als Selbstporträt des malenden Schriftstellers und des schreibenden Malers gleichermaßen verstanden werden.589 Auf der anderen Seite deutet das Gemälde an, dass der Maler zu diesem Zeitpunkt bereits wieder die Oberhand gewonnen hatte und für den Schriftsteller eine Abschiedsszene entwarf. Denn während der eine noch mit gezücktem Stift nach den geeigneten Worten sucht, hat der andere dem Moment bereits malerisch Ausdruck verliehen. Darüber hinaus ließe sich das Gemälde auch als später selbstbezogener Kommentar zu den Modern Aspects of Irish Art begreifen, in denen Yeats die Malerei allen anderen Künsten vorangestellt und ihr allein die Fähigkeit bescheinigt hatte, das Leben am besten beschreiben zu können (M. A., 3). Ungeachtet dessen verschob sich mit dem Schreiben in den 1930er Jahren der Fokus der bildnerischen Sujets. Yeats’ Interesse galt nun weniger der Stadt als vielmehr mythischen Orten, die an bestimmte Modelle des nationalen Imaginären anknüpften. Ergänzend dazu tauchte ab 1940 wiederholt das Motiv reisender und zwischen verschiedenen Welten wandelnder Außenseiterfiguren in seinen Arbeiten auf, die hinsichtlich ihres devianten Treibens vom Ideal einer vorgestellten irischen Gemeinschaft abwichen und ebenfalls starke Symbolkraft aufwiesen. Diesen identifikativen Ideen sowie deren kulturellem Kontext soll auf der Grundlage des folgenden Bildbeispiels nachgegangen werden.

585 Brief W. B. Yeats an Jack B. Yeats, 18. Juli 1930, zitiert nach Purser 1991, S. 128. 586 Manchester Guardian  : High Spirits, 16. Juli 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/2. 587 Read 1936, S. 211, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/3  ; The Amaranthers wurde 1936 veröffentlicht. 588 Jack B. Yeats, The Novelist, 1944, Öl auf Leinwand, 35,5 × 53 cm, Privatbesitz. 589 Die Überlegung des Selbstporträts griff bereits Purser auf. – Vgl. Purser 1991, S. 119.

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4.4.2 Das nationale Imaginäre  : A Race in Hy Brazil, 1937 Am 12. April 1924 schrieb die irisch-nationalistische Zeitung Sinn Féin  : »Jack Yeats has seen Ireland – the Ireland of our dreams in which we all believe in.«590 Das Blatt bezog sich dabei auf die als realistisch empfundenen Darstellungen des Westens, die es als Visualisierungen eines traumhaften Irlands bezeichnete. Damit präfigurierte die Beschreibung bemerkenswerterweise Yeats’ fantastisch anmutende Gemälde aus den 1930er Jahren, die unter Rückgriff auf Erinnerungen und mythische Vorstellungen paradiesähnliche Entwürfe von Irland liefern. Bezüglich ihres identifikativen Gehaltes können die vom Künstler jenseits der Wirklichkeit konstruierten Orte meines Erachtens als Gegenentwürfe zu den realen »Nicht-Orten« seiner Zeit verstanden werden. Marc Augé zufolge sind »Ort« und »Nicht-Ort« dabei wie folgt zu unterscheiden  : So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen läßt, einen Nicht-Ort.591

Diese Überlegungen zum »Nicht-Ort« verknüpft der Soziologe mit dem Phänomen der »Übermoderne«, die sich durch eine Überfülle von Ereignissen sowie einer daraus resultierenden Entfremdung des Einzelnen auszeichne.592 Augés Gedanken lassen sich insofern auf Yeats’ Fantasieräume übertragen, als diese als »Orte« inmitten der rasanten politischen und gesellschaftlichen Entwicklung seines Landes über Kontinuität und Sinnzusammenhänge reflektieren. Dafür griff der Künstler auf das Konstrukt des modernen Mythos zurück, der, wie Roland Barthes es formulierte, durch die »Rede« konstituiert wird, wobei vieles »als Träger der mythischen Rede dienen« kann  : »der schriftliche Diskurs, aber auch die Photographie, der Film, die Reportage, der Sport, Schauspiele, Werbung […].«593 Insbesondere ein Werk, das Pyle dem Korpus sogenannter »fantasy works«594 zuordnete, sticht in dieser Hinsicht als paradigmatisch hervor. Es handelt sich um das 1937 geschaffene Gemälde A Race in Hy Brazil (Abb. 86), das eine arkadische Szene auf der sagenumwobenen Insel Hy Brazil schildert. Deren Existenz wurde lange Zeit als real angesehen, wobei man die geografische Lage auf mittelalterlichen Karten überwiegend vor der westirischen Atlantikküste ausmachte. Die im Nebel liegende Phantominsel, die als keltisches Elysium einerseits und als verheißenes Land der Heiligen anderseits galt, zu dem der Heilige Brendan im 6. Jahrhundert aufgebrochen sein soll, findet sich 590 Ni Braonain 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 591 Augé 1994, S. 92. 592 Vgl. Augé 1994, S. 100. 593 Zitate bei Barthes 2010, S. 252. 594 Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 502, S. 460. Sie zählt folgende Werke dazu  : South Pacific, 1937, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz  ; California, 1937, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz  ; Once on a Day, 1937, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz.

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Abb. 86 Jack B. Yeats, A Race in Hy Brazil, 1937, Öl auf Leinwand, 71 × 91,5 cm, Cork, Crawford Art Gallery.

dabei erstmals auf einer 1330 entstandenen portugiesischen Landkarte. Nach einer letzten angeblichen Sichtung im Jahr 1872 ›verschwand‹ die Insel und wurde in der Folge nicht mehr auf Karten verzeichnet. Dennoch blieb sie als mythischer Topos in Literatur und Bildkunst bestehen.595 Unter den irischen Künstler:innen war Yeats der erste, der das Thema aufgriff. Später folgten ihm weitere Maler:innen, darunter Patrick Collins (1911 – 94), der Hy Brasil 1963 als mystische Gegend schilderte.596 Im Unterschied zu Collins fokussierte Yeats in seinem querformatigen, 71 × 91,5 cm messenden Gemälde, das von changierenden Grün- und Blautönen dominiert wird, nicht nur auf die Insel selbst  ; vielmehr zeigt das Werk, in Anknüpfung an die frühen Sujets des Malers, die Vorbereitung eines Pferderennens auf dem Eiland. Für das Ereignis sind zahlreiche Menschen auf einer Gondel angereist, deren geschmückter Bug im rechten Mittelgrund zu erkennen ist. Die Besuchenden verteilen sich, einem Reigen gleich, in der weiten Landschaft, wobei die der Komposition eingeschriebene Diagonale dem heiteren Treiben eine gewisse Dynamik verleiht. Während 595 Zur Insel Hy Brazil, die noch viele andere Namen besitzt, zum Beispiel Brasil oder Brazir, siehe etwa Freitag 2013, S. 3 – 30 oder Johnson 1994, S. 177 – 190. 596 Patrick Collins, Hy Brasil, 1963, Öl auf Pappe, 76,2 × 91,5 cm, Dublin, Hugh Lane Gallery.

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einige Besuchende sich in Erwartung des Rennens bereits auf der Wiese niedergelassen haben, scheinen andere im linken Hintergrund über eine bogenförmige Brücke zu flanieren. Zu dieser Assoziation passen mehrere über den Bildraum verteilte Gestalten, die sich durch auffällige Kostümierungen und Masken hervortun. Hierzu gehören eine Figur, die sich unmittelbar am rechten Bildrand auf einer Bank niedergelassen hat, sowie ein weiterer Gast, der vor dem braunen Pferd im Mittelgrund auf dem Boden sitzt und ein gleichfalls maskiertes, rot kostümiertes Kind auf seinem Schoß balanciert. Der baldige Beginn des Rennens wird indes durch die parallel dazu dargestellten Vorbereitungen markiert. So bauen im Vordergrund der Gondel zwei Personen einen Tisch auf, bei dem es sich, wie in früheren Pferderennszenen des Malers, vermutlich um einen Verkaufsstand handelt.597 Darüber hinaus scheinen allegorisch anmutende Frauen im rechten Vordergrund mit Fahnen die Strecke abzustecken, während die Jockeys, im Gespräch miteinander, im Begriff sind, ihre Pferde zu satteln. Angesichts des fantastisch anmutenden Sujets überrascht es kaum, dass auch sie jeweils Masken tragen  ; die roten Stiefel und die ausgreifende Geste des linken Sportlers lassen zudem eher an den Auftritt eines Schauspielers als einen baldigen Rennstart denken. Der theatrale Auftritt fügt sich durchaus in die zeitgenössischen Sujets des Malers ein, der überdies häufig Außenseiterfiguren in seinem Werk präsentierte. Neben fahrenden Schauspieltruppen zählten hierzu immer wieder auch Zirkusartist:innen, Traveller oder Gaukler. In seinem Schaffen firmieren sie jeweils als freiheitliche Symbolgestalten genuiner Irishness, wofür sie zunächst aufgrund ihres fernab kolonialer Machtstrukturen geführten Lebens prädestiniert waren, bevor sie sich in der Folge auch von den konservativen Vorstellungen des Freistaates lossagten.598 Figuren, die in vergleichbarer Weise der theatralen Sphäre verhaftet sind, finden sich etwa in dem im selben Jahr entstandenen Gemälde In Memory of Boucicault and Bianconi.599 Die Komposition zeigt eine Gruppe von Schauspieler:innen, die sich im 597 Eine prominente Position nimmt der Verkaufsstand etwa in The Flapping Meeting aus dem Jahr 1926 ein, wo er den linken Vordergrund dominiert, während in der rechten Bildhälfte Reiter vorbeigaloppieren. – Siehe The Flapping Meeting, 1926, Öl auf Leinwand, 35,5 × 46 cm, Privatbesitz. 598 Zu dem politisch konnotierten Motiv des Irish Traveller in Yeats’ Werk siehe etwa Cusack 1998  ; bei den Travellern handelt es sich um eine ethnische Minderheit in Irland, die über keinen festen Wohnort verfügt und meist ein Nomadendasein führt, siehe Angaben des Irish Traveller Movement https://itmtrav.ie/strategic-priorities/anti-racism-interculturalism/traveller-ethnicity/ [17.12.2022]  ; zur sukzessiven Ausgrenzung der Traveller nach der Etablierung des Freistaates siehe allgemein Bhreatnach 2006  ; im Zuge des Celtic Revival wurden die Traveller neben den Peasants, allen voran von Synge, zu Protagonist:innen einer wahren Irishness erklärt, siehe dazu Burke 2009  ; Yeats knüpfte bildlich an diese Diskurse an. Als weitere Bedeutungsebene kommt hinzu, dass ehemalige Guerillakämpfer des Irischen Unabhängigkeitskrieges, wie der Schriftsteller Seán Ó Faoláin, ihr Dasein als das eines »wandering tramp« beschrieben. Ó Faoláin zitiert nach Cusack 1998, S. 209. Auch diese politische Dimension ist bei Yeats’ Motiv des Travellers mitzudenken  ; zum Zirkusthema siehe Ausst.-Kat. Dublin 2007. 599 Jack B. Yeats, In Memory of Boucicault and Bianconi, 1937, Öl auf Leinwand, 61 × 92 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

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Vordergrund des im County Sligo gelegenen Glencar Waterfall neben einem Bianconi Longcar versammelt hat. Erst der Titel des Werkes klärt über dessen genauen Kontext auf  : Hierüber wird auf den Unternehmer Charles Bianconi (1786 – 1875), der mit seinen landesweit eingesetzten Pferdekutschen als Begründer des öffentlichen irischen Transportsystems gilt, ebenso verwiesen wie auf den Dramatiker und Impresario Dion Boucicault (1820 – 90), dessen Schaffen durch die anwesenden Mimen verkörpert wird.600 Aus der Zusammenführung der diversen Motive vor einer sagenumwobenen Kulisse darf geschlossen werden, dass sich der inzwischen sechsundsechzigjährige Yeats in A Race in Hy Brazil einer mnestischen Herangehensweise bediente, die auch für sein weiteres Alterswerk paradigmatisch ist. Hierzu passt, dass sich der Künstler in dem Werk vermutlich selbst an prominenter Stelle inszeniert hat, auch wenn die betreffende Gestalt inmitten des bunten Treibens zunächst kaum ins Auge sticht. So sitzt im unmittelbaren Bildzentrum eine Gestalt auf dem Boden, die – im Gegensatz zum übrigen Publikum – keinen Blick für das sich ankündigende Geschehen hat. Stattdessen schaut der hagere Mann, der sich durch einen hohen Haaransatz auszeichnet, nach unten auf ein aufgeschlagenes Buch in seinem Schoß. Das Aussehen der Rückenfigur legt – ebenso wie der Vergleich mit dem später entstandenen Gemälde The Novelist – nahe, dass sich Yeats an dieser Stelle selbst in die Komposition eingeschrieben hat, um sich als geistigen Schöpfer des Fantasiegebildes darzustellen, der sich, umgeben von seinen Kreationen, seinen Erinnerungen hingibt. Die selbstreflexive Szene wird durch die Wiedergabe des offenen Meeres am H ­ orizont ergänzt. Neben dem Sujet des Rennens werden wir hierdurch auf Yeats’ Kindheits- und Jugendsphäre sowie, der Sage entsprechend, allgemein auf den irischen Westen verwiesen. In diesem Zusammenhang nimmt die postkoloniale Retrospektion auch auf die Aufbruchsstimmung des Celtic Revival Bezug, deuteten die Anhänger:innen der Bewegung den Westen doch in einem übergeordneten Sinne als Symbol des Paradieses.601 So hatte etwa W. B. Yeats in seinem 1893 veröffentlichten Band The Celtic Twilight Hy Brazil im Kapitel Drumcliff and Rosses als heimische Erweckung der Fischer beschrieben  : Some few seasons ago a fisherman saw, far on the horizon, renowned Hy Brazel, where he who touches shall find no more labour or care, nor cynic laughter, but shall go 600 Für Yeats waren beide Personen eng mit Irland und mit seiner eigenen Biografie verbunden. 1940 schrieb er in einem Brief an John C. Miles, in dem er das Gemälde erläuterte  : »You remember about The Coleen Bawn Arragh na pogue [sic] and The Shaughraun. Bianconi was an Italian who came to Ireland as a boy and became rich with the ownership of the Bianconi Longcars. The Shaughraun was the second play I ever saw and a Bianconi the first vehicle in the nature of a coach I ever rode in«, Brief Jack B. Yeats an John C. Miles, 14. Dezember 1940, Yeats Archive, zitiert nach McFeely 2012, S. 1  ; Longcars als Fortbewegungsmittel im Westen Irlands tauchen vor allem in Yeats’ grafischem Frühwerk wiederholt auf. 601 Vgl. Scott 2005.

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walking about under shadiest boscage, and enjoy the conversation of Cuchullin and his heroes. A vision of Hy Brazel forebodes national troubles.602

Die von W. B. Yeats angeführten »national troubles«, die derartige Sehnsuchtsorte im Kontext nationaler Emanzipationsversuche evozierten, lagen für dessen Bruder Jack 1937, im inzwischen unabhängigen Irland, bereits in der Vergangenheit. Allerdings referenziert das Sujet die ehemals geäußerten Heilsversprechen sowie die daran geknüpften Erwartungen für die Zukunft des Landes und transponiert sie unter veränderten Vorzeichen in die Gegenwart. Dabei stellt sich die Frage, was Jack B. Yeats mit der visuellen Rede vom Mythos auszudrücken versuchte und wie er diese an das moderne Irland koppelte. Auskunft hierüber kann möglicherweise eine Passage aus seinem gleichfalls 1937 entstandenen Roman The Charmed Life geben, in dem Yeats das Thema ebenso aufgriff. In dem Text kommt ein Hotelbesitzer zu Wort, der Tanzveranstaltungen nach amerikanischem Vorbild ausrichtet und die gelöste Stimmung in den Dance Halls mit jener auf Hy Brazil vergleicht  : Perhaps when the heroes, and heroines, of old walked about the land just as they liked, and you were as likely as the night was long to have wafted on you a flock of bright, tall, men and women from Hybrazil, for a dip and a dive on earth a while. Just to make ­Hybrazil blaze sweeter and also to do a dance hall a good turn. And there is no manner of doubt they’d bring their own fiddlers with them to rest the old earth ones.603

Hy Brazil wird hier als freiheitlicher Ort beschrieben, wo alle ein ungezwungenes Dasein führen. Vor dem Hintergrund, dass im katholisch geprägten Irland Tanzveranstaltungen jedweder Art seit 1935 untersagt waren,604 klingt die Schilderung in The Charmed Life wie ein Abgesang auf die erloschenen Ideale einer vormals liberalen Gesellschaft. Ein ähnlicher Impetus lässt sich auch für A Race in Hy Brazil vermuten. Zwar sind in dem Bild keine Tanzpaare dargestellt, dennoch handelt es sich um die Schilderung einer fröhlichen Zusammenkunft. Dass die Komposition des Festzuges vor idyllischer Kulisse, wie bereits Pyle nachvollziehbar dargelegt hat, Parallelen zu Antoine Watteaus Kythera-Bildern aufweist,605 untermauert die Idee der ausgelassenen Stimmung (vgl. Abb. 86 und 87). Bezüglich der Themen und der Malweise hatte Beckett 1937 gegenüber MacGreevy geäußert  : »He [Yeats, Verf.] grows Watteauer and Watteauer.«606 Was 602 Yeats 1893, S. 144. 603 Yeats 1974a, S. 91. Die Erstauflage von The Charmed Life erschien 1938. 604 Vgl. Kennedy 2018, S. 115 sowie Ó hAllmhuráin 2005. 1935 wurde vom Freistaat der Dance Halls Act verhängt. 605 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 503, S. 462. 606 Beckett zitiert in MacGreevy 1945, S. 14 f. Der erste Teil von MacGreevys Text, in dem Becketts Watteau-Zitat vermerkt ist, wurde bereits 1938 fertiggestellt, sodass der Kommentar des Drama-

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der Dramatiker damit trotz aller vordergründigen Gegensätzlichkeit gemeint haben könnte, wird aus einem weiteren Brief an MacGreevy deutlich, in dem Beckett seine »chance remark […] about the Watteauishness«607 nochmals erläuterte  : What I feel he [Yeats, Verf.] gets so well, dispassionately, not tragically like Watteau, is the heterogeneity of nature & the human denizens, the unalterable alienness of the 2 phenomena, the 2 solitudes, or the solitude & the loneliness, the loneliness in solitude, the impassable immensity between the solitude that cannot quicken to loneliness & the loneliness that cannot lapse into solitude. […] God knows it doesn’t take much sensitiveness to feel that in Ireland, a nature almost as inhumanly inorganic as a stage set. And perhaps that is the final quale of Jack Yeats’s painting, a sense of the ultimate inorganism of everything. Watteau stressed it with busts & urns, his people are mineral in the end.608

Beckett referierte in seinem Brief auf das chthonische Element in Watteaus Arbeiten, das in rocailleartigen Formationen sowie zu Stein gewordenen Figuren zur Geltung komme.609 Darüber hinaus betonte er den künstlichen Charakter, der der Welt des Theaters entstamme, einer Welt, der auch Watteau stark verhaftet war.610 All diese Überlegungen übertrug Beckett, der, wie aus Yeats’ Briefen an MacGreevy hervorgeht, den Maler in dieser Zeit häufig besuchte,611 letztlich auf Yeats’ Gemälde sowie auf die darin erfasste ›irische‹ Natur, woraus er schloss, dass auch seine Bilder »petrified«612 seien. Obwohl in der Einschätzung des Yeats’schen Werkes Becketts eigene Perspektive durchklingt, die von der Vereinzelung und Entfremdung der Menschen ausging und tikers um 1937 zu datieren ist. Dies geht auch daraus hervor, dass sich Beckett in seinem Brief vom 14. August 1937 an Cissie Sinclair bereits auf MacGreevys Verarbeitung seiner »chance remark« bezieht. – Vgl. Brief Beckett an Cissie Sinclair, 14. August 1937, in  : Beckett 2009, S. 535  : »I had a letter from Tom by the same post as yours. He is writing about Jack Yeats, inspired apparently by some Constable exhibition & a chance remark of mine about the Watteauishness of what he has been doing lately.« 607 Brief Beckett an Cissie Sinclair, 14. August 1937, in  : Beckett 2009, S. 535. 608 Brief Beckett an MacGreevy, 14. August 1937, in  : Beckett 2009, S. 540. Es ist interessant, dass Beckett, der Yeats sehr verehrte, auch den Maler selbst als »rather inhuman« beschrieb und sich in dieser Zeit davor scheute, ihn zu besuchen, siehe Brief Beckett an Cissie Sinclair, 14. August 1937, in  : Beckett 2009, S. 535 f. 609 Zur Rocaille siehe Bauer 1962, S. 3 – 10. Bauer untersucht die Rocaille als Ornament des Rokoko. Das Ornament greift ihm zufolge in dieser Epoche auf alles über und wird gegenständlich. Die Muschel ist dabei als der ornamentale Ursprung zu verstehen, aus dem die zu gestaltenden Welten entspringen. 610 Zu Watteau und dem Theater siehe Boerlin-Brodbeck 1973. 611 Vgl. Briefe Jack B. Yeats an MacGreevy, in denen er von Becketts Besuchen berichtet. Am 20. April 1937  : »[…] Sam Beckett who called here last Saturday.«  ; am 9. August 1937  : »I see Sam Beckett now and then. I think he is more cheerful than he used to be«, beide unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/143 und MS 10381/144. 612 Brief Beckett an MacGreevy, 14. August 1937, in  : Beckett 2009, S. 540.

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Abb. 87 Antoine Watteau, Der Pilgerzug zur Insel Kythera, 1717, Öl auf Leinwand, 129 × 194 cm, Paris, Musée du Louvre.

die in Theaterstücken wie Warten auf Godot (1952) oder Endspiel (1956) zum Ausdruck kommt, ist der Gedanke des Anorganischen durchaus nachvollziehbar. So ähnelt etwa die Fahnenträgerin im rechten Vordergrund einer Herme, wie sie auch in Watteaus 1717 entstandenem Pilgerzug zur Insel Kythera in Gestalt des Venuspfeilers zu finden ist. Ähnlich der Liebesgöttin, die die Geschicke auf der griechischen Insel Kythera lenkt, scheint Yeats’ bekrönte Figur das Geschehen auf Hy Brazil zu überwachen. In Analogie zu den literarischen Arbeiten aus jener Zeit – etwa dem Debütroman Sligo, der der Göttin Venus gewidmet ist, oder The Charmed Life, wo junge Frauen und Männer auf Hy Brazil zusammenkommen – liegt es nahe, die Liebesthematik auch für A Race in Hy Brazil anzunehmen.613 Hierzu passen die im Hintergrund des Bildes an der Küste entlangpromenierenden Paare, ein Motiv, das ähnlich in Watteaus Pilgerzug auszumachen ist, der im nächsten Augenblick auf dem goldenen Prunkschiff nach Kythera übersetzen wird.614 Zusätzlich ist auch das Schiffselement in Yeats’ Gemälde präsent und verweist deutlich auf die Reise zu der fernab von gesellschaftlichen Restriktionen gelegenen Insel. Watteaus fête galante wird von dem irischen Maler folglich in einen 613 Vgl. Yeats 1930, S. 5  : »To Venus. I leave it to you Mam«  ; Yeats 1974a, S. 91. 614 Zu Watteaus ingesamt drei Kythera-Bildern, mit denen er das Genre der fêtes galantes begründete (Die Insel Kythera, um 1709  ; Pilgerzug zur Insel Kythera, 1717 und Die Einschiffung nach Kythera, um 1719). – Vgl. Börsch-Supan 2000, S. 64 – 75.

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irischen Festzusammenhang transponiert, wodurch die Figuren wie aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen und, wie Beckett es formulierte, »petrified« und »still«615 wirken. Bezeichnenderweise taucht die Idee der Überzeitlichkeit auch in Yeats’ 1944 entstandenem Roman And to You Also wieder auf. Als Teil einer assoziativen, sich über mehrere Seiten erstreckenden Aufzählung fällt dort zunächst der Name Watteau.616 In der Folge findet sich die Beschreibung einer Gruppe, die durch den Dubliner Park St. Stephen’s Green flaniert  : […] we are strolling gently in a blue, grey, and green pleasure ground, woody, in the middle of a city. High houses all round the edges. We have, a few paces from us, pacing in time to our thoughts, and they are weaving about in a Malton print, a couple, an old blade, gay but droopy. While leaning on his arm is a stately young woman still in the mind of the Eighteenth Century.617

In Verbindung mit der expliziten Erwähnung des französischen Meisters rekurrierte Yeats mit der festlich gekleideten »woman […] of the Eighteenth Century« erkennbar auf Watteaus Bildwelt, wobei insbesondere das Thema der Gesellschaft im Freien, das in der Folge von Künstler:innen wie Manet herangezogen wurde, als prägend für die Malerei der Moderne bezeichnet werden muss.618 Yeats selbst lieferte mit dem 1949 entstandenen Gemälde Sunday Evening in September selbst eine visuelle Verarbeitung der im Roman beschriebenen Szene.619 Inmitten einer von Grün- und Blautönen dominierten Parkszenerie ist dort eine auffällig blasse Protagonistin dargestellt, deren entrückter Blick andeutet, dass sie aus einer fernen Welt kommt. Die Frau wirkt dadurch geradezu geisterhaft respektive »petrified«. In Anbetracht des zeitübergreifenden Gefüges von A Race in Hy Brazil lässt sich resümieren, dass es Yeats in der Tat beabsichtigte, dem flüchtigen »Nicht-Ort« seiner Zeit einen auf Dauer angelegten »Ort« entgegenzusetzen oder, wie Gerd Blum es für Manet formulierte, »das »Ewige« aus dem Transitorischen und Modischen zu extrahieren.«620 Die formale sowie inhaltliche Manifestation einer unabhängigen Gesellschaft, die der Künstler mittels seines expressiven Duktus sowie seiner mäandernden Bildstruktur umsetzte, ist als Wunschvorstellung einer zwischen Tradition und Moderne angesiedelten Kultur zu verstehen, die frei von Beschränkungen und Zensur sein soll. Mit der Visualisierung des bekannten Mythos lieferte er einen identifikativen Gegenentwurf zum erstarrten politischen System, dessen strenge Vorgaben restriktiv in 615 Brief Beckett an MacGreevy, 14. August 1937, in  : Beckett 2009, S. 540. 616 Vgl. Yeats 1974b, S. 132. 617 Yeats 1974b, S. 135 f. 618 Vgl. dazu etwa Blum 2001. Er untersucht anhand Manets Gemälde Déjeuner sur l’herbe (1863) die darin verhandelten Paraphrasen der Kunstgeschichte, die von Giorgione bis Watteau reichen. 619 Jack B. Yeats, Sunday Evening in September, 1949, Öl auf Pappe, 35,5 × 46 cm, Privatbesitz. 620 Blum 2001, S. 211.

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viele Lebensbereiche, darunter auch in den des Kunstschaffens eingriffen.621 Dass Yeats’ bildlich ausgedrückte Sehnsucht nicht als naive Vorstellung eines alternden Künstlers abgetan werden kann, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Hy Brazil im 20. Jahrhundert längst als Trugbild und somit realiter unerreichbares Eiland galt. Ungeachtet dessen überließ er es dem Publikum, sich dennoch auf die Suche zu begeben nach einem liberalen Irland und eröffnete mittels dieses subversiven Vorgehens alternative Projektionsräume. Letztendlich verhielt es sich mit der fernab liegenden Insel ähnlich wie mit dem 1936 von Yeats gemalten In Tír na n-Óg.622 Das Bild ist dem Land der ewigen Jugend gewidmet und wurde aufgrund seiner allegorischen Grundstimmung als Pendant zu A Race in Hy Brazil interpretiert.623 Mit der Darstellung des in einer bukolischen Szenerie ruhenden Jünglings hatte Yeats nicht nur die Jugend, sondern metaphorisch auch ein Land beschworen, dem alle Möglichkeiten und Wünsche offenstehen. 1956, ein Jahr vor seinem Tod, schrieb der Maler in Erinnerung an das Werk bezeichnenderweise  : »Tir na nOg seems at times very far below the horizon of my memory at other times, for a little, only just round the corner.«624 Denkt man beide Gemälde sowie deren inhärente Konzeption vom nationalen Imaginären gemeinsam, dann könnte auch Hy Brazil für die Rezipient:innen »only just round the corner« liegen.

621 Vgl. Kennedy 2018, S. 117 – 119. 622 Jack B Yeats, In Tír na n-Óg, 1936, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz. 623 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 503, S. 461. 624 Zitat aus einem bisher von der Yeats-Forschung nicht registrierten Brief von Jack B. Yeats an Shotaro Oshima, 26. Januar 1956, abgedruckt in Oshima 1965b, S. 27  ; dass Yeats mit Oshima in Kontakt blieb, geht aus einer unpublizierten Weihnachtskarte Oshimas Ende 1956 hervor, die Yeats seinem auf der Karte vermerkten Eintrag »answered« zufolge auch beantwortet hatte. – Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/6/4/7.

5. Inszenierungsstrategien  : Künstler und Kritiker Wie die vorangegangenen Analysen verdeutlicht haben, wurde die Lesart des Yeats’schen Œuvres stets stark von einer national kodierten Rezeption seines Schaffens und seiner Person bestimmt. Während sich landestypische Interpretationen zunächst hauptsächlich auf die Presse beschränkt hatten, wurde das Bild des Künstlers ab den 1940er Jahren schließlich entscheidend durch erste grundlegende Texte geprägt. Neben der 1945 veröffentlichten Monografie Thomas MacGreevys zählt hierzu auch der Ausstellungskatalog zu der im selben Jahr ausgerichteten National Loan Exhibition, für den Ernie O’Malley eine Einführung lieferte.1 Um zu verstehen, welche spezifischen Mechanismen für die Stilisierung des nationalen Künstlertypus angewandt wurden, sollen im Folgenden die einschlägigen Inszenierungsstrategien nachgezeichnet und diskursanalytisch erörtert werden. Zu diesem Zweck ist es notwendig, den Fokus sowohl auf die nationale als auch auf die internatio­ nale Vermarktung des Malers zu richten. Ein besonderer Schwerpunkt soll vor allem auf der postumen Präsentation im Rahmen der Venedig-Biennale im Jahr 1962 liegen. Zu fragen ist überdies, ob für die unterschiedlichen Kontexte der Präsentationen jeweils eigene Narrative zu konstatieren sind. Bezogen auf die Außendarstellung soll auch die Rolle des Künstlers in den Blick genommen werden, die innerhalb der Forschung bisher kaum untersucht worden ist. Immerhin stand Yeats in engem Kontakt mit MacGreevy und nahm, wie meine Recherchen im Dubliner MacGreevy-Archive ergeben haben, nachweislich Einfluss auf die eigene Künstlererzählung.2 Mit der Zielsetzung, ein möglichst umfassendes Bild der Inszenierung zu liefern, muss zudem die von der nationalen Interpretation abweichende Position Becketts erörtert werden, propagierte der Dramatiker doch Yeats’ universales Künstlertum.3 In Anlehnung an Martin Warnkes Feststellung, dass »nicht der Künstlertypus […] das problematische oder erklärungsbedürftige Phänomen« ist, »sondern die Gesellschaft, die ihn offenbar nötig hat,«4 soll schließlich die übergeordnete Absicht derartiger Konstruktionsversuche sowie deren Nachwirkung erforscht werden.

1 Vgl. MacGreevy 1945 und Ausst.-Kat. Dublin 1945. 2 In der Literatur wurde die Zusammenarbeit bis dato nicht beleuchtet. Lediglich die MacGreevyArchivarin Susan Schreibman setzte sich mit der Entstehung der Monografie auseinander, wobei sie auch Yeats’ Rolle beleuchtete, allerdings ohne konkret auf inszenatorische Aspekte einzugehen. – Vgl. Schreibman/Tobey 2003a. 3 Vgl. Beckett 1954. 4 Warnke 2004, S. 41. Warnke beschrieb das Phänomen der Künstlerlegende am Beispiel von Salvador Dalí.

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5.1 Die Einflussnahme des Künstlers auf den Kunsthistoriker am Beispiel der Yeats-Monografie von Thomas MacGreevy, 1945 »An Irishman writing about an Irish artist.«5

In den 1940er Jahren erfuhren Yeats’ Arbeiten eine neue Aufmerksamkeit, und seine Gemälde standen plötzlich hoch im Kurs. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass in sämtlichen Ausstellungen, vor allem in denen der Galerie von Victor Waddington, der seit 1943 als hauptsächlicher Kunsthändler von Yeats agierte,6 viele Werke, auch die vergleichsweise teuren, in kurzer Zeit verkauft wurden, eine Tendenz, die sich in den darauffolgenden Jahren fortsetzen sollte. Irische Zeitungen berichteten mit großer Emphase von dem Bewusstseinswandel, der Yeats, nach seinem Erfolg im Ausland, nun auch endlich in seiner Heimat die ge­ bührende Anerkennung beschert habe. Demgemäß schrieb der Sunday Independent  : »[…] the public taste has gradually developed until it now appreciates Yeats for the master that he is«7, während die Irish Times einschätzte  : A prophet is not without honour save in his own country, and for years Jack Yeats’s work has been appreciated in Great Britain and the United States. But not in Ireland, or, at all events, to no substantial extent. He was regarded as an artistic faddist, and if anybody had told him ten years ago that he would have sold nearly £3,000 worth of paintings at a single show – most of them, indeed in a single day – he probably would have treated his informant as a harmless – and, possibly, not so very harmless – lunatic  !8

Eine Karikatur des Dublin Opinion, der zuvor stets ablehnend auf Yeats’ moderne Malweise reagiert hatte, hob 1945 zudem anerkennend den extrem gestiegenen Marktwert der Arbeiten hervor. In der humoristischen Szene spekulieren zwei Kunstsammler über den Wert ihrer eigenen Gemälde und kommen zu dem Schluss, zukünftig vorzugsweise in Yeats’ Werke zu investieren  : »Sometimes, as I said to Halligan of Paper F ­ asteners Ltd., I feel like sellin’ five or six o’ them an’ buyin’ one Yeat [sic].«9

5 MacGreevy 1945, S. 3. 6 Yeats stellte 1943 zum ersten Mal in Waddingtons Dubliner Galerie aus, die dieser 1925 in Dublin etabliert hatte. Danach folgten in regelmäßigen Abständen weitere Ausstellungen (1945, 1946, 1947, 1949, 1951, 1953, 1955). Waddington verlagerte seine Galerie 1957 nach London in die Cork Street und eröffnete seine Räume dort im Frühjahr 1958 mit einer Einzelschau des Künstlers. Zur engen Zusammenarbeit von Waddington und Yeats siehe Ausst.-Kat. Dublin 2004  ; zu Waddingtons Galeriegründung siehe Kennedy 1991b, S. 149. 7 Sunday Independent  : Rush for Paintings by Jack B. Yeats, 4. März 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 8 Irish Times, 10. März 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 9 Dublin Opinion, April 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4.

Die Einflussnahme des Künstlers auf den Kunsthistoriker | 313

Als ursächlich für den späten und unerwarteten Ruhm kann dabei zunächst der Wandel des politischen Klimas in Irland angeführt werden. Konkret dürften aber auch die umfassende, 1945 im Dubliner National College of Art veranstaltete National Loan Exhi­ bition sowie MacGreevys im selben Jahr erschienene Monografie Jack B. Yeats. An Appre­ ciation and an Interpretation die Wahrnehmung des Künstlers positiv beeinflusst haben.10 Beide Ereignisse wurden von der Presse gemeinsam reflektiert, wobei man das Buch als gelungene Ergänzung der Ausstellung besprach,11 die Yeats gleichfalls als Hauptvertreter der irischen Kunst ins Licht stellte. So meinte O’Malley, der Yeats seit 1937 persönlich kannte und förderte,12 in seiner Einleitung zum Begleitkatalog, dass die Arbeiten des Künstlers die Entwicklung des jungen Landes auf geeignete Weise spiegeln würden  : The New Ireland, still fluid politically and socially, has found in Jack Yeats a painter of major rank, whose vision is used to make us aware of inherent characteristics, psychological directives and eternal verities.13

Die gegenseitige Bezugnahme von Monografie und Ausstellung war durchaus beabsichtigt, sorgte doch Victor Waddington mit seiner Unterstützung dafür, dass MacGreevys Buch parallel zur prestigeträchtigen National Loan Exhibition erscheinen konnte. Die bereits 1938 fertiggestellte Monografie, die ursprünglich in England erscheinen sollte, hatten mehrere Verlage abgelehnt, bevor sie auf Vorschlag des Galeristen schließlich von der Dubliner Three Candles Press verlegt wurde, wo sie als Victor Waddington Publication erschien.14 Ganz allgemein darf die Rolle Waddingtons nicht unterschätzt werden, befeuerten seine Expertise doch ebenso wie seine Kontakte zu wichtigen Käufer:innen entscheidend die Verkaufszahlen. Diesem Umstand Rechnung tragend, wurden MacGreevy und Yeats nach 1945 oft gemeinsam bei Vernissagen in dessen Galerie abgelichtet und so, trotz der bildlichen Abwesenheit des Kunsthändlers, als Dreigestirn inszeniert.15 Bei der Bewertung der Gründe für den plötzlichen Erfolg ist die Bedeutung des Künstlers bisher kaum näher untersucht worden. Dabei zeigt der unpublizierte, in der 10 Zur Ausstellung siehe Ausst.-Kat. Dublin 1945  ; zu MacGreevys Monografie siehe MacGreevy 1945. 11 Vgl. Sunday Independent  : Book on Jack B. Yeats, 29. Juli 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 12 Vgl. O’Malley/Allen 2011, S. 134  ; 1939 kaufte er das erste Gemälde direkt in Yeats’ Atelier. – Vgl. Brief O’Malley an MacGreevy, 1. Mai 1939, abgedruckt in O’Malley/Allen 2011, S. 165  ; zu O’Malley und Yeats, die sich viel über Kunst austauschten, siehe etwa Allen 2009, S. 136 – 166 und Cosgrove 2005. 13 O’Malley 1945, S. 16  ; O’Malley war zugleich Mitglied des Ausstellungskomitees. Seine Aufzeichnungen belegen, dass er sich für die Einleitung intensiv mit allen eingereichten Arbeiten befasst hatte, indem er ausführliche Bildbeschreibungen anfertigte. Die unpublizierten Notizen befinden sich in der Tamiment Library, O’Malley, Box 9, Ordner 16. 14 Vgl. MacGreevy 1945, S. 4. 15 So etwa in Irish Press  : Power of Expression Revealed by Yeats, 7. Oktober 1949, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4.

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Manuscripts and Archives Research Library des Trinity College Dublin aufbewahrte Briefwechsel zwischen MacGreevy und Yeats, dass sich der Künstler selbst aktiv an seiner Vermarktung beteiligte. So ging etwa die einschlägige Monografie auf seine Initiative zurück. Wie aus einem der Briefe hervorgeht, trat Yeats im April 1936 an ­MacGreevy mit der Bitte heran, ein Buch über seine Arbeiten zu verfassen und zugleich über einen geeigneten britischen Verleger nachzudenken, »especially one who would produce some cash«.16 Er erwähnte weiterhin, dass der Zeitpunkt für die Suche nach einem Verlag günstig sei, da er sich in den letzten Jahren neben seiner malerischen Tätigkeit auch als Schriftsteller einen Namen gemacht habe.17 Die Tatsache, dass Yeats’ Wahl für ein solches Buchprojekt auf MacGreevy fiel, der umgehend zusagte,18 ist wenig verwunderlich. Schließlich hatte der Kunsthistoriker, mit dem Yeats seit 1919 bekannt war,19 zu diesem Zeitpunkt bereits einige Texte zu dem Künstler verfasst. Neben dem 1922 erschienenen Aufsatz The Painting in Mo­ dern Ireland zählten hierzu – wie aus dem Archivmaterial hervorgeht – mehrere unpublizierte Schriften, die Yeats teilweise kannte oder sogar ebenfalls initiiert hatte. Darunter befindet sich ein zwischen 1926 und 1931 zu datierender Aufsatz, dessen erste Fassung zunächst für eine Londoner Ausstellung entstanden war.20 Nachdem der Text nicht zur Veröffentlichung gelangt war, bat Yeats 1931 erneut darum, die bereits verfassten Zeilen anlässlich seiner im Frühjahr 1932 in der New Yorker Ferargil Gallery geplanten Exposition als Begleitpublikation vorzulegen.21 MacGreevy reichte das Typoskript daraufhin mit der Überschrift The Art of Jack B. Yeats bei der Literaturagentur Pinker in London zur transatlantischen Weitergabe ein,22 jedoch 16 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 29. April 1929, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/133. 17 Vgl. Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 29. April 1929, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/133. 18 Vgl. Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 7. Mai 1936, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/134. 19 Vgl. MacGreevy  : Speech at the Opening of the Jack B. Yeats Biennale Exhibition when Transferred to the Municipal Gallery Dublin 1962, unpubliziertes, vierseitiges Typoskript, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 7999/5, S. 1. 20 Yeats war mit der Bitte für den Aufsatz 1926 an MacGreevy herangetreten. – Vgl. Schreibman/ Tobey 2003a. Der Text selbst, der sich als Typoskript in den Thomas MacGreevy papers befindet, ist nicht datiert, lässt sich zeitlich jedoch durch die benannten Umstände eingrenzen. – Vgl. ­MacGreevy  : The Art of Jack B. Yeats, unpubliziertes, dreiseitiges Typoskript, undatiert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 7999/2. In den MacGreevy papers befinden sich weitere sieben unpublizierte Manu- und Typoskriptvorlagen zu Jack B. Yeats, die zwischen 1926 und 1962 für Reden, Aufsätze oder Nachrufe angefertigt wurden. 21 Vgl. Schreibman/Tobey 2003a. Schreibman und Tobey führen hier die Ferargil Galleries fälschlicherweise als »Ferragail Galleries« auf. 22 Vgl. MacGreevy  : The Art of Jack B. Yeats, unpubliziertes, dreiseitiges Typoskript, undatiert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 7999/2. Der Text ist an folgende Adresse adressiert  : »c/o J. Ralph Pinker, Esc., Talbot House, Arundel St., London, England«, also an die in London und New York angesiedelte Literaturagentur Pinker.

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verlief auch dieser Versuch im Sande, nachdem sich in den USA keine interessierte Kunstzeitschrift gefunden hatte.23 Dass Yeats durchaus noch weitere Pläne für MacGreevys Text hatte, geht aus einer bisher nicht registrierten deutschen Übersetzung hervor, die sich als Typoskript in Yeats’ Unterlagen erhalten hat. Diese zielte offenbar darauf ab, den Künstler auch im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Der Aufsatz mit dem Titel Jack B. Yeats. Der representative Maler Irlands, der an »Mrs. S. O’Brien« übermittelt und im Jahr 1929 im Rahmen »der gegenwärtigen Kollektivausstellung des Künstlers in London« gedruckt werden sollte, stellt eine modifizierte, um historische Fakten ergänzte Fassung von MacGreevys Vorlage dar.24 Darin wird Yeats einer deutschen Leserschaft unter Verweis auf »dynamische« Künstler wie Goya und Picasso als »[…] der erste Maler Irlands, der sein Land in die Geschichte der Kunst einführt«25, vorgestellt. Doch auch diese Fassung wurde am Ende nicht publiziert. Die Niederlagen sowie die Unzufriedenheit über die mangelnde Anerkennung in der Öffentlichkeit veranlassten Yeats im März 1936 dazu, den gesammelten Negativkritiken ein aufbauendes Seneca-Zitat beizufügen. Neben den abgehefteten Zeitungsausschnitten findet sich dort unter der Notiz »Seneca, given me by James Bone, March 30th 1936« der Kalenderspruch  : It is nothing for a man to hold up his head in a calm  ; but to maintain his post when all others have quitted their ground, and there to stand upright, where all other men are beaten down – this is divine and praise-worthy.26

Darüber hinaus führten die anhaltenden Fehlschläge offenbar zu dem Entschluss, den von ihm ersehnten Erfolg selbst in die Hand zu nehmen, wobei er das eigene Renommee mittels des Projektes einer umfassenden Monografie positiv beeinflussen wollte. Es überrascht daher nicht, dass Yeats gegenüber MacGreeevy klare Vorstellungen hinsichtlich des Aufbaus und Inhaltes des Buches äußerte, das als informatives und reich

23 Vgl. Schreibman/Tobey 2003a  ; zur Ausstellung in den Ferargil Galleries siehe etwa Jewell 1932a sowie Kap. 6.2.3. 24 Das vierseitige, unpublizierte Typoskript ist mit dem Vermerk zum Übersetzer »[…] 1929 written by a journalist« versehen und abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 25 Jack B. Yeats. Der representative Maler Irlands, unpubliziert, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/2, S. 1  ; im englischsprachigen Original heißt es  : »If Jack Yeats does, as I think he does, introduce something new into the history of oil painting, he is the first Irishman to do it«, MacGreevy  : The Art of Jack B. Yeats, unpubliziertes, dreiseitiges Typoskript, undatiert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 7999/2, S. 1. 26 ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/3. Yeats dürfte etwa die Einschätzung der Times als desillusionierend empfunden haben  : »[…] a great deal might be said […] against the paintings by Mr. Jack B. Yeats […]«, The Times, 14. März 1936, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/3.

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bebildertes Coffee Table Book daherkommen sollte. Seine Überlegungen formulierte er am 29. April 1936 in einem Brief an den potenziellen Autor  : I have plenty of early water colours and oils and a thick book full could be got together without touching at all on illustration work or line drawing. You would not want to write panorama showman descriptions of my paintings nor personal notes about the hats I wore. But just your own ideas associated, […], with everything brought about by a brush on paper or canvas. And that is what I would like.27

Der Fokus sollte folglich weniger auf ikonografischen Analysen seiner Werke liegen, sondern vielmehr darauf, die Bilder durch literarische Impressionen adäquat zu vermitteln. Dass Yeats in dieser Deutlichkeit für Reproduktionen warb, ist dabei äußerst bemerkenswert, hatte er sich doch noch 1931 hinsichtlich einer möglichen Monografie entschieden gegen eine Bebilderung ausgesprochen  : »I would delight to see a book written all about my painting without a single reproduction of a picture. I hate reproductions […].«28 Diese Haltung vertrat der Künstler bereits seit 1925, als er der Tate Gallery Repro­ duktionen seiner Gemälde verweigerte und die Entscheidung damit begründete, dass die Kopien einen verfälschenden Eindruck beim Publikum hinterlassen würden.29 Aufgrund dieser Überzeugung und Yeats’ späterer Verfügung, auch nach seinem Tod keine Fotografien seiner Werke zu verbreiten, hat die Literatur stets dessen Skepsis gegenüber Abbildungen in den Vordergrund gerückt und an den attestierten Ruf der Zurückgezogenheit sowie der Bescheidenheit des Malers gekoppelt.30 Die diesem Eindruck widersprechende Abbildungseuphorie, die der Künstler dem ab 1936 entstehenden Buchprojekt entgegenbrachte, hat man dagegen überwiegend ausgeblendet.31 Diese konsequente Negation ist insofern irritierend, als Yeats über Jahre hinweg an dem Vorschlag einer umfangreich bebilderten Monografie festhielt. So brachte er wiederholt den Wunsch nach einer mit farbigen Illustrationen versehenen Publikation vor und sprach in einem Brief an MacGreevy vom 13. Mai 1936 sogar von »reproductions of about 30 watercolours, about 20 middle period oils, and about 100 of the later ones.«32 27 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 29. April 1936, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/133. 28 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, zitiert nach Schreibman/Tobey 2003a, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 8105/17. 29 Vgl. Pyle 1989, S. 123. 30 Vgl. Arnold 1998a, S. 231 – 233  ; Pyle 1989, S. 123  ; vor allem Anne Yeats. Sie führt die Ablehnung von Farbreproduktionen zusammen mit dem »secret way in which he lived out his long career as an artist« auf, Yeats 1972, S. 2. 31 Lediglich Schreibman/Tobey 2003a haben auf den Wunsch der Abbildungen des Malers hingewiesen, was von der folgenden Forschung allerdings nicht weiter zur Kenntnis genommen wurde. 32 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 13. Mai 1936, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/135.

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Darüber hinaus lieferte er dem Kritiker 1938 konkrete visuelle Eindrücke für das Layout des Buches, das eine durchgehende Gegenüberstellung von Bild und Text vorsah.33 Dass die realisierte Version der Monografie mit 20 Schwarz-Weiß-Abbildungen letztlich um einiges bescheidener ausfiel, ist allein dem Umstand der fehlenden finanziellen Mittel zuzuschreiben. Doch nicht nur Yeats’ klare Vorstellungen zum Aussehen des Buches, sondern auch seine spezifischen inhaltlichen Vorgaben, seine Korrekturen und sonstigen Anweisungen an MacGreevy stehen dem in der Literatur entworfenen Bild des isolierten und einfachen Künstlers entgegen. Vielmehr begegnen wir Yeats in den Briefen als einem Maler mit ausgeprägtem Geschäftssinn und einem deutlichen Gespür für seine Künstlerpersönlichkeit. Immer wieder erteilte er dem Kunsthistoriker den Auftrag, sich an bestimmte britische Verleger zu wenden oder sich ein für die Publikation wirksames Netzwerk aufzubauen,34 etwa durch den Eintritt in die Society of Authors.35 Unterdessen kontaktierte auch Yeats selbst immer wieder diverse Verleger und hoffte zeitweise sogar, dank seiner Kontakte nach New York City, auf eine Veröffentlichung in den USA,36 was den Impetus unterstreicht, als nationaler Künstler auf internationaler Ebene Anerkennung zu finden. Erst ab 1941 zog er zudem irische Verlagshäuser in Betracht,37 ein Kurswechsel, der sich bezahlt machen sollte. Darüber hinaus hatte Yeats klare Ansichten zu den wirtschaftlichen Aspekten des Projektes. So unterbreitete er MacGreevy das Angebot, den Gewinn hälftig zu teilen.38 Nachdem der Kritiker allerdings Einspruch erhoben hatte, gestand der Künstler ihm mehr Einnahmen zu, wies aber darauf hin, dass dies letzten Endes auch vom Verlag und dem damit verbundenen Profit abhängen würde  : But I see now that you should receive, at least, the fair price for your actual writing before there is any division of the spoils. Find a good publisher, generous if possible, I wont [sic] be a troublesome being.39

33 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 6. Januar 1938, sechs Seiten, S. 6, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/151. 34 Diese Debatten um einen geeigneten britischen Verlag (Chatto & Windus, Heinemann, Routledge, um nur eine Auswahl zu nennen) bestimmten beinahe den gesamten Briefwechsel zur Publikation, vor allem, weil immer wieder Absagen eintrafen. 35 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, Anfang 1938, zitiert nach Schreibman/Tobey 2003a, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/157. 36 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 11. Mai 1938, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/160. Er erwähnt die Galeristin »Mrs. Cornelius O’Sullivan«, die er für das Projekt begeistern möchte, in der Hoffnung, dass sie etwas erreichen könne. 37 Vgl. Schreibman/Tobey 2003a. 38 Brief Jack B. Yeats, Anfang 1938, zitiert nach Schreibman/Tobey 2003a, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/154. 39 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 3. Februar 1938, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/155.

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Auch bezüglich des Inhaltes fielen Yeats’ Änderungswünsche, die er selbst für »use­ able suggestions«40 hielt, nicht zu knapp aus. Diese betrafen sowohl inkorrekte Bildbeschreibungen als auch die als ungenau empfundene Darstellung seiner Person und seiner Vita. Aufschlussreich ist insbesondere eine Korrektur zu seiner Herkunft, die MacGreevy als »anglo-Irish« eingestuft hatte  : I think perhaps »anglo-Irish« is a pivot title in your essay. »Anglo-Irish« means, to my ear, one brother tea planting in Ceylon, Ethel married to a rubber planter in Siam, and ­Doreen, married to decent chap who has tried sheep farming in New Zealand. Or perhaps it means, The Big House or the Little Big House at the back of my mind. […] I dont [sic] want to pull this stuff about being more Irish than the Irish, making the Brogue roll. No. I belong to those who belong to a spirit land.41

Wie das Zitat belegt, war es Yeats wichtig, ausschließlich als Ire wahrgenommen zu werden, allein schon um jegliche koloniale Affiliation zu vermeiden. Obwohl er tatsächlich aus einem anglo-irisch geprägten Elternhaus stammte und in einem »Little Big House« bei seinen Großeltern aufgewachsen war, sollte das biografische Narrativ auf sein Wirken als genuin irischer Künstler scharfstellen. Dies wird zusätzlich gestützt durch den Hinweis an MacGreevy, dass er für den Esel, der ein zentrales Motiv in seinem Werk darstellt und im nationalen Kontext als Sinnbild der Freiheit interpretiert werden kann,42 eine respektvollere Beschreibung als »stubborn« wählen solle. Schließlich sei der (irische) Esel im Vergleich zum (englischen) Vollblut ein edles und freies Tier  : »The blood horse was made by man, by selection. The Ass selected himself. The wild ass of the foothills is still the finest type of ass alive.«43 MacGreevy ging in der Endfassung auf die Korrekturen ein, änderte »stubborn« in »stoical«44 und setzte Yeats’ anglo-irische Herkunft in den Kontext des Freiheitskampfes der United Irishmen, um ihn als wahrhaft irischen Maler zu kennzeichnen, ein Ziel, das auch dem republikanisch gesinnten Autor sehr wichtig gewesen sein muss  : He, himself, was Anglo-Irish by origin, but under the influence of the French Revolution, a small, generous-minded minority of Anglo-Irishmen had been friendly to the people ever since the days of Wolfe Tone and Edward Fitzgerald – occasional individuals 40 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 6. Januar 1938, sechs Seiten, S. 1, unpubliziert, TCD, ­MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/151. 41 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 6. Januar 1938, sechs Seiten, S. 1 – 3, unpubliziert, TCD, ­MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/151. 42 Als Beispiele in Yeats’ Werk lassen sich folgende Bilder aufführen  : Evening, 1907, Cuala Press Print, handkoloriert, 205 × 305 mm sowie Of Ancient Lineage, 1950, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz. 43 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 6. Januar 1938, sechs Seiten, S. 5, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/151. 44 MacGreevy 1945, S. 24.

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had been friendly even earlier. Jack Yeats’s father was a philosopher as well as an artist and though he was a portrait painter, which meant that he spent much of his working life depicting the members of the professional and upper, that is to say the culturally non-Irish, classes, he was nationalist in his sympathies. His son, therefore, had no gulf of prejudice to bridge when his instinct impelled him towards Irish genre and landscape.45

Die Grenzen von Werk, Autor und irischer Geschichte formulierte MacGreevy im gesamten, 39 Seiten umfassenden Text als fließend. Dass der Text trotz dieser Konstanten heterogen anmutet, kann vor allem mit seiner langen Entstehungszeit begründet werden. So folgen auf die Author’s Introduction der 1938 beendete Hauptteil und das 1945 angehängte Postscript. Die Monografie beschreibt Yeats’ federführende Position innerhalb der irischen Kunstgeschichte und zeigt zusätzlich Verbindungen zu großen Namen wie John Constable (1776 – 1837), Jean-François Millet (1814 – 75) und ­Honoré Daumier (1808 – 79) auf, ohne aber jemals den dezidiert persönlichen Stil des Künstlers infrage zu stellen. Vielmehr ging es MacGreevy darum, Yeats unter Verweis auf vorangegangene Meister zu nobilitieren und als Virtuosen seiner Zeit sowie seines Landes zu etablieren. Zusätzlich enthält das Buch kurze Bildbeschreibungen ausgewählter Werke, die der Kritiker – und vermutlich auch der Künstler, schließlich schickte er ihm in regelmäßigen Abständen fotografische Aufnahmen ausgesuchter Arbeiten – als repräsentativ erachtete und die zeitlich vom Früh- bis zum Spätwerk reichen.46 Der Text unterscheidet sich demnach in seinem umfassenden Anspruch von dem 1942 veröffentlichten Aufsatz Three Historical Paintings, dessen Einzelanalysen lediglich den politischen Arbeiten des Künstlers gewidmet sind. Die Pressereaktionen auf die – seit Marriots 1911 verfasster Untersuchung zum Frühwerk – erste grundlegende Monografie zu Yeats fielen unterschiedlich aus.47 So gab es Kritiken, die den Text und die Abbildungen als großartig und wegweisend für die irische Kunstkritik lobten,48 aber auch Stimmen, die beides als wenig hilfreich für die Annäherung an das malerische Œuvre empfanden. Die negativen Urteile erwähnten zudem die Unmöglichkeit, Yeats’ Spätwerk über Schwarz-Weiß-Abbildungen adäquat wiedergeben zu können – eine Kritik, die Yeats’, dem genau dieser Aspekt so wichtig gewesen war, stark getroffen haben muss –, sowie MacGreevys »metaphysics«, die die Leserschaft ahnungslos zurücklassen würden.49 Ausgesprochen differenziert fiel 45 MacGreevy 1945, S. 20 f. 46 Zu den von Yeats übersandten fotografischen Reproduktionen seiner Gemälde siehe Briefe zwischen Yeats und MacGreevy, TCD, MacGreevy. 47 Vgl. Marriott 1911. 48 White, James  : Painting and a Master, in  : Dublin Journal (?), 10. August 1945  ; Sunday Indepen­ dent  : Book on Jack B. Yeats, 29. Juli 1945 sowie O’Neill, Brian  : Painter of »The Ireland that Matters«, in  : Irish […] Weekly, September 1945, alle abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/4. 49 The Times Literary Supplement  : A Painter of Ireland, 18. August 1945. Hier beklagte man die »meta­physics« und die schlechten Abbildungen  ; eine besonders harsche (und anonym veröffent-

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Becketts Kritik aus, die sich zwar deutlich gegen die nationale Überhöhung des Malers wandte, aber die Pionierleistung MacGreevys betonte, die der kommenden Generation als wichtige Forschungsgrundlage dienen werde  : »To it future writers on the subject will […] be indebted […] for an attitude to develop, or correct, or reject.«50 Tatsächlich widmete sich in der Folge erst wieder Hilary Pyle in derart einschlägiger Weise dem Werk des Künstlers, sodass MacGreevys Text trotz seiner patriotischen Ausrichtung als wichtiges Zeugnis zu betrachten ist. Dies gilt speziell vor dem bisher in der Forschung zu wenig beachteten Hintergrund, dass die Monografie nicht ohne die permanente Initiative und Einflussnahme des Künstlers gedacht werden kann.51 Zwar ging Yeats nicht so weit wie Kokoschka, der seiner Biografin Edith Hoffmann (1907 –  2016) derart forsche Ratschläge erteilte, dass sich ein Mitarbeiter des Verlages Faber & Faber gezwungen sah, ihn zu ermahnen, nicht er, Kokoschka, sondern Frau Hoffmann schreibe das Buch.52 Dennoch ist Yeats’ Beteiligung im Kontext biografischer Künst­ ler:innenselbstinszenierungen zu verstehen, wie sie von Kokoschka, dessen Biografie Kokoschka. Life and Work nur zwei Jahre nach Yeats’ Monografie erschien, und anderen Zeitgenoss:innen angewandt wurden.53 Denn auch wenn der Maler gegenüber ­MacGreevy meinte, die Monografie würde am Ende »not […] exactly as my book«54 zählen, legen doch die oben aufgeführten Anmerkungen, Korrekturen und Anweisungen eine zumindest anteilige Autorschaft nahe. Diese verrät, und das ist wichtig, dass der Maler an einer bestimmten Außenwahrnehmung interessiert war, die auf ein natio­ nales Künstlertum von internationaler Bedeutung abzielte. Yeats’ Strategie zahlte sich am Ende aus. Nicht nur stiegen die Preise für seine Arbeiten nach 1945 stetig an,55 auch besprach man ihn dank der Monografie und der breit rezipierten National Loan Exhibition, in der 179 Leihgaben gezeigt worden und zu deren Eröffnung zentrale Vertreter:innen aus Kunst und Politik, darunter auch der amtierende Taoiseach de Valera, erschienen waren, als irischen Künstler von »European significance«56.

lichte) Kritik gegen die als zu persönlich empfundene Monografie MacGreevys, die wenig über Yeats aussage, findet sich im Burlington Magazine, 88  :114, Januar 1946, S. 26. 50 Beckett 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 51 Die einzige Ausnahme bilden hier Schreibman/Tobey 2003a. 52 Vgl. Bonnefoit 2016, S. 176. 53 Zu Hoffmanns Buch siehe Hoffmann 1947  ; zu Künstler:inneninszenierungen in (auto-)biografischen Texten siehe etwa Böckem 2016. 54 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 29. April 1936, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/133. 55 Zahlte man 1945 noch maximal 250 Pfund für ein Gemälde von Yeats, musste man 1951 schon bis zu 2500 Pfund ausgeben. – Vgl. AJ, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. 56 Gibbon 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4  ; die Ausstellung wurde von Juni bis Juli 1945 im National College of Art gezeigt und sorgte für internationale Anerkennung. – Vgl. Ausst.-Kat Dublin 1945 sowie diverse Pressebesprechungen wie zum Beispiel Father Mathew Record  : The Great Exhibition, Juli 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4.

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5.2 »An artist who […] transcended national boundaries«57  : Irlands Teilnahme an der Biennale von Vendig, 1950 – 62

Dieser Ruf prädestinierte Yeats aus Sicht der Entscheidungsträger:innen für eine internationale Vermarktung, insbesondere im Rahmen der Biennale von Venedig, an der Irland seit 1950 teilnahm. Die Bestrebungen, die irische Kunst auf einer internationalen Ebene sichtbar zu machen, sind dabei im Kontext der außenpolitischen Situation Irlands nach dem Zweiten Weltkrieg zu betrachten. So hielt es der Außenminister Seán MacBride im Zuge der Erklärung Irlands zur Republik und der Loslösung aus dem Commonwealth im Jahr 1949 für notwendig, mit dem Cultural Relations Committee (CRC) einen Ausschuss für kulturelle Beziehungen zur Förderung der irischen Kultur im Ausland einzurichten. Dieses Komitee beriet unter anderem über die Teilnahme Irlands an der Biennale von Venedig, die das Land aus der kulturellen Isolation befreien und innerhalb der globalen Kunstwelt positionieren sollte.58 Im Zuge dessen sollte bewiesen werden, dass Irland mehr zu bieten habe als eine vermeintlich rückständige »bog-oak and shillelagh tradition«59. Nachdem bei der ersten irischen Biennale-Teilnahme 1950 mit Nano Reid (1900 –  81) und Norah McGuinness (1901 – 80) zwei junge, figurativ arbeitende Künstlerinnen angetreten waren, setzte das Komitee zwei Jahre später auf die Präsentation eines einzelnen Künstlers von Rang und Namen, nämlich Jack B. Yeats. Dem Memorandum des CRC vom 3. April 1952, das sich auf die Aussagen des Kommissars der Biennale sowie späteren Direktors der National Gallery of Ireland (1964 – 80) James White (1913 – 2003) bezog, ist folgende Begründung zu entnehmen  : He [White, Verf.] felt that the Biennale’s attitude this year was prompted to a certain extend, by our failure to send a more representative selection to the last Biennale. He thinks that were we to send younger artists this year, the Biennale authorities might think that such paintings represent the best we have to offer.60

In der Tat waren die Beiträge der Künstlerinnen nicht in der Form gewürdigt worden, in der Irland sich das gewünscht hätte.61 Allerdings verliefen die Bemühungen um den »more representative« Yeats alles andere als optimal, was schließlich nicht nur zur Ab-

57 MacGreevy  : Speech at the Opening of the Jack B. Yeats Biennale Exhibition when Transferred to the Municipal Gallery Dublin 1962, unpubliziertes, vierseitiges Typoskript, TCD, MacGreevy, MS Inv.-Nr. 7999/5, S. 4. 58 Vgl. Barber 2005, S. 215 f. 59 Candida  : An Irishwoman’s Diary, in  : Irish Times, 11. August 1950, S. 5, zitiert nach Kennedy 2005, S. 482. 60 Memorandum, 3. April 1952, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 61 Vgl. Barber 2005. Sie geht in ihrem Aufsatz näher auf die kulturellen und politischen Hintergründe der irischen Beteiligung an der 1950er Biennale ein.

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sage des Künstlers, sondern auch zum Rücktritt Irlands von der Biennale führte. Erst 1962, fünf Jahre nach seinem Tod, sollte Yeats schließlich in Venedig vertreten sein. In der Forschung ist der Umstand, dass der Maler bereits zu Lebzeiten an der Biennale hätte teilnehmen können, bisher kaum bekannt.62 Tatsächlich hätte er, wie meine Recherchen im Department of Foreign Affairs der National Archives of Ireland ergeben haben, seine Arbeiten sogar mehr als einmal in Venedig präsentieren können. Dass es zu Yeats’ Lebzeiten letztlich nie zu einer Beteiligung kam, hatte unterschiedliche Gründe  ; hierzu ist auch die mangelnde Bereitschaft des Künstlers zu zählen, sich den gegebenen Ausstellungsbedingungen in Venedig unterzuordnen.63 Das Werben der irischen Organisator:innen um Yeats auf der einen Seite und die deutlichen Forderungen des Malers auf der anderen Seite verraten viel über die zeitgenössischen Vorstellungen zur Verortung der irischen Künste in einem europäischen Rahmen. Laut White stellte die Marke Yeats gewissermaßen die Eintrittskarte zur Bekanntheit auf internationalem Parkett dar, gehe von dessen Kunst doch eine so immense Wirkung aus, dass die »Biennale authorities […] impressed«64 wären und in der Folge Irland als Ausstellungsteilnehmer mehr Privilegien einräumen würden. Diese Überzeugung überrascht insofern, als es den in Rom ansässigen Regierungsgesandten Denis Devlin im Vorfeld einige Mühe gekostet hatte, Yeats überhaupt eine Einladung seitens der Zuständigen der Biennale zu verschaffen.65 Seinen Aussagen ist vielmehr zu entnehmen, dass Yeats in Italien gänzlich unbekannt war und es sich auf Grundlage der existierenden Schwarz-Weiß-Reproduktionen schwierig gestalten würde, ein überzeugendes Argument für die Beteiligung zu liefern. Daher habe man auch zentrale Kritiker wie Herbert Read um Fürsprache für Yeats gebeten.66 Nachdem Yeats’ Beteiligung dank der eingesetzten Überredungskünste schließlich von italienischer Seite akzeptiert worden war, lud der irische Außenminister Frank ­Aiken den Maler mit überschwänglichen Worten zur Teilnahme ein  : The Government of Ireland expects shortly to be invited to participate in the Biennale Exhibition of Modern Art in Venice and we are anxious to accept. We should very much like to be able to do so, naming you as our sole representative and confining our exhibit 62 Lediglich Schreibman wies in einer Fußnote auf die mögliche Teilnahme im Jahr 1952 hin. Allerdings bezieht sie sich hier nicht auf die Materialien des Department of Foreign Affairs, sondern auf den Briefwechsel zwischen MacGreevy und Denis Devlin, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8112/18. – Vgl. Schreibman 2005, S. 99, Fn. 2. 63 Vgl. etwa Bericht des CRC vom 26. Februar 1952, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 64 Memorandum, 3. April 1952, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 65 Vgl. Brief Denis Devlin an Máire MacEntee, Department of External Affairs, Dublin, 17. November 1951, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 66 Zu Read und den Abbildungen siehe Brief Denis Devlin an Máire MacEntee, Department of External Affairs, Dublin, 19. September 1951  ; zu Yeats’ Unbekanntheit siehe Brief Denis Devlin an Sheila Murphy, Department of External Affairs, Dublin, 7. Mai 1951. Beide Dokumente (unpubliziert) 415/95 II, DFA/NAI.

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entirely to your work, which we consider to be Ireland’s greatest contribution to art in our time and with which we should be proud to be associated in an international gathering.67

Yeats akzeptierte die Einladung umgehend und bereitete eine Liste mit 41 Bildern vor.68 Bis dahin verlief alles nach Plan. Ins Wanken geriet die Zuversicht erst, als die Verantwortlichen in Venedig letztlich doch nicht den zunächst offerierten Platz zur Verfügung stellen konnten, womit eine Reduzierung auf lediglich 24 Gemälde einhergegangen wäre.69 Der Künstler reagierte empört auf die räumliche Beschränkung, die er als sinnbildlich für eine Diminuierung seiner Kunst sowie seines Landes auffasste  : Does this mean that the wall space is to be shared with some other country. [sic] Ireland must take her place alone. […] I believe that it would be better for this country to take no part in this exhibition than to appear in any meagre position. Such a position would be repugnant to me for my own account and on my country’s account.70

Dass Yeats’ geäußerte Befürchtung, als Künstler sowie als Staat im Wettbewerb der Biennale unterzugehen, dabei nicht ganz unbegründet war, zeigt sich an einer Einschätzung des britischen Kritikers Douglas Cooper. Dieser konstatierte anlässlich der BiennaleAusstellung von 1954, dass Künstler:innen sich in der direkten nationalen Konfrontation gegenseitig in den Schatten stellen würden, was insbesondere das Beispiel Munchs zeige, neben dem die Werke anderer zeitgenössischer Größen verblassen würden  : Beside Munch, the later expressionistic painters exhibiting – for example, De Kooning (U.S.A.) […], Appel (Holland), or F. Bacon (Great Britain) – appeared shallow, boisterous, and uncertain like their abstract counterparts […].71

Als Reaktion auf Yeats’ Beanstandungen versuchten die Mitarbeiter:innen des CRC, hin- und hergerissen zwischen dem unbedingten Willen zur Beteiligung an der re67 Brief Frank Aiken (irisch  : Proinsias Mac Aodhagáin) an Jack B. Yeats, 8. Dezember 1951, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 68 Brief Jack B. Yeats an Frank Aiken, 11. Dezember 1951 sowie Brief Jack B. Yeats an Máire MacEntee, 9. Februar 1952, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 69 Vgl. Bericht des CRC vom 26. Februar 1952. Die zusätzliche Option, einen eigenen nationalen Pavillon zu errichten, wurde von irischer Seite aus Kostengründen bald vernachlässigt. Zur Absicht, einen nationalen Pavillon zu bauen, siehe etwa Brief Denis Devlin an Seán Nunan, 26. März 1952 sowie Brief an Brian Durnin, 19. Juni 1952, beide unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 70 Brief Jack B. Yeats an Máire MacEntee, 22. Februar 1952, unpubliziert 415/95 II, DFA/NAI  ; insgesamt enthalten die Unterlagen zur Biennale 1952 fünf Briefe des Künstlers, die Zusagen (11. Dezember 1951 und 9. Februar 1952) und drei wiederholt zum Ausdruck gebrachte Absagen (22. Februar, 25. Februar und 20. April 1952). 71 Cooper 1954, S. 321.

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nommierten Biennale und dem Werben um den national geschätzten Künstler, mehr Ausstellungsplatz zu erhalten. Dieses Unterfangen war erfolgreich, Irland bekam sogar einen »handsome room beside Corot abutting gardens«72 zugeteilt. Allerdings erfüllten diese Zugeständnisse immer noch nicht die Erwartungen des Malers, der hinter der Verkleinerung der Räumlichkeiten sogar eine Konspiration seitens der Verantwortlichen vermutete,73 sodass es nach vergeblicher Überzeugungsarbeit von James White und MacGreevy am Ende zur unvermeidlichen Absage kam.74 Dennoch brachte das CRC die Hoffnung zum Ausdruck, that in the next occasion we will be able to obtain the space which is considered most desirable for an exhibition of paintings of Mr. Jack Yeats, so that the work of this great artist, unfortunately practically unknown on the Continent, may be brought to the notice of art lovers, not alone in Italy, but in all of those countries which participate regularly in the Biennale.75

Dieses Zitat führt vor Augen, wie sehr man durch die Präsentation von Yeats’ Arbeiten nicht nur die internationale Bekanntheit des Malers, sondern auch die der irischen Kunstszene allgemein zu befördern suchte. Und obwohl die Teilnahme des Landes an der Biennale von italienischer Seite, aufgrund der kurzfristigen Absage zwei Jahre zuvor, für 1954 verweigert worden war,76 versuchte man 1956 erneut, Yeats für die Ausstellung zu gewinnen. Allerdings gestaltete sich die Raumfrage, bedingt durch das wachsende Interesse der einzelnen Länder, sich an der »world’s most important Art Exhibition«77 zu beteiligen, noch schwieriger als zuvor. Konnte man sich keinen eigenen Pavillon leisten, so waren die Möglichkeiten auf einen einzelnen Saal im Ausstellungspalast begrenzt.78 Um eine erneute Niederlage wie die von 1952 zu vermeiden, fuhr man während der Vorbereitungen für 1956 von Anfang an zweigleisig. Bei einer Zusage durch Yeats wäre MacGreevy als Kommissar ernannt worden, bei einer Absage plante man, White die 72 Telegramm an das CRC, 23. April 1952, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 73 Dies geht aus einem Brief von James White an Brian Durnin vom CRC vom 22. Mai 1954 hervor, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 74 Zu den Überredungsversuchen von White und MacGreevy siehe Brief des CRC an Denis Devlin, 21. April 1952, 415/95 II  ; zur finalen Absage siehe Brief CRC an Dr. Luigi di Giovanni di Santa Severina, Italian Legation, Merrion Square, Dublin, April 1952, 415/95 II, beide Dokumente (unpubliziert) siehe DFA/NAI. 75 Brief CRC an Dr. Luigi di Giovanni di Santa Severina, Italian Legation, Merrion Square, Dublin, April 1952, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 76 Vgl. Brief James White an Brian Durnin vom CRC, 22. Mai 1954, unpubliziert, 415/95 II, DFA/ NAI. 77 Brief Denis Devlin an den Sekretär des Auswärtigen Amtes Seán Nunan, 22. März 1952, unpubliziert, 415/95 II, DFA/NAI. 78 Vgl. Brief James White an Brian Durnin vom CRC, 22. Mai 1954, unpubliziert, 415/95 II, DFA/ NAI.

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Verantwortung zu übertragen, der dann zugleich Vorschläge für alternative zeitgenössische Künstler:innen unterbreiten sollte. Darüber hinaus hielt es das Subkomitee der bildenden Künste im Falle von Yeats’ Absage für angebracht, die Biennale-Behörde für das Jahr 1958 um eine Ausstellung seiner Arbeiten in der Kategorie »invited artists«79 zu bitten. Yeats wurde jedoch weder 1956 noch 1958 ausgestellt, 1956 nicht wegen der erneuten Absage vonseiten des Künstlers, dem einmal mehr die Ausstellungsfläche zu gering erschien, und 1958 nicht wegen der Biennale-Regularien, die die Teilnahme bereits verstorbener Künstler:innen untersagte.80 Anstelle dessen lud White, der ein Gespür für das »aggressively modernist in tone«81 gehaltene Ereignis hatte, für 1956 den jungen, kubistisch arbeitenden Maler Louis le Brocquy sowie die Bildhauerin Hilary Heron (1923 – 77) ein. Die Wahl sollte sich als erfolgreich für Irland erweisen, gewann le Brocquy doch mit dem Premio Acquisto-Preis eine zentrale Auszeichnung.82 Die Anerkennung lässt sich auch damit erklären, dass White le Brocquy in seinem Ausstellungstext als irischen Maler von internationalem Rang besprach, der mit seinen figurativen Arbeiten dem Trend des europäischen modernen Realismus nachkam, wie er zu dieser Zeit etwa von dem britischen Kritiker David Sylvester (1924 – 2001) vehement befördert wurde.83 Andererseits stellte er deutlich dessen nationale Eigenständigkeit heraus, ein Kriterium, das der besonderen Ausstellungspolitik der Biennale entsprach, die, wie der Kunsthistoriker Werner Hofmann betonte, auch aufgrund der zunehmenden Zahl der beitragenden Länder immer deutlicher auf dem Konzept des Nationalen basierte. In seiner Kritik zur 1956er Biennale nahm er denn auch Anstoß an den Kriterien und erklärte, dass es bei der Biennale nicht um Kunst, sondern einzig und allein um Politik und nationales Ansehen gehe.84 Vor diesem Hintergrund muss Whites Vorgehen auch als Teil der irischen Kulturpolitik der Nachkriegszeit eingeschätzt werden. Obwohl die irische Beteiligung an der Biennale von Venedig die Möglichkeit bot, Teil eines kulturellen Internationalismus zu sein, zielten die politischen Entscheidungsträger:innen darauf ab, die irische Kultur als völlig unabhängig von britischen Einflüssen zu bewerben. Die Wurzeln die79 Report of the Sub-Comitee on Visual Arts, Venice Biennale, 1955, unpubliziert, 415/95 II, DFA/ NAI. 80 Vgl. Memorandum von James White an Dr. Seán O’Faoláin, 1958, reproduziert auf der Seite des Arts Council, http://archivestories.artscouncil.ie/supporting-irish-participation-at-the-biennaleexhibition-venice/ [17.12.2022]. 81 Brief James White an das CRC, 27. Oktober 1954, unpubliziert, 415/95, DFA/NAI. 82 Zur Entscheidung für die beiden Künstler:innen siehe Brief James White an Mary Tinney, 29. Februar 1956, CRC, Dublin, unpubliziert, 415/95 III, DFA/NAI. 83 Zum Diskurs der figurativen Malerei und der Strömung des europäischen modernen Realismus in der Nachkriegszeit, vor allem der Rolle David Sylvesters, des intellektuellen Fürsprechers Francis Bacons und Antipoden Clement Greenbergs (der sich in den USA für den Hauptvertreter des Abstrakten Expressionismus, Jackson Pollock, engagierte), siehe Hyman 2001, S. 192 – 203. 84 Vgl. Hofmann 1956, S. 16  ; 1956 nahmen 34 Länder an der Biennale teil.

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ser Politik lassen sich bis zum Anglo-Irischen Vertrag von 1921 zurückverfolgen, der die Gründung des Irischen Freistaates sowie die Teilung Irlands zur Folge hatte. Auf Dauer beeinflusste die Spaltung des Landes auch die Nachkriegsbeziehungen Irlands und Europas, wie aus einer Stellungnahme des irischen Außenministers hervorgeht. So konstatierte MacBride 1948  : »Our sympathies lie clearly with Western Europe (but) the continuance of partition preludes us from taking our rightful place in the affairs of Europe.«85 Die gegensätzlichen politischen und kulturellen Taktiken belegen die ambivalente Position Irlands im Europa der 1950er Jahre. So lehnte man 1949 zwar einerseits die Mitgliedschaft in der NATO ab, um ein Bündnis mit Großbritannien zu vermeiden, formulierte aber andererseits das unbedingte Ziel, die irische Kultur im europäischen Rahmen zu verankern.86 Diese Ambiguität wird in der spezifischen Inszenierung le Brocquys gespiegelt, die den zu diesem Zeitpunkt vor allem in Großbritannien erfolgreichen Maler als genuin irisch herausstellte und die Merkmale der »ancient Irish traditions« als Teil der »current styles of modern art in Northern Europe«87 auswies. Ganz anders präsentierte MacGreevy das Yeats’sche Werk in der Folge in Venedig, wo es von Juni bis Oktober 1962 im Saal 46 des Zentralpavillons zu sehen war. Doch wie und zu welchen Bedingungen war es nach all den benannten Niederlagen überhaupt gelungen, die Arbeiten des Iren auf der Biennale zu platzieren  ? Die Antwort darauf lässt sich hauptsächlich in MacGreevys unermüdlichem Engagement ausmachen. So hatte er in seiner Funktion als Direktor der National Gallery of Ireland sowie unter Bezugnahme auf seine internationalen Kontakte im Vorfeld erfolgreich um eine Möglichkeit gebeten, ausgewählte Gemälde des Künstlers zeigen zu können, obwohl dieser bereits verstorben war.88 Darüber hinaus hatte er zugleich, da er Yeats’ Bedenken hinsichtlich der zu geringen Raumgröße auch nach dessen Tod respektierte, um mehr Ausstellungsfläche gebeten, ein Wunsch, der ihm von italienischer Seite ebenfalls erfüllt wurde.89 Dennoch ist der zur Verfügung gestellte Saal auf der 31. Biennale Bezug nehmend auf Yeats’ eigentliche Forderungen als eher klein zu beschreiben, konnten in dem Raum, den der Kritiker Eric Newton als »corner« bezeichnete, doch lediglich 22

85 Seán MacBride zitiert nach Mansergh 1969, S. 136 f. 86 Vgl. Barber 2005, S. 215. 87 White, James  : Text für den Katalog der Biennale von Venedig, 1956, 8. April 1956, unpubliziert, 415/95 III, DFA/NAI. 88 Vgl. Schreibman/Tobey 2003b. Sie bezieht sich hier auf einen Brief MacGreevys an das Department of External Affairs vom Dezember 1959, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8148/290. 89 Vgl. hierzu Brief von MacGreevy an Dr. E. Brennan vom Department of External Affairs vom 6. Dezember 1961, in dem er um mehr Platz als 20 Meter bat, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8150/3 sowie Brief MacGreevy an den Generalsekretär der Biennale Prof. Dell’Aqua vom 15. Februar 1962, in dem er sich für die Bereitstellung eines größeren Raumes bedankte, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8150/11.

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Gemälde gehängt werden.90 Um trotz der reduzierten Expositionsfläche ein möglichst eindrucksvolles Verständnis für Yeats’ Œuvre zu entwerfen, plädierte der Kunsthistoriker daher dafür, sich auf »the last brilliant phase of his [Yeats’, Verf.] career«91 zu konzentrieren, also auf den Zeitraum zwischen 1935 und 1955. Darüber hinaus wich MacGreevy, der als Kommissar der Biennale bis auf die Regelung des Leihverkehrs, die er Waddington übertrug, alle organisatorischen Aufgaben übernahm, von der strikten Verfügung des Malers ab, gänzlich auf Reproduktionen zu verzichten. Als einer von Yeats’ Testamentsvollstreckern räumte er ein, dass es zum Zweck der Öffentlichkeitsarbeit durchaus hilfreich sei, wenige, aber dafür aussagekräftige Fotografien einzusetzen.92 Es lässt sich daher konstatieren, dass die Ausstellung in der Form, wie sie 1962 ausgerichtet wurde, zu Yeats’ Lebzeiten wohl kaum hätte realisiert werden können. MacGreevy wird sich dessen bewusst gewesen sein, entschied sich aber trotzdem gegen die Einhaltung der vormals vom Künstler formulierten Bedingungen, hatte doch die Verwirklichung der Werkschau als übergeordnetes Ziel unbedingten Vorrang. Immerhin ging es MacGreevy darum, Yeats’ Œuvre in Europa zu bewerben. Dafür wich der Kunsthistoriker sogar von seinem üblichen, dezidiert nationalen Kurs ab und konzentrierte sich beinahe ausschließlich auf eine internationale Vermarktung. Darin unterschied sich seine Strategie, wie bereits angedeutet, entscheidend von Whites Vorgehensweise, die im Sinne der Etablierung der irischen Kunst im Ausland das vernakulare Moment von le Brocquys Arbeiten unterstrichen hatte. Zudem distanzierte sich MacGreevy von der Maxime, externe Einflüsse, insbesondere britische, außen vor zu lassen. Anders als White schien es MacGreevy mittels der Beteiligung an der Biennale ausschließlich um die Steigerung von Yeats’ Berühmtheit zu gehen. Die Betonung der irischen Kultur rangierte in seinem Konzept indes höchstens an zweiter Stelle. Wie zentral die europäische Verankerung für den Kommissar war, führt einer seiner Artikel, die im Nachgang der Biennale erschienen waren, vor Augen  : In choosing the 22 pictures for inclusion in such an exhibition as the Biennale it had been my care to see to it that it was Yeats’s achievement as a great painter, a painter of international status, that should be emphasised. This, in the circumstances, seemed to me to be more important for the artist’s prestige outside Ireland than the appeal to nationalist sentiment which inspired so much of his finest work, but which in a foreign country might call for more verbal commentary than visitors to an exhibition would have time to listen to.93 90 Zu Newtons Kritik siehe Newton 1962, S. 7  ; zu den ausgestellten Arbeiten siehe Ausst.-Kat. Venedig 1962a, S. 133 f. 91 Brief von MacGreevy an Dr. E. Brennan vom Department of External Affairs, 6. Dezember 1961, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8150/3. 92 Vgl. Brief von MacGreevy an Dr. E. Brennan vom Department of External Affairs, 6. Dezember 1961, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8150/3. 93 MacGreevy 1962a, S. 8.

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Zusätzlich betonte MacGreevy, dass Yeats’ Werk globaler sei als das der anderen irischen Künstler:innen, die bereits auf der Biennale vertreten waren.94 Auffallend ist dabei, dass dieses internationale Narrativ in der Forschung zu MacGreevys Yeats-Schriften bislang kaum Beachtung gefunden hat. Ausschlaggebend hierfür könnte sein, dass der 1962 hervorgebrachte Entwurf, der sich konsequent in allen die Ausstellung begleitenden Publikationen und Vorträgen wiederfindet,95 MacGreevys vorangegangenen Äußerungen geradezu diametral gegenübersteht. Bereits im Katalogtext fallen die Hinweise auf die irische Herkunft des Malers zugunsten der Herausstellung einer international ausgerichteten Vita äußerst sparsam aus.96 Nach einer knappen Verortung innerhalb der bekannten Familie, zu der der »world famous poet«97 W. B. Yeats gehört habe, kommt der Kritiker rasch auf die Geburtsstadt London und die spätere Ausbildung bei dem für seine französischen Anleihen bekannten Professor Brown an der Westminster School of Art zu sprechen. Er erwähnt Yeats’ einzigartigen Stil, der sich zwar keiner Gruppierung zuordnen lasse, aber teilweise an Bewegungen wie die Schule von Barbizon oder an Künstler wie Goya, Daumier, Giorgione oder Watteau erinnere. Zudem nennt er Yeats’ Reisen nach Paris, Venedig und New York sowie dessen umfassende Kenntnis der internationalen Moderne. Innerhalb des Textes fällt jedoch eine Formulierung besonders auf. Es handelt sich um MacGreevys Beschreibung der künstlerischen Arbeitsweise des Malers, die er als »at once universal and personal«98 charakterisiert. Diese Einordnung ist insofern hervorzuheben, als sie an Becketts Einschätzung der Allgemeingültigkeit anknüpft, die MacGreevys konstatierter nationaler Klassifikation stets widersprochen hatte. Wie um diesen universellen Eindruck noch zu erhärten, beendet der Kommissar seinen Text mit einem französischen Zitat des Dramatikers aus seiner 1954 verfassten Hommage à Jack B. Yeats, aus dem Yeats’ einzigartiger, sich jeglicher Herkunft entziehender Stil hervorgeht.99 94 Vgl. MacGreevy 1962a, S. 8. 1950  : Nano Reid und Norah McGuinness, 1956  : Louis le Brocquy und Hilary Heron, 1960  : Patrick Scott. 95 Vgl. MacGreevy 1962a und 1962b, Ausst.-Kat. Venedig 1962b sowie Eröffnungsrede von Thomas MacGreevy zur transferierten Venedig-Ausstellung in der Dubliner Municipal Gallery of Modern Art, unpubliziertes, vierseitiges Typoskript, 1962, TCD, MacGreevy, Inv-Nr. MS 7999/5. 96 Vgl. Ausst.-Kat. Venedig 1962a, S. 133 f. sowie Ausst.-Kat. Venedig 1962b, o. S. Der Text in dem Ausst.-Kat. Venedig 1962b wurde in italienischer, französischer, englischer und irischer Sprache veröffentlicht. 97 Ausst.-Kat. Venedig 1962b, o. S. 98 Ausst.-Kat. Venedig 1962b, o. S. 99 Vgl. Ausst.-Kat. Venedig 1962b, o. S  ; das Zitat bezieht sich auf Beckett 1954, S. 619  : »Ce qu’a d’incomparable cette grande œuvre solitaire est son insistance à renvoyer au plus secret de l’esprit qui la soulève et à ne se laisser éclairer qu’au jour de celui-ci.« (»Hohe einsame Kunst, beispiellos von sich selbst durchdrungen, den Ursprung in einem höchst geheimnisvollen Geist und in keinem anderen Licht zu erklären.« Übersetzung von Wolfgang Held, Erika und Elmar Tophoven, siehe Beckett 2010c, S. 193).

Irlands Teilnahme an der Biennale von Vendig, 1950 – 62 | 329

Eine Erklärung für die globale Verortung des Malers kann zunächst darin vermutet werden, dass sich das Board of the National Gallery of Ireland trotz der nationalen Anerkennung des Künstlers hinsichtlich der Erwerbung seiner Werke immer noch zurückhaltend verhielt. Auf MacGreevy muss dieses Zögern wie eine persönliche Niederlage gewirkt haben, konnte er doch trotz seines Amtes als Direktor der National Gallery in dieser Angelegenheit nichts ausrichten.100 Umso mehr setzte er 1962 auf den europäischen Ruhm des Künstlers, ein Ziel, das er nochmals im November desselben Jahres in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung Paintings from the Venice Biennale formulierte, die im Anschluss an Venedig in der Dubliner Municipal Gallery of Modern Art gezeigt wurde  : Our business in organising the Jack Yeats exhibition at the Biennale di Venezia was to bring him as an artist who by the quality of his work transcended national boundaries and spoke for our common humanities.101

Allerdings kann die Enttäuschung über die nationale Ankaufspolitik nicht als alleiniger Auslöser für den grenzüberschreitenden Anspruch betrachtet werden. Schließlich hatte MacGreevy bereits elf Jahre zuvor im Rahmen der ersten umfassenden Yeats-Retrospektive in den USA und Kanada, die im April 1951 im Bostoner Institute of Contemporary Art eröffnet worden war,102 in einer unpublizierten Katalogeinleitung erkennbar auf internationale Themen fokussiert, politische Aspekte im Werk des Künstlers hingegen unberücksichtigt gelassen.103 Der umfangreiche Essay orientierte sich offensichtlich an den Vorgaben des Direktors James S. Plaut (1912 – 96), der sich einen vielfältigen Katalog wünschte, wobei die Publikation zu der 1948 gleichfalls in Boston gezeigten Kokoschka-Exposition als Vorbild dienen sollte.104 MacGreevy kannte demnach diverse Repräsentationstaktiken, die je nach Ausstellungsformat, international 100 So Schreibman 2005, S. 99. 101 Eröffnungsrede von Thomas MacGreevy zur transferierten Venedig-Ausstellung in der Dubli­ ner Municipal Gallery of Modern Art, unpubliziertes, vierseitiges Typoskript, 1962, TCD, ­MacGreevy, Inv-Nr. MS 7999/5. 102 Vgl. Daily Boston Globe  : This Week in the Art World. Jack Yeats Has Found His Own Innisfree, 8. April 1951. 103 Thomas MacGreevy  : The Art of Jack B. Yeats, 25 Seiten, unpublizierter Essay, 29. Januar 1951, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/25. Den Text hatte MacGreevy zu spät an den Direktor James Plaut geschickt (siehe Brief MacGreevy an Plaut, 30. Januar 1951, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/24), sodass er für die Drucklegung nicht mehr berücksichtigt werden konnte, siehe hierzu Ablehnung vom 15. Februar 1951, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/26  ; letztlich wurde zu der Wanderausstellung ein sehr knapp ausfallender Katalog ohne Abbildungen und mit einer kurzen Einleitung von Plaut veröffentlicht, siehe Ausst.-Kat. Boston 1951. 104 Vgl. hier Brief James S. Plaut an MacGreevy, 18. September 1950, unpubliziert, TCD, M ­ acGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/18  ; die Kokoschka-Ausstellung fand ebenfalls im Bostoner Institute of Contemporary Art statt  ; zum Kokoschka-Katalog siehe Ausst.-Kat. Boston 1948.

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oder national, unterschiedlich ausfielen. Meines Erachtens bediente sich der Kunsthistoriker mithin ganz bewusst divergenter inszenatorischer Modi, um Yeats in den jeweiligen Zusammenhängen bestmöglich vermarkten zu können. Wie sehr der Kritiker dabei an aktuelle Kunstdiskurse anzuknüpfen versuchte, wird durch die gezielte Kontextualisierung des Yeats’schen Œuvres inmitten zeitgenössischer Positionen deutlich. Entsprechend meinte er, dass die farbenfrohen Arbeiten des Iren zwischen all den Werken anderer Künstler:innen Bestand hätten, ja erst durch die Gegenüberstellung mit den reduzierten Skulpturen Alberto Giacomettis (1901 – 66), den »nonfigurative paintings from Iran« oder den überwiegend monochrom gehaltenen Bildern Odilon Redons (1840 – 1916) im benachbarten Raum an Bedeutung gewännen.105 Zudem, und das stellt ein Novum für die damalige Yeats-Rezeption dar, ging MacGreevy, offenbar unter Berücksichtigung des internationalen Vormarsches des amerikanischen Abstrakten Expressionismus, so weit, Yeats’ Gemälden abstrakte Tendenzen zuzuschreiben  : It should be remembered that works of art exhibited at the Biennale are mostly contemporary, which is to say abstract, nonfigurative, whereas Jack Yeats’s work, apart from a few very early pure landscapes, is always figurative. It might be thought, therefore, that the work would be unacceptable to critics who have to give so much of their time to the abstract painting that flourishes, not to say dominates, in practically every country today. But the contrary proved to be the case. Actually, I had noted that earlier this year a New York critic had made the point that there were many subsidiary passages in the painting of Jack Yeats which might well constitute the entire material of an abstract painting. Which is of course true, and very noticeably true in the case of Music in [sic] the Morning.106

Diese Charakterisierung muss als Versuch gewertet werden, Yeats’ Arbeiten innerhalb einer Kunstwelt zu verorten, die »contemporary, which is to say abstract«107 ist, und ihnen so, trotz des eingeleiteten Paradigmenwechsels, Relevanz zu bescheinigen. Immerhin galten die Vertreter:innen des Abstrakten Expressionismus, allen voran Jackson Pollock (1912 – 56), seit ihrer viel beachteten Präsentation auf der 1956er Biennale und insbesondere seit der zwischen 1958 und 1959 ausgerichteten Wanderausstellung The New American Painting auch in Europa als Vorreiter:innen einer »modernistische[n] Malerei«108. Dabei nahmen die geopolitische Frontenbildung des Kalten Krieges und 105 Zitat sowie andere Erwähnungen siehe MacGreevy 1962b, S. 8  ; Giacomettis Arbeiten wurden im nahegelegenen Raum 36, die Werke der zehn iranischen Künstler:innen im unmittelbar angrenzenden Raum 45 und Redons Bilder in Saal 47 des Zentralpalastes gezeigt. – Vgl. Ausst.Kat. Venedig 1962a, S. 12. 106 MacGreevy 1962b, S. 8  ; MacGreevy bezieht sich hier auf das 1951 gefertigte Gemälde Music of the Morning, das als Nummer 13 auf der Biennale ausgestellt wurde (Abb. 88). 107 MacGreevy 1962b, S. 8. 108 So der Titel von Clement Greenbergs zentralem, zwischen 1960 und 1961 erschienenen Text

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Abb. 88 Jack B. Yeats, Music of the Morning, 1951, Öl auf Leinwand, 36 × 48 cm, Privatbesitz.

die Diskussionen um die sogenannte ›Stunde Null‹ maßgeblich Einfluss auf die Kunstdiskurse jener Zeit, die nach 1945 zunächst noch pluralistisch geführt worden waren, bald aber durch die Polarisierung von Abstraktion versus Figuration dominiert wurden. Gegen Ende der 1950er Jahre verlor die europäische Kunst in ihrer kanonisierenden Funktion zugunsten der amerikanischen Kultur zunehmend an Bedeutung, was dem Abstrakten Expressionismus zum Siegeszug verhalf.109 Diese Hintergründe spiegeln sich deutlich in MacGreevys Zitat, das Yeats mit großer Emphase als Künstler bewirbt, dessen Werk gewissermaßen zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit changiert. Der Kunsthistoriker stand somit nicht bedingungslos für die figurative Herangehensweise seines Protegés ein und grenzte sich dadurch erkennbar von Kritikern wie David Sylvester oder John Berger ab, die den Modernistische Malerei, siehe Greenberg 1998  ; bereits 1949 hatten David Sylvester und Clement Greenberg in mehreren Artikeln die Position des jeweils anderen attackiert. So kämpfte Sylvester für einen modernen Realismus, Greenberg hingegen für den Abstrakten Expressionismus. Ab Mitte der 1950er Jahre fand die abstrakte Kunst global Verbreitung. – Vgl. Hyman 2001, S.  24 – 26. 109 Vgl. Hyman 2001, S. 202 – 204. Hyman weist darauf hin, dass Kritiker:innen nach 1945 noch nicht so stark auf die Dichotomie von figurativ versus abstrakt fokussiert hatten, sondern dass sich diese Binärformel erst Mitte der 1950er Jahre als bestimmend etablierte.

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modernen Realismus ›ihrer‹ Künstler:innen, auch aus politischen Gründen, weiterhin verteidigten.110 So hätte Sylvester es beispielsweise nie gewagt, Francis Bacons Werk abstrakte Merkmale zu attestieren, allein schon, weil dem Künstler die abstrakte Malerei als »Modeerscheinung«111 verhasst war. Zwar ist MacGreevy hinsichtlich der formal- wie produktionsästhetischen Aspekte durchaus zuzustimmen, schließlich erinnern die mit schnellem Pinselstrich gefertigten Arbeiten wie The Music of the Morning (1951, Abb. 88) tatsächlich an die Drip Paintings von Pollock, mit dem Yeats auch später noch einmal verglichen wurde.112 Dennoch muss konstatiert werden, dass es dem Maler, aller Inszenierung der Materialität zum Trotz, stets um die Erfahrbarkeit des Gegenständlichen gegangen war. Und so zeigt auch The Music of the Morning, entgegen der ersten abstrakten Anmutung, im Vordergrund eine Band mit Trommeln, die an den Häusern eines Küstenortes vorbeizieht.113 Daher liegt es nahe, MacGreevys neuartige Haltung aus dem Jahr 1962 vielmehr als modischen Impetus zu verstehen, Yeats’ Arbeiten für den globalen, vor allem aber für den amerikanischen Markt attraktiv zu halten und die Verkaufszahlen zu befördern. Innerhalb der politisch geprägten Debatten der späten 1950er Jahre ist MacGreevys Position als aufschlussreiches Zeugnis zu werten, das die von Widersprüchen geprägten Interdependenzen von Kunstkritik, Kunstmarkt und politischen Ideologien offenlegt. Wie gegensätzlich die zeitgenössischen Standpunkte zu Yeats ausfielen, zeigt sich daran, dass der Maler von John Berger beinahe zur gleichen Zeit aufgrund des erklärten vernakularen Stils als »independent individual Rebel« beschrieben wurde, der für ein Irland einstehe, das endlich in der Lage sei, »[to] fight English imperialism«114. Bergers 110 Beide waren Vertreter der Kunstkritik der Linken. Zu Sylvesters kosmopolitisch geprägtem Realismus-Begriff, den er auf Maler wie Francis Bacon und Frank Auerbach anwandte, sowie zu Bergers Verständnis eines sozialen respektive sozialistischen Realismus, das auf nationale Besonderheiten fokussierte, siehe Hyman 2001, S. 193. 111 Bacon zitiert in Sylvester 1997, S. 62. 112 So meinte Brian P. Kennedy, dass Yeats’ Spätwerk unter anderem an Pollock erinnern würde, räumte aber ein, dass Yeats nie ein abstrakter Künstler gewesen sei. – Vgl. Kennedy 1993, S. 119. Bemerkenswerterweise wurden Yeats’ Arbeiten in den USA schon Anfang der 1950er Jahre abstrakte Tendenzen zugesprochen. So heißt es am 8. April 1951 im Daily Boston Globe  : »Romanticism, poetic mysticism, humanitarianism, even at times a kind of abstractionism, all have their place in his painting, too.« 113 Pyle verortet das Geschehen in Rosses Point (County Sligo). – Vgl. Pyle 1992, Bd. 2, Nr. 1102, S. 1005. 114 Berger 1956, S. 742  ; der Artikel wurde später nochmals in der 1960 herausgegebenen Aufsatzsammlung Permanent Red  : Essays in Seeing abgedruckt, in der Berger für die Kunst des Sozia­ listischen Realismus eintritt. Dadurch wird deutlich, dass Berger Yeats’ Bilder in den Kanon des Sozialistischen Realismus integrierte. Die Kehrseite dieser Wertschätzung ist allerdings, dass Berger, ganz im Sinne seiner politischen Linie, Yeats auf das irische Künstlerdasein reduzierte und somit von der Moderne ausschloss. Nolens volens bedeutete die Aufwertung der Arbeiten des Iren zugleich auch eine Diminuierung seiner Kunst.

Kunst ohne Ursprung | 333

sozialistische respektive neomarxistische Überzeugung ließ ihn denn auch zu einem gänzlich anderen Urteil kommen als MacGreevy, indem er Yeats’ Malerei außerhalb moderner kosmopolitischer Museen betrachtete und meinte  : Thus Yeats’s theme is universal. That is not to say that his works would fit easily into the modern cosmopolitan museum. They would not, for the works which are prefabricated for that museum are by artists who prefer to »profess« rather than live.115

Während Berger demnach darauf abzielte, im Sinne einer eigenständigen Kunst Unterschiede zu markieren,116 ging es MacGreevy anlässlich der Biennale darum, nationale Grenzen aufzuheben, um die irische Kultur innerhalb einer globalen Moderne aufgehen zu lassen. Konsequenterweise vertrat er für die Durchsetzung dieser Prämisse eine jenseits der anerkannten Doktrin zu verortende Position, indem er mit Bezug auf Yeats’ Arbeiten den eigentlich unumstößlichen Gegensatz von Figuration und Abstraktion aufhob. Das irische Beispiel verdeutlicht, dass die Grenzlinien, die nach 1945 innerhalb der Kunstdebatten gezogen wurden, allem Dogmatismus zum Trotz von einer spezifischen Durchlässigkeit geprägt waren. Nichtsdestoweniger geben MacGreevys sich stetig wandelnde Yeats-Interpretationen preis, welch entscheidenden Einfluss kulturpolitische Bewertungsmaßstäbe auf kunstkritische und museale Inszenierungspraktiken nahmen. Dass die von MacGreevy beabsichtigte Überführung des nationalen Momentes in einen globalen Universalanspruch letztlich nur wenig Wirkung zeigte, geht aus Besprechungen wie denen des englischen Publizisten Newton hervor, der Yeats’ Biennale-Bilder unter Rückgriff auf eine tradierte Irlandvorstellung als »romantic Celtic dreams«117 beschrieb. In einem übergeordneten Sinne offenbart Newtons Charakterisierung das persistente Bedürfnis nach Alteritätserfahrung und nationaler Identitätszuschreibung in der Kunst, ein Wunsch, der insbesondere an einem Ort wie Venedig in Erfüllung gehen konnte. 5.3 Kunst ohne Ursprung  : Samuel Becketts Hommage à Jack B. Yeats, 1954

Dass MacGreevy innerhalb der Yeats-Forschung retrospektiv nicht als später Verfechter einer universellen Bildlichkeit rezipiert wurde, kann trotz seiner 1962 angewandten internationalen Vermarktungsstrategie vor allem damit begründet werden, dass seine lang anhaltende nationale Ausdeutung in der Wahrnehmung schwerer wog. Darüber hinaus könnte ausschlaggebend gewesen sein, dass dieser Platz bereits an eine andere 115 Berger 1956, S. 742. 116 Berger meinte denn auch  : »Like all artists who achieve a degree of universality, Yeats is closely bound with the local and particular«, Berger 1956, S. 742. 117 Newton 1962, S. 7.

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Persönlichkeit vergeben war, nämlich Samuel Beckett. In der Literatur wurden die Positionen der befreundeten Landsleute folglich wiederholt als antagonistische Haltun­gen besprochen, die Yeats entweder in einem nationalen Vakuum oder in einer universellen Singularität verorteten.118 Als Ausgangspunkt ihrer Diskussion gelten ­MacGreevys Yeats-Monografie und eine darauf Bezug nehmende 1945 veröffentlichte Rezension Becketts sowie dessen 1954 publizierte Yeats-Hommage, die anlässlich einer Einzelausstellung des Malers in der Pariser Galerie Beaux-Arts erschien.119 Die Grundlage für Becketts Hommage bildete dabei seine intensive Kenntnis des Schaffens des Malers, mit dem er bereits seit seiner Jugend vertraut war. Ihren Ausgang hatte die Freundschaft zwischen Beckett und Yeats bereits im November 1930 genommen, als der Dramatiker den 25 Jahre älteren Künstler in seinem Atelier besuchte.120 Der Kontakt war auf ausdrücklichen Wunsch Becketts über MacGreevy zustande gekommen, wollte doch der junge Schriftsteller, der zu diesem Zeitpunkt am Dubliner Trinity College als Dozent für moderne Sprachen tätig war, den Maler unbedingt kennenlernen. MacGreevy bat Yeats daraufhin um ein Treffen und bewarb den schüchternen Mann mit den Worten  : »Joyce does like him […] and I’m genuinely fond of him […].«121 Beckett war MacGreevy für diese Vermittlung äußerst verbunden, die in persönlicher wie künstlerischer Hinsicht einen prägenden Eindruck hinterließ. Voller Dankbarkeit schrieb er  : »[…] and to think I owe meeting Jack Yeats and Joyce to you  !«122 Becketts anhaltende Begeisterung für Yeats manifestierte sich in der Folge in regel­ mäßigen Ausstellungs- und Atelierbesuchen. Nachdem er mit Corner Boys (1910) bereits ein frühes Aquarell erworben hatte,123 erstand Beckett im April 1936 mit A Mor­ ning (1935/36) schließlich ein Gemälde des Künstlers (Abb. 89). Die Komposition zeigt einen Reiter auf seinem Pferd, der vor der menschenleeren, sonnenüberfluteten Kulisse Sligos steht. 118 So etwa Kennedy 2004  ; Kennedy 2008 oder Lloyd 2005. 119 Vgl. MacGreevy 1945  ; Beckett 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4 und Beckett 1954. Der Ausstellungskatalog erschien mit einer von MacGreevy verfassten biografischen Notiz zum Künstler sowie mit einer Einleitung von Jean Cassou, dem Chefkurator des Musée National d’Art Moderne. – Vgl. Ausst.-Kat. Paris 1954, aufbewahrt in der Frick Art Reference Library. 120 Vgl. Arnold 1998a, S. 247. Arnold bezieht sich auf einen Brief Jack B. Yeats’ an MacGreevy vom 29. November 1930, in dem Yeats von dem ersten Treffen mit Beckett berichtet, das am 25. November 1930 stattfand, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/112. 121 Brief MacGreevy an Jack B. Yeats, undatiert, vermutlich zwischen Februar bis März 1930, Yeats Archive, zitiert nach Arnold 1998a, S. 246. 122 Brief MacGreevy an Jack B. Yeats, 22. Dezember 1930, Yeats Archive, zitiert nach Arnold 1998a, S. 247. 123 Jack B. Yeats, Corner Boys, 1910, Aquarell und Gouache, 36 × 24 mm, Privatbesitz. Beckett hatte das 1910 entstandene Aquarell Corner Boys, eine in Sligo angesiedelte Genreszene auf einem Fischmarkt, allerdings nicht vom Künstler persönlich, sondern von dem Vorbesitzer erworben. – Vgl. Pyle 1993a, S. 165 sowie Brief Beckett an MacGreevy, 5. Mai 1935, abgedruckt in Beckett 2009, S. 265.

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Abb. 89 Jack B. Yeats, A Morning, 1935/36, Öl auf Pappe, 23 × 36 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

Aufgrund chronischer Geldsorgen zahlte er das direkt vom Künstler erworbene Werk in mehreren Raten ab, eine von Yeats gewährte Finanzierung, die es Beckett nach langem Zögern ermöglichte, das ersehnte Gemälde endlich zu kaufen.124 MacGreevy gegenüber zeigte er sich nach dem Kauf glücklich darüber, »to have Morning on one’s wall that is always morning, and a setting out without the coming home«.125 Das kleine, querformatige Bild, »almost a skyscape, wide street leading into Sligo looking west as usual, with boy on a horse […]«126 war ihm so teuer, dass er es während des Zweiten Weltkrieges, auf der Flucht vor der Gestapo, bis in den südfranzösischen Unterschlupf nach Roussillon mitnahm.127 Gegen Ende des Krieges, im April 1945, erweiterte der Dramatiker seine kleine Sammlung mit dem 1944 entstandenen Gemälde Regatta Evening,128 das eine im Quer124 Beckett kaufte das Bild direkt vom Künstler und zahlte das Bild in fünf Raten ab, siehe GI, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/5-1. Dort führte Yeats auf  : »Sold at home April 1936 Sam Beckett«, Becketts Adresse und die einzelnen Ratenzahlungen  ; das Geld für die Ratenzahlungen musste sich Beckett von seiner Mutter und seinem Bruder Frank leihen. – Vgl. Brief Beckett an ­MacGreevy, abgedruckt in Beckett 2009, S. 333. 125 Brief Beckett an MacGreevy, 7. Mai 1936, abgedruckt in Beckett 2009, S. 334. 126 Brief Beckett an MacGreevy, 29. Januar 1936, abgedruckt in Beckett 2009, S. 303. 127 Vgl. Croke 2006, S. 21  ; Beckett floh mit seiner Freundin Suzanne Dechevaux-Dumesnil, nachdem seine Aktivität in der Résistance (1941/42) von einem Spion an die Gestapo verraten worden war, von Paris nach Roussillon, wo er von 1942 bis 1945 untertauchte. 1945 kehrten beide nach Paris zurück. – Vgl. Knowlson 1996, S. 279 – 308. 128 Jack B. Yeats, Regatta Evening, 1944, Öl auf Leinwand, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz.

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format erfasste Flusslandschaft mit Schwänen vor einem weiten Abendhimmel zeigt.129 Das in Dublin zu verortende Sujet des Ruderrennens, das Yeats noch 1925 als ein von vielen Zuschauer:innen besuchtes Sportereignis geschildert hatte,130 erscheint im Spätwerk als menschenleere Szene, die völlig ohne Ruderer und Publikum auskommt und vielmehr die wiedergewonnene Ruhe nach dem Ende des Rennens einfängt. Laut Becketts Biografen James Knowlson handelt es sich um ebenjene einsame Stimmung, die Becketts eigenem künstlerischen Anspruch gleichkam.131 Damit geht die Frage einher, inwiefern Becketts Arbeiten sich möglicherweise auf von Yeats etablierte Motive bezogen. Dies gilt nicht nur für visuelle Einflüsse, wurde doch in der Literatur erwogen, dass auch dessen Schriften den Dramatiker geprägt haben könnten. So war sich etwa der mit dem Maler befreundete US-amerikanische Dichter Frederick W. Reid ganz sicher, dass Beckett maßgeblich von Yeats’ Romanen und Theaterstücken inspiriert war.132 Zwar behauptete Beckett später, nicht viel für Yeats’ Schriften übrig gehabt zu haben.133 Allerdings kannte er Yeats’ literarisches Schaffen gut und hatte sogar dessen Roman The Amaranthers rezensiert.134 Umgekehrt war auch Yeats bestens mit den Werken des jüngeren Kollegen vertraut und machte seinen Einfluss geltend, indem er seinem Verleger T. M. Ragg von Routledge 1937 erfolgreich vorschlug, Becketts Roman Murphy zu veröffentlichen, nachdem der Autor selbst zuvor bei mehreren Verlagen gescheitert war.135 Die möglichen visuellen Einflüsse auf Becketts literarisches Œuvre sind vielfach diskutiert worden.136 Die Voraussetzung hierfür bot unter anderem dessen große Kunstbegeisterung, die sich auf alte und moderne Kunst gleichermaßen bezog. Einen Eindruck hiervon vermittelt Becketts zwischen 1936 und 1937 unternommene Deutschlandreise, die ganz im Zeichen der Kultur stand.137 Liest man die Briefe aus jener Zeit, dann ent129 Vgl. GI, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/5-1. Yeats’ Eintrag lautet  : »Sold at home April 19 1945 to Sam Beckett.« 130 Jack B. Yeats, The Islandbridge Regatta, 1925, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 131 Vgl. Knowlson 2006b, S. 72. 132 Vgl. Brief Reid an Jack B. Yeats, o. D., Yeats Archive, aufgeführt bei Arnold 1998a, S. 354. 133 Vgl. Beckett 2006, S. 58. 134 Vgl. Beckett 1936  ; zu Yeats’ 1936 veröffentlichtem Roman siehe Yeats 1936. 135 Vgl. Beckett 2009, S. 568  ; in Yeats’ Bibliothek finden sich zudem mehrere Bücher von Beckett mit einer Widmung des Dramatikers, siehe dazu Yeats Archive. 136 Vgl. etwa Ausst.-Kat. Dublin 2006c. Hier vor allem Knowlson 2006b und Croke 2006  ; Schneede 2003. 137 Das sind die Stationen seiner Reise  : 29.9.1936 Abreise nach Deutschland  ; 2.10. Ankunft in Hamburg  ; 3.11. Besuch Lübecks  ; 4.12. Abreise nach Lüneburg  ; 5.12. Leibniz-Haus Hannover  ; 6.12. Braunschweig  ; 8.12. Wolfenbüttel, Lessinghaus  ; 10.12. Hildesheim  ; 11.12. Ankunft in Berlin  ; 22./23.1.1937 Abreise aus Berlin, Station in Halle  ; 24./25.1. Erfurt  ; 25./26.1. Naumburg  ; 26. – 28.1. Leipzig  ; 29.1. Ankunft in Dresden (Begegnung mit Hans Posse, Will Grohmann, Gret Palucca und vor allem Besuch der von ihm gelobten Sammlung Ida Bienert)  ; 16.2. Ausflug nach Pillnitz  ; 18.2. Abreise nach Freiberg  ; 19.2. Weiterreise nach Bamberg  ; 20. – 23.2.

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steht der Eindruck, Beckett habe kein Museum und keine architektonische Sehenswürdigkeit ausgelassen.138 Eine retrospektive Äußerung des Dramatikers zu dieser Reise zeigt, dass er selbst für seine Figuren visuelle Vorbilder kenntlich machte. So besuchte Beckett 1975, während er am Berliner Schillertheater Warten auf Godot inszenierte, die Berliner Alte Nationalgalerie. Vor Caspar David Friedrichs Mann und Frau in Be­ trachtung des Mondes (um 1824) erinnerte er sich, dass jenes Gemälde den Ursprung für Warten auf Godot gebildet habe. Allerdings muss er Friedrichs Gemälde verwechselt haben.139 Schließlich hatte er sich bereits 1937 in seinen German Diaries vielsagende Notizen zu Friedrichs Dresdner Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes (1819/20) gemacht  :140 »Pleasant predilection for 2 tiny languid men in his landscapes, as in the little moon landscape, that is the only kind of romantic still tolerable, the bémolisé [the minor key].«141 Dass sich Beckett möglicherweise nicht nur auf »one simple, single source of inspi­ ration«142 bezogen haben könnte, legt Knowlson nahe, der zudem auf die Parallelen zu Yeats’ 1942 entstandenem Gemälde Two Travellers verweist.143 Das Bild, das als später Verweis des Künstlers auf die gemeinsam mit Synge unternommene Reise gelten kann, zeigt zwei ›Tramps‹, die eine menschenleere Landstraße entlangschlendern. In dieser Hinsicht nimmt das Werk die Situation der Landstreicher Estragon und Wladimir vorweg, der zentralen Figuren von Becketts 1952 erstaufgeführtem Stück Warten auf Godot. Beckett könnte das Bild 1945 nach seiner Rückkehr in Yeats’ Dubliner Atelier gesehen haben, da es erst 1946 an die Tate Gallery verkauft wurde.144 Wie im Falle des FriedrichBeispiels kommen aber auch bei Yeats durchaus mehrere Werke infrage, so etwa das 1945 entstandene The Graveyard Wall,145 das zwei einsame Gestalten in einer ähnlich verlassenen Umgebung zeigt.146 Mögliche Gründe für die denkbaren Anleihen bei dem Künstler könnten dabei nicht nur die als verwandt empfundenen Sujets gewesen sein, sondern Bamberg  ; 24./25.2. Würzburg, Weiterfahrt nach Nürnberg  ; 26.2. Weiterfahrt nach Regensburg  ; 3./4.3. Regensburg, Weiterfahrt nach München  ; 5.3 – 2.4. München  ; 2.4.1937 Flug nach London. – Vgl. Nixon 2011, S. 193  ; zu Samuel Becketts ausgeprägtem Interesse für Kunst sowie seiner kunstpublizistischen Tätigkeit siehe Beckett 2000 und Schneede 2003. 138 Vgl. Beckett 2009, S. 374 – 484, hier vor allem der Briefwechsel zwischen Beckett und MacGreevy, dem er ausführlich von allen Begegnungen mit der deutschen Kulturwelt, den Museen und Sehenswürdigkeiten berichtete. 139 Den Vergleich äußerte Beckett gegenüber der US-amerikanischen Theaterwissenschaftlerin Ruby Cohn. – Vgl. Knowlson 1996, S. 342. 140 Caspar David Friedrich, Zwei Männer in Betrachtung des Mondes, 1819/20, Öl auf Leinwand, 35 × 44,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum. 141 Tagebucheintrag Becketts, 14. Februar 1937, zitiert nach Nixon 2011, S. 142. 142 Knowlson 1996, S. 342. 143 Jack B. Yeats, Two Travellers, 1942, Öl auf Leinwand, 92 × 123 cm, London, Tate Gallery. 144 Zur Bezugnahme auf Two Travellers etwa Knowlson 1996, S. 342 sowie Rose 1972, S. 46. 145 Jack B. Yeats, The Graveyard Wall, 1945, Öl auf Leinwand, 41 × 61 cm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection. 146 So etwa Croke 2006, S. 19.

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auch eine darüber hinausgehende persönliche Verbundenheit. Immerhin begriff Beckett den Maler, Kennedy zufolge, als »fellow traveller along the lonely path of interiority«147. Wahrscheinlich ist auch Becketts Versuch, Yeats als dezidiert weltoffenen Maler zu positionieren, vor diesem Hintergrund zu verstehen. Mit seiner Interpretation widersprach er ausdrücklich MacGreevys bisheriger Lesart. So regte er 1938, in dem Jahr, in dem MacGreevy Yeats in seinem Monografiemanuskript zum Nationalkünstler er­hob,148 eine Yeats-Ausstellung in der Galerie Guggenheim Jeune an, die seine damalige Geliebte, Peggy Guggenheim (1898 – 1979), gerade erst in London eröffnet hatte.149 In der Galerie, die bereits 1939 wieder geschlossen wurde, präsentierte Guggenheim Werke der internationalen Moderne, darunter Arbeiten von Jean Cocteau (1889 – 1963) und Wassily Kandinsky (1866 – 1944).150 Für Beckett, der Guggenheim zu einer zeitgenössischen Ausrichtung ihrer Galerie überredet hatte,151 war es offenbar unzweifelhaft, dass Yeats in diesen zu etablierenden Kanon einer europäischen Moderne einzuordnen sei. Allerdings sahen das sowohl Yeats als auch Guggenheim anders. Zwar bekundete Yeats zunächst großes Interesse, wie aus einem Brief von Beckett an MacGreevy hervorgeht,152 entschied sich letztlich aber gegen die Ausstellung. Gründe hierfür sind nicht bekannt, es lässt sich aber vermuten, dass Yeats seine Werke in einer Galerie, die hauptsächlich auf die Kunst der Avantgarde fokussierte, nicht adäquat repräsentiert gefunden hätte. Schließlich hatte er an verschiedenen Stellen, etwa in Briefen an John Quinn, betont, für die Kunst der »Moderns« nicht viel übrig zu haben.153 Da der Künstler aber wiederum sehr viel Wert auf die Verortung seiner Malerei im internationalen Zusammenhang legte, ist es wahrscheinlicher, dass er seine Arbeiten nicht von einer noch unerfahrenen Galeristin ausstellen lassen wollte und deshalb davon Abstand nahm. Auch Peggy Guggenheim, die nur Beckett zuliebe eingewilligt hatte, hielt wenig von der Zusammenarbeit und war erleichtert über Yeats’ Absage, dessen Werke sie ganz offensichtlich nicht zu der von ihr erklärten »Art of this Century« zählte.154 In ihren Memoiren schrieb sie dazu Folgendes  : 147 Kennedy 2004, S. 69. 148 Beckett kannte das Manuskript, das ihm MacGreevy zur Durchsicht zugesandt hatte. – Vgl. Brief Beckett an MacGreevy, 31. Januar 1938, abgedruckt in Beckett 2009, S. 598 ff. 149 Vgl. Guggenheim 2005, S. 162 – 168. Die Affäre mit Beckett, den sie in Anlehnung an Iwan Gontscharows Roman am liebsten Oblomow nannte, dauerte nach Aussagen von Guggenheim 13 Monate, von 1937 bis 1938. 150 Vgl. Brief Beckett an MacGreevy, 5. Januar 1938, abgedruckt in Beckett 2009, S. 580  ; zur Galerie siehe auch Guggenheim 2005, S. 163 f. 151 Vgl. Guggenheim 2005, S. 163. 152 Vgl. Brief Beckett an MacGreevy, 4. August 1938, abgedruckt in  : Beckett 2009, S. 636  : »He [Yeats, Verf.] is anxious for an exhibition in England and was interested when I mentioned the Guggenheim Gallery.« 153 So schrieb Yeats 1913 an John Quinn  : »The Moderns so far do not shake me in my plans«, Brief Jack B. Yeats an Quinn, 15. Dezember 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 154 In der 1942 von ihr in New York City eröffneten Galerie Art of this Century zeigte Guggenheim

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In spite of the fact that I was opening a modern art gallery in London I much preferred old masters. Beckett told me one had to accept the art of our day as it was a living thing. He had two passions besides James Joyce. One was Jack Yeats and the other a dutch painter, Geer van Velde, a man of nearly forty, who seemed to be completely dominated by Picasso, and he wanted me to give them both exhibitions. I could not refuse him any­ thing, so it was agreed. Jack Yeats luckily realized that his painting was not at all in line with my gallery and let me off. But I agreed and gave the Van Velde show.155

Umso mehr freute es Beckett, als Yeats im Februar 1954 seine erste Pariser Einzelausstellung in der Galerie Beaux-Arts erhielt, die seiner Prämisse einer europäischen Positionierung des Malers aufs Beste entsprach und die er mit Begleittexten der befreundeten Kunstkritiker Pierre Schneider (1925 – 2013) und Jacques Putman (1926 – 94) intellektuell zu befeuern suchte.156 Er war »delighted to hear that we are going to see JBY in Paris at last«157 und berichtete MacGreevy am 1. März 1954 von der Resonanz der Ausstellung sowie seinen Plänen zu den Texten  : As you will have heard the purchase of the Musée d’art moderne of Music in a Marshy Place is, if not yet official, almost a certainty. Though the attendance was not so big and the reactions of critics not so important as we had hoped, nevertheless the word has got round, the work is being talked about and in my small circle all those whose opinion I value are enormously impressed. […] I have arranged for a little group of Hommages to appear in the April number of the Lettres Nouvelles, the most enterprising literary monthly we have here now. There will be Duthuit, Schneider, perhaps Jacques Putman […] and myself.158

Die Ausstellung setzte sich sowohl aus internationalen Leihgaben als auch aus Bildern zusammen, die zum Verkauf angeboten wurden. Eines der Werke, Music in a Marshy Place (1951/52),159 auf das Beckett in seinem Brief verwies, wurde im Zuge der Exposition vom Musée National d’Art Moderne (heute Teil des Centre Pompidou) angekauft. Die Idee für die Werkschau ging auf eine Anfrage des französischen Kunsthändlers und Herausgebers der Kunstzeitschrift Gazette des Beaux-Arts, Wildenstein, zurück, der Werke der europäischen und amerikanischen Moderne, darunter Arbeiten von Jackson Pollock und Mark Rothko. 155 Guggenheim 2005, S. 163 f. 156 Dass die Ausstellung im Februar stattfand, ist der Literatur bis dato nicht zu entnehmen, geht aber aus Becketts Brief an MacGreevy vom 1. März 1954 hervor, in dem er den 25. Februar 1954 als letzten Ausstellungstag benennt, siehe Beckett 2012, S. 470. 157 Brief Beckett an MacGreevy, 14. Dezember 1953, abgedruckt in Beckett 2012, S. 434. 158 Brief Beckett an MacGreevy, 1. März 1954, abgedruckt in Beckett 2012, S. 470  ; Duthuit war am Ende nicht mit dabei. Die drei Hommagen von Schneider, Putman und Beckett wurden am 14. April 1954 in den Les Lettres Nouvelles publiziert, siehe dort S. 619 – 621. 159 Jack B. Yeats, Music in a Marshy Place, 1951/52, Öl auf Leinwand, 45,5 × 61 cm, Paris, Centre Pompidou, Musée National d’Art Moderne.

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die Arbeiten des Iren in seiner gleichnamigen Galerie zu zeigen wünschte und dafür um Finanzierung seitens der Irischen Botschaft bat, die ihm bewilligt wurde. Daraufhin ernannte Yeats Waddington zum Agenten der Ausstellung, der die Werkauswahl und die spätere Hängung organisierte.160 Für Beckett stellte der Dubliner Galerist in Paris eine wichtige Bezugsperson dar, mit der er die Ausstellung besuchen sowie Publikumsreaktionen auswerten konnte.161 Eine Fotografie zeigt die beiden vor Yeats’ Gemälde The Music (1946),162 über das sie sich im Zuge eines gemeisamen Ausstellungsrundgangs austauschten (Abb. 90). Wie aus dem oben stehenden Zitat deutlich wird, bedauerte Beckett das zu geringe öffentliche Interesse an Yeats’ Arbeiten, das er letztlich auf die Galerie zurückführte, die er nicht für den richtigen Ort für das Unterfangen hielt. Aus diesem Grund schlug er MacGreevy vor  : Tell Jack Yeats that he has lit a fire that will spread. What we should aim for now is another exhibition next year, in the Musée d’art moderne. Wildenstein’s was not the right place.163

Obwohl die von Beckett angedachte Ausstellung im Musée National d’Art Moderne nicht realisiert wurde, zeigen seine Überlegungen, dass es ihm ein zentrales Anliegen war, Yeats in Paris ein Podium zu bieten, das ihm zu internationaler Bekanntheit verhelfen sollte. Es ist davon auszugehen, dass dem Maler diese Bestrebungen entsprochen haben werden, immerhin kehrte er mit der 1954er Ausstellung an den Ort zurück, wo er bereits zwischen 1911 und 1914 als Teil der Société des Artistes Indépendants ausgestellt hatte und wo er 1922 in der Galeries Barbazanges in der Exposition d’Art Irlandais sowie 1924 in der Kunstsektion der Olympischen Spiele vertreten gewesen war.164 Dass Paris ihm ganz allgemein als erinnerungswürdiger Ort erschien, verdeutlicht das 1950 entstandene Gemälde After-Dinner Coffee in a City,165 in dem Yeats seine früher gesammelten Eindrücke der französischen Metropole malerisch reflektierte.166 160 Diese Information geht aus einem unveröffentlichten Brief des irischen Auswärtigen Amtes vom 12. November 1953 an MacGreevy hervor, das ihn um die Leihgabe seines Yeats-Gemäldes Loo­ king about Him bat. – Vgl. MacGreevy, TCD, Inv.-Nr. MS 8149/33. Da in dem Brief von »Mr. Wildenstein« die Rede ist, könnte es sich sowohl um Georges Wildenstein (1892 – 1963) als auch um seinen Sohn Daniel Wildenstein (1917 – 2001) gehandelt haben, die beide für die Galerie tätig waren. 161 Vgl. Brief Beckett an MacGreevy, 1. März 1954, abgedruckt in Beckett 2012, S. 470. 162 Jack B. Yeats, The Music, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz. 163 Brief Beckett an MacGreevy, 1. März 1954, abgedruckt in Beckett 2012, S. 471. 164 Zur Beteiligung an den Ausstellungen der Société des Artistes Indépendants siehe Ausst.-Kat. Paris 1911, S. 435  ; Ausst.-Kat. Paris 1912, S. 320  ; Ausst.-Kat. Paris 1913, S. 298 und Ausst.-Kat. Paris 1914, S. 331. Zur Ausstellung 1922 siehe Ausst.-Kat. Paris 1922, Nr. 83 – 86. Zur Ausstellung 1924 siehe Kat. Paris 1924, S. 608. 165 Jack B. Yeats, After-Dinner Coffee in a City, 1950, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Washington, The Phillips Collection. 166 Vgl. Pyle 1992, Bd. 2, Nr. 1019, S. 925.

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Abb. 90 Samuel Beckett und Victor Waddington in der Yeats-Ausstellung der Galerie BeauxArts, Paris, 1954 (vor dem Gemälde The Music, 1946, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz).

Beckett jedenfalls trug aktiv zu einer positiven Rezeption bei, indem er das Werk des Malers in seiner Hommage, von der er hoffte, sie möge Yeats gefallen,167 als »hohe einsame Kunst, beispiellos von sich selbst durchdrungen, den Ursprung in einem höchst geheimnisvollen Licht und in keinem anderen zu erklären«168 beschrieb. Der besondere Schwerpunkt der Beckett’schen Ausdeutung liegt dabei auf der Betonung einer ursprungslosen Kunst  : Sonderbarkeit, so vollkommen, daß sie auch den Klischee-Deutungen vom heiligen Erbe standhält – vom nationalen oder sonstigen. Was wäre weniger keltisch als diese einzigartige Hand, erschüttert von ihrem selbstgesetzten Ziel oder von ihrem eigenen Drängen. Was Sicherheiten angeht, die zu seinen Gunsten freundlich ans Licht gebracht wurden, 167 Das ist Becketts Brief an MacGreevy vom 15. April 1954 zu entnehmen, aus dem die Selbstzweifel des Schriftstellers hervorgehen. Der Wortlaut des Briefes, der sich im MacGreevy-Archiv des Trinity College befindet, ist zitiert bei Arnold 1998a, S. 344. 168 Es handelt sich um die deutsche Übersetzung von Wolfgang Held, Erika und Elmar Tophoven von Becketts Hommage à Jack Yeats, die 1954 in Les Lettres Nouvelles erschienen war, siehe Beckett 2010c, S. 193.

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allen voran Ensor und Munch, so sind sie, gelinde gesagt, wenig hilfreich. Der Künstler, der seine Existenz aufs Spiel setzt, kommt von nirgendwo her, hat keine Brüder.169

Diese in der Forschung häufig zitierte Passage wurde, wie bereits angedeutet, als Gegensatz zu MacGreevys Lesart verstanden, die stets auf eine geografische Herkunft drängte. Die Überblendung von Ursprung und Schaffen lehnte Beckett indes vehement ab, wie bereits aus einem Brief an MacGreevy vom 31. Januar 1938 hervorgeht, in dem er das ihm zugesandte Manuskript zur Yeats-Monografie besprach  : One of the criticisms that I should like to make […] is that for an essay of such brevity the political and social analyses are rather on the long side. I received almost the impression for example, as the essay proceeded, that your interest was passing from the man himself to the forces that formed him – and not only him – and that you returned to him from them with something like reluctance. But perhaps that also is the fault of my mood and of my chronic inability to understand as member of any proposition a phrase like »the Irish people«, or to imagine that it ever gave a fart in its corduroys for any form of art whatsoever, whether before the Union or after, or that it was ever capable of any thought or act other than the rudimentary thoughts and acts belted into it by the priests and by the demagogues in service of the priests, or that it will ever care, if it ever knows, any more than the Bog of Allen will ever care or know, that there was once a painter in Ireland called Jack Butler Yeats.170

Becketts Herangehensweise kann in einem poststrukturalistischen Kontext angesiedelt werden,171 der die Konstituierung des Autorbegriffes in einem nationalen Vakuum kritisch hinterfragt. Es ist jener Ansatz, der spätere Philosophen wie Gilles Deleuze und Michel Foucault dazu veranlasste, in Becketts Arbeiten ein gewisses Initiationsmoment ihrer eigenen, sich formenden Denkrichtung zu sehen.172 Foucaults kanonischer, 1969 erschienener Text Was ist ein Autor  ? leitet denn auch mit einem Zitat aus Becketts Texten um Nichts ein, »Was liegt daran wer spricht, hat jemand gesagt, was liegt daran wer spricht«, und schließt mit dem Anfang aus dem Namenlosen, »Wer hört, wer spricht  ?«173. Foucaults Analyse zum Autorbegriff sowie zur Autorfunktion stellt eine Replik auf Roland Barthes’ Aufsatz Der Tod des Autors (1967) dar und fokussiert im Gegensatz zu Barthes nicht auf das »Verschwinden des Autors«, sondern fragt nach 169 Beckett 2010c, S. 193. 170 Brief Beckett an MacGreevy, 31. Januar 1938, abgedruckt in Beckett 2009, S. 599 f. 171 Weiterführend zur poststrukturalistischen Ausdeutung von Becketts Arbeiten siehe Hill 2004. 172 Vgl. Hill 2004, S. 76  ; so erinnerte sich etwa Foucault 1983 an eine im Januar 1953 besuchte Theateraufführung von Warten auf Godot im Théâtre de Babylone und beschrieb dieses Ereignis als Wendepunkt seiner intellektuellen Entwicklung  : »[…] und für mich kam der Bruch mit Beckett  : Warten auf Godot, ein Schauspiel, das Ihnen den Atem raubt«, Foucault 2005, S. 746. 173 Foucault 2001, S. 1003, 1007 und 1041  ; Becketts Roman Der Namenlose erschien 1953, seine Texte um Nichts 1955.

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dem »leer gelassenen Raum«174 sowie alternativ nach den »Existenzweisen«175 der vom Autor losgelösten Diskurse. Ungeachtet der Unterschiede haben die angeführten schöpferkritischen Ansätze Einfluss auf die folgende Yeats-Forschung genommen. Hier sind vor allem O’Dohertys Analysen zu nennen, für die Anleihen autorschaftlicher Ideen geltend gemacht werden können, wobei Barthes’ Überlegungen, die sich durch die Abkehr biografistischer Lesarten eines Werkkomplexes auszeichnen, neben denen Becketts eine besondere Bedeutung zukommt. So war Barthes’ Text zum Tod des Autors 1967 auf Bitten O’Dohertys erstmals im Kunstmagazin Aspen 5+6, unter anderem neben Beiträgen von Beckett, veröffentlicht worden.176 Dass O’Doherty als Herausgeber und Gestalter der Ausgabe unbedingt Barthes’ Ideen integrieren wollte, spricht für sein starkes Interesse an den Thesen des Franzosen, insbesondere denen zur »Distanzierung des Autors von [seinem] Werk«.177 Jedenfalls ist zu konstatieren, dass mit O’Dohertys Yeats-Untersuchungen eine Haltung in die Forschungen zum Künstler einzog, die mittels eines historisch-kritischen Anspruches auf Herkunfts- und Identitätskonstruktionen fokussierte. Wie Beckett ging es O’Doherty darum, seinen irischen Ursprung hinter sich zu lassen, um in der (amerikanischen) Fremde neue identifikative Wege beschreiten zu können.178 Dass O’Doherty, der Yeats seit Mitte der 1950er Jahre persönlich kannte und sowohl mit seiner Kunst als auch mit seiner Vita vertraut war, mit der Überlegung, Jack B. Yeats sei 174 Foucault 2001, S. 1012. 175 Foucault 2001, S. 1030. 176 Vgl. Barthes 2006  ; die Aspen-Ausgabe wurde von O’Doherty in Anlehnung an den White Cube als minimalistische weiße Box gestaltet. Die multimediale Ausgabe mit einer geringen Auflage von zehn Boxen enthielt ein Buch mit drei Aufsätzen  ; vier Filme  ; fünf Audioaufnahmen  ; einen achtteiligen Bastelbogen, der zu einer dreidimensionalen Plastik aufgebaut werden konnte sowie zehn gedruckte Objekte (darunter Zeichungen, Texte und Partituren). Andere Beitragende der Ausgabe waren etwa Marcel Duchamp, Susan Sontag oder John Cage. – Vgl. Cotter 2017, S. 57 ff  ; die Ausgabe wurde zudem auf Ubuweb neu veröffentlicht  : http://www.ubu.com/aspen/ aspen5and6/ [17.12.2022]  ; mit Barthes war O’Doherty im Vorfeld bezüglich der Aspen-Box in Kontakt getreten, woraufhin Barthes vorschlug, einen Text zur Funktion des Autors beizutragen, was O’Doherty, der sich nach eigenen Aussagen mit ähnlichen Aspekten beschäftigte, für eine sehr gute Idee hielt. – Vgl. O’Doherty in Bonnet 2004, S. 60  ; auch mit Beckett hatte O’Doherty Kontakt und bat ihn, seine kürzlich erschienenen Texte um Nichts als Audioaufnahme publizieren zu können. Beckett selbst wollte den Text nicht einlesen und schlug den Beckett-Darsteller Jack MacGowran vor, der die Aufgabe letztlich übernahm. – Vgl. O’Doherty in McManus 2009, S. 17. 177 O’Doherty zitiert in Bonnet 2004, S. 60. 178 Als Beckett 1937 der Weggang aus Irland gelang, empfand er diesen bezeichnenderweise wie eine Entlassung aus dem Gefängnis, »like coming out of gaol in April«, Brief Beckett an MacGreevy, 20. Dezember 1937, abgedruckt in Beckett 2009, S. 567  ; weiterführend zu Becketts ambivalentem Verhältnis zu Irland siehe Kennedy 2010b. O’Doherty ging im Zuge seines Medizinstudiums 1957 in die USA und etablierte sich dort bald darauf als Kunstkritiker und Künstler. Zur Abkehr von Irland sagte er 2009  : »I was uncomfortable in Ireland. I did not feel I quite belonged there. Of course I do, but I don’t, you know  ? A part of it is the natural rebellion anyone has against his origins and against his religion«, O’Doherty in McManus 2009, S. 22.

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»dangerous for an Irishman to write about«,179 auch seine eigene schreibende Position aus der Distanz zu betrachten suchte, ist als zentraler Ansatz zu sehen. Diese theoretische Neuausrichtung ist klar vor dem Hintergrund poststrukturalistischer Ideen zu denken, die mit Beckett ihren Ausgang nahmen.180 Dabei war Becketts Ansatz nicht nur philosophisch, sondern, anders als Barthes annahm,181 auch politisch motiviert. Entsprechend muss Becketts Ablehnung einer nationalen Zuschreibung im Falle Yeats’ meines Erachtens auch vor dem Hintergrund der Kulturpolitik der Nationalsozialisten verstanden werden, mit der er während seiner Deutschlandreise wiederholt in Berührung kam. Am 5. November 1936, einen Monat nach seiner Ankunft, hatte man die Museen angewiesen, sogenannte ›entartete Kunst‹ aus den öffentlichen Sammlungen zu entfernen. Nur noch in Einzelfällen gelang es Beckett in der Folge, Sondergenehmigungen für die Betrachtung der im Depot weggeschlossenen Kunstwerke zu erhalten. Ansonsten bemühte er sich darum, moderne Kunst im Besitz privater Sammler:innen sehen zu können. Aus Hamburg schrieb er im November 1936 an MacGreevy  : I have seen several excellent private collections (where alone living art is to be seen in Germany at present. The Kronprinzenpalais in Berlin is closed, & that is typical for the whole country, and the campaign against »Art-Bolschevism« is only just beginning) […].182

Noch deutlicher drückte er sich hinsichtlich der sich zuspitzenden, desolaten Situation für Kulturschaffende in einem Brief an die irische Schriftstellerin Mary Manning Howe (1905 – 99) aus  : »All the lavatory men say Heil Hitler. The best pictures are in the cellar.«183 179 O’Doherty 1971, S. 77  ; O’Doherty besuchte Yeats am 1. und am 4. März 1957 im P ­ ortobello Nursing Home, wo Yeats seine letzten Lebensjahre verbrachte. – Vgl. Eintrag TB 1957, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/14. Dort entstand auch die Porträtzeichnung O’Doher­ tys, die er im Februar 1957, wenige Wochen vor dem Tod des Malers, anfertigte. Ich danke Brian O’Doherty für diese Information. – E-Mail-Korrespondenz mit der Verfasserin, 16. Juni 2015. O’Doherty beschrieb die Begegnungen mit Yeats wie folgt  : »[He] offered me the hand of friendship (frequently proffering a glass of sherry). He was one of three who recommended me for the scholarship [Smith-Mundt Fellowship to the School of Public Health at Harvard in Cambridge, Verf.] that brought me to the United States in 1957. We had several meetings in 1956/57. His voice went on like his novels, rich with recollection«, O’Doherty 2011, S. 24. 180 Zum Einfluss Becketts auf O’Doherty etwa Walsh 2017, S. 225 ff. So beschäftigte sich O’Doherty nicht nur innerhalb seines eigenen künstlerischen Schaffens mit Identitätsfragen, sondern auch in Bezug auf seine publizistische Arbeit. O’Dohertys Texte zu Yeats kreisen alle um die Frage der Herausbildung einer künstlerischen Identität im nationalen Gefüge. Anders als vorangegangene Autor:innen beleuchtete er dabei historisch-kritisch identitätskonstituierende Faktoren, wobei er insbesondere die These von Yeats’ künstlerischer und gesellschaftlicher Außenseiterposition entwarf. – Vgl. etwa O’Doherty 1971 oder O’Doherty 2011. 181 Vgl. Hill 2004, S. 76. 182 Brief Beckett an MacGreevy, 28. November 1936, abgedruckt in Beckett 2009, S. 387. 183 Brief Beckett an Mary Manning Howe, 14. November 1936, abgedruckt in Beckett 2009, S. 384.

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Und auch in Irland sah er sich Mitte der 1930er Jahre mit einer auf Ausgrenzung fremder Einflüsse zielenden Zensurpolitik konfrontiert, die er in seinem Aufsatz Zen­ sur im Irischen Freistaat anklagte.184 Dass er MacGreevy gegenüber in seiner Kritik zum Yeats-Manuskript von sein Land beherrschenden »demagogues in service of the priests« sprach und davon, dass er »a phrase like ›the Irish people‹«185 ablehne, verdeutlicht die Vorbehalte gegenüber einer auf nationalen Prämissen fußenden Kulturpolitik. Diese Aspekte brachte er nochmals in seiner Kritik zur publizierten Yeats-Monografie zum Ausdruck, die zwar die Kennerschaft MacGreevys lobt, aber dessen Vereinnahmung des Künstlers für das Lokale zurückweist. So kann man in der Irish Times vom 4. August 1945 lesen  : The national aspects of Mr. Yeats’s genius have, I think, been overstated, and for motives not always remarkable for their aesthetic purity. To admire painting on other than aesthetic grounds, or a painter, qua painter, for any other reason than that he is a good painter, may seem to some uncalled for. And to some also it may seem that Mr. Yeats’s importance is to be sought elsewhere than in a sympathetic treatment […] of the local accident, or the local substance. He is with the great of our time, Kandinsky and Klee, Ballmer and Bram van Velde, Rouault and Braque […].186

In der Literatur wurde und wird Becketts anationales Plädoyer stets als dezidiert ­ eckett’sche Lesart verstanden, die weder MacGreevys noch Yeats’ Annahmen entsproB chen habe.187 Doch wie bereits an MacGreevys Biennale-Text aufgezeigt werden konnte, nahm Becketts Interpretation langfristig Einfluss auf MacGreevy, der zusehends versuchte, die nationalen Zügel zugunsten einer globalen Wahrnehmung zu lösen. Schließlich kann auch für den Künstler selbst angenommen werden, dass er Becketts Einstellung teilte. Immerhin hatte er sich hinsichtlich der Vermarktung seiner Kunst im Kontext einer Wanderausstellung durch die USA und Kanada 1951/52, die in Boston ihren Auftakt hatte, bereits ganz ähnlich geäußert. Der Direktor des Institute of Contemporary Art, James S. Plaut, hatte auf der Basis eines Interviews mit Yeats, das bei einem seiner Vorbereitungsbesuche in Dublin entstanden war,188 einen ersten Einleitungstext verfasst, der viele persönliche Informationen zum Maler und seiner Herkunft enthielt. Nachdem Yeats diese Einführung zum Bostoner Katalog gelesen hatte, war er allerdings derart unzufrieden mit Plauts Präsentation seiner Person, dass er Waddington damit beauftragte, den Direktor in seinem Namen umgehend um eine Korrektur 184 Beckett 2010b. 185 Brief Beckett an MacGreevy, 31. Januar 1938, abgedruckt in Beckett 2009, S. 599. 186 Beckett 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 187 So etwa Schreibman/Tobey 2003a oder Knowlson 2006b, S. 71. 188 Plaut war vor der Ausstellung mehrmals in Irland gewesen, das letzte Mal im Oktober 1950, wo er alle wichtigen Vorgänge mit MacGreevy, Waddington und anderen regeln konnte. Bei einem dieser Aufenthalte muss auch das Interview entstanden sein. – Vgl. Brief Plaut an MacGreevy, 18. September 1950, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/18.

346  |  Inszenierungsstrategien  : Künstler und Kritiker

des Textes zu bitten. Insbesondere nahm er Anstoß an der deutlichen Verortung seiner Person innerhalb gängiger nationaler Klischees. Er empfand die Darstellung wie eine boulevardeske Schilderung einer Touristin, die sich an eine gemeinsame Zugreise mit einem Iren erinnert. Folglich wünschte er sich ausdrückliche Änderungen  : I wish particularly that all the personal bits about me were cut […]. There is something you can do and that is have the year of my birth and any information as to my life cut out completely in all future catalogues.189

Dieser Bitte kam man nach und entfernte für die Kataloge der folgenden Ausstellungsorte all die von Yeats verneinten biografischen Hinweise. Zudem wurden weitere Formulierungen eingefügt, die offenbar ebenfalls auf Yeats’ Verbesserungsvorschläge zurückzuführen sind. So wird der Künstler in den korrigierten Katalogen mit folgenden Worten zitiert  : It doesn’t matter who or what I am. […] I don’t want it said about my work that it is pretty good for an Irishman. If the work is good and it is found out that the painter comes from Ireland, that is good for Ireland and reflects credit on my country.190

Yeats lehnte es demnach ab, als irischer Maler beschrieben zu werden, betrachtete er doch die landesspezifische Zuordnung für die Wahrnehmung seiner Kunst als unerheblich. Stattdessen forderte er  : »let the painting sell itself,«191 ein Anspruch, der erkennbar mit Becketts Plädoyer aus dem Jahr 1954 korreliert. Es ist zudem davon auszugehen, dass diese Übereinstimmung keine zufällige war, schließlich stand der Dramatiker sowohl mit Yeats als auch mit Waddington in engem Kontakt und dürfte diese für den Maler sehr eindrückliche Begebenheit gekannt haben. Mit der Kritik an den »Klischee-Deutungen vom heiligen Erbe«192 wird Beckett daher Yeats’ eigenen Überlegungen durchaus entsprochen haben. Beiden, dem Dramatiker und dem Maler, war es ein zentrales Anliegen, ihre nationale Herkunft nicht im Sinne eines übergeordneten Bewertungsmaßstabes einzusetzen, laufe dies doch einer neutralen Werkbetrachtung zuwider. Vielmehr sollte die Kunst im Vordergrund stehen, um einen unvoreingenommenen Blick zu gewährleisten. Im Falle Becketts war die Forderung der absoluten Loslösung vom Lokalen die Bedingung für das Erreichen einer global rezipierten Kunst. Für Yeats wiederum ging es darum, als Künstler ernst 189 Brief Jack B. Yeats an Victor Waddington, 23. April 1951, Waddington Archive, zitiert nach Arnold 1998a, S. 344. Da sowohl der Bostoner Katalog von 1951 sowie der New Yorker Katalog von 1952 im Wortlaut übereinstimmen, muss sich Arnold auf eine frühere, mir unbekannte Fassung beziehen. 190 Yeats zitiert in Ausst.-Kat. Boston 1951 sowie Ausst.-Kat. New York 1952. 191 Yeats zitiert in Ausst.-Kat. Boston 1951 sowie Ausst.-Kat. New York 1952. 192 Beckett 2010c, S. 193.

Kunst ohne Ursprung | 347

genommen zu werden und nicht hinter einer attestierten Maske lokaler Zuschreibungen zu verschwinden. Vor dem Hintergrund poststrukturalistischer Überlegungen bieten der von Beckett sowie letztlich auch der von Yeats eröffnete kritische Diskurs zum Ursprung des Künstlers und seines Œuvres wichtige Denkanstöße für den Aspekt nationaler Zuschreibungsprozesse. Schließlich ging es ihnen darum, die Interpretation von lokalen Klischees zu befreien, die im Kontext der Etablierung kanonischer Merkmale dazu dienten, Differenz zu markieren und Vormachtstellungen zu sichern. Dass irische Künstler:innen nach dem Zweiten Weltkrieg trotz der Unabhängigkeit in der Wahrnehmung der europäischen und globalen Kunstwelt immer noch an der Peripherie verortet wurden, ist als Hintergrund dieser Diskussion anzuführen. Wiederholt brachten abgrenzende Formulierungen, waren sie affirmativ oder ablehnend gemeint, diese Einordnung zum Ausdruck, eine Kategorisierung, die offenkundig auf den ehemals kolonialen Status rekurrierte und den Prägungen des jeweiligen nationalen Habitus unterlag.193 So hieß es bei Berger, dass Yeats »on the periphery of the twentieth century«194 agiere, bei Newton, dass er »not a modern at all«195 sei oder bei dem britischen Künstler und Kritiker Patrick Heron, dass »the Irish […] no real visual art« hätten und Yeats aus genau diesem Grund interessant sei, »not because he paints well but because he remains true to a setting which hardly permits painting at all.«196 Innerhalb der Yeats-Forschung kann Becketts Lesart diesbezüglich als schärfstes Plädoyer für eine globale, allein auf künstlerische Aspekte fokussierende Wahrnehmung verstanden werden. Die Vehemenz, mit der Beckett dabei gegen heimatorientierte Interpretationen vorging, offenbart letztlich die Hartnäckigkeit der Idee des Nationalen, die sich jedweden hybriden Impulsen verschließt und auf diese Weise die Komplexität von Kunstwerken unterminiert.

193 Zur Theorie des nationalen Habitus siehe Kuzmics 2000, S. 223. Er widmet sich anhand von Norbert Elias’ Prozesstheorie den Merkmalen nationaler Prägung, wobei er vergleichend dekonstruktivistische Ansätze, etwa die von Hobsbawm, heranzieht. Für ihn zeichnet sich der nationale Habitus unter Bezugnahme auf Elias durch einen »Langfristcharakter« aus. 194 Berger 1956, S. 741. 195 Newton 1950, S. 238. 196 Heron 1948, S. 154, aufbewahrt in NLI.

6. Hybride Identitäten und transkulturelle Verflechtungen 1971 konstatierte Brian O’Doherty, Yeats habe »never […] alien territory«1 gemalt, sondern sich thematisch hauptsächlich auf Irland konzentriert. Mit dieser Behauptung blendete er, der sich ansonsten stets kritisch mit Yeats’ Arbeiten und deren Entstehungskontext auseinandergesetzt hatte, den nachweislich hybriden Charakter vieler Werke des Malers aus, der aus einer intensiven Auseinandersetzung mit anderen Kulturen resultierte. Das folgende Kapitel wendet sich unter Berücksichtigung globaler Transferprozesse dediziert den von der Forschung bisher vernachlässigten Merkmalen und Ausprägungen dieser vielschichtigen Interdependenzen zu. Es ist ein zentrales Anliegen, der Ästhetik und der Bedeutung möglicher kultureller Durchdringungen nachzugehen, um so mittels einer über nationale Zuschreibungsversuche hinausgehenden internationalen Kontextualisierung des vielseitigen Schaffens des Künstlers einen neuen Zugang zu seinem Werk zu erhalten. Im Zuge dieser Herangehensweise soll zudem neben den Bildwerken auch auf die bis dato größtenteils negierte Teilhabe des Künstlers am internationalen Kunstgeschehen fokussiert werden, wobei der Schwerpunkt auf Yeats’ andauernden Versuchen liegen wird, als Künstler im amerikanischen Ausland Anerkennung zu finden.2 Anhand seiner zahlreichen Ausstellungen in den USA und seines kulturellen Netzwerkes, bestehend aus Sammler:innen, Galerist:innen und Kritiker:innen, sollen dabei Parameter transnationaler Verflechtungen analysiert werden. Das Ziel ist es, die zentrale Bedeutung des Kulturtransfers für Yeats’ Schaffen herauszuarbeiten und hierdurch eine neue Perspektivierung innerhalb eines globalen Kontextes zu ermöglichen. 6.1 Amerikareflexionen, ›Orient‹-Fantasien und Irlandbilder

Zahlreiche Yeats’sche Bildtitel verweisen auf eine andauernde Beschäftigung des Künstlers mit außereuropäischen Kulturräumen. Hierzu zählen Werke wie California (1937),

1 O’Doherty 1971, S. 81. 2 Zwar gibt es etwa zu Yeats’ Wirken in den USA kurze Besprechungen, etwa Arnold 1998a, S. 116 – 131  ; Potterton 1993  ; Pyle 1989, S. 81 – 86 oder O’Connor 2020. Allerdings fokussieren diese hauptsächlich auf die organisatorischen sowie historischen Aspekte und weniger auf die künstlerischen Impulse.

Amerikareflexionen, ›Orient‹-Fantasien und Irlandbilder | 349

Tales of California Long Ago (1953) oder The Belle of Chinatown (1943, Abb. 98).3 Innerhalb des Œuvres stechen vor allem Arbeiten zu amerikanischen und asiatischen Themenwelten hervor. Ausgehend von den Amerikareflexionen und ›Orient‹-Fantasien des Künstlers widmet sich die nachfolgende Untersuchung den Voraussetzungen und den Erscheinungsformen einer seinem Werk immanenten hybriden Bildlichkeit. Wie bereits bei der Analyse seiner frühen Arbeiten bedient sich die Betrachtung eines transkulturellen Ansatzes, der laut Juneja den Vorteil bietet, Kulturen, »die sich nicht ausschließlich von innen heraus erklären, sondern in Beziehungsprozessen mit anderen Kulturen«4 stehen, erfassen zu können. Dabei möchte ich die Überlegungen der globalen Kunstgeschichte auf eine europäische Dimension übertragen, ist doch meines Erachtens davon auszugehen, dass Irland aufgrund seiner innereuropäischen Kolonisationsgeschichte weniger der Vorstellung des diskursbestimmenden, europäischen »Westens«, sondern vielmehr der des wenig privilegierten »Rests« entspricht.5 Hinsichtlich kolonialer Differenzerfahrungen können hier Analogien zu außereuropäischen Kulturräumen gezogen werden, die im Vergleich zum westlichen Kanon stets als das marginalisierte ›Andere‹ definiert wurden. Das irische Verhältnis zu Amerika, das im Kontext postkolonialer Studien neben Europa überwiegend zum hegemonialen Westen gezählt wird, ist von spezifischen Erwar­ tungshaltungen und Ambivalenzen geprägt, die sich aus Irlands besonderer Position innerhalb Europas ergeben. Darüber hinaus zeigen Yeats’ Arbeiten, dass der amerikanische Bezugsrahmen für ihn insbesondere aufgrund der dort vorherrschenden kulturellen Vielschichtigkeit von Interesse war, wie etwa seine zeichnerischen und malerischen Reflexionen kultureller Diversität im urbanen Kontext belegen. So sind seine Vorstellungen von China und anderen Ländern, auch in Verbindung mit der Emigrationshistorie seiner Heimat, eng mit Amerika verwoben und spiegeln sich etwa in Arbeiten zu Chinatown in New York City wider. Daher eignen sich Yeats’ künstlerische Auseinandersetzungen nicht nur dazu, kritisch über das als Entität gedachte Konstrukt

3 Jack B. Yeats, California, 1937, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz und Tales of Califor­ nia Long Ago, 1953, Öl auf Leinwand, 91,7 × 122,2 cm, Washington, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden. 4 Juneja 2012, S. 7. 5 Stuart Hall untersucht in seinem 1992 veröffentlichten Aufsatz The West and the Rest die Binärformel vom »Westen« und vom »Rest«. Ihm zufolge bestimmt der europäisch-amerikanische Westen die entscheidenden Diskurse und determiniert damit auch das Handeln gegenüber dem marginalisierten außereuropäischen »Rest«. – Vgl. Hall 1992, S. 275 ff. Dennoch räumte er ein, dass der Westen von internen Differenzen geprägt sei und »the West had its own internal ›others‹«, Hall 1992, S. 280. Halls wegweisende Überlegungen wurden in der Folge immer wieder im Rahmen der Postcolonial Studies aufgegriffen. Seinen Ansatz erweitert hat etwa Allerstorfer, die sich von der strengen Dichotomie löste und am Beispiel von Österreich-Ungarn Halls Diskurs auf das Phänomen des innereuropäischen Kolonialismus übertrug und diesbezügliche Analogien herstellte. – Vgl. Allerstorfer 2017b. Zu Irland im postkolonialen Kontext siehe etwa Lloyd 2003.

350  |  Hybride Identitäten und transkulturelle Verflechtungen

Europas,6 sondern auch das des nordamerikanischen Westens nachzudenken und vielmehr die Brüche innerhalb des Dispositivs aufzuzeigen. Am Beispiel seines Werkes soll dabei vor allem die Verschränkung von irischer und amerikanischer Kultur im Kontext zeitgenössischer Alteritätsdebatten thematisiert werden. Zu diesem Zweck werden Yeats’ Amerikabilder und ›Orient‹-Imaginationen vorgestellt und zugleich deren identifikative Wirkung hinsichtlich der Etablierung eines landesspezifischen Bewusstseins untersucht. 6.1.1 An Irishman in New York. Yeats’ New York-Reise und erste US-amerikanische Einzelausstellung, 1904 In einem Brief vom 6. Juni 1904 konstatierte Yeats gegenüber John Quinn  : »I don’t regret going to New York a bit. I am very glad indeed I have been. I will gain by it in the end.«7 Er verwies damit auf eine nur wenige Wochen zurückliegende Reise in die Metropole, die er anlässlich einer Einzelausstellung seiner Werke in der Clausen Gallery angetreten hatte. Dieser erste und einzige Aufenthalt des Künstlers in den Vereinigten Staaten währte lediglich sieben Wochen, dennoch sollten die gesammelten Eindrücke sein weiteres Schaffen nachhaltig prägen, ein Umstand, der in der Yeats-Literatur bisher nicht genügend gewürdigt worden ist.8 Dies mag sich vor allem damit begründen lassen, dass Yeats’ Œuvre bis heute vorrangig unter dem Aspekt einer genuin irischen Kunstgeschichte rezipiert wird. Ein Blick auf Yeats’ umfangreiches Werk zeigt jedoch, dass dieses ohne die Berücksichtigung globaler Kontexte und ohne die Einbettung in reziproke künstlerische Bezugsysteme nur lückenhaft zu verstehen ist, was vor allem am Beispiel der Amerikareferenzen nachvollzogen werden kann. Dass Yeats’ USA-Aufenthalt trotz seiner Kürze eine äußerst zentrale Rolle für sein weiteres Schaffen zukommt, hat zunächst mit der historisch bedingten, irischen Perspektive auf Amerika zu tun. Immerhin hatten, beginnend mit der Großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts, zahlreiche Iren ihr Land verlassen, um auf der anderen Seite des Atlantiks ihr Überleben zu sichern. Die Ungewissheit, die mit dem Weggang aus der Heimat verbunden war, hatte Yeats bereits in frühen Grafiken wie The Emi­ grant thematisiert.9 Mit der Auswanderung verknüpften viele aber auch die Hoffnung 6 Ähnliche Positionen werden bereits bei Lange 2020 oder Haro García 2020 vertreten, die das im Zuge der postkolonialen Studien entworfene Bild von Europa als diskursbestimmender Entität kritisch hinterfragen und sich marginalisierten Räumen innerhalb Europas zuwenden. 7 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 6. Juni 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 8 Wie bereits bemerkt, gibt es von Arnold 1998a, S. 116 – 131  ; Potterton 1993 und Pyle 1989 Besprechungen dieses Aufenthaltes. Allerdings fokussieren diese hauptsächlich auf den Ablauf der Reise. Eine Ausnahme stellt der Aufsatz von Ansel 2020a dar. Im Folgenden werden die darin entwickelten Überlegungen als Grundlage für die Analyse herangezogen. 9 The Emigrant, 1899, abgedruckt und besprochen in  : Dublin Independent  : The Emigrant. Irish Artist’s Picture of Real Life, 19. Mai 1899, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

Amerikareflexionen, ›Orient‹-Fantasien und Irlandbilder | 351

auf goldene Zeiten und einen sozialen Aufstieg. Immer wieder wurde berichtet, wie die in den USA angekommenen Iren ihre Familien in Irland finanziell unterstützten, sodass sich vor allem den Daheimgebliebenen New York als Glück verheißender Ort darstellte.10 Im Folgenden soll an diese Überlegungen anknüpfend die New York-Reise des Künstlers als Medium des Kulturtransfers untersucht werden. In diesem Zusammenhang soll vor allem den im Brief geäußerten Worten »I will gain by it in the end«11 und der damit verbundenen Frage nachgegangen werden, welchen konkreten künstlerischen Einfluss die Reiseeindrücke auf das spätere Schaffen des Malers hatten. Auch wird zu erörtern sein, inwiefern sich Yeats’ Bild der USA durch die Reise veränderte. Bezogen auf eine internationale Ausrichtung des Künstlers soll zudem diskutiert werden, inwieweit es Yeats gelang, durch den Aufenthalt einen Zugang zum amerikanischen Kunstmarkt zu erhalten. Als wesentlicher Analysegegenstand wird dabei der in der New York Public Library befindliche Briefwechsel zwischen Yeats und Quinn herangezogen,12 der wichtige Informationen sowohl zu den Vorbereitungen der Reise als auch zur Ausstellung in der Clausen Gallery liefert. Darüber hinaus soll die Untersuchung der Exposition selbst sowie deren amerikanische Rezeption Aufschluss über das Verhältnis von kultureller Selbst- und Fremdbetrachtung gewähren. Um den Einfluss der Reiseeindrücke auf Yeats’ weiteres Schaffen besprechen zu können, sollen schließlich die in New York entstandenen Skizzen als Grundlage später entstandener Gemälde besprochen werden.13 Damit einhergehend soll anhand ausgewählter Arbeiten die Wirkung künstlerischer Transformationsprozesse diskutiert werden, die als bestimmend für die weitere Genese von Yeats’ Werk angesehen werden kann. Initiiert wurde Yeats’ erste amerikanische Einzelausstellung von John Quinn, der in der New Yorker Kulturszene gut vernetzt war und später zu den Mitorganisatoren der wegweisenden Armory Show gehörte.14 Der Kontakt zwischen Yeats und Quinn war bereits einige Jahre früher zustande gekommen, als der irisch-amerikanische Sammler mehrere Reisen nach Irland unternommen und sich dort auch mit der KünstlerfamiEin junger Mann verlässt auf einer Kutsche seine westirische Heimat, deren hügelige Landschaft im Hintergrund bereits in weite Ferne gerückt ist. 10 Vgl. etwa Synge 1905b, S. 7. Hier berichten Daheimgebliebene, wie die nach New York Ausgewanderten sie mit Geld finanziell unterstützen  ; zudem galt vielen Amerika als »El Dorado«. – Vgl. Synge 1911, S. 27. 11 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 6. Juni 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 12 Der unveröffentlichte Briefwechsel ist in der New York Public Library einsehbar. – Vgl. NYPL, Quinn, Box 49. 13 Insgesamt acht Skizzenbücher zur New York-Reise befinden sich im Yeats Archive. Ein weiteres, mir bekanntes Skizzenbuch zur Überfahrt ist in Privatbesitz. Yeats verwendete Bleistift für seine Skizzen, die er mit Tusche und Aquarellfarben nacharbeitete. In der Regel kam das ringgebundene Rowney & Co-Skizzenbuch zum Einsatz, das mit nur 9 × 12,5 cm eine handliche Größe aufwies. 14 Zu John Quinns Leben und Wirken siehe Reid 1968.

352  |  Hybride Identitäten und transkulturelle Verflechtungen

lie Yeats angefreundet hatte.15 Quinns Aufmerksamkeit hatte dabei zunächst anderen Familienmitgliedern gegolten, interessierte er sich doch hauptsächlich für die Arbeiten von Yeats’ Vater sowie für das dichterische Werk von William Butler.16 In der Folge wurde er aber auch auf die Arbeiten des jüngeren Bruders aufmerksam, sodass er ihm 1903 vorschlug, eine Ausstellung in New York zu realisieren, um hierdurch seine Bekanntheit in den USA zu befördern. Yeats zeigte sich sehr angetan von der Idee, seine Kunst im Ausland zu präsentieren und erinnerte Quinn 1904 mit Nachdruck an die geplante Werkschau.17 Der Zeitpunkt dafür schien günstig. Schließlich lässt sich für die Vereinigten Staaten um 1900 ein großes Interesse am Celtic Revival konstatieren.18 In diesem Zusammenhang hatte Quinn für den berühmteren W. B. bereits eine Vortragsreise organisiert, für die der Dichter von November 1903 bis März 1904 durchs Land gereist und wiederholt wie ein Star empfangen worden war.19 Aufgrund dieser positiven Erfahrung erhoffte sich Quinn für Jack B. Yeats einen ähnlich erfolgreichen Aufenthalt und versicherte ihm am 13. Februar 1904, »your brother’s lectures here and all the talk there has been about the name Yeats ought to help along your show […].«20 Als Ausstellungsort konnte Quinn William Clausens 1889 gegründete Galerie gewinnen. Im Gegensatz zu etablierteren Kunsthändlern war Clausen (1852 – 1932) zu dem Risiko bereit, Werke eines in den USA noch unbekannten Künstlers zu zeigen.21 Der Galerist ließ Yeats über Quinn ausrichten, dass er beabsichtige, mindestens 50 Werke zu präsentieren und einen Katalog vorzubereiten.22 Yeats versandte daraufhin 39 Aquarelle nach New York  ;23 weitere 24 führte er bei seiner Hinfahrt Mitte März bei sich, sodass diese noch rechtzeitig für die vom 31. März bis 16. April dauernde Ausstellung eintrafen.24 Yeats und seine Frau reisten vom 12. bis 21. März auf der SS Mesaba der Atlantic Transport Line von London aus nach New York (Abb. 91), wo sie am Hafen von John Quinn empfangen wurden. Sie kamen, wie vor ihnen bereits W. B. Yeats, in Quinns Upper West Side-Wohnung, unmittelbar am Central Park, unter.25 Der Aufenthalt 15 Eine Fotografie von Arnold Genthe aus dem Jahr 1914 zeigt John Quinn und W. B. Yeats zusammen. Eine Skizze von Jack B. Yeats aus dem Jahr 1902 fängt John Quinn und seinen Vater, JBY, bei einem Gespräch ein. – Vgl. SK 48  : Dublin, John Quinn and the Governor [JBY] August 1902, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/48/18. 16 Vgl. Arnold 1998a, S. 119. 17 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 18. Januar 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 18 Vgl. The Gael  : A Celtic Section in the N. Y. Public Library, Juni 1903, S. 182. 19 Mulcahy 1903, S. 426. 20 Brief Quinn an Jack B. Yeats, 13. Februar 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 21 Brief Quinn an Jack B. Yeats, 13. Februar 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 22 Brief Quinn an Jack B. Yeats, 15. Februar 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49  ; zum Faltblattkatalog siehe Ausst.-Kat. 1904, abgeheftet in AJ, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. 23 Briefe Jack B. Yeats an Quinn, 1. und 5. März 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 24 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 9. März 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 25 Quinn wohnte zu diesem Zeitpunkt 1 West 87th Street, siehe Brief Quinn an Jack B. Yeats,

Amerikareflexionen, ›Orient‹-Fantasien und Irlandbilder | 353

Abb. 91 Jack B. Yeats und seine Frau Mary Cottenham Yeats auf der SS Mesaba nach New York, Fotografie, März 1904, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/7/3/76/02

des Paares reichte über das Ausstellungsende hinaus, ihre Rückreise traten beide am 14. Mai auf der SS Celtic an.26 Perspektivwechsel

Wie Quinn vorausgesehen hatte, wurde Jack B. Yeats von der amerikanischen Presse bevorzugt als Bruder von W. B. Yeats vorgestellt. So hatten sich die Geschwister laut New York Evening World auf dem Atlantik gewissermaßen den Staffelstab überreicht und Dichtkunst gegen Malerei ausgetauscht.27 Auch ein kurzer Artikel in der Zeitschrift 15. Februar 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49  ; seine spätere Wohnung, wo er seine umfangreiche Sammlung der Moderne beherbergte, befand sich 79 Central Park West. – Vgl. Zilczer 1978, S. 38. 26 Vgl. Brief Quinn an W. B. Yeats, 14. Mai 1904, NYPL, Quinn  ; Potterton 1993 gibt irrigerweise den 15. Mai an, aber aus dem Brief von Quinn an W. B. geht hervor, dass er Jack und Cottie am Morgen des 14. Mai am Hafen verabschiedet hatte. Eigentlich dauerte der Aufenthalt so siebeneinhalb Wochen  ; Arnold 1998a und Pyle 1989 machen zu den Reisedaten ungenaue Angaben, was in diesem Fall offenbar der mangelnden Kenntnis der Archivmaterialien geschuldet ist. 27 New York Evening World  : Yeats the Artist Follows the Poet, 5. April 1904, abgeheftet in ZA, Yeats

354  |  Hybride Identitäten und transkulturelle Verflechtungen

Abb. 92 Jack B. Yeats mit Zigarre, New York 1904, Fotografie von Alice Boughton, abgeheftet in Yeats’ Zeitungsausschnitten, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/1.

The Lamp, der von einem eigens angefertigten Porträtfoto begleitet wurde, besprach den Künstler als Teil einer begabten Familie (Abb. 92).28 Weitere, ausführlichere Besprechungen lenkten den Fokus indes ganz auf Jack und dessen Ausstellung. An deren Entstehung wiederum hatte Quinn einen wesentlichen Anteil, sorgte er doch dafür, dass Yeats während seines Besuches mit wichtigen Kritikern zusammentraf, die im Anschluss über ihn berichteten. Eine solche Begegnung findet sich denn auch in Yeats’ Skizzen festgehalten. Darin stellte sich der Künstler inmitten einer Tischgesellschaft dar, die der Kunstkritiker Henri Pène du Bois in seinem Haus auf Staten Island versammelt hatte.29 Tags darauf schwärmte der Kritiker im New York American, dass Yeats’ Werk »magnificent« sei und »the magic of a folklore tale«30 besitze. Darüber hinaus hob er hervor  : »Jack Yeats draws Irishmen – real Irishmen, not those of the caricature. His figures Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 28 The Lamp, Mai 1904, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 29 SK 73  : New York 1904  : Du Bois’s House on Staten Island, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/74 und 75. 30 Pène du Bois 1904a, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

Amerikareflexionen, ›Orient‹-Fantasien und Irlandbilder | 355

Abb. 93 Thomas Nast, The Usual Irish Way of Doing Things, in  : Harper’s Weekly, 2. September 1871.

are true. […] They have the native simplicity of the folklore tale.«31 In seinem Urteil bezog sich Pène du Bois dabei vor allem auf die genuine Qualität der Arbeiten, die nichts mit jenen antiirischen Karikaturen gemein hätten, die in Großbritannien und den USA seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kursierten. Das rassistische Bild vom affenähnlichen ›Paddy‹, wie es etwa von Karikaturisten wie Thomas Nast (1849 – 1902) verbreitet worden war, hatte das Stereotyp vom aufbrausenden, trunksüchtigen und politisch aufrührerischen Iren befördert (Abb. 93).32 Yeats’ 63 Aquarelle hingegen präsentierten einem Kritiker zufolge »people and things as he sees them with a new and striking individuality«33. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten waren zwischen 1899 und 1904 entstanden. Darunter befanden sich hauptsächlich irische Genreszenen mit Titeln wie The Regatta oder The Duck Hunt, aber auch politische Darstellungen wie Robert Emmet in 1898, ein Werk, das auf das Jubiläum des Aufstandes der United Irishmen im Jahr 1798 verweist. Obwohl Yeats der Ausstellung und ihrer Rezeption große Bedeutung beimaß und er alle dazu verfassten Kritiken akribisch sammelte,34 widmete er der Clausen Gallery

31 Pène du Bois 1904b, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 32 Vgl. Curtis 1997, S. 58 ff. 33 The Gaelic American  : In the West of Ireland. Artist Jack B. Yeats, Brother of the Poet, Is Giving an Exhibition of His Paintings in New York, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 34 Vgl. ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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selbst in seinen Reiseaufzeichnungen lediglich eine Skizze.35 Allerdings gibt diese von der Literatur bisher unbemerkte Dokumentation Aufschluss über die Hängung sowie die verschiedenen Formate der frühen Arbeiten. Dass es sich bei dem mit The Gallery betitelten Blatt tatsächlich um die Werkschau in der Clausen Gallery handelt, ergibt sich aus der erkennbaren Wiedergabe eines großformatigen Aquarells im Ausstellungsraum. Die mit The Crest of the Hill betitelte Arbeit zeigt ein Pferd und dessen Reiter in Untersicht vor einer westirischen Landschaft.36 Es handelt sich um eines der zehn Aquarelle, die Quinn selbst von dem Galeristen erwarb. Der Anwalt blieb damit nahezu der einzige Interessent, fanden sich darüber hinaus doch lediglich zwei weitere Käuferinnen.37 Die Ausstellung muss daher als wirtschaftlicher Misserfolg gewertet werden, über den sich sowohl Yeats als auch Quinn im Nachhinein enttäuscht zeigten. Noch am Tag von Jacks Abreise schrieb Quinn ernüchtert an W. B. Yeats  : »Jack is a lovable charming fellow but doesn’t take himself as an artist seriously enough.«38 Darüber hinaus bemängelte Quinn, dass er sich eine überlegtere Auswahl der Arbeiten gewünscht hätte. Trotz Quinns Enttäuschung, die wohl auch aus der Diskrepanz zwischen W. B. Yeats’ großem und Jack B. Yeats’ geringem monetären Erfolg in den USA resultierte, setzte sich Quinn in der Folge weiterhin für den Maler ein und verschaffte ihm neue Aufträge, mit der Absicht, ihn in den USA dauerhaft bekannt zu machen.39 Längerfristig sollte Yeats von der Ausstellung in der Clausen Gallery also durchaus profitieren. Schließlich konnte er dank Quinns maßgeblicher Unterstützung in den folgenden Jahrzehnten ein breites Netz amerikanischer Sammler:innen und Galerist:innen aufbauen, sodass sein Werk in der Folge auch dort regelmäßig in Gruppen- und Einzelausstellungen zugänglich gemacht wurde.40 So war Yeats 1913, durch Quinns Empfehlung,41 in einer der einflussreichsten Ausstellungen der Moderne, der Armory Show, mit sechs Arbeiten vertreten.42 Seine dort gezeigten Werke, wie The Bar­ rel Man (1912) oder The Circus Dwarf (1912), markieren zugleich Yeats’ Anfänge als Ölmaler.43 Die Teilnahme an der Armory Show wiederum sorgte auf lange Sicht dafür, dass sich weitere Galerist:innen für sein Werk interessierten. Als prominentes Beispiel hierfür kann Mary Quinn Sullivan (1877 – 1939) genannt werden, eine der Mitbe35 SK 70  : New York 1904  : The Gallery, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/70/19. 36 Jack B. Yeats, The Crest of the Hill, 1904, Aquarell, 730 × 535 mm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection. 37 Auflistung der Käufer:innen in Yeats’ Ausstellungsjournal  : John Quinn, Mrs. Davis und Mrs. Byrne, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. 38 Brief Quinn an W. B. Yeats, 14. Mai 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn. 39 So verschaffte ihm Quinn Aufträge für amerikanische Magazine. – Vgl. Brief Quinn an W. B. Yeats, 14. Mai 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn. 40 Vgl. AB, Bd. 1, unter dem Titel »America« versammelte Yeats alle amerikanischen Kontakte, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/3. 41 Brief Quinn an Jack B. Yeats, 21. Dezember 1912, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 42 Vgl. Ausst.-Kat. New York 1913, S. 33 und S. 44. 43 Jack B. Yeats, The Barrel Man, 1912, Öl auf Leinwand, 35,5 × 23 cm, Privatbesitz und The Circus Dwarf, 1912, Öl auf Leinwand, 91,5 × 61 cm, Privatbesitz.

Amerikareflexionen, ›Orient‹-Fantasien und Irlandbilder | 357

gründerinnen des New Yorker Museum of Modern Art. In den 1930er Jahren zeigte sie in ihrer Galerie Yeats’ Arbeiten neben amerikanischen und europäischen Werken und präsentierte diese somit als integralen Bestandteil einer internationalen Moderne.44 Bereits auf Grundlage dieser Beobachtungen kann konstatiert werden, dass sich Yeats nicht auf eine Wahrnehmung als genuin irischer Künstler beschränken lässt, sondern dass sein Schaffen vielmehr innerhalb eines globalen Kontextes zu betrachten ist. Für ihn selbst muss die Reise dabei als Initiationsmoment gelten. Überdies eröffnete sie ihm den Zugang zum amerikanischen Kunstmarkt, mit dem in seiner Heimat der Eindruck internationalen Renommees einherging.45 New York-Eindrücke als Bilder der Ferne

Seiner gängigen Praxis entsprechend hielt Yeats auch in New York seine gesammelten Eindrücke in mehreren Skizzenbüchern fest. Die zeichnerischen, mit Bleistift, Tusche und Aquarell eingefangenen Momentaufnahmen zeugen von unzähligen Unternehmungen und einem großen Interesse für das vibrierende Großstadtleben. Teilweise entsteht sogar der Eindruck, der Künstler habe die Reise allein aus touristischen Motiven angetreten. So überrascht es nicht, dass Quinn dem irischen Maler und Dichter George Russell (Æ) am 2. Mai 1904 berichtete  : »He and Mrs. Yeats are delighted with New York and I believe that he has seen more of the City than I ever have, who lived here for years.«46 Dabei fing Yeats zahlreiche – auch heute noch – populäre Motive ein, so etwa die sich von der Staten Island Ferry aus präsentierende Silhouette der New Yorker Skyline, die Freiheitsstatue oder die Brooklyn Bridge.47 Doch auch Alltägliches, wie die vertikale Fortbewegung im Fahrstuhl eines Hochhauses und der sich dadurch eröffnende Blick in fremde Wohnungen, faszinierte ihn.48 Darüber hinaus finden sich unzählige Zeugnisse von Freizeitvergnügungen, wie ein Cocktailabend in der Bar des Waldorf Astoria oder ein Besuch im Central Park, bei dem Yeats eine Reiterin auf ihrem Pferd festhielt (Abb. 94), vor allem aber die Dokumentation mehrfacher Theaterbesuche.49 44 Zu Yeats’ Ausstellungen in der Mrs. Cornelius J. Sullivan Gallery 1937 und 1938 siehe Parnassus  : Calendar of Current Exhibitions, 9  :4, 1937, S. 52 und Parnassus  : Exhibitions in New York, 10  :1, 1938, S. 53 f. ebenso wie Irish Times  : Mrs. Cornelius J. Sullivan, 28. März 1938, letztere abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr.: Y1/JY/4/2/3. Zu Sullivans Tätigkeit als Galeristin siehe James 1971, Bd. 3, S. 408 f. 45 So wiesen Kritiker:innen wie MacGreevy auf die internationale Vernetzung des Künstlers hin sowie auf dessen Kenntnis des globalen Kunstgeschehens. – Vgl. MacGreevy 1963, S. 4. 46 Quinn an Æ, 2. Mai 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn. 47 SK 73  : New York 1904  : Staten Island Ferry, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/82 sowie On Ellis Island, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/30 und SK 70  : New York, Quinn 2, 1904  : Brooklyn Bridge, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/70/10. 48 SK 74  : New York, Strete 1904  : On the Elevator New York, Passing by Window, Yellow Dog Sunning Himself on Fire Escape, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/74/54. 49 SK 70  : New York 1904  : In Central Park, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/70/32 und SK 74  :

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Abb. 94 Jack B. Yeats, In Central Park, SK 70, 1904, Bleistift, Aquarell, 100 × 130 mm, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/70/32.

Nahezu ein vollständiges Skizzenbuch ist hierbei der Aufführung von The Wizard of Oz gewidmet.50 Auch amerikanische Vaudevilles, wie das des Impresarios Tony Pastor, begeisterten ihn.51 Der sportbegeisterte Yeats ließ es sich zudem nicht nehmen, einem BaseballSpiel auf Staten Island beizuwohnen.52 Es finden sich wiederholt Werbemotive, deren Omnipräsenz den Iren beeindruckt haben muss, sowie Kurioses, darunter ein vorbeiflitzender Werbeträger auf einem Einrad, der von Yeats in hastigen Strichen auf Papier gebannt wurde, und der für ihn vermutlich die Schnelligkeit und Buntheit des New Yorker Alltags zum Ausdruck brachte.53 Dass Yeats die Skizzen indes auch vor einem geschäftlichen Hintergrund anfertigte, lässt sich einem Zeitungseintrag im Lamp vom Juni 1904 entnehmen. Dort heißt es  : New York, Strete 1904  : Bartender at the Waldorf Astoria, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/74/36. 50 SK 74  : New York, Strete 1904  : The Wizard of Oz, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/74/29. 51 SK 73  : New York 1904  : Cake Walk at Tony Pastor’s (14th Street), Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/73/54. 52 SK 73  : New York 1904  : Baseball on Staten Island, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/72. 53 SK 74  : New York, Strete 1904  : Advertisement Painted on House, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/74/18 und SK 73  : New York 1904  : On one Wheel for an Advertisement down Broadway, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/76.

Amerikareflexionen, ›Orient‹-Fantasien und Irlandbilder | 359

It is Mr. Yeats’s intention to produce a series of the miniature Stage for America, and while he was here he spent much time in out-of-the way spots in New York in search of material.54

Der Künstler, der bereits in England Papiertheaterstücke zu verschiedenen thematischen Hintergründen angefertigt hatte,55 plante demnach offenbar, seine New YorkEindrücke in miniaturisierter Form für den amerikanischen Markt zu verarbeiten – ein Vorhaben, das er allerdings nie umsetzte. Ganz allgemein verweisen die Skizzen auf Yeats’ vielfältiges Interesse an amerikanischer Kultur. Demgemäß besichtigte er während seines Aufenthaltes auch Quinns Anwaltsbüro und partizipierte an dessen Arbeitsalltag, wie festgehaltene Besuche in Gerichtsverhandlungen belegen.56 Für ein Thema interessierte sich Yeats zudem ganz besonders  ; folgerichtig zieht es sich wie ein roter Faden durch seine Skizzenbücher. So belegen zahlreiche Entwürfe seine große Faszination für die Vielfalt der Nationalitäten und Kulturen, der er in New York begegnete. Vor allem Szenen in Chinatown, in denen er Spaziergänge, Restaurant- und Theaterbesuche dokumentierte, zählen zu den häufig wiederkehrenden Motiven.57 Überraschend ist allerdings, dass sich unter den Dargestellten kaum Iren finden, und das in einer Zeit, in der New York als »largest Irish city in the world«58 bekannt war. Einzig bei einem Ausflug zur Einreisestation Ellis Island, die von 1892 bis 1954 von über 12 Millionen Einwandernden passiert werden musste,59 porträtierte er neben anderen Immigrant:innen auch Landsleute und notierte »very few shawls among the Irish«60. Als Besucher hielt er das Prozedere der Inspektionen fest und vermerkte unter einer der Skizzen  : »I noticed no emigrant smiling at any time while going through the long inspection.«61 Umso bemerkenswerter ist, dass Yeats in retrospektiven Äußerungen vor allem das Schicksal der Iren hervorhob. So konstatierte er in einem 1909 entstandenen Interview mit dem Irish Independent  :

54 The Lamp, Juni 1904, S. 420, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 55 Vgl. Pyle 1989, S. 58 ff. 56 SK 74  : New York, Strete 1904  : Quinn’s Office, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/74/53 und SK 73  : New York 1904  : Halls of Justice Brooklyn, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/77. 57 SK 74  : New York, Strete 1904  : China Town, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/74/09 sowie SK 70  : New York 1904  : Chinese Restaurant where the Missus and I Dined, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/1/1/70/14. 58 New York Times  : Many Societies in New York Devoted to the Study of Gaelic, 23. August 1903, S. 29. 59 Vgl. Moreno 2003, S. 7. 60 SK 73  : New York 1904  : Irish Immigrants at Ellis Island, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/35. Mit »shawls« wird auf die traditionellen Tücher hingewiesen, die vor allem von Frauen im Westen Irlands getragen wurden. 61 SK 73  : New York 1904  : Registry Room, Ellis Island, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/39.

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While there I went to visit Ellis Island, and saw the crowds of poor Swedish, Italian, and Irish emigrants arriving from the different ships. The Irish emigrants were by far the finest types, and it is no wonder America is anxious to encourage them as citizens.62

Dieses Zitat ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Zunächst verrät es, dass Yeats für die einheimische Presse einen dezidiert irischen Blickwinkel einnahm, der dem diversen Fokus der ursprünglichen Reise widersprach. Darüber hinaus macht die Bemerkung deutlich, dass sich Yeats nur marginal für das oft raue Schicksal der Immigrant:innen interessierte. Dies geht auch aus den Skizzen hervor, die vielmehr ein romantisiertes, multikulturelles New York zeigen und weniger auf soziale Aspekte scharfstellen. Zunächst scheint Yeats’ Perspektive in dieser Hinsicht sozialdokumentarischen Ansätzen entgegenzustehen, wie sie zu dieser Zeit etwa von Jacob Riis (1849 – 1914) verfolgt wurden, der in seinem 1890 erschienenen Buch How the Other Half Lives die von Armut geprägte Lebenswirklichkeit von Migrant:innen in Fotografie und Text festgehalten hatte.63 So ist für Yeats’ Bilder weder eine distanzierende noch ethnografisch klassifizierende Beschreibung des Immigrant:innenschicksals zu konstatieren. Allerdings hat bereits Keith Gandal darauf aufmerksam gemacht, dass auch Riis’ Blick auf das Leben in den Slums kaum als objektiv charakterisiert werden kann. Vielmehr ließen sich seine Fotografien als »urban curiosities« und als »new source of urban exoticism«64 verstehen, in denen die Armut der Immigrant:innen den Betrachtenden der Mittelklasse als pittoreskes Anschauungsobjekt präsentiert werde. Auch für Yeats’ Motive ist eine dem Phänomen des Exotismus zuzuschreibende Begeisterung festzustellen. Allerdings unterscheidet sich dessen Schwärmerei für das Fremdartige von Riis’ Faszination für das ›Andere‹, geht sie doch vielmehr mit persönlich geprägten Romantisierungen einher, die sich nicht mit der Idee einer gezielten Vermarktung verknüpfen lassen. Die spätere Beschreibung von Yeats’ Amerikabild durch MacGreevy ist in diesem Zusammenhang recht vielsagend  : The America Jack Yeats […] believed in was the America of the original American dream, and the America of those Americans who have, ever since, endeavoured to give reality to that dream.65

MacGreevy zufolge kam Yeats durch diesen spezifischen Fokus der Realität Amerikas näher, als es realistische Darstellungen vermocht hätten. Yeats’ und MacGreevys individuelle Amerikareflexionen stehen damit zugleich stellvertretend für eine genuin irische Perspektive, innerhalb derer die USA nicht nur als Ort unendlicher Möglichkeiten, 62 Irish Independent  : Irish Artists and Irish Types, 11. Mai 1909, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 63 Vgl. Riis 2010. 64 Gandal 1997, S. 63. 65 MacGreevy 1963, S. 4.

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sondern, mit Blick auf die frühe Loslösung von Großbritannien, auch als politisches Vorbild einer unabhängigen Demokratie begriffen wurde.66 6.1.2 Wild-West-Fantasien und New York-Bilder als identifikative Projektionsräume  : A Sidewalk of New York, 1905 Yeats’ Träume und Vorstellungen von Amerika sollten zeitlebens Spuren in seinem Œuvre hinterlassen. Immer wieder dienten ihm die 1904 entstandenen Skizzen dabei auch als Vorlage. Für diese Herangehensweise lieferte er in seinen 1922 verfassten Modern Aspects auch eine theoretische Grundlage  : »A picture which is true is the memory of a moment which once was as it appeared to the artist« (M. A., 2). Dieses Zitat verdeutlicht einen für seine Werkgenese zentralen Aspekt, der auf die Idee der Erinnerung sowie der »Nachbilder«67 rekurriert. Für Yeats war damit ein produktionsästhetischer Anspruch verknüpft, der von einer selbstgewählten Bildlichkeit ausging und unter anderem das Arbeiten nach Skizzen, fotografischen Vorlagen und gesammelten Eindrücken umfasste. Es war diese bewusste, auf Eigenaktivität beruhende Auswahl einzelner Motive, die in seine späteren Bildkompositionen mündete. Inwieweit Yeats im Zuge dieses Schöpfungsvorgangs auf sein (Bild)Gedächtnis zurückgriff und die generierten Erinnerungen dabei veränderte sowie in neue Kontexte bettete, soll an dieser Stelle auf der Grundlage dreier exemplarischer, zwischen 1905 und 1943 geschaffener Werke nachvollzogen werden. Bereits ein Jahr nach der Reise fertigte Yeats 1905 das hochformatige, 370 × 270 mm messende Aquarell mit dem Titel A Sidewalk of New York an. Dargestellt ist eine ländlich anmutende Straßenszene, die sich für die Betrachtenden kaum mit dem hektischen Treiben der Metropole in Verbindung bringen lässt (Abb. 95). Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass Yeats der Grafik zumindest das New Yorker Großstadttempo eingeschrieben hat, das er über das eilige Kommen und Gehen der Passanten sichtbar machte. Gleichzeitig allerdings suggeriert das Personal, dass das Geschehen weniger an der Ostküste, sondern vielmehr auf einer sandigen Hauptstraße im ›Wilden Westen‹ angesiedelt ist, auf der vorbeifahrende Pferdefuhrwerke ihre Spuren hinterlassen haben. Passend dazu wird die Kulisse links von einer angedeuteten Ladenzeile begrenzt, die erkennbar aus hölzernen Bauten besteht. In deren Vordergrund scheinen zwei gegensätzliche Figuren, die im Begriff sind, aneinander vorbeizugehen, die optische Grenze gegenüber den Rezipierenden aufzulösen  : Denn während links ein schnurrbärtiger Mann in rotem Hemd, blauer Jacke und einer Schiffermütze direkt auf uns zukommt, betritt rechts auf derselben Höhe ein Junge den Schauplatz, um auf das Geschäft im Mittel66 Vgl. Breuer 2003, S. 67 f. 67 Meister 2011, S. 7. Mit Nachbildern verbindet sich nicht nur eine zeitliche Ebene, sondern auch eine spezifische Art der Wiedergabe des Gesehenen. Insofern referenziert der Begriff auch das Verhältnis von darzustellendem Objekt und subjektivem Schöpfungsakt.

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Abb. 95 Jack B. Yeats, A Sidewalk of New York, 1905, Aquarell, 370 × 270 mm, Privatbesitz.

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Abb. 96 Jack B. Yeats, The Quays, SK 71, 1904, Bleistift, Tusche, Aquarell, jeweils 90 × 125 mm, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/71/31.

grund zuzusteuern. Vor dessen Eingang posiert aufrecht ein mit reichem Kopfschmuck versehener Native American, der in seiner statischen Haltung allerdings weniger an eine lebendige Gestalt als vielmehr an einen Zigarrenindianer erinnert, eine Werbefigur also, wie sie sich zu dieser Zeit großer Beliebtheit erfreute.68 Darauf verweist auch das Zigarrenbündel in seiner ausgestreckten Hand, das er einem von rechts entgegenkommenden Passanten präsentiert. Im rechten Bildhintergrund markieren indes größere und von Fahnen bekrönte Gebäude die andere Seite der als breit gekennzeichneten Straße. So wenig sich diese Szenerie auf den ersten Blick mit New York in Verbindung bringen lässt, beruht sie doch zum großen Teil auf Beobachtungen, die Yeats 1904 während seines Aufenthaltes in einem Skizzenbuch festgehalten hatte. Bereits dort finden sich unter dem Titel The Quays auf einer Doppelseite sowohl die breit angelegte Straße als auch die Figur des Native American dargestellt sowie die Ladenzeile und die vorbeifahrenden Pferdewagen (Abb. 96). Allerdings nahm der Künstler in dem nur ein Jahr darauf entstandenen Aquarell wesentliche Modifikationen vor. Er verdichtete die Komposition im Hochformat und ordnete den Cigar Store Indian nunmehr im Bildmittelgrund an (vgl. Abb. 95 und 96). Zusätzlich entfernte er alle noch in der Skizze auszumachenden schriftlichen Markierungen, die auf die Metropole am Hudson verweisen. Dass diese Entscheidungen nicht als zufällig zu bewerten sind und sich Yeats ganz bewusst für die Inszenierung der Stadt als Wild-West-Szenerie entschied, zeigt der Vergleich mit weiteren Skizzen, die er bereits 1886 und damit lange vor der Reise angefertigt hatte. Es handelt sich um Zeichnungen aus seinem sogenannten Wild WestSkizzenbuch.69 Wie andere zeitgenössische Künstler:innen, etwa August Macke (1887 –  1914) oder George Grosz (1893 – 1959),70 begeisterte sich auch der junge Yeats für 68 Zur Kulturgeschichte der Cigar Store Indian siehe Russell 1966. 69 SK Wild West 1886, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/1. Hier sind unter anderem Szenen im Saloon zu sehen sowie Schießduelle zwischen Cowboys. 70 Siehe etwa August Macke, Indianer, 1911, Öl auf Leinwand, 88 × 70 cm, Privatbesitz und George Grosz, Texasbild für meinen Freund Chingachgook, 1916, Lithografie, 500 × 390 mm.

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entsprechende Fantasien.71 So las er Bret Hartes Romane und besuchte in London die Wild-West-Show von Buffalo Bill,72 von der er noch in seinem 1930 entstandenen, persönlich geprägten Roman Sligo schwärmte.73 Ausgerechnet in New York aber begegneten ihm Cowboys oder Native Americans nur als Werbefiguren. Wie um diese Diskrepanz zwischen erlebter Wirklichkeit und anfänglicher Fantasie aufzuheben, löste Yeats in seinem Aquarell den Zigarrenaufsteller aus dem offensichtlichen Reklamekontext heraus, indem er dessen mutmaßliche Plinthe hinter der Schulter des Mannes im Vordergrund verschwinden ließ. Hierdurch bewirkte er, dass der nunmehr verlebendigte Zigarrenindianer in das Geschehen eingebunden wird, dessen ursprüngliche Funktion nur noch anhand seiner Pose zu erahnen ist. In Verbindung mit der Kopfbedeckung des entgegenkommenden Mannes und den vorbeifahrenden Fuhrwerken wird so eine Gegenüberstellung von ›Cowboy und Indianer‹ evoziert. Auf einer zweiten Ebene verschränkt sich die Wild-West-Szenerie mit dem geschäftigen Alltag New Yorks. Dass Yeats dabei ausgerechnet den Native American ins Bildzentrum rückte, kann indes kaum verwundern, schließlich verband sich für ihn mit der Idee des »Red Man«74 das Gefühl von Freiheit. Eindrücklich präsentiert dies die Titelillustration des im September 1908 erschienenen Broadside (Abb. 97). In Verbindung mit dem von Yeats als Wolfe T. MacGowan veröffentlichten Gedicht Bring Wine, and Oil, and Barley Cakes wird die Figur des Native American als politische Metapher eingesetzt, assoziierte der Künstler diese doch, wie McGuinness überzeugend dargelegt hat, mit dem »native Irish«75 im Kampf gegen den übermächtigen Kolonisator. Obwohl der sinnbildliche Vergleich zwischen ›ungezähmtem‹ Iren und der indigenen Bevölkerung Amerikas ursprünglich als Negativfolie zum Zweck der Abgrenzung sowie als Überlegenheitsgeste von britischer Seite eingesetzt worden war, kam es um 1900 in Irland zu einer Umdeutung dieser Zuschreibung. Im Spannungsfeld zwischen Affirmation und Ablehnung des Konzeptes der Kolonisatoren gingen irische Künstler:innen wie Yeats gegen eine fremde Vermessung der irischen Charakteristika vor und bildeten eine eigene Definition des Autochthonen heraus.76

71 Zur Wild-West-Begeisterung um 1900 etwa bei Künstlern wie Max Slevogt, Rudolf Schlichter, George Grosz und Otto Dix siehe Ausst.-Kat. Frankfurt 2006 sowie Ausst.-Kat. Cambridge 1990. 72 Vgl. Pyle 1989, S. 24 f. und 129. 73 Vgl. Yeats 1930, S. 122. 74 A Broadside  : Bring Wine, and Oil, and Barley Cakes, Nr. 4, September 1908, Illustration und Text Jack B. Yeats (alias Wolfe T. MacGowan). Hier ist ein »Indian on the Rocky Alps« auf seinem Pferd zu sehen. – Vgl. Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/2/5. 75 McGuinness 1992, S. 38. 76 Vgl. Winston 2009a, S. 154 sowie Winston 2009b, S. 231. Winston untersucht die irische Auseinandersetzung mit der indigenen Bevölkerung Amerikas am Beispiel von James Joyces Arbeiten  ; zum verbreiteten Phänomen des Indianthusiam in anderen Ländern, etwa in Deutschland, siehe Grabbe 2012.

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Abb. 97 Jack B. Yeats, A Broadside  : Bring Wine, and Oil, and Barley Cakes, Nr. 4, September 1908, Cuala Press Print, handkoloriert.

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In der Folge fand bei Maler:innen wie Schriftsteller:innen gleichermaßen eine kollektive Identifikation der westirischen Bevölkerung mit Native Americans statt und damit eine Übertragung dieser Vorstellung ins nationale Imaginäre. So verglich etwa die irische Autorin Ella Young (1867 – 1956), die Mitte der 1920er Jahre aus politischen Gründen in die USA emigriert war und dort unter anderem in Taos lebte, in ihrem 1945 veröffentlichen Buch The Flowering Dusk die indigene Bevölkerung Westirlands mit der New Mexicos  : Navajo Indians ride on horses  : everyone in this country of rose and amethyst rides on a pinto, a buckskin, mule, burro, camel, or llama – even a unicorn if the country possesses one  ! This stone-pure mountain-guarded land is one after my own heart  : it reminds me of the stony reaches of Western Ireland – of Connemara where the white horses of faeryland thrust untameable heads from wine-dark shadow-encompassed mountain tarns.77

Und auch den befreundeten Ernie O’Malley, der sich zur gleichen Zeit wie Young in Taos aufhielt und später nach Mexiko reiste, erinnerte das mexikanische »Indian country«78 an seine irische Heimat,79 wobei er insbesondere Parallelen zwischen der indigenen Bevölkerung Mexikos und den Bewohner:innen der Aran Islands zog.80 In all den genannten Beispielen begründete sich die wesentliche Motivation für den Vergleich in der Idee eines ungebändigten Freiheitsdranges, der gegen jedwede Form der Unterdrückung aufbegehrte. Insofern handelt es sich, wie bereits die Gegenüberstellung von Skizze und Aquarell gezeigt hat, auch bei Yeats’ A Sidewalk of New York um mehr als nur die bloße Darstellung einer New Yorker Straßenszenerie. Vielmehr muss das Werk als komplexe Kompilation Yeats’ diverser Imaginationen von Amerika begriffen werden, die sich in ihrer semantischen Aufladung besonders für eine Rückbindung an die politischen Ideen eines eigenständigen Irlands eigneten. Wie eng der Künstler diese Welten miteinander verschränkte, deuten weitere Bildelemente an. So erinnert der bärtige Mann im Vordergrund durchaus an irische Seemänner oder Hafenarbeiter, die er in zahlreichen Werken festhielt.81 Vor dem Hintergrund des Themas könnte es sich bei der Figur also durchaus um einen Matrosen handeln, der – 77 Young 1945, S. 257  ; Yeats besaß eine Ausgabe ihres Buches, siehe BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1. 78 Brief O’Malley an Sheila Humphreys, 13. März 1931, abgedruckt in O’Malley/Allen 2011, S. 84 f. Er schreibt dort  : »This is of course an Indian country though it has been mostly ruled by whites and maztitos  ; it’s the problem of mixing Gaelic and Anglo-Irish and solving the problem of both«, ebd., S. 85. 79 Brief O’Malley an Sheila Humphreys, 13. März 1931 sowie Brief O’Malley an Countess Plunkett, 15. März 1931, abgedruckt in O’Malley/Allen 2011, S. 84 f. 80 Vgl. English 1998, S. 149. English verweist hier auf O’Malleys Tagebuch (1929  ?), Tamiment Library, O’Malley. 81 Vgl. etwa Jack B. Yeats, The River Pilot, 1900, Aquarell, 111 × 80 mm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection.

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wie der Künstler selbst – die Distanz zwischen den Kontinenten überwunden hat und damit gleichfalls beide Welten miteinander vereint. Erst durch seine Präsenz werden wir zudem auf weitere Motive verwiesen, die sich im rechten Hintergrund nur ganz versteckt zwischen den Dächern der flankierenden Bauwerke erahnen lassen. Dort nämlich ragen neben Schiffsmasten auch der Rumpf und der Schornstein eines Ozeanriesen auf. Über das Erkennen dieser maritimen Sujets lässt sich die Szene unmissverständlich an den Quays von Manhattan verorten. Gleichzeitig handelt es sich um Motive, die ihren Ursprung erneut in den Kindheitserinnerungen des Malers haben. Schließlich war Yeats durch das großväterliche Dampfschifffahrtunternehmen der Sligo Steam Navigation Company bereits früh mit der abenteuerlichen Welt weit gereister Seemänner in Berührung gekommen.82 Wie der neugierig schauende Junge im Vordergrund andeutet, scheint es dieser kindliche Blick zu sein, mit dem der Maler – und mit ihm auch das Publikum – den Sidewalk of New York betritt. Auf diese Weise ist es möglicherweise kein Zufall, dass er seine Signatur unmittelbar neben der Schulter des Kindes platzierte, finden sich doch ähnliche Markierungen auch in weiteren Werken, wie das später entstandene Communicating with Prisoners gezeigt hat. Im Aquarell ist zudem der Verweis auf die weite Entfernung Irlands zum amerikanischen Kontinent gänzlich aufgehoben, eine Andeutung, die in der Skizze noch mit einem »Long-Distance«-Schild als Reklame für Ferngespräche zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Abb. 95 und 96). Das Gefühl von Nähe und Distanz sollte Yeats dabei auch in der Folge permanent beschäftigen. Die Thematisierung der geografischen wie kulturellen Nachbarschaft zu Amerika zieht sich geradezu wie ein roter Faden durch sein Werk. Besonders greifbar war sie für ihn an der irischen Westküste, wie sein Roman Sligo erahnen lässt. Darin heißt es gleich zu Beginn  : »New York is in my mind away out there a leap or two over high waves to the West.«83 Es handelt sich um jene Vermischung realer und imaginärer Bild- und Erzählwelten sowie eine Überblendung zeitlicher Ebenen, wie sie sich auch schon für A Sidewalk of New York konstatieren lassen. Während das staunende Auge des kindlichen Malers die Blickrichtung vorzeichnet und in die Darstellung einführt, ist es die erwachsene Perspektive des welterfahrenen Künstlers, die geschickt alle Dimensionen zusammenzuführen vermag. 6.1.3 Zwischen ›Orient‹-Begeisterung und Desillusionierung  : The Belle of Chinatown, 1943 Dass sich Yeats des Stilmittels des naiven Sehens auch noch Jahrzehnte später bediente, zeigt sein 1943 entstandenes Gemälde The Belle of Chinatown (Abb. 98). Erneut konfrontiert uns der Künstler mit einer kindlichen Protagonistin, die uns 82 Vgl. Murphy 2001, S. 37. 83 Yeats 1930, S. 12 f.

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Abb. 98 Jack B. Yeats, The Belle of Chinatown, 1943, Öl auf Leinwand, 35,5 × 46 cm, Privatbesitz.

dieses Mal jedoch nicht in das Geschehen einführt, sondern uns vielmehr den Rücken zukehrt, so als wolle sie uns bedeuten, dass die innerbildliche Wahrnehmung eine exklusive ist, zu der die Zuschauenden keinen Zugang erhalten. Denn obwohl das querformatige, in expressiven Pinselstrichen gemalte Ölbild, das stilistisch dem markanten Spätwerk des Malers zuzuordnen ist, das mit Hose, Mantel und großem Blütenhut bekleidete Mädchen ebenso deutlich zu erkennen gibt wie den hinter seinem Verkaufsstand hervorschauenden Hutverkäufer am rechten Bildrand, werden wir letztlich über das Innere des dunklen Raumes, in den die kindliche Figur blickt, im Unklaren gelassen. Trotz der großen zeitlichen Distanz griff Yeats auch für dieses Gemälde noch auf Skizzen zurück, die er 1904 in New York angefertigt hatte. Besonders deutlich macht dies ein mit Little Chinee in China Town überschriebenes Blatt, das ein ähnliches Kind in zu groß geratenem Mantel und mit Blüten besetztem »cheap 5 ¢ chip hat« zeigt (Abb. 99). Weniger eindeutig nachzuvollziehen sind die bunten Häuser von Chinatown am linken Bildrand, deren Werbeschilder und Banner nur mehr unscharf als farbenfrohe Versatzstücke in Erscheinung treten. Wie aber sind diese späten malerischen Referenzen einzuordnen, die sich – anders als das 1905 entstandene Aquarell – nicht mehr als unmittelbare Reaktion auf die Reise begreifen lassen  ?

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Abb. 99 Jack B. Yeats, Little Chinee in China Town, SK 73, 1904, Bleistift, Tusche, Aquarell, 125 × 90 mm, Dublin, Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. Y1/JY/1/1/73/3.

Auf den ersten Blick mag es sich lediglich um eine wehmütige Reminiszenz des Malers an ein längst vergangenes Ereignis handeln,84 das durch das romantisierte Rückenmotiv wirksam in Szene gesetzt ist. Allerdings kann der Kontext der irischen Kulturgeschichte womöglich noch eine weitere Bedeutungsebene freilegen. Dies gilt insbesondere für die bereits an anderer Stelle skizzierten »cross-colony sympathies«85, die von den Vertreter:innen des Celtic Revival in ihren Werken zum Ausdruck gebracht wurden. Die von ihnen vertretenen Positionen waren stets auch politisch motiviert und zielten auf die Gemeinsamkeiten des »Oriental-Celtic and Asian-Irish«86 ab. Der enge Konnex zwischen kulturellen und politischen Prämissen des Phänomens des Irish Orientalism manifestierte sich dabei vor allem nach der Etablierung des Freistaates im Jahr 1922. Vor dem Hintergrund ähnlicher Alteritätserfahrungen verstanden sich Irland und Südchina zu dieser Zeit auf politischer Ebene als Verbündete, wie etwa die 84 So etwa Pyle 1989, S. 84  ; 1943 wurde das Bild in der Presse sogar als rührselig beschrieben  : »The Belle of Chinatown verges on sentimentality«, Lancester 1943, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 85 Lennon 2004, S. 219. 86 Lennon 2004, S. 216.

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Rede von Chu Pu Sze, einem Vertreter der Nationalen Volkspartei Chinas, auf einer irischen Versammlung zeigt  : Coming as I do from Canton, China, to address this great Irish Convention, I could not help feeling the strong likeness that exists between the two peoples. In the first place, my people, the Cantonese or Southern Chinese, because of their part in the battle for Republicanism, have been called the Irishmen of China. In the second place, the Irish and the Chinese great as they are, are still oppressed peoples, and oppressed more or less by the same enemy.87

Es ist davon auszugehen, dass Yeats als aufmerksamer Zeitungsleser und überzeugter Republikaner mit diesen zeitgenössischen Diskursen vertraut war.88 Demnach könnte sein Interesse für die chinesische Lebenswelt nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch begründet gewesen sein. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Wandel, der sich in seinem Œuvre ausmachen lässt. Er spricht meines Erachtens dafür, dass sich Yeats’ Einstellung gegenüber jenen »cross-colony sympathies«89 im Laufe seines Lebens änderte. So lassen sich die in seinem Frühwerk anzutreffenden New York-Skizzen, wie Little Chinee in China Town (Abb. 99) oder auch die in Westirland angesiedelte Darstellung Chinaman in Belmullet (Abb. 40),90 noch als Ausdruck einer Faszination für das Fremdartige verstehen. Insbesondere die letztere Zeichnung knüpft dabei an die Durchdringung verschiedener Kosmen an. Immerhin inszeniert das Blatt mittels des im Bildzentrum erfassten Chinesen Westirland als ›exotischen‹ Ort, an dem nicht nur der Asiat, sondern auch die einheimische Bevölkerung selbst bestaunt werden kann.91 Auf diese Weise eröffnete Yeats in diesen Arbeiten diskursive Projektionsräume, die die Dimension der Ferne nutzen, um die Nähe fassen zu können. Seine Darstellungen entsprachen in dieser Hinsicht durchaus dem Zeitgeist, schließlich war die Romantisierung des ›Orients‹ analog zum irischen Keltentum in der Literatur gängige Praxis. Zur gleichen Zeit allerdings lassen sich bereits ironische Brechungen dieser Topoi ausmachen, etwa bei James Joyce, der den Traum vom ›Orient‹ und damit den vom verklärten Keltentum im Sinne eines Heilsbringers der angestrebten Unabhängigkeit als Illusion zu erkennen gab. Seine 1914 in den Dubliners erschienene Kurzgeschichte Araby schildert, wie ein Junge desillusioniert von einem in Dublin ausgerichteten arabischen Basar zurückkehrt, auf dem es nur um den Verkauf von Waren ging, wodurch das Kind seine lang gehegten Träume nicht erfüllen kann.92 Es sind jene differenzierten 87 An Phoblacht, 28. August 1925, S. 2, zitiert nach Lennon 2004, S. 221. 88 Zur politischen Einstellung siehe etwa Lloyd 2016, S. 94 oder O’Doherty 1971, S. 85 f. 89 Lennon 2004, S. 219. 90 SK Swinford 1905, Synge, NYPL, Yeats. 91 Vgl. dazu auch bereits Kapitel 4.1.2 der vorliegenden Arbeit. 92 Vgl. Joyce 2008, S. 19 – 24  ; Lennon 2004, S. 208.

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Reflexionen romantischer Eigenständigkeitsversprechungen, die hinsichtlich ihrer kritischen Konnotationen durchaus Ähnlichkeiten zu Yeats’ entrückt anmutender China­ town-Rückschau erkennen lassen. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass die Presse Yeats’ Bilder hinsichtlich der ästhetischen Anmutung und der komplexen zeitlichen sowie thematischen Überblendungsverfahren mit Joyces Texten verglich. So schrieb die Irish Times 1947  : One has to go to the writings of James Joyce to find a little sensitivity and the same acute perception of the swift changes which are sweeping in on the civilisation of to-day – or can we already say, of yesterday  ?93

Berücksichtigt man zusätzlich die bereits dargelegte gegenseitige Anerkennung beider Künstler füreinander,94 dann liegt auch der Vergleich zwischen Joyces und Yeats’ ›exotischen‹ Querverweisen mehr als nahe. So kann es nicht verwundern, dass The Belle of Chinatown, ähnlich wie Araby, einen deutlichen Kommentar zur Käuflichkeit ausgefallener Waren enthält, findet sich doch auf dem Tisch des Hutverkäufers am rechten Bildrand ein überdimensionierter Aufsteller, der »5 ¢« als Preis für die angebotenen Hüte benennt (Abb. 98). Einmal mehr handelt es sich dabei um eine Übertragung aus der 1904 entstandenen Skizze. Allerdings generierte Yeats aus der bloßen Randnotiz »cheap 5 ¢ chip hat« ein wesentliches Bildelement (vgl. Abb. 98 und 99). Diese Anmerkung ließe sich zugleich als clavis interpretandi verstehen, durch die die Vision vom fremdartigen Sehnsuchtsort ad absurdum geführt wird. Erscheint die Szene durch die Gegenwart des kleinen Mädchens zunächst verheißungsvoll, wird diese auf den zweiten Blick durch die Anbringung der Preistafel verzerrt und als billige Illusion entlarvt. Bezeichnenderweise hat Yeats seine Signatur sehr klein und kaum sichtbar an dem Verkaufsstand angebracht, so als ob er selbst, als ursprünglicher Verfechter der Traumfabrik, den ›exotischen‹ Projektionen in seinem 93 Irish Times  : Mr. Jack B. Yeats’s Exhibition, 3. Oktober 1947, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/4. 94 Dass sich Yeats bis ins hohe Alter für Joyce interessierte und aufmerksam die Debatten um ihn sowie seine Schilderungen Dublins verfolgte, zeigt sich auch daran, dass er eine Ausgabe der britischen Vogue besaß, in der über »Joyce’s Dublin« berichtet wurde. Dieser Artikel wurde von Lee Millers (1907 – 77) Fotografien begleitet, die sie in Dublin angefertigt hatte. – Vgl. Vogue  : Joyce’s Dublin, Februar 1950, S. 62 – 65, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/23/1/42. Dass Joyce sich wiederum von Yeats’ Irland-Beschreibungen inspirieren ließ, geht daraus hervor, dass er die beiden Gemälde, die er 1929 erworben hatte, an all seine Wohnorte mitnahm. So berichtete C. P. Curran 1941  : »[…] but the grateful figure and carriage remained the same, and the cane that replaced the famous ashplant of his later Dublin days still swung casually, disguising but aiding the dimmed vision. That is how he [Joyce, Verf.] looked in Paris, where he lived in the years between the two wars, in different apartments from the Faubourg to the Invalides. The talk within might be as much in Italian as in French, but there were pictures by Jack Yeats looking down from the walls – pictures, I need hardly say, of Anna Liffey […]«, Curran 1941, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. Joyce bezeichnete die Liffey in seinem Roman Finnegans Wake (1939) als »Anna Livia Plurabelle«.

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späten Schaffen nur noch auf zurückgenommene Weise Glauben schenken würde. Wie Joyce, so scheint es, überschnitt auch Yeats die auf Gegenseitigkeit beruhenden Vorstellungen fremdartiger und heimatbezogener Hoffnungen in seinem Bild und verstärkte mittels dieses Vorgehens die Wirkung des Scheiterns dieser Erwartungen. Diese Lesart wird durch die politische Einstellung des Künstlers gestützt, der sich nach der Errichtung des Freistaates und der damit einhergehenden Teilung des Landes in Nord- und Südirland ernüchtert zeigte.95 Die späte Wiederverwendung der 1904 angefertigten New York-Szene kann in Verbindung mit der politischen Enttäuschung des Malers und unter Berücksichtigung des kulturellen Kontextes somit kaum noch als bloße euphorische Retrospektion verstanden werden. Es scheint sich weniger um eine melancholische Rückschau als vielmehr um einen entzauberten Blick in eine ungeklärte Zukunft zu handeln, die von der prächtigen bunten Rahmung nur unzureichend verkleidet wird. 6.1.4 New York – Dublin  : Jazz Babies, 1929 Das innerbildliche Verfahren der Interferenz diverser Imaginationsorte hatte Yeats bereits in einem früheren Gemälde angewandt, das ebenfalls politische Implikationen aufweist und somit einen Konnex von imaginärer Bildhaftigkeit und identifikativer Gesellschaftsvorstellung herstellt. Anders als in den beiden vorangegangenen Beispielen, die irische Themen vor der Folie des amerikanischen Kulturraumes verhandelten, überführte der Künstler in dem 1929 entstandenen Ölgemälde Jazz Babies (Abb. 100) amerikanische Ideen in irische Bildzusammenhänge. Mit dieser Arbeit entwarf Yeats, unter Rückgriff auf die anschlussfähige Formel des American Way of Life, eine moderne Großstadtvision für die irische Hauptstadt. Das im Querformat angelegte, 61 × 91,5 cm große Jazz Babies zeigt offenbar das Interieur eines Dubliner Geschäftes, an dessen Ladentisch dicht gedrängt mehrere Menschen stehen, wobei ein junges, modisch gekleidetes Paar den Mittelpunkt ­bildet. Aufgrund des expressiven Pinselduktus ist das Bild von der zeitgenössischen Presse überwiegend als unzugänglich charakterisiert worden. Im Dublin Opinion etwa war im Mai 1929 unter der Karikatur eines Yeats-Gemäldes, die in wahllos gesetzten Strichen den vermeintlich chaotischen Charakter seiner Arbeiten aufs Korn nahm, zu lesen  : »We could make nothing at all of ›Jazz Babies‹, by Jack B. Yeats, but that is probably our fault  ; we really know next to nothing about Art.«96 Dieses konservativ geprägte Unverständnis des als unakademisch empfundenen Gemäldes unterschlägt jedoch, dass das Bild trotz seiner modernen Herangehensweise eine durchaus erkennbare Szene präsentiert. Für eine genaue Analyse des Werkes liefert jedoch zunächst weniger die Darstellung als vielmehr der Titel entscheidende Hinweise. Schließlich geht aus einem von der 95 Vgl. Lloyd 2016, S. 94  ; O’Doherty 1971, S. 85 f.; Pyle 1989, S. 119. 96 Dublin Opinion, Mai 1929, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2.

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Abb. 100 Jack B. Yeats, Jazz Babies, 1929, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz.

Forschung bisher nicht registrierten Interview des Apollo-Magazins mit dem Maler aus dem Jahr 1930 hervor, dass es sich bei dem Geschäft um das Dubliner WoolworthWarenhaus und bei den »Jazz Babies« um auf Grammofonen tanzende Spielzeugfiguren, wie sie etwa die Bostoner National Toy Company für Victrola-Apparate hergestellt hatte (Abb. 101), sowie im übertragenen Sinne um die Zuschauer:innen der feiernden Puppen handelt. Konkret heißt es dort  : […] the painter […] explained that it represented the interior of »Woolworth’s« and that the »Jazz Babies« were the little figures that dance on gramophones, and also, metaphorically, the lookers-on who appreciate the toy […].97

Dass Yeats ausgerechnet die seit 1914 auch in Irland angesiedelte Warenhauskette Woolworth als Schauplatz ausgewählt hatte, ist insofern bemerkenswert, als es sich bei dem 1879 in Pennsylvania gegründeten und rasch expandierenden Unternehmen um ein international vertretenes Kaufhaus amerikanischer Couleur handelte.98 Das erste 97 Apollo  : Paintings by Jack B. Yeats at the Alpine Club Gallery, and also his book »Sligo«, August 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 98 Zur Geschichte der irischen und nordirischen Woolworth-Filialen siehe etwa Walsh 2011 und Walsh 2014. Woolworth gab es bis 1984 in der Republik Irland, danach wurden alle Geschäfte geschlossen. – Vgl. Walsh 2014, S. 112.

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Abb. 101 The Magnetic Dancers (auch bekannt als The Tango Two), tanzende Spielzeugfiguren für Grammofone, 1920er Jahre, National Toy Company, Boston.

Geschäft in Irland war auf der Dubliner Grafton Street eröffnet worden und erfreute sich mit seinem vielseitigen und erschwinglichen Sortiment bei der Bevölkerung großer Beliebtheit (Abb. 102). Das Woolworth wurde nicht nur für Einkäufe genutzt, sondern diente auch dem Zeitvertreib, konnte man doch durch die verschiedenen Ladensegmente schlendern und die offen ausgestellten Produkte bestaunen, eine Option, die andere Geschäfte nicht boten. Darüber hinaus eröffnete das integrierte Café die Möglichkeit des geselligen Miteinanders. Barbara Walsh zufolge lag die Attraktivität von Woolworth vor allem in der modernen amerikanischen Anmutung der Einrichtung  : »[…] their outlets were clearly providing shoppers with every kind of affordable exotic and desirable indulgence that hinted of modern America.«99 Yeats’ Szene ist offenbar in der Musikabteilung von Woolworth angesiedelt, wo man begehrte Jazzplatten kaufen konnte.100 Darauf verweisen das auf der Theke liegende Plattencover mit der Bezeichnung »Record M[…]« und das sich schemenhaft abzeichnende Grammofon mit darauf tanzenden Figuren auf der linken Tresenseite, das von den zwei am linken Bildrand stehenden Männern und der Frau, den »lookers-on«, betrachtet wird (Abb. 100). Die Faszination der Gruppe für den Apparat verrät, dass die Puppen gerade ihren Tanz vollführen, was zugleich bedeutet, dass in dem hell erleuchteten Innenraum auch laute Musik ertönt. Schließlich bewegten sich die »Jazz Babies« nur, wenn das Gerät auch in Betrieb war. Die flirrende Stimmung, die Yeats mit seinem pastosen Farbauftrag evozierte, korrespondiert folglich mit der lebendigen innerbildlichen Atmosphäre. Diese Details kennzeichnen den Schauplatz als kosmopolitischen Ort und konfrontieren die Betrachtenden mit der Idee einer aufgeschlossenen Gesellschaft, einer Vorstellung, die für Yeats eng mit New York verbunden war und die er auf das Dublin seiner Zeit übertrug. Damit distanzierte er sich visuell von dem von Zensur geprägten Kulturleben im konservativen Irland, das liberale Impulse als Bedrohung der nationalen Einheit begriff. So fanden im irischen Parlament zwischen 1924 und 1940 permanent Debatten über den negativen Einfluss von Populärmusik, Filmen und Literatur  99 Walsh 2014, S. 103. 100 Vgl. Walsh 2014, S. 107.

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Abb. 102 Irlands erstes Woolworth-Kaufhaus auf der Grafton Street 65 – 68, Dublin, eröffnet 1914.

statt.101 Insbesondere der moderne Tanz, der gemeinhin als Jazz bezeichnet wurde und durch Amerika-Rückkehrende sowie durch kommerzielle Aufnahmen Verbreitung fand, galt dabei als anrüchig. Die katholische Kirche verdammte 1924 das Tanzen und damit einhergehend für Frauen das Tragen modischer Kleidung. Schließlich wurden diese »importations from the vilest dens of London, Paris and New York« als »direct and unmistakable incitements to evil thoughts and evil desires«102 verstanden. Dies führte dazu, dass der Staat 1935 unter dem Druck der Kirche mit dem Dance Halls Act ein Verbot für alle nicht lizenzierten Tanzveranstaltungen verhängte.103 Mit Blick auf die mondäne Kleidung der Frauen kommt Yeats’ Gemälde noch eine weitere Bedeutung zu, die sich erneut aus dem vielschichtigen Titel ergibt. Laut dem American Thesaurus of Slang, der sich in Yeats’ Bibliothek befand, versteht man unter einem »Jazz Baby« nicht nur eine Tanzfigur, sondern auch eine »lively or passionate young woman«104. In Verbindung mit dem Plattencover sowie dem Grammofon verwies der Künstler damit nicht nur auf die Musik und das Lebensgefühl des Jazz, 101 Vgl. Kennedy 2018, S. 115. Sie beleuchtet am Beispiel von Harry Clark und Jack B. Yeats die künstlerische Auseinandersetzung mit der irischen Zensur. 102 Irish Catholic Directory, 1924, zitiert nach Ó hAllmhuráin 2005, S. 11. 103 Vgl. Kennedy 2018, S. 115 sowie Ó hAllmhuráin 2005  ; für die katholische Kirche bestand ein direkter Zusammenhang zwischen den Vergnügungen in den Dance Halls und der zunehmenden Prostitution in Irland. – Vgl. Luddy 2007, S. 199. 104 Berrey 1952, S. 363. Yeats besaß die Ausgabe von 1954, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/259. Der Hinweis auf den American Thesaurus stammt von Kennedy 2018, S. 115.

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sondern skizzierte auch ein Narrativ unabhängiger Frauen, das den konservativen Geschlechtervorstellungen des Irischen Freistaates widersprach. Der Maler übertrug in seinem Gemälde demnach ein durch Freiheit und Ungezwungenheit gekennzeichnetes Lebenskonzept auf die noch junge Nation, die nach der Unabhängigkeit von Modernität und Rückwärtsgewandtheit zugleich geprägt war.105 Der ungebändigte Duktus seines Pinselstriches unterstützt hierbei zusätzlich die Anmutung Dublins als moderner und pulsierender Stadt. Jazz Babies steht damit in enger Verbindung zu anderen Gemälden des Künstlers, in denen Frauen ebenfalls selbstbewusst und in modischer Aufmachung in Szene gesetzt werden. Diese Bilder sorgten in der Presse für positives Aufsehen. 1925 berichtete der englische Kunstkritiker Clive Bell, der selbst der Bloomsbury Group angehörte und Yeats sehr schätzte, in der britischen Modezeitschrift Vogue über dessen moderne Alltagsschilderungen. Besonders erwähnenswert erschien ihm dabei das 1923 entstandene Gemälde Grafton Street/Conversation Piece, Dublin,106 das den Artikel zugleich illustrierte. Bell begriff es als beispielhaft für Yeats’ wegweisende Kunst, die er neben der von Degas, Manet, Whistler und Henri de Toulouse-Lautrec (1864 – 1901) einordnete.107 Das Ölbild versammelt auf der überfüllten Grafton Street eine gedrängt stehende Personengruppe vor einem Geschäft. Während im linken Vordergrund eine junge Frau in grauem Mantel, Schal und Baskenmütze ihre Aufmerksamkeit offenbar dem vor ihr stehenden Passanten zuwendet, bestaunt der rechts stehende Junge eine Puppe im Schaufenster, die in manierierter Pose für ein schulterloses, roséfarbenes Kleid und einen auffälligen Kopfschmuck wirbt. Bei dem Geschäft handelt es sich sehr wahrscheinlich ebenfalls um das Woolworth-Warenhaus, das Yeats nur wenig später in Jazz Babies wieder aufgriff. Es ist auffällig, dass Yeats’ Visualisierungen weltoffener Stadtdiskurse in starkem Kontrast zu jenen rückwärtsgewandten, extrem nationalistischen Forderungen stehen, wie sie etwa David Patrick Moran als Kritiker und Herausgeber der Zeitschrift The Leader formulierte. Wie andere Reaktionäre verlangte auch Moran im Zuge von Irlands Unabhängigkeit, sich fremdartigen Einflüssen radikal zu verweigern, die er als »imported debasement and rot«108 betrachtete. Im Zuge seines ethnozentrisch ausgerichteten Nationalismus lehnte er sich vor allem gegen eine englische Akkulturation auf. Besonders deutlich macht dies eine 1922 im Leader veröffentlichte Karikatur. Unter dem 105 Vgl. Lloyd 2016, S. 94. Künstler:innen und Intellektuelle, darunter auch Yeats, standen dem etablierten Freistaat kritisch gegenüber. Darin unterschied sich Jack von dem älteren W. B. Yeats, der seit 1922 eine Senatorentätigkeit im Freistaat innehatte und die überzeugte republikanische Einstellung des jüngeren Bruders nicht teilte. 106 Jack B. Yeats, Grafton Street/Conversation Piece, 1923, Öl auf Holz, 23,1 × 36,2 cm, Belfast, Ulster Museum. 107 Vgl. Bell 1925, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. Bell meinte außerdem, Yeats’ Gemälde »take rank with the best that are painting in England, and the Tate ought certainly to possess one of them«. 108 The Leader, 7. Januar 1922, zitiert nach Delaney 2003, S. 201.

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Abb. 103 The Leader, Some Work Before Us, 7. Januar 1922.

Titel Some Work Before Us zeigt sie einen weißen Iren, der einen Schwarzen Jazzmusiker und einen Leser englischer Romane von der Straße kehrt (Abb. 103). Gerade Jazzmusik wurde von Moran vehement als antinational verurteilt.109 Wie bereits an vorangegangener Stelle erwähnt, waren laut Stuart Hall derartige »Imaginationen vom ›ganzen‹ Ich«, wie Moran sie forderte, geeignet, die »tiefen inneren Spaltungen und Differenzen«110 der Nationenbildung zugunsten einer einheitlichen Kultur zu nivellieren. Da Yeats sich intensiv mit den in Irland stattfindenden Identitätsdebatten aus­ einandersetzte,111 ist es folgerichtig, in Jazz Babies eine direkte Bezugnahme auf die nationalistischen Forderungen Morans und anderer Reaktionärer zu sehen, die den Jazz nicht nur als Vernichtung der eigenen Kultur, sondern auch als »mental disease«112 einstuften. So lässt sich das Werk mit seinem provokanten Titel geradezu als Plädoyer für eine offene irische Gesellschaft verstehen. Demgemäß sprach sich der Künstler mit dem Bild gegen absolute Entwürfe für das zukünftige Irland aus und formulierte alternative Vorstellungen, die von durchlässigen Kulturräumen geprägt waren. Die Imagination der Ferne, für die New York auch dieses Mal Pate stand, spielte bei dieser Artikulation der nahen, ›eigenen‹ Konzepte einmal mehr eine große Rolle. Yeats’ New York-Aufenthalt war letztlich in vielerlei Hinsicht zentral für das weitere Schaffen des Künstlers. Zwar sorgte die Ausstellung in der Clausen Gallery zu109 Vgl. Delaney 2003, S. 199 f. Moran trat als Unterstützer des Freistaates auf. Nordirland als Teil des Vereinigten Königreiches war für ihn nach der Teilung nicht mehr von Interesse  ; 1934 startete die Gaelic League eine groß angelegte Anti-Jazz-Kampagne, in der auch irische Politiker und Institutionen verunglimpt wurden. – Vgl. Ó hAllmhuráin 2005, S. 11. 110 Hall 1994, S. 206. 111 Vgl. Allen 2009, S. 157. 112 Irish Times, 18. März 1927, S. 7 zitiert nach Walsh 2011, S. 78. Die Zeitung warnte  : »Jazz ­Killing Athletics. Modern Dancing a Mental Disease«.

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nächst nicht für den erhofften Erfolg, dennoch bildete sie den Ausgangspunkt dafür, dass Yeats sich in den USA, auch nach Quinns Tod im Jahr 1924, ein Netzwerk aus Galerist:innen und Sammler:innen aufbauen konnte, das ihm weitere Ausstellungen sowie den Verkauf seiner Arbeiten ermöglichte. In Irland wiederum wirkte sich dieses internationale Renommee positiv auf die Wahrnehmung seines Œuvres aus. Yeats’ Amerikabild nahm durch die Reiseeindrücke konkrete Gestalt an, blieb aber zunächst von einem romantisierten Blick geprägt, der sich insbesondere in den frühen künstlerischen Verarbeitungen nachvollziehen lässt. Allerdings unterlagen die Reiseimpressionen von Beginn an einem produktionsästhetischen Konzept der Erinnerung, das von einem andauernden Wahrnehmungswandel bestimmt war. Auf vielfältige Weise rekurrierte er so in seinen Werken auf die Ursprungsmomente, die er mit eigenen Imaginationen überblendete, um sie an die jeweiligen zeitgenössischen Kontexte anzupassen. Dementsprechend zeichneten sich seine New York-Rezeptionen fortwährend durch die historisch bedingte Verwobenheit irischer und amerikanischer Kultur aus. Aus postkolonialer Perspektive lassen sich Yeats’ Verbildlichungen von Amerika deshalb als identifikative Entwürfe für ein unabhängiges Irland lesen. Es handelt sich um Visualisierungen, die von Prozessen transkultureller Verflechtungen bestimmt sind und auf diese Weise nationale Grenzen durchdringen sowie die Durchlässigkeit der Kulturen in den Fokus rücken. Dass das New York in Yeats’ Werk dabei oftmals weniger als realer Schauplatz denn als Ort kultureller Zuschreibungen verstanden werden darf, verdeutlicht letztlich ein Zitat aus Yeats’ Roman Sligo, wo es heißt  : »Everything about New York is as real as talk can make it.«113 6.2 Exhibiting Yeats  : Der Künstler im globalen Kontext am Beispiel US-amerikanischer Ausstellungen

Nach der ersten Ausstellung in der Clausen Gallery, 1904, folgten für Yeats weitere Einzel- und Gruppenausstellungen in den Vereinigten Staaten, insbesondere in New York City. Zunächst hatte der Maler diese Möglichkeit dem Engagement John Quinns zu verdanken, der Yeats im Nachgang seiner ersten Präsentation unter anderem über anstehende Irlandreisen befreundeter Anwaltskollegen informierte, um ihm auf diese Weise mehr Reichweite bei potenziellen Sammler:innen zu verschaffen. So schrieb Quinn am 12. Juli 1906  : Do you hold an exhibition in Dublin this summer and if so when  ? A great many Americans are going to Ireland this summer, among them Mr. and Mrs. Byrne, Judge Martin J. Keogh of the Supreme Court and Mrs. Keogh and their son Martin, a charming young fellow of about twenty-one, Mr. Paul D. Cravath and his wife, a prominent lawyer here,

113 Yeats 1930, S. 13.

Exhibiting Yeats   | 379

Mr. George W. Wickersham and his wife, another prominent lawyer, friends of the ­ yrnes, my friend Daniel F. Cohalan and his wife, and a great many others.114 V

Dass Yeats offenbar sehr auf den Ausbau seiner Netzwerke bedacht war, zeigt sich daran, dass er Quinns Rat folgte und ein Treffen mit den Keoghs initiierte. Am 7. September berichtete er  : »Next Monday we go to Coole [Lady Gregorys Domizil, Verf.] for a fortnight then on to Dublin for my show. […] when passing through Dublin […] I saw Judge and Mrs. Keogh and liked them very much.«115 Auch unabhängig von Quinn blieb der Künstler hinsichtlich seiner transatlantischen Beziehungen nicht untätig, vielmehr suchte und pflegte er selbstständig den Kontakt zu Sammler:innen, Galerist:innen und Kritiker:innen. Dies belegt bereits seine umfangreiche »America«-Adressliste.116 Diese Eigeninitiative ist bemerkenswerterweise von der Forschung bislang weitgehend übersehen worden, vermutlich auch, weil sie nicht ins Schema des zurückgenommenen Malertypus passte. Wie ausgeprägt Yeats’ Interesse an einer Vermarktung in den USA war, geht auch aus einem Interviewkommentar aus dem Jahr 1938 hervor, in dem er sich zu den sehr unterschiedlich aufgebauten Kunstsystemen in Amerika und Irland äußerte  : In America there are many social organizations created by plutarchs such as Carnegie or the Rockefeller Foundation, and artists receive considerable benefit. But in Dublin we can find few people who will buy our pictures. Almost all the great works in the Municipal Gallery were donated by the painters themselves.117

Die Aussage verweist auf die finanzielle Unterstützung und Wertschätzung von Künstler:innen in den USA, die in Irland nicht gegeben war. Yeats hatte diesen Umstand bereits 1921 beklagt,118 weshalb seine Orientierung über den irischen Kunstmarkt hinaus nicht nur dem Wunsch nach internationalem Ruhm zuzuschreiben ist, sondern auch dem Bedürfnis nach finanzieller Absicherung. Anhand von ausgewählten Ausstellungen soll im Folgenden die Positionierung und Rezeption des Malers in Amerika erörtert werden. Es ist das Ziel, sich mittels dieser Herangehensweise der Verortung des Künstlers innerhalb eines globalen Rahmens zu widmen.

114 Brief Quinn an Jack B. Yeats, 12. Juli 1906, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 115 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 7. September 1906, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 116 Vgl. AB, Bd. 1, unter dem Titel »America« versammelte Yeats circa 50 amerikanische Kontakte zu Sammler:innen und Galerien sowie zu Kritker:innen, wie etwa Edward Alden Jewell von der New York Times, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/3. 117 Yeats im Interview mit Shotaro Oshima, 7. Juli 1938, Oshima 1965a, S. 133. 118 Vgl. Allen 1921, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1.

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6.2.1 Macbeth Gallery, New York, 1910 und Yeats’ Verbindung zur Ashcan School Sechs Jahre nach der Einzelschau in der Clausen Gallery erhielt Yeats die Möglichkeit, seine Werke in einer der renommiertesten Galerien New Yorks zu präsentieren, in der 1892 etablierten Macbeth Gallery. Diese hatte sich 1908 mit der aufsehenerregenden Ausstellung der Künstlergruppierung The Eight in der Kunstwelt einen Namen gemacht, einer Vereinigung, die später unter dem Namen Ashcan School weitreichende Berühmtheit erlangte.119 Zu den acht Künstlern zählten John Sloan, William Glackens (1870 – 1938), Maurice Prendergast (1858 – 1924), Robert Henri, Arthur B. Davies (1862 – 1928), Everett Shinn (1876 – 1953), Ernest Lawson (1873 – 1939) und George Luks (1867 – 1933),120 die aufgrund der bewussten Abkehr von der akademischen Tradition als »angry young men«121 bezeichnet wurden. Bei ihnen handelte es sich ausschließlich um amerikanische Maler, die mit den Mitteln des Realismus das Leben ihres Landes schilderten.122 William Macbeth (1851 – 1917), der sich als einer der ersten Galeristen auf die Präsentation amerikanischer Kunst spezialisiert hatte, galt denn auch als »champion of American Art«123. Es mag daher zunächst verwundern, dass Yeats mit seinen frühen Arbeiten unter den »American Paintings«124 der im Dezember 1910 organisierten Gruppenausstellung Water Colors, Pastels and Small Bronzes vertreten war.125 Allerdings ist dies vor dem Hintergrund zu sehen, dass Macbeth im Anschluss an die Präsentation in der Clausen Gallery (zusammen mit Arthur B. Davies) eine Auswahl von 14 Werken in seine Galerie übernommen hatte. Überdies trat er seit 1904 als Yeats’ amerikanischer Agent auf,126 119 Vgl. Homer 1969, S. 53 – 55. Von den Künstlern der Gruppe The Eight (zu der später irrigerweise auch George Bellows gezählt wurde) zählten fünf von ihnen (John Sloan, Robert Henri, George Luks, William Glackens und Everett Shinn) später zur sogenannten Ashcan School. Der Name Ashcan School wurde nicht von den Künstlern selbst, sondern erst nachträglich in den 1930er Jahren von der Kunstkritik vergeben. Zur Ashcan gehörten neben den Künstlern der Eight auch noch weitere Maler, darunter George Bellows und Jerome Myers. Der Fokus der Künstler:innen lag dabei oftmals auf sozialen Themen, wie Migration oder Armut, ein Aspekt, der seitens der Kritiker:innen auch zu dem Namen Ashcan (= Mülleimer) führte, der abfällig auf die niederen Sujets anspielte. 120 Vgl. Ausst.-Kat. New York 1908, abgebildet in Metropolitan Museum of Art Libraries  : Digital Collections, https://library.metmuseum.org  :443/record=b1637129~S1 [17.12.2022]. 121 New York Herald Tribune  : The Dealer’s Role in Developing Art, 21. Oktober 1962, S. 6. 122 Zum breiten Themenspektrum der Alltagsschilderungen der Ashcan School siehe etwa Tottis 2007. 123 New York Herald Tribune  : R. W. Macbeth, 56, Dies. Head Of Art Gallery – Militant Foe of Modernism Championed and Dealt in Works of Americans, 2. August 1940, S. 10. 124 New York Herald Tribune  : American Paintings, 11. Dezember 1910, S. 7. 125 Vgl. Ausst.-Kat. New York 1910, abgebildet in Metropolitan Museum of Art Libraries  : Digital Collections, https://library.metmuseum.org  :443/record=b1641747~S1 [17.12.2022]. 126 Vgl. Brief Jack B. Yeats an John Quinn, 6. Juni 1904, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. Yeats schildert in dem Brief, dass Macbeth die Bilder ausgesucht hatte  ; zu Macbeths Funktion als Yeats’ Agent siehe Pyle 1989, S. 106.

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wobei seine Bemühungen, dessen Arbeiten zu veräußern, zumindest bei dem um 1902 entstandenen A Cross County Champion von Erfolg gekrönt waren.127 Offenbar um Yeats’ künstlerischer Entwicklung Rechnung zu tragen, regte Macbeth im Vorfeld der 1910 stattfindenden Präsentation an, dass Yeats ihm neue Bilder zukommen lassen solle.128 Hierzu schickte Macbeth die nicht verkauften frühen Werke an Yeats zurück.129 Im Gegenzug erhielt er vier »more modern pictures«130 von dem Künstler, von denen er schließlich zwei, A Fair Day (auch Market Day, 1906) und A »Wintery« Morning (1908), in die Gruppenschau integrierte.131 Neben Yeats’ Werken wurden in der Ausstellung Aquarelle und Pastelle 42 US­ amerikanischer, realistisch und impressionistisch arbeitender Maler:innen präsentiert, darunter Ben Foster (1852 – 1926), Marianna Sloan (1875 – 1952) und Jerome M ­ yers (1867 – 1940).132 Die gezeigten Sujets umfassten Porträts, Landschaften, urbane Genreszenen und mythische Darstellungen, sodass Yeats, ungeachtet der Tatsache, dass er Ire war, die Ausstellung mit seinem westirischen Markttreiben sowie seiner Winterlandschaft mit Heuwagen stilistisch wie thematisch auf geeignete Weise ergänzte. Insbesondere lassen sich Gemeinsamkeiten mit dem zur Ashcan School gehörenden Jerome Myers ausmachen, der sich wie Yeats für Theatermotive und lebhafte Alltagsschilderungen interessierte, wie seine zahlreichen New York City-Impressionen belegen. Beide Œuvres sind dabei vom Eindruck der Unmittelbarkeit sowie von der Faszination für die Geschehnisse der eigenen Lebenswelt geprägt.133 Auch wenn dieser Zusammenhang in der Literatur kaum beachtet worden ist, könnte sich Yeats aus Sicht Macbeths noch aus einem anderen Grund für die Teilnahme an der Ausstellung qualifiziert haben, nämlich über die Verbindung seines Vaters zur Ashcan School. Diese ist in der der Yeats-Forschung bisher noch nicht ausreichend untersucht 127 Vgl. Yeats’ Eintrag zu A Cross County Champion im frühen Workbook, Seite 43, WB, unpubliziert, Yeats Archive, Y1/JY/4/1/1. 128 Dies geht aus Yeats’ Antwortbrief an Macbeth vom 22. April 1904 hervor. – Vgl. Brief Jack B. Yeats an Macbeth, 22. April 1904, unpubliziert, AAA, Macbeth Gallery records, Box 87, Ordner 18. 129 Am 6. Juni bedankte sich Yeats für die Übersendung der Zeichungen, siehe Brief Jack B. Yeats an Macbeth, 6. Juni 1904, unpubliziert, AAA, Macbeth Gallery records, Box 87, Ordner 18. 130 Brief Jack B. Yeats an Macbeth, 22. April 1910, unpubliziert, AAA, Macbeth Gallery records, Box 87, Ordner 18. Zudem gehen aus Yeats’ Briefen vom 22. September, 4. Oktober und 15. November 1904 alle organisatorischen Abläufe sowie Preisvorstellungen und Versicherungssummen für die Bilder hervor. In dem Brief vom 22. September skizzierte Yeats dem Galeristen im Vorfeld die Aquarelle, um ihm einen ersten Eindruck zu ermöglichen. Alle Briefe unpubliziert, AAA, Macbeth Gallery records, Box 87, Ordner 18. 131 Jack B. Yeats, A Market Day, 1906, Aquarell, 252 × 355 mm, Sligo, The Model, Home of the Niland Collection. Zu beiden Werken siehe Ausst.-Kat. 1910, Nr. 91 und 92. 132 Vgl. Ausst.-Kat. New York 1910, abgebildet in Metropolitan Museum of Art Libraries  : Digital Collections, https://library.metmuseum.org  :443/record=b1641747~S1 [17.12.2022]. 133 Als Beispiel für Myers’ Werk lässt sich etwa sein Eastside Market, 1906, schwarze und bunte Kreide auf Papier, 206 × 293 mm, Washington, National Gallery of Art, nennen.

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worden. Zwar ging etwa Murphy auf JBYs Kontakte ein, allerdings ausschließlich aus einer historischen und nicht aus einer kunsthistorischen Perspektive.134 Vereinzelte Analysen in der US-amerikanischen Forschung, die das Verhältnis JBYs zu Sloan und anderen Künstler:innen der Ashcan School untersuchen,135 haben zudem keinen Eingang in die Forschungen zu Jack B. Yeats gefunden. Gerade der permanente Austausch zwischen JBY und Jack B. Yeats (sowie seinen Geschwistern) legt, wie auch die enge Verbindung zu Quinn, eine solche Bezugnahme aber durchaus nahe. Von JBY ist bekannt, dass er sich nach seiner Ankunft in New York, Anfang 1908, rasch in anerkannte Künstler:innen- und Intellektuellenkreise integrierte, wobei er vor allem als Redner geschätzt wurde.136 Bereits kurze Zeit später, im Juli 1909, lernte er Robert Henri und John Sloan kennen. Letzterer war von dem »very interesting old gentleman with white beard«137 fasziniert und stand in den Folgejahren in engem Austausch mit ihm.138 JBY wiederum betrachtete Sloan beinahe wie seinen Sohn und begleitete aufmerksam dessen künstlerische Entwicklung, sodass sich Sloan in seinen Tagebucheinträgen mit großer Wertschätzung über das freundschaftliche Lehrmeisterverhältnis äußerte.139 Darüber hinaus erwies Sloan dem irischen Künstler in dem zwischen 1910 und 1914 entstandenen Ölbild Yeats at Petipas’ seine malerische Ehrerbietung (Abb. 104).140 Das Gemälde stellt JBY inmitten der New Yorker Bohème dar. Bei dem dargestellten Ort, dem Petipas’, handelte es sich um ein von den drei Petipas-Schwestern betriebenes französisches Restaurant sowie um eine Pension, in der JBY von Oktober 1909 bis zu seinem Tod im Jahre 1922 lebte.141 Der eloquente Ire vermochte es, dort viele Personen der New Yorker Kulturwelt um sich zu versammeln, die hier regelmäßig zum 134 Siehe hierzu Murphy 2001, S. 328 ff. 135 Siehe hier etwa Gordon 1973 und Leeds 2007. 136 Vgl. Murphy 2001, S. 341  ; JBY verdiente kaum Geld in New York, da er nur wenige Porträtaufträge erhielt. Allerdings kam er dank der großzügigen finanziellen Hilfe John Quinns sowie der seiner Kinder (hier vor allem Lily und Lolly sowie W. B.), die in Absprache mit Quinn gelegentlich größere Schuldenbeträge tilgten, gut über die Runden. – Vgl. Murphy 2001, S. 432 f. 137 Sloans Tagebucheintrag vom 22. Juli 1909, in  : Sloan 1965, S. 324. 138 Vgl. Sloan 1965, S. 373 ff. In den Eintragungen der Jahre 1910 bis 1912 schrieb Sloan von JBYs regelmäßigen Besuchen und seinen Ratschlägen bei der Entstehung des Gemäldes Yeats at Peti­ pas’. 1910 arbeitete JBY sogar für einige Monate in Sloans Atelier. – Vgl. Murphy 2001, S. 359 f. Die regelmäßigen Treffen JBYs mit Sloan und seiner Frau Dolly gehen zudem aus Briefen zwischen JBY und Quinn hervor. – Siehe etwa JBY an Quinn, 27. November 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn. Auch die Briefe Quinns an W. B. oder Lily enthalten wichtige Hinweise dazu. So berichtete Quinn Lily im Juni 1910, dass alle bei den Sloans zum Abendessen zusammengekommen waren, darunter JBY, Glackens, Everett Shinn und Quinn selbst. – Vgl. Quinn an Lily Yeats, 13. Juni 1910, unpubliziert, NYPL, Quinn. 139 Vgl. Murphy 2001, S. 367 sowie Sloan 1965, S. 373 ff. 140 In der aktuelleren Literatur zu Yeats und Sloan wird die These vertreten, dass Sloan den Iren in dem Bild nicht nur porträtierte, sondern ihm damit auch seine Ehre erwies, so etwa Leeds 2007, S. 27. 141 Vgl. Murphy 2001, S. 354. Das Petipas’, das von den drei, aus der Bretagne stammenden Petipas-

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Abb. 104 John Sloan, Yeats at Petitpas’, 1910 – 14, Öl auf Leinwand, 66,2 × 81,3 cm, Washington, National Gallery of Art.

gemeinsamen Abendessen zusammenkamen. Wie die New York Times 1922 schrieb, kannte »almost everybody who dallies with a paintbrush or a pen« das Petipas’, in dem JBY als »presiding genius«142 residiert habe. In den Sommermonaten aßen die Gäste im überdachten Gartenbereich des Hauses,143 jenem Pavillon, der in Sloans Gemälde eingefangen ist. Anders als George Bellows (1882 – 1925), der JBY in seiner 1916 gefertigten Litho­ grafie Artists’ Evening inmitten des überfüllten Petipas’ als gewandten Gesprächspartner neben Robert Henri und sich selbst wiedergab,144 legte Sloan das Augenmerk auf Schwestern betrieben wurde, befand sich in einem viergeschossigen Brownstone-Haus, das heute noch existiert und sich im Stadtteil Chelsea, 317 W 29th Street, befindet. 142 Young 1922, S. 44. 143 Vgl. Reid 1968, S. 89. 144 George Bellows, Artists’ Evening, 1916, Lithografie, 225 × 308 mm. George Bellows lernte JBY im Herbst 1914 bei einem Treffen in Robert Henris Wohnung kennen. – Vgl. Murphy 2001, S. 429. Dass JBY in Künstlerkreisen mit der Zeit eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, geht aus einem Gespräch Bellows’ mit einem Freund hervor, in dem er ihm riet, JBY unbedingt ein-

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die bildkünstlerische Profession des Porträtmalers, indem er ihn Zigarre rauchend mit Block und Bleistift in den Händen beim Zeichnen zeigte. Damit hielt er die Angewohnheit von JBY fest, seine Umwelt, insbesondere seine Mitmenschen, in Skizzen einzufangen. Und während Sloan JBY als zentrale Figur inmitten von Schriftstellern, Kritikern und Maler:innen schilderte,145 verlieh er seiner Verehrung für den irischen Maler dadurch Ausdruck, dass er sich selbst als zurückgenommenen Beobachter an der rechten hinteren Tischecke positionierte. Sloans Anerkennung kommt auch in dem 1910 vollendeten Gemälde My Two Friends, Robert Henri and John Butler Yeats zum Ausdruck, das JBY und Henri beim gemeinsamen Zeichnen zeigt und damit zugleich auf die enge Verbindung der beiden Freunde hinweist.146 So war Henri, der zwischen 1924 und 1929 jeden Sommer die westirische Achill Island bereiste, JBY nicht nur in künstlerischer Hinsicht, sondern auch aufgrund seiner eigenen Irlandverbundenheit zugetan.147 Bereits 1909, kurz nach ihrer ersten Begegnung, entstand Henris intimes Bildnis des betagten JBY, das den Künstler in nachdenklicher Pose zeigt.148 Welche zentrale Stellung Henri dessen Porträtgemälden beimaß, wird aus einem Brief an Sloan deutlich, in dem er nach einem Besuch der Dubliner National Gallery schrieb  : »In my opinion Yeats is the greatest British portrait painter of the Victorian era.«149 Im Gegenzug war auch JBY von der großen Bedeutung Henris überzeugt, den er, wie er seinem Sohn Jack schrieb, für einen der besten amerikanischen Maler hielt.150 Es ist denn auch der Fürsprache Sloans und Henris zuzuschreiben, dass sich JBY im April 1910 an der hauptsächlich von Sloan organisierten New Yorker Exhibition of Independent Artists beteiligen durfte, an der auch aufstrebende Künstler wie Bellows mal kennenzulernen  : »When you go there [Petipas’, Verf.] you will probably see an old man with a white beard surrounded usually by several people engaged in talk. This is John Butler Yeats, father of W. B. Yeats, the Irish poet. In his prime he was a great portrait painter. George Moore says he’s the greatest conversationalist he ever met. I think so. Go up and introduce yourself to him and tell him I told you to. You’ll probably have a fine evening with the old man if he’s feeling fit«, zitiert nach Gordon 1973, S. 294. 145 Von links nach rechts sind folgende Personen dargestellt  : der Sloan-Biograf Van Wyck Brooks, JBY, der Dichter Alan Seeger, Sloans erste Ehefrau Dolly Sloan, Celestine Petitpas, der schottische Schriftsteller Robert Sneedon, Vera Zhelihovsky Johnston, die Porträtmalerin Eulabee Dix, der Herausgeber des Magazins Literary Digest Fred King und in der rechten Ecke John Sloan. 146 John Sloan, My Two Friends, Robert Henri and John Butler Yeats, 1910, Öl auf Leinwand auf Karton, 21,6 × 26,7 cm, Privatbesitz. 147 Vgl. Stuhlman 2011, S. 17. Das erste Mal reiste Henri 1913 nach Irland, ab 1924 bis zu seinem Tod dann jeden Sommer, wo er und seine Frau ein Haus mit dem Namen Corrymore gemietet hatten. 148 Robert Henri, John Butler Yeats, 1909, Öl auf Leinwand, 82 × 70 cm, Washington, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden. 149 Brief Henri an Sloan, September 1913, zitiert nach Stuhlman, S. 35. 150 Vgl. Brief JBY an Jack B. Yeats und Cottie Yeats, 23. November 1909, aufgeführt bei Murphy 2001, S. 360.

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und Edward Hopper (1882 – 1967) teilnahmen.151 Nachdem er bis dahin in seiner neuen Heimat vor allem Vorträge zu irischen Themen gehalten hatte,152 trat er dort zum ersten Mal künstlerisch in Erscheinung. Bei den ausgestellten Werken des Iren handelte es sich sämtlich um Leihgaben John Quinns  : Neben zwei Gemälden, einem Selbstbildnis und einem Porträt John O’Learys, zählten hierzu sieben Zeichnungen, darunter ein Porträt John M. Synges.153 Die inmitten der amerikanischen Independent Artists gezeigten Werke waren dabei ausnahmslos Szenen der »Victorian era«154. In diesem kulturellen Klima, in dem sich irische und amerikanische Themen überlagerten, muss auch Jack B. Yeats’ Präsentation in der Macbeth Gallery verortet werden, die nur wenige Monate später stattfand. Es ist davon auszugehen, dass er von der weitreichenden Bekanntheit John Butler Yeats’ in New Yorker Künstler- und Sammlerkreisen ebenso profitierte wie von dessen Kontakten zu den Vertreter:innen der Ashcan School. So geht aus Sloans Tagebuch vom Mai 1910 hervor, dass er über JBYs Verbindung zu John Quinn in Berührung mit Jacks Arbeiten gekommen war. Bei einem von Quinns Abendessen, zu dem JBYs Künstlerfreunde eingeladen waren, konnte Sloan im Apartment des Anwaltes mehrere von Jack B. Yeats’ Bildern in Augenschein nehmen, die ihm allesamt zusagten.155 Während ihm hinsichtlich der Ausstellungsbeteiligung in der Macbeth Gallery die Kontakte Quinns und seines Vaters zugutekamen, stellte für ihn umgekehrt die Auseinandersetzung mit den Anforderungen des US-amerikanischen Marktes ebenso eine Bereicherung dar, die zu seiner künstlerischen Entwicklung beitragen sollte. Immerhin fühlte er sich auch durch Macbeth, von dem er wusste, dass er Ölbilder bevorzugte, veranlasst, von der Aquarell- zur Ölmalerei zu wechseln. Und obwohl er 1910 noch ausschließlich grafische Arbeiten einreichte, teilte er dem Galeristen stolz mit  : »I am […] getting to work in oils a good deal more now, and may after a time have something to send you in that medium.«156 Die Zeilen verdeutlichen, dass Yeats eine klare Vorstellung von den Ansprüchen der internationalen Galerieszene hatte und dass er diesen gerecht zu werden versuchte. Und tatsächlich datieren die ersten Arbeiten in Öl aus dieser Zeit.157 151 Vgl. Gordon 1973, S. 291  ; siehe auch American Art News, 8  :27, 16. April 1910, S. 2. 152 Viele der Aktivitäten JBYs gehen aus dem Briefwechsel Quinns mit W. B. Yeats und Lily Yeats hervor, denen er regelmäßig schrieb. JBY wurde in New York finanziell großzügig von Quinn unterstützt, der für ihn auch die wichtigste Bezugsperson war. Im Winter 1911 etwa berichtete Quinn Lily, dass JBY einen Vortrag im Auftrag von Mrs. Sloan halten werde. – Vgl. Brief Quinn an Lily Yeats, 5. Februar 1911, unpubliziert, NYPL, Quinn. 153 Vgl. Gordon 1973, S. 291. JBY war auch noch später in Ausstellungen involviert, etwa in die zweite Porträtausstellung der Mrs. Whitney Gallery im Januar 1917. Auch hier waren seine Arbeiten wieder neben Sloans und Davies’ Arbeiten zu sehen. – Vgl. American Art News, 15  :14, 13. Januar 1917, S. 3. 154 Brief Henri an Sloan, September 1913, zitiert nach Stuhlman, S. 35. 155 Vgl. Sloan 1965, 8. Mai 1910, S. 419. 156 Brief Jack B. Yeats an Macbeth, 15. November 1910, unpubliziert, AAA, Macbeth Gallery ­records, Box 87, Ordner 18. 157 Yeats versuchte sich, wie bereits geschildert wurde, zwar bereits früher in der Ölmalerei, aller-

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Abb. 105 Jack B. Yeats, The Travelling Circus, 1906, Aquarell, 270 × 358 mm, Dublin, Hugh Lane Gallery.

Dass Yeats dem Kontakt mit Macbeth und der Auseinandersetzung mit amerikanischer Kunst auch wichtige Impulse für sein eigenes Schaffen verdankte, zeigt seine persönliche Bibliothek, in der sich mehrere Ausgaben des Metropolitan Museum of Art Bulletin sowie Bücher zu Sloan finden.158 Die Lektüre belegt, dass er sich nicht nur mit europäischen Kunstströmungen auseinandersetzte. In diesem Zusammenhang ist anzunehmen, dass der Vergleich mit seinen New Yorker Kollegen Yeats weniger zu einem Kurswechsel anregte als vielmehr in seinem Schaffen bestätigte, demonstrieren doch seine Werke aus jener Zeit einen ähnlichen Umgang mit Komposition und Farbe, wie er ihn in den Werken der Ashcan School sehen konnte. Das Gleiche gilt für das Aufgreifen autochthoner Themen, wobei die intensive Auseinandersetzung mit urbanen Topoi initiierend auf Yeats gewirkt haben dürfte. dings fing er erst 1910 an, konsequent in dem Medium zu arbeiten. – Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2021, S. 13. 158 Zum Metropolitan Museum of Art Bulletin siehe Einträge im BK, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/1/1  ; zu Sloan siehe Yeats’ Bibliothek  : John Sloan, New York, American Artists Group  : 1945, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/24/1/6/76 sowie Catalogue of John Sloan (1871 – 1951). Retrospective Exhibition, Kraushaar Galleries, New York, 2. bis 28. Februar 1948, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/18/11.

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Abb. 106 George Bellows, Outside the Big Tent, 1912, Öl auf Leinwand, 76,2 × 97 cm, Andover, Addison Gallery of American Art, Phillips Academy.

Wie die Vertreter:innen der Ashcan School widmete er sich seiner Umwelt in realistischer Manier und lehnte akademische Vorgaben ab. Yeats’ Boxkampf-, Theater- und Zirkusdarstellungen sowie seine urbanen und ländlichen Alltagsszenen finden ihr amerikanisches Pendant in den Arbeiten Myers’, Sloans oder Bellows’. Während ­Sloans 1912 geschaffenes Gemälde Six O’Clock, Winter die abendliche Rushhour an der New Yorker Hochbahn vor dunklem Abendhimmel schildert (Abb. 81), fängt Yeats’ 1925 entstandenes Dublin Night das nächtliche Treiben in der irischen Hauptstadt ein (Abb. 82). Ähnlich wie Bellows hielt Yeats zudem immer wieder Boxszenen fest.159 Eine gemeinsame Faszination lässt sich auch für die Welt des Zirkus konstatieren, die beide Künstler wiederholt thematisierten. Yeats’ 1906 entstandenes Aquarell The Travel­ling Circus etwa zeigt, wie Menschenmassen in einer Kleinstadt vor einem gerade aufgebauten Zelt Schlange stehen, um die angekündigte Vorstellung des Wanderzirkus zu sehen. Während Werbeschilder auf eine Vielzahl wilder Tiere verweisen, scheint 159 Zu Yeats’ Boxbildern siehe etwa A Refusal to Shake Hands, um 1900, Bleistift, Tusche, Aquarell, 150 × 170 mm, Privatbesitz oder The Small Ring, 1930, Öl auf Leinwand, 61 × 91 cm, Cork, Crawford Art Gallery. Für Bellows’ Darstellungen siehe etwa Stag at Sharkey’s, 1909, Öl auf Leinwand, 92 × 122,6 cm, The Cleveland Museum of Art.

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ein am Rand stehender Clown die Szenerie zu kommentieren (Abb. 105). Dagegen setzte Bellows in seinem Gemälde Outside the Big Tent aus dem Jahr 1912 ganz auf das Riesenrad und eine von Menschen umringte Darbietung im Vordergrund. Das große Zirkuszelt wiederum wird aufgrund seiner enormen Größe nur angeschnitten präsentiert (Abb. 106). Damit liegt sowohl bei Yeats als auch bei Bellows der Fokus auf dem Geschehen unter freiem Himmel, dem durch die Abendstimmung eine theatralische Anmutung verliehen wird. Das Zelt als eigentlicher Mittelpunkt des Interesses ist bei beiden Künstlern hingegen mehr im Sinne einer Erwartung präsent. Es ist anzunehmen, dass ebendiese, der vernakularen Moderne zuzuordnenden Motive und Modi Yeats 1913 gleichfalls für die Teilnahme an der Armory Show qualifizierten. Dass er zudem selbstbewusst an Kunsthändler wie Macbeth herantrat, verrät, dass er von der Qualität seiner Werke durchaus überzeugt war. 6.2.2 Armory Show, New York, 1913 Yeats’ Beteiligung an der circa 1400 Werke umfassenden International Exhibition of Modern Art in der namensgebenden Armory of Sixty-Ninth Infantry stellte eine wichtige Etappe innerhalb seiner Künstlerkarriere dar. Schließlich handelte es sich bei der Verkaufsausstellung um ein prestigeträchtiges Ereignis von internationalem Rang, das in der Presse breit besprochen wurde. Als vorbildhaft für das Format der Armory Show dienten den Hauptorganisatoren Arthur B. Davies, Walt Kuhn (1877 – 1949) und Walter Pach (1883 – 1958) zwei aktuelle europäische Ausstellungsprojekte  : die Kölner Sonderbundausstellung von 1912 und die im selben Jahr von Roger Fry ausgerichtete Londoner Second Post-Impressionist Exhibition. Den Machern der New Yorker Werkschau erschien insbesondere die übernationale und auf zeitgenössische Kunst ausgerichtete Fokussierung als erstrebenswert für ihr eigenes Projekt.160 Von Mitte Februar bis Mitte März 1913 wurden in New York City Bildwerke und Skulpturen von insgesamt 300 europäischen und amerikanischen Künstler:innen gezeigt. In dem in 18 Säle untergliederten Zeughaus wurden Objekte einer international vereinten Moderne, etwa von van Gogh, Gauguin, Cézanne, Picasso, Duchamp, Whistler, Sloan, Hopper und Henri präsentiert.161 Den Besucher:innen wurde somit ein breites Spektrum realistischer, impressionistischer, expressionistischer, futuris-

160 Vgl. Brown 1988, S. 64 – 73  ; Kushner 2013, S. 14 f. Kuhn und Davies reisten 1912 nach Europa, um dort die Ausstellungen zu besuchen und Künstler:innen zu kontaktieren. 161 Vgl. Ausst.-Kat. New York 1913. Die Idee zur Ausstellung wurde zum ersten Mal Ende 1911 von der zur gleichen Zeit ins Leben gerufenen Association of American Painters and Sculptors, zu der im Wesentlichen die Künstler:innen der Eight gehörten, formuliert und in Rekordzeit realisiert. Sloan, Henri und die anderen setzten damit ihr Bestreben fort, eine junge amerikanische Kunstszene zu etablieren. – Vgl. Brown 1988, S. 45 ff.

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tischer und kubistischer Arbeiten geboten, die von Rezensent:innen als »Art of the Future«162 charakterisiert wurden. Yeats’ insgesamt sechs Arbeiten waren im Saal G zusammen mit 71 Werken englischer, irischer und deutscher Maler ausgestellt. Hierzu gehörten Ernst Ludwig ­Kirchner (1880 – 1939), Walter Sickert, Maurice de Vlaminck oder Wassily Kandinsky.163 Bemerkenswert an dieser Auswahl ist, dass Yeats durch die Hängung der Werke zu Malern in Bezug gesetzt wurde, mit deren künstlerischem Ansatz oder Wirkmacht ihn die spätere Yeats-Rezeption wiederholt vergleichen sollte.164 Die Möglichkeit zur Teilnahme hatte er dem Engagement Quinns zu verdanken, der sich als einer der Mitorganisatoren für ihn eingesetzt und den Kontakt zu Kuhn vermittelt hatte.165 Yeats war begeistert von Quinns Plänen und stimmte mit ihm überein, ausschließlich Gemälde zu schicken, da Aquarelle seines Erachtens kaum der internationalen Konkurrenz standhalten würden.166 Dass Yeats in den Vereinigten Staaten bereits kein Unbekannter mehr war, verraten die Ankündigungen der American Art News, in denen er als einer der zentralen europäischen Künstler aufgezählt wurde.167 Wie aus den Walt Kuhn Family papers in den Archives of American Art hervorgeht, schickte Yeats am 22. Januar 1913 fünf Gemälde nach New York, nachdem er Kuhn zuvor Titel und Verkaufspreise der Werke mitgeteilt hatte.168 Die zwischen 1910 und 1912 entstandenen Bilder The Last Corinthian (1910), The Stevedore (1911), Strand Races (Races on Strand) (1912), The Barrel Man (1912) und The Circus Dwarf (1912) 162 American Art News  : Painters’ and Sculptors’ Show, 11  :17, 1. Februar 1913, S. 3. 163 So waren unter anderem folgende Werke ausgestellt  : Ernst Ludwig Kirchner, Wirtsgarten in Steglitz, 1911, Öl, 98 × 106 cm, Privatbesitz  ; Walter Sickert, Noctes Ambrosianae, 1906, Öl auf Leinwand, 63,5 × 76,2 cm, Nottingham City Museums  ; Maurice de Vlaminck, Village, ca. 1912, Öl auf Leinwand, 73,7 × 92,1 cm, The Art Institute of Chicago und Wassily Kandinsky, Improvi­ sation 27 (Garten der Liebe II), 1912, Öl auf Leinwand, 120,3 × 140,3 cm, New York, The Metropolitan Museum of Art. Anlässlich der 100-Jahr-Feier der Armory Show wurde in der New-York Historical Society eine Jubiläumsausstellung veranstaltet. Dem Ausstellungskatalog sind viele Hintergrundinformationen zu entnehmen. Zu den Angaben der Kunstschaffenden in Raum G siehe Ausst.-Kat. New York 2013, S. 466  ; siehe auch die begleitende Website The Armory Show at 100, http://armory.nyhistory.org/category/artworks/gallery/gallery-g/ [17.12.2022]  ; die beiden anderen irischen Künstler waren George Russell (Æ) und Nathaniel Hone d. J. 164 Zur Ähnlichkeit mit Kirchner und den deutschen Expressionisten siehe Lerm Hayes 2004, S. 338  ; zu Vlaminck siehe Freeman’s Journal  : Developments in Work of Mr. Jack B. Yeats. The Three Stage, 27. März 1924, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1  ; zu Kandinsky siehe Beckett 1945, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 165 Brief Quinn an Jack B. Yeats, 21. Dezember 1912, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49  ; ursprünglich hatte Quinn auch Arbeiten von John Butler Yeats an das Ausstellungskomitee übersandt, siehe Brief Quinn an Lily Yeats, 8. Februar 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn. Diese wurden aber letztlich nicht für die Exposition berücksichtigt. 166 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 7. Januar 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 167 Vgl. American Art News  : Coming International Show, 9  :6, 16. November 1912, S. 3 sowie Ame­ rican Art News  : Painters’ and Sculptors’ Show, 11  :17, 1. Februar 1913, S. 3. 168 Brief Jack B. Yeats an Kuhn, 18. Januar 1913, AAA, Walt Kuhn Family papers, Box 1, Folder 28.

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wiesen allesamt einen irischen Bezug auf,169 wobei Yeats’ Zirkusszene Bellows’ thematisch verwandtes Werk The Circus (1912) auf geeignete Weise ergänzte.170 Nur bei dem zusätzlich gezeigten, bereits 1905 entstandenen Aquarell A Political Meeting handelte es sich um eine Leihgabe Quinns.171 Aufgrund der Fülle der präsentierten Werke war die Aufmerksamkeit für einzelne Künst­ler:innen während der Ausstellungsdauer ungleichmäßig verteilt. Für Furore sorgten insbesondere die Objekte der Kubisten, allen voran Duchamps Gemälde Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2,172 das als eine der Hauptattraktionen gefeiert wurde und sofort einen Käufer fand.173 Allerdings wurden auch weniger avantgardistische Strömungen diskutiert und gekauft, wobei auch Yeats von dem großen Interesse profitierte. So gehörte sein 1912 entstandenes Werk Strand Races zu den drei im Saal G verkauften Gemälden.174 Inmitten der Armory Show wurde Yeats nicht nur einem breiten US-amerikanischen Publikum zugänglich gemacht, sondern auch als Teil einer globalen Moderne präsentiert. Dass sich der Maler dieser weltumspannenden Gemeinschaft, die für eine lebendige Kunst eintrat, als zugehörig empfand, geht aus einem Brief an Quinn vom 14. Juni 1913 hervor. Darin schrieb Yeats, der von dem befreundeten Anwalt diverse Presseberichte zur Ausstellung erhalten hatte  : The exhibition must have been a great success. The great good these wild postimpressionist and futurist painters will do will be that they will knock the hand cuffs off all the painters. There must be no more you-must-not-do-this or that.175

169 The Last Corinthian, 1910, Öl auf Leinwand, 38,1 × 28 cm, Privatbesitz  ; The Stevedore, 1911, Öl auf Holz, 37 × 24 cm, Privatbesitz  ; Strand Races (Races on the Strand), 1912, Öl auf Leinwand, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz  ; The Barrel Man, 1912, Öl auf Leinwand, 35,5 × 23 cm, Privatbesitz  ; The Circus Dwarf, 1912, Öl auf Leinwand, 91,5 × 61 cm, Privatbesitz. 170 George Bellows, The Circus, 1912, Öl auf Leinwand, 86 × 111,8 cm, Andover, Addison Gallery of American Art, Phillips Academy. 171 A Political Meeting, 1900 – 10, Aquarell, 532,5 × 715 mm, Sligo, The Model, Home of the ­Niland Collection. Zu den Angaben im Katalog der Armory Show siehe Ausst.-Kat. New York 1913, S. 33 und S. 44  ; bei Fahlman 2009, S. 88 und S. 95 entsprechen die Abbildungen nicht den ausgestellten Gemälden, da sie fälschlicherweise Aquarelle mit ähnlichem Titel abgebildet hat. 172 Marcel Duchamp, Akt, eine Treppe herabsteigend, Nr. 2, 1912, Öl auf Leinwand, 147 × 89,2 cm, Philadelphia Museum of Art. 173 Vgl. Brown 1988, S. 131 – 136. Das Gemälde wurde von Frederic C. Torrey erworben. 174 Vgl. Ausst.-Kat. 2013, S. 466 sowie The Armory Show at 100, http://armory.nyhistory.org/category/artworks/gallery/gallery-g/ [17.12.2022]. Das Gemälde wurde für $ 118 von George F. Porter gekauft. Die anderen beiden Arbeiten waren das gleichfalls von Porter erworbene A Small Tower (Moonlight) (1911/12) von James Pryde sowie das von Alfred Stieglitz gekaufte Improvisa­ tion 27 (Garten der Liebe II) (1912) von Kandinsky. 175 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 14. Juni 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49.

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Yeats maß der Ausstellung hinsichtlich der Rezeption zeitgenössischer Kunst insofern eine zentrale Bedeutung bei, als diese seines Erachtens zu einem grundsätzlichen Wahrnehmungswandel führen würde. Zugleich besäßen die unkonventionell arbeitenden Futuristen und Post-Impressionisten die Fähigkeit, andere Künstler:innen zu inspirieren, nicht länger eingetretene akademische Pfade zu verfolgen. Diesen konstatierten Umbruch muss Yeats auch auf sich selbst bezogen haben, denn wie die nach 1913 entstandenen, expressiver anmutenden Arbeiten, etwa The Double Jockey Act (1916, Abb. 9), zeigen, fühlte er sich durch derartige Ansätze erkennbar animiert, einen freieren Malstil anzustreben. Dennoch blieb er im Grundsatz seiner Arbeitsweise treu und positionierte sich damit auch gegenüber Malern wie Arthur B. Davies, der im Nachgang der Armory Show, angeregt durch die europäischen Avantgardisten, anfing, in kubistischer Manier zu malen.176 Dass Yeats nachweislich nichts von derartigen, aufs Ungegenständliche abzielenden Experimentierphasen hielt, wird erneut aus einem Brief an Quinn ersichtlich. Am 15. Dezember 1913 heißt es  : I see by one of the copies of »the sun« which he [JBY, Verf.] sent that Davies is working in the way the moderns work. As I think I said before, these gay souls will do good in unshackling painting. But so far, they do no shake me in my plans, which are only to paint what I have seen happen.177

Dieses Zitat veranschaulicht, dass sich Yeats nach der Armory Show selbstbewusst als figurativer Maler behauptete. Das ist auch deshalb aufschlussreich, weil Quinn zu denjenigen gehörte, die im Rahmen der Armory Show fast ausschließlich in kubistische oder futuristische Werke investiert hatten,178 ein Umstand, der Yeats bekannt gewesen sein muss. Yeats’ künstlerisches Schaffen fand demnach nicht in der irischen Isolation oder in Abkehr von der internationalen Moderne statt, sondern, ganz im Gegenteil, in der konkreten Auseinandersetzung mit dieser. Weitere Beteiligungen an den Ausstellungen der New Yorker Society of Independent Artists in den Jahren 1921 bis 1926 zeigen überdies,179 dass ihm sein gegenständlicher Ansatz nicht zum Nachteil gereichte. Es lässt sich vermuten, dass ihm hier 176 Vgl. etwa Arthur B. Davies, Day of Good Fortune, ca. 1914, Öl auf Leinwand, 45,1 × 74,9 cm, New York, Whitney Museum of American Art. 177 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 15. Dezember 1913, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49. 178 Siehe Übersicht bei Brown 1988, 336  ; zu Quinns umfangreicher Sammlung siehe Zilczer 1978. Nach seinem Tod wurde die umfassende Sammlung mit über 2500 Objekten der amerikanischen und europäischen Moderne an verschiedene Sammler:innen versteigert. – Vgl. Zilczer 1990, S.  35 f. 179 Zur Teilnahme an den Ausstellungen siehe etwa Yeats’ Eintragung auf der letzten Seite seines Workbooks, WB, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/1  ; zum Überblick der Ausstellungen der Society of Independent Artists und der Teilnehmer:innen siehe Marlor 1984. Angaben zu Yeats siehe Marlor 1984, S. 588.

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seine mittelbaren Kontakte zu Bellows, Sloan und Glackens, die neben Künstlern wie Duchamp zu den Direktoren der 1916 gegründeten Society zählten, zur Teilnahme verhalfen. Auch in der New Yorker Presse wurde Yeats’ Teilnahme positiv besprochen, wobei insbesondere eine Schlagzeile der American Art News vom Januar 1923 auf eine gewisse Bekanntheit des Künstlers verweist  : »Independent Show Now International. Seventh Annual in February to Include Mexican, French and Belgian Groups, and Yeats’ Pictures.«180 Auch im Folgejahr wurde er in dem Blatt als einer der »leading Modernists«181 mehrfach erwähnt. Den Kritiker:innen zufolge zeichneten sich seine Werke dabei nicht nur durch ihre Modernität, sondern auch durch ihre lokalen Spezifika aus, charakterisierte man seine Bilder doch als dezidiert »Irish in scene and feeling«.182 Damit qualifizierte sich Yeats in besonderem Maße für die Ausstellungen, bei deren Besuch man hoffte, dem »spirit of foreign schools«183 zu begegnen. Yeats’ Aufzeichnungen lässt sich entnehmen, dass er im Verlauf der Ausstellungen mehrere Arbeiten verkaufte.184 Dieser Umstand und die positiven Pressestimmen belegen eine wachsende Popularität des Künstlers in den Vereinigten Staaten. Und während sein zunehmend expressiver Stil im konservativen Irland auf Unverständnis stieß, bescherte ihm die Verbindung aus Modernität und empfundener Landesspezifik in den USA weitere Ausstellungsbeteiligungen. 6.2.3 The Helen Hackett Gallery, Museum of Irish Art und Ferargil Galleries, New York, 1930 – 33 In den 1930er Jahren fanden in mehreren New Yorker Galerien Ausstellungen zur irischen Moderne statt, die ein wachsendes Interesse an der Kunst Irlands indizieren.185 Als federführend ist hierbei zunächst die Helen Hackett Gallery zu nennen, in der 180 American Art News  : Independent Show Now International. Seventh Annual in February to Include Mexican, French and Belgian Groups, and Yeats’ Pictures, 20. Januar 1923, S. 1. 181 American Art News  : Independents’ Show Biggest in America. Forthcoming Display Will Have more than 700 Works – Archipenko among Exhibitors, 1. März 1924, S. 2, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1  ; bemerkenswerterweise wurde seine Teilnahme auch in der französischen Presse reflektiert. – Vgl. Revue du Vrai et du Beau, September 1923, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 182 American Art News  : Independent Show Actually Academic. »Freak« Work Conspicuous by Its Absence – Mexican Exhibit Is Something of a Disappointment, 3. März 1923, S. 2. 183 American Art News  : Independent Show Actually Academic. »Freak« Work Conspicuous by Its Absence – Mexican Exhibit Is Something of a Disappointment, 3. März 1923, S. 2. 184 Vgl. WB, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/1. Auf der letzten Seite vermerkte Yeats alle Ausstellungen in den USA von 1913 bis in die Mitte der 1920er Jahre und trug hinter den verkauften Bildern »sold« ein. 185 Weiterführend zu Ausstellungen irischer Künstler:innen in den USA zwischen 1893 und 1939 siehe O’Connor 2020.

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von März bis April 1929 die First American Exhibition of Contemporary Irish Art ausgerichtet wurde. Diese erste grundlegende Exposition zur irischen Gegenwartskunst ging unter anderem auf die Initiative des irischen Malers Patrick Tuohy (1894 – 1930) zurück, der 1927 in die USA ausgewandert war.186 Offenkundig war es Hackett, die ansonsten vorwiegend US-amerikanische Kunst ausstellte,187 ein Anliegen, dem New Yorker Publikum irische Künstler:innen zugänglich zu machen.188 In der Presse wurde das Ereignis äußerst positiv besprochen, auch wenn sich Edward Alden J­ ewell (1888 – 1947), der Kritiker der New York Times, verwundert darüber zeigte, dass ausgerechnet Yeats, der inzwischen als bester irischer Maler galt, nicht in der Schau vertreten war.189 Allerdings nahm der Künstler in der ein Jahr darauf von Helen Hackett ausgerichteten Second Annual Exhibition of Contemporary Irish Painting teil, die noch überschwänglicher rezipiert wurde.190 Dass die Ausstellung auch beim Publikum auf großen Anklang gestoßen sein muss, zeigt sich daran, dass Hackett bereits in der kurz darauf folgenden Sommerexposition erneut irische Werke präsentierte, wo sie in Verbindung mit amerikanischen, französischen und niederländischen Arbeiten gezeigt wurden.191 Yeats, der als »far and away the most imaginative«192 unter den irischen Maler:innen besprochen wurde, profitierte enorm von dem wachsenden Interesse an irischer Kunst und stellte ab 1930 wiederholt in den USA aus. So folgte etwa 1931 die Teilnahme an der International Art Exhibition in Pittsburgh.193 Bereits im Oktober 1930 war er zudem an der New Yorker Irish Crafts Exhibition in den Irish Theatre and Art Rooms beteiligt, die vom irischstämmigen Patric Farrell (1907 – 1992) organisiert wurde.194 Daraus resultierte im darauffolgenden Jahr die Gründung des Museum of Irish Art im New Yorker Barbizon Hotel, mit dem Farrell einen dauerhaften Ort zur Präsentation 186 Vgl. O’Connor 2011, S. 19. 187 Siehe etwa Parnassus  : Calender of Current Exhibitions in New York, 1  : 6, Oktober 1929, S. 46  ; die Helen Hackett Gallery befand sich auf der 9 East 57th Street. 188 Vgl. Cary 1930, S. 21. 189 Vgl. Jewell 1929, S. 12. Die Abwesenheit begründete Jewell mit einer anderen Ausstellung, die Ende 1929 für Yeats geplant gewesen sei. Allerdings irrte sich der Kritiker hier, hatte Yeats doch 1929 keine Ausstellung in New York  ; vertreten waren etwa Seán Keating oder Grace Henry. 190 Vgl. Evening Post, 1. März 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 191 Vgl. Cary 1930. S. 21. 192 The Sun  : Irish Works on Display in New York, 2. März 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 193 Yeats wurde besonders positiv von Eward Alden Jewell in der New York Times besprochen. – Vgl. New York Times  : Thirtieth Carnegie International Opens at Pittsburgh, 15. Oktober 1931 sowie New York Times  : Carnegie Art Show Makes Fine Display, 18. Oktober 1931. Yeats stellte als einziger Vertreter der Royal Hibernian Academy in der britischen Sektion aus (Irland selbst war nicht vertreten). – Vgl. Cork Examiner, 18. Juli 1931. Alle Zeitungsausschnitte abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 194 Vgl. New York Herald Tribune  : Five Oil Paintings by Æ Open Irish Crafts Exhibit. Phantasies by Poet on View at Theater Unit’s Home, 27. Oktober 1930, S. 15.

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irischer Kunst etablieren wollte. Auch hier waren Yeats’ Werke zwischen 1931 und 1933 regelmäßig zu sehen.195 Eine weitere Ausstellung, die Yeats, seinen Notizen und abgehefteten Rezensionen zufolge, sehr wichtig war, fand im März 1932 in den Ferargil Galleries statt.196 Bei der 1915 durch Frederic Newlin Price (1884 – 1963) ins Leben gerufenen Galerie handelte es sich um eine anerkannte, auf amerikanische Kunst spezialisierte Kunsthandlung, die Maler wie George Bellows, Grant Wood (1891 – 1942) oder Thomas Hart Benton (1889 – 1957) vertrat.197 Bei Yeats müssen sowohl das Renommee der Galerie als auch die Tatsache, dass er hier eine auf ihn zugeschnittene Einzelausstellung mit aktuellen Arbeiten erhielt, einen besonders prestigeträchtigen Eindruck hinterlassen haben. Der Künstler sandte im Vorfeld der Präsentation 37 Gemälde nach New York, die zunächst in den Ferargil Galleries und wenige Monate später, vom 29. Dezember bis Januar 1933,198 nochmals im Rahmen einer Gruppenausstellung im Museum of Irish Art präsentiert wurden.199 Um welche Bilder es sich dabei handelte, war bis dato nicht bekannt, lässt sich auf Grundlage meiner Archivrecherchen aber nun sicher für 14 Gemälde belegen. So erwähnte Edward Alden Jewell in seiner New York Times-Rezension vom 31. Dezember 1932 folgende acht Titel  : White Shower (1928), The Tinker’s Child (1926), The Flying Mask (1930), Reverie (1931), Man in a Train Thinking (1927), A Farewell to Mayo (1929), Kiss (1926) und The Scene Painter’s Rose (1927).200 Zusätzlich zu den genannten Werken sind Yeats’ Gemäldeverzeichnis sechs weitere zu entnehmen  : High Spring Tide (1924), Lough Gill Sligo (1924), On the Skibbereen Light Railway (1924/25), Singing the Beautiful Picture (1925), Three Traders of Dublin (1927) und By Merrion Strand (1929).201 195 Vgl. New York Times  : Irish Art to Be Shown. Museum Will Be Opened on Sunday at the Barbizon, 11. Dezember 1931, S. 30 sowie New York Times  : Irish Art on Display, 26. Mai 1932, S. 28  ; Pyle 1989, S. 213. Das Museum befand sich auf der 63rd Street und Lexington Avenue. 196 Zu Yeats’ Unterlagen siehe ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2  ; hinsichtlich der genauen Daten machten die Zeitungen widersprüchliche Angaben, was auf einen verzögerten Ausstellungsbeginn hinweist. Im Parnassus wurde die Ausstellung noch für Januar 1932 angekündigt. – Vgl. Parnassus  : Calendar of Current Art Exhibitions in New York, 4  :1, Januar 1932, S. 4. In den Rezensionen wurde jedoch der Zeitraum 1. bis 14. März 1932 angegeben. – Siehe etwa Jewell 1932a, S. 19. Pyle nennt ebenfalls März 1932. – Vgl. Pyle 1989, S. 205. 197 Vgl. Parnassus  : On View in the New York Galleries, 4  :3, März 1932, S. 24 sowie AAA, https:// www.aaa.si.edu/collections/ferargil-galleries-records-8905/historical-note [17.12.2022]  ; die Galerie bestand bis 1955 und befand sich ab 1927 auf der 63 East 57th Street. 198 New York Times  : Jack Yeats’s Art Shown, 30. Dezember 1932. 199 Im Oktober 1931 notierte Yeats in seinem Notizbuch  : »Sending Pictures to New York«, NB, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/9. Cormac O’Malley nennt 37 verschickte Bilder. – Vgl. O’Malley/Allen 2011, S. 463, Nr. 145. 200 Jewell 1932b, S. 18. Der bisherigen Yeats-Literatur ist nicht zu entnehmen, welche Werke in den Ausstellungen 1932 gezeigt wurden. In Pyles Catalogue raisonné, der bei allen Katalognummern die Ausstellungsorte aufführt, werden die New Yorker-Ausstellungen von 1932 bei keinem der von Jewell zitierten Gemälde genannt. 201 Vgl. GI, unpubliziert, Yeats Archive, Y1/JY/4/1/5-1.

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Die von Yeats eingereichten Werke boten dem Publikum demnach einen Einblick in seine aktuellen Arbeiten, die von der lokalen Presse aufgrund ihres expressiven Stils als »radical departures«202 beschrieben wurden. Dass das Urteil der Kritiker:innen wesentlich von W. B. Yeats’ Eröffnungsrede im Museum of Irish Art beeinflusst war, zeigt der Bericht der New York Times  : In a brief address, William Butler Yeats discussed his brother’s life and work. He c­ onfessed his inability to understand the most extreme examples of the work of his brother, whom he called »one of the most modern of painters and one of the most revolutionary«.203

Die Rezensent:innen waren offenbar gern bereit, W. B. Yeats’ Kunstbetrachtungen zu übernehmen, und das, obwohl dieser behauptete, nur wenig von den Bildern seines Bruders zu verstehen. Jedenfalls lassen die Besprechungen ein großes Interesse an dem »famous Irish poet and statesman«204 erkennen, der zwischen 1932 und 1933 eine Vortragsreise durch die USA unternahm.205 Vor dem Hintergrund der allgemeinen Begeisterung für die irische Literatur, insbesondere die von W. B. Yeats, überrascht es daher wenig, dass die malerischen Arbeiten des abwesenden Bruders von Kunsthändler:innen sowie Kritiker:innen als dichterische Impressionen reflektiert wurden. Diese Charakterisierung kommt besonders stark in der Einleitung des Kataloges der Ferargil-Ausstellung zum Ausdruck, die aufgrund der Kooperation der Galerie mit dem Museum of Irish Art von Patric Farrell verfasst wurde. In seiner Appreciation of Jack Yeats ordnete dieser Yeats’ Kunst in einen zeitgenössischen irischen Kontext ein, wobei er dessen Werk nicht etwa mit dem Œuvre anderer Malerinnen und Maler verglich, sondern neben den Arbeiten literarischer Größen wie W. B. Yeats, James Joyce oder Seán O’Casey (1880 – 1964) einreihte. Farrell ging sogar so weit, die Gemälde aufgrund ihres poetischen Stimmungsgehaltes als »literature«206 einzustufen. Auch Jewell sprach in der New York Times von »poems in pigment«207, löste sich darüber hinaus aber von der Gleichsetzung mit der Literatur und gestand Yeats als einer der wenigen Kritiker:innen große Eigenständigkeit zu. Vor allem lobte er dessen 202 New York Times  : Jack Yeats’s Art Shown. W. B. Yeats Opens Exhibition with Address on Brother’s Life, 30. Dezember 1932, S. 13. 203 New York Times  : Jack Yeats’s Art Shown. W. B. Yeats Opens Exhibition with Address on Brother’s Life, 30. Dezember 1932, S. 13. W. B. Yeats äußerte sich nicht unbedingt schmeichelhaft zu den Arbeiten des Bruders. So meinte er, dass er die Arbeiten des realistischen Frühwerkes deutlich bevorzuge, könne man auf diesen doch noch etwas erkennen. Zudem erwähnte er, dass Yeats nicht der beste Schüler gewesen sei und verpasste ihm damit das Image eines ungebildeten Künstlers. – Vgl. American  : Yeats Tells on His Brother, 30. Dezember 1932, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 204 New York Times  : Metropolitan Buys Moderns, 25. Dezember 1932. 205 Zu W. B. Yeats’ fünf Vortragsreisen in den USA zwischen 1903 und 1933 siehe Strand 1978. 206 Farrell 1932, o. S, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 207 Jewell 1932b, S. 18.

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unkonventionelle Darstellung Irlands. In seinen Werken erscheine das Land in modernem Licht und präsentiere sich als »singularly personal vision communicated by one Irishman of genius«.208 Demnach ist Jewells Kritik als deutliche Wertschätzung für den irischen Maler zu interpretieren, der mit seinem Werk zwar wiederholt in amerikanischen Gruppen- und Einzelausstellungen vertreten war, aber häufig nur als »poet’s brother« oder »another famous Yeats« angekündigt wurde.209 Dass Yeats über all die Ausstellungen und Verkäufe genauestens Buch führte, zahlreiche Rezensionen abheftete und mit allen Verantwortlichen – auch mit Kritiker:innen wie Jewell – in persönlichem Kontakt stand,210 verrät dabei viel über dessen Geschäftstüchtigkeit und auch darüber, dass er selbst entscheidend dazu beitrug, als Vorreiter einer »new generation of artists«211 wahrgenommen zu werden. 6.2.4 Mrs. Cornelius J. Sullivan Gallery, New York, 1937/38 Am Beispiel der Ausstellungen in der Mrs. Cornelius J. Sullivan Gallery zeigt sich, dass Yeats’ Bemühungen, seine Kunst in den USA bekannt zu machen, weitreichender waren, als die Literatur bisher zur Kenntnis genommen hat. So vermerkte Pyle in ihrer Yeats-Biografie sowie im Catalogue raisonné lediglich am Rande, dass Yeats 1936 die Gemälde West Shore Trallee Bay (1913) und Dusty Lane, Co. Kerry (1913) an Mrs. Cornelius Sullivan geschickt hatte und dass der Künstler 1937 in einer ihrer Gruppenausstellungen zu irischen Künstler:innen vertreten war.212 Diesen Angaben ist jedoch nicht zu entnehmen, wie es zu der Kooperation kam oder welch zentrale Position Mary 208 Jewell 1932b, S. 18. 209 Daily Boston Globe  : This Week in the Art World. Jack Yeats Has Found His Own Innisfree, 8. April 1951. 210 Der Kontakt zu Jewell und anderen geht aus Yeats Adressbüchern hervor. – Vgl. AB 1 und 2, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/3  ; allerdings hinterließ die Ausstellung im Museum of Irish Art einen bitteren Beigeschmack bei Yeats, da er nur über die Hilfe des New Yorker Anwaltes und Kunstsammlers James A. Healy seine Arbeiten 1939 zurückerhielt. Farrell hatte sich offenbar geweigert, die unverkauften Arbeiten wieder an den Künstler zurückzuschicken. In seinem Gemäldeverzeichnis vermerkte Yeats für insgesamt 14 seiner Bilder die Rückkehr im Jahr 1939  : »Ferargil Returned July 1939«. – Vgl. GI, unpubliziert, Yeats Archive, Y1/JY/4/1/51. Offenbar hatte Yeats die beiden Museen verwechselt, da Farrell der Direktor des Museum of Irish Art war und nicht der Ferargil Galleries. Bei Singing the Beautiful Picture (1925) handelt es sich allerdings um das einzige Gemälde, das nicht nach Irland zurückgeschickt wurde, sondern das Yeats Healy, vermutlich als Dank, geschenkt hatte (»Given to James A. Healy New York July 1939«). – Vgl. GI, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/5-1. Ernie O’Malley nannte in einem Brief an seine Frau Helen vom 5. Oktober 1939 insgesamt 24 Gemälde, die Yeats »from Farrel [sic] in America« zurückerhalten und ihm in seinem Atelier gezeigt hatte. Über den Verbleib der 13 weiteren Gemälde von insgesamt 37 wird nichts berichtet. – Vgl. O’Malley/Allen 2011, S. 172 f. 211 Farrell 1932, o. S, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 212 Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 56, S. 52 und Nr. 61, S. 54.

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Quinn Sullivan (1877 – 1939) als Förderin der Kunst der Moderne in der New Yorker Kulturwelt einnahm. Auch wird nicht deutlich, dass ihr Yeats gleich mehrere seiner Werke zukommen ließ, die in der Folge nicht etwa, wie von Pyle angenommen, in einer, sondern in zwei Ausstellungen gezeigt wurden. Welche Bilder von Yeats zu diesem Anlass nach New York gesendet wurden, ist seinem Gemäldeverzeichnis zu entnehmen, dem bei folgenden Werken der Vermerk »Sent Mrs. C. O’Sullivan USA 1936« zu entnehmen ist  : West Shore Trallee Bay (1913), Dusty Lane, Co. Kerry (1913), Before the Start (1915), Roaring Water (1919), Schull (1919) und Rock Fisherman (1923).213 Yeats’ Einschätzung zufolge war Sullivan demnach, anders als die Galeristen der Ferargil Galleries, eher an »mild, rather early, paintings«214 interessiert. Die Gemälde befanden sich von 1936 bis kurz vor dem Tod von Mary Quinn Sullivan im Dezember 1939 in ihrem Besitz. Gezeigt wurden sie in der Mrs. Cornelius J. Sullivan Gallery, die sich zunächst auf der East 56th Street und später in der 460 Park Avenue befand.215 Wie ein Adressbucheintrag des Künstlers verrät, nahmen Yeats und Sullivan 1935 Kontakt zueinander auf.216 Allerdings vermerkte der Künstler ihren Namen bereits 1929, da Sullivan in dem Jahr als eine der Organisatorinnen der geplanten Irish Art Exhibition in der New Yorker Helen Hackett Gallery tätig war.217 Yeats’ Aufzeichnungen zufolge besuchte ihn die Galeristin schließlich 1936 in seinem Dubliner Atelier, offenbar um anhand der Originale eine Gemäldeauswahl für ihre Galerie zu treffen.218 Nachdem im Mai 1937 die erste Ausstellung präsentiert worden war, trafen sich beide noch einmal im August in Dublin zu einem Dinner, das auf Veranlassung des Schriftstellers und Anwaltes Constantine ›Con‹ Curran (1883 – 1972) stattfand.219 An diesem Abend unterhielten sie sich möglicherweise über die ­Werkschau und auch über die Einbindung seiner Werke in eine zweite Exposition. Nach Ausrichtung der beiden Ausstellungen in den Jahren 1937 und 1938 erhielt Yeats die Gemälde am 27. Juni 1939 zurück,220 wobei er eines, Dusty Lane, Co. Kerry (1913), am 8. Mai

213 Vgl. GI, unpubliziert, Yeats Archive, Y1/JY/4/1/5-1. Yeats hat den Nachnamen nicht ganz korrekt als »O’Sullivan” vermerkt. 214 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 11. Mai 1938, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/160. 215 Vgl. James 1971, Bd. 3 P–Z, S. 409  ; Parnassus  : Gallery Index, 11  :4, April 1939, S. 39. 216 Vgl. AB 2, »started 1931«, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/3. 217 Vgl. AB 1, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/3  ; zu Sullivans Rolle im Rahmen der Irish Art Exhibition siehe O’Connor 2011, S. 20. 218 Vgl. AB 2, »started 1931«, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/3. Yeats vermerkte, »Mrs. Cornelius J. Sullivan 1936 […] called […].« Die Formulierung »called« (dt. besuchte) notierte Yeats regelmäßig in seinem Besuchertagebuch oder in seinen Adressbüchern, um die stattgefundenen Besuche zu registrieren. 219 Vgl. Tagebucheintrag Ernie O’Malley, 11. August 1937, unpubliziert, Tamiment Library, O’Malley, Box 9, Ordner 45. Constantine ›Con‹ Currans At Homes fanden immer mittwochs statt. 220 Vgl. GI, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/5-1.

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1940 wieder an Mildred Quinn, die in den USA lebende Schwester der Verstorbenen, verkaufte.221 Jedenfalls schätzte Yeats den Kontakt zu Sullivan sehr, brachte sie seinen Arbeiten doch ein ernsthaftes Interesse entgegen. Zudem wusste er um ihren Einfluss in der New Yorker Kulturwelt, was auch daraus hervorgeht, dass er 1938 erwog, die ihm zugedachte, von MacGreevy verfasste Monografie mit Sullivans Hilfe in den USA zu publizieren.222 Mary Quinn Sullivan, die an US-amerikanischen sowie europäischen Kunstschulen studiert und unterrichtet hatte, gründete ihre Galerie 1932, kurz nach dem Tod ihres Mannes, dem Anwalt Cornelius Sullivan.223 Bereits die für Yeats veranstalteten Ausstellungen belegen ihre Vorliebe für irische Kunst. Die Sullivans zählten, wie John Quinn, dessen Freundeskreis sie angehört hatten, zu den sogenannten »Irish Patriots«, die sich besonders für irische Kultur begeisterten, regelmäßige Reisen nach Irland unternahmen und dort auch Kunst erwarben.224 Mary Quinn Sullivan führte diese Tradition später fort, indem sie Yeats’ Gemälde in ihrer Galerie für die Öffentlichkeit zugänglich machte. Sie war bereits früher mit Yeats’ Werken in Berührung gekommen, wie die gemeinsame Kunstsammlung der Sullivans offenbart. Diese enthielt unter anderem Werke von Cézanne, Rouault und Toulouse-Lautrec, die die Eheleute 1927 im Zuge der Versteigerung der John Quinn-Kollektion gekauft hatten. Bei der Auktion erwarben sie allerdings auch mehrere Grafiken von Jack B. Yeats.225 Sullivan trat jedoch nicht nur als Kunstlehrerin, Sammlerin und Galeristin in Erscheinung. Zusammen mit Lillie P. Bliss (1864 – 1931) und Abby Aldrich Rockefeller (1874 – 1948) gründete sie 1929 das Museum of Modern Art und setzte sich dort zentral für die museale Vermittlung zeitgenössischer Kunst ein.226 Ihr weitgefächertes 221 In seinem Gemäldeindex vermerkte Yeats  : »Sent to Mrs. Mildred Quinn, 8 May 1940, the estate of Mrs. C. O’Sullivan who died in autumn of 1939«. – Vgl. GI, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/1/5-1. Dass es sich bei Mildred Quinn um die Schwester der Verstorbenen handelt, geht aus dem Nachruf der New York Times hervor. – Vgl. New York Times  : Mrs. C. J. Sullivan. Aided Modern Art  : One of Three Originators of Move that Led to Museum Here Is Dead at 60, 6. Dezember 1939, S. 32. 222 Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 11. Mai 1938, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 10381/160. 223 New York Herald Tribune  : Mrs. Sullivan. Art Patron and Collector, Dies. Modern Museum Foun­der. Canvases She Gathered Will Go on Sale Tonight, 6. Dezember 1939, S. 26  ; zu den Stationen ihres Kunststudiums und ihrer Lehrtätigkeit siehe James 1971, S. 408  ; O’Connor gibt fälschlicherweise an, dass Sullivan ihre Galerie 1937 mit der Ausstellung Three Irish Artists eröffnet habe. – Vgl. O’Connor 2011, S. 20. 224 Zilczer 1982, S. 60. 225 Vgl. Zilczer 1978, S. 146 f.; James 1971, S. 409  ; zu Mary Quinn Sullivans Sammlung siehe Venturi 1939, S. 32 f. 226 Vgl. Elligot 2010, S. 521  ; James 1971, S. 409.

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Kunstinteresse, das die Werke Jack B. Yeats’ als integralen Bestandteil einer internationalen Moderne einschloss, muss daher in einen globalen Kontext eingeordnet werden. Wie dem Veranstaltungskalender des Parnassus zu entnehmen ist, wies die Mrs. Cornelius J. Sullivan Gallery ein regelmäßig wechselndes Ausstellungsspektrum auf, das unter anderem Werke der amerikanischen sowie französischen Moderne umfasste ebenso wie irische Glasarbeiten oder englische Landschaftsansichten des 18. Jahrhunderts.227 So zeigte die Galerie in den Monaten vor Yeats’ 1937 stattgefundener erster Schau French and American Provincial Paintings sowie Bilder von Chaim Soutine (1893 – 1943).228 Die Paintings by Jack B. Yeats wurden vom 4. bis zum 22. Mai 1937 gemeinsam mit Werken Paul Henrys und Nathaniel Hones präsentiert,229 wobei die Ausstellung etwa in der New York Sun besprochen wurde. Dem Artikel zufolge stießen insbesondere Yeats’ Bilder beim Publikum auf positive Resonanz.230 Vermutlich ließ Sullivan daher vom 7. bis zum 29. Januar 1938 eine zweite Ausstellung folgen.231 Bei ­Paintings and Drawings by Dr. Edith Œnone Somerville and Jack Yeats ergänzte Sullivan die von Yeats zugesandten Gemälde um Zeichnungen, vermutlich aus ihrer eigenen Sammlung, und stellte diese den Werken der irischen Künstlerin und Autorin Edith Œnone Somerville (1858 – 1949) gegenüber. Die gemeinsame Präsentation der beiden Zeitgenoss:innen erscheint retrospektiv sowohl ästhetisch als auch thematisch nachvollziehbar. So widmeten sie sich jeweils malerisch und grafisch irischen Genreszenen, fertigten Illus­trationen für literarische Vorlagen an und waren schriftstellerisch tätig.232 Neben den Werken Somervilles und Yeats’ waren weitere Arbeiten zeitgenössischer irischer Künstler:innen, wie Nano Reid und Norah McGuinness, zu sehen, die Sullivans Begeisterung für die irische Moderne belegen. Die Irish Times berichtete in der Folge euphorisch über die Ausstellung und erhoffte sich dadurch eine wachsende Bekanntheit irischer Kunst im Ausland.233 Was die Ausstellungen in Sullivans Galerie im Vergleich spannend erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass diese im Kontext international angelegter Werkschauen ausgerichtet wurden. Am Beispiel von Sullivans Präsentationen wird die gedachte Verbindung zwischen irischer und internationaler Moderne deutlich, eine Idee, die in Ir227 Siehe etwa Parnassus  : Calendar of Current Exhibitions, 9  :1, 1937, S. 44  ; Parnassus  : Calendar of Current Exhibitions, 8  :7, 1936, S. 40  ; Parnassus  : Calendar of Current Exhibitions, 9  :7, 1937, S.  46  ; Parnassus  : Calendar of Current Exhibitions, 11  :3, 1939, S. 38  ; Parnassus  : Gallery Index, 11  :1, Februar 1939, S. 50. 228 Vgl. Parnassus  : Gallery Index, 9  :2, Februar 1937, S. 44 sowie Parnassus  : Gallery Index, 9  :3, März 1937, S. 44. 229 Vgl. Parnassus  : Calendar of Current Exhibitions, 9  :4, April 1937, S. 52. 230 Vgl. New York Sun, 22. Mai 1937, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/3. 231 Vgl. Parnassus  : Exhibitions in New York, 10  :1, Januar 1938, S. 54. 232 Weiterführend zu Somerville etwa Stevens 2017. 233 Irish Times  : Mrs. Cornelius J. Sullivan, 29. März 1938, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/3.

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land selbst lange Zeit keine Selbstverständlichkeit war. Dort wurde die Moderne von Kritiker:innen meist als ein Phänomen begriffen, das ausschließlich außerhalb Irlands stattfand.234 Solch national zentrierte Sichtweisen verkannten nicht nur den hybriden Charakter der Moderne, sondern auch die durchaus vorhandene internationale Vernetzung irischer Künstler:innen. In Yeats’ Fall etwa belegen Sullivans Ausstellungen, dass es dem Maler gelang, sich in den USA sukzessive ein breites Netzwerk aus Museumsleuten, Galerist:innen und Sammler:innen aufzubauen.235 Sie veranschaulichen zudem Yeats’ intensive Bemühungen um transatlantische Austauschbeziehungen und beweisen seinen ausgeprägten Geschäftssinn. Auf der anderen Seite offenbaren die engagierten Versuche, seine Kunst in den USA im Kontext einer internationalen Moderne auszustellen, die begrenzten Möglichkeiten, dies im eigenen Land zu tun.236 Noch 1946 etwa beschrieb Ernie O’Malley dem Chefkurator des New Yorker Museum of Modern Art (1935 – 46), James Johnson Sweeney (1900 – 86), das reaktionäre Klima in Irland, das ein differenziertes Ausstellungswesen verhindere. Amerikanische Kunst in Irland zu zeigen, so wie Sweeney es plante, um damit einen Austausch verschiedener globaler Kunstströmungen anzuregen, war zu diesem Zeitpunkt undenkbar.237 Yeats’ Bestrebungen, seine Werke international zu präsentieren, sind daher immer auch vor dem Hintergrund der kulturellen Schranken seines Heimatlandes zu betrachten. 6.2.5 A First Retrospective American Exhibition, USA/Kanada, 1951/52 Zwischen April 1951 und Juni 1952 wurde Yeats’ Spätwerk im Rahmen der First Retro­ spective American Exhibition, einer sieben Stationen umfassenden Wanderausstellung, in den USA und Kanada einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Ausgerichtet und eröffnet wurde die erste große US-amerikanische Einzelschau von dem 1936 gegründeten Institute of Contemporary Art in Boston (ICA), einer Schwesterinstitution des New Yorker Museum of Modern Art, bevor sie in sechs weiteren Städten zu se234 Siehe etwa Fowler 1984, S. 6 – 10. Fowler behauptet, dass sich die Moderne aufgrund des konservativen Klimas in Irland nie entwickeln konnte. Im Falle von ihr dennoch zugestandenen modernen Tendenzen, wie etwa im Werk von Mainie Jellett, erkennt sie diese wiederum nur als abgeschwächte Variationen der europäischen Vorbilder an. 235 Dies geht aus Yeats’ Adressbüchern hervor, in denen sich mehrere Seiten ausschließlich mit »Americans«, amerikanischen Kontakten, finden lassen, siehe AB 1 und 2, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/3. 236 Vgl. O’Connor 2011, S. 16 f. 237 Brief von O’Malley an James Sweeney, 18. Januar 1946. So schreibt O’Malley  : »This government as a whole has no understanding of or feeling for creative work  ; nor is it inclined to consult people of vitality. That is unfortunate. Generally they get their ideas through the School of Art a reactionary (not politically) close minded group of workers«, abgedruckt in O’Malley/Allen 2011, S. 244  ; Sweeney war später, von 1952 bis 1960, Direktor des New Yorker Guggenheim Museums.

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hen war. Neben Washington, San Francisco, Colorado Springs, Detroit und New York City gehörte hierzu auch das kanadische Toronto.238 Ergänzt wurde die Ausstellungseröffnung in Boston zudem durch eine dem Maler gewidmete Tagung, bei der irische und US-amerikanische Kulturschaffende, wie Victor Waddington, James S. Plaut oder ­Padraic Colum, Reden hielten.239 Die Initiative für die Ausstellung ging wahrscheinlich von James S. Plaut, dem Gründer und Direktor des Bostoner Institute of Contemporary Art, aus. Es lässt sich vermuten, dass er durch Yeats’ Beteiligung an der New Yorker Ausstellung Painting in Ireland, die nur wenige Jahre zuvor, 1947, in den Associated American Artists Galleries stattgefunden hatte, auf den Künstler aufmerksam geworden war. In dieser von Reeves Lewenthal kuratierten, als Austauschprogramm zwischen den USA und Irland geplanten Gruppenschau, an der sich unter anderem Louis le Brocquy und Gerard Dillon (1916 – 71) beteiligten, galt Yeats als Hauptakteur.240 Darüber hinaus ist es denkbar, so zumindest mutmaßt Arnold,241 dass Kokoschka, dessen Arbeiten 1948 im ICA präsentiert wurden, sich bei Plaut für eine Yeats-Ausstellung eingesetzt hatte. Immerhin kannten sich Yeats und Kokoschka seit den 1940er Jahren und schätzten das Werk des jeweils anderen sehr.242 Wie aus den MacGreevy papers hervorgeht, hatte Plaut im Vorfeld der Ausstellung den Kontakt zu Waddington und MacGreevy hergestellt, wobei er sich mit ihnen sowohl brieflich als auch im Rahmen mehrerer Dublin-Reisen persönlich verständigte. Bei seinem Besuch der irischen Hauptstadt im Oktober 1950 einigte er sich mit beiden

238 Vgl. Ausst.-Kat. 1951 Boston sowie New York Times  : Yeats Paintings Here. 36 Oils by Poet’s Brother Go on Exhibition Wednesday, 25. Mai 1952. Stationen  : 8. – 29. April 1951  : Boston, Institute of Contemporary Art  ; Juni 1951  : Washington, Phillips Gallery  ; San Francisco, De Young Memorial Museum  ; Colorado Springs, The Colorado Springs Fine Arts Center  ; 4. – 27. Januar 1952  : Detroit, Institute of Arts  ; Februar 1952  : Toronto, Art Gallery  ; 27. Mai – 21. Juni 1952  : New York, National Academy. 239 Daily Boston Globe  : This Week in the Art World. Jack Yeats Has Found His Own Innisfree, 8. April 1951. 240 New York Herald Tribune  : Painting Show Exhibits Work of Irish Artists, 4. März 1947 sowie New York Times  : Irish Art Display Opens at Gallery, 4. März 1947  ; die Ausstellung lief vom 3. bis 22. März 1947. Die ursprünglich geplante reziproke Werkschau amerikanischer Künstler:innen in Irland wurde meines Wissens nicht realisiert. Der Kunsthändler Lewenthal, der sich für den American Regionalism einsetzte, war im Vorfeld der Ausstellung nach Irland gereist und hatte 53 Werke für die Exposition ausgesucht. Lewenthal ist in Yeats’ Unterlagen als Sammler mehrerer Werke aufgeführt, was auf den anhaltenden Kontakt der beiden und das Interesse des Händlers an Yeats’ Kunst verweist. – Vgl. EI, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/6. 241 Vgl. Arnold 1998a, S. 342 – 344. 242 Die gegenseitige Wertschätzung geht aus dem Briefwechsel beider Künstler hervor, siehe Brief Jack B. Yeats an Kokoschka, 22. Januar 1947, unpubliziert, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 393.43  ; Kokoschka hielt Yeats für einen »great painter (maybe the last)«, Brief Kokoschka an Jack B. Yeats, 11. November 1956, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/5/2/26  ; weiterführend zu Yeats und Kokoschka siehe Kap. 7.2.2.

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auf eine Werkauswahl von insgesamt 36 Gemälden und führte Gespräche mit Yeats.243 Auf Basis dieser Abmachungen sandte Waddington im November 1950 eine Liste der von den Leihgeber:innen zugesicherten Gemälde an MacGreevy.244 Neben amerikanischen, irischen und britischen Privatsammler:innen stellte auch der Künstler selbst zwölf Gemälde zu Verkaufszwecken zur Verfügung, von denen eines, das kurz zuvor entstandene Ölbild After-Dinner Coffee in a City (1950),245 im Verlauf der Schau von der Washingtoner Phillips Gallery erworben wurde.246 Die First Retrospective American Exhibition kann in eine Reihe vergleichbarer Ausstellungen des ICA eingruppiert werden, die das globale zeitgenössische Kunstschaffen reflektierten. So hatte Plaut, dem die Förderung Kunstschaffender ein zentrales Anliegen war, bereits Werkschauen namhafter Künstler:innen wie Picasso, Frida Kahlo (1907 – 54), Diego Rivera, David Alfaro Siqueiros (1896 – 1974), Munch, ­Francis ­Bacon oder Lucian Freud (1922 – 2011) organisiert. Für einige von ihnen, b­ eispielsweise Munch, Kokoschka oder Corinth, waren zudem ebenfalls groß angelegte Wander­aus­ stellungen ausgerichtet worden.247 Wie die Auswahl der Künst­ler:innen zeigt, war Plaut mittels der Präsentation figurativer Werke darauf fokussiert, innerhalb der Moder­ nedebatten neue Diskurse zu eröffnen und dem sich nach 1945 etablierenden Kanon abstrakter Kunst alternative Ansätze gegenüberzustellen.248 Die Organisation von Yeats’ Werkschau ist vor diesem Hintergrund zu betrachten. In der Presse wurden die Arbeiten des Iren äußerst positiv besprochen. Laut New York Times bot die Ausstellungsreihe den Besucher:innen die einmalige Gelegenheit, sich mit dem Werk des irischen Künstlers vertraut zu machen. Schließlich sei »none of Mr. Yeats’ work«249 jemals reproduziert worden. Insbesondere die kanadische Presse 243 Vgl. Brief Plaut an MacGreevy, 18. September 1950, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 8149/18. In dem Brief erwähnt er auch einen vorangegangenen Besuch, den er noch in positiver Erinnerung habe. 244 Vgl. Brief Waddington an MacGreevy, 3. November 1950, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 8149/22. 245 Jack B. Yeats, After-Dinner Coffee in a City, 1950, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Washington, The Phillips Collection. 246 Das geht aus dem Vergleich der Ausstellungskataloge hervor. So wird das Bild im Bostoner Katalog noch als Leihgabe des Künstlers aufgezählt, im New Yorker Katalog jedoch bereits als Leihgabe der Phillips Gallery. – Vgl. Ausst.-Kat. Boston 1951 und Ausst.-Kat. New York 1952, letzterer befindet sich im Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/17/1/63. 247 Ausstellung zu Picasso 1940, erstmalige Präsentation von Guernica (1937) in den USA  ; Ausstellung Modern Mexican Painters mit Kahlo, Rivera, Siqueros und anderen 1941  ; KokoschkaRetrospektive 1948  ; Munch-Retrospektive 1950  ; Corinth-Ausstellung 1950/51  ; Ausstellung zu British Painters mit Bacon und Freud 1951. – Vgl. Website des ICA, https://www.icaboston.org/ about/history [17.12.2022]. 248 Zu Plauts alternativen Ansichten sowie seiner Förderung expressionistischer Kunst siehe Heller 1985, S.  44 – 51. 249 Vgl. New York Times  : Yeats Paintings Here. 36 Oils by Poet’s Brother Go on Exhibition Wednesday, 25. Mai 1952.

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begrüßte die Exposition emphatisch. So kündigte etwa The Globe and Mail eine »refreshing show«250 an, was man vor allem der unaufgeregten und bescheidenen Art des Künstlers zu verdanken habe. Zudem garantiere die Ausstellung dem Publikum der Torontoer Art Gallery »to have a shot of Irish feeling in these parts for a change«.251 Getrübt wurde der Ausstellungserfolg lediglich durch das Misslingen des Kataloges. Plaut hatte sich ursprünglich ein umfangreiches Begleitbuch gewünscht, das im Wesentlichen aus einem kennerschaftlichen Aufsatz MacGreevys bestehen sollte. Nach ähnlichem Vorbild war ein Jahr zuvor der Katalog zu Corinth mit einer Einleitung des Kunsthistorikers Julius S. Held erschienen.252 Allerdings konnte das Buchprojekt aufgrund MacGreevys versäumter Abgabefrist nicht realisiert werden.253 Zwar bemühte sich die Bostoner Museumsleitung darum, den verspätet eingetroffenen und überdies zu umfangreich geratenen Text anderweitig veröffentlichen zu lassen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch an dem von Yeats formulierten Reproduktionsverbot seiner Bilder. Mit der Begründung, dass Yeats’ Werke der amerikanischen Leserschaft wenig bekannt seien und ein Druck daher nur mit Illustrationen infrage käme, lehnten sowohl das Atlantic Monthly als auch das Harper’s Magazine eine Publikation ab.254 In dem letztlich realisierten Katalog wurde MacGreevys fehlender Text durch eine knappe Einleitung von Plaut ersetzt, die der ICA-Leiter auf Basis der mit dem Künstler geführten Gespräche verfasste. Sein kurzer, auf Schilderungen des Privatlebens des Malers beruhender Text stieß, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde (vgl. Kap. 5.3), bei Yeats auf Ablehnung, der sich gänzlich missverstanden und falsch dargestellt fühlte.255 Was in diesem Zusammenhang verwundert, aber vermutlich im Zusammenhang mit der mangelnden Vorbereitungszeit steht, ist, dass Plaut sich beim Verfassen seiner Einleitung nicht strenger an MacGreevys Yeats-Monografie orientierte. Auf diese Weise hätte sich die boulevardeske Anmutung zugunsten einer intensiveren Werkbesprechung sicherlich vermeiden und die von Yeats gewünschte Neufassung der Einleitung umgehen lassen. Immerhin hatte sich Plaut bei seiner für den Katalog der Kokoschka-Ausstellung angefertigten Einführung genauestens an der Monografie Edith Hoffmanns ausgerichtet.256

250 The Globe and Mail, 26. Januar 1952. 251 The Globe and Mail, 26. Januar 1952. 252 Vgl. Ausst.-Kat. Boston 1950. 253 Vgl. Brief Plaut an MacGreevy, 18. September 1950, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 8149/18. 254 Brief Frederick S. Wight an MacGreevy, 15. Februar 1951, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.Nr. MS 8149/26. 255 Vgl. Brief Jack B. Yeats an Victor Waddington, 23. April 1951, Waddington Archive, zitiert nach Arnold 1998a, S. 344. 256 Vgl. Bonnefoit 2016, S. 180. Allerdings ging, wie Bonnefoit beschreibt, der Publikation des Kataloges ein intensiver Austausch zwischen Plaut und Kokoschka voraus  ; Yeats hingegen hatte, offenbar auch altersbedingt, jedwede Kommunikation MacGreevy und Waddington überlassen.

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Dass das Fehlen einer repräsentativen Publikation der Verbreitung der Yeats’schen Bilder in amerikanischen Sammlungen auf lange Sicht keinen Abbruch tat, zeigt sich an dem wachsenden Interesse auf dem Kunstmarkt. So erwarb etwa der Unternehmer und Kunstsammler Joseph Hermann Hirshhorn (1899 – 1981) für seine Kunstkollektion zehn überwiegend aus dem Spätwerk stammende Gemälde des irischen Künstlers, die heute Teil des Hirshhorn Museum in Washington sind.257 Ebenso kaufte der Kunstsammler und Pferdezüchter Paul Mellon (1907 – 99) 1967 zwei Ölbilder und drei Grafiken des Künstlers in Waddingtons Londoner Galerie.258 Sämtliche Werke, darunter die Gemälde Horse on the Beach (1923) und On the Old Racecourse, Sligo (1927), repräsentieren dabei Mellons Leidenschaft für Pferde.259 Und als 1965 in der Bostoner Hayden Gallery (heute  : MIT List Visual Arts Center) eine weitere YeatsRetrospektive stattfand, stammten bereits die meisten der 51 gezeigten Leihgaben aus US-amerikanischen Sammlungen.260 Was die 1951 veranstaltete First Retrospective American Exhibition angeht, so fanden dort vor allem die späten Arbeiten Anklang. Demgemäß schrieb der Daily Boston Globe  : »He speaks, like all top artists, in manner and content transcending any geographical boundary.«261 Besonders die expressive Ausdrucksweise, die, bedingt durch den freien Farbauftrag, schon zum Abstrakten tendiere, lasse die Bilder international erscheinen.262 Das in der Ausstellung präsentierte, 1950 entstandene Gemälde Down the Books/ Gentlemen Prefer Books (Abb. 107) führt den hybriden Charakter der späten Gemälde dabei gleich in mehrfacher Hinsicht vor Augen. Vordergründig beschränkt sich die querformatige Darstellung auf die Schilderung eines genuinen Dubliner Sujets. Vor 257 Zur Provenzienz der Bilder siehe Website des Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, https:// www.si.edu/search  ?edan_q=jack%2Bb.%2Byeats& [17.12.2022]. So erwarb Hirshhorn etwa das 1953 entstandene Gemälde Tales of California Long Ago 1961 in den Londoner Waddington Galleries. 258 Zu Mellons Ankauf der Gemälde siehe die von Waddington am 13. Oktober 1967 ausgestellte Rechnung (On the Old Racecourse, Sligo, gerahmt, £ 4.000 und Horse on the Beach, gerahmt, £ 1.150). – Vgl. Yale Center for British Art, unpubliziert, Inv.-Nr. B1986.29.6 sowie B1981.25.729, Reg.-Nr. 5046  ; zu den Grafiken siehe The Last Bank, 1897 (Inv.-Nr. B1996.16.11), The Red Pony, o. D. (Inv.-Nr. B1981.25.2806) und Roundstone Connemara, o. D. (Inv.-Nr. B1981.25.2807). Alle Werke sind heute Teil des von Mellon gegründeten Yale Center for British Art. 259 Jack B. Yeats, On the Old Racecourse, Sligo, 1927, Öl auf Leinwand, 61 × 91,4 cm und Horse on the Beach (1923), Öl auf Holz, 23,2 × 36,2 cm, beide Yale Center for British Art  ; zu Mellons umfangreicher Sammlung von Pferdedarstellungen siehe Ausst.-Kat. New Haven 2001. 260 Vgl. O’Doherty 1965, o. S.; diese Ausstellung wurde von Ernie O’Malleys Sohn Cormac O’Malley organisiert, der Yeats über seinen Vater noch persönlich kennengelernt hatte und die umfassende Kunstsammlung seines Vaters und seiner Mutter, Helen Hooker (1905 – 93), verwaltet. 261 Daily Boston Globe  : This Week in the Art World. Jack Yeats Has Found His Own Innisfree, 8. April 1951. 262 Vgl. Daily Boston Globe  : This Week in the Art World. Jack Yeats Has Found His Own Innisfree, 8. April 1951.

Exhibiting Yeats   | 405

Abb. 107 Jack B. Yeats, Down the Books/Gentlemen Prefer Books, 1950, Öl auf Leinwand, 46 × 61 cm, Privat­ besitz.

der Auslage eines am Aston Place angesiedelten Verkaufsstandes für antiquarische Bücher hat sich ein älterer Mann mit Hut so sehr in ein Werk vertieft, dass er die neben ihm auftauchende blonde junge Frau nicht registriert. Nach Aussage des Künstlers fängt das Gemälde einen vergangenen Ort ein, »where in the old times the second hand book barrows used to be […]«.263 Darüber hinaus ist die titelgebende Szene als humoristischer Verweis auf den 1925 von Anita Loos (1888 – 1981) veröffentlichten Roman Gentlemen Prefer Blondes zu verstehen, der nach seinem Erscheinen in kurzer Zeit eine weltweite Leserschaft begeisterte. Die in der Jazz-Ära spielende Geschichte diente aufgrund ihrer Popularität in der Folge einem Theaterstück (1928), zwei Verfilmungen (1928 und 1953) und einem Musical (1949) als Vorlage. Neben Joyce, der das Buch angeblich verschlungen hatte,264 gab sich auch Yeats durch seine scherzhafte Hommage als Anhänger des Buches zu erkennen. Mittels der durch den Bildtitel eröffneten Metaebene erwies er der Autorin dabei gleich mehrfach die Ehre. Schließlich rekurriert der Paratext nicht nur allgemein auf den Bestseller, sondern erfährt auch 263 Brief Jack B. Yeats an Anna Russell, 19. September 1950, Yeats Archive, zitiert nach Pyle 1992, Bd. 2, Nr. 1016, S. 921. 264 Vgl. Clemons 1974, S. 13.

406  |  Hybride Identitäten und transkulturelle Verflechtungen

eine innerbildliche Entsprechung. So lässt der in seine Lektüre vertiefte Leser erahnen, dass er die blonde Frau ignorieren und stattdessen dem Werk der Schriftstellerin den Vorzug geben wird. Die New Yorker Autorin wusste diese liebevolle Referenz offensichtlich zu schätzen und kaufte das Bild nur wenige Monate nach seiner Fertigstellung im August 1950 in Waddingtons Dubliner Galerie.265 Zwei Jahre später wiederum lieh Loos das Gemälde der National Academy in New York anlässlich Yeats’ Retrospective Exhibition.266 Das Werk belegt demnach auf paradigmatische Weise die transnationale Vielschichtigkeit des Yeats’schen Schaffens, das sich einzig unter Berücksichtigung der eröffneten Kulturräume in Gänze erschließen lässt.

265 Vgl. Eintrag im GI, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/5-2. 266 Vgl. Ausst.-Kat. New York 1952, Nr. 25.

7. Vielfalt der Moderne Der plural gebrauchte Begriff der vielfältigen Moderne, der im Kontext der ­globalen Kunstgeschichte angewandt wird, versucht, die der Modernediskussion inhärente Domi­nanz der westlichen Kunstgeschichte zu durchbrechen. Der Ansatz widerspricht dem Konzept einer einheitlich gefassten Moderne und geht vielmehr von pluriformen Modernebewegungen aus, die von globalen und lokalen Interdependenzen geprägt sind.1 Gefragt wird nach den spezifischen Eigenheiten, die sich in den jeweiligen Kulturräumen herausbilden. Gerade vor dem Hintergrund vernachlässigter künstlerischer Produktionsweisen und Ästhetiken ist diese Herangehensweise fruchtbringend, vermag sie doch transkulturelle Zusammenhänge innerhalb einer globalen Kunstgeschichte sichtbar zu machen. Allerdings wird im Rahmen dieser Debatten, vor allem in Bezug auf Europa, bis dato nicht nach unterschiedlichen Ausprägungen gefragt, sondern unverändert das Narrativ der Vormacht eines homogen strukturierten Westens bedient. Das hat zur Folge, dass abweichende Positionen innerhalb der Kunst Europas ausgeblendet werden. Ausnahmen bilden aktuelle Untersuchungen zur Reevaluierung der europäischen Kunstgeschichte, die unter der Prämisse eines vielseitigen Europas den Fokus auf multiple Phänomene richten und Exklusionsprozesse in den Blick nehmen. Hierzu zählen die 2020 erschienenen Publikationen Making Art History in Europe After 1945 und Rethinking Postwar Europe.2 Gerade die osteuropäische Kunstgeschichte, die aufgrund ihrer Verortung innerhalb sozialistischer Systeme in der Vergangenheit oftmals als wenig relevant diskutiert wurde, erfährt durch diese jüngeren Ansätze neue Beachtung. Meines Erachtens trifft eine solche Ausklammerung auch für die irische Kunst zu, die, wie bereits gezeigt wurde, kaum in das Konzept einer diskursbestimmenden westlichen Kunstgeschichte eingeordnet werden kann. Die Überlegungen zur multiplen Moderne möchte ich daher im Folgenden am Beispiel von Yeats auf die irische 1 Zur Überlegung der Multiple Modernity im kunsthistorischen Kontext siehe etwa Moxey 2013, S. 11 – 22 oder Allerstorfer 2017b. Auch in aktuellen Ausstellungsprojekten wurde sich der Frage nach einer differenzierten und zugleich vernetzten Moderne zugewandt, siehe etwa die von Okwui Enwezor kuratierte Exposition im Münchner Haus der Kunst Postwar. Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945 – 1965 oder die Ausstellung Hello World, die eine Revision der Sammlung des Hamburger Bahnhofs vornahm. – Vgl. Ausst.-Kat. München 2016 und Ausst.-Kat. Berlin 2018. Noch vor Moxey und anderen stellte bereits der Soziologe Shmuel N. Eisenstadt die These der Multiple Modernities mit Blick auf die heterogene, widersprüchliche und sich wandelnde Verfassheit der Moderne im Zeitalter der Globalisierung auf, die aufgrund dessen vielmehr als plurales Phänomen zu begreifen sei. – Vgl. Eisenstadt 2000. 2 Vgl. Haro García 2020 sowie Lange 2020.

408  |  Vielfalt der Moderne

Kunstgeschichte anwenden und mithilfe dieses Vorgehens mögliche Ursachen für die Vernachlässigung seiner Malerei diskutieren, die insbesondere in seinem figurativen Ansatz vermutet werden kann, der nach 1945 mit der Vorrangstellung abstrakter Kunst in den Hintergrund rückte. Im Zuge der politisierten Debatten des Kalten Krieges wurde die irische Moderne, ähnlich der osteuropäischen Kunst, wiederholt als periphere Erscheinung diskutiert, die an die Errungenschaften der westlichen Kunst nicht anknüpfen könne. Besonders augenfällig zeigt dies eine Einschätzung des New Yorker Kunstkritikers Hilton Kramer, der eine konservative, dezidiert antikommunistische Haltung vertrat. 1971 äußerte er sich wie folgt über Yeats’ Malerei  : »It is painting that takes place outside […] the h ­ istory of painting. It is, in short, the work of a provinvial imagination […].«3 Kramers Behauptung einer »provincial imagination« verrät dabei wenig über Yeats, aber viel über die zu dieser Zeit noch stark kolonial geprägten Denkmuster des Kunstbetriebes. Sie korreliert darin mit der von Kenneth Clark vertretenen Position, dass die irische Malerei »on the outer rim of European painting«4 zu verorten sei. Am anderen Ende der Skala wiederum wertete John Berger als überzeugter Sozialist Yeats’ Kunst als antiimperiale Geste. Unabhängig von ihrer Stoßrichtung belegen all diese Urteile, wie stark die Diskurse zur irischen Kunst von den politischen Debatten jener Zeit überlagert waren. Anhand einer kontextualisierenden Herangehensweise soll im folgenden Kapitel mittels der kritischen Besprechung der Kunstdebatten die Peripherisierung der irischen Kunst thematisiert werden. Zugleich ist es die Absicht, Yeats’ Werk von nationalen Zuschreibungen zu lösen und innerhalb einer europäischen figurativen Moderne zu diskutieren. Letztlich geht es mir darum, für ein von diversen Kultur- und Kunsträumen geprägtes Europa zu plädieren und daran anknüpfend, ein erweitertes, heterogenes Verständnis für Moderne zu formulieren. 7.1 »Slashed on in a frenzy«5  : Die Form als analytische Kategorie im postkolonialen Kontext

Die im postkolonialen Zusammenhang geführten, politisierten und ideologisch überformten Debatten wurden von einer Diskussion begleitet, die verstärkt die Form als analytische Kategorie einsetzte. Demgemäß nahm auch bei der kunsthistorischen wie kunstkritischen Einordnung des Yeats’schen Œuvres die Besprechung formaler Aspekte einen zentralen Stellenwert ein. Insbesondere britische Publizist:innen und Kunsthistorik:inner betonten spezifische formale Charakteristika, wobei sie wiederholt das durch die Werke evozierte impulsive und chaotische Moment hervorhoben, das aus Yeats’ vermeintlich unkontrollierter Arbeitsweise resultiere. Diese Attribuierung 3 Kramer 1971, S. 23. 4 Clark 1942b, S. 42. 5 Read 1942, S. 50.

Die Form als analytische Kategorie im postkolonialen Kontext | 409

des Ungestümen wurde, unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ konnotiert war, stets an die irische Herkunft des Künstlers geknüpft. So priesen Herbert Read und Eric Newton zwar einerseits die von Normen befreite Ästhetik, unterließen es aber andererseits nicht, diese zugleich als unmodern und provinziell einzustufen. Bei Read äußerte sich diese Ambivalenz auch darin, dass er einigen Werken des Künstlers zunächst avantgardistische Tendenzen bescheinigte  : »In pictures like ›Jazz Babies‹ (1929), ›From Portacloy to Rathlin O Beirne‹ (1932) and ›A Room in Sligo‹ (1935), the paint is slashed on in a frenzy.«6 Dieser Behauptung zum Trotz ordnete der Kritiker Yeats’ Schaffen in eine »Celtic origin« ein, die als »provincial myth«7 zu denken sei. Ähnlich verhält es sich mit Newtons Bewertungen, in denen das Überbordende als genuin irisch bewertet wurde  : »Irish he [Yeats, Verf.] certainly was in every brushstroke […] for his later pictures are a dazzle of storm-tossed sunsets, wild, untidy, rapturous landscapes […].«8 Dieser temperamentvolle Ansatz, der Newton zufolge »not […] ­modern at all«9 ist, finde seine Entsprechung erkennbar in der Romantik des 19. Jahrhunderts, nicht aber in der zeitgenössischen Kunst. Darüber hinaus fiel auch Kenneth Clarks Beurteilung mehrdeutig aus. Der Kunsthistoriker und Direktor der Londoner National Gallery (1934 – 45) richtete 1942 eine Doppelausstellung für den englischen Maler William Nicholson (1872 – 1949) und Yeats in der National Gallery aus und verfasste im Zuge dessen auch eine Einführung für den Katalog.10 Auf den ersten Blick äußerte er sich darin lobend zum Werk des Künstlers, das er für innovativ und kraftvoll hielt.11 Zudem versicherte er Yeats, den er in Vorbereitung auf die Londoner Ausstellung auch persönlich kennengelernt hatte, am 2. Januar 1942 in einem Telegramm  : »Exhibition huge success. Deeply grateful your help. Very sorry you could not attend opening.«12 In Verbindung mit Clarks kurz darauf veröffentlichtem Artikel in der britischen Kunst- und Literaturzeitschrift Horizon erscheint diese Anerkennung allerdings in einem anderen Licht. In dem Aufsatz führte Clark die in der Katalogeinleitung lediglich angedeuteten Aspekte näher aus und ergänzte diese um die Eindrücke seiner ersten Begegnung mit dem grafischen Frühwerk des Malers. Ohne Umschweife führt Clark dabei aus, dass er Yeats’ Karikaturen im Punch-Magazin, die der Künstler unter dem Pseudonym W. Bird angefertigt hatte und von denen er zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, von wem sie stammten, für »very bad« hielt. Diese Empfindung sei bestehen geblieben, als er mit den ersten Gemälden des Iren konfrontiert wurde, kamen ihm die   6 Read 1942, S. 50.   7 Read 1962, S. 136.   8 Newton 1963, S. 9.   9 Newton 1950, S. 238. 10 Zur Ausstellung, die von Januar bis März 1942 stattfand, siehe Ausst.-Kat. London 1942  ; zu Clarks Einleitung siehe Clark 1942a, S. 2 f. 11 Vgl. Clark 1942a, S. 2 f. 12 Telegramm Clark an Jack B. Yeats, 2. Januar 1942, abgeheftet in ZA, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4.

410  |  Vielfalt der Moderne

Werke doch als Engländer völlig fremd vor. Yeats’ Themen und Malweise wirkten auf Clark »independent« und nicht »confined by the rules of representational painting«. Stattdessen sei sein »extravagant style« vollkommen vom Gefühl sowie von der irischen Atmosphäre bestimmt.13 Bereits diese Beurteilung verdeutlicht den hegemonialen Impetus, mit dem Clark dem irischen Künstler begegnete und lässt die positiven Erwähnungen der Katalogeinführung geradezu gönnerhaft erscheinen. Erst der Vergleich mit dem Bruder, dem »great poet«14, offenbart aber unmissverständlich, für wie provinziell Clark Yeats’ Arbeiten tatsächlich hielt  : But the poet’s long discipline, his painful search for a myth comprehensive enough to allow him to write simply, gave his work a certainty which his brother’s painting lacks. Occasionally, even in the latest pictures, one catches sight of those naive uncertainties of drawing which so much shocked me in the work of W. Bird. They are exhibited with engaging candour, they are subordinated to a larger intention, but they remind us that Jack Yeats is on the outer rim of European painting with some of the drawbacks of remoteness. Yet without that remoteness could he have preserved the native flavour which is so great a part of his strength  ?15

Jack B. Yeats’ Werk wird zwar als unabhängig und unkonventionell, letztlich aber als rückständig bezeichnet. Es ist augenfällig, dass Clark die Bildkunst eng an den nationalen Kontext ihrer Entstehung koppelte und damit ein von britischer Seite auch noch Jahrzehnte nach Irlands Eigenständigkeit geäußertes Vorurteil bediente, nämlich, dass die ehemalige Kolonie als Staat nicht am Weltgeschehen sowie in der Malerei nicht an der Moderne teilhabe. Dass der Galeriedirektor die Ausstellung ursprünglich auf Anfrage des in Dublin ansässigen britischen Presseattachés John Betjeman (1906 – 84) organisiert hatte, um auf diese Weise britisches Interesse für die irische Kultur zu signalisieren, könnte eine Erklärung für Clarks wenig überzeugten Einsatz für den Künstler darstellen. Immerhin ist Betjemans Bitte vor dem Hintergrund der Neutralität des Irischen Freistaates während des Zweiten Weltkrieges sowie der Tatsache zu sehen, dass auch die Deutschen darum bemüht waren, Irland für ihre Seite zu gewinnen. Nach Betjemans Einschätzung hatte Eduard Hempel (1887 – 1972), der ab 1937 als deutscher Gesandter in Dublin tätig war, über die Jahre zunehmend an Einfluss gewonnen. In der Tat setzte sich Hempel auch für die Förderung irischer Kultur ein und versuchte, Jack B. Yeats als führenden Maler des Landes für sich einzunehmen.16 Entsprechend erhoffte sich 13 Alle aufgeführten Zitate in Clark 1942b, S. 40. 14 Clark 1942b, S. 42. 15 Clark 1942b, S. 42. 16 1941 bat Betjeman den befreundeten Clark in einem Brief um einen dringenden Besuch in Irland  : »Your visit will be invaluable for I shall be able to enunciate the difficulties here far more

Die Form als analytische Kategorie im postkolonialen Kontext | 411

Betjeman, dass die Briten durch das Wirken Kenneth Clarks in Irland sowie sein Engagement für Yeats den dringend benötigten Einfluss zurückgewinnen würden, nicht zuletzt angesichts des tobenden Krieges. So hielt Clark bei seinem Dublin-Besuch im Mai 1941 unter anderem Vorträge in verschiedenen Institutionen. Darüber hinaus besuchte er Yeats in seinem Atelier am Fitzwilliam Square.17 Wie intensiv das Werben der Briten um die irische Seite war, geht weiterhin aus einem Brief Betjemans hervor, in dem unter anderem Clarks Treffen mit Éamon de Valera Erwähnung findet  : »K. Clark and Jane came over here – thank God for them, they worked very hard with the Irish and created the most wonderful impression and talked to Dev for two hours […].«18 Der Ablauf der Ausstellungseröffnung zeigt ebenso wie die Besucherliste, dass Nichol­son and Yeats at the National Gallery als gemeinsame Werkschau eines irischen und eines britischen Künstlers die gute Zusammenarbeit der ehemals vereinten Staaten repräsentieren sollte. Schließlich hielten, wie die Presse wiederholt hervorhob, mit dem irischen Hochkommissar John Dulanty und dem Direktor der National Gallery Kenneth Clark zwei wichtige Vertreter des öffentlichen Lebens die Eröffnungsreden. Hierbei sprach Dulanty über Yeats, während Clark Nicholson einführte.19 Zu den hochrangigen Gästen zählten unter anderem Clementine Churchill, die Frau des Premierministers, und Lord Cranborne als Vertreter der Conservative Party.20 Als bedeutendste Besucherin der Ausstellung darf allerdings die Queen Consort gelten, die sich die Werke der beiden Maler im März 1942 in Begleitung ausgewählter Kunstliebhaberinnen und Kunstliebhaber präsentieren ließ.21 Ihr Besuch unterstreicht noch einmal den großen Stellenwert der Ausstellung, vor allem für die britische Seite. Clarks Engagement für Yeats muss demnach politisch eingeordnet werden, um den wertschätzenden und zugleich diminuierenden Modus zu verstehen, mittels dessen er sich dem Werk des Künstlers näherte. Ein Brief Betjemans an Clark, den der Presseattaché in einer herabsetzenden Imitation des Hiberno-Englischen beendete, belegt die koloniale Attitüde beider gegenüber der irischen Kultur  : […] and naow Sir Kenneth so hwat do you think of aour natuv artusts here in Oireland  ? Oi ventur to thank that there is no artust to-day workun in Europe – unless maybe in Germany – who can howled a candle to Miss Manie Jellet for modernism or to Mr Jack clearly than in a letter and you will be satisfying the craving for attention that there is in artistic and literary circles in Dublin. At present the German Minister has rather a monopoly of art and gave a dinner to old Jack Yeats recently«, Brief Betjeman an Clark, 14. März 1941, abgedruckt in Betjeman 1994, S. 282. 17 Vgl. O’Donnell 2019. 18 Brief Betjeman an John und Myfanwy Piper, 26. Mai 1941, abgedruckt in Betjeman 1994, S. 289. Betjemans Brief richtete sich an die Pipers, ein Londoner Künstlerpaar. 19 Vgl. Collis, Maurice  : Art. Yeats and Nicholson at the National Gallery, in  : Time and Tide, 10. Januar 1942, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 20 Vgl. Evening News, 2. Januar 1942, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 21 Vgl. Tatler  : Royal Art Lover, 25. März 1942, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4.

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Yeats for the mystic or to Miss Laetitia Hamilton or Mr Paul Henry for the purely pictorial. Oi would add that thanks to Holy Oireland’s constant intercessions to the Sacred Hyart, our stained glass is as fouin as – nay fouinur – than Chartres.22

Zumindest was Clarks eigene Rolle anbelangt, wurde diese von Yeats durchaus wahrgenommen. So ist bekannt, dass Yeats Clarks Analysen aufmerksam verfolgte und diese realistisch einzuschätzen wusste. Hinsichtlich der Bewertung seiner Kunst empfand er die Beschreibungen als problematisch und brachte gegenüber dem befreundeten Terence de Vere White seine Enttäuschung zum Ausdruck, erfahre er doch nur s­ elten uneingeschränkte Anerkennung. Ernüchtert resümierte er  : »Always a pull-back.«23 Insbesondere die oben angeführte Passage des Vergleiches mit W. B. Yeats sowie die Verortung seiner Malerei außerhalb der Arena der Moderne verstimmten den Maler.24 Ein noch kritischeres Urteil fällte nur wenige Jahre später der britische Maler und Kritiker Patrick Heron, als er die 1948 in der Leeds City Art Gallery ausgerichtete YeatsAusstellung besprach. Auch er wies der irischen Malerei im Allgemeinen und Yeats’ Werk im Besonderen innerhalb der internationalen Kunstwelt eine subalterne Position zu. Irland biete sich in seiner klimatischen und geografischen Beschaffenheit lediglich Schriftsteller:innen als geeignete Produktionsstätte an, nicht aber Maler:innen, zu launenhaft und unberechenbar seien Wetter und Lichtverhältnisse, zu wenig greifbar daher die darzustellenden Gegenstände. Laut Heron bedingen sich das irische Wesen und Yeats’ Gemälde gegenseitig, was zu einer überspannten und wirren Ästhetik der Werke führt  : The nervous, ragged character of his touches lends Yeats’s canvases a certain rather obvious vitality  : and, of course, we pick up from them a strong whiff of Ireland.25

Herons drastische Formulierungen sind als direkte Reaktion auf MacGreevy zu verstehen,26 der die Einleitung des Ausstellungskataloges verfasst und Yeats darin als »[…] one of the greatest colourists in the whole history of painting«27 bezeichnet hatte. Am Merkmal der Farbe entzündeten sich denn auch die zentralen Debatten um Yeats’ Werk. Während MacGreevy diese stets als herausragendes Alleinstellungsmerkmal her22 Brief Betjeman an Clark, 4. September 1942, National Gallery Archive, zitiert nach O’Donnell 2019. 23 Yeats zitiert in White 1971b, S. 38  ; nicht alle Kritiken fielen so klischeebeladen und relativierend aus wie die von Clark. Es gab auch durchaus Besprechungen, die nicht auf die Herkunft von Yeats hinwiesen und das Werk als innovativ und mitreißend beschrieben, so etwa Burlington Magazine  : Editorial, Februar 1942, 80  :467, S. 29. Das Transkript befindet sich mit weiteren Zeitungsausschnitten in Yeats’ Unterlagen, ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 24 Vgl. White 1971b, S. 38. 25 Heron 1948, S. 154, aufbewahrt in NLI. 26 Vgl. Heron 1948, S. 154, aufbewahrt in NLI. 27 MacGreevy 1948, S. 3.

Die Form als analytische Kategorie im postkolonialen Kontext | 413

vorhob, erwähnten alle zuvor genannten britischen Autoren die Farbe in Yeats’ Arbeiten als Sinnbild des Rauschhaften und Chaotischen. Demgemäß sprach Heron von »highly coloured smudges«, von flächigen, nervösen Farbklecksen, deren Sinn sich den Betrachtenden verschließe.28 Newton wiederum gab zu bedenken, dass der intensive Einsatz der Farbe eine »passionate restlessness« verursache und das Publikum zu einem »conversational battle« herausfordere. Damit würden sich Yeats’ Arbeiten deutlich im irischen Kontext verorten lassen, schließlich seien die Iren für ihre »vivid improvisation« und ihr »natural genius […] for conversation« bekannt.29 Und auch Clark war überzeugt, dass die Farbe Yeats’ eigentliches Element sei, »in which he dives and splashes with the shameless abandon of a porpoise. And colour knows no laws  : it is the language of the free, the passionate, the impulsive, the intoxicated.«30 All diesen Zuschreibungen ist der Vorwurf der Impulsivität sowie der Struktur- und Konzeptlosigkeit inhärent, der in die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Tradition des disegno-colore-Streites eingeordnet werden kann. Ähnlich der irisch-britischen Kontroverse des 20. Jahrhunderts ging es bei dem historischen, zwischen Rom und Venedig ausgetragenen Disput ebenfalls um die Auseinandersetzung zweier Kulturräume. Der durch Vasari etablierte Antagonismus zwischen Linie und Farbe gab der römischtoskanischen Malerei, die sich durch den disegno auszeichnete, gegenüber der venezianischen Kunst als Inbegriff des colore den Vorzug. Der disegno stand stellvertretend für das Geistige und Konzeptionelle, der colore hingegen für das Handwerkliche und Intellektfreie. Als Reaktion darauf wurde innerhalb der venezianischen Kunsttheorie die Überlegung der Gleichwertigkeit von Kontur und Kolorit entwickelt, um auf diese Weise die strenge Hierarchisierung aufzulösen.31 Der Topos blieb über die Jahrhunderte bestehen, erfuhr jedoch einen steten Wandel. Hatte Johann Joachim Winckelmann im 18. Jahrhundert noch das Zeichnerische gegenüber dem Malerischen präferiert und Venedig als wenig empfehlenswertes Reiseziel empfunden, so pries John Ruskin in seinen zwischen 1850 und 1853 erschienenen Stones of Venice die Lagunenstadt als Ort der Farben und setzte sich für Maler wie Tintoretto ein.32

28 Heron 1948, S. 154, aufbewahrt in NLI. 29 Alle Zitate bei Newton 1950, S. 238 f. 30 Clark 1942a, S. 3. 31 Zum disegno-colore-Paragone und dessen Auswirkungen auf die Kulturräume Rom und Venedig siehe Roettgen 2003  ; zur Entwicklung des Topos von Linie und Farbe vom 16. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert siehe Krieger 2006. 32 Vgl. Roettgen 2003, Pkt. 7, 11 und 45  ; zur Venedig-Bewunderung Ruskins siehe Ruskin 1880  ; zur Verehrung Tintorettos siehe auch Ruskins 1871 erschienenen Artikel Michel Angelo and Tin­ toret, in  : Ruskin 1980, S. 119 – 126. Zur Vorrangstellung der Koloristen gegenüber den NichtKoloristen siehe zudem Ruskins 1870 publizierte Überlegungen zur Colour, in  : Ruskin 1980, S. 141  ; trotzdem betonte auch noch Ruskin die zentrale Stellung der Form, betrachtete jedoch die Farbe als wesentliches Merkmal der Malerei. – Vgl. Ruskin 1904, S. 71 f.

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Auch bei Yeats lässt sich das Initiationsmoment der Farbbegeisterung auf seine Venedig-Reise zurückführen, die er im Jahr 1898 unternahm (Abb. 75). Seine Entwicklung vom Illustrator zum materialbegeisterten Maler wurde durch dieses Ereignis schon früh vorgezeichnet, sodass der später vom Künstler konstatierte Bruch innerhalb seines Schaffens erneut kritisch hinterfragt werden muss. So meinte er im bereits erwähnten Interview mit John Rothenstein  : I believe […] that the painter always begins by expressing himself by line – that is, by the most obvious means  ; then he becomes aware that line, once so necessary, is in fact hemming him in, and as soon as he feels strong enough he breaks out if its confines.33

In diesen Zeilen kommt das Selbstbewusstsein eines überzeugten Koloristen zum Ausdruck, der sich der Kritik an seiner Malweise bewusst war, aber dennoch die Farbe als Telos der modernen Malerei zelebrierte. Den eigenen Aussagen des Künstlers zum Trotz ist unter Berücksichtigung seiner Werkgenese jedoch eher davon auszugehen, dass sein früher linearer Modus einen integralen Bestandteil des reiferen Spätwerkes bildete und vice versa. Dementsprechend belegen bereits seine frühen Aquarelle, wie an vorangegangener Stelle aufgezeigt wurde (vgl. Kap. 4.3.1), ein koloristisches Gespür. Allen voran beeinflussten ihn hier die Impulse der venezianischen Malerei nachhaltig, wie unter anderem eine in seiner Sammlung befindliche, Tintoretto gewidmete Sonderausgabe des Life-Magazins zeigt.34 Doch auch wenn sich im Fortgang seiner Karriere, die durch eine wachsende künstlerische Souveränität und die Evokation des ästhetischen Eindruckes der Spontaneität geprägt war, die farbenfrohe Materialfaszination zunehmend Bahn brach, so ging Yeats bei der Entwicklung seiner Bilder nie konzeptionslos vor. Bis ins Spätwerk dienten ihm neben Skizzenbüchern weiterhin Fotografien und andere visuelle Arbeitsmaterialien als formale und inhaltliche Vorlagen, mit deren Hilfe er seine Gemälde entwarf. Zudem widerspricht Yeats’ Konzept der Erinnerung der Annahme,

33 Yeats zitiert in Rothenstein 1946, S. 43  ; es ist bemerkenswert, dass Yeats auch in der einheimischen Presse schon früh als Kolorist betrachtet wurde. Für die Wahl der unter der Form rangierenden Farbe wurde er denn auch kritisiert, wobei eingeräumt wurde, dass ebendieser Ansatz dem genuin irischen Stil förderlich sei. – Vgl. Irish Independent  : Irish Artists & Irish Types, 11. Mai 1909, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/1. 34 Life, 31  :26, 24. Dezember 1951, Titelthema  : »Tintoretto’s Life of Christ, 20 Pages in Color«, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/23/1/48. Dass Yeats sich nachweislich für Tintoretto interessierte, stellt einen der vielen Widersprüche seiner Persona dar. So meinte er bei einem seiner Gespräche mit Terence de Vere White, dass er nicht viel von Tintoretto halte. – Vgl. White 1971b, S. 41. Diese präsentierte Abneigung ließe sich jedoch damit erklären, dass er sich gegen jedwede Einflussnahme anderer Künstler aussprach. So kritisierte er etwa MacGreevys Betonung venezianischer Impulse auf sein Werk. – Vgl. Brief Jack B. Yeats an MacGreevy, 11. Mai 1938, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 10381/160. Hier äußerte er sich skeptisch zu der von MacGreevy eingebrachten Giorgione-Referenz, die der Kunsthistoriker daher in der Druckfassung der Monografie ausklammerte.

Die Form als analytische Kategorie im postkolonialen Kontext | 415

es handele sich bei seinen Werken lediglich um impulsive Zufallsbilder. Linie und Farbe gingen in Yeats’ Arbeiten vielmehr eine Symbiose ein. Trotz alledem wurde Yeats’ Stil in der britischen Presse auf das Malerische reduziert und gemäß der Tradition des disegno-colore-Streits als konfus und wenig intelligibel abgewertet. In einem Urteil der Times vom 24. März 1936 kommt diese Einschätzung, nach der Yeats’ Arbeitsweise auf den Affekt zu reduzieren sei, paradigmatisch zum Ausdruck  : Some effect of form or colour catches his eye, and he sets it down directly with all the feelings that it excites in him, and if there is any consideration it is to keep the reaction whole, rather than to detach the facts from the feelings.35

MacGreevys vehementes Argument für Yeats als »one of the greatest of all colourists«36 und die von ihm gezogenen Vergleiche mit den venezianischen Malern des 16. Jahrhunderts, insbesondere Giorgione,37 sowie den romantischen Künstlern des 19. Jahrhunderts lassen sich daher vor der Folie persistenter kolonialer Denkmuster als Erwiderung auf die britischen Vorurteile verstehen,38 gemäß denen es sich bei dem Iren lediglich um einen »slapdash colourist«39 handelt. Zugleich knüpfte seine Umkehrung der Negativzuweisung, wie bis dato unbemerkt geblieben ist, an künstlerische Diskurse des 20. Jahrhunderts an, die der Farbe zu neuem Ansehen verhalfen. Dementsprechend beanspruchten etwa Künstler wie Yves Klein (1928 – 62) die Farbe ganz für ihr Schaffen, der sie sich – ähnlich wie Yeats – in einem Akt der deklarierten Selbstbefreiung verschrieben. Als zentrale Vorläufer vereinnahmte Klein, der sich mit seinen monochromen, ultramarinblauen Bildern in die Kunstgeschichte einschrieb, dabei Maler wie Delacroix und van Gogh.40 Yeats’ Farbwucht ist folglich, entgegen der Behauptung vieler britischer Kritiker:innen und Kunsthistoriker:innen, nicht jenseits westlicher Kunststandards, sondern vielmehr als Teil zeitgenössischer Strömungen zu begreifen. Anders als Newton annahm, kennzeichnen die nachweislichen Verbindungen zu romantischen Maler:innen des 19. Jahrhunderts Yeats’ Wirken nicht als unmodern,41 vielmehr lassen sie sich, wie etwa 35 The Times  : Art Exhibitions. Mr. Jack Yeats, 24. März 1936, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/3  ; auch White merkte an, dass Yeats von englischen Kritikern aufgrund seiner Herkunft nicht ernst genommen wurde  : »Yeats was stamped with the stigma of regionalism, that is to say of having a less than universal appeal«, White 1971b, S. 47. 36 MacGreevy 1942, S. 42. 37 Vgl. MacGreevy 1948, S. 5. 38 Vgl. MacGreevy  : Unpublizierte Bildbeschreibung von He Looks about Him (1949), Typoskript, vermutlich 1960er Jahre, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/142. 39 The Times  : Mr. J. B. Yeats’s Art  : Exhibition at the Tate Gallery, 14. August 1948. 40 Vgl. Krieger 2006, S. 91 f. Klein formulierte seine Position in dem 1954 konzipierten, jedoch nie realisierten Film Der Krieg zwischen Linie und Farbe oder  : Auf dem Weg zu einem monochromen Vorschlag. 41 Yeats selbst hat sich zwar nie zu Künstlern wie Delacroix geäußert, allerdings hat er nur sehr selten Verbindungen zu anderen Maler:innen gezogen. Insbesondere der expressive und farbin-

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Yves Kleins erklärte Vorbilder gezeigt haben, innerhalb kontemporärer künstlerischer Diskurse verorten. Die Kontextualisierung der externen Debatten zur irischen Kunst innerhalb eines kunsthistorischen Rahmens offenbart daher die Beständigkeit kulturraumbasierter Debatten und damit einhergehend die fortgesetzte Absicht zur Herabsetzung über die Form. Zugleich wird deutlich, dass formale Kriterien auch noch im 20. Jahrhundert als geeignetes Mittel fungierten, vermeintlich andersartig erscheinende Stile zu diskreditieren. 7.2 Yeats und die figurative Moderne

Die extern geführten Negativzuschreibungen schlugen sich, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde,42 zugleich in den nationalen Kunstdebatten nieder – ein Phänomen, das sich womöglich mit der Internalisierung der von außen postulierten Minderwertigkeit erklären lässt. So beteiligten sich in der Folge auch in Irland tätige Kritiker:innen wie Joan Fowler und Bruce Arnold mit ihren Ausführungen an der Deklassierung, indem sie behaupteten, die irische Kunst könne aufgrund der Maßgaben des reaktionär ausgerichteten Staates keinen Platz innerhalb der Arena der Moderne für sich beanspruchen.43 Gemäß Fowler ist die irische Kultur dabei vom Phänomen des »isolationism, both political and cultural«44 bestimmt, was zwangsläufig zu einer Rückwärtsgewandtheit der regionalen Kunst führe. In dieser 1984 vorgenommenen Einschätzung verkannte sie jedoch, dass Kunstschaffende sich trotz vorgegebener Grenzen mittels diverser künstlerischer Vorgehensweisen der Staatsdoktrin entziehen und eigene Wege beschreiten können. Und obwohl diese von Fowler vertretene einseitige Sichtweise in der neueren Forschung inzwischen als überholt gilt,45 meinte Arnold 2011 erneut  : »Modernism in Ireland largely failed.«46 In seiner Äußerung manifestiert sich die Schwierigkeit, einmal etablierte Kunsturteile zu überwinden. Dass irische Künstler:innen keineswegs in der vollkommenen Isolation agierten, hat bereits das Beispiel Yeats’ gezeigt. Darüber hinaus lassen sich diverse künstlerische Strömungen in Irland ausmachen, die durch eine internationale Ausrichtung und Vernetzung gekennzeichnet sind. Zwar erwies es sich für die jeweiligen Akteur:innen tatsächlich als herausfordernd, sich gegen bestehende Restriktionen und ungenügende tensive Ansatz seines Spätwerkes lässt jedoch Anleihen an Vertreter:innen der Romantik erkennen. Zu Recht wies O’Doherty daher auf die Übereinstimmungen zwischen den Arbeiten von Yeats, ­Turner und Delacroix hin sowie darauf, dass der Ire dem 19. und 20. Jahrhundert gleichermaßen verhaftet sei. – Vgl. O’Doherty 1955, S. 23  ; auch Beckett zog die Verbindung zwischen Delacroix und Yeats. – Vgl. Beckett 2009, S. 636. 42 Siehe hierzu Kapitel 3.4 der Arbeit. 43 Vgl. Arnold 2011, S. 26  ; Fowler 1984, S. 8. 44 Fowler 1984, S. 8. 45 Zur Kritik an diesem Modell siehe etwa Dunne 2011, S. 105 ff. oder Sullivan 2012, S. 10. 46 Arnold 2011, S. 26.

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Kulturförderung durchzusetzen, dennoch begehrten sie durch die Gründung mehrerer alternativer Künstlervereinigungen gegen eine ästhetische Normierung des Staates auf. So setzte sich Ellen Duncan (1862 – 1937) 1907 mit der Gründung des United Arts Club, in dem Yeats ab 1912 Mitglied war, für eine internationale Vernetzung der irischen Kunst ein und regte im Rahmen von Ausstellungen einen länderübergreifenden Austausch zwischen Künstler:innen an.47 Ab 1920 ebneten Paul Henry, Yeats, Mary Swanzy und andere Maler:innen mit der Society of Dublin Painters den Weg für eine Kunst, die für moderne, transnationale Ansätze einstand.48 Ein weiterer Impuls für eine Neuausrichtung der Künste ging von der 1935 in London etablierten White Stag Group aus, die ihr Zentrum zwischen 1940 und 1945 nach Dublin verlagerte. Die Gruppe, die sich an den Arbeiten Picassos und Paul Klees (1879 – 1940) ausrichtete und Einflüsse aus der kreativen Psychologie aufnahm, bot jungen Kunstschaffenden ein von künstlerischen Freiräumen bestimmtes Forum jenseits des akademischen Kanons. In kurzer Zeit versammelten sich zahlreiche irische Maler:innen um die beiden Gründungsmitglieder Basil Rákóczi (1908 – 79) und Kenneth Hall (1913 – 46). Hierzu zählten Patrick Scott (1921 – 2014), Mainie Jellett oder Ralph Cusack (1912 – 65). Gemeinsam organisierten sie Ausstellungen zur sogenannten Subjective Art und richteten Diskussionsrunden aus.49 An diese Impulse anknüpfend und in erklärter Abgrenzung zur Royal Hibernian Academy wurde 1943 unter der Ägide Mainie Jelletts die Irish Exhibition of Living Art ins Leben gerufen, die sich als Ausstellungsplattform für unkonventionell arbeitende Kunstschaffende begriff.50 Dem einseitigen Urteil, dass die irische Kunst rückwärtsgewandt und provinziell sei, muss daher in Anbetracht der hier skizzierten Bewegungen widersprochen werden. Dass Yeats innerhalb der sezessionistischen Living Art-Bewegung als zentrale Figur galt, geht aus einer Rezension Jelletts hervor, die sie anlässlich der Jahresausstellung der R.H.A. im Jahr 1942 verfasste. Darin kritisierte sie das Fehlen zeitgemäßer autochthoner Arbeiten. Allein Yeats bilde hier mit seinen Werken eine Ausnahme  : Then one looks for some sign of nationality, something that would tell the onlooker that these pictures were by Irish men and women. The only artist who could stand this test is Jack B. Yeats. I have seen a Jack B. Yeats picture in a huge exhibition at the Empire Exhibition, Glasgow  ; at once I felt its nationality was Irish. This quality of nationality is something lacking in Irish art as a whole. It is a quality that cannot be studied and self consciously looked for  ; it will show only if we artists are working creatively with our

47 Zur Geschichte des UAC siehe Boylan 1988  ; zu Ellen Duncans Wirken und Einfluss siehe Kennedy 2015. 48 Siehe etwa Gibbons 2014, S. 134  ; Kennedy 2010a, S. 182  ; weiterführend zum irischen Kubismus siehe Ausst.-Kat. Dublin 2013b. 49 Vgl. Kennedy 2010a. 50 Vgl. Kennedy 1991b, S. 119.

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whole capacity of body and soul, and not if we continue to paint complacent coloured photographs of cottages and Irish scenery […].51

Es kann daher kaum überraschen, dass sich Yeats, trotz seines hohen Alters, regelmäßig mit eigenen Arbeiten an den jährlich stattfindenden Living Art-Ausstellungen beteiligte, wo er inmitten von Arbeiten einer jüngeren Generation präsentiert wurde.52 Obwohl der Künstler seinem figurativen Stil treu blieb, belegt sein fortwährendes Interesse an aktuellen Tendenzen seine Offenheit gegenüber neuen Ansätzen. Darüber hinaus kann die Ursache für die Aberkennung der modernen Aspekte in Yeats’ Fall nicht nur in persistenten kolonialen Denkmustern ausgemacht werden, sondern auch in der Tatsache, dass er mit seinem figurativen Ansatz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht der Maxime der Gegenstandslosigkeit entsprach. Es ist ebendiese Herangehensweise, die ihn mit anderen europäischen Maler:innen, wie ­Walter Sickert, Lucian Freud und Oskar Kokoschka, vereint. Inwiefern sich diese Künstler gegenseitig beeinflussten und welche gemeinsamen künstlerischen Ziele sie verfolgten, soll im Folgenden untersucht werden. 7.2.1 »Life above everything«53  : Walter Sickert, Jack B. Yeats und Lucian Freud 1948 bediente sich der Kritiker David Sylvester in der französischen Zeitschrift L’Age Nouveau als erster des Terminus School of London, um damit figurativ arbeitende Künstler:innen in Großbritannien zu beschreiben, die er mit der Besprechung in dem fremdsprachigen Magazin zugleich international bekannt machen wollte.54 Da­ mit grenzte er sich gezielt von seinem amerikanischen Kollegen Clement ­Greenberg (1909 – 94) ab, der seinerseits, etwa unter Berufung auf abstrakte Maler:innen wie Jackson Pollock, eine amerikanische Schule zu etablieren suchte. Sylvesters Begriff einer Londoner Schule wurde in der Folge von vielen Kunsthistoriker:innen und Kri­ ti­ker:innen aufgegriffen, mit dem Ziel, eine geschlossene Gruppe von Maler:innen zu präsentieren, die sich stilistisch dem Realismus verpflichteten. Tatsächlich jedoch waren deren als Einheit proklamierte Vertreter, darunter Francis Bacon, Lucian Freud und Frank Auerbach (geb. 1931), zwar untereinander befreundet, arbeiteten aber sehr unterschiedlich. Umso mehr muss die von außen konstatierte Behauptung einer Schule daher vor dem Hintergrund der nach 1945 geführten Debatten um die Vorherrschaft der modernen respektive zeitgenössischen Kunst gesehen werden. Sylvester und

51 Jellett 1942, S. 7, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4. 52 Siehe etwa Ausst.-Kat. Dublin 1943, Nr. 113, 114 und 115  ; Ausst.-Kat. 1947, Nr. 46 und Ausst.Kat. 1949, Nr. 5, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/17/1/1/41, Y1/JY/17/1/1/1 und Y1/JY/17/1/1/39. 53 Brief Sickert an Jack B. Yeats, Januar 1924, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/5/2/74. 54 Vgl. Sylvester 1948. In dem Artikel spricht Sylvester von einer »école de Londres«.

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­Greenberg stehen dabei stellvertretend für die behauptete Opposition einer Europa zugeordneten Figuration und einer für Amerika vereinnahmten Abstraktion.55 Die Tatsache, dass Sylvester zwar mehrere ausländische Künstler:innen, die in Großbritannien tätig waren – darunter Kokoschka, der zwischen 1938 und 1953 in der englischen Emigration lebte –, zur School of London hinzuzählte, jedoch den ebenfalls häufig in London ausstellenden Yeats nicht erwähnte, kann dabei nicht mit der Absicht erklärt werden, dass der Kritker irische Kunstschaffende zugunsten der Etablierung einer nationalen Schule von europäischer Reichweite ausblenden wollte.56 Die Ausklammerung lässt sich vielmehr auf Sylvesters stilistische Vorlieben zurückführen. Schließlich hob er das Wirken Louis le Brocquys in London positiv hervor, den er zu den besten zeitgenössischen irischen Maler:innen zählte.57 Allerdings ist es bemerkenswert, dass Sylvesters Idee, innerhalb einer nationalen Tradition von internationalem Geist auch eine irische Position zu integrieren, in der Folge nicht mehr aufgegriffen wurde. Das wird besonders an James Hymans 2001 erschienenem Standardwerk zur figurativen Moderne in Großbritannien augenfällig, in dem zwar international agierende Künstler:innen wie Jankel Adler (1895 – 1949) angeführt werden, jedoch der noch von Sylvester gelobte le Brocquy keine Erwähnung mehr findet. Dass auch Yeats nicht genannt wird,58 erstaunt insofern, als der Maler in vielerlei Hinsicht im Kontext der konstatierten Londoner Schule verortet, ja mehr noch auch als künstlerische Bezugsperson gedacht werden kann. Zunächst lassen sich die Parallelen an Walter Sickert festmachen, der sowohl Yeats als auch die Londoner Künstler beeinflusste. Nach seinem Tod im Jahr 1942 wurde dem englischen Maler neue Aufmerksamkeit zuteil, wofür neben mehreren Monografien auch die postume Veröffentlichung seiner Schriften verantwortlich war.59 Neben seinen theoretischen Ansätzen waren es auch Sickerts antiakademische Malweise sowie seine alltagsbezogenen, oftmals als radikal empfundenen Sujets, die einen entscheidenden Eindruck hinterließen. Dies zeigt das Beispiel Francis Bacons, der 1971 Sickerts Gemälde Granby Street (1912/13) erwarb und daraus ein Haltungsmotiv für seine ein Jahr später vollendete Arbeit Triptych (1972) entlehnte.60 Eine ähnliche komposito55 Vgl. Hyman 2001, S. 24 – 26. Eine weitere Position bezüglich der britischen Figuration wurde von John Berger vertreten, der sich für einen sozialen Realismus einsetzte, den er besonders durch die Werke der sogenannten Kitchen Sink Painter verwirklicht sah. – Siehe dazu Hyman 2001, S.  113 ff. 56 Vgl. Sylvester 1948, S. 108. Der Kritiker spricht von einem »[…] l’esprit internationaliste qui produit une tradition nationale […]«. 57 Vgl. Sylvester 1948, S. 108. 58 Die Ausklammerung irischer Positionen kritisierte auch bereits O’Donnell 2019, Fn. 62. 59 Vgl. Hammer 2013, S. 88. Vor allem Sickerts 1947 herausgegebenen Texte zur Kunst stießen auf großes Interesse, siehe Sickert, Walter Richard  : A Free House  ! Or The Artist as Craftsman, Being the Writings of Walter Richard Sickert, hg. v. Osbert Sitwell, London 1947  ; allgemein zu Sickerts künstlerischem Vermächtnis siehe Hyman 2001, S. 56 – 63. 60 Walter Sickert, Granby Street, 1912/13, Öl auf Leinwand, 50,8 × 40,6 cm, Privatbesitz und Francis Bacon, Triptych, 1972, Öl auf Leinwand, jede Tafel 198,1 × 147,3 cm, London, Tate Gallery. Zu

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rische Übernahme lässt sich bereits für Bacons 1959 entstandenes Bild Lying Figure konstatieren, das auf Sickerts zwischen 1904 und 1905 entstandenes Werk Lying Nude referenziert.61 Auch in Bezug auf den Werkprozess lassen sich zwischen Bacon und Sickert deutliche Gemeinsamkeiten erkennen, arbeiteten doch beide Künstler nachvollziehbar im Chaos. Fotografische Aufnahmen ihrer Ateliers belegen die sie umgebende Flut von Zeitungsausschnitten, Fotografien, Pinseln, Büchern und anderen Utensilien, die ihnen sämtlich als visuelle Inspirationsquellen dienten.62 Neben Bacon orientierte sich auch Freud, der Granby Street zu einem späteren Zeitpunkt von Bacon geschenkt bekam,63 an Sickerts Darstellungen nackter Körper, die den akademischen Vorgaben deutlich widersprechen. Dass die Hervorhebung menschlichen Fleisches für beide Maler ein zentrales Anliegen ihrer (Porträt-)Malerei darstellte, zeigt sich bereits an ihren Aussagen. So bezog sich Bacon in seinen Interviews mit ­Sylvester wiederholt auf das Fleisch als Topos seiner Malerei, wobei er auf die Verfasstheit des Menschen ebenso hinwies wie auf seine Affinität zur Materialität.64 In ähnlicher Weise äußerte sich auch Freud zu dem Thema  : »I want paint to work as flesh […]. As far as I am concerned the paint is the person. I want it to work for me just as flesh does.«65 Als vorbildhaft können dabei vor allem Sickerts zwischen 1906 und 1909 entstandene Camden Town Nudes gelten, die insofern eine Neubegründung des Genres der Nacktheit markieren, als sie diverse Aspekte von Sexualität, Prostitution und sozialer Realität aufgreifen sowie formal und inhaltlich gekonnt mit dem Bruch der Konventionen spielen.66 Auf den ersten Blick kann Yeats, der sich nicht als Porträtmaler verstand und keine Akt- oder Nacktsujets verhandelte, kaum mit Bacon oder Freud in Verbindung gebracht werden. Dennoch sprechen meines Erachtens verschiedene Aspekte für ebendiese Gegenüberstellung. Zunächst einmal stellt die insbesondere in seinem Spätwerk zum Ausdruck gebrachte Hingabe zum Material eine offensichtliche Parallele dar. Yeats’ Aussagen zu seiner Produktionsweise, die einem Interview mit dem Belfast News Letter den Motivübernahmen siehe Daniels 2009a, S. 230  ; auch Hammer zählt einige naheliegende fragmentarische Motivübernahmen auf, siehe Hammer 2013, S. 91 ff. 61 Francis Bacon, Lying Figure, 1959, Öl auf Leinwand, 198 × 141,5 cm, Leicester Museums & Galleries und Walter Sickert, Lying Nude, 1904/05, Öl auf Leinwand, o. A., David Fullen Collection. Zur Referenz siehe Daniels 2009b, S. 84. 62 Vgl. Daniels 2009a, S. 224. Daniels führt folgende Fotografien auf  : Walter Sickert in seinem Atelier, fotografiert für The Sketch, März 1938 und Francis Bacon in seinem Atelier in der Reece Mews, 1974, fotografiert von Michael Holtz  ; zu Bacons Verwendung von Fotografien im Rahmen seines Arbeitsprozesses siehe ausführlich Günther 2022. 63 Vgl. Hammer 2013, S. 89. 64 So meinte er etwa  : »Ich war immer schon sehr berührt von Bildern, die mit Schlachthäusern und mit Fleisch zu tun hatten. Für mich gehören sie sehr stark zu dem ganzen Thema der Kreuzigung«, in  : Sylvester 1997, S. 25  ; zum Aspekt von Körper und Fleisch in Bacons Werk siehe etwa auch Cappock 2003. 65 Lucian Freud zitiert in Gowing 1984, S. 190 f. 66 Siehe dazu etwa Ausst.-Kat. London 2007.

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aus dem Jahr 1930 zu entnehmen sind, lesen sich in diesem Zusammenhang beinahe wie eine Vorwegnahme auf die Äußerungen Bacons und Freuds  : »A few of the pictures […] have been painted with the eye of the flesh, and others with the eye of the spirit.«67 Es ist naheliegend, dass der Künstler mit dem Begriff »eye of the spirit« auf die Ideengebung der jeweiligen Arbeiten rekurrierte, mit der Formulierung »eye of the flesh« hingegen auf den Umgang mit der Farbe und den damit verbundenen Malvorgang. Es ist diese Aussage zum Herstellungsprozess, die erkennbar mit Freuds Credo korreliert  : »I want paint to work as flesh.«68 Der Fokus auf das »flesh« der Malerei geht darüber hinaus Hand in Hand mit der Forderung, die darzustellenden Szenen so lebendig wie möglich zu gestalten, eine Prämisse, die alle genannten Künstler in gleichem Maße vertraten. In dem bereits erwähnten Brief aus dem Jahr 1924 an den befreundeten Yeats schrieb Sickert in Bezug auf die Lebendigkeit in den Werken des Iren  : »It fulfils my theory that there can be modern painting. Life above everything.«69 Der Whistler-Schüler referierte mit diesen Worten nicht nur auf die künstlerische Behandlung der Themen, sondern auch darauf, dass Yeats es vermocht habe, seiner eigenen Kultur visuell Ausdruck zu verleihen.70 Yeats und Sickert waren sich, wie bereits an vorangegangener Stelle ausgeführt wurde,71 in ihren Ansichten sehr einig. Sickerts Wertschätzung für Yeats beschränkte sich zudem nicht nur auf Briefe und positive Urteile, sondern äußerte sich auch darin, dass er 1925 im Zuge der in der Londoner Arthur Tooth & Sons Gallery ausgerichteten Yeats-Ausstellung Paintings of Irish Life eines der Gemälde des jüngeren Kollegen erwarb, genauer das im Westen angesiedelte Coming up Sligo River, Early Morning.72 Für Yeats sind die Bezugnahmen auf Sickert vor allem in seinem tonal gehaltenen Frühwerk sowie an seinem ausgeprägten Interesse für Music Hall-Darstellungen festzumachen (vgl. Abb. 11 und 12). Beide Parallelen sind in der Forschung wiederholt zur Kenntnis genommen worden.73 Darüber hinaus stand besonders Yeats’ freier Farbauftrag, der eine unkonventionelle Bildlichkeit evozierte, früh im Fokus der Kritiker:innen, die darin eine Ähnlichkeit zu Sickerts moderner Malweise sahen. So konstatierte der Evening Standard 1926  : 67 Belfast News Letter  : Paintings by Jack B. Yeats, 25. Juni 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 68 Freud zitiert in Gowing 1984, S. 190. 69 Brief Sickert an Jack B. Yeats, Januar 1924, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/5/2/74. Yeats’ Ausstellung der Paintings of Irish Life, auf die sich Sickert bezieht, fand vom 7. bis 18. Januar 1924 in der Londoner Gieves Art Gallery statt. 70 Vgl. Emmons 1992, S. 246. 71 Siehe Kapitel 4.2.4. 72 Jack B. Yeats, Coming up Sligo River, Early Morning, 1925, Öl auf Holz, 23 × 35,5 cm, Privatbesitz. Zu dem Erwerb siehe Yeats’ Käuferangaben im Ausst.-Kat. London 1925, Nr. 14, AJ, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/2. Laut Katalogangabe kostete das kleinformatige Tafelbild £ 30. 73 Hier bereits Read 1942, S. 50  ; dann White 1957, S. 120  ; Pyle 1989, S. 108 f. und Arnold 1998a, S. 163, um eine Auswahl zu nennen.

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[…] in the […] pictures the subjects are much less in evidence  ; what meets the eye in each case is a visual impression expressed in a rough-and-ready technique of Mr. Yeats’s own invention. The explanation is […] that Jack Yeats, like Walter Sickert, is anxious not to be considered »arty« […].74

Was jedoch bis dato in der Literatur übersehen wurde, sind die Analogien in der Produktionsweise. Zwar lehnte Yeats die Arbeit im Chaos ausdrücklich ab, wie sowohl Aussagen von Zeitzeug:innen als auch eine arrangierte Fotografie des Künstlers in seinem Atelier offenbaren (Abb. 108).75 Die 1929 im Irish Sketch erschienene Aufnahme zeigt den in einem Lehnstuhl sitzenden Maler vor einer unvollendeten Leinwand auf seiner Staffelei.76 Bei dem Bild handelt es sich um das im Entstehen begriffene Gemälde Fair Day, County Mayo,77 das Jahre später als Leihgabe in Éamon de Valeras Büro hing.78 An der fotografischen Darstellung ist bemerkenswert, wie überaus geordnet der Maler sein Arbeitsumfeld arrangiert hat. So lassen sich, anders als bei Sickert oder Bacon, keine herumliegenden Bilder, Zeitschriften oder Bücher ausmachen  ; stattdessen werden die Wände von gerahmten Werken geschmückt, und die einzigen Bücher liegen sorgfältig gestapelt auf einer Kommode im Hintergrund. Auf dem Kaminsims im Vordergrund sind zudem mehrere Porzellanschüsseln und ein Teller drapiert. Den einzigen Hinweis auf die Profession des Künstlers bietet neben seiner Leinwand der neben dem Kamin herabhängende Beutel, aus dem mehrere Pinsel herausragen. In Verbindung mit dem Buch in seinen Händen inszeniert sich Yeats folglich eindeutig als belesener Maler. Allerdings verbirgt das Bild etwas, das wesentlich war für Yeats’ Werkstattprozess, nämlich die Verwendung visueller Vorlagen, die unter seinen Anspruch des Arbeitens »from memory« (M. A., 8) zu subsumieren ist. In diesem Zusammenhang ist die Atelierbeschreibung der irischen Journalistin Kathleen O’Brennan aus dem Jahr 1943 aufschlussreich, die auf einen weitaus lebendigeren Arbeitsvorgang schließen lässt, als uns die Atelierfotografie glauben macht  : »In his fine studio his walls are hung with sketches of his rapid impressions, his experiments in tone and colour.«79 Wie bereits dargelegt wurde, gehörte für Yeats zum Malen nach dem Gedächtnis die Einbeziehung von Skizzen, Fotografien, Zeitungsausschnitten und Werbematerialien ebenso wie von Reproduktionen bekannter Werke. Dieses Vorgehen gleicht dem Sickerts und Bacons, 74 Evening Standard  : Jack B. Yeats’s Pictures, 13. April 1926, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/2/2. 75 Zu den diversen Atelierbeschreibungen etwa Rothenstein 1946, S. 42 f. oder White 1971a, S. 14. White weist darauf hin, dass Yeats stets bei elektrischem Licht gearbeitet habe. 76 Irish Sketch  : Jack Yeats’ Exhibition, März 1929, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/2. Die im Artikel verwendete Aufnahme mit dem Untertitel Mr. Jack Yeats at Home muss bereits 1925, im Jahr der Entstehung des Gemäldes, gefertigt worden sein. 77 Jack B. Yeats, A Fair Day, Mayo, 1925, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz. 78 Zur Provenienz siehe Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 303, S. 277. 79 O’Brennan 1943, S. 349, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4.

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Abb. 108 Fotografie im Irish Sketch, März 1929  : Mr. Jack Yeats at Home, Dublin, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/4/2/2.

mit dem Unterschied, dass es in Yeats’ Fall für Besucher:innen seines Ateliers unsichtbar blieb. So wurde erst nach Yeats’ Tod die tatsächliche Menge seiner Ideenvorlagen offenbar, als Angehörige im Wohnhaus des Verstorbenen einen Raum entdeckten, der von oben bis unten mit Skizzenbüchern gefüllt war.80 In Bezug auf die Werkstattpraxis lassen sich zudem deutliche Parallelen zwischen Yeats und Lucian Freud ziehen. So bediente sich Freud in ähnlicher Weise visueller Hilfsmittel und griff etwa auf Reproduktionen von Werken Alter Meister zurück. Allerdings waren diese Spuren in seinem aufs Wesentliche reduzierten Atelier für Besuchende kaum auszumachen.81 In Yeats’ Fall blieben sie schon allein deshalb verborgen, weil der Künstler, mit Ausnahme seiner Frau, während der Arbeit niemandem Zutritt gewährte. Noch dazu arbeitete er bevorzugt bei elektrischem Licht,82 worin er wiede-

80 Vgl. Booth 1991, S. 32. Booth bezieht sich hier auf einen Bericht Frank Auerbachs. 81 Vgl. Sharp 2013, S. 13 f. 82 Zur Arbeit bei elektrischem Licht siehe White 1971a, S. 14  ; zur Zurückgezogenheit siehe unpublizierter Nachruf von Ernest L. Musgrave, dem Direktor der City Art Gallery in Leeds, aus dem Jahr 1957 mit dem Titel Jack B. Yeats – A Tribute. Darin beschreibt Musgrave, dass Yeats beim Malen seine Privatsphäre gewahrt wissen wollte, die höchstens von seiner Frau gestört werden durfte. – Vgl. TCD, MacGreevy, MS Inv.-Nr. 8149/69  ; Berger beschreibt sogar, dass nicht einmal seine Frau ihn beim Arbeiten stören durfte, weshalb Yeats zur Warnung immer einen zum Kreis gebogenen weißen Pfeifenreiniger von außen an der Tür befestigte. – Vgl. Berger 1956, S. 56.

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rum mit Freuds Praxis übereinstimmte, der gleichermaßen eine zurückgezogene Arbeitsweise bei künstlicher Beleuchtung präferierte.83 Bei allen angeführten Künstlern fand das referenzielle Prozedere innerhalb der Werkproduktion auch Niederschlag in ihren Arbeiten. So wandten sie ähnliche metapikturale Techniken an, die sich etwa in Bild-im-Bild-Zitaten manifestierten. Exemplarisch belegen dies Kompositionen wie Sickerts Ennui (ca. 1914),84 Yeats’ The Accordion Player (ca. 1904)85 oder Freuds Two Japanese Wrestlers by a Sink (1983 – 87),86 in denen jeweils an den Wänden hängende Bilder oder eine aufgestellte Postkarte auf andere Werke verweisen. Was Yeats, Sickert und Freud anbelangt, war ihnen generationsübergreifend zugleich ein spezifisches Interesse an der Schilderung sozialer Realität eigen. Insbesondere ihre dunkel gehaltenen und karg ausgestatteten Interieurszenen evozieren mittels der Darstellung gesellschaftlicher Randfiguren einen ähnlichen Eindruck der Tristesse, sei es das Schicksal des mittellosen Paares in Sickerts Summer Afternoon or What Shall We Do for the Rent  ? (ca. 1907/09, Abb. 109), des einsamen Hafenarbeiters in Yeats’ The Quay Worker’s Home (1927, Abb. 110) oder der schutzlos wirkenden Frau in Freuds Night Interior (1969/70, Abb. 111). Für Sickert und Freud sowie für Sickert und Yeats sind die künstlerischen Schnittstellen in der Literatur bereits dargelegt worden. Freuds Affinität für Yeats jedoch wurde erst im Rahmen der 2019 gezeigten Ausstellung Life above Everything. Lucian Freud and Jack B. Yeats grundlegend beleuchtet.87 Das Verdienst der im Dubliner Irish Museum of Modern Art gezeigten Exposition besteht darin, die Perspektive auf das Schaffen beider Künstler deutlich erweitert zu haben. In Yeats’ Fall wurde dies vor allem durch dessen Herauslösung aus dem nationalen Vakuum und seine Einbettung in einen größeren Kontext ermöglicht. Auch für Freud bietet sich hierdurch die Möglichkeit, den Maler verstärkt außerhalb seines Londoner Wirkungskreises zu begreifen. Immerhin reiste Freud der Auskunft seines langjährigen Assistenten und Co-Kurators der Ausstellung, David Dawson, zufolge zwischen 1948 und 1954 mehrfach nach Irland und empfand eine ausdrückliche Wertschätzung für Yeats’ Schaffen,88 mit dessen Bildern er in den 1940er Jahren über Ausstellungen in London und Dublin in Berührung 83 Freud arbeitete zwar auch bei Tageslicht, hatte aber ein eigenes Atelier für das Arbeiten bei elektrischem Licht eingerichtet. Zu seiner Arbeitsweise etwa Gowing 1984. 84 Walter Sickert, Ennui, ca. 1914, Öl auf Leinwand, 152,4 × 112,4 cm, London, Tate Gallery. 85 Jack B. Yeats, The Accordion Player, ca. 1904, Aquarell und Bleistift, 535 × 370 mm, Dublin, Hugh Lane Gallery. 86 Lucian Freud, Two Japanese Wrestlers by a Sink, 1983 – 87, Öl auf Leinwand, 50,8 × 78,7 cm, Art Institute Chicago. 87 Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2019. Die Ausstellung ist Teil des umfassenden, am IMMA angesiedelten Forschungsprojektes Freud Project. 88 Vgl. Dawson in Dawson/Feaver/Kennedy 2019, S. 43 ff. Freud reiste mehrmals nach Irland, wobei er sich in Dublin sowie in Connemara, aufhielt. Er hatte Kontakt zu Maler:innen wie Patrick Swift (1927 – 83), mit dem er sich das Atelier in Dublin teilte, und zu Dramatikern wie Brendan Behan (1923 – 64). – Vgl. Dawson in Dawson/Feaver/Kennedy 2019, S. 43 ff.

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Abb. 109 Walter Sickert, Summer Afternoon or What Shall We Do for the Rent  ?, ca. 1907/09, Öl auf Leinwand, 51,5 × 41 cm, Fife Council Libraries & Museums, Kirkcaldy Museum & Art Gallery (l.o.).

Abb. 110 Jack B. Yeats, The Quay Worker’s Home, 1927, Öl auf Leinwand, 22,2 × 35,5 cm, Privatbesitz (u.). Abb. 111 Lucian Freud, Night Interior, 1969/70, Öl auf Leinwand, 56 × 56 cm, Privatbesitz (r.o.).

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gekommen war.89 Im Zuge seiner anhaltenden Bewunderung für den älteren Kollegen, den er in Dublin zwar mehrmals von Ferne gesehen, aber nie angesprochen hatte,90 erwarb Freud Ende der 1980er Jahre mit The Dancing Stevedores eine von Yeats’ frühen Tuschezeichnungen,91 die bis zu seinem Tod neben seinem Bett hing.92 Darüber hinaus beriet er einen befreundeten Kunstsammler beim Erwerb mehrerer Yeats-Gemälde, die auf Auktionen zum Verkauf standen und empfahl ihm besonders eindrücklich erscheinende Arbeiten, wie The Flapping Meeting (1926), The Bus by the River (1927) oder No Man’s Dust (1937).93 Es handelt sich um Beispiele, die die fortwährende Auseinandersetzung mit dem irischen Künstler seit den 1940er Jahren belegen. Zwischen Freud und Yeats lassen sich neben dem figurativen Ansatz, den beide vertraten, auch stilistische sowie produktionsästhetische Gemeinsamkeiten erkennen. So darf die Linie für beide Maler zu Beginn ihrer Karriere als zentrales Ausdrucksmittel ihrer Kunst erachtet werden, bevor ein zunehmend großzügigerer Umgang mit Farbe ihr späteres Schaffen dominierte. In dieser Hinsicht sind sowohl Yeats als auch Freud als »painter’s painter«94 zu begreifen. Ungeachtet ihrer pastosen Malweise sind jedoch auch ihre späten Arbeiten noch von linearen Strukturen geprägt, ein Charakteristikum, das O’Doherty in Bezug auf Yeats zu der Aussage »Yeats draws in colour«95 veranlasste. Es ist daher nicht überraschend, dass Freud sich für Yeats’ grafisches wie malerisches Werk gleichermaßen begeisterte, waren ihm diese vermeintlich widerstrebenden Ansätze doch ebenfalls zu eigen. Weitere Parallelen betreffen die vergleichbare Erarbeitung ihrer unterschiedlichen Bildthemen und die Annäherung an den jeweiligen Gegenstand. Denn obwohl Yeats kein erklärter Porträtmaler war, fußen seine Darstellungen des menschlichen Alltags doch auf präzisen Beobachtungen, die Freuds intensiver Auseinandersetzung mit seinen Protagonist:innen durchaus ähneln. Für beide Maler galt die Maxime der exakten Wahrnehmung sowie der Verinnerlichung des Gegenstandes. Yeats’ Forderung nach »observation and memory« (M. A., 1) scheint dabei Freuds Anspruch nach eingehender 89 Vgl. Kennedy 2019a, S. 35  ; seine Begeisterung für Yeats teilte er mit dem Malerkollegen Frank Auerbach. Zu Frank Auerbachs intensiver Auseinandersetzung mit Yeats siehe Booth 1991, S. 31 – 33. 90 Vgl. Dawson in Dawson/Feaver/Kennedy 2019, S. 43. Freud meinte zu Dawson, dass er Yeats mehrere Male im St. Stephen’s Green Park auf und ab wandeln gesehen, nie aber mit ihm gesprochen habe. 91 Jack B. Yeats, The Dancing Stevedores, um 1900, Tusche auf Papier, 360 × 525 mm, Leeds Art Gallery. 92 Vgl. Kennedy 2019a, S. 25 sowie Hobart 2019, S. 123. Der Galerist Alan Hobart berichtet, wie Freud mehrmals in seine Galerie kam, um die Yeats-Zeichnung anzusehen. Nach mehreren Besuchen kaufte er sie schließlich. 93 Jack B. Yeats, The Flapping Meeting, 1926, Öl auf Leinwand, 35,5 × 46 cm, Privatbesitz  ; The Bus by the River, 1927, Öl auf Leinwand, 51 × 68,5 cm, Privatbesitz  ; No Man’s Dust, 1937, Öl auf Pappe, 22,5 × 35,5 cm, Privatbesitz. Zur Beratung siehe Kennedy 2019a, S. 26. Bei dem Freund, dessen Name Kennedy nicht nennt, handelte es sich zugleich um eines von Freuds Modellen. 94 Feaver in Dawson/Feaver/Kennedy 2019, S. 58. 95 O’Doherty 1971, S. 90.

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Betrachtung zu präfigurieren, den er 1954 in Some Thoughts on Painting formulierte  : »The subject must be kept under closest observation.«96 Beide waren sich zudem einig, dass die Malerei nicht artifiziell sein dürfe, sondern von einem lebendigen Charakter durchdrungen sein müsse. Auch sollten die zu fertigenden Gemälde nicht lediglich als Abbild der Wirklichkeit dienen, sie müssten vielmehr die Vorstellungskraft des Künstlers vermitteln. Für Yeats stand fest  : The word »art« I don’t care much for because it doesn’t mean anything much to me – but I believe that all fine pictures, and fine literature too, to be fine must have some of the living ginger of Life in them.97

Und auch Freud resümierte  : It is this very knowledge of life which can give art complete independence from life, an independence that is necessary because the picture in order to move us must never merely remind us of life, but must acquire a life of its own […].98

Die Arbeitsweisen und Selbstaussagen der Künstler belegen ihren jeweiligen Anspruch, die Malerei als fortwährendes Studium und den Akt des Malens als Kernelement ihrer Tätigkeit zu begreifen. In einer Ansprache an junge Kunststudierende der Dubliner Metropolitan School of Art führte Yeats diesen prozesshaften Charakter des Berufes vor Augen  : »[…] painters are students all their lives. Their calling makes them study all things […].«99 Freud wiederum betonte, dass die Entstehung des Werkes wichtiger sei als das fertige Bild  : »Thus the process of creation becomes necessary to the painter perhaps more than is the picture.«100 Die Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten lässt uns erkennen, dass Yeats’ Werke, anders als oft angenommen, nicht in der regionalen Isolation entstanden und – vor allem – nicht ohne Resonanz blieben.101 Indem Yeats’ Schaffen in der Vergangenheit wiederholt vor einem dezidiert nationalen Tableau besprochen wurde, vernachlässigte man dessen Kontextualisierung innerhalb globaler künstlerischer Positionen sowie innerhalb

 96 Freud 2001, S. 282.  97 Brief Jack B. Yeats an Quinn, 7. September 1906, unpubliziert, NYPL, Quinn, Box 49.  98 Freud 2001, S. 282.  99 Yeats zitiert in Irish Times  : Metropolitan Arts School. Exhibition of Student’s Work. Mr. Yeats’s Advice to Painters, 24. November 1936, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/3. 100 Freud 2001, S. 283. 101 Siehe etwa Arnold 2011, S. 29. Arnold schreibt dort  : »Yeats had no followers«  ; ähnlich auch Kennedy 1992, S. 28, der behauptet, Yeats habe keinen Einfluss auf die irische Moderne genommen  ; jedoch hat bereits Pyle darauf hingewiesen, dass Yeats Einfluss auf spätere Maler:in­ nengenerationen, irische wie britische, ausübte. Sie nennt hier le Brocquy und Frank Auerbach als Beispiele. – Vgl. Pyle 1993b, S. 101.

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einer figurativen Moderne.102 Die vergleichende Betrachtung von Yeats, Sickert und Freud hat allerdings gezeigt, dass der Ire nicht nur innerhalb internationaler Strömungen agierte, sondern dass er darüber hinaus auch als wichtiger Impulsgeber fungierte. 7.2.2 »You alone can to-day tell […] such touching stories  !«103 Jack B. Yeats und Oskar Kokoschka Die Gegenüberstellung des Yeats’schen Œuvres mit dem anderer Künstler:innen stellt ein geeignetes Mittel dar, um den Blick auf seine Arbeiten zugunsten neuer Erkenntnisse multiperspektivisch zu weiten. Mit Kokoschka lässt sich ein weiterer Maler anführen, der in seinem Plädoyer für das Gegenständliche als zeitgenössisches Pendant zu Yeats begriffen werden kann. In der Yeats-Literatur wurden diese Parallelen aufgrund der Tatsache, dass die beiden sich kannten und wertschätzten, bereits mehrfach kursorisch umrissen.104 Jedoch ist eine ausführliche Untersuchung des Kontaktes sowie des künstlerischen Austausches bisher ausgeblieben. Eines der hauptsächlichen Defizite stellt dabei das Fehlen eines reziproken Ansatzes dar, wurden doch hinsichtlich möglicher Einflüsse bisher ausschließlich Yeats’ mutmaßliche Bezugnahmen auf Kokoschka ins Visier genommen. Die einzige Ausnahme bildet ein innerhalb der Yeats-Literatur mehrfach erwähnter Brief Kokoschkas aus dem Jahr 1956, der sich im Yeats Archive erhalten hat. Darin drückt der Künstler seine Bewunderung für Yeats aus.105 Eine eingehende Analyse von Kokoschkas Beschäftigung mit dem Wirken des Iren ist bis dato jedoch nicht erfolgt. Der Grund hierfür muss auch darin gesehen werden, dass die Kokoschka-Forschung bislang keine Kenntnis vom Austausch der beiden Künstler besitzt,106 wofür auch der Österreicher mitverantwortlich gemacht werden kann, der Yeats in seiner Autobiografie unerwähnt ließ.107 Die Yeats-Forschung wiederum orientierte sich lediglich an den im englischsprachigen Raum zugänglichen Materialien und zog sich im Übrigen 102 Das kritisierte jüngst auch O’Donnell 2019. 103 Brief Kokoschka an Yeats, 11. November 1956, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/5/ 2/26. 104 Erwähnungen finden sich etwa bei Arnold 1998a, S. 220 f.; Halpin 1986, S. 31  ; Kennedy 1991b, S. 28 oder Pyle 1989, S. 172. 105 Vgl. Brief Kokoschka an Yeats, 11. November 1956, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/ JY/5/2/26. 106 In der Forschung wird allein Kokoschkas Affinität für W. B. Yeats erwähnt. – Siehe etwa Spielmann 2003, S. 417. Die Bekanntschaft mit Jack B. Yeats jedoch ist in der Kokoschka-Literatur bis dato nicht vermerkt. 107 Vgl. Kokoschka 2008. Für Kokoschka war es üblich, künstlerische Begegnungen und mögliche Bezugnahmen auszublenden, um seinen eigenen Ruhm nicht zu schmälern  ; im Übrigen wies auch Yeats jegliche Einflussnahme Kokoschkas zurück, siehe Halpin 1986, S. 31. Mit dieser Aussage bezieht sich Halpin auf die unpublizierte Dissertation von Martha Belle Caldwell zu dem Thema Jack Butler Yeats. Painter of Life in the West of Ireland, Indiana University, 1970, S. 27.

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darauf zurück, einmal untersuchte Aspekte unhinterfragt anzuerkennen. So wurden etwa wiederholt die 2009 von Giovanna Tallarico verfassten Annahmen als maßgeblich herangezogen,108 was insofern überrascht, als ihre Überlegungen Ungenauigkeiten, inkorrekte Übernahmen aus der Sekundärliteratur und falsche Schlüsse aufweisen.109 Auf der Grundlage meiner Recherchen im Yeats Archive, in den Archiven des Trinity College, im Wiener Oskar Kokoschka Zentrum sowie in der Zentralbibliothek Zürich möchte ich diesem Desiderat begegnen und die Verbindung der beiden Künstler eingehend anhand von Briefen und anderen Originalmaterialien untersuchen.110 In diesem Zusammenhang sollen auch exemplarische Werke der Maler besprochen werden, um hierdurch mögliche künstlerische Interdependenzen zu eruieren. Für die Annäherung an diesen Gegenstand steht zunächst die zentrale Frage im Raum, für welchen Zeitpunkt das Kennenlernen der beiden Künstler angenommen werden darf. Dieser Angelegenheit soll vor allem deshalb nachgegangen werden, weil sich zu diesem Aspekt widersprüchliche Angaben in der Literatur finden. So wurde der Zeitraum der ersten Begegnung sehr weit gefasst und nicht selten, wie etwa von Patricia Boylan, rein spekulativ ermittelt. Ohne Angabe von Quellen vermutete sie, dass Yeats »a stimulating visit to Oskar Kokoschka in Dresden some time between the years 1919 and 1924«111 unternommen habe. Ihre wissenschaftlich wenig haltbare Behauptung ist dabei der Tatsache geschuldet, dass sie in der Begegnung einen geeigneten Grund für Yeats’ Stilwechsel auszumachen suchte  : »It is true that it was after his [Yeats’, Verf.] visit to Dresden that he started to paint his big colourful, mysterious, romantic canvases.«112 Und auch Arnold hielt es für plausibel, dass die Bekanntschaft der Maler auf die 1920er Jahre zurückging. Allerdings vermutete er diese Begegnung vielmehr in Dublin, was deutlich wahrscheinlicher ist.113 108 Vgl. Tallarico 2009. Die Yeats-Literatur zitiert, offenbar in Ermangelung eigener Erkenntnisse, wiederholt Tallaricos Aufsatz. Jüngst ist hier etwa Kennedy 2019b, S. 120 zu erwähnen. 109 So behauptet Tallarico etwa Ausstellungsbesuche für Yeats, die so wahrscheinlich nie stattgefunden haben. Darüber hinaus gibt sie Quellen an, aus denen die in ihrem Text gegebenen Informationen nicht hervorgehen, wie sie überhaupt falsch paraphrasiert. So verortet sie die 1926er Yeats-Ausstellung nicht im Radical Club, sondern im Rebel Art Centre, dem 1914 durch die Vortizisten gegründeten Expositionsort, der 1926 gar nicht mehr existierte. Zudem machte sie aus dem United Arts Club die Society of Dublin Painters. Letztlich wertete sie auch Archivmaterialien falsch aus, etwa, indem sie Jahreszahlen fehlinterpretierte. All diese falschen Angaben führen die Leserschaft zwangsläufig in die Irre. 110 Hier möchte ich mich ausdrücklich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive für die Unterstützung bei der Recherche bedanken. Ein besonderer Dank geht an die Leiterin des Oskar Kokoschka Zentrums in Wien, Dr. Bernadette Reinhold, die mir bei meinen Rechercheanfragen sehr geholfen und mir darüber hinaus wertvolle Hinweise geliefert hat. 111 Vgl. Boylan 1988, S. 131  ; aus den sämtlichen Unterlagen, die sich im Yeats Archive befinden und die seine Reisestationen gut nachvollziehbar machen, geht keine Reise nach Dresden hervor. 112 Boylan 1988, S. 132. 113 Vgl. Arnold 1998a, S. 221 f.

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So geht aus Kokoschkas Briefwechsel mit seiner damaligen Freundin, Anna Kallin, hervor, dass er im Sommer 1928 mit dem Auto und dem Zug eine Rundreise durch Irland unternahm. Seine Route führte ihn vom Süden (Killarney) in den Westen (Galway) Irlands, dann nach Dublin, wo er im Gresham Hotel unterkam, und schließlich in den Nordwesten, auf die Achill Island.114 Obwohl Kokoschka Irland als »gut zum Malen«115 empfand, blieb die Reise aufgrund des schlechten Wetters, über das er sich konstant beklagte, und des Fehlens von »Stubenmädchen, Milchmädchen, Fischerinnen und Hirtinnen«116 in künstlerischer Hinsicht unproduktiv. Lediglich auf Achill Island begegneten ihm, seiner romantisierenden Irlandvorstellung entsprechend, »lauter Riesinnen […] auf dem Hinterteil von ungesattelten Pferden und Eseln«117, die er aber, einmal mehr wegen des Dauerregens, nicht malen konnte. Seine Reiseziele sowie sein ›urtümliches‹ Bild von Irland legen nahe, dass er mit den Ideen des Celtic Revival sowie den Bildern des irischen Westens, wie sie von Henry, Yeats und anderen geschaffen wurden, vertraut war. Es kann daher kein Zufall sein, dass Kokoschka, der sich zu dieser Zeit für Archäologie begeisterte, diesem altertümlichen Interesse auch in Irland nachging. Während er im Westen vorzeitliche Fortanlagen und Menhire studierte,118 besuchte er in der Grafschaft Meath die Ausgrabungsstätten in Loughcrew, was durch eine Fotografie belegt ist, die ihn gemeinsam mit dem ebenfalls aus Österreich stammenden, zwischen 1927 und 1939 am Irischen Nationalmuseum tätigen Archäologen Adolf Mahr zeigt.119 Darüber hinaus ist bekannt, dass Kokoschka den United Arts Club besuchte, offenbar um dort mit führenden irischen Künstler:innen in Kontakt zu treten.120 In diesem Zusammenhang darf vermutet werden, dass er Jack B. Yeats als zentrales Mitglied des Klubs getroffen haben könnte. Auf jeden Fall ist aber davon auszugehen, dass ihm das Werk des Iren, den man Ende der 1920er Jahre als wichtigsten irischen Maler feierte, geläufig war.121 Zwar fanden 1928 keine Ausstellungen in Dublin statt, allerdings hätte 114 Vgl. Briefe Kokoschka an Kallin vom 24. Juni bis 20. Juli 1928, abgedruckt in Kokoschka 1985, S.  204 – 207. 115 Brief Kokoschka an Kallin, 24. Juni 1928, abgedruckt in Kokoschka 1985, S. 204. 116 Brief Kokoschka an Kallin, 29. Juni 1928, abgedruckt in Kokoschka 1985, S. 205. 117 Brief Kokoschka an Romana und Bohuslav Kokoschka, 20. Juli 1928, abgedruckt in Kokoschka 1985, S. 206. 118 Vgl. Brief Kokoschka an Romana und Bohuslav Kokoschka, 20. Juli 1928, abgedruckt in Kokoschka 1985, S. 206. 119 Vgl. O’Donoghue 2014, S. 30. Mahr trat 1933 der NSDAP bei und hatte ab 1934 das Amt des Vorsitzenden der NSDAP-Auslandsorganisation in Irland inne. Um sich nicht zu belasten, ließ er das Foto im Nachgang der Stigmatisierung Kokoschkas als ›entarteter‹ Künstler verschwinden. Die Fotografie ist erst später im Mahr-Archiv des Irish National Museum wiederentdeckt worden. 120 Vgl. Boylan 1988, S. 131. Boylan bezieht sich hier auf eine Aussage des Malers Harry Kernoff, der sich an den Besuch Kokoschkas im Klub erinnerte. Leider gibt sie keine Quelle an. 121 Einige von Kokoschkas und Yeats’ Arbeiten wurden 1927 in der Februar-Ausgabe der USamerikanischen Zeitschrift The Dial reproduziert (Kokoschka  : Beach at Biarritz  ; Yeats  : Dublin

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Kokoschka bereits 1926, als er sich von Februar bis September in London aufhielt,122 die Möglichkeit gehabt, Yeats’ Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen.123 Vorstellbar ist, dass er etwa die mit internationalem Kritikerlob überhäufte Ausstellung Paintings of Irish Life by Jack B. Yeats, die im April 1926 in der Arthur Tooth & Sons Gallery ausgerichtet wurde, wahrnahm. Dafür spricht, dass diese auch in der Kunstzeitschrift Der Cicerone, und damit in der deutschsprachigen Presse, überschwänglich rezensiert wurde,124 wodurch Kokoschkas Aufmerksamkeit für den Iren geweckt worden sein könnte. Unabhängig davon, ob sich die Maler tatsächlich bereits zu diesem Zeitpunkt begegnet sind, ist anzunehmen, dass sie mit dem Werk des jeweils anderen vertraut waren. Für Yeats lässt sich die Kenntnis der Bilder des Österreichers daraus ableiten, dass er den 1930 vom Spectator gezogenen Vergleich seiner freien Malweise mit Kokoschkas »vitality« mit Bleistift in seinen Zeitungsausschnitten markiert hat.125 Dabei legt die händische Hervorhebung nahe, dass Yeats die hergestellte Parallele durchaus nachvollziehen konnte. Allerdings möchte ich der in der Literatur wiederholt vorgetragenen Annahme widersprechen, wonach Yeats in der Auseinandersetzung mit Kokoschkas Arbeiten seinen Stil drastisch verändert habe.126 Wie bereits mehrfach deutlich wurde, plädiere ich hinsichtlich seines Schaffens vielmehr für einen konstanten und zudem früher einsetzenden Wandel, der im Zusammenhang mit einem permanenten Austausch mit dem globalen Kunstgeschehen zu sehen ist. Ein nachweisliches Kennenlernen der beiden Künstler lässt sich indes erst in den 1940er Jahren ausmachen, wobei auch hier der genaue Zeitpunkt nicht sicher zu ermitteln ist, wenngleich dieser, meinen Recherchen zufolge, zwischen Ende 1943 und Ende 1946 anzusetzen ist. Ein wichtiges Zeugnis hierfür stellt die Aussage Victor Waddingtons dar, in dessen Dubliner Kunsträumen in der 8 South Anne Street Yeats ab Newsboys, Fair Day und The Funeral of a Republican). Yeats besaß Ausschnitte dieser Ausgabe, wie aus seinen Zeitungsausschnitten hervorgeht, und könnte dadurch auch mit dem Werk Kokoschkas in Berührung gekommen sein. – Vgl. ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. Das Gleiche darf möglicherweise für Kokoschka angenommen werden, der ebenfalls die meisten Veröffentlichungen zu seiner Person sammelte. Allerdings findet sich die Zeitschrift nicht im Archiv des Oskar Kokoschka Zentrums. – E-Mail-Korrespondenz mit Bernadette Reinhold und Bettina Buchendorfer im Juni 2022. 122 Vgl. Spielmann 2003, S. 517. 123 1926 war Yeats in London an drei Ausstellungen beteiligt, an der Einzelschau in der Arthur Tooth & Sons Gallery (April 1926) und an zwei Gruppenexpositionen in der Goupil Gallery (März 1926) und im Radical Club (Mai 1926). – Vgl. Pyle 1989, S. 205 und 212. 124 Vgl. Bodmer 1926, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2  ; zur Ausstellung siehe Ausst.-Kat. London 1926. 125 The Spectator  : Art, 5. Juli 1930, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 1930 wird Yeats’ Werk auch noch in zwei weiteren Rezensionen mit Kokoschkas Ansatz verglichen, siehe Earp 1930 und Manchester Guardian  : Mr. Jack Yeats’s Pictures, 25. Juni 1930, ebenfalls abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/2. 126 So etwa Boylan 1988, S. 132 oder Tallarico 2009.

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November 1943 regelmäßig ausstellte. In einem Gespräch mit der Kunsthistorikerin Dymna Halpin gab der Galerist an, dass sich die Maler über seine Vermittlung und auf Wunsch Kokoschkas begegnet seien  : Victor Waddington described how Yeats and Kokoschka met. Kokoschka was staying in Dublin with Victor Waddington and saw a picture by Yeats in his Gallery, and said, »I didn’t know there was a painter alive who could paint like that. I would like to meet him«. And so Waddington arranged that Kokoschka should go and see Yeats. They got on very well together and met very often after that, and Yeats brought Kokoschka to see the Regatta in Islandbridge. Waddington said that Yeats affected Kokoschka’s approach to painting so such that when he returned to England Kokoschka tried to paint in the same poetic style as Yeats, but couldn’t, and gave up painting for a year.127

Es ist auffällig, dass Waddington betonte, Yeats habe Kokoschka in eine Schaffenskrise getrieben. Diese Aussage ist offenkundig der Tatsache zuzuschreiben, dass Kriti­ker:in­ nen zuvor wiederholt die entgegengesetzte Einflussnahme, nämlich die von Kokoschka auf Yeats, behauptet hatten.128 Der Galerist vertrat hingegen eine umgekehrte Position, indem er die Eigenständigkeit seiner Werke und das nachahmungswürdige Potenzial seiner Arbeiten hervorhob. Waddington zufolge schienen sich die Maler auf Anhieb gut zu verstehen, was sich nicht nur mit der ähnlichen, expressiv gehaltenen Malweise sowie mit dem gegenständlichen Ansatz ihrer Arbeiten erklären lässt, sondern auch mit einem verwandten Künstlerselbstverständnis. Schließlich traten beide als Dramatiker, Schriftsteller, Illustrator und Maler in Erscheinung. Darüber hinaus appellierten sie bei Kunstschaffenden und beim Publikum gleichermaßen an eine sehende Bildannäherung. Aus Yeats’ Modern As­ pects (1922) sowie aus Kokoschkas Überlegungen für seine 1953 in Salzburg eröffnete Schule des Sehens gehen demgemäß bemerkenswert übereinstimmende Ansätze hervor. Die wichtigsten Gemeinsamkeiten lassen sich wie folgt zusammenfassen  : die geforderte Ablehnung der abstrakten Malweise, die proklamierte Hinwendung zur Natur und zum Gegenständlichen, die gewünschte Aktivierung des Sehsinnes bei Künstler:innen wie bei Laien, die konstatierte Verortung des Kunstschaffens innerhalb der Gesellschaft sowie die von beiden vertretene Annahme, dass die Malerei als Medium für sich stehe und keiner Übersetzung in Worte bedürfe.129

127 Halpin 1986, S. 41 f.; auch Kennedy schreibt, dass sich die Künstler in den 1940er Jahren über Waddingtons Vermittlung kennenlernten. – Vgl. Kennedy 1991b, S. 28. 128 Siehe etwa Read 1942, S. 50  : »[…] the paint is slashed on in a frenzy which can only (in technical jargon) be called ›expressionist‹, and it is to expressionist painters such as Oskar Kokoschka that we must go for an adequate comparison.«  ; New Statesman  : London Exhibitions, 10. Januar 1942, abgeheftet in ZA, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/2/4 sowie Irish Times  : Finds Inspiration in Irish Scenes, 9. Juni 1945, S. 4. 129 Siehe hierzu Yeats 1922c und Kokoschka 1953.

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Eine auffällige Parallele stellt auch die Metapher vom »juggler« dar, die die Künstler völlig unabhängig voneinander für die Idee einer mechanischen Malweise anwandten. So bezeichnete Yeats in den Modern Aspects die als unecht empfundene Herangehensweise an den Schaffensprozess, die er im bloßen Kopieren sowie im naturabgewandten Werkvorgang ausmachte, als »trick of juggling« (M. A., 1). Kokoschka wiederum schrieb 1948 an James S. Plaut, dass seine Kunst nicht von der Übernahme fremder Stile geprägt, sondern vielmehr von seinem eigenen Zugang zur Welt bestimmt sei  : I never intended to entertain my contemporaries with the tricks of a juggler, in the hope of being recognized as an original. I simply wanted to create around me a world of my own in which I could survive the progressive disruption going on all over the world.130

Was den Kontakt der Künstler betrifft, so ist sicher, dass sich an das von Waddington beschriebene Treffen eine bis zu Yeats’ Tod andauernde Freundschaft anschloss, die dank der Archivmaterialien in Stationen nachgezeichnet kann. So ließ Kokoschka seinem irischen Kollegen über Waddington Ende 1946 Neujahrsgrüße zukommen. Dies geht aus Yeats’ Antwortschreiben vom 22. Januar 1947 hervor, das in der ZBZ aufbewahrt wird. Darin bedankte er sich für eine übersandte Zeichnung  : »Thank you indeed for your magnificent drawing which Mr. Victor Waddington has handed to me. I am proud to have it.«131 Eine genauere Bezeichnung der Grafik ist in Yeats’ Adressbuch neben Kokoschkas Anschrift sowie dem Jahresvermerk 1947 vermerkt  : »He sent me through Waddington a Cruxifiction [sic] drawing.«132 Leider befindet sich die Zeichnung nicht im Yeats Archive, sodass wir heute nur schwer nachvollziehen können, um welches Objekt es sich gehandelt haben könnte. Allerdings ist es naheliegend, in der Grafik eine von Kokoschkas Neujahrsgrußkarten zu vermuten, die er ab 1945 an viele Personen verschickte. Zwar handelte es sich dabei nicht um Zeichnungen, sondern um Lithografien, jedoch ist davon auszugehen, dass Yeats mit der Bezeichnung »drawing« vielmehr auf die grafische Anmutung der Arbeit abstellte als auf die tatsächliche Technik. Bei den betreffenden Karten handelte es sich um verkleinerte Varianten zweier politischer Drucke, die Kokoschka ab 1945 in Umlauf brachte. Für die erste Darstellung hatte er zum Zweck einer groß angelegten Londoner Plakataktion eine Lithografie als Grundlage angefertigt, die einen vom Kreuz herabgebeugten Christus zeigt, der unter ihm stehenden, hungernden Kindern die Hand reicht.133 Betitelt ist die Grafik, die auf das Elend der Kinder im Nachkriegseuropa aufmerksam macht, mit folgenden Zeilen  : 130 Brief Kokoschka an Plaut, 13. Mai 1948, in  : Kokoschka 1986, S. 205. 131 Brief von Jack B.Yeats an Kokoschka, 22. Januar 1947, unpubliziert, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 393.43. 132 AB, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/3-2  ; Tallarico nennt hier irrigerweise das Jahr 1944/45. – Vgl. Tallarico 2009, S. 105. 133 Vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 206 – 209 sowie Reinhold 2022, S. 174 ff. Motivisch lehnte sich Kokoschka an die ihm bekannte, auf der Prager Karlsbrücke stehende Skulptur von Matthias Braun an.

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»In Memory of the Children of Europe Who Have to Die of Cold and Hunger This Xmas«. Das zweite, ebenfalls 1945 entworfene Motiv verknüpft erneut ein christliches Sujet mit einem aktuellen Bezug und war als Titel für das Programmheft eines Konzertes gedacht, das zu Ehren österreichischer Komponisten in der Londoner Albert Hall ausgerichtet wurde.134 Vor einem mit »INRI. Xmas in Vienna  !« beschrifteten Kreuz ist dort eine weinende Mutter dargestellt, die, wie Bernadette Reinhold angemerkt hat, »ihr schwaches, mit den Stigmata Christi versehenes Kind in Händen« hält, das »durch den Krieg und seine verheerenden Folgen zum Sterben verurteilt«135 ist. Anlässlich der beiden Aktionen schrieb Kokoschka am 20. November 1945 an den befreundeten Kunstkritiker Josef P. Hodin  : »Beide Zeichnungen werden außerdem noch in vielen tausenden [Exemplaren] noch [sic] als Neujahrsgratulationen verkleinert in die ganze Welt versandt.«136 Da Yeats’ Notiz die Kreuzigung dezidiert erwähnt, gehe ich davon aus, dass Kokoschka ihm nicht das Mutter-Kind-Motiv, sondern die Kreuzigungsdarstellung mit den Not leidenden Kindern zugesandt hatte, die er nach 1945 auch noch anderen Personen, darunter dem österreichischen Schriftsteller und Politiker Viktor Matejka, zukommen ließ.137 Wie ein weiterer, im Yeats Archiv befindlicher Postkartengruß aus dem Jahr 1956 belegt, setzte Kokoschka die Tradition der Übermittlung von Neujahrsglückwünschen an seinen irischen Kollegen fort. Auf der Rückseite der Kunstpostkarte, die recto Kokoschkas Gemälde Venedig, Boote an der Dogana (1924) zeigt, wünschten sowohl Olda als auch Oskar Kokoschka Yeats für das kommende Jahr alles erdenklich Gute.138 Es ist auffällig, dass der Gruß auch von Kokoschkas Frau unterzeichnet wurde, die in dem Austausch von 1947 noch nicht in Erscheinung getreten war. Auf dieser Grundlage lässt sich vermuten, dass Olda Kokoschka Yeats zu einem späteren Zeitpunkt kennengelernt hat. Der genaue Zeitpunkt des Treffens ist, wie meine Auswertung der in der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrten Agenden Olda Kokoschkas erstmals belegt, auf den 10. Juni 1950 zu datieren. Oskar und Olda Kokoschka waren nach Dublin gereist, um der Ausstellungseröffung des Kokoschka-Eleven Philip Moysey (1912 – 91) in Waddingtons Galerie beizuwohnen.139 Der mit »Yeats« vermerkte Tagebucheintrag legt nahe, dass Oskar und Olda Kokoschka Yeats direkt in seinem Atelier besuchten.140 Ein 1973 134 Vgl. Reinhold 2022, S. 175 f. 135 Reinhold 2022, S. 176. 136 Brief Kokoschka an Josef P. Hodin, 20. November 1945, in  : Kokoschka 1986, S. 160. 137 Vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 208. Die Weihnachtskarte ist mit der folgenden handschriftlichen Widmung versehen  : »Lieber Dr. Matejka alles Glück und Erfolg im neuen Jahr 1948 Ihr Oskar Kokoschka.« 138 Vgl. Postkarte Olda und Oskar Kokoschka an Jack B. Yeats, o. D. (Ende 1956), unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/3/2/26. 139 Zum Besuch anlässlich der Moysey-Ausstellung siehe Fotonachweise im Oskar Kokoschka Zentrum. – Vgl. OKZ, Inv.-Nr. OKV/313-329/FP. 140 Vgl. Eintrag Agenda Olda Kokoschka, 10. Juni 1950, unpubliziert, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 72.2.13.

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verfasster Brief Olda Kokoschkas an den irischen Kunsthistoriker Theo Snoddy bestätigt den Besuch im Atelier, bei dem das Ehepaar mehrere Bilder des irischen Künstlers in Augenschein nahm. Zudem berichtete sie in dem Brief von einem gemeinsamen Regatta-Besuch, der im Tagebuch unerwähnt geblieben war  : My husband met Jack B. Yeats through Mr. V. Waddington in Dublin round 1950 – 1. I cannot tell you exactly. We were at his studio and saw many paintings. Yeats was a very correct, charming person. I remember that we went to a regatta together. I think my husband had a great sympathy for his work and for the man himself. We read somewhere that Yeats was an influence on Kokoschka. That is not true and would hardly be possible as Kokoschka hardly knew his work before we came to London, just before the war broke out.141

Sowohl der Tagebucheintrag als auch der Brief lassen vermuten, dass Oskar Kokoschka und Yeats sich erst 1950 begegnet sind. Der bereits einige Jahre früher stattgefundene Austausch der Künstler legt jedoch nahe, dass Olda sich in Bezug auf den Zeitpunkt des Kennenlernens geirrt haben könnte.142 In diesem Zusammenhang verwirrend ist auch die bereits erwähnte Aussage Waddingtons gegenüber Halpin, nach der Kokoschka zum Zeitpunkt des Treffens noch nicht mit Yeats’ Arbeiten vertraut gewesen sei.143 Wie der Briefwechsel belegt, kannten sich Kokoschka und Yeats 1950 jedoch bereits einige Jahre und hatten Werke des jeweils anderen gesehen. Beide Aussagen passen demnach nicht ganz zusammen. Es muss erwogen werden, dass Olda Kokoschkas Fehlurteil insofern intendiert war, als sich durch ein späteres Treffen zugleich Yeats’ potenzieller Einfluss auf Kokoschkas Œuvre in den 1940er Jahren ausblenden ließ. Dabei ist es naheliegend zu vermuten, dass Kokoschkas Auseinandersetzung mit Irland sowie mit der dortigen Kunstszene Spuren in seinem Werk hinterließ. Schließlich war er im Laufe seines Lebens wiederholt auf die Insel gereist und interessierte sich nachweislich für die Kultur des jungen Landes. Darüber hinaus wurden seine Arbeiten ab 1944 mehrmals in Dublin ausgestellt, was die Verbindung zusätzlich verstärkt haben wird. So war er im August 1944 mit einigen seiner Arbeiten an der 141 Brief Olda Kokoschka an Theo Snoddy, 1973, zitiert in Snoddy 1996, S. 567. 142 Bei den Agenden Olda Kokoschkas handelt es sich um ihre persönlichen Tagebücher. Dementsprechend gelten die meisten Einträge ihren eigenen Unternehmungen und Treffen. Was Kokoschkas Besuche und Reisen anbelangt, sind die Vermerke als äußerst lückenhaft zu beschreiben. Hinsichtlich des genauen Zeitpunkts des Kennenlernens von Oskar Kokoschka und Yeats können die Agenden daher nicht als verlässliche Quelle betrachtet werden. 143 Vgl. Halpin 1986, S. 41 f. Waddingtons Aussage, Kokoschka habe Yeats’ Arbeiten Mitte der 1940er Jahre noch nicht gekannt, ist meines Erachtens vorsichtig zu bewerten. Wie bereits dargelegt wurde, hat Kokoschka Irland bereits in den 1920er Jahren bereist und war mit der Kunst und Kultur des Landes vertraut. Denkbar ist jedoch, dass er nur die frühen Werke kannte und von den farbintensiven Arbeiten der 1940er Jahre überrascht war.

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Loan Exhibition of Modern Continental Paintings beteiligt, in der auch Werke Manets und Rouaults präsentiert wurden.144 Die von den Friends of the National Collections of Ireland organisierte Ausstellung hatte das Ziel, das irische Publikum mit der modernen europäischen Kunst vertraut zu machen. Begeistert berichtete die Irish Times von der Teilnahme des »Czech painter« Kokoschka  : Kokoschka, whose early work was bizarre and somewhat chaotic, has become during the last decade one of the best known European artists. […] His most recent landscapes, portraits and still-life are dashing, lyrical and exciting.145

Drei Jahre darauf, 1947, war er auch in der von Waddington organisierten Ausstellung School of London vertreten, wo er neben 31 weiteren in England tätigen Künstler:innen gezeigt wurde und gemeinsam mit Zeitgenossen wie Jankel Adler (1895 – 1949) und Feliks Topolski (1907 – 89) zu den Exilmalern gehörte.146 Unter Bezugnahme auf Waddingtons Schilderung lässt sich vermuten, dass Kokoschka Yeats’ Arbeiten möglicherweise im Rahmen der Ausstellungsvorbereitungen in Waddingtons Sammlung gesehen und den Galeristen daraufhin um ein Treffen mit dem irischen Kollegen gebeten hatte. Sowohl Kokoschkas oben aufgeführter Neujahrsgruß als auch das von Waddington erwähnte Treffen der beiden Künstler stützen die Annahme eines Treffens 1946. Die von Olda Kokoschka benannte Begegnung im Jahr 1950 wäre demnach tatsächlich nicht als die erste (und einzige) zu werten, was zu der Behauptung Waddingtons passen würde, dass beide Maler sich mehr als einmal trafen.147 Wie eng Kokoschkas Verbindung zur Dubliner Kulturszene war, zeigt sich auch daran, dass er den Kontakt zwischen seinem Schüler Phillip Moysey und Waddington herstellte, in dessen Dubliner Galerie der Eleve seine Werke 1948, 1950 und 1953 präsentierte.148 Über Moysey schließt sich wiederum der Kreis zu Yeats, der die Ausstellung, zu der Kokoschka mit seiner Frau im Juni 1950 angereist war, wohl gemeinsam mit ihnen besuchte.149 Die Ausstellungseröffnung fand am 8. Juni statt,150 zwei Tage 144 Vgl. Irish Times  : An Irishman’s Diary, 6. Juli 1944, S. 3. 145 Sidney, Charles  : Modern Czechoslovak Painting, in  : Irish Times, 26. August 1944, S. 2. 146 Vgl. Irish Times  : New Art Gallery Opened, 28. März 1947, S. 6 sowie O’Malley 2011e. 147 »They got on very well together and met very often after that, […]«, Waddington zitiert nach Halpin 1986, S. 41. 148 Zu den Ausstellungsdaten Moyseys in Dublin siehe https://www.whytes.ie/art/jack-yeats-in-oldage/122725/ [17.12.2022]. Moysey war äußerst naturverbunden und lebte aus diesem Grund auch überwiegend in einem Wohnwagen  ; zur Freundschaft Kokoschkas und Moyseys siehe auch Kokoschka 2008, S. 244. 149 Die Information zu Kokoschka, Moysey und Yeats verdanke ich Dr. Bernadette Reinhold, die sie mir am 18. Februar 2020 per schriftlicher Korrespondenz bereitstellte. Im Oskar Kokoschka Zentrum finden sich 17 Schnappschüsse, die Oskar und Olda Kokschka in Dublin sowie in Moyseys Wohnwagen zeigen. – Vgl. OKZ, Inv.-Nr. OKV/313-329/FP. Auf einem der Fotos empfängt Waddington Oskar und Olda Kokoschka am Flughafen (OKZ, Inv.-Nr. OKV/313-325/FP). 150 Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 1950, S. 4.

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bevor die Kokoschkas Yeats in seinem Atelier besuchten.151 Moysey stellte auch insofern ein Bindeglied zwischen den Künstlern dar, als er zu beiden Männern einen engen Kontakt pflegte. So fertigte er 1950 von Yeats Porträtzeichnungen an und schickte ihm von da an regelmäßig Weihnachtsgrüße.152 Und auch Yeats achtete Kokoschkas naturverbundenen Protegé, der ein ungebundenes Dasein in seinem Wohnwagen führte. Das zeigt sich daran, dass der über Achtzigjährige auch Moyseys 1953 stattgefundene Ausstellung besichtigte,153 und das, obwohl er zu dieser Zeit altersbedingt kaum noch an öffentlichen Veranstaltungen teilnahm.154 Kokoschka jedenfalls wird es gefreut haben, dass Moyseys Exposition im Sommer 1950 auf breites Interesse stieß, waren doch neben Waddington und Yeats auch andere wichtige Persönlichkeiten anwesend, darunter MacGreevy.155 Allein die sicher nachzuweisenden Begegnungen im Jahr 1950 sprechen für Kokoschkas eingehendes Interesse an Yeats’ Schaffen. Die Tatsache, dass er zudem mehrere Yeats-Ausstellungen in Dublin und London besichtigte, untermauert diese Annahme zusätzlich. Wie ein undatiertes Foto belegt, das die Maler nebeneinander in einem dicht gedrängten Kunstraum zeigt, wohnte der Österreicher einer von Yeats’ Einzelschauen in Waddingtons Galerie bei (Abb. 112).156 Ein an den Iren adressiertes Telegramm weist darüber hinaus nach, dass sich Oskar und Olda Kokoschka im März 1953 in der Londoner Galerie Wildenstein aktuelle Werke des Freundes angesehen hatten.157 151 Oskar und Olda Kokoschka kamen am 8. Juni in Dublin an und blieben bis zum 13. Juni. Am 9. Juni besuchten sie am Abend den Kunstsammler Sir Basil Goulding (»Goulding ev.«). – Vgl. Eintrag Agenda Olda Kokoschka, 8. bis 13. Juni 1950, unpubliziert, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 72.2.13. 152 Vgl. Karten von Moysey an Jack B. Yeats, 1954 und 1956, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/6/4/5 und Y1/JY/6/4/7  ; zu den Porträtzeichnungen siehe https://www.whytes.ie/art/ jack-yeats-in-old-age/122725/ [17.12.2022] und https://www.whytes.ie/art/portrait-of-jackbutler-yeats-1950/161392/ [17.12.2022]. 153 In Yeats’ Tagebuch aus dem Jahr 1953 finden sich zwischen dem 23. März und dem 4. April mehrere Termineintragungen zu Moyseys Dubliner Ausstellung. So besuchte Yeats am 23. März die »Press View« und am 24. März die »Private View«. Am 4. April vermerkte er das Ende der Ausstellung. Am Ende des Tagebuches führte Yeats noch einmal Kokoschkas Londoner Adresse auf, die er bereits 1947 in seinem Adressbuch aufgeführt hatte, was darauf schließen lässt, dass er mit ihm im konstanten Austausch stand. – Vgl. TB 1953, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.Nr. Y1/JY/4/1/14. 154 Vgl. Irish Times  : An Irishman’s Diary, 23. März 1953, S. 6. 155 Vgl. Foto der Ausstellungsbesucher:innen, OKZ, Inv.-Nr. OKV/313-328/FP. 156 Das Foto ist ohne Datums- oder Archivangabe im Ausst.-Kat. Dublin 2004, der sich Jack B. Yeats  : Amongst Friends widmet, abgedruckt. Das Lichtbild wurde laut Aussage von Prof. Yvonne Scott, die an der Ausstellung beteiligt war, offenbar von Theo Waddington, dem Sohn Victor Waddingtons und Organisator der Exposition, bereitgestellt. – E-Mail-Korrespondenz mit der Verfasserin, 12. Mai 2020. Auf Nachfragen (8. März 2020  ; 12. Mai 2020) bei der heutigen Galerie Waddington Custot in London wurde mir zu den Angaben oder zur Archivherkunft des Fotos keine Auskunft erteilt. 157 Das geht aus Yeats’ Antwortbrief hervor, in dem er sich für das Telegramm bedankte und es

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Abb. 112 Oskar Kokoschka und Jack B. Yeats, 8 South Anne Street, Dublin, o. D.

Die enge Verbindung der beiden Maler sowie Kokoschkas Wertschätzung für Yeats wird ein weiteres Mal durch eine im Juli 2022 im Auktionshaus Koller Auctions angebotene Zeichnung Kokoschkas belegt, die der Forschung bis dato nicht bekannt war. Die 322 × 256 mm messende Grafik mit dem Titel St. Patrick zeigt einen mit einem Kleeblatt bekrönten Heiligen Patrick und ist mit »for Jack’s home coming from Oskar« beschriftet (Abb. 113).158 Neben der Figur des Heiligen ist eine Schlange abgebildet, die Patrick der Legende nach aus Irland vertrieben hatte. Die humorvolle Farbstiftzeichnung ist mit hastigem Strich gefertigt und vom Auktionshaus auf den Zeitraum 1947 – 56 datiert worden. Berücksichtigt man die bereits bekannte Korrespondenz der Künstler, dann lässt sich die Datierung bestätigen und zeitlich nach der Kreuzigungsgrußkarte von 1946 einordnen. Ein Dankesbrief von Yeats, der konkreten Aufschluss bedauerte, nicht in London gewesen zu sein, um die beiden zu treffen. – Vgl. Brief Jack B. Yeats an Oskar und Olda Kokoschka, unpubliziert, 8. April 1953, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 393.43. 158 Siehe Koller Auctions, Lot 3276*, A201 Impressionist & Modern Art, 1. Juli 2022  : https:// www.kollerauktionen.ch/en/509306----------1201-OSKAR-KOKOSCHKA.-St.-Patrick.-­ 1201_509306.html?RecPos=76 [17.12.2022].

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Abb. 113 Oskar Kokoschka, St. Patrick, 1947 – 56, Farbstift auf Papier, 322 × 256 mm, Privatbesitz.

über das Datum der Übersendung geben könnte, ist nicht bekannt. Jedenfalls wird aus der persönlich formulierten Freundschaftsbekundung deutlich, dass Kokoschka sowohl der irischen Kultur als auch Yeats äußerst verbunden war. Wie sehr Kokoschka den Malerkollegen schätzte, geht letztlich aus einem Brief vom 11. November 1956 hervor, der an »Jack B. Yeats the greatest painter (may-be the last  !)«159 adressiert ist. Der Brief ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen verdeutlicht er Kokoschkas Kenntnis des Yeats’schen Œuvres, zum anderen führt er vor Augen, dass der Österreicher in dem Iren einen Gleichgesinnten sah, der sich der individuellen Wiedergabe seiner Lebenswelt verpflichtet fühlte  : Yesterday young Bigelove [?], the American who had visited you at Dublin, came to see us and you can imagine how lovingly we both and my wife, who later joined us, talked about you. To enhance the pleasure of your spiritual presence, he had the good idea to bring your painting with him, you know that one with the two men meeting in the country on a 159 Brief Kokoschka an Jack B. Yeats, 11. November 1956, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/5/2/26.

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heath or dale, one with hat, the other one with ruffled black hair and leery eyes, but the air was so much Irish and tension between the two so vivid, that one could spinn [sic] the yarn on and on for oneself without a verbally written story to support it. Olda and I […] hope that with the spring coming, we may see you, visit you again at Dublin as we may have to go to England. From London to Dublin it is just as flying through an open window into the open air. Please, after having had your rest, let your unruly soul for another turn out in the wonderfull [sic] world of your sagas and take up painting again  ! You alone can to-day tell in painting such touching stories […]  !160

Yeats’ hier besprochenes Gemälde Two Travellers (1942) diente Kokoschka offenbar als Paradebeispiel einer sich selbst vermittelnden Kunst,161 wie er sie drei Jahre zuvor anlässlich der Eröffnung der Schule des Sehens gefordert hatte  : Die bildende Kunst ist eine Sprache in Bildern, sichtbaren oder greifbaren Zeichen, ein Wissen um erfahrungsgemäße Bildungen, begreifbar, mittels welcher die Vision des Künstlers dem Nächsten, den Kommenden zum Erlebnis eines gemeinsamen Menschentums und Daseins wird.162

Kokoschka zufolge bedarf Yeats’ Kunst keiner Übersetzung in Worte, gelingt es ihr doch mittels ihres imaginativen Charakters, Geschichten zu erzählen. Bei dem Brief handelt es sich um das letzte längere Schreiben an den irischen Künst­ ler,163 der im Frühjahr 1957 starb. Zu dem von Kokoschka angedeuteten Besuch kam es nicht mehr. Allerdings plante der Österreicher, wie meine Recherchen ergeben haben, Yeats zu Ehren eine Retrospektive in München ausrichten zu lassen. Dies geht aus einem der Literatur bis dato unbekannten Brief Lord Killanins an Thomas M ­ acGreevy vom 12. April 1957 hervor, in dem es heißt  : Last week when I was in London I was with Oskar Kokoschka whom I had not realised was a great personal friend of Yeats’. He feels very strongly that there should be a Yeats memorial exhibition in Munich and is going to use all his power and influence to arrange this.164 160 Brief Kokoschka an Jack B. Yeats, 11. November 1956, unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/ JY/5/2/26. 161 Jack B. Yeats, Two Travellers, 1942, Öl auf Leinwand, 92 × 123 cm, London, Tate Gallery. 162 Kokoschka 1953, S. 223. 163 Olda und Oskar Kokoschka schickten Yeats Ende 1956 noch den bereits erwähnten kurzen Neujahrsgruß  : »Greetings and best wishes for 1957. Olda and Oskar Kokoschka«. – Vgl. Postkarte Olda und Oskar Kokoschka an Jack B. Yeats, o. D. (Ende 1956), unpubliziert, Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/3/2/26. 164 Brief Lord Killanin an Thomas MacGreevy, 12. April 1957, unpubliziert, TCD, MacGreevy, Inv.-Nr. MS 8149/74.

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Auch wenn die angedachte Ausstellung, die das Renommee des irischen Künstlers in Deutschland befördern sollte, schließlich nicht realisiert wurde, wird hierdurch doch die große Wertschätzung deutlich, die Kokoschka für den Kollegen empfand. Dass diese Anerkennung auch über Yeats’ Tod hinaus anhielt, führt ein Interview vor Augen, dass Kokoschka 1961 anlässlich der Ausstellung von Yeats’ Frühwerk in Waddingtons – inzwischen nach London verlagerter – Galerie gab. Darin betonte er eindrücklich das Vermächtnis seines verstorbenen Freundes  : »Yeats was an outsider who did not follow or belong to any school. All his work bears the mark of fantastic imagination and individuality.« Auf die Frage, welche von Yeats’ Werkphasen seines Erachtens die beste gewesen sei, meinte er anerkennend  : »As long as he was alive.«165 Es ist bemerkenswert, dass Kokoschka auf Yeats’ »individuality« abstellte, legte der Ire doch tatsächlich Wert auf eine voraussetzungslose Erscheinung seines Werkes. Die Behauptung von Yeats als einem isoliert arbeitenden Künstler entsprach, wie bereits demonstriert wurde, kaum dessen tatsächlicher Produktionsweise, sondern diente vielmehr dem ausgestellten Ideal eines unabhängigen Künstlertums. Gerade der Hinweis auf Yeats’ Außenseiterstatus sagt letztlich aber mehr über Kokoschka als über Yeats aus. Schließlich stilisierte sich der Österreicher im Laufe seines Schaffens wiederholt als ein jenseits anerkannter Kunstsysteme agierender Individualist. Als beispielhaft hierfür kann gelten, dass er zu Beginn seiner Karriere die Wahrnehmung seiner Person als »Oberwildling«166 geschickt für sich zu nutzen wusste, indem er sich mit kahl geschorenem Kopf fotografieren ließ, um sich auf diese Weise als radikaler Künstler zu inszenieren.167 Nach 1945 wiederum positionierte sich Kokoschka mit der strikten Ablehnung der Abstraktion und der Forderung nach Gegenständlichkeit erneut außerhalb proklamierter Kunst­ideale.168 Wie seine Äußerung verrät, sah er in Yeats offenbar einen Verbündeten, dessen künstlerischen Ansatz er ebenfalls am Rande des Mainstream verortete. Vor dem Hintergrund der empfundenen Ausgrenzung lässt sich denn auch das Engagement beider Maler für eine internationale Anerkennung parallel setzen. Demgemäß versprachen sich sowohl Yeats als auch Kokoschka durch die Präsentation ihrer Arbeiten in den USA eine Steigerung ihrer Bekanntheit.169 Für beide stellten die von 165 Kokoschka zitiert in Time  : Irishmen as They Are, 21. April 1961, 77  :17, S. 78. 166 Der Schriftsteller und Kunstkritiker Ludwig Hevesi bezeichnete Kokoschka 1909 im Kontext der Wiener Kunstschau 1908 als »Oberwildling«. – Vgl. Hevesi 1909, S. 313  ; dass Kokoschka mit dieser Zuschreibung spielte, zeigt sich auch daran, dass er in seiner Autobiografie die Betitelung »Oberwilding« erneut aufgriff und damit selbst den Mythos vom Außenseiter fortschrieb. – Vgl. Kokoschka 2008, S. 52. 167 Zur fotografischen Selbstinszenierung Kokoschkas siehe etwa Ausst.-Kat. Wien 2013. 168 Diese Position ist seinen Grundgedanken zur Schule des Sehens zu entnehmen. – Vgl. Kokoschka 1953  ; zur kunsthistorischen Einordnung von Kokoschkas ablehnender Haltung gegenüber der abstrakten Kunst nach 1945 siehe auch Bonnefoit/Reinhold 2010, S. 44 ff. 169 Zu Kokoschkas Bemühungen, seine Kunst in den USA bekannt zu machen, siehe Bonnefoit 2019, S. 215 f.

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James S. Plaut organisierten Wanderausstellungen – für Kokoschka 1948, für Yeats 1951/52 –,170 die im Bostoner Institute of Contemporary Art ihren Auftakt hatten, ein wichtiges Moment der Vermarktung ihres Schaffens dar. Als eine weitere Gemeinsamkeit im Kampf um künstlerisches Ansehen sind darüber hinaus die von Yeats und Kokoschka forcierten Monografieprojekte zu nennen. Sowohl Yeats’ Beteiligung an dem ihm zugedachten, von MacGreevy verfassten Buch Jack B. Yeats. An Appreciation and an Interpretation als auch Kokoschkas intensive Auseinandersetzung mit der Autorin seiner ersten englischsprachigen Monografie, Edith Hoffmann, belegen das starke Interesse der Maler, das Narrativ ihrer Künstlerpersona aktiv mitzugestalten.171 Dass Yeats und Kokoschka nicht nur in theoretischen Überlegungen und Vorstellungen zu künstlerischen Positionen übereinstimmten, belegt eine frühe visuelle Gegenüberstellung ihrer Werke. Von November bis Dezember 1961 zeigte die Dubliner Municipal Gallery of Modern Art Werke aus der Sir Basil Goulding Collection, wobei die Ausstellung mit Arbeiten von Yeats, Kokoschka, Jean Lurçat (1892 – 1966), Camille Souter (1929 – 2023), le Brocquy oder Patrick Scott die internationale Moderne mit der irischen vereinte.172 Der Fokus der Präsentation lag James White zufolge jedoch auf den Bildern von Kokoschka und Yeats. In der Irish Times äußerte er sich ausführlicher zu den Gemeinsamkeiten der beiden Maler  : The exhibition is formed around Yeats and Kokoschka. They dominate the largest of the rooms with their rich impasto of reds and yellows, proclaiming in both cases an extension into the realm of fantasy which overlays the deliberate statement of theme and figure. Side by side, we see the landscapes and romantic genre pictures apparently lighting each other up with shafts of colour which carry us deep into lower reaches of the Thames (Kokoschka) or swiftly flowing down the river at Drumcliffe (Yeats). To turn from Yeats’s great »My Beautiful, My Beautiful« – surely one of the masterpieces of the 20th century – to Kokoschka’s portrait of M. Issep is to find an affinity between the two artists which would startle the European student. Is it, perhaps, stretching national partiality too far to add that Yeats comes up each time as the more poetic, the more lyrical, and – why not let’s face it – perhaps the outstanding figure of our time  ? A remark like this would normally be regarded as disastrous from the critical point of view  ;

170 Zu Kokoschka siehe Ausst.-Kat. Boston 1948  ; zu Yeats siehe Ausst.-Kat. Boston 1951. 171 Zu Kokoschka und der von Edith Hoffmann verfassten Monografie Kokoschka – Life and Work (1947) siehe Bonnefoit 2016. 172 Die Ausstellung wurde unter dem Titel One Man’s Meat  : First Loan Exhibition of Private Collec­ tions of Modern Painting (Basil Goulding Collection) ausgerichtet. Wie ein Besuch der Kokoschkas bei Basil Goulding im Jahr 1950 belegt, standen der Künstler und der Sammler, der einige Werke von Kokoschka besaß, bereits Jahre vor der Ausstellung miteinander in Kontakt. – Vgl. Eintrag Agenda Olda Kokoschka, 9. Juni 1950, unpubliziert, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 72.2.13. Zu Gouldings zentraler Position als Förderer zeitgenössischer Kunst in Irland sowie zu seiner Sammlung siehe Kennedy 2021, S. 170 – 173.

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but the thrill of this exhibition is not least the opportunity of comparing our leading Irish painter with one of the accepted masters of Central Europe.173

Für White traten die Parallelen zunächst in dem pastosen Farbauftrag sowie in dem besonderen Gespür für stimmungsvolle Effekte zutage. Des Weiteren attestierte er beiden ein ähnliches Einfühlungsvermögen in die sie umgebende Landschaft, ein Empfinden, das er insbesondere in Kokoschkas London, Chelsea Reach (1957) oder in Yeats’ Low Tide (1950) umgesetzt sah.174 Bemerkenswerterweise stellte er auch Verbindungen zwischen Yeats’ Arbeiten und Kokoschkas Porträtdarstellungen her, und das, obwohl Yeats weithin nicht als Porträtmaler wahrgenommen wurde. Übereinstimmungen konstatierte er diesbezüglich für Kokoschkas Bildnis des Sebastian Isepp (1951) und Yeats’ Gemälde My Beautiful, My Beautiful (1953),175 das sich im Titel sowie in der Darstellung auf Caroline Nortons Gedicht The Arab’s Farewell to His Steed bezieht.176 Und tatsächlich treten die porträthaften Züge des Mannes, der von seinem geliebten Pferd Abschied nimmt, in der Konfrontation mit Kokoschkas Arbeit viel deutlicher hervor.177 Es sollte mehrere Jahrzehnte dauern, bis es erneut zu einer ›gemeinsamen‹ Präsentation der Maler kam. Von September bis Dezember 2008 zeigte die englische Compton Verney Art Gallery parallel die aus Dublin kommende Ausstellung Jack B. Yeats. Mas­ querade and Spectacle. The Circus and the Travelling Fair und die aus Wien stammende Schau Oskar Kokoschka. Exile and New Home 1938 – 1980.178 In der Presse wurden die Expositionen als Gemeinschaftsausstellung wahrgenommen und euphorisch besprochen, wobei die Kritiker:innen die Ähnlichkeiten der Œuvres hervorhoben.179 Der Institution zufolge bestand der Ansatz der Gegenüberstellung darin, Yeats’ und Kokoschkas »shared fascination with people on the margins of society and their search for new forms of expression«180 sichtbar zu machen. Anders als White, dem es noch darum gegangen war, Yeats gegenüber Kokoschka als höherrangig auszuweisen, zielten die Ausstellungsmacher:innen von 2008 auf eine gleichberechtigte Besprechung ab. In 173 White, James  : A Great Collection Reaches the Public, in  : Irish Times, 23. November 1961, S. 8. 174 Oskar Kokoschka, London, Chelsea Reach, 1957, Öl auf Leinwand, 76 × 101,5 cm, Privatbesitz und Jack B. Yeats, Low Tide, 1950, Öl auf Pappe, 35,5 × 46 cm, Privatbesitz. 175 Oskar Kokoschka, Sebastian Isepp, 1951, Öl auf Leinwand, 93 × 62 cm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum und Jack B. Yeats, My Beautiful, My Beautiful, 1953, Öl auf Leinwand, 40 × 60 cm, Privatbesitz. 176 Vgl. Pyle 1992, Bd. 2, Nr. 1157, S. 1057. 177 Dass Kokoschka ein ausgeprägtes Interesse für Pferde hatte, dem er im Laufe seines Lebens künstlerisch variantenreich nachging, ist White offenbar nicht bekannt gewesen, lässt seinen Vergleich aber umso weitsichtiger erscheinen. Zu Kokoschkas Pferdedarstellungen siehe Windisch 2010, S.  20 – 22. 178 Die Ausstellungen liefen zeitgleich vom 27. September bis 14. Dezember 2008  ; zu den Ausstellungen siehe auch Ausst.-Kat. Dublin 2007 und Ausst.-Kat. Wien 2008. 179 Vgl. etwa The Spectator  : Dashing Pair. Jack B. Yeats & Oskar Kokoschka, Compton Verney, until 14 December 2008, https://www.spectator.co.uk/article/dashing-pair [17.12.2022]. 180 https://www.comptonverney.org.uk/thing-to-do/oskar-kokoschka/# [17.12.2022].

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Abb. 114 Jack B. Yeats, Tinker’s Encampment : The Blood of Abel, 1940, Öl auf Leinwand, 91,5 × 122 cm, Privatbesitz.

der Tat ließen beide Künstler, vor allem im Zuge des Zweiten Weltkrieges und dessen Nachwirren, den »people on the margins« eine besondere Aufmerksamkeit zukommen. Dies wird an Werken wie Yeats’ Tinker’s Encampment  : The Blood of Abel (1940, Abb. 114) oder Kokoschkas Gauklerfamilie (1946/47, Abb. 115) deutlich, die beide mittels des Sinnbildes des fahrenden Volkes die schwierigen politischen Verhältnisse verhandeln. Mit einem von Travellern und Zirkusleuten bewohnten Camp im Westen Irlands zeigt Yeats’ Komposition auf den ersten Blick ein typisch irisches Motiv. Allerdings widerspricht die Darstellung mit der im linken Vordergrund positionierten Person, die mit einer Taschenlampe eine sich kürzlich zugetragene Bluttat erleuchtet, dem gängigen Modus des Sujets. Die Forschungsliteratur hat das Bild, das in seinem Titel auf den alttestamentarischen Brudermord (Gen 4,8 – 10) referiert, unterschiedlich interpretiert, etwa als Referenz auf Irlands Neutralität im Zweiten Weltkrieg oder als allgemeine Anklage gegen die Grausamkeiten des Krieges.181 In jedem Fall lässt sich 181 Pyle interpretiert das Bild als Kommentar zum Zweiten Weltkrieg. – Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, Nr. 516, S. 474  ; O’Doherty hingegen versteht das Gemälde als universellen Verweis auf kriegerische Auseinandersetzungen und schließt damit den Irischen Bürgerkrieg sowie den Zweiten Weltkrieg gleichermaßen ein. – Vgl. O’Doherty 2011, S. 9  ; Wills und Purser lesen das Bild hin-

Yeats und die figurative Moderne | 445

Abb. 115 Oskar Kokoschka, Gauklerfamilie, 1946/47, Öl auf Leinwand, 50,5 × 60,8 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum.

konstatieren, dass Yeats den außerhalb der Gesellschaft verorteten Traveller als geeignete Kommentarfigur der in Schieflage geratenen Weltsituation ansah. Es ist bemerkenswert, dass Kokoschka wenige Jahre später das gleiche Sinnbild wählte, um die globalen Folgen des Krieges und die Furcht vor einem drohenden Atomkrieg zu verhandeln. Scheint seine Gauklerfamilie auf den ersten Blick lediglich das Dasein der Fahrenden in ihrer ärmlichen Behausung zu zeigen, so verrät ein weiteres Ölbild den Hintergrund der gleichnishaften Sprache. Die im Gemälde Zirkus oder die Entfesselung der Atomenergie (1946/47) gezeigten Artist:innen sind laut Spielmann als Symbol der »närrisch gewordene[n] Menschheit«182 zu verstehen,183 während der gegen als Auseinandersetzung mit Irlands Neutralität und sehen die sichere Welt Irlands mit der unsicheren Lage außerhalb des Landes kontrastiert. – Vgl. Wills 2007, S. 412 – 414 und Purser 1992, S. 90 f.; zur religiösen Ausdeutung auch MacGreevy 1945, S. 36. 182 Spielmann 2003, S. 403. 183 Oskar Kokoschka, Zirkus oder Die Entfesselung der Atom-Energie, 1946/47, Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Jerusalem, The Israel Museum.

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aus dem Käfig ausbrechende Löwe als Allegorie der gefahrvollen Atomenergie aufzufassen ist. Bereits 1939 hatte Kokoschka, ganz unabhängig von einem irischen Kontext, die politische Metapher des »internationale[n] Landstreicher[s]« im Hinblick auf sein »Emi­grantenleben«184 verwendet. Vor dem Hintergrund jedoch, dass es sich bei dem Thema des fahrenden Volkes um ein in der irischen Literatur und Bildkunst verbreitetes Motiv handelt und Kokoschka spätestens seit Mitte der 1940er Jahre eine enge Verbindung zu dem Land hatte, halte ich eine Anlehnung an irische Vorbilder bezüglich der 1946/47 entstandenen Bilder für möglich. So ist es denkbar, dass sich Kokoschka in seiner Verwendung des Gauklermotivs auf Yeats und andere irische Künstler, wie le Brocquy, bezog, die das Motiv im Zuge des Zweiten Weltkrieges vorwiegend als politisches Sinnbild einsetzten (Abb. 34).185 Darüber hinaus wurde das Sujet von der britischen Presse zu dieser Zeit als genuin irisches Thema reflektiert (vgl. Kap. 3.4). Die Annahme der Motivanleihe wird letztlich auch durch Kokoschkas 1945 verfassten, Irland zugedachten Siebenten Brief von der Reise gestützt, in dem ein Landstreicher als Protagonist des irischen Westens in Erscheinung tritt. Darin heißt es  : Dort [in der Ebene, Verf.] wartete der Landstreicher, den ich bisher in der grauen Atmosphäre nicht ausnahm, so eins war er mit der Natur, wie es kein domestizierter Bürger sein kann.186

Neben der Beschreibung des Landstreichers weist auch die restliche Erzählung Bezüge zur irischen Bildkunst auf, insbesondere aber Anleihen an das Yeats’sche Motivrepertoire. Dementsprechend tauchen »Wildeselchen […] aus altem Geblüt« auf  ; ist die Rede von der Großen Hungersnot  ; wird von der Reise auf dem Jaunting Car, dem »hohen zweirädrigen Wägelchen mit gegenübergestellten Sitzbänken« berichtet oder von westirischen Frauen, die ihre Kleidung nach alter Tradition mit Seealgen färben.187 Unweigerlich treten einem beim Lesen frühe Yeats-Aquarelle vor Augen, sodass es na184 Kokoschka 1939, S. 2. Der autobiografische Text zu seinem Exilantenschicksal erschien in der Pariser Exilzeitschrift Freie Kunst und Literatur, die von Paul Westheim herausgegeben wurde. 185 In dem 1945 gefertigten Gemälde The Entertainers (Öl auf Leinwand, 61 × 91,5 cm, Privatbesitz) etwa rekurrierte Yeats mit den drei zentralen Figuren der Gaukler laut Kennedy auf die drei Schicksalsgöttinnen der antiken Mythologie, von denen man glaubte, sie bestimmten das Schicksal der Menschheit. Zugleich scheint die morbid aussehende Figur im linken Hintergrund auf die Menschen während der Großen Hungersnot zu verweisen. – Vgl. Ausst.-Kat. Dublin 2007, S. 54  ; das gegen Ende des Zweiten Weltkrieges entstandene Bild verhandelt mittels dieses symbolischen Themas zentrale Fragen der Menschheit. Das Gleiche trifft auf le Brocquys Arbeiten zu, die mit dem Sujet des Travellers auf das Schicksal der Menschen inmitten der Kriegs­ wirren verweisen. – Vgl. Ansel 2020b, S. 218. 186 Kokoschka 1956, S. 172. 187 Kokoschka 1956, S. 170 (zum Wildesel), S. 172 (zur Hungersnot), S. 173 (zum Jaunting Car und zum Seetang, S. 173).

Yeats’ Antikriegsbild im Kontext | 447

heliegt zu vermuten, Kokoschka habe das Werk des Iren beim Niederschreiben der Irland-Erzählung bereits gekannt. Wenngleich diese Frage nicht abschließend zu klären ist, wird deutlich, dass die Gegenüberstellung von Yeats’ und Kokoschkas Schaffen einen neuen Blick auf das Wirken beider Künstler wirft. Vor dem Hintergrund des Kunstgeschehens nach 1945 sowie im Rahmen der Neuausrichtung zeitgenössischer Tendenzen ist die Zusammenführung ihrer auf Gegenständlichkeit abzielenden Ansätze äußerst fruchtbringend. In Verbindung mit den bereits besprochenen Londoner Malern manifestiert sich, dass die figurative Malerei keinesfalls auf Einzelfälle zu reduzieren ist, sondern vielmehr einen zentralen Bestandteil innerhalb einer pluriform zu denkenden Moderne darstellt. 7.3 Postwar  : Grief, 1951. Yeats’ Antikriegsbild im Kontext

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzten sich zahlreiche Künstler:innen mit den Gräueln der globalen Katastrophe auseinander und versuchten, den damit verbundenen Traumata und Schrecken künstlerisch zu begegnen.188 Auch Yeats verarbeitete das Ereignis in seinem 1951 entstandenen Gemälde Grief, das von der Literatur in der Folge als Antikriegsbild verstanden und von Pyle gar als »Irish Guernica«189 aufgefasst wurde (Abb. 116).190 Aufgrund der für Yeats’ Spätwerk charakteristischen expressiven Malweise lässt sich das Geschehen erst bei genauerer Betrachtung erschließen. Im Zentrum der Szenerie, die von zwei Häuserreihen gerahmt wird, thront ein Krieger auf einem weißen Pferd. Während er seinen rechten Arm, wie zum Kommando, ausgestreckt hat, wendet er sein furchterregendes Gesicht den Betrachtenden zu. Neben der im linken Vordergrund zu erkennenden Gruppe von kämpfenden Soldaten ist in der rechten Bildhälfte – und unmittelbar am unteren Bildrand – eine Frau dargestellt, die ihre Arme schützend um einen kleinen Jungen gelegt hat. Eine um 1950 entstandene Skizze mit dem Titel Let There Be No More War, die in Yeats’ letztem Workbook enthalten ist, kann als konzeptionelle Vorstufe des umgesetzten Gemäldes angesehen werden.191 Obwohl die Zeichnung eine andere Szene wiedergibt – den Angaben des Künstlers zufolge zeigt sie »2 old men tattered with old wounds« sowie »2 or 3 children and women«192 – spiegelt sie doch gleichfalls Yeats’ wie-

188 Zum Zusammenhang von Krieg und Kunst im 20. Jahrhundert siehe grundlegend JürgensKirchhoff 1993  ; die folgenden Ausführungen beziehen sich in Teilen auf Ansel 2018, werden an dieser Stelle aber um den Kontext der figurativen Malerei erweitert. 189 Pyle 1992, Bd. 1, S. LXVIII. 190 So etwa Bedient 2009, S. 291 oder O’Doherty 2011, S. 13 f. 191 Vgl. Pyle 1992, Bd. 2, Nr. 1075, S. 978  ; zur Skizze siehe spätes WB, (?1949 – 1956), Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/13. 192 Spätes WB, (?1949 – 1956), Yeats Archive, Inv.-Nr. Y1/JY/4/1/13.

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Abb. 116 Jack B. Yeats, Grief, 1951, Öl auf Leinwand, 102 × 153 cm, Dublin, National Gallery of Ireland.

derholt geäußerte Abscheu vor Gewalt und Krieg.193 Die Tatsache, dass er das Grauen im Bild innerhalb der eigenen Lebenswirklichkeit stattfinden lässt, indem er die Handlung in einer westirischen Stadt ansiedelt, verstärkt diesen Eindruck zusätzlich.194 Meines Erachtens begegnet Yeats’ Gemälde dem Kriegsgeschehen des 20. Jahrhunderts unter Bezugnahme auf die Tradition der Historienmalerei. Diese Herangehensweise, die sich auch für die bereits benannten Zeitgenossen Bacon oder Kokoschka konstatieren lässt,195 erlaubte es ihm, das Leid unter Rückgriff auf etablierte Motive zu visualisieren. Wesentlich für die Deutung von Grief erscheint mir, dass sich der Künstler in dem Werk – wie mehrfach seit den 1940er Jahren – auf das Thema der Apokalypse bezog. Eine wiederholt auftauchende Metapher stellt in diesem Zusammenhang 193 Vgl. Pyle 1989, S. 119. 194 Vgl. Pyle 1992, Bd. 2, Nr. 1075, S. 978  ; hierfür spricht die Gestaltung der Häuserreihen, die an ähnliche Inszenierungen in Gemälden wie Above the Fair (1946) erinnert, ein Bild, das eine westirische Marktszene zeigt. Auch ragt im linken Hintergrund eine flache Berglandschaft auf, die an die Geografie des County Sligo denken lässt. 195 Für Bacon sei hier etwa dessen 1944 entstandenes Triptychon Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion (Öl und Pastell auf Pressspanplatten, London, Tate Gallery) angeführt, das unter Rekurs auf altmeisterliche Kreuzigungsdarstellungen dem Kriegsgrauen begegnet. – Vgl. etwa Zimmermann 1986 oder Ausst.-Kat. London 2008, S. 137 ff  ; für Kokoschka siehe etwa dessen Triptychon Prometheus Saga (1950, Abb. 117). – Siehe Bonnefoit 2010  ; weiterführend zur Historienmalerei im 20. Jahrhundert siehe Beckstette 2008.

Yeats’ Antikriegsbild im Kontext | 449

die Darstellung von Pferden dar. So ist etwa der Schimmel in There Is No Night (1949) als Symbol des auferstandenen Christus (Offb 19,11) zu verstehen.196 In Grief ergibt sich die vollständige Bedeutung des Motivs jedoch erst über die Verbindung mit dem zentral inszenierten Reiter, der vom Maler selbst als »destroyer«197 bezeichnet wurde. Dass die Figur einer apokalyptischen Vision entstammt, wie bereits Pyle vermutete,198 präsentiert sich als evident, wenn man die Gesamtkomposition des Werkes berücksichtigt. Tatsächlich scheint es sich bei dem Krieger auf seinem weißen Pferd um eine Variation des ersten der vier apokalyptischen Reiter zu handeln (Offb 6,2).199 Schließlich wird der weiße Reiter unter den Vorboten des Jüngsten Gerichtes häufig mit dem Aspekt der Eroberung und dem daraus resultierenden Bösen, das über die Menschheit hereinbricht, in Verbindung gebracht.200 In Anbetracht von Yeats’ Darstellung liegt es deshalb nahe, den Berittenen als Unheil verursachende Figur zu verstehen, die Krieg und Chaos über die Menschen bringt. Das zumindest suggeriert der bildimmanente wie kulturhistorische Zusammenhang des Gemäldes, dem im Folgenden nachgegangen wird. Das Thema der Apokalypse wurde in der europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere im Kontext des Krieges, mehrfach aufgegriffen.201 Zu nennen ist hier etwa Max Beckmanns Grafikmappe Apokalypse, die der Künstler 1942 im Amsterdamer Exil schuf.202 Teil der Serie ist auch eine Darstellung der Vier Reiter der Apokalypse.203 Aus einem Innenraum, der durch ein geschlossenes Fenster angedeutet wird, bietet das Blatt einen Blick auf ein bedrohliches Szenario. Dieses wird von vier Reitern dominiert, die kompositorisch Albrecht Dürers berühmtem Holzschnitt (1498) entlehnt sind. Auf einem runden Tisch im Vordergrund hat der Künstler eine brennende Kerze und ein gelbes Buch mit schwarzem Davidstern arrangiert. Das Motiv spielt ganz offensichtlich auf die im September 1941 erlassene Verordnung an, die Juden zum Tragen eines gelben Sternes zwang.204 Damit stellt Beckmanns Kreidelithografie nicht nur eine Verbindung zwischen der ikonografischen Tradition und den aktuellen Ereignissen her, 196 Jack B. Yeats, There Is No Night, Öl auf Leinwand, 102 × 153 cm, Dublin, Hugh Lane Gallery. Zur Symbolik siehe Purser 1991, S. 157. 197 Jack B. Yeats zitiert nach Bedient 2009, S. 293. 198 Vgl. Pyle 2002, S. 272. 199 Yeats bezog sich dabei auf die Übersetzung der King-James-Bibel, die zu dieser Zeit von der (protestantischen) Irish Church verwendet wurde. Dort heißt es (Rev. 6.2 KJV)  : »And I saw, and behold a white horse  : and he that sat on him had a bow  ; and a crown was given unto him  : and he went forth conquering, and to conquer.« Ich danke Dr. Hilary Pyle für die Information zu Yeats’ Gebrauch der King-James-Bibel. – E-Mail-Korrespondenz mit der Verfasserin, 21. März 2014. 200 Vgl. Spinks/Zika 2012, S. 10. 201 Zur Apokalypse in der Moderne siehe etwa Carey 1999. 202 Vgl. Höper 2008, S. 5. 203 Max Beckmann, Die vier apokalyptischen Reiter, Apokalypse 1941/42, Kreidelithografie, handkoloriert, 244 × 168 mm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung. 204 Vgl. Höper 2005, S. 52.

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sondern erscheint auch als ganz persönliche Reflexion der Bedrohung durch das NSRegime. Entsprechend bezeichnete Beckmanns Sohn Peter die Illustrationen später als »Bildbericht seiner inneren Welt im Spiegel der Offenbarung des Johannes«205. Eine mythologisierende Version der Apokalypse findet sich wiederum bei Kokoschka, der das Sujet im Rahmen seines 1950 geschaffenen Triptychons zur P ­ rometheus Saga ­behandelte.206 Dessen mittlere Tafel stellt die vier Reiter dar, die auf die Erde herab­ kommen (Abb. 117). Das Werk ist nicht nur als Reflexion der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, sondern auch als Prophezeiung eines bevorstehenden Dritten Weltkrieges aufgefasst worden.207 Diese Deutung überzeugt insofern, als Kokoschka selbst auf die Gefahr eines erneuten globalen Krieges hinwies, die etwa durch den wirtschaftlichen Druck des Kalten Krieges drohe.208 Diese exemplarischen Rückgriffe auf die Apokalypse-Ikonografie zeigen deutliche Gemeinsamkeiten innerhalb der europäischen Kunst jener Zeit auf. Ihnen ist gemein, dass Künster:innen den als apokalyptisch empfundenen Bedrohungen des Krieges durch eine visuelle Verknüpfung von Tradition und Moderne begegneten.209 Laut Werner Hofmann lieferten Maler:innen des 20. Jahrhunderts durch die Verwendung des Themas der Apokalypse und der damit implizierten Idee einer gerechten Strafe »a certain metaphysical justification of war«210. Doch obwohl Grief in dem oben angeführten Zusammenhang verortet werden kann, lässt sich diese Annahme nicht unmittelbar auf das Werk übertragen, weist sein Inhalt doch über den Aspekt der Bestrafung hinaus. So oszilliert Yeats’ Szenario zwischen einer modernen Vision der Apokalypse, die Zerstörung suggeriert, und einer traditionellen Version, an deren Ende die Erlösung steht. Wie bereits das Beispiel von Tinker’s Encampment  : The Blood of Abel (Abb. 114) gezeigt hat, handelt es sich dabei um eine Ambivalenz, die typisch für die Werke des Künstlers ist. Darüber hinaus ist die Ambiguität eng mit dem Thema selbst verbunden, stellt doch die Apokalypse eine notwendige Voraussetzung für das Heilsereignis dar. Daher gehe ich davon aus, dass Yeats die apokalyptischen Elemente einsetzte, um Hoffnung anzudeuten und auf diese Weise das durch die Zerstörung verursachte Leid erträglich zu machen. Ein Schlüsselmotiv hierfür stellt die Figur des Reiters dar, die ihre ikonografischen Wurzeln zugleich in der abendländischen Tradition historischer Schlachtenszenen hat. Meines Erachtens bezog sich Yeats mit dem Motiv einmal mehr auf ein Werk Francisco de Goyas. Vergleichbare Bezugnahmen lassen sich in dieser Zeit auch für andere Künstler:innen und vor unterschiedlichen historischen sowie politi205 Peter Beckmann zitiert nach Roettig 2010, S. 43. 206 Kokoschka fertigte die Deckengemälde für Graf Antoine von Seilern an. Bis zu seinem Tod 1978 befanden sich die Gemälde in Graf von Seilerns Londoner Wohnsitz in 56 Princes Gate. Heute ist das Triptychon Teil der Sammlung des Londoner Courtauld Institute of Art. 207 Zur Reflexion des Zweiten Weltkrieges siehe etwa Ausst.-Kat. London 2006, S. 16  ; zur Lesart zum Dritten Weltkrieg siehe Bonnefoit 2010, S. 75. 208 Vgl. Kokoschka 1975 (Die Prometheus Saga, 1952), S. 313. 209 Vgl. Carey 1999, S. 292. 210 Hofmann 1983, S. 152.

Yeats’ Antikriegsbild im Kontext | 451

Abb. 117 Oskar Kokoschka, Die Prometheus Saga, 1950, Mittelteil des Triptychons, 239 × 347,2 cm, Tempera auf Leinwand, London, Courtauld Institute of Art.

schen Hintergründen anführen. Dies gilt insbesondere für die formale Rezeption von Goyas Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808. So bediente sich etwa Picasso 1951 der Komposition, um in seinem Massaker in Korea den historischen Bedeutungshorizont mit dem zeitgenössischen Kontext des zwischen 1949 und 1951 ausgetragenen Koreakrieges zu überblenden.211 Im Falle von Grief legt der chaotisch wirkende Aufbau allerdings den Bezug zu einem anderen Werk Goyas nahe, genauer zu dessen Kampf mit den Mamelucken am 2. Mai 1808.212 Das Gemälde zeigt die brutale Niederschlagung des spanischen Aufstandes durch berittene Mamelucken, die im Auftrag von Napoleons Gouverneur Joachim Murat die widerständige Bevölkerung mit Säbeln attackieren.213 Belege für diese Referenz liefert nicht nur die auf den ersten Blick ungeordnet anmutende Struktur beider Bilder, sondern vor allem der zentral angeordnete Reiter in Grief, der einem ähnlich 211 Pablo Picasso, Massaker in Korea, 1951, Öl auf Sperrholz, 109,5 × 209,5 cm, Paris, Musée Picasso. Zu Picassos Koreabild siehe etwa Held 2005  ; auch der irische Künstler Robert Ballagh (geb. 1943) bezog sich in den 1970er Jahren erneut auf Goyas 3. Mai 1808. Sein Gemälde The Third of May – After Goya (1970, Acryl auf Leinwand, 165 × 220 cm) thematisiert den Nordirlandkonflikt und befindet sich in der Sammlung der Dubliner Hugh Lane Gallery. 212 Francisco de Goya, Kampf mit den Mamelucken am 2. Mai 1808, 1814, Öl auf Leinwand, 268 × 347 cm, Madrid, Museo del Prado. 213 Vgl. Licht 2001, S. 164.

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inszenierten Mamelucken in Goyas Gemälde entspricht. Auch Form und Inhalt stimmen jeweils überein, treten doch beide Charaktere als zentrale Aggressoren auf. Berücksichtigt man Yeats’ Überzeugung, dass ein wahrhaftes Bild aus der Erinnerung an einen vom Künstler erlebten Moment entstehe,214 ist es vorstellbar, dass er sich Goyas Komposition bediente, weil er die darin erfasste Szene als wahrhaftig begriff. Darüber hinaus lässt sich für Grief auch eine Orientierung am eigenen Bildrepertoire ausmachen. In Above the Fair (1946),215 das eine irische Marktszene zeigt, symbolisiert das auf dem Pferd sitzende Kind mit goldenen Haaren Unschuld und Jugend.216 In Grief werden das weiße Pferd und der Junge im Vordergrund ebenfalls in einem irischen Setting vereinigt, aber in einen anderen Kontext transponiert. Auf diese Weise erscheint die Komposition als Inversion all dessen, was dem Künstler lieb und teuer war, eine Tatsache, die sowohl den erschreckenden Inhalt des Gemäldes verstärkt als auch eine Erklärung dafür liefert, warum Yeats die Szene möglicherweise in seinem »spiritual home«217 Sligo ansiedelte. Ebenfalls in Anlehnung an Goya betont Yeats’ Gemälde zudem das körperliche Leiden und das Schicksal der Besiegten. Dem Aspekt des Schmerzes wird dabei durch die isoliert wiedergegebenen Figuren von Mutter und Kind Ausdruck verliehen. Schützend beugt sich die Frauenfigur am vorderen Bildrand über den kleinen Jungen, wobei seine rot gefärbten Hände auf Verletzungen hinweisen. Das Paar erinnert nicht nur an das intime Porträt einer Mutter mit Kind in Yeats’ Shelling Peas in Moore Street (1936),218 sondern ruft auch das Motiv der Madonna mit dem Jesusknaben auf, in dem das Kreuzigungsgeschehen präfiguriert ist. Grief rekurriert dabei gleichermaßen auf die Motive der Pietà und des Schmerzensmannes, wobei die verwundeten Hände des Kindes die Stigmata Christi referenzieren. Über die Darstellung des Jungen werden in dem Gemälde die Idee des Mitleidens und die der Erlösung miteinander verwoben. So evoziert Yeats’ Mutter-Kind-Paar neben Trauer und Verlust auch die Hoffnung auf einen Neubeginn. Das Gemälde fügt sich damit in eine Reihe von Nachkriegsdarstellungen ein, die die Schrecken des Krieges über den Topos von Mutter und Kind vermitteln. Neben dem bereits angeführten Massaker in Korea (1951) ließen sich in diesem Zusammenhang auch weitere Werke, wie das im selben Jahr entstandene A Family Louis le Brocquys (1951) oder Wilhelm Lachnits (1899 – 1962) Tod von Dresden (1945),219 anführen, die 214 Vgl. Yeats 1922c, S. 2. 215 Jack B. Yeats, Above the Fair, 1946, Öl auf Leinwand, 91 × 122 cm, Dublin, National Gallery of Ireland. 216 Vgl. Pyle 1992, Bd. 1, S. LV. 217 Jack B. Yeats zitiert nach Purser 1991, S. 94. 218 Jack B. Yeats, Shelling Peas in Moore Street, 1936, Öl auf Leinwand, 23 × 35,5 cm, AIB Art Col­ lection, Cork, Crawford Art Gallery. 219 Louis le Brocquy, A Family, 1951, Öl auf Leinwand, 147 × 185 cm, Dublin, National G ­ allery of Ireland  ; Wilhelm Lachnit, Der Tod von Dresden, 1945, Mischtechnik auf Leinwand, 200,5 × 113,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum.

Yeats’ Antikriegsbild im Kontext | 453

die Aspekte von Trauer und Hoffnung gleichfalls über eine christologisch aufgeladene Symbolik thematisieren.220 Die Gegenüberstellung von Grief mit diesen Visualisierungen verdeutlicht, dass Yeats ähnliche Symbole, Referenzen und Ästhetiken anwandte, um sich dem Thema des Krieges zu nähern. Er fragmentierte das Geschehen, bediente sich unter Rückgriff auf die Motive der Apokalypse sowie der Pietà christlicher Metaphorik und referenzierte die moderne Historienmalerei, insbesondere jene Goyas. Anders jedoch als der Spanier, der mit seiner Bezeugung »Yo lo ví«221 auf konkrete Geschehnisse der Schrecken des Krieges verwies, ist in Yeats’ Fall nicht davon auszugehen, dass er sich auf ein bestimmtes Ereignis beziehen wollte. Vielmehr ist sein Gemälde als symbolisches Antikriegsbild zu begreifen, das sowohl die globale Katastrophe als auch die gewaltvollen Konflikte Irlands infolge der Entkolonisierung in den Blick nimmt. Seine Herangehensweise ist somit im Kontext weltweiter künstlerischer Praktiken nach 1945 zu verorten, die mittels figurativer Mittel das Schicksal der Menschheit reflektierten.222

220 Weiterführend zu Le Brocquys A Family und dessen ikonografischer Ausdeutung siehe Ansel 2020b. 221 Francisco de Goya  : Yo lo ví, Blatt 44 aus der Serie der Los Desastres de la Guerra, 1810 (publiziert 1863), Radierung. 222 Zu neuen theoretischen Ansätzen, die künstlerische Praktiken und Ästhetiken nach 1945 in einem globalen Kontext betrachten, siehe etwa Ausst.-Kat. München 2016.

8. Schlussbemerkungen  : Kunstdebatten jenseits nationaler Narrative »[…] stamped with the stigma of regionalism […].«1

Trotz einer zunehmenden internationalen Verflechtung sowie eines Aufbrechens heimatbezogener Konstruktionen werden nationale Identitäten, Stuart Hall zufolge, »als Widerstand gegen die Globalisierung«2 nicht geschwächt, sondern vielmehr bestärkt. Diese sich weltweit abzeichnende Tendenz weist der vorliegenden Untersuchung nationaler Inanspruchnahme von Kunst eine aktuelle Dimension zu. Demgemäß bestand das leitende Erkenntnisinteresse der Arbeit darin, die Konstruktion nationaler Identität in der Bildkunst zu erforschen. Es war das Ziel, am Beispiel der politisierten und nationalisierten Rezeption von Jack B. Yeats nationale Stereotype aufzuzeigen und zu dekonstruieren. Zu diesem Zweck wurden der Künstler und sein Schaffen aus einem nationalen Wahrnehmungskosmos in einen globalen Kontext überführt und im Zusammenhang einer vielfältigen Moderne diskutiert. Es hat sich gezeigt, dass durch die in- wie ausländischen Debatten ein persistentes Klischeebild irischer Kunst vorgezeichnet wird. Insbesondere die Wahrnehmung der Insel als ländlicher, ›urtümlicher‹ und traditionsbewusster Ort hat in dieser Hinsicht Einfluss auf deren Rezeption genommen, wodurch sie wiederholt als peripher und unmodern beschrieben wurde. Geprägt wurde das Bild im postkolonialen Zusammenhang dabei sowohl auf britischer als auch auf irischer Seite. Während die britische Kritik, aus einem hegemonialen Habitus resultierend, die irische Kunst als provinziell einstufte, deutete die irische Rezeption die zugewiesene Außenseiterposition des Landes im Sinne einer antienglischen Lesart positiv um. Die derart politisierten Kunstdebatten, die von einer permanenten Beurteilung des ›Eigenen‹ und des ›Fremden‹ geprägt waren, erschwerten es irischen Künstler:innen, sich mit ihren Werken im Kontext der Moderne zu etablieren. Schließlich schreibt der Diskurs vom nationalen Bild eine Politik der Differenz fort und läuft einer objektiven sowie werkorientierten Analyse künstlerischer Arbeiten zuwider. Zugleich führt das beharrliche Festhalten an der Idee des Nationalen zur Negation hybrider Impulse. Yeats’ Werk ist ebenso wie dessen Wahrnehmung vor dem Hintergrund dieser andauernden Stildiskussion zu verorten, die seit der Gründung des Irischen Freistaates im Jahr 1922 von vorherrschenden politischen Kontroversen beeinflusst war. Die von Widersprüchen und Brüchen geprägte historische Entwicklung des Landes spiegelt sich 1 White 1971b, S. 47. 2 Hall 1994, S. 209.

Schlussbemerkungen  : Kunstdebatten jenseits nationaler Narrative | 455

sowohl in Yeats’ Annäherung an die Kunst als auch in der Rezeption seiner Arbeiten. Die lange Schaffensphase des Künstlers, die vom Ende des 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts andauerte, war dabei, ähnlich den identifikativen Emanzipationsprozessen Irlands, von Divergenzen gekennzeichnet. Sein Œuvre sowie der Umgang mit seiner Künstlerpersona bilden die andauernde, als heterogen zu verstehende Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Entwicklung Irlands ab. Hinsichtlich der nationalen Rezeption ist festzuhalten, dass Yeats um 1900, im Zuge einer verstärkten Suche nach einer landesspezifischen Identität, zunächst als genuin irischer Künstler besprochen wurde. In der Folge der Unabhängigkeit nahm die uneingeschränkte Befürwortung und Vereinnahmung seiner Kunst jedoch ab, verlangten die Entscheidungsträger:innen in jener Phase der politischen Neuordnung doch nach homogenen Bildentwürfen, denen sich Yeats mit seinen ambivalenten Werken verweigerte. Erst in den 1940er Jahren kam es, bedingt durch politische Kurswechsel, zu einer Neubewertung seines Œuvres, woraufhin er erneut als Nationalkünstler aufgefasst und die seinen Werken zugewiesene landestypische Charakteristik in Ausstellungen sowie Texten hervorgehoben wurde. Die Bekräftigung des Nationalen führte dazu, dass die Yeats’ Werk inhärente dynamische und hybride Prozesshaftigkeit ausgeblendet und negiert wurde. Dies gilt in besonderem Maße für Bezugnahmen auf andere Kulturräume, die sich über den gesamten Schaffenszeitraum erstrecken. Viele der Werke, vor allem Yeats’ New YorkReflexionen, sind als Visualisierungen transkultureller Verflechtungen zu begreifen, die nationale Grenzen durchdringen und die Durchlässigkeit der Kulturen in den Fokus rücken. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass das Schaffen des Malers nicht in der lokalen Isolation, sondern in der permanenten Auseinandersetzung mit der globalen Kunstgeschichte erfolgte, angefangen bei seiner Beschäftigung mit Goya, Degas oder Hokusai bis hin zu seiner Affinität für die Vertreter:innen der amerikanischen Ashcan School oder für europäische Künstler wie Sickert und Kokoschka. Über die Dekonstruktion der politisierten Rezeption und die kunstwissenschaftliche Analyse exemplarischer Bilder konnte die Arbeit erstmals zentrale Motive sowie das breite Bedeutungsspektrum seiner Bilder explorieren. Es ist wünschenswert, dass zukünftige Studien zu Yeats und seinem Schaffen an den hier angewandten Modus anknüpfen, um weitere Aspekte, die im Rahmen dieser Untersuchung nicht besprochen werden konnten, aufzuarbeiten. Die Arbeit versteht sich als Beitrag zu einem Forschungsfeld, das Kanonisierungsund Exklusionsprozesse in den Blick nimmt. Am Beispiel der irischen Kunst konnte aufgezeigt werden, dass sich auch innerhalb des traditionell als Zentrum verstandenen Europas Marginalisierungsvorgänge ausmachen lassen, die überwiegend für eine außereuropäische Peripherie angenommen werden. Unter Erweiterung globalgeschichtlicher und postkolonialer Perspektiven wurde somit das Verständnis eines homogen gedachten Europas infrage gestellt und vielmehr die Diversität des europäischen Kulturraumes in den Vordergrund gerückt. Das Modell von Yeats’ Werk und dessen Rezeption, das über den Einzelfall hinaus Geltung beanspruchen kann, verdeutlicht letztlich die enge

456  |  Schlussbemerkungen  : Kunstdebatten jenseits nationaler Narrative

Verbindung von Kunst und Politik sowie die daraus resultierende Problematik einseitig geführter Kunstdebatten, die sich ausschließlich nationaler Narrative bedienen.

Biografie Jack B. Yeats 1871

Yeats wird am 29. August in London geboren  ; hier lebt die irischstämmige Familie seit 1867. 1869

Yeats’ Vater, John Butler Yeats, gründet gemeinsam mit John Trivett Nettleship, Edwin John Ellis und Sydney Prior Hall die Künstlervereinigung The Brotherhood, die sich an den Idealen der Präraffaeliten orientiert. 1879 – 87

Jack B. Yeats wächst, anders als seine Geschwister Susan Mary (Lily), Elizabeth Corbet (Lolly) und William Butler Yeats, bei den Großeltern mütterlicherseits, den Pollexfens, im westirischen Sligo auf. 1887

Rückkehr Yeats’ zu seinen Eltern in London, die ab 1888 in der Künstlerkolonie Bedford Park leben. Das dortige Haus des Vaters ist Treffpunkt für Künstler:innen und Intellektuelle. 1887 – 94

Studium der Kunst an verschiedenen Schulen  : South Kensington School of Art (1887), Chiswick School of Art (1888 – 90), West London School of Art (1890 – 93) und Westminster School of Art (1890 – 94). Über seinen an der Westminster School of Art tätigen Lehrer Frederick Brown, der in Frankreich gearbeitet und 1886 in London den New English Art Club mitgegründet hat, kommt Yeats mit dem französischen Impressionismus sowie mit antiakademischen Strömungen in Berührung. Ab 1888

Arbeit als Illustrator für verschiedene Magazine, etwa Vegetarian oder Paddock Life. 1889

Yeats lernt an der Chiswick School of Art die Künstlerkollegin Mary Cottenham White (genannt Cottie) kennen, die er 1894 heiratet. 1897 – 1910

Yeats lebt im südenglischen Devon.

458  |  Biografie Jack B. Yeats 1898

Reise nach Venedig und Irland. Yeats nimmt an den Gedenkfeiern zur Irischen Rebellion von 1798 in Sligo und Carricknagat teil. 1899

Erste Einzelausstellungen irischer Sujets (Aquarelle) in London und in Dublin. Bis 1924 folgen regelmäßige Ausstellungen zum Life in the West of Ireland in beiden Städten. Reise nach Paris. Besuch bei Lady Gregory in Coole und Reise auf die Aran Islands. 1904

Siebenwöchige New York-Reise anlässlich der ersten amerikanischen Einzelausstellung in der Clausen Gallery. 1905

Im Auftrag der britischen Tageszeitung Manchester Guardian reist Yeats gemeinsam mit dem Dichter und Dramatiker John Millington Synge in den irischen Westen, um Illustrationen zu Synges Texten In the Congested Districts anzufertigen. Besuch der James Abbott McNeill Whistler-Gedenkausstellung in London. 1907

Rheinreise  : Aufenthalte in den Niederlanden (Dordrecht, Rotterdam) und in Deutschland (Düsseldorf, Köln, Neuwied). 1908

Umzug des Vaters nach New York City, wo dieser bis zu seinem Tod 1922 lebt und unter anderem mit Künstler:innen der Ashcan School verkehrt. 1908 – 15

Veröffentlichung der Broadsides in der von den Yeats-Schwestern, Susan Mary und Elizabeth Corbet Yeats, gegründeten Cuala Press. 1910

Umzug von England nach Irland, zunächst in das südlich von Dublin gelegene Grey­ stones. Ab 1917 Niederlassung in Dublin, erst im Stadtteil Donnybrook, ab 1929 am Fitzwilliam Square. 1910

Ausstellung in der New Yorker Macbeth Gallery. 1910 – 41

Unter dem Pseudonym W. Bird betätigt sich Yeats als Karikaturist für die Satirezeitschrift Punch.

Biografie Jack B. Yeats | 459 1911 – 14

Teilnahme an den Ausstellungen der Pariser Société des Artistes Indépendants. 1912

Mitglied im Dubliner United Arts Club. Yeats regt den Erwerb der Zeitschrift Die Jugend an und setzt sich für eine internationale Vernetzung irischer Künstler:innen ein. 1913

Beteiligung an der Armory Show in New York City mit sechs Werken. 1915

Gewähltes Mitglied der Royal Hibernian Academy, 1916 ordentliches Mitglied. 1920

Gemeinsam mit Paul Henry und Mary Swanzy Gründung der Society of Dublin Painters, die moderne Kunst in Irland etablieren will. 1921 – 26

Beteiligung an den Ausstellungen der New Yorker Society of Independent Artists. 1922

Ausstellung zentraler Arbeiten in der Pariser Galeries Barbazanges im Rahmen der Exposition d’Art Irlandais. Veröffentlichung seines Textes Modern Aspects of Irish Art, in dem er seine Überlegungen zur Malerei der irischen Moderne formuliert. William Butler Yeats wird Senator des Irischen Freistaates, dem Jack B. Yeats aufgrund seiner republikanischen Einstellung kritisch gegenübersteht. 1923

Verleihung des Literaturnobelpreises an William Butler Yeats. 1924

Gewinn der Silbermedaille in der Kategorie Malerei bei den Olympischen Sommerspielen in Paris für sein Gemälde The Liffey Swim (1923). Brief von Walter Sickert, in dem der britische Künstler Yeats als vorbildhaft für eine vernakulare Moderne beschreibt. 1925

Walter Sickert erwirbt in der Londoner Arthur Tooth & Sons Gallery ein Gemälde des Malers. 1929

Erwerb zweier Yeats-Gemälde durch James Joyce, der eine Brieffreundschaft mit dem Künstler pflegt.

460  |  Biografie Jack B. Yeats 1929 – 44

Hinwendung zum Schreiben. Veröffentlichung von sieben Romanen und neun Theaterstücken. Der britische Kritiker Herbert Read beschreibt Yeats’ vierten Roman The Amaranthers (1936) als »surrealist novel«. 1930

Bekanntschaft mit Samuel Beckett, der Yeats in seinem Atelier besucht. Der Dramatiker kauft später zwei seiner Gemälde (1936 und 1945) und steht bis zu Yeats’ Tod in engem Austausch mit dem Maler. 1938

Beckett will Yeats’ Œuvre als Teil einer internationalen Moderne präsentieren und schlägt Peggy Guggenheim eine Yeats-Ausstellung in ihrer neu eröffneten Londoner Galerie Guggenheim Jeune vor. Letztlich kommt die Exposition nicht zustande. 1942

Doppelausstellung mit dem englischen Maler William Nicholson in der Londoner National Gallery. Kenneth Clark verfasst als Direktor der National Gallery die Einleitung zum Katalog und veröffentlich zusätzlich einen begleitenden Aufsatz in der Zeitschrift Horizon. 1943

Victor Waddington wird Yeats’ Galerist. 1945

National Loan Exhibition im Dubliner National College of Art. Thomas MacGreevys Monografie Jack B. Yeats. An Appreciation and an Interpretation erscheint. Es handelt sich um die erste grundlegende Untersuchung zum Künstler. 1946

Erster nachweislicher Kontakt zwischen Oskar Kokoschka und Jack B. Yeats. Von da an stehen die beiden Künstler miteinander in Verbindung. Interview mit John Rothen­ stein, dem Direktor der Londoner Tate Gallery, das in der New English Review erscheint. 1947

Mary Cottenham Yeats stirbt. 1950

Besuch von Oskar und Olda Kokoschka in Yeats’ Atelier.

Biografie Jack B. Yeats | 461 1951/52

A First Retrospective American Exhibition des Künstlers in den USA und Kanada. 1952

Yeats erhält das Angebot, an der Biennale di Venezia teilzunehmen. Nach einer ersten Zusage lehnt er die Teilnahme jedoch ab. 1954

Erste Einzelausstellung in Paris in der Galerie Beaux-Arts. Begleitend dazu verfasst Beckett eine Hommage an Yeats, die in der Zeitschrift Les Lettres Nouvelles erscheint. Das Musée National d’Art Moderne (heute Teil des Centre Pompidou) erwirbt ein Gemälde. 1955

Letztes Gemälde und Umzug in das Pflegeheim Portobello Home. 1956

Letzter Brief von Kokoschka, in dem er Yeats als »[…] the greatest painter (may-be the last  !)« bezeichnet. Ein weiteres Mal Ablehnung der Beteiligung an der Biennale di Ve­ nezia. Interview mit dem Kritiker und Schriftsteller John Berger, das im New Statesman and Nation publiziert wird. 1957

Am 1. und 4. März Besuch des Kritikers und Künstlers Brian O’Doherty, der ein letztes Porträt von Yeats anfertigt. Yeats stirbt am 28. März und wird auf dem Mount JeromeFriedhof begraben. Oskar Kokoschka regt eine große Yeats-Retrospektive in München an, die jedoch nicht realisiert wird. 1962

Postume Teilnahme an der Biennale di Venezia, die durch MacGreevy ermöglicht wird.

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Ausst.-Kat. Wien 2013  – Kokoschka. Das Ich im Brennpunkt. Hg. v. Natter, Tobias, Leopold

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Ausst.-Kat. Wien 2018  – Faszination Japan. Monet. Van Gogh. Klimt. Hg. v. Benesch, Evelyn,

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Ausst.-Kat. Zürich 2018 – Oskar Kokoschka. Expressionist, Migrant, Europäer. Eine Retrospek-

tive. Kunsthaus Zürich, 14. Dezember 2018 bis 10. März 2019 u. a., Heidelberg u. a. 2018.

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20. Jahrhundert, in  : Ausst.-Kat. München 2002, S. 170 – 189.

Archive Abkürzungsverzeichnis der Institutionen, aus deren Bestand die für die Arbeit herangezogenen Materialien stammen. Die Archivrecherchen wurden im Zeitraum von Winter 2015 bis Frühjahr 2022 durchgeführt. Ich danke allen Mitarbeiter:innen der genannten Institutionen für ihre freundliche Unterstützung bei der Bereitstellung der Materialien. AAA DFA/NAI

Archives of American Art, Smithsonian Institution Biennale di Venezia Ireland’s Participation (1951 – 1962), 415/95, Department of Foreign Affairs, The National Archives of Ireland, Dublin Frick Art Reference Library Frick Art Reference Library, The Frick Collection, New York City Morgan Library Pierpont Morgan Library, Department of Literary and Historical Manuscripts, New York City NLI The National Library of Ireland, Dublin NYPL, Berg Coll MSS Yeats, JaB Jack Butler Yeats collection of papers, Henry W. and Albert A. Berg Collection of English and American Literature, New York Public Library, New York City NYPL, Foster-Murphy collection Foster-Murphy collection, Manuscripts and Archives Division, New York Public Library, New York City NYPL, Quinn John Quinn Memorial Collection, Manuscripts and Archives Division, New York Public Library, New York City OKZ Oskar Kokoschka Zentrum, Universität für angewandte Kunst Wien Tamiment Library, O’Malley Ernie O’Malley Papers AIA.060, Tamiment Library & Wagner Archives der New York University, New York City TCD, Bodkin Thomas Bodkin papers, Manuscripts and Archives Research Library, Trinity College Library Dublin TCD, Cuala Press Cuala Press archive, Manuscripts and Archives Research Library, Trinity College Library Dublin TCD, MacGreevy Thomas MacGreevy papers, Manuscripts and Archives Research Library, Trinity College Library Dublin TCD, Synge John Millington Synge papers, Manuscripts and Archives Research Library, Trinity College Library Dublin Yale Center for British Art Yale Center for British Art, Paintings and Sculpture Department, New Haven, CT Yeats Archive Yeats Archive, National Gallery of Ireland, Dublin ZBZ, Nachl. O. Kokoschka Zentralbibliothek Zürich, Nachlass Oskar Kokoschka

Abkürzungsverzeichnis AB Adressbuch Abb. Abbildung AJ Ausstellungsjournal BK Bibliothekskompendium Co. County CDB Congested Districts Board for Ireland (CDB) CRC Cultural Relations Committee Diss. Dissertation EI Eigentümerindex GI Gemäldeindex Inv.-Nr.  Inventarnummer JBY John Butler Yeats M. A. Modern Aspects of Irish Art (Yeats 1922c) NB Notizbuch o. A. ohne Angabe o. D. ohne Datum o. S. ohne Seite R.H.A. Royal Hibernian Academy SK Skizzenbuch TB Tagebuch Verf. Verfasserin WB Workbook W. B. W. B. (Yeats) ZA Zeitungsausschnitte

Abbildungsnachweise Abb. 1  : Fotografie © Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C., Public Domain  : http://loc.gov/pictures/resource/ds.00785/ [17.12.2022]. Abb. 2, 24  : Fotografie © National Gallery of Ireland. Abb. 3 – 7, 28  : Fotografie © Sotheby’s. Abb. 9, 12, 13, 25, 62, 63, 83, 89  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © National Gallery of Ireland. Abb. 8, 17, 19, 20, 26, 65, 77, 97  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Digital Library@ Villanova University, Public Domain  : https://digital.library.villanova.edu/ [17.12.2022]. Abb. 10  : In  : Smith 1997, S. 133, Abb. 149. Abb. 11  : Fotografie © Yale University Art Gallery, Public Domain  : https://artgallery.yale.edu/ collections/objects/51990 [17.12.2022]. Abb.  14  : Gils Blas, Nr. 23, 8. Juni 1900, Titelbild [Archiv der Verfasserin]. Abb. 15  : In  : Harbison 1998, S. 110. Abb. 16  : In  : Ausst.-Kat. Dublin 2013b. Abb. 18  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Pyle 1994, Taf. 26. Abb. 21, 39, 41, 44, 46, 47, 50, 54, 56, 64, 75, 94  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © National Gallery of Ireland, Library & Archives. Abb. 22  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Pyle 1992, Bd. 3, S. 259. Abb. 23  : In  : Ausst.-Kat. Dublin 2006b, S. 128. Abb. 27  : In  : Arnold 1998a, S. 116. Abb. 29  : In  : Ausst.-Kat. Dublin 2006b, S. 31. Abb. 30 – 31  : Saorstát Éireann. Irish Free State Official Handbook, Dublin 1932, Titelblatt, Frontispiz und Haupttitel [Archiv der Verfasserin]. Abb. 32  : Fotografie © Paweł Suchanek/The National Museum in Kielce. Abb. 33, 105  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Hugh Lane Gallery, Dublin. Abb. 34  : © The Estate of Louis le Brocquy, in  : Ansel 2020b, S. 217. Abb. 36  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Manchester Guardian, 17. Juni 1905, S. 7 [Archiv der Verfasserin]. Abb. 37  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Manchester Guardian, 8. Juli 1905, S. 7 [Archiv der Verfasserin]. Abb. 38  : Fotografie © National Museums NI/Ulster Museum Collection. Abb. 40  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Henry W. and Albert A. Berg Collection of English and American Literature, The New York Public Library. Abb. 42, 43, 51, 52, 55, 57  : In  : Ausst.-Kat. Dublin 2011, S. 342 – 346. Abb. 45  : Fotografie © University of Michigan Museum of Art. Abb. 48  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Ausst.-Kat. Dublin 2003, S. 61. Abb. 49  : In  : Ausst.-Kat. Bonn 2013, S. 45.

Abbildungsnachweise | 497

Abb. 53  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Manchester Guardian, 24. Juni 1905, S. 7 [Archiv der Verfasserin]. Abb. 58, 76  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Sotheby’s. Abb. 59  : In  : Calza 2003, S. 265. Abb. 60  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Manuscripts and Archives Division, The New York Public Library. Abb. 61  : Fotografie © Katherine Wetzel/Virginia Museum of Fine Arts. Abb. 66  : Fotografie © Topical Press Agency/Hulton Archive via Getty Images. Abb. 67, 69  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Image courtesy of The Model, Home of the Niland Collection, Sligo. Abb. 68  : Fotografie  : © Hugh Lane Gallery, Dublin. Abb. 70, 86  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Collection Crawford Art Gallery, Cork. Abb. 71  : Jack Yeats  : Modern Aspects of Irish Art, Dublin 1922, Titelblatt [Archiv der Verfasserin]. Abb. 72, 73  : In  : Arnold 1998a, S. 250. Abb. 35, 74  : Schematische Darstellung der Verfasserin. Abb. 78  : Fotografie © Nasjonalmuseet/Høstland, Børre, Public Domain  : https://www.nasjonalmuseet.no/en/collection/object/NG.M.00939 [17.12.2022]. Abb. 79  : © Fondation Oskar Kokoschka/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Ausst.-Kat. Zürich 2018, S. 149. Abb. 80  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Pyle 1992, Bd. 3, S. 273. Abb. 81  : Fotografie © The Phillips Collection, Washington, D.C. Abb. 82  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Birmingham Museums Trust. Abb. 84  : Fotografie © National Library of Ireland. Abb. 85, 91, 92, 108  : Fotografie © National Gallery of Ireland, Library & Archives. Abb. 87  : Fotografie © Wikipedia Commons, Public Domain  : https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/57/L%27Embarquement_pour_Cythere%2C_by_Antoine_Watteau% 2C_from_C2RMF_retouched.jpg [17.12.2022]. Abb. 88  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Ausst.-Kat. Dublin 1971, S. 126. Abb. 90  : In  : Ausst.-Kat. Dublin 2021, S. 21. Abb. 93  : Fotografie © The Ohio State University, Billy Ireland Cartoon Library and Museum, Public Domain  : https://library.osu.edu/dc/concern/generic_works/g732x041f#?c=0&m=0&s= 0&cv=0&xywh=-2647%2C0%2C8127%2C2834 [17.12.2022]. Abb. 95  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Adam’s Auctioneers, Dublin. Abb. 96  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Ansel 2020a, S. 217. Abb. 98  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Adam’s Auctioneers, Dublin. Abb. 99  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Ansel 2020a, S. 219. Abb. 100  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Adam’s Auctioneers, Dublin. Abb. 101  : Fotografie © icollector.com, Public Domain  : https://www.icollector.com/Very-EarlyPhonograph-Dancers_i9790930 [17.12.2022]. Abb. 102  : In  : Walsh 2011, S. 7. Abb. 103  : In  : Delaney 2003, S. 201. Abb. 104  : Fotografie © Courtesy National Gallery of Art, Washington. Abb. 106  : In  : Tottis 2007, S. 128, Cat. 14.

498  |  Abbildungsnachweise Abb. 107  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Ausst.-Kat. London 2005  : Jack B. Yeats. Paintings, Watercolours and Drawings, Waddington Galleries/Theo Waddington, 16. November bis 17. Dezember 2005, London 2005, S. 31. Abb. 109  : Fotografie © Fife Council. Abb. 110  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Ausst.-Kat. Dublin 2004, S. 41. Abb. 111  : © The Lucian Freud Archive. All Rights Reserved 2022/Bridgeman Images. Abb. 112  : In  : Ausst.-Kat. Dublin 2004, S. 18. Abb. 113  : © Fondation Oskar Kokoschka/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Koller Auktionen Zürich. Abb. 114  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : O’Toole 2016, S. 74. Abb. 115  : © Fondation Oskar Kokoschka/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © Albertinum | GNM, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Elke Estel/Hans-Peter Klut. Abb. 116  : © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, in  : Ansel 2018, Plate 12. Abb. 117  : © Fondation Oskar Kokoschka/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Fotografie © The Courtauld/Bridgeman Images.

Register

Adler, Jankel 419, 436 Aiken, Frank 322 Alberti, Leon Battista 253, 263, 265 Alexandre, Arsène 220 Allied Artists’ Association 203 Altamira 261 Anderson, Benedict 13, 14, 16, 67 Anglo-Irish Ascendancy (Protestant Ascendancy) 58, 59 Anglo-Irish Treaty (Anglo-Irischer Vertrag) 64, 111 – 113, 206, 208, 231, 243, 249, 326 Arendt, Hannah 65 Armory Show (International Exhibition of Modern Art) 262, 264, 270, 351, 356, 388, 390, 391, 459 Armstrong, Thomas 46 Arnold, Matthew 101 – 103 Arts and Crafts Movement 57, 76, 80 Ashcan School 380 – 382, 385 – 387, 455, 458 Assmann, Aleida 17, 95 Auerbach, Frank 332, 418, 423, 426, 427 Augé, Marc 302 Bacon, Francis 137, 323, 325, 332, 402, 418 – 422, 448 Ballagh, Robert 451 Balla, Giacomo 189 Ballmer, Karl 345 Barthes, Roland 18, 302, 342 – 344 Baudelaire, Charles 263, 264, 282, 289 – 291 Beardsley, Aubrey 188, 192 Beckett, Samuel 17 – 19, 21, 104, 114, 234, 299, 306, 307, 309, 311, 320, 328, 334 – 347, 460, 461 Beddoe, John 102 Bedford Park 32, 45, 46, 72, 90, 101, 457 Behan, Brendan 424 Bell, Clive 376 Bellows, George 380, 383, 384, 387, 388, 390, 392, 394 Benton, Thomas Hart 394

Berger, John 136, 270, 331 – 333, 347, 408, 419, 423, 461 Betjeman, John 410 – 412 Bianconi, Charles 305 Biennale (Venedig) 21, 26, 64, 137, 311, 321 – 330, 333, 345, 461 Blast 51, 267 Bliss, Lilli P. 398 Bloomsbury Group 376 Blunt, Wilfrid Scawen 108 Bodkin, Thomas 113, 127, 128, 130, 131, 133, 147, 164 Bodmer 290 Boland, Harry 226, 229, 235, 249 Böll, Heinrich 176 Book of Durrow 121 Book of Kells 12, 13, 68, 96, 98, 121 Borthwick, Norma 104 Boru, Brian 96 Boucicault, Dion 305 Bouguereau, William Adolphe 47 Bourdieu, Pierre 12, 54 Braque, Georges 345 Brooks, Nicholas Alden 252 Brown, Frederick 46 – 48, 194, 328, 457 Buffalo Bill 364 Burne-Jones, Edward 31, 215 Burty, Philippe 188 Butt, Isaac 94 Carson, Edward 231 Casement, Roger 111, 200, 201, 232 Cathleen ni Houlihan 105, 108, 176, 239 Celtic Revival 40, 56, 62, 63, 65, 68, 72, 81, 85, 87, 95, 100, 102 – 106, 108, 109, 144, 176, 182, 304, 305, 352, 369, 430 Cézanne, Paul 197, 258, 259, 388, 398 Chagall, Marc 216, 277 Childers, Erskine 210 Chiswick School of Art 45, 46, 457 Churchill, Clementine 411

500  |  Register Clare, Richard de 205 Clark, Harry 115, 375 Clark, Kenneth 25, 134, 187, 408 – 413, 460 Clausen, George 50, 195, 196 Clausen, William 352 Clement, Knut Jungbohn 102 Cocteau, Jean 338 Cole, Henry 45 Collins, Michael 112, 131, 221, 231, 233 Collins, Patrick 303 Colum, Padraic 83, 84, 119, 122, 175, 228, 401 Congested Districts Board for Ireland (CDB) 53, 125, 151 – 153 Connolly, James 111, 200 Conor, William 114, 128 Constable, John 297, 307, 319 Cooper, Douglas 323 Corinth, Lovis 277, 402, 403 Corot, Jean-Baptiste Camille 324 Cosgrave, William Thomas 120, 130, 221, 239 Courbet, Gustave 171 Craig, James Humbert 128 Cromwell, Oliver 59 Cruikshank, George 54 Cuala Press 53, 57, 73, 75, 148, 248, 270, 458 Cultural Relations Committee (CRC) 321, 323, 324 Cumann na nGaedheal 221 Cusack, Ralph 417 Dáil Éireann 111, 249 Dargan, William 98 Daumier, Honoré 216, 319, 328 Davies, Arthur B. 380, 385, 388, 391 Davis, Thomas Osborne 86, 87, 90, 93, 231 Dechevaux-Dumesnil, Suzanne 335 Degas, Edgar 47, 49, 50, 188, 194 – 197, 277, 376, 455 Delacroix, Eugène 205, 415, 416 Department of the Gaeltacht 125 Derain, André 44 Despard, Charlotte 239 Devlin, Denis 322 Dickens, Charles 102 Dillon, Gerard 401 Dillon, John Blake 87 Doyle, Arthur Conan 54 Doyle, Richard 54 Dublin

Custom House 288 Dublin Castle 74, 99 General Post Office (GPO) 111, 128 Glasnevin Cemetery 92, 99, 226 Kilmainham Jail 111, 131, 237 – 239 Liberty Hall 200 Liffey 99, 207, 237, 284, 287, 288, 298, 371 Dublin Lock Out 200 Duchamp, Marcel 244, 343, 388, 390, 392 Duffy, Charles Gavan 87, 89 Dulanty, John 411 Duncan, Ellen 164, 417 Dun Emer Guild (auch Press) 53, 57, 215 Durand-Ruel, Paul 49, 195 Easter Proclamation (Ausrufung der Republik) 81, 85, 111, 201 Easter Rising (Osteraufstand) 81, 108, 109, 111, 128, 131, 141, 146, 147, 200, 206, 210, 219, 223, 239, 245 Edward VIII. 112 Eight, The 380, 388 Elias, Norbert 347 Elizabeth I. 58 Ellis, Edwin John 31, 72, 457 Emmet, Robert 69 – 71, 85, 199, 355 Ensor, James 216, 272, 277, 342 Evans, Walker 160 Fanon, Frantz 158 Farrell, Patric 393, 395, 396 Fenian Brotherhood 90, 92 Fianna Fáil 120, 221 Fine Gael 130, 221 Flight of the Earls (Flucht der Grafen) 58 Foster, Ben 381 Foucault, Michel 18, 342 Fowler, Trevor Thomas 116 Freud, Lucian 27, 402, 418, 420, 421, 423, 424, 426 – 428 Friedrich, Caspar David 171, 337 Fry, Roger 164, 194, 256, 258, 388 Fuller, Loïe 188, 189 Gaelic Athletic Association 113 Gaelic League 76, 101, 103, 105, 111, 125, 153, 377 Gaeltacht 125, 164 Gaudier-Brzeska, Henri 44, 51, 52, 203, 262

Register | 501 Gauguin, Paul 155, 156, 164, 388 Gellner, Ernest 13, 14, 75, 124 Géricault, Théodore 205 Giacometti, Alberto 330 Giorgione 309, 328, 414, 415 Giotto di Bondone 38 – 41 Glackens, William 380, 382, 392 Gladstone, William 94 Glasgow Boys 65 Gleeson, Evelyn 42, 144, 145 Goethe, Johann Wolfgang von 44 Gogarty, Oliver St. John 293 Gogh, Vincent van 188, 272, 277, 388, 415 Gonne, Maud 219, 239, 240, 247 Goya, Francisco de 83, 84, 215 – 217, 228 – 231, 245, 263, 315, 328, 450 – 453, 455 Grattan, Henry 59, 60, 69 Great Famine (Große Hungersnot) 94, 116, 151, 233, 350, 446 Greenberg, Clement 27, 325, 330, 419 Gregory, Lady Augusta 57, 103 – 105, 108, 144, 145, 190, 379 Griffith, Arthur 111, 249 Grosz, George 363, 364 Guggenheim, Peggy 338, 460 Guys, Constantin 289, 290 Haberle, John 252 Hackett, Helen 393 Haddon, Alfred Cort 103 Hall, Kenneth 417 Hall, Stuart 15, 16, 23, 24, 61, 125, 349, 377 Hall, Sydney Prior 31 Harte, Bret 364 Healy, James A. 396 Heaney, Seamus 12 Heine, Heinrich 44 Held, Julius S. 403 Hempel, Eduard 410 Henri, Robert 284, 380, 382 – 384, 388 Henry, George 65 Henry, Grace 128, 393 Henry, Paul 114, 115, 118, 119, 121 – 124, 126, 128, 134, 138, 160, 175, 176, 178, 259, 260, 399, 412, 417, 430, 459 Herder, Johann Gottfried 86 Heron, Hilary 325, 328 Heron, Patrick 134, 347, 412, 413 Hillen, Seán 139

Hirshhorn, Joseph Hermann 404 Hobsbawm, Eric 13, 14, 107, 347 Hodin, Josef P. 434 Hodler, Ferdinand 277, 278 Hoffmann, Edith 320, 403, 442 Hogarth, William 254, 297 Hokusai, Katsushika 191 – 193, 196, 455 Home Rule Movement 63, 94, 95, 111, 151, 152, 210, 231 Hone d. J., Nathaniel 115, 389, 399 Hopper, Edward 385, 388 Hornel, E. A. 65 Howe, Mary Manning 344 Hugh Lane Gallery (Municipal Gallery of Modern Art) 49, 63, 195, 329, 379, 442 Hyde, Douglas 76, 103 – 105, 145 Institute of Contemporary Art, Boston (ICA) 329, 345, 400, 401, 442 Irischer Bürgerkrieg 61, 112, 131, 207, 221, 226, 230, 231, 238, 239, 242, 243, 444 Irischer Unabhängigkeitskrieg 16, 40, 105, 111, 131, 208, 247, 288, 304 Irische Symbole Bell of St. Patrick 99 Harfe 70, 72, 96, 98 – 100, 205 Hibernia 98 Hochkreuz 67, 72, 92, 96, 98, 99, 205, 229 Kleeblatt 72, 99, 100, 438 Rundturm 72, 99, 100, 229 Wolfshund 72, 98 – 100 Irish Arts and Crafts Society 80 Irish Citizen Army 111 Irish Exhibition of Living Art 43, 417 Irish Free State 14, 57, 64, 65, 103, 110, 112, 114, 119 – 127, 129, 130, 139, 221, 226, 227, 229 – 231, 233 – 235, 238 – 240, 242, 243, 247, 248, 288, 292 – 294, 296, 299, 304, 326, 369, 372, 376, 410, 454, 459 Irish Labour Party 200 Irish Literary Renaissance 63, 105 Irish Parliamentary Party 63, 94 Irish Race Conference 220, 248 Irish Renaissance Movement 145 Irish Republican Army (IRA) 111, 129, 229 – 231, 233, 288 Irish Republican Brotherhood (IRB) 90, 92, 95, 111, 211

502  |  Register Irish Transport and General Workers Union (ITGWU) 200 Irish Volunteers 92, 95, 111, 131, 201, 206, 207, 210, 211, 217

Lord Killanin 440 Loti, Pierre 156 Luks, George 380 Lurçat, Jean 442

Jakob II. 59 Japonismus 188, 192 Jellett, Mainie 68, 115, 139, 400, 417 Jewell, Edward Alden 379, 393 – 396 Johnston, Vera Zhelihovsky 384 Joyce, James 19, 63, 76, 134, 233, 267 – 269, 274, 290, 299, 301, 334, 339, 364, 370 – 372, 395, 405, 459

Macbeth, William 380, 381, 385, 386, 388 MacBride, Seán 239, 321, 326 MacGonigal, Maurice 115, 124, 128, 240 MacGreevy, Thomas 17, 21, 35, 41, 110, 113 – 119, 122, 127, 136, 143, 204 – 207, 209 – 211, 221, 222, 227 – 231, 234 – 238, 240, 243, 248, 268, 272, 273, 278, 279, 294, 306, 307, 311, 313 – 320, 324, 326 – 335, 337 – 340, 342, 344, 345, 360, 398, 401 – 403, 412, 415, 437, 440, 442, 460, 461 Macke, August 363 Maclise, Daniel 205 Mahr, Adolf 430 Malewitsch, Kasimir 244 Manet, Édouard 216, 282, 309, 376, 436 Markievicz, Constanze 42, 239 Masaryk, Tomáš Garrigue 107 Matejka, Viktor 434 Mathews, Elkin 53, 166 McGuinness, Norah 58, 123, 146, 242, 243, 321, 328, 364, 399 McKelvey, Frank 128 McManus, Henry 87 Meagher, Thomas Francis 89 Mellon, Paul 404 Mespoulet, Marguerite 176, 178 Metropolitan School of Art 34, 46, 427 Michelangelo Buonarroti 41, 253 Miller, Lee 371 Miller, Nick 154 Millet, Jean-François 319 Minchillo, John 224 Molyneux, William 59 Monet, Claude 47, 194, 258 Moore, George 46, 384 Moran, David Patrick 60, 376, 377 Morisot, Berthe 47, 194, 257 Morris, May 57, 80 Morris, William 57, 264 Moser, Koloman 189 Moysey, Philip 434, 436, 437 Mucha, Alfons 107, 118 Munch, Edvard 188, 279, 281, 282, 323, 342, 402

Kahlo, Frida 402 Kahn, Albert 176 Kallin, Anna 430 Kandinsky, Wassily 338, 345, 389 Kawakami, Otojirō 188, 189 Keating, Seán 114, 115, 124, 128 – 130, 217, 221, 233, 240, 293, 294, 296, 297, 393 Kernoff, Harry 124, 128, 430 Kirchner, Ernst Ludwig 389 Klee, Paul 345, 417 Kokoschka, Olda 434 – 437, 440, 460 Kokoschka, Oskar 27, 216, 272, 277, 282, 320, 329, 401 – 403, 418, 419, 428 – 448, 450, 455, 460, 461 Kollár, Jan 107 Kramer, Hilton 25, 408 Kuhn, Walt 388, 389 Lady Dunsany (Mrs Randal Plunkett) 222 Lamb, Charles Vincent 115, 128, 241 Lane, Hugh 49, 52, 63 – 65, 91, 127, 195, 294 Larkin, James 199 – 201, 217, 218 Lawson, Ernest 380 Le Brocquy, Louis 62, 134 – 139, 325 – 328, 401, 419, 427, 442, 446, 452 Lessing, Gotthold Ephraim 186 Levitt, Helen 160 Lewenthal, Reeves 401 Lewis, Wyndham 51 Liebenam, Lore 291 Liebermann, Max 278 Loach, Ken 131 London Impressionists 47, 194 Loos, Anita 405, 406 Lord Cloncurry 98

Register | 503 Museum of Modern Art 357, 398, 400 Myers, Jerome 380, 381, 387 Nast, Thomas 355 National College of Art 34, 221, 313, 460 National Gallery of Ireland 20, 43, 64, 84, 114, 127, 130, 221, 222, 298, 321, 326, 329 Nation, The 87, 88, 90, 97 New English Art Club 47, 50, 256, 457 Newton, Eric 62, 134, 247, 326, 333, 347, 409, 413, 415 Nicholson, William 409, 411, 460 Nicol, Erskine 116 Nô-Theater 190 O’Brien, Dermod 226 O’Casey, Seán 395 O’Connell, Daniel 60, 85, 86, 94, 99, 229 O’Doherty, Brian 18, 22, 43, 61, 104, 139, 173, 210, 217, 223, 226, 235, 236, 242, 243, 245, 277, 278, 343, 344, 348, 416, 426, 444, 461 O’Donovan Rossa, Jeremiah 88, 92, 93, 224 O’Grady, Standish James 106, 109 O’Leary, John 72, 90 – 92, 145, 385 O’Mahony, John 90 O’Malley, Ernie (auch Earnán) 17, 22, 71, 113, 131 – 133, 209, 274, 311, 313, 366, 396, 400 O’Murnaghan, Art 121 O’Neill, Hugh 58, 59 Orlik, Emil 189 Oshima, Shotaro 273, 310 Pach, Walter 388 Parnell, Charles Stewart 63, 85, 94 Parrhasius 252 Pearse, Patrick 81, 108, 111, 201 Penal Laws 59, 69, 94 Pène du Bois, Henri 354, 355 Peredwischniki 265 Petrie, George 96, 97, 99 Pevsner, Nikolaus 297 Phillip II. 58 Phillip III. 58 Picasso, Pablo 315, 339, 388, 402, 417, 451 Plaut, James S. 329, 345, 401 – 403, 433, 442 Plinius d. J. 252 Pollock, Jackson 325, 330, 332, 339, 418 Pound, Ezra 51 Poynter, Edward 30, 46

Präraffaeliten (Pre-Raphaelite Brotherhood) 39, 72, 457 Prendergast, Maurice 380 Price, Frederic Newlin 394 Prinz Albert (Prince Consort) 182 Purser, Sarah 116 Putman, Jacques 339 Queen Victoria 98 Quinn, John 21, 44, 75, 76, 104, 109, 146, 147, 179, 186, 193, 199, 201, 216, 218, 219, 250, 253, 261, 262, 264, 269, 338, 350 – 354, 356, 357, 359, 378, 379, 382, 385, 389 – 391, 398 Raffael 41, 149 Ragg, T. Murray 299, 336 Raiftearaí, Antoine 104 Rákóczi, Basil 417 Raphael, Max 276 Read, Herbert 113, 134 – 136, 301, 322, 409, 460 Redmond, John 94, 231 Redon, Odilon 330 Reid, Frederick W. 336 Reid, Nano 321, 328, 399 Reinhardt, Max 189 Rembrandt van Rijn 114, 216 Renan, Ernest 122 Renoir, Pierre-Auguste 49, 195 Reynolds, Joshua 39, 255, 256 Riis, Jacob 360 Rivera, Diego 132, 402 Robert-Fleury, Joseph Nicolas 47 Rockefeller, Abby Aldrich 398 Rolleston, T. W. 57 Rossetti, Dante Gabriel 31 Rothenstein, John 263, 274, 414, 460 Rothenstein, William 83, 84, 263 Rouault, Georges 216, 277, 345, 398, 436 Roussel, Theodore 47 Rowohlt, Harry 11 Royal Academy 32, 39, 47, 116, 205, 232, 255 Royal Hibernian Academy 34, 139, 146, 176, 226, 232, 270, 393, 417, 459 Rubens, Peter Paul 44 Ruskin, John 39, 46, 256, 257, 264, 265, 413 Russell, George (Æ) 41, 61, 87, 102, 105, 108, 144, 357, 389 Said, Edward 24, 40

504  |  Register Schneider, Pierre 339 School of London 418, 419, 436 Schutz, Dana 60 Scott, Charles Prestwich 150, 151 Scott, Patrick 328, 417, 442 Scott, William 11 Segalen, Victor 155, 162 Senan, Father 222 Shaw, George Bernard 56, 101, 157, 158, 218 Shimpa-Theater 189 Shinn, Everett 380, 382 Sickert, Walter 47, 50, 51, 194, 254, 255, 257, 258, 265, 282, 389, 418 – 422, 424, 428, 455, 459 Simmel, Georg 284 Siqueiros, David Alfaro 402 Sloan, Dolly 382, 384 Sloan, John 284, 380, 382 – 388, 392 Sloan, Marianna 381 Smith, Pamela Colman 53, 74, 76 Société des Artistes Indépendants 203, 340, 459 Society of Dublin Painters 43, 127, 260, 417, 429, 459 Society of Independent Artists 245, 275, 391, 459 Solomons, Estella 124 Somerville, Edith Œnone 399 Sontag, Susan 231, 343 Sotscheck, Ralf 11 Souter, Camille 442 South Kensington School of Art 45, 457 Soutine, Chaim 399 Starr, Sidney 47 Steer, Philip Wilson 39, 47 Steinlen, Théophile-Alexandre 56 Stephens, James 90 Stokes, Margaret McNair 97, 145 Sullivan, Mary Quinn 356, 396 – 400 Swanzy, Mary 126, 417, 459 Sweeney, James Johnson 400 Swift, Patrick 424 Sylvester, David 325, 331, 332, 418 – 420 Synge, John Millington 53, 54, 58, 63, 100, 105, 135, 148, 150 – 152, 154 – 160, 162 – 167, 169, 171, 173, 175, 176, 178, 179, 181, 184 – 186, 192, 225, 226, 304, 337, 458 Tara-Fibel 96, 98 Teeling, Bartholomew 68 – 71, 199 Tetmajer, Włodzimierz 124

Tintoretto, Jacopo 44, 413, 414 Tone, Theobald Wolfe 69, 70, 72, 85, 234, 235, 318 Toulouse-Lautrec, Henri de 189, 376, 398 Towarzystwo Artystów Polskich »Sztuka« 124 Tuohy, Patrick 393 Turner, William 39, 46, 257, 416 Ukiyo-e 190, 192 Ulster Plantation 58 Ulster Volunteers 95, 210 United Arts Club 43, 44, 164, 417, 429, 430, 459 United Irishmen 69, 70, 79, 85, 234, 318, 355 Valera, Éamon de 99, 112, 120, 140, 210, 221, 222, 248 – 250, 266, 320, 411, 422 Valloton, Félix 192 Vasari, Giorgio 38, 41, 413 Velásquez, Diego 43 Velde, Bram van 345 Verrochio, Andrea del 182 Vlaminck, Maurice de 272, 389 Vortizisten 51, 203, 262, 267, 429 Waddington, Victor 113, 127, 128, 130, 227, 312, 313, 327, 340, 345, 346, 401 – 404, 406, 431 – 437, 441, 460 Walden, Herwarth 276 Warburg, Aby 182, 183, 236 Watteau, Antoine 114, 216, 306 – 309, 328 Weber, Max 85 Welch, Robert John 128, 160 Westheim, Paul 446 West London School of Art 45, 457 Westminster School of Art 45 – 47, 194, 328, 457 Whelan, Leo 128, 297 Whistler, James Abbott McNeill 46, 118, 171, 188, 194 – 196, 252, 253, 257, 265, 376, 388, 421, 458 White, James 42, 64, 137, 321, 322, 324, 325, 327, 442, 443 White Stag Group 136, 417 White, Terence de Vere 131, 234, 412, 414 Wilhelm III. (Oranien) 59 Winckelmann, Johann Joachim 413 Wölfflin, Heinrich 278 Wood, Grant 394 Yeats, Anne 20, 43, 316

Register | 505 Yeats, Elizabeth Corbet (Lolly) 34, 53, 57, 74, 75, 382, 457, 458 Yeats, John Butler (JBY) 29 – 32, 37 – 42, 45, 46, 48, 54, 90, 95, 109, 118, 145, 149, 284, 382 – 385, 389, 457, 458 Yeats, Mary Cottenham (Cottie, geb. White) 53, 100, 147, 215, 281, 353, 457, 460 Yeats, Susan Mary (geb. Pollexfen) 31, 57 Yeats, Susan Mary (Lily) 34, 37, 44, 52 – 54, 57, 74, 75, 80, 146, 147, 219, 382, 385, 457, 458

Yeats, William Butler (W. B.) 11, 20, 24, 29, 36 – 38, 42, 44, 46, 56, 57, 60, 61, 63, 65, 66, 87, 90 – 92, 94, 101, 103 – 108, 127, 145, 176, 239, 240, 242, 270, 273, 282, 301, 305, 306, 328, 352, 353, 356, 376, 384, 385, 395, 412, 457, 459 Young, Ella 366 Young Ireland Movement 60, 65, 86, 87, 90 Zeuxis 252