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German Pages 388 [396] Year 1897
ISRAELITISCHE UND
JÜDISCHE GESCHICHTE.
ISRAELITISCHE UND
JÜDISCHE GESCHICHTE VON
J. WELLHAUSEN.
DRITTE
AUSGABE.
BERLIN. DRUCK UND VERLAG VON G E O R G
1897.
REIMER.
Alle Rechte
vorbehalten.
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff zugeeignet
I n h a l t .
Seit«
1. 2. 3. 4. 5. G. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.
Geographie und Ethnologie. Chronologie Die Anfange des Volkes Die Ansiedlung in Palästina Die Gründung des Reiches und die drei ersten Könige Von Jerobeam I. bis zu Jerobeam II Gott Welt und Leben im alten Israel Der Untergang Samariens Die Rettung Judas Die prophetische Reformation Jeremias und die Zerstörung Jerusalems Die Juden im Exil Die Restauration Das Oesetz Die zweite Hälfte der persischen Periode Die jüdische Frömmigkeit Die Zeit Alezanders und seiner Nachfolger Judas Makkabäus und seine Brüder Die Herrschaft der Hasmonäer Die Ausbildung des Judaismus Die Zeit Hyrkans II König Herodes Die Vierfürsten und die Landpfleger Der Untergang des jüdischen Gemeinwesens Das Evangelium
1 11 35 51 68 79 106 118 125 135 144 157 174 186 203 222 252 270 288 307 318 340 353 374
Erstes Kapitel. Geographie und Ethnologie.
Chronologie.
1. Der grossen Wüste, die vom Tigris und Euphrat her bis zum Indischen Ocean hinunter sich ausdehnt, ist im Westen auf ihrer ganzen Länge ein Gebirgsstreifen vorgelagert, welcher sie vom Meere scheidet. Das Meer läuft beständig neben dem Gebirge her, nur an einer Stelle wird es von der Halbinsel des Sinai überbrückt, die sich zwisohen die vorgeschobenen Buchten der Oceane legt und den Wüstengürtel der Continente verbindet. Diese Halbinsel bildet die Grenze zwischen dem arabischen und dem syrischen Küstenlande. Die Lage am Mittelländischen Meere ist der Vorzug des letzteren, die Ursache seiner grösseren Fruchtbarkeit und seiner wichtigeren Stellung in der Weltgeschichte. Wo der Euphrat, nach dem Durchbruch der Taurusketten, Miene macht sich in das westliche Meer zu ergiessen, beginnt das syrische Bergland und von Nord nach Süd streichend bildet es zwischen Meer und Wüste einen fortlaufenden Damm, die Völkerstrasse von Vorderasien nach Ägypten. Ein langer Riesenwall, nur durch den Einschnitt des Orontes und des Eleutherus unterbrochen, erstreckt sich an der Küste her bis gegen Tyrus. Seine grösste Erhebung erreicht er im Libanon. Diesem gegenüber formirt sich ein paralleles östliches Gebirge, der Antilibanus; dazwischen liegt ein Tal, von dessen Scheitelpunkt die Flüsse teils nach Norden teils nach Süden fliessen. Libanon und Antilibanus, mit der Bik'a in der Mitte, setzen sich nach Süden zu beiden Seiten des Jordans fort, wenn auch in sehr vermindertem Maasse. Wellhaugen, Hr. Geschichte. U. Aufl.
1
2
Erstes
Kapitel.
Soweit der Jordan geht, reicht Palästina. Am südlichen Fusse des Hennon liegt eine kleine Niederung, von hohen Bergen eingeschlossen; mehrere Bäche strömen hindurch und vereinigen sich zuletzt in einer sumpfigen Marsch mit einem dreieckigen Teich, aus dem der Jordan hervorkommt. Mühsam durch Basaltklüfte seinen Weg sich bahnend stürzt er zuerst ziemlich rasch an sechshundert Fuss herab, staut sich aber dann vor einer Felsmauer und bildet das Galiläische Meer. Von da austretend hat er sich in einem durchschnittlich mehrere Stunden breiten Tal ein doppeltes Bett gegraben, ein äusseres mit fast senkrechten Wänden und einem ziemlich graden Laufe, und ein inneres mit beständigen Windungen, die heutige Flussrinne. So setzt er seinen Weg nach Süden fort, bis er endlich im Toten Meere sein Grab findet. Die Gegend, die er in seinem unteren Hauptlaufe von See zu See durchschneidet, ist eine hie und da von üppigen Oasen unterbrochene Einöde. Man kann den Fluss nicht die Lebensader des Landes nennen; er ist beinah nur ein tiefer Abzugsgraben. Das Tal, durch welches er sich ergiesst, ist eine der sonderbarsten Einsenkungen, die es auf der Erde gibt, einzig in ihrer Art durch die absolute Depression des Bodens. Während die Muldenbildung zwischen parallelen Gebirgsrücken von der Bik' a bis zum Alanitischen Busen des Roten Meeres durchgeht, ist der unterscheidende Zug für die Physiognomie Palästinas die untermeerische Tiefe „des Einsturzes". Die erwähnten beiden Seen liegen mit ihrem Spiegel der obere sechshundert, der untere dreizehnhundert Fuss niedriger als der Meeresspiegel. Im Süden hingegen, unterhalb des Toteu Meeres, erhebt sich die Mulde bald wieder zu einer normalen Höhe; im Norden überragt die Bik'a sogar das Gebirgsniveau Palästinas. Von den beiden Höhenzügen, welche über diese Kluft hinüber sich ansehen, ist der westliche ein ziemlich höhlenreiches Kalkgebirge von durchschnittlich zahmem Charakter. Mit dem Libanon hängt am nächsten das obere Galiläa zusammen, es ist der höchste und rauheste Teil des diesseitigen Landes. In weiten Absätzen fällt von da das Gebirge nach Süden ab, bis zu einer Tiefebene, die im Alten Testament den Namen Jezreel führt. Diese Ebene, ') So heisst ursprünglich ein Landstrich, erst später eine Stadt; s. 1 Sam. 2 9 , 1 . 11. 2 Sam. 2 , 9 . 4 , 4 . Genau genommen ist das Tal Jezreel von der Ebene Megiddo zu unterscheiden.
Geographie und Ethnologie.
Chronologie.
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vom Thabor überragt, macht einen grossen Einschnitt durch das westliche Land. Zwar erstreckt sie sich nicht in ganzer Breite vom Meere bis zum Jordan, sondern wird hüben und drüben durch weit vorgestreckte Ausläufer der Gebirge eingeengt. Aber Flusstäler gehen von ihrem Scheitel nach beiden Seiten durch, und im Südwesten verbindet sie der Pass von Dothan, zwischen dem Karmel und dem samarischen Gebirge, mit der Ebene Saron und der Küste der Philister. Weiter gegen Süden geht die Ebene in ein freundliches Hügelland über, und aus diesem steigt stufenweise der Hauptrücken Westpalästiuas auf, welcher in ziemlich gleicher Höhe von Silo bis nach Hebron sich erstreckt und die wahre Burg des Landes bildet, das Gebirge Ephraim und Juda. Der breite Rücken zieht sich in mannigfachen Krümmungen von Nord nach Süd. Die Täler gehn von da nach West und Ost, doch spalten sie sich sehr ungleichmassig und unsymmetrisch. Selten fliessen perennirende Bäche hindurch, die meisten Quellen kommen nicht weit. Gegen Osten ist der Abfall kürzer und steiler, da der Rücken dem Jordan weit näher läuft als dem Meere. Die Hauptabdachung erfolgt gegen Westen. Hier stuft sich das Gebirge allmählich zu einer Niederung ab, die sich am Meere herzieht. Südlich von Hebron beginnt ein kahles Tafelland, der Negeb des Alten Testaments. In bogenförmigen Terrassen abfallend ragt es hiuein in die Wüste des Sinai. In Obergaliläa reichen die Felsen noch bis an das Meer; weiter südwärts lagert sich eine Ebene dem Gebirge vor, vielleicht das Product einer von Ägypten kommenden Windes- und Meeresströmung. Unterhalb des Karmel gewinnt die Ebene beständig an Ausdehnung und geht zuletzt in die Wüste über. Häfen fehlen der Küste fast gänzlich, aber als Verkehrsweg ist sie wichtig gewesen, wichtiger als die schlecht zu passirende Bergstrasse, die über den Rücken des Landes führt. Bei dem Höhenzuge jenseit des Jordans tritt die westliche Abdachung noch entschiedener hervor als gegenüber. Alle Wasser laufen nach Westen, und zwar verstreuen sie sich nicht, sondern sammeln sich in tiefen Schluchten zu beträchtlichen Bächen. Von dieser Seite empfängt der Jordan seine bedeutendsten Zuflüsse. Die Wasserscheide, zugleich die natürliche Strasse von Syrien nach Arabien, geht hart am Saume der grossen östlichen Wüste her, wenngleich die höchsten Berge weiter westlich liegen. Die Wüste 1*
4
Erstes
Kapitel.
dringt nach Süden zu weiter vor, im Norden hingegen wird sie zurückgedämmt durch das Gebirge des Hauran, das wie ein gewaltiger Aussenposten sich auf eine kurze Strecke den parallelen westlicheren Ketten vorschiebt, Das transjordanische Gebirge ist mehr zu Plateaubildung geneigt und hält sich durchschnittlich auf grösserer Höhe als das cisjordanische. Die breite und tiefe Senkung, welche im Westlande den nördlichen und den südlichen Rücken trennt, setzt sich im Ostlande nicht fort; um so bedeutender aber treten innere Unterschiede in der Terrainbildung hervor. Im Norden ist der Sitz des Basalt, die ausgebrannten Vulkane des Haurans bilden sein Centrum. Der Jarmuk ) , der gegenüber der Ebene Jezreel und ihres östlichen Ausläufers in den Jordan fällt, bildet die Grenze seines Gebietes, wenngleich er vereinzelt auch weiter südlich durchbricht. Dann kommt der Kalk zum Vorschein, er erstreckt sich bis zu dem Wüstenbach, der in den untersten Teil des Toten Meeres mündet. Seine Region zerfällt in das Gebirge Gilead, welches von der Zarkä durchschnitten wird, und in die Hochebene Moab, durch welche der Arnon strömt. Südlich vom Bach der Araba, in Edom, macht der Kalk mehr und mehr dem Sandstein und dem Urgebirge Platz; der gleiche Wechsel der Formation vollzieht sich auch drüben, auf der Halbinsel des Sinai. Basan im Norden und Edom im Süden sind übrigens nur Grenzländer Palästinas, während Moab als dazu gehörig betrachtet werden kann. Vom Fusse des Hermon bis zum Ende des Toten Meeres hat das Land eine Länge von etwa dreissig deutschen Meilen. Die Breite, zwischen Wüste und Meer, ist erheblich geringer, bleibt sich jedoch nicht gleich und lässt sich schlecht veranschlagen. Den Flächeninhalt nimmt man auf etwa vierhundert Quadratmeilen a n , von denen zweihundertundvierzig auf die westliche Hälfte fallen. Palästina ist also zwar klein nach unseren Begriffen, aber gross im Vergleich zu Attika und Latium. Nicht allenthalben ist ') Der
alttestamentlicbe
Jarmuk zu sein; Philisterlande dann
weiter
Jabbok
scheint
nicht
denn er gehört zu der Strasse,
her
über
nach Osten
den Pass
von Dothan
die Zarka,
sondern
der
die von Ägypten und dein in
die Ebene Jezreel
geht (Gen. 32, 5. J u d . 6 — 8 .
1 Macc. 5).
und
Phauuel
Mahanaim und Ephron liegen daran; bei Sukkoth fällt er in den Jordan.
Geographie und Ethnologie.
Chronologie.
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es anbaufähig, gar manche und grosse Strecken sind Wüste und Wildnis, oder nur als Weide für Schafe und Ziegen zu gebrauchen. Für die Bewässerung sind die Flüsse, wegen ihres tiefen Bettes, von keinem Nutzen, sondern nur die Quellen und Teiche. Vorzugsweise wird die zum Anbau nötige Feuchtigkeit vom Himmel gespendet. Regelmässige Regenschauer eröffnen und schliessen die winterliche Jahreshälfte, stärkere Güsse erfolgen im December. Im Sommer muss der Tau das Beste tun. Die Quelle des Taues ist das Meer. Zu Handel und Wandel fordert es an dieser Küste nicht auf, aber auf andere Weise belebt es das Land. Ihm entstammt der starke Wassergehalt der Luft, den die Berge auffangen und festhalten — sie allein würden sonst im Kampfe gegen die Wüste hier nicht mehr ausrichten als weiter unten in Arabien. Wie viel dem Meere verdankt wird, zeigt sich in Palästina ebenso wie beim Libanon in der Bevorzugung der westlichen vor der östlichen Abdachung der Gebirge. Besonders bei dem Karmel ist der Unterschied der Fruchtbarkeit zwischen der sanft geneigten westlichen und der jäh abfallenden östlichen Schulter sehr auffallend. Überall wiederholt sich die gleiche Erscheinung; die zum Meere geöffnete Lage bringt Feuchtigkeit und Wachstum, die der Wüste zugekehrte Trocknis und Unfruchtbarkeit mit sich. Landschaftliche Reize bietet Palästina wenig. Die Berge zeigen keine malerischen Linien; Wald und Wiese gibt es nicht, ausser am Karmel, in Galiläa, und namentlich auf den rauhen und wasserreichen Höhen Gileads; grosse wildwachsende Bäume kommen in der Regel nur einzeln vor, so dass sie als Landmarken dienen. Aber der Rebe, Olive und Feige sagt der Boden zu, die Palme kommt wenigstens fort, obwol sie selten ist 1 ). Jene edelen Gewächse verstehn es sich in dem Felsen einzuwurzeln und aus ihm ihre Süssigkeit zu saugen. Wo die Ackerkrume tief genug ist, da wächst Weizen und Gerste in Fülle, am besten in der Hügelregion und in der Ebene. 2. Die Bewohnerschaft dieses ganzen Landstrichs zwischen der Wüste und dem mittelländischen Meere, bis zum Euphrat hinauf, trägt den Namen Kanaan. Es ist kein Landes-, sondern ') Sie gedeiht nur in den Oasen des J o r d a n s , wo sie jedoch erst in der griechisch-römischen Zeit angebaut wurde, wie auch die Balsamstaude und der Papyrus.
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Erstes
Kapitel.
ein Volksname, eigentlich ein Sammelname für eine bunte Menge verschiedener kleiner Völkerschaften und Gemeinden, die nur durch Sprache und Cultur, aber nicht politisch dauernd geeint waren 1 ). Die palästinischen Kanaaniter heissen im Alten Testamente Amoriter, jedoch nur sofern sie den Hebräern unterlegen und vor ihnen verschwuuden sind, nicht sofern sie sich stellenweise noch unter ihnen behauptet haben 5 ). Nördlich von den Amoritern, in dem Hinterlande der phönicischen Küste, wohnten die Hethiter, bis zum Euphrat und darüber hinaus. Sie hatten, wie es scheint, eine Zeit lang die politische Hegemonie in ganz Syrien und Palästina und waren im Zuge dort ein grosses Reich zu gründen, wurden daran aber von den Ägyptern und Aramäern gehindert. Man hat nicht Ursacli, sie von den Cheta der Ägypter und den Chatti der Assyrer zu unterscheiden; ebenso wenig, ihre Zugehörigkeit zu K a n a a n , im Widerspruch zu dem deutlichen und hier vollgiltigen Zeugnis des Alten Testaments, zu bezweifeln. Man muss indessen annehmen, dass die kanaanitische Sprache hier streckenweise sehr früh der aramäischen gewichen ist 3 ). Die Aramäer, die von den Griechen Syrer genannt werden, waren die östlichen Grenznachbaren der Hethiter, vom Euphrat bis zum Jordan. Am Rande der Wüste hatten sie sich jenen angesetzt, in einer Gegend, die jetzt grossenteils öde ist, im Altertum aber besser angebaut und zum Teil stark bevölkert war. Von der kanaanitischen Volksschicht wird diese aramäische im Alten Testament scharf unterschieden, jene wird zu Ham, diese zu Sem gerechnet. Ethnisch und sprachlich ist diese Unterscheidung nicht zu begründen, sie muss durch politische und geschichtliche Gründe veranlasst sein, dadurch dass die Aramäer auf diesem Gebiete die Eroberer und die Kanaaniter die Unterworfenen waren, und dadurch dass diese seit alter Zeit in lebhaftem Verkehr mit Ägypten (Hain) standen, während jeue nach der anderen Seite gravitirten und ihre Verbindungen im Nordosten hatten. Noch in der ersten Hälfte des achten vorchristlichen Jahrhunderts wusste man in ') V o n Nord und S ü d entspricht der Erstreckung der Kanaaniter die der P h ö n i c i e r , von der cilicischen bis nach der ä g y p t i s c h e n Küste. sind erst spät eingebrochen.
Die Philister
Über Kanaan Sem und Japheth vgl. die Composi-
tion des Hexateuchs und der historischen Bücher des A. T. (Berlin 1889) p. 14 s. s
) Ebenda p. 341 s.
3
) Zeitschr. der Deutschen Morgenl. Gesellschaft 1893 p. 96 ss.
Geographie und Ethnologie.
Chronologie.
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Palästina ganz gut, dass die Aramäer nicht wie die Kanaaniter seit unvordenklichen Zeiten in dem von uns so genannten Syrien einheimisch waren. Man gab auch die Gegend an, wo sie vordem gesessen hatten; der Prophet Arnos sagt, sie seien aus Kir eingewandert. Leider lässt sich bis jetzt nicht sagen, wo diese Landschaft liegt; nur so viel scheint gewiss, dass sie nicht allzufern von Syrien und zwar nordöstlich davon zu suchen ist. Aus Mesopotamien sind die Aramäer gegen die Küste des Mittelmeeres vorgerückt, und zwar in der Richtung von Norden nach Süden. Denn im Süden, unterhalb von Damaskus, verläuft sich ihr Zug allmählich, während er gegen Norden nicht abreisst, sondern je näher zum Tigris um so breiter und massiger wird. Sie besetzten den Rand des Landes der Hethiter und beschränkten diese auf das Hügel- und Gebirgsland, Hessen sie aber auch hier nicht unangefochten, sondern drängten immer weiter gegen das Meer zu. Ihrem unausgesetzten und von einem starken Rückhalt im Nordosten unterstützten Drucke sind die Kanaaniter — ebenso wie die späterhin teilweise an deren Stelle getretenen Hebräer — endlich erlegen; im fünften Jahrhundert war ganz Syrien und Palästina, mit Ausnahme der phönicischen Städte, aramaisirt, und die Anfänge dieses Processes gehen in weit frühere Zeiten zurück, namentlich im Norden. Ein ganz ähnlicher Vorgang wiederholte sich später, als die Araber, von Südosten her kommend, sich zuerst am Saume der Wüste niederliessen und von hier aus dann den Aramäern das selbe Schicksal bereiteten, welches jene der früheren Bevölkerung bereitet hatten. 3. Eine dritte, weit kleinere Gruppe bildeten die Ammoniter, Moabiter und Edomiter, welche zusammen im südlichsten Teile des ostjordanischen Palästinas bis hinunter zum Roten Meere wohnten. Zu ihnen gehörten auch die späteren Israeliten, die ursprünglich mit den Edomitern vereint waren und sich auch räumlich eng an jene anschlössen. Es geht aus der Genesis hervor, dass diese kleinen Völker einst eine Art Einheit gebildet und eine gemeinsame Geschichte durchlebt haben, deren Ergebnis eben ihre Ansiedlung im südöstlichen Palästina war. Man kann ihre Gruppe als die der Hebräer bezeichnen. Der Name bedeutet wahrscheinlich die Ostjordanier, er war nicht unter ihnen selber einheimisch, sondern unter ihren Nachbarn im gegenüberliegenden Westen aufgekommen. Er haftete vornehmlich an den Israeliten, schloss aber
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Erstes
Kapitel.
schon nach altem Sprachgebrauche die weitere Ausdehnung nicht aus, die wir ihm gegeben haben. Die Hebräer, nicht bloss die Israeliten, sondern auch die Moabiter und zweifellos ebenso die Edomiter und Ammoniter, redeten die Sprache Kanaans. Aber sie waren keine Kanaaniter, sondern hatten sich in sie eingedrängt und über ihnen gelagert; denn auch im Osten des Jordans und der Araba war die alte Bevölkerung kanaanitisch'). Die Eroberer fühlten sich den Unterworfenen gegenüber sehr stolz, und so stark sie auch von ihnen beeinflusst wurden, wollten sie doch nichts mit ihnen zu tun haben. Sie wollten vielmehr Verwandte der Aramäer sein. Dass sie nicht aramäisch redeten, spricht nicht geradezu gegen diese Verwandtschaft; abgeschnitten von der Verbindung mit dem Mutterlande könnten sie ihre alte Sprache aufgegeben und die Sprache ihres neuen Landes angenommen haben. Indessen konnten die Hebräer doch leicht dazu kommen, sich für „versprengte" Aramäer auszugeben, auch wenn sie es nicht waren. Beide Völker hatten das gleiche Verhältnis zu den K a n a a n i t e m , nicht bloss in der allgemeinen Hinsicht, dass sie die herrschende, jene die unterworfene Klasse der Bevölkerung bildeten, sondern auch in der besonderen Art wie sich die obere über der unteren Schicht abgelagert hatte. Vom Rande der Wüste aus hatten sich sowol die Aramäer als die Hebräer angesetzt; wo jene a u f h ö r t e n , in der Gegend des Galiläischen Meeres, da fingen diese an; zusammen bildeten sie an der Ostmark Syriens und Palästinas eine fast ununterbrochene Anschwemmungslinie. Es lag darum nahe, dass die Hebräer sich als einen Vorlauf der mächtigeren Welle betrachteten welche von Norden nachflutete, als einen vorgeschobenen Aussenposten der aramäischen Wanderung. Sie taten es um so lieber, da es eine Ehre war zu den mächtigen Aramäern zu gehören.
') Sie verschwand keineswegs vor den Eroberern, sondern blieb unter ihnen wohnen. Auf einer grossen Strecke in Gilead hielten sich die Amoriter ganz ununterworfen und verursachten auf diese Weise eine breite, von den Ammonitern nur notdürftig gesäumte und erst später von den Israeliten ausgefüllte Lücke in der aramäisch-hebräischen Einwanderungslinie; von hier suchten sie sogar nicht ohne Erfolg das ihnen entrissene Gebiet im Süden wiederzugewinnen. Wo sie aber den Hebräern unterlegen waren, bildeten sie den Untergrund der Bevölkerung. Der Dienst des Baalpheor ist eine Spur davon, er ist sicher nicht moabitischen sondern kanaanitischen Ursprungs.
Geographie and Ethnologie.
Chronologie.
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Sehr wahrscheinlich dagegen ist die nahe Verwandtschaft der Hebräer mit den nomadischen and halbnomadischen Stämmen, welche auf der Halbinsel des Sinai und überhaupt zwischen Palästina und Arabien ihr Wesen trieben und den Übergang von den Arabern zu den Kanaanitern bildeten. Ismael und Midian auf der einen Seite, Kain Amalek Eenaz auf der andern, sind die bekanntesten darunter. Sie lieferten das Material zu den hebräischen Volksgebilden, welche durch die Ansiedlung entstanden und sich schieden. Zuerst trennten sich Lot und Isaak; der eine fasste im Norden, der andere im Süden des Wüstenbaches Wurzel, der von Osten her in das untere Ende des Toten Meeres einfallt. Innerhalb Lots gelangte dann ein Teil früher zu sesshafter Geschlossenheit als der andere; Moab sonderte sich auf diese Weise von Ammon, dem weniger begünstigten Reste, welcher in näherer Verbindung mit der Wüste und dem Wüstenleben blieb. Ähnlich war in Isaak das Verhältnis von Edom und Israel. Nachdem Edom sich konsolidirt hatte, blieb noch ein unverbrauchter Rest zurück, wie ein loser Schweif an einem festen Körper; gewisse Familien fanden im Lande Seir keinen Platz oder waren aus anderen Gründen in der edomitischen Volksbildung nicht aufgegangen. Das war Israel im embryonischen Zustande. Die wahre Heimat der Erzväter liegt zwischen Edom und Ägypten, wo der Süden Palästinas in die Wüste übergeht; das älteste Heiligtum der Israeliten ist der Sinai, der Berg Pharans. 4. Eine sichere Chronologie ergibt sich für die israelitische Geschichte erst, seit die assyrischen Synchronismen angehn. Der erste ist die Schlacht von Karkar 854, an der sich Ahab beteiligte. Bis unter 851 kann der Tod Ahabs nicht hinabgerückt werden; denn bald nachher erscheint schon der Nachfolger seines Sohnes Joram, Jehu, auf den assyrischen Inschriften. Weiter hinauf gelangen wir durch die Inschrift Mesas, wo es Zeile 7—9 heisst: Omri nahm das ganze Land Medaba ein und Israel wohnte darin seine Tage und die Hälfte der Tage seines Sohnes, vierzig Jahre, und zurück brachte es Kamos in meinen Tagen. Die vierzig Jahre beginnen innerhalb der Regierung Omris und laufen zu Ende nicht mit dem Tode Ahabs, sondern in der Mitte seiner Regierung. Je mehr man Ahab davon gibt, desto mehr verlängert man die Chronologie über die Zahlen des Königsbuches hinaus, weil Ahab doppelt so lange regierte, als er die Landschaft Medaba besass. Gibt
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Erstes
Kapitel.
man ihm die Hälfte, so hat er 40 Jahre regiert und sein Vorgänger 2 0 - j - x ; gibt man ihm ein Viertel, so hat er "20 Jahre regiert, und Omri 3 0 - f - x . Auf 60 Jahre wird man die beiden Regierungen zusammen wol veranschlagen müssen. Damit gelangt man auf 910 als Anfang Omris, dieser Ansatz entfernt sich auf keinen Fall weit vom Richtigen. Zwischen Omri und Salomo liegen vier Regierungen; das Ende Salomos kann also nicht viel tiefer als 950 und der Anfang der Königsherrschaft nicht tiefer als 1020 angenommen werden. Nach der auf Grund der Angaben Menanders (Joseph, c. Ap. 1 , 1 2 6 ) aufgestellten Rechnung beginnt Hirom, der Zeitgenosse Davids und Salomos, 970 zu regieren; das stimmt ungefähr, wahrscheinlich ist die Gründung Karthagos (37 Jahre vor der ersten Olympiade) etwas zu spät angesetzt 1 ). Die Dauer der Periode zwischen Saul und Moses lässt sich nicht einmal vermutungsweise angeben, da dio sogenannten Richter in eine ganz künstliche Succession mit ebenso künstlicher Chronologie gebracht sind. Die ältere Tradition betrachtet den ganzen Zeitraum nur als ein vorübergehendes anarchisches Interregnum. Die einzige zuverlässige israelitische Genealogie, die wir aus dieser Zeit besitzen, ist die des Priesters Abiathar, eines Zeitgenossen Davids. Zwischen David und Eli liegen darnach drei Generationen; es ist jedoch unbekannt, wie weit Eli von Moses absteht. Das Verzeichnis Gen. 36, 32—39 ergibt acht edomitische Könige bis auf Saul oder David. Der vierte, Hadad ben Bedad, könnte ein Zeitgenosse Gideons gewesen sein; denn seine Tat war, dass er die Midianiter schlug im Felde Moab. Der erste, Bela ben Beor, ist identisch mit Bileam ben Beor, der nur durch Verwechslung zu einem Aramäer geworden zu sein scheint 2 ). Dann wäre er also ein Zeitgenosse Moses und man hätte den termiuus a quo. Indessen erbte die Herrschaft nicht von Vater auf Sohn, und es ist fraglich, ob die Reihe den ganzen Raum von Moses bis Saul oder David ausfüllt; sie braucht nicht vollständig und kontinuirlich zu sein.
') Auch das mutmassliche Dalum für den Antritt des Pharao Sisak stimmt, der gleichzeitig mit Salomos Sohne Rehabeam regierte. Composition des Hex. p. 347, und p. 3 5 0 zu Num. 23, 7.
Die Anfänge des Volkes.
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Zweites Kapitel. Die A n f ä n g e des Volkes. 1. Die Geschichte eines Volkes lässt sich nicht über das Volk selber hinausführen, in eine Zeit wo dasselbe noch gar nicht vorhanden war. Die Erzählungen über die Erzväter in der Genesis gehn von ethnologischen Verhältnissen und von Cultuseinrichtungen der Königszeit aus und leiten deren Ursprünge aus einer idealen Vorzeit her, auf die sie in Wahrheit nur abgespiegelt werden 1 ). Durch ein vielsagendes Vacuum, durch einen Jahrhunderte langen Zwischenraum, in dessen ereignisloser Stille der Vater Jakob sich zum Volke Israel ausbreitet, scheiden sich diese Erzählungen von denen der sogenannten mosaischen Zeit, die von den Vorgängen handeln, die auf den Einbruch der Israeliten in Palästina und ihre Niederlassung daselbst auslaufen. Auch sie sind nicht eigentlich historisch, aber sie schweben doch nicht frei über dem Boden, sondern sie stehn an der Schwelle und berühren sich mit dem Anfang der wirklichen Geschichte. Das Deboralied, ein unbestritten authentisches Dokument, reicht nahe an die mosaische Zeit heran. Ahnlich flössen andere sehr alte Stücke des Richterbuches, auch das schon erwähnte sicher nicht künstlich fabricirte Verzeichnis der edomitischen Könige in der Genesis, Zutrauen ein zu der Möglichkeit einer allgemeinen Erinnerung an die Zeit, die der Einwanderung in das gelobte Land unmittelbar vorhergegangen ist. Die bestimmten und farbenreichen Einzelheiten, welche die Sage über die wunderbare Morgendämmerung der Geschichte Israels berichtet, können allerdings nicht als glaubwürdig gelten. Nur die grossen Grundzüge der Vorgeschichte, die allgemeinsten Voraussetzungen aller einzelnen Erzählungen über dieselbe, lassen sich nicht als erdichtet begreifen 1 ). Aus der Steppe im Süden Palästinas waren die hebräischen Geschlechter, aus denen später Israel wurde, übergetreten in die angrenzende Ostmark des Pharaonenreiches. Sie wohnten nicht im Nilland, sondern in Gosen, einem eigentlich noch zu Arabien ') Prolegomena 4 (1895) p. 3 0 - 3 2 . 322—331. 345 s. 367. ) Aus den Briefen von Teil Amarna ist bis jetzt noch kein Licht auf die israelitische Urgeschichte gefallen. s
12
Zweites
Kapitel.
gehörenden Weiderevier, das zu allen Zeiten im Besitz von Nomaden gewesen ist. Sie standen dort wol unter der Herrschaft der Ägypter, kamen aber nicht in nähere Berührung mit ihnen und wurden von ihrer Cultur kaum beeinflusst. Sie erhielten sich ihre Sprache und ihr altes Wesen; sie blieben was sie gewesen waren, Hirten von Schafen und Ziegen. Wie lange sie sich in Gosen aufgehalten haben, lässt sich nicht sagen. Etwa um 1250 vor Chr. mag der Auszug erfolgt sein. Die ziemlich boshaften alexandrinischen Legenden über den Auszug haben das spätere Judentum vor Augen, welches ein nur durch den monotheistischen Cultus zusammengehaltenes Gemisch aus allen möglichen Völkern war. Der Durchgang durch das Schilfmeer ist so, wie er in der ältesten Version dargestellt wird, nicht grade unmöglich'). Aber die Erzählung gehört doch zu denen, auf die der Natur der Sache nach kein Verlass ist. Die älteren Propheten schweigen gänzlich über das höchst bedeutungsvolle Ereignis, und das befremdet, da sie von der Führung aus Ägypten und durch die Wiiste gern reden. Im innersten Wesen unwirklich aber ist das Wunder von der Bundschliessung am Sinai. Wer mag im Ernste glauben, dass Jahve mit eigener Hand die zehn Gebote auf Stein geschrieben, j a sie sogar mit eigener Stimme von der Bergspitze herab dem unten versammelten Volke aus der Gewitterwolke zugedonnert und darnach noch hoch droben vierzig Tage lang mit Moses vertraute Zwiesprache gehalten habe! Und welches sind die wahren zehn Gebote, die von Exod. 20 oder die von Exod. 34? Denn ihr Inhalt, der doch auf Tafeln gestanden haben soll, wird in den zwei verschiedenen Berichten, die über die Sache handeln, gänzlich verschieden angegeben. In Wirklichkeit ist die Heiligkeit des Sinai ganz unabhängig von der Bundschliessung Jahves mit Israel, sie weist nicht auf die Besonderheit der israelitischen Religion hin, sondern umgekehrt auf ihren Zusammenhang mit einer älteren Stufe. Der Sinai war der Sitz der Gottheit, der heilige Berg, ') Die V o r s t e l l u n g ,
dass das Meer sich teilte und zu beiden Seiten des
Durchgangs stand wie eine Mauer, nach
welcher
der
findet
späte Psalm Exod. 15
Exod. 1 4 , 2 1 einfach,
sich erst in der j ü n g e r e n Version, sich
richtet.
das Meer sei trocken g e l e g t durch
wind, der die ganze Nacht wehte.
Dagegen
heisst
es
einen starken Ost-
Aller Wahrscheinlichkeit nach war es sehr
seicht an der vorgestellten Stelle und ist jetzt dort längst gänzlich versandet.
Die Anfinge des Volkes.
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nicht bloss für die Israeliten, sondern für alle Stämme der Umgegend. Von dem dortigen Priestertum wurde das Priestertum Moses abgeleitet, dort war ihm Jahve im brennenden Dornbusch erschienen, von dort hatte er ihn nach Ägypten entsandt. Dort blieb Jahve auch für die Israeliten noch wohnen, lange nachdem sie selber sich in Palästina niedergelassen hatten. Wenn sie also den Zug dahin überhaupt unternommen haben, so haben sie es getan um dort vor Jahves Angesicht zu erscheinen und ihm zu opfern. „Wenn ich das Volk aus Ägypten befreit haben werde, hatte Jahve zu Moses gesagt als er ihn am Sinai berief, so sollt ihr Gott dienen an diesem Berge." Auch in Exod. 33 herrscht noch diese Vorstellung 1 ). Erst ein weiterer Schritt führte dazu, den Sinai zum Schauplatz der feierlichen Eröffnung des besonderen Verhältnisses zwischen Jahve und Israel zu machen. Es waltete das poetische Bedürfnis, die Constituirung des Volkes Jahves zu einem dramatischen Akte auf erhabener Bühne zuzuspitzen. Übrigens scheint es, als ob die Wallfahrt zum Sinai in der ältesten Sage überhaupt keine Stelle gehabt habe. Es schimmert eine Form derselben durch, wonach die Israeliten sofort nach dem Ausbruch aus Ägypten auf Rades zogen und dort die vierzig Jahre ihres Aufenthalts in der Wüste verblieben. Unnatürlich genug ist die Digression nach einem Punkte, der so gänzlich von dem Ziel der Ausgewanderten ablag und so weit entfernt war'). Als Tatsache kann nur das Allgemeine festgehalten werden, dass die Aasgewanderten lange Jahre in der Wüste südlich von Palästina weilten, ehe sie in dies Land einzogen. Dies wird grade dadurch bestätigt, dass die Sage daran Anstoss nimmt. Wie war ') Der Aufenthalt des Volkes am Sinai wird hier nicht von vornherein als ein zeitweiliger von kurzer Dauer vorgestellt, sondern als ein bleibender. Es ist eine Strafe, dass sie fortgeschickt werden, und als schwere Strafe wird es auch reuig von ihnen empfunden. Aber ihre Trauer vermag keine Änderung des Beschlusses zu bewirken, nur einen Ersatz seiner wahren Gegenwart gibt Jahve ihnen mit, das ist die Lade in der Stiftshütte. Vgl. die Compos. des Hexat. p. 95. *) Prolegomena 4 p. 348 ss. Nach Deut. 33 haben sich nicht die Israeliten zu Jahve nach dem Sinai begeben, sondern umgekehrt ist dieser vom Sinai zu ihnen nach Kades gekommen: „Jahve kam vom Sinai und erglänzte von Seir, blitzte auf vom Berge Pharans und kam nach Meribath Kades." Kades ist nach Exod. 15, 35 auch der Ort der Gesetzgebung und der Rechtsprache, es heisst Meribath Kades d. i. die Gericbtsstätte Kades.
14
Zweites
Kapitel.
es möglich, dass ein grosses Volk in solcher Einöde seine Existenz fristete? Nur durch die stete wunderbare Hilfe Jahves, der die Seinen in der Unwegsamkeit bei Tag und bei Nacht führte, für ihren Unterhalt sorgte und sie in jeder Weise auf Händen trug. W a r u m aber hielten sie sich so unnötig lange in der Wüste auf und zogen nicht einfach möglichst rasch hindurch in das gelobte Land? Das kam von ihrem Ungehorsam. Eigentlich sollten sie sofort von Süden her in Palästina eindringen, aber sie weigerten sich anzugreifen. Zur Strafe dafür mussten sie nun vierzig Jahre in der Wüste gefangen sitzen, bis die ganze Generation der Ungehorsamen ausgestorben w a r ' ) . Die Schwierigkeiten, die auf diese Weise natürlich nicht gehoben werden können, entstehn durch irrige Voraussetzungen. Die Sage kann sich das Volk nicht im Werden, sondern nur fertig vorstellen; als sei es schon aus Ägypten so herausgekommen, wie es nachher etwa in der Königszeit war. Aber Gosen hatte nur für wenige Tausende und nur für Hirten Raum. Für ein ausgewachsenes Volk, das an die Fleischtöpfe Ägyptens gewöhnt war, wäre der Aufenthalt in der Wüste allerdings eine Unmöglichkeit gewesen; den Ansprüchen der Hirten von Gosen genügte er. Die Veränderung war für sie nicht gross, sie setzten ihr altes Leben auf benachbartem Boden fort, unter nicht sehr verschiedenen Bedingungen. Die Sage hält es ferner für selbstverständlich, dass die Hebräer schon bei dem Auszuge aus Ägypten die Absicht gehabt hätten das Land Kanaan zu erobern, worin sie sich schliesslich für die Dauer niederliessen; darum ist ihr das Haltmachen vor dem Tore nur begreiflich als Folge einer göttlichen Hemmung. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat aber die Wiiste südlich von Palästina die Hebräer nicht gegen ihren Willen festgehalten, sie ist vielmehr einfach das Ziel gewesen, das sie zunächst ins Auge gefasst hatten. Der endliche Aufbruch von dort war die Folge einer zufälligen Veranlassung. Im Ostjordanlaude hatten die Amoriter die Bno ') W i e man s i e h t , Wüstenwanderung wornach
sie
Jugendliebe,
als
vielmehr des
steht diese Betrachtungsweise Strafzeit eine
besten
nicht
besondere
ganz
Guadenzeit
Einvernehmens
der vierzig Jahre der
ira Einklang waren,
zwischen Jahve
mit der
anderen,
die Periode und
Israel.
der Die
Propheten lassen die Widerspenstigkeit des Volkes erst mit dem Austritt aus der W ü s t e , mit der Ausiedlung im Ackerlande beginnen.
Die Anfinge des Volkes.
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Amman vom Jordan verdrängt und den Bne Moab die Nordhälfte ihres Landes bis zum Arnon abgenommen; auf der Hochebene gegenüber Jericho war Hesbon die Hauptstadt ihres Königs Sihon geworden. Von da aus drohten sie noch weiter um sich zu greifen; die kleinen hebräischen Reiche, die dort auf der Grenze von Palästina und Arabien gegründet waren, mussten sich sämtlich gefährdet fühlen. In dieser Lage kamen ihnen die Israeliten wie gerufen, denen es in der Wüste von Kades allmählich zu enge wurde. Ohne Zweifel im Einverständnis mit den Bne Gdom und Moab, durch deren Gebiet sie mitten hindurch mussten, zogen sie nun gegen die Amoriter zu Felde und zerstörten das Reich Sihons. In Folge dessen blieb das Land südlich vom Arnon in ungefährdetem Besitze Moabs, aber nördlich vom Arnon siedelten sich die Sieger selber an. So wohnten sie nun in einem fruchtbaren Weinund Weidelande und schlössen die Lücke in der Reihe ihrer Brudervölker ' ) . Die drei Stationen, die sie hinter sich hatten, behielten die Israeliten im Gedächtnis, nachdem sie endlich im Westjordanland dauernd zur Ruhe gekommen waren: Gosen, die südliche Wüste, das Land zwischen Arnon und Jordan. Davon, was sie auf diesen Stationen erlebt hatten, bewahrten sie keine zuverlässige Erinnerung. Der Hauptinhalt ihrer damaligen Geschichte wird die Volksbildung selber gewesen sein. Sie begann in Ägypten, unter dem Einfluss aufregender Ereignisse. Sie setzte sich fort auf dem Boden der Sinaihalbinsel. Dort fanden die Auswanderer verwandte Geschlechter vor, die ebenso wie sie den Gott vom Sinai verehrten; sie werden sich gegen dieselben nicht so negativ und feindlich verhalten haben, wie die Sage annimmt, die immer eine abgeschlossene Nation vor Augen hat. Sie standen vielmehr ihrem Zufluss offen und verbanden sich mit ihnen. Ein Zug der Sage weist darauf hin, dass die Söhne Jakobs, d. i. die Stämme Israels, hinsichtlich ihrer Beziehung zu Ägypten sich nicht ganz gleich stehn. Joseph hat ein näheres und ursprünglicheres Verhältnis zu jenem Lande als seine Brüder. Dass diese ihm später nachfolgen, ist eine notwendige Consequenz der Vorstellung, dass Jakob älter sei als seine Söhne, dass die Volkseinheit früher bestanden habe als die Stämme. In Wirklichkeit sind vielleicht die Leastämme niemals in Ägypten ') Composition des Hexat. p. 343 ss.
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Zweites
Kapitel.
gewesen, sondern haben vielmehr nur, von ihren östlich angrenzenden Sitzen aus, den Söhnen Raheis in Gosen zur Zeit des Auszugs die Hand geboten und sich erst in Folge davon zu einem Volke mit ihnen vereinigt. Dann würde sich auf eine einfache Weise erklären, warum'Moses v o n d r ü b e n h e r nach Gosen kommt um die Erhebung gegen die Ägypter anzustiften. Auch die überlegene Sonderstellung, welche Joseph als der eigentliche Träger der Geschichte Israels von Anfang an einnimmt, wäre dann kein Rätsel mehr, während man zugleich den Anspruch der Bne Lea auf höheres Alter, und ihres Erstgeborenen Rüben auf die Hegemonie wol begreifen könnte. Also erst in der bewegten Zeit, die dem Auszuge aus Ägypten voraufging, und während des Aufenthaltes in der Wüste, der darauf folgte, entstand der Bund der Stämme, die später das Volk Israel ausmachten. W e n n vorher irgend welche Gemeinschaft sie verband, so kann sie doch nur sehr locker gewesen sein. Andererseits muss der Bund jedenfalls vor der Eroberung des eigentlichen Palästinas gegründet sein; denn mit dieser zerfiel er wieder, während doch die Erinnerung daran sich erhielt. Damit soll indessen nicht behauptet sein, dass alle zwölf Stämme schon in Kades bei einander waren. Die Söhne der Kebsweiber Jakobs, Dan und Naphthali, Gad und Aser, gehören ihm offenbar nicht in dem selben Sinne an wie die Bne Lea und die Bnc Rahel; sie mögen erst später hinzugekommen und sehr gemischter Herkunft sein. Ausserdem hören wir, dass Benjamin erst in Palästina nachgeboren wurde. Darnach hätte das älteste Israel aus sieben Stämmen bestanden, von denen nur einer auf Rahel kam, Joseph, der aber den übrigen zusammen an Zahl und Macht gleichstand, an geistiger Bedeutung sie überwog. Die übrigen sechs waren die Söhne Leas: Rüben Simeon Levi Juda, Issachar Zebuion. Sie werden immer in dieser Ordnung aufgeführt; dass dabei die beiden letzten von den vier ersten getrennt und mit Dan-Naphthali zusammengestellt werden, erklärt sich aus geschichtlichen und geographischen Gründen. 2. Der Überlieferung gilt die mosaische Zeit zwar ebenfalls als die Schöpfungsperiode Israels, aber ausschliesslich oder doch vorzugsweise als die geistige. Moses hat den idealen Charakter des Volkes begründet und normirt, dadurch dass er ihm das Gesetz gab. Es sind jedoch verschiedene legislative Schichten im Pentateuch zusammengestellt, die sinaitische, die deuteronomische und
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Die Anfinge des Volkes.
die priesterliche1). Sie ergänzen sich nicht, sondern folgen auf einander; die priesterliche fusst auf der deuteronomischen, diese auf der sinaitischen. Sie sind aus einem geschichtlichen Process erwachsen und bezeichnen dessen Stadien. Das Gesetz ist das Product der geistigen Entwicklung Israels, nicht der Ausgangspunkt derselben. Als Ganzes passt es erst zum nachexilischen Judentum und zeigt sich da auch erst wirksam; vorher passt es nicht und ist vollkommen latent. Dass es in der früheren Zeit nicht gehalten sei, gesteht auch die systematische Bearbeitung zu, der die historischen Bücher des Alten Testaments in oder nach dem babylonischen Exil unterworfen worden sind; sie meint aber, es habe darum doch bestanden und gegolten. Sie verurteilt darum Israel und Juda, namentlich aber das eigentliche alte Israel, welches wir das Reich der zehn Stämme zu nennen pflegeD, als abtrünnig und ungehorsam. Sie legt ein jüdisches Maass an, sie verleiht dem Gesetz rückwirkende Kraft. Als willkürlicher Abfall kann der Abstand nicht betrachtet werden, der das alte Israel, das fromme ganz ebenso wie das gottlose, nicht bloss von den Forderungen, sondern auch von den Voraussetzungen des Gesetzes trennt. Es ist ein allgemeiner Abstand zweier verschiedener Welten. Wol gibt es einzelne Vergleichspunkte zwischen der älteren Praxis und dem Gesetze, aber wo sich solche darbieten, da zeigen sich unabsichtliche Abweichungen von der gesetzlichen Norm, die eine gänzliche Unbekanntschaft mit derselben verraten. Die gelegentlichen Angaben der historischen Bücher über Zustände und Einrichtungen des Altertums stossen die Betrachtungsweise der systematischen Bearbeitung um. Das Gesetz reicht nicht von ferne an die mosaische Zeit heran. Wenn dem so ist, so gibt es keine direkten literarischen Quellen, aus denen der Mosaismus auch nur so zu erkennen wäre wie etwa das Evangelium aus den Evangelien').') Die sinaitische ist in den beiden Dekalogen und in Exod. 20, 22—23, 33 enthalten, die deuteronomische im fünften Buch des Pentateuchs. Alles Übrige, die ganze Cultusgesetzgebung von der Stiftshütte aus, gehört zum Priesterkodex. Die drei Schichten sind nicht Einheiten im strengen literarischen Sinn; wol aber können sie, cum grano salis, historisch als solche behandelt werden. 2 ) Der Versuch, diese Behauptungen vollständig zu erweisen, ist in der Composition des Pentateuchs und in den Prolegomena zur Geschichte Israels gemacht worden.
W e l l h a a B e n , Isr. Geschichte.
3. Aufl.
2
18
Zweites
Kapitel.
Will man nicht ganz darauf verzichten, den Anfang der israelitischen Geschichte darzustellen, so bleibt nur übrig, ihn aus der Fortsetzung zu erschliessen, wodurch sich freilich nur ungefähre Ergebnisse gewinnen lassen. Ein Vorgreifen in die Folgezeit hinein lässt sich dabei nicht vermeiden. l)ie Hauptmasse des Pentateuchs ist Cultusgesetzgebung. Das Werk Moses besteht darnach in der Einrichtung des Gottesdienstes, wozu ihm J a h v e selber in der Stiftshütte die Anweisung gegeben haben soll. Die Propheten dagegen behaupten, J a h v e habe den Vätern, als er sie aus Ägypten geführt, nichts befohlen in betreff von Opfern, und dieselben seien auch tatsächlich in der mosaischen Zeit nicht dargebracht. Sie gehn darin allerdings entschieden zu weit; es kann keine Frage sein, dass die alten Israeliten unter Religion wesentlich den Opferdienst verstanden. Aber dadurch unterschieden sie sich nicht von anderen Völkern, der Cultus beruht nicht auf besonderer Offenbarung und datirt nicht erst aus der mosaischen Zeit. A m richtigsten verhältnismässig ist die Vorstellung der in der Genesis enthaltenen Cultussage, die dem Cultusgesetz in den späteren Büchern des Pentateuchs gegenüber steht. Darnach ist die israelitische Praxis des Altardienstes, an den Hauptorten wo er betrieben wurde, von den Erzvätern eingeführt, nicht durch die Gesetzgebung Moses. Die heiligen Sitten und Bräuche sind nicht durch Statut entstanden, sondern unwillkürlich, bei irgend einem Anlass der in die Vorzeit verlegt wird. J a h v e ringt mit Israel und verletzt ihm dabei die Hüftsehne, aus diesem Grunde pflegen die Kinder Israel die Hüftsehne nicht zu essen. Die Beschneidung der Knäblein wird geschichtlich erklärt als ein gemildertes Äquivalent für die ursprüngliche Beschneidung der jungen Männer vor der Hochzeit. Als Moses auf seiner Rückkehr von Midian nach Gosen unterwegs übernachtete, überfiel ihn J a h v e in der Absicht ihn zu töten; sein Weib Sipphora aber nahm einen Feuerstein und schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab und berührte damit die Scham Moses und sprach: du bist mir ein Blutbräutigam — da Hess J a h v e von ihm ab. Im Ganzen und Grossen ist der Cultus der Brauch aller Welt, seit Noah, j a seit Kain und Abel; der Unterschied ist nur, dass die Israeliten ihn dem J a h v e , die anderen Völker anderen Göttern weihen. Das ist die alte gesunde volkstümliche Betrachtungsweise. Der Cultus ist in Wahrheit das vorzugsweise ethnische Element in der israelitischen Religion. Die
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Die Anfänge des Volkes.
Kirchenväter fassen ihn auf als ein nachträgliches Zugeständnis an die Schwachheit, an das tiefgewurzelte Heidentum, des Volkes; die Veranlassung ihn einzuführen habe erst der Siindenfall Israels gegeben, nämlich die Verfertigung und die Anbetung des goldenen Kalbes am Sinai. Zugegeben aber, dass der Stoff des Cultus, als gänzlich irrational, nicht erfunden ist, sondern auf unvordenklichem Herkommen beruht, so könnte doch Moses den vorhandenen Stoff als Mittel zu höheren Zwecken benutzt haben. Man kann sagen, er habe nicht den Cultus überhaupt, sondern den legitimen Cultus begründet. Er habe die alten Bräuche von Auswüchsen gereinigt und sie in eine feste Form gebracht, wodurch der ursprünglich heidnische Stoff unschädlich und sogar spezifisch israelitisch gemacht worden sei. Wirklich wird im Gesetz das grösste Gewicht auf die correcte feste und gleichmässige Form des Cultus gelegt, er dient zur Uniformirung der Gemeinde und dadurch zu ihrer Absonderung von dem Heidentum. Nun aber hängt die feste und gleichmässige Form des Cultus ab von seiner Centralisirung; er darf nur an einer einzigen Stelle, bei der Stiftshütte oder im jerusalemischen Tempel, und nur von den dazu berufenen Priestern verrichtet werden. Und diese Centralisirung geht nicht in frühe Zeit zurück. Die frommsten Männer des alten Israel scheuen sich nicht auch anderswo als an dem Ort der Bundeslade zu opfern; es gab viele heilige Stätten. Die hervorragendsten sind von den Patriarchen gegründet, in Folge von Theophanien, welche darauf aufmerksam machten, dass dort die Gottheit wohne. Die Legenden der Genesis g l o r i f i c i r e n den Ursprung der Altäre von Hebron und Beerseba, Bethel und Sichern, Mispha Mahanaim und Phanuel, und betrachten dieselben keineswegs als gesetzwidrig und ketzerisch. Im Gesetze selber, in einem alten Spruch, der trotz seiner Heterodoxie erhalten ist, sagt Jahve: an jedem Orte, wo ich meinen Namen ehren lasse, will ich zu dir kommen und dich segnen. Hier wird Erlaubnis gegeben überall zu opfern, sie wird allerdings etwas beschränkt durch den Zusatz: überall wo ich meinen Namen ehren lasse — aber darin spricht sich nur der Glaube aus, dass die Stätte, wo der Verkehr zwischen Himmel und Erde vor sich ging, nicht willkürlich gewählt, sondern von der Gottheit selbst ausersehen sei. Die Reformation des Königs Josias im Jahre 621 vor Chr. war der erste Versuch, den Opferdienst auf einen einzigen Punkt zu be2*
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Zweites
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schränken. Er gelang aber nicht gleich; vor dem Exil blieben die lokalen Altäre noch immer bestehn, an die sich die heiligsten Erinnerungen von den Vätern her knüpften. Sie fielen erst, als durch die Losreissung der Nation aus ihrem Mutterboden die Tradition des Lebens, der Zusammenhang mit den ererbten Zuständen gänzlich durchschnitten wurde. Und wie die Centralisirung, so ist auch die Uniformirung des Cultus erst nachexilisch. In alter Zeit leidet der Begriff der Legitimität keine Anwendung auf ihn. Jahvedienst und Götzendienst stehn einander gegenüber, aber nicht gesetzlicher und ungesetzlicher Jahvedienst. Es gibt natürlich bestimmte Bräuche und Riten, aber sie sind verschieden an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten, und sie passen nicht in das Schema des Gesetzes; zum Beispiel schlägt das Verfahren Gideons beim Opfern allen Vorschriften desselben ahnungslos in das Gesicht. Am allerwenigsten ist der Cultus bloss ein Mittel, die Gemeinde zu separiren und dadurch zu heiligen. Er ist vielm e h r durchaus Selbstzweck, er ist die Höhe des Lebens, Götter und Menschen haben ihre Freude daran. D a n n ist aber auch die Theokratie nicht der Ausgangspunkt der israelitischen Geschichte, wenigstens nicht in dem Sinne, wie sie im Pentateuch gefasst wird, als eine Verfassung, die auf dem Cultus beruht und deutlicher Hierokratie zu benennen wäre. Ein ganzer geistlicher Stamm wird aus dem übrigen Volke abgesondert, das sind die Leviten. Über ihnen erheben sich die Priester und über diesen wiederum der Hohepriester. Er ist das Oberhaupt der Gemeinde, neben dem ein anderes nicht Platz hat. Mit dem Beginn der wirklichen Geschichte verschwindet alles dies spurlos. I m Buch der Richter ist einmal von einem Leviten die Rede, aber er gilt als Rarität. Man hat andere Dinge zu t u n , als ein nach Tausenden zählendes Cultuspersonal mit W e i b und Kind zu erhalten. Der Hohepriester hat keine Stelle; die wirklich eingreifenden Volkshäupter, die sogenannten Richter, sind ganz anderer, durchaus nicht geistlicher Art. Eine hierokratische Organisation findet sich nicht, es findet sich ü b e r h a u p t keine Organisation, die das ganze Volk umfasst. „Jeder t a t was er wollte", nicht weil die alte Priesterherrschaft verfallen gewesen w ä r e , sondern „weil es keinen König in Israel gab". Erst das Königtum erlöste aus dieser Anarchie, welche das Volk zur Beute seiner Feinde, namentlich der Philister, zu machen drohte. Es gibt zwar im Buch Samuelis
Die Anfinge des Volkes.
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eine Version über die Errichtung des Königtums, vorin dieselbe als ein Widersprach gegen die Theokratie, als ein anmotivirter Abfall von Jahve erscheint. Vorher regierte Jahve selber durch Samuel, und Alles war in bester Ordnung. Die Philister waren durch ein göttliches Wunder zum Lande hinausgetrieben, sobald die Israeliten vom Götzendienste abgelassen hatten. Welche irdische Form die Theokratie hatte, wird nicht gesagt. Deutlich ist nur, dass sie auf ganz anderem Fusse eingerichtet ist als die Reiche dieser Welt. Sie ist ein geistliches Gemeinwesen wie denn auch der geistliche Charakter des Regenten ausser Frage steht. Ein Priester und Prophet ist Reichsverweser, er hat keine äusseren Machtmittel zur Verfügung und dennoch unbedingte Autorität, wegen seines Einflusses auf Jahve. Jahve sorgt für Alles; seine Untertanen haben weiter nichts zu tun, als sich seiner Verehrung zu widmen und den Mahnungen seines Stellvertreters zu folgen. Auf Mittel sich wehrfähig zu machen brauchen sie nicht zu denken; wenn sie fasten und beten und von ihren Sünden lassen, so verschwinden die Feinde von selber. All der Aufwand, wodurch ein Volk sonst seine Existenz sichert, ist dann überflüssig; und man begreift nicht, wie die Israeliten darauf brennen können, dies bequeme Regiment mit dem menschlichen Königtum, welches grosse Ansprüche an sie stellt, zu vertauschen, bloss um es den Heiden gleichzutun. In Wahrheit ist aber diese ganze Vorstellung utopisch. Die Israeliten waren eine Nation wie andere Nationen. Jahve dispensirte sie nicht davon sich gegen die Feinde zu wehren, es war nicht Mutwillen, dass sie ihre Kräfte durch das Königtum zusammenfassten, sondern die bittere Not zwang sie dazu. Die Herrschaft der Philister war keineswegs schon vor Saul und David gebrochen; der Kampf gegen sie war vielmehr recht eigentlich der Entstehungsgrund und die Aufgabe des Königtums; kein Gedanke daran, dass Samuel diesem Arbeit und Verdienst vorweg genommen habe. Nach der echten Tradition hat er sich auch nicht gegen das Königtum gesträubt, sondern es selber als Mittel der Rettung herbeigewünscht; nicht gedrängt von dem Volk, sondern freiwillig, auf Zuraunen Jahves, hat er in Saul den Mann der Zeit erkannt und ihn zum voraus gesalbt. Dem hebräischen Altertum galt überhaupt das Königtum als der Höhepunkt der Geschichte und die grösste Segnung Jahves; wie fern die Vorstellung eines feindlichen Gegensatzes zwischen dem himmlischen und dem irdischen
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Zweites
Kapitel.
Herrscher lag, sieht man aus dem Namen des Gesalbten Jahves und aus der prophetischen Hoffnung, die sogar für die ideale Zukunft den Messias nicht entbehren mochte. Der König war auch der berufene Repräsentant des Volkes vor Jahve. Er verfügte über die grossen Tempel, traf dort Einrichtungen welche er wollte, stellte Priester an und setzte sie ab. Das geschah nicht bloss im Reiche Israel so, nach dem bösen Beispiel das König Jerobeam gegeben hatte, sondern auch im Reiche Juda. Nirgends tritt neben der Regierung oder gar in Conflikt mit der Regierung eine Hierokratie hervor. Erst seit ihrer Vernichtung durch die Assyrer und der Chaldäer wurde die Nation eine wesentlich durch den Cultus zusammengehaltene „Gemeinde". Die Voraussetzung dieser Gemeinde war die Fremdherrschaft, welche die Juden aus dem politischen Gebiete auf das geistliche drängte'). 3. Dennoch kann die Theokratie in einem gewissen Sinne als der charakteristische Ausgangspunkt der israelitischen Geschichte festgehalten werden. Nur nicht als ein Gemächt, als eine fertige Anstalt, die plötzlich den Israeliten in der Wüste aufgezwungen wird. Nicht als ein geistliches Wesen, das dem natürlichen Volkstum fern steht und den Gegensatz von Heilig und Profan in schärfster Ausbildung voraussetzt. Vielmehr grade umgekehrt als die engste Durchdringung der Religion und des Volkslebens, des Heiligen und des Nationalen, erwachsen aus vorhandener Wurzel und auf gegebener Grundlage fortbauend. Es wurde keine neue Verfassung durch Moses eingeführt, sondern die alte blieb; noch im Lande Kanaan wurde sie beibehalten und sogar durch das Königtum nicht beseitigt. Sie gründet sich auf das Blut, es ist ein System von Familien Sippen Geschlechtern und Stämmen. Alle diese Verbände tragen substantivische und singularische Individualnamen'), gelten als natürliche Einheiten und ') Vgl. Prolegomena 4 p. 417 ss. Sehr bezeichnend ist die völlige Gleichgiltigkeit des Priesterkodex gegen alles Staatliche und Nationale. Die Funktion der Theokratie ist der Cultus; mit der Regierung hat sie nichts zu tun, weil dieselbe wesentlich der Fremdherrschaft überlassen ist. Dergleichen gibt es nur bei den Semiten. Ion D o m s Aolus lassen sich als künstliche Heroes Eponymi gar nicht mit Hoab Amnion und Edom vergleichen. Merkwürdig ist auch die weit getriebene Personification der Collectiva bei den Hebräern und Arabern. Die Völker und Stämme reden von sich in der ersten Person Singularis.
Die A n f i n g e des Volkes.
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stehn in einer gegebenen Beziehung zu einander. Ihre Statistik hat die Form der Genealogie: Isaak ist der Vater der Völker Edom und Israel, Israel der Vater von zwölf Stämmen, Juda der Vater von fünf grossen Geschlechtern, jedes Geschlecht wiederum der Vater und Grossvater von Sippen und Familien. Mit den Einheiten selber ist auch ihre Gliederung gesetzt, sie ist den Elementen angewachsen. Es gibt keine chaotischen Haufen, keine unterschiedslosen Gruppen, sondern überall natürliche Organisation, abgestufte Beziehungen, die als Verwandtschaftsgrade aufgefasst werden 1 ). Niemand gehört zum Stamm, ausser durch die Familie, durch die Sippe, durch das Geschlecht; die Zugehörigkeit zum Ganzen ist stets durch die Zugehörigkeit zu den Unterabteilungen bedingt. In Wirklichkeit kann freilich nicht das ganze System rein durch Verzweigung aus einer einzigen Familie entstanden sein; es dürfte sonst während eines sehr langen Zeitraumes gar keine Geschichte gegeben haben'). Vielleicht ist die aus irgend einem Grunde zu stände gekommene Vicinität, die nicht bloss bei sesshaften, sondern auch bei wandernden Völkern stattfindet, der Ursprung der meisten Verbände; sie ist auch die Grenze, bis zu der das Blut wirkt, darüber hinaus verliert es seine zusammenhaltende Kraft. Aber der Ursprung wird vergessen, es bleibt nicht bei der blossen Vicinität. Wenn die Mitglieder seit Urvätern in den Stamm hineingeboren sind, so sind sie durch ihre Geburt Söhne des Stammes. Wenn ein Verband, wie auch immer entstanden, eine lange gemeinsame Geschichte durchlebt hat, so wird er Blutsverband. Damit schliesst er sich ab; die dann noch neu hinzutretenden Elemente >) Vielleicht ist dies der Hauptunterschied den niederen. Die Theorie von der gradlosen schiedslosen Gruppe lässt sich auf die Hebräer erscheinen, absolut nicht übertragen; das grade ihrer Gesellschaft aus.
der aristokratischen Völker von Verwandtschaft und der unterund Araber, wie sie historisch Gegenteil macht den Charakter
•) Lehrreich in vieler Hinsicht ist eine hingeworfene Äusserung von B. G. Niebuhr (bei Dora Hensler I 44). „Man wird finden, dass die grossen Volksstämme nie durch Differenzirung, sondern durch Integrirung entstanden sind. Daher erkläre ich die ungeheure Verschiedenheit der Sprachen der nordamerikanischen Wilden, die sich schlechterdings nicht auf eine Hauptsprache zurückbringen lassen, aber z. B. in Mexiko und Peru sich schon in ein Hauptsprache aufgelöst h a t t e n ; daher die vielen Synonyma in der ältesten Zeit der Sprache. Daher behaupte ich, dass man die Sprache in Rücksicht auf die Theorie der Völkerstämme äusserst vorsichtig anwenden müsse."
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Zweites
Kapitel.
werden nicht für voll aufgenommen und erst allmählich nostrificirt; es entsteht ein Unterschied zwischen Vaterssöhnen und Vicinen oder Beisassen. Wenn also auch nicht der Ursprung der Einheit in dem Blut liegt, so geschieht doch die Legitimirung der Einheit durch das Blut. Alle l e g i t i m e Gemeinschaft ist Blutsgemeinschaft. Unter diesen Verhältnissen~existirt keine von der Gesellschaft losgetrennte, hypostasirte Ordnung, keine Obrigkeit, keine Amtsgewalt. Die Einzelnen sind Brüder und Vettern oder Nachbaren, keine Untertanen. Die Blutsgemeinschaft wirkt nicht, wie der Staat, durch Zwang. Sie wirkt vielmehr durch Pietät, durch die Anerkennung ihrer Heiligkeit. Es gibt keine besondere heilige Gemeinschaft; die natürliche Gemeinschaft, die des Blutes, ist die heilige. Die Geschlechtsverbände sind auch die Cultusverbände. Die Götter treten durch das Opfer in enge Verbindung mit den Kreisen ihrer Verehrer. Einige Stämme identificiren sich gradezu mit ihrem Gott und legen sich dessen Eigennamen bei, wie z. B. Gad und Äser. Andere eignen sich den allgemeinen Namen El dadurch an, dass sie ihn durch besondere Zusätze differenziren: Ismael, Jerachmeel, Bethuel 1 ). Manche hebräische Personennamen bezeichnen ihren Träger als Verwandten und Geschlechtsgenossen der Gottheit'). Die Heiligkeit des Bluts geht nicht neutral neben der Heiligkeit der Götter her, sondern beides verbindet sich und verschmilzt durch den Cultus, der von den Genossen eines bestimmten Verbandes der Gottheit dargebracht wird. Wie wir gesehen haben, bauen sich die Verbände genealogisch über einander auf; über den Familien erhebt sich die Sippe, über den Sippen das Geschlecht u. s. w. Natürlich deckt sich das Interesse der kleineu Verbände nicht immer mit dem der grossen. Das Blut verbindet am innigsten die kleinsten Kreise; seine Kraft ') Alle
ältesten theophoren Namen scheinen nicht Individual-,
sondern
Gemeinschaftsnamen zu sein. Ich meine die Namen mein Vater (abi), Gottheit".
„mein Verwandter (ammi),
mein Oheim (dodi),
So mit a m m i :
Ammiel,
der selben Familie Abischai, Ischai). Ahitopbel (entstellt).
Mit a b i :
Abihud, Abiner, Abijathar. die Schlange) 2 Sam. 13, 20. Ehud ( — Abihud).
mein Bruder
(ahi),
meine Mutter (immi) ist die und die Ammihud, Mit a h i :
Abiel, A b i j a ,
Ammischai OKföJJ. Ahija,
Ahimelech,
Abimelech,
in Ahiram,
Abischai, Abiram,
Mit i m m i vielleicht Imminun (meine Mutter ist Verkürzt
Schai (Scha) =
Hiram,
Schemesch?
Biel,
Ischai
(=
Abischai),
Die Anfänge des Volkes.
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schwächt sich ab, je entfernter der Grad, je grösser der Kreis der Verwandtschaft wird. Mit einer Art Naturgewalt wirkt es nur in der Familie; der Familiensinn fällt beinah noch mit dem Egoismus zusammen. Der Stamm dagegen wird im Kampf gegen feige oder trotzige Selbstsucht nur zusammengehalten durch aufopfernden Gemeinsinn. Derselbe fühlt sich zwar noch immer als Verwandtschaftssinn; aber der Verwadtschaftssinn verändert mit der Quantität seine Qualität; je mehr er umfasst, desto moralischer wird er. Je grösser die Gemeinschaft ist, um so mehr wird sie nicht durch das Blut, sondern durch die religiöse Idee ihrer Heiligkeit zusammengehalten. Diese ursprünglich mit dem Glauben an das gemeinsame Blut eng verknüpfte Idee muss sich dann über das Blut erheben und es soweit überwinden, dass die niederen Stufen der Verwandtschaft sich den höheren unterordnen. Sie muss am reinsten und kräftigsten auftreten auf der höchsten Stufe, wo das Blut am schwächsten wirkt. Aus verwandten Geschlechtern und Stämmen wuchs zur Zeit Moses das Volk Israel zusammen und erhob sich über sie, die neue Einheit wurde geheiligt durch Jahve, der zwar schon früher exi8tirte'), aber erst jetzt an die Spitze des Volkes trat. Jahve der Gott Israels, Israel das Volk Jahves: das ist der Anfang und das bleibende Princip der folgenden politisch-religiösen Geschichte. Ehe Israel war, war Jahve nicht; auf der anderen Seite haben die Propheten Recht zu sagen, dass Jahve es gewesen sei, der Israel gezeugt und geboren habe. Unzertrennlich wie Seele und Leib waren beide mit einander verbunden. Israels Leben war Jahves Leben. Die vornehmste Äusserung des Lebens der Nation war damals und auf Jahrhunderte hinaus der Krieg. Der Krieg ist es was die Völker macht; er war die Funktion, in der die Zusammengehörigkeit der israelitischen Stämme sich am ersten betätigte, und als das nationale war er zugleich auch das heilige Geschäft. Jahve war das Feldgeschrei dieser kriegerischen Eidgenossenschaft, der kürzeste Ausdruck dessen was sie unter sich einigte und gegen aussen schied. Israel bedeutet El streitet, und Jahve war der streitende El, nach dem die Nation sich benannte'). In dem selben ') Der Name Jahve scheint nicht so alt zu sein wie etwa Astarte, Kamos, Kuzah. Die Etymologie ist ganz durchsichtig: er fährt durch die Lüfte, er weht. Jahve Sebaoth heisst zwar nicht d e r G o t t d e r S t e r n e (welche das
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Zweites
Verhältnis
wie Israel
stand
Kapitel.
auch J a h v e
zu den Nachbarvölkern
und zu ihren Göttern. „ J a h v e ist ein Kriegsmann, J a h v e heisst e r , Ross und Reiter hat er gestürzt ins Meer."
Zuerst hatte er sich an der Spitze der
Seinen gegen die Ägypter erhoben; die A m o r i t e r ,
dann
scheuchte er vor ihnen
wie eine Hornis die Heerde scheucht.
Er eroberte
das Land Kanaan und gab es seinen Kriegern zu Lehen; das war die Grosstat,
die ihm den meisten Dank und Ruhm eintrug.
verlieh „Hilfe" d. i. Sieg
gegen
die Nationen,
die Israel
in
Er der
Richterzeit bedrängten; als seinen Kampf führten Saul und David den Philisterkampf. seinem Geiste
Dio Männer,
erfüllte,
waren
die J a h v e
demgemäss
weise Kriegshelden, wie die Richter.
erweckte
und
im Altertum
mit
vorzugs-
Später galt der König, dessen
A m t ebenfalls vorzugsweise das des Heerführers war, als sein Verweser.
Etwas von dieser kriegerischen Natur hat der Gott Israels
bis in die spätesten Zeiten behalten, bis herab zu den Aufständen der Makkabäer und der Zeloten. als eine A r t Kriegsgott sich
wappnet,
Noch in den Psalmen wird J a h v e
beschrieben,
den Kampfruf
der mit Schwert und Schild
erhebt
wie
ein Held,
seine Pfeile
schiesst, sein S c h w e r t zückt, sein Gewand über und über mit B l u t besudelt,
sich labt am Fett der Erschlagenen,
Zu solchen Ausmalungen versteigen
ihr Mark schlürft.
sich freilich die Alten nicht,
sie J a h v e s Gegenwart im Heer viel wahrhaftiger
weil
empfinden,
wie das Deboralied zeigt. Das Kriegslager, die Wiege der Nation, war auch das älteste Heiligtum.
Da war Israel und da war Jahve.
Im Deuteronomium
noch werden zum B e h u f der Heilighaltung des Lagers Verordnungen gegeben, geben
wie sie schärfer und strenger kaum für den Tempel ge-
werden
könnten:
kein Entweihter
keine
Unreinheit
wird
darf sich darin a u f h a l t e n ' ) .
darin
geduldet,
Zu sichtbarer Dar-
I l e e r des Himmels genannt Verden, nicht d i e H e e r e ) , aber auch schwerlich der Gott des israelitischen Heeres.
Denn wo der Name zuerst,
vollen F o r m , vorkommt, bei Arnos, wird er gebraucht,
und in der
um die Bezeichnung
Jahves als des Gottes Israels zu vermeiden.
Es wäre auch wuuderlich,
Heer Israels
noch dazu im Plural
einfach
die Heere
Auslassung des Artikels.
zu nennen,
das
und mit
Vgl. lob 25, 3.
') Bei den Arabern tritt durch den Krieg ohne Weiteres der Zustand des Geweihtseins ein.
Man sieht also,
dass die betreffenden Bestimmungen des
Deuteronomiums in alter Anschauung wurzeln.
Die Anfänge
d e s Volkes.
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Stellung gelangt die Gegenwart Jahves im Heere durch die Lade; sie war das Feldzeichen Israels, ein kriegerisches Wanderheiligtum. Kades Sittim Gilgal Silo, die Stätten, wo nach einander das Lager sich für längere Zeit befunden hatte, blieben immerdar geweiht. Indem die Lade nach Jerusalem übergeführt wurde, trat das dortige Heiligtum an die Stelle des alten Lagerheiligtums; und es ist insofern folgerichtig, dass im Priesterkodex die Gesetze über die heilige Stadt in der Form von Gesetzen über das Lager eingekleidet werden, welches nun freilich ein völlig geistlicher Begriff geworden ist. Auch eine besondere Art des Opfers, von dem sich Beispiele grade in der ältesten Zeit finden1), die Devotio, weist auf die enge Verknüpfung des Krieges mit der Religion. Man gelobte, die Stadt oder den König der Feinde, die Beute oder einen Teil derselben, dem Jahve zu weihen, wenn er den Sieg gäbe; die Weihung geschah durch vollständige Vernichtung der geweihten Menschen, Tiere und Sachen. So äusserte sich Jahve vorzugsweise in den grossen Krisen der Geschichte; seine „Tage" waren, wie die Tage der Araber, Schlachttage. In Zeiten der Ruhe, wie das Richterbuch schildert, schliefen Israel und Jahve mit einander ein, durch Feindesgefahr wurden sie wieder aufgerüttelt. Immer begann dann das Erwachen Israels mit dem Erwachen Jahves. Seine Lebensäusserungen waren durch lange Pausen unterbrochen, seine Wirksamkeit hatte etwas Gewitterhaftes. Indessen wenn auch das Verhältnis zwischen dem Volke und seinem Gotte vornehmlich in Zeiten höchster Aufregung sich betätigte, so erstarb es doch auch in der Zwischenzeit nicht. Wie die menschlichen Führer den Einfluss, den sie im Kampfe gewonnen hatten, im Frieden nicht verloren, wie sie aus Kriegsfürsten Richter wurden, so ähnlich auch Jahve. Nicht bloss gegen die Feinde half er, sondern auch im Innern; er schaffte Recht unter den Volksgenossen. So kam das Gemeingefühl, das allerdings besonders gegen aussen sich geltend machte, doch auch im Innern zu einer gewissen Wirkung. Schon ehe die Israeliten durch das Königtum zu eigentlich politischer Einheit gelangten, hatten sie eine Art Rechtseinheit, freilich nicht eine formelle, im Sinne einer obersten Instanz, sondern eine materielle, im Sinne einer gleichartigen Rechtsanschauung. Die geheimnisvolle Gewalt, welche ') Ai, Jericho, Sichern, Agag.
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Zweites
Kapitel.
die Gleichheit der Überzeugungen in den verschiedenen Köpfen hervorbrachte und sowol das Urteil als dessen Anerkennung bedang, stellten sie sich nicht als ein Abstractum vor. Sie glaubten nicht an Abstracta, sie kannten keine unpersönliche Macht, keine Wirkung ohne wirkendes Subject. Es war Jahve, der das allgemeine Gefühl des Rechtes und des Rechten band und den bestimmten Inhalt desselben Einzelnen offenbarte. Sein war das Gericht; in. seinem Namen wurde es ausgeübt, durch wen auch immer es geschehen mochte. Naturgemäss lag die Rechtspflege in den Händen derer, die überhaupt die Autorität hatten, zunächst der Familien- Geschlechts- und Stammhäupter, der sogenannten Altesten, sodann der Häupter von Städten und Dörfern, auch der Könige und der Beamten. In deren Händen blieb sie auch, durch Jahve wurde daran nichts geändert. Daneben gab es aber noch eine andere Instanz, durch welche die Gottheit noch directer wirkte. W e n n die Weisheit oder die Competenz der gewöhnlichen Richter nicht ausreichte, wenn man in schwierigen Lagen Rat haben wollte, so wandte man sich an die Männer Gottes, an die Priester oder die Seher. Ihr Einfluss beruhte nicht auf irgend welcher äusseren Machtstellung, sondern darauf dass die Gottheit, auf Befragen, durch sie antwortete. Die hebräischen Namen für Priester und Seher finden sich auch sonst bei den Semiten 1 ). Aber neu w a r , dass diese Männer in Israel sich je länger desto ausschliesslicher in den Dienst des Volksgottes, Jalives, stellton. Unter den Männern Gottes waren die vornehmsten die Priester. Von Haus aus bestand kein Unterschied zwischen ihnen und den Sehern. Die Gottheit offenbarte sich am sichersten an der Stätte, wo sie wohnte; Bileam stieg auf einen heiligen Berg und opferte dort, ehe er ausging zu schauen, ob Jahve, durch Vögel oder andere „Botschaften", ihm begegnen werde. Durch ihre Verbindung mit den Heiligtümern wurden die Seher zu Priestern; sie bekamen auf diese Weise einen mehr amtlichen und öffentlichen Charakter. Die Priester waren keine blossen Opferer, sondern die ') So namentlich der 1.1. t n o r e bei den Kanaanitern (Glon More, Gibeath More), bei den Abessyniern (Mari), und den Babyloniern (tertu). Die Ableitung des babylonischen t e r t u von der Wurzel m h r (lehren) kommt mir gar nicht wahrscheinlich vor.
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Männer der Gotteskunde. Das bedeutet ursprünglich nicht, dass sie wussten, was die Gottheit von den Menschen verlangt, sondern dass sie die Gottheit zu behandeln, auf sie einzuwirken verstanden. Sie bedienten sich dazu in ältester Zeit der Medien, namentlich warfen sie die heiligen Lose, die Urim und Thummim, um gestellte Alternativen zu entscheiden 1 ). Daran schloss sich aber früh eine allgemeinere Unterweisung und Behandlung an, die zum Beruf d«r Priester gehörte, die Thora. Sie bezog sich auf göttliche und auf menschliche Dinge, nie aber war sie theoretisch und systematisch, sondern immer praktisch, für einen bestimmten Fall berechnet, über den gefragt wurde. Auch die Rechtsprechung gehörte dazu, wenn die Parteien keine Querulanten waren, sondern wissen wollten, was eigentlich das Rechte sei: ein Fall, der im Altertum, wo es kein geschriebenes Recht gab und wo das Recht als heilig galt, häufiger vorkam als bei uns. Die Priester wurden nach Allem befragt und gaben für Alles Verhaltungsmaassregeln*); sie statuirten was erlaubt und was verboten, rein und unrein, recht und unrecht sei; sie sagten, was Gott gefalle und was nicht, ob er eine Unternehmung gelingen oder mislingen lassen werde. Als Begründer des Jahvepriestertums in Israel wurde Moses angesehen. Gr galt als der Ahn der Leviten, d. i. nach dem alten Sinn der Berufspriester'). Jonathan zu Dan war sein Enkel, auch Eli zu Silo leitete sich vermutlich von ihm ab, ein levitisches Geschlecht nannte sich nach ihm Muschi 4 ). Freilich betrachteten ihn auch die Propheten als ihren Vorgänger; indessen diese zweigten sich erst später ab. Die Verbindung des ältesten israelitischen Heiligtums, der Lade, mit Moses hat die Präsumption für sich, das am meisten Geschichtliche zu sein was wir von ihm wissen. ') Das Verfahren wird beschrieben 1 Sam. 14, 36—42; in der Septuaginta sind hier die Urim und Thummim erhalten. Vgl. 1 Sam. 23, 2. 30, 7. *) Die Männer Gottes besassen alles das, was wir methodisch lehren und lernen, durch besondere Begabung. *) Deut. 33,8—11 vgl. Prolegomena 4 p. 132 s. 4 ) Aharon ist sein blosser Doppelgänger (Prol. 4 p. 139). Dagegen macht ihm Miriam ernstlichere Concurrenz (Num. 12). Grade auf Kades, den angeblichen Ort der Lade, hat sie berechtigtere Ansprüche; denn sie liegt dort begraben. Erst später scheint sie durch „ihren Bruder" in den Schatten gedrängt zu sein. Man sieht daraus, dass es eine alte Tradition gegeben hat, in der Hoses Stellung doch nicht so einzigartig war.
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Zweites
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Auf diese Stellung Moses gründete sich der Einfluss, den er gehabt haben muss; ohne einen leitenden Geist kann die Volksbildung unter der Ägide Jahves nicht vor sich gegangen sein. Er war der Anfanger der T h o r a , die nach ihm von den Priestern fortgesetzt wurde. Er hat nichts „Positives", ein für allemal Fertiges hinterlassen, kein Gesetz, keine Verfassung für alle Z u k u n f t gegeben. Aber er hat die Anforderungen der Gegenwart in einer Weise befriedigt, dass die Gegenwart eine Z u k u n f t haben konnte. Der wirkliche Sinn der Theokratie ist demnach, dass Krieg und Recht Religion waren, ehe sie Zwang und bürgerliche Ordnung wurden. Einen förmlichen S t a a t von spezifischer Heiligkeit hat Moses auf dem Satze J a h v e d e r G o t t I s r a e l s keineswegs aufgebaut; oder wenn er es getan hat, so hat das nicht die geringste praktische Folge und nicht die geringste geschichtliche Bedeutung gehabt. Aus dem religiösen Gemeingefühl erwuchs erst der Staat, und zwar nicht ein besonders heiliger Staat, sondern der S t a a t an sich. Die alte patriarchalische Verfassung der Geschlechter und S t ä m m e wurde zunächst nicht angetastet; die factische und rechtliche Autorität blieb in den Händen der Ältesten und Geschlechtshäupter. Zu einer politischen Einheit wurde Israel erst allmählich, durch die Vorarbeit der Religion, als Volk Jahves. 4. Aber m a n verlangt, dass Moses doch auch einen neuen B e g r i f f von der Gottheit eingeführt haben müsse, und feiert ihn als den „Stifter" des Monotheismus. Dem widerspricht indessen schon auf das allerentschiedenste die einfache Thatsache, dass J a h v e ein Eigenname ist, der aus dem Genus ein Individuum heraushebt. Der Monotheismus war dem alten Israel unbekannt. Sie sahen die N a t u r durchaus als gegeben an und fragten nicht nach ihrem Ursprünge. J a h v e kam ihnen n u r als der Gründer Israels in Betracht, und erst seit dem babylonischen Exil ward der Gedanke lebendig — beinah plötzlich taucht er auf — , dass er die Länder und Meere mit ihrer Fülle, den Himmel und sein Ileer nicht nur beherrsche, sondern auch gebildet habe. Der Begriff der W e l t selber existirte nicht f ü r sie, bis an seiner harten Realität ihre Nation zerschellte. Allerdings haben sie wol geglaubt, dass die Macht Jahves weit über Israel hinausreiche; dazu war er j a Gott, dass er den Seinen aushelfe, wenn ihre Kräfte nicht reichten. Aber dieser Glaube wurde nicht systematisch verallgemeinert. Es genügte im gegebenen F a l l , dass J a h v e jeder wirklichen Not und
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Gefahr, welche Israel bedrohten, gewachsen war. Die Eventualität, dass der Himmel einstürzen könnte, wurde nicht in Betracht gezogen; und auch zu dem Gedanken schritt man nicht fort, dass die Feinde selber so in Jahves Hand seien, dass sie sogar den Kampf gegen ihn nicht ohne ihn unternehmen könnten. Der Gott Israel war nicht der Allmächtige, sondern nur der mächtigste unter den Göttern. Er stand neben ihnen und hatte mit ihnen zu kämpfen; Kamos und Dagon und Hadad waren ihm durchaus vergleichbar, minder mächtig, aber nicht minder real wie er selber. „Was euer Gott Kamos euch zu erobern gegeben hat — lässt Jephthah den die Grenze verletzenden Nachbaren sagen — das gehört euch, und was unser Gott Jahve für uns erobert hat, das besitzen wir." Die Gebiete der Götter scheiden sich ebenso wie die der Völker, und der eine hat in des andern Lande kein Recht. Niemand dachte daran, dass Jahve auch ausserhalb Israels verehrt werden müsse oder auch nur könne. Musste ein Israelit aus seinem Vaterlande fliehen, so begab er sich damit in alter Zeit nicht bloss in die Gemeinschaft eines anderen Volkes, sondern auch eines anderes Gottes. Daher David dem Saul, der ihn in die Fremde treibt, vorwirft, er reisse ihn aus dem Erbe Jahves los und zwinge ihn fremden Göttern zu dienen. Wenn der Syrer Naeman bei sich zu Hause dem Gotte Israels, dem er Heilung vom Aussatz verdankt, Opfer darbringen will, so kann er es nicht anders als indem er eine Wagenladung Erde aus Palästina kommen lässt und darauf einen Altar baut, der auch in Damaskus auf Jahves Grund und Boden steht. Bis in sehr späte Zeiten hinein hat der Grundsatz seine Geltung nicht verloren, dass der Cultus Jahves nur im Lande Jahves möglich sei; ursprünglich erklärt er sich aus der örtlichen Beschränktheit der Gegenwart Jahves. Ebenso wenig wie der universale Gott war Jahve der übersinnliche und geistige in unserem Sinne. Es lag in seinem Begriff ursprünglich nichts, was die bildliche Darstellung verboten hätte. Allerdings scheinen die ältesten Israeliten die Gottheit nur an heiligen Orten, bei Stein Baum und Wasser, lokalisirt, nicht aber künstliche Gottesbilder besessen zu haben. Der goldene Stier und die eherne Schlange, die schon aus der Zeit Moses stammen sollen, sind gewiss nicht so alt 1 ). Jedoch erklärt sich das Fehlen von ') Das Stierbild ist dem Baal eigen und auf Jahve nicht eher übertragen,
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Zweites
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Tempeln und Bildern sowie von künstlichen Altären lediglich als primitive Einfachheit und hat nicht von Anfang principielle Bedeutung gehabt. Der Fortschritt zu höherer Cultur brachte die Aufnahme der Bilder mit sich. Niemand nahm anfänglich Anstoss daran; Elias und Elisa liessen sie in Frieden, noch Arnos hat kein Wort des Tadels gegen sie. Erst Hosea und Jesaias fingen an sich gegen die Werke der Menschenhand zu ereifern, durch die Jahve vorgestellt werden sollte. Man kann übrigens nicht sagen, dass die jedenfalls ccht israelitische Lade besser sei als die Bilder, wenngleich sie kein Bild war. Sie enthielt sicher nicht die Gesetzestafeln, die ja nicht hätten im Dunkel verborgen, sondern öffentlich ausgestellt werden müssen, vielleicht aber einen heiligen Stein. Sicher war sie eine sinnenfällige Repräsentation Jahves. Derselbe wurde gradezu damit verselbigt, so dass man z. B. in 1 Sam. 4 — 6 nie sagen kann, ob er das Subject der Aussage ist oder die Lade; es wird kein Unterschied gemacht. Wenn endlich der moralische Grundcharakter des Wesens der Gottheit als mosaisches Erbe des alten Israel betrachtet wird, so geschieht auch das nur mit sehr beschränktem Rechte. Unsere Begriffe von Moral wenigstens müssen wir fern halten. Jahve als bis die Israeliten sich in Palästina niedergelassen hatten. Der Urheber des in Gxod. 32 gemeinten goldenen Stieres ist König Jerobeam I gewesen. Mit der Schlange steht es insofern a n d e r s , als die Möglichkeit ihrer alten und echten Beziehung zu J a h v e nicht in Abrede gestellt werden kanD. Indessen da die eherne Schlange in geschichtlicher Zeit — gleichzeitig mit oder nach der Lade? — im jerusalemischen Tempel stand und verehrt wurde, gradeso wie der goldene Stier im Tempel von Bethel, so ist doch ihre Zurückführung auf Moses, weil sie sich so leicht ergab (denn den Patriarchen wird die Errichtung von künstlichen Bildern nicht zugeschrieben), grossem Zweifel unterworfen, der dadurch noch verstärkt wird, dass während die Lade in der frühesten Geschichte eine grosse Rolle spielt, von der Schlange, die Moses gemacht haben soll, seitdem nie wieder die Rede i s t , bis wir erfahren, dass König Dizkia sie abgetan habe. Der Unterschied, dor im Pentateuch zwischen Stier und Schlange gemacht wird, dass jener abgöttisch, diese göttlich gewesen sein soll, liegt handgreiflich nicht in der Sache, sondern in verschiedenem Maass der Beurteilung. Man hat zu bedenken, dass der Stier in Bethel, die Schlange aber in Jerusalem sich befand. Hizkia betrachtete auch die letztere als Idol. Den Stier n e n n t der Prophet Ilosea spottenderweise das Kalb, und diese Bezeichnung hat sich eingebürgert. Aus seiner Äusserung „in Splitter geht das Kalb von Samaria" geht hervor, dass das goldene Bild einen Holzkern hatte.
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billigte Perfidie and Grausamkeit gegen die Feinde Israels; gut war in seinen Augen das, was Israel frommte. Das lehren die Erzählungen über die Eroberung Kanaans, über die Taten der Richter und der Könige, und selbst über die der älteren Propheten. Wie kann man die von Elisa angestiftete Ausrottung des Hauses Omri mit den Zehn Geboten vereinen! Das Deboralied lehrt den ursprünglichen Geist der israelitischen Religion kennen, nicht der Dekalog. Mit einem Grundgesetz, dessen Sinn ist, die individuelle Moral sei die religiöse Forderung, hat Jahve sicherlich nicht angefangen. Es führt zu wunderlichen Consequenzen, wenn man Moses als den Stifter des Monotheismus ansieht. Er hat dann plötzlich eine ganz neue Religion eingeführt, die wahrscheinlich den Speculationen gebildeter ägyptischer oder babylonischer Priester entlehnt war. Für die „gemeinen" Israeliten war dieselbe viel zu hoch, sie hatten einen natürlichen Widerwillen dagegen und eine entschiedene Neigung zum Heidentum. Um sie wenigstens äusserlich bei Jahve festzuhalten, dazu diente die auf den Cultus gegründete Theokratie, eine Art geistlicher Zwangsanstalt'). Woher stammte denn die Gewalt, um sie in diese Zwangsanstalt zu stecken, um ihnen diese eigentlich völlig esoterische Religion aufzupfropfen! Wie war es möglich, den etwa aus Ägypten entlehnten Weltgott auf eine ganz äusserliche und künstliche Weise zum israelitischen Volksgott zu machen! Wir haben gesehen, dass es eine Theokratie als geistliche Anstalt im alten Israel nicht gegeben hat und dass Jahve ') En dieser Auffassung stimmen sachlich — trotz verschiedener Ausdrucksweise — Orthodoxie und Rationalismus im Ganzen zusammen ; es macht keinen grossen Unterschied, ob der Monotheismus aus Ägypten oder, immerhin etwas vernünftiger, aus dem Himmel importirt wird. Kuenen führt einen bezeichnenden Satz aus Comte (cours de philosophie positive 3 ed. Y p. 206) a n : . . . . la petite théocratie juive, dérivation accessoire de la théocratie égyptienne et peut-être aussi chaldéenne, d'où elle émanait très-probablement par une sorte de colonisation exceptionnelle de la caste sacerdotale, dont les classes supérieures, dès longtemps p a r v e n u e s - a u monothéisme par leur propre développement mental, ont pu être conduites à instituer, à titre d'asile ou d'essai, une colonie pleinement monothéique, o ù , malgré l'antipathie permanente de la population inférieure contre u n établissement aussi p r é m a t u r e , le monothéisme a dû cependant conserver une existence pénible, mais pure et avouée, du moins après avoir consenti à perdre la majeure partie de ses élus par la célèbre séparation des dix tribus. W e l l h a u s e n , I s r . Geschichtc.
J. Aufl.
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Zweites
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auf das allerinnigste mit der Nation verwachsen war. Er war ihr Stolz, sie hatten nicht die stete Neigung ihm zu widerstreben. Sobald die Idee Israels ins Spiel kam, war er der einzige Gott; aber es vertrug sich mit seiner Souveränetät, zu glauben, dass es auch andere, auf ihrem Gebiet anbetungswürdige Götter neben ihm gäbe. Als Weltgott hätte Jahve niemals ein „particularistischer" Gott werden können. Er war vielmehr von Haus aus der Gott Israels und wurde dann sehr viel später der universale Gott; auf geschichtlichem Wege, in Folge des Untergangs der Nation. Mit einem „geläuterten" GottesbegrifT hätte Moses den Israeliten einen Stein statt des Brodes gegeben; höchst wahrscheinlich Hess er sie über das Wesen Jahves an sich, abgesehen von seiner Beziehung zu den Menschen, denken, was ihre Väter darüber gedacht hatten. Mit theoretischen Wahrheiten, nach denen nicht die mindeste Nachfrage war, befasste er sich nicht, sondern mit praktischen Fragen, die bestimmt und notwendig durch die Zeit gestellt wurden. J a h v e d e r G o t t I s r a e l s bedeutete also nicht, dass der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden vorerst nur mit diesem einen Volke einen Bund geschlossen hätte zu seiner Erkenntnis und Verehrung. Es bedeutete wie wir gesehen haben nur, dass die nationalen Aufgaben, innere und äussere, als heilige erfasst wurden. Die israelitische Religion hat sich aus dem Heidentum erst allmählich emporgearbeitet; das eben ist der Inhalt ihrer Geschichte. Sie hat nicht mit einem absolut neuen Anfange begonnen. Doch hat sie bei einem Punkte angesetzt, an den eine fruchtbare Entwicklung sich anknüpfen konnte. Durch die Beziehungen auf die Angelegenheiten der Nation wurde der Gottesbegriff nach und nach moralisirt. Jahve ging zwar nicht sofort auf in zielbewusstem Wollen; ein dunkles unheimliches Grundelement seiner Natürlichkeit blieb zurück. Aber es trat doch in der Vorstellung sehr zurück hinter seinem Walten in einem bestimmten Menschenkreise; sein Wesen füllte sich mit einem neuen Inhalte, welcher der moralischen Welt entnommen war, deren Ziele er zu den seinigen machte. Die Religion beteiligte nicht das Volk am Leben der Gottheit, sondern die Gottheit am Leben des Volkes. Sie war nicht festgebannt und verknöcherte nicht in einem unfruchtbaren Zauberkreise, sie hatte praktische Aufgaben, sie war die treibende Kraft
Die Anfänge des Volkes. — Die Ansiedlung in Palästina.
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der Geschichte. Jahve wuchs heran im Kampfe. Er hatte zu kämpfen, um im Innern die Stämme und Geschlechter der Einheit eines Gemeinwesens zu unterwerfen und zugleich ihre alte religiöse Bedeutung zu beseitigen: es hat Mühe gekostet, ehe der Dienst des Volksgottes alle privaten Dienste verdrängte und ersetzte. Er hatte zu kämpfen, um die von aussen neu zutretenden Einflüsse fremder Cultur zu bewältigen. Im Gegensatze gegen die kanaanitischen Naturgötter ist er erst wahrhaft zum Gott des Rechts und der Gerechtigkeit, und von da aus, als die Assyrer Israel vernichteten, zum Weltgott geworden. So war er in der Tat ein lebendiger Gott, und seine Religion eine fortschreitende Religion. Es gab zwar Einrichtungen, welche für Stabilität sorgten und den Zusammenhang mit der Vergangenheit wahrten. Aber sie Hessen Raum für den schöpferischen Geist, der in der freien Tat und dem gesprochenen Worte ungewöhnlicher Individuen sich offenbarte. Das göttliche Recht der Männer des Geistes wurde anerkannt — und Jahve Hess es nicht an solchen Männern fehlen: Warum die israelitische Geschichte von einem annähernd gleichen Anfange aus zu einem ganz andern Endergebnis geführt hat als etwa die moabitische, lässt sich schliesslich nicht erklären. Wol aber lässt sich eine Reihe von Übergängen beschreiben, in denen der Weg vom Heidentum bis zum vernünftigen Gottesdienst, im Geist und in der Wahrheit, zurückgelegt wurde. Das soll in der folgenden Darstellung etwas ausführlicher geschehen, als es in den vorhin gemachten andeutenden Bemerkungen möglich war.
Drittes Kapitel. Die A n s i e d l u n g i n
Palästina.
1. Das nördliche Moab genügte den Israeliten nicht auf die Dauer, und die Zersplitterung der Kanaaniter westlich des Jordans in unendlich viele Städte und Reiche lockte sie zum Einbruch. Den ersten Versuch machte Juda, im Verein mit Simeon und Levi, aber er gelang nicht gut. Simeon und Levi wurden gänzlich aufgerieben; Juda behauptete sich zwar in dem Berglande westlich vom Toten Meere, erlitt aber gleichfalls sehr schwere Verluste, die 3*
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Drittes
Kapitel.
erst durch den Zutritt gewisser kainitischer Geschlechter des Negeb wieder ersetzt wurden'). In Folge dieser Ereignisse trat nun anstatt der alten Teilung des Volkes in Lea und Rahel eine andere ein, die in Israel und Juda. Israel umfasste sämtliche Stämme ausser Simeon Levi und Juda; die letzteren kommen schon im Liede der Debora nicht mehr als dazu gehörig in Betracht, wo die anderen mit absichtlicher Vollständigkeit gemustert werden. Der halb fehlgeschlagenen ersten Einwanderung in den Westen folgte eine mächtigere zweite, die weit besseren Erfolg hatte. An ihrer Spitze stand der Stamm Joseph, dem sich die übrigen Stämme anschlössen; nur Rüben und Gad blieben in den alten Sitzen zurück. Zunächst ward die Gegend nördlich von J u d a in Angriff genommen, wo später Benjamin wohnte. Erst nachdem mehrere Städte dieses Gebietes einzeln in die Hände der Eroberer gefallen waren, setzten ihnen die Kanaaniter gemeinsamen Widerstand entgegen. Aber in der Nähe von Gibeon wurden sie von Josua auf das Haupt geschlagen. Der Sieg machte die Israeliten zu Herren des mittelpalästinischen Gebirges. Das bis dahin beibehaltene erste Lager bei Gilgal, an der Jordanfurt, wurde nun aufgehoben, die Lade Jahves wanderte weiter landeinwärts und machte endlich in Silo Halt. Hier war fortab das Standquartier, in einer Position wie geschaffen zu Ausfällen in die nördlich darunter liegende fruchtbare Landschaft. In dem bis dahin gewonnenen Gebiete Hessen sich die Bne Rahel nieder, zunächst der judäischen Grenze B e n j a m i n ' ) , dann Ephraim bis über Silo hinaus, und am weitesten nördlich, bis zur Ebene Jezreel, Manasse. Der Schwerpunkt der Bne Rahel und damit des gesamten eigentlichen Israel lag schon damals in Ephraim; in dem Gebiet dieses Stammes lag Silo, der Ort wo die Lade stand, und nicht weit davon Gibeath Phinehas, wo das älteste und vornehmste israelitische Priestcrgeschlecht seinen Landbesitz hatte, ebendort Thimnath Ileres, wo sich Josua ansiedelte, der j a auch von Geburt ein Ephraimit war. Der Name Ephraim für den Stamm ist indessen erst späteren Ursprungs, eigentlich hiess
') Compos. des Hex. p. 213 s. 3 5 4 s.
Prol. 4 p. 140 ss.
d. i. der S ü d stamm, vom Standpuukte Josephs aus. Jemini =
der Südliche.
Gen. 38.
1 Chr. 2.
Das Gcntile lautet
Die Ansiedlung in Palästina.
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so die Landschaft und zwar weit über die Grenze des Stammes hinaus. Als letzte Tat Josuas wird berichtet, dass er den König Jabin von Hasor und die mit ihm verbundenen Fürsten Galiläas an der Quelle von Maron geschlagen und dadurch den Norden für die Ansiedlung geöffnet habe. Es ist ganz wahrscheinlich, dass erst ein grosser Schlag mit vereinter Kraft gegen die Kanaaniter des Nordens geführt werden musste, ehe die Ansiedlung erfolgen konnte. Der König Jabin von Hasor lebt allerdings später noch einmal wieder auf, aber an einer Stelle, wohin er nicht gehört. Die Israeliten unterwarfen die ältere Bevölkerung nicht systematisch, sondern schoben sich zwischen sie ein. Hernach gehörte noch immer eine zähe Arbeit der einzelnen Kreise dazu, um an dem bestimmten Fleck, wo sie sich eingenistet hatten, Wurzel zu fassen. Die Ansiedlung war weiter nichts als eine Fortsetzung des Kampfes im Kleinen, nachdem nur die erste grobe Vorarbeit durch gemeinsame Anstrengung getan war. Von einer vollständigen Eroberung des Landes war keine Rede. Die Ebene an der Küste ward kaum in Angriff genommen, auch das Tal Jezreel, mit dem Gürtel fester Städte von Akko bis Bethsean, blieb grösstenteils unangetastet. Gewonnen wurde besonders das Bergland, namentlich das südlichere, das Gebirge Ephraim, doch blieben auch hier nicht wenige Städte im Besitz der Kanaaniter, wie Jebus Sichern Thebes. Es dauerte Jahrhunderte, bis die Lücken ausgefüllt oder die kanaanitischen Enclaven zinsbar gemacht wurden. Der grossen Zersplitterung ihrer Feinde hatten es die Israeliten zu danken, dass sie ohne viel Kunst zu einem vorläufigen Ziele gelangten. Verhältnismässig rasch legte sich der erste Sturm; Eroberer und Unterworfene lebten sich in die neuen Verhältnisse ein. Da sammelten sich die Kanaaniter noch einmal zu einem Rückschläge. Unter der Hegemonie Siseras kam ein grosses Bündnis ihrer Könige zu Stande, die Ebene Jezreel war der Mittelpunkt ihrer neu sich bildenden Macht, von hier aus machten sie Streifziige nach Nordeu und nach Süden. Merkwürdig wie wenig die Israeliten sich dagegen zu helfen wussten; kein Schild und Speer schien sich zu finden unter vierzigtausend streitbaren Männern. Endlich brachte ein Impuls von oben Seele und Bewegung in die träge Masse. Diesmal ging er von einem Weibe aus, von der Seherin Debora. Sie gehörte dem Stamme Issachar an, der in der
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Drittes
Kapitel.
Ebene Jezreel wohnte und wol am meisten von den Eanaanitern zu leiden hatte. Es gelang ihr, die Häuptlinge von Issachar, vor allem den Barak ben Abinoam, zu einer Erhebung zu ermutigen. Dann wurden auch die übrigen Stämme beschickt; aber nur diejenigen, die zu beiden Seiten der Ebene im Gebirge wohnten, leisteten Hilfe. Von Süden sandten Ephraim und Manasse und Benjamin, von Norden Zebuion und Naphthali ihre Scharen zu Tal. Sisera und seine Bundesgenossen hatten ihre Macht bei Thaanach und Megiddo, östlich vom Karmel, zusammengezogen; dort griffen die israelitischen Bauern sie an. Barak führte sie an, Debora sang ihnen das Lied. Dem Ungestüm des Fussvolks Jahves vermochten die Feinde mit ihren Rossen und Wagen nicht zu widerstehn, sie jagten in wildem Schrecken davon. Aber der Regen und der angeschwollene Bach Kison hinderten ihre Flucht. Sisera verliess seinen Wagen um zu Fuss zu entlaufen; an einem Hirtenzelt vorüberkommend bat er die Frau darin um einen Trunk Wasser. Sie reichte ihm Milch in einer schönen Schale und machte ihn so der Gastfreundschaft sicher. Während er aber sorglos vor ihr stand und gierig trank, führte sie mit einem schweren Hammer einen Schlag auf seine Schläfe, so dass er zusammenbrach und tot zu ihren Füssen niederfiel. Diese Frau hiess Jael und war keine Hebräerin, sondern gehörte einem kainitischen Geschlechte an, das in dieser Gegend weidete. Im Übrigen scheint doch ein grosser Teil der Flüchtigen glücklich entkommen zu sein; es ward ein Fluch ausgesprochen über die Bewohner von Meroz, weil sie auf der Verfolgung nicht herbei kamen um Jahve zu helfen. Der Residenz Siseras drohte offenbar keine Gefahr, die festen Städte in der Ebene Jezreel verblieben auch fürderhin im Besitze der Kanaaniter, und der Stamm Issachar selber geriet nachmals unter ihre Botmässigkeit: er gab seine starken Knochen zum Lasttragen her wie ein Esel und ward zum zinsbaren Knecht. Aber eine Gefahr für Israel wurden die Kanaaniter nicht wieder; oder wenn sie es wurden, so wurden sie es als Freunde, nicht als Feinde. Die Aufregung der Sieger über ihren Sieg ist verewigt in dem Dcboraliede, dem frühesten Denkmal der hebräischen Literatur. Es wirft einen hellen Schein auch über die allgemeine politische und geistige Beschaffenheit des damaligen Israels. Von Issachar ergeht ein Aufruf an die Stämme hüben und drüben; sie sind
Die Ansiedlung in Palästina.
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mehr oder weniger bereit zur Hilfe. Es ist etwas Ausserordentliches, dass sie sich zusammentun, und sie tun es nur zu einem vorübergehenden Zweck. Wenn die Not gewandt ist, gehn sie wieder aus einander, sie sind nur moralisch verpflichtet, im Bedürfnisfall einander zu helfen. Israel ist kein Organismus, zu dessen regelmässigen Functionen etwa die Kriegführung gehörte; Israel ist nur eine Idee. Und Israel als Idee ist gleichbedeutend mit Jahve; nur dass Jahve mehr ist als ein Idee und dem Wunsche die Macht zur Verfügung stellen kann: die regengebenden Gestirne und der angeschwollene Bach Kison kämpfen auf sein Geheiss gegen Sisera. In dem Enthusiasmus des Heeres wird Jahves Gegenwart verspürt, der Geist, der die Menge fortreisst, ist der Geist ihres göttlichen Führers. Wer nicht zur Hilfe Jahves kommt, wer sich dem Strome entgegensetzt, verfällt der Acht. Aus der Botschaft Jahves, welche den Fluch über Meroz ausspricht, schallt vernehmlich die Stimme des Volkes; zur Hilfe Jahves bedeutet zur Hilfe Israels. Der Krieg ist heilig und heiligt seine Mittel, Grausamkeit und Tücke; der Hass Israels, der sich nicht sowol gegen die Kanaaniter selber, als gegen ihre Könige, ihre Rosse und Wagen richtet, ist der Hass Jahves; die leidenschaftliche Wonne befriedigter Rache, das Schwelgen im Spott über den unverhofften Ausgang Siseras sind legitime, sind religiöse Empfindungen, die Jahve billigt und teilt. So formlos, so vielfach unverständlich das Lied ist — der Augenblick, die Stimmung des Augenblicks, welche mit übermenschlicher Gewalt alle Gemüter gefangen nimmt, ist darin auf unnachahmliche Weise festgehalten. Triumphirend spricht sich darin das glückliche Zutrauen aus, womit ein jugendliches Volk in den grossen absichtslosen Momenten seiner Geschichte, in denen sein Gesamtgeist aus der Tiefe aufschauert, die Gottheit vor sich her schreiten sieht, durch sich hin rauschen hört. Noch nach diesen Tagen gingen einige fundamentale Veränderungen in den Wohnsitzen und dem gegenseitigen Verhältnis der Stämme vor. Die Daniten vermochten ihr Gebiet an der Küste, westlich von Benjamin und Ephraim, gegen die nordwärts vordringenden Philister nicht zu halten. Um ihre Freiheit und Selbständigkeit zu behaupten, fassten sie den Entschluss, sich eine neue Heimat zu suchen. Oben im Norden des Landes, am Fuss des Hermon, hatten ihre Kundschafter ein schönes Tal entdeckt,
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Drittes
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mitten u n t e r den Gebirgen versteckt, wo an der Jordanquelle die S t a d t Lais lag. Die Einsassen waren „Sidonier", friedliche Leute, die für sich lebten und mit keinem grösseren Gemeinwesen in Verbindung standen. Dorthin begab sich der S t a m m , aus dem Kriegslager in das er zusammengedrängt w a r , auf die W a n d e r u n g . W e i b e r , Kinder und Tross zogen voran, es folgten die Krieger, nur sechshundert Mann, aber trotzige verzweifelte Gesellen. Im tiefsten Frieden überfielen sie die nichtsahuenden Bewohner von Lais und machten sie nieder: kein Hund und kein Hahn krähte darnach. Darauf richteten sie sich häuslich in der eroberten S t a d t ein und nannten sie nach ihrem Vater Dan. Auch einen Tempel Jahves gründeten sie d a r i n , wol an der Stelle eiues alten Baaltempels an der Jordansquelle. Priester und Gottesbild dazu hatten Als sie nemlich unterwegs auf dem Gesie schon mitgebracht. birge Ephraim an dorn neu errichteten Gotteshause eines gewissen Micha vorbeikamen, raubten sie das Ephod nebst Zubehör d a r a u s und n a h m e n auch den Hüter mit, J o n a t h a n beu Gersom, den Enkel Moses: dessen Nachkommen behielten das Priestertum an dem nachmals weitberühmten Heiligtume Jahves zu Dan bis zur Auflösung des israelitischen Reichs durch die Assyrer. Auf diese Weise sassen nun die westjordanischen Kebsstämme, Aser Naphthali Dan. alle bei einander in der Nordmark des Landes. Im Ostjordanlande sank Rüben rasch von seiner alten Höhe, er teilte das Schicksal seiner nächstältesten Brüder Simeon und Levi. AVenn Eglon von Moab Jericho eroberte und Benjamin zinsbar machte, so musste vorher schon das Gebiet Rubens in seiner H a n d sein. Dies Gebiet blieb seitdem ein beständiger Zankapfel zwischen Moab und Israel; aber nicht von Rüben gingen die Versuche es wiederzugewinnen aus, sondern} von Gad, einem S t a m m e , der sich m a n n h a f t der ringsum ihn umgebenden Feinde zu erwehren wusste. W ä h r e n d aber die Hebräer im Südeu liier an Terrain verloren, erweiterten sie im Norden des Ostjordanlandes ihre Grenzen beträchtlich. Manassitische Geschlechter, denen die Heimat zu enge wurde, gingen über den Jordan und gründeten in liasan und Nordgilead Colonien; an ihnen vorzugsweise blieb nachmals der alte N a m e Makir haften, der im Deboraliede für Gesamtmauasse westlich des Jordans gebraucht wird. Wenngleich diese Colonisirung, wegen der Rivalität der gleichfalls hier vordringenden A r a m ä e r , n u r unvollkommen gelang, so war sie doch deshalb sehr wichtig,
Die Ansiedlang in Palästina.
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weil sie dazu beitrug, die Verbindung der östlichen mit den westlichen Stämmen neu zu befestigen. Gilead ging nicht nur nicht für Israel verloren, sondern wurde sogar ein sehr lebendiges Glied am Leibe des Volkes. 2. Die alte Ordnung der Dinge über den Haufen zu werfen, war den Israeliten leicht geworden, eine neue zu gründen wurde ihnen schwer. Den Zwischenzustand wussten die Kinder der Wüste auszunützen; die unsicheren bewegten Zeiten waren dazu angetan, ihnen das Culturland zur Beute zu machen. Midianiter werden sie genannt, es war aber ein bunter Haufe, verschieden von den weidenden Stämmen der Sinaihalbinsel, zu denen die Israeliten selbst gehört hatten; sie machten gleichzeitig, wie es scheint, auch den Edomitern und Moabitern zu schaffen (Gen. 36, 35). Es waren keine Schafhirten, sondern richtige ruhelose Kamelnomaden; sie fielen nicht ein um zu erobern und sich niederzulassen, sondern um Beute zu machen und damit das Weite zu suchen. Alljährlich um die Erntezeit kamen sie mit ihren Zelten und Kamelen und frassen das Land kahl wie ein Heuschreckenschwarm. Von der Wüste zogen sie am Jabbok herunter und ergossen sich dann durch das Tal von Bethsean in die Ebeno und weiter nach Südwesten über Dothan in das Küstenland, vorzugsweise die offenere Gegend heimsuchend, die auch die ergiebigste Beute lieferte. Am meisten hatte die Ebene Jezreel mit dem im Süden und Norden daran grenzenden niedrigen Hügellande von ihnen zu leiden. Es musste sich jetzt zeigen, ob die Israeliten mit Recht Herren des Landes waren, welches sie den Kanaanitern abgenommen hatten, ob sie die Kraft hatten es gegen diese Räuber zu schützen. Zunächst hatte es nicht den Anschein. Sie waren den schnellen Kamelreitern gegenüber hilflos; jeder Bauer sorgte für sich selber, um seine Ernte so gut es ging in irgend einem Schlupfwinkel zu bergen. Aber cndlich ward dem Fass der Boden ausgeschlagen. Auf einem ihrer Raubzüge hatten zwei Häuptlinge der Midianiter einige vornehme Gefangene auf dem Thabor geopfert, dem heiligen Beige der von Norden auf die Ebene Jezreel herabschaut. Die Getöteten gehörten zu dem Geschlechte Abiezer von Manasse, welches in Ophra, im Süden der Ebene, seinen Mittelpunkt hatto. Wie nun ihr Bruder Jerubbaal ben Joas erfuhr was ihnen geschehen war, bot er das Geschlecht zur Rache auf und eilte mit dreihundert Mann von Abiezer über den Jordan, den Jabbok hinauf, hinter
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Drittes
Kapitel.
den Midianitem h e r , die inzwischen mit ihrem Raube auf und davongegangen waren. Er überfiel sie am Rande der Wüste, noch östlich über Nobah hinaus, wo sie sich sorglos gelagert hatten um die Beuteteilung zu feiern. Nach Nomadenart wehrten sie sich nicht lange, sondern suchten nur mit dem Raube zu entkommen. Auch die beiden Häuptlinge flohen, aber Jerubbaal, der es eben auf sie abgesehen hatte, ruhte nicht in der rastlosen Verfolgung, bis er sie gefasst hatte. Dann kehrte er um und züchtigte unterwegs zwei Städte im Jabboktal, die ihm auf dem Hinwege kein 13rod für seine erschöpften Leute hatten geben wollen. Zu Hause angelaugt hielt er Gericht über seine beiden Gefangenen. Weil er mit eigener Hand an den Wehrlosen die Rache zu nehmen sich scheute, so übergab er die Pflicht ihrem Erben, seinem Erstgeborenen Jether. Der fürchtete sich aber das Schwert zu ziehen, denn er war noch ein Knabe. Da forderten die Gefangenen ihn auf, selber den Streich zu führen, und er tat es. Es scheint, dass die Midianiter noch einmal wieder kamen. An der Stelle, wo die Ebene Jezreel östlich zu dem nach Bethsean herabführenden Tale sich verengt, hatten sie ihr Lager aufgeschlagen; dort überfiel sie Jerubbaal mit seinen Abiezriten und zersprengte sie. Sie flohen dem Jordan zu, aber inzwischen war der Landsturm aufgeboten und die Männer von Ephraim hatten die Furten des Jordans besetzt. Dadurch erst wurde den Nomaden der vernichtende Schlag beigebracht; am stärksten war das Würgen in der Nähe eines Felsen am Jordau, welcher der Rabenstein genannt ward. Der Erfolg machte die Ephraimiten übermütig. Sie machten dem Jerubbaal zornige Vorwürfe, warum er sie nicht gleich anfangs gerufen habe, als er in den Kampf gezogen sei. Aber er antwortete ihnen: was habe ich denn jetzt getan im Vergleich zu euch? ist nicht die Nachlese Ephraims besser als die Ernte Abiezers? Da legte sich ihre Hitze, als er so redete. Ursprünglich hatte Jerubbaal aus einem rein persönlichen Beweggrunde gehandelt, die Pflicht der Blutrache, die ernsteste und heiligste die es gab, hatte ihn in den Kampf getrieben. Aber der Erfolg seiner Tat ging weit über die Absicht hinaus, in der sie unternommen war; und er selber wuchs mit dem Erfolge. Er wurde der Retter der Bauern vor den Räubern, des Ackerlandes vor der Wüste. In seiner Stadt Ophra, wo er inmitten seines Geschlechtes wohnen blieb, hielt er ein grosses Haus; er nahm sich
Die Ansiedlang in Palistina.
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viele Weiber und hatte von ihnen eine Menge Kinder. Auf einem seiner Familie gehörigen Grundstücke, wo ein heiliger Stein und eine Terebinthe stand, stiftete er ein Gotteshaus und ein Jahvebild darin, das er mit dem Golde, welches ihm als Führeranteil von der midianitischen Beute zugefallen war, überzogen hatte. Er hinterHess seinen Söhnen eine Herrschaft, welche sich nicht auf Abiezer und Manasse beschränkte, sondern auch über Ephraim sich erstreckte, wie lose und mittelbar sie immer sein mochte. Auf der Grundlage, welche Jerubbaal gelegt hatte, versuchte sein Sohn Abimelech ein Königtum über Israel, d. h. über Ephraim und Manasse, zu gründen. Indem er aber die Herrschaft, die seinem Vater als Frucht seiner Verdienste in den Schooss gefallen war, seinerseits für einen Raub ansah und sie auf Gewalt und Frevel stützte, zerstörte er die gedeihlichen Anfänge, aus denen schon damals ein Reich im Stamme Joseph hätte entstehn können. In den Grenzen der Herrschaft Jerubbaals lagen mehrere noch kanaanitische Städte, die mit einander im Bunde standen. Sichern war der Vorort, dort stand der Tempel des El Berith, unter dessen Schutz der Bund und der Bundesschatz gestellt war. Die Städte erfreuten sich eines grossen Maasses von Unabhängigkeit, aber sie erkannten doch die israelitische Oberhoheit an. Dem Jerubbaal waren auch diese Kanaaniter Dank schuldig dafür, dass er die midianitische Landplage beseitigt hatte. Er stellte sich freundlich zu ihnen und verschwägerte sich mit einer vornehmen Familie von Sichern. Als er nun starb, war für die Nachfolge in der Herrschaft nicht gesorgt, alle seine Söhne traten in das Erbe ein. Diese Unordnung kam dem Abimelech zu statten, dem tatkräftigsten und rücksichtslosesten unter ihnen. Seine Mutter war die Sichemitin, welche Jerubbaal geheiratet hatte; durch sie hatte er zu Sichern selber und zu dem kanaanitischen Städtebunde Beziehungen, die er sich zu Nutze machte. Er gewann zunächst die Verwandten seiner Mutter und dann auch die übrigen Sichemitcu für sich, und sie gaben ihm siebzig Silberlinge aus dem Tempel des El Berith. Damit warb er eine Schaar loser Leute, d. h. solcher die nicht im Verbände und unter der Verantwortlichkeit eines Geschlechtes standen, überfiel mit ihnen die nichts ahnende Stadt Ophra und machte alle seine Brüder, die Söhne Jerubbaals, nieder. Darauf wurde er bei der Eiche der Masseba in Sichern zum Könige gesalbt.
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Drittes
Kapitel.
So brachte er die Herrschaft in seine Gewalt, mit siebzig Silberlingen und einer Hand voll Abenteurer. Er ward ihrer aber nicht froh. Das Einvernehmen zwischen ihm und den Sichemiten hielt nicht lange vor. Obwol sie ihm nichts, er ihnen viel verdankte, hatten sie an ihm doch einen härteren Herrn als an seinem Vater, und es konnte sie nicht trösten, dass er von ihrem Fleisch und Blut war, denn er fühlte sich trotzdem als Israelit und die Männer von Israel waren seine Krieger. Offenen Abfall wagten sie indessen vorerst nicht, sie begannen nur eine versteckte Fehde, indem sie durch Wegelagern die Strassen unsicher machten. Dadurch angelockt kam nun ein Parteigänger, Goal ben Ebed, mit seiner Schaar in die Stadt und ward mit offenen Annen von den Bürgern aufgenommen; sie konnten ihn gebrauchen und verliessen sich auf ihn. Der Mut schwoll ihnen, und als beim Feste der Weinlese im Heiligtum ihre Köpfe erhitzt waren, fielen grosse Worte; sie assen und tranken und fluchten dem Abimelech. Goal bestärkte sie darin, er aber schalt auch auf den Obersten der Stadt, den mit anwesenden Zebul, der ja doch nur ein Statthalter Abimelechs sei und kein Herz für die gemeine Sache habe. „ W ä r e ich an seiner Stelle, so würde ich dem Abimelech aufkündigen und ihm sagen: mehre dein Heer und rück an!" So sagte Goal, um Zebul zu verdrängen und selbst an die Spitze der Bürgerschaft zu gelangen; er schimpfte ihn einen Diener Abimelechs, um seine Gesinnung zu verdächtigen. Bisher hatte Zebul mit der Bewegung sympathisirt, obgleich er es nicht zum oll'onen Abfall hatte kommen lassen. Da er nun aber sali, dass ein anderer durch den Aufstand emporgetragen wurde und ihn in seiner Stellung bedrohte, änderte er seinen Kurs und traf Maassnahmen um Goal los zu werden. Er machte Abimelech heimlich auf sein Treiben aufmerksam und riet ihm, unvermutet mit einem Heer vor der Stadt zu erscheinen. Abimelech k a m ; Goal, durch Zebul bei seinen grossen Worton und bei der Ehre gegriffen, rückte ihm Schanden halber entgegen, Hess sich aber alsbald in die Stadt zurückschlagen. Da hatte er ausgespielt, noch selbiges Tages vertrieben ihn die Sichemiten, nachdem unter diesen Umständen Zebul, seiner Rechnung gemäss, wieder Oberwasser erlangt hatte. Damit glaubten sie zugleich den Zorn Abimelechs gesühnt und das alte Verhältnis zu ihm hergestellt zu haben, und da er mit seineu Truppen sich nicht weiter blicken liess, so gingen sie am folgenden Tage sorglos hinaus auf
Die Ansiedlung in Palistina.
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das Feld an ihre Arbeit. Abimelech aber war von Anfang an über die Vorgänge in Sichern wol unterrichtet gewesen, er wusste wie er mit Zebul und den Übrigen daran war, und liess sich nicht dadurch täuschen, dass sie alle Schuld auf Goal zu wälzen suchten. Als ihm von ihrem sorglosen Gebaren Meldung gemacht wurde, brach er aus dem Hinterhalt hervor, in den er sich zurückgezogen hatte, überfiel unversehens die Stadt und eroberte sie nach hartem Kampfe. Dann zerstörte er sie bis auf den Grund und säte Salz auf ihre Stätte. Nicht besser erging es der Akropolis, die am Berge Salmon lag. Die Einwohner hatten sich in ein Lokal, das zum Heiligtum des El Berith gehörte, geflüchtet; Abimelech aber liess Feuer daran legen, und alle Flüchtlinge, gegen tausend, kamen um. Darauf wandte er sich gegen die südöstlich von Sichern belegene Stadt Thebes, die auch zum kanaanitischen Bunde gehört und sich dem Abfall angeschlossen haben muss. Er nahm sie ohne Mühe ein, aber die Einwohner retteten sich in die Burg, die hier mitten in der Stadt lag. Als nun Abimelech Anstalt machte auch diese Burg in Brand zu setzen, warf ein Weib einen Stein von oben herab, der ihn auf den Kopf traf. Da befahl er seinem Waffenträger ihm den Todesstreich zu versetzen, damit es nicht heisse, ein Weib habe ihn umgebracht. Da aber die Männer von Israel sahen, dass Abimelech tot war, gingen sie i lirer Wege. Er starb wie Pyrrhus, sonst erinnerte er an Jehu. Ebenso wie dieser hat er grossen Eindruck gemacht und einen Erzähler gefunden, der Sinn für die Energie des Bösen besass. Es war eine Figur aus dem Holz, aus dem Könige geschnitzt werden können. Er hatte aber die Züge des Bastards: ganz auf eigene Kraft gestellt, ohne Pietät, feindlich gegen sein Geschlecht. Der einzige dauernde und wichtige Erfolg seiner Tätigkeit war die Demütigung der Kanaaniter in der Mitte des israelitischen Landes. Sichern wurde als kanaanitische Stadt zerstört und als israelitische wieder aufgebaut. Das Salz hatte keine Wirkung, sehr bald gewann der äusserst günstig gelegene Ort seine frühere Bedeutung wieder und nach dem Falle Silos wurde er der Mittelpunkt von Ephraim. Im Übrigen fiel mit dem Könige auch das Königtum. Ein sehr minderwertiger Ersatz dafür war die politische Hegemonie, welche die Priester bei der Lade Jahves in Silo eine Weile über den Stamm Joseph ausgeübt zu haben scheinen. Die Erinnerung
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Drittes
Kapitel.
daran knüpft sich an Eli, einem Nachkommen des alten Priesters Phinehas'). 3. Der wichtigste Vorgang in der Richterperiode ging im Allgemeinen ziemlich geräuschlos vor sich, nemlich die Verschmelzung der neuen Bevölkerung des Landes mit der alten. Die Israeliten der Königszeit hatten eine sehr starke Beimischung kanaanitischen Blutes, sie waren keineswegs reine Abkömmlinge derer, die einst aus Ägypten gezogen und in der Wüste gewandert waren. An eine Ausrottung der sämtlichen Ureinwohner zu denken, verbietet, schon die Art und Weise der Eroberung. Von grösseren Städten, welche unbezwungen blieben, ist uns ein ziemliches Verzeichnis erhalten, welches gleichwol ganz lückenhaft ist und sogar aus unserer doch so ärmlichen Kunde sich vervollständigen lässt. Erst im Laufe von zwei drei Jahrhunderten wurden diese Städte eine nach der anderen unterworfen; unter den ersten Königen waren immer noch etliche übrig. In einigen Fällen wurde dann wol der Bann, die Devotio, vollstreckt und Alles zur Ehre Jahves getötet und verbrannt; oder wenigstens die Bürgerschaft niedergemacht und die Stadt neu besiedelt, wie wir es bei Sichern gesehen haben'). Aber in anderen vollzog sich der Übergang in israelitische Herrschaft nicht so gewaltsam; manche Städte werden kapitulirt haben, dem Beispiel folgend das zuerst Gibeon gegeben haben soll. Dann wurde die Bürgerschaft nicht ausgetrieben, sie inusste nur die Tore öffnen und vor allen Dingen Tribut entrichten. So geschah es bei den Städten der Ebene Jezreel. „Manasse liess uneingenommen Bethsean nebst Töchtern, und Thaanach nebst Töchtern, und Jibleam nebst Töchtern; als aber Israel stark wurde, machte es den Kanaaniter zinsbar, trieb ihn jedoch nicht aus dem Besitze." Übrigens wurden diese Städte vielfach nicht von denjenigen Stämmen unterworfen, in deren Gebiete sie lagen, sondern
') Er ist der Erbe von dessen Priestertum und hat auch seinen Sohn nach ihm genannt, der merkwürdige Familienname würde allein genügen, um die Verwandtschaft zu beweisen; vgl. Prolegomena 4 p. 138. Verwunderung muss es erregen, dass Elis Herkunft nicht angegeben wird, nicht einmal sein Vater. Es erklärt sich indessen d a r a u s , dass der Anfang seiner Geschichte abgeschnitten ist; s. meine Bemerkuug zu 1 Sam. 1, 3. 2
) Die Eroberung Sichems mit Schwert und Bogen erscheint Gen. 48, 22 als Ausnahme.
Die Ansiedlnng in Palästina.
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von anderen mächtigeren, so dass die Stammgrenzen Stellenweise kraus durch einander gingen. Aber auch in den Landesteilen, in deren vollen Besitz sie früh gelangten, Hessen die Eroberer die alten Insassen grossen teils ruhig unter sich wohnen. „Nicht in einem J a h r e will ich sie vertreiben, sagt J a h v e Exod. 23, d a m i t nicht das Land eine W ü s t e werde und das Wild des Feldes dir über den Kopf wachse, ganz bei Kleinem will ich sie dir fortschaffen, bis du dich mehrest und das Land in Besitz nehmen k a n n s t . " W a s hiernach J a h v e selbst gewollt und geordnet h a t , wird freilich von der späteren Uberlieferung als ein schlimmer Ungehorsam gegen seine Befehle betrachtet; aber auch damit wird doch eben a n e r k a n n t , dass das angebliche Ausrottungsdecret nie vollzogen worden ist. Durch die Bevölkerung des platten Landes empfingen die Einwanderer den beträchtlichsten Zuwachs, und zwar gleich in der ersten Zeit ihrer Niederlassung. Die Feiiahen waren leicht zu gehorsamen Untertanen zu machen, sie waren wol schon vorher hörig gewesen und standen ihren neuen Herren in den Lebensgewohnheiten vielleicht näher als ihren eigenen Landsleuten in den Städten. Natürlich ging der Assimilirungsprocess in den kleinsten Kreisen vor sich, die beiden verschiedenartigen Hälften standen sich dabei nicht compact gegenüber. Für die Hebräer war es ein Glück, dass sie zuerst grade dies Element in sich aufzunehmen h a t t e n , dessen sie auch geistig Herr werden konnten, und dass d a n n die S t ä d t e , die ihnen in mancher Hinsicht überlegen und jedenfalls weit schwerer verdaulich waren, erst nach und nach hinzutraten, „als Israel stark geworden." Späterhin ward n u r auf diese S t ä d t e , die sich noch so lange ihre Nationalität erhalten h a t t e n , der N a m e Kanaaniten angewandt, mit dem NebenbegrifT des Händlers, während die Bauern von ihnen unterschieden u n d gar nicht nach ihrer Nationalität, sondern nach ihrem Stande bezeichnet wurden, als Phereziten d. h. Dörfler. Freilich verschwand das Bewusstsein n i c h t , dass auch die Dörfler eigentlich zu K a n a a n gehört hatten. Bloss in den nördlichen Marken, wo die Ureinwohner in starken Massen sitzen geblieben waren, polarisirten sich die Gegensätze, und es kam zu keiner rechten Überwindung des einen Elements durch das andere. Als die Israeliten im Lande Gosen und in der W ü s t e von Kades Platz fanden und auch noch als sie im Lande Moab nörd-
48
Drittes
lieh vom Arnon wohnten, wesen
sein.
Im
Kapitel.
können
Deboraliede
sie
kein zahlreiches Volk
werden
auf vierzigtausend veranschlagt,
die
wobei
waffenfähigen
ge-
Männer
die Absicht ist eine mög-
lichst hohe Zahl zu n e n n e n : unter einer solchen Menge habe sich kein Widerstand gegen die Redrücker erhoben.
Der S t a m m Dan
zählte bei seiner Wanderung nach dem Norden sechshundert Krieger; er mag allerdings durch die vorhergehenden Kämpfe mit den Philistern
etwas zusammengeschwunden
sein.
Grosse Verwunderung
hat bei den Späteren die Handvoll Leute erregt, womit J e r u b b a a l zur Verfolgung der Midianiter auszog;
sie versuchen die dreihun-
dert Mann als letzten Rest zu begreifen, auf den sein ursprünglich weit grösseres Heer herabgeschmolzen sei. zu diesen Angaben
aus
In auffallendem Contrast
der Richterperiode
stehn
diejenigen
aus
der Zeit der Könige, die im Pentateuch einen verfrühten Widerhall gefunden haben.
Hier begegnen
wir immer
sehr grossen Zahlen,
der übliche Anschlag der Gesamtsumme scheint sechshunderttausend Streiter
zu
sein,
sprechen würden.
die
etwa
zwei
bis
drei Millionen Seelen ent-
Ist nun gleich auf die Genauigkeit der Zählung
durchaus kein Verlass, so steht doch die ungewöhnlich starke Vermehrung des Volks seit der Ansiedlung in Palästina ausser Zweifel. Sie
war
die
Hauptursache,
als
solche
von
Bileam
im
Geiste
erschaut, weshalb J a k o b seine älteren Brüder, Moab, Ammon und Edom, so sehr überflügelte, denen er ursprünglich kam oder nachstand.
au Zahl
gleich
Die Erklärung des Factums liegt nicht fern;
die einverleibten K a n a a n i t e r liefern den Schlüssel. Im Lande Gosen und in der Wüste können die Hebräer nur als wandernde Hirten gelebt
haben;
es
wird
auch
ausdrücklich
bezeugt, dass sie dort Schafe und Ziegen geweidet hätten.
Durch
die Eroberung Palästinas wurden sie ansässig, binnen Kurzem finden wir sie völlig zu Bauern geworden.
Hätten sie die alteingesessenen
Landeskinder vertilgt, so würden sie das Land zur Wüste gemacht und
sich selbst
um den Gewinn der Eroberung
gebracht
haben.
Indem sie sie schonten und sich selber ihnen gleichsam aufpfropften, wuchsen sie zugleich in ihre Cultur
hinein.
nicht gebaut, in Felder und Gärten,
die
und angelegt hatten, nisteten sie sich ein. glückliche Erben in den Genuss vollzog sich bei ihnen wurden
rasch
der Arbeit
eine folgenreiche
In Häuser,
die
sie
sie nicht urbar gemacht Uberall traten sie als ihrer Vorgänger.
So
innere Umwandlung;
sie
ein sogenanntes Culturvolk.
Auch
in
dieser Hin-
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Die Ansiedlnng in Palästina.
sieht kamen sie mit einem Schlage ihren Brudervölkern voraus, die zwar viel früher ansässig geworden, aber am Rande der Wüste haften geblieben waren and noch immer mit einem Fuss darin standen. Diese Veränderung des Lebens zog natürlich auch ihre religiösen Folgen nach sich. Der Cultus, wie ihn die Israeliten in der Königszeit hatten, bestand sehr wesentlich in der Feier von Festen, an denen die Erstlinge oder der Zehnte von der Ernte dargebracht wurden. Diesen Cultus können sie nicht aus der Wüste mitgebracht haben, da er auf den palästinischen Gartenund Feldbau sich gründete. Sie haben ihn von den Kanaanitern übernommen. Dies ist um so sicherer, da sie mit den Wohnorten, den Keltern und Tennen auch die Heiligtümer, die sogenannten Höhen'), von jenen übernahmen. Es war schwer, von den Stätten des Gottesdienstes die bisher dort üblich gewesenen Einrichtungen und Bräuche abzutrennen. Nahe lag es dann ferner, dass die Hebräer sich auch den Gott aneigneten, der von den kanaanitischen Bauern als der Spender von Korn, Wein und Öl verehrt wurde, den Baal, den die Griechen mit Dionysus gleichsetzen. Der Abfall zum Baalsdienst in der ersten Generation, welche die Wüste verlassen hatte und zur Landsässigkeit übergegangen war, ist durch die prophetische und historische Tradition gleichmässig bezeugt'). Zuerst gingen ohne Zweifel der Baal als Gott des Landes Kanaan und Jahve als Gott des Volkes Israel neben einander her; im Deboraliede wohnt Jahve noch nicht in Palästina, sondern anf dem Berge Sinai in der Wüste und kommt von dort, wenn es nötig ist, den Seinen zu Hilfe. Es war aber auf die Dauer unmöglich, dass der Landesgott ein anderer sein sollte, als der Gott des herr>) Bama. Es bedeutet ursprünglich H ö h e , dann A l t a r . *) Hierem. 2, 1—8. Osee 2,16 sq. 9,10. Num. 25, 3 : mit dem Übergange von der Wöste in das Fruchtland beginnt sofort der Abfall, die Gaben des Dionysus ziehen deD Cult des Dionysus nach sich; darum ist Baalpheor für die prophetische Geschichtsbetrachtung von entscheidender Bedeutung. Baal ist zunächst Appellativ, bedürftig der Ergänzung durch einen Genitiv, der meist ein Ortsname ist. Dann aber wird es auch als Eigenname (z. B. in Jerubbaal) gebraucht, für einen Gott, der dem griechischen Dionysus nah verwandt ist. Von Haus ist allerdings der Baal gewiss wie der Pan ein Gott der fruchtbaren Wildnis, des Hains der Wiese und des Quells, gewesen; ein Gott der Cultur ist er erst hernach geworden, genau so wie der arabische Dusares. Dass die Astarte den Hebräern keine so grosse Gefahr wurde, erklärt sich daraus, dass sie als Weib mit Jahve nicht confundirt werden konnte. W e l l h i D s e n , I«r. Omcblchte.
3. Aofl.
4
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Drittes
Kapitel.
sehenden Volkes. In dem Maasse, wie Israel mit dem eroberten Lande verwuchs, verwuchsen auch die Gottheiten. Es entstand dadurch eine gewisse Theokrasie, eine Mischung zwischen dem Baal und Jahve, die noch in der Zeit des Propheten Hosea nicht überwunden war. Indessen wurden doch mehr die Funktionen des Baal auf Jahve übertragen als umgekehrt. Kanaan und der Baal waren der weibliche, Israel und Jahve der männliche Teil in dieser Ehe. Auch drang die Fusion nie so allgemein und vollständig durch, dass nicht das Bewusstsein des Unterschiedes sich erhielt und ab und zu in weiteren Kreisen lebendig wurde. So entstand gleich anfangs jene merkwürdige Spannung zwischen zwei Polen, die den ganzen weiteren Verlauf der israelitischen Religionsgeschichte beherrscht. Sie veränderte freilich mit der Zeit ihren ursprünglichen Charakter sehr stark. Der natürliche Gegensatz der Volksindividualitäten vergeistigte sich, der Kampf zwischen Jahve und dem Baal bedeutete schliesslich sehr viel mehr als den Kampf zwischen Israel und Kanaan. Wären die Israeliten in der Wüste und in der Barbarei verblieben, so wäre schwerlich ihre folgende geschichtliche Entwicklung möglich gewesen; sie wären geworden wie Amalek, oder höchstens wie Edom Moab und Amnion. Die Aufnahme der Cultur war ein unzweifelhafter Fortschritt ; aber ebenso auch eine unzweifelhafte Gefahr. Sie brachte eine gewisse Überladung an Stoff mit sich, der nicht sogleich assimilirt werden konnte. Das religiöse Gemeinbewusstsein der Nation drohte durch die sich aufdrängenden Aufgaben des gemeinen Lebens erstickt zu werden. Der kriegerische Bund der Stiimme zerfiel unter den friedlichen Verhältnissen, die Ansiedlung zerstreute die durch das Lager- und Wanderleben Geeinigten. Der enthusiastische Aufschwung, wodurch die Eroberung geglückt war, wich der trivialen Arbeit, wodurch die einzelnen Familien, jede in ihrem Kreise, sicli in die neuen Verhältnisse einbürgern mussten. Doch unter der Asche blieben die Kohlen glühen; sie zu entfachen war die Geschichte das Mittel. Sie machte fühlbar, dass der Mensch nicht allein von Brot und Wein lebt und dass es noch andere Güter gibt als die Baalsgaben; sie brachte den heroischen Gott der Aufopferung der Person für das Ganze wieder zu Ehren.
Die Gründung des Reiche« und die drei ersten Könige.
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Viertes Kapitel. Die G r ü n d u n g d e s R e i c h e s u n d die d r e i e r s t e n K ö n i g e . 1. Die Philister weckten Israel und Jahve aus dem Schlummer. Sie wohnten in der Niederung am Meere, welche dem Gebirge Juda westlich vorgelagert ist. Wie die Aramäer und Israeliten, mit denen sie der Prophet Arnos zusammenstellt, waren sie erst in historischer Zeit in das Land Kanaans eingewandert; und zwar von Ägypten her an der Käste herauf, denn sie schoben sich von Südwest nach Nordost. Von den unterworfenen Urbewohnern hatten sie Sprache und Religion angenommen; ursprünglich gehörten sie nicht zu der semitischen, sondern wol zu der kleinasiatischen Völkergruppe, ähnlich wie die herrschende Schicht bei den Hethitern. Sie scheinen sich selber Kreth genannt z u h a b e n ; so heissen sie bei dem Propheten Sephania und daher trägt noch in späten Zeiten der Hauptgott ihrer wichtigsten Stadt den Beinamen Kretagenes 1 ). Ihr Land war eine fruchtbare Niederung und zum Getreidebau wol geeignet. Indessen scheinen sie doch wesentlich ein Stadt- und Handelsvolk gewesen zu sein. Von dem hafenlosen Meere hatten sie zwar keinen Vorteil, aber desto schwunghafter war der binnenländische Karavanenhandel: denn die Völkerstrasse nach Ägypten lief über diesen breiten Küstensaum. Land und Volk war in fünf Städte eingeteilt, Gaza Gath Asdod Askalon Akkaron, von denen nur Gath landeinwärts und abseit der Strasse lag. Diese Städte waren der Sitz der Herrschaft und der herrschenden Bevölkerung, an der Spitze einer jeden stand ein Fürst, und die fünf Fürsten waren zu einem Bunde vereinigt. Durch ihr städtisches Wesen, ihre politische Organisation und militärische Disciplin zeichneten sich die Philister vor den Israeliten aus, während diese sich ihnen an Leibeskraft überlegen gefühlt zu haben scheinen. Man meint gewöhnlich, die Philister hätten zunächst ihr Hinterland, Juda, angegriffen und bezwungen; aber die Trennung Judas ') Schwerlich reicht der Mythus, der Zeus in Kreta geboren sein lässt, zur Erklärung dafür aus, dass grade der Hauptgott der Philister in Gaza so genannt wurde. Vgl. Soph. 2, 5. 1 Sam. 30, 14. Ezech. 25, 16, auch die Krethi und Phlethi. 4*
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Viertes
Kapitel.
von Israel, die man auf diese Weise zu erklären sucht, bestand schon früher und hatte tiefer liegende Ursachen. Sie drängten vielmehr nach Norden in die Ebene Saron und erst von da nach Osten. Das war die natürliche Fortsetzung ihres Landes und da ging die grosse Strasse. Nachdem sie die Daniten, die ihnen mannhaften Widerstand entgegensetzten aber gegen ihre Überzahl nichts ausrichten konnten, aus dieser Gegend vertrieben hatten, trafen sie auf den Stamm Joseph, die Vormacht von Israel. Es kam zu einer Schlacht bei Aphek, einem strategisch wichtigen Orte der Ebene Saron am Eingang des Passes von Dothan, durch welchen der Weg zur Ebene Jezreel f ü h r t ' ) . Eine erste Schlappe, welche die Israeliten erlitten, schrieben sie dem Umstände zu, dass Jahvc nicht in ihrem Lager sei. Also ward die heilige Lade von Silo herbeigeholt, die beiden Söhne des Priesters Eli, Hophni und Phinehas, begleiteten sie. Dann ward der Kampf erneuert, aber nicht mit besserem Erfolge. Die Israeliten wurden auf das Haupt geschlagen, die Lade geriet in die Hände der Philister, ihre beiden Träger fielen. Als der alte Eli nach bangem Warten den Ausgang der Schlacht erfuhr, dass Jahve eine Beute der Feinde geworden sei, fiel er rücklings von seinem Stuhl und brach den Hals. Die Folgen dieser Niederlage waren verhängnissvoll, die Macht Josephs wurde gebrochen. Die Philister wussten ihren Sieg auszunutzen, sie unterwarfen sich nicht bloss die Ebene Jezreel und die südlich daranstossende Hügelregion, sondern auch die eigentliche Burg des Landes, das Gebirge Ephraim. Das alte Heiligtum zu Silo zerstörten sie, die dortige Priesterfamilie flüchtete südwärts und liess sich in Nob, im Stamme Benjamin, nieder'). Bis über Benjamin dehnten sie ihre Oberherrschaft aus, in Gibea befand sich ein Vogt der Philister. Aber die Behauptung, sie hätten alle Waffen confiscirt und alle Schmiede ausgeführt, ist eine starke Übertreibung — liessen sie es doch sogar geschehen, dass die Boten einer belagerten ostjordanischen Stadt ihre westjordanischen Landsleute zam Entsätze aufbieten konnten. Die Scham über solche Schmach äusserte sich bei den Israeliten zunächst in einer religiösen Erregung, welche sich der Gemüter ') Uber die Lage von Aphek s. Composition p. 154 n. 2. lagerten in Aphek, die Hebräer in Ebenhaezer. 2 ) Composition p. 242 s. ; Prolegomena p. 250 s.
Die Philister
Die 0 r ä n d u n g des Reiches und die drei ersten Könige.
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bemächtigte. Banden von ekstatischen Schwärmern tauchten hie und da auf, veranstalteten unter Musik Aufzüge, die oft zu wilden Tänzen wurden, und zogen auch ganz nüchterne Menschen mit ansteckender Gewalt in ihre tollen Kreise. An sich war die Erscheinung im Oriente nichts Ungewöhnliches, bei den Kanaanitern hatte es diese Nebiim — so hiessen sie — längst gegeben, und sie erhielten sich dort in alter Weise, nachdem sie in Israel ihr ursprüngliches Wesen schon gänzlich verändert hatten. Das Neue war, dass dieser Geist jetzt auf Israel übersprang und die Besten mit sich fortriss. Auf diese wortlose Weise machte die dumpfe Aufregung sich Luft. Nicht die Abschaffung des Baaldienstes war das Ziel des erwachenden Eifers, sondern der Kampf gegen die Feinde Jahves. Die Religion war damals Patriotismus. Den Sinn des Geistes verstand ein Greis, der zu Rama im südwestlichen Ephraim wohnte, Samuel ben Elkana, der patriotische Prophet in Sonderheit. Er gehörte nicht selber zu den Nebiim, sondern war ein Seher vom alten Schlage, wie es sie seit jeher bei den Hebräern ähnlich wie bei den Griechen oder den Arabern gegeben hatte 1 ). Durch seine Sehergabe zu grossem Ansehen gelangt, beschäftigte er sich auch noch mit anderen Fragen als solchen, deren Beantwortung ihm die Leute mit Gelde lohnten. Die Not seines Volkes ging ihm zu Herzen, die Nachbarvölker lehrten ihn das Heil in der Zusammenfassung der Stämme und Geschlechter zu einem Reiche erkennen. Aber sein eigentliches Verdienst war nicht die Entdeckung dessen was Not war, sondern des Mannes, der der Not abhelfen konnte. Er hatte einen Benjaminiten kennen gelernt aus der Stadt Gibea, Saul ben Kis, einen Mann von riesiger Gestalt und von raschem, enthusiastischem Wesen. Dem sagte er, er sei zum König über Israel bestimmt. 2. Gar bald hatte Saul Gelegenheit zu zeigen, ob Samuel recht gesehen hatte. Die Stadt Jabes in Gilead wurde von den Ammonitern belagert, und ihre Bürger erklärten sich zur Übergabe bereit, falls sie binnen einer kurzen Frist keine Hilfe bei ihren ') Der Verfasser von 1 Sam. 9. 10 unterscheidet den singularischen Seher Samuel sehr deutlich von den pluralischen Nebiim , die er ebenfalls kennt und erwähnt. Die Glosse 1 Sam. 9, 9 ist nur halb richtig, und 1 Sam. 19, 10—24 kann gegen 10, 11 nicht aufkommen.
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Volksgenossen finden würden. Ihre Boten gingen durch ganz Israel, ohne mehr als Mitleid zu finden; bis Saul von der Sache hörte, als er eben mit einem Joch Rinder vom Felde kam. Er zerstiickte seine Riuder, Hess die Stücke überall hinsenden und dazu sagen: also solle den Rindern eines jeden geschehen, der nicht mit ausziehe zum Entsätze von Jabes. Das Volk gehorchte, eines Morgens überfielen sie die Ammoniter und befreiten die belagerte Stadt 1 )Darauf aber Hessen sie den Saul nicht wieder los, nachdem sie in ihm ihren Mann gefunden hatten. In Gilgal, der alten Lagerstätte Josuas, salbten sie ihn zum Könige. Samuel war nicht dabei, aber das Wort, das er dem Saul ins Ohr gesagt hatte, hatte gewirkt; die Stimme Jahves hatte sich bewahrheitet und wurde durch die Stimme des Volkes bestätigt. Aus freier Notwendigkeit war das Königtum erwachsen. Seine Ausstattung bestand in der Pflicht, den Kampf gegen die Philister aufzunehmen und zu führen. Saul machte sich an die Aufgabe, indem er nach Hause ging und in seiner Stadt Gibea die Seinen um sich schaarte. Das Zeichen zum Losbruch gab sein Sohn Jonathan, indem er den Vogt der Philister zu Gibea erschlug. In Folge dessen rückten diese nun gegen den Heerd des Aufstandes vor und machten gegenüber von Gibea, im Norden, Halt, nur durch die Schlucht von Michmas von dem Orte getrennt. Saul hatte nur eiuige hundert Benjaminiten zur Verfügung. Eine verwegene Heldentat eröffnete den Kampf. Während die Philister sich raubend über das Land verbreiteten, überfiel Jonathan, allein mit seinem Waffenträger und ohne Wissen seines Vaters, den schwachen Posten, den sie am Pass von Michmas zurückgelassen hatten. Nachdem er die ersten überrascht und niedergemacht hatte, flohen die anderen, wol in dem Glauben, es kämen noch mehrere Angreifer hinter den zweien her. Sie trugen den Schrecken in das verlasseno Lager, von da verbreitete er sich über die Streifschaaren. Gegenüber in Gibea bemerkte man die Unruhe, und ohne den Bescheid des priesterlichen Orakels abzuwarten, beschloss König Saul den Angriff auf das feindliche Lager. ') 1 Sam. 11 ist der Kern der ursprünglichen Version; vgl.'Prolegomena 4 p. '255 ss. Ganz so poetisch kann sich die Sache in Wirklichkeit allerdings nicht zugetragen haben. Saul war vielleicht der Führer von Benjamin, als er Jabes entsetzte, und zog durch diese Tat dann die Aufmerksamkeit von ganz Israel auf sich.
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Er gelang vollkommen, die Philister hielten nicht Stand. Damit nun die Semen sich nicht an die Vorräte im Lager machten und derweil die Feinde laufen Hessen, setzte Saul einen Fluch darauf, wenn jemand vor Abend einen Bissen in den Mund stecke. Er erreichte aber seine Absicht nicht, der Hunger entkräftete die Leute und machte ihnen die Verfolgung unmöglich. Nach Sonnenuntergang fielen sie gierig über das erbeutete Vieh her und verschlangen das Fleisch, ohne auch nur das Blut dem Jahve ausgegossen zu haben. Solchem Frevel zu steuern, errichtete Saul einen grossen Stein als Altar und befahl, sie sollten alle dort schlachten und essen. Als sie sich nun erholt hatten, gedachte er mitten iu der Nacht die Verfolgung wieder aufzunehmen. Aber der Priester von Nob, den er bei sich hatte, wollte erst das Ephod befragt wissen. Jahve gab keine Antwort — ein Zeichen, dass eine Schuld begangen war. Das heilige Los brachte den Schuldigen heraus; Jonathan hatte sich unbewusst gegen den Fluch seines Vaters vergangen und noch vor der erlaubten Frist etwas Honig gegessen. Er war dem Tode verfallen, aber das Volk löste ihn durch einen stellvertretenden Ersatz 1 ). In dieser seltsamen, für die antike Art höchst bezeichnenden Weise endete der glänzend begonnene Tag. Saul war kein schüchterner Jüngling, als er auf den Thron kam; schon damals stand ihm ein erwachsener Sohn zur Seite. Er war auch nicht von geringem Herkommen, sein Geschlecht war ausgebreitet und sein Erbgut beträchtlich'). Seine Wirtschaft in Gibea blieb die Grundlage seiner Herrschaft; unter einer hochgelegenen Tamariske daselbst, auf seine Lanze gestützt, erteilte er Audienz und hielt Rat mit den Seinen. Die Männer, auf die er zählen konnte, waren seine benjaminitischen Verwandten. Andere öffentliche Aufgaben als den Krieg kannte er nicht, die inneren Verhältnisse liess er wie er sie gefunden hatte, er regierte auch wol nicht lange genug, um wirksam in sie eingreifen zu können. Der Krieg war die Aufgabe und zugleich die Hilfsquelle des jungen Königtums. Gegen die Philister wurde er beständig fortgesetzt, wenn auch für gewöhnlich nicht im grossen Stil, sondern nur als Grenzfehde. Aber noch andere Feinde mussten bekämpft werden; ') Maidani Arab. Prov. 14, 10.
•) 2 Sam. 9, 9 ss.
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so die Amalekiter auf der Sinaihalbinsel, die wie einst die Midianiter die Schwäche Israels zu räuberischen Einfallen benutzten. Saul brachte ihnen eine schwere Niederlage bei und fing ihren König Agag lebendig, der dann bei dem Siegesfest in Gilgal dem Jahve als Opfer geschlachtet wurde. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass die kriegerische Erhebung der Nation von Benjamin ausging. Durch die Schlacht von Aphek hatte Ephraim die Hegemonie zugleich mit ihren Symbolen verloren. Der Schwerpunkt Israels verlegte sich für eine Weile weiter nach dem Süden zu, und Benjamin wurde das Mittelglied zwischen Ephraim und Juda. Es scheint, dass dort die Herrschaft der Philister nicht so drückend war. Ihre Angriffe erfolgten nie über Juda, sondern immer von Norden aus; degegen flüchtete man vor ihnen nach Süden, wie das Beispiel der silonitischen Priester zeigt. Durch Saul trat Juda positiv in die Geschichte Israels ein, es gehörte zu seinem Reich und gerade dort hatte er tatkräftige und treue Anhänger. Seinen Zug gegen Amalek hat er zu Gunsten Judas unternommen, denn nur Juda konnte von diesen Räubern zu leiden haben. Unter den Judäern, welche der Krieg nach Gibea f ü h r t e , tat sich David ben Isai aus Bethlehem hervor; durch sein Saitenspiel kam er in nähere Verbindung mit dem Könige. Er wurde sein Waffenträger, weiterhin der vertrauteste Freund seines Sohnes, endlich der Gemahl seiner Tochter. Wie aber dieser Mann den Hof bezauberte, so wurde er auch der erklärte Liebling des Volkes, zumal ihn beispielloses Glück in Allem was er unternahm begleitete. Das erregte die Eifersucht Sauls, wie es sich kaum anders erwarten lässt, in einer Zeit, wo der König notwendig auch der beste Mann sein musste. Ein erster Ausbruch Hess sich als Anfall einer Krankheit erklären, aber bald blieb kein Zweifel, dass sich die Liebe des Königs zu seinem Eidam in tiefen Hass verwandelt hatte. Jonathan warnte den Freund und ermöglichte ihm die Flucht, die Priester von Nob versorgten ihn mit Waffen und Zehruug. Er ging in die Wüste von Juda und wurde der Führer von allerhand landflüchtigen Leuten, die sein Name verlockte, ein freies Leben unter ihm zu führen. Es waren darunter seine Verwandten aus Bethlehem, aber auch Philister und Hethiter. Aus dieser Schaar, unter der sich besonders die Söhne der Seruja 1 ) und ') Seruja war die Tochter des Nahas (von Bethlehem?), nicht des Isai,
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von ihnen wieder der gewaltige Joab ben Seruja auszeichneten, wurde später die Leibwache Davids. Auch ein Priester war dabei, Abiathar ben Ahimelech ben Ahitub ben Phinehas ben Eli, der einzige aus dem Blutbade entronnene, welches Saul unter den Söhnen Elis zu Nob angerichtet hatte, weil sie nach seiner Meinung mit David unter einer Decke spielten. Er brachte das Gottesbild von Nob mit, dadurch hatte David die Möglichkeit, das heilige Orakel zu befragen. Auf die Dauer indessen konnte er sich in J u d a vor Sauls Verfolgung nicht halten, zumal seine Landsleute im Allgemeinen nicht auf seiner Seite standen. Er tat einen verzweifelten Schritt und stellte sich dem Philisterkönig Achis von Gath zur Verfügung. Der empfing ihn mit offenen Armen und wies ihm die Stadt Siklag zum Wohnsitz an. Hier trieb er mit seiner Schaar das alte Wesen weiter, machte Raubzüge gegen Amalek und andere Nomadenstämme der Sinaihalbinsel, und erhielt gelegentlich auch Gegenbesuch von ihnen. Inzwischen sammelten die Philister wieder einmal ihre Heere und zogen auf der gewöhnlichen Strasse gegen Israel. Saul Hess sie nicht bis Gibea kommen, sondern erwartete sie in der Ebene Jezreel. Hier kam es zur Schlacht am Berge Gilboa, die für ihn den unglücklichsten Ausgang nahm. Als er seine drei älteren Söhne um sich her hatte fallen sehen, stürzte er sich in sein Schwert. Die Philister schnitten ihm den Kopf ab und hängten den Rumpf auf an der Mauer von Bethsean; aber die Bürger von Jabes nahmen denselben nachts ab, verbrannten ihn und begruben die Gebeine unter der Tamariske von Jabes. So erstatteten sie den Dank für ihre einstige Rettung, die seine erste Tat gewesen war. Eine Klage über den Fall Sauls und J o n a t h a n s ' ) ist uns erhalten und damit eine gleichzeitige und authentische Kunde von den beiden. „Deine Edelsten, Israel, liegen erschlagen auf deinen und also nicht die Schwester Davids. wicht legen als auf 1 Chr. 2, 16.
Man muss auf 2 Sam. 17, 25 mehr Ge-
') Sie wird dem David zugeschrieben. Man hat dessen Autorschaft bezweifelt, das Lied stamme von keinem Heuchler. Indessen der Beweis fehlt, dass David solche Empfindungen, wie sie hier ausgedrückt sind, erheuchelt haben müsste. Das Lied ist von einem nahen Freunde Jonathans und von einem Poeten verfasst; beide Eigenschaften vereinigten sich in David. Ob noch in einem Anderen, ist mindestens recht fraglich. Bemerkenswert ist der rein profane und der persönliche Charakter des Liedes.
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Höhen, wie sind die Helden gefallen! Sagt es nicht an zu Gath, verkündet es nicht in den Strassen Askalons, sonst freuen sich die Töchter der Philister, sonst frohlocken die Töchter der Unbeschnittenen. Ihr Berge von Gilboa, kein Tau noch Regen falle auf euch, ihr Todesberge, wo der Schild der Helden im Staube liegt, der Schild Sauls ungesalbt mit Öle. Vom Blut der Gefallenen, vom Fett der Helden Hess Jonathans Bogen nicht ab, und Sauls Schwert kam nicht leer zurück. Saul und Jonathan, geliebt und hold in ihrem Leben, sind auch im Tode nicht geschieden; wie die Adler flogen, wie die Löwen kämpften sie. Ihr Töchter Israels, über Saul weint, der euch mit Purpur und feinem Linnen kleidete, der goldenen Zierat auf euren Anzug brachte. Wie sind die Helden im Streit gefallen, Jonathan erschlagen auf deiuen Höhen! Es ist mir weh um dich, mein Bruder J o n a t h a n ; ich habe Freude und Wonne an dir gehabt, deine Liebe war mir mehr als Frauenliebe. Wie sind die Helden gefallen und untergegangen die Waffen des Streits!" 3. Die Niederlage Sauls schien das Werk seines Lebens zu vernichten. Zunächst wenigstens gewannen die Philister die verlorene Herrschaft über das westjordanische Land wieder. Aber jenseit des Jordans machte A b n e r , Sauls Vetter und Feldhauptmann, dessen noch unmündigen Sohn Isbaal zum Könige in Mahanaim, und es gelang ihm von hier aus die Herrschaft des Hauses Saul über Jezreel Ephraim und Benjamin wieder auszudehnen, natürlich in fortgehendem Kampfe mit den Philistern. Nur Juda gewann er nicht. David benutzte die Gelegenheit, sich hier, mit Bewilligung der Philister und wol als ihr Vasall, eine Sonderherrschaft zu begründen, deren Schwerpunkt im Süden lag, wo nicht die eigentlichen Judäer, sondern die Bne Kaleb und Jerachmeel wohnten. Er hatte durch Heiraten mit ihren Edlen Beziehungen angeknüpft, durch Gefälligkeiten und Geschenke sie zu gewinnen gesucht. Jetzt zog er mit seinen sechshundert Mann nach Hebron, um sich den Ältesten anzutragen; sie waren klug genug ihm zu Willen zu sein, und salbten ihn zum Könige über Juda. Vergebens versuchte Abner ihm dies Gebiet streitig zu machen. In der langwierigen Fehde zwischen dem Hause Sauls und David neigte sich das Glück je länger je mehr auf die Seite des letzteren. Persönliche Anlässe brachten schlieslich die Entscheidung. Da nemlich Abner ein Kebsweib Sauls, mit Namen
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Rispha, zu sich genommen hatte, so argwöhnte sein Neffe, er wolle in sein Erbe eingreifen, und stellte ihn über den Punkt zur Rede. Das war dem Abner zu viel, von stund an gab er die Sache seines Mündels auf, die ihm so wie so unhaltbar scheinen mochte, und trat in Unterhandlungen mit David zu Hebron. Als er aber heimkehren wollte, fiel er von der Hand Joabs im Tore von Hebron, ein Opfer der Blutrache und der Eifersucht. Doch was er gewollt hatte, kam auch ohne ihn zu Stande. Nach seinem Tode war Israel führerlos und in grosser Verwirrung. Isbaal hatte nichts zu bedeuten, nur aus dankbarer Treue gegen seinen Vater hielt man an ihm fest. Da fiel auch er von Mörderhand, zwei benjaminitische Hauptleute schlichen sich in sein Haus zu Mahanaim ein, als er Mittags der Ruhe pflegte und auch die Türhüterin beim Weizenverlesen eingeschlafen war, und brachten ihn um, in der vergeblichen Hoffnung auf Davids Dank. Nun zögerten die Ältesten Israels nicht länger, zu David nach Hebron zu gehn und ihn zu salben, nachdem er ihnen vor Jahve ihre Bedingungen beschworen hatte. Sofort verlegte er seine Residenz von Hebron nach Jerusalem, einer bis dahin noch kanaanitischen Stadt, die er erst eroberte, die alle ihre Traditionen von ihm empfing. Sie lag auf der Grenze zwischen Israel und Juda, noch im Gebiete von Benjamin, aber nicht weit von Bethlehem; nahe auch bei Nob, der alten Priesterstadt. David machte sie, wie zur politischen, so auch zur heiligen Metropole, indem er die Lade Jahves dorthin überführte. Diese hatte an Ansehen nichts eingebüsst dadurch, dass sie in Feindes Gewalt geraten war. Die Philister wurden ihres Besitzes nicht froh, da sie überall wohin sie kam Verderben brachte, sie setzten sie nach kurzer Zeit auf einen Wagen und Hessen die Kühe damit ziehen wohin sie wollten. So kam sie nach Bethsemes und, da sie auch dort Unheil anrichtete, endlich nach Baal Juda, wo sie in einem frei auf einem Hügel gelegenen Hause aufgestellt und von einem Sohn des Hauses als Priester bedient wurde. Jetzt holte sie David in fröhlichem Zuge nach Jerusalem; da aber unterwegs ein Unglück geschah, brachte er sie dort vorläufig bei einem seiner Hauptleute unter, und erst, als sie in dessen Hause sich segensreich erwies, wagte er es sie in das Zelt zu bringen, welches er auf seiner Burg, östlich gegenüber dem alten Jebus, für sie hatte errichten lassen. Sie verdrängte mit der Zeit das Orakelbild, welches Abiathar von Nob mitgebracht hatte.
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Noch jetzt war das Königtum nicht bloss ein Vorrecht, sondern eine schwere Aufgabe; und das hat ohne Zweifel am meisten zur Erhebung Davids beigetragen, dass er als der rechte Mann für die Lösung der Aufgabe überall bekannt war. Die Aufgabe war noch immer der Krieg gegen die Philister; das war das Feuer, worin das israelitische Reich geschmiedet wurde. Die Kämpfe begannen mit der Verlegung der Residenz nach Jerusalem; leider erfahren wir wenig über ihren Verlauf, fast nur Anekdoten über die Grosstaten einzelner Helden. Das Endergebniss war, dass David vollendete, was Saul angefangen hatte, und das Joch der Philister für alle Zeit zerbrach. Es war jedenfalls die wichtigste Tat seiner Herrschaft. Von cier Verteidigung gegen die Philister aber ging David weiter zu Angriffskriegen über, in denen er die drei Brüder Israels, Moab Amman und Edom, seiner Herrschaft unterwarf. Zuerst scheint er mit den Moabitern in Kampf geraten zu sein; er besiegte und unterjochte sie vollständig. Nicht lange darauf starb Nahas, der König von A m m o n ; seinem Nachfolger Hanun Hess David durch eine Gesandtschaft sein Beileid bezeugen. Hanun argwöhnte darin eine Form der Kundschaftung — ein Argwohn, der sich leicht erklärt, wenn David damals Moab schon unterworfen hatte. Mit halb abgeschorenen Bärten und halb abgeschnittenen Kleidern schickte er die Gesandten ihrem Herrn zurück, und rüstete sich zugleich auf den Krieg, indem er sich mit verschiedenen aramäischen Königen, namentlich mit dem mächtigen König von Soba, verbündete. David eröffnete den Feldzug und sandte unter Joabs Führung das israelitische Heer gegen die Stadt Rabbath Ammon. Die Aramäer rückten zu ihrem Entsätze heran; aber Joab teilte seine Mannschaft, und während er durch seinen Bruder Abisai die Belagerten in Schach hielt, zog er selber gegen die Aramäer und trieb sie ab. Als sie dann stärker wie zuvor wieder zu kommen drohten, zog ihnen David in Person mit grosser Macht entgegen und schlug sie bei Helam jenseit des Jordans. Es scheint, dass infolge davon das Reich von Soba zerstört und Damaskus zinsbar gemacht w u r d e ' ) . Nun konnte auch Rabbath Ammon nicht
') Wo Soba lag, ist u n b e k a n n t ; sieber nicht in Mesopotamien, sondern in Syrien und zwar wahrscheinlich nördlich von Damaskus etwa in der Breite von Hamath, an das es gegrenzt zu haben scheint (2 Sam. 8, 10). Nach
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länger widersteht), und die Ammoniter teiltet) das Schicksal ihrer moabitischen BrSder. Gleichzeitig wnrde endlich Edom bezwungen und söiner Männer beraubt. So traf ein, was Bileam geschaut hatte; das jüngste der vier hebräischen Völker trat die drei älteren unter seine Füsse. Hinfort hatte David vor äusseren Feinden Ruhe, zu Hause aber erwuchsen ihm aus seiner eigenen, bunten Familie Gefahren, die nicht dazu dienten seinen Ruhm zu vermehren. Sein ältester Sohn Amnon ben Ahinoam lockte heimtückisch, indem er sich krank stellte, seine Halbschwester Thamar bath Maacha an sein Bette, stillte seine Lust an ihr und trieb sie dann mit Schimpf und Schande aus dem Hause, anstatt sie zu heiraten wie er gekonnt und gesollt hätte. David sah böse dazu und tat weiter nichts. Statt seiner nahm Absalom ben Maacha, der rechte Bruder der Thamar, in dessen Haus sie sich zurückgezogen hatte, Rache für seine Schwester und liess bei günstiger Gelegenheit den Amnon durch seine Knechte erschlagen. Darüber geriet der Vater in hellen Zorn, und Absalom musste ausser Landes gehn. Nach drei Jahren liess sich der König zwar durch eine von Joab angestiftete weise Frau bewegen, dem Sohne die Rückkehr zu gestatten, jedoch verbannte er ihn in sein Haus und verbot ihm den Hof. Mit Miihe brachte es Absalom endlich dahin, wiederum durch Joabs Vermittlung, dass er zu vollen Gnaden angenommen und als Erbe des Reiches rehabilitirt wurde. Aber er war nun seinem Vater, durch dessen verkehrte Milde und verkehrte Strenge, gänzlich entfremdet Er bereitete einen Aufstand gegen ihn vor, zu dem er eine Misstimmung benutzte, welche sich der Judäer bemächtigt hatte; wahrscheinlich glaubten diese von David nicht genug bevorzugt zu werden'). In Hebron war der Heerd des Aufstandes, der Judäer Ahitophel war seine Seele, der Judäer Amasa, ein Vetter Joabs, war sein Arm. Doch wurde auch das übrige Israel hineingezogen, die Erinnerung an Saul war noch lebendig und besonders die Benjaminiten hassten den Mann, der an Stelle ihres Königs getreten war und dessen Erben allmählich und 2 Sam. 8 ist David zweimal gegen die Aramäer zu Felde gezogen. Die beiden Posten 8, 4. 5 stimmen ungefähr überein mit der Gesamtzahl 10, 18. ') Ober die eigentlichen Gründe des Abfalls werden wir nicht unterrichtet. Der Verfasser von 2 Sam. 9 ss. schreibt die Geschichte des jerusalemischen Hofes, darauf ist sein Interesse beschränkt.
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unauffällig aus dem Wege geräumt hatte. David wurde von dem Abfall völlig überrascht; er dachte nicht daran sich in Jerusalem zu behaupten. Seine Herrschaft hatte noch keine tiefen Wurzeln geschlagen; er stützte sie nicht, wie Saul, auf seinen Stamm, sondern auf „seine Knechte", eine aus seinem persönlichen Gefolge erwachsene Truppe. Mit dem Kern derselben flüchtete er sich unter Zurücklassung seiner Weiber über den Jordan nach Gilead, wo er freundliche Aufnahme fand. Diese exponirte Ostmark, die den Wert der Zugehörigkeit zu einem mächtigen Reich zu schätzen wusste, erwies sich wieder einmal als feste Burg des Königtums. In Mahanaim, von wo auch Abner einst das Reich wiederhergestellt hatte, sammelte David seine Getreuen; Absalom Hess ihm dazu Zeit, gegen Ahitophels Rat, und rückte ihm erst nach, als er eine erdrückende Ubermacht hinter sich zu haben glaubte. In der Nähe von Mahanaim, in der Wildnis von Ephron, kam es zur Schlacht. Das Volksheer hielt den gut geordneten, kriegsgewohnten Knechten Davids nicht Stand; Absalom floh und wurde auf der Flucht von Joab erstochen. Sein Tod betrübte den alten König weit mehr, als ihn der Erfolg freute; mit Mühe ward er endlich bewogen sich seinen siegreichen Truppen zu zeigen. Der Aufstand war niedergeschlagen. Zuerst begannen die Israeliten sicli ihres Verhaltens zu David zu schämen; sie beschlossen ihn heimzuholen. Als er davon erfuhr, mahnte er die Ältesten Judas, doch nicht Anderen den Vortritt zu lassen; zugleich bot er dem Judäer Amasa, dem Feldobersten Absaloms, die Stelle Joabs an, den er als den Mörder seines Sohnes hasste. Das wirkte; die Judäer waren zuerst zur Stelle, um den König bei der Jordanfurt von Gilgal zu empfangen. Mit ihnen kamen auch tausend Benjaminiten, die besondere Ursach hatten um gut Wetter zu bitten. Die Israeliten waren die letzten; sie äusserten laut ihren Unwillen, dass man ihnen hinterlistig zuvorgekommen sei und ihnen den König gestohlen habe. Die Judäer verteidigten sich so gut sie konnten: sie seien doch nun einmal Davids nächste Verwandten, hätten übrigens bisher von ihm keinen Profit gehabt und seien von ihm nicht vorgezogen worden. Die Anderen gaben sich aber nicht zufrieden: Israel sei der Erstgeborene und habe zehn mal mehr Recht auf den König als J u d a ! In diesem Augenblick stiess ein Benjaminit, Seba ben Bikri, in die Posaune und Hess den Ruf erschallen: wir haben nichts gemein mit David und
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nichts zu teilen mit dem Sohne Isais, geh deiner Wege, Israel! Die Israeliten folgten dem Rufe, nur die Judäer blieben bei David und geleiteten ihn von Gilgal hinauf nach Jerusalem. Dort angelangt gab der König dem Amasa Auftrag, binnen drei Tagen den Heerbann Judas aufzubieten und damit dem Seba nachzusetzen. Da aber jener die Frist nicht einhielt, musste er doch auf „seine Knechte" zurückgreifen. Joab trat wieder an ihre Spitze, benutzte zunächst eine sich darbietende Gelegenheit seinen Vetter Amasa aus dem Wege zu räumen, jagte dann den benjaminitischen Rebellen durch ganz Israel und schloss ihn endlich in der Stadt Abel, oben im Norden, ein. Eine weise Frau bewirkte, dass er in Frieden abzog, nachdem ihm der Kopf Sebas über die Mauer zugeworfen war. Damit war die Sache vorläufig zu Ende. Sie wirkte aber nach für die Zukunft. Man sieht, wie David den schwachen Boden, auf dem seine Herrschaft stand, selber noch dadurch unterhöhlte, dass er im ungeeignetsten Augenblick die Israeliten vor den Kopf stiess. Allerdings war es vielleicht für ihn die klügste Politik, die Jadäer zu gewinnen, über deren Unsicherheit er durch Absaloms Aufstand belehrt war. Bald darauf scheint David gestorben zu sein. Seine geschichtliche Bedeutung kann man nicht leicht zu hoch anschlagen. Juda und Jerusalem waren lediglich seine Schöpfungen, und wenn auch das gesamt-israelitische Reich, das er zusammen mit Saul gegründet hatte, bald zerfiel, so blieb doch die Erinnerung daran allezeit der Stolz des ganzen Volkes. Sein persönlicher Charakter ist vielfach sehr abschätzig beurteilt worden. Daran ist vor allem seine Kanonisirung durch die spätjüdische Tradition schuld, die einen levitischen Heiligen und frommen Hymnendichter aus ihm gemacht hat. Dazu stimmt es dann nicht, dass er besiegte Feinde mit Grausamkeit behandelte und sich nicht scheute unter allerhand Vorwänden die männlichen Glieder der Familie seines Vorgängers ungefährlich zu machen 1 ). Nimmt man ihn indessen wie er ist, als einen antiken König in barbarischer Zeit, so wird man milder urteilen. Ein waghalsiger Mut mischte sich in ihm mit einer weichen Empfänglichkeit; auch als er die Krone trug, blieb ihm der Zauber einer überlegenen und dabei doch kindlichen Persönlichkeit. Ein wahres Pantheon von Helden sammelte sich um ') 2 Sara. 9, 1. IG, 7. 19, 28. 21, 7. 8.
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ihn; nirgends im Alten Testament figuriren so viele namhafte Personen als in der Geschichte Davids. Von der Einfachheit Sauls war er allerdings abgekommen, er blieb nicht iD Bethlehem auf seiner Hufe und stützte sich nicht auf seine Geschlechtsvettern, sondern hielt in Jerusalem glänzenden Hof, umgeben von einer Leibwache fremder Söldner. Er zog nur selten noch selber in den Krieg, seine Getreuen Hessen das nicht zu; dagegen kamen von allen Stämmen Israels die Leute zu ihm nach Jerusalem um Recht zu suchen. Sein raffinirt scheussliches Benehmen in dem Handel mit Uria wird, wenn auf die Erzählung Verlass ist, durch seine tiefe und offene Reue einigermaassen wieder gut gemacht; nicht viele Könige würden, auf die Vorhaltung ihrer Schuld, sich so benommen haben. Am wenigsten zur Ehre gereicht ihm die Schwäche, die er gegen seine Söhne zeigte. Sein letzter Wille, dessen Ausführung er auf dem Todbette seinem Nachfolger zur Pflicht gemacht haben soll, kann ihm nicht zur Last gelegt werden; da hat ihn ein Späterer, der ihn verherrlichen wollte, aufs schwerste verunglimpft. Ebenso ist es unberechtigt, ihm die Ermordung Abners und Amasas in die Schuhe zu schieben, oder ihn für den Untergang Sauls, zu dem er sich mit der Hierokratie verbündet habe, verantwortlich zu machen'). 4. In seinen alten Tagen war David krank und schwach an Leib und Seele. Sein Erbe war, nach Amnons und Absaloms Tode, sein Sohn Adonia ben Haggith. Er sah sich selber dafür an und benahm sich als solcher mit tatsächlicher Billigung Davids, er ward auch von ganz Israel dafür gehalten, insbesondere von den Hauptwürdenträgern des Reichs, dem Feldhauptmann Joab und dem vornehmsten Priester Abiathar, und von den Prinzen des königlichen Hauses. Aber es bildete sich unter der Führung des Propheten Nathan eine Gegenpartei, die den jugendlichen Sohn Davids aus seiner verbrecherischen Ehe mit der ßathseba auf den Thron bringen wollte. Zu dieser Partei gehörten der Priester Sadok und der Oberst der Leibwache Benaja, die mit Abiathar und Joab rivalisirten und an deren Stelle zu kommen hofften. Durch Nathan und Bathseba verfügten die Verschworenen über den altersschwachen David, und durch Benaja über die sechshundert Leibwächter, mit denen sich unter den damaligen Umständen in Jerusalem Alles ') Vgl. Prolegomena 4 p. 274 s. 181.
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durchsetzen Hess. So ward Salomo König, nicht zufolge seines Rechts, sondern durch eine Palastintrigue, noch bei Lebzeiten Davids, aber kurz vor dessen Tode. Er fand bald Gelegenheit nicht nur den Adonia, sondern auch den alten Joab, den verdientesten Mann im Reich, über die Seite zu schaffen; den Abiathar verbannte er nach Anathoth und setzte den Sadok an seine Stelle, den Ahnherrn des späteren Tempeladels von Jerusalem. Weniger schneidig erwies er sich den äusseren Feinden gegenüber, die alsbald nach Davids Tode ihr Haupt erhoben. Er liess es geschehen, dass an Stelle des zerstörten Aramäerreichs von Soba ein neues in Damaskus erstand, welches eine viel grössere Gefahr für Israel in sich barg. Er konnte nicht verhindern, dass Edom sich befreite; nur der Hafen von Ala blieb in seinem Besitz'). Uber Moab und Ammon erfahren wir nichts; es ist wahrscheinlich, dass auch sie damals abgefallen sind. Wenn aber die Kriegführung nicht Salomos Sache war, so kümmerte er sich dagegen mehr als seine beiden Vorgänger um die inneren Angelegenheiten; in seiner Tätigkeit als Richter und Regent bestand nach der Tradition seine Stärke. Mit der Gründung des Königtums geriet die Einverleibung der Kanaaniter in rascheren FIuss. Saul in seinem Eifer für Jahve und Israel brauchte Gewalt, um die Stadt Gibeon israelitisch zu machen. David, überhaupt sehr weitherzig gegen Ausländer, benahm sich klüger. Er nahm Jerusalem mit stürmender Hand, machte aber die Bürger nicht rechtlos, sondern beliess sie sogar im Besitz ihres Grundeigentums; die Stelle, auf welcher sich nachmals der Tempel Jahves erhob, erstand er für Geld von dem Jebusiten Arauna. Den Gibeoniten, an denen Saul sich vergriffen hatte, gab er sieben Söhne Sauls heraus, dass sie sie aufhängten vor Jahve zu Gibeon. Mit Hirom von Tyrus hielt er gute Freundschaft, der Hethiterfürst Thoi von Hamath sandte ihm durch seinen Sohn Joram (?) Geschenke und Glückwünsche zur Bezwingung des Königs Hadad von Aram-Soba, der auch Thois Feind gewesen war. Dies Motiv ist wichtig; wie einst die durch Jerubbaal gehobene midianitische Gefahr Israeliten und Kanaaniten einander ') Composition p. 275. Reson, wie die Septuaginta den Namen des damascenischen Königs wahrscheinlich mit Recht ausspricht, könnte der Gottesname sein, obwol das Sade punktirt ist. W e l l h a u a e n , l a r . Geschichte.
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nahe gebracht hatte, so vereinigte sie jetzt das gleiche Interesse gegen die zur Küste vordrängenden Aramäer, mit denen umgekehrt Moab Ammon und Edom gemeine Sache machten; das kriegerische Königtum Davids erschien als der Hort des ganzen westlichen Syriens und Palästinas gegen die östlichen Feinde. Salomo bekam die Stadt Gezer als Mitgift seiner ägyptischen F r a u , deren Vater sie erobert und zerstört hatte. Unter ihm scheinen die Kanaaniten in Israel vollends aufgesogen zu sein. Sie waren ein stammauflösendes und staatverkittendes Element, ihre Assimilirung war ein grosser Schritt zur Befestigung des Staates. Salomo konnte es zum ersten Male wagen, unbekümmert um Stämme und Geschlechter das Reich in zwölf Bezirke einzuteilen, deren jedem er einen königlichen Vogt vorsetzte 1 ); nur J u d a scheint er von dieser Einteilung ausgenommen zu haben — ein bezeichnendes Zugeständnis. Er legte auf diese Weise den Grund zu einer strengen und geordneten Verwaltung, wie sie nach ihm in Israel vielleicht nicht wieder erreicht worden ist. Er hatte dabei freilich nicht das Beste seiner Untertanen, sondern seinen eigenen Vorteil im Auge; er verfolgte damit gleiche Zwecke wie mit seinem Pferdehandel und seinen Ophirfahrten. Seine Leidenschaften waren Bauten, Prunk und Weiber, er wollte es darin den übrigen orientalischen Königen, zum Beispiel seinem ägyptischen Schwiegervater, gleichtun. Dazu gebrauchte er Mittel: Menschenkräfte, Naturallieferungen, Geld; er schämte sich nicht einen Landstrich in Galiläa für einhundertundzwanzig Talente Gold an Hirom von Tyrus zu verkaufen. Besonders der Ausbau Jerusalems zu einer festen und glänzenden Königsstadt lag ihm am Herzen. Der Tempel, den er baute, war nur ein Teil seiner gewaltigen Burg; dieselbe umfasste eine Menge privater und öffentlicher Gebäude, die verschiedenen Zwecken dienten. Durch die Reichsgründung kamen neue Zuflüsse in den Strom der bisherigen Entwicklung. Man fühlte sich auf eine höhere Stufe emporgehoben. Die vorhergehende königslose Periode erschien als eine Zeit der Verwirrung und der Bedrängnis, wo jeder tat was er wollte und die Feinde leichtes Spiel hatten, als ein ') Auch s p ä t e r , unter A h a b , finden wir das Reich Israel in Medinoth, Regierungsbezirke, eingeteilt, an deren Spitze ein Beamter s t e h t , der aber nicht mehr den alten Titel N a f i b führt, sondern Sar haliedina heisst.
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noch nicht zum Ziel gekommener Anfang. Jetzt war man zu Ordnung, Macht und Ruhe durchgedrungen; geachtet und geffirchtet von den Nachbaren konnte man endlich des eroberten Landes und seiner Güter sich erfreuen: kein Wunder, dass das Königtum als göttliches Geschenk betrachtet wurde. Dem politischen Fortschritt folgte der geistige. Handel und Wandel hoben sich, die Städte, von den Königen bevorzugt, traten in den Vordergrund und drängten das Land in den Schatten. Wie einst, nach der Ansiedlung, die Caltur der kanaanitischen Bauern eingedrungen war, so wurden jetzt der orientalischen Cultur im höheren und weiteren Sinne die Schleusen geöffnet. Der nähere Verkehr mit dem Auslande erweiterte den geistigen Horizont des Volkes. Israel trat in die Welt ein, Beziehungen nach allen Seiten wurden angeknüpft oder ergaben sich von selber. Die Erinnerung hat sich erhalten, dass diese Entwicklung besonders durch Salomo befördert sei. Sie wurde nicht allgemein freudig begrüsst, aber sie war notwendig. Wenn Salomo in seinem Hoftempel phönicische und ägyptische Einrichtungen auf den Jahvedienst übertrug, so mochten zu seiner Zeit die richtigen alten Israeliten daran Anstoss nehmen'); dennoch ist dieser Tempel hernachmals von grosser und segensreicher Bedeutung für die Religion geworden. Allerlei heidnische Vorstellungen und Mythen fanden Eingang, aber die Jahvereligion erwies sich mächtig genug, ihnen ihr Gepräge aufzudrücken und sie sich zu eigen zu machen; es wäre schade, wenn die ersten elf Kapitel der Genesis ungeschrieben geblieben wären. Überhaupt aber ist der Schwung, der mit dem Königtum in die Geschichte des Volkes kam, auch dem Gotte des Volkes und dem Leiter seiner Geschichte zu Gute gekommen'). ') Exod. 20, 24. 25. Dass auch allerlei schädliche Folgen mitunterliefen, braucht nicht geleugnet zu werden. Darin übrigens verdient der König schwerlich Tadel, dass er bei Jerusalem Altäre f ü r ammonitische und ägyptische Gottheiten erbaute. Denn diese Altäre blieben unangefochten stehn bis auf J o s i a s , während es doch mehr als einen frommen König zwischen Salomo und J o s i a s gegeben hat, der sie hätte zerstören können, wären sie ihm so wie dem Deuteronomium ein Greuel und Ärgernis gewesen.
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Fünftes Kapitel. V o n J e r o b e a m I. b i s zu J e r o b e a m II. 1. Nach Salomos Tode besannen sich die Altesten Israels auf ihr Recht, den König zu salben oder auch nicht zu salben, und versammelten sich zu diesem Behuf in Sichern. Salomos Sohn und Nachfolger, Rehabeam, bequemte sich ebenfalls dort zu erscheinen. Sie erklärten sich bereit ihm zu huldigen, wenn er das Joch seines Vaters leichter mache. Die Abgaben, die Frohnarbeiten, die Beamtenverwaltung, welche die hergebrachte Geschlechterverfassung zu verdrängen drohte, waren nicht nach ihrem Geschmacke. Der König nahm ihre Forderungen entgegen und erwog sie einige Tage, um sie schliesslich schnöde abzulehnen. Da kündigten sie ihm den Gehorsam, und als er dann noch unterhandeln wollte, steinigten sie seinen Abgesandten, den Frohnvogt Adoram, aufgebracht durch die Wahl grade dieses Mannes. Sie riefen nun den Ephraimiten Jerobeam ben Nebat zum Könige aus, der schon gegen Salomo einen Aufstandsversuch gemacht und sich darauf nach Ägypten geflüchtet hatte, jetzt aber in Sichern zur Stelle war. Juda und Jerusalem blieben dem Hause Davids treu. Nur die Israeliten hatten sich in Sichern versammelt, von ihnen allein gingen die Klagen über das schwere Joch des Königtums aus, sie empfanden es offenbar als Fremdherrschaft. Ihre Eifersucht gegen J u d a , die sich schon unter David, und nicht ohne Grund, geregt hatte, spielte bei dem Abfall sehr wesentlich mit ein. Der Stolz Josephs, des Erstgeborenen und des Gekrönten unter seinen Brüdern, bäumte sich gegen das judäische Königtum auf. Durch die Philister war die Macht Josephs gelähmt, durch das Königtum der natürliche Schwerpunkt Israels nach Süden verschoben. Jetzt stellte er sich wieder her, denn er lag in Joseph und nicht in Juda. Man kann es kaum einen Abfall nennen, wenn die Israeliten sich die judäische Herrschaft nicht länger gefallen lassen wollten. Und ganz unberechtigt ist es, den politischen Abfall zugleich als einen religiösen zu betrachten. Die Religion stand damals der Spaltung durchaus nicht im Wege; der Prophet Ahia von Silo war der erste, der in Jerobeams Gedanken den Samen seiner zukünftigen Bestimmung gesät und ihn aufgefordert hatte, sich gegen das Haus Davids zu erheben. Der Cultus von
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Jerusalem war noch nicht der einzig legitime, sondern derjenige zu Bethel und Dan mindestens ebenso sehr berechtigt. Gottesbilder gab es dort sowol wie hier und überall wo es ein Haus Gottes gab; niemand nahm damals Anstoss daran. An dem Rechte der angeblich schismatischen Priester des Nordreichs zweifelt der Prophet Hosea nicht im mindesten; sie gelten ihm sämtlich als richtige und berufene Diener Jahves, denn sonst könnte er ihnen nicht drohen, Jahve werde sie verwerfen, so dass sie ihr Recht verlören. Wenn Jerobeam und seine Nachfolger Tempel bauten, Bilder stifteten, Priester anstellten, so taten sie, was David und seine Nachfolger auch taten; diese Befugnis hatten die Könige. In dem religiösen und geistigen Leben der beiden Reiche bestand überhaupt kein inhaltlicher Unterschied. Nur pulsirte es in Israel starker. Da wirkten die grossen Propheten, bis auf Arnos und Hosea, da spielte die eigentliche Geschichte der Theokratie, von da gingen alle Impulse aus. Das war freilich nicht bloss ein Vorzug, sondern auch ein Nachteil. Dem raschen aufgeregten Treiben im Nordreich steht das geschützte Stillleben des Kleinstaats im Süden gegenüber. Dort warf der geschichtliche Strudel ausserordentliche Persönlichkeiten aus der Tiefe hervor, hier befestigten sich die bestehenden Institutionen. Der Unterschied zeigt sich in seiner Wurzel beim Königtum selber. Die Israeliten schafften es nicht etwa ab; es hatte seine Notwendigkeit doch zu sehr erwiesen. Aber im Gegensatze zu den Judäern wechselten sie fortwährend mit den Dynastien. Dadurch haben sie sich selber zu Grunde gerichtet. Rehabeam fügte sich dem Aufstande nicht gutwillig. Er suchte ihn mit Waffengewalt zu unterdrücken, anfänglich mit gutem Erfolge, wie es scheint. Wenigstens fand sich sein Gegner bewogen, sich nach Phanuel (bei Mahanaim) jenseit des Jordans zu verziehen, wie einst Abner nach der Schlacht am Gilboa und David bei der Erhebung Absaloms. Freilich könnte er dazu auch durch den Pharao Sisak veranlasst worden sein, der in dieser Zeit in Palästina einfiel und nicht bloss Jerusalem brandschatzte, sondern unterschiedslos jüdische sowol als israelitische Städte 1 ). Wenn aber Rehabeam ') Es ist jedoch durchaus kein Verlass auf die Liste der eroberten Städte in der Siegesinschrift des Sisak, er kann einfach eine ältere Liste eines seiner Vorgänger reproducirt haben. In 1 Reg. 14 ist nur von der Eroberung Jerusalems die Rede.
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wirklich anfaDgs Erfolge gehabt hat, so sind sie doch nicht von Dauer gewesen. Die Unterdrückung des Aufstandes gelang ihm nicht, die Israeliten behaupteten sich gegenüber der Kriegsmacht des judäischen Königtums. Bald wendete sich das Blatt zu ihren Gunsten. Als Jerobeams Sohn und Nachfolger Nadab die S t a d t Gibbethon der Philister belagerte, verschwur sich Baesa ben Ahia von Issachar gegen ihn, erschlug ihn und setzte sich an seine Stelle. Er wählte die Stadt Thirsa zu seiner Residenz. Dieser Baesa drehte den Spiess u m und ging seinerseits zum AngriiT gegen Juda über, um es wieder zum Reiche zu bringen. Er befestigte die nahe bei Jerusalem gelegene Grenzstadt Rama und versperrte den Judäern die Strasse nach Norden. Die Sperre muss unerträglich gewesen sein; Asa, der Sohn oder der Enkel Rehabeams, wusste sich endlich nicht anders zu helfen als dadurch dass er Beuhadad von Damaskus seinem Gegner auf den Hals zog. Er erreichte seinen Zweck, aber durch ein gefährliches Mittel. Baesas Sohn Ela wurde bei einem Gelage im Hause seines Hausmeisters zu Thirsa ermordet, durch Zimri, den Obersten über die Hälfte der Wagen. Dieser konnte sich jedoch seinerseits gegen den Feldhauptmann Omri nicht halten, der von Gibbethon, wo er mit dem Heere lag, gegen ihn heranrückte: er zog sich in den Palast zurück, setzte ihn in Brand und kam in den Flammen um. Dem Omri wiederum erstand in einem anderen Teile des Landes ein Gogenköuig, Thibni ben G i n a t h 1 ) ; erst nach dessen Tode wurde Omri allgemein anerkannt (vor 900 a. Ch.). Er ist der Gründer der ersten eigentlichen Dynastie in Israel und der Neubegründer des Reiches, dem er in der Stadt Samarien seinen bleibenden Mittelpunkt gab. Die Bibel erzählt fast nichts von i h m , seine Bedeutung erhellt aber daraus, dass der Name „Reich Omris" bei den Assyrern die gewöhnliche Bezeichnung Israels blieb. Nach der Inschrift Mesas war er es, der Moab, das beim Tode Davids oder Salomos abgefallen war, zinsbar machte und die Landschaft Medaba zu Israel schlug. Nicht so glücklich war er gegen die Damascener,
') Thibni ist der selbe Name wie der sidonische Thabnit ( T e n n e s ) ; Septuaginta spricht Thabenni. Sallum ben Jabesch.
die
Ginath könnte Ortsname sein, wie Jabesch in
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denen er in seiner Hauptstadt Samarien gewisse Vorrechte einräumen musste. Auf Omri folgte sein Sohn Ahab. Während der längsten Zeit seiner Regierung scheint dieser König eine Art Oberherrschaft der Aramäer von Damaskus anerkannt zu haben. Nur dadurch lässt es sich erklären, dass er ihnen in der Schlacht von Karkar (854) Heeresfolge leistete gegen die Assyrer. Aber eben in Folge dieser Schlacht, unter Benutzung der politischen Constellation, die ihm dadurch klar ward, löste er das Verhältnis zu ihnen. Nun begannen ihre wütenden Angriffe auf Israel. Ahab begegnete ihnen mit Mut und Glück; er schlug sie in einem siegreichen Ausfall zurück, als sie ihn in seiner Hauptstadt belagerten; und als sie im nächsten Jahre wiederkamen, besiegte er sie in offener Feldschlacht bei Aphek und nahm den König Benhadad gefangen. Zum Ärger manches eifrigen Israeliten behandelte er ihn indessen milde und gab ihn unter gewissen Bedingungen frei; namentlich sollten die den Israeliten entrissenen Städte in Gilead, darunter die wichtige Festung Rama, wieder herausgegeben werden. Aber das geschah nicht, und so entschloss sich Ahab im dritten Jahr seinerseits zum Angriff auf die Aramäer überzugehn und ihnen Ramath Gilead mit Gewalt zu entreissen. Vor seinem Auszuge befragte er die Propheten Jahves in Samarien, vierhundert Mann; sie antworteten einhellig, Jahve werde Rama in seine Hand geben. Sedekia ben Kenaani machte sich eiserne Horner und sagte: damit wirst du Aram stossen bis zur Vernichtung. Nur Micha ben Jimla, der immer Unheil verkündete, brachte auch diesmal einen Miston in die Harmonie der patriotischen Musik 1 ). „Ich sah Israel zerstreut auf den Bergen wie Schafe ohne Hirten, und Jahve sprach: sie haben keinen Herrn, sie kehren zurück, ein jeder ungefährdet nach Hause." Er empfing den verdienten Lohn, Sedekia gab ihm einen Backenstreich, der König Hess ihn einsperren, um ihn zu richten, wenn er glücklich wiederkomme. Aber er kam nicht wieder. In der Schlacht gegen die Aramäer, die sich bei Rama entspann, wurde er von einem Pfeil zu Tode getroffen; da das Gefecht vorwärts ging, so konnte er nicht aus der Front heraus, sondern musste in seinem Streitwagen und in seiner Rüstung bleiben, bis er Abends starb. Auf die Kunde davon zerstreute sich das Heer, ') Ein merkwürdiges Pendant dazu findet sich Hier. 28. 29.
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die Leiche des Königs wurde mitgenommen nach Samarien und dort ehrenvoll') bestattet ( ± 851). Noch unter A h a b , in der Mitte von dessen Regierung, hatte König Mesa von Moab sich unabhängig gemacht, die Landschaft Medaba zurückgewonnen, die Omri vierzig Jahre vorher seinem Vater abgenommen hatte, und altisraelitisches Gebiet dazu erobert. Ahab scheint keine Zeit gehabt zu haben ihn in seine Grenzen zurückzuweisen, auch sein Sohn Ahazia, der auf ihn folgte, musste ihn gewähren lassen. Aber nach dessen vorzeitigem Tode zog sein Bruder und Nachfolger Joram gegen ihn zu Felde, in Gemeinschaft mit den Königen von J u d a und Edom. Mau drang nach einer siegreichen Schlacht von Süden her in Moab ein, zerstörte die Ortschaften, warf Steine auf die Acker, verschüttete die Quellen und hieb die Bäume um. Mesa hatte sich mit dem geschlagenen Heer in seine F e s t u n g ' ) zurückgezogen, dort wurde er belagert. Nachdem er vergeblich versucht hatte den Ring zu durchbrechen, nahm er seinen erstgeborenen Sohn und opferte ihn auf den Mauern der Stadt: da kam ein grosser Zorn über Israel und sie zogen ab von ihm und gingen heim. Joram konnte diesen Zug gegen Moab nur dann unternehmen, wenn die Aramäer ihn zufrieden Hessen. Es scheint in der Tat, dass sie nicht in der Lage waren den Sieg über Ahab auszubeuten; ohne Zweifel wurden sie daran gehindert durch die assyrischen Angriffe in den Jahren 850. 849. Als diese eine Weile nachliessen, wandten sie sich sofort gegen Joram, trieben ihn hinter die Mauern seiner Hauptstadt zurück und belagerten ihn dort. Schon war in Samarien die Not aufs äusserste gestiegen, da zogen eines Tages die Feinde unversehens ab, weil sie von einem Angriffe der „Ägypter und Hethiter" auf ihr Land gehört hatten. Möglich, wenngleich nicht gerade notwendig, dass diese Ägypter und Hethiter vielmehr wiederum die Assyrer waren, die im Jahre 846 aufs neue in Aram einfielen. Dem gemeinen Mann in Israel waren die Assyrer noch u n b e k a n n t , und so konnten in der volkstümlichen Erzählung bekanntere Mächte an ihre Stelle gesetzt werden. In Folge dieser Wendung atmete Joram wieder auf; begünstigt durch einen Dynastiewechsel in Damaskus scheint er den Aramäern sogar die ') Prolegomena 4 p. 294. ») Doughty Travels 1, 21. 22.
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Festung Ramath Gilead abgenommen zu haben, in deren Besitz Ahab vergeblich zu kommen trachtete. Da aber brach plötzlich über das Haus Omris eine Katastrophe ein, welche seit längerer Zeit von den Propheten vorbereitet war. 2. Als die Nebiim zuerst auftauchten, vor dem Ausbruch der Philisterkriege, waren sie in Israel eine fremdartige Erscheinung. Mittlerweile hatten sie sich so eingebürgert, dass sie ganz wesentlich zu dem Bestände der Jahvereligion gehörten. Manches von ihrem alten Wesen hatten sie abgeschliffen, beibehalten aber hatten sie das schaarenweise Auftreten und das Leben in Vereinen mit gemeinsamer auffallender Tracht. Diese Vereine hatten keine ausser ihnen selber liegenden Zwecke; die rabbinische Ansicht, es seien Schulen und Lehrhäuser gewesen, wo das Gesetz und die heilige Geschichte getrieben wurde, überträgt spätere Verhältnisse auf die alte Zeit. Grosse Bedeutung hatten die Nebiim im Durchschnitt nicht. Aber ab und zu erwuchs unter ihnen ein Mann, in welchem der Geist, der in ihren Kreisen gepflegt wurde, gewissermaassen oxplodirte. Geschichtliche Wirkung übten vor allem diese Heroen aus, die über den Stand hervorragten, sogar in Opposition dazu traten, doch aber auch wieder ihren Rückhalt darin fanden. Das Prototyp dieser Ausnahmepropheten, die wir indessen nicht mit Unrecht als die wahren Propheten zu betrachten gewohnt sind, ist Elias von Thisbe in Gilead, der Zeitgenosse des Königs Ahab. Seiner tyrischen Gemahlin Izebel zu lieb hatte Ahab dem tyrischen Baal einen Tempel und einen reichen Cultus zu Samarien gestiftet. Dem Jahve dadurch Abbruch zu t u n , war nicht seine Meinung; Jahve blieb der Reichsgott, nach welchem er auch seine Söhne Ahazia und Joram und seine Tochter Athalia benannte. Von Zerstörung der Altäre Jahves und Verfolgung seiner Propheten war keine Rede, nicht einmal von Einführung des fremden Gottesdienstes ausserhalb der Hauptstadt. Da also der Herrschaft Jahves über Israel nicht zu nahe getreten wurde, so fand der Glaube des Volkes nichts Anstössiges an einer Handlungsweise, die hundert Jahre früher auch Salomo befolgt hatte. Nur Elias protestirte dagegen. Für ihn war es ein Hinken auf beiden Seiten, ein unvereinbarer Widerspruch, dass man Jahve als den Gott Israels verehrte und daneben doch dem Baal in Israel eine Kapelle erbaute. Die Menge hatte er dabei nicht auf seiner Seite; sie staunte ihn wol an, aber sie begriff ihn nicht.
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Einsam ragte dieser Prophet, die grandioseste Heldengestalt in der Bibel, über seine Zeit hervor; die Sage konnte sein Bild festhalten, aber nicht die Geschichte. Man hat mehr den unbestimmten Gindruck, mit ihm in ein neues Stadium der Religionsgeschichte zu treten, als dass man ausmachen könnte, worin der Unterschied gegen früher bestand. Nachdem J a h v e zunächst im Kampfe gegen äussere Feinde die Nation und das Reich gegründet hatte, reagirte er jetzt innerhalb der Nation, auf geistigem Gebiete, gegen die fremden Elemente, die bis dahin ziemlich ungehindert hatten zutreten dürfen. Die Rechabiten, die damals aufkamen, protestirten in ihrem Eifer für J a h v e gegen die ganze auf den Ackerbau gegründete Cultur und griffen grundsätzlich zurück auf das urisraelitische Nomadenleben in der Wüste; die Naziräer enthielten sich wenigstens des Weines, des Hauptsymbols der dionysischen Civilisation. Hierin tat allerdings Elias nicht mit; sonst wäre er wol auch der Menge verständlicher gewesen. Aber den Geist begreifend, aus dem diese Wunderlichkeiten hervorgingen, erfasste er J a h v e als einen Herrn, mit dessen Dienst sich kein anderer Dienst vertrage. Die Errichtung jenes königlichen Tempels für den tyrischen Baal in Samarien gab ihm den Anlass zum Kampf gegen den Baalscultus überhaupt, gegen die zwischen Baal und J a h v e schillernde Unentschiedenheit, von der sich nur wenige in Israel ganz frei gehalten hatten. Ihm bedeuteten Baal und Jahve, wie man annehmen möchte, einen Gegensatz der Principien, der letzten und tiefsten praktischen Überzeugungen; sie konnten nicht beide Recht haben und neben einander bestehn. Für ihn gab es nicht auf verschiedenen Gebieten gleichberechtigte anbetungswürdige K r ä f t e , sondern überall nur e i n Heiliges und e i n Mächtiges, das nicht in dem Leben der Natur, soudern in den Gesetzen der menschlichen Gesellschaft, durch die allein sie bestehn kann, in den sittlichen Forderungen des Geistes sich offenbarte. Er sah auch den Kampf der Götter nicht, wie es hergebracht war, für einen Kampf der Nationalitäten an. Der Gott Israels hatte ganz unabhängig von Israel seinen eigenen ewigen Inhalt, er identificirte sich nicht mit seinem Volke und dessen jeweiligen Wünschen und Zielen. Besonders wichtig in dieser Hinsicht ist der Standpunkt, welchen Elias zu den schweren Unglücksfällen und Drangsalen einnimmt, die damals über sein Volk hereinzubrechen begannen und es an den Rand des Unterganges brachten. Sie werden ihm
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zum voraus angekündigt, um seine Klage zu beschwichtigen, dass seine Arbeit vergeblich gewesen sei; es ist ihm ein Trost zu hören, dass nur diejenigen, die ihre Knie nicht dem Abgott gebeugt haben, siebentausend Mann, von Israel übrig bleiben, alle anderen dem Schwert zum Opfer fallen sollen 1 ). Wenn Jahve über den Baal triumphirt, so hat Elias seinen Zweck erreicht, mag Israel darüber bis auf einen kleinen Rest zusammenschwinden. Das ist der Eindruck, den der Erzähler der Theophanie auf dem Horeb von dem Wirken dieses Propheten h a t , und schwerlich ist sein Eindruck unrichtig gewesen. Die Gottesidee begann damals in Einzelnen, wie es scheint, sich über die nationale Schranke zu erheben. Ähnliches Geistes Kind wie Elias, und ebenso einsam stehend wie er, war sein Zeitgenosse Micha ben J i m l a , der im Namen Jahves Unheil schaute über Israel — ganz gemäss dem Wesen des wahren Propheten, wie es Jahrhunderte später Jeremias ( 2 8 , 8 ) bestimmte, an den man überhaupt durch Micha ben Jimla sich erinnert fühlt. 3. Diese Männer waren ein Vorspiel der Zukunft, für die Gegenwart war ihr Wollen verloren. Was die unmittelbaren Nachfolger Elias' von ihm verstanden hatten, beschränkte sich darauf, dass man den Baalsdienst in Samarien und das Haus Ahabs dazu mit Stumpf und Stiel ausrotten müsse. Zn diesem praktischen Ziel benutzte Elisa von Abel Mechola am Jordan, der Jünger Elias', praktische Mittel. Als einst Elias wie ein Blitz auf König Ahab getroffen w a r , wie er am Tage nach der Hinrichtung Naboths dessen Acker in Besitz n a h m , und ihm den blutigen Untergang gedroht hatte, war ein Kriegsoberster zugegen gewesen, Jehu ben Nimsi; der Auftritt war ihm unvergesslich geblieben. Dieser Mann nun stand an der Spitze der Truppen in Ramath Gilead, nachdem Joram ben Ahab sich vom Kriegsschauplatze hatte zurückziehen müssen, um sich in Jezreel, dem Lieblingsaufenthalt der Könige aus dem Hause Omri, von einer Verwundung heilen zu lassen. Dem Elisa schien der Augenblick geeignet zur Vollstreckung der Drohung Elias' gegen das Haus Ahabs. Er sandte einen Propheten nach Rama mit dem Befohl Jehu zum Könige zu salben. Der Bote fand ihn in einer Gesellschaft von Hauptleuten. Er rief ihn heraus in ein heimliches Gemach, goss Öl auf sein Haupt und verkündete ihm, Jahve habe ihn zum Könige über sein Volk ge') Composition des Hexateuchs p. 282 n. 1,
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macht. Dann öffnete er die Tür und verschwand. Als Jehu wieder zum Vorschein kam, fragten ihn seine Kameraden, was der Verrückte gewollt habe; nach einigen Ausflüchten sagte er ihnen die Wahrheit. Da breiteten sie ihre Kleider auf dem Altan aus als Teppiche unter seinem Stuhl, liessen ins Horn blasen und ausrufen: Jehu ist König geworden. Es wurde beschlossen, sofort mit einem reisigen Haufen den Joram in Jezreel zu überfallen, ehe ihn die Kunde von dem Vorgange erreiche. Der Wächter auf dem Turm von Jezreel sah die Anstürmenden von ferne, Joram sandte ihnen einen Reiter entgegen und noch einen zweiten, um Nachricht einzuziehen; beide kehrten nicht wieder. Inzwischen kamen die Wagen und Reiter näher; der Wächter erkannte an dem tollen Jagen den Jehu. Darauf liess Joram anspannen und fuhr selber dem Jehu entgegen. Bei dem Acker Naboths traf er ihn und fragte was geschehen sei; die Antwort, die er erhielt, veranlasste ihn schleunig umzuwenden. Aber Jehu schoss ihm einen Pfeil durch den Rücken ins Herz; die Leiche liess er durch den Schildknappen, der neben ihm im Wagen stand, auf den Acker Naboths werfen. „Denn ich gedenke, als wir paarweise hinter Ahab her ritten, wie Jahve über ihn den Spruch tat: fürwahr das Blut Naboths und seiner Söhne habe ich gestern fliessen sehen, und ich zahle es dir heim auf diesem Acker." Bei seiner Einfahrt in Jezreel guckte die Königin-Mutter Izebel festlich geschmückt aus dem Fenster und rief ihm einen höhnischen Gruss zu. Er liess sie von zwei ihrer eigenen Kämmerer auf die Strasse stürzen, ging darauf in den Palast, setzte sich zu Tisch und liess es sich gut schmecken. Alle Übrigen vom Hofgesinde zu Jezreel, Verwandte Beamte und Priester Ahabs, verfielen gleichfalls dem Tode. Aber die Hauptstadt des Reiches, der eigentliche Sitz der Dynastie und der Wohnort der Hauptmenge ihrer Angehörigen war nicht Jezreel, sondern Samarien. Dahin schrieb nun Jehu einen Brief an die Obersten und Ältesten der Stadt mit der Aufforderung, den besten und tüchtigsten unter den Königssöhnen auf den Thron zu setzen und für ihn zu kämpfen. Sie antworteten: wir sind deine Kuechte, wir wollen alles tun was du uns sagst, wir wollen niemand zum König machen, tu was dir gefallt. Nun befahl er ihnen in einem zweiten Briefe, alle Königssöhne umzubringen, die sie bei sich hätten. Da schlachteten sie sie alle, ihrer siebzig Mann, legten ihre Häupter in Körbe und schickten sie ihm nach Jezreel, wo sie
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am Tore aufgeschichtet worden. Als er am anderen Morgen die beiden Haufen sich betrachtete, sprach er seine Verwunderung aus über den Eifer seiner freiwilligen Mitarbeiter, deren Mut er so richtig geschätzt hatte. Mit leichter Mühe hatte er sein Spiel gewonnen, er fuhr nun selber sofort nach Samarien und vollendete dort sein ßlutwerk an dem Rest des Hauses und des Hofes Ahabs. Dann ging er an den anderen Teil seiner Aufgabe. Unter dem Vorwande dem Baal ein Fest feiern zu wollen, versammelte er die in der Hauptstadt befindlichen Priester und Propheten des Gottes in dessen Tempel. Er selber brachte das Opfer; nachdem er damit fertig war, gab er seinen Trabanten einen Wink, die draussen zurückgeblieben waren. Sie drangen in das Heiligtum ein und Hessen niemand lebendig hinaus. Hernach zerschlugen sie die Säule des Baal und zerstörten sein Haus; die Trümmer dienten später zu einem Abort. Aus der Weise, wie Jehu die Priester und Propheten des Baal in die Falle lockte, geht hervor, dass niemand bisher daran dachte, in ihm den Vorkämpfer Jahves zu erblicken. Seine Verbindung mit den Propheten war geheim, Elisa hielt sich im Hintergrunde; Jonadab ben Rekab, der Stifter der Rechabiten, fuhr allerdings mit ihm auf seinem Wagen in Samarien ein, aber der scheint noch nicht allgemein als Baalshasser bekannt gewesen zu sein. Der Baal ist es nicht gewesen, der das Haus Ahabs zu Fall gebracht hat, sondern gemeiner Verrat. Die Eiferer haben ein recht unheiliges Werkzeug zu ihren Zwecken aufgeboten, von dem sie dann selbst als heiliges Mittel zu seinen Zwecken benutzt wurden. Es ist ihnen keineswegs gelungen, das Volk zum Sturm gegen den Baal mit fortzureissen. Von einer allgemeineren Bewegung gegen die Dynastie wurde Jehu nicht getragen, die Menge stand wie gelähmt vor den Schlag auf Schlag sich folgenden Greueln, noch hundert Jahre später war der Schauder über die Bluttat von Jezreel lebendig. Die ganze grosse Umwälzuug wurde durch eine Offiziersverschwörung zu Staude gebracht. Jehu hatte nur die Berufssoldaten hinter sich, mit denen konnte er noch damals Ahnliches ausrichten wie dreihundert Jahre früher Abimelech mit einer Handvoll loser Leute. Man sieht die Schwäche des Königtums in Israel, es ruhte nur auf dem Heere und den Kriegsobersten. Das Volk zeigte sich merkwürdig apathisch und feige, es Hess sich von dem verwegenen Manne, der so entschieden und so sorglos auftrat,
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alles bieten und kam erst zur Besinnung, als er das Spiel gewonnen hatte. Jehu begründete die zweite und letzte Dynastie des Hauses Samarien. Mit der Erbschaft des Hauses Omri fiel ihm auch die Aufgabe zu, sich der Aramäer von Damaskus zu erwehren. Da er ihnen nicht gewachsen war, suchte er an ihren alten Feinden, den Assyrern, eine Stütze zu gewinnen. Seine Gesandten brachten dem assyrischen Könige Geschenke d a r , wol keine regelmässigen, sondern einmalige, die nur von der Eitelkeit des Grosskönigs als Tributleistungen eines Vasallen aufgefasst wurden. Gleichzeitig bewarb sich freilich auch Hazael von Damaskus mit Geschenken bei dem Assyrer; er scheint indessen damit nichts erreicht zu haben. Denn in den Jahren 842 und 839 erfolgten wiederum assyrische Feldzüge gegen die syrischen Aramäer. Dann aber hörten dieselben für lange Zeit auf, und die samarischen Könige, Jehu und seine beiden Nachfolger, waren auf sich selber angewiesen. Das waren schlimme Zeiten für Israel. Mit hartnäckiger Grausamkeit wütete die Grenzfehde im Lande Gilead; dazwischen kamen auch grosse Expeditionen vor, deren eine den König Hazael bis in das Philisterland und bis unter die Mauern von Jerusalem führte. Ammon und Moab secundirten den Syrern; auch die Philister machten sich die Situation zu nutz 1 ). Nur durch die grösste Anstrengung ward die Selbständigkeit Israels gerettet. Noch einmal ging die Religion Hand in Hand mit der Nation; in merkwürdigem Gegensatz zu seinem Vorgänger Elias war der Prophet Elisa die Hauptstütze der Könige, Wagen und Reiter Israels im Kampf gegen die Aramäer. Es gelang endlich dem Enkel Jehus, Joas ben Joahaz, ihnen mehrere und entscheidende Schläge beizubringen. Unter Joas' Sohne, Jerobeam II., erstieg das Reich sogar einen Gipfel äusserer Macht, der an die Zeiten Davids erinnern konnte. Moab wurde wieder unterworfen, die südöstliche Grenze reichte bis an den Bach der Heide, im Nordosten wurden Karnaim und Lodebar erobert'). Die aramäische Gefahr war durch den Königsstamm Joseph und seinen erstgeborenen Stier, den Gesalbten Jahves, abgewiesen. „Sein erstgeborener Stier hat Hörner, mit denen er die Völker stösst, das sind die Myriaden Ephraims ') Arnos 1. Isa. 9, II. ) Arnos 6, 13,
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und die Tausende Manasses." „Die Pfeilschützen reizten und schössen ihn, aber sein Bogen blieb zuverlässig und seine Arme spannkräftig." Gilead blieb Israel erhalten, Laban und Jakob schlössen einen Friedensvertrag, wodurch die Grenze zwischen ihren Völkern bestimmt und gesichert wurde.
Sechstes Kapitel. G o t t W e l t u n d L e b e n im a l t e n I s r a e l . 1. Hier ist der Ort, vor dem Auftreten derjenigen Propheten, welche das neue Israel schufen, einen kurzen Blick auf das alte zu werfen, welches mit dem Reiche Samarien unterging. Von einer früheren Periode als dem Jahrhundert von 850—750 lässt sich kaum eine Statistik geben. Denn während die grossen Veränderungen der Geschichte ziemlich zuverlässig durch lange Zeit bewahrt werden können, ist für die Schilderung von Zuständen, wenn sie nicht, wie in Arabien, stagniren, eine gleichzeitige Literatur unentbehrlich. Die hebräische Literatur aber erblühte erst in dieser Periode, namentlich wie es scheint nach der glücklichen Abwehr der Syrer. Geschrieben wurde zwar schon früh, aber nur Urkunden, Rechnungen und Verträge, ausserdem Briefe, wenn der Inhalt der Botschaft das Tageslicht scheute oder aus anderen Gründen geheim gehalten werden sollte; die ältesten Aufzeichnungen sind kurz und undeutlich, als ob sie nur Hilfen und Anhaltspunkte der Erinnerung sein sollten, man sparte an der Schrift. Früh entwickelte sich auch im Zusammenhange mit der Religion der historische Sinn des Volkes, die grossen Taten Jahves d. i. Israels wurden in Liedern besungen, aber diese Lieder wurden ursprünglich nur mündlich überliefert. Die Literatur begann mit der Sammlung und Aufzeichnung derselben, das Buch der Kriege Jahves und das Buch des Redlichen waren die ältesten Geschichtsbücher 1 ). Dann ging man dazu über, auch in Prosa Gedichte zu schreiben, unter Benutzung von Urkunden oder Familienerinnerung; d. i. wahrscheinlich nicht e p h o d , sondern a p h u d (part pass.). Damit werden die Theraphim zusammen genannt, als zum Inventar eines Tempels gehörig; eigentlich waren die letzteren indessen Hausgötter. Ob sie Menschengestalt hatten, erhellt aus 1 Sam. 19 nicht ganz sicher. ') Vgl. p. 31 n. 1. Neben den Keruben wurden die Stiere auch als Symbole oder Ornamente von der heiligen Kunst vorzugsweise verwendet. Das eherne Meer wurde von Stieren getragen. Stierköpfe und -hörner befanden sich an den Ecken der Altäre; daher der Ausdruck: dem Altar das Qenick brechen (Ose. 10, 2). *) Isa. 44, 13. «) Hierem. 41, 5. Joseph. A n t 13, 70. 5 ) 1 Sam. 14, 32 ss.; es wird dort nicht protestirt gegen das Essen des
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Die Blutausschüttung hat sich auch später immer und überall erhalten, sie galt aber nicht mehr als genügend für ein richtiges Opfer 1 ), sondern wurde, für sich allein geübt, zum Ritus der profanen Schlachtung. Wie das Glut, so wird auch Öl und Wein — Milch findet sich nicht — auf den Stein ausgeschüttet. Dem Ausschütten entspricht das Aufstellen 1 ) der nichtflüssigen essbaren Sachen, z. B. der gesäuerten Brote oder etwa der Kuchen von gepresstem Obst; dieses Aufstellen blieb selbst beim Verbrennen noch immer Sitte. Ein merkwürdiger Übergang zeigt sich beim Opfer Gideons; er setzt Kesselfleisch und Brühe einfach auf einen Stein, aber aus dem Stein schlägt die Lohe und verzehrt die zubereiteten Speisen! Die Opfer sind zum teil weiter nichts als Gaben an die Gottheit. Sie werden dann entweder an heiliger Stelle aufbewahrt, oder vernichtet, oder auch liegen gelassen; der letztere Fall gibt manchmal Anlass zur Entstehung gebotener Almosen, so dass die Armen das bekommen, was eigentlich der Gottheit gegeben wurde. Aber bei den Altaropfern, namentlich bei den blutigen, überwiegt die Idee der Bundschliessung. Durch den Ritus des Blutstreichens wird eine Verbrüderung mit der Gottheit bewirkt, ebenso auch durch das heilige Mahl, das gewöhnlich mit dem Opfer verbunden war. Ursprünglich sühnt das Opferblut nicht, sondern es kittet; die Versöhnung ist aus der Communio erst abgeleitet. Zur Teilnahme an der Feier, an dem Essen und Trinken vor Jahve, gehört die Heiligung, die darin besteht, dass man sich Tags zuvor gewisser Dinge enthält und die Kleider wäscht oder wechselt. Der Cultus bevorzugt gewisse Tage. Der Neumond wurde feierlich begangen; mit ihm wird der Sabbath zusammengestellt, der wie es scheint ursprünglich nach den Phasen des Mondes sich richtete'). Der Sabbath ist der Feiertag der Woche, an dem die Schaubrote aufgelegt werden; die Ruhe, ursprünglich nur die Folge rohen Fleisches, sondern gegen das Essen des Fleisches ohne das Blut auf den Stein geschüttet zu haben. Gen. 15, 11. Bier. 34, 18. ') Das Sündopfer ist nur eine Busse oder Entschädigung. ') Ausschütten = "^QJ; im Arabischen steht dieser gebräuchlichste Ritus für Cultus überhaupt. Aufstellen = ; es wird speziell von den Schaubroten gesagt, aber auch von den Fleischstücken des Opfers (Osee 9, 4). *) Ober den Zusammenhang des Sabbaths mit den Planeten vgl. Idelers Handbuch der Chronologie 1, 178 ss. 2, 177 s.
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der Feier, ist erst allmählich bei ihm gesteigert and zu seinem besonderen Merkmal geworden. Stärker als diese Mondfeste treten in der Königszeit die Jahresfeste hervor. Auch sie haben keine geschichtlichen, sondern natürliche Anlässe. Sie fallen auf die Semesteranfänge im Herbst und Frühling, die Feier besteht darin, dass die Erstlinge und Zehnten, als Dank für den Segen des Landes und der Heerde, an heiliger Stelle dargebracht, geopfert und verzehrt werden'). Das Hauptfest ist das Herbstfest der Lese beim Wechsel des Jahres 1 ), zugleich das abschliessende Dankfest für den Ertrag von Tenne und Kelter überhaupt; es wird schlechthin „das Fest" genannt. Dem entspricht sechs Monate früher das Osterfest der ungesäuerten Gerstenfladen; es bezeichnet den Anfang der sieben Wochen des Getreideschnitts, an deren Schluss Pfingsten steht, das Fest der gesäuerten Weizenbrote. Auf Ostern fallt auch das Pascha, das Fest der Darbringung der männlichen Erstgeburten von Rindern und Schafen. • Das waren die drei grossen Opfergelegenheiten, regelmässige tägliche blutige Opfer wurden nicht dargebracht. „Dreimal im Jahr soll jeder Mann vor Jahve erscheinen, und nicht mit leeren Händen." Der ältere Dekalog gibt als am Sinai geoffenbartes Grundgesetz für Israel beinah nur Vorschriften für die Feier dieser Feste*). Darin bestand der volkstümliche ') Als Erntefeste sind sie von den Kanaanitern übernommen (p.49), obgleich die Termine, an den Äquinoctien, älteren Ursprungs sind. Nur das Pascha kann althebräisch gewesen sein, es tritt beim Auszug aus Ägypten stark hervor, ward aber später von den Erntefesten überschattet. Diesem Feste ist am frühesten eine historische Unterlage gegeben worden; in der alten Form der Sage gilt indessen der Auszug nicht als Veranlassung des Festes, sondern umgekehrt das Fest als Veranlassung, oder doch als Vorwand, des Auszuges (Prolegomena 1895 p. 86. 100). Neben den Semesterfesten gab es noch andere, von denen wir nur zufällig erfahren. In Gilead feierten die Töchter Israels alljährlich vier Tage lang auf den Bergen das Andenken der gemordeten jungfräulichen Tochter Jephtabs; die ganze Geschichte Jephtahs ist weiter nichts als die Ätiologie dieser Feier (Composition des Hexat. 1889 p. 228 s.), die einigermaassen an das Weinen der Weiber über den Tammuz (Ezech. 8, 14) erinnert. ') Der Wechsel des Jahres erfolgte nicht im Frühling, sondern im Herbst; vgl. Prolegomena4 p. 106 ss. Ober die Berechnung des Jahres und die Schaltung haben wir keine alten Nachrichten; nach dem Priesterkodex hatte es 365 Tage, wie aus den Angaben über die Lebenszeit des Henoch und über die Dauer der Sündflut erhellt. J ) „1. Du sollst keinen fremden Gott anbeten. 2. Gussgötter sollst du Wellhansen.
I s r . Geschichte.
i. Aatl.
7
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Sechstes
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Gottesdienst, diesen Eindruck gewinnt man auch aus den Propheten und sogar noch aus dem Deuteronomium. Von den Erstlingen und Abgaben, auf welche die Feste begründet waren, oder auch vom Erlös derselben wurden fröhliche Opfermahle veranstaltet; man ass und t r a n k , man freute sich vor Jahve. Laute Freude, rauschender Jubel war der allgemeine Charakter der Feier. Auch die Weiber nahmen, geputzt und mit Silber und Gold geschmückt, daran teil 1 ). Es fehlte nicht an Excessen; männliche und weibliche Hierodulen waren auch bei den israelitischen Heiligtümern zu finden. Trauernde durften am Cultus nicht teilnehmen; er war nur für die Fröhlichen und die Gesunden da. Auf die Sünde und die Sühnung hatte er keino Beziehung; der Versöhnungstag der späteren Juden fehlt in dem älteren Festcyklus und passt durchaus nicht hinein. In Zeiten der Not rief man ein Fasten aus, man machte auch wol tastende Versuche Jahves Angesicht zu glätten. Wenn er aber sichtlich zürnte, in Zeiten allgemeiner Verzweiflung, wagte man überhaupt nicht sich ihm zu n a h e n ' ) . Neben dem öffentlichen Gottesdienst gab es auch eine Religion für den Hausgebrauch. Flüche, Schwüre d. i. bedingte Selbstverfluchungen, und Gelübde waren gewöhnlich. Wer unter dem Gelübde stand, durfte in gewissen Fällen keinen Wein trinken und sich das Haar nicht scheren'). Eine Menge privater Observanzen säumte das tägliche Leben und fasste es ein. Sie waren zwar dir nicht machen. mein.
3. Das Massothfest sollst du feiern.
Das F e s t der W o c h e n sollst du halten.
bei der W e n d e des Jahres. Opfers
vermischen.
8.
Morgen übrig bleiben.
7.
4. Alle Erstgeburt ist
6. U n d das F e s t der Lese
D u sollst nicht mit Saurem
Das Fett
meines Festes
das B l u t meines
soll nicht bis zum anderen
9. Das Beste der Erstlinge deiner Flur sollst du zum
H a u s e Jahves d e i n e s Gottes bringen. Milch seiner Mutter kochen."
10. Du sollst das Böcklein nicht in der
Vgl. Compos. p. 87. 331.
') Exod. 3, 2 0 : die hebräischen Weiber leihen sich von den Ä g y p t e r i n n e n Kleider und Schmuck für die Festfeier in der W ü s t e . Arnos 6, 10.
Diese antike Scheu findet sich
Ose. 1, 13.
4, 14.
sehr ausgesprochen noch
bei dem christlichen Syrer Ephraem Opp. 3, 635 unten. 3
) N a z i r kommt von einer Wurzel, welche g e l o b e n bedeutet. In ältester Z e i t gab es kriegerische Nazire wie Simson, der den l e b e n s l a n g e n Kampf g e g e n die Philister sich auferlegt hatte: vielleicht darf man auch mit W . R. Smith J u d . 5, 2 so verstehn: als die Haare lang wuchsen = als viele zu kämpfen g e l o b t e n . Später wurden die Nazire friedlicher, und die Gelübde ermässigten sich.
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Gott Welt und Leben im alten Israel.
nicht gesetzlich und dienten nicht zur strengen Absonderung der Israeliten von den Heiden 1 ), aber sie existirten, als allgemeine und selbstverständliche Praxis. Das Kind wurde nach der Geburt mit Salz abgerieben. Von der Sitte ihm Honig an den Gaumen zu streichen, zeugt nur noch die Etymologie eines Wortes, welches dann die allgemeine Bedeutung e i n w e i h e n bekommen hat. Die Beschneidung war vielleicht ursprünglich eine Ceremonie der Aufnahme in den Kahal, eine barbarische Probe der Mannhaftigkeit, die zugleich das Recht zur Heirat verlieh'). Ueber Ceremonien der Gheschliessung ist nichts bekannt, abgesehen von der Eheschliessung mit einer kriegsgefangenen Frau. Um so mehr erfahren wir über die Leichenfeier. Die bei anderen Völkern üblichen Trauergebräuche waren auch bei den Israeliten in älterer Zeit nicht verboten. Man verhüllte Haupt und Bart, legte den Sack an und einen Strick als Gürtel, streute Asche auf das Haupt oder setzte sich in die Asche. Man zerriss die Kleider, schür Haare und Bart, zerkratzte und verwundete sich. Klageweiber heulten laut und zerschlugen sich die Brust. Die Leiche wurde manchmal einbalsamirt, gewöhnlich nur eingehüllt. Feuerbestattung war nicht üblich, sowenig wie vor Alters Feueropfer; doch kam sie vor, Sauls Leiche wurde verbrannt, dann aber noch begraben 9 ). Denn das Begraben war die unerlässliche alte und allgemeine Sitte 4 ), dafür gibt es ein nur in diesem technischen Sinne gebräuchliches gemeinsemitisches Wort. Es gab ') Uan wunderte sich über die Exclusivität der Ägypter, dass es ihnen ein ö r e u e l war, mit anderen Leuten zu essen (Oen. 43, 3 2 , dagegen Galat. 2, 12). *) Ober Ezod. 4, 25 s. oben p. 18. Ausländer, auch wenn sie israelitische Sklaven waren, wurden in der älteren Zeit nicht beschnitten; vgl. Ezech 44, 7. 9 gegen Gen. 17, 12, Smend Alttestamentliche Rel. p. 112. *) Die Verbrennung soll die Toten ohne Zweifel ätherisch machen, ebenso wie die Opfer. Vgl. Jahrb. des Archäol. Inst. 1894 p. 238. *) Auch die Hingerichteten sollten nach dem Gesetz begraben werden. Das geschah auch in den Fällen 1 Reg. 2, 34. 2 Reg. 9, 54. Aber allgemeine Sitte war es nicht. Als David die sieben Söhne Sauls in Gibeon henkte, blieben die Leichen liegen. Erst durch das röhrende Benehmen der Mutter die ununterbrochen bei den Gehenkten wachte, des Tags die Vögel und des Nachts die wilden Tiere verscheuchte, wurde der König veranlasst, die Gebeine zusammen mit denen Sauls und Jonathans im Erbbegräbnis der Familie zu bestatten. 7 *
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Kapitel.
Gräber in der E r d e , gekennzeichnet durch einen Baum oder Stein oder Steinhaufen. Lieber aber begrub m a n in H ö h l e n , oder in G r a b k a m m e r n , die in den Fels gehauen waren. Es wurde d a f ü r gesorgt, dass die Häuser der Toten fester u u d ewiger waren als die der Lebendigen. Die Familienmitglieder r u h t e n darin bei eina n d e r '), doch h a t t e wol jedes seinen eigenen Platz. Auf einer allgemeinen Begräbnisstätte beigesetzt zu werden galt für eine Schande*). Man hoffte nicht in den H i m m e l zu k o m m e n , sondern zu Vater und Mutter, zu den A h n e n , zu den Geschlechtsgenossen versammelt zu werden. Die Vorstellung von der H ö l l e 3 ) , wo alle Toten der ganzen W e l t bei einander w a r e n , zu der hinabzufahren m a n sich fürchtete, s t e h t dazu freilich in einem seltsamen W i d e r s p r u c h , der nicht dadurch gelöst werden k a n n , dass in den G r a b k a m m e r n bloss die Leiber, in der Hölle aber die Seelen sich befinden. Zu einer Ausgleichung der Widersprüche auf diesem Gebiet ist aber auch durchaus kein Anlass. Die Speisung Auch richtiger T o t e n c u l t u s wurde getrieben. der Toten, die im D e u t e r o n o m i u m e r w ä h n t und nicht einmal verboten w i r d , weist auf ein T o t e n m a h l und ein Totenopfer; vielleicht ist auch die H a a r s c h u r ähnlich zu beurteilen. Nicht bloss bei der T r a u e r , sondern auch beim Gebet brachte man sich Einschnitte und Verwundungen bei. B ä u m e Steine und Steinhaufen kommen eben so wol bei Gräbern als bei A l t ä r e n vor. Es wird eine Anzahl heiliger Gräber im Alten T e s t a m e n t g e n a n n t , namentlich von F r a u e n , wie Rahel Debora Miriam; sehr bezeichnend ist es, dass Moses von J a h v e s eigener Hand an einem u n b e k a n n t e n Orte bestattet w i r d , d a m i t sein Grab nicht zu einer Cultusstätte werde. W e n n m a n so grossen W e r t darauf legte, mit seinen Vätern im Erbbegräbnis vereinigt zu werden, so musste m a n glauben, davon irgend welchen Genuss zu haben. Die Vorstellung, dass die Toten in die Hölle g e b a n n t wären und keine E m p f i n d u n g mehr h ä t t e n , beherrschte die alten Israeliten nicht ausschliesslich. Die Refaim, d. h. die S c h a t t e n , hausten auch auf der Oberwelt; sie
') Das Familiengrab ist das Zcichen des Ileimatrechts Isa. 22, 16. *) Hier. 26, 23. werden. ®) Ich gebrauche hebräisch S c h e o l .
Daher konnte aus dein Polyandrien später die G e e n n a dies Wort
mit Luther
im
alten S i n n e
für Unterwelt,
Gott W e l t und Leben im alten Israel.
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hatten Ähnlichkeit mit Dämonen 1 ). Sie konnten aus der Hölle heraufbeschworen werden, zum Zweck von Zauber und Weissagung; sie werdeu gradezu Götter genannt'). Es ist dies nicht die einzige Spur vom Glauben an Dämonen und von den damit verbundenen Praktiken. Das Verbot von Zauberei und Wahrsagung beweist, dass die Neigung dazu bestand. Verschiedene Methoden werden erwähnt, darunter auch das Hindurchgehnlassen durch das Feuer"). Die Gegenzauber und Amulette haben sogar im Gesetz Aufnahme gefunden, freilich nachdem sie ihrer Bedeutung mehr oder weniger entkleidet waren. So die Quasten am Kleidersaum, die Gehänge (Totaphoth) auf der Stirn, die Phylakterien am Arm, die unseren Hufeisen auf der Schwelle vergleichbaren Mezuzoth an den Pfosten. Man fühlte sich überall von Geistern umgeben, die Erde war bevölkert von ihren Heeren. Man hatte darum eine gewisse Scheu vor der Natur, sie wurde nicht als Sache betrachtet. Jahve selbst hatte göttliche Wesen niederer Ordnung um sich; die Gottessöhne gehörten zu seinem Geschlecht. Ein Unterschied zwischen guten und bösen Geistern wurde nicht gemacht, sie waren elementare Mächte, die nützen und auch schaden konnten. Die moralische Unterscheidung von Gut und Böse beherrschte überhaupt die populäre Religion weniger als der sakramentale Gegensatz von Rein und Unrein. Der Zustand der Trauer wegen eiues Todesfalls, die Berührung der Leiche und des Aases machten unrein. Ebenso gewisse Krankheiten und alle geschlechtlichen Vorgänge, in besonderem Maasse die monatliche Reinigung und die Geburt. Es war verboten, gewisse Tiere z. B. Schweine zu essen, Blut zu essen, die Hüftsehne zu essen. Verschiedene Ursachen haben die gleiche Wirkung; nicht bloss die Berührung des Ekelhaften verunreinigt, sondern auch die des Heiligen. Das Blut ') mit dem C V O I pDJ? vergleicht Renan (Hist. du Peuple Isr. I. p. 116 n. 4) D H l i T I p » y in Gen. 14, das er ohne Zweifel richtig als D ä m o n e n t a l deutet. Die Rephaim, ebenso n i e die vermutlich gleichwertigen Nephilim, sind auch Riesen; vgl. Compos. p. 308. ") 1 Sam. 28. Vgl. Schwally, das Leben nach dem T o d e , Giessen 1892. Auf den Animismus braucht man sich nicht einzulassen; es kommt nicht darauf a n , die Wurzel aus den historischen Erscheinungen zu ziehen, sondern sie zu beschreiben, wie sie sind. 3
) Deut. 18.
Vgl. Reste arab. Heidentums 1897 p. 189.
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und die Hüftsehne sind heilig; vielleicht ist auch die Unreinheit einiger Tiere daraus zu erklären, dass sie ursprünglich irgend einem Gotte oder Dämon geweiht waren. Den Glauben, dass die Dämonen in Tiergestalt umgehn, haben nicht bloss die späteren Juden, sondern sicher auch die alten Israeliten gehabt. Im Uebrigen unterscheiden sie sich von deu Syrern^dadurch, dass sie Fische essen, von den Arabern dadurch, dass sie das Kamel nicht essen. Die Unreinheit hat einen zeitweiligen Ausschluss von der Teilnahme an der Gemeindeversammlung und am Gottesdienst zur Folge. Die Wiederaufnahme geschieht durch eine Reinigungsceremonie. Gewöhnliche Verfahren sind die Waschung des Leibes und namentlich der Kleider, das Scheren des Haars und das Beschneiden der Nägel; auch Reinigung mit einem Ezobbiischel und mit lebendigen kleinen Vögeln kommt vor. W a s rein war und was unreiD, erlaubt oder verboten, war keineswegs immer klar und allbekannt. In Zweifelsfällen wurden die Priester darum gefragt und entschieden darüber, darin bestand wesentlich ihre Thora. Sie waren zugleich Gewissensräte und Arzte, sie hatten dadurch einen tief in das Leben greifenden Einfluss. Das Heiligtum überhaupt war keineswegs bloss für den grossen öffentlichen Gottesdienst da, der nur selten gefeiert wurde, sondern auch für die privaten Bedürfnisse der Einzelnen. Wie sie sich dort Bescheid holten, so trugen sie dort auch ihre Bitten und Wünsche vor. Der Altar war die Wunschstätte, und das Opfer häufig die Einleitung für die Anbringung irgend einos Anliegens an die Gottheit, ein Versuch zu einem bestimmten Zweck auf sie einzuwirken'). In der selben Absicht wurde auch allerlei Zauber beim Altai1 getrieben'). Der grosse Gottesdienst war, wie wir gesehen haben, kanaanitischen Ursprungs, die Observanzen des kleinen Cultus wurzelten in verschiedenen Schichten älteren Heidentums. Dieser Stoff wurde ') Daher " p p j j n o p f e r n für f l e h e n . -) Dahin gehört die schon erwähnte Sitte, sich selber zu verwunden, um eindrücklicher zu flehen (Os. 7, 14. 1 Reg. 18, 28). Vielleicht hat von dieser Sitte das hebräische Wort für b e t e n den N a m e n , ebenso wie nach W. R. Smith das aramäische; die Wurzel 'ps bedeutet im Arabischen R i s s e , E i n s c h n i t t e h a b e n . Merkwürdig ist auch, dass "lni^ (suchen, aber vorzugsweise G o t t suchen) zugleich z a u b e r n bedeutet. Vgl. t a n a h h u s = suchen Harn. 104, 2.
Gott Welt und Lebeu im alten Israel.
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im Ganzen als mit der Jahvereligion verträglich angesehen, auf sie übertragen oder wenigstens in Beziehung zu ihr gesetzt. Das Verhältnis war verschieden. Manche Bräuche waren abgestorben, man hatte ihren Ursprung und ihre Bedeutung vergessen, sie Hessen sich überall leicht einpassen. Dass die Feste übernommen wurden, dass der Dank für die Ernte, wie früher dem Baal, so jetzt dem Jahve abgestattet wurde, war durchaus angemessen, obgleich allerdings durch die Veränderung der dativischen Beziehung nicht auch sofort die innere Art der Feier sich änderte. Befremdlicher mutet es uns an, dass die Theraphim in den Gotteshäusern Platz fanden, dass die heilige Unzucht in den Dienst Jahves eindrang. Vielleicht geschah dergleichen nicht überall mit gutem Gewissen oder jedenfalls nicht, ohne dass eine Opposition sich regte. Wie dem aber auch sei, ein bowusster und gewollter Abfall von Jahve erfolgte niemals; die Beweise, die dafür angeführt werden, zeigen nur, dass die späteren Juden ihrem Gesetz rückwirkende Geltung beimaassen. Und Jahve wuchs doch über das Heidentum, das ihm anhaftete oder sich ihm ansetzte, mehr und mehr hinaus. Dass seine Religion fortschreitend an Bedeutung zunahm, lässt sich aus der geschichtlichen Literatur deutlich erkennen. Ein unverdächtiges Zeugnis dafür liefern auch die Eigennamen; die mit Jahve zusammengesetzten sind anfangs sehr selten und gewinnen dann nach und nach die Oberhand'). „Jahve der Gott Israels" war und blieb der Fundamentalsatz des Glaubens. Die Zusammengehörigkeit beider war eine gegebene Tatsache; der Gedanke, Jahve habe sich Israel angeboten und Israel sich dann für ihn erklärt, wurde in älterer Zeit nicht gestreift. Das Verhältnis war ein angestammtes, natürliches; es war ') Anfangs überwiegen profane Namen, wie Hose, Sippora, Debora, Jael, Samgar, Gideon, Saul, David, Salomo. Von Tieren sind hergenommen Terah, Lea, Rabel, Simeon (arabisch Sim'&n), Debora, Jael, Goal (Käfer, Jud. 9. BAthir 1 449, 14), Saphan, Akbor, Hulda, Par'osch; von Bäumen Salomo (arab. Salämän), F.la, Elon, Thamar. Kis (arab. Qais), Ner, Barak, auch Nun und Nahas muten heidnisch an; Jerubbaal, Ueribaal, Isbaal zeigen ebenfalls, dass der Gegensatz zum Heidentum nicht scharf empfunden wurde. Uit Jahve componirte Namen finden sich in alter Zeit wenige: Josua, Jonathan, Joas, Joab. Seit Elia und Jonadab mehren sie sich; als Königsnamen sind sie vor Josaphat von Juda und Ahazia von Israel nicht im Gebrauch, seitdem aber fast ausschliesslich. Ober Abischai etc. vgl. p. 24 n. 2. Dass Frauennamen mit Jahve kaum vorkommen, ist bereits bemerkt worden.
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Kapitel.
nicht lösbar und b e r u h t e nicht auf einem Vertrage. Betätigt wurde es von dem Volke durch den Cultus, welchen es Jahve weihte; von J a h v e durch den Beistand, welchen er Israel gewährte. Gott bedeutete Helfer, das w a r der Begriff des Wortes. Hilfe, Unterstützung in irdischen Angelegenheiten wurde von Jahve erwartet, kein Heil im christlichen Sinne. Die Vergebung der Schuld war etwas Untergeordnetes, sie lag in der Erlösung von dem Übel eingeschlossen und wurde nicht geglaubt, sondern erlebt. Die Hauptsache w a r , dass J a h v e Regen und Sieg verlieh. Er schenkte dem Lande Fruchtbarkeit und beschützte es gegen die Feinde; dementsprechend bestand auch der Gottesdienst wesentlich iu der Darbringung der Erstlinge des Landes an den Festen. Die Ernte war der Gradmesser für den Stand des religiösen Verhältnisses. In dem Segen des Feldes schmeckte und sah m a n die Freundlichkeit J a h v e s , Miswachs und Verwüstung wurden als religiöse Schmach empfunden. Es war nicht ausgeschlossen, dass J a h v e mit den Seinen unzufrieden war, sie züchtigte und strafte. Am Eude aber half er ihnen doch i m m e r aus aller Not und erlöste sie von den Feinden, in deren Hand er sie zeitweilig überliefert hatte. J a h v e überschattete das Gestrüpp des Bodens, auf dem er s t a n d ; die Schlingpflanzen, die ihn u m r a n k t e n , erstickten ihn nicht. Dass er aber ein Piincip bedeutete und nicht tolerant, sondern eifersüchtig w a r , k a m erst allmählich zu deutlicherem und allgemeinerem Bewusstsein. Seine principielle Bedeutung erwuchs aus der nationalen. Der Volksgott verdrängte die Stammgötter und setzte sich an ihre Stelle 1 ); die Bilder der namenlosen Familiengötter, die T h e r a p h i m , verschwanden aus den Häusern und nur in den Tempeln erhielt sich eine Spur von ihnen. Langwieriger u n d ernsthafter war der Kampf gegen den Kanaanitismus. Es war kein äusserer, sondern ein innerer K a m p f , er wurde nicht gegen die K a n a a n i t e r selber g e f ü h r t , welche sich völlig mit den Israeliten vermischt hatten und nicht mehr ausgeschieden werden konnten, sondern gegen das mit ihnen eingedrungene fremde Wesen, welches die nationale Eigenart zu zerstören drohte, gegen den Luxus und
') Der Staat sanktionirte bei den Hebräern die Geschlechtsgötter nicht. Aber indem dieselben dem Jabve Platz machten, entstand die Gefahr, dass dieser auf ihte Stufe herabsank, da der G e s c h l e c h t s c u l t u s blieb, wenngleich er auf Jahve übertragen wurde.
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die Üppigkeit und den Sinnenrausch, gegen die Beteiligung der Gottheit am Leben der Natur statt am Leben der Menschen und des Gemeinwesens. Durch ihre ausschliessliche Beziehung auf die Nation trat die Religion Jahves endlich auch in Gegensatz zu dem vielgestaltigen Chaos des unausrottbaren niederen Heidentums, welches in den verschiedensten, zufälligsten Erscheinungen spiritistische Kräfte wirken sieht und dieselben durch allerhand wunderliche Mittel den Wünschen der Selbstsucht untertänig zu machen strebt. Das Fehlen der geheimen Künste machte nach einem alten Spruch den eigentümlich unheidnischen Charakter Israels aus, Zauber und Hocuspocus galten als Götzendienst. Geister- und Gespensterwesen waren ein Greuel für Jahve. Daher erklärt sich auch die für das Alte Testament so bezeichnende Gleichgiltigkeit gegen die religiöse Psychologie, gegen die Frage des Lebens nach dem Tode. Es genügte, dass das Volk ewig lebte; über den Einzelnen ging das Rad der Geschichte hinweg, ihm blieb nur Ergebung, keine Hoffnung. Er musste seinen Lohn in dem Wolergehen des Volkes finden. Man hat das als einen Mangel der israelitischen Religion betrachtet; aber dieser Mangel hat sie von Spuk und Aberglauben befreit. Es war gut, dass sie dem Einzelnen als autonome Macht gegenüber trat, die ihn für Jahve und Israel bedingungslos verpflichtete, und dass sie nicht ein blosses Mittel war, seine privaten Wünsche zu befriedigen'). Mit dem Zauber steht die Wahrsagung auf einer Linie. Auch sie widerstrebte dem Wesen Jahves. Die Medien entlockten ihm keine Antwort, er teilte sich freiwillig mit, wenn er es für nötig hielt. Nicht durch Eingeweide und Vogelflug, sondern durch Menschen sprach er zu den Menschen. Nicht durch den Buchstaben, sondern durch den Geist offenbarte er sich je nach Bedürfnis und Anlass der Geschichte; er hatte noch nicht sein Testament gemacht, er lebte und sein Wort war lebendig. Aus den Propheten wählte er die Interpreten der Absichten, die er mit Israel hatte. Es ist ihr Verdienst, dass die Geschichte, nicht die vergangene, sondern die gegenwärtige, als bedeutungsvolles Product göttlichen Handelns verstanden wurde. Die Ereignisse waren Wunder und Zeichen, der Zufall Fingerzeig einer höheren Hand. Der Glaube erhielt auf diese Weise eine stimmungsvolle Lebendigkeit, der ') Vgl. Herodot l, 132.
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Siebentes
Kapitel.
Gottesbegriff eine grossartige Präsenz. Grossartig auch darum, weil das Wirken der Gottheit über alle Speculation, über alle Einengung durch berechenbare Heilszwecke, durch einen untergeschobenen Heilsplan, hinausgehoben wurde. Männer des Geistes schauten mit dem zweiten Gesicht, was Jahve tun wollte; es gab aber keine Gottesgelehrsamkeit, die ihn nüchtern construirte. Er war zu real, zu jugendlich und gewaltig; auch wollte man nicht seine Grundsätze kennen, sondern sein nächstes Vorhaben, um sich darnach für das eigene Handeln einzurichten. Nie wurde das Wort zur Mutter des Gedankens gemacht, die lebendige Evidenz des Gefühlten vertrug sich vielmehr mit grosser Sorglosigkeit des Ausdrucks. Die Wahrhaftigkeit der Empfindung hatte auch vor Widersprüchen keine Scheu. Jahve hatte unberechenbare Launen, er Hess sein Antlitz leuchten und verbarg es, man wusste nicht warum, er schuf Gutes uud schuf Böses, strafte die Sünde und verleitete zur Sünde — der Satan hatte ihm damals noch keinen Teil seines Wesens abgenommen. Sein Zorn wirkte wie eine losgelassene elementare Gewalt, man hatte ein Grauen davor, man konnte sich nicht dagegen schützen. Bei alle dem wurde Israel doch nicht an ihm irre. Es waren eben im Ganzen bisher gute Zeiten gewesen; die Incongruenz der äusseren Erfahrung und des Glaubens war noch nicht so stark zur Empfindung gekommen, dass das Bedürfnis entstand sie auszugleichen. Jetzt aber kamen böse Zeiten, und damit trat die Nation und die Religion in eine neue Periode.
Siebentes Kapitel. Der U n t e r g a n g
Samariens.
1. Unter König Jerobeam II., zwei Jahre vor einem grossen Erdbeben, das den Zeitgenossen zur Datirung diente, trug sich in Bethel, dem vornehmsten und grössten Heiligtume Jahves in Israel, ein bedeutungsvoller Auftritt zu. Die Menge war dort mit Opfern und Gaben zum Feste versammelt, als ein Mann herzukam, der die Freude der Feier mit jähem Ernste unterbrach. Es war ein J u däer, Arnos von Thekoa, ein Schafzüchter aus der Wüste am Toten Meer. In den Jubel der Lieder, bie beim heiligen Gelage zu Pauke und Harfe erschollen, warf er einen gellenden Miston, den Wehe-
Der Untergang Sam&riens.
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ruf der Leichenklage. Denn durch all den Lärm des rauschenden Lebens hindurch vernahm er ein Todesröcheln: gefallen ist, steht nicht mehr auf die Jungfrau Israel; liegt hingestreckt im eigenen Land und niemand richtet sie auf! Er verkündete den nahen Sturz des gerade damals in seiner Macht sich fühlenden Reiches und die Fortschleppung des Volkes in ein fernes nördliches Land. Schon einmal hatte das Schicksal an die Tore gepocht, als die Aramäer von Damaskus mit aller Gewalt nach Westen drängten und Schlag auf Schlag gegen die Barriere führten, durch die sie vom Meere getrennt wurden. Diese Gefahr ging vorüber, Israel schien neu aufzuleben. Aber es war nur eine Atempause. Die Zeiten waren glänzend, aber sie waren nicht glücklich, es herrschte ein banges unheimliches Gefühl unter den Leuten. Der ewige Krieg hatte die Bevölkerung heruntergebracht; auch unter der Veränderung der Wirtschaft und des Besitzes, und unter der mangelhaften Rechtspflege, hatten die niederen Stände schwer zu leiden. Um so gefährlicher wurde der Schade Josephs, je weniger die berufenen Ärzte sich darum kümmerten. Indessen das war nicht der Grund, warum Amos das Ende Israels voraussah. Es war keine allgemeine Schwarzseherei, die ihn hinter der Heerde weg trieb; bestimmt genug drohte die Wolke, die er am Horizonte wahrnahm. Es waren die Assyrer. Schon früher hatten sie einmal die Richtung gegen Südwesten eingeschlagen, ohne damals den Israeliten eine Gefahr zu werden. Nachdem aber die Vormauer gegen sie, das Reich von Damaskus, in Verfall geraten war, eröffnete jetzt eine Bewegung, die sie in der Zeit Jerobeams II. gegen den Libanon zu unternahmen, den Israeliten die erschreckende Aussicht, über kurz oder lang den Anprall der unaufhaltsamen Lawine gewärtigen zu müssen. Was dann? Der gemeine Mann, nicht im Stande die Gefahr ganz zu würdigen, lebte des Glaubens, dass Jahve die Seinen nicht im Stiche lassen werde. In den höheren Kreisen trotzte man auf die kriegerische Macht Israels, wenn man sich nicht durch Berauschung der Sinne gegen das Nahen des Verhängnisses zu betäuben versuchte. Amos aber hörte die Frage laut und er wagte sie zu beantworten: das Ende ist gekommen, das Ende über mein Volk Israel. Es war eine Lästerung, das zu äussern, denn mit dem Volke stand und fiel auch Jahve. Aber das Unerhörteste folgt noch. Nicht Assur, sondern Jahve selber bewirkt den Untergang Israels; Jahve
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Siebentes
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triumphirt durch Assur über Israel. Ein widerspruchsvoller Gedanke — als ob Jahve sich den Boden unter den eigenen Füssen abgraben wollte! Bedeutete doch der Glaube an Jahve den Gott Israels, dass er seinem Volke beistehe gegen alle Feinde, gegen die ganze W e l t ; gerade in Zeiten der Gefahr war es Religion sich auf diesen Glauben zu steifen. Wol konnte Jahve sein Angesicht zeitweise verbergen, er machte nicht jeden Wochenschluss die Zeche; zuletzt aber erhob er sich doch immer gegen die widrigen Mächte 1 ). „Der Tag Jahves" war ein Gegenstand der Hoffnung in schwerer schwüler Zeit; es war selbstverständlich, dass das Gericht, oder wie wir sagen die Krisis, zu Gunsten Israels ausfallen werde. Arnos nahm die volkstümliche Vorstellung vom Tage Jahves auf, aber wie sehr veränderte er ihren Inhalt! „Wehe denen die den Tag Jahves herbeiwünschen! was soll euch der Tag Jahves? er ist Finsternis und kein Licht!" Seinen Gegensatz zum Volk hat der Prophet zugespitzt in einem Paradoxon, welches er als Thema dem Hauptteil seiner Schrift voranstellt. „Uns kennt Jahve allein", sagen die Israeliten, daraus folgernd, dass er auf ihrer Seite stehe und für sie eintreten müsse. „Euch kenne ich allein", lässt Arnos den Jahve sagen, „darum — s u c h e i c h an e u c h h e i m a l l e eure Sünden." Worauf beruhte die Beziehung Jahves zu Israel? Nach dem populären Glauben wesentlich darauf, dass Jahve nicht bei den fremden Völkern, sondern in Israel angebetet wurde, dass er hier seine Altäro und seine Wohnung hatte. Der Cultus war das Band zwischen ihm und seinem Volke; wenn man das Band fester anziehen wollte, so verdoppelte und verdreifachte man die heiligen Leistungen. Aber für Arnos ist Jahve kein Richter, der sich bestechen lässt; auf das zornigste eifert er gegen die Vorstellung, als sei es möglich durch Opfer und Gaben auf ihn einzuwirken. Darum weil Israel allein ihm gedient hat, legt er doch keine andere Richtschnur an dies Volk, als an alle anderen. Kennt er es am besten, so ist die Folge nicht, dass er um der guten Bekanntschaft willen ein Auge zudrückt und blindlings seine Partei ergreift. Jahve und Arnos kennen nicht zweierlei Maass, Recht ist überall Recht, Frevel immer Frevel, möge er auch an Israels grimmigsten Feinden begangen sein. Was Jahve fordert, ist Gerechtigkeit, nichts anderes; ') Vgl. Tabari 1, 2275 s.
Der Untergang Samariens.
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was er hasst, ist das Unrecht. Die Beleidigung der Gottheit, die Sünde, ist durchaus moralischer Natur. Mit so ungeheurem Nachdruck war das nie zuvor betont worden. Die Moral ist es, wodurch allein alle Dinge Bestand haben, das allein Wesenhafte in der Welt. Sie ist kein Postulat, keine Idee, sondern Notwendigkeit und Tatsache zugleich, die lebendigste persönliche Macht — Jahve der Gott der Mächte. Zornig, zerstörend macht sich die heilige Realität geltend; sie vernichtet allen Schein und alles Eitle. 2. Arnos war der Anfanger und der reinste Ausdruck einer neuen Phase der Prophetie. Der drohende Zusammenstoss Assurs mit Jahve und Israel, der Untergang Israels ist ihr Thema. Bis dahin bestanden in Palästina und Syrien eine Anzahl kleiner Völker und Reiche, die sich unter einander befehdeten und vertrugen, über ihre nächsten Nachbaren nicht hinausblickten und um das Draussen unbekümmert ein jedes sich um seine eigene Axe drehten — bis plötzlich die Assyrer diese Kreise störten. Wie Vogelnester nahmen sie die Völker aus, und wie man Eier sammelt, sammelten sie die Schätze der Welt, da half kein Flügelschlagen und Schnabelaufsperren und Gezirp. Sie zerrieben zuerst die Volksindividualitäten des Altertums, sie rissen die Zäune nieder, in denen dieselben ihre Sitte und ihren Glauben hegten, und leiteten so das Werk ein, welches nach ihnen Babylonier, Perser und Griechen fortsetzten und welches die Römer vollendeten. Sie führten einen neuen Faktor, den des Weltreiches oder allgemeiner den der Welt, in die Geschichto der Völker ein. Dem gegenüber verloren dieselben ihren geistigen Schwerpunkt, die rauhe Tatsache, vor die sie sich unversehens gestellt sahen, vernichtete ihre Illusionen, sie warfen ihre Götter in die Rumpelkammer, zu Ratten und zu Fledermäusen. Nur die israelitischen Propheten Hessen sich nicht von den Ereignissen überraschen und dann von der Verzweiflung aus allen Sinnen ängstigen, sie lösten zum voraus das furchtbare Problem, das die Geschichte stellte. Sie nahmen den Begriff der Welt, der die Religionen der Völker zerstörte, in die Religion, in das Wesen Jahves auf, ehe er noch recht in das profane Bewusstsein eingetreten war. Wo die Anderen den Zusammensturz des Heiligsten erblickten, da sahen sie den Triumph Jahves über den Schein und über den Wahnglauben. Was auch fallen mochte, das Wertvolle blieb bestehn. Die Gegenwart, die sie erlebten, wurde ihnen zum Mythus eines göttlichen Dramas, dem sie mit vorausempfindendem Ver-
110
Siebentes
Kapitel.
ständnis zuschauten. Überall die selben Gesetze, überall das gleiche Ziel der Entwicklung. Die Völker sind die agirenden Personen, Israel der Held, und Jahve der Poet der Tragödie. Die Propheten, deren Reihe Arnos eröffnet, wollen nichts Neues verkündigen, sie kennen keine andere Wahrheit als die ihnen innerhalb ihres Volkes überlieferte, das Produkt göttlicher Leitung und Weisung desselben. Das religiöse Subjekt ist auch noch ihnen nicht der Einzelne, sondern Israel, und wenngleich Jahve der Nation über den Kopf zu wachsen beginnt, so ist doch die gewaltig realistische Persönlichkeit von dem alten Volksgotte beibehalten. Sie gleichen den bisherigen Propheten nicht bloss in der allgemeinen Form ihres Auftretens und im Stil ihrer Rede, sondern auch darin, dass sie keine Prediger sind, sondern Seher wie jene. Nicht die Sünde des Volkes, an der es j a nie fehlt und derctwegen man in jedem Augenblick den Stab über dasselbe brechen kann, veranlasst sie zu reden, sondern der Umstand, dass Jahve etwas tun will, dass grosse Ereignisse bevorstehn. In ruhigen Zeiten, seien sie auch noch so sündig, verstummen sie, wie in der langen Periode des Königs Manasse, um sofort ihre Stimme zu erheben, wenn eine Bewegung eintritt. Sic erscheinen als Sturmboten, wenn ein geschichtliches Gewitter aufzieht; sie heissen Wächter, weil sie von hoher Zinne schauen und melden, wenn etwas Verdächtiges am Horizont sich sehen lässt. Bei alle dem unterscheiden sie sich doch beträchtlich von den alten Sehern. Von diesen verlangte man bestimmte praktischo Weisungen, und darum Kenntnis des Terrains, auf dem die Praxis sich bewegt, d. h. des Details der nächsten Zukunft. Die Propheten dagegen sehen in dem Weltlauf das Wirken der allgemeinen moralischen Gesetze, die allem Handeln die Schranken vorschreiben, in denen es sich halten muss, möge das Ziel sein wie es wolle. Sie gehn zwar durchaus von der Zeit aus, erheben sich aber zu ewig gütigen Gedanken, die sie darum auch durch die Schrift befestigen: sie wissen, dass sie nicht für die Gegenwart arbeiten. Die Ereignisse sind nur der Anlass, der den Fortschritt der Moral und der Gotteskenntnis bei ihnen entbindet. Sie exponiren „die Dialektik der Begebenheiten", sie vollziehen die durch den Zusammenstoss mit der Geschichte angeregte und erforderte Läuterung des Glaubens. Sie können es fassen, dass Jahve das von ihm gegründete Volk und Reich jetzt vernichte. Zu oberst ist er ihnen der Gott
Der Untergang Samariens.
111
der Gerechtigkeit, Gott Israels nur insofern als Israel seinen Ansprüchen genügt; sie kehren die hergebrachte Anordnung dieser beiden Fundamentalartikel des Glaubens um. Dadurch wird Jahve der Gefahr entzogen mit der Welt zu collidiren und an ihr zu scheitern, die Herrschaft des Rechts erstreckt sich gleichmässig über Israel und Assur. Dies ist der sogenannte ethische Monotheismus der Propheten; sie glauben an die sittliche Weltordnung, an die ausnahmslose Geltung der Gerechtigkeit als obersten Gesetzes für die ganze Welt. Von da aus scheint nun die Prärogative Israels hinfällig zu werden, und Arnos, der das Neue am schroffsten und rücksichtslosesten ausspricht, streift bisweilen hart daran sie zu bestreiten. Er nennt Jahve, vielleicht mit einem neu geschaffenen Ausdrucke, den Gott der Mächte d. h. der Welt; höchst auffälliger Weise nennt er ihn nie den Gott Israels. Gr macht aus dem Bestehn des Volkes keinen Glaubenssatz, j a er wagt es zu sagen: seid ihr Kinder Israels mir nicht wie die Mohren, spricht Jahve; habe ich nicht Israel aus Ägyptenland geführt und die Philister aus Kaphthor und die Syrer aus KirP Indessen das besondere Verhältnis Jahves zu Israel war doch wirklich da; die praktische Wahrheit, die sich jetzt hoch über Israel erhob, war doch innerhalb Israels entstanden und noch immer nur dort zu finden, und die Propheten waren die letzten es zu leugnen. Sie machten das Verhältnis nur aus einem natürlichen und notwendigen zu einem bedingten. Der Vorzug Israels besteht darin, dass Jahve sich diesem Volke und keinem anderen durch Tat und Wort offenbart hat — das ist aber ein Vorzug, der eine grosse Verantwortung einschliesst und eine schwere Pflicht auflegt. Denn Jahve stellt nun auch die vollen Anforderungen seiner Gerechtigkeit eben an Israel, weil es sein Volk ist und seinen Willen weiss. So praktisch wird sofort der Monotheismus der Moral gewandt, er wird durchaus nicht zu einer theoretischen Correctur des hergebrachten Gottesbegriffs benutzt: die musste sich stillschweigend von selber vollziehen. „Hört Jahves Wort, ihr Sodomsrichter, vernimm die Weisung unseres Gottes, du Gomorrhavolk! Wozu mir eure vielen Opfer, spricht Jahve; ich bin der verbrannten Widder und des Fettes der Mastkälber satt, und das Blut von Rindern und Schafen mag ich nicht. Meine Seele hasst eure Neumonde und Feste, sie sind mir eine Last, ich bin es miide sie zu tragen. Und wenn ihr
112
Siebentes
Kapitel.
eure offenen Hände ausstreckt, so verhülle ich mein Gesicht vor euch; ich höre nicht, weon ihr gleich des Betens viel macht: eure Hände sind voll Blut! Waschet, reiniget euch, schafft euren bösen Wandel mir aus den Augen, lasst ab vom Bösen, lernet Gutes tun! trachtet dem Rechte nach, weiset den Gewalttätigen in die Bahn, schafft der Waise Recht, führt die Sache der Witwe! Glaubt ihr euch ungerecht von mir behandelt? Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, sollen sie dann für weiss gelten wie Schnee? wenn sie sich röten wie Purpur, sollen sie dann wie Wolle sein? Wenn ihr folgt und gehorsam seid, so werdet ihr das Gute des Landes geniessen; wenn ihr euch aber weigert und widerstrebt, so kriegt ihr das Schwert zu fressen, denn der Mund Jahves sagt es." Dies Programm kündet nicht Vergebung der Sünden, sondern einzig und allein gerechte Vergeltung an. Mit dem grössten Nachdruck betonen die Propheten die Bedingtheit des Verhältnisses zwischen Jahve und Israel, mit anderen Worteu die Forderungen, die Israel erfüllen muss, um das Volk Jahves zu sein und zu bleiben. Sie rücken den Begriff — noch nicht den Namen — des Gesetzes in die Mitte und machen ihn zum Fundament der Religion. Was den Inhalt ihrer Gerechtigkeit betrifft, so ist nicht die individuelle, sondern die sociale gemeint. Sie fordern nicht sowol ein reines Herz als gerechte Institutionen; sie haben weniger den Einzelnen, als das Gemeinwesen und die Gesellschaft im Auge, sie zeigen dabei eine bemerkenswerte Sympathie für die niederen und rechtlosen Stände, welche sogar dauernd auf den religiösen Sprachgebrauch eingewirkt hat. Besonders beflissen sind sie zu sagen, worin die Gerechtigkeit nicht bestehe. Die negative Consequenz ihres ethischen Monotheismus ist ihre Polemik gegen den Cultus, sofern nämlich der Cultus ein Versuch ist, den allgemeinen Bedingungen der Gerechtigkeit zu entgehn und eine Ausnahmestellung zur Gottheit zu erlangen, damit sie von ihrer Strenge zu Gunsten der Opfernden absehe. Indessen nicht bloss so principiell widersprach der damalige Cultus der Alleinherrschaft der Moral, er schlug ihr auch recht grob und äusserlich ins Gesicht. Es ging in Saus und Braus her bei den Opferstätten, durch Schlemmen und Saufen und schlimmere Greuel wurde der heilige Name Jahves entweiht. Die Propheten Hessen das gar nicht als Jahvedienst, was es sein sollte, gelten, sondern sahen es als Baalsdienst a n , was es auch ohne Zweifel ursprünglich gewesen war. Sie eröffneten mit aller Macht
Der Untergang Samariens.
113
den Kampf gegen das Heidentum in Israel, gegen Alles was in der Religion der Moral, der Idee des heiligen und gerechten Gottes, widersprach, und sie schritten in diesem Kampfe von einer Stufe zur anderen fort. Den Propheten ist an der Hand der Weltgeschichte der furchtbare Ernst der Gerechtigkeit Jahves aufgegangen, sie sind die Begründer der Religion des Gesetzes, nicht die Vorläufer des Evangeliums. In den messianischen Weissagungen besteht ihre Bedeutung nicht; eher darin dass sie die Heilsverkündigung der patriotischen Seher, die auch zu ihrer Zeit noch die Mehrheit bildeten, als Lüge und Verblendung bekämpfen. Optimisten sind allerdings auch sie und zwar von der kühnsten Art; nemlich in dem Sinn, dass sie auf das festeste von dem endlichen Triumph des Rechts und der Gerechtigkeit auf Erden überzeugt sind. Es kommt ihnen nie der geringste Zweifel an Jahve, sie sind seiner so gewiss wie ihrer eigenen Seele. Ihre Gottesgewissheit ist hinreissend und höher als alle Vernunft. Aber der Glaube, dass die Geschichte das Weltgericht und dass die historische Notwendigkeit göttliche Gerechtigkeit sei, war unter den damaligen Umständen kein Trost, am wenigsten für den Einzelnen. Die Geschichte rechnet nicht mit gutem Willen, überhaupt nicht mit Personen, sondern mit Taten, sie beschränkt die Wirkungen der Tat nicht auf den Täter, sie straft Torheit und Schwäche härter als Sünde, sie macht keine Handlung ungeschehen und nimmt nicht Rücksicht auf die veränderte Gesinnung des Herzens — kurz die Geschichte, in ihrer Wirkung auf den Einzelnen, ist Tragödie, und keine Tragödie hat einen befriedigenden Schluss. Die Position der Propheten musste dazu führen, über das Volk und über die Welt hinauszugehn. 3. Arnos' nächster Nachfolger, an seine Wirksamkeit anknüpfend, war Hosea ben Beeri, ein Israelit. In seinen frühesten Weissagungen verkündete er ebenso wie Arnos den Untergang des Reiches und Volkes Israel als gleichzeitig mit dem Sturz des Hauses Jehu. Als Schuld und Ursach gab er die Bluttat von Jezreel an, die Ausmordung des Hauses Ahab durch Jehu. Jehu hatte nun aber nach dem Worte Jahves gehandelt; wenn Hosea seine Tat verurteilte, so verurteilte er zugleich ihre Anstifter, die Propheten. In Jezreel soll das Blut Naboths an Ahab heimgesucht werden, hatte Elias gesagt; Elisa und Jehu hatten das Urteil vollstreckt so wie sie es verstanden. Hundert Jahre später setzte Hosea, mit beW e i l h a u s c n , I i r . Geschichte.
3. Aufl.
8
114
Siebentes
wusster Anknüpfung,
die Kette
Kapitel.
in seiner Weise
fort:
in Jezreel
ist die B l u t t a t J e h u s begangen, in Jezreel soll sie an J e h u s Hause und an Israel gerochen werden.
Die Prophetie war fortgeschritten,
sie war menschlicher und unparteiischer geworden. Indessen fiel die Dynastie des Jehu nicht, wie Arnos und Hosea erwarteten, durch die Assyrer, und Israel überlebte ihren Sturz noch
um zwei Jahrzehende.
frist.
Es war eine unglückselige Henkers-
Nach Jerobeams II. Tode brachen wilde Parteikämpfe aus;
es war als h ä t t e die äussere Gefahr für den Bestand
des Reiches,
die j e t z t
alle
Bande
mit Händen
aufgelöst.
zu greifen war,
Keiner
der
auf-
zum voraus
und
hatte Macht, keiner schaffte Ordnung.
inneren
untertauchenden
Sie suchten Halt
Könige bei
Assyrern, die an der nördlichen Grenze des Landes standen,
den dann
auch wieder bei den Ägyptern, den Antagonisten der Assyrer, und vermehrten
dadurch
nur
die Schwierigkeit
der
Zeit fielen die späteren Weissagungen Hoseas: damals
schon
ihre Tatze
auf das Land
Lage.
In
diese
die Assyrer hatten
gelegt,
aber noch nicht
individuellste
aller Propheten,
grösste Gegensatz
zu seinem Vor-
ihre Krallen gezeigt. Hosea i s t , und
in
mit J e r e m i a s ,
dieser Beziehung
gänger.
der
der
E r wird nicht wie j e n e r hinter
der Heerde weg gerufen,
um eine Botschaft Jahves auszurichten und wieder zur Heerde zuziickzukehren, nachdem
er
seine Pflicht getan;
Leben verwächst mit der Prophetie. gebrochen, und er liebt sie doch.
sein
persönliches
Sein W e i b h a t ihm die Ehe Schwermütig
über
sein
häus-
liches Unglück ist er zugleich erfüllt von Schmerz über die allgemeine Not und Verderbtheit seines Volkes.
Da schiessen die beiden
Gedanken zusammen, er sieht die Ähnlichkeit zwischen dem Kleinen und dem Grossen,
im
einen
das Bild des anderen: als Vertreter
Jahves, als Prophet, als den er sich nunmehr erkennt, hat er tun müssen
was
er getan, erleben müssen, was er erlebt hat.
Sowie
sein W e i b ihm untreu ist, so hurt auch Israel ab von seinem Gotte; so
wie
er
die E h e
schickt,
so
löst J a h v e
löst,
indem
er
die Frau aus seinem Hause
sein Verhältnis
zur Nation,
indem er sie
aus seinem Lande treibt; aber so wie er sein W e i b dennoch liebt, so
kann
punkt
auch J a h v e
von Israel
der Prophetie Hoseas
zeichnend.
W e n n aus Arnos
nicht lassen.
ist für
Dieser
Ausgangs-
die ganze A r t derselben be-
die göttliche Notwendigkeit wie mit
ihrer eigenen S t i m m e redet, so durchdringt Hosea das W o r t J a h v e s
115
Der Untergang Samariens.
vollständig mit seiner menschlichen Empfindung. Seine Weissagungen fallen auch äusserlich aus dem prophetischen Stile heraus, es sind beinahe Monologe einer durch eigenes Leid und starkes Gemeingefühl tief aufgeregten Seele. Hosea eifert besonders gegen zwei Grundübel, an denen Israel kranke. Ginmal gegen den Cultus, nicht bloss gegen seine falsche Wertschätzung, als sei der Gottheit an Opfern gelegen, sondern mehr noch gegen seine verkehrte kanaanitische Art, gegen die Bilder, gegen das Fressen und Saufen und vor allem gegen die Unzucht dabei. Er ist ihm schlechtweg Hurerei, eine Hurerei, die wenn sie auch zu Jahves Ehre geschieht, doch in sich selbst ein Abfall von ihm ist. Das ist kein Jahvedienst, es ist weiter nichts als Dienst der ßaale, der vorisraelitischen Ortsgottheiten. Den Baalen werden die Neumonde und Sabbathe gefeiert, ihnen wird an den Jahresfesten der Dank für die Gaben des Landes dargebracht, ihnen mag die lärmende Ausgelassenheit, die tolle rauschende Lust anstehn. Und den so gearteten Gottesdienst leiten die israelitischen Priester, die Diener Jahves! Statt ihrem Berufe gemäss das Volk von seiner Unkenntnis des wahren Wesens Jahves zu heilen, belassen sie es vielmehr bei dem Wahn, er habe Wolgefallen an dieser Art der Verehrung; denn sie haben Vorteil davon, sie nähren sich von der Sünde des Volkes. Der zweite offene Schade, in den Hosea die Sonde legt, ist politischer Art. Arnos redet nicht von Politik, unter Jerobeam II. war kein dringender Anlass dazu. Hosea aber hatte die völlige Zersetzung des Reiches vor Augen, das beständige Salben und Stürzen von Königen und Regenten, die innere Haltlosigkeit aller Regierungen und ihr unsicheres Schwanken zwischen der Anlehnung bald an diese bald jene Grossmacht. Er wollte überhaupt nichts mehr wissen „von König und Obersten". Das auf Offiziere und Beamte gestützte Königtum hatte in der Tat die alte Ordnung, nach Stämmen Geschlechtern und Sippen, an deren Spitze ihre geborenen Vertreter standen, weder überwunden noch ersetzt; es hatte zu einem unheilvollen Zwischenzustand geführt, nicht zu einer Organisation des Ganzen, sondern zu einer losen und willkürlichen Herrschaft des Heeres, des Hofes und der Hauptstadt über das Land. Der Thron ward als ein Raub angesehen; wer sich Manns genug fühlte und Helfershelfer hatte, griff darnach. Diese Schwäche des revolutionären Königtums betrachtet Hosea als einen der Institution an sich 8»
116
Siebeutes
Kapitel.
selber anhaftenden Mangel, es schien ihm
durch das traurige Er-
gebnis verurteilt auf das es ausgelaufen war, als Schirm und Hort von OrdnuDg
es
und Recht
als Quell einer beinah permanenten Anarchie.
hatte
sich
erwiesen,
nicht
sondern
Man sieht, aus der
Menge seiner Anspielungen auf uns unbekannte Einzelheiten, viel tiefer er in dem Hexenkessel steckt gänger.
Er
zeigt
sich
auch
zürnt und Ilosea schaudert. bringt er es nicht über zu sprechen.
weit
als
mehr
wie
sein judäischer Vor-
afficirt als j e n e r , Arnos
Trotzdem, oder auch gerade deswegen,
das Herz,
Israel
einfach
das Todesurteil
Der gänzliche Untergang Israels ist ihm ein undenk-
barer Gedanke, J a h v e kann von der Liebe zu seinem Volke nicht lassen, und wenn er es j e t z t aus seinem Lande verbannt, schieht
das
heimführe
nur, und
damit
das
ewig anknüpfe.
so
zeitweilig
unterbrochene Verhältnis
neu
Die Hoffnung hat den Hosea betrogen.
noch
umsonst,
es
für
Es ist anders gekommen, Israel verschwand spur-
los vom Erdboden. war
ge-
es sich bekehre und er es dann wieder
nicht
dass
Den-
er den Glauben an die Liebe
J a h v e s fest hielt. 4 . In den Propheten Arnos und Hosea, die uns einen Einblick in die Stimmung des untergehenden Volkes gewähren, wie wir ihn aus
den
genauesten
Urkunden
nicht
zu
gewinnen
vermöchten,
müssen wir einen Ersatz dafür suchen, dass wir über die äusseren Ereignisse dieser letzten betrübten Zeiten gewöhnlich unterrichtet sind.
noch ungenügender
J e r o b e a m I I . muss bald
Mitte des achten Jahrhunderts gestorben sein. wurde
nach
kurzer Regierung
durch Sallum
nach
als der
Sein Sohn Zacharia ben J a b e s
gestürzt.
Dieser aber konnte sich auch nicht halten, ein grausamer Bürgerkrieg brach aus, aus dem Menahem ben Gadi als Sieger und König hervorging. haben.
E r muss den Thron etwa um das J a h r 7 4 5 bestiegen
Damals kam Phul, der König von Assyrien ins Land, und
Menahem gab dem Phul tausend Talente Silbers,
dass
er es mit
ihm hielte und ihm das Königreich bekräftigte, und legte das Geld den Vermögenden in Israel jeglichen Mann.
auf,
ein sechzigstel T a l e n t auf einen
Darnach erkaufte sich also Menahem, zum Schutz
gegen innere und vielleicht auch gegen äussere Angriffe auf seine Regierung,
die Hilfe
des Königs Thiglathpileser,
welcher
damals
der assyrischen Eroberung in diesen Gegenden einen neuen Schwung gab.
Später scheint er aber auch,
schliessen,
mit
den Ägyptern
nach Hoseas Andeutungen
geliebäugelt
zu
zu haben, denen man
Der Untergang Samariens.
117
sich immer iu die Arme warf, wenn man die Assyrer satt hatte und von ihnen los zu kommen wünschte. Denn den Ägyptern lag natürlich sehr d a r a n , Palästina, den Schlüssel ihres Landes, nicht in die Hand der Assyrer fallen zu lassen. Menahem war der letzte König, der die Regierung auf seinen Sohn vererbte. Sein Sohn Pekahia trug indessen die Krone nicht lange, da erschlug ihn der Gileadit Pekah ben Remalia, sein A d j u t a n t , und wurde König an seiner statt ( ± 735). Von ihm erfahren wir mehr wie sonst, weil er in Berührung mit J u d a k a m . Er verbündete sich mit Reson von Damaskus zu einem Feldzuge gegen J e r u s a l e m , um den dort eben auf den Thron gelangten König Ahaz ben Jotham zu stürzen und einen syrischen Vasallen an seine Stelle zu setzen. Ahaz parirte aber den Streich, indem er sich dem Assyrer in die Arme warf, den vielleicht die Allianz zwischen A r a m und Israel so wie so zum Einschreiten veranlasst haben würde. Thiglathpilescr erschien 734 zuerst an der Seeküste Palästinas und hausete dann in diesem oder dem folgenden J a h r e im Reich der zehn Stämme. Nachdem er Galiläa uud Gilead heimgesucht und die Bevölkerung dieser Grenzlande fortgeschleppt h a t t e , schloss man in der Hauptstadt Samarien dadurch Frieden, dass man ihm den Kopf des Königs Pekah und einen ansehnlichen T r i b u t zu Füssen legte. S t a t t Pekahs wurde dessen Mörder Hosea ben Ela auf den T h r o n erhoben und von dem Assyrer als Herrscher über das freilich sehr geschwächte und beschnittene Reich Samarien anerkannt. Etwa ein Jahrzehend hielt sich dieser still und entrichtete pflichtmässig seine Schätzung. Als aber nach Thiglathpilesers Tode die tyrisch- palästinischen Reiche überall sich gegen das Joch erhobeu, wurde auch Samarien von dem Taumel des patriotischen Fanatismus ergriffen. Im Vertrauen auf die Hülfe Seves, des äthiopischen Oberkönigs von Ägypten, wagte Hosea den Abfall von Assur. Aber die Ägypter Hessen ihn im Stich, als Salmanassar, der Nachfolger Thiglathpilesers, mit Heeresmacht in sein Land einbrach. Noch vor dem Fall Samariens k a m Hosea iu die Gewalt des Assyrers. Die Hauptstadt leistete drei J a h r e lang verzweifelten Widerstand, erst der Nachfolger Salmanassars, Sargon, vermochte es sie zu bewingen (721). Darnach ergriff er die beliebte assyrische Maassrcgel, um ein Land zu pacificiren, er führte die Elite der Bevölkerung fort und siedelte sie fern von
118
Achtes
Kapitel.
der alten Heimat a n ' ) . In ihren neuen Wohnsitzeu verloren sich die exilirten Israeliten spurlos unter den Heiden. Für den damaligen S t a n d und die spätere Fortentwicklung der Religion ist diese Tatsache sehr bezeichnend, wenn man dagegen hält, dass die J u däer, die noch eine hundertjährige Frist hatten, ihren Glauben im babylonischen Exil festhielten und sich selber dadurch unter allen Umständen behaupteten. Es lag an den Propheten, wenn der Untergang Samariens die Religion Jahves nicht schädigte, sondern befestigte. Sie empfanden ihn auf Grund der Religion als notwendig voraus, sie retteten den Glauben, indem sie die Illusion zerstörten, sie verewigten auch Israel dadurch, dass sie Jahve nicht mit in den Sturz des Volkes verwickelten. Es war aber ein Glück, dass dioser Sturz nicht zu früh und dass er nicht auf einmal eintrat, dass der Abbruch des Volkes, des Reiches und des Cultus langsam und allmählich vor sich ging.
Achtes
Kapitel.
Die R e t t u n g
Judas.
1. Iiis dahin hatte J u d a im Hintergründe gestanden. Die politische Geschichte des kleinen Reiches war fast ausschliesslich durch sein Verhältnis zu Israel bestimmt. Rehabeam Abiam und Asa führten Krieg mit Jerobeam und Baesa ihr Leben lang. Die ursprüngliche Feindschaft ging unter der Dynastie Omri in enge, vielleicht nicht gauz freiwillige Freundschaft über. J u d a befand sich vollständig im Schlepptau des mächtigeren Nachbarstaates und scheint sogar Heeresfolge geleistet zu haben. Josaphat zog mit ') In Assyrien, genauer in Chalach, am Chabor dem F l u s s e ( i o z a n s , und in den Städten Mediens (2 R e g . 1 8 , 1 1 . 17, G). Die S t ä d t e Mediens OHC n j ? ) möchten eher die B e r g e von Minni ( i j q s e i n : Chalach, als Kalachene g e f a s s t (Schräder K A T J p . 275), w ürde dazu stimmen. Aber der Chabor, der F l u s s ( i o z a n s , führt in eine ganz andere Gegend. Thenius will, zufolge der L e s a r t der Septuaginta (Chalach und Chabor, d i e F l ü s s e Gozans), aus Chalach den Belichus machen, unter Annahme eines alten Schreibfehlers. Damit wird a b e r die Schwierigkeit doch nicht beseitigt, d a s s die aufgezählten L a n d schaften weit von eiuander entlegen sind. E s ist möglich, d a s s auch in n J I C V I (Arnos 4, 3) i j q i " i n steckt, wenngleich Arnos selber nicht so geschrieben haben kanu.
Die Rettung Judas.
119
Ahab gegen A r a m zu Feld und mit dessen Sohne gegen Moab, an dem von ihm beabsichtigten Ophirhandel sich zu beteiligen gestattete er allerdings dem Bundesgenossen nicht. Der Sturz des Hauses Omri wurde auch für J u d a verhängnisvoll; Jehu mordete den König Ahazia ben Josaphat, der in Jezreel bei dem verwundeten J o r a m einen Krankenbesuch abstattete, und im Voriibergehn noch zweiundvierzig andere Davididen, die ihm in die Hände fielen. W a s er aber vom Hause Davids übrig gelassen hatte, wol zumeist unmündige Kinder, mordete die Regentin Athalia, die Tochter Ahabs und W i t w e Ahazias, man weiss nicht aus welchen Gründen. N u r ein kleiner Knabe, Joas, wurde vor ihrer W u t geborgen und nach sechs J a h r e n , durch eine glückliche Verschwörung des obersten Priesters mit den Führern der T r a b a n t e n , wieder auf den Thron seiner Väter gesetzt. Damals dehnten die Aramäer ihre Einfälle über Philisthäa und J u d a aus, Joas erkaufte ihren Abzug von J e rusalem mit den Schätzen des Tempels. Vielleicht war es diese Schmach, welche er mit dem Tode bezahlte; ebenso wie sein Nachfolger Amasia vielleicht deshalb unter Mörderhänden fiel, weil er, durch einen Erfolg gegen die Edomiter übermütig geworden, einen leichtsinnigen Krieg gegen Israel unternahm und darin schimpflich unterlag. Als sich Israel nach glücklicher Beendigung der Aramäerkriege neu zu erholen begann, erlebte auch J u d a seine Blütezeit; was Jerobeam II. für das nördliche Reich war, war Uzzia f ü r das südliche. Er scheint Edom, die einzige von David eroberte Proviuz, die in den Machtbereich J u d a s fiel, für längere Zeit festgehalten und vom Hafen Ala aus den Handel Salomos wieder aufgenommen zu haben. Seine lange Regierung wurde n u r dadurch getrübt, dass er in seinen alten Tagen am Aussatz erkrankte und die Geschäfte seinem Sohne Jotham übergeben musste. J o t h a m aber scheint gleichzeitig mit seinem Vater gestorben und dann Ahaz ben Jotham gefolgt zu sein, in einem noch sehr jugendlichen Alter. Konnte J u d a sich an politischer uud überhaupt an geschichtlicher Bedeutung mit Israel nicht messen, so hatte es doch auch manchen Vorteil vor dem grösseren Reiche voraus. Vor äusseren Feinden war es weit mehr gesichert, denn die Ägypter waren in der Regel ungefährliche Nachbaren. Der Hauptsegen war die feste Dynastie, wobei man es freilich in den Kauf nehmen musste, dass unbedeutende Persönlichkeiten und selbst Kinder auf den Thron
120
Achtes
kamen.
David hatte J u d a
Kapitel.
und Jerusalem
zu historischer Bedeu-
tung erhoben, sein Haus verwuchs aufs innigste mit Stadt und Land, ja
mit
der Religion.
Zweimal
kam es vor,
König von Untergebenen ermordet wurde, ereignete
sich
das Unerhörte,
dass
in
ein judäischer
beiden Fällen
aber
dass „das Volk des Landes" gegen
die Mörder sich erhob und wieder einen Davididen auf den Thron setzte.
Die einzige wirkliche Revolution,
war gegen
Athalia gerichtet
die
und
von der berichtet wird,
hatte
rechtmässigen Thronerben zum Zweck.
die
Einsetzung
des
Die judäische Aristokratie
scheint das Königtum weniger beengt zu haben als die israelitische. Die Davididen stützten sich auf eine Leibwache,
die aus fremden
Söldnern bestand, und setzten öfters Ausländer,
sogar Mamluken,
in hohe A m t e r ,
sowie
gemacht hatte.
Unter dem Schutz des Königtums gewannen auch
auch David,
im Unterschied
von S a u l , es
die übrigen Institutionen eine ganz andere Legitimität als in Israel, wo
alles
auf die Individuen ankam
wieder in Frage gestellt wurden. regend,
aber
solider
und die Institutionen
Nicht
gestaltete
sich
so
dramatisch
das Leben
immer
und
auf-
in Juda.
Dazu
mochte auch die grössere Abgeschlossenheit des kleinen Landes, der nähere Zusammenhang mit der Wüste, und die dadurch
bedingten
primitiveren Verhältnisse beitragen. Freilich in der Hauptstadt waren
die Verhältnisse
nicht
pri-
mitiv, und die Hauptstadt überwog an Bedeutung das Land. Könige
sorgten
für
machte
sich
dieser Hinsicht
in
ihren Ausbau,
besonders
verdient.
Die
Uizkia
ben
Ahaz
allem
lag
ihnen
Vor
der Tempel am Herzen, der nicht bloss Hof-, sondern auch Reichstempel war und früh sehr grosse Anziehungskraft Volk
ausübte.
mässig
Sie
gestalteten
täglichen Betrieb
sie bezahltun,
führten ein und schafften ab
auf
das
ganze
den Cultus daselbst, dessen regel-
was
nach
ihrem
Geschmack,
sie wollten, und verfügten auch
über den heiligen Schatz nach Belieben.
Wenngleich die Priester
verhältnismässig grosse Macht
die Verschwörung
Athalia
ging
nicht
Priester
aus — ,
so
von
hatten —
einem
Propheten,
') S i e
hatten
wol
die O r d n u n g
richten,
sondern
von
gegen einem
waren sie trotzdem Untergebene des Königs
und handelten nach dessen B e f e h l e n 1 ) .
gegen
sondern
die P o l i z e i
verging,
in
Dass
der Jahvedienst
im T e m p e l und durften
den S t o c k
setzen,
m u s s t e n ihn vor dem o r d e n t l i c h e n G e r i c h t
l e r n t man aus d e r L e b e n s g e s c h i c h t e
Jeremias.
einen,
konnten
der
zu sich
ihn a b e r nicht verklagen.
Das
Di« Rettung Judas.
121
Jerusalem sich stets reiner gehalten habe als der zu Bethel oder zu Samarien, ist eine Behauptung, die mit mehr als einer sicher bezeugten Tatsache in Widerspruch steht. Ein wesentlicher Unterschied bestand in dieser Hinsicht nicht zwischen Israel und Juda. Erst von Israel aus übertrug sich die Reaction gegen den Baaldienst auch auf Juda, Israel hatte überhaupt die Initiative. Dort machte man die Experimente, und in Jerusalem zog man die Lehre daraus. Welch inniger Anteil sogar in einer kleinen judäischen Landstadt an der Geschichte des Hauptreiches genommen wurde, lehrt das Boispiel des Amos von Thekoa. 2. In dem Grade, wie Israel nach dem Tode Jerobeams II. verfiel, wuchs die Bedeutung Judas; es bereitete sich vor auf die Erbschaft. Der Mann, der den Übergang der Geschichte von Israel auf Juda vermittelte und dem letzteren Reich noch eine Frist bewirkte, welche für die Befestigung der Religion von segensreichster Folge war, war der Prophet Jesaias. Er unterscheidet sich von Amos und auch von Hosea dadurch, dass er nicht wie jene der Regierung ferne stand, sondern dicht am Steuerruder sass und den Curs des Schiffes wesentlich mit bestimmte. Er hatte grossen Einlluss und er gebrauchte ihn. Die Geschichte seiner Wirksamkeit ist zugleich die Geschichte Judas in jener Periode. Seines Berufes wurde Jesaias inne durch eine Vision im Todesjahr des Königs Uzzia, seine ältesten Reden stammen aus dem Anfang der Regierung des Ahaz. Er schaut in ihnen den nahen Untergang Samariens und droht auch Juda seinen Teil von der Strafe. Er bewegt sich dabei ganz in den Bahnen des Amos und hält sich noch ziemlich im Allgemeinen. Bestimmt und praktisch aber griff er ein bei Gelegenheit des Feldzuges der Aramäer und Israeliten gegen Jerusalem. Noch in der letzten Stunde versuchte er den König Ahaz davon abzuhalten, dass er die Assyrer zu Hilfe rufe; er versicherte ihn des Beistandes Jahves und bot ihm zur Bürgschaft dafür ein Zeichen an. Da Ahaz es ablehnte, hatte er den Beweis in Händen, dass es zu spät und das Kommen der Assyrer unabwendlich sei. Die augenblickliche Gefahr, sagte er nun, werde allerdings dadurch beseitigt, aber eine viel grössere heraufbeschworen. Denn dem Vordringen der Assyrer würden sich die Ägypter entgegenstellen und Juda als der Kriegsschauplatz vollkommen verwüstet werden: nur ein kleiner Rest solle bleiben als Grundlage einer besseren Zukunft.
122
Achtes
Kapitel.
Die Folgen der Politik des Königs erwiesen sich jedoch nicht so schlimm. Die Ägypter Hessen die Assyrer ruhig gewähren und rührten sich nicht, um Samarien und Damaskus beizustehn. Juda wurde zwar ein assyrischer Tributärstaat, erlebte aber dabei, während der Regierung des Königs Ahaz und in den eisten zehn Jahren seines Nachfolgers Hizkia, ganz leidliche Zeiten. Das war vorzugsweise Jesaias Verdienst. Von der Beteiligung an der hohen Politik suchte er das kleine Land auf alle Weise abzudrängen, damit es sich um so ernsthafter den notwendigen internen Aufgabeu zuwende. Der schlimme Erfolg aller Erhebungsversuche bestätigte ihm den Glauben, dass Assur die von Jahve geschwungene Zuchtrute der Völker sei, unter deren eisernes Regiment sie sich zu beugen hätten. Es gelang ihm wirklich in Jerusalem den Frieden zu erhalten, wenn ringsum in den kleinen Nachbarreichen der Sturm gegen die Unterdrücker tobte. Dreissig Jahre dauerte für Juda diese merkwürdige Friedensperiode inmitten des allgemeinen Krieges. Da fiel, im Jahre 705, der gewaltige König Saigon von Assur durch Mörderhand; es regte sich unter den Völkern. Der Babylonier Mardochbaladan benutzte den Regierungswechsel zu einem Aufstande, durch eine Gesandtschaft redete er auch dem Hizkia zu, das Joch jetzt abzuwerfen. Diesem schien in der Tat die Gelegenheit günstig, sich unabhängig zu machen, er trat an die Spitze einer kleinen Ooalition, zu der besonders einige philisthäische Städte gehörten, und wagte den Abfall. Dadurch dass Saigons Nachfolger, Senaherib, zunächst in Babylonien beschäftigt war, gewann man in Palästina Zeit; durch die Bewältigung des babylonischen Aufstandes aber Hess mau sich nicht irre machen. Für allo Fälle wurden Verhandlungen mit den Ägyptern angeknüpft, um sich ihres Beistandes in der Not zu versichern. 3. Diese Zeit ist die Glanzzeit Jesaias, obwol er damals schon ein bejahrter Mann war. Die Vorbereitungen zum Aufstande, die Unterhandlungen mit Ägypten waren ihm verheimlicht, ein Zeichen, wie man am Hofe ihn fürchtete. Als er davon erfuhr, musste er den Dingen ihren Lauf lassen. Aber seinem Zorne konnte er Luft machen, und er tat es in einer drastischen Rede, die er im Vorhof des Tempels hielt, nach einem grossen Opfergelage, bei dem man sich, wie es scheint, zu der bevorstehenden Action Mut getrunken hatte. Das Land bedürfe der Ruhe und des
Die Rettung Judas.
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Friedens, statt dessen werde es nun von dem t r u n k e n e n Leichtsinn seiner weltlichen und geistlichen Führer in das Verderben gehetzt. Ein auf Lüge und Verblendung gegründeter Trotz verstocke sich gegen das W o r t Jahves, doch werde er der W a h r h e i t durch den Zwang der Not schon Geltung verschaffen. W e r auf seine vernünftige Sprache nicht höre, zu dem werde er auf assyrisch reden, dass ihm Hören und Sehen vergehe. Nicht minder e m p ö r t , wie über die Torheit des Königs und seiner weisen Räte und über den Fanatismus der Priester und Propheten, zeigt sich Jesaias über den Gleichmut und den Stumpfsinn der ihn ob seiner aufgeregten Rede verwundert anstarrenden Menge. Der Ernst der Zeit reisse sie aus der Alltäglichkeit nicht heraus, das lebendige T u n J a h v e s sei ihnen ein versiegeltes Buch, ihre Frömmigkeit bestehe lediglich in der angewöhnten Menschensatzung. Inzwischen rückte Senaherib an der Spitze eines grossen Heeres von der phönicischen Küste her gegen Philisthäa und J u d a vor (701). Nachdem er Askalon bezwungen, wandte er sich gegen Akkaron und belagerte die Stadt. Das zu ihrem Entsatzo abgesandte ägyptisch-äthiopische Heer wurde bei Eltheke geschlagen, Akkaron fiel und ward grausam bestraft. Gleichzeitig wurden in J u d a mehrere Festungen bezwungen u n d das platte Land gründlich verwüstet. Hizkia geriet in Angst und bot erschrocken dem Assyrer seine Unterwerfung an. Sie w u r d e angenommen, er musste eine hohe Strafe bezahlen, durfte aber Jerusalem behalten. Er schien mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein. Nachdem er die Bahn frei hatte, drang Senaherib weiter nach Süden vor; denn die Ägypter sammelten ihre Macht gegen ihn. J e näher er an den Feind kam, um so bedenklicher musste es ihm vorkommen, eine Festung wie Jerusalem in der Hand eines Vasallen hinter sich zurückzulassen, der wie es scheint sich trotz dem kaum abgeschlossenen Vertrage sofort wieder untreu oder mindestens zweifelhaft erwies. Er forderte nun doch die Auslieferung der Stadt und glaubte sie aus der Ferne, durch blosse Drohungen, erreichen zu können. Er wäre d a m i t vielleicht zum Ziele gekommen, den König und seine Umgebung taxirte er richtig genug, es herrschte die grösste Mutlosigkeit in Jerusalem. Aber es gab einen Mann, der sich nicht einschüchtern liess. Das war der unbequeme Schulmeister, von dem m a n sich nicht wie Kind hatte behandeln lassen wolleu und zu dem man nun doch demütig zurück-
Achtes
124 kehren musste. sich jetzt
Kapitel.
So wenig wie früher von dem Trotze, liess J e s a i a s
von
dem Verzagen anstecken.
Er sprach dem Könige
Hizkia im Namen J a h v e s Mut ein und bcwog ihn die Stadt nicht zu
übergeben.
Die Assyrer würden sie nicht einnehmen,
keinen
Pfeil hineiuschiessen, nicht mit dem Schilddache gegen ihre Mauer vorrücken.
„Dein Stehn und dein Sitzen, dein Kommen und dein
Gehn kenne ich — so redet J a h v e den Assyrer an — und auch dein Toben gegen mich.
Und ich lege meinen Ring in deine Nase
und mein (¡ebiss in deine Lippen und führe dich zurück auf dem Wege, den du gekommen bist."
Es kam wirklich so.
Durch eine
noch unaufgeklärte Katastrophe wurde das assyrische Uauptheer an der ägyptisch-palästinischen Grenze vernichtet,
der König musste
sich eilig nach Nineve zurückziehen, Jerusalem war gerettet. äussere Bedeutung hatte dies Ereignis freilich nicht, Wendepunkt in der Weltgeschichte.
es
Grosse
war kein
Die Macht der Assyrer brach
sich nicht an den Mauern Jerusalems, sie blieb unversehrt und erreichte
erst
nachher ihren Gipfel.
die Scharte
nicht auswetzen,
Aber sein Sohn Esarhaddon, den Krieg
gegen Ägypten
er eroberte
das Nilland
Senaherib selber konnte zwar
weil
er
im Osten beschäftigt war.
der ihm im J a h r e 6 8 1 folgte, nahm
wieder auf und hatte besseren
und
trieb
Erfolg;
die Athiopen zu paaren.
Es
versteht sich, dass dann auch die kleinen palästinischen Reiche in das
alte
machte
Abhängigkeitsverhältnis es
doch
zurückkehrten.
Bei
einen ausserordentlichen Eindruck
alle
dem
auf die Zeit-
genossen, dass Jerusalem aus der Gefahr, der Samarien erlegen war, gerechtfertigt hervorging, und dieser Eindruck, der durch die prophetische Voraussagung
des Ereignisses
samer gestimmt wurde,
ging nicht mit dem Augenblicke vorüber,
sondern hatte sehr nachhaltige Folgen. gewann
ein
so einziges Ansehen,
Prophet Micha
von Morcseth
Dor Tempel von Jerusalem
dass
gegen
noch erhöht und bedeut-
bereits
unter Hizkia
den Aberglauben
der
protestirtc,
dass derselbe besser sei als andere Heiligtümer, und sich veranlasst sah, seine Zerstörung zu weissagen.
Die prophetische Reformation.
125
Neuntes Kapitel. Die p r o p h e t i s c h e R e f o r m a t i o n . 1. Von einem unbedeutenden Winkel der Erde verfolgte Jesaias den Lauf der Begebenheiten, tief ergriffen und doch unerschüttert von dem, was er sah und hörte. Indem er Jahve sprechen liess, bewährte er eine durchdringende Kenntnis der Menschen und der Verhältnisse. Er verspottete die Politik und verstand trotzdem mehr davon, als die kurzsichtigen Praktiker seiner Tage. Von dem unbewegten Centrum in der Mitte des Wirbels, der die Welt bewegte, übersah er die Situation. Wenn die ausserordentlichen Ereignisse den Weisen einen Strich durch die Rechnung machten, so bestätigten sie seine Erwartung; wenn die Lebenden verzweifelt Rat bei den Toten suchten und an jeden Strohhalm sich klammerten, so war er getrost. In dem Unwetter, das Eichen knickte und Türme stürzte und alles hohe und erhabene Menschenwerk zu Boden warf, vernahm er das Rauschen Jahves, der sich aufmachte, sein befremdliches, unerhörtes Geschäft zu verrichten. Ihm war dasselbe nicht befremdlich; er zürnte, dass es nicht jedermann längst von ferne kommen sah. Eine Art tragischer Freudigkeit, ein Heroismus des Glaubens, zeichnete ihn aus. Arnos und Hosea waren noch in der alten Zeit aufgewachsen, Jesaias in der neuen, die unter dem Zeichen des Weltreiches stand. Die Assyrer drohten nicht mehr aus der Ferne; der Strudel, der von Nineve ausging, hatte die kleinen Völker Syriens und Palästinas bereits in sich hineingezogen. Der Untergang Israels hatte den Arnos hinter der Heerde weggerissen und dem Hosea das Herz gebrochen; Jesaias sah ihn von vornherein als notwendig an, und als er eintrat, blieb er gelassen. Für jene beiden fiel mit Israel auch Juda, das Lied war aus. Aber die Geschichte machte einen Unterschied zwischen Israel und Juda. Jesaias liess Israel fahren, er glaubte nicht, wie Hosea, an die Auferstehung dieses Volkes von den Toten; aber der Faden war damit nicht abgeschnitten, er spann sich fort in Juda. Was für seine Vorgänger der Schluss des Dramas war, war für ihn nur der erste A k t , das Gericht über Samarien nur der Anfang einer Reihe von Gerichten, und das Endziel der langen Krisis war positiv. Aus Juda sollte ein Rest herausgesichtet werden, der die Gemeinde Jahves auf Erden fortsetzte; dieser Same
Neuntes
126
Kapitel.
der Zukunft sollte den Assyrern trotzen, und bei dem Versuch ihn zu vernichten sollten sie zu Grunde gehn. Die Herstellung des Restes überliess nun aber Jesaias nicht alleiu den Gerichten Jahves, sondern er arbeitete auch selber daran ein neues J u d a zu schaffen. In dem schwachen Regiment und der mangelhaften Rechtspflege 1 ) Wandel zu schaffen, musste er allerdings Jahve überlassen; er konnte nur sein Ideal aussprechen. In seinen sogenannten messianischen Weissagungen malt er nicht träumerische Zukunftsbilder von der dereinstigen Grösse und Herrlichkeit seines Volkes, zu deren Verwirklichung nicht die geringste Aussicht sich bot, sondern er stellt Ziele auf, die schon in der Gegenwart Geltung haben oder haben sollten, zu denen das Gemeinwesen seiner wahren Natur nach hinstrebt. Der starke und gerechte König, den er in Bälde aus Davids Stamme erhofft 3 ), hat nichts Nebelhaftes an sich, und es wird ihm nichts zugemutet, was über das Maass des unter den damaligen Umständen in Juda Möglichen hinausgeht. Er schafft dem Geringen und Niederen Recht und tötet durch seinen Richterspruch den Frevler und den Gewalttätigen, so dass das Lamm sich nicht fürchtet vor dem Wolfe, allgemeine Sicherheit herrscht und allgemeines Vertrauen — nicht etwa auf der ganzen Erde, sondern auf dem heiligen Berge Jahves, in Jerusalem als Mittelpunkte Judas 3 ). Das messianische Reich bedeutet die Beseitigung der inneren Rechtlosigkeit und Anarchie, die Herstellung von Gerechtigkeit Ordnung und Frieden. Es bleibt auf Jerusalem und J u d a beschränkt, nicht einmal von einer Herstellung der Grenzen, wie sie zur Zeit Davids waren, ist die Rede. Die Assyrer sollen zwar über die Marken getrieben werden, aber keineswegs soll dann nach ihrem Sturz Israel als herrschende Weltmacht ') W i e es zur Zeit Hizkias in J u d a damit stand, s
sieht man aus Mich. 3.
) Er erwartet in der Zeit des syrisch-ephraimitischen K r i e g e s ,
Messias etwa innerhalb einer Generation auftritt;
dass der
er muss ihn darum schon
im Jahre 7 3 4 geboren werden lassen, damit er als Mann den Thron besteige. 3
) „Er richtet die Geringen mit Gerechtigkeit und die Niederen mit Billig-
k e i t , den Frevler trifft er mit der Rute s e i n e s Mundes und seiner Lippen tötet er den Gewalttätigen.
mit dem Hauche
Dann kehrt der Wolf beim Lamme
ein und der Löwe frisst Heu wie das Rind, der S ä u g l i n g streichelt der Natter Fühlhorn und nach des Basilisken Leuchte streckt ein Entwöhnter die Hand. Kein Frevel geschieht und kein Unrecht l i g e n Berge." Zeitalter.
P o e s i e , aber keine U t o p i e ,
auf meinem g a n z e n
kein weltumfassendes
hei-
goldenes
Die prophetische Reformation.
127
an ihre Stelle treten. Nicht in der selben Sphäre concarriren die stillen erquickenden Wasser Siloahs mit den brausenden Wogen des allüberschwemmenden Euphrat. Die Theokratie, wenn man den Ausdruck gebrauchen darf, hat rein innere Aufgaben, die im kleinsten Kreise realisirt werden können; sie ist kein Weltreich, freilich auch keine Cultusgemeinde, sondern, um den modernen Ausdruck zu gebrauchen, ein Rechtsstaat. Die politischen Aspirationen, welche ehedem von der Religion getragen wurden, werden von Jesaias im Namen der Religion abgelehnt. An einen anderen Schaden dagegen konnte Jesaias selber Hand anlegen, das war der Gottesdienst des Volkes in seiner damaligen Gestalt. So schlimme Greuel wie in Israel waren, wie es scheint, auch auf diesem Gebiete in Juda nicht mehr zu bekämpfen. Aber der Monotheismus zog seine Consequenzen; wenn die Gottheit von jeder Einzelerscheinung, von allem Sinnlichen, unterschieden werden sollte, so war es gefährlich ihre Anbetung im Bilde zu dulden. Schon Hosea hatte über den Bilderdienst gespottet; Jesaias machte ihn zu einem Hauptgegenstande seiner Polemik. Er sah darin eine Anbetung des Menschenwerks, die ihm gerade so schlimm schien, wie das Vertrauen auf den Trug von Macht und Klugheit und Reichtümern. Die Cultusstätten selber zu beseitigen fiel ihm nicht ein, er beanstandete noch nicht einmal die heiligen Bäume und Steine, sondern wollte nur die Ephode, die mit Silber oder Gold überzogenen hölzernen Idole Jahves, aus den Heiligtümern entfernen. Ohne Zweifel unter seinem Einfluss kam in der Tat eine entsprechende Reinigung des Cultus zu Stande. Der König Hizkia hieb die Aschera im Tempel von Jerusalem um und zertrümmerte die eherne Schlange Moses, der man bis dahin dort geopfert hatte 1 ). Schwerlich aber ist er weiter gegangen, als Jesaias sich träumen Hess, und hat auch die sämtlichen Altäre ausserhalb Jerusalems zerstört. Alles spricht dagegen, dass jemand diesen Schritt dem Könige Josias zuvorgetan habe; insbesondere wissen wir genau, dass die Altäre Salomos bei Jerusalem bis auf Josias unzerstört geblieben sind. Einen Rückhalt für seine Bestrebungen schuf sich Jesaias in ') 2 Reg. 18, 4. Num. 21, 8. 9. Von der heiligen Lade ist nicht die Rede, man weiss nichts über ihren Verbleib. Sie ist ohne Sang und Klang verschwunden: sie konnte auch nicht ewig halten.
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Neuntes
Kapitel.
einer Partei, die er aus seinen Hausgenossen, seinen Schülern und Anhängern um sich sammelte. Diese prophetische Partei erhielt sich nach seinem Tode und führte durch, was er unvollendet gelassen hatte 1 ). Man darf sogar behaupten, dass sie der Keim der späteren Gemeinde der Frommen geworden ist. Jedenfalls war sie das Vorspiel zu dem Unterschiede des wahren und des nominellen Israel, zu der Trennung zwischen Gemeinde und Volk, die in der Folge so bedeutsam wurde. 2. Mit J e s a i a s betrat die Prophetie den Weg der Reform; es kostete lange K ä m p f e , ehe sie auf diesem Wege auch nur äusserlich zum Ziele kam. Wie gross die Neuerung war und wie tief sie empfunden wurde, davon ist die Periode Manasses der deutlichste Beweis. Denn der Rückschlag, der damals erfolgte, ging sicherlich nicht von der Willkür des Königs a u s ; vielmehr wehrte sich die Volksreligion auf Leben und Tod gegen ihre Angreifer, in dem Bewusstsein, dass ihre Existenz gefährdet und dass kein Friede möglich sei. Manasse ben Ilizkia folgte seinem Vater in sehr j u gendlichem Alter und regierte ein halbes Jahrhundert in Jerusalem. Dass er wieder unter assyrische Oberherrschaft geriet, scheint wenig Eindruck gemacht zu haben; seit Ahaz war J u d a an dies Verhältnis gewöhnt. Nur wie es im Inneren unter seiner Regierung aussah, wird uns berichtet. Er war ein schlechter Regent, der es geschehen Hess und an seinem Teile dazu beitrug, dass unschuldiges Blut „von Leuten die nicht auf Einbruch betroffen waren" in Strömen vergossen wurde. Es ist merkwürdig, dass diese Eigenschaft bei i h m , wie bei seinem späteren Gegenbilde J o j a k i m , mit Bigoterie verbunden war — ein vielleicht mehr als zufälliges Zusammentreffen, das dem wahren Geiste der israelitischen Religion im innersten zuwider war. Der hauptsächliche Charakterzug der Regierung dieses Königs war, wie bereits erwähnt, dass er der Reformpartei feindlich gegenüber trat und sich auf Seite der Reaction stellte. Dürfen wir dem Zeugnis J e r e m i a s trauen, so frass das Schwert in jener Zeit die Propheten wie ein wütiger Löwe. Der populäre, halbheidnische J a h v e sollte auf alle Weise gegen den strengen und heiligen Gott der Propheten wieder zu Ehren gebracht
') S m e n d (ATliche Rel. p. 268) bemerkt mit Recht, d a s s die prophetische Partei auch unter den H ä u p t e r n des Volkes ihre Anhänger hatte und vielleicht zumeist unter ihnen.
D a s ergibt sich b e s o n d e r s aus der Geschichte J e r e m i a s .
129
Die prophetische Reformation.
werden. Die abgeschafften Herrlichkeiten wurden wieder hervorgeholt, und neuer Firlefanz aus allen Weltgegenden, vorzugsweise aus Assur und Babylon, importirt, um den alten Gottesdienst aufzufrischen; der Gott des Himmels wurde mit dem Heer des Himmels umgeben und bekam auch eine Königin des Himmels beigesellt, die passender Weise namentlich von den Weibern verehrt wurde 1 ). Doch wie es zu gehn pflegt, stellte die Restauration des Alten nicht einfach das Alte wieder her. Was früher naiv gewesen war, war jetzt Aberglaube geworden und konnte nur dadurch gehalten werden, dass ihm künstlich eine tiefere Bedeutung untergelegt wurde. Ein blutiger Ernst verdrängte die alte Fröhlichkeit des Cultus, es wurde ihm eine vorwiegende Beziehung auf die Sünde und ihre Sühne gegeben. Je unnatürlicher und schwerer die Leistungen für die Gottheit waren, um so wertvoller erschienen sie; dies ist die Zeit, wo die alte Forderung, zu opfern, was zuerst die Mutter bricht und männlichen Geschlechtes ist, auch auf die menschliche Erstgeburt ausgedehnt wurde. Im Tal Geenna befand sich ein Altar von ganz besonderer Heiligkeit, auf dem man die geschlachteten Kinder für Jahve verbrannte 1 ). Die Gegenreformation war von der Reformation selber nicht unberührt, wenngleich sie den religiösen Ernst in anderem Sinne verstand und das Heidentum im Cultus nicht zu entfernen, sondern neu zu beseelen suchte. Auf der anderen Seite hat dann auch wieder die Reaction einen spürbaren Einfluss auf das Endergebnis der Reformation ausgeübt. Ein Dokument aus der Zeit Manasses besitzen wir vielleicht im sechsten Kapitel des Buches Micha, hierin gelangt der prophetische Standpunkt gegenüber dem Raffinement des Cultus zum reinsten und ergreifendsten Ausdrucke. „Womit soll ich Jahve entgegen kommen, mich beugen vor dem Gott der Höhe? soll ich mit Brandopfern vor ihm erscheinen, mit jährigen Kälbern? hat Jahve Gefallen an Tausenden von Widdern, an Myriaden von Ölbächen? ') Reste arabischen Heidentums 1897 p. 41. Es scheint doch die Göttin des Morgensternes zu sein. Der Morgenstern ( H e l e l , arab. H i l ä l Neumond) ist zwar bei den Hebräern Masculinum, aber das beweist n u r , dass sie die Göttin des Morgensterns nicht selbst geschöpft, sondern von den Assyrern oder Babyloniern entlehnt haben. *) PDH (nicht t ö p h e t , sondern t e p h ä t ) aramäisch für P B t f N = Feuerstelle; s. W. R. Smith, Lectures on the Religion of the Semites 1894 p. 377. W e i l h a i i s e n , lar. Geichlcht«.
3. Aufl.
9
Neuntes
130
Kapitel.
soll ich meinen Erstgeborenen für meine Sünde geben, meines Leibes Frucht als Sühne meiner Seele? . . . . Es ist dir gesagt, Mensch, was frommt und was Jahve dein Gott von dir fordert: vielmehr Recht üben und Güte, und demütig wandeln vor deinem Gotte." Vielleicht stammt aus dieser Zeit auch der Dekalog, der das Bilderverbot an die Spitze setzt, über den Opfer- und Festcultus schweigt, und fast nur solche Gebote zum Grundgesetz für Israel macht, die für alle Menschen insgemein Giltigkeit haben'). Manasse lebte sehr lange, sein Sohn Amon wandelte in seinen Wegen. Aber er starb nach kurzer Regierung, und mit Josias dem Sohne Amons, welcher im Alter von acht Jahren auf den Thron gelangte, brach eine neue Zeit für Juda an. Sie wurde eingeleitet durch die grosse weltgeschichtliche Katastrophe, in der das Assyrerreich zusammenbrach. Die Scythen bereiteten den Übergang der Weltherrschaft von den Semiten auf die Arier vor. Ihr Einfall in Vorderasien versetzte der assyrischen Monarchie den ersten gewichtigen Schlag') und löste den ohnehin lockeren Zusammenhang ihrer Bestandteile. Die Provinzen bröckelten ab, das Reich schrumpfte allmählich auf die Landschaft Assur zusammen. Der Scythensturm rief in Juda die Stimme der Propheten wieder wach, im dreizehnten Jahre Josias (626). Sephania und Jeremias drohten mit dem unheimlichen nördlichen Feinde, wie einst Arnos und Hosea mit den Assyrern. Wirklich brachen die
Der und die des
') Der Dekalog von Exod. 20 ist ein Gegenstück zu dem alten von Ex. 34. Anfang ist analog, an Stelle der Festgesetzgebung tritt das Sabbathsgebot moralische Vorschriften. Angeredet wird der Einzelne, nicht wie in Ex. 34 Gemeinde; denn die Moral ist Sache des Einzelnen, der Cultus Sache Volks. 2
) Herodot erzählt, Nineve sei durch die Scythen von der ersten medischen Belagerung gerettet worden. Aber dagegen spricht die Angabe des Abydenus (Eus. Chron. I. p. 37 ed. Schöne): Saracus certior factus quod exercitus locustarum instar mari exiens impetum faceret, Busalossorum ducem confestim Babclonem misit. Denn wenn der Assyrer damals selber von den Medern belagert gewesen wäre, so hätte er nicht den Nabopolassar gegen die Scythen schicken können. Sephania erwartet nicht die Befreiung, sondern die Zerstörung Nineves von den Scythen. Der spätere Nahum, der zur Zeit der letzten Belagerung Nineves schrieb, sagt ausdrücklich, sie sei die erste und die letzte; er kennt keine frühere. Nabopolassar kann nach dem Regentenkanon im J a h r e 626 in Babylon angetreten sein; das ist das J a h r , in welchem Jeremias den Einbruch der Scythen erwartete.
131
Die prophetische Reformation.
Scythen in Palästina ein und drangen bis Ägypten vor; aber sie zogen am Meere hin und berührten Juda nicht. Die so nahe gerückte und doch vorübergegangene Gefahr, die eingetroffene und doch gnädig abgewandte prophetische Drohung scheint einen grossen Eindruck auf die Judäer gemacht zu haben. Jedenfalls trat ein Umschwung zu Gunsten der reformatorischen Partei ein, und diese wusste auch den jungen König für sich zu gewinnen. Die Umstände Hessen sich günstig an, um mit dem umfassenden Programm einer Neugestaltung der Theokratie hervorzutreten. Im Jahre 621, vor Ostern, wurde das Deuteronomium als zufällig wieder aufgefundenes Buch des Gesetzes dem Könige in die Hand gespielt. Unter dem Eindruck der Flüche, die Moses darin gegen die Ungehorsamen und Übertreter ausspricht, beschloss er den so lange ignorirten Forderungen Jahves noch in letzter Stunde Geltung zu verschaffen. Er berief die Bewohner von Stadt und Land zu einer Versammlung in den Tempel, las ihnen das Gesetz vor und verpflichtete sie feierlich darauf. Er reinigte sodann zunächst den Tempel und die Hauptstadt von dem Unrat, der sich dort angesammelt hatte. Er zerstörte die heidnischen Altäre uud die Häuser der heiligen Unzucht im Tempel, verbrannte die Aschera und tat die der Sonne geweihten Rosse und Wagen ab. Er entweihte die Brandstätte im Tal Geenna und die Höhen, die sich ausserhalb des Tempels noch in Jerusalem befanden, unter anderen die, welche Salomo für Astarte, Kamos und Milkom errichtet hatte. Alle Wahrsager und Totenbeschwörer, die Bilder und Medien und alle Greuel fegte er aus. Weiter aber entweihte er alle Anbetungsstätten Jahves ausserhalb Jerusalems und setzte sie ausser Gebrauch. Er griff dabei sogar über die Grenzen seines Landes hinaus und zerstörte das Heiligtum zu Bethel, wo ein altisraelitisches Priestergeschlecht, das ausdrücklich zu diesem Zweck aus der Verbannung zurückgesendet war, den Dienst Jahves in alter landesüblicher Weise betrieb. Zu allen Zeiten wird die Beihilfe des weltlichen Arms in Anspruch genommen, um Änderungen des Gottesdienstes herbeizuführen, die bis in die breiten Schichten des Volkes durchdringen sollen. Die israelitischen und jüdischen Könige hatten unbestritten das Recht zu solchen Änderungen und übten es nach ihrem Geschmack aus. Indessen einen so gewaltsamen Eingriff, wie ihn Josias mit der Beseitigung sämtlicher provinzialen Cultusstätten 9*
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Neuntes
Kapitel.
wagte, hat ihm doch niemand zuvorgetan. W a s bisher das Heiligste gewesen w a r , das wurde nun wie eine böse Wurzel ausgerodet. Die Altäre Jahves, an denen schon die Erzväter und nach ihnen so viele Geschlechter ihre Opfer gebracht hatten, wurden geschändet; es war ein Sakrileg, ein Schlag ins Gesicht der Pietät des Volkes. Die Provinzialstädte und Landgemeinden verloren ihren heiligen Mittelpunkt und sollten aufhören selbständige religiöse Gemeinden zu sein; an den lieben alten Stätten sollten die Bewohner nicht mehr dem Jahve dienen, in ihrer Heimat nicht mehr die Ernte und die Lese ihm dankend feiern, sondern nur in der fremden Hauptstadt. Die ganze Tradition, der Zusammenhang mit dem heiligen Erbe der Vergangenheit, wurde von Josias kurzer Hand durchschnitten. Und noch in einer anderen Hinsicht machte seine Reformation Epoche. Er gründete sie auf ein Buch. Er begann damit, dass er ein Buch, enthaltend die Ordnung des Gottesdienstes, des Rechts und der Sitte, veröffentlichte und zum Reichsgesetz erhob. Er hat auf diese Weise den ersten Schritt getan, um der Theokratie eine codificirte Grundlage zu geben und das Volk des heiligen Wortes in ein Volk der heiligen Schrift zu verwandeln. Es war ein sehr folgenreicher Schritt, indessen traten seine Wirkungen nicht sofort hervor. Zunächst hatten die radikalen praktischen Maassregeln grössere Bedeutung, wodurch der König das Gesetz, so viel an ihm lag, alsbald in die Wirklichkeit übertrug. 3. Das Deuteronomium krönt die Arbeit der Propheten. Sie schärften beständig ein, dass die Gnade Jahves bedingt sei durch die Erfüllung seiner Forderungen, sie hoben die Notwendigkeit einer Bekehrung des Volkes hervor, aber was nun eigentlich geschehen sollte, das sagten sie nicht bestimmt genug. Um zur Richtschnur dienen zu können, musste der Inhalt der Forderungen Jahves zunächst dargelegt und einigermaassen greifbar formulirt werden. Der erste Schritt dazu geschah im Dekalog; aber hier blieben die Gebote zu individuell und, was das selbe sagt, zu allgemein, um die Grundlage der Reformation eines Volkes abzugeben. Der zweite und erfolgreichere Schritt geschah mit dem Deuteronomium. Das Deuteronomium gibt sich als Supplement des Dekaloges und ergänzt denselben in der T a t durch eine wirkliche Volksgesetzgebung, welche grösstenteils auf einer Modificirung alter Weistümer beruht. Es war das erste Gesetzes- und Bundesbuch, oder vielmehr, es war zu seiner Zeit und auf laDge hinaus
Die prophetische Reformation.
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einfach d a s Buch des Bandes. Deutlicher als irgendwo zeigt sich hier, dass Propheten und Gesetz kein Gegensatz, sondern identisch sind und im Verhältnis von Ursache und Wirkung stehn. Die deuteronomische Gesetzgebung wird eröffnet durch das Gebot, die sämtlichen Cultusstätten Jahves, bis auf die von Jerusalem, abzuschaffen. Man verzweifelte, die Bamoth reinigen zu können, an denen der kanaanitische Ursprung unausrottbar haftete; es war genug, wenn das beim Tempel Salomos gelang, einer rein israelitischen Stiftung, wo die Bedingungen weit gfinstiger lagen. Daneben wirkten wol noch andere Rücksichten, um die radikale Maassregel zu veranlassen. Die Beschränkung des Opferdienstes, die Verminderung der religiösen Bedeutung des Schlachtens, musste auf prophetischem Standpunkte an sich als ein Vorteil gelten, und aus dem Monotheismus schien die Folge zu iiiessen, dass der eine Gott auch nur an einer Stelle auf Erden wohnen und angebetet werden könne. Dass diese eine Stelle dann Jerusalem sein musste, verstand sich von selbst. Der Tempel besass tatsächlich das Übergewicht über die Höhen; er verdiente es aber auch, weil der dortige Cultus mehr Bezug auf die Nation und ihre Geschichte hatte, echter israelitisch und nicht so naturalistisch war, wie der auf den Höhen. Im Mittelpunkte des Reiches trat das Verhältnis Jahves zu Israel, das historisch-politische oder das theokratische Moment, mehr in den Vordergrund, als Ackerbau und Viehzucht. Die Centralisation des Cultus leistete seiner Denaturirung Vorschub, insbesondere bei den Festen, bei denen der Naturdienst noch ziemlich unverschleiert war. Überall scheint der Monotheismus als das Motiv der Concentration des Cultus im Deuteronomium durch, der Cultus an sich ist durchaus nicht der Zweck der Gesetzgebung. Sie beschäftigt sich mit demselben auch nur exoterisch, soweit er das ganze Volk angeht, und kümmert sich ebenso sehr um die übrigen Gebiete des Volkslebens. Die Sympathie für die niederen Stände tritt stark hervor und führt zu Bestimmungen, welche hart an Utopien grenzen. Das sociale Interesse wird dem Cultus übergeordnet, indem den Opfern und Bräuchen, so weit nur immer möglich, humane Zwecke beigelegt werden, die ihnen freilich schon von Haus aus nicht fern lagen. Das alles sind Zeichon prophetischer Gesinnung. Nirgend klarer als in den Motiven des Deuteronomiums findet sich der Grundgedanke der Prophetie ausgesprochen, dass
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Neuntes
Kapitel.
J a h v e nichts für sich h a b e n wolle, sondern als F r ö m m i g k e i t ansehe und verlange, dass der Mensch dem Menschen leiste was recht ist, dass sein W i l l e n i c h t in u n b e k a n n t e r H ö h e und F e r n e liege, sondern in der A l l e n b e k a n n t e n und verständlichen sittlichen S p h ä r e . „Die Forderungen,
welche
ich
an
dich s t e l l e ,
sind
nicht
uner-
reichbar für dich und n i c h t fernliegend; n i c h t im H i m m e l , so dass m a n sagen k ö n n t e : wer k a n n h i n a u f in den H i m m e l und sie herabholen und uns m i t t e i l e n , Meeres,
so dass m a n
dass wir sie e r f ü l l e n !
sagen k ö n n t e :
Meer und sie holen und uns m i t t e i l e n ,
dass
sondern sehr n a h e liegt dir die S a c h e ,
in
deinem Herzen, so dass du sie tun A b e r Erfolg h a t t e bloss
auf
nicht j e n s e i t des
wer k a n n herüber
das —
deinem Munde und in
kannst."
die prophetische R e f o r m a t i o n
dem Gebiete
über
wir sie erfüllen!
des Cultus.
Dies Gebiet
doch
wieder
galt doch
noch
i m m e r als das eigentlich religiöse, und n u r h i e r stellte das Deuteronomium F o r d e r u n g e n , Die
socialen
die
neu
waren
and
und moralischen F o r d e r u n g e n ,
Eindruck welche
machten.
dasselbe
mit
n i c h t m i n d e r e m N a c h d r u c k erhob, waren seit lange gepredigt und eben
so
lange
überhört.
die oberen S t ä n d e ,
und
w a r nicht so l e i c h t ,
S i e richteten sich zudem besonders an diese zur S e l b s t v e r l e u g n u n g zu
wie das V o l k
zum Verlassen
zwingen
seiner A l t ä r e .
D i e Zerstörung der H ö h e n und die V e r e i n i g u n g der Opfer zu J e r u salem war die einschneidendste und doch die ausführbarste Maassregel in dem P r o g r a m m des D e u t e r o n o m i u m s . die prophetische B e w e g u n g sprünglichen wurde
Intentionen
auf Jerusalem
hinauslief, nicht
Das R e s u l t a t , worauf
entsprach
vollständig.
beschränkt
somit ihren
Der
Dienst
und ü b e r a l l sonst abgestellt
das war die populäre und p r a k t i s c h e F o r m des prophetischen notheismus. wurde
Die Bedeutung
dadurch
aufs höchste
des T e m p e l s gesteigert,
und und
Auge,
er v e r o r d n e t e a u s d r ü c k l i c h ,
nicht
m i t den provinzialen A l t ä r e n
— Mo-
des T e m p e l c u l t u s den Vorteil
hatten die j e r u s a l e m i s c h e n P r i e s t e r , die B n e S a d o k . nomische Gesetzgeber h a t t e zwar durchaus
ur-
Jahves
davon
D e r deutero-
n i c h t i h r Interesse im
dass die provinzialen fallen,
sondern
Priester
künftig
das
R e c h t haben s o l l t e n , in J e r u s a l e m zu opfern so gut wie ihre dort erbgesessenen Centralisirung Hierokratie.
Brüder.
Aber
des Cultus
das wurde
erwies
sich
nicht
als
durchgesetzt;
kräftigster
Hebel
die der
Jeremias und die Zerstörung Jerusalems.
135
Zehntes Kapitel. J e r e m i a s und die Z e r s t ö r u n g
Jerusalems.
1. Noch dreizehn Jahre überlebte Josias sein grosses Werk. Es war eine glückliche Zeit äusseren und inneren Wolbehagens. Man hatte den Band und man glaubte ihn zu halten. Erreicht schienen die Bedingungen, von denen die Propheten das Fortbestehn der Theokratie abhängig gemacht hatten; waren ihre Drohungen an Israel in Erfüllung gegangen, so war nun Juda Erbe ihrer Verheissungen. Schon im Deuteronomium wird die „Erweiterung der Grenzen" in Aussicht genommen, und Josias legte Hand an, um zu diesem Ziele zu gelangen. Religion und Patriotismus schienen nun endlich mit Recht Hand in Hand gehn zu dürfen. Nur Jeremias liess sich von der allgemeinen Stimmung nicht anstecken. An der Einführung des Deuteronomiums hatte er mitgewirkt, zeitlebens eiferte er gegen die illegitimen Altäre in den Städten Judas und gegen die Anbetung der heiligen Bäume und Steine. Aber mit den Wirkungen der Reformation war er keineswegs zufrieden, nichts schien ihm gefahrlicher, als das Vertrauen, welches sie erzeugt hatte, auf den Besitz des Gesetzes Jahves und seines einzig wahren Tempels. Dies Vertrauen, sagte er, sei ein Wahn, die innere Sachlage habe sich nicht verändert. Im Gegensatz zu Jesaias hob er geflissentlich hervor, Juda sei um kein Haar besser als Israel. Die erfolgte Bekehrung sei nur äusserliches Scheinwerk geblieben, ein Säen unter die Dornen, kein tiefes Umpflügen des verrotteten Ackers. König Josias fiel in der Schlacht von Megiddo (608) gegen Pharao Necho'). Der Pharao scheint ausgezogen zu sein, um sich seinen Teil an der Erbschaft Nineves vorwegzunehmen, während ') Die Ägypter kamen zu Land, n u r dann erklärt sich die Eroberung von Kadytis d. i., wie zuerst Hitzig erkannt hat, Gaza (Herod. 2 , 1 5 9 . Hier. 47, 1). Die Schlacht von Uagdolos (Pelusium) gegen die S y r e r , die Herodot erwähnt und vor die Einnahme von Gaza setzt, ist wol eine von ihm selber oder seinen Gewährsmännern begangene Verwechslung mit der Schlacht von Megiddo — welche Syrer sollten damals einen Angriff auf Ä g y p t e n gcmacht haben? Auch Uende für Megiddo, bei J o s e p h u s Ant. 10, 75, muss ein Versehen sein. Dass Nineve noch stand, als der Pharao auszog, ergibt sich u. a. aus 2 Reg. 2 3 , 2 9 : „wider den König von Assur".
136
Zehntes
Kapitel.
die Meder und Chaldäer die Stadt belagerten. Josias aber gedachte nicht, die lang entbehrte Unabhängigkeit, die ihm durch den Niedergang der assyrischen Macht in den Schooss gefallen w a r , dem Ägypter zu opfern. Er ergriff sogar die Offensive und stellte sich ihm auf offenem Felde entgegen, weit ausserhalb der alten Grenzen seines Landes. Der unglückliche Ausgang der Schlacht bereitete den Hoffnungen und dem Glücke J u d a s ein unvermutetes Ende. In der Angst vor dem Anrücken der Feinde strömte das Volk zu einem Fasttage in den Tempel, um sich an Jahvo und an seine heilige W o h n u n g a n z u k l a m m e r n . Diese Gelegenheit benutzte Jeremias, u m wirksam seine Meinung zu äussern. „Verlasst euch nicht auf Aberglauben, zu sagen: dies ist der Tempel Jahves, der T e m p e l Jahves, der Tempel Jahves. Ihr stehlt., mordet, h u r t , schwört Meineide, und räuchert fremden Göttern, und d a n n k o m m t ihr her und tretet vor mich in diesem Hause, das nach meinem N a m e n genannt ist, und sagt: hier sind wir sichcr! etwa u m all diese Greuel auszuüben? Ist dies Haus, das nach mir b e n a n u t ist, eine Räuberhöhle geworden? ich habe auch Augen, spricht J a h v e . Geht nur hin zu meiner S t ä t t e in Silo, wo ich anfangs meinem Namen W o h n u n g gab, und seht, was ich der getan habe, wegen der Bosheit meines Volkes Israel. Nun also, weil ihr diese Dinge übt und trotz meinem eifrigen, rechtzeitigen Reden nicht hört und trotz meinem Rufen nicht a n t w o r t e t , so tue ich dem nach mir genannten H a u s e , worauf ihr euch trügt, u n d der Stätte, die ich euch und euren Vätern gegeben h a b e , wie ich Silo getan habe, uud werfe euch hinaus von m i r , wie ich eure Brüder, die Ephraimiten, hinausgeworfen habe." F ü r solche Lästerungen gegen den Glauben der Menge h ä t t e e r , auf die Anklage der Priester und P r o p h e t e n , fast mit dem Tode büssen müssen; aber er Hess sich nicht irre machen. Auch als die Zeiten wieder ruhig w u r d e n , hielt er fest an seiner Unheilsverkündigung, unter Lebensgefahr, u n t e r allgemeinem Spott und Gelächter. Momente der Verzweiflung kamen über i h n ; dass er aber den W e r t der grossen Bekehrung des Volkes richtig geschätzt h a t t e , bestätigten schon j e t z t die Tatsachen. Obwol unter J o j a k i m , der als ägyptischer Vasall die Nachfolge seines Vaters Josias erhielt, das Deuteronomium nicht formell abgeschafft w u r d e , so fand es doch t a t sächlich keine Nachachtung m e h r , zumal da j a die Schlacht von Megiddo gelehrt hatte, dass m a n , trotz dem Bunde, mit Jahve nicht
Jeremias and die Zerstörung Jerusalems.
137
besser daran war als vordem. Jojakim lenkte wieder ein in die Bahnen Manasses, nicht bloss hinsichtlich seiner Vorliebe für die Superstition, sondern auch hinsichtlich der Nichtachtung von Leben und Eigentum seiner Untertanen 1 ). Endlich fährten die Ereignisse anch den äusseren Sturz der Theokratie herbei, auf den Jeremias lange vergebens gewartet hatte. Nachdem die Ägypter in mehrjährigen Kämpfen sich Syrien unterworfen hatten, trat ihnen, wie es scheint nach dem Falle Nineves, Nabokodrossor von Babylon entgegen und schlag sie am oberen Euphrat bei Karchemis (604). Die Judäer frohlockten über den Fall Nineves, sie frohlockten auch über die Niederlage der Ägypter; aber das bittere Ende kam nach, als die Sache für sie auf die Aussicht hinauslief, für das ägyptische Joch das chaldäische einzutauschen'). Von der Macht der Chaldäer hatte man nichts geahnt, und nun waren plötzlich die Assyrer in ihnen neu aufgelebt. Nur Jeremias hatte Anlass, den Kopf höher zu heben. Sein alter viel bespöttelter Feind aus Norden, mit dem er seit Anfang seines Auftretens gedroht hatte, kam jetzt endlich zu Ehren, wenn er auch nicht den Namen der Scythen, sondern der ßabylonier führte. Es war eine Epoche, ein Abschluss der Rechnung: für ihn stimmte sie. Darum erhielt er gerade jetzt den göttlichen Auftrag, aufzuschreiben was er seit dreiundzwanzig Jahren verkündet hatte, was immer für unmöglich gehalten und nun so nahe gerückt war. In Folge des Sieges bei Karchemis verdrängten die Chaldäer den Pharao aus Syrien, und auch Jojakim musste sich ihnen unterwerfen ( ± 6 0 2 ) . Drei Jahr bezahlte er seinen Tribut, dann hielt er ihn zurück: ein durch religiösen Fanatismus entflammtes Freiheitsfieber durchglühte mit unheimlicher Gewalt die leitenden Kreise, die Grossen, die Priester und Propheten, und riss den König mit sich fort. Nabokodrossor begnügte sich zunächst, das abtrünnige Land durch Einfälle chaldäischer Streifscharen zu strafen, denen sich die feindlichen Nachbaren, besonders die Edomiter, mit Vergnügen anschlössen. Erst im Jahre 597 erschien ein grösseres Heer ') Hier. 22, 15—17. ) Nahum 1—3. Hier. 46. Dagegen gehört Habakuk in eine spätere Zeit. Dass Hier. 46 nicht von Jeremias s t a m m t , ist klar. Sein Buch schliesst mit Kap. 45; das Folgende ist eia Anbang und besteht aus Stucken verschiedenen Alters und verschiedener Herkunft. Vgl. Josephus Ant. 10, 219 ss. contra Ap. 1, 135 ss. 2
138
Zehntes
Kapitel.
der Chaldäer vor Jerusalem, bei welchem bald auch Nabokodrosaor in Person eintraf. Die Stadt musste sich ergeben, der jugendliche König Jechonia, der Sohn des inzwischen verstorbenen Jojakim, wurde gefangen und musste die Schuld seines Vaters im Kerker zu Babel büssen, in dem er bis zum Tode Nabokodrossors verblieb. Mit ihm wurden zehntausend Jerusalemer fortgeschleppt und in Babylonien angesiedelt, lauter vornehme und wolhabende oder kunstfertige Männer, die Blüte und der Kern der Bevölkerung. Zum Könige über den Rest wurde Sedekia ben Josia gemacht. 2. Es war ein gehöriger Aderlass. Aber das Fieber wurde dadurch nicht unterdrückt. Das Haus Jahves stand j a noch und er wohnte darin. Die Verbannten zweifelten nicht, dass er in kurzer Zeit die Herrschaft der Heiden stürzen und sie heimführen werde, sie schürten das Feuer in Jerusalem. Ezechiel, der sich unter ihnen befand, konnte kein vernünftiges Wort mit ihnen reden, bis sio durch die Zerstörung Jerusalems betäubt und ernüchtert wurden. Und die Zurückgebliebenen waren ähnlich gestimmt. Sic legten sich Alles zum Besten zurecht, betrachteten die Verbannten als die verwehte Spreu und hielten sich für den gesichteten Weizen 1 ). Schon in den ersten Jahren Sedekias war ein Aufstand gegen die Chaldäer im Werke, Gesandte von Edom Moab und Tyrus kamen nach Jerusalem um ihn zu betreiben. Als Bescheid von seiner Seite gab ihnen Jeremias Stricke und Joche an ihre Auftraggeber mit, er selber erschien im Tempel mit einem hölzernen Joch um den Hals. Die öirentliche Meiuuug war zwar wol auf der Seite des Propheten Hanania, welcher weissagte, dass die chaldäische Herrschaft binnen zwei Jahren zu Fall kommen werde, und des zum Zeichen das Joch am Nacken Jeremias zerbrach. Aber an leitender Stelle drang diesmal doch die Vernunft durch, der Aufstand kam nicht zum Ausbruch. Sedekia reiste selber nach Babel, vielleicht um sich zu entschuldigen und um gut Wetter zu bitten. Als sich jedoch im Jahre 588 eine bestimmte Aussicht auf die Hilfe des Pharao Hophra (Apries) zeigte, war der Freiheitsdrang nicht mehr zu bändigen. Der Abfall wurde erklärt — binnen ') Jeremias (Kap. 24) und Ezechiel (14, 2 1 — 2 3 ) protestiren d a g e g e n und behaupten umgekehrt, die Deportirten seien die Guten, die Zurückgebliebenen die Schlcchten;
insofern ohne Zweifel mit Recht,
als j e n e die Elite der Be-
völkerung waren. Übrigens gab es in Jerusalem nach 597 auch Manche, die an Jahve verzweifelten und nichts mehr von ihm wissen wollten (Ezech. 8 , 1 2 . 9, 9).
Jeremias und die Zerstörung Jerusalems.
139
kurzem (Januar 587) lag ein chaldäisches Heer vor Jerusalem. Einen Augenblick schien sich Alles zum Besten zu wenden; die Ägypter kamen zum Entsatz heran, und die Chaldäer mussten die Belagerung aufgeben, um ihnen entgegen zu ziehen. Darüber herrschte in Jerusalem grosse Freude; sie fand darin einen bezeichnenden Ausdruck, dass man die hebräischen Sklaven wieder einfing und knechtete, die man kurz vorher in der Angst freigegeben hatte, um durch Erfüllung des deuteronomischen Gebotes Jahve gnädig zustimmen. Nur Jeremias beharrte bei seiner Schwarzseherei; selbst wenn das ganze Heer der Chaldäer aufgerieben würde und nur einige Verwundete übrig blieben, so würden diese genügen, Jerusalem einzunehmen und in Brand zu stecken. Er behielt Recht, die Ägypter zogen sich zurück, die Belagerung begann von vorne. Jerusalem war zum wahnsinnigen Widerstande entschlossen; vergebens versuchte Jeremias, unter steter Gefahr seines Lebens, noch jetzt zur Capitulation zu ermahnen. Uer König, der ihm Recht gab und ihn schützte so viel er konnte, wagte doch nicht seine Meinung gegen den patriotischen Terrorismus geltend zu machen. Endlich im Juli 586 drangen die Chaldäer ein, nachdem der Hunger ihnen vorgearbeitet hatte. Der König floh durch eine Bresche, wurde aber eingeholt und mit anderen vornehmen Gefangenen nach Ribla im Lande Hamath geführt, wo Nabokodrossor, der sich dort aufhielt, streng mit ihnen zu Gerichte ging. Die meuterische Stadt wurde zerstört, die Mauer niedergerissen, der Tempel eingeäschert; dabei leisteten die Edomiter den Chaldäern beflissene Hilfe. Von der Bevölkerung, diesmal nicht bloss der Stadt, sondern auch des Landes, wurde zum zweiten mal ein erheblicher Teil nach Babylonien verpflanzt 1 ). Nicht lange vor der Eroberung der Stadt hatte Jeremias von einem Verwandten einen Acker zum Kauf angeboten erhalten; einigermaassen überrascht ging er am Ende doch auf den unzeitgemässen Handel ein, denn er moikte, dass es das Wort Jahves sei, welcher dadurch eine Zukunft vorbilde, wo der gegenwärtig wertlose Besitz wieder Wert haben solle. Auf den Trümmern des Tempels weinte er nicht, sondern blickte freudiger Hoffnung voll in die Zukunft. Schon früher hatte er der Verbannung Israels und ') Nach Hier. 52, "28. 29 wurden während der Belagerung 3023 Judäer und nach dem Fall 823 Jerusalemer weggeführt; die Zahlen sind unglaublich niedrig.
140
Zehntes
Kapitel.
Judas eine Frist von siebzig Jahren gesetzt, dann solle die chaldäische Tyrannei ein Ende nehmen und die in Knechtschaft geführten Völker wieder Herren in ihrem Hause werden. Jetzt sah er im Geist die Zeit, wo seine verwüstete Heimat von fröhlichem Volke, von weidenden Heerden, von grünen Bäumen und Saaten wieder bedeckt war, wo Jahve die Schuld vergeben und das abgebrochene Verhältnis erneut hatte. Noch immer blieben nicht wenige Juden in Palästina zurück, sie gehörten allerdings meist dem niederen Stande oder der Landbevölkerung an. An ihre Spitze setzte der König von Babel einen einheimischen Statthalter in der Person des Gedalia ben Ahikam, eines Gönners Jeremias, der vielleicht eben deshalb für chaldäisch gesinnt galt. Er nahm seinen Wohnsitz zu Mispha, nicht weit von Jerusalem; dorthin sammelten sich zu ihm von allen Seiten die Versprengten. Auch Jeremias begab sich dorthin, die Chaldäer erwiesen ihm grosse Rücksicht und gestatteten ihm die freie Wahl seines Aufenthalts. Man hoffte, dass Mispha einen Mittelpunkt abgeben würde für eine Fortsetzung und Neubildung der Theokratie auf dem alten heiligen Boden 1 ). Aber diese Hoffnung, die wol auch Jeremias teilte, erfüllte sich nicht. Ein Hauptmann davidischen Geschlechts, der den ungewöhnlichen Namen Ismael trug, ermordete meuchlings den Gedalia, weil derselbe das Haus Davids von der Herrschaft zu verdrängen drohte; er war dazu angestiftet von dem Ammoniterkönige Baalis, der oin mögliches Wiedererstarken Judas gefürchtet zu haben scheint 3 ). Das war ein schlimmer Schlag, er wurde noch verschlimmert durch die Art und Weise, wie sich die Juden dabei benahmen. Ihr Verhalten brachte dem alten Jeremias die schwerste Enttäuschung seines Lebens, die definitive Bestätigung seiner früheren reichen Erfahrung von der Vergeblichkcit seines Wirkens, nachdem er eine Zeit lang Mut und Hoffnung gehegt hatte. In der Furcht, dass die Chaldäer die Ermordung ihres Statthalters auch an den Unschuldigen rächen würden, beschloss die Colonie von Mispha nach Ägypten auszuwandern, wohin schon seit ') Ezech. 33, 2 3 — 2 9 . K u e n e n ( l i o d s d i e n s t 11. p. 85) hält es für möglich, dass mit diesem Ereignis die D e p o r t a t i o n vom J a h r e 581 in V e r b i n d u n g steht, von der Hier. 52, 30 d i e R e d e ist.
Jeremias und die Zerstörung Jerusalems.
141
der ersten Eroberung Jerusalems manche Juden geflüchtet waren'). Vorher wurde Jeremias befragt, nach zehntägigem Warten erhielt er Bescheid von Jahve und widerriet den Zug, da man in Ägypten erst recht den Chaldäern in die Hände fallen werde. Es half aber nicht, man sagte ihm, er hole sich von seinem Schreiber Baruch die Parole, er musste mit auswandern. Das Letzte, was wir von ihm hören, ist, dass ihm in Ägypten von den jüdischen Weibern der Mund gestopft wurde. Als er sie schalt, dass sie noch immer nicht vom Dienst der Königin des Himmels abliessen, und aus solcher Halsstarrigkeit alles Unglück herleitete, wurde ihm entgegengehalten, dass das Unglück umgekehrt erst eingetreten sei, seit man versäumt habe, der Königin des Himmels zu räuchern und zu spenden. Er konnte gegen diese Betrachtungsweise nichts machen. Die Propheten betrachten die Wahrheit immer als das, was da war im Anfang, und den Irrtum als Abfall von der Wahrheit: sie tun so als seien sie das böse Gewissen des Volkes und als argumentiren sie von Zugestandenem aus. Zur Correctur dafür dient die Unbefangenheit, mit der hier einmal eine andere Ansicht vertreten wird. Praktisch hatte natürlich Jeremias auch in diesem Falle Recht. Die also heidnisch gesonnenen Juden verloren sich im ägyptischen Heidentum, und es kam wahrscheinlich bald dahin, wie er wenngleich in etwas anderem Sinne gedroht hatte, dass Jahves Name in ganz Ägyptenland nicht mehr genannt wurde von eines eiuzigen Menschen Mund, der da sagte: so wahr der Herr Jahve lebt! 3. Wie sich die Situation des untergehenden Samariens für das untergehende Juda wiederholte, so wiederholte sich auch die der Situation entsprechende Prophetie. Iu Jeremias lebten Arnos und Hosea wieder auf, nur vereinigte er die Eigenschaften, durch die sich jene unterschieden. Rücksichtslos zerschlug er die Illusionen des populären Glaubens, mit zornigem Hohne entlarvte er die auf Bestellung gelieferten, fremden Mustern abgestohlenen Heilsweissagungen seiner prophetischen Standesgenossen. Den Gegensatz gegen sie trieb er so weit, dass er die Regel aufstellte, die wahren Propheten seien von jeher immer nur Unglückspropheten gewesen; im Kampfe gegen den patriotischen Fanatismus scheute er sich nicht den Schein des Landesverrats auf sich zu nehmen. So eisenHier. 2 4 , 8.
142
Zehntes
Kapitel.
hart er aber den Königen und Grossen, den Priestern und Propheten und der Menge im Namen Jahves Trotz bot, so tief und warm empfand er doch mit seinem Volke. Das Herz blutete ihm, wenn er der beweglich um Regen flehenden Gemeinde im Namen Jahves die Tür weisen und weit Schlimmeres als Dürre androhen musste; es brach ihm fast bei dem Anblick der ihm immer vor den Augen stehenden Einöde, in die das blühende Land bald verwandelt werden sollte: über die kein Vogel flog, die kein Geräusch der Mühle bei Tage und kein Schimmer eines Lichtes in der Nacht belebte. Er litt bis zur Verzweiflung unter der nicht bloss geistigen Vereinsamung, welche die Erkenntnis der Wahrheit für ihn zum Gefolge hatte; er fluchte seiner Geburt, weil ihn die Gemeinschaft mit Jahve von jeder anderen Gemeinschaft ausschloss. Sein inneres Leben war ein steter Seelenkampf, eine stetige Uberwindung seines Selbst, seiner menschlichen Wünsche und Sympathien, durch Jahve. Gern hätte er ihm zu Zeiten seinen Beruf vor die Füsse geworfen, aber immer Hess er sich wieder von unwiderstehlichem Drange verlocken: wenu Jahves Worte sich fanden, so verschlaug er sie und sie schienen ihm Freude und Wonne des Herzens. Ehedem war die Nation das realisirte Ideal gewesen, jetzt zerfiel Jahve mit Israel. Die Propheten setzten der Nation das Ideal entgegen. Uberzeugt davon, dass sie nicht als Menschen, sondern als Organe der Gottheit redeten, stabilsten sie ihre individuelle Autorität gegenüber der überlieferten und hergebrachten und verlangten gebieterisch, dass man sich ihren Forderungen fügen solle. Sie wendeten sich dabei an das ganze Volk und erstrebten durch ihre Wirksamkeit eine allgemeine Bekehrung desselben; Israel blieb auch ihnen das Correlat zu Jahve, freilich nicht Israel wie es war, soudern Israel wie es sein sollte. Aber diese allgemeine Umgestaltung eines Volkes auf Grund einer Idee oder eines Gesetzes gelang nicht, wenigstens nicht den Propheten; erst als ihre Stimme längst verstummt war, kam sie halbwegs zu Stande, unter der Beihilfe erschütternder Ereignisse und unter dem Druck der persischen Oberherrschaft'). Die Propheten predigten zu ihrer Zeit tauben Ohren und sahen keinen Erfolg ihres Wirkens. Es war ihnen auch schwierig, namentlich nach der Refor') Qtiae gens observavit mandata tua? Homines quidetn per nomina invenies servasse mandata tua, gentes autem non invenies. 4 Gsdr. 3, 3G.
Jeremias und die Zerstörung Jerusalems.
143
mation Josias, dem fragenden, hadernden Volk den Grund anzugeben, warum trotz Allem der Untergang unabwendlich sei. Die Katastrophe war ihnen an sich gewiss, die nötige Sünde mussten sie suchen und griffen dabei gewöhnlich in die Vergangenheit zurück, sie borgten sie bei den Vätern. Am meisten litt darunter der letzte und in mancher Hinsicht grösste Prophet, Jeremias. Je mehr er rief, desto weiter liefen sie weg; sie wollten, sie konnten sich nicht bekehren. Sein Bemühen, die Kluft zwischen Jahve und dem Volke auszufüllen, brachte nur einen tiefen Riss zwischen ihm selber und dem Volke hervor. Seine Arbeit an dem Volke war vergeblich. Aber nicht vergeblich war sie für ihn selber. Durch den Miserfolg seiner Prophetie wurde er über die Prophetie hinausgeführt. Mochte der Inhalt der Worte Jahves, die er zu verkündigen hatte, ihm Hohn und Verfolgung zuziehen — die Tatsache, dass Jahve zu ihm sprach, hielt ihn aufrecht und erquickte ihn. Dass er um seinetwegen litt, war ihm Trost; von den Menschen abgewiesen flüchtete er sich zurück zu ihm, der ihn zu seinem Boten erwählt und dadurch den Zugang zu sich eröffnet hatte. Seine verschmähte Prophetie ward ihm die Brücke zu einem inneren Verkehr mit der Gottheit.; aus seinem Mittlertum zwischen Jahve und Israel entstand, da Israel davon nichts wissen wollte, ein religiöses Privatverhältnis zwischen seiner Person und Jahve, das nicht auf enthusiastische Augenblicke beschränkt blieb, in dem nicht bloss Jahve sich durch ihn dem Volke offenbarte, in dem er vielmehr selber, in all seiner Menschlichkeit, sich vor Jahve ausschüttete. Diese Zwiesprache, in der sich seine Seele löste, ward sein menschliches Bedürfnis, das Brod von dem er zehrte. Unter Schmerzen und Wehen entstand ihm die Gewissheit seiner persönlichen Gemeinschaft mit der Gottheit, das tiefste Wesen der Frömmigkeit wurde bei ihm entbunden. Das bewegte Leben mit Gott, welches er lebte, machte er nun freilich nicht zum Gegenstande seiner Lehre; er verkündete nur schroff und drohend, wie die übrigen Propheten, das göttliche Gesetz. Aber als ob er doch die Bedeutung der Vorgänge in seinem Inneren geahnt hätte, zeichnete er Einzelnes davon auf. Sein Buch enthält nicht bloss seine Reden und Weissagungen, sondern mitunter auch Confessionen über seine Leiden und Anfechtungen und über seine verzweifelten Kämpfe, in denen er sich zwar keineswegs zur Ruhe und Seligkeit durchrang, wol aber zum Bewusst-
144
Elftes
Kapitel.
sein des Sieges in der Niederlage. D a r a n hat die Folgezeit sich erbaut. Seine Erfahrung zeugte fort und wiederholte sich in den Erfahrungen der Frommen nach ihm. W a s ihn bewegte u n d was ihn hielt, hat auch die edelsten Geister des J u d e n t u m s bewegt u n d gehalten: das Leiden des Gerechten, das Wirken der K r a f t Gottes in den Gebeugten und Verachteten. Er ist der Vater des wahren Gebets, in dem die arme Seele zugleich ihr untermenschliches Elend und ihre übermenschliche Zuversicht ausdrückt, ihr Zagen und Zweifeln und ihr unerschütterliches Vertrauen. Die Psalmen wären ohne Jeremias nicht gedichtet. An seine Sprache lehnte sich die Sprache der Frömmigkeit an, und manche Gleichnisse der geistlichen Poesie wurden aus den Schicksalen seines Lebens gewählt. So löste sich aus der Prophetie nicht bloss das Gesetz aus, sondern zum Schluss auch noch die individuelle Religiosität.
Elftes Kapitel. D i e J u d e n im
Exil.
1. Die von den Assyrern fortgeschleppten Samarier hatten sich u n t e r den Völkern aufgelöst, in deren Gebiet sie angesiedelt waren. Es kam darauf a n , ob die verbannten Juden in Babylonien —• diese allein kamen in Betracht, nicht die nach Ägypten versprengten und auch nicht die in der Heimat verbliebenen — sich gegenüber dem sie umgebenden Heidentum behaupten würden. Sie konnten das nur, wenn sie an der von den Propheten eingeleiteten Reformation festhielten, welche darauf abzielte, sie völlig aus dem Heidentum herauszureissen und in scharfen Gegensatz dazu zu bringen. Freilich hatte ihnen diese Reformation bisher wenig geholfen, und dadurch dass sie den Untergang nicht hatte verhindern können, schien sie vollends gerichtet. Die Geschichte lehrt, dass die Juden die schwere Probe bestanden haben, die ihnen auferlegt wurde. Die Sündflut, die sie zu ersäufen drohte, ist ihnen ein Bad der Wiedergeburt geworden. Sie sind nicht unter den Babyloniern aufgegangen, haben vielmehr damals in der Fremde die Fähigkeit erworben, die sie später auszeichnete, ihre nationale und religiöse Art, auch ausserhalb des
146
Die Juden i m Exil.
einheimischen Grund und Bodens, anf dem sie sonst allein gedeiht, unter allen Umständen zu bewahren. Sie haben trotz allen Zweifeln festgehalten an ihrer Vergangenheit und an ihrer Zukunft, an der Leitung ihrer Geschichte durch Jahve. Die Reformation ist schliesslich gerade durch das Exil zum Ziel gekommen, durch das sie allerdings zunächst sehr gefährdet war. Die Juden müssen doch damals in ihrer Eigenart schon viel gefestigter und sich derselben bewusster gewesen sein als ihre israelitischen Brüder vor vier Menschenaltern. Wir hören, dass sie schon vor dem Exil eben deshalb von ihren Nachbarn und Vettern gehasst und verfolgt wurden, wie der weisse Rabe von den schwarzen, weil sie etwas Anderes und Besseres sein wollten 1 )- In der Verbannung kam es ihnen zu statten, dass sie nicht über das Land zerstreut wurden, sondern gruppenweise beisammen wohnen blieben, Häuser und Gärten besassen und in leidlichem Wolstand lebten. Eine Art Volksgemeinschaft blieb bestehn, und sie hielt auch diejenigen fest, welche an Jahve zweifelten und von ihm abfielen. Der Staat war zerstört, aber die natürliche Gliederung durch das Blut ersetzte ihn halbwegs. Die ethnische Genealogie, auf deren Grundlage sich das Volk einst erbaut hatte ehe es landsässig geworden war, wurde durch die Umstände der Zeit neu belebt. An Stelle der Monarchie mit ihren Beamten trat wieder die Aristokratie der Geschlechtshäupter oder Ältesten. Der grosse Gemeindecultus ruhte notgedrungen, niemand dachte au die Möglichkeit, dem Jahve in der Fremde Opfer zu bringen. Erstlinge, die nicht in Jahves Lande gewachsen waren, konnten ihm nicht dargebracht, also auch keine Feste gefeiert werden. Dagegen wurde der Sabbath beibehalten, wenngleich nicht als Opfertag, so doch als Versammlungstag'). Es entstand auf diese Weise im Exil die heilige Versammlung ohne Opfer, und damit wurde der Grund gelegt zu einer fundamentalen Veränderung des ') Bier. 12, 9. Ez. 25, 8 : weil die Uoabiter und Ammoniter sagen: d i e J u d e n s i n d w i e a l l e a n d e r e n V ö l k e r , darum werden sie von Jahve gerichtet. Hosea stellt den Sabbath mit den Festen noch ganz auf gleiche Linie und denkt nicht anders, als dass auch der Sabbath wie die anderen Feiertage im Exil nicht begangen werden könne (2, 13). Aber tatsächlich ging er seine eigenen Wege und trennte sich von den Festen. Es dauerte freilich lange, ehe die Forderung der absoluten Ruhe am Sabbath durchdrang. W e l l h i u s e a , I»r. Geschichte.
.1. Aufl.
10
146
Elftes
Kapitel.
Gottesdienstes überhaupt. Es ist kaum anders denkbar, als dass schon damals, wie später in der Synagoge, der Mittelpunkt der Versammlung das Wort war. Zwar nicht nur das geschriebene, sondern auch noch das lebendige Wort. Aber da in der bleiernen Zeit nach 586 schwerlich überall an jedem Sabbath ein Prophet zu finden war, der reden konnte, so wird man wol oder übel zur Verlesung und erbaulichen Erklärung alter Schriften gegriffen haben, des Deuteronomiums, der prophetischen uud der sie ergänzenden historischen Bücher. Diese Sabbathsversammlungen waren ein Mittel, die Gemeinschaft zu stärken, den Zusammenhang mit der Vergangenheit in einer eigentümlichen Weise zu beleben, und den Gebrauch der hebräischen Sprache zu erhalten. Zugleich aber wurde der Sabbath an sich, als Ruhetag, ein nach innen verbindendes und nach aussen unterscheidendes Erkennungszeichen aller derer, die zur Judenschaft gehörten. Der Name und Begriff des religiösen Zeichens, d. h. des Abzeichens, kam damals auf und gewann grosse Bedeutung'). Die Beschneidung war seit jeher Brauch gewesen, ohne dass grade ein besonderes religiöses Gewicht darauf gelegt worden wäre; sie wird in keinem alten Gesetze gefordert. Jetzt wurde sie neben dem Sabbath, als Symbolon des Judentums, von allergrösster Wichtigkeit. Ebenso wurden noch manche andere alten Bräuche jetzt geflissentlicher geübt als ehemals, weil sie zur Versteifung der jüdischen Besonderheit, zur Abschliessung gegen das Heidentum dienen konnten. Dabei fanden die durch die Zerstörung des Tempels ausser Dienst gesetzten Priester Gelegenheit einzugreifen und auf Befragen aus ihrer Thora Bescheid zu erteilen, was rein sei und was unrein, was erlaubt und was verboten, im täglichen Leben jedes Einzelnen. Die zähe Selbstbehauptung wurde nun aber den Verbannten nur ermöglicht durch die Hoffnung, dass sie bald heimkehren würden. Diese Hoffnung hegten sie in der Tat anfangs, so lange Jerusalem noch stand, im höchsten Grade. Die Deportilten von 597 betrachteten ihr Exil als ganz vorübergehend, dachten nicht daran sich auf längeren Aufenthalt in der Fremde einzurichten, sondern lebten im Geist in ihrer alten heiligen Stadt fort, zu der sie die lebhaftesten Beziehungen unterhielten. Bei dem letzten Aufstande Sedekias waren sie überzeugt, dass Jerusalem nicht erliegen, son') Ezecb. 20, 12. 20.
147
Die Juden im Exil.
dern über die Chaldäer triumphiren werde. Das war praktisch nicht ohne Nutzen. Sie hatten auf diese Weise keine Veranlassung, sich zu akklimatisiren, sie hielten sich genau so, wie sie es in der alten Heimat getan hatten, wohin zurückzukehren sie immer auf dem Sprunge standen. Durch mehr als zehnjährige Übung kamen sie allmählich in eine Gewohnheit, die auch dann noch anhielt, als die Ereignisse ihre Illusion zu schänden machten. Der Fall Jerusalems im Jahre 586 wurde als ein betäubender Schlag empfunden. In der Stadt und im Tempel, nicht im Volke, wohnte Jahve; Sion war, statt Israel, der Name der Theokratie geworden. Jetzt war es entschieden, dass Jahve das Land verlassen hatte, dass er auf und davon gegangen war. Manche mögen an ihm irre geworden sein. Die Meisten jedoch waren bereit, ihm Recht zu geben und sich für schuldig zu erklären. Aber wenn sie sein Verdammungsurteil auch annahmen, so verstanden sie es doch nicht. Sie versanken unter seinem Zorne in dumpfe Verzweiflung, sie wussten nicht, wie sie heraus kommen sollten. Ihre Stimmung wird gekennzeichnet durch den damals kursirenden Ausspruch: unsere Sünden lasten auf uns und wir vermodern darin. In diesem grossen Schilfbruch wurde jetzt die Prophetie — nicht die landläufige, sondern die oppositionelle, wie sie zuletzt durch Jeremias vertreten war — der Rettungsbalken für die, die sich daran hielten. Sie hatte bis dahin den Untergang des Gemeinwesens ge* weissagt; schon das war tröstlich, dass sie denselben als notwendig im Namen Jahves vorausgesehen und verstanden hatte. Jetzt aber, als die Notwendigkeit Tatsache geworden war, sehlug die Weissagung um, aus der Drohung in die Verheissung. Das Exil bildete einen Wendepunkt. Waren die Propheten früher den Illusionen der Zeit entgegen getreten, so traten sie nun ihrer Hoffnungslosigkeit entgegen und richteten den Glauben an die Zukunft auf. Strom und Wind, womit sie so lange hatten kämpfen müssen, hatten sich zu ihren Gunsten gedreht. Ihre Gegner, die patriotischen Fanatiker, waren durch die Ereignisse Lügen gestraft und zum Schweigen gebracht; sie aber hatten Recht behalten. Das Haupthinderniss, das ihrer Wirksamkeit früher im Wege stand, war beseitigt; die alte Tradition, wie sie auf dem Boden des kanaanitischen Landes mit dem Volke aufgewachsen war, wurde durch die gewaltsame Losreissung des Volkes aus seinem Lande gebrochen. 10*
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Elftes
Kapitel.
2. Der Anfänger der exilischen und nachexilischen Prophetie war Ezechiel, ein vornehmer jerusalemischer Priester, der sich unter den Verbannten von 597 befand. So lange Jerusalem noch stand, ging seine Tätigkeit darin auf, der Gegenwart den Sündenspiegel der Vergangenheit vorzuhalten und den baldigen Untergang auch des Restes der Theokratie zu verkündigen. An dessen Fortbestand knüpften seine Mitverbannten alle ihre Hoffnungen, sie glaubten ihm nicht und hörten nicht auf ihn, bis er es endlich aufgab ihnen zu predigen. Da fiel Jerusalem, und mit einem Schlage vertauschten sich die Rollen. Dem Propheten' wurde der Mund weit aufgetan, aber jetzt nicht mehr zu Drohungen, sondern von Stund an zu Verheissungen. Drohung und Verheissung sind bei Ezechiel haarscharf geschieden. Die Verheissung aber ist weit bezeichnender für ihn als die Drohung. Trotz dem ingrimmigen Schelten und dem bissigen Gezänk mit seinen Landsleuten, dem er Jahre lang ausschliesslich oblag, ist er in Wahrheit doch der Prophet, mit dem die Weissagung den sogenannten messianischen Charakter annimmt. •Er verheisst die Auferweckung des von den Chaldäern getöteten Volkes durch den Hauch Jahves, die Zuriickführung nicht bloss Judas sondern auch Ephraims nach Palästina, und ihre Vereinigung unter dem Scepter eines Davididen: dann soll die Heerde nicht mehr von ihren eigenen Hirten mishandelt und von fremden Räubern aus einander gescheucht werden, sondern ruhig weiden, in einem Lande, auf dem aller Welt sichtlich der Segen Jahves ruht. Er bedroht die bis dahin verschont gebliebenen Nachbarreiche Judas; Ägypten und Tyrus werden ebenfalls den Chaldäern, Edom Moab und Ammon den Arabern erliegen; die Edomiter müssen das heilige Land, in das sie sich eingedrängt haben, räumen und werden durch Verwüstung ihres eigenen Gebietes heimgesucht. Aus Rücksicht auf sich selber, um seines Namens willen, muss Jahve Rache nehmen an den Heiden, die ihn in den Sturz seines Volkes verwickelt glauben; seine eigene Ehre steht auf dem Spiel, wenn auf seinem Lande die Schmach der Verödung ruht. Von der Vernichtung der Chaldäer redet Ezechiel nicht, obgleich er sie voraussetzt. Statt dessen führt er in dem König Gog von Magog einen phantastischen Vertreter der heidnischen Weltmacht ein, dessen Erscheinung er allerdings in eine unbestimmte Zukunft verschiebt. Wenn die Gefangenschaft der Juden bereits gewendet und die Theo-
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kratie hergestellt ist, werden noch einmal alle Heere der Volker gegen Jerusalem anstürmen, aber bei dieser Gelegenheit vernichtet werden. Dadurch soll einmal eine bis dahin unerfüllt gebliebene Drohung älterer Propheten über den Einbruch wilder nördlicher Reiterschaaren in Juda nachträglich verwirklicht w e r d e n A u s s e r dem aber genügt es nicht, dass Jahve seine Macht bloss den Ägyptern Tyriern Gdomitern und den übrigen Nachbarn der Juden erweist und ihnen gegenüber seine Ehre herstellt; die ganze feindliche Welt muss vor ihm gedemütigt und gebrochen werden, in der Weise, dass sie an der heiligen Stadt, die ihr ehedem erlegen war, sich zuletzt den Kopf einrennt. Mit dieser Weissagung über Gog und Magog beginnt die jüdische Eschatologie, welche die Ereignisse auf Grund theologischer Ideen postulirt, nicht auf Grund der schon in der Gegenwart sie ankündenden Zeichen voraussieht. Mitten unter diesen Orakeln findet sich ein Stück, aus dem man sieht, dass Ezechiel seine Aufgabe, die Verbannten aufzurichten, auch noch auf eine ganz andere Weise angefasst hat. Das Volk war tot und konnte nur durch ein Wunder Jahves auferweckt werden. Allein die Einzelnen lebten noch. Der Beruf des Wächters, der eigentlich darin besteht über die S t a d t zu wachen und die der S t a d t drohenden Gefahren zu melden, verwandelt sich dem Propheten durch die Zerstörung Jerusalems in den Beruf des Seelsorgers; die Rechtbeschaffenheit der Einzelnen war die Vorbedingung für die Auferstehung des Ganzen. Sehr eigentümlich verwendet er nun den Individualismus als Trostgrund. „Ihr sprecht: unsere Sünden lasten auf uns und wir vermodern darin, wie könnten wir genesen! Aber Jahve sagt: fürwahr, ich will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe; bekehrt euch, bekehrt euch, warum wollt ihr sterben!" Gegenüber einer Verzweiflung, die in dem sündigen Zusammenhang des Ganzen zu versinken glaubte, hebt er die Möglichkeit der Bekehrung hervor. Die sittliche Freiheit legt zwar dem Einzelnen eine schwere Verantwortung auf, aber sie gewährt ihm auch den Trost, dass er aus der Causalität heraus kann, dass er sich bekehren kann und leben. In der Bekehrung liegt die Sündenvergebung eingeschlossen. Freilich verdirbt Ezechiel wieder Alles und verwickelt sich in die grössten ') Uog von Magog vollstreckt bei Ezechiel (38, 17. 3 9 , 8 ) die Weissagungen Sephanias u n d Jeremias über die Verwüstung J u d a s durch die Scythen.
150
Elftes
Kapitel.
Widersprüche dadurch, dass er dennoch die Sündenvergebung in der Aufhebung der Strafe sieht und nun eine genaue Correspondenz zwischen dem inneren Wert jedes Einzelnen und seinem äusseren Ergehn statuirt, als notwendigen Ausiluss der göttlichen Gerechtigkeit, die nicht dulden könne, dass die Gegenwart unter der Schuld der Vergangenheit und das Individuum unter der Schuld der Gemeinschaft leide. Am Schluss seiner Schrift gibt dieser Prophet ein ausgeführtes Bild davon, wie er sich die wieder in Gang gebrachte Theokratie vorstellt. Seine Schilderung des Neuen Jerusalem hat den Apokalypsen als Vorbild gedient. Es ist die kühnste Hoffnung, wenn er, in einer Zeit die sich durchaus nicht so anliess als ob die Juden j e aus Babylonien wieder herauskommen würden, genau die Zahlen und Maasse für den Wiederaufbau des Tempels angibt und die Details des Tempeldienstes ordnet. Aber er knüpft zugleich so eng an den früheren Bestand an und hält sich so in den Schranken des Durchführbaron und Zeitgemässen, dass sein Zukunftsbild auch faktisch das Programm für die Organisation der nachoxilischen Gemeinde geworden ist: in den Gleisen, die er vorgezeichnet hat, hat dieselbe sich verwirklicht. An ein jüdisches Weltreich denkt er nicht, überhaupt nicht an ein Reich, sondern nur an eine Cultusgemeinde. Die Theokratie ist Sion. Aber Sion ist nicht mehr wie in Isa. 11 die Stadt Davids, wo gutes Regiment, Recht und Friede herrscht, sondern die Stadt des Tempels, wo Jahve so verehrt wird wie es seiner Heiligkeit entspricht. Der König kommt nur insofern in Betracht, als er die öffentlichen Opfer zu bezahlen hat, wofür an ihn die Abgaben entrichtet werden. Im Übrigen haben ihn die Priester in den Schatten gedrängt. Ein Versuch ihnen auch die Staatsgewalt zu übertragen, wird freilich nicht gemacht; sie sollen sich im Gegenteil auf den Gottesdienst und die Thora beschränken. Das Politische wird völlig ignorirt, die Hauptsache ist, dass der Cultus an der richtigen Stätte in der richtigen Weise von den richtigen Leuten betrieben wird. Das Ideal ist nicht die Gerechtigkeit, sondern die Heiligkeit. Schon in den Sündenregistern, die im ersten Teil seines Buchs einen so breiten Raum einnehmen, tritt hervor, welchen übermässigen Wert Ezechiel auf den Cultus legt. Obwol er da gelegentlich (Kap. 18) ein sehr feines und fortgeschrittenes moralisches Gefühl zeigt, so verweilt er doch weit weniger bei den
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Sünden der Menschen gegen die Menschen, als bei ihren Sünden gegen Jahve, gegen den Ort und das Land seiner Wohnung. Das Land Jahves ist von einer ganz gefährlichen Heiligkeit, es speit seine unwürdigen Bewohner aus. Die Entweihung des heiligen Landes durch Götzendienst ist die Hauptschuld. Sie ist vorzugsweise begangen durch das Essen im Blut, auf den Höhen ausserhalb des Tempels. Ezechiel sieht die Opfer auf den Höhen einfach als Götzenopfer an, das Fleisch derselben weder als richtig geopfert noch als richtig geschlachtet, daher die Opfermahle als ein Essen im Blut. Er fusst dabei auf dem Deuteronomium, behandelt indessen das, was dort frisch verboten wird, seinerseits als einen niemals irgend zulässig gewesenen, ganz entsetzlichen Greuel. Ebenso geht er zwar von der deuteronomischen Gesetzgebung aus, überbietet sie aber und sanktionirt eine von ihr nicht gewollte Folgo der Abschaffung der Höhen, indem er auch die Priester der Höhen ihres Priesterrechts verlustig erklärt, zur Strafe dafür dass sie es an der falschen Stelle ausgeübt haben, und sie degradirt zu Handlangern der Söhne Sadoks von Jerusalem, die künftig allein Priester bleiben sollen, zum Lohne dafür dass sie immer an der richtigen Stelle amtirt haben. Er corrigirt das Deuteronomium von seinen Tendenzen aus. Er zieht aber auch den Cultus in weit grösserem, wo möglich im ganzen Umfang in das Gebiet der Gesetzgebung hinein, in der Absicht, ihn von allem Götzendienst zu säubern. Er hat den wichtigsten Schritt getan zur Systematisirung des Cultus im Geiste des Monotheismus. Man merkt, dass dieser Prophet ein Priester und ein Sohn Sadoks war. Indessen stimmten seine persönlichen Wünsche und Neigungen überein mit dem, was die Verhältnisse verlangten. Der Tempel hatte von jeher eine unverhältnismässige Bedeutung in dem kleinen Juda. Durch die Zerstörung Samariens und weiter durch die Reformation Josias wurde er die einzige Anbetungsstitte Jahves auf Erden. Gleichzeitig wuchs der Verlust an politischer Macht dem Cultus als Gewinn zu. So war es schon vor dem Exil; seitdem beförderte die Fremdherrschaft diese Richtung der Entwickelung. Sie liess den Juden nur auf dem Gebiete des Cultus freien Spielraum, nur als Cultusgemeinde erlaubte sie ihnen sich zu organisiren. Auch ohne Ezechiel wäre dieser Gang der Dinge vorgezeichnet gewesen. Er war der Zeit nur um einen Schritt voraus. Eben deshalb ist er der Constitutor der nachexilischen
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Elftes
Kapitel.
Gemeinde geworden, eben deshalb bat sie sich auf den Grundzügen seines Planes aufgebaut. Auf das geistige Leben der Juden hat er freilich keinen bestimmenden Einfluss ausgeübt, nur auf ihre Organisation. Aber die Organisation war damals die wichtigste Aufgabe, wenngleich sie noch nicht unmittelbar drängte. 3. Die Zeit nach der Zerstörung Jerusalems war keine bewegte. Daher erklärt sich die ungeschichtliche Art der Weissagungen Ezechiels, er lebte in Reminiscenzen und Phantasien, nicht in einer Krisis der Gegenwart. Die Ruhe dauerte so lange Nabokodrossor lebte; unter seiner langen starken und weisen Regierung stand das chaldäische Reich fest. Aber bald nach seinem Tode (562) begann der Verfall. Sein Sohn und Nachfolger Evilmardoch 1 ), der den Jechonia aus dem Gefängniss frei Hess, wurde nach zweijähriger Herrschaft von seinem Schwager Neriglissar gestürzt (560). Neriglissar regierte vier Jahre, ihm folgte sein Sohn Labosomardoch, noch ein Knabe. Gegen den verschwuren sich nach kurzer Zeit „die Freunde", schlugen ihn tot und setzten den Naboned, einen Mitverschworenen, auf den Thron (556). Unter ihm brach das Gleichgewicht der Mächte in Vorderasien zusammen, welches sich nach dem Ablauf der scythischen Überschwemmung, nach dem Sturze Assurs und nach der Schlacht der Sonnenfinsternis herausgebildet hatte. Cyrus der Sohn des Cambyses, König von Persien und Elam, griff den Meder Astyages an, besiegte ihn und nahm ihn gefangen (550). Ohne viel Mühe scheint er sich dann der Hauptstadt und der Provinzen des medischen Reiches bemächtigt zu haben, bis zur lydischen Grenze am Halys. Crösus fühlte sich durch den Eroberer bedroht und schloss gegen ihn mit Amasis und mit Sparta ein Bündnis, dem auch Naboned beitrat (547). Er wartete aber nicht auf die Hilfe der Bundesgenossen, sondern begann ohne sie den Angriff" und überschritt den Halys. Das kostete ihm sein Reich. Cyrus fügte Lydien und ganz Kleinasien bis zum Ägäischen Meere seiner Herrschaft hinzu (546). Die Reihe musste nun an Babel kommen, man konnte auf den Zusammenstoss gespannt sein. Frohlockend anteeipirten prophe') Die Form der babylonischen Königsnamen ist die bei Berosus in Josepbus contra Apionem 1, 146 ss. ed. Niese. Nur habe ich aus Laborosoardoch auf Grund der Inschriften Labosomardoch gemacht. Die hebräische Schreibung und Aussprache " p j O D Mapst viel-
mehr ein Käfer. Auch wir haben Grund dein Dokument 1 Macc. 10, 25—45 (ebenso auch 11, 30— 37) nicht zu trauen; es stehn unglaubliche Dinge darin.
Judas Makkabäus und seine Brüder.
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erhob (147). Da kämpfte er für Balas gegen Apollonias, den Statthalter Cölesyriens, der sofort dem rechtmässigen Erben des Reiches zugefallen war, schlug ihn in der Ebene der Philister, nahm Jope und Askalon ein, eroberte Asdod und zerstörte den Tempel Dagons. Zum Dank dafür erhielt er die Stadt Akkaron und verdiente sich die goldene Spange, das Abzeichen der Vettern des Königs. Doch konnte er es nicht hindern, dass Balas unterlag, nachdem er von seinem Schwiegervater, Ptolemäus VI., im Stich gelassen war (145). Er setzte nun auf eigene Faust den Krieg gegen Demetrius fort und begann die Belagerung der Akra, um die syrische Besatzung zu vertreiben. Das war der letzte Hort, den die Legitimisten im Lande besassen. Noch einmal wandten sie sich hilfesuchend und beschwerdeführend an den Hof. Demetrius forderte den Rebellen vor sich nach Ptolemais, uud dieser war kühu genug sich zu stellen, ohne die Belagerung aufzuheben. Er vertraute auf seinen Wert und auf das Gold und Silber, das er mitbrachte, wol auch auf die Schwäche und auf die wenig gesicherte Stellung des Königs. Seine Rechnung trog nicht; Demetrius, statt ihn zu strafen, zog es vor, ihn sich zum Freunde zu machen. Er bestätigte ihn im Hohenpriestertum und in allen anderen Würden, und genehmigte die geschehene Annexion der drei samarischen Bezirke Aphärema Lydda und Ramatha 1 ). Jonathan musste dagegen eine Steuerpacht von jährlich 300 Talenten zahlen und wahrscheinlich sich verpflichten, die Burg nicht mehr zu belagern und auf Verlangen Soldaten zu stellen. Sehr bald kam er in die Lage sich nützlich zu erweisen, indem er 8 0 0 0 Mann nach Antiochia sandte, um einen Aufstand niederzuschlagen, der dort gegen Demetrius ausgebrochen war. Der Herrscher von Asien in seiner eigenen Hauptstadt durch den jüdischen Hohenpriester geschützt — welcher Wechsel der Zeiten! Demnächst aber liess er den König in einer schwereren Gefahr stecken und schlug sich auf die Seite seiner Feinde. Ein ehemaliger Offizier des Balas, Trypho, gewann einen grossen Teil der Truppen für sich und stellte Antiochus V I . , den unmündigen Sohn des Balas der bei einem Araber untergebracht war 3 ), als ') 1 1 , 3 4 vgl. 1 0 , 3 0 . 3 8 .
Es scheint,
dass
diese
drei ( 1 1 , 5 7 : vier) B e -
zirke erst unter J o n a t h a n von der S a m a r i t i s losgerissen sind. -1) I(IBX*OUE 1 M. 11, 3 9 , f a l s c h e Aussprache von I S ^ E 1 ( J a m l i k ) ,
wol der
•266
Siebzehutes
Kapitel.
Gegenkönig «auf; es gelang ihm sogar sich der Hauptstadt zu bemächtigen. Es konnte nichtfehlen, dass er um die Gunst des jüdischen Hohenpriesters warb, und dieser fand einen Grund, den Umständen gemäss die Treue zu wechseln. Er bekam nun den obersten Befehl im mittleren und südlichen Syrien, mit der Aufgabe, das Land für Antiochus VI. Eupator in Besitz zu nehmen und von den Resten der Herrschaft und Macht des Demetrius zu säubern '). Der Schauplatz seiner Tätigkeit war zuerst Philisthäa, dann Galiläa; dort brachte er Askalon und Gaza zur Unterwerfung, hier besiegte er Truppen des Demetrius in der Nähe des Sees von Gennesar 2 ). Als die Geschlagenen sich bei llamath wieder sammelten, drang er bis dorthin vor, über den Libanon hinaus, und zerstreute sie 3 ). Auf dem Rückwege strafte er die Zabadäer, einen Stamm der ituräischen Araber am Libanon 4 ), und zog durch die Gegend von Damaskus wieder heim. Zu Jerusalem angelangt hielt er Rat mit den Altesten und traf Maassregeln zur Sicherung des Landes. Er begann etliche Städte zu befestigen, die alten Mauern von Jerusalem zu erhöhen und eine neue zwischen der Akra und
d e u t l i c h s t e Beweis, d a s s d a s G r i e c h i s c h e Ü b e r s e t z u n g ist. ein V e r w a n d t e r des A r a b e r s Z a b d i e l g e w e s e n s e i n , t i g e n Balas au P t o l e m ä u s VI. s a n d t e
Dieser J a m l i k
der d e n Kopf d e s
mag flüch-
(11,7).
') [lipav toü roT(i(iou 1 1 , 6 0 , d a s d e n E r k l ä r e r n so viel K o p f z e r b r e c h e n verursacht,
ist
weiter
nichts
als
Eberhanahar
d. i. T r a n s e u p b r a t e n e
oder
Syrieu (7,6). Die F o r m G e u n e s a r 1 1 , 6 7 ist die o r i g i n a l e ,
sie findet sich auch
bei
J o s c p h u s , in s ä m t l i c h e n j ü d i s c h - u n d c h r i s t l i c h - a r a m ä i s c h e n B i b e l ü b e r s e t z u n g e n , u n d im Codex D d e s N e u e n T e s t a m e n t s .
Nesar
ist nach l l a l e v y
u n d N a s a r e u e r G a l i l ä e r , vgl. Matth. 26, 69 mit '26, 71. 3
) Z w i s c h e n d e r B e s i e g u n g d e r S y r e r beim See
weiteren Verfolgung Jerusalem gemacht
bis
nach l l a m a t h
h a b e n — bloss u m
n e u e r n (1 M. 1 1 , 7 4 — 1 2 , 2 5 ) . eingeschoben. Trypho
Galiläa,
G e n ist d e r G a r t e n . von G e n n e s a r u n d
ihrer
soll J o n a t h a n e i n e n A b s t e c h e r
nach
d a s B ü n d n i s mit den R ö m e r n zu er-
Die Sache ist an der a l l e r u n g e s c h i c k t e s t e n Stelle
A u s s e r d e m war er j a S t r a t e g von C ü l e s y r i e n , d e n Schein
zu k ä m p f e n h i e l t er wolweislich a u f r e c h t ,
malige k r i e g e r i s c h e T ä t i g k e i t im N o r d e n .
darauf
für
b e r u h t e s e i n e da-
W i e soll er d a n n g r a d e in d i e s e m
A u g e n b l i c k d a z u g e k o m m e n s e i n , e i n e n S c h r i t t . z u t u n , wodurch er sich n i c h t als s y r i s c h e r B e a m t e r s o n d e r n a u f s d e u t l i c h s t e als S o u v e r ä n b e n a h m ?
Natür-
lich h a t auch d i e s e s R ü m e r b ü n d n i s n i c h t die g e r i n g s t e geschichtliche W i r k u n g gehabt. 4
) Bei E u s e b i u s P r a e p . ev. 9, 2 0 w e r d e n d i e Z a b d ä e r (so zu l e s e n
N a b d ä e r ) von d e n I t u r ä e r n
unterschieden.
statt
Judas Hakkabáus und seine Brader.
267
der Burg aufzuführen, um die syrische Besatzung die noch zu Demetrius hielt gänzlich abzuschneiden. Auch sein Bruder Simon war inzwischen nicht untätig gewesen, der von Trypho zum Strategen des palästinischen Küstenstrichs ernannt war. Er hatte Bethsura, die wichtige jüdische Grenzfestung gegen Idumäa, zur Übergabe gezwungen und die Syrer daraus vertrieben, natürlich als Truppen des Demetrius. Er hatte dann auch Jope besetzt, wo sich Sympathie» für Demetrius regten, und die Stadt Adida, an der Grenze der Philister, in eine Festung verwandelt 1 ). Nachdem die Hasmonäer die alte Aristokratie glücklich verdrängt und sich an ihre Stelle gesetzt hatten, steckten sie sich höhere Ziele. Sie vergassen sich selber nicht, indem sie für den einen König gegen den andern fochten und im Namen der Syrer die Syrer aus Judäa uud den angrenzenden Gebieten vertrieben. Es ist erklärlich, dass Trypho dem schlauen und verwegenen Hohenpriester zu mistrauen begann und sich seiner zu entledigen suchte. Er rückte plötzlich in Palästina ein und lagerte sich bei Scythopolis. Jonathan war auf der Hut, an der Spitze eines wolgerüstcten Heeres zog er ihm entgegen. Aber von maasslosen Schmeicheleien geködert gab er die Vorsicht auf, entlicss sein Heer und folgte dem Syrer in die Festung Ptolemais. Da wurde er in Haft genommen und seine Begleitung niedergemacht. 4. Es fand sich jedoch Ersatz für ihn. Simon kam aus seiner Provinz nach Jerusalem, bot sich an und wurde von der Volksversammlung zum Führer gewählt. Trypho fand ihn gerüstet an der Grenze bei Adida, als er in Judäa einzufallen gedachte. Er versprach nun Jonathan freizugeben, wenn dessen beide Söhne als Geiseln gestellt und hundert Talente gezahlt würden. Simon traute dem Handel nicht, gab aber doch das Geld und die Geiseln; angeblich um den Vorwurf abzuschneiden, dass er nicht Alles an die Befreiung des Bruders gesetzt habe, beging er den Frevel, auch dessen Erben, die Erben der Herrschaft, in Feindes Hand zu überliefern. Wie er vorausgesehen, liess Trypho weder den Gefangenen los noch gab er die Feindschaft auf. Er ging von West nach Süd um das Gebirge herum, um irgendwo durchzubrechen, Simon wich nicht von seiner Seite. Er suchte dann wenigstens der schwer bedrängten Besatzung von Akra zu helfen, aber eine nächtliche Reiter') Die Vorgänge fallen ungefähr ins Jahr 144.
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Siebzehutes
Kapitel.
expedition, die er zu diesem Zweck absandte, wurde durch einen starken Schneefall (Winter 143) verhindert. So zog er schliesslich über Osten wieder ab. An der Person Jonathans Hess er seinen Arger darüber aus, dass die Sache, für die jener gekämpft hatte, auch ohne ihn siegreich war. Er Hess ihn in Baskama im Ostjordanlande hinrichten; seine Gebeine wurden von Simon eingeholt und in Modein bestattet. Über den Verbleib der Geiseln verlautet nichts. Die von Jonathan begonnenen Maassregeln zur Sicherung Judäas wurden durch den Krieg nicht unterbrochen, sondern nur beschleunigt, und nach dem Kriege mit Nachdruck weitergeführt 1 ). Simon vollendete den Ausbau der Mauern von Jerusalem, machte Jope zu einem jüdischen Hafen und legte in Gazera, neben Adida, eine zweite Festung an zur Sicherung der westlichen Grenze; aus beiden Städten vertrieb er die heidnischen Einwohner. Er brachte auch endlich die Akra zu Fall; den Tag seines Einzuges in dies letzte Bollwerk der Syrer, 23. Ijjar (Mai) 141, machte er zu einem dauernden Festtag. Zu Trypho hatte er natürlich kein Verhältnis mehr, namentlich seitdem derselbe die Puppe, für die er angeblich kämpfte, beiseit geworfen und sich selbst die Krone Asiens aufgesetzt hatte. Merkwürdiger Weise aber brach er das Verhältnis zu der seleucidischen Oberherrschaft nicht ganz ab. Er übersandte dem ziemlich machtlosen Demetrius II., der sich in Selcucia behauptete, einen Kranz und einen Palmzwcig von Gold und erwirkte von ihm Amnestie und Anerkennung des Status quo. Er fühlto das Bedürfnis, sich legitimiren zu lassen. Dass er das Ilohepricstcrtum sich noch auf andere Weise habe bestätigen lassen, durch einen Volksbeschluss, der es ihm erblich übertrug, ist nicht zweifellos bezeugt*).
') 1 Macc. 13, 33. 2
) Der Schluss des ersten Makkabäerbuchs, von 14, 16 a u , ist eine dem
J o s e p b u s unbekannte, '¿um Teil aus den A n n a l e n des Johannes Hyrcanus geschöpfte richtig
spätere erkannt
18. Elul 172
Ergänzung, hat.
wie
Sei. (September
und darauf m ü n d e t ,
schon
In Kap. 14 nun 141),
Whiston
wird
welche
eine die
(zu Ant. 13 7 , 1) nahezu Urkunde Taten
mitgeteilt,
Simons
dass König Demetrius ihn als Hohenpriester
vom
verzeichnet bestätigte,
weil er vernahm, dass die Kömer einen Bund mit ihm gemacht und dass die Juden eingewilligt hätten, er solle ihr Fürst und Hoherpriester s e i n , bis ein zuverlässiger Prophet
erstünde.
Bei
diesem letzteren Beschluss wird
dann
Judas Makkab&us und seine Brüder.
269
Simon wurde der Begründer der hasmonäischen Dynastie-, er war der erste, nach dessen. Jahren man rechnete and der eigene Münzen schlug 1 ), vielleicht auch der erste, der ein Bündnis mit den Römern schloss'). Die Juden atmeten auf und fühlten sich wol unter seiner Regierung. Auch er aber endete unglücklich. zwar lange verweilt, aber er erscheint doch nur als ein Teil der Kunde, die Demetrius vernahm. Die Form des Schriftstücks ist sehr sonderbar; nach v. 27. 28 erwartet man einen Beschluss, es folgt aber v. 29 s. ein Bericht, und aus diesem taucht v. 41 ss. plötzlich ein Beschluss hervor, jedoch nicht als Beschluss, sondern als Erzählung: der Gingang der Urkunde (v. 27. 28) scheint das einzig Urkundliche zu sein. Der Bericht diflerirt in mehreren Punkten von dem des echten Makkabäerbuchs, namentlich darin, dass die Concessionen des Demetrius dargestellt werden als veranlasst durch das römische Bündnis der Juden; auch tritt die Parteinahme für Simon hier noch stärker hervor. Sollte der Verfasser des ersten Hakkabäerbuchs den Inhalt einer auf ehernen Tafeln im Vorhof des Tempels öffentlich ausgestellten Urkunde nicht berücksichtigt haben? sollte er über den Volksbeschluss, auf den sich die rechtliche Stellung der Hasmonäer gründete, geschwiegen haben, wenn er ihn kannte? Vgl. Destinon, die Quellen des Josephus I. (1882) p. 80 ss. ') Das erste Jahr Simons ist 170 Sei. = 143/2 (1 M. 13, 41. 42). Dass er Münzen schlug, geht aus 1 M. 15, 6 hervor; im Übrigen vgl. Schürer 1, 192 s. 636 ss. 2 ) Das Römerbündnis Simons wird bestätigt durch das unabhängige Zeugnis des Josephus Ant. 13, 227, durch Ant. 13, 261. 264 (¿vaveiixsas&ai), und vielleicht durch Justin 36 3, 9, der freilich den ersten Demetrius statt des zweiten nennt. Aber die U r k u n d e 1 M. 15, 15—24 ist interpolirt wie Hitzig (Geschichte p. 455) mit Recht behauptet, obgleich sie dem Verf. von 14, 18. 24 bekannt zu sein scheint. Denn 15, 14 schliesst an 15,26 unmittelbar an. Durch 15, 25 sucht der Interpolator die durch den Einscbub bewirkte Zerreissung des Zusammenhanges zu vernähen, indem er v. 14 wiederholt und das dort bereits Erzählte als noch einmal geschehen darstellt; ¿v tq Scutlp? ist hier ebenso Zeichen der Naht wie ¡"PJtP Josua 5, 2. Zach. 4, 12. Die Datirung der Urkunde auf A. 139 (während Antiochus Sidetes Dora belagerte) widerspricht den Angaben 14, 16—18. 24. 40 und auch 15,22 selber, wonach das Bündnis schon A. 142 unter Demetrius abgeschlossen ist. Vermutlich aber ist die Urkunde nicht bloss interpolirt, sondern auch unecht. Willrich hat es sehr wahrscheinlich gemacht, dass sie nach dem Muster des Römerbündnisses mit Hyrkan II. (Ant. 14, 145 ss.) gearbeitet ist; das daraus übernommene dvaveoti|ievoi, meint er, habe dann die Fiction der Römerbündnisse mit Judas und Jonathan nach sich gezogen. Jedenfalls ist das ¿vaveoii(itvoi ein Beweis gegen die Echtheit von 1 M. 15, 16—24; denn die spätere Einschaltung von 1 M. 8 und 12, 1—24 an ganz unmöglichen Stellen habe ich unabhängig von Willrichs Argumentation nachgewiesen (p. 261.266).
Achtzehntes
270
Kapitel.
Sein E i d a m P t o l e m ä u s , d e r S o h n des H a b u b , d e m er die V e r w a l t u n g von J e r i c h o ü b e r t r a g e n h a t t e , e r m o r d e t e i h n u n d zwei seiner S ö h n e bei e i n e m B e s u c h e , d e n sie i h m a b s t a t t e t e n ( F e b r u a r 135). Er wollte die H e r r s c h a f t an sich r e i s s e n , wobei er auf die U n t e r s t ü t z u n g des seleucidischen Königs u n d a u c h einiger Offiziere des j ü d i s c h e n H e e r e s r e c h n e t e . E s misgliickte i h m a b e r der Versuch, seinen S c h w a g e r J o h a n n e s i l y r c a n u s a u s d e m W e g e zu schallen, der in G a z e r a residirte. Dieser w a r g e w a r n t , fing die a u s g e s a n d t e n M e u c h e l m ö r d e r a b u n d eilte n a c h J e r u s a l e m . P t o l e m ä u s fand die H a u p t s t a d t von i h m besetzt, als er d o r t h i n k a m , u n d zog sich n u n in seine B u r g bei J e r i c h o z u r ü c k . Von d o r t gelang es i h m , ü b e r den J o r d a n zu e n t k o m m e n u n d bei d e m T y r a n n e n Z e n o Kotylas in P h i l a d e l p h i a eine Z u f l u c h t zu finden. A h n l i c h e Vorgänge wiederholten sich s e i t d e m bei j e d e m T h r o n w e c h s e l in der hasmonüischen F a m i l i e . S i m o n s Leiche s c h e i n t in Modein beigesetzt zu s e i n , in d e m h a s m o n ä i s c h e n E r b b e g r ä b n i s s e , welches er selber g l ä n z e n d h a t t e a u s b a u e n lassen, so dass es den Schiffern auf d e m Meer zur Orieutirung dienen konnte.
Achtzehntes Kapitel. Die 1.
Herrschaft
der
Hasmonäer.
D e m e t r i u s II. h a t t e im J a h r e 1 4 0 seinem Gegner das Feld
g e r ä u m t u n d w a r , g e r u f e n von der B e v ö l k e r u n g ,
in die östlichen
P r o v i n z e n gezogen, ü b e r die d e r A r s a c i d e M i t h r a d a t e s d a m a l s s e i n e Herrschaft ausdehnte.
Nach a n f ä n g l i c h e n Erfolgen fiel er schliess-
lich in die H ä n d e der P a r t h e r ( 1 3 9 / 8 ) u n d w u r d e lange Zeit von ihnen
in
Syrien
sein a u s g a n z a n d e r e m Holz g e s c h n i t z t e r B r u d e r auf d e n
in H a f t g e h a l t e n .
Schau-
platz,
Antiochus VII.
An
seiner S t e l l e
von Side.
trat
nun
E r t r i e b T r y p h o n a c h längereu
K ä m p f e n in d i e Enge u n d in d e n T o d .
Den J u d e n zeigte er sich
anfangs nachgiebig;
sobald er a b e r zu Macht g e l a n g t e , m a c h t e e r
die
Hoheitsrechte
preisgegebenen
geltend.
des
Keiches
wieder
gegen
sie
Noch w ä h r e n d er T r y p h o in D o r a b e l a g e r t e , f o r d e r t e er
S i m o n a u f , die e r o b e r t e n S t ä d t e h e r a u s z u g e b e n oder d a f ü r t a u s e n d T a l e n t e zu zahlen.
D a S i m o u n u r h u n d e r t geben w o l l t e ,
so g a b
er d e m S t r a t e g e n des K ü s t e n s t r i c h s , K e n d e b ä u s , B e f e h l , gegen die
271
Die Herrschaft der Hasmonäer.
Juden vorzugehn. Kendebäus wurde freilich abgeschlagen, und der König Hess nun die Sache anstehn, bis über Simons Tod hinaus. Erst nach mehreren Jahren erneuerte er den Angriff und zwar in eigener Person '). Hyrcanus wurde nach Jerusalem zurückgedrängt und dort belagert 1 ). Die Belagerung dauerte lange und endete mit eioer Kapitulation. Die Juden mussten die Waffen ausliefern, fünfhundert Talente bezahlen und Geiseln stellen. Von der Einlegung syrischer Truppen in die Stadt stand der König ab, aber ihre Mauern wurden geschleift. Ebenso durften die Juden zwar Jope und die übrigen Eroberungen behalten, mussten sich aber verpflichten, für diesen neu erworbenen Besitz Steuern zu entrichten. So kamen sie doch noch halbwegs glimpflich davon 3 ). Bald darauf ging der König daran, den Parthern ihre Eroberungen zu entreissen (130/29). Binnen Kurzem hatte er ihnen so zugesetzt, dass sie um Frieden baten. Aber an der Härte seiner Bedingungen scheiterten die Verhandlungen, und nun wendete sich das Blatt. Durch einen plötzlichen Überfall von allen Seiten wurde sein Heer zerstreut; er selbst stürzte sich von einem Felsen zu Tode um nicht in Gefangenschaft zu geraten. Mit ihm endete die Herrschaft der Seleuciden über die Länder jenseit des Euphrat. Seinen Bruder Demetrius hatten die Parther freigelassen, damit er sich in seinem Rücken gegen ihn erhebe. Sie erreichten dadurch, dass die Thronstreitigkeiten in Syrien wieder begannen. Demetrius fing alsbald nach seiner Rückkehr Krieg an mit Ptolemäus VII. Physkon, und nach bewährtem Muster richtete dieser einen Abenteurer ab, damit er den Königssohn spiele und sich gegen Deme') Nach Aber
Porphyrius
geschah
dies
A. 1 3 0 / 2 9 ,
nach
daneben g i b t J o s e p h u s einen Synchronismus a n ,
des Porphyrius ü b e r e i n s t i m m t
Josephus A. 135/4. der
mit dem Datum
Vgl. Schürer 2, 205 n. 5.
*) Am Schluss des ersten Makkabäerbuchs wird eine Geschichte Hyrkans erwähnt, die wol im Stil dieses B u c h e s und also annalistisch geschrieben war. J o s e p h u s kennt diese Geschichte so w e n i g
wie den Anhang des Makkabäer-
buchs; er erzählt ganz vage und unchronologisch. 3
) Man meint, sie hätten das der Fürsprache
der Römer zu
gehabt, und bezieht hierauf die Urkunde Ant. 13, 2.09 ss.
verdanken
Aber d i e s e scheint
mit 14, 247 s. zusammenzugehören, wo der gemeinte Antiochus näher bestimmt wird als der Cyzicener. teilt wird,
Der Hyrkan,
ist nicht der e r s t e ,
dem
der Bescheid Ant. 14, 145 ss. er-
sondern der zweite.
römischen Urkunden bei J o s e p h u s
(der e i n z i g e n
Über die Herkunft der
echten die er mitteilt)
Nicolaus Damascenus s. N i e s e im Hermes 1876 p. 477 ss.
aus
Achtzehntes
272
Kapitel.
trius aufwerfe. Er n a u n t e sich Alexander und hiess in der Leute Mund Z a b i n a , der Gekaufte (129/8). D e m e t r i u s w u r d e besiegt u n d auf der Flucht ermordet ( 1 2 5 / 4 ) , aber sein Sohn Antiochus VIII. (irypus setzte den K a m p f gegen den von Physkon fallen gelassenen Mietling fort u n d w u r d e glücklich mit ihm fertig (122/1). Eine Reihe von J a h r e n regierte er n u n unangefochten, als der letzte des Namens werte seleucidische König. Da t r a t gegen ihn Antiochus IX. von Cyzicus a u f , der Sohn des Sidetes ( 1 1 3 / 2 ) , verdrängte ihn anfangs völlig u n d b e h a u p t e t e sich dann wenigstens in Cölesyrien, bis er von einem Sohne des Grypus besiegt sich das Leben n a h m (95). Das Reich war iu voller Auflösung, zwischen den Fugen erwuchsen überall N e u b i l d u n g e n , freie S t ä d t e , F ü r s t e n t ü m e r und Burgherrschaften '). Die letzten Seleuciden rumorten besonders in der Gegend von D a m a s k u s h e r u m , ein wahres Gewimmel von Königen, mit rätselhaften Subsistenzmitteln. Sie hatten k a u m noch Land und Leute hinter sich u n d nirgendwo festen Boden u n t e r den Füssen. Doch die Ader des verwegenen und unverzagten macedonischen Adelsbluts schlug noch in ihnen, und der Schimmer ihres alten N a m e n s m a c h t e i m m e r noch Eindruck. W e n n sie Geld hatten, hatten sie auch Soldaten, und da es ihnen an militärischer Begabung nicht g e b r a c h , so konnten sie d a n n eine m o m e n t a n e Überlegenheit e n t w i c k e l n , die zu ihrer wirklichen Macht ausser allem Verhältnis s t a n d . Die Zeit des i m m e r rapideren Verfalls des Reiches k a m den J u d e n zu s t a t t e n . Sofort nach dem Falle des Sidetes machte sich Hyrkan wieder vollkommen unabhängig von den Seleuciden. Er d u r f t e sie ignoriren; bezeichnend ist es, dass er n u r mit dem Betrüger Z a b i n a in ein V e r h ä l t n i s trat, und zwar in ein freundliches, wie ehedem seine Vorgänger m i t Balas und Trypho. Er e r n e u e r t e die Befestigung Jerusalems, baute in der Nordwestecke des Tempel-
') Ü b e r die „ T y r a n n e n u n d M o n a r c h e n " , Römer manchmal auch einfach Räuber 427.
Neben Arabern
finden
sich
die in d e r g i o b e n S p r a c h e d e r
genannt
auch Juden
w e r d e n , s. Ant. 1 3 , 4 0 9 . 4 1 4 . darunter,
z. B. d e r oben er-
w ä h n t e H y r k a n d e r S o h n J o s e p h s , f e r n e r Silas von L y s i a s u n d D i o n y s i u s von Tripolis, l e t z t e r e r vielleicht i d e n t i s c h m i t ß a c c h i u s J u d ä u s auf e i n e r r ö m i s c h e n Münze ( A n t . 14, 39. 40.
S c h ü r e r 1, '237 n . 1 3 a ) , endlich in s p ä t e r e r Zeit u n d
auf a n d e r e m R o d e n A s i n ä u s u n d A n i l ä u s (Ant. 18, 3 1 0 ss.).
Auch d i e L a n d e s -
f ü r s t e n s c h ü t z t e n i h r e n Besitz d u r c h B u r g e n , z. B. die H a s m o n ä e r s c h o n seit S i m o n (1 M. 14, 42.
15, 7).
Die Herrschaft der Humonier.
273
bezirks eine Barg, die sogenannte Baris, und fällte die Schlacht aus, die den Sion von der südlicher gelegenen Akra trennte *). Er zuerst hielt ein stehendes Heer, das aus geworbenen Söldnern bestand. Von Stufe zu Stufe schritten die Hasmonäer fort. Zuerst war die Freiheit des Cultus ihr Ziel gewesen, dann die Verdrängung der alten Aristokratie und das Hohepriestertum, dann die Unabhängigkeit von der syrischen Oberherrschaft. Jetzt begann der Eroberungskrieg. Schon früher war zwar das Gebiet von Jerusalem ein wenig über die alten Grenzen hinaus erweitert. Drei Bezirke der Samaritis, die jedoch wie es scheint von Juden bewohnt wurden, waren hinzugekommen; Jonathan und Simon hatten Gazera und Jope erworben und nach Austreibung der alten Bevölkerung mit Juden besiedelt. Aber im grösseren Stil griff erst Hyrkan die Aufgabe an, das Reich Davids im alten Umfang herzustellen und auf diese Weise die messianische Weissagung zu erfüllen. Er eroberte Medaba und Samaga jenseit des Jordans und unterwarf Sichern und die Gemeinde der Samariter 1 ). Vor allem verleibte er Idumäa seiner Herrschaft ein und zwang die Bewohner zur Annahme der Beschneidung und des Gesetzes. Man sieht, dass der Kampf gegen Antiochus Epiphanes nicht für die Religionsfreiheit im Princip geführt worden ist. Gefährlichem Widerstande begegnete er erst, als er sich in den späteren Jahren seiner Regierung an die feste und mächtige Griechenstadt Samarien wagte und diese in ihrer Not sich den Beistand des Antiochus Cyzicenus erbat oder erkaufte. Der Sohn des Sidetes wies die Juden noch einmal in ihre Grenzen zurück. Er nahm ihnen Jope und andere Eroberungen ab und brachte sie soweit, dass sie genötigt wurden sich an die Römer zu wenden. Die Römer schritten denn auch ein und geboten dem Seleuciden, er solle ihren Bundesgenossen nichts zu leide tun, sondern die Festungen, Häfen und Gebiete herausgeben, die er ihnen entrissen ') Ober die Baris s. Ant. 18, 91. Die Ausfüllung der Schlucht schreibt Josephus Bellum 5, 139 den Hasmonäem im Allgemeinen zu, dagegen Ant. 13, 215 ss. dem Simon, der zugleich die Akra zerstört haben soll. Letzteres ist ein grober Irrtum, nicht bloss wegen 1 Uacc. 14, 36 s. 15, 28. •) Dass er den Tempel auf dem Garizzim zerstört habe, sagt Josephus im Bellum 1, 63 nicht, wol aber in den Ant. 13, 256; vgl. die Fastenrolle unter dem 21. Kislev. W e l l h a o M Q , Iar. Geschieht«. 3. Anfl.
18
Achtzehntes
274
Kapitel.
habe'). In Folge dessen zog er ab, von den zwei Obersten die er zurückliess schlugen die Juden den einen und bestachen den andern so dass er ihnen auch noch Scythopolis überlieferte. Nach langer Belagerung wurde Samarien nun erobert und gemäss dem Worte des Propheten Micha dem Erdboden gleich gemacht. Dank den Römern hatte sich die Niederlage in Triumph verwandelt; vierzig Jahre später reichten sie die Rechnung ein. Sonst wissen wir von Hyrcanus nur, dass er das Münzrecht ausübte und dass er nicht mehr in Modein, sondern in Jerusalem begraben wurde. Seine 31jährige Regierung erschien den Späteren in ausserordentlichem Glänze, gehoben von der trüben Zeit die bald folgte. Das Joch der Heiden war abgeworfen, und sie selber kamen nun an die Reihe. Die Schafe der Heerde hatten sich in Kriegsrosse verwandelt 1 ). Die Frommen führten nicht nur Lobgesänge im Munde, sondern auch scharfe Schwerter in den Händen, Rache zu nehmen an den Völkern, ihre Könige und Edelen zu binden mit eisernen Ketten, geschriebenes Recht an ihnen zu vollstrecken'). Von patriotischem Schwung hingerissen befand sich die Nation in voller Übereinstimmung mit ihrem Führer. Noch schien das Gleichgewicht zwischen Staat und Kirche ungestört, der kriegerische Fürst war stolz darauf Hoherpriester zu sein und nahm es mit den Pflichten seines heiligen Amtes genau. Josephus feiert ') Zu der Urkunde Ant. 14, 247 s. (vgl. 13, 259 ss.), nach der ich mich gerichtet habe, steht der Bericht des Josephus 13, 247 s. in Widerspruch. Nach Bellum 1, 65 ist es indessen gar nicht Cyzicenus, sondern sein Gegner Grypus (Aspendius), welcher von Samarien zu Hilfe gerufen wird. Niese hält das (nach einer brieflichen Mitteilung) für richtig und meint, der unglückliche Zus&mmenstoss Hyrkans mit dem Cyzicener sei dann später erfolgt. Damit würde der grobe Widerspruch zwischen der Urkunde und dem Bericht der Antiquitäten wegfallen. Unzulässig ist es jedenfalls, denselben dadurch zu beseitigen, dass man den Antiochus Antiochi der Urkunde in Sidetes verwandelt; vgl. Gutschmidt Kl. Schriften 2, 303 ss. >) Henoch 90, 19. 34. Zach. 10,3. Auch was folgt, ist bezeichnend: „aus ihnen (den Juden) selbst gehn die Ecksteine hervor, aus ihnen die Pfeiler, aus ihnen die Eriegsbogen, aus ihnen alle Gewalthaber zumal". Dass die Fürsten und Beamten und sogar die Offiziere „aus ihnen selber" stammten, dass sie eine autonome und sogar militärische Uacht waren, war den Juden höchst ungewohnt. Vgl. 1 M. 10, 37. 3
) Ps. 149. Das geschriebene Recht steht im Buch Josua und in den messianischen Weissagungen. Vgl. Ps. 60, 8—14.
Die Herrschaft der Hasmon&er.
275
ihn, im Talmud ist er mit Glorie umgeben, ein altes Thargum schiebt seineh Namen in Deut. 33,11 ein and bezieht den Segenswunsch für Levi speciell auf ihn: mögen die Feinde des H o h e n p r i e s t e r s J o h a n a n nicht bestehn')! 2. Es folgte ihm sein ältester Sohn Aristobulus'). Der Wechsel ging auch diesmal nicht glatt von statten. Der junge Herrscher soll seine Regierung damit begonnen haben, dass er seine Mutter verhungern Hess und seine Brüder gefangen setzte'), mit Ausnahme des Antigonus, den er zärtlich liebte, später aber doch, in Folge einer von seiner Gemahlin angestifteten Teufelei, niederstossen Hess. Von anderer Seite aber wird ihm das Zeugnis gegeben, er sei ein verständiger Mann gewesen und habe den Juden viel genützt, indem er einen Teil der Ituräer unterjocht and durch erzwungene Beschneidung judaisirt habe. An dieser letzteren Tatsache ist gewiss nicht zu zweifeln, nur lässt sich schwer sagen, was mit den Ituräern gemeint sein soll. Die Ituräer waren die Araber des Libanon, diese konnten aber nicht angegriffen werden, ehe nicht Galiläa ganz oder zum Teil erobert war. Unter Hyrkan scheint das aber noch nicht geschehen zu sein, wenigstens verlautet davon nichts. Möglicherweise ist also in Wahrheit Galiläa unter dem Teil des Landes der Ituräer zu verstehn, den Aristobulus seiner Herrschaft einverleibte'). Die Angabe von der zwangs') Was Dalman, Gramm, des jüd.-pal. Aramäisch p. 23, sagen will, versteh ich nicht recht. ") 103. Ober die Chronologie vgl. Niese, Hermes 1893 p. 216 ss. Hyrkan I. regiert 134—104, Aristobul I. 103, Jannäus 102—76, Alexandra 75 — 67, Hyrkan und Aristobul 66—63. Diese Ansätze ergeben sich aus der einfachen Addirung der überlieferten Regierungsjahre; die Gesamtsumme passt hinein in die überlieferten Data von Simons Tode und Pompejus' syrischem Kriege, wenn man annimmt, dass das letzte Jahr Simons noch bis Herbst 135 gerechnet wurde. Die Chronologie wird verwirrt durch den künstlichen Synchronismus Ant. 14,4. Schon P. von Rohden hat 1885 die These aufgestellt: Josephus Ant. 14, 4 non annum 69, sed 66 a. Ch. indicare debnit. ®) Es war ohne Zweifel seine Stiefmutter und seine Stiefbrüder. Denn wenn seine Gemahlin viel älter war als Jannäus, so wol auch er selber. So erklärt sich die Zuneigung gegen Antigonus, seinen richtigen und gleichaltrigen Bruder. 4 ) So vermutet Schürer 1, 219. In 1 Macc. 5 erscheint Galiläa noch durchaus als heidnisches Land; auch im Buche Judith gehört es noch nicht mit Judäa zusammen. 18*
276
Achtzehntes
Kapitel.
weisen Einführung der Beschneidung kann nicht als Einwand dagegen geltend gemacht werden. Aristobulus führte einen doppelten Namen, wie schon sein Vater getan hatte und wie es in jener Zeit überhaupt Gebrauch war; hebräisch hiess er Juda. So führte er auch einen doppelten Titel; auf den Münzen nannte er sich Hoherpriester, sonst aber König und sogar Griechenfreund. Er starb schon nach einem Jahre, angeblich zusammengebrochen unter der Last seiner Blutschuld. Seine Gemahlin befreite nun seine Brüder aus dem Gefängnis, und heiratete den ältesten, der das Hohepriestertum erbte, Jannäus Alexander 1 ). Er zählte 24, sie 37 Jahre, woraus man die Art dieser Ehe erkennt. Jannäus sicherte sich den Thron durch die Beseitigung seines einen Bruders, der ihm gefährlich schien, und setzte dann alle Kraft daran, die Eroberung Palästinas zu vollenden, die sein Vater begonnen hatte. Das Binnenland westlich des Jordans, vom Fusse des Libanon bis zur Wüste, war bereits jüdischer Besitz. Aber vom Ostjordanlande fehlte noch der grösste Teil, und auch an der Meeresküste, von der tyrischen Leiter an bis zur ägyptischen Grenze, waren die wenigsten Städte unterworfen. Jannäus belagerte zuerst Ptolemais, wurde aber von dem aus Cypern herbeigerufenen Ptolemäus Lathurus dabei gestört und im weiteren Verlauf der Dinge auf das Haupt geschlagen (100). Vor grösserem Schaden behütete ihn nur das Eingreifen der ägyptischen Königin Kleopatra, der Mutter des Lathurus: eine Anwandlung, Palästina für sich zu behalten, soll ihr durch ihren jüdischen Heerführer, einen Nachkommen des Hohenpriesters Onias von Leontopolis, ausgetrieben worden sein. Mehr Glück hatte er später im Süden der Paralia. Nachdem er Raphia und Anthedon eingenommen hatte, gewann er auch Gaza durch Verrat, nach einjähriger vergeblicher Belagerung (96); bei der Zerstörung der Stadt fanden fünfhundert Ratsherrn ihren Tod im Apollotempel, wohin sie sich geflüchtet hatten'). Die längste Zeit und die meiste Arbeit verwandte er aber auf das Ostjordanland. Hier belagerte er das wichtige ') J a n n ä u s für J o n a t h a n , wie Matthäus f ü r Hatthaihia, Zacchäus für Zacharia. Vgl. Dalman a. 0 . p. 143. ") Die Erzählung des J o s e p h u s gibt auch hier keine chronologischen Anhaltspunkte für die einzelnen Ereignisse. Die angegebenen Data beruhen auf ungefährer Berechnung; g. Schürer 1, 222. 224.
Die Herrschaft der Hasmonäer.
277
Gadara unweit der Mündung des Jarmuk in den Jordan und bezwang es nach zehn Monaten. Die weiter südlich im Jordantal gelegene Stadt Amathus wurde ihm wieder entrissen, nachdem er sich ihrer bemächtigt hatte. In einem späteren Feldzuge gewann er sie zwar zurück, stiess nun aber mit gefährlichen Nachbaren zusammen, mit den nabatäischen Arabern, die damals während des Verfalls des seleucidischen Reichs ebenso am sich griffen wie die Juden, und sich mit ihnen im Süden und Osten Palästinas begegneten. Schon seit Jahrhunderten hatten sich die Araber überall am Rande der Wüste zwischen die alte ansässige Bevölkerung geschoben und teilweise die Herrschaft über sie gewonnen. Consolidirt hatten sich die Ituräer im Libanon, mit den Städten Chalcis und Abila, und besonders die Nabatäer im alten Edom, mit der Hauptstadt Petra. In der Mitte zwischen beiden lag das Ostjordanland. Auch dort drangen arabische Stämme ein und gründeten hie und da kleine Fürstentümer 1 ), aber zu der Bildung eines einheitlichen Reichs gelangten sie nicht, sondern ebneten nur den Ituräern im Norden und den Nabatäern im Süden die Bahn. In der Mitte des zweiten Jahrhunderts standen die Nabatäer ihren Stammverwandten in der Maabitis, Ammanitis, Galaaditis noch feindlich gegenüber und begünstigten gegen sie die Makkabäer. Seitdem aber hatten sie eine Art Oberherrschaft über sie gewonnen, betrachteten jedenfalls die Gegend als ihre Machtsphäre und wollten das Eingreifen der Juden in dieselbe nicht dulden. Schon früher hatte ihr König Aretas dem belagerten Gaza gegen Jannäus beispringen wollen, es aber beim guten Willen bewenden lassen. Jetzt überfiel sein Nachfolger Obädas das jüdische Heer in der Gaulanitis, drängte es in eine tiefe Schlucht und rieb es völlig auf'). ') Z. B. in Philadelphia (Rabbat Amman). Zeno Kotylas und sein Sohn Theodoras scheinen arabische Phylarchen zu sein, die sich in aramäische Städte einlogirt haben; vielleicht auch jener Timotheus, dem wir 1 Macc. 5 begegnen. Mehrere Namen von arabischen Stämmen jener Gegend finden sich im ersten Makkabäerbuch, z. B. die Banu Baian (Ham. 505 v. 5. Boch 1 208,14. •259, 27 ed. Bul. 1289). ®) Arethas ist die genauere, Aretas die ältere Schreibung (2 Macc. 5, 8. 2 Cor. 11,32. Strabo, Josephus; vgl. Mitras bei Herodot, später Mithras). Neben der Form O b ä d a s ( = Obodas?) ist auch O b a i d a s (Uße8at) möglich, wenngleich die Schreibung n"OV gegen den Diphthongen spricht. Die Lesung
278
Achtzehntes
Kapitel.
Janoäus kam ohne Heer nach Jerusalem zurück. In diesem Augenblicke brach der längst gehegte und auch schon einmal unverhohlen zu Tage getretene Unmut des Volkes gegen diesen sonderbaren Hohenpriester in offener Empörung aus. Nachdem eine erbitterte Fehde Jahre lang gewütet und zu keiner Entscheidung geführt hatte, nahmen die Aufständischen Demetrius Akärus, den Sohn des Grypus, in Sold und lieferten mit seiner Hilfe ihrem Könige eine Schlacht, die ihn völlig niederwarf (88). Aber der Sieg war eine moralische Niederlage. Während Jannäus flüchtig auf dem Gebirge umherirrte, erwachte der Patriotismus des Volkes und die Teilnahme für den Erben der Makkabäer. Aus dem Lager der Sieger gingen sechstausend Mann zu ihm über, und es wurde ihm nicht schwer den Rest zu bewältigen, nachdem Demetrius sich zurückgezogen hatte. Er nahm blutige Rache an seinen Feinden; achthundert sollen gekreuzigt, viele in das Elend gewandert sein. Nach langer Unterbrechung begannen nun wieder die auswärtigen Kriege. Antiochus Dionysus suchte damals den Nachfolger des Obadas, Aretas, der schon die Hand nach Damaskus streckte, in dessen eigenem Lande auf; er marschirte an der Küste hin durch jüdisches Gebiet (86). Jannäus vermied es bezeichnender Weise ihm im Felde entgegenzutreten, er zog von Jope landeinwärts auf 160 Stadien einen Wall und Graben, in der vergeblichen Absicht ihm dadurch den Weg zu verlegen. Er hätte ihm lieber gegen den gemeinsamen Feind helfen sollen. Denn als der Nabatäer den Antiochus zu Fall gebracht hatte und nun sogar selber zum Könige von Cölesyrien berufen ward — denn in Damaskus fürchtetete man sich noch mehr als vor ihm vor dem nähorcn arabischen Nachbar, dem Ituräer Ptolemäus Mennäi — rückte er in Judäa ein, schlug Jannäus bei Adida, halbwegs zwischen Jope und Jerusalem, und legte ihm den Frieden auf 1 ). Die Bedingungen werden uns nicht mitgeteilt; jedenfalls Hess Jannäus sich dadurch nicht lange hindern, seine Arbeit im Ostjordanlande wieder aufzunehmen. Er eroberte dort eine Reihe von Städten und kehrte G a d a r a (als Name des Ortes wo das jüdische Heer überfallen wurde) Ant. 13, 375 ist unmöglich; vgl. Bell. 1, 90. ') Ob Aretas damals wirklich Damaskus in Besitz genommen hat, lässt sich bezweifeln; jedenfalls hat er es nicht behauptet. Das folgt daraus, dass Jannäus' Witwe den Plan fasste es zu occupiren, damit es nicht dem Itruäer Ptolemäus Mennäi in die Hände fiele.
Die Herrschaft der Humonier.
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nach dreijähriger Abwesenheit im Triumph nach Jerusalem heim. Die letzte Zeit seines Lebens quälte ihn ein Fieber, das angeblich von Trunksucht herrührte. Er hoffte im Felde die Krankheit abschütteln zu können und zog wieder über den Jordan; da brach er zusammen und starb vor Ragaba (76), einundfünfzig Jahr alt. Er kannte nur ein Ziel, das Reich zu mehren und es bis zu seinen natürlichen Grenzen, zwischen Meer und Wüste, auszudehnen. Das Ziel verfolgte er mit grösster Zähigkeit und erreichte es annähernd, trotz allen Wechselfallen. Obwol er im offenen Felde regelmässig unterlag, gewann und behauptete er doch die Städte und Burgen; den grössten Teil seiner Regierung hat er auf Belagerungen zugebracht, dafür war er geschaffen. Dem Nabatäer zu trotz brachte er schliesslich die westlichere Strecke des Landes jenseit des Jordans so ziemlich in seine Gewalt; diesseit des Jordans sollen nur Ptolemais und Askalon unbezwungen geblieben sein 1 ). Es wird doch wol noch mehr Ausnahmen gegeben haben. Das Land war in kleine Gebiete zerstückelt, diese mussten einzeln zusammen erobert werden, und gewiss blieben manche Enclaven übrig. Nur im Ganzen besass Jannäus die Herrschaft über Palästina, völlig abgerundet war sie nicht. Dass er durch seine kriegerische Tätigkeit die Ausbreitung des Judentums beförderte, versteht sich von selbst. Dass er aber die bezwungenen Griechenstädte gewaltsam judaisirt habe, ist nicht bezeugt; als Pompeius sie befreite, war die Majorität der Bevölkerung noch heidnisch. Noch weniger hat er sie sämtlich zu Trümmerhaufen gemacht, sie waren ja eben das Mittel das Land zu beherrschen und mussten die Steuern aufbringen — denn die Juden scheinen von den Hasmonäern nicht besteuert worden zu sein'). Gaza wurde zerstört und auch die anderen Städte litten ohne Zweifel sehr durch die Belagerung und die Einnahme; jedoch der Ausdruck, sie seien durch die Römer wieder aufgebaut, berechtigt nicht zu dem Schluss, dass sie vorher einfach wüst gelegen haben'). Ein fanatischer Wüterich war Jan') Vgl. das Verzeichnis Ant. 13, 395 ss.; es ist leider am Schluss heillos verderbt. a ) Von ihren Volksgenossen nehmen die Könige keinen Tribut, sondern nur von den Fremden; Uatth. 17, 25. ') Vgl. Bell. 1, 156. 166. Pella wird Bell. 1, 156 unter den nichtzerstörten Städten aufgeführt; nach Ant. 13, 397 scheint es ausnahmsweise judaisirt worden zu sein, jedoch der Text ist hier ganz unsicher überliefert, und
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Achtzehntes
Kapitel.
näus nicht. Er befehdete nicht aus Grundsatz das griechische Wesen, so wenig wie sein Bruder, der Philhellene. Seine Soldaten waren Pisidier und Cilicier, die nicht aramäisch verstanden. Der Revers seiner Münzen zeigt die griechische Aufschrift: Basileos Alexandru. Er wagte auch auf der hebräischen Legende den Hohenpriester wegzulassen und sich einfach König zu nennen. 3. Sterbend übertrug J a n n ä u s die Herrschaft seiner in das Lager geeilten Gemahlin, Salma Alexandra'). Sie verheimlichte seinen Tod dem Heere, bis Ragaba gefallen war. Dann führte sie die Leiche nach Jerusalem und sorgte für ein glänzendes Begräbnis. Die würdige Matrone, Witwe zweier Könige, deren einen sie selber nach heimtückischer Beseitigung des nächsten Erben auf den Thron erhoben hatte, zeigte sich der Lage vollkommen gewachsen'). Ihr ältester Sohn, Hyrkan II., der das Hohepriestertum erbte, war unbegabt und ohne allen Ehrgeiz; den zweiten, Aristobul II., hielt sie bis zuletzt im Zaume. Gegen aussen, besonders gegen die zahlreichen kleinen Tyrannen und Monarchen in Städten und Burgen, wusste sie sich in Respect zu setzen. Zwanzig und mehr feste Plätze, darunter die oft genannten, von J a n n ä u s angelegten Castelle Alexandrium, Hyrkania und Machärus, sicherten ihr Gebiet, sie waren gut im Stande und mit Besatzungen wol versehen. Sie vergrösserte das Heer und die Zahl der Söldner. Einen Versuch die Grenze vorzuschieben scheint sie gemacht zu haben, als sie Aristobul nach Damaskus abgehn Hess, um angeblich die Stadt gegen ihren aufdringlichen Nachbar Ptolemäus Mennäi zu schützen; er misglückte aber. Mit Tigranes von Armenien, der ihr im Jahre 70/69 bedrohlich nahe rückte, Hess sie sich weislich in keinen Kampf ein; sie warb durch Geschenke um seine Gnade, als er Ptolemais belagerte. Er wurde freilich ohnehin durch Lucullus zu schleuniger Umkehr genötigt. Nicht lange nachher starb sie, 73 Jahr alt (67). Mit ihr ging die kurze Herrlichkeit des hasmonäischen Reichs zu Ende. Als das Hauptverdienst dieser Königin pflegt es angesehen zu auf Corruptel beruht es jedenfalls, dass die Stadt Bell. 3, 55 als zu Judäa gehörig genannt wird. ') Salome ist nicht überliefert, sondern Salina. Nach der Schreibung des Namens im Talmud ist Salina verderbt aus Salma; IN = M. Uünzen von Salma gibt es nicht, so wenig wie von Aristobul II. und Hyrkan II. >) Ant. 13, 306. 320.
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Die Herrschaft der Hasmon&er.
werden, dass sie es verstand, die Partei zu versöhnen, von welcher der gefahrliche Aufstand gegen ihren Gemahl ausgegangen war. Sie räumte derselben sogar grossen Einfluss und Anteil an der Regierung ein. Damit hing wahrscheinlich die Organisation des Synedriums zusammen, welches von jetzt ab als oberste Behörde der Juden hervortritt. Die alte Gerusie bestand aus den Altesten, d. h. aus den Vornehmen oder Notabein, die in der damaligen Zeit schwerlich mehr Geschlechtshäupter waren. Etwa seit dem dritten Jahrhundert stand ihr aber der Hohepriester vor, und mit ihm traten auch die ihm verwandten vornehmen Priester in das Regiment, die freilich schon vorher am Gericht Anteil gehabt hatten. W i e Jerusalem über das Land herrschte, so war auch die Altestenschaft von Jerusalem den analogen Körperschaften in der Provinz übergeordnet. Die Grundzüge dieser Einrichtung lagen in der Natur der Dinge und wurden auch später nicht verändert'). Aber durch den makkabäischen Aufstand trat ein starker Personalwechsel ein. Die Mitglieder der alten Gerusie und des alten Priesteradels wurden grösstenteils verdrängt. Kriegerische Emporkömmlinge, allerdings priesterlicher Abkunft, kamen an das Ruder. Ihnen zur Seite finden wir anfangs ganz naturgemäss nur das Heer oder das Volk. Es dauert indess nicht lange, so treten wieder die Ältesten und die Priester neben den Fürsten'). Aus neuem Stoffe bildeten sich wieder die alten Formen; der hasmonäische Dienst- und Verdienstadel wird sehr bald wieder Erbadel geworden ') Vgl. p. 190.
Die Gerusia erscheint in dem Erlass des Antiochus I I I .
(Ant. 12, 138. 142) vor und Priester
neben
den Priestern.
Photii 543).
die Stellung
der
Die Ältesten bildeten den Ursprung und blieben der Kern des
Synedriums, welches auch noch später ol 13, 428.
Ober
vgl. ausser 2 Chron. 19, 8 auch noch Hekatäus bei Diodor 4 0 (Exc.
itpcoßÜTcpot
genannt wird, z. B . Ant.
Die Juden hatten von Rechts wegen keine Monarchie, sondern eine
Oligarchie unter Vorsitz des Hohenpriesters (Ant. 11, 111). ") Aus dem zweiten Buch der Makkabäer darf man sich über Zustände und Institutionen der früheren Zeit nicht unterrichten.
Im ersten Buch er-
scheint neben den Führern zuerst immer nur die Volksversammlung oder das V o l k : 4, 59. 5 , 1 6 . 8, 20.
10, 25. 46.
den Altesten und Priestern, Regiment sind.
Erst
wieder
11, 30. 33. 42.
Nur 7, 3 3 begegnen wir
nemlich in der Zeit des Alcimus,
wo das alte
in Jerusalem hergestellt ist und die Makkabäer verdrängt
seitdem Jonathan Hoherpriester geworden und seine Herrschaft
befestigt ist, treten neben ihm Priester und Alteste wieder auf, von 11, 23 an. V g l . im Anhang des ersten Makkabäerbuchs 14, 2 8 mit v. 41.
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Achtzehntes
Kapitel.
sein und sich mit den etwa noch vorhandenen Resten der früheren Aristokratie verschmolzen haben. Die Altesten und die Priester erscheinen bis auf Simon immer gesondert neben einander, als ob sie damals noch nicht zusammen eine eigentliche Behörde gebildet hätten. Jedoch der Fürst gehörte beiden Ständen an und einigte sie, und auf den Münzen des Johannes Hyrcanus finden wir sie neben ihm zusammengefasst in dem „Collegium" der Juden 1 ). Dies Collegium hat wol von Anfang an den Namen Synedrium getragen, wie in Antiochia und Alexandria der Staatsrat hiess, in dem der König den Vorsitz führte. Zur Zeit des ersten Hyrkans und des Jannäus hatte es aber offenbar wenig zu sagen. Erst unter Salma bekam es grössere Bedeutung und eine feste Organisation. Sie überliess das Gericht und die inneren Angelegenheiten, namentlich die geistlichen, gänzlich dem Synedrium, dem ihr Sohn Hyrkan präsidirte, denn sie selbst als Weib konnte nicht Hoherpriester sein. Zugleich aber gab sie, und sie zuerst, den Häuptern der Schriftgelehrten Sitz und Stimme in der obersten Behörde, so dass nun auch diese, neben den Erzpriestern, zu den Ältesten hinzukamen'). Unter Hyrkan II. finden wir die Schriftgelehrten im Synedrium bereits vertreten, niemand anders als seine Mutter kann sie aufgenommen haben 1 ). Denn sie waren eben die Führer der ') Dass e'n Collegium bedeutet, und dass Collegium nicht Volk ist, steht fest. Für Volk und Gemeinde gab es Ausdrücke in Menge (z. B. Am El 1 Macc. 14,28); aber für Synedrium gab es k e i n e n , und so musste - Q n als technischer Terminus dafür auf den Münzen herbalten. Es ist gewiss n u r Übersetzung des im gewöhnlichen Leben allein gebrauchten griechischen Ausdrucks. J ) Man wird erinnert an die drei alten leitenden S t ä n d e : Adel, Priester, Propheten — nur dass diese keine Behörde bildeten. Nach dem Tbalmud hat das Synedrium von Rechts wegen immer nur aus Kabbinen bestanden, und nicht der Hohepriester, sondern ein Rabbi hat den Vorsitz geführt. Das ist eine Übertragung späterer Verbältnisse auf die Vergangenheit. Nemlich nach der Vernichtung des jüdischen Gemeinwesens und des Synedriums durch die Römer constituirten sich die Rabbinen zu einem Consistorium, welches sie mit der Zeit nach dem Namen der alten Regierungsbehörde benannten. Vgl. Kuenen, over de samenstelling van het Sanhedrin, Amsterdam 1866. 3 ) Im Fastenkalender § 24 heisst e s : am 28. Tebeth tagte die Versamml u n g gemäss dem Gesetz". Nach der Glosse geschah das unter der Königin Salma, welche die Sadducäer aus dem Synedrium vertrieb. Eine Spur richtiger Überlieferung findet sich h i e r , obwol entstellt durch die spätere Vorstellung über die Alleinberechtigung der Rabbinen. Natürlich wurden diese
Die Herrschaft der Hasmonier.
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Opposition gegen Jannäus, denen Salma Einfluss auf die inneren Angelegenheiten verstattete. Wenn sie diesen Einfluss so gebrauchten, dass sie ihre früheren Verfolger zur Verantwortung zogen und zum Teil hinrichten Hessen, so hatten sie richterliche Befugnisse und diese konnten sie nur haben als Mitglieder des Synedriums. Das Synedrium erfuhr in seiner Composition eine bedeutsame Veränderung durch das Hinzutreten dieses dritten Elements, obgleich die beiden andern, aristokratischen, das Übergewicht behielten, so lange der Hohepriester an der Spitze des Gemeinwesens und der Regierung stand. Das moralische Ansehen der Schriftgelehrten war schon seit der Zeit des Abfalls sehr gewachsen, durch das Beispiel todesverachtender Treue gegen das Gesetz, das sie den Jerusalemern gaben. Nun gewannen sie auch eine Art officieller Stellung. Sie Hessen sich namentlich die Rechtsprechung angelegen sein und gelangten bald dahin, durch ihre Theorie die Praxis zu beherrschen, obgleich natürlich die Praxis der Theorie die Grundlage geliefert hatte und das Gewohnheitsrecht, das sich neben der Thora ausgebildet hatte, aus den Urteilssprüchen der Richter d. i. der Priester entstanden war. Vorher hatten sie den allgemeinen Charakter von Literaten und Gelehrten; jetzt wurden sie das, was sie zur Zeit Jesu und später vorzugsweise waren, nämlich Juristen, Rechtskundige. Das Recht war freilich von der Religion ungetrennt; es bestand grossenteils in der minutiösen Regelung des Cultus und der heiligen Lebensführung. Doch auch das, was wir Recht nennen, gehörte dazu; auch dies eigentliche Recht war geheiligt und Sache der Religion, nach dem Exil so gut wie vorher. Die Tätigkeit der Schriftgelehrten auf diesem Gebiete_bestand zunächst darin, das tatsächlich bestehendo Recht auf die heilige Schrift zu begründen und aus ihr abzuleiten; durch eine sehr künstliche Exegese, die weit über den Wortlaut des Corpus Juris hinauszugehn und ihn auch zu umgehn verstand. Durch das selbe Mittel bildeten sie aber auch auch durch Alexandra nicht die Alleinherrscher im Synedrium; da würden sie schöne Dinge angerichtet haben. Die Uischna behauptet, Simon ben Schetach (etwa zur Zeit der Alexandra) habe einst in Askalon achtzig Weiber wegen Zauberei aufhängen lassen. Askalon hat nie zum jüdischen Gebiet gehört; man lernt aber aus der Angabe, dass es unmöglich war, den Rabbinen die Herrschaft zu übergeben; sie würden sie dann nicht bloss in Gedanken und Wünschen misbraucht haben.
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Achtzehntes
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schöpferisch das Recht weiter aus. Sie neuerten unendlich viel, aber sie wollten nicht neuern. Sie wollten immer nur das Alte sagen, d. h. sie neuerten folgerichtig und im Geiste der Sache, der freilich vielfach der Geist der Absurdität war. 4. Noch bei Salmas Lebzeiten brach zwischen ihren Söhnen der Streit um die Erbschaft aus, der nun einmal herkömmlich uud in diesem Fall auch sehr erklärlich war. Hyrkan II. hatte das Recht der Erstgeburt und bereits seit Jahren den Titel des Hohenpriesters; aber er war eine Puppe in der Hand seiner Ratgeber, und wenn er auf den Thron kam, so führte nicht mehr der König die Regierung. Angesichts dessen fühlte sich Aristobul zum Herrscher berufen. Er wurde angetrieben und unterstützt von den Freunden und Kriegskameraden seines Vaters, die durch den neuen Kurs verstimmt waren und sich zurückgesetzt glaubten. Sie besassen noch grosse Macht, namentlich ausserhalb Jerusalems; sie hatten ihre militärische Stellung behalten und befehligten die Besatzungen der festen Plätze. Im Einverständnis mit ihnen entwarf Aristobul seinen Plan, und als seine Mutter auf den Tod erkrankte, nahm er Gelegenheit ihn auszuführen. Er eDtwich aus Jerusalem und begab sich nach Agaba zu Galästes, dem Haupt der Verschwörung. Die Festungen fielen ihm auf Commando überall von selber zu, mit Ausnahme allerdings der drei wichtigen Castelle, Alexandrium Hyrcania und Machärus. Er sammelte nun ein Heer; wie es scheint im Norden oder Nordosten des Landes, denn es bestand aus trachonitischen und ituräischen Arabern. Damit rückte er, am Jordan herunter, gegen die Hauptstadt vor. Bei Jericho trat ihm Hyrkan entgegen, aber seine Truppen verliessen ihn grossenteils, als es zur Schlacht kam. Er räumte das Feld und warf sich in die Akra von Jerusalem. Obgleich er von dort aus den Tempel, der in die Hand der Gegenpartei gefallen war, wiedergewann und auch die Familie Aristobuls in seiner Gewalt hatte, sträubte er sich doch nicht lange, sondern trat seinem Bruder die Herrschaft und das Ilohepriestertum ab, drei Monate nach dem Tode der Mutter'). Nicht Allen war der Wechsel genehm, und besondere Gründe damit unzufrieden zu sein, hatte ein Mann, dessen Name jetzt zuerst auftaucht, der Idumäer Antipater. Sein Vater war unter Jannäus Statthalter von Idumäa gewesen, er hatte einflussreiche Ver') Aut. 15, 180. 14, 97. 20, 243 s.
Die Herrschaft der Hamnonfor.
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bindungen nicht bloss mit Jerasalem, sondern auch mit Askalon und Gaza und namentlich mit den Nabatäern, von denen er sich seine Fraa, Kyprus, geholt hatte 1 ). Er steckte sich hinter die Häupter der alten Regierung, machte dem Hyrkan die Gefahr klar, in der nach bekannten Erfahrungen das Leben eines verdrängten Herrschers schwebte, und brachte ihn endlich so weit, dass er mit ihm nach Petra floh. Aretas war auf den Gast vorbereitet und nahm ihn freundlich auf. Er versprach ihn in seine Herrschaft zurückzuführen, aber natürlich nicht umsonst, sondern gegen Herausgabe von zwölf Ortschaften an der nördlichen Grenze des nabatäischen Reiches, die Jannäus zu Unrecht sich angeeignet hätte, darunter Medaba und das heilige Elusa. Er fiel denn auch wirklich mit einem grossen Heere in Judäa ein, gewann einen leichten Sieg über Aristobul, dessen Krieger nun wieder zu Hyrkan überliefen, und nötigte ihn nach Jerusalem zu fliehen. Auch die Jerusalemer aber erklärten sich für Hyrkan, zusammen mit den Arabern belagerten sie den Aristobul im Tempel, wohin er sich zurückgezogen hatte. Sie zeigten sich äusserst erbittert gegen ihn und legten erbauliche Proben von der Giftigkeit des jüdischen Parteihasses ab'). Den Gewinn davon hatten die Römer. Es war Ostern des Jahres 65. Pompeius, mit der Regulirung des Orients beschäftigt, sandte damals seinen Legaten Scaurus nach Syrien. Begierig ergriff derselbe die Gelegenheit, sich in den jüdischen Bürgerkrieg einzumischen, und machte sich von Damascus her auf den Weg nach Jerusalem, als Abgesandte beider Parteien vor ihm erschienen and um seine Gunst warben. Aristobul kam mit dem Angebot von drei- oder vierhundert Talenten dem Hyrkan zuvor und erhielt den Zuschlag'). Dem Befehl des römischen Legaten gehorsam zogen nun die Araber mit ihrem Schützling von Jerusalem ab; Aristobul rückte ganz heldenmässig hinterdrein und brachte ihnen bei Papyron am Jordan nicht unbedeutende Verluste bei. Doch behauptete sich Hyrkan in einem Teil des ') Ant. 14,121 Niese. Bell. 1,181. Sein ¿™(pixov wird Ant. 14,84 erwähnt. 0 Ant. 14, 22—24. Der Beter Onias wurde von den Belagerern aus seinem Versteck gezogen, um Aristobul zu verfluchen. Er sagte a b e r : o Gott, da die hier um mich Stehenden dein Volk sind und die Belagerten deine Priester, so erhöre keine Partei gegen die a n d e r e ! Darauf wurde er gesteinigt. ®) Vorher hatte schon Oabinius 300 Talente von Aristobul empfangen Ant. 14, 37.
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Achtzehntes
Kapitel.
L a n d e s ' ) und auf alle Fälle war der Streit d u r c h Scaurus nicht definitiv entschieden. Im Herbst 64 k a m Pompeius selber nach dem nördlichen Syrien und überwinterte dort. Im Frühling 6 3 marschirte er über Apamea Heliupolis und Chalcis nach Damascus, indem er unterwegs überall Burgen brach und Tyrannen beseitigte oder zähmte. In Damascus verhörte er die beiden feindlichen Brüder, die sich durch Gesandtschaften schon früher an ihn gewandt hatten. Hyrkan war der Kläger, er legte nicht bloss sein Recht dar, sondern belastete auch seinen Bruder damit, dass er Einfälle in benachbarte Gebiete und Piraterie zur See begangen habe; mehr als tausend angesehene Männer, von Antipater beschafft, legten fiir ihn Zeugnis ab. Aristobul, der mit dem Gefolge eines Königs erschienen war, benahm sich ziemlich trotzig, vielleicht im Vertrauen uuf den goldenen Weinstock, den er dem Römer mitgebracht hatte; er verteidigte sich damit, dass wenn er die Zügel nicht ergriffen hätte, sie den Händen seines schwachen Bruders längst entsunken wären. Neben den Prätendenten waren aber auch Abgesandte einer neutralen Partei erschienen, die von beiden nichts wissen wollte, sondern um Abschaffung der Königsherrschaft und Wiedereinführung der alten Verfassung bat. Pompeius scheint sich nicht u m sie gekümmert zu haben. Im Übrigen verschob er sein Urteil: er werde erst bei den N a b a t ä e r n nach dem Rechten sehen und dann die jüdischen Angelegenheiten an Ort und Stelle ordnen. Der grosse Mann wollte die beiden Brüder noch ferner hinhalten. Aristobul wurde mistrauisch; er trennte sich von ihm ohne Abschied und warf sich nach Alexandrium. Darauf ging Pompeius über den Jordan und marschirte am rechten Ufer h i n u n t e r bis Koreae, in der Nähe von Alexandrium. Er forderte den juugen König vor und verlangte von ihm die Ubergabe sämtlicher festen Plätze. Aristobul fügte sich wol oder übel, begab sich dann jedoch sogleich nach Jerusalem und rüstete zum Widerstande. Als aber Pompeius ihm folgte, sank ihm wieder der Mut. Er kam ins römische Lager, bat um Frieden und erbot sich Geld zu zahlen und die Tore Jerusalems zu öffnen. Indessen Gabinius, der das Geld holen sollte, fand die Tore verschlossen und k a m unverrichteter Dinge zurück. Da verhaftete Pompeius den Aristobul ») Ant. 14, 42.
Die Herrschaft der Hagmonier.
287
und setzte den Marsch gegen Jerusalem fort. Die Partei Hyrkans, durch die Furcht vor den Römern vergr5ssert, gewährte ihm Einlass in die Stadt. Aber die Anhänger Aristobuls behaupteten sich auch jetzt wieder im Tempel, und Pompeius musste diesen nun belagern. Nach drei Monaten erfolgte der Sturm und gelang1). Pompeius betrat mit Gefolge das Adytum, besah sich alles, tastete aber nichts an. Am anderen Tage befahl er das Heiligtam zu reinigen und den Opferdienst wieder aufzunehmen, der übrigens während der ganzen Belagerung und sogar während des Sturmes nicht unterbrochen war. Die Häupter der Partei, die ihm Widerstand zu leisten sich unterwunden hatte, liess er hinrichten; den Aristobul und seine Kinder nahm er mit sich; eine Menge Kriegsgefangene schickte er nach Rom. Das Landvolk hatte die Absicht, den im Tempel Belagerten Hilfe zu bringen, liess sich aber durch Hyrkan davon abhalten. Die Jerusalemer halfen den Römern und betrachteten deren Sieg als den ihrigen; an dem wütenden Blutvergiessen in der erstürmten Feste nahmen sie tapferen Anteil; nur der entsetzliche Greuel, dass der Heide ungescheut in das Allerheiligste hineinging, verdarb ihnen die Freude. Hyrkan wurde wieder in sein Erbe gesetzt, jedoch nicht als König, sondern nur als Hoherpriester'). Jerusalem wurde entfestigt, das judäische Gebiet auf Judäa Galiläa und Peräa*) ') Ant. 14, 66: „im dritten Monat (der Belagerung, Bellum 1, 149. 5,397) am Tage des Fastens". Ganz das selbe Datum „im dritten Monat am Feste des Fastens" wird auch für die Eroberung Jerusalems durch Sosius angegeben (Ant. 14, 487). „Der Tag des Fastens" kann nach jüdischem Sprachgebrauch kaum ein anderer als der grosse Versöhnungstag sein, der Ende Oktober fällt. Aber Sosius hat Jerusalem schon im Sommer erobert (Schürer 1, 293). Ebenso auch Pompeius schon vor dem Herbst: im Frühjahr war die Scene in Damaskus, gleich darauf brach er auf, drei Monate dauerte die Belagerung, im Uerbst war er wieder in Pontus, kurz vor Ausbruch der catilinarischen Verschwörung (November 63) erwartete man in Rom seine baldige Rückkehr (Niese im Rh. Museum 1893 p. 574). Vermutlich bat Josephus „den Tag des Fastens" aus den nichtjüdischen Schriftstellern übernommen, auf die er sich beruft, und diese (z. B. Strabo p. 763) haben damit einfach den Sabbath gemeint, einen Tag, den sich die Feinde der Juden öfters zu nutze machten. *) Ant. 14, 83 ist von Römern in Jerusalem die Rede, welche den Hohenpriester hinderten die Mauer wieder aufzubauen. ') Peräa heisst genauer: das j ü d i s c h e L a n d jenseit des Jordans; Matth. 19, 1. Marc. 10, 1 (xal del.). Ant. 12, 233. Die Grenzen werden angegeben Bell. 3, 46 s. Gadara, neben Amathus die Mutterstadt der Peräa (Bell. 4,413),
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Neunzehntes
Kapitel.
beschränkt und steuerpflichtig. Die eroberten Griechenstädte, an der Küste, jenseit des Jordans, und im diesseitigen Binnenlande Samarien und Scythopolis, wurden sämtlich davon abgenommen und als Gemeinwesen mit selbständiger Verwaltung der neu zu gründenden Provinz Syrien einverleibt. Daher die pompeianische Ära auf den Münzen zum Beispiel der Dekapolis; die Römer erschienen den Heiden als Befreier. Die Gründung der Provinz Syrien war ein Ereignis von einschneidender Bedeutung. Den grössten Teil des alten seleucidischen Reichs überliessen die Römer den Iraniem, durch die Beseitigung des Tigranes machten sie sich dieselben zu unmittelbaren Nachbaren und Feinden — ein Verhältnis, durch das die Geschichte Asiens viele Jahrhunderte bestimmt wurde. Dagegen in Syrien traten sie die griechische Erbschaft an und führten mit weit grösserer Stetigkeit und Kraft aus, was die Seleuciden angefangen hatten. Sie stifteten Ordnung in dem Chaos, befestigten die Cultur und schoben sie bis tief in die Wüste vor. Sie waren als Polizei der Vorsehung unentbehrlich, so unleidlich sie auftraten und so schamlos sie sich bezahlt machten. Syrien wäre von den kleinen Räubern verzehrt worden, wenn nicht die grossen eingeschritten wären').
Neunzehntes Kapitel. D i e A u s b i l d u n g des J u d a i s m u s . 1. Es ist von dem Aufstailde die Rede gewesen, der gegen Jannäus ausbrach, als er von den Arabern besiegt flüchtig nach Jerusalem zurückkehrte. Die Pharisäer standen an der Spitze der Erhebung und leiteten sie. Man sollte es nach dem Neuen Testamente nicht denken, aber es ist so. Mit Gewaltsamkeit, beinah plötzlich, traten sie damals in die Geschichte ein. Ihre Ursprünge lassen sich jedoch weiter hinauf verfolgen. Die Asidäer, denen wir in der Zeit des Judas Makkabäus begegnen, waren ihre Vorgänger. Die Namen haben ähnliche Bedeutung, Asid heisst der Pietist und Pharis der Separatist. Beide zeichneten sich durch bewird von Scblatter und Guthe mit dem heutigen Ain Gedür bei alSalt gleichgesetzt — schwerlich richtig, vgl. p. 277. ') Vgl. Mommsen, Römische Geschichte 5, 449.
289
Die Ausbildung des Judaismus.
sondere Frömmigkeit vor anderen Leuten aus, beide standen in engster Verbindung mit den Schriftgelehrten'). Einen weiteren und den wichtigsten Beweis ihrer Zusammengehörigkeit liefert die Geschichte. Die Asidäer blieben dem Judentum treu und litten dafür, als es in Gefahr geriet dem Hellenismus zu unterliegen. Sie standen den priesterlichen Aristokraten gegenüber, die durch ihr Liebäugeln mit der Welt und ihren Herrschern die Gefahr heraufbeschworen hatten. Diese leiteten ihr Geschlecht ab von dem ältesten jerusalemischen Tempelfürsten Sadok oder, nach einer anderen Aussprache, Sadduk. Daher der Name Sadducäer'). In dem Widerstande gegen die Unterdrückung der väterlichen Religion begegneten sich die Asidäer mit den Makkabäern. Sie schlössen sich ihnen anfangs an; sie dürfen jedoch nicht mit ihnen verselbigt oder gar als der eigentliche Kern der Glaubenskämpfer betrachtet werden. Diese halfen Gott mit dem Schwert, sie dagegen warteten auf seine Hilfe, sahen nach den Zeichen und zählten die Tage, bis sie erscheine. Sie begaben sich erst dann unter den Schutz der Makkabäer, als dieselben ihre ersten Erfolge schon erfochten hatten. Sie lösten sich auch nicht unter ihnen auf, sondern blieben eine Genossenschaft für sich. Und nur so lange hielten sie die Verbindung aufrecht, als für das Gesetz gestritten wurde. Als die Makkabäer nach der Herrschaft strebten und sich der Wiedereinsetzung der alten Hohenpriesterdynastie widersetzten, da trennten sich die Asidäer von ihnen. Sie erkannten Alcimus an, obwol seine Person ihnen schwerlich genehm war. Von ihrem gesetzlichen Standpunkt aus war das völlig correct gehandelt. ') Nicht bloss die Pharisäer, Josephus bekannt ist,
wie
aus dem Neuen Testamente und
sondern auch die Asidäer,
aus
wie aus
1 Macc. 7, 12. 13
In Bezug auf die Bedeutung von P h a r i s
ist noch zu be-
deutlich
erhellt.
merken,
dass es ein Ehrenname ist und dass die beabsichtigte
Absonderung
dabei weniger hervortritt als die wirkliche Auszeichnung durch Frömmigkeit — wodurch sich der Begriff dem des A s i d noch mehr n ä h e r t 3
) Im E z e c h i e l , auf den es vorzugsweise a n k o m m t ,
weil nur er von der
jerusalemischen Priesterfamilie redet und ihre Abkunft von dem durch Salomo angestellten Ahn bezeugt, haben alle Handschriften der Septuaginta die Form Sadduk.
In den Büchern Samuelis und der Könige findet sich diese Form
durchgehend nicht im Vatikanus, wie ich irrtümlicher W e i s e a n g e g e b e n habe (Pharisäer und Sadducäer p. 4 7 ) , sondern in den Codd. 23. 82. 93. 108 (s. g. Lucianus), die grade in diesen Büchern sehr oft das Richtige geben. W e l l h m u s e n , Tsr. Geschichte.
3. Aufl.
19
290
Neunzehntes
Kapitel.
Alcimus war der rechtmässige Hohepriester aus dem Samen Aharons, mochte er beschaffen sein wie er wollte. Dass er übrigens nach den gemachten Erfahrungen nicht daran denken konnte an dem gesetzlichen Cultus zu rütteln, stand fest. Hatten die Asidäer früher zu dem legitimen Priesteradel in Opposition gestanden wegen seiner heidnischen Gesinnung und seiner persönlichen Unwürdigkeit, so traten sie jetzt in Opposition zu den Hasmonäern, weil dieselben nach dem Hohenpriestertum strebten und es auch erlangten, ohne durch ihr Blut die gesetzliche Berechtigung dazu zu haben '). Diese Frontveränderung war indessen nicht bloss völlig erklärlich, sondern sie beliess es auch trotz Allem im Wesentlichen bei dem früheren Gegensatz. Denn als nunmehrige Inhaber der Regierung waren die Hasmonäer die Nachfolger der alten Aristokratie, und die Frommen standen also wiederum den Machthabern gegenüber. Sie übertrugen auf sie den Namen der Sadducäer, der nun in keiner Weise mehr ein Geschlecht, sondern nur noch einen Stand und eine Partei bezeichnet. Die Übertragung geschah mit einigem Recht, denn der neue Kurs näherte sich bald dem alten, wenngleich das Decorum besser gewahrt wurde. Die Opposition wagte sich freilich unter den ersten Hasmonäern noch nicht heraus, sie konnte nicht gegen den Strom schwimmen und wurde vielleicht auch selber zeitweise davon mit fortgerissen. Allein sie blieb vorhanden. Unter Hyrkan I. zeigt sie sich uns wieder. Der Pharisäer Eleazar soll ihm auf seine Anfrage den Rat gegeben haben, er möge das Hohepriestertum niederlegen und sich mit der Herrschaft begnügen; in Folge dessen soll Hyrkan der Sekte feind geworden und zu den Sadducäern übergetreten sein. Die Erzählung, die Josephus über diesen Vorgang gibt, ist zwar sagenhaft®), wird aber in der Hauptsache ') Die rechtmässigen Hohenpriester amtirten am Tempel
zu Leontopolis,
der wahrscheinlich dem zu Jerusalem anfänglich grössere Concurrenz gemacht hat als die uns erhaltenen Nachrichten ahnen lassen — wie Willrich mit Kocht vermutet.
Das schlechte Gewissen der hasmonäischen Priester verrät sich be-
sonders deutlich in 1 Macc. 14.
Das zweite Makkabäerbuch scheint dem Simon
und s e i n e n Erben feindlich gesinnt zu sein. Ant. 13, 288 ss.
J o s e p h u s g e h t von der Anschauung seiner Gegenwart
über den S e k t e n g e g e u s a t z aus. wesen sein.
Hyrkan soll ursprünglich selbst Pharisäer ge-
W i e kommt er denn dazu ihnen zu mistrauen?
Warum versucht
291
Die Ausbildung des Judaisnras.
dadurch bestätigt, dass die Pharisäer, die hier zam ersten male so genannt werden, das selbe an den Hasmonäern auszusetzen haben wie die Asidäer, nemlich die Usurpation des Hohenpriestertums. Zum Hohenpriestertum, sagt Eleazar, sei Hyrkan nicht berechtigt, weil er nicht vom echten Blut sei. Unter Jannäus verwandelte sich das gespannte Verhältnis der Pharisäer zu der Regierung in offene Feindschaft. Zugleich aber verwandelte sich auch der innere Charakter des Kampfes; er wurde allgemeiner und principieller. Das Recht auf das heilige Amt wurde den Hasmonäern nicht mehr darum bestritten, weil sie nicht zur legitimen Familie gehörten, sondern weil sie in Wahrheit weltliche Herrscher waren. Es schien nur so, als ob die überkommene verfassungsmässige Regierungsform fortgesetzt würde; in der Tat trat eine völlige Veränderung ein. Ehedem war die politische Macht der Juden sehr gering gewesen, das Scepter und das Schwert führten die fremden Oberherren. Wenn ihr geistliches Haupt zugleich das weltliche war, so drückte sich darin nur aus, dass ein weltliches Leben von Bedeutung neben dem geistlichen überhaupt nicht existirte und sich also auch keine selbständige Spitze geben konnte. Jetzt aber hatte sich ein jüdisches Reich gebildet, das seine Angelegenheiten unabhängig verwaltete, Bündnisse schloss, Soldaten hielt, Kriege führte, kurz ganz auf dem Fusse anderer Reiche eingerichtet war. Der nationale Staat liess sich nicht quadriren mit dem alten heiligen Gemeinwesen, in dessen Formen er sich hüllte. Das Schwergewicht war gänzlich verlegt. Das politische Interesse überwog das religiöse, der Patriotismus den Eifer für das Gesetz. Der König war nur nebenbei Hoherpriester. Durch er sie zu captiviren und, „da er sie bei guter Laune sab", ihnen zu entlocken, was sie etwa gegen ibn baben könnten? Wegen der persönlichen Bosheit eines einzelnen Zänkers soll er dann mit der ganzen Partei gebrochen baben; es schimmert indessen doch durch, dass diese im Grunde mit der Äusserung ihres enfant terrible übereinstimmte. Es ist nichts mit dem ursprünglichen Pharisäertum Hyrkans und also auch nichts mit seinem plötzlichen Obertritt zu den Saddncäern. Der Diiferenzpunkt selbst beweist und der weitere Verlauf des Streites zeigt es deutlich, dass die Hasmonäer nicht nach ihrem Dafürhalten auf die eine oder die andere Seite treten können, sondern die Standarte der saddueäiseben Partei sind. Die Erzählung bei Josephus selber constatirt einerseits das geflissentliche Werben Hyrkans um die Zufriedenheit der Pharisäer, andrerseits seine vertraute Freundschaft mit dem Sadducäer Jonathan. 19*
292
Neunzehntes
Kapitel.
die makkabäische Erhebung wurde das Judentum gerettet nnd doch zugleich in seinem innersten Wesen noch mehr bedroht als durch die Gewaltsamkeit des Antiochus Epiphanes. Die Nationalisirung erwies sich als gleichbedeutend mit der Verweltlichung. Die Nation drohte von der Bahn der Gerechtigkeit in die Bahn der Macht und Ehre abzuirren'). Am grellsten trat das Misverhältnis in der Person des Jannäus hervor. Der Regel nach lag er mit dem Heer zu Felde und fröhnte der angeborenen Wildheit seiner Natur; nur gelegentlich kam er einmal nach Hause, um an einem hohen Feste das Pallium umzuhängen und für das Volk zu opfern. Kein Wunder, dass ihm gegenüber der verhaltene Groll bei günstiger Gelegenheit sich Luft machte. Er gab indessen nur den Anlass zur Explosion, die wahre Ursache des Grolls lag in der Unzuträglichkeit, dass das Hohepriestertum mit der vollen Souveränetät verbunden war. Diese Unzuträglichkeit konnte er nicht beseitigen, auch nicht, wenn er auf das geistliche Amt hätte verzichten wollen. Denn auf diese Weise hätte er nicht bloss einen gefährlichen Nebenbuhler bekommen, sondern gradezu aufgehört das Haupt der Nation zu sein. Nach der Verfassung der Gemeinde des zweiten Tempels, wie sie im Priesterkodex gebucht war und wie sie zu Recht bestand, hatte der Hohepriester die Ethnarchie. Für einen nationalen König war neben ihm nicht Platz; ein König neben dem Hohenpriester konnte nur ein Tyrann, ein Fremdherrscher sein. Die Schwierigkeit der Situation bestand eben darin, dass die Souveränetät. die nach den ursprünglichen Voraussetzungen der Hierokratie in der Hand fremder Potentaten lag, jetzt in die Hand einheimischer Fürsten übergegangen war, die um volkstümliche Fürsten zu sein zugleich Hohepriester sein mussten. Der Kampf gegen Jannäus richtete sich nicht bloss gegen seine Person, es war vielmehr der Kampf der Pharisäer gegen die Sadducäer, für die Idee der Theokratie gegen ihre Verfälschung, für das Gesetz gegen das Reich Davids'). Die Juden
nahmen
anfangs Partei
für die Pharisäer.
Sie
') Antiq. IG, 158. •0 Nicht allen frommen Juden war das priesterliche Königtum nach der W e i s e Melchisedeks (Ps. 110) ein Anstoss. der
Idee
der
Hierokratie
widersprach
Jedoch die Pharisäer hatten Recht:
die Königsherrschaft.
Ihnen
selber
scheinen aber auch erst unter Jannäus die Augen darüber a u f g e g a n g e n zu sein.
Die Ausbildung des Judaismus.
•293
wechselten indessen ihre Stellang und traten zum Könige über, als dieser, mit Hilfe fremder Söldlinge geschlagen, zu gänzlicher Ohnmacht herabgesunken war. Das Ende war, dass die Pharisäer das Feld räumen mussten. Doch fühlte sich Jannäus nicht als Sieger. Er soll grade zu dem Zweck bei seinem Tode die Regierung seiner Witwe übertragen haben, damit sie die Pharisäer zufrieden stelle. Dadurch dass sie Königin wurde, trat von selber oine Scheidung zwischen der Herrschaft und dem Hohenpriestertum ein, da ein Weib das heilige Amt nicht übernehmen konnte. Nach aussen schaltete sie unumschränkt; in den inneren Angelegenheiten verstattete sie den Pharisäern grossen Einfluss — ihr Sohn Hyrkan II., der Hohepriester, hatte nichts zu bedeuten. Die Aufnahme der Schriftgelehrten in das Synedrium geschah zu Gunsten der Pharisäer. Von nun an beherrschten sie die geistliche und bürgerliche Rechtsprechung; wenn auch die Richter im Synedrium grösstenteils Sadducäer waren, so mussten sie doch nach den Grundsätzen der pharisäischen Jurisconsulten entscheiden, wenn sie das Volk nicht gegen sich aufbringen wollten. Der Friede der Regierung mit den Pharisäern ging bald vorüber, nicht immer konnte ein Weib auf dem Throne sitzen. Mit dem Tode der Salma kehrte der alte Zustand zurück. Aristobul II. war wieder König und Hoherpriester, und er stützte sich auf die Partei seines Vaters, die Sadducäer. Da brachte das Eingreifen der Römer plötzlich eine radikale Änderung der Sachlage hervor; die Juden gerieten wieder unter die Herrschaft einer fromden Grossmacht. Es gab Leute, welche die Königin Salma, d. h. die Pharisäer, für den Sturz des hasmonäischen Reiches verantwortlich machten 1 ). Das Ziel, worauf die Politik der Pharisäer hinauslaufen musste, war in der Tat die Fremdherrschaft; nur unter der Fremdherrschaft war die Theokratie, wie sie sie verstanden, möglich. Aber sie machten sich das nicht klar, sie fragten nicht darnach, was denn eigentlich an Stelle des priesterlichen Königtums der Hasmonäer treten sollte, sie w o l l t e n die Fremdherrschaft nicht. Selber die Regierung zu übernehmen konnten sie nicht denken, sie strebten immer nur nach moralischem Einfluss. Sie ') Ant. 13, 432: „Salma hatte Schuld, dass den Hasmonäern die sauer erworbone Herrschaft verloren ging, indem sie nach dem Willen der Feinde ihres Hauses regierte und die Dynastie ihrer wahren Fürsorger beraubte."
294
Neunzehntes
Kapitel.
waren nicht n u r schlechte Politiker, sondern auch grundsätzlich nicht consequent 1 ). In der Hoffnung war auch ihnen das Reich Davids das Ideal. Aber es musste Hoffnung bleiben und durfte nur durch ein göttliches Wunder auf die Erde kommen. Das r e a l i s i r t e Ideal geriet in Conflict mit dem geistlichen Wesen der Gemeinde des zweiten Tempels. Die Erfüllung der messianische» Weissagung, die Herstellung der alten Reichsherrlichkeit, war in AVahrheit ein Rückfall in eine überwundene Stufe; die Religion war über die Nation und über den Patriotismus hinausgewachsen. Nur durften es die Pharisäer sich nicht gestehn, sie mussten die Hoffnung festhalten und die Fremdherrschaft verabscheuen. Der Hass gegen alles Heidnische, der bei ihnen sehr ausgeprägt war, erleichterte ihnen das. Hinzukam die gebotene Rücksichtnahme auf das Volk. Denn das Volk war durch und durch patriotisch gesonnen. Indessen wie auch immer die Pharisäer über die Fremdherrschaft denken mochten, jedenfalls hatten sie den Vorteil davon, denn ihre Gegner hatten den Schaden. Als Regierungspartei erlitten die Sadducäer durch die Schwächung der Regierung eine grosse Einbusse an ihrer früheren Macht. Wol oder übel mussten sie sich, soweit sie bei dem Aufstande gegen I'oinpeius mit dem Leben davon gekommen waren, deu Römern fügen, um ihre Stellung beizubehalten. Hyrkan II. war fortab der Mann, an den sie sich zu halten hatten; ein möglichst schlechter Vertreter ihrer Traditionen. Ihr Streben richtete sich vor Allem darauf, ihn von dem beherrschenden Einfluss Antipaters und seiner Söhne Ioszureissen, der ihren eigenen bedrohte und lahm legte. Allein es gelang ihnen nicht; sie unterlagen im Kampfe gegen die verhassten Idumäer und sanken dann für längere Zeit zur Bedeutungslosigkeit herab. Ihr Streit mit den Pharisäern erbte sich zwar fort, aber er verlor seinen acuten politischen Charakter. Er drehte sich zum Teil um untergeordnete juristische Fragen; in der Hauptsache blieb nur ein allgemeiner Gegensatz übrig, der Schule gegen die llierokratie, der Bildung gegen den Adel, der Tugend gegen die Autorität des Amts.
') Sie konnten es nicht sein, weil der innere Widerspruch im W e s e n der Theokratie begründet war. Das Dilemma, an dem die Hasmonäer scheiterten, war auch ein Dilemma für die Pharisäer: sie wurden durch die Römer davon befreit.
Die Ausbildung des Judaismus.
295
Die Sadducäer hatten ihren Sitz in der jerusalemischen Aristokratie, die Pharisäer in der jerusalemischen Bürgerschaft; jene waren exclusiv, diese machten Propaganda und stellten sich zum Vorbild auf für das ganze Volk. Es war indessen nicht bloss und nicht eigentlich ein Gegensatz der gesellschaftlichen Kreise, sondern ein Gegensatz der Principien, der Sinnesweise und der Lebensanschauung. Die Pharisäer trachteten nach der Gerechtigkeit Gottes und überliessen ihm die Sorge für das was dabei herauskam; ihr Handeln hatte nur Sinn, weil es von Gott geboten war. Die Sadducäer verfolgten praktische Ziele und gebrauchten dazu praktische Mittel. Sie waren Realisten, die nur das Absehbare in Betracht zogen und von der Vorsehung nichts erwarteten. Ihre Religion war das Herkommen; sie machten an Gott keine Ansprüche und er nicht an sie 1 ). 2. Man kann sagen, dass mit der politischen Depression, die durch die Römer bewirkt wurde, die Entwicklung des Parteienstreits auf ihren Ausgangspunkt zurücklenkte. Der alte Gegonsatz zwischen den Frommen und den Weltmenschen, der die Psalmen beherrscht, kam wieder zum Vorschein. In der Tat setzten die Asidäer, die Vorgänger der Pharisäer, die Asidim der Psalmen fort: ihr Kampf gegen die abtrünnige Aristokratie hielt sich ursprünglich in rein religiösen Grenzen. Aber während der Regierung dos Antiochus Epiphanes schrumpften sie zusammen und befestigten sich zu einem abgeschlossenen Vereine, was die Asidim der Psalmen nicht gewesen waren. Das bedeutet zugleich einen inhaltlichen Unterschied. Gegenüber der Apostasie trat die jüdische Frömmigkeit in eine neue Phase, sie versteifte und verschärfte sich. Die Zeit der Religionsbedrängnis und des Glaubenskampfes machte auch auf geistigem Gebiete Epoche. Ehedem waren die Frommen ziemlich weitherzig gewesen und nicht sehr ängstlich in der Beobachtung der gesetzlichen Bräuche. Sie hatten das Heidentum und den Götzendienst kaum mehr als eine Gefahr betrachtet, das Wesen schien gesichert, die Form halbwegs überflüssig. Jetzt zeigte sich, dass das ein Irrtum war; die Verachtung des Kleinen rächte sich. ') Bell. 2, 162 ss. Ant. 13, 171 ss. 18, 11 ss. Josephus setzt das Fatum ein für die Gottheit und sagt, die Pharisäer machen alles, die Sadducäer nichts vom Fatum abhängig. Die authentische Quelle für den Charakter des Gegensatzes ist der Psalter Salomos (Pharisäer und Sadducäer p. 131 ss.).
296
Neunzehntes
Kapitel.
Der Hellenismus drohte das J u d e n t u m zu verschlingen. In Folge dessen t r a t eine Reaktion ein, die auf die Formen und die Äusserlichkeiten das grösste Gewicht legte und zwischen Kleinem und Grossem im Gesetz keinen Unterschied machte, um sich gegen das Heidentum zu schützen u n d abzuschliessen. Dadurch wurde die Frömmigkeit Pharisaismus. Der Pharisaismus bildet den Übergang zum T h a l m u d j u d e n t u m 1 ) . Schon f r ü h e r war die „Gerechtigkeit" die Losung der Religion gewesen, aber gerecht h a t t e so viel bedeutet wie einfach, schlicht, aufrichtig. J e t z t bedeutete es c o n e c t und legal. Schon früher w a r e n die Formen des Rechtes auf religiöse Verhältnisse übertragen, aber in einer ganz naiven Weise. J e t z t bekam die Frömmigkeit, u n t e r dem Einfluss der zu J u r i s t e n gewordenen Schriftgelehrten, ein vollkommen juristisches und zwar privatrechtliehes Gepräge. Die Religion wurde zum bürgerlichen und geistlichen Recht. Man suchte das Leben bis in das geringste Detail hinein positiv zu ordnen, d a m i t möglichst wenig der Freiheit des Einzelnen überlassen bleibe. Man vergrösserte beständig das Netz der Satzungen und verdichtete die Maschen, m a n beschränkte S c h r i t t vor Schritt den Kreis des Erlaubten durch das Gebotene. Die Herrschaft des Gesetzes wurde i m m e r m e h r ausgedehnt und es selber fort und fort erweitert. Grade auf die Erweiterungen, die freilich stets aus dem Buchstaben abgeleitet oder als alte Überlieferung bezeichnet wurden, legte m a u den grössten W e r t — weil sie auf W i d e r s t a n d stiessen. Besonders herrschte ein reger Eifer, die Verordnungen über die S a b b a t h s r u h e u n d über die W a s c h u n g e n u n d Reinigungen bis zu den iiussersten Consequenzen auszubilden. Das Ziel war, sich zu weihen und zu heiligen, sich zu h ü t e n vor Übertretung. Die W e r k e der Moral wurden hintangesetzt, die W e r k e der Heiligkeit, F a s t e n Beten Almosengeben, bevorzugt. Nichts aber hatte W e r t , w e n n es nicht fest regulirt w a r ; auf die formelle Genauigkeit k a m es an. Um all die Satzungen und Gebote des geschriebenen und ungeschriebenen Rechtes genau zu beobachten, dazu gehörte mehr, als Durchschnittsmenschen leisten konnten. Um sie auch n u r zu k e n n e n , dazu bedurfte es einer eigenen Gelehrsamkeit. „Der Ungelehrte k a n n sich nicht in Acht n e h m e n vor der Sünde, und der Laie kann nicht w a h r h a f t f r o m m sein." Die Religion w u r d e schul') Es ist Smends Verdienst dies betont zu haben.
Die Ausbildung des Judaismus.
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massig gelernt and mühsam betrieben, sie war ein Studium und eine Kunst. Eine gewisse juristische Verschmitztheit passte besser dazu als Einfalt. Die Pharisäer standen einerseits den Weltmenschen feindlich gegenüber, andererseits schieden sie sich aber auch sehr von der Menge, die vom Gesetz nichts wusste, und vergalten ihr die Verehrung, die sie ihnen zollte, mit unverhohlener Verachtung. Sie waren die Virtuosen der Frömmigkeit, zugleich die sachverständigen Kenner, die stets ihr Urteil bei der Hand hatten. Ein breiter Abstand herrschte zwischen Gebildeten und Ungebildeten auf einem Gebiete, auf welchem der Hochmut der Schule besonders widerwärtig und der Stolz auf das Wissen und Können besonders unberechtigt ist. Gesetze sind nach Ezechiel dazu da, dass man dadurch mag leben. Damit wird über das System der pharisäischen Satzungen der Stab gebrochen. Das Leben wurde dadurch nicht gefördert, sondern gestaut und eingeengt. Die Gesellschaft wurde eine Karikatur durch die angeblich göttlichen und in Wahrheit absurden Ziele, die ihr gesteckt wurden. Das Gesetz verdarb nicht bloss die Moral, indem der Dienst des Nächsten hinter den Übungen der Gottseligkeit zurücktreten musste; es entseelte auch, so viel an ihm lag, die Religion. Der Zugang zu Gott wurde durch die Etikette verschlossen, durch welche er ermöglicht werden sollte. „Ihr selbst findet ihn nicht und verwehrt ihn den Andern", sagte Jesus zu den Pharisäern. Es herrschte ein wahrer Götzendienst des Gesetzes. Gott selbst studirte in seinen Mussestunden die Thora und las am Sabbath in der Bibel — so meinten die Rabbinen. Für sein Wirken in der Geschichte hatten sie kein Verständnis; selbst die makkabäische Erhebung vergassen sie und Hessen die Literatur darüber verkommen. 3. Man darf indessen nicht glauben, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer möglichst die überlieferten Schranken festgehalten und jeder Bewegung sich entgegengesetzt hätten. Sie traten gegenüber den Sadducäern für die Erweiterung des Kanons ein und für die Fortentwicklung der Thora. Sie setzten sich durch ihre Exegese mit ganz bewusstcr Willkür über den Buchstaben der Schrift hinweg. Sie hatten nichts dagegen, dass auch der Tempelcultus sehr bereichert wurde, wenngleich der Anstoss dazu nicht immer von ihnen ausging. Grade in dieser Zeit traten nicht wenige neue Feste zu den im Gesetz gebotenen hinzu, wie Hanukka und
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Neunzehntes
Kapitel.
P u r i m u n d eine Menge a n d e r e r 1 ) ; a u c h n e u e R i t e n zu den a l t e n Festen, wie das W a s s c r s c h ö p f e n zu L a u b e r h i i t t e n . Besonders i m Geschmack der P h a r i s ä e r w a r die H e i l i g u n g von Mahlzeiten ohne O p f e r ' ) u n d die w e i t ü b e r d a s Gesetz h i n a u s g e h e n d e A n w e n d u n g des T a u c h b a d e s , der T a u f e , z. B. bei d e m Ü b e r t r i t t von Proselyten — was beides d a m a l s e b e n f a l l s a u f k a m . Z u m Teil w a r das N e u e eigentlich heidnischen U r s p r u n g s . A b e r wie g r ü n d l i c h die fremdeil E l e m e n t e a s s i m i l i r t w u r d e n , zeigt vor a l l e m die j ü d i s c h e Legende des P u r i n i f e s t e s , d a s B u c h E s t h e r 3 ) . E b e n s o w e n i g darf m a n g l a u b e n , dass u n t e r d e m Joch des Gesetzes alle a n d e r e n T r i e b e des geistigen LcbeDS v e r k ü m m e r t wiircn. S i c w u c h e r t e n i m Gegenteil fort, das J u d e n t u m w a r in dieser Periode so f r u c h t b a r wie nie. Es w a r wie der I s l a m eine complexe E r s c h e i n u n g , voller A n t i n o m i e n , a u f n a h m e f ä h i g wie alles Lebendige, n i c h t s y s t e m a t i s c h , s o n d e r n n u r historisch zu begreifen. Die P e d a n terie u n d die s t r e n g e Disciplin b e h e r r s c h t e n u r die P r a x i s , Hess a b e r auf d e m Gebiete des G l a u b e n s u n d der religiösen Vorstellungen eine m e r k w ü r d i g e F r e i h e i t b e s t c h n , wenngleich gewisse G r u n d s ä t z e n i c h t a n g e t a s t e t w e r d e n d u r f t e n . Es m u s s eine grosse, b u n t e u n d a n a r c h i s c h e L i t e r a t u r dieser A r t gegeben h a b e n , die u n s a b e r gewöhnlich n u r a u s c h r i s t l i c h e n Ü b e r a r b e i t u n g e n u n d aus Resten i m Midrasch u n d i m T a l m u d b e k a n n t i s t : die s o g e n a n n t e Ilaggäda ') Die „Fastenrolle" zählt die Tage auf, an deneu das Fasten verboten war d. h. die gefeiert werden sollten. Viele Feste haben nur zeitweilig und lokal bestanden und sind dann wieder eingegangen. Das Fest des Ilol/.tragcns für den Altarbedarf (Bell. 2, 425) wird schon Neh. 10, 35 erwähnt und /.war merkwürdiger Weise als im Gesetz vorgeschrieben. Über die llanukka s. oben p. 25G n. 2. Nicht bloss das Buch Esther, sondern auch das zweite und das dritte Makkabäerbuch sind geschrieben zur Begründung und Empfehlung von Festen. J ) Dies ist eine interessante Wiederbelebung der alten Opfersitte. In alter Zeit (Deuteronomium) hatten die Darbringer das Kodesch gegessen, namentlich bei den Festen; nach dem späteren Gesetz assen es die Priester, mit Ausnahme allerdings des Pascha, das aber seines Opfercharakters einigermaassen entkleidet wurde. ®) Das Purimfest wird unter dem Namen Mardochaitag zuerst erwähnt 2 Macc. 1 5 , 3 7 , als fast zusammenfallend mit dem Nikanorstage, dann Jos. Ant. 11, 184 ss. Man bringt jetzt den Namen zusammen mit dem babylonischen und syrischen J O m S U Q d hält Esther Iladasa Yasthi, Mardochai Human, für babylonische und elymäische Gottesnamen (Zimmern, Jensen). Alle Feste sollen in der messianischen Zeit a u f h ö r e n , nur diese Hanswurstiade nicht.
Die Ausbildung des Judaismus.
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verrät sehr vielfach schriftlichen Ursprung und beruht nicht einfach auf mündlicher Überlieferung. Wenngleich die Pharisäer sich später von diesem Gebiet mistrauisch abwandten und vorzugsweise die Halacha, die rechtliche Tradition, pflegten, so waren doch auch hier ursprünglich die Frommen die Führer und Leiter. Die Sadducäer hatten überhaupt kein theoretisches Interesse an der Religion; sie verhielten sich ablehnend gegen Alles, was über das Herkommen und die Praxis hinausging. Was man jüdische Theologie nennen kann, ist auf Grund der älteren Eschatologie von den Asidäern ausgebildet. Das Buch Daniel hat da Epoche gemacht. Wir finden hier zuerst die religiöse Betrachtung der Weltgeschichte als eines Ganzen, die zu der christlichen Universalhistorie den Grund gelegt h a t : das Buch Daniel hat die selbe Bedeutung für die Geschichtswissenschaft wie das ersto Kapitel dor Genesis f ü r die Naturwissenschaft. Der Ausgangspunkt ist die Zerstörung Jerusalems durch die Chaldäer, und die ganze Entwicklung vollzieht sich im Rahmen der siebzig Jahre, die Jeremias als Frist bis zur Wiederherstellung der Theokratie gesetzt hatte. Die siebzig J a h r e werden auf siebzig Jahrwochen, also auf vierhundertundneunzig J a h r e erweitert, und auf Grund davon wird der Eintritt des messianischen Heils genau d a t i r t : dio Zeitrechnung hält ihren Einzug iu die Eschatologie und bleibt fortan ein wesentliches Element derselben'). Die Entwicklung schreitet gradlinig fort, in Stufen, welche durch die vier Monarchien der Chaldäer, Meder, Perser, Griechen bezeichnet werden. Der Fortschritt aber ist eine beständige Verschlechterung, eine Steigerung der Feindschaft gegen das Reich Gottes und Israels. Wenn das Reich der Welt auf dem Gipfel des Bösen angekommen ist, dann bricht es zusammen und das Reich Gottes tritt an seine Stelle. Das Reich Gottes ist die Antithese und das Gegenbild des Weltreichs, ebenso universalistisch gedacht wie dieses. Beide zusammen haben neben einander nicht Platz, beide beanspruchen sie die Weltherrschaft und liegen im Kampf darum. Das Recht und der endliche Sieg ist natürlich auf seiten Gottes. Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Der weltumfassende Dualismus des Guten und des Bösen er') An Stelle der siebzig Jabro Jeremias traten später die verschieden berechneten Jahrtausende der ersten Weltära, meist sieben tausend Jahre.
300
N e u n i e h u t e s
Kapitel.
scheint hier beinah ebenso ausgeprägt, wie bei den Iraniern.
Nur
ist er engherziger — die Iranier waren ein grosser Völkercomplex, eine Welt, die Juden vergleichsweise allen Dingen nicht so praktisch
nur
gewandt.
eine Sekte — und vor Die Iranier
beteiligen
sich an dem Kampfe und verhelfen durch ihre Arbeit dem guten Princip
zum
Siege.
Im
Buche Daniel
rückt
die Weltgeschichte
wider Willen dem Ziel um so näher, j e weiter sie sich mit Willen davon entfernt.
Die alte Ä r a schneidet plötzlich ab und die neue
beginnt durch ein göttliches Wunder.
Das Reich der Heiligen des
Höchsten, repräsentirt durch den Menschen wie die Weltmonarchicn durch Tiere, kommt aus den Wolken des Himmels.
Im Himmel
ist es schon vorhanden, es braucht nur herabzufahren auf die Erde. Dem gehn allerdings Kämpfe voraus, aber auch diese werden, vor ihrer Ausfechtung auf Erden, in den Lüften durch die Engel vorweg
entschieden.
Alles Irdische
wird
mit Ausnahme jedoch des Bösen. die Gottheit übertragen
und
das Jenseits
projicirt,
Der Dualismus wird
nicht auf
nicht
Gott und dem Teufel gesteigert.
in
zu
einem Gegensatz zwischen
Der Satan spielt gar keine Rolle,
Antiochus genügt als Antichrist. An der künftigen Herrschaft der Heiligen des Höchsten sollen auch die Märtyrer teilnehmen, die ihre Treue der syrischen ReligionsVerfolgung
mit
für
dem Tode
das Gesetz gebüsst
in
haben.
Sie werden aus ihren Gräbern auferwcckt, zu dem Zweck das vorzeitig unterbrochene auch
irdische Leben fortzusetzen.
die bereits verstorbenen Erzbösewichter
ins Leben zurückgerufen,
um
Ebenso
der
werden
damaligen
ihre Strafe nachzuholen.
Denn
Zeit an
den Toten kann keine Vergeltung geübt werden; es gibt nur das irdische, kein jenseitiges und kein ewiges Leben. Das Reich Gottes ist den natürlichen Bedingungen
nicht entrückt,
neue Phase
es
irdisch.
der Weltgeschichte,
bleibt
es
') Ein
gewisser
Ansatz
in der V o r s t e l l u n g vom
im A l t e n T e s t a m e n t
zunächst
zeichnis d e r A n g e h ö r i g e n Mal. 3 , 16).
zur
Verallgemeinerung
himmlischen B u c h e . eine Bürgerliste
der T h e o k r a t i e ,
eine
durchaus
des
der
nichts').
Verantwortlichkeit
(vgl. E z e c h . 13, 9 ) ,
ein
in
seinen
Schlauch
und
Ver-
d e r frommen ( P s . 8 7 , 6 .
S c h o n bei Malachi werden zu den Namen V e r m e r k e g e m a c h t Frommen
Die
Das himmlische B u c h ist
besonders
die T a t e n und L e i d e n der betreffenden P e r s o n e n ; Tränen
nur
Von Paradis und Geenna und allgemeiner Verantwortlich-
keit im J e n s e i t s hören wir im B u c h e Daniel noch
liegt
ist
noch immer
über
in P s . 5 6 , 9 f a s s t G o t t die zählt
sie.
Dann
wird
die
Die Ausbildung des Judaismus.
301
Auferstehungshoflnung ergänzt also anfangs nur in einem untergeordneten Punkte die messianische Hoffnung auf die Restitution des Volkes. Später aber geht sie weit darüber hinaus, wird verallgemeinert und trägt dann am meisten dazu bei, die Religion über die alttestamentliche Stufe emporzuheben und sie völlig zu individualisiren. Mit der Eschatologie ist die Gnosis nah verwandt, die durchaus keine ausschliesslich christliche, sondern eine allgemeine Erscheinung der Zeit ist und auch bei den Juden ihre Rolle spielt. Die jüdische Gnosis geht wol auf die ältere Weisheit zurück, greift aber viel weiter aus und spekulirt ganz anders, grossartiger, tiefsinniger und unsinniger. Bezeichnend ist das Streben, Gott im Hintergrund zu lassen und als Exponenten seiner Beziehungen zur Welt und zum Menschen allerhand Mittelwesen einzuschieben, über die dann ungescheut fabulirt werden darf. Die göttlichen Eigenschaften und Wirkungsweisen werden hypostasirt; so die Weisheit, das Wort und der Geist. Eine systematische Angelologie wird ausgebildet, mit Zahlen und Namen und bestimmter Charakteristik. Der kindliche Engelglaube der früheren Zeit war freies Spiel der Phantasie gewesen. Die Anfänge einer Angelologie finden sich bei Ezechiel und Zacharia, dann im Buche lob, in den Proverbien und in den Psalmen. Die Engel erscheinen hier als Beamte und Interpreten Gottes, «n dessen Hofe es ungefähr so zugeht wie an dem des persischen Grosskönigs. Sie richten seine Befehle aus und überbringen sein Wort den Propheten. Sie erstatten im Himmel Bericht über die Vorgänge auf Erden, sie tragen die Gebete der Menschen hinauf und verwenden sich für sie, klagen sie aber auch an. Sie sind zum Teil neutrale Boten, die beliebige Aufträge ausführen. Zum Teil aber verwachsen sie mit ihrem Amt, es gibt Engel des Unheils und des Todes. Jedoch rebellische Engel gibt es nicht, sie heissen allesamt Heilige oder Wächter. Auch der Satan ist ein Diener Gottes, sein „Ankläger" und Kriminalkommissar. Eigentlich gehört die Anonymität zum Wesen der Engel, sie Bürgerliste zu einer Conduitenliste und zu einem Contobuch, nicht bloss für die Frommen sondern auch für die Heiden. In Dan. 7, 10 werden bei der himmlischen Gerichtssitzung Bücher aufgeschlagen, in denen über die Verschuldung der Heiden Rechnung geführt ist. Vgl. Smend, Alttest. Religionsgeschichte p. 313.
302
Neunzehntes
Kapitel.
sind keine rechten Personen. Aber im Buch Daniel tauchen zuerst ein paar Eigennamen auf, Gabriel und Michael. S p ä t e r vermehren sie sich rasch; es ist die H a u p t a u f g a b e der Gnosis, die übersinnlichen Wesen zu benennen, zu gruppiren u n d ihnen ihren Rang anzuweisen. Der Begriff der Engel e r w e i t e r t sich, sie sind nicht bloss mehr Boten. Die D ä m o n e n , die in der W ü s t e und in Ruinen, namentlich in zerstörten Heiligtümern, h a u s e n , werden ihnen zugesellt. Damit entsteht a u c h in dieser Region ein Unterschied guter und böser AVesen. Die Vorstellungen von Paradis u n d G e e n n a ' ) bilden sich aus und der „ A n k l ä g e r " wird zum Teufel. Die Götter der Nationen werden zu ihren Vertretern und Patronen in der überirdischen W e l t , sie leiten ihre Geschichte. Aus den Naturgottheiten werden ebenfalls Engel, alle Naturerscheinungen werden von ihnen regiert. Es gibt nicht bloss Engel der Gestirne, sondern auch des Feuers und des Windes, des Donners und des Blitzes, des Regens und des Hagels. J e d e r Mensch hat seinen Genius, sogar einen doppelten. Das alte I n e i n a n d e r von Körper und Geist wird aufgegeben, der Geist wird verselbständigt u n d bevorzugt, mit der Materie verbindet sich der Begriff der Sündhaftigkeit, des Todes und der Finsternis. Die ganze sinnliche W e l t wird in einer übersinnlichen abgespiegelt u n d wiederholt, und nachdem dies geschehen ist, wird sie d a r a u s abgeleitet. Die E r k l ä r u n g ist stets genetisch, sie hat i m m e r die Form der Erzählung. Die Spekulation ist historische Fabelei, die Historie spielt natürlich ebensowol im H i m m e l als auf Erden. Der Stoff wird zunächst der Bibel e n t n o m m e n . Durch eine wilde, phantastische Interpretation gelingt es, aus ihr die nötige E r k e n n t n i s f ü r alle Gebiete des Wissens zu schöpfen. Gewisse Stücke werden bevorzugt, so die Theophanie Ezechiels und n a m e n t lich die Erzählungen der Genesis über die W e l t s c h ö p f u n g , über den Sündenfall der Menschen u n d der Engel, über A d a m und Eva, Kain u n d Seth u n d Henoch, Nimrod u n d Melchisedek J ). Es sind ') Der S t r a f o r t d e r B ö s e w i c h t e r das Grab. n . 1),
Eigentlich
das Feuer
kommen.
ist
ist j a durch
ist a b e r doch i m m e r noch h a u p t s ä c h l i c h
a u c h die G e e n n a n u r ein M a s s e n g r a b (s. p. 2 0 5 die L e i c h e n v e r b r e n n u n g
Das P a r a d i s ist d e r alte G o t t e s g a r t e n
7.u d e r G r u b e
hinzuge-
von G e n . 2. 3, der plötzlich
wieder auflebt. ^ Die p s e u d e p i g r a p h e L i t e r a t u r
ist d a r u m s e h r
häufig antediluvianisch.
Sie bildet die G r u n d l a g e d e r H a g g a d a , in d e r sich ihre R e s t e e r h a l t e n h a b e n .
Die Ausbildung des Judaismus.
303
Stücke nicht specifisch israelitischen, sondern allgemein menschlichen Inhalts, voll dunkler Probleme, welche die mythologisirende Philosophie reizen. Sie berühren sich mit heidnischen Sagen über Welt und Menschen, und die jüdische Gnosis scheut sich nicht auch diese in ihr Gewebe mit zu verarbeiten, sie verschlingt gierig allen Stoff der sich ihr bietet. Die geschichtliche Bestimmtheit der OiTenbarung löste sich auf. Adam und der Messias wurden zusammengeworfen; alle Grenzen zerflossen. Das Judentum steht in der allgemeinen Cultur- und Religionsmischung jener Tage mitten inne. Es hat manche Einrichtung und Vorstellung von aussen entlehnt, manche Anregung von aussen empfangen. Wie tief der Hellenismus eingedrungen war, zeigt die gewaltige Reaktion dagegen, die sich unter Antiochus Epiphanes erhob. Er wurde dadurch an einem Punkte zurückgedrängt, aber keineswegs ganz abgewiesen. Er drang bald siegreich wieder vor. Die Hasmonäer Hessen sich ohne Scheu in Allianzen mit Griechen und Römern ein, nahm griechische Namen an, gebrauchten griechische Legenden auf ihren Münzen. Die griechische Sprache wirkte stark auf die aramäische ein und wurde in weiten Kreisen verstanden, in Galiläa und im Ostjordanlande vielleicht noch besser als in Jerusalem: mit dem Verkehr und mit der Sprache pflegen auch die Ideen zu wandern. Nicht minder mag babylonischer und iranischer Einfluss in beträchtlichem Maasse statt gefunden haben. Bei den allgemeinen Ideen, wo nicht bestimmte greifbare Kennzeichen vorliegen, ist es indessen schwer den Ursprungsort nachzuweisen. Es ist aber auch nicht von besonderer Wichtigkeit; das Bezeichnende ist, dass diese Ideen in der Luft liegen und überall auftauchen, dass die Vorstellungskreise nicht mehr durch nationale Grenzen geschieden sind. Übrigens muss man immer wol im Auge behalten, dass die Juden aus Allem Nahrung ziehen und ihr Wesen darum doch nicht verändern. 4. Neben Sadducäern und Pharisäern werden als dritte jüdische Partei dieser Zeit die Essäer aufgeführt'). Sie waren indessen keine Partei, sondern eine esoterische Brüderschaft. Sie sahen es ') Philo, Quod oranis probus über § 12. 13 (ed. Mangey 2, 457 ss. 032 ss.); Plinius R i s t Nat. 5, 17; Josephus Ant. 13, 172. 15, 731 ss. 18, 18 ss. Bellum 2, 119 ss. Die Zusätze, die sich in ADt. 18 gegen Bell. 2 finden, sind grösstenteils Nachträge aus Philo, wie Schürer nachgewiesen hat ( 2 , 4 7 0 n. 12).
304
Neunzehntes
Kapitel.
nicht auf Macht und Einfluss ab, sondern kümmerten sich nur um ihr Seelenheil. Sie zählten etwa viertausend Mitglieder und hatten Niederlassungen in verschiedenen jüdischen Städten und Dörfern. Sie pflanzten sich nicht auf natürlichem Wege fort, sondern durch Beitritt von Novizen, die vor der endgiltigen Aufnahme einer längeren Prüfung unterworfen wurden. Sie waren fest organisirt und schwuren schwere Eide, um sich zum Gehorsam gegen die Vorsteher, zur Offenheit gegen einander und zur Verschwiegenheit gegen die Aussen weit zu verpflichten; im Übrigen vermieden sie die Eide. Sie führten in ihren Ordenshäusern ein streng geordnetes Leben, mit vollkommener Gütergemeinschaft. Ihren Unterhalt mussten sie sich durch die Arbeit ihrer Hände verdienen; sie durften keine Sklaven halten. Gärtnerei, Palmenzucht, war ihre Hauptbeschäftigung; den Handel verabscheuten sie. Auf Almosengeben legten sie grossen Wert. Opfer brachten sie nicht, die gemeinsamen Mahlzeiten wurden geheiligt und waren ihr täglicher Cultus. Sie legten dazu weisses Gewand a n ; (lie Speisen wurden von Priestern zubereitet, andere durften nicht gegessen werden. Ausser den Gebeten vor dem Essen hatten sie ein Morgengebet und wendeten sich dabei gegen die Sonne 1 ). Vor jeder Mahlzeit, wol auch vor jedem Gebet badeten sie sich; das Salben mit Öl verwarfen sie als schmierig. Sie badeten sich auch bei jeder leiblichen oder geistigen Verunreinigung, z. B. wenn ein Ordensmitglied höheren Ranges einen Bruder niederen Ranges berührt hatte. Die Schamhaftigkeii trieben sie sehr weit und nahmen dabei besondere Rücksicht auf die S o n n e ' ) ; sie spieen nicht grade aus und nicht nach rechts, am Sabbath sollen sie ihre Notdurft überhaupt nicht verrichtet haben 1 ). Ebenso eifrig wie die Arbeit und die Heiligung
') Bell. 2, 128; es handelt sich um die sogenannte Kilila. '-') tú« (jlt) Tat a¡>7