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German Pages [148]
JAN DIRK HARKE
Irrtum über wesentliche Eigenschaften
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.
Neue Folge . Band 41
Irrtum über wesentliche Eigenschaften Dogmatische und dogmengeschichtliche Untersuchung
Von J an Dirk Harke
Duncker & Humblot . Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < hup://dnb.ddb.de > abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany
© 2003 Duncker &
ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-11058-7 Gedruckt auf alterungs beständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97060
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Diese Arbeit ist ein Nebenprodukt meiner Habilitationsschrift ,Si error aliquis intervenit' über den Irrtum im klassischen römischen Vertragsrecht. Obwohl diese Schrift später als die vorliegende erscheinen wird, ist sie die ältere und hat ihrerseits erst den Anstoß zur Beschäftigung mit der Dogmengeschichte des Eigenschaftsirrtums und seiner Behandlung im geltenden deutschen Recht gegeben. Dank schulde ich meinen beiden akademischen Lehrern, meinem Doktorvater Joseph Georg Wolf und Ulrich Manthe, der meine Habilitation betreut hat. Ohne sie hätte ich den Weg zurück in die Wissenschaft nicht gefunden. Meiner Frau Maria Beatriz de Souza Lima Harke danke ich nicht nur rur die Herstellung der Druckvorlage, sondern auch für die Unterstützung, die mir ihre Gegenwart bedeutet. Berlin, im Januar 2003
Jan Dirk Harke
Inhaltverzeichnis Erstes Kapitel Kritik der Lehre zum geltenden Recht
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§ 1 Ausgangslage: Keine subjektiv-teleologische oder Wortlautinterpretation ......... 11 § 2 Irrtumsrecht ohne Irrtumsbegriff: Titze ............................................................... 21 § 3 Eigenschafts- als Geschäftsirrtum: Flume ........................................................... 24
§ 4 Eigenschafts- als "indifferenter Istbeschaffenheitsirrtum": Brauer ..................... 33
§ 5 Eigenschafts- als Erklärungsirrtum: Schmidt-Rimpler ......................................... 38 Zweites Kapitel Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
43
§ 6 Stoff- und Geschlechtsirrtum im klassischen römischen Recht... ........................ 43 § 7 Vom Irrtum über den Vertragsinhalt zum Sachverhaltsirrtum ........................... .48
§ 8 Von der Gattungsverwechslung zum Eigenschaftsirrtum .................................... 67 § 9 Handlungstheoretische und rechtsgeschäftliche Bedingungslehre ...................... 77 § 10 Rückkehr zur römischen Irrtumslehre ............................................................... 97
§ 11 Ergebnisse ....................................................................................................... 117 Drittes Kapitel Der Eigenschaftsirrtum in der Praxis
121
§ 12 Unmittelbarkeitsdogma und Wertirrtum .......................................................... 122 § 13 "Irrtum" über zukünftige Eigenschaften? ........................................................ 131
§ 14 Konkurrenz von Anfechtung und Gewährleistung .......................................... 134
§ 15 Irrtum über persönliche Eigenschaften ............................................................ 139
Abkürzungen Brauer
H Brauer, Der Eigenschaftsirrtum - Eigenschaftsirrtum als Fehlspekulation (1941)
Flume, Eigenschaftsirrtum
W Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf (1948)
Schermaier, Bestimmung
M.J. Schermaier, Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB (2000)
Schmidt-Rimpler
W Schmidt-Rimpler, Eigenschaftsirrtum und Erklärungsirrtum, in: FS Lehmann (1956) 213 - 233
Titze
H Titze, Vom sogenannten Motivirrtum, in: FS Heymann 11 (1940) 72 - 111
Erstes Kapitel
Kritik der Lehre zum geltenden Recht § 1 Ausgangslage: Keine subjektiv-teleologische oder Wortlautinterpretation
1. Stellt man die Frage nach der Struktur des Eigenschaftsirrtums in § 119 Abs. 2 BGB, muß man ohne die zwei Methoden der Gesetzesauslegung auskommen, die gewöhnlich ergiebig sind: die Auslegung nach dem Wortlaut und die subjektiv-teleologische Interpretation, deren Anknüpfungspunkt die Absicht des historischen Gesetzgebers ist. Die gesetzliche Aussage, als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gelte auch der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache oder Person, ist doppeldeutig. Sie kann sowohl eine gesetzliche Fiktion als auch eine Erläuterung von Absatz 1 sein.\ Das Verb ,gelten' kann das eine wie das andere bedeuten. Ist Absatz 2 lediglich eine Erläuterung von Absatz 1, wäre der Eigenschaftsirrtum ein Unterfall des Erklärungs- oder Inhaltsirrtums; sonst wäre er von diesen verschieden und Sachverhaltsirrtum, also auf die außergeschäftliche Wirklichkeit gerichtet.
Der Gesetzgeber bevorzugt keine der beiden Lösungen. Zwar zeigt sich die erste Kommission, die einen Rechtsbehelf wegen Eigenschaftsirrtums nicht zulassen wollte, überzeugt, daß der Eigenschaftsirrtum Irrtum im Beweggrunde und damit nicht Irrtum über Existenz oder Inhalt Erklärung sei. 2 Die zweite Kommission, die sich für die Anerkennung des Eigenschaftsirrtums auf die Tradition des gemeinen Rechts, des ALR, des Code Civil und schweizerischen Obligationenrechts beruft,J wollte sich einer Zuordnung dieses Irrtumstatbestandes
I Vgl. Flume, AT3 11 474 und Brauer 54, der als Beispiel für die klarstellende Funktion des Begriffs § 252 Satz 2, als Beispiel für die Beschreibung einer Fiktion §§ \08 Abs. 2 Satz 2 und 162 Abs. 2 nennt. 2 Hierzu F1ume, Eigenschaftsirrtum 13, ATJ II 448. J Daß dieser Hinweis fruchtlos ist, zeigen Flume, ATJ 11 473fund ausführlich Brauer 57[[, die beide auch die Rechtsprechung zum ALR auswerten. Ebenso jetzt Schermaier, Bestimmung 687.
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l. Kap.: Kritik der Lehre zum geltenden Recht
jedoch gerade enthalten. 4 Ob er Erklärungs- und Inhaltsirrtum oder Irrtum im Beweggrund ist, läßt sie darum offen. Die Unmöglichkeit einer subjektiv-teleologischen Auslegung, die nach gründlichem Studium der zunächst unveröffentlichten Materialien auch SchubertS konstatiert, hat unlängst Schermaier bestritten. Seine groß angelegte Untersuchung zur "Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB" ftlhrt ihn zu dem Ergebnis, daß die hergebrachte Unterscheidung von Motivirrtum und fehlender Willenswirklichkeit im BGB gerade überwunden und durch die umfassende Kategorie des Irrtums über den Geschäftsinhalt abgelöst worden sei. 6 Diese Kategorie schließe auch falsche Vorstellung über Geschäftsumstände ein, die deshalb zum Inhalt des Geschäfts zählen, weil sie nicht nur vom Irrenden, sondern von jedem Dritten beim konkreten Geschäft vorausgesetzt würden. 1 Die Entscheidung über die Erheblichkeit eines Irrtums habe in erster Linie nach dem Erfordernis subjektiver und objektiver UrsächIichkeit ausfallen sollen, welches in dem gesetzlichen Vorbehalt zum Ausdruck kommt, daß die Willenserklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben worden wäre. 8 Die objektive Komponente dieses Kausalitätskriteriums ist es nach Schermaiers Ansicht auch, auf der die Forderung nach einer ,Verkehrswesentlichkeit' der Eigenschaft beruhe: liege sie vor, sei anzunehmen, daß die unterlaufene Fehlvorstellung nicht nur den Irrenden, sondern jeden anderen zur Vornahme des Geschäfts bestimmt hätte. 9 Auch die Entscheidung gegen die im ersten Entwurf noch vorgesehene Differenzierung nach Geschäftsart, -gegenstand und -gegner diente nach Schermaier der Abschaffung des Unterschieds von Erklärungs- und Motivirrtum. 10 Unbehagen gegen diese Differenzierung habe schon die meisten Mitglieder der Vorkommission des Reichsjustizamtes und vor allem Börners schon hier gestellten und in der zweiten Kommission endgültig erfolgreichen Antrag zur Neufassung von § 98 E I bestimmt. 1I Sie habe ferner die Streichung von § 102 E I bewirkt, der die Unbeachtlichkeit des Motivirrtums festschreiben sollte. 12 Erst die Re-
4 So die richtige Meinung von Brauer 57, Flurne, Eigenschaftsirrtum 15, SchmidtRimpler 223, Goltz, Motivirrtum und Geschäftsgrundlage im Schuldvertrag (1973) 184, Herberger, Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung nach dem BGB (1974) 176. 5 AcP 175 (1975) 435, 448fT. 6 S. 711. Ähnlich Säcker, Irrtum über den Erklärungsinhalt (1985) 58fT., 363fT. 1 Bestimmung 670,718. 8 Bestimmung 716. 9 Bestimmung 720. 10 Bestimmung 682,712. 11 Bestimmung 669f., 681, 684f. 12 Bestimmung 682.
§ 1 Ausgangslage: Keine subjektiv-teleologische oder Wortlautinterpretation
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daktionskommission und der Verfasser der Denkschrift hätten die mit diesen Änderungen verfolgte Absicht in ihr Gegenteil verkehrt, indem sie den Entwurf konsequent im Sinne der hergebrachten Unterscheidung von Motivirrtum und mangelnder Willenswirklichkeit interpretiert und dadurch die spätere Wissenschaft und Praxis vorgeprägt hätten. 13 Als Vorschlag einer objektiv-teleologischen Interpretation, welche die Gesetzmäßigkeit der historischen Entwicklung bis zur Kodifikation aufnimmt, wird Schermaiers Deutung erst noch zu widerlegen sein. Zum subjektivteleologischen Gesetzesverständnis taugt sie jedenfalls nicht. Die Materialien geben nicht aus, was Schermaier ihnen entnimmt:
1. Schermaier muß nicht nur der Redaktionskommission unterstellen, sie habe durch Anschluß an Savignys Formel von den verkehrswesentlichen Eigenschaften mit den Vorstellungen der zweiten Kommission gebrochen. 14 Auch bei diesem Gremium muß Schermaier einräumen, daß viele Mitglieder die angebliche Bedeutung des Kausalitätskriteriums nicht erkannt und an der Unterscheidung von Motivirrtum und Divergenz von Wille und Erklärung festgehalten haben. 15 Besonders deutlich kommt dies in folgenden Erwägungen der Kommission zum Ausdruck: "Sollte aber hiernach der in Rede stehende Irrthum als Anfechtungsgrund Beachtung finden, so empfehle es sich, dies im Gesetze zum Ausdrucke zu bringen; denn wenn nach den gefaßten Beschlüssen der Irrthum über den "Inhalt" der Willenserklärung als beachtlich bezeichnet wurde, so sei die Auslegung nicht ausgeschlossen, daß hierunter der Irrtum über Eigenschaften, als Irrtum im Beweggrunde, nicht falle.'d6 Komplementärbegriff zum "Irrtum über den Inhalt der Erklärung" ist hier der Motivirrtum. Zwar weicht die Fassung, welche die zweite Kommission "ihrem sachlichen Inhalte nach" wählte, noch insoweit von der Formulierung der Redaktionskommission ab, als der Eigenschaftsirrtum vom Inhaltsirrtum umfaßt und "bestimmend" sein sollte: "Der Irrthum über den Inhalt der Erklärung umfaßt auch den Irrthum über Eigenschaften der Person oder des Gegenstandes, wenn diese nach den im Verkehre herrschenden Anschauungen bestimmend sind." Daß mit dem Verb ,umfassen' jedoch keine logische Schlußfolgerung aus dem Begriff des Inhaltsirrtums ausgesprochen sein sollte, ergibt schon die mitgeteilte Unsicherheit darüber, ob der Eigenschaftsirrtum als Motiv- und gerade Bestimmung 694ff. Bestimmung 689, 692. 15 Bestimmung 688,696,7\0. 16 Prot. I 114 = Mugdan I 720. Daß diese Bemerkung nichts für die Einordnung des Eigenschafts- als eines Erklärungs- oder Motivirrtums ausgibt, meinen zu Recht Brauer 57 und Flume, Eigenschaftsirrtum 15, Schmidt-Rimpler 223 und Herberger, Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung nach dem BGB (1974) 176. 13
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I. Kap.: Kritik der Lehre zum geltenden Recht
damit nicht als Irrtum über den Erklärungsinhalt anzusehen sei; und daß das Attribut "bestimmend" nicht im Sinne eines Kausalitätsprinzips verstanden werden darf, zeigt der Hinweis der Kommission auf die Vorgänger- und Nachbarrechte sowie die Rechtsprechung des Reichsgerichts. Der Hinweis lautet: "Die letztere [die modeme Rechtsentwicklung], wie sie im gemeinen Rechte, im preuß. A.L.R., (mit einer Modifikation) im code civi/, im schweiz. Obligationenrecht, in allen neueren Entwürfen sowie in der Rechtsprechung des Reichsgerichts sich zeige, weise darauf hin, den Irrthum über Eigenschaften dann rur beachtlich zu erklären, wenn diese nach den im Verkehre herrschenden Anschauungen als wesentlich anzusehen sind.,,17
Im Munde der angeblich mißverstandenen zweiten Kommission finden wir damit gerade die Formulierung, derer sich später die Redaktionskommission bediente. Nicht nur ihr, sondern auch der zweiten Kommission ist die Verkehrswesentlichkeit also Synonym rur eine Kraft, die "nach den im Verkehre herrschenden Anschauungen bestimmend" ist. Einem möglichen Mißverständnis der Verkehrswesentlichkeit als Ausdruck individueller Kausalität beugt schon die Formulierung vor, die Vorlage rur die Redaktionskommission war: "Als Irrthum über den Inhalt einer Willenserklärung ist es auch anzusehen, wenn der Irrthum auf solche Eigenschaften der Person, gegenüber welcher die Erklärung erfolgte, oder des Gegenstands der Erklärung bezieht, welche nach den im Verkehr herrschenden Anschauungen rur den Inhalt der Erklärung bestimmend zu sein pflegen.")8
Ein sachlicher Unterschied zu der Formel, die von der Redaktionskommission ausgesucht und Gesetzeswortlaut geworden ist, ist nicht mehr erkennbar. 2. Wenden wir uns dem Protokoll über die Beratung des späteren § 119 Abs. 1 zu, ergibt sich kein anderes Bild. Dreh- und Angelpunkt der Deutung Schermaiers ist hier eine Bemerkung über die Unmöglichkeit einer psychologischen Untersuchung im Gesetzgebungsverfahren: "Ueber die psychologische Frage helfe der Ausdruck "Irrthum über den Inhalt der Willenserklärung" hinweg, da hiernach nur zu untersuchen sei, was zum Inhalte des Rechtsgeschäfts gehöre, psychologische Beweggründe somit nur insoweit Berücksichti~ung zu finden hätten, als sie juristisch zum Inhalte des Rechtsgeschäfts gehörten.")
Schermaier wertet dieses Argument richtig, wenn er annimmt, die psychologische AufgabensteIlung solle nicht nur dem Gesetzgeber, sondern auch dem Richter erspart bleiben. 20 Daraus folgt jedoch noch nicht, daß auch die Unterscheidung zwischen fehlender Willenswirklichkeit und Motivirrtum fortfallen
Prot. I 114 = Mugdan I 720. JakobslSchubert I 636f. )9 Prot. 1109 = Mugdan I 717. 20 Bestimmung 682,711. )7
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§ 1 Ausgangslage: Keine subjektiv-teleologische oder Wortlautinterpretation
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sollte. Daß sie als psychologisches Problem vermieden werden soll, bedeutet nicht, daß sie auch als rechtliche Fragestellung erledigt ist. Der Begriff des "Irrtums über den Erklärungsinhalt" bietet hierftlr gerade die entscheidende Hilfestellung, indem er den juristischen Tatbestand des wesentlichen Irrtums bestimmt und damit auch den unbeachtlichen Irrtum im Beweggrunde einer - negativen - juristischen Definition zufUhrt. Die zitierte Bemerkung, die Schermaier zur Deutung von Bömers Antrag21 einsetzt, stammt im übrigen nicht von Bömer, sondern "von dritter Seite". "Seitens des Antragstellers", also durch Bömer, erfolgte nur der Hinweis, die Unterscheidung zwischen Motivirrtum und Willensunwirklichkeit solle der Wissenschaft vorbehalten bleiben: "Es empfehle sich daher, eine Ausdrucksweise zu wählen, durch welche der im Wesentlichen psychologischen Frage, ob allgemein von Nichtübereinstimmung des Willens mit der Erklärung in Folge Irrthums, im Gegensatze zum Irrthum im Beweggrunde, gesprochen werden könne, oder ob es sich nicht vielmehr immer um einen Irrthum im Beweggrunde handle, nicht vorzugreifen und der Wissenschaft freie Hand zu lassen ...22
Mit der Wissenschaft, die freie Hand haben soll, kann Bömer nicht die Psychologie, mit der "im Wesentlichen psychologischen Frage" nicht ein juristisch belangloses Problem gemeint haben. Die Frage, ob eine Nichtübereinstimmung von Willen und Erklärung oder nur ein Irrtum im Beweggrunde vorliegt, soll sich durch das Gesetz nicht von vornherein erübrigen. Ihre Beantwortung darf nach Bömers Ansicht nur nicht dazu filhren, daß der Irrtum über den Inhalt der Erklärung aus dem Kreis der beachtlichen Fehlvorstellungen ausscheidet. Wie er bestimmt wird, ist rur Bömer offen. Daß er im Gesetz erwähnt und vom Irrtum in der Erklärungshandlung geschieden ist, soll verhindern, daß dieser als einziger Fall eines Mangels der Willenswirklichkeit anerkannt wird. Dem zitierten Abschnitt aus Bömers Stellungnahme gehen die folgenden Worte voran: "Dieselbe [die Unterscheidung zwischen dem Irrthum über den Inhalt der Erklärung und dem Irrthum bei der Erklärungshandlung] verdiene den Vorzug vor der Fassung des Entw. um deswillen, weil es zwar in den Fällen der letzteren Art unbestritten sei, daß der Irrthum die Willenswirklichkeit ausschließen könne, in allen übrigen Fällen aber hierüber lebhafter Meinungsstreit herrsche.,,23
Die Diskussion über die Zuordnung der Irrtumstatbestände zu den Kategorien des Motiv- und Erklärungsirrtums sollte also keineswegs abgeschnitten sein. 21 Dieser lautet nach Prot. I 102 in seinem entscheidenden § 98 Abs. 1: "Wer bei Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrthume war oder die Erklärung überhaupt nicht hat abgeben wollen, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er sie und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde." 22 Prot. I 108 = Mugdan I 716f., wo der sprachliche Fehler am Ende des Abschnitts korrigiert ist. 23 Prot. I 108 = Mugdan I 716.
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I. Kap.: Kritik der Lehre zum geltenden Recht
Vorgebeugt werden sollte lediglich einer Lösung, weIche den Kreis der beachtlichen Fehlvorstellungen auf Abirrungen in der Erklärung begrenzt. Nur dieses Ziel verfolgt die zweite Kommission auch mit der Streichung von § 102 E I, der die Unbeachtlichkeit des Irrtums im Beweggrunde festschreiben sollte: "Die Bestimmung unterliege aber auch in theoretischer Beziehung Bedenken, weil sie geeignet sei, den Begriff des Irrthums zu verdunkeln. Der Wissenschaft müsse offen gelassen werden, eventuell den error in persona und in corpore, insbesondere aber auch den error in qualitate als Irrthum im Beweggrunde zu charakterisieren.,,24
Die Kommissionsmitglieder bestimmte demnach keine grundsätzliche Ablehnung der Differenzierung nach Motivirrtum und mangelnder Willenswirklichkeit. Maßgebend fiir ihre Entscheidung war allein die Furcht, die weitere Ausbildung dieser Unterscheidung könne zur Eliminierung hergebrachter relevanter Irrtumstatbestände einschließlich des Irrtums über den Geschäftsgegenstand fiihren. 3. Börners Begründung rur seinen Antrag in der zweiten Kommission ist nur das Ergebnis der Überlegungen, die die Vorkommission des Reichsjustizamtes zu Börners dortigem Antrag2S angestellt hat: "Zu den §§ 98, 102 trug man Bedenken, mit dem Entwurfe zwischen solchen Fällen, in welchen in Folge eines Irrthums die Uebereinstimmung des Willens mit der Erklärung ermangele und solchen Fällen, in denen ein Irrthum im Beweggrunde vorliege, im Gesetze zu unterscheiden; vielmehr hielt man es fllr richtiger, unter Streichung des § 102 darauf abzustellen, ob der Irrthum den Inhalt der Erklärung - d.h. dasjenige Betreffe, was zum Thatbestande des Geschäfts erhoben sei, - im Gegensatze zu den außerhalb des Geschäftes liegenden Beweggründen. Von einigen Seiten wurde dabei betont, daß, wenn man den Irrthum über die Identität oder über wesentliche Eigenschaften lediglich als einen Irrthum im Beweggrunde auffasse, von diesem Standpunkte aus die Fassung des Entwurfs zweifellos zu eng sein würde. Es empfehle sich aber nicht, in dieser Frage die Wissenschaft und Praxis durch die Fassung zu beengen.,,26
Auch hier fallt keine Entscheidung gegen die Differenzierung nach Willensunwirklichkeit und Motivirrtum. Man will Wissenschaft und Praxis nur im Fall 24 Prot. I 118 = Mugdan I 72lf. 25 Dieser lautet nach Jakobs/Schubert 1618: "Hat Jemand in der Abgabe einer Willenserklärung oder bei der Abgabe einer solchen über den Inhalt des Erklärten sich geirrt und ist nicht anzunehmen, daß er die Willenserklärung in verständiger Würdigung des Falles auch bei Kenntniß der Sachlage abgegeben haben würde, so kann er die Willenserklärung anfechten." Der Zusatz "Ist die Anfechtbarkeit ausgeschlossen und hat der Empfänger der Willenserklärung den Irrthum getheilt oder gekannt, so gilt die Willenserklärung so, wie sie ohne den Irrthum abgegeben sein würde." fehlt in der von der Vorkommission beschlossenen Fassung (Jakobs/Schubert I 624). Diese geht nur insoweit über den ersten Satz von Börners Fassung hinaus, als sie auch den Irrtum in der Erklärungshandlung abdeckt (zu dieser Ergänzung sogleich im Text). Sie ist identisch mit dem Antrag Börners in der zweiten Kommission (vgl. oben N. 21). 26 Jakobs/Schubert 1623.
§ I Ausgangslage: Keine subjektiv-teleologische oder Wortlautinterpretation
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einer zu restriktiven Bestimmung der fehlenden Willenswirklichkeit die Möglichkeit offenhalten, innerhalb der Gruppe der Beweggründe zwischen beachtlichen und solchen zu unterscheiden, die außerhalb des Tatbestands des Geschäfts liegen. Von der deshalb gebildeten Kategorie des Inhaltsirrtums hatte Börner, wie Schermaier einräumen muß,27 ebensowenig wie die übrigen Mitglieder der Vorkommission eine klare Vorstellung. Er konnte sie auch gar nicht haben. Denn die Grenze, die der Begriff des Inhaltsirrtums zwischen beachtlichen und unbeachtlichen Fehlvorstellungen ziehen soll, ist nur im Bedarfsfall maßgeblich. Fällt sie bei einem weiten Verständnis der Willensunwirklichkeit mit der herkömmlichen Abgrenzung zum Motivirrtum zusammen, hat sie keine eigenständige Bedeutung. Entgegen Schermaie?8 hat Börner also keineswegs gewußt, daß der Inhaltsirrtum auch Sachverhalts irrtümer umfassen werde. Er hat dies nur nicht ausgeschlossen und Wissenschaft und Praxis die Entscheidung überlassen. 29 Daß die Mitglieder der Vorkommission einen völlig abweichenden Irrtumsbegriff zum gesetzlichen Vorbild machen wollten, kann Schermaier30 auch nicht aus der nachträglichen Aufnahme einer zweiten Alternative in Börners Fassung von § 98 herleiten. Diese entstammt dem Antrag Struckmanns, der zwischen dem Irrtum über den Erklärungsinhalt und dem Fall unterscheidet, daß kein Erklärungswillen vorliegt. 31 Daß Börners Antrag diesen unstreitig beachtlichen Irrtumsfall ursprünglich nicht nannte, erhellt gerade, daß er von seinem Begriff des Inhaltsirrtums umfaßt und dieser nicht allein auf Sachverhaltsirrtümer gemünzt war. Dies gilt auch tUr Struckmanns Begriff des Inhaltsirrtums, wie der Wortlaut seines hierauf gerichteten Antrags zur Neufassung von § 98 zeigt: "Eine ernstlich gemeinte Erklärung kann von dem Erklärenden angefochten werden, wenn er bei der Abgabe der Erklärung über deren Inhalt sich geirrt, insbesondere Personen oder Gegenstände, auf welche sie sich bezog, verwechselt hat, und nicht anzunehmen ist, daß er auch bei Kenntniß der Sachlage in verständiger Würdigung des Falles die Erklärung abgegeben haben würde.,,32
Bestimmung 717. A.a.O. 29 Daß dies in der Denkschrift nicht zum Ausdruck kommt, weil hier der Irrtum in den Beweggründen pauschal dem Inhaltsirrtum gegenübergestellt und dieser damit als Erklärungsirrtum bestimmt wird (vgl. Mugdan I 833), ist der berechtigte Kern von Schermaiers Kritik. 30 Bestimmung 672f. 31 Der entsprechende Passus von Struckmanns Antrag lautet nach Jakobs/Schuber! 619: "Eine Erklärung kann von dem Erklärenden angefochten werden, wenn er sie ohne den Erklärungswillen (ohne den auf Abgabe derselben gerichteten Willen) abgegeben hat." 32 Jakobs/Schuber! a.a.O. 27 28
2 Harke
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1. Kap.: Kritik der Lehre zum geltenden Recht
Die Verwechslung von Personen oder Gegenständen sind die bis dahin gewöhnlich unter die Willensunwirklichkeit fallenden Konstellationen des error in persona contrahentis oder in re. Zwar haben zweite und Vorkommission die Gefahr gesehen, daß auch diese Fehlvorstellungen als Irrtümer im Beweggrund gelten. Hätte Struckmann den Begriff des Inhaltsirrtums jedoch vornehmlich rur die Gruppe der bislang als solche betrachteten Motivirrtümer konzipiert, hätte er als Beispiel kaum Fälle auswählen dürfen, die bis dahin als Fälle mangelnde Willenswirklichkeit galten. Zusätzlich zu berücksichtigender Fall kann also nur der Irrtum in der Erklärungshandlung sein. 33 4. Daß das Kausalitätskriterium, das in Abweichung vom ersten Entwurf um eine objektive Komponente ergänzt wurde, keine Bedeutung rur den Begriff des Inhaltsirrtums hat, zeigt schon seine getrennte Behandlung in der Vorkommission. 34 Noch deutlicher tritt die Scheidung in der Beratung der zweiten Kommission zutage, wo man sich bereits bei der Festlegung des gesetzlichen Irrtumsbegriffs vorab gegen den Antrag Wilkes entschied. Dieser sah in § 98 eine Anfechtung wegen jeglicher Irrtümer vor, die rur die Abgabe der Willenserklärung kausal waren, falls der andere Teil den Irrtum gekannt hat. 3s Ohne auf diese Einschränkung oder den vorgesehenen Kausalitätsmaßstab einzugehen, lehnt die zweite Kommission den Antrag schon deshalb ab, weil sie die bloße Ursächlichkeit des Irrtums rur die Erklärung nicht genügen lassen will. Es heißt: "Auch der Standpunkt des Antrags 3, wonach jeder Irrthum berücksichtigt werden solle, falls der Erklärende ohne denselben die Erklärung nicht abgegeben haben würde, fand keine Billigung.,,36
Auf die Ausgestaltung des Kausalitätskriteriums kommt die zweite Kommission erst zu sprechen, nachdem sie sich schon rur Börners Begriff des Inhaltsirrtums entschieden hat. Wilkes Antrag findet dabei erneut Erwähnung: "Der ... Antrag 3 wurde abgelehnt, weil man annahm, daß derselbe, soweit er jeden dem Gegner bekannten Irrthum rur wesentlich erkläre, einerseits auf die schon in der vorigen Sitzung erledigte Frage, weIcher Irrthum überhaupt als Anfechtungsgrund 33 Das Protokoll über die Beratungen der Vorkommission ist in diesem Punkt unergiebig. Es heißt dort: "Um neben den Fällen, in welchen der Erklärende über den Inhalt seiner Erklärung im Irrthume war, auch diejenigen Fälle zu treffen, in weIchen zwar äußerlich eine von dem Erklärenden ausgehende Erklärung vorliegt, derselben aber der Erklärungswille fehlt, hielt man es rur erforderlich in § 98 noch besonders hervorzuheben, daß auch in solchen Fällen die Erklärung nach Maßgabe der zu § 98 beschlossenen Vorschriften solle angefochten werden können, in denen der Erklärende die Erklärung überhaupt nicht hat abgeben wollen." (JakobslSchubert 1623). 34 Vgl. JakobslSchubert 1623. 35 Der Antrag lautet nach Prot. I 103 = Mugdan I 713: "Jeder Irrthum des Erklärenden ... macht die abgegebene Willenserklärung rur ihn unbeachtlich, I. wenn der andere Theil den Irrthum gekannt hat, 2. wenn anzunehmen ist, daß der Erklärende ohne den Irrthum die Willenserklärung nicht abgegeben haben würde.... " 36 Prot. I 108 = Mugdan I 716.
§ 1 Ausgangslage: Keine subjektiv-teleologische oder Wortlautinterpretation
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beachtlich sein solle, zurilckgreife, anderseits in der Zulassung der Anfechtung wegen Irrthums im Beweggrunde vom geltenden Recht zu sehr abweiche und an sich viel zu weit gehe.,,37
Ignoriert man zugunsten von Schermaiers These den zweiten Teil der Begründung als eine Gedankenverirrung mancher Kommissionsmitglieder, bleibt immer noch das erste Argument: Der Antrag kann schon deshalb nicht erfolgreich sein, weil man sich bereits auf einen engeren Begriff der beachtlichen Irrtumsart (den "an sich geeigneten Irrthum,,38) geeinigt hat. Auf die im Antrag vorgesehene Ausgestaltung des Kausalitätskriteriums kommt es gar nicht mehr an. Hier entscheidet man sich abermals filr den Vorschlag Bömers, den man unter Ausgrenzung der Frage nach der Irrtumsart auf die Formel bringt: "Der Irrthum sei als wesentlich nur dann anzuerkennen, wenn anzunehmen ist, daß der Erklärende die Willenserklärung bei Kenntniß der Sachlage und bei verständiger Wilrdigung des Falles nicht abgegeben haben wilrde.,,39
Was durch dieses Kriterium allein ersetzt werden soll, sind die gegenständlich bestimmten Irrtumsformen des error in negotio, in re und in persona contrahentis, wie sie zumindest als Beispielsfiille noch im ersten Entwurf erscheinen. Den Zusammenhang zum Kausalitätsmaßstab stellt die zweite Kommission bei ihrer anschließenden Entscheidung gegen die objektbestimmte "Exemplifikation" ausdrücklich her: "Die Exemplifikation erilbrige sich namentlich gegenilber der über die Wesentlichkeit des Irrthums beschlossenen Bestimmung."4o
Das objektivierte Kausalitätskriterium hat damit auch nach Ansicht der zweiten Kommission keine andere Funktion als die, welche schon seinem subjektiven Vorläufer im ersten Entwurf zugedacht war. In dessen § 98 dient es offensichtlich als Oberbegriff filr die beispielhaft aufgefilhrten gegenständlichen Irrtumsformen: "Beruht der Mangel der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen auf einem Irrthume des Urhebers, so ist die Willenserklärung nichtig, wenn anzunehmen ist, daß der Urheber bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung nicht abgegeben haben würde; im entgegengesetzten Falle ist die Willenserklärung gilltig. Im Zweifel ist anzunehmen, die Willenserklärung wilrde nicht abgegeben sein, wenn ein Rechtsgeschäft anderer Art, die Beziehung des Rechtsgeschäftes auf einen anderen Gegenstand oder die Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes unter anderen Personen beabsichtigt wurde."
Prot. I 111 = Mugdan I 718. Vgl. Prot. I \09 = Mugdan I 717. 39 Prot. I 110 = Mugdan I 717. 40 Prot. I 112 = Mugdan 1718. 37
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I. Kap.: Kritik der Lehre zum geltenden Recht
Es gibt keine Anzeichen daftlr, daß mit der späteren Ergänzung des Kausalitätserfordernisses um die objektive Komponente der "verständigen Würdigung" eine andere Vorstellung von seiner Funktion einherging. 11. Stehen subjektiv-teleologische Gesichtspunkte einer Deutung von § 119 mit Hilfe der Unterscheidung von Erklärungs- und Inhaltsirrtum einerseits und Motivirrtum andererseits nicht im Wege,41 verwundert doch die Einseitigkeit, mit der diese gemeinhin erfolgt. Offenheit des Wortlauts und Unentschlossenheit des Gesetzgebers ließen eigentlich einen heftigen Streit über die Frage erwarten, ob § 119 Abs. 2 einen Fall des Erklärungs- und Inhaltsirrtums oder eine ausnahmsweise beachtliche Konstellation des Motivirrtums regelt. Statt dessen haben sich Rechtsprechung und Wissenschaft in seltener Eintracht ftlr diese und gegen jene Deutung entschieden. 42
Kramer43 geht sogar so weit, § 119 Abs. 2 als lückenhaften, aber analogieflihigen Ansatz zur Regelung sämtlicher Fälle des Sachverhalts irrtums, also des Irrtums über die außergeschäftliche Wirklichkeit, anzusehen. Dessen Berücksichtigung soll sich allgemein aus einer Risikobewertung und im Einzelfall danach richten, ob der Irrtum vom Erklärungsgegner veranlaßt wurde oder ihm hätte auffaUen müssen. Kramers originelle Begründung geht von einer Bemerkung in den Protokollen der zweiten Kommission aus. Mit § 119 Abs. 2 wollte diese, wie anläßlich des Verweises auf Vorgänger- und Nachbarrechte ausdrücklich gesagt,44 Anschluß an die "moderne Rechtsentwicklung" gewinnen. Dieses zunächst subjektiv-teleologische Argument wendet Kramer in ein objektives, indem er es aus seinem historischen Kontext löst und auf die gegenwärtige Gesetzgebung in Nachbarstaaten und aktuelle Rechtsvereinheitlichungsprojekte bezieht. 4s Zwar sprengt Kramer den Rahmen zulässiger Gesetzesinterpretation, weil er zum Gegenstand der objektiv-teleologischen Auslegung nicht das Gesetz selbst, sondern die Absicht des historischen Gesetzgebers macht. 46 Durch sein Bemühen um eine zureichende Begründung hebt er sich jedoch deutlich von den Vertretern der herrschenden Ansicht ab, die in § 119 Abs. 2 ebenfalls den Motiv41 Zu bestimmt ist das Urteil von Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997) 280, 287, der ohne weiteres eine "Grundsatzentscheidung des BGB" gegen die Beachtlichkeit des bloßen Motivirrtums annimmt. 42 Vgl. die Übersicht bei Pe/er Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung (2000) 4fT. 43 MünchKomm4 Rn. 11Off. 44 Siehe oben I I. 45 Vgl. MünchKomm4 Rn. 113f. 46 Gegen Kramers Lösung wenden sich auch Flume, JZ 1985, 474, Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997) 286fT. und sogar Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001) 341 f., der sich für Kramers Anliegen rechtspolitisch aufgeschlossen zeigt.
§ 2 Irrtumsrecht ohne Irrtumsbegriff: Titze
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und keinen Erklärungs- oder Inhaltsirrtum geregelt finden. Der Rechtsprechung war und ist diese Frage überhaupt keine Auseinandersetzung wert. 47 Die Literatur begnügt sich, sofern sie überhaupt um Rechtfertigung bemüht ist, mit einem Hinweis auf den - nicht vorhandenen - Willen des Gesetzgebers48 oder mit dem - gleichfalls nur scheinbaren - Argument, man müsse das Gesetz beim Wortlaut nehmen. 49 Eine objektiv-teleologische, insbesondere systematische Deutung, die mangels eindeutigen Gesetzestextes und klarer Gesetzgebungsabsicht allein zulässig ist, sucht man zumeist vergebens. Finden kann man sie nur bei Titze, Brauer, Flume und Schmidt-Rimpler. Die Auseinandersetzung mit ihren Lehren verspricht eine Einsicht in die Struktur des Eigenschaftsirrtums, welche entgegen der allgemeinen Überzeugung alles andere als ausgemacht ist.
§ 2 Irrtumsrecht ohne Irrtumsbegriff: Titze I. Ebenso wie neuerdings Schermaier bezweifelt auch Titze die Berechtigung der Unterscheidung zwischen Erklärungs- und Inhaltsirrtum einerseits und Motivirrtum andererseits. Daß Savigny den Eigenschaftsirrtum den Fällen Willensunwirklichkeit und nicht den Irrtümern im Beweggrund zurechnet, deutet Titze als Zeichen rur die Wertlosigkeit der Differenzierung. 5o Wirtschaftliche und rechtliche Zwecke bildeten in der Vorstellungswelt des Urhebers stets eine untrennbare Einheit. 51 Im praktischen Rechtsleben gebe es keine Motive, die den Erklärenden nur zur Abgabe einer Willenserklärung veranlaßten und nicht auch zugleich bei diesem Akt begleiteten. 52 Der fehlende Bezug wirtschaftlicher Absichten zum Erklärungsinhalt sei noch kein Grund, diesen Absichten von vornherein die Eignung zum Gegenstand eines erheblichen Irrtums abzusprechen. Gerade der Erklärungsirrtum könne darin bestehen, daß die Aufnahme einer das Geschäftsmotiv schützenden Klausel in die Erklärung vergessen worden sei. In diesem Fall werde uneingeschränkt erklärt, was nur eingeschränkt gewollt sei. 53 An die Stelle der hergebrachten Unterscheidung nach Irrtumsarten will Titze die geschäftliche Risikoverteilung als Kriterium rur die Erheblichkeit eines Irr-
47 V gl. die Analyse von Peter Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung (2000) 10. 48 So Brox, AT Rn. 370 und wohl auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997) 280. 49 So Larenz, AT7 378, Peter Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung (2000) 12. 50 S. 80ff. 51 S. 94. 52 S. 97f. 53 S. 96.
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I. Kap.: Kritik der Lehre zum geltenden Recht
tums setzen. 54 Ergebe die Auslegung des vom Irrtum befallenen Rechtsgeschäfts, daß der Erklärende die Gefahr einer Fehlvorstellung nicht allein zu tragen habe, sei er zur Anfechtung berechtigt. Ergebe die Geschäftsinterpretation dagegen, daß er oder der Vertragspartner dieses Risiko übernommen hätten, scheide eine Anfechtung aus. Als Beispiel dient Titze der Irrtum des Verkäufers über sein Eigentumsrecht beim Verkauf einer fremden Sache. 55 Die Fallösung hänge hier nicht davon, ob die Inhaberschaft eine Sacheigenschaft ist oder nicht. Sie ergebe sich vielmehr aus der Gesetz gewordenenVerkehrsauffassung, die dem Verkäufer die Rechtsmängelhaftung und damit auch die Gefahr einer Fehlvorstellung über die Zuständigkeit des Eigentums aufbürde. Die Subsidiarität der Anfechtung gegenüber anderen Rechtsbehelfen folge unmittelbar daraus, daß sie im Interesse des Irrenden nicht geboten sei. 11. Bei der Kritik von Titzes Lehre könnte man sich damit begnügen, daß er sie offenbar nicht als Erklärungsmodell fUr das geltende Recht, sondern als Grundlage einer Neuregelung angesehen hat. 56 Damit würde man der Bedeutung von Titzes Überlegungen jedoch nicht gerecht. Zwar taugen sie nicht zur Interpretation von § 119 Abs. 1. Sie lassen sich jedoch zur Auslegung von Abs. 2 heranziehen, wo die .Zuordnung des Eigenschaftsirrtums zum Erklärungs- und Inhaltsirrtum oder zum Motivirrtum offen ist und ein belastbares Abgrenzungskriterium not tut. 1. Gegen Titze hat schon Flume 57 die hergebrachte Unterscheidung der Irrturnsarten in Schutz genommen. Den Vorwurf, daß sie nicht lebensnah sei, widerlegt er durch Aufdeckung der sie tragenden Risikozuweisung: Die Gefahr einer unrichtigen Vorstellung über die Wirklichkeit trägt allein der Erklärende. Die Gefahr eines Fehlers in der Vermittlung der Parteivorstellung trägt auch der Erklärungsgegner, der in diese Rolle zumindest beim Vertrag freiwillig geraten ist. 58 Hierin liegt eine plausible und im Konfliktfall einfach umzusetzende Abgrenzung der beiderseitigen Risikosphären. Ihre Ersetzung durch eine Risikoverteilung, die erst die Auslegung des Rechtsgeschäfts ergibt, verspricht demgegenüber keinen Gewinn an Rechtssicherheit und macht die Entscheidung, von Standardfiillen abgesehen, vollends unvorhersehbar.
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S. 99fT. S. 100.
56 S. 105f. Seinen Vorschlag stellt Titze übrigens selbst in Frage, indem er gleichsam als Alternativlösung ein Irrtumsrecht entwirft, bei dem der Erklärende grundsätzlich selbst das Risiko einer Fehlvorstellung trägt und dieses nur dann mit dem Erklärungsgegner teilt, wenn dieser den Irrtum erkennen konnte, verursacht oder noch keine Dispositionen getroffen hat. 57 Eigenschaftsirrtum 27f. 58 V gl. Flume, ATJ 1I 432f. Daß hierdurch schon eine angemessene Risikoverteilung gewährleistet ist, meint auch Dießelhorst, Sympotica Wieacker (1970) 209.
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Sieht man den Grund der Unterscheidung von Erklärungs- und Inhaltsirrtum einerseits und Motivirrtum andererseits nicht in psychologischen Pseudowahrheiten, sondern in einer wertungsgebundenen Entscheidung des Gesetzes,S9 fllllt auch Titzes Argument, BeweggrUnde und die Vorstellung über Existenz und Inhalt der Erklärung bildeten in der Praxis stets eine Einheit. Mag dies auch psychologisches Datum sein, ist das Recht doch frei, die Einheit aufzuspalten und nur bestimmte Elemente zu beachtlichen Irrtumsgegenständen zu erklären, das Risiko einer Fehlvorstellung im übrigen dem Erklärenden zuzuweisen. 60 Unrichtig ist jedenfalls Titzes Annahme, der Irrtum im Beweggrund lasse sich stets auch als Erklärungs- oder Inhaltsirrturn ansehen. 61 Der Irrtum über einen Umstand, der das Motiv des Erklärenden abgibt, bewirkt gerade, daß seine Erklärung ohne Vorbehalte und so auch gedacht ist. Es liegt nur ein Motiv-, kein Erklärungs- oder Inhaltsirrtum vor. Hat der Erklärende dagegen einen sein Handlungsmotiv schützenden Vorbehalt vergessen, ist ihm ein Erklärungsirrtum, jedoch kein bestimmender Motivirrtum unterlaufen. Denn die Absicht zur Aufnahme des Vorbehalts zeigt gerade, daß er mit dem Ausfall des Umstands gerechnet hat, der filr seinen Beweggrund von Bedeutung ist. 2. Ist Titzes Kritik an der Unterscheidung von Inhalts- und Motivirrtum auch unrichtig, bedeutet dies noch nicht, daß sein Hinweis auf die rechtsgeschäftliche Risikoverteilung fehlgeht. Deren Wirkung ist keineswegs auf die teleologische Reduktion von § 119 Abs. 2 oder die Annahme eines Spezialitätsverhältnisses in der Konkurrenz mit anderen Rechtsbehelfen beschränkt. Sie taugt durchaus auch zur Bestimmung des originären Anwendungsbereichs der Vorschrift. Besonders fruchtbar ist dabei Titzes Verbindung von gesetzlicher Haftung und Verkehrsauffassung: Übernimmt der Verkäufer mit Abschluß des Kaufvertrages kraft Gesetzes eine Rechts- und Sachmängelhaftung, hat das Risiko, daß die (rechts-) tatsächliche Beschaffenheit der Kaufsache hinter der Norm zurückbleibt, eine nach der Verkehrsauffassung hinreichende Regelung erfahren. Das gleiche gilt, wenn Rechts- oder Sachmängelhaftung vertraglich eingeschränkt oder ausgeschlossen sind, und läßt sich auch fur alle gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen sagen, die das Verhältnis von rechtsgeschäftlicher Norm und tatsächlicher Möglichkeit oder Ausfilhrung einer Leistung regeln. Nach der Anschauung des Rechtsverkehrs sind die sich hieraus ergebenden Risiken bereits erfaßt. Die betroffenen Eigenschaften des Geschäftsgegenstands, sein Zurückbleiben hinter, 59 So auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1993) 243. 60 Ähnlich Dießelhorsl, Sympotica Wieacker (1970) 190. 61 Gegen Tilze auch Brauer 87ff., dessen Abwandlungen von Tilzes Fall des Verkaufs eines vermeintlichen Rennpferds namens Nixe allerdings nicht zur Widerlegung von Titzes Erwägungen beitragen.
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sein Überschuß über eine rechtsgeschäftlich bestimmte oder abbedungene Nonn, sind dem Verkehr daher nicht wesentlich. 62 Empfindlich berührt ist er nur beim völligen Fehlen einer Nonn. Das ist der Fall, wenn sich der Erklärende beispielsweise durch fehlerhafte Bestimmung der Gattung des Geschäftsgegenstandes im Irrtum darüber befindet, rur welche Eigenschaften er eine rechtliche Vorgabe gemacht hat. Hier liegt ein Risiko, das durch die privaten oder gesetzlichen, jedenfalls rechtsgeschäftlich ins Werk gesetzten Nonnen nicht abgedeckt ist. Es ist das Risiko, einer Fehlvorstellung über Existenz und Inhalt der Erklärung unterlegen zu sein, an der die tatsächlichen Eigenschaften des Geschäftsgegenstands gemessen werden. Sieht man § 119 Abs. 2 im Zusammenhang mit den Bestimmungen rur die Divergenz von Nonn und Wirklichkeit, insbesondere mit den Vorschriften über die Rechts- und Sachmängelhaftung des Verkäufers, gelangt man daher zu der Schlußfolgerung, daß der erhebliche Eigenschaftsirrtum Inhalts- oder Erklärungsirrtum ist. Er ist Fehlvorstellung über die mit dem Rechtsgeschäft begründete Beschaffenheitsvorgabe. Nur deren Festlegung ist wesentlich für den Verkehr, der sich beim Auseinanderfallen von rechtsgeschäftlich bestimmter und tatsächlicher Beschaffenheit auf die dafür geltenden, in Gesetz oder Rechtsgeschäft enthaltenen oder ausgelassenen Regelungen verläßt.
§ 3 Eigenschafts- als Geschäftsirrtum: Flume I. Eine völlig andere Vorstellung von der Struktur des Eigenschaftsirrtums hat Flume. 63 Für ihn ist Thema von § 119 Abs. 2 die Divergenz von vereinbarter und wirklicher Beschaffenheit des Geschäftsgegenstands. Die einhergehende Fehlvorstellung des Erklärenden nennt er den "geschäftlichen Eigenschaftsirrtum". Ausgangspunkt von Flumes Überlegungen ist die Auseinandersetzung mit der psychologischen Theorie Zitelmanns. 64 Anders als Zitelmann leugnet Flume, daß sich die Vorstellung eines bestimmten Objekts, die rur dessen Auswahl maßgebend ist, von der Vorstellung der Objektsbeschaffenheit als reinem Motiv
62 Dieses Verständnis entgeht der Kritik, die Flume, Eigenschaftsirrtum 133 an der älteren Auffassung von Krückmann, AcP 101 (1907) 393ff. (dazu unten N. 126) übt. Bezieht man den Schutz, der von rechtsgeschäftlieh begrOndeten Instrumenten ausgeht, nicht auf den Begriff des Irrtums, sondern auf die Verkehrswesentlichkeit der betroffenen Eigenschaft, verändert man weder den EigO!nschaftsirrtum zu einer Fehlvorstellung über Rechte und Verbindlichkeiten, noch stellt man in Abrede, daß auch hier eine Fehlvorstellung vorliegt. 63 Eine Übersicht über die Lehre Flumes und die daran anknüpfenden Leistungen seiner Schüler bietet Wilhelm, FG Flume (1998) 308ff. 64 Vgl. Irrtum und Rechtsgeschäft (1879) 434ff.
§ 3 Eigenschafts- als Geschäftsirrtum: Flume
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der Auswahl trennen lasse. 6s Die Ansicht der Eigenschaften eines Geschäftsgegenstands sei Element eines einheitlichen Geschäftswillens, der das bestimmte Objekt samt seiner Beschaffenheit umfasse. Zitelmanns Argument, ein schon existierender Gegenstand könne sinnvollerweise nicht in einer bestimmten Beschaffenheit gewollt sein, erweist Flume als Pseudologismus: Das Urteil der Widersinnigkeit ergibt sich erst daraus, daß man die Vorstellung von der Beschaffenheit eines Objekts zum Willen auf ein bestimmtes Sein dieses Objekts macht. Ist der Wille nicht auf das Sein des Geschäftsgegenstands, sondern auf den Inhalt des Geschäfts gerichtet, entfällt Zitelmanns Vorwurf. Das Rechtsgeschäft und seine Vorstellung unterliegen nicht dem Gebot einer Widerspruchsfreiheit zum Sein des Geschäftsgegenstandes. Ob das Rechtsgeschäft durchfilhrbar und insbesondere auf eine mögliche Leistung gerichtet ist, kann die Rechtsfolgen des Geschäfts bestimmen, berührt jedoch nicht dessen Vornahme oder die mit ihm verfolgte Absicht. 1. Frucht dieser Erkenntnis ist die Einsicht, daß der Kaufvertrag über eine bestimmte Sache auch einer Vereinbarung über deren Beschaffenheit zugänglich ist. 66 Dieses Verständnis des Kaufvertrags erlaubt Flume zwei Schlußfolgerungen, die durch die Schuldrechtsreform unnötig geworden, rur das alte Recht jedoch unentbehrlich und richtig sind: Flume kann zunächst die Sachmängelhaftung beim Spezieskauf ohne weiteres auf die Kaufvereinbarung selbst zurUckfilhren. Das Gewährleistungsrecht folgt rur ihn zwar anders als nach der neuen Regelung in §§ 433 Abs. 1 Satz 3, 437 n.F. nicht aus einem Käuferanspruch auf Lieferung eines mängelfreien Kaufgegenstands. 67 Es muß deshalb jedoch keineswegs zum gesetzlichen Schuldverhältnis oder aus Geschäftsgrundlage oder -zweck erklärt werden. Sein Rechtsgrund ist der Kaufvertrag, der eine Vereinbarung über die Beschaffenheit der Kaufsache einschließt. 68
Ist die Kaufvereinbarung Grundlage der Sachmängelhaftung, muß sie auch deren Inhalt bestimmen. Nicht erst der Begriff des Sachmangels in § 434 Abs. 1 Satz 1 n.F., sondern schon der des Fehlers in § 459 Abs. 1 a.F. ist notwendig 65
Eigenschaftsirrtum 18ff., AT) 11 476ff. Zustimmung erntet Flume bei Kegel, AcP
150 (1950) 360.
Eigenschaftsirrtum 33fT. Ebenso Raape, AcP 150 (1950) 483. 68 Flume, Eigenschaftsirrtum 52fT. gelingt auf diese Weise auch eine Erklärung für die Bestimmung des § 463 Satz 2 a.F., der die Haftung des arglistigen Verkäufers auf das positive Interesse anordnet und im Haftungsumfang daher nicht an den Vorwurf des vorsätzlichen Verschweigens anknüpfen kann. Der Verkäufer haftet ohnehin für die Fehlerfreiheit der Kaufsache, kann dieser im Normalfall allerdings durch Wandelung oder Minderung genügen. Sein im Normalfall berechtigtes Interesse, keinem Schadensersatzanspruch ausgesetzt zu sein, ist jedoch dann nicht mehr schutzwürdig, wenn er den Fehler der Kaufsache arglistig verschwiegen hat. 66
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subjektiv. 69 Das Gewährleistungsrecht schafft Abhilfe, wenn die tatsächliche von der verabredeten Beschaffenheit der Kaufsache abweicht. Es kommt daher auch dann zum Zuge, wenn die Sache einer anderen als der vereinbarten Gattung angehört oder hinter der verabredeten Quantität zurUckbleibt. 70 Einer Vorschrift wie § 434 Abs. 3 n.F., der die Lieferung eines aliud oder einer zu geringen Menge dem Saclunangel gleichstellt und damit sogar dessen Definition in Abs. I zuwiderläuft,71 bedurfte es demnach schon im alten Recht nicht. Ist eine andersartige oder eine Sache zu geringen Umfangs dem allgemeinen Sprachgebrauch zufolge auch nicht mit einem ,Fehler' behaftet, ergibt sich die Anwendung des Gewährleistungsrechts doch unmittelbar aus dem juristischen Fehlerbegriff, der von der vertraglich bestimmten Beschaffenheit ausgeht. Haben die Parteien die Beschaffenheit nicht zum Gegenstand einer besonderen Vereinbarung gemacht, muß sie der Beschaffenheit entsprechen, die einer Sache der ausdrUcklich oder konkludent bestimmten Gattung gewöhnlich zu eigen ist. 2. Seine Kritik an Zitelmann fUhrt Flume auch zu einer Neubestimmung des Anwendungsbereichs von § 119 Abs. 2. Indem er die Beschaffenheitsvereinbarung als Teil der Willenserklärung erkennt, verschiebt er die Grenze von beachtlichem und unbeachtlichem Irrtum. Den Geltungsbereich von § 119 Abs. 2 beschränkt er jedoch auf den Irrtum über Eigenschaften, die zum Bestandteil des Geschäfts geworden sind. 72 Der Irrtum über die Eigenschaften einer Person kommt danach nur in Betracht, wenn die Person Objekt des Willens und der Vereinbarung ist. 73 Ob sich die Vereinbarung beim Kauf auf eine bestimmte Beschaffenheit der Kaufsache erstreckt, ist fUr Flume eine Frage der Auslegung. HierfUr sei nicht nur der Geschäftsabschluß selbst entscheidend. Zeigten schon die Vertragsverhandlungen, daß die Vereinbarung nur um einer bestimmten Beschaffenheit der Kaufsache willen zustande gekommen ist, sei die fehlerhafte Vorstellung hierUber ebenfalls beachtlicher Geschäftsirrtum. Haben die Parteien keine besondere Vereinbarung über die Beschaffenheit der Kaufsache getroffen, gelte deren aus der Gattungszugehörigkeit bestimmte Normalbeschaffenheit als vereinbart. 74 Komme die gewünschte Beschaffenheit des Geschäftsgegenstands dagegen auf keinem dieser Wege zum Ausdruck, müsse sich die irrende VerEigenschaftsirrtum 109ff. Raape, AcP 150 (1950) 493 spricht sich hier nur für eine analoge Anwendung des Gewährleistungsrechts aus. 71 Bleibt der Schaden, den § 434 Abs. 3 anrichtet, hoffentlich auch ohne praktische Konsequenz, verblüfft die gedankliche Fehlleistung des Gesetzgebers gleichwohl. 72 Eigenschaftsirrtum 69ff. 73 Eigenschaftsirrtum 26. Den Irrtum über Eigenschaften des Vertragspartners müßte Flume damit richtigerweise nur dann anerkennen, wenn der Vertragspartner anders als beim Kauf nicht lediglich Subjekt des Vertrages ist. 74 Für das Irrtumsrecht zieht Flume diesen Schluß erst in seinem Lehrbuch, vgl. AT3 II 479. 69
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tragspartei die Unbeachtlichkeit dieses außergeschäftlichen Irrtums selbst zuschreiben. 7s Für Flume erübrigt sich damit die dogmatisch willkürliche und praktisch undurchfiihrbare Differenzierung nach mittelbar und unmittelbar zuzuordnenden Eigenschaften des Geschäftsgegenstands, wie sie von der Rechtsprechung angestellt wird. 76 Der "geschäftliche Eigenschaftsirrtum", den Flume als Anwendungsbereich von § 119 Abs. 2 ausmacht, ist kein Erklärungs- oder Inhalts irrtum. 77 Er ist Fehlvorstellung über die wirkliche Beschaffenheit des Kaufgegenstands, die von der gewollten und erklärten, insbesondere kaufvertraglich vereinbarten, abweicht. Die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 tritt demnach in Konkurrenz zur Sach- und Rechtsmängelhaftung, die eine Regelung fUr genau diesen Fall bereithält. Die Frage des Vorrangs löst Flume ebenso wie Rechtsprechung und herrschende Lehre durch Annahme eines Spezialitätsverhältnisses: Die Rechte des Käufers wegen Sach- und Rechtsmängel hätten im Kaufrecht eine abschließende Sonderregelung erfahren, welche dem allgemeinen Recht der Irrtumsanfechtung vorgehe. Eine Anfechtung des Käufers sei vollkommen ausgeschlossen. 78 Eine Anfechtung des Verkäufers soll ausscheiden, wenn dieser sich dadurch seiner Sach- und Rechtsmängelhaftung entziehen würde. 79 Der Geltungsbereich von § 119 Abs. 2 schrumpft im Kaufrecht damit auf die Fälle zusammen, in denen die Kaufsache einen Qualitätsvorsprung gegenüber der vereinbarten Beschaffenheit aufweist, welchen der irrende Verkäufer dem Käufer nicht verstatten will. 80 Dieses Begehren hält Flume wiederum wegen der Einbeziehung der Beschaffenheit in die Kaufvereinbarung auch fUr rechtsschutzwürdig. Der Käufer, der die Sache behalten dürfte, erhielte mehr, als ihm nach dem Kaufvertrag zustehe. Zu einer Überschneidung mit Gewährleistungsansprüchen des Käufers komme es hier nur bei der Kombination von überschießenden und zurückbleibenden Eigenschaften und beim Verkauf eines aliud, welches zwar nicht die vereinbarten Gattungsmerkmale aufweist und daher fehEigenschaftsirrtum 86ff. Flurne, Eigenschaftsirrtum 84ff., AT3 II 475f. deutet diese als Frucht der Einbeziehung bestimmter Motivirrtümer in den Anwendungsbereich von § 119 Abs. I. Das dabei entwickelte Abgrenzungskriterium sei von hier auf die als Motivirrtum mißverstandene Fehlvorstellung nach Abs. 2 übertragen worden. Flume seIbst sieht keinen Anlaß rur eine Beschränkung des Eigenschaftsbegriffs, Kegel, AcP 150 (1950) 361 will ihn gar durch den Begriff des vereinbarten Tatumstands ersetzen. 11 Eigenschaftsirrtum 100, AT3 II 477. 18 So ausdrücklich Eigenschaftsirrtum 135. Eine Konkurrenz mit der Haftung rur Zusicherung nach § 459 Abs. 2 a.F. hält Flurne, Eigenschaftsirrtum 132f. N. 9 dagegen von vornherein rur unmöglich. Lasse sich der Käufer eine Garantie rur das Vorhandensein einer bestimmten Eigenschaft geben, habe er Zweifel an deren Existenz und befinde sich folglich auch nicht im Irrtum darüber. 19 Eigenschaftsirrtum 148, I 71. 80 Für den Schuldvertrag allgemein AT3 II 488. 15
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lerhaft sei, dessen Gattungseigenschaften jedoch zugleich nicht vereinbarte VorzUge bedeuteten. Dem Verkäufer ist nach F/ume in beiden Fällen die Anfechtung zu gestatten, wenn die tatsächlichen VorzUge die Nachteile übertreffen und der Saldo einen Wertvorteil filr den Käufer ergibt. Eine Anfechtung soll ferner zulässig sein, wenn der Verkäufer ein besonderes subjektives Interesse an der Kaufsache hat und diese bei Kenntnis ihrer VorzUge nicht veräußert hätte. 81 Bei einem einfachen Qualitätsvorsprung soll der Verkäufer dagegen stets zur Anfechtung berechtigt, der Käufer aber auch zur Abwendung ihrer Wirkungen befugt sein, wenn er den ungerechtfertigten Vorteil durch kaufpreisabhängige Mehrzahlung kompensiert. 82 11. Die Beschränkung der Anfechtung auf den Irrtum des Verkäufers über VorzUge der Kaufsache weckt nicht etwa deshalb Bedenken, weil diese Konstellation im Rechtsverkehr selten wäre. 83 Aussagen über die praktische Relevanz eines Problems sind mit zu großen Unwägbarkeiten behaftet, als daß man sie zur Grundlage filr das Verständnis einer Norm machen könnte. Gerade deren fehlerhafte Auffassung durch hergebrachte Lehrmeinungen oder in der Spruchpraxis kann der Grund dafilr sein, daß eine Konstellation nicht zum Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten und von der Statistik daher als Randproblem ausgeworfen wird. Bedenken gegen F/umes Ansicht ergeben sich vielmehr daraus, daß § 119 Abs. 2 eine allgemeine Regelung, der nachteilige Sachverhalts irrtum des Verkäufers aber systematisch ein Sonderfall ist. Selbst wenn man ihn mit F/ume rur beachtlich hält, nimmt die Inkongruenz von theoretischem und effektivem Einsatzbereich des Anfechtungsrechts wunder. Sie ist Zeichen einer Inkonsequenz in der Theorie F/umes, der aus richtigen Einsichten einen zweifelhaften Schluß zieht: I. F/umes großes Verdienst ist die Überwindung der Auffassung Zitelmanns, der mit der Zuweisung der Eigenschaftsvorstellung zu den Motiven nur erzielt, was er zuvor in den psychologischen Begritf4 des Willens hineingelegt hat. Daß der Spezieskauf eine Vereinbarung über die Beschaffenheit des Kaufgegenstands aufuehmen kann, ist nicht erst Ergebnis der Schuldrechtsreform, sondern richtige Folgerung aus F/umes Erkenntnis, daß der juristisch relevante Geschäftswille ein Objekt und dessen Eigenschaften gleichermaßen erfassen kann. Diese Einsicht legt auch eine Neubestimmung des Irrtums in § 119 Abs. 2 nahe,
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Eigenschaftsirrtum 148f. Eigenschaftsirrtum 152ff. So aber anscheinend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997)
84 Zu dessen Unrichtigkeit Säcker, Irrtum über den Erklärungsinhalt (1985) 205ff., die sich Flume auch im Ergebnis anschließt, den geschäftlichen Eigenschaftsirrtum jedoch als Gegenstand von § 119 Abs. I erweisen und Abs. 2 auf den außergeschäftlichen Sachverhaltsirrtum anwenden will (vgl. S. 380ff.).
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den Flume Geschäftsirrtum nennt. Das eigentliche Problem besteht nun in der Ausftlllung dieses Begriffs. Hier ist der wunde Punkt von Flumes Lehre. Er versäumt nicht, sich mit der älteren Auffassung von Henle 8S auseinanderzusetzen. Dieser deutet den Irrtum nach § 119 Abs. 2 als Fehlvorstellung über die Geschäftsvoraussetzung und will die Vorschrift auch unabhängig von einem Bezug auf verkehrswesentIiche Sach- oder Personaleigenschaften zur Anwendung bringen. Die Voraussetzung rechnet Henle zwar nicht dem Geschäftsinhalt zu. Die fehlerhafte Annahme, daß ein Umstand vorausgesetzt worden oder gerade von den Voraussetzungen ausgenommen ist, stehe jedoch einem Irrtum über den Inhalt der Erklärung gleich. Diese Lehre beruht auf einem Fehlschluß aus dem Gewährleistungsrecht: So wie dort der Irrtum über das tatsächliche Vorhandensein einer vorausgesetzten Eigenschaft berücksichtigt werde, müsse auch der Irrtum über die Voraussetzung selbst Beachtung finden. 86 Zum einen ist jedoch der Irrtum über die (rechts-) tatsächliche Beschaffenheit der Kaufsache nach dem vom BGB gewählten Modell nicht Grundlage, sondern nur Erfordernis der Gewährleistung. Zum anderen zwingt selbst seine Beachtung gerade dann nicht zur Anerkennung des Irrtums über die Voraussetzung, wenn diese nicht zu den Geschäftsbestandteilen gehört. Ändern könnte sich dies nur auf der Grundlage von Flumes Erkenntnis, daß ein Speziesgeschäft auch die Beschaffenheit des Geschäftsgegenstands umfaßt. Flume kritisiert an Henles Lösung nur die mangelnde Praktikabilität des Voraussetzungsbegriffs. 87 Die Irrtumskonstellation, die Henle als Anwendungsbereich von § 119 Abs. 2 ausmacht, ordnet Flume ohne weiteres dem Erklärungs- oder Inhaltsirrtum nach Abs. I der Vorschrift zu und variiert zur Demonstration den bekannten Haifischfleischfall: 88 Hätten hier nicht beide, sondern nur eine Partei über die Bedeutung des Begriffs "Haakjöringsköd" geirrt, sei sie zur Anfechtung nach § 119 Abs. 1 berechtigt, weil eine Fehlvorstellung über den Inhalt ihrer Erklärung vorliege. Diese sei objektiv auf eine Schiffsladung 85 Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I (1926) 243ff. Anders noch in: Vorstellungsund Willenstheorie in der Lehre von der juristischen Willenserklärung (1910) 528f. 86 Lehrbuch 245. 87 Vgl. Eigenschaftsirrtum 16. Den Nachweis ihrer Unrichtigkeit kann Flume 29 auch nicht indirekt fUhren, indem er sich gegen die noch älteren Lehre von Leonhard wendet, die er zu Unrecht Savigny zuschreiben will. Darin ergibt die Beachtlichkeit des Eigenschaftsirrtums der Ausfall einer stillschweigenden Bedingung, deren Gegenstand die fälschlich angenommene Beschaffenheit des ausgesuchten Objekts ist. Diese Ansicht macht nicht nur die Vorschrift über den Eigenschaftsirrtum zum Unterfall des Bedingungsrechts. Sie kann, wie Flume zu Recht meint, schon deshalb keinen Bestand haben, weil zur Bedingung nur erhoben wird, was zweifelhaft und daher auch nicht irrtümlich angenommen ist. Ist es Gegenstand einer Fehlvorstellung, ist das Rechtsgeschäft vorbehaltlos, die Bedingung reine Fiktion. Henles Lehre triffi: dieser Einwand nicht. Als relevanten Irrtum erkennt er nur die Fehlvorstellung über das an, was erklärt worden ist. 88 RGZ 99, 148; dazu: Eigenschaftsirrtum 104ff.
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Haifischfleisch gerichtet. Die Annahme, es sei eine Schiffsladung Walfischfleisch verkauft, fUhre zu einer Diskrepanz von Erklärungsinhalt und Parteivorstellung, wie sie rur den Erklärungs- und Inhaltsirrtum kennzeichnend sei. Daß sie kein Fall des § 119 Abs. 2 sein kann, ist rur Flume selbstverständlich und beruht auf zwei weder erwähnten noch überprüften Voraussetzungen: zum einen, daß die Bestimmung der Beschaffenheit der Kaufsache sich in keiner Weise von der Bestimmung der Kaufsache selbst unterscheidet, und zum anderen, daß § 119 Abs. 2 einer Konstellation gilt, die sich schon strukturell von Abs. 1 unterscheidet. Eine solche Konstellation ist Flumes ,geschäftlicher Eigenschaftsirrtum '. Er wird den Anforderungen, die Flume an den Irrtum des § 119 Abs. 2 stellt, jedoch nicht gerecht: Flume weigert sich mit Entschiedenheit, den Eigenschaftsals Motivirrtum anzusehen, und macht diese Ansicht gerade rur die unbefriedigenden Abgrenzungsversuche der Rechtsprechung und herrschenden Meinung verantwortlich. 89 Die Alternative zum Motivirrtum ist jedoch nicht Flumes ,geschäftlicher Eigenschaftsirrtum' , sondern der Irrtum nach § 119 Abs. 1. Diesen kennzeichnet, daß Vorstellung und Erklärung auseinanderfallen. Der Geschäftsirrtum, den Flume meint, zeichnet sich dagegen gerade durch die Einheit von Wille und Erklärung90 und deren Diskrepanz zur Wirklichkeit aus. Wie Keget)) gesehen hat, ist auch dieser Irrtum Motivirrtum, der sich von anderen Fehlvorstellungen dieser Art nur durch die Aufnahme seines Gegenstands in den Inhalt des Rechtsgeschäfts unterscheidet. 92 Dieses Merkmal ist zwar praktikabler als die Kriterien der Rechtsprechung und herrschenden Meinung,93 ändert jedoch nichts an der strukturellen Kongruenz von ,geschäftlichem' Eigenschafts- und außergeschäftlichem Motivirrtum. Die Anerkennung des ,geschäftlichen Eigenschaftsirrtums' steht daher im Gegensatz zum Sinn der Differenzierung zwischen Inhalts- und Motivirrtum. Flume berurwortet diese Unterscheidung und
Eigenschaftsirrtum und Kauf 87f., ferner AT3 11 425. Ebenso Schmidt-Rimpler 217 und Larenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997) 300. 91 AcP 150 (1950) 362. Ebenso Schmidt-Rimpler 218 und Soergel 13 -Hefermehl Rn. 33; ihnen folgend Herberger, Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung nach dem BGB (1974) 173ff., insbesondere 183. 92 Kegel a.a.O. spricht hier vom Irrtum über ein vereinbartes im Gegensatz zum Irrtum über ein nicht vereinbartes Motiv. Anlaß fIlr eine Kritik von Flumes Lösung ist ihm dies freilich nicht. 93 Unter Wertungsgesichtspunkten ist Flumes Lösung dagegen ebenso zweifelhaft wie die Ansicht der Rechtsprechung: Die Ungleichbehandlung des im einfachen Irrtum befangenen und des Vertragspartners, der seine Ziele offenlegt, läßt sich entgegen Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001) 343 nicht damit begründen, daß sich der Urheber einer Willenserklärung im Interesse des Rechtsverkehrs vollständig zu erklären habe. Dieses Kriterium läuft auf einen Verschuldensmaßstab hinaus, welcher der gesetzlichen Irrtumsregelung fremd ist. 89 90
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erkennt ihren Zweck zu Recht darin, dem Erklärenden das Risiko der Unrichtigkeit seiner Vorstellung von der Wirklichkeit aufzubürden. 94 Eben diese Gefahr überwälzt Flume jedoch auf den Erklärungsgegner, der sich mit dem ,geschäftlichen Eigenschafts-' einen vertragshindemden Sachverhaltsirrtum entgegenhalten lassen muß. 2. Das Mißverhältnis von Anspruch und Ausftlhrung der Lehre Flumes zeitigt die schon bemerkte Disproportionalität von theoretischem und effektivem Anwendungsbereich des § 119 Abs. 2 beim Kauf. Grund ist die Strukturgleichheit von Sach- und Rechtsmängelhaftung, die ebenfalls eingreift, wenn Norm und Wirklichkeit auseinanderfallen. Indem Flume diese Divergenz auch zum Kriterium des Eigenschaftsirrtums macht, verliert dieser seine Bedeutung als Grundlage des Anfechtungsrechts. Flume sagt denn auch: "Der Irrtum hat für die Beachtlichkeit nicht kausale, sondern nur konditionale Bedeutung: Wenn der Leistungsgegenstand von der vereinbarten Beschaffenheit abweicht, findet we~en dieses Abweichens von der vereinbarten Beschaffenheit der Irrtum Beachtung.,,9
Diese Aussage steht in direktem Gegensatz zu einer anderen Feststellung Flumes: "Die gesetzliche Regelung, die an den bloßen Tatbestand des Eigenschaftsirrtums anknüpft, ist in § 119 Abs. 2 und den weiteren Vorschriften der Anfechtung enthalten. Die §§ 459ff.... können also nicht bloß eine "besondere" Regelung des Eigenschaftsirrtums sein, sondern diese Regelung muß an einen weiteren oder überhaupt anderen Tatbestand anknüpfen.,,96
Zwar verknüpft Flume nicht Gewährleistungsrecht und Fehlvorstellung, wohl aber § 119 Abs. 2 und die Beschaffenheitsvereinbarung. 97 Ist die Beschaffenheitsabrede Grundlage sowohl der Rechts- und Sachmängelhaftung wie auch der Anfechtung, müßte die Anfechtung ohne den Tatbestand ihrer gesetzlichen Anknüpfung: den Irrtum, auskommen. Das Gewährleistungsrecht wäre zwar nicht besondere AustUhrung des Eigenschaftsirrtums, wohl aber der so genannten Regelung im Allgemeinen Teil, welche die grundlegende Lösung tUr das Verhältnis von Beschaffenheitsvereinbarung und Wirklichkeit bereithielte.
AT) 11 432. 95 Eigenschaftsirrtum 87; ähnlich AT) 11 478. 96 Eigenschaftsirrtum 44. 97 Daß hier eine ungenügende Unterscheidung von Geschäftswesentlichkeit der Eigenschaft und des Irrtums am Werke ist, meint Schermaier, Bestimmung 690, der sich jedoch nicht mit dem Problem steHt, daß § 119 Ab~: 2 gerade die VerkehrswesentIichkeit der Eigenschaft und nicht des Irrtums verlangt. Ubergehen läßt sich diese Frage nur dann, wenn man den Wortlaut des § 119 Abs. 2 mit Schermaier ohnehin für eine unrichtige Mitteilung des gesetzgeberischen Willens hält. 94
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Daß sie dies in Wahrheit nicht tut, zeigt die fehlende Eignung ihrer Rechtsfolgen, auf die schon Henle98 aufmerksam geworden ist: Die in § 122 vorgesehene Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses kann keinesfalls den treffen, dessen Vorstellung von der Wirklichkeit sogar Gegenstand einer Beschaffenheitsbestimmung im Rechtsgeschäft ist. Die Schadensersatzpflicht zeigt nicht lediglich ein Spezialitätsverhältnis an. Sie offenbart, daß es in § 119 Abs. 2 um einen ganz anderen Fall als im Gewährleistungsrecht geht. Selbst wenn man einen vergleichbaren Schutz im umgekehrten Fall nicht verabredeter Vorzüge auch dem Verkäufer zuteil werden lassen will, kann dieser Schutz nicht in der Belastung mit einem Schadensersatzanspruch bestehen. 99 3. Die Entscheidung, ob dem Verkäufer überhaupt Schutz gegen Positivabweichungen gewährt werden soll, ergibt sich schließlich noch keinewegs aus Flumes Einsicht in die Möglichkeit einer Beschaffenheitsvereinbarung. Diese kann zwar einen Maßstab dafUr liefern, unter welchen Umständen ein Anfechtungsrecht des Verkäufers in Betracht kommt. Warum dem Verkäufer aber ein Rechtsbehelf zustehen soll, erklärt sie nicht. Der Schutz des Verkäufer läßt sich zwar, wie Flume 100 zu Recht bemerkt, nicht mit dem Argument Lenels lOl versagen, rur den Verkäufer gehe es immer nur um die Höhe des Kaufpreises und nicht um Zweckhaftigkeit des Geschäfts. Ob dieses sinnvoll oder zwecklos ist, hängt nämlich gerade von dem erzielten Kaufpreis ab. Was Flume jedoch nicht überwinden kann, ist der Mangel einer gesetzlichen Anknüpfung. 102 Anders als bei einem Fehler sieht das Kaufrecht rur den Fall nicht vereinbarter Vorzüge der Kaufsache keine Rechte des Verkäufers vor. Aus seiner Verpflichtung auf die vereinbarte Beschaffenheit läßt sich nicht schließen, daß sie auch Obergrenze der geschuldeten Leistung und nicht nur ihre Untergrenze ist. Das Schweigen der kaufrechtlichen Vorschriften kann durchaus beredt, die Sach- und Rechtsmängelhaftung des Verkäufers nämlich die alleinige Folge einer Abweichung der tatsächlichen von der vereinbarten Beschaffenheit sein.
Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I (1926) 244. Dies bemerkt offenbar auch Staudinger 13-J. Schmidt § 242 Rn. 394ff., der bei "Positivabweichungen" die Irrtumsanfechtung zum Zuge kommen, den Schadensersatzanspruch entgegen § 122 Abs. 2 jedoch schon bei einer gleichartigen "Verursacherstellung" des Erklärungsemptangers entfallen lassen will. 100 Eigenschaftsirrtum 146 N. l. 101 AcP 123 (1925) 191f. 102 Diese ergibt auch nicht der von Flume, Eigenschaftsirrtum 147 zitierte Passus aus den Motiven (11, 235) zum mittlerweile ersatzlos gestrichenen § 468 a.F. Der rur den überschüssigen Flächeninhalt gedachte Hinweis auf die "allgemeinen Grundsätze je nach den Umständen des Falles" ist zu schwach, um hierin eine - im Gesetz nicht zum Ausdruck gekommene - Entscheidung des historischen Gesetzgebers rur ein Anfechtungsrecht des Verkäufers wegen Eigenschaftsirrtums zu erkennen. 98 99
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§ 4 Eigenschafts- als "indifferenter Istbeschaffenheitsirrtum": Brauer
Auf ähnliche Überlegungen wie bei Flume und einen überaus begrenzten Anwendungsbereich von § 119 Abs. 2 stoßen wir in der etwas älteren Lehre Brauers. I. Ansatzpunkt seiner Theorie ist ein Wertungsprinzip: das Verbot der Begünstigung einer Spekulation. Kein Geschäftspartner soll durch die gesetzliche Irrtumsregelung oder deren Mißbrauch die Möglichkeit erhalten, das Risiko der eigenen Spekulation auf den Erklärungsgegner abzuwälzen. Diese Erwägung hält Brauer rur die eigentliche Rechtfertigung der Unterscheidung zwischen Motivirrtum einerseits und Erklärungs- und Inhaltsirrtum andererseits. Hier bestehe anders als dort keine Gefahr, daß das Irrtumsrecht zum Ausweg aus einer Fehlspekulation werde. 103
1. Den Eigenschaftsirrtum unterteilt Brauer in den Irrtum über die Ist- und den Irrtum über die Sollbeschaffenheit des Geschäftsgegenstands. 104 Beide fielen im Rechtsleben und vor allem bei Handgeschäften häufig zusammen, seien jedoch streng auseinanderzuhalten. lOS Im Unterschied zur fehlerhaften Annahme einer Istbeschaffenheit sei beim Irrtum über die Sollbeschaffenheit eine Spekulation ausgeschlossen. Daß der Irrtum über die Sollbeschaffenheit mit dem Erklärungs- und Inhaltsirrtum dogmatisch verwandt ist, zeigt Brauer am Vergleich von Spezies- und Gattungsgeschäft: Bei einer Fehlvorstellung über die Sollbeschaffenheit der Kaufsache liege in beiden Fällen ein Irrtum über den Inhalt der mit der Willenserklärung errichtete Norm vor. Der Unterschied bestehe nur darin, daß beim Gattungsgeschäft zugleich eine Fehlvorstellung über das mit der Willenserklärung kundgetane Handlungsprogramm gegeben sei. Dieses bestehe in der - beim Speziesgeschäft entbehrlichen - Auswahl von Stücken aus der festgelegten Gattung. Ist diese Gattung abweichend von der Vorstellung des Erklärenden bestimmt, tritt zum Irrtum über den Inhalt der geschäftlichen Norm ein Irrtum über das mit der Willenserklärung angekündigte Verhalten des Verkäufers hinzu. Dieser Unterschied rechtfertigt rur Brauer jedoch keine Ungleichbehandlung von Gattungs- und Speziesgeschäft. 106 Die Fehlvorstellung über die Istbeschaffenheit unterteilt Brauer in eine positive, eine negative und den indifferenten Irrtumstyp. 107 Beim positiven Istbeschaffenheits- oder Kongruenzirrtum weicht die Vorstellung positiv von der 103
sicht".
S. 15ff. Brauer spricht hier von der "vollkommenen Integrität in spekulativer Hin-
S. 21fT. Ebenso Raape, AcP 150 (1950) 493ff. 106 Auch Raape, AcP 150 (1950) 492 sieht diese nicht ein. 107 S. 41 ff. 104
105
3 Harke
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I. Kap.: Kritik der Lehre zum geltenden Recht
Wirklichkeit ab, bleibt die Wirklichkeit hinter der Vorstellung zurück. Der Irrende ist schutzwürdig, aber nicht wegen seines Irrtums, sondern wegen des objektiven Mißverhältnisses von der Wirklichkeit des Geschäftsgegenstands und seiner Norm. Der negative Istbeschaffenheits- oder Inkongruenzirrtum ist das Gegenstück zum positiven. Hier bleibt die Vorstellung des Irrenden hinter der Wirklichkeit zurück. Der Irrende, der in diesem Fall eine schlechtere als die in Wirklichkeit bestehende Sachlage erwartet, spekuliert auf die Täuschung des Vertragspartners oder künftige Entwicklungen und ist daher nie schutzwürdig. Beim indifferenten Istbeschaffenheitsirrtum fehlt es an einer Norm, mit deren Hilfe sich Vorstellung und Wirklichkeit in ein Verhältnis setzen ließen. Es sind die Fälle der von Brauer sogenannten "farblosen Geschäfte", bei denen es deshalb nicht zur Begründung der Norm gekommen ist, weil die irrende Partei die Einschaltung einer Bedingung unterlassen oder hierzu von Rechts wegen nicht in der Lage war. 2. Den Anwendungsbereich von § 119 Abs. 2 will Brauer auf diesen notwendig indifferenten Istbeschaffenheitsirrtum beschränken. lOS Die Vorschrift soll nur noch rur isolierte und bedingungsfeindliche Geschäfte wie Dereliktion, Kündigung, Rücktritt und Anfechtung gelten, bei denen der Irrende keine Möglichkeit hat, rur den Fall der Unrichtigkeit seiner Vorstellung vorzusorgen. Der Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft sei hier möglichst weit zu fassen. Brauer sieht in ihm die ,Mißgeburt' einer Verbindung aus antiker Philosophie und Anschauungen des 19. Jahrhunderts. Diesen Fehler gelte es durch richterliche Gesetzeskorrektur wettzumachen,I09 anstatt ihn durch die Entwicklung untauglicher Abgrenzungskriterien zu perpetuieren. llo Für den Irrtum über die Sollbeschaffenheit dürfe der Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft ohnehin keine Geltung' beanspruchen. Die Fehlvorstellung über die erklärte Beschaffenheit des Geschäftsgegenstands sei wegen ihrer Ähnlichkeit zu Erklärungs- und Inhaltsirrtum allein an § 119 Abs. 1 zu messen und könne keinen zusätzlichen Beschränkungen unterliegen. III Den Schutz des Verkäufers, den Flume als die eigentliche Funktion von § 119 Abs. 2 ausmacht, will Brauer mit Hilfe einer Analogie zu den Rechtsbehelfen des Käufers bewerkstelligen. 112 Übertriffi die tatsächliche Beschaffenheit der Kaufsache die vereinbarte, soll der Verkäufer zwar kein Recht auf eine Aufstockung des Kaufpreises haben. Er soll jedoch zum Rücktritt befugt und der Rücktritt vom Käufer nur durch eine freiwillige Mehrzahlung abzuwenden sein.
S. 115ff. S. I09ff. 110 Vgl. S. 95ff. 111 S. 108f., 118. 112 S. 119.
108 109
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11. Läßt man sich auf Brauers anstrengende Terminologie ein, kommt eine Theorie zum Vorschein, die in den wesentlichen Grundzügen der Lehre F/umes entspricht, in ihren Schlußfolgerungen aber noch weniger akzeptabel ist: 1. Wie F/ume geht auch Brauer von der Berechtigung einer Differenzierung nach Erklärungs- und Inhaltsirrtum einerseits und Motivirrtum andererseits aus. F/ume begrUndet sie damit, daß der Erklärende die Gefahr der Unrichtigkeit seiner Vorstellung von der Wirklichkeit tragen soll. Faßt man diese Erwägung negativ, erhält man Brauers Forderung, der beachtliche Irrtum dürfe weder der Spekulation dienen noch zur Spekulation mißbraucht werden. Zwar macht Brauer sich nicht die Mühe, diesen Satz als Grundlage der gesetzlichen Regelung zu erweisen, welcher er ohnehin die Gefolgschaft aufkündigen Will. 113 Als Erklärungsmuster fiir die immerhin mögliche Interpretation mit Hilfe der Unterscheidung von Motivirrtum und Willensunwirklichkeit paßt er jedoch ohne weiteres. 114 Auf das falsche Gleis gerät Brauer erst, wenn er das Verbot der Spekulationsf(jrderung mit der Frage verknüpft, ob das Risiko einer Fehlvorstellung rechtsgeschäftlich abgesichert werden könne: Diese beiden Maßstäbe fallen beim ,negativen Istbeschaffenheits-' oder ,Inkongruenzirrtum' noch zusammen. Glaubt der Erklärende, die Sache bleibe in Wahrheit hinter der erklärten und vereinbarten Beschaffenheit zurück, ist er sowohl Spekulant als auch nicht schutzwUrdig. lIS Gleiche Ergebnisse liefern beide Kriterien auch beim ,positiven Istbeschaffenheits-' oder , Kongruenzirrtum' . Hier kann die Irrtumsbehauptung durchaus nur Kleid einer Spekulation sein, die nicht schutzwUrdig ist. Die Lösung liegt im Ausschluß des Irrtumsrechts, das fUr die Bewältigung dieses Problems nicht geschaffen ist, und in der Anwendung der Regelungen, die das Gesetz wie beispielsweise im Gewährleistungsrecht fUr den Fall vorsieht, daß Wirklichkeit und Norm auseinanderfallen. Im Gegensatz zum Irrtumsrecht sorgen diese Regelungen zuverlässig fUr einen gerechten Interessenausgleich, indem sie nur solche Erwartungen des Erklärenden mit 113 Die Bereitschaft hierzu erleichtert ihm das Gesetzesverständnis der nationalsozialistischen Rechtslehre, von der Brauers Überlegungen, sieht man von dem "Zigeunerbeispiel" (S. 87ff.) ab, ansonsten unbeeinflußt scheinen. 114 Die Kritik von Schmidt-Rimpler 219, Brauers Theorie der Spekulationsvermeidung seien weder aus dem Wertungsgedanken des Vertrages noch dem der Willenserklärung abgeleitet und deshalb unbrauchbar, geht zu weit. Nur die Verquickung mit der pauschalen Frage nach der Schutzwürdigkeit des Erklärenden ist mit dem geltenden Irrtumsrecht und den zugrundeliegenden Wertungen unvereinbar; dazu sogleich im Text. 115 Obwohl Brauer 43 ebenso wie Raape, AcP ISO (1950) 504 den Satz ,turpitudinem suam allegans non auditur' bemüht, glaube ich entgegen Schmidt-Rimpler 219 nicht, daß er diesem Fall mit dem Einwand des Rechtsmißbrauchs beikommen will. Brauer strebt von vornherein nicht keine begriffliche Erfassung des Problems an. Gegen die Lösung Schmidt-Rimplers, der hier einen Erklärungsirrtum ausschließt, weil nur Wille und Erklärung, nicht jedoch gewollter und tatsächlicher Erklärungsw«rt auseinanderfallen, hätte Brauer wahrscheinlich nichts einzuwenden gehabt.
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Rechtsbehelfen sanktionieren, die Inhalt des Rechtsgeschäfts und damit dem Erklärungsgegner erkennbar oder sogar gemeinsam mit diesem festgelegt worden sind. Beim ,indifferenten Ist-Eigenschaftsirrtum' sind das Verbot der Spekulationsförderung und der von Brauer angelegte Interessenmaßstab dagegen nicht mehr identisch. Das Urteil über die mangelnde Schutzwürdigkeit ergibt sich hier nicht aus der Norm, die der Irrende allein oder zusammen mit dem Vertragspartner setzt, sondern vielmehr aus der bloßen Möglichkeit, diese Norm zu setzen. Hat der Irrende es trotz rechtlicher Zulässigkeit unterlassen, filr den Fall der Unrichtigkeit seiner Vorstellung Vorsorge zu treffen, ist er nach Brauers Ansicht nicht schutzwürdig. Ein Rechtsbehelf soll ihm nur zur Verfiigung stehen, wenn er schon rechtlich keine Möglichkeit hatte, sich gegen das Risiko einer Fehlvorstellung zu schützen. Kriterium filr die Abgrenzung von beachtlichem und unerheblichem Irrtum kann aber nur der auch bei der Beurteilung des ,negativen' und ,positiven Ist-Eigenschaftsirrtums' gefundene Maßstab und damit allenfalls sein, ob das vorgenommene Geschäft einer Berücksichtigung des Irrtums entgegensteht oder nicht. Beim ,indifferenten Ist-Eigenschaftsirrtum' macht Brauer also einen unzulässigen Sprung. Wäre er seinem Grundsatz treu geblieben, hätte er die Erheblichkeit des ,Ist-Eigenschaftsirrtums' auch bei Geschäften verneinen müssen, bei denen der Irrende sich nicht gegen das Risiko einer Fehlvorstellung schützen konnte. Es gibt keinen Grund, diese Geschäfte anders zu behandeln als solche, bei denen der Irrende die Möglichkeit hatte, durch Einschaltung einer Bedingung für den Fall einer Fehlvorstellung vorzusorgen. Beiden Formen des ,indifferenten Ist-Eigenschaftsirrtums' ist gemeinsam, daß ein Schutz des Irrenden noch weniger in Betracht kommt als beim negativen und positiven Irrtum. Schon dieser Irrtum wirkt nicht aus eigener Kraft, sondern nur vermöge der Regelungen über die Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit. Wo sie fehlen, hat der Gesetzgeber gegen einen Schutz des Irrenden entschieden, ist seine Fehlvorstellung ohne Belang. Die richtige Schlußfolgerung lautet: Der ,Ist-Eigenschafts irrtum' ist stets und damit auch in seiner indifferenten Variante unbeachtlich. Nur auf diese Weise vermeidet man auch eine weitere Schwäche der Lehre Brauers, die er freilich selbst gar nicht als solche wahrnimmt. Es ist die mangelnde begriffliche Herleitung seiner Lösung, die ihre Rückfilhrung auf das Gesetz vereitelt. Versteht man den ,indifferenten Ist-Eigenschaftsirrtum' als Irrtum im Sinne von § 119 Abs. 2, kann der Ausschluß des ,positiven' und ,negativen Ist-Eigenschaftsirrtums' nicht aus der Vorschrift selbst, sondern nur über ungeschriebene Konkurrenzregeln begründet werden. 2. Brauer schließt aus dem Verbot der Spekulationsförderung auf die unbedingte Anerkennung des Irrtums über die Sollbeschaffenheit. Damit vollzieht er unter Wertungsgesichtspunkten, was Flumes Analyse der Vereinbarung beim Speziesgeschäft leistet: Der Irrtum darüber, daß eine bestimmte Beschaffenheit
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erklärt und vereinbart worden ist, steht einem gewöhnlichen Erklärungs- oder Inhaltsirrtum gleich und unterliegt auch keiner Einschränkung auf wesentliche Eigenschaften. Daß in dem Tatbestandsmerkmal der ,verkehrswesentlichen Eigenschaft' aber gerade die Beschränkung des erheblichen Eigenschaftsirrtums auf den Sollbeschaffenheitsirrtum zum Ausdruck kommt, erkennt Brauer ebensowenig wie Flume. Brauers Abneigung gegen das Gesetz verfUhrt ihn zu der polemischen Frage, worüber denn der Verkehr dem Richter, der das Gesetz anwendet, Rede stehen solle?116 Wir wissen es bereits: Für den Verkehr kann der ,Ist-Eigenschaftsirrtum' nicht wesentlich sein, weil er Gegenstand der durch das Rechtsgeschäft begründeten Regelungen tiber das Verhältnis von Norm und Wirklichkeit ist. Flumes Einsicht in den Gehalt von Erklärung und Vereinbarung ist bei Brauer in der Aufspaltung der Willenserklärung in Norm und Handlungsprogramm sowie den dadurch gefUhrten Nachweis einer Teilidentität von Erklärungs- oder Inhalts- und ,Soll-Eigenschaftsirrtum' verborgen. Im Gegensatz zu Flume bleibt so der Unterschied von Spezies- und Gattungsgeschäft erkennbar, der Gelegenheit bietet, den bei konsequenter DurchfUhrung von Brauers Theorie entleerten Geltungsbereich von § 119 Abs. 2 wieder aufzufUllen: Anders als das Gattungsenthält das Speziesgeschäft durch die Bestimmung des Geschäftsgegenstands einen Hinweis auf dessen tatsächliche Beschaffenheit, die im Widerspruch zu der vereinbarten stehen kann. Dieser innergeschäftliche Gegensatz ist zwar weder psychologischer noch rechtslogischer Natur und damit auch kein unüberwindbares Hindernis. Er fUhrt jedoch gerade zu dem verbreiteten Mißverständnis des Eigenschaftsirrtums als Motivirrtum und muß durch die Entscheidung fUr den Vorrang der rechtsgeschäftlieh bestimmten Beschaffenheit gegenüber der wirklichen erst noch aufgelöst werden. Diese Entscheidung fällt durch § 119 Abs. 2. Darin wird der Eigenschafts- als Erklärungs- oder Inhaltsirrtum und so die rechtsgeschäftliehe Beschaffenheitsregelung als die maßgebliche bestimmt: Die Auswahl eines konkreten Geschäftsgegenstands hindert nicht eine von dessen wirklichen Eigenschaften abweichende Beschaffenheitsregelung und eine hierauf gerichtete Irrtumsanfechtung.
Daß Regelungsziel von § 119 Abs. 2 nur das Speziesgeschäft ist, bedarf im Gesetz keiner Erwähnung. Die Anwendung der Vorschrift auf Gattungsgeschäfte ist nur unnötig, nicht falsch. Der Eigenschaftsirrtum ist hier stets Gattungsverwechslung und dem Rechtsverkehr immer wesentlich. Nicht anders als beim Speziesgeschäft mangelt es nämlich an einer fehlerfrei bestimmten Norm, an der das ausgewählte Gattungsstück gemessen werden könnte.
3. Wie Flume anerkennt auch Brauer das Interesse des Verkäufers an der Einhaltung der vertraglich bestimmten Beschaffenheit. Seine Lösung unter116 S. 105.
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scheidet sich nur in der Ausgestaltung von der Flumes. Die Zweifel, die wir gegen Flumes Lösung vorgebracht haben, richten sich noch entschiedener gegen die Lösung Brauers. Sie fördert nämlich zutage, was in Flumes Ansatz gut verborgen ist: Der Verkäufer soll seinerseits Gewährleistungsrechte erhalten: Er soll unmittelbar zur Wandlung befugt und über die Abwendungsbefugnis des Käufers indirekt auch eine Aufstockung'des Kaufpreises erreichen können. Der vereinbarte Kaufpreis hat damit rur Flume und Brauer gleichermaßen die Funktion einer einseitigen Schranke. Unverständlich wäre, wenn es sich bei der Sachmängelhaftung anders verhielte und deren Rechtsbehelfe nicht nur dem Käufer, sondern auch dem Verkäufer zustünden, wenn die Kaufsache nicht vereinbarte Vorzüge hat. Die Gewährleistung des Verkäufers ist unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage ein Pendant zur Zahlungspflicht des Käufers. Wie sie ohne dessen Einverständnis nicht zu seinem Nachteil abgeändert werden kann, so kann auch die Gewährleistung nicht zum Schutz des Verkäufers eingesetzt werden. Der Käufer hat stets höchstens den vereinbarten, nicht auch einen Kaufpreis zu zahlen, der dem tatsächlichen Zustand der Kaufsache angemessen ist. Hierzu darf er weder direkt noch mittelbar über ein Rücktritts- oder Anfechtungsrecht des Verkäufers gezwungen werden.
§ 5 Eigenschafts- als Erklärungsirrtum: Schmidt-Rimpler I. Fassen wir die Ergebnisse unserer Kritik an den Lehren Titzes, Flumes und Brauers zusammen, gelangen wir zu einer Auffassung, die keineswegs originell ist: nämlich zu der Ansicht, daß § 119 Abs. 2 einem besonderen Fall des Erklärungs- und Inhaltsirrtums regelt. Es ist der Irrtum über die einverständliche Bestimmung der beim Spezieskauf erwarteten Eigenschaften der Kaufsache allgemeiner: der Irrtum über die rechtsgeschäftliche Bestimmung der beim Speziesgeschäft erwarteten Eigenschaften des Geschäftsgegenstands. Ist diese Bestimmung fehlerfrei, richten sich die Rechtsfolgen allein nach den durch das Rechtsgeschäft ins Werk gesetzten Normen. Schlägt sie dagegen fehl, hilft dem Erklärenden, der durch die rechtsgeschäftlich begründeten Regeln keinen Schutz findet, das Anfechtungsrecht.
Dies ist auch die Auffassung von Schmidt-Rimpler und, ihm folgend, He/ermehl. 1l7 Beide gehen von der Richtigkeit der Differenzierung nach Erklärungsund Inhaltsirrturn einerseits und Motivirrtum andererseits aus. Schmidt-Rimpler meint, im Fall des Motivirrtums habe der Erklärende anders als im Fall des lJ7 Die gleichlautende Ansicht von Danz, JhJb 46 (1906) 463ff., die Brauer 25 N. 38, 88f. mit der von Henle (dazu oben § 4 II I) zusammenstellt, scheint sich den besprochenen Fällen zufolge auf Gattungskäufe zu beschränken, den Besonderheiten des Spezieskaufs jedenfalls nicht zu stellen. Nur so läßt sich erklären, warum Danz auf die wirkmächtige Lehre Zitelmanns überhaupt nicht eingeht.
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Erklärungs- oder Inhaltsirrtums die bewirkte Rechtsfolge gewertet und sei nur von einer falschen Wertungsgrundlage ausgegangen. Zitelmanns Ansicht, geschäftliche Absicht und Willenserklärung könnten sich beim Speziesgeschäft nicht auf die Beschaffenheit seines Gegenstands beziehen, halten SchmidtRimpler 118 und Hefermehl 119 durch die Untersuchungen Flumes ftlr widerlegt.12o Im Gegensatz zu Flume ziehen sie hieraus jedoch die angezeigte Konsequenz, daß der Eigenschafts- ein Erklärungs- oder Inhaltsirrtum ist. 121 Den Anwendungsbereich von § 119 Abs. 2 BGB wollen sie aber auf das Speziesgeschäft und hier auf den Fall beschränken, daß der Erklärende seine Vorstellung von den Eigenschaften des Geschäftsgegenstands nur mittelbar durch dessen Auswahl zum Ausdruck gebracht hat. 122 Daraus, so meint auch Dießelhorst,123 folge die Beschränkung auf wesentliche Eigenschaften, die typischerweise erheblich und dem Erklärungsgegner damit auch als Inhalt der Erklärung erkennbar sein könnten. In den Fällen, in denen die erwarteten Eigenschaften des Geschäftsgegenstands ausdrücklich, wenn auch fehlerhaft benannt seien, wollen SchmidtRimpler und Hefermehl § 119 Abs. 1 BGB anwenden. 124
S. 215f. Rn. 25f., 33. 120 Ebenso Dießelhorst, Sympotica Wieacker (1970) 199 N. 55. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997) 298f. llillt wieder hinter die Einsicht Flumes zurück, indem er "die Vorstellungen bestimmter Eigenschaften der Struktur nach der Motivation" zuweisen will und in der Lehre Schmidt-Rimplers eine Überspannung des Erklärungsbegriffs erkennt. Diese beobachtet auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1993) 216f., der jedoch bei seiner Kritik an Schmidt-Rimpler genau zu dessen Ergebnis gelangt, daß eine Sache mangels besonderer Eigenschaftsvereinbarung "so verkauft" ist, " wie sie ist". 121 Schmidt-Rimpler 220ff., Soergel 13 -Hefermehl § 119 Rn. 26f., 33. Ebenso Herberger, Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung nach dem BGB (1974) I 73ff. 122 Schmidt-Rimpler 221 tT., Soergel 13 -Hefermehl Rn. 26, 35f. 123 Sympotica Wieacker (1970) 195ff. 124 Schmidt-Rimpler 224f., Hefermehl a.a.O. Anders Herberger, Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung nach dem BGB (1974) 185, der beim Eigenschaftsirrtum stets § 119 Abs. 2 fIlr einschlägig hält, fIlr die Beschränkung auf wesentliche Eigenschaften jedoch nur die Rechtfertigung findet, auch nach Abs. I könne eine Anfechtung nur beim Irrtum über wesentliche Vertragsbestandteile erfolgen. Dabei setzt er Ungleichartiges gleich: Daß die Anfechtung wegen gewöhnlichen Erklärungs- oder Inhaltsirrtums nur bei einer Fehlvorstellung über wesentliche Elemente des Rechtsgeschäfts Platz greift, ergibt sich lediglich aus der Voraussetzung, daß der Erklärende seine Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben hätte. Dies ist ein um eine objektive Komponente angereicherter subjektiver Maßstab. Für die Entscheidung, ob ein Eigenschaftsirrtum erheblich ist, gilt dagegen mit der Verkehrsanschauung ein rein objektives Kriterium. 118
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Als Argument filr die Deutung des Eigenschafts- als Fall des Erklärungsirrtums nutzt Schmidt-Rimp/er den systematischen Kontext des Irrtumsrechts: 12S Halte die Vertragsordnung, wenn Norm und Wirklichkeit auseinanderfallen, die richtige Rechtsfolge bereit, könne daneben nicht eine Regelung treten, die ihren Sitz außerhalb des Rechts der Vertragsstörungen habe und mit dem Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens auch zu einer inadäquaten Rechtsfolge ruhre. 126 Dem Verkäufer, der sich zu seinen Ungunsten über die tatsächliche Beschaffenheit der Kaufsache irrt, gewährt Schmidt-Rimp/er im Gegensatz zu Flume und im Anschluß an Brauer ein Recht auf Wandlung, das der Käufer durch Zahlung eines Mehrpreises abwenden könne. 127 11.1. Gegen die Lehre Schmidt-Rimplers wird eingewandt, daß ein Rechtsgeschäft stets dem Vorbringen seines Urhebers ausgesetzt sei, eine besondere Bestimmung, insbesondere eine Bedingung, vergessen zu haben, und daß diese Behauptung gegenüber der rechtsgeschäftlich erfolgten Eigenschaftsbestimmung sogar privilegiert sei. 128 Dieses Argument triffi erst recht die Lehren Flumes und Brauers, die den Irrtum über die Sollbeschaffenheit als beachtlichen Irrtum nach § 119 Abs. 1 ansehen. Es ist vordergründig und leicht zu widerlegen: Der Einwand einer Ungleichbehandlung von rechtsgeschäftlicher Bestimmung und Fehlvorstellung leidet an einer Verengung des Blickfeldes auf das Irrtumsrecht: Findet eine Fehlvorstellung von rechtsgeschäftlich bestimmten Eigenschaften im Irrtumsrecht keine Berücksichtigung, so läge darin eine SchlechtersteIlung gegenüber dem Inhalts- und Erklärungsirrtum nur dann, wenn dem Irrenden überhaupt kein Rechtsschutz zuteil würde. Das ist aber nicht der Fall. Rechtsschutz erhält er nämlich nach Maßgabe der rur das getätigte Rechtsgeschäft geltenden Regelungen. Diese Regelungen stellen ihn weder besser noch schlechter, sondern anders als das Irrtumsrecht. Der Grund rur die Verschiedenheit des Regimes liegt im Unterschied des geregelten Problems: Beim Erklärungs- und Inhaltsirrtum ist das Selbstbestimmungsrecht des Erklä125 Daneben beruft er sich auf die fehlende Einsichtigkeit einer Unterscheidung verschiedener Motivirrtumsarten nach dem Kriterium der wesentlichen Eigenschaft (S. 226); ihm folgend Herberger, Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung nach dem BGB (1974) 178ff. 126 S. 227ff. Ebenso Herberger a.a.O. 171 f1, der auch auf die unterschiedliche Ver.teilung der Beweislast rur die subjektiven Voraussetzungen der Rechtsbehelfe hinweist (S. 174 N. 104). Nach ihren unterschiedlichen Anknüpfungspunkten hat Irrtumsanfechtung und Gewährleistung schon Krückmann, AcP 101 (1907) 396ff. geschieden. Der Differenzierung zwischen Irrtum über das Rechtsgeschäft und FehlvorstelIung über die Wirklichkeit entsprechen bei ihm der Irrtum über die Verpflichtung und der Irrtum über die Leistung. 127 Diese Auffassung teilt auch Raape, AcP 150 (1950) 504. 128 So Goltz, Motivirrtum und Geschäftsgrundlage im Schuldvertrag (1973) 188f., 192f., der sich der Ansicht Flumes anschließt.
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renden betroffen, beim Sachverhaltsirrtum die in Ausübung der Privatautonomie in Geltung gebrachte Vertragsordnung. Schon aus dem Begriff von Erklärungs- und Inhalts irrtum ergibt sich, daß Schmidt-Rimplers Deutung des Eigenschaftsirrtums nicht die grenzenlose Ausweitung der Irrtumsanfechtung zeitigt. Die Behauptung, eine Eigenschaftsbestimmung schlicht vergessen zu haben, trägt lediglich das unwahrscheinliche und daher überaus schwer zu beweisende Vorbringen eines Erklärungsirrtums. Ein Inhalts irrtum kann dagegen nur vorliegen, wenn der Irrende überzeugt sein konnte, mit seiner Erklärung die Festlegung auf eine bestimmte Eigenschaft auch zum Ausdruck gebracht zu haben. Eine solche Fehlvorstellung ist aber ausgeschlossen, wenn der Erklärende die Einschaltung einer Bestimmung schlicht unterlassen hat. Enthält das Rechtsgeschäft keine ausdrückliche Eigenschaftsbestimmung, die sein Urheber mißverstanden haben könnte, befindet er sich nur dann in einem Erklärungs- oder Inhalts irrtum, wenn er flUschlich meint, diese Bestimmung ergebe sich schon aus den Umständen. 129 2. Die Anwendung von § 119 Abs. 2 hat ihren Schwerpunkt in den Fällen indirekter Beschaffenheitsvereinbarung, die durch bloße Auswahl des Geschäftsgegenstands erfolgt. Der Irrtum kann freilich auch bei ausdrücklichen Eigenschaftsbestimmungen vorkommen. Dem Gesetz läßt sich nicht entnehmen, daß sie nicht in den Geltungsbereich von § 119 Abs. 2 fallen. Mit der Beschränkung auf konkludente Beschaffenheitsbestimmungen erklärt SchmidtRimpler die Sonderung von den Fällen des Abs. I, die indessen in den Eigenheiten des Speziesgeschäfts begründet ist. Was Schmidt-Rimpler mit der Einschränkung rechtfertigen will, ist die vermeintliche Beschränkung der relevanten Irrtumstatbestände durch die Voraussetzung verkehrswesentlicher Eigenschaften. Versteht man hierunter solche Eigenschaften, die deshalb das Interesse des Rechtsverkehrs finden, weil sie nicht durch die rechtsgeschäftlieh erzeugten Normen bewältigt werden können, verliert das Tatbestandsmerkmal jedoch seine begrenzende Funktion. Es bestimmt lediglich den Eigenschafts- als Erklärungs- oder Inhaltsirrtum und ist daher kein abstrakter Maßstab für die Wirklichkeit, an dessen Anwendung im Einzelfall die Rechtspraxis verzweifeln müßte. I3O Statt dessen ist das Merkmal der verkehrswesentlichen Eigenschaft wie in der Lehre Flumes ein relatives Kriterium, das seine konkrete Gestalt erst durch den objektiven Inhalt der betroffenen Erklärung erhält. Daß der Eigenschaftsirrtum je nach der Art und Weise der Beschaffenheitsbestimmung eine unterschiedliche Behandlung erfahren soll, ist nicht einzuse129 Entgegen Säcker, Irrtum über den ErklärungsinhaIt (1985) 390f. läuft die Ansicht Schmidt-Rimplers daher keineswegs auf die künstliche Konstruktion eines Bedeutungs-
irrtums zur Anerkennung eines einfachen Sachverhaltsirrtums hinaus. 130 Dies meint aus rechtsvergleichender Sicht auch Goltz, Motivirrtum und Geschäftsgrundlage im Schuldvertrag (1973) 193.
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hen. Auch beim gewöhnlichen Erklärungs- oder Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 spielt es keine Rolle, wie objektiver Erklärungswert und Vorstellung des Erklärenden zustande gekommen sind. Die der Differenzierung Schmidt-Rimp/ers zugrundeliegende Wertung, daß der ausdrücklich Erklärende schutzwürdiger sei als der konkludent Erklärende, ist dem Gesetz fremd. Löst man sich vom Gesetz, kann man sogar umgekehrt zu dem Urteil kommen, daß der, welcher ein ausdrückliches Erklärungszeichen setzt, mehr Verantwortung trägt als der, welcher seine Erklärung über die Beschaffenheit des Geschäftsgegenstands nur stillschweigend abgibt. 3. Sieht man neben diesen Kritikpunkten auch noch von der Behandlung des Verkäuferirrtums ab, ist die Auffassung Schmidt-Rimp/ers insgesamt überzeugend. Mit unserer Analyse haben wir versucht, ihr eine festere dogmatische Grundlage zu geben, die leistet, worauf die herrschende Ansicht verzichtet, und vermeidet, was sie bevorzugt: An die Stelle der ergebnislosen Auslegung nach Wortlaut und Absicht des historischen Gesetzgebers haben wir eine objektivteleologische Interpretation gesetzt, die den entscheidenden Begriff der, Verkehrswesentlichkeit' aus dem gesetzlichen Zusammenhang bestimmt. Dieses Verständnisses wollen wir uns im folgenden durch eine rechtshistorische Untersuchung vergewissern, die auf die Quelle des Eigenschaftsirrtums zurückgeht und die Wurzeln seines Mißverständnisses aufdeckt. Nicht Ziel, sondern Ergebnis dieser Darstellung wird die Widerlegung von Schmidt-Rimp/ers 131 Vorurteil sein, die römischen Juristen hätten keine klaren Vorstellungen von den Wertungen gehabt, die das Irrtumsrecht bestimmen. Die Fehldeutung des Eigenschaftsirrtums als Sachverhalts- und Motivirrtum hat ihren Ursprung vielmehr in einer späteren - europäischen - Entwicklung des Vertrags- und Irrtumsrechts. Erst das deutsche BGB hat diese Fehldeutung überwunden. Die systematische Analyse seiner Regelung wird durch ihre Geschichte bestätigt, die zugleich ein weiteres Element der objektiv-teleologischen Interpretation ist.
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S. 230.
Zweites Kapitel
Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften § 6 Stoff- und Geschlechtsirrtum im klassischen römischen Recht' Ursprung und unerschöpfliche Quelle der Lehre vom Eigenschaftsirrtum ist Ulpians Abhandlung über den Irrtum beim Kauf, welche die Kompilatoren auf die Digestenfragmente D 18.1.9, 11 und 14 verteilt haben: (D 18.1.9) In venditionibus et emptionibus consensum debere intercedere palam est: ceterum sive in ipsa emptione dissentient sive in pretio sive in quo alio, emptio imperfecta est. si igitur ego me fundum emere putarem Cornelianum, tu mihi te vendere Sempronianum putasti, quia in corpore dissensimus, emptio nulla est. idem est, si ego me Stichum, tu Pamphilum absentem vendere putasti: nam cum in corpore dissentiatur, apparet nullam esse emptionem. (§I) Plane si in nomine dissentiamus, verum de corpore constet, nulla dubitatio est, quin valeat emptio et venditio: nihil enim facit error nominis, cum de corpore constat. (§ 2) Inde quaeritur, si in ipso corpore non erratur, sed in substantia error sit, ut puta, si aceturn pro vino veneat, aes pro auro vel plumbum pro argento vel quid aliud argento simile, an emptio et venditio sit. Marcellus scripsit Iibro sexto digestorum emptionem esse et venditionem, quia in corpus consensum est, etsi in materia sit erratum. ego in vino quidem consentio, quia eadem prope oucna est, si modo vinum acuit: ceterum si vinum non acuit, sed ab in itio aceturn fuit, ut embamma, aliud pro alio venisse videtur. in ceteris autem nullam esse venditionem puto, quotiens in materia erratur. (D 18.1.11) Alioquin quid dicemus, si caecus emptor fuit vel si in materia erratur vel in minus perito discernendarum materiarum? in corpus eos consensisse dicemus? et quemadmodum consensit, qui non vidit? (§ I) Quod si ego me virginem emere putarem, cum esset iam mulier, emptio valebit: in sexu enim non est erratum. ceterum si ego mulierem venderem, tu puerem emere existimasti, quia in sexu error est, nulla emptio, nulla venditio est. (D 18.1.14) Quid tamen dicemus, si in materia et qualitate ambo errarent? ut puta si et ego me vendere aurum putarem et tu emere, cum aes esset? ut puta coheredes viriolam, quae aurea dicebatur, pretio exquisito uni heredi vendidissent eaque inventa esset magna ex parte aenea? venditionem esse constat ideo, quia auri aliquid habuit.
1 Dieser Abschnitt enthält eine knappe Darstellung der Ergebnisse meiner Habilitationsschrift über den Irrtum im klassischen römischen Vertragsrecht.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften nam si inauratum aliquid sit, licet ego aureum putern, valet venditio: si autem aes pro auro veneat, non valet.
I. Das principium von D 18.1.9 beginnt mit dem Grundsatz, daß Kaufverträge consensus voraussetzen und imperfekt sind, wenn ein dissensus vorkommt. Dieser kann die emptio ipsa, den Kaufpreis oder einen anderen Umstand betreffen, den Ulpian zunächst nicht benennt. Statt dessen fUhrt er zwei Fälle an, in denen ein dissensus in corpore vorliegt: Käufer und Verkäufer denken beim Abschluß eines Grundstückskaufvertrages, der regelmäßig nicht auf oder vor dem Kaufobjekt stattfand, jeweils an einen anderen fundus; oder sie haben beim Sklavenkauf, der in Abwesenheit des Kaufgegenstands erfolgt, jeweils einen anderen Sklaven im Sinn. Die Nichtigkeitsfolge, die in diesen Fällen eintritt, stellt Ulpian in § 1 dem unschädlichen error in nomine gegenüber, der die Wirksamkeit des Kaufs unberührt läßt, falls das corpus der Kaufsache feststeht. Anders verhält es sich bei dem in § 2 behandelten error in materia. Diesem mißt Ulpian im Gegensatz zu dem von ihm zitierten Marcell grundsätzlich vertragshindernde Wirkung bei. Eine Ausnahme macht er nur fUr den Weinkauf: Dieser soll auch dann gültig sein, wenn statt des neuen umgeschlagener Wein zum Verkauf gekommen ist, weil beide Flüssigkeiten annähernd stoffgleich seien. D 18.1.11 pr. enthält eine rhetorischen Frage, die sich gegen die Ansicht Marcells richtet: Ulpian will wissen, ob man von einem blinden oder in der Unterscheidung von Stoffen unerfahrenen Käufer einfach sagen solle, daß sie in corpore konsentiert hätten, obwohl sie einem error in materia unterlagen. § 1 des Fragments nennt eine weitere Irrtumskategorie: den beachtlichen error in sexu, den Ulpian dem irrelevanten Irrtum über die Jungfräulichkeit einer Sklavin gegenüberstellt. In D 18.1.14 kommt Ulpian auf den error in materia zurück. Er gibt ein abstraktes und ein konkretes Beispiel fUr den Fall, in dem jeweils beide Vertragsparteien einem Irrtum unterliegen: In dem einen glauben sie, Gold zu kaufen oder zu verkaufen, während die Kaufsache in Wahrheit aus Erz ist. In dem anderen veräußert eine Miterbengemeinschaft an eines ihrer Mitglieder eine virio/a, die fUr golden gehalten, in Wirklichkeit aber zum überwiegenden Teil aus Erz ist. Die Entscheidung fiillt unterschiedlich, aber jeweils wie im Fall eines einseitigen Irrtums aus: Kommt Erz statt Gold zum Verkauf, ist der Vertrag nichtig. VerfUgt die Kaufsache zumindest über a/iquid des vorgestellten Stoffs, ist der Vertrag gUltig. 11. Schlüssel zum Verständnis des Textes sind dessen scheinbar unbedeutendsten Abschnitte: § 1 von Fragment 9 und das Fragmentli:
I. Aus D 18.1.9.1 ergibt sich neben der Unbeachtlichkeit des error in nomine auch die Nämlichkeit von error und dissensus. Deren Bezugsobjekt ist ein objektiv festgestellter Kaufgegenstand. Ob er sich aus dem neutral ermittelten Erscheinungsbild des Vertrages oder aus einem gemeinsamen Parteivortrag im
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Streitfall ergibt, ist offen und spielt fUr di~ Entscheidung keine Rolle. Wichtig ist nur, daß einseitige Parteiansichten, die hier das nomen, im principium des Fragments das corpus der Kaufsache betreffen, unberücksichtigt bleiben. Sie sind Gegenstand des Irrtums, der in der Divergenz von objektivem Geschäftsinhalt und Parteivorstellung besteht. Ist der error deckungsgleich mit dem dissensus, kann dieser weder Dissens im modemen Sinn sein noch durch Abgleich der Parteivorstellungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmt werden. Als Ergebnis des Irrtums setzt er die Behauptung einer Partei voraus, sie sei einer Fehlvorstellung über den objektiven Geschäftsinhalt unterlegen. Dieser Geschäftsinhalt hat die Vermutung des consensus fUr sich, welcher nicht als positive Voraussetzung des Vertrages geprüft, sondern durch die Geltendmachung eines error in Frage gestellt wird. In seiner Struktur entspricht der error, von dem Ulpian spricht, also dem heutigen Erklärungs- und Inhaltsirrtum. Ein Unterschied besteht nur insofern, als Anknüpfungspunkt nicht die objektive Bedeutung der Parteierklärung, sondern der nicht weiter zerlegte Vertrag in seinem neutral festgestellten Erscheinungsbild ist. Diese Struktur hat auch der error in materia, den Ulpian erstmals in D 18.1.9.2 erwähnt. Daß hier aliud pro alio zum Verkauf kommt, steht fUr den Irrtum der Vertragspartners, der eine andere materia annimmt, als zum Geschäftsinhalt geworden ist. Eine hiervon abweichende Vorstellung bleibt der error auch dann, wenn er von der anderen Partei geteilt wird. Die gemeinsame Annahme einer anderen als der objektiv bestimmten materia bewirkt keinen vom objektiven Vertragsinhalt verschiedenen consensus. Das Fragment 14 ergibt vielmehr, daß die Lösung im Fall des beiderseitigen Irrtums den Regeln über den error einer Partei folgt: Der Vertragspartner, der das Geschäft gegen sich gelten lassen will, kann sich trotz seiner eigenen Fehlvorstellung auf das objektive Erscheinungsbild des Vertrages berufen. Die Partei, die eine Bindung an den Vertrag scheut, muß diesen durch Geltendmachung eines relevanten Irrtums zu Fall bringen. Die nicht auf den Rechtsakt des Kaufens oder Verkaufens bezogene Formulierung, daß aes pro auro zum Verkauf kommt (. venit '), und Ulpians allgemeine Formel: ,aliud pro alio venisse videtur', dürfen nicht mit den Aussagen anderer römischer Juristen gleichgesetzt werden, in denen von einem Verkauf von aes pro auro oder ähnlich die Rede ist: D 18.1.45 Marcian 4 reg Labeo libro posteriorum scribit, si vestimenta interpola quis pro novis emerit, Trebatio placere ita emptori praestandum quod interest, si ignorans interpola emerit. quam sententiam et Pomponius probat, in qua et lulianus est, qui ait, si quidem ignorabat venditor, ipsius rei nomine teneri, si sciebat, etiam damni quod ex eo contingit: quemadmodum si vas aurichalcum pro auro vendidisset ignorans, tenetur, ut aurum quod vendidit praestet.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften D 19.1.21.2 Paul 33 ed Quamvis supra diximus, cum in corpore consentiamus, de qualitate autem dissentiamus, emptionem esse, tarnen venditor teneri debet, quanti interest non esse deceptum, etsi venditor quoque nesciet: veluti si mensas quasi citreas emat, quae non sunt. D 18.1.41.1 Iul3 Urs Fer Mensam argento coopertam mihi ignoranti pro solida vendidisti imprudens: nulla est emptio pecuniaque eo nomine data condicetur.
In allen diesen Fällen unterliegt der Käufer keinem Irrtum über den Geschäftsinhalt. Dieser stimmt mit seiner Vorstellung überein. Was auseinanderflillt, sind Geschäftsinhalt und Wirklichkeit: Das als golden gekaufte Gefliß ist tatsächlich ehern, die Tische, die nach der Abrede aus Zitronenholz sein sollen, sind in Wirklichkeit aus einfachem Holz, der als massiv silbern verkaufte Tisch nur mit einem Silberbeschlag versehen. In den ersten bei den Fällen halten Paulus und Marcian den Vertrag für wirksam und machen ihn zur Grundlage einer Verkäuferhaftung auf die ausdrücklich oder stillschweigend versprochene Beschaffenheit. Julian, der nach D 19.1.l3pr. und entgegen Marcians Fehlzitat keine Haftung des gutgläubigen Verkäufers aus stillschweigender Zusicherung, sondern nur einen Anspruch auf Auskehr des unrechtmäßig erhaltenen Preisanteils kennt, entscheidet anders. Im Fall der ,mensa argento cooperta pro solida vendita' wendet er den Satz von der Nichtigkeit des Kaufs sine re an. Dessen Handhabung unterliegt spätestens seit Neraz2 nicht mehr der naturalistischen Beurteilung, ob die rechtlich zum Kaufgegenstand bestimmte Sache existiert oder nicht. Statt dessen entscheiden der Schwerpunkt des Käuferinteresses und Bös- oder Gutgläubigkeit der Parteien darüber, inwieweit die Nichtexistenz einer Sache oder eines Sachteils für den Käufer noch mit dem Risiko der Vertragsbindung und ab wann sie für den Verkäufer mit der Gefahr der Vertragsnichtigkeit verbunden ist. Beim Vergleich von Silberbeschlag und massiv sil2 D 18.1.57 Paul 5 Plaut: ,Domum emi, cum eam et ego et venditor combustam ignoraremus. Nerva Sabinus Cassius nihil venisse, quamvis area maneat, pecuniamque solutam condici posse aiunt. sed si pars domus maneret, Neratius ait hac quaestione multum interesse quanta pars domus incendio consumpta permaneat, ut, si quidem amplior domus pars exusta est, non compellatur emptor perficere emptionem, sed etiam quod forte solutum ab eo est repetet: sin vero vel dimidia pars vel minor quam dimidia exusta fuerit, tune coartandus est emptor venditionem adimplere aestimatione viri boni arbitratu habita, ut, quod ex pretio propter incendium decrescere fuerit inventum, ab huius praestatione liberetur. (§ J) Sin autem venditor quidem sciebat domum esse exustam, emptor autem ignorabat, nullam venditionem stare, si tota domus ante venditionem exusta sit,: si vero quantacumque pars aedificii remaneat, et stare venditionem et venditorem emptori quod interest restituere. (§ 2) Simili quoque modo ex diverso tractari oportet, ubi emptor quidem sciebat, venditor autem ignorabat: et hic enim oportet et venditionem stare et omne pretium ab emptore venditori, si non depensum est, so/vi vel si solutum sil, non repeti. (§ 3) Quod si uterque sciebat et emptor et venditor domum esse exustam totam vel ex parte, nihil actum fuisse dolo inter utramque partem compensando et [iudicio] , quod ex bonafide descendit, dolo ex utraque parte veniente stare non concedente .•
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berner Beschaffenheit ist für Julian die Grenze erreicht, bis zu der dem Käufer die Vertragsbindung zugunsten des gutgläubigen Käufers zugemutet werden
kann.
2. Welchem Zweck dient die Anerkennung des error in materia, die Ulpian im Gegensatz zu Marcell befilrwortet? Die Antwort gibt das Fragment D 18.1.11 : In seinem principium stellt Ulpian die rhetorische Frage, ob man sich rur die Annahme eines wirksamen Vertrages bei einem blinden und einem Käufer, der in der Unterscheidung von Stoffen unerfahren ist, damit begnügen soll, daß diese in corpore konsentiert haben. Damit widerlegt Ulpian das Argument, daß sich der irrende Vertragspartner von der stofflichen Beschaffenheit der corpore ausgesuchten Kaufsache hätte vergewissern können. Warum der consensus in corpore nicht ausreichend, der consensus in materia unabdingbar ist, ergibt sein Gegenstück: der error in sexu, den Ulpian in § I des Fragments rur beachtlich erklärt. Während der consensus in materia rur unbelebte Kaufsachen gilt, deckt der consensus in sexu das Feld der lebendigen Kaufgegenstände ab. Gemeinsam mit dem consensus in corpore sorgen sie jeweils für eine hinreichende Bestimmung der Gattung, welcher das Kaufobjekt angehören soll. Der consensus in corpore, der nicht schon Einigung über die Kaufsache als solche, sondern nur über ihre Gestalt und daher nach 0 18.1.9pr. bei einem anwesenden Kaufobjekt auch nicht Frage zu stellen ist, gibt die Form des Kaufgegenstands und damit seine Art oder Rasse vor. Consensus in materia oder Einigkeit in sexu bewirken die Bestimmung der inneren Beschaffenheit. Erst hierdurch ist gewährleistet, daß die Kaufsache nicht nur in ihrer Individualität, sondern auch ihrer Gattung nach bestimmt ist. Schlägt diese Bestimmung wegen eines Irrtums fehl, ist nicht etwa eine Sache mit anderen Eigenschaften, sondern ein ganz anderer Gegenstand zum Verkauf gekommen, als sich die irrende Vertragspartei vorstellt: ,aliud pro alio venisse videtur '. Im Unterschied zu Marcell ist die Gattung filr Ulpian nicht Merkmal individueller Gegenstände. Sie bezeichnet selbst die zu ihr gehörenden Sachen oder Lebewesen. Die Gattungsverwechslung, die Ulpian nach dem Zeugnis des viriola-Falles in D 18.1.14 nur bei völliger Gattungsverschiedenheit annimmt, wird so zum Idenfikationsproblem: Ohne die irrtumsfreie Gattungsbestimmung fehlt es an einem der Hauptbestandteile des Kaufvertrags, der res, die sich nur aus dem Zusammenspiel von corpus und materia oder sexus ergibt. Diese - von Ulpian im Laufe des Traktats erst entwickelten - Kategorien machen die Trias, mit der die Abhandlung beginnt, komplett: Sie treten gleichberechtigt neben das pretium und die emptio ipsa, welche die Beachtung eines Irrtums über den Kaufpreis oder die Vertragsart gebieten. Anders ist die Rechtslage bei der Stipulation. Hier entscheidet sich nicht nur Paulus gegen Relevanz eines error in materia:
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften D 45.1.22 Paul 9 Sab Si id quod aurum putabam, cum aes esset, stipulatus de te fuero, teneberis mihi huius aeris nomine, quoniam in corpore consenserimus: sed ex doli mali clausula tecum agam, si sciens me fefelleris.
Auch Ulpian, dessen gleichlautende Entscheidung zum Pfandvertrag3 wir kennen, kann sich nicht fiir die Beachtlichkeit eines error in materia ve/ in sexu ausgesprochen haben. Der Grund hierfür liegt in der Formgebundenheit des Schuldversprechens. Sie bewirkt eine strikte Trennung von Spezies- und Gattungsgeschäft: Die Parteien müssen sich entscheiden, ob sie den Leistungsgegenstand nach seiner Gattungszugehörigkeit oder nach seiner individuellen Realität bestimmen wollen. Haben sie diesen Weg gewählt, liegt die Gattung außerhalb der formgebunden bestimmten Geschäftsbestandteile und damit auch jenseits des Konsenserfordernisses. Die auf Begründung einer Speziesschuld gerichtete Stipulation steht einem dinglichen Bestellungsakt wie dem Pfandvertrag gleich, der sich nur auf eine Sache beziehen kann, die abschließend durch ihre Realität bestimmt ist.
§ 7 Vom Irrtum über den Vertragsinhalt zum Sachverhaltsirrtum 1.1. Von der Umwälzung des Irrtumsrechts kUndet ein scheinbar banaler Nachsatz in Justinians Institutionen: 113 .19.23 Si de alia re stipulator senserit, de alia promissor, perinde nulla contrahitur obligatio, ac si ad interrogatum responsum non esset, veluti si hominem Stichum a te stipulatus quis fuerit, tu de Pamphilo senseris, quem Stichum vocari credideris.
Haben Gläubiger und Schuldner bei Abgabe einer Stipulation als Leistungsgegenstand jeweils einen anderen Sklaven im Sinn, bringt das Versprechen ebensowenig eine Obligation hervor wie in dem Fall, in dem der Schuldner dem Gläubiger auf die StipulationstTage keine Antwort gibt. FUr die Divergenz in den Auffassungen von Gläubiger und Schuldner nennt Justinian ein Beispiel: Der Gläubiger läßt sich den Sklaven Stichus versprechen, der Schuldner glaubt jedoch, er habe sich zur Leistung von Pamphilus verpflichtet, von dem er irrig annimmt, er heiße Stichus. Auf den ersten Blick stimmt Justinians Lösung mit Ulpians Beschreibung des error in corpore in D l8.1.9pr. Uberein: Der Irrtum eines Vertragspartners über das corpus des Geschäftsgegenstands zeitigt dissensus und damit die Nichtigkeit der Vereinbarung. Daß dies schon im klassischen Recht auch für die Stipu-
3 D 13.7.1.2 Ulp 40 Sab: .Si quis tamen. cum aes pignori daret. adfirmavit hoc aurum esse et ita pignori dederit. videndum erit. an aes pignori obligaverit et numquid. quia in corpus consensum est. pignori esse videatur: quod magis est. tenebitur tamen pigneraticia contraria actione qui dedit praeter stellionatum quemfecit..
§ 7 Vom Irrtum über den VertragsinhaIt zum SachverhaItsirrtum
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lation gilt, können wir einer anderen Stellungnahme Ulpians entnehmen. Darin macht er die UnbeachtIichkeit eines error in nomine ebenso wie beim Kauf davon abhängig, daß das corpus der versprochenen Sache feststeht. 4 Der entscheidende Unterschied zu U1pians Lehre liegt in der Aufhebung der Identität von error und dissensus. Der Irrtum ist bei Justinian nur noch Beispiel fUr den dissensus, der rechtlich erhebliche Umstand allein die Nichtübereinstimmung der Parteivorstellung. Woraus sich dieser Dissens im modemen Sinn ergibt, ist unmaßgeblich. Er kann wie im klassischen Recht und in Justinians Beispielsfall aus einem Irrtum folgen, der mit einer Fehlvorstellung über einen objektiv bestimmten Geschäftsinhalt einhergeht. An diesen error im klassischen Sinn ist der dissensus jedoch nicht mehr gebunden. Für die Unwirksamkeit des Vertrags reicht es aus, daß die Parteien unterschiedlicher Ansicht sind. Mit der Abkoppelung des dissensus vom error korrespondiert eine andere Einordnung der Nichtigkeitsfolge. Justinian vergleicht den dissensus mit einer Konstellation, indem es schon äußerlich an einem Vertragsschluß fehlt. Hier kann die von Ulpian stets gestellte Frage nicht mehr auftauchen, ob der Vertrag gültig ist. Für Justinian gibt es den irrtumsbehafteten Vertrag erst gar nicht. Liegt wegen des Irrtums einer Partei dissensus vor, ist nichts vereinbart worden, was erst noch auf seine Gültigkeit überprüft werden mUßte. Der Irrtum wirkt nicht mehr vertrags vernichtend, der consensus vielmehr vertrags begründend. Kann er wegen eines Irrtums nicht festgestellt werden, leidet der Vertrag bereits am Mangel einer positiven Voraussetzung. Er ist ebenso wie bei Ausbleiben der Antwort des Schuldners von vornherein nicht zur Entstehung gelangt. Die im klassischen Recht übliche Ermittlung des Geschäftsinhalts und seine anschließende Untersuchung auf eine behauptete Fehlvorstellung weichen dem direkten Abgleich der beiderseitigen Parteivorstellungen. 2. Daß nur noch die Kongruenz der Parteiansichten rur das Urteil über Inhalt und Wirksamkeit eines Vertrages maßgeblich sind, zeigt die Basilikenfassung eines Digestenauszugs aus dem Muciuskommentar Pomponius'. Darin geht es zunächst um den Fall, daß bei Abschluß eines Mietvertrags ein Mietzins von zehn verabredet ist, der Mieter jedoch glaubt, der Mietzins betrage nur runf. Der Vertrag ist wegen eines beachtlichen error in pretio nichtig. Anders kann die Entscheidung ausfallen, wenn die Vorstellungen der Parteien derart abweichen, daß der Vermieter einen niedrigeren, der Mieter einen höheren Mietzins annimmt. Pomponius abstrahiert hier von der Frage, ob ein Irrtum Uber den objektiven Geschäftsinhalt vorliegt oder ob schon dieser nicht bestimmbar ist. Er dringt unmittelbar zu dem Problem vor, ob der gescheiterte Vertrag mit einem Minimalinhalt aufrechterhalten werden kann. Statt einer Antwort läßt sich Pom-
4 Vgl. 045.1.32 VIp 47 Sab: ,Si in nomine servi, quem stipularemur dari, erratum fuisset, cum de corpore constitisset, placet stipulationem valere ..
4 Harke
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
ponius nur auf die vage Aussage ein, der Vertrag könne allenfalls zu dem geringeren Mietzins zustande gekommen sein. Die Höhe des Preises liegt im Interesse des Vermieters; ein Minimalkonsens kann daher nur zu seinen Lasten ausfallen. Pomponius' Stellungnahme ist in den Digesten mit folgendem Wortlaut überliefert: D 19.2.52 Pomp 31 QM Si decem tibi locem fundum, tu autem existimes quinque te conducere, nihil agitur: sed et si ego minoris me locare sensero, tu pluris te conducere, utique non pluris erit conductio quam quanti ego putavi.
Ihre Paraphrase in den Basiliken klingt anders: Bas.20.1.51 '&lv vo~l~ ~laeOßV OOt OEKU vo~loa'tCJ)v, ou OE VO~lt;el~ 1tEvtE ~lOaOßaaal, OUK f1t1tcotal. Ei OE vo~l~ 1tEvtE KUl au OEKU, d~ ~6va ta 1tEvtE oUvlatutUl. Si existimem, me tibi locare decem nummis, tu autem existimes, quinque rem conductam, loactio non valet. Si vero existimem quinque locatam, tu vero decem conductam, in sola quinque contrahitur. S
Pomponius' vorsichtige Bestimmung des Rahmens, innerhalb dessen der Vertrag im zweiten Fall aufrechterhalten werden kann, ist einer klaren Entscheidung rur die Wirksamkeit des Vertrages gewichen. Noch interessanter ist die veränderte Beschreibung des ersten Falls: EGO vermietet nicht mehr rur zehn, sondern glaubt lediglich, dies zu tun. Anders als im klassischen Original erfahren wir also nichts uber den objektiven Inhalt des Vertrags und darUber, wessen Vorstellung hiervon abweicht. Statt dessen finden wir nur noch die gegenseitigen Parteiansichten gegenUbergestellt, die rur die Entscheidung Uber Wirksamkeit oder Nichtigkeit des Vertrags allein ausschlaggebend sind. 3. Kommt es allein auf ihre Kongruenz der Parteivorstellungen an, muß in der byzantinischen Paraphrase der klassischen Texte auch die Gleichstellung von dissensus und error verschwinden, welche den Irrtum als Vertragshindernis und Fehlvorstellung über den objektiven Geschäftsinhalt ausweist. Zum Ausdruck kam sie nicht nur in Ulpians Abhandlung vom Irrtum beim Kauf, sondern auch in einer weitergehenden Stellungnahme Pomponius'. Deren Digestenfassung lautet: D 44.7.57 Pomp 36 QM In omnibus negotiis contrahendis, sive bona tide sint sive non sint, si error aliquis intervenit, ut aliud sentiat puta qui emit aut qui conducit, aliud qui cum his contrahit, nihil valet quod acti sit. et idem in societate quoque coeunda respondendum est, ut, si dissentiant aliud alio existimante, nihil valet ea societas, quae in consensu consistit.
S Griechische Textfassung nach Sehe!tema A III 994, lateinische Übersetzung nach Heimbaeh II 362.
§ 7 Vom Irrtum über den Vertrags inhalt zum Sachverhaltsirrtum
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Der error, der in der byzantinischen Dissenslehre keine eigenständige Bedeutung und damit auch keinen Platz als Rechtsfigur mehr hat, flillt in der BasiIikenfassung schlicht weg: Bas. 52.1.56
'Ev 1täOl tole; ouvuAAaYllaolv, ehe KaAn JtlOtel ElOtV ehe Illl, ei Illl OUVUlVCÖOlV oi ouvuWoooutec;, dU.' 0 IlEV tOae Ewoel, 0 ae ~tepov, OUK fppCOtal tO YlVollevov. In omnibus contractibus, sive bonae fidei sint, sive non, nisi consentiant contrahentes, sed unus quidem hoc sentiat, alter aliud, non valet quod agitur. 6
Noch weiter vom Original entfernt ist das Pomponius-Zitat in einem Scholion zu Bas. 23.1.18: F11tOV yap OOl 1tOAAaKlc;, {Sn E1tt1tavtCOv tCÖV (JuVUAAaYllatCOV ael1tavtcoe; O'\JV~aelV tilv tcöv OUVUAAayttOvtCOV alaOeolV. Cl>rjcrl aE Kat 0 nOIl1tOVWe; EV tcp Ila'. tCÖV ßlY. ßlß. nt. teAeut. 1tpO tPlCÖV tou tEAOUe; alYEotcov, {Sn E1tt tCÖV ßovuq>iae Kat E1tt tCÖV Ot1tlKtCOV OUVUAAaYllatCOV O'\J~aouoav etVUl ael tilv EKatEpcov tCÖV OUVUAAattOUtCOValaOeOlV' Saepe enim tibi dixi, in omnibus contractibus animum et affectum contrahentium omnino congruere debere. Sed et Pomponius Iib. 44 Dig. tit. ult. dig. 57 seu Iib. 52 cap. 57 dicit, in omnibus bonae fidei contractibus et strictis utriusque contrahentis affectum concurrere debere. 7
Aus dem Irrtum als Konsens- und Vertragshindernis ist die Forderung nach einer Kongruenz des beiderseitigen animus (Öt(ieE(n~ als Gültigkeitsvoraussetzung des Vertrages geworden. 8 Die Identität von error und dissensus schwindet schließlich auch in der byzantinischen Paraphrase von D18.1.9, dem ersten Abschnitt von Ulpians Irrtumstraktat: 9 Bas.19.1.9 Gi 1tCOAOutee; Kat oi dyopa~ovtee; eav alXOVOCÖcrt 1tep"l tO till1lJ.1a, i\ tO 1tpäYlla, i\ tilv
ilAT\V, OUK fppcotal tl1tpäcrte;' tUXov yap eyoo nEtpov' ev6lll~OV 1tcoAelv, Kal OUnauAov d~opa~lV' i\ xaAKOe; dvt"l xpuoou e1toAelto . •H ()E 1tept tilv 1tpo9lYopiav tou 1tl1tpaOXOIlEvoU 1tAaVT\ ou ßAa1ttel t ouvaAAaYlla. Ei aE ö1;oe; d1t() o'(vov, ou Ililv oKeuaOtOv, dvtt o'(vov 1tpa6ii, fppCOtal tl1tpäOlc;. Si venditores et emptores in pretio dissentiant, vel in re, ve1 in materia, venditio non valet: fortasse enim Petrum ego me vendere putabam, tu te Paulum emere: vel aes pro auro vendebatur.
6 Griechischer Text nach Scheltema A VI 2429, lateinische Übersetzung nach Heimbach VIII. 7 Griechischer Text nach Scheltema B IV 1539, lateinische Übertragung nach Heimbach 11613. 8 Richtig Zilletti, La dottrina deli' errore nella storia deI diritto romano (1961) 390, der diese Beobachtung jedoch zu Unrecht auch an dem für interpoliert gehaltenen Pomponiustext macht. 9 Seine gegenteilige Auffassung begründet Zilletti a.a.O. 412, 422 nicht.
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2. Kap. : Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften Error autem in nomine rei venditae contractui non nocet. Quodsi aceturn ex vino, non factitium, pro vino veneat, venditio valet.
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Zwar nennt der Text neben dem dissensus noch den error (1tAuVT]). § 1 von D 18.1.9, aus dem sich die Nämlichkeit von error und dissensus ergibt, ist jedoch auf den Satz von der Unschädlichkeit des Namensirrtums zusammengeschmolzen. Das Verhältnis zu dem zuvor genannten dissensus bleibt offen. Dessen wichtige Fälle hat man schon am Anfang des Textes aufgezählt. Das ulpianische ,sive in quo alio' weicht hier dem dissensus in materia, der bereits durch den Verkauf von ,aes pro auro' exemplifiziert wird. An die Stelle der Ausruhrungen von D 18.1.9.2 tritt die nicht näher begründete Rechtsfolgenanordnung rur den Kauf des zu Essig gewordenen Weins. Ersatzlos weggefallen ist dadurch das Marcelluszitat von D 18.1.9.2, in dem consensus als Komplementärbegriff zu error und der Irrtum so wiederum als Synonym rur dissensus erschien. 4. Sofern die byzantinischen Texte überhaupt noch den Begriff error aufnehmen, kann dieser nicht mehr die spezifische Bedeutung einer Fehlvorstellung über den Vertragsinhalt haben. Hierfür fehlt es schon am Ausgangspunkt: dem objektiv bestimmten Geschäftsinhalt. Diesen kann es in einem Vertragssystem, in dem es nur auf die Übereinstimmung der Parteiansichten ankommt, nicht mehr geben. Der Irrtum, von dem die römischen Quellen sprechen, muß einen neuen Anknüpfungspunkt in der außergeschäftlichen Wirklichkeit finden. Als Sachverhalts irrtum hat er nun die gleiche Struktur wie jene Fehlvorstellungen, die im Unmöglichkeitsfall und bei Sachmängeln auftreten. 11. Daß die Glossatoren den error, den sie in den Quellen vorfinden, nicht als Fehlvorstellung über den Geschäftsinhalt, sondern als Sachverhaltsirrtum deuten, zeigt seine Verbindung mit dem Fall der nichtexistenten Kaufsache: 1. Zusammen mit den Irrtumstatbeständen erscheint er schon in der Summa Codicis des Rogerius. Dieser versucht, Ulpians Entscheidung zum gemeinsamen Stoffirrtum in D 18.1.14 mit den Regeln rur den teilweisen Sachuntergang zu koppeln: Sed si in materia et qualitate ambo errarent, ut puta putabatur esse aurum, cum magna pars enea esset, si quidem hoc corpus emere proposuerem, quia aliquid auri habuerit, valet venditio. Si autem non essern empturus, nisi totum aureum esset, non valet venditio. Sed si maior esset substantia auri quam eris, venditio valet. Idem dicitur de domo vendita que combusta est ... "
Was folgt, ist eine Wiedergabe der Distinktionen, die Neraz in D 18.1.5i 2 rur den Kauf eines vor Vertragsschluß abgebrannten Hauses anstellt und die 10 Griechischer Text nach Seheltema A 1II 916, lateinische Übersetzung nach Heimbach II 259. 11 Summa codicis 3.41, S. 77 der Ausg. Bologna 1913 . 12 Vgl. oben N. 2.
§ 7 Vom Irrtum über den Vertrags inhalt zum Sachverhaltsirrtum
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sich sowohl nach Gut- oder Bösgläubigkeit der Parteien als auch nach dem Grad der Zerstörung der Kaufsache richten. Für Ulpians Fall des gemeinsamen Stoffirrtums nimmt Rogerius Neraz' Lösung bei beiderseitiger Gutgläubigkeit vorweg: Die Wirksamkeit des Kaufs will er anders als Ulpian davon abhängig machen, ob die filr golden gehaltene Sache in Wirklichkeit auch zum überwiegenden oder nur zum geringeren Teil aus Gold besteht. Ulpians Lösung, derzufolge es lediglich darauf ankommt, ob die Sache ,aliquid auri habuit', schränkt er auf den Fall ein, daß die Sache ohne Rücksicht auf ihre materia allein wegen ihres corpus ausgesucht ist. Möglich wird diese Lösung, weil Rogerius den error, von dem Ulpian spricht, ebenso wie der Autor der Basiliken nicht als spezifischen Irrtum über den Geschäftsinhalt, sondern als Fehlvorstellung über die Wirklichkeit versteht. Erst dieser Irrtumsbegriff erlaubt eine Übertragung oder Integration der römischen Entscheidungen zum Kauf sine re, wo das Auseinanderfallen von Norm und Wirklichkeit regelmäßig von einer Fehlvorstellung der Parteien über ihr wirkliches Vermögen begleitet ist. Die Übernahme der Regeln filr die fehlende Sachexistenz filhrt auch zu der Unterscheidung, ob sich der Käufer die Sache wegen ihres corpus oder wegen ihrer materia zu eigen machen will. Damit führt Rogerius nur die Lösung Neraz' weiter, der die Frage, ob der Kauf sine re ist, allein nach dem Zustand des Hauses beurteilt, das sich auf dem verkauften Grundstück befindet. Daß mit dem Grundstück die eigentliche Kaufsache noch existiert, spielt fllr ihn ebensowenig eine Rolle wie filr Papinian, der zum Eintritt der Nichtigkeitsfolge auch die Vernichtung eines Olivenhains genügen läßt, falls das dazugehörige GrundstOck ,comtemplatione iIIarum arborum' gekauft worden ist. 13 Für den Stoffirrturn wird daraus der Satz, daß das Käuferinteresse entscheidet, inwieweit vorgestellte und wirkliche Beschaffenheit der Kaufsache auseinanderklaffen dürfen. 2. Einen Schritt weiter als Rogerius geht Placentinus, der in seiner Summa Institutionum auch den einseitigen Irrtum den Regeln über den Kauf sine re unterwirft. Die Wiedergabe des Inhalts von 0 18.1.9.2 ergänzt er um folgenden Hinweis: In talibus tarnen casibus dicitur quia licet emptio non teneat, ex empto tarnen agitur, ut t1 de act. empt. et vend. I. si sterilis. Quare autem emptio non teneat, si in corpore sit consensum, licet in materia sit erratum, causidici certant et adhuc sub iudice lis est. 14
13 D 18.1.58 Pap 10 quaest. Bei Paulus, der in D 18.1.57 (oben § 6 11 1 N. 2) die Entscheidungen Neraz' mitteilt, findet sich dieses Kriterium verkürzt in den Eingangsworten: ,domum emi'. 14 Summa Institutionum, lib. III tit. XXII, S. 56 der Ausg. Mainz 1535.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
Der angefUhrte Paulustext D 19.1.21pr. 1s handelt vom Kauf eines ungeborenen Sklavenkindes. Er ist trotz fehlender Kaufsache als bedingtes Geschäft gültig und begründet eine Haftung des Verkäufers, der die Geburt und damit den Bedingungseintritt verhindert. 16 Paulus will die actio empti auch dann gewähren, wenn die als Mutter des Kindes auserkorene Sklavin unfruchtbar oder älter als 25 Jahre ist. Unklar ist, ob diese Entscheidung auf der unbedingten Wirksamkeit des Kaufs wegen Vereitelung des Bedingungseintritts beruht oder, wie Placentinus meint, in der Gewährung einer isolierten actio empti trotz Unwirksamkeit des Vertrags besteht. Teilt man Placentinus' Verständnis, liegt die Parallele zum error in materia auf der Hand: Der Vertrag ist in beiden Fällen unwirksam, weil es die vom Käufer erwartete Kaufsache nicht geben kann. Die unfruchtbare Sklavin vermag kein Kind zu gebären, die eherne Kaufsache nicht golden zu sein. Die ignorantia des Käufers, von der Paulus spricht, setzt Placentinus mit Ulpians error gleich, den er als Sachverhalts irrtum und auch, wenn er einseitig ist, als tauglichen Ansatzpunkt rur die Anwendung der Regeln über den Kauf sine re versteht. 17 3. In die Irrtumskategorien eingereiht finden wir den Kauf sine re schließlich in der Glossa ordinaria und in den Lecturae des Odofredus. Hier heißt er einmal error in existentia,18 das andere Mal error in essentia. 19 Dort nennt die GI. quo alio zu D 18.1.9pr. den error in essentia und fUhrt als Beleg Neraz' Hauskauffall im Fragment D 18.1.57 an. 20 Die zu dessen § 1 gehörige GI. nullam venditionem zeigt, daß die begriffliche Nähe zum error in substantia kein Zufall ist. Sie gilt dem Fall eines bösgläubigen Verkäufers und eines Käufers, der im Unterschied zum Verkäufer keine Kenntnis vom vorhergehenden Untergang des Hauses auf einem verkauften Grundstück hat. Diese Fehlvorstellung über die Sachexistenz soll error substantiae sein: hic vero error substantiae magis impedit venditionem quam rei vitium. IS Paul 33 ed: ,Si sterilis anei/la sit, euius partus venit, vel maior annis quinquaginta, eum id emptor ignoraverit, ex empto tenetur venditor.. 16 Vgl. D 18.1.8pr. Pomp 9 Sab. 17 Placentinus' Entscheidung flir eine Haftung des Verkäufers trotz Unwirksamkeit der emptio venditio findet sich auch in Odofredus' Praeleetiones in Seeundam Digesti Veteris partem (Leetura super Digestum vetus), ad D 18.1.9, fol. 95 der Ausg. Lyon 1552, und in der GI. venditionem puto zu D 18.1.9.2 wieder. 18 A.a.O. 19 Praeleetiones in primam Codicis partem (Leetura super Codieem), ad C 4.38, fol. 243 der Ausg. Lyon 1552. 20 Sehermaier, Bestimmung 48 u. N. 32 schreibt diese Glosse Azo zu. Sehermaier beruft sich dabei auf HS Borghes. 225, wo zwar nicht die Sigle AZ angebracht, die Glosse jedoch in der gleichen Schriftart und Tinte wie derart gekennzeichnete Anmerkungen gehalten sei. Azos Summa Codicis (ad 4.38 de eontrahenda emptione et vendilione) nennt den error in essentia jedenfalls nicht, obwohl dort Neraz' Entscheidungen in D 18.1.57 ausgebreitet werden.
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Mit dem vitium rei ist der Fall von D 18.1.34.3 Paul 33 ed gemeint, in dem der Verkäufer einer res furtiva diese wissentlich an einen gutgläubigen Käufer veräußert. Paulus' Entscheidung ftlr die Wirksamkeit des Kaufs wird der Mängelhaftung zugeordnet. Der Hauskauffall von D 18.1.57 soll dagegen dem Irrtumsrecht angehören, und zwar der Kategorie des error in substantia, der den sonst sogenannten error in essentia umfaßt. Die Entscheidung bei völliger Zerstörung des Hauses folgt aus dem tatsächlichen Fehlen der substantia, wie die GI. nihil actum zu D 18.1.57.2 herausstellt: si in totum est destrueta, non est haesitatio: quia propter defeetum substantiae est nulJa: ... Die Feststellung eines defectum substantiae schafft die logische Verbindung zwischen dem error in materia und dem Satz ,sine re, quae veneat, non possit esse venditio,21. Der Irrtum steht filr ein Zurückbleiben der Wirklichkeit hinter der Vorstellung. Durch die Deutung der Sachexistenz als Element der substan(ia lassen sich die Nichtigkeitsfolge, die den Kauf einer nicht existierenden Kaufsache trifft, in das Irrtumsrecht integrieren und dieses wiederum den Regeln über den Kauf sine re unterwerfen. Von der Möglichkeit, die Regeln über den Kauf sine re anzuwenden, macht Accursius ebenso wie Rogerius und Placentinus denn auch hinreichend Gebrauch. In der GI. nul/a est emptio zu D 18.1.41.1 22 beschäftigt er sich mit dem Verhältnis von Ulpians Lösung im viriola-Fall von D 18.1.14 zu Julians Entscheidung gegen die Wirksamkeit des Kaufs einer ,mensa argento cooperta pro solida': ... vel distingue an possit separari: et tune valet etiarn in auro, vel argento: ut ibi, an non: et tune non valet etiarn in auro, vel argento: ut hie. vel distingue quod praevalet: ut si argentum, valeat: si aes, non valeat. vel die quod hie specialiter fuit actum ut in solidum esset argentea. vel meIius: non est emptio quantum ad rem: id est aes: dieitur tarnen aliqua favore emptoris ne deeipiatur. Accursius bietet gleich vier Erklärungsmodelle dafilr an, daß es Julian anders als Ulpian nicht darauf ankommt, ob die Sache lediglich, aliquid' des vorgestellten Stoffs hat: Der maßgebliche Unterschied zu Ulpians viriola-Fall könne darin liegen, daß das gewUnschte Material bei einer mensa cooperta im Gegensatz zur Metallmischung nur in Form einer abtrennbaren Verkleidung vorhanden ist. Die Entscheidung Julians könne auch auf einem Unterschied in den Rechtsauffassungen und zwar darauf beruhen, daß Julian im Gegensatz zu Ulpian nicht danach differenziere, ob das erwartete Material überhaupt vorhanden ist, sondern, ob es überwiege. Auf eine Divergenz der Fallgestaltung läuft wiederum das nächste Erklärungsmuster hinaus: Anders als in Ulpians viriola-Fall könnte hier besonders vereinbart worden sein, daß die Kaufsache zur Gänze aus 21 22
Vgl. die GI. nihil zu 0 18.1.57pr. Siehe oben § 6 11 I.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Intum über wesentliche Eigenschaften
dem gewünschten Stoff bestehe. 23 Rechtlicher Natur ist dann wieder die letzte und von Accursius bevorzugte Deutung: Mit dem Urteil ,nul/a est emptio' spreche Julian dem Kauf nur insoweit die Wirksamkeit ab, als er sich auf die Sache selbst beziehe. Dies schließe nicht aus, daß der Vertrag dennoch Grundlage von Rechtsbehelfen rur den getäuschten Käufer sei. Interessant sind hier die bei den mittleren Erklärungsmodelle: In der Unterscheidung, ob der gewünschte oder ein anderer Stoff in der Kaufsache überwiegt, taucht das von Rogerius schon zur Interpretation von D 18.1.14 verwendete Quantitätsmerkmal aus D 18.1.57 auf. Rogerius glaubte, es sei durchaus vereinbar mit Ulpians Lösung und wendet es auf den von diesem vermeintlich nicht behandelten Fall an, daß der Käufer die Sache um ihrer materia willen erwirbt und in Kenntnis ihrer wahren Beschaffenheit nicht gekauft hätte. Dieses Kriterium finden wir bei Accursius nun in abgewandelter Form als weiteres, selbständiges Erklärungsmodell: Ist der Wunsch des Käufers nach einer bestimmten stotllichen Beschaffenheit zum Gegenstand einer besonderen Vereinbarung geworden, richtet sich die Entscheidung über die Wirksamkeit des Vertrages nicht danach, ob lediglich aliquid des erwarteten Materials vorhanden ist. Erforderlich ist statt dessen die volle Übereinstimmung von vereinbarter und wirklicher Beschaffenheit. Mit dieser Lösung dringt Accursius zum eigentlichen Bestimmungsgrund der julianischen Entscheidung vor. Diese entstammt nicht dem Irrtumsrecht, sondern folgt unmittelbar den Regeln rur den Kauf sine re, bei dem es auf die Kongruenz von Wirklichkeit und Geschäftsinhalt und nicht auf dessen Übereinstimmung mit der Parteivorstellung ankommt. Anders als Julian gelangt Accursius zu dieser Lösung freilich nur über die Vermengung des Irrtumsrechts mit der Frage der Sachexistenz. Dem hier maßgeblichen Kriterium des Käuferinteresses gibt er jedoch ein neues Gewand: Aus Rogerius' Frage, ob die Beschaffenheit der Kaufsache im Zentrum des Käuferinteresses steht, macht er die Frage, ob sich der Käufer den rur seinen Kaufentschluß maßgeblichen Umstand auch ausbedungen hat. III. Daß der error in materia Irrtum über die tatsächliche Beschaffenheit eines Gegenstands, der consensus die Übereinstimmung der inneren Parteiansichten ist, bildet auch nach den Glossatoren die Grundlage für die Auseinandersetzung mit den Quellen des klassischen Rechts: 1. In den Schriften der Kommentatoren kommt die von Byzantinern und Glossatoren eingenommene Haltung zum besten Ausdruck bei Jacobus Butrigarius und Albericus de Rosate. Jacobus führt in seiner Erläuterung von D 18.1.14
23 Dies ist auch die Deutung Odofredus', vgl. Praelectiones in Secundam Digesti Veteris partem (Lectura super Digestum vetus), ad D 18.1.9, fol. 95 der Ausg. Lyon 1552.
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das Erklärungsmuster weiter, das Accursius in der GI. nulla est emptio zu D 18.1.41.1 zuletzt angeboten und seinerseits bevorzugt hat: Si erratur in materia non tenet contractus respectu materiae in qua erratum est, sed respectu tantundem in genere in quo consensum est, et hoc si est ibi aliquid de materia, in qua consensit, sed si erat alia tota materia, certe venditio nulla est respectu demonstrati, si tantundem in genere, et sic tenet in eo quod consentitur. 24
Albericus übernimmt diese Erklärung nahezu wörtlich. Er filgt lediglich einen Satz an, der ihren Ursprung in der Glosse außer Frage stellt: ibi, esse constat, favore emptoris, ut servetur venditio, non quo ad rem. 25
Während sich Accursius noch damit begnügte, die von Julian ausgesprochene Nichtigkeitsfolge auf die Auswahl der Kaufsache zu beschränken und so eine Übereinstimmung mit Ulpians Entscheidung filr die Wirksamkeit des viriolaKaufs zu erzielen, holen Jacobus und Albericus weiter aus: Zur Ableitung von U1pians Entscheidung trennen sie zwischen der materia, über deren Vorliegen die Parteien einem Irrtum unterlegen sind, und der materia, die als genus zum Gegenstand des consensus geworden ist. Verfilgt die Kaufsache zumindest über a/iquid der vereinbarten materia, ist der Kauf in jeder Hinsicht wirksam. Besteht sie allein aus einer materia, über deren Vorhandensein die Parteien irrten, ist er als Geschäft über die ausgesuchte Sache ungültig, als Gattungsgeschäft jedoch gültig. 26 Mit Hilfe dieser Unterscheidung gelingt Jacobus auch eine schlüssige Interpretation von D 18.1.45 27 • Marcian beruft sich hier auf eine Entscheidung Julians, derzufolge der gutgläubige Verkäufer einer mangelhaften Sache ,ipsius rei nomine' haftet, während der bösgläubige Verkäufer auch tUr das. damnum quod 24 In primam et secundam veteris Digesti partem, ad D 18.1.14, Bd. 2, S. 219 der Ausg. Rom 1606. 25 In secundam veteris Digesti partem commentarii, ad D 18.1.14, fol. 132 der Ausg. Venedig 1585. 26 Dieser Versuch einer Harrnonisierung von D 18.1.14 und 41.1 hat keine Gefolgschaft in der humanistischen Rechtswissenschaft gefunden. Sie entscheidet sich mehrheitlich ftlr das erste der von Accursius angebotenen Erklärungsmuster, wonach es auf die Trennbarkeit des erwarteten und des unerwünschten Materials ankommt; vgl. Cujaz' Kommentar zu D 45.1.22, Opera I, Venedig 1778, Sp. 1023, sowie seine Recitationes solemnes, ad D 18.1.9, Opera VII, Modena 1779, (Sp. 681); Donellus, Commentatorii in selectos quodsdam titulos digestorum, ad D 45.1.22, Opera Omnia XI, Florenz 1847, Sp. 720, Faber, Rationalia in tertiam partem pandectarum, ad D 18.1.14 und 41.1, Bd. 2 S. 218f. und 254 der Ausg. Lyon 1563. Ebenso später Brunnemann, Commentarius in leges Pandectarum, ad D 18.1.14, S. 697 der Ausg. Frankfurt/Oder 1683 sowie wahrscheinlich auch Voet, Commentarius ad Pandectas, ad D 18.1 n. 6, , Bd. I S. 765 der Ausg. Den Haag 1734. Anders Duarenus, Commentarii in libros IV Codicis et tertiam partem Digestorum, De contrahenda emptione et venditione, cap. IV, Opera, Frankfurt a.M. 1592, S. 10 19, der ftlr entscheidend hält, ob die Beschaffenheit der Kaufsache Gegenstand einer ausdrücklichen Vereinbarung ist; dazu Schermaier, Bestimmung 96f. 27 Siehe oben § 6 II I.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum Ober wesentliche Eigenschaften
ex eo contingit' aufkommen muß. Für den Kauf eines vas aurichalcum pro auro folgert Marcian, daß auch der gutgläubige Verkäufer, der das Gefilß selbst ftlr golden hält, auf, aurum quod vendidit' haftet. Die Glosse, die hier den Fall eines error in materia mit Nichtigkeitsfolge erkennt, kann diese Haftung nur als eine solche aus der actio de dolo deuten. 28 Zweifel gegen diese Deutung weckt allerdings Marcians AnknUpfung der Falldarstellung mit quemadmodum, die rur eine Haftung aus der actio empti nach dem Vorbild der julianischen Entscheidung spricht. Jacobus findet hierftlr eine Erklärung, die auf seinem Verständnis von D 18.1.14 aufbaut: Daß es auch bei einem beiderseitigen error in materia zu einer Haftung des Verkäufers aus der actio empti kommt, ergibt sich rur ihn daraus, daß der Vertrag zwar als Geschäft über die ausgesuchte Sache ungültig, als Gattungsgeschäft jedoch wirksam ist:
sed dic dari in primo casu huius \. actio ex empto, in secundo scilicet in C. quemadmodum, quia venditio non tenuit, agitur de dolo, vel die, quod utroque casu agitur ex empto quasi tantum in genere videatur venditum .... 29 Mit dieser Lösung scheidet Jacobus, was ftlr Ulpian untrennbar verbunden ist: Er teilt den Vertrag nicht nur in Spezies- und Gattungsgeschäft, sondern löst ebenso wie die Byzantiner auch den dissensus vom Irrtum. Dieser kann den consensus nicht in Frage stellen, sofern nur gleichgerichtete Parteivorstellung vorhanden sind. Ist dies der Fall, zeitigt der Kauf stets Wirkungen, indem er Grundlage ftlr die Haftung auf das vereinbarte genus ist. Der Irrtum ist nur noch Chiffre ftlr das Auseinanderfallen von tatsächlicher und vereinbarter Beschaffenheit der Kaufsache. Paßt diese nicht zur Kaufvereinbarung, ist der Vertrag dennoch von Bestand. Getragen wird er vom consensus, der sich ohne RUcksicht auf das objektive Erscheinungsbild des Vertrages aus der Übereinstimmung der Parteiansichten ergibt. 2. Auf eine regelrechte Definition des error als Sachverhaltsirrtum stoßen wir in der humanistischen Jurisprudenz. Zur Einftlhrung in D 18.1.11 schreibt Connanus: Errat autem, quid aliud sentit, quarn veritas habet, id est qui dissentiat a veritate, at qui nec adsentit, nec dissentit, non potest dici errare. Itaque incertitudo eiusmodi non subvertit emptionem: quod ex iis quae dicta sunt et tractata, reduci postest ad certitudinem, ut nihil sit dubii traditum id esse, de quo fuerat actum. Narn si vas aureum caecus a me emerit, eique tradidero, perfecta est emptio, tametsi vere non consenserit in corpore vasis, quod nunquam vidit. item si tibi metallorum inscio et ignoranti vendarn similiter vas aureum, non consensisti in corpore vasis quod non novas ad esset aureum: tarnen quia ea ipsa est materia quae dicta est, valebit venditio. videris enim 28 Vg\. G\. quod vendidit. Diese dem Martinus zugeschriebene Erklärung erflihrt später auch Kritik bei Antonius Faber, Rationalia in tertiam partem pandectarum, ad D 18.1.45, Bd. 2, S. 257 der Ausg. Lyon 1563. 29 In primam et secundam veteris Digesti partem, ad D 18.1.45, Bd. 2, S. 224f. der Ausg. Rom 1606.
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consensisse in hoc corpore vasis, non certe, neque pure, sed quasi dubitanter, et ea conditione, si esset aureum, at aureum est. eadem ratio in caeco. 30
Den Irrtum definiert Connanus als dissensus zur veri/as. Er liegt nicht vor, wenn die Vorstellung einer Vertragspartei indifferent ist und mit der Wirklichkeit weder übereinstimmt noch in Widerspruch zu ihr steht. Der Fall ist dies beim blinden Käufer. Erwirbt er ein Gefliß, kommt kein consensus in corpore zustande, weil er die Kaufsache nicht sehen kann. Da er auch die materia nicht erkennen kann, tritt ebensowenig wie beim unerfahrenen Käufer consensus in materia ein. Der Kauf ist dennoch stets gültig, wenn die Sache tatsächlich über das vom Verkäufer angegebene corpus und die zugesagte materia verfUgt. Der blinde und unerfahrene Käufer, die naturgemäß Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben haben, stellen ihre Zustimmung zum Vertragsschluß unter die Bedingung, daß die Angaben des Verkäufers über Gestalt und Stoff der Sache zutreffend sind. Ulpians Irrtumsfall deutet Connanus damit als solchen, in dem die fehlerhafte Vorstellung des Käufers mit den unrichtigen Erklärungen des Verkäufers übereinstimmt und hierdurch sogar hervorgerufen wurde. Ziel des Irrtumsrechts und der Lösung im Sonderfall des blinden und unerfahrenen Käufers ist zu gewährleisten, daß der gelieferte Gegenstand der Vereinbarung entspricht. Es soll ,traditum id esse, de quo fuerat actum '. Maßstab fUr die wirkliche Beschaffenheit der Kaufsache ist daher die ,materia quae dicta est'. Das Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Zusage bewirkt im Nonnalfall den Irrtum, der zur Nichtigkeit des Vertrages filhrt. Er besteht, wie Connanus ausdrücklich sagt, in einer Divergenz von Parteivorstellung und wirklicher Beschaffenheit der Dinge. Die Ansicht der irrenden Vertragspartei unterscheidet sich nicht vom Geschäftsinhalt, sondern davon, ,quam veritas habet'. Die Gegenüberstellung von Lieferung und Vereinbarung als Anknüpfungspunkte fUr den Irrtumstatbestand findet sich auch bei Faber. Seine Erörterung der unterschiedlichen Rolle des error in materia bei Stipulation und Kauri enthält den Satz: Magis igitur probo ut differentiae ratio petatur ex eo quod in emptione utrique contrahitur ob\igatio aeque principaliter ex parte quidem venditoris ut rem tradat; ex partem emptoris ut conventem pretium prestet, quod porro constituitur ex comparatione eius rei non quae traditur, sed quae venditur, et quam emptor emere se putavit. 32
Daß der Stoffirrtum bei der emptio venditio beachtlich ist, fUhrt Faber auf deren Austauschcharakter zurück. Entspricht die Kaufsache nicht der Vorstel30 Commentatorium luris Civilis Libri X, \ib. VII cap. VI, S. 497 der Ausg. Lyon 1566. 31 Zu der hierüber gefllhrten Diskussion unten § 8 11 3, III, IV. 32 Rationalia in tertiam partem pandectarum, ad 0 18.1.9.2, Bd. 2, S. 214 der Ausg. Lyon 1563.
2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
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lung, entsteht ein Ungleichgewicht zwischen pretium und res. Denn der Preis wurde nicht in Ansehung der gelieferten, sondern der verkauften Sache festgelegt, welche der Käufer zu erwerben glaubte. Der Irrtum, dem der Käufer unterliegt, betrifft also nicht den Geschäftsinhalt. Statt der, res quae venditur', die mit der Vorstellung des Käufers übereinstimmt, gilt er der ,res quae traditur '. Die vertragshindernde Fehlvorstellung ist wie bei Connanus eine solche über die wirkliche Beschaffenheit der Lieferung. Diese Formel bietet ein neues Erklärungsmuster filr Ulpians Lösung im Fall des beiderseitigen Stoffirrtums. Daß hier trotz Übereinstimmung in den Parteiansichten die Nichtigkeitsfolge eintreten kann, muß nicht mehr, wie in der Glosse, mit den Regeln über den Kauf sine re oder, wie bei den Kommentatoren, aus einer Aufteilung in Spezies- und Gattungsgeschäft erklärt werden. Als Fehlvorstellung über die Lieferung ist der Stoffirrtum verselbständigter Nichtigkeitsgrund, der einen dissensus der Parteien weder zur Voraussetzung noch als Folge hat. Cujaz kann daher aus D 18.1.14 ohne weiteres den Satz gewinnen: Nullus enim hic est dissensus. Responsum tarnen est, emptionem null am esse, ...
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Diese Aussage fallt Cujaz deshalb besonders leicht, weil zu seiner Zeit der Unterschied zwischen Vertragsgeltung und Nichtigkeit in einem entscheidenden Punkt eingeebnet ist: Die Haftung des Verkäufers ist nicht mehr an den Bestand des Kaufvertrages geknüpft. Jacobus hat mit seiner Unterscheidung von Spezies- und Gattungsgeschäft noch den Versuch unternommen, die Verkäuferhaftung aus einer zumindest teilweise wirksamen emplio venditio herzuleiten. 34 Cujaz und Faber folgen dagegen wieder dem von Placentinus eingeschlagenen Weg. Sie lassen den Verkäufer auch ohne gültigen Vertrag haften. Dabei gehen sie sogar so weit, Paulus' Aussage zur Unschädlichkeit eines dissensus in qualitale in D 19.1.21.235 in ihr Gegenteil zu verkehren36 und in dieser Form als Argument rur die vertragsunabhängige Haftung des Verkäufers einzusetzen37 •
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Recitationes solemnes, Opera VII, Modena 1779, Sp. 680.
Duarenus, Commentarii in libros IV Codicis et tertiam partem Digestorum, De contrahenda emptione et venditione, cap. IV, Opera, Frankfurt a.M. 1592, S. 1019, gelingt dies mit Hilfe der Annahme, der Vertrag sei ohne Berufung auf den Irrtum gültig. 35 Siehe oben § 6 11 I. 36 Aus .emptionem esse', das auf ,quamvis supra diximus, cum in corpore consentiamus, de qualitate autem dissentiamus' folgt, machen sie einfach ,emptio non esse '; vgl. Cuiacius, Recitationes solemnes, ad D 18.1.9, ad D 19.1.21, Opera VII, Sp. 680 und 769, und Faber, Rationalia in tertiam partem pandectarum, ad D 19.1.21, Bd. 2, S. 453 der Ausg. Lyon 1563. 37 Vgl. Cuiacius, ad D 45.1.22, Opera I, Venedig 1778, Sp. 1023, und Faber, Rationalia, ad D 18.1.45, S. 257,jeweils in Auseinandersetzung mit D 18.1.45; vgl. dazu oben I und § 6 11 I. 34
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IV. Auch im usus modernus hält sich die Überzeugung, der bösgläubige Verkäufer hafte dem irrenden Käufer trotz Ungültigkeit des Vertrages aus der ac/io empti. Finden läßt sich diese Ansicht bei Brunnemann38 und Struve39, die ihr durch die Entdeckung einer neuen Irrtumskategorie zugleich ein breiteres Quellenfundament schaffen: 40 In den Aussagen der römischen Juristen zur Nichtigkeit des Kaufs einer res extra commercium erkennen sie Entscheidungen zu dem von ihnen selbst so genannten error in qualitate legali. 41 Mit dieser Irrtumskategorie ist nach dem error in essentia oder in existentia ein weiteres Vertragshindernisses in das Irrtumsrecht integriert. Dieses deckt nun nicht nur die Divergenz zwischen Vertrag und tatsächlicher, sondern auch die Divergenz von Vereinbarung und rechtlicher Wirklichkeit ab. Der Schritt ist konsequent, denn der error in qualitate legali ist dem Irrtum über die Sachexistenz strukturgleich, der error als Sachverhaltsirrtum auch aufnahmeflihig rur Fehlvorstellungen über Rechtswirklichkeit. Der Ertrag rur die Lehre von der vertragsunabhängigen Verkäuferhaftung liegt darin, daß schon die römischen Juristen in diesem Fall überwiegend von einer Haftung des Verkäufers zugunsten des gutgläubigen Käufers ausgingen: 2 Einer mißverständlichen Aussage Modestins zufolge scheint diese sogar trotz Unwirksamkeit des Kaufvertrags einzutreten:3 Als eigenständige Irrtumskategorie finden wir den error in qualitate legali auch bei Voet44 und schließlich bei GIÜck45 • Dieser definiert den Irrtum als Ab38 Commentarius in leges Pandectarum, ad D 18.1.45, S. 702 der Ausg. Frankfurt/Oder 1683. 39 Syntagma iurisprudentiae, Exercitatio XXll (ad lib XliX et XIX Digestorum) § XI, S. 820f. der Ausg. Jena 1668. Die Irrtumslehre Struves behandelt ausflihrlich Dießelhorst, Pufendorf 82fT. 40 Zu bei den Phänomenen Schermaier, Bestimmung 155fT., 161, der jedoch den Zusammenhang nicht aufzeigt. 41 Brunnemann a.a.O., Struve a.a.O. § X, S. 818f., der den beachtlichen error in qualitate legali dem in D 18.1.11 georteten - irrelevanten - error in qualitate naturali gegenüberstellt. 42 Vgl. zum Kauf des liber homo: D 18.1.4, 6pr. Pomp 5 Sab, D 21.2.39.3 lul 57 dig, D 18.1.5 Paul5 Sab, D 40.13.4 Paul 12 quaest, D 18.1.70 Lic Ruf8 reg; zum Kaufeiner res sacra oder publica D 18.1.4 Pomp 5 Sab und D 18.1.62.1 Mod 5 reg; dazu Harke, Jahrbuch Junger Zivilrechtswisschenschaftler 2001, 33f. 43 D 18.1.62.1 Mod 5 reg. Zum richtigen Verständnis dieser Stelle Harke a.a.O. N. 17. 44 Commentarius ad Pandectas, ad D 18.1 n. 5, Bd. I, S. 764 der Ausg. Den Haag 1734: ,error in qualitate, quam res habet a jure '; vgl. Schermaier, Bestimmung 309f. Mit Voets Irrtumslehre befaßt sich auch Winkel, Die Irrtumslehre, in: Feenstra, Zimmermann, Das römisch-holländische Recht (1992) 236f., 45 Ausflihrliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld, 2. Buch 14. Titel, § 297, Bd. 4.1, S. 148f. der Ausg. Erlangen 1796: "Irrtum über die gesetzliche Qualität der Sache". Mit Glücks Irrtums lehre hat sich vor Schermaier, Bestimmung 331 tT. schon Oebike, Wille und Erklärung beim Irrtum in der Dogmengeschichte der bei den letzten Jahrhunderte (1935) 18f. befaßt.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
weichung der Vorstellung von der wirklichen Beschaffenheit einer Sache und den error facti im Gegensatz zum error iuris als Irrtum im ,Thaturnstande' .46 Daß die hergebrachten, objektbezogenen Kategorien des error bei ihm allein das Verhältnis zwischen Vertrags inhalt und Wirklichkeit betreffen, zeigt sich an der Beschränkung ihres Anwendungsbereichs: Glück will sie nur noch rur die Beurteilung des beiderseitigen Irrtums einsetzen.47 Den einseitigen Irrtum mißt er dagegen ausschließlich an Vermeidbarkeit und Kausalität rur den Vertragsschluß. 48 Glück unterliegt dabei dem Einfluß des Naturrechts,49 das den error ebenfalls nur als Sachverhalts irrtum und Hindernis filr den Partei willen kennt. V. Die schon von den Byzantinern und in Weste uropa spätestens bei den Kommentatoren vollzogene Trennung von error und dissensus setzt sich im frühen Naturrecht in der Lehre fort, daß der Irrtum nicht mehr die Übereinstimmung der Parteien, sondern den Willen des irrenden Teils ausschließen soll. Dissensus tritt nunmehr durch den Ausfall des Willensaktes einer Partei ein. Dieser ist mangelhaft, wenn er auf einer fehlerhaften Vorstellung von der wirklichen Beschaffenheit der Gegenstände beruht. Daß hierin das Wesen des Irrtums liegt, bleibt auch Leitmotiv der entwickelten Naturrechtslehre und der anschließenden Gesetzgebung, in der das Irrtumsproblem nur noch als Diskrepanz von Norm und Wirklichkeit erscheint: 1. Grotius definiert den Irrtum ausdrücklich als unrichtige ,praesumtio facti '. Die Nichtigkeit des betroffenen Geschäfts ergibt sich aus einem unilateralen Mechanismus: Statt vom zweiseitigen pactum geht Grotius von der einseitigen promissio als Grundmuster des Vertragsrechts SO aus. Die promissio verdankt ihA.a.O., S. 141f. A.a.O., S. 147fT. Die aus D 44.7.57 gezogene Feststellung, es fehle hier an einer Übereinstimmung des Willens bleibt unkommentiert. Sinnvoll erscheint sie nur, wenn man sie auf der Grundlage der naturrechtlichen Vorstellung deutet, der Irrtum schließe den Willen und damit auch den consensus als die Summe zweier Willen aus. Diese findet sich schon bei Lauterbach, Collegium theoretico-practicum a pandectarum, lib. 18 tit. I § CV, S. 857 der Ausg. Tübingen 1778: ,error, qui scientiae refragatur, et per consequens voluntatem excludit, ac consensui est contrarius. ... Hinc, si contrahentes errant circa id, quod principaliter respiciunt, naturaliter nullus est contractus. . Zu dem durch das nachfolgende Grotiuszitat manifesten Einfluß des Naturrechts auf Lauterbach Schermaier, Bestimmung 211 ff. 48 A.a.O., § 299, S. 163ff. 49 Schermaier, Bestimmung 332. 50 Allgemein Dießelhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen (1979) 51 N. 39; fllr das Irrtumsrecht: Winkel, Die Irrtumslehre, in: Feenstra, Zimmermann, Das römisch-holländische Recht (1992) 232f., Zimmermann, AcP 193 (1993) 147 und Schermaier, Bestimmung 180, die sich zu Recht auf De jure belli ac pacis, Iib. III cap. XXIII § IV berufen; dazu unten § 9 III I. Nicht zu unterschätzen ist auch das Argument von Schwaab, Zum Irrtum beim Vertragsschluß (1999) 35 N. 87, der bemerkt, daß Grotius den entscheidenden Teil des Vertragsrechts unbearbeitet gelassen hätte, wenn er sich bei seinen Ausfllhrungen auf die promissio als streng einseitiges Versprechen be46 47
§ 7 Vom Irrtum über den Vertragsinhalt zum Sachverhaltsirrtum
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re Geltung allein dem Willen des Promittenten. Dessen irrtümliche Ansicht von der Wirklichkeit ist Bedingung seines Willens und damit auch der promissio. 51 Ihr Ausfall bewirkt die Ungültigkeit des Parteiakts und damit auch des Vertrags: Similiter ergo dicemus, si promissio fundata sit in praesumtione quadam facti quod non ita se habeat, naturaliter null am ejus esse vim: quia omnino promissor non consensit in promissum, nisi sub quadam conditione, quae re ipsa non exstitit: ... 52 Die Wirkung dieser Lehre auf das hergebrachte Konsenserfordernis stellt der Grotiuskommentator Heinrich Cocceji dar. Er dürfte durchaus die Ansicht Grotius' treffen, wenn er den Mangel des consensus auf den Mangel in der Absicht des irrenden Vertrags partners zurOckfilhrt: Cum dispositio nihil aliud sit quam voluntati nostrae declaratio, facile constat, voluntatem non esse nisi praecedat scientia, cum ignoti nulla sit cupido: deficiente igitur scientia, uti deficit si errat, deficit consensus, eoque voluntas, adeoque negotium, quippe in quod consensum non est. 53
2. Pufendorf wandelt Grotius' Lehre ab und nimmt onerose Verträge, pacta genannt, hiervon aus: Für promissiones, die anders als bei Grotius nicht mehr Grundschema des Vertrages, sondern nur noch einseitige Leistungsversprechen sind, behält er den Begriff der ,praesumtio facti' bei. 54 Auch filr pacta gilt der Einleitungssatz, mit dem Pufendorf die Erörterung des Irrtumsrechts in den libir de jure naturae et gentium beginnt: Consensum porro, qui ad validitatem promissorum et pactorum requiritur, quam maxime impedit error; per quem contingit, ut intellectus a vero promissi pactive objecto deviet, adeoque voluntas revera in iIIud non consentiat. 55 Trotz der neuen AnknUpfung an das Konsenserfordernis löst der Irrtum ebenso wie bei Grotius einen unilateralen Mechanismus aus. Er bewirkt nicht erst die Divergenz der Parteiansichten oder -handlungen, sondern schon den Ausschluß der voluntas des irrenden Vertragspartners. Dieser ist infolge seines Willensmangels zum consensus unfilhig. Das Geschäft scheitert ohne Rücksicht auf Vorstellung und Verhalten der anderen Vertragspartei.
schränkt hätte. Anders nur Haupt, Die Entwicklung der Lehre vom Rechtsgeschäft seit der Rezeption (1941) 27, der sich allerdings selbst über die in der genannten Stelle angeordnete Gleichbehandlung des Irrtums bei promissiones und eontraet wundert. 51 Zum Charakter dieser eonditio unten § 9 III 1. 52 De jure belli ae pacis, !ib. 11 cap. XI § VI, S. 222 der Ausg. Amsterdam 1646 (Nachdruck New York 1995). 53 Grotius illustratus seu Commentarii ad Hugonis Grotii De jure belli ae pacis libros tres, demonstratio zur propositio lad lib. 11. cap. XI § VI, Bd. 2, S. 119 der Ausg. Breslau 1746. 54 Dejure naturae et gentium, lib. III cap. VI § 6, S. 277 der Ausg. Amsterdam 1688 (Nachdruck New York 1995). 55 Dejure naturae et gentium a.a.O.
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2. Kap.: Vom errar in maleria zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
Doppeldeutig ist Pufendorfs Bestimmung des Irrtums als Abweichung des intellectus vom verum objectum der promissio oder des pactum. Damit kann sowohl die Divergenz der Vorstellung vom objektiven Geschäftsinhalt als auch ihre Diskrepanz zur wirklichen Beschaffenheit des Gegenstands gemeint sein. Mit der rur promissiones geltenden Definition des Irrtums als unrichtiger ,praesumtio facti' verträgt sich freilich nur die zweite Erklärung. Daß sie auch Pufendorfs Verständnis des error bei pacta triffi, zeigt seine Analyse eines hier unterlaufenen Irrtums über den Geschäftsgegenstand: 56 Ast ubi error contigerit circa ipsarn rem, de qua convenitur, pactum vitiatur non tarn ob errorem, quarn quia legibus pacti non fuit satisfactum. Quippe cum in pactis ipsa res, de qua convenitur, ejusque qualitates cognitae debeant esse, citra quarn cognitionem liquidus consensus intellegi nequit. Unde defectu deprehenso, qui laedendus foret vel a contractu resilire potest, vel alterum ad supplendum defectum adigere; vel etiarn praestandum id quod interest, ubi ipsius fraus aut culpa intervenerit. 57 Pufendorf kommt zu dem Ergebnis, daß das pactum weniger am error circa ipsam rem als vielmehr an der Nichteinhaltung der vertraglichen Bestimmungen leidet. Diese verlangen eine Kenntnis von den Eigenschaften des Geschäftsgegenstands, ohne die ein ,liquidus consensus' nicht eintreten kann. Fehlt ein ,liquidus consensus " berUhrt dies freilich nicht den Bestand des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien, sondern ist Auslöser rur Rechtsbehelfe des geschädigten Teils. Er kann den Vertrag auflösen, den anderen Vertragspartner auf Beseitigung des Mangels oder Schadensersatz wegen culpa und fraus in Anspruch nehmen. Daß diese Rechte ihre Grundlage in einem wirksamen Vertrag haben, der ohne consensus über die qualitates rei auskommt, ergibt sich aus ihrer Bestimmung als Folgen der Nichteinhaltung von leges pacti. Offen ist zunächst, ob diese schon durch eine mangelnde Aufklärung des irrenden Vertragspartners 58 oder deshalb verletzt sind, weil sie vertragliche Bestimmungen über die Beschaffenheit des Geschäftsgegenstands sind59• Daß Pufendorf weder eine ausdrückliche noch eine' stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung erwähnt, legt nahe, daß Anknüpfungspunkt der Rechte des irrenden Kontrahenten bereits dessen fehlende Unterrichtung ist. Hierfür spricht auch die Verbindung von Aufklärungspflicht und Willens- und Konsensfrage, die Pufendorf unter dem Titel De aequalitate in contractibus6() herstellt. Zum Ausschluß des Willens 56
Zu dem hiervon unterschiedenen Fall eines Irrtums in den Beweggründen beim
paclum vgl. unten § 9 III 2.
De jure naturae et gentium, lib. III cap. VI § 7, S. 278. So Dießelharst, Zum Vennögensrechtssystem Sarnuel Pufendorfs (1976) 100fT. 59 So Schermaier, Bestimmung 193fT. Unentschieden Noda, lus commune 16 (1989) 57
58
86.
6()
Dejure naturae et gentium, lib. V cap. III, S. 480fT.
§ 7 Vom Irrtum über den Vertragsinhalt zum Sachverhaltsirrtum
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durch eine Fehlvorstellung über die Beschaffenheit der Gegenleistung heißt es dort: ... ergo nemo censetur per contractum in alium quidquam transferre velle, quam quatenus pro re sua quipollens recipere se judicat: et consequenter ex contractu non potest quis jus nancisci ad rem alterius, quam quantum iIIa ab ipso judicatur aequipoliere rei, quam pro eadem accipit. ... Porro ad isthanc aequalitatem inveniendam et determinandam requiritur, ut utrique contrahentium·res ipsa, et qualitates rei, de qua contrahendum est, aeque sint cognitae .... Ex quo consequens est, quod is, qui per contractum rem in alterum est translaturus, indicare debeat non solum qualitates rei aestimabiles, sed et privationes earundem, sive vitia, quantum quidem ipsi constat. ... 61
Ist der Vertragspartner seiner Aufklärungspflicht nachgekommen, lautet die Rechtsfolge consensus: Sicut et ob vitia a venditore indicata emtio non potest rescindi; quippe cum in ista velut conensisse emtorem manifestum Sit. 62
Gemeint ist hier der liquidus consensus, von dem Pufendorf im Irrtumsrecht spricht. Er ist nicht zur VertragsbegrUndung, sondern nur dazu erforderlich, daß der Vertrag reibungslos durchgefiihrt werden kann. 63 Sein Ausbleiben bewirkt keine Nichtigkeit, sondern nur Authebbarkeit des Vertrages. Alternativ kann er durch Erfiillung des Anspruch auf Mängelbehebung sogar noch nachträglich hergestellt werden. Eine Parallele findet diese Lehre in Heinrich Coccejis Überlegungen zur laesio enormis, in der er einen error in pretio erkennt. Dieser und der aus ihm folgende Konsensmangel können durch Authebung des Mißverhältnisses von Preis und Lieferung beseitigt werden: Et primum quidem integrum ei est, supplendo quod deest, evitare solvendi negotii necessitatem: cessat enim hoc ipso error in pretio, si, quatenus a vero aberraturn est, expletur; quo facto, sua jam conventioni plane constat ratio, aequato omnino consensu, emendatoque errore; utjam purgato omni vitio, fides negotii nulla ratione convelli amplius possit. 64
3. Daß nicht der error circa rem, sondern allein die Nichterfüllung der Vertragsbestimmungen Rechtsfolgen zeitigt, findet bei Thomasius eine tragflihige Erklärung. Er macht mit dem Begriff der conditio ernst, den schon Grotius und A.a.O. § If., S. 480f. A.a.O. § 5, S. 483. 63 Schermaier, Bestimmung 195 muß den liquidus consensus anders deuten. Er nimmt an, Pufendorf messe hieran die tatsächliche Beschaffenheit des Geschäftsgegenstandes und löse den Fall einer Divergenz mit Hilfe des Gewährleistungsrechts. Falls der Gegenstand hinter der Vorstellung eines Vertragspartners zurückbleibt, liegt Pufendorf zufolge jedoch überhaupt kein liquidus consensus vor. 64 Grotius ilIustratus seu Commentarii ad Hugonis Grotii De jure belli ac pacis libros tres, additio zu lib. 11 cap. XI § VI, S. 121 der Ausg. Breslau 1746; vgl. dazu auch Schermaier, Bestimmung 229f. 61
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5 Harke
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum Ober wesentliche Eigenschaften
Pufendorf als Synonym rur die ,praesumtio faeti' verwendet haben,6s und fordert rur deren Beachtung ihre vertragliche Absicherung durch regelrechte Bedingung. 66 Dies gilt auch ft1r den Irrtum über die qualitates rei. 67 Thomasius erscheint deren Beurteilung bei Pufendorf zwar im Ergebnis richtig, in der Herleitungjedoch unverständlich. Die leges paeti, von denen Pufendorfspricht, deutet er nicht als die Aufklärungspflichten des informierten Vertragspartners, sondern als Vereinbarungen über die Beschaffenheit des Geschäftsgegenstands. Für das Irrtumsproblem bleibt mithin ein unerledigter Bereich, nämlich die Fälle, in denen die Fehlvorstellung innerlich geblieben und nicht durch eine Bedingung abgesichert ist: Per leges pacti videtur intellegere conditiones, quae expresse in pacto adjecta sunt. Sed poterit tarnen etiam error contingere circa rei qualitatem, quae in pacto non est expressa. Quid ergo de his casibus statuendum?68 Betrachtet man diesen Irrtum wie Thomasius als unerheblich, bleibt Pufendorfs Ergebnis richtig: Ein Irrtum, der nur im Fall einer entsprechenden Bedingung beachtet werden kann, ist nicht mehr selbst Auslöser von Rechtsfolgen. Diese zeitigen nur die leges paeti, bei Pufendorf die Aufkärungspflicht, bei Thomasisus die Bedingung. Hier ist der beachtliche Irrtum vollständig mit dem GeschäftsinhaIt verschmolzen. Daß er statt der außergeschäftlichen Wirklichkeit den Geschäftsinhalt betreffen kann, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil dieser gerade Maßstab rur die Relevanz des Irrtums ist.
65 Dazu unten § 9 III 2. Zu den Einzelheiten unten § 9 III 3. 67 Ähnlich ist die Auffassung Samuel Coccejis, der den von ihm herausgegebenen Grotiuskommentar seines Vaters um die kritische Bemerkung ergänzt, ein Irrtum könne stets nur dann Beachtung finden, wenn sein Gegenstand Eingang in den vertraglichen consensus gefunden habe: ,Nam in promissis jus oritur ex eo solo in quod uterque con66
sensit: hinc valet promissio etsi forte alteruter in circumstantiis, in qualitate, etc. erraverit, adeoque in facto aliquo se fundaverit, quod aliter se habet. Cum enim de sola re actum, ac de ea inter utrumque consensum sit, error unius in qualitate rei, de qua nihil inter partes actum est, non tollit, nec minuit obligationem circa rem . • Ein Unterschied
zu Thomasius besteht freilich insofern, als Cocceji als beachtlichen Irrtum neben dem bedingungsbewehrten error in qualitate noch den error in re als einfachen Konsensmangel anerkennt: ,Si erratum est in re, tunc deficit obligatio non ob defectum condi-
tionis, sed ob defectum consensus, quia tum non est consensus duorum de eadem re . ... Si qualitate sallem erratum, nec de ea aliquid actum est, omnino partes in promissum consentiunt, quia in re eonveniunt. Adeoque verum non est sub conditione promissum esse: quia disponentes pure eonsentiunt neque oratione ulla aliquid infuturum eventum suspendunt, quod tamen ad 'essentiam eonditionis requiritur '; vgl. Grotius iIIustratus seu Commentarii ad Hugonis Grotii Dejure belli ae paeis libros tres, n. u und w zu \ib. 11 cap. XI § VI, S. 124f. der Ausg. Breslau 1746. AusfUhr\ich zu Samuel Cocceji Sehermaier, Bestimmung 302ff. 68
lnstitutionumjurispurdentiae Divinae libri tres, Iib 11 cap. VII § 47 n. I, S. 142
der Ausg. HallelMagdeburg 1720.
§ 8 Von der Gattungsverwechslung zum Eigenschaftsirrtum
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4. Dies bleibt der Standpunkt der naturrechtlichen KodifIkationen in deutscher Sprache: 69 Der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis macht die BeachtIichkeit des Irrtums in einem ,Nebending' von dessen "ausdrUcklicher Bedingniß" abhängig,70 das ABGB von 1811 die Rücksicht auf eine IrrefUhrung in einem ,Nebenumstand' von der Erklärung der darauf gerichteten "vorzüglichen Absicht".71 Das ALR verlangt ftlr die Anerkennung von Irrtümern über die Eigenschaften von Person oder Sache, daß diese entweder ausdrücklich im konkreten Geschäft oder zumindest gewöhnlich vorausgesetzt werden. 72
§ 8 Von der Gattungsverwechslung zum Eigenschaftsirrtum Daß der römische error zum Sachverhaltsirrtum mutiert und in diesem Zustand bis zum 19. Jahrhundert verblieben ist, hängt nicht nur mit dem Verlust seines Anküpfungspunktes im objektiven Geschäftsinhalt zusammen. Zwar ist ein Irrtum über den Inhalt des Rechtsgeschäfts von vornherein undenkbar, wenn der objektive Geschäftsinhalt ohne Eigenwert und entscheidend nur der Abgleich der Parteivorstellungen ist. 73 Zu diesem allgemeinen Wandel tritt beim error in materia und error in sexu aber noch ein spezifIscher Funktionsverlust. Beide IrrtumsfIguren verlieren schon früh ihre Identifikationsaufgabe und gelten fortan nur noch als Irrtum über Eigenschaften eines anderweit individualisierten Gegenstands: I. Ebenso unscheinbar wie die Entwicklung vom Erklärungs- zum Sachverhaltsirrtum vollzieht sich in den Basiliken die Abkehr von Ulpians Gattungsbegriff als Grundlage seiner Irrtumslehre. Zwar behält der byzantinische Paraphrast die Kategorie des dissensus in materia bei. Die Zusammenstellung mit den anderen Irrtumskategorien in Bas. 19.1.9 verrät jedoch ein gewandeltes Verständnis der materia als Gegenstand von error und dissensus: Bas.19.1.9 Oi 1tOOAoi'itE~ KCXt oi dyopa~OvtE~ ecxv lhxovoroo\ 1tEpt tO tljlTJllCX, i\ tO 1tpäYjlcx, i\ tT\v
ilATJV, OUK fppootcx\ "" 1tpäo\~· tUXov yap eyoo nEtpov' Ev6jl\~oV 1tOOAEtV, KCX\ ouncxi'iAov d~opa~\V· i\ XCXAKO~ dvtt xpuooi'i e1tOAEttO. Si venditores et emptores in pretio dissentiant, vel in re, vel in materia, venditio non valet: fortasse enim Petrum ego me vendere putabam, tu te Paulum emere: vel aes pro auro vendebatur.
Die Ersetzung des ulpianischen ,dissensus in quo alio' durch den dissensus in materia zeigt, daß die Verwechslung des Geschlechts nicht mehr zu den be69 70
71
72 73
Dazu im einzelnen unten § 9 IV 2.
§ 25 IV 1 CMBC.
§§ 871, 872 ABGB 1811. §§ 77, 81 14 ALR. Diese Regelung muß das Lob von Flume, AT3 II 483 finden. Dies erkennt auch Schermaier, Bestimmung 159.
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2. Kap. : Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
deutsamen Irrtumsfllllen gezählt wird. Bei Ulpian war sie noch notwendiges Gegenstück zum dissensus in materia. Dieser galt nur rur unbelebte Kaufsachen, während der error in sexu den Bereich der lebendigen Kaufgegenstände abdeckte. Materia und sexus ergänzten sich so gegenseitig als Merkmale, mit der sich die Gesamtheit aller Kaufsachen der Gattung nach erfassen läßt. Daß der byzantinische Paraphrast bei der Aufzählung der bedeutenden Dissensflllle auf den dissensus in sexu verzichtet, offenbart Unverständnis oder Abkehr von Ulpians Gattungsbegriff. Noch deutlicher kommt diese Haltung in der Umbennenung des ulpianischen dissensus in corpore zum Ausdruck. Sein Gegenstand heißt nun nicht mehr corpus (aci}J.Lu), sondern res (1tpäwu). Er betriill die Kaufsache selbst und nicht nur deren Gestalt. Gemeinsam mit materia und sexus war diese für Ulpian nur Element der Gattungsauswahl und Identifikation. Der byzantinische Autor widmet dem Fehlschlag bei der Bestimmung der Kaufsache statt dessen noch eine Dissenskategorie, den dissensus in re. Die materia und der schon gar nicht mehr zu den Hauptdissensfiillen gerechnete sexus können demnach nur noch Eigenschaften der anderweitig bestimmten Kaufsache sein. Ohne es zu merken, schließt sich der Byzantiner also der Auffassung Marcellus' an, vermeidet es jedoch, hieraus dessen Schluß auf die Unbeachtlichkeit des error in materia zu ziehen. Zu der umgekehrten Folgerung vorzudringen und den dissensus in qualitate rur beachtlich zu erklären, verbietet dem Paraphrasten die Achtung vor dem Originaltext. Dieser Schritt bleibt den Glossatoren vorbehalten, die sich, wie bereits gezeigt,74 auch die byzantinische Vorstellung des error als Sachverhalts irrturn zu eigen machen. 11.1. Daß schon Rogerius nicht mehr zwischen und error in materia und error in qualitate trennt, entnimmt Schermaier7s zu Recht seiner Einfllhrung der neuen Kategorie des error in bonitate. Mit dieser bezeichnet Rogerius den unbeachtlichen Irrtum über die Güte eines Stoffs als Gegenstück zum beachtlichen error in materia, dem Irrtum über die Stoffart: Sed si in corpore consentiamus et in materia error sit, nulla est venditio, puta aes pro auro, plumbum pro argento, aceturn pro vino; sed si in bonitate rei error del'rehendatur, valet emptio, ut puta aurum invenitur esse deterius quam esse putabatur.76
Daß Rogerius den error in qualitate nicht nennt, legt den Schluß nahe, daß er error in materia und error in bonitate als seine Erscheinungsformen begreift. Der Irrtum über die StotTart ist wesentlicher, der Bonitätsirrtum unwesentlicher error in qualitate. Siehe oben § 7 11. Bestimmung 47. 76 Summa codicis 3.41, S. 77 der Ausg. Bologna 1913. 74
75
§ 8 Von der Gattungsverwechslung zum Eigenschaftsirrtum
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Überhaupt keinen Unterschied zwischen error in qualitate und error in materia macht Placentinus. Seine Aufzählung der beachtlichen Irrtumskategorien schließt mit dem error in qualitate, auf den die ulpianischen Beispielsflille in leicht veränderter Form folgen: Item invalida est emptio, si dissentiatur in contractu, in pretio, in sexu, si erratur in corpore, vel rei materia, sive in qualitate, puta: si aes pro auro, vel plumbum pro auro veneat.
Azo und die Glosse deuten Ulpians Fälle des error in materia immerhin als Beispiele rur einen error in substantiali qualitate. In Azos Summa eodicis77 heißt es: Item nulla est emptio si non in ipso corpore erratur sed in substantia i.e. substantiali qualitate ve1 materia ut puta si es pro auro vel plumbum pro argento vel aliquid aliud argento simile. Quid si acetum veniat pro vino certe venditio tenet si modo vinum acuit quia aeadem prope usia est Le. substantialis qualitas .... Ubi autem non erratur in substantiali qualitate rei, sed in bonitate ut quia vendis mihi aurum quod puto esse melius quam sit venditio tenet. ... Ubi atque in parte eius quod venditur errant partes in substantiali qualitate, sed in alia parte non errant, tenet venditio quantum ad eam partem qua non errant, non quantum ad aliam .... 78
Auch die Glossa ordinaria stellt materia und qualitas substantialis gleich und erläutert mit diesem Begriff sowohl substantia als auch ouma.. 79 Odofredus, der dem gewöhnlichen error in qualitate ausdrücklich die Anerkennung versagt,80 nennt den beachtlichen Stoffirrtum in seiner Leetura super Codieem 81 error in substantiali qualitate. Zwar läßt sich unter qualitas substantialis nur die "stoffliche Eigenschaft" der Kaufsache verstehen. 82 Die Gegenüberstellung mit der seit Rogerius bekannten bonitas als unerheblicher Eigenschaft spricht jedoch ebenso rur eine Ad CJ 4.38, S. 153 der Ausg. Turin 1966. Anders als Schermaier, Bestimmung 49 erkenne ich hier weder die eigenständige Irrtumskategorie eines error in parte noch eine Verbindung zu der Lehre von Rogerius und Jason de Mayno, die die Nichtigkeitsfolge beim Stoffirrtum davon abhängig machen, daß die Sache nur zum geringeren Teil aus der angenommenen Materie besteht; vgl. dazu oben . 79 Vgl. GI. substantia und OVUla zu D 18.1.9.2. Als Urheber des Begriffs ,substantialis qualitas' macht Schermaier, Bestimmung 42ff. Martinus aus. 80 Praelectiones in secundam Digesti veteris partem (Lectura super Digestum vetus), ad D 18.1.9, fol. 95 der Ausg. Lyon 1552; dazu Schermaier, Bestimmung 52. Unklar erscheint mir noch der Zusammenhang zu der aus D 44.7.57 gewonnen allgemeinen Formel: . item deficit emptio. ubicumque circa idem non consentimus', die in den Praelectiones in primam Codicis partem, ad C 4.38, fol. 243 der Ausg. Lyon 1552, erscheint. 81 A.a.O., fol. 242. 82 Unbeantwortet muß daher jedenfalls die Frage nach dem philosophischen Standort der qualitas substantialis bleiben. Damit beschäftigen sich OUe, Dialektik und Jurisprudenz (1971) 52, Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine (1991) 58 und Schermaier, Bestimmung 43. 77 78
70
2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
Übersetzung als "wesentliche Eigenschaft"s3 wie die wahlweise Verwendung von error in essentia und error in substantia beim Irrtum über die SachexistenzS4 • 2. Selbst wenn die Glossatoren nur zu dem Begriff der stofflichen Eigenschaft durchgedrungen sein sollten, liegt hierin schon ein erheblicher Fortschritt gegenüber der byzantinischen Lehre. Diese hat den error in materia nur der Sache, nicht dem Namen nach zum Eigenschaftsirrtum degradiert, indem sie den error in corpore als solchen in re und damit als einzige Irrtumskategorie versteht, welche die Identifikation des Geschäftsgegenstands betrifft. Den Schritt vom error in corpore zum error in re macht auch Odofredus. S5 Ansonsten halten sich die Glossatoren an den quellenmäßigen Begriff des error in corpore. Daß sie hierunter jedoch nicht mehr den Irrtum über die Gestalt, sondern ebenso wie die Byzantiner den Irrtum über die Kaufsache selbst verstehen, zeigt die GI. absentem zu D 18.1.9pr.: quid si praesens esset? Respond. idem: si tarnen putabat hunc esse alium, quam per famam perceperat. alias non idem. et idem dicas in matrimonio, si credam filiam talern accipere, cum alia sit. non enim consensi in hanc. sed in eam, quam putavi .... Item quid si dico vendo Flaccum pistorern, cum sit fullo: et quidam alius si fullonicus sit pistor? Respon. distingue an venditor nomina servorum habeat nota, ut tunc ille, qui nominatus est, debeantur, an non, et tunc ille, cuius artificum sit expressum: ...
Für Ulpian war ein error in corpore beim Vertrag über eine präsente Kaufsache noch undenkbar. Eine Fehlvorstellung über die Gestalt des Geschäftsgegenstands kann hier nicht auftreten. Bei Accursius, der zum Beleg auf das Eherecht und ein gewaltsam umgeformtes Beispiel aus dem LegatsrechtS6 verweist, ist der error in corpore dagegen zum Irrtum über die Kaufsache selbst geworden,s7 so daß die Anwesenheit des Objekts die Berufung auf einen error in corpore nicht 83 So vorsichtig auch Schermaier, Bestimmung 44, 48. Wieso die Bestimmung des Begriffs OU(Jla weiterreichende Schlußfolgerungen zulassen soll als die Definition von substantia oder materia, verstehe ich freilich nicht. Bei Ulpian unterscheiden sich die Begriffe nur insofern, als materia den juristischen Fachbegriff abgibt, während substantia und OU(Jla freiere sprachliche Variationen sind. 84 Dazu oben § 7 11 3. 8S Vg!. Praelectiones in primam Codicis partem, ad C 4.38, fo!. 242 der Ausg. Lyon 1552, wo Odofredus von error in re spricht, und Praelectiones in secundam Digesti veteris partem, ad D 18.1.9, fo!. 95 der Ausg. Lyon 1552, wo dieser Irrtum error rei heißt. 86 Der Fall desfullo und pistor stammt aus D 34.5.28 Iav 3 post Lab. In die vertraglichen Irrtumsflille eingereiht finden wir ihn schon in Azos Summa codicis ad 4.38 de contrahenda emptione et venditione, S. 153 der Ausg. Turin 1966, wo er mit dem Satz ,error nominis non nocet' verbunden ist. 87 Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine (1991) 57ff. triffi das Richtige, wenn er unter corpus im Sinne der Glossatoren ,individual thing' versteht. Seine gleichlautende Übersetzung des Ulpian-Textes, den er ohne nähere Untersuchung abschätzig als ,some confused remarks' beurteilt, zeigt freilich, daß die korrekte Übertragung des glossatorischen Begriffs ein Zufallsprodukt ist.
§ 8 Von der Gattungsverwechslung zum Eigenschaftsirrtum
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mehr ausschließen kann. Betrifft der error in corpore aber die Identität der Sache schlechthin,88 können error in materia und error in sexu nur Eigenschaftsirrtümer sein. 3. Sind Stoff- und Geschlechtsirrtum ihrer Identifikationsaufgabe beraubt und zum Eigenschaftsirrtum umgetauft, haben sie zwar das Potential zu einem umfassenden Anwendungsbereich, der mit dem error in qualitate personae auch das Eherecht umfaßt. 89 Neu stellt sich jetzt aber auch die Frage nach dem Grund ihrer Berücksichtigung. Für das Kaufrecht findet die Glosse eine Antwort durch den Vergleich mit der Stipulation. Daß der Stoffirrtum beim llirmlichen Schuldversprechen unbeachtlich ist, ergab sich fUr die klassischen Juristen noch aus dem Formgebot, das beim Speziesgeschäft nur eine Identifikation über das corpus zuläßt. 90 Die GI. huius aeris zu 0 45.1.22 fUhrt die Unbeachtlichkeit des error in materia dagegen auf den strengrechtlichen Charakter der Stipulation zurück. Daraus folgt im Gegenschluß, daß die Anerkennung von Stoff- und Geschlechtsirrtum beim Kauf eine Funktion der bona jides ist. Da die Kaufsache durch den consensus in corpore bereits hinreichend bestimmt ist, kann die Wirkung von error in materia und error in sexu nicht mehr der Lehre von der VertragsbegrOndung zugeordnet werden. Statt dessen muß sie aus den Rechtsfolgen des Kaufs erklärt werden. Zu diesen gehört das Gebot der bonajides, das den Geschäftspartner der irrenden Vertragspartei zur Rücksichtnahme auf deren Fehlvorstellung verpflichten soll. Der Frage, ob die bona jides zumindest bei einer Täuschung nicht gerade die Wirksamkeit des Vertrages und eine daraus folgende Haftung gebietet, brauchen die Glossatoren nicht nachzugehen. Seit Placentinus gilt nämlich der aus D 19.1.21 pr. gewonnene Satz, daß dem getäuschten Vertrags partner trotz N ichtigkeit des Vertrags die Kontraktsklage offensteht.91 4. Die Umdeutung der Gattungsverwechslung in einen Eigenschaftsirrtum und dessen Verankerung im Gebot der bona jides können den Rang historischer Konsequenz beanspruchen. Die Struktur der emptio venditio hat bei den Glossatoren nämlich eine entscheidende Wandlung erfahren. Sie liegt in der Erstrek-
88 Diese Bedeutung des Be$riffs corpus zeigt auch die GI. ouma zu D 18.1.9.2, die die von U1pian beobachtete Ahnlichkeitsbeziehung von vinum und gesäuertem Wein (,quia prope eadem OVUla est ') aus der Identität des corpus herzuleiten versucht: .prope autem ideo dicit. quia vinum est calidum. et humidum: sed acetum jrigidum et siccum: corpus autem idem esse negari non postest. de quo uterque sensit. ' 89 Zur Entwicklung des Irrtums Ober persönliche Eigenschaften, vor allem im Eherecht, ausftlhrlich Schermaier, Bestimmung 54ff., I 65ff., 398 sowie FS Mayer-Maly (2002) 666ff. 90 Dazu oben § 6 112. 91 Siehe oben § 7 11 2, III.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
kung des Geschäfts auf den Gattungskauf. 92 Dem klassischen Recht, das die emptio venditio als einen zwar obligationsbegründenden, aber dennoch objektgebundenen Zuordnungsakt kennt, ist eine generische Bestimmung der Kaufsache noch fremd. 93 Ihre Zulassung durch die Glossatoren bewirkt eine Annäherung an das Recht der Stipulation, die schon in römischer Zeit reines Verpflichtungsgeschäft ist und daher auch als Gattungsversprechen zur Verfilgung steht. Da schon die klassischer Juristen keine Einschränkung fur die Präzision machen, mit der die Gruppe möglicher Leistungsobjekte bestimmt wird,94 ist die Grenze zwischen Gattungs- und Qualitätsmerkmal hier aufgehoben. Mit der Angleichung von Stipulation und Kauf als Gattungsgeschäft korrespondiert die Umdeutung der Gattungsverwechslung in einen Eigenschaftsirrtum. Der durch den Quellenbefund bei der Stipulation nahegelegten Konsequenz, daß der Eigenschaftsirrtum generell unbeachtlich ist, können sich die Glossatoren durch die Verankerung des error in qualitate substantiali im Gebot der bonafides entziehen Diese trennt emptio venditio und stipu/atio und vermag der unterschiedlichen Behandlung des Eigenschaftsirrtums eine vordergründige Rechtfertigung zu geben. III. Ausgebaut finden wir die von den Glossatoren begründete Lehre bei den Kommentatoren. Diese übernehmen den Begriff der qua/itas substantialis 95 und widmen sich eingehend der Erklärung seiner divergierenden Bedeutung bei Kauf und Stipulation. Petrus de Bellapertica stößt zum Grund der Verpflichtung auf die bona fides vor, indem er filr die Beachtlichkeit des error in materia das Austauschverhältnis beim Kauf6 verantwortlich macht. Der Verkäufer, der Erz statt Gold hingibt, sei ungerechtfertigt bereichert, weil er den Preis filr Gold er-
92 Vgl. vor allem Azo, Summa Codicis, ad CJ 4.48, S. 158 der Ausg. Turin 1966, ferner die GI. Ieetos emptos zu D 18.6.13, die GI. vaeneant zu CJ 4.48.2 und die GI. qualitatis zu CJ 4.49.12. Ernst, SZ 114 (1997) 343f. glaubt, der Schritt der Glossatoren sei durch die Kompilatoren vorbereitet worden, welche klassische Entscheidungen zu Gattungsgeschäften dem Kaufrecht zuordneten. Hierin läge eine interessante Parallele zur Umdeutung der Gattungsverwechslung in einen Eigenschaftsirrtum, die von den byzantinischen Juristen ebenfalls nur der Sache nach vollzogen, aber erst von den Glossatoren zum begrifflichen Ausdruck gebracht worden ist; vgl. oben I, 11 I. 93 Ausführlich Ernst, SZ 114 (1997) 300ff. 94 Vgl. D 45.1.74 Gai 8 ed prov, D 45.1.75.2 Ulp 22 ed, D 45.1.94 Marce1l3 dig. 9S V gl. Albericus de Rosate, In seeundam Digestum veteris partem eommentarii, ad D 19.2.21.2, fol. 150 der Ausg. Venedig 1585, Baldus de Ubaldis, Commentaria in Digestum vetus, ad D 18.1.9, Bd. 2, fol. 104 der Ausg. Turin 1551, Jason de Mayno, In seeundam Digesti novi partem eommentaria, ad D 45.1.22, fol. 46 der Ausg. Turin 1553. 96 Vgl. Harke, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2001, 44f.
§ 8 Von der Gattungsverwechslung zum Eigenschaftsirrtum
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halte, obwohl ihm nur der Gegenwert von Erz gebühre. Anders sei dies bei der Stipulation, deren Wirkung nicht von einer Gegenleistung abhängig ist: 97 Dico, ubi vendis mihi aes pro auro, non valet venditio, quia tu precium pro aere debes habere, et multum plus habes quam deberes, si teneret venditio, sed in stipulatione bene procedit stipulatio in aere, quia non est par et eadem ratio lucrum non capere, et damnum sentire ... 98
Bartolus filhrt diesen Gedanken fort, indem er bei der Stipulation auf deren causa sieht und die stipulatio onerosa von der stipulatio lucrativa sondert. Die stipulatio onerosa unterwirft er dem Irrtumsrecht des Kaufs, nur filr die stipulalio lucrativa soll die in D 45.1.22 angeordnete Irrelevanz des Stoffirrtums gelten. Sie ergibt sich filr Bartolus daraus, daß unabhängig vom Stoffirrtum stets eine Bereicherung des Gläubigers eintritt: ... quod hic loquitur in stipulatione lucrativa, ideo non vitiatur stipulatio: quia non deficit consensus. sive enim sit aurum, sive aes, lucror. 99
Bartolus' Worte lassen sich als willenstheoretische Überlegung deuten, derzufolge der stipulator trotz seines Irrtums stets einwilligt, weil ihm mit dem Anspruch auf einen ehernen Gegenstand mehr gedient als mit der Nichtigkeit des Versprechens. 100 Weil dies jedoch auch bei stipulationes onerosae der Fall ist, liegt es näher, Bartolus' Aussage auf den objektiven Vertragszweck zu beziehen. Anders als bei der stipulatio onerosa wird dieser bei einer stipulatio lucrativa immer erreicht. Jason des Mayno kehrt demgegenüber wieder zum Standpunkt der Glosse zurück. Allein diesen hält Jason filr vereinbar mit den Quellen. Er gibt ihm jedoch ein breiteres Fundament, indem er auf die Parallele beim dolus verweist, welcher den Kauf nichtig oder zur Grundlage eines Schadensersatzanspruchs, die Stipulation allenfalls undurchsetzbar und zur Anspruchsgrundlage nur bei einer clausula doli macht: ergo reperitur error vitiat contractus bonae fidei. secus in stipulatione, et in aliis contractibus stricti iuris. hinc videmus quod dolus dans circam contractui bonae fidei annullat ipso iure contractum. secus in contractibus stricti iuris .... hinc et videmus quod quamvis in contractibus non sit apposita c1ausula bonae fidei tarnen agitur de dolo ex ipso contractu, secus in stipulatione.. .. et ista differentia videtur mihi esse
97 Schermaier, Bestimmung 71 sieht hier eine Parallele zu der Lehre Thomas' von Aquin, schreckt wegen des bei Petrus zu findenden Zitats von Cl 4.44.2 jedoch vor der Annahme eines direkten Einflusses zurück. 98 Commentaria in Digestum novum, ad D 45.1.22, S. 223f. der Ausg. Frankfurt a.M. 1571. 99 In secundam Digesti novi partem Commentaria, ad D 45.1.22, fol. 16 der Ausg. Turin 1589. 100 So offenbar Schermaier, Bestimmung 81 unter Hinweis auf den Kommentar von Rainerius de Forlivio.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum Ober wesentliche Eigenschaften de mente iurium, tanto fortius quia nulla lex reperitur, quae dicat, quod error in materia vitiat stipulationem ... 101
IV. Den Schwachpunkt von Jasons Lehre lO2 haben die jüngeren Vertreter der französischen Schule entdeckt. Sie sprechen statt vom error oder dissensus in corpore unbefangen vom error oder dissensus in re lO3 und verleihen dem Begriff der qualitas substantialis endgültig die Bedeutung einer wesentlichen Eigenschaft lO4 • Daß deren Irrelevanz bei der Stipulation nicht aus dem strengrechtlichen Charakter des Schuldversprechens folgen kann, erweisen sie an D 13.7.1.2. lOS Darin erklärt Ulpian unter Berufung auf den consensus in corpore die Verpflindung eines ehernen Gegenstands rur wirksam, obwohl der Schuldner ihn rur golden ausgegeben hat. Da das pignus ebenso wie die emptio venditio und anders als die Stipulation dem Gebot der bona jides unterliegt, kann diese auch nicht Grund rur die Anerkennung des error in materia sein. Die Verwandtschaft von pignus und stipulatio, die sich aus der strukturellen Ähnlichkeit von Übertragungsakt und formgebundener BegrUndung einer Speziesschuld
101 In secundam Digesti novi partem commentaria, ad D 45.1.22 n. 4, 5, fol. 46 der Ausg. Turin 1553. 102 Sie findet sich noch bei Lauterbach, Collegium theoretico-practicum a pandectarum, lib. 18 tit. I § CX, S. 859 der Ausg. TObingen 1778 und Voet, Commentarius ad Pandectas, ad D 18.1 n. 6, Bd. I, S. 765 der Ausg. Den Haag 1734. 103 Vgl. Connanus, Commentatorium luris Civi/is Ubri X, lib. VII cap. VI, S. 497 der Ausg. Lyon 1566, Donellus, Commentatorium de lure Civili Iibrum XII cap. 7 § 5, Opera Omnia III, Florenz 1841, Sp. 495( Faber, Rationalia in teriam partem Pandectarum 11, ad DI8.1.9pr., S. 213 der Ausg. Lyon 1563, gibt seine Haltung dadurch zu erkennen, daß er ebenso wie die GI. absentem zu D 18.1.9pr. (dazu oben § 8 112) die Anwesenheit des Kaufobjekts nicht als Ausschlußgrund, sondern nur als Beweiserschwernis fllr einen error in corpore ansieht: ,... quamvis si constaret de alio me sensisse, non eo minus venditio impediretur, ut bene concludit Accursius, sed dissensus eo casu a me probandus esset; et iusta, aut saltem probabilis dissentiendi causa, propter praesumptionem, quae ex servi venditi praesentia nascitur, et quae transfert in me onus probandi '. Auf den mit der Einsicht in die Beweislast verbundenen Vorrang objektiver Auslegung weist Schermaier, Bestimmung 112 hin. 104 So eindeutig Faber a.a.O., S. 214: , ... diversitas materiae et substantiae quamvis non inducat diversitatem corporis, inducit tamen diversitatem rei, cum unaquaeque res estimetur ex sua substantia, id est, ex materia et forma, quae totam rem componunt. ' Ähnlich schon Cuiacius, ad D 45.1.22, Opera I, Venedig 1778, Sp. 1023: , ... qua/itas enim sumitur pro dijJerentiae substantiae, ut puta materiae ve/ formae, atque ita scyphus aeneus et scyphus aureus dijJerunt substantia, materia, qualitate. ' Auf die Gleichsetzung von materia, substantia und qualitas in Recitationes so/emnes, ad D 18.1.9.2, Opera VII, Modena 1779, Sp, 680 weist bereits Schermaier, Bestimmung 100 hin. Den Ausdruck qualitas substantialis verwendet Cujaz in seinem Kommentar zu D 19.1.21.2, vgl. Recitationes so/emnes, Opera VII, Sp. 769. 105 So Cujacius, ad D 45.1.22, Opera I, Venedig 1778, Sp. 1023, Donellus, Commentarii in se/ectos quosdam titu/os Digestorum, ad D 45.1.22, Opera Omnia XI, Florenz 1847, Sp. 719, Faber, Rationalia in teriam partem Pandectarum 11, ad DI8.1.9pr., S. 214 der Ausg. Lyon 1563.
§ 8 Von der Gattungsverwechslung zum Eigenschaftsirrtum
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ergibt,l06 bleibt den Humanisten freilich verborgen. 107 Sie filhren die von Jason de Mayno verworfene Ansicht Bartolus' weiter und geben ihr ein eindeutig willenstheoretisches Gepräge, indem sie statt an den Vertragszweck an das Konsenserfordernis anknüpfen. 108 1. Vorbereitet finden wir diesen Schritt bei Duarenus, der die Relevanz des Stoflirrtums beim Kauf noch auf die bona fides zurückfUhrt: Nam bona fides, cuius maxime in huiusmodi iudiciis, ratio habenda est, non patitur, ut teneat emptio eius rei, quam alioquin forte empturus non eram. 109
Daß der Vertrag in Kenntnis der wirklichen Beschaffenheit des Gegenstandes nicht abgeschlossen worden wäre, dient Duarenus nur zur Ausfüllung des wertenden Maßstabs der bona fides. Cujaz akzeptiert diese nicht mehr als Grund für die Beachtlichkeit des Stoffirrtums. An ihre Stelle tritt bei ihm das objektive Interesse der irrenden Vertragspartei. Dieses gebiete eine Aufrechterhaltung von pignus und gewöhnlicher stipulatio, bei denen der Gläubiger ansonsten leer ausginge. Beim Kauf und der auf seiner Grundlage abgeschlossenen Stipulation habe der zu seinem Nachteil irrende Käufer dagegen ein Interesse an der Unwirksamkeit der Vereinbarung: ... deducto aere pro auro, pignus et stipulationem nullam esse dixeris, nihil superfuerit in obligatione. At creditoris et stipulatoris interest, ut aes saltem sit in obligatione. Alia est ratio emptionis: nam in ea interest emptoris potius ne ullo modo in aere emptio consistat, quod venditum est pro auro. Eadem est condicio stipulationis ex causa emptionis interpositae. Nam ... stipulatio emptionis naturam emptionis sequitur. IIO
2. Die Verbindung mit dem Konsenserfordernis stellt Donellus her. Er leitet aus der unterschiedlichen Interessenlage bei Kaufund Stipulation eine dissimilitudo voluntatis ab. Dem stipulator unterstellt Donellus die stete Bereitschaft zum Abschluß des Vertrages, weil dieser nur einbringt, was der stipulator ohne eigenen Nachteil erlangen kann:
106 Siehe oben § 6 11 2 N. 3.
107 Nahe kommen ihr Alciatus, Commentarius in Digesti titulum de verborum ob/igationibus, Opera Omnia 11, Frankfurt a.M. 1649, S. 351, der Vereinbarungen über die Beschaffenheit des versprochenen Gegenstands für formbedürftig hält, und Zasius, Lectura in titulum de verborum ob/igationibus Digesti novi, ad D 45.1.22, Opera Omnia IV, Lyon 1550, S. 288, der die Besonderheit eines Vertrages stricti iuris darin erkennt, daß der consensus hier nur den Vertragsschluß selbst tragen muß, während bei den Verträgen bonaefidei auch ein Übereinkommen über deren Folgen und accessoria erforderlich ist. Ungelöst bleibt hierbei freilich, warum Paulus in D 18. I.34pr. (33 ed) den dissensus über die accessio beim Kauf für unbeachtlich hält. 108 Schermaier, Bestimmung III erkennt hierin bereits das "Kausalitätskriterium". \09 Duarenus, Commentarii in /ib. XLV Pandectarum, ad D 45.1.22, Opera, Frankfurt a.M. 1592, S. 735. 110 Cujacius, ad D 45.1.22, Opera I, Venedig 1778, Sp. 1024.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften Sed unde in eodem errore sensus contrahentium dissimilis? Mutata ratio utiIitatis creditoris in utroque genere hanc voluntatis dissimilitudinem facit. Nam in stipulatione qui certum corpus stipulatur, pro eo corpore nihil praestat, et dum nihil praestat, interest iIlius tale corpus habere potius quam nullum: eo etiam non minus consentire intelligitur, ut id quod sine incommodo potest, habeat. 111
Bei Faber wird hieraus wieder die schon von Duarenus gestelIte Frage, ob der Käufer oder Stipulator das Geschäft in Kenntnis der wirklichen Beschaffenheit des Gegenstands abgeschlossen hätte. Ihr Platz ist jedoch nicht mehr die Beurteilung nach der bona fides, sondern die Prüfung, ob ein Konsensmangel vorliegt, weil der Irrtum die Entscheidung zum Vertragsschluß beeinflußt hat: Itaque in huiusmodi emptione si valeret, duplex esset captio emptoris. Prima in eo quod emeret rem, quam alioquin non fuisset empturus, si in materia non errasset: altera in pretio quod longe minus obtulisset etiamsi aurum, sed aes nec argentum, sed plumbum empturus alioquin fuisset. quod in creditore et stipulatore diversum est qui cum ad nihil obligentur, nisi quod creditor id ipsum pignus quod accepit, resituere debet soluto quandocunque debito. Non possunt dicere se non fuisse contracturus, si in materia non errassent. Itaque ipsorum interest contractum tenere, etiamsi in materia erratum fuerit, si modo consensum sit in corpore. 112
3. Der zugrunde liegende Schluß vom Interesse auf den Willen leidet freilich an einer Unschärfe, die ihn als ErklärungsmodelI rur die Entscheidungen der römischen Juristen untauglich macht. Daß er nur einen fingierten Willen ausgibt, spürt schon DonelIus: .. . quare recte fit, si ei conceditur uti stipulatione in id saltem corpus, in quod stipulatio concepta est. Sic enim fiet, ut si aes contemnat, Iiberum sit ei non petere. Si mavult habere, saltem id consequatur, in quod potuit consentire; et quia sine damno hic consensus est, videtur etiam consensisse. 1I3 Auf die Zustimmung des Gläubigers, der kein aes haben und es auch nicht einfordern möchte, kann DonelIus nur deshalb schließen, weil ihm durch den Abschluß der Stipulation zumindest kein Schaden entsteht. Dies ändert freilich nichts daran, daß sich ein solcher Gläubiger in Kenntnis der wahren Sachlage gar nicht erst zum Vertragsschluß bereitgefunden hätte. Mangels praktischer Relevanz ließe sich dieser Fall vernachlässigen, wenn er nicht Ausdruck eines tiefer liegenden Problems wäre: Die Beurteilung nach dem objektiven Interesse des irrenden Vertragspartners beseitigt das Konsenserfordernis selbst. Auch bei einem error in corpore hat der vernünftige stipulator ein Interesse an der Vertragsgültigkeit. Mit einem Anspruch auf das falsche corpus ist ihm nämlich
Donellus, ad D 45.1 .22, Opera Omnia XI, Florenz 1847, Sp. 720. Faber, Rationalia in teriam partem Pandectarum /I, ad DI8.1.9pr., S. 214 der Ausg. Lyon 1563. 113 Donellus, Commentatorium de lure Civili librum X/I cap. 7 § 5, Opera Omnia III, Florenz 1841, Sp. 496. 111
112
§ 9 Handlungstheoretische und rechtsgeschäftliehe Bedingungslehre
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mehr gedient als mit der Nichtigkeit der Stipulation. 114 Daß diese nach den römischen Quellen gleichwohl nicht ohne consensus in corpore auskommt, offenbart deren Inkongruenz mit der humanistischen Interessenlehre. Wenn die Interessenlehre gleichwohl an die Stelle der glossatorischen und postglossatorischen Erklärung aus der bona fides tritt, ist dies dennoch nicht ohne historische Berechtigung. Die Deutung der klassischen Entscheidungen mit Hilfe einer aus dem Partei interesse gewonnenen Kausalitätsbetrachtung verwirklicht nur, was in dem Begriff der wesentlichen Eigenschaft schon angelegt ist: Dieser quellenfremde Ausdruck drängt zu einem willenstheoretischen Verständnis des Vertragsschlusses und zu der Frage: War die irrtümlich angenommene Eigenschaft in dem Sinne wesentlich, daß sie den Ausschlag zum Abschluß des Vertrages gegeben hat? Diese Frage ist älter als die humanistische Jurisprudenz, aber erst nach ihr zum allgemeinen Beurteilungsmaßstab ftlr den Irrtum geworden.
§ 9 Handlungstheoretische und rechtsgeschäftliche Bedingungslehre I. Den Anfang der Kausalitätsbetrachtung in der juristischen Irrtumslehre markiert die schon untersuchte Differenzierung Rogerius' im Fall des beiderseitigen Stoffirrtums. lls Da er diesen mit dem Problemkreis des Kaufs sine re vermengt, kann Rogerius die hierftlr geltende Regel nutzen, derzufolge über die Wirksamkeit des Kaufs die Existenz des Teils der Kaufsache entscheidet, auf den sich das Käuferinteresse richtet. Beim Stoffirrtum gelangt er so zu der Unterscheidung, ob die Sache wegen ihres corpus oder um ihrer materia willen erworben wird. In jenem Fall soll der Kauf gültig sein, solange die Sache nur über aliquid des vorgestellten Stoffs verftlgt; in diesem soll über die Wirksamkeit des Vertrags entscheiden, ob der angenommene Stoff überwiegt. Auch dieses Kriterium übernimmt Rogerius von Neraz' Unterscheidung beim Kauf einer domus combusta und damit ebenfalls aus dem Recht des Kaufs sine re. Hier dient es - zumindest rur Neraz - nicht zur Entscheidung der willenstheoretischen Frage, ob der Käufer den Vertrag auch in Kenntnis der vorhergehenden Sachzerstörung abgeschlossen hätte. Statt dessen werden mit seiner Hilfe nur die Risikosphären der Vertragsparteien abgegrenzt: Der Käufer trägt das Risiko einer Vertragsbindung, solange der entscheidende Teil der Kaufsache zumin114 Dies scheint ansatzweise auch Haupt, Die Entwicklung der Lehre vom Rechtsgeschäft seit der Rezeption (1941) 22f. zu erkennen, der mit seiner Annahme einer gezielten Benachteiligung des angeblich als Motivirrtum erkannten error in materia jedoch eine unhistorische Erklärung wählt. Die unterschiedliche Behandlung des Stoffirrtums bei Kauf und Stipulation hat sich die humanistische Wissenschaft nicht ausgesucht, sondern vorgefunden. 115 Siehe oben § 7 11 I.
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2. Kap.: Vom error in materia zum In1um Ober wesentliche Eigenschaften
dest zur Hälfte existiert, der Verkäufer die Gefahr der Vertragsnichtigkeit, sofern er zum Uberwiegenden Teil zerstört ist. Ob sich Rogerius bei der Übertragung dieses Schemas auf den Stoffirrtum von willenstheoretischen Erwägungen leiten läßt, ist offen. 116 Die hierfilr entscheidende Frage, ob der Käufer die Sache auch in Kenntnis ihres wirklichen Zustands gekauft hätte, finden wir in Einklang mit den klassischen Quellen nur dort gestellt, wo es um die Bestimmung des maßgeblichen Teils der Kaufsache geht. Nur in diesem Zusammenhang taucht sie auch bei Accursius auf. Dieser trennt sogar die beiden von Neraz und Rogerius kombinierten Kriterien: Schwerpunkt des Käuferinteresses und quantitatives Verhältnis von vorhandener und nicht vorhandener pars. Wie schon gesehen,1I7 bietet er sie als alternative Erklärungsmodelle für Julians Entscheidung zum Kauf einer ,mensa argen10 cooperla pro solida' an. Die Besonderheit von Accursius' Lösung liegt darin, daß er die Frage nach der hypothetischen Entscheidung des Käufers nicht mehr als willenstheoretische stellt, sondern in die hergebrachte Form der vertraglichen Bedingung gießt: Der Stoffirrtum des Käufers führt unabhängig davon, ob die Kaufsache a/iquid des vorgestellten Stoffs hat, zur Nichtigkeit des Vertrages, wenn die Parteien ausdrUcklich eine Vereinbarung Uber die stoffliche Beschaffenheit getroffen haben. Die Fortbildung des ,Kausalitätskriteriums' bei den Glossatoren nimmt damit im Kleinformat schon die Entwicklung der gesamten späteren Kausalitätslehre vorweg. Diese drängt zu ihrer eigenen Aufhebung. Die Erwägung, ob sich die irrende Partei in Kenntnis der Wirklichkeit nicht auf den Vertrag eingelassen hätte, provoziert in einem auf SachverhaltsirrtUmer ausgelegten Irrtumsrecht unweigerlich die Frage, warum der irrende Vertragspartner das entscheidende Merkmal nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung gemacht hat. Um diese Frage zu stellen, bedarf es keiner Einsicht in den Eigenwert einer rechtsgeschäftlichen Erklärung und den dahinter stehenden Gedanken des Vertrauensschutzes. Zur Voraussetzung hat sie nur das hergebrachte Institut der Bedingung als Instrument zum Schutz gegen die Divergenz von Vorstellung und Wirklichkeit. Die auf einen gegenwärtigen Umstand bezogene condicio bringt zwar keinen Suspensiveffekt hervor. Sie ist jedoch Bedingung im Rechtssinne und macht die Wirkung des Geschäfts von der Richtigkeit der unterstellten Gegebenheit abhängig. 118 Ihre Zulassung als Mittel der rechtlichen Gestal116 Auch fllr Jason de Mayno, In Secundam Digesti Novi partem Commentaria, Turin 1553, ad D 45.1.22 n. 6 (fol. 46), der Rogerius' Unterscheidung übernimmt, läßt sich diese Frage nicht beantworten. 117Vgl. §71I3. 118 V gl. IJ 3.15.6: ,Condciones, quae ad praeteritum vel ad praesens tempus referuntur, out statim injirmant obligationem aut omnino non differunt: veluti ,si Titius consul fuit' vel ,si Maevius vivit, dare spondes?' nam si ea ita non sunt, nihil valet stipulatio:
§ 9 Handlungstheoretische und rechtsgeschäftliehe Bedingungslehre
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tung ist Grundlage tUr einen einfachen Schluß: Sowenig sich jemand überhaupt auf einen Vertrag einlassen muß, sowenig ist er gezwungen, diesen unbedingt abzuschließen. Tut er es doch, hat er das Risiko einer Divergenz von Vorstellung und Wirklichkeit übernommen. 11.1. Den Boden rur die eigentliche Kausalitätslehre bereitet die Unterscheidung von essentialia und accidentalia contractus, die Baldus rur das Irrtumsrecht fruchtbar macht. Die beachtlichen Irrtumstatbestände ordnet er res und pretium als essentialia des Kaufvertrags zu, die unbeachtlichen sind rur ihn Fehlvorstellung über accidentalia, welche vom Konsenserfordernis ausgenommen sind: Error contrahentis in corpore, in substantia, vel in re, vitiat contractus: secus si erretur in accidentalibus, et inspiciatur persona contrahentis. .. . Dictum est supra de precio, et re, nunc dicit de consensu, quia habet cadere pariter super re et precio, et ista sunt essentialia contractus. Bonitas, autem intrinseca et extrinseca rei, dicitur qualitas. ... Item nota de ~ualitate, et quaedam est qualitas substantialis, quaedam non dicitur substantialis: ... 19
Die Einteilung der Irrtümer in solche über essentialia und solche über accidentalia contractus kann ebenso wie die Bestimmung des StofT- als eines Eigenschaftsirrtums l20 den Anspruch historischer Notwendigkeit erheben. Denn in der Lehre Bartolus' und Baldus' vollzieht sich zugleich der entscheidende Schritt von der glossatorischen Theorie der Klagbarkeit des pactum vestitutum zur praktischen Anerkennung der Vertrags freiheit, 121 wie sie theoretisch schon in der kanonistischen Lehre vom verbindlichen pactum nudum verwirklicht war. Die Ausdehnung der Zahl klagbarer Vereinbarungen erzwingt eine abstrakte Einteilung der beachtlichen und irrelevanten Fehlvorstellungen, deren hergebrachte Kategorisierung nur auf das Kaufrecht zugeschnitten ist. sin autem ita se habent. statim valet. quae enim per rerum natura certa sunt. non morantur obligationem. licet apud nos incerta sinto• 119 Commentaria in Digestum vetus, ad D 18.1.9, Bd. 2, fol. 104 der Ausg. Turin 1551. Daß Baldus hier den error in substantiali qualitate verbindungslos neben den errar in substantia stellt, vermag ich anders als Schermaier, Bestimmung 78 nicht zu erkennen. Beide Begriffe sind synonym. Das dadurch bezeichnete Phänomen gehört anders als error in bonitate oder in qualitate non substantiali den Fehlvorstellungen über die essentialia contractus an. 120 Siehe oben § 8 II 4. 121 Maßgeblich sind dabei die begriffiiche oder zumindest abstrakte Erfassung des pactum iure gentium vestituta und die einhergehende Ausdehung der Klagbarkeit auf pacta, die durch Eid bekräftigt, vom Statutarrecht der Kaufmannsgilden oder im Recht des Kirchenstaats anerkannt sind; ausfIihrIich hierzu Dilcher, SZ 77 (1960) 293ff. Söllner, ebenda 230ff. geht sogar von einem - in der Zivilistik nur unbewußt vollzogenen Wechsel vom vestimentum zur causa als Klagbarkeitsvoraussetzung aus. Baldus habe durch die Gleichsetzung des kanonischen vestimentum mit der causa Kirchen- und Zivilrecht vereinheitlichen wollen. Die Funktion von vestimenlum und causa habe gleichermaßen in der Verhinderung unbedachter und übereilter Vertragsschlüsse bestanden.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
Verbunden mit dieser Möglichkeit zur Verallgemeinerung ist eine weitere Funktion der neuen Systematik. Die Einteilung der Irrtumsgegenstände nach essentialia und accidentalia contractus läßt sich als Unterscheidung von entscheidungserheblichen und unwesentlichen Fehlvorstellungen und damit als Antwort auf die Frage deuten: Hat der Irrtum den Vertragsschluß bedingt, oder wäre dieser auch ohne die Fehlvorstellung zustande gekommen? Die Differenzierung nach essentialia und accidentalia contractus bietet hierfllr eine schematische Lösung. 2. Um zu einer individuellen Beurteilung der Vertragsursächlichkeit zu gelangen, bedarf es nur der Bestimmung der essentialia und accidentalia aus dem konkreten Geschäftszweck. Unternommen hat diesen Schritt Connanus, der sich hierbei den Begriff substantia zunutze macht. Daß die hergebrachte Lehre von der Irrelevanz des error in nomine falsch ist, will Connanus an einem Fall zeigen, in dem der Käufer ein Grundstück erwerben will, weil es seinen Namen trägt: Nam etsi in corpore consensimus, tarnen erramus in eo quod emptioni causam dedit. Non enim eram empturus fundum nisi mihi cognominem. Atque id esse arbitror quod hic Ulpianus dicit dissentire in emptione, id est in eo quod emitur. At hic non fundum tuum simpliciter, sed quia mei nominis esset, habere volui: ut non tarn rem, aut profecto non eam solam, sed et eius nomen emerim: ut nomen non sit quidem de substantia fundi, qua fundus est, sed qua a me emitur: certe quidem de substantia emptionis. 122
Ist ein consensus in corpore zustande gekommen, bedeutet dies fllr Connanus noch nicht, daß der Kaufvertrag wirksam ist. Denn der Käufer hätte das Grundstück nicht erworben, wäre er nicht von der Namensgleichheit ausgegangen. Entpuppt sich diese Annahme als Fehlvorstellung, ist ein dissensus in emptione vorgekommen. Connanus meint damit nicht Ulpians dissensus in ipsa emptione, der auf einer Verwechslung der Vertragstypen beruht. Er meint einen dissensus ,in eo quod emitur', eine Uneinigkeit über den Vertragsgegenstand. Dieser wird nicht nur nach seinem corpus und nach der substantia bestimmt, die ihn zu einem fundus macht. Ebenso bedeutsam können andere Umstände sein, die das Grundstück rur den Käufer erst attraktiv machen und seinen Kaufentschluß bedingen. Connanus ordnet sie der substantia emptionis zu. Seine Worte sind entgegen Schermaier l23 nicht als Ausbruch aus dem Schema: essentialiaaccidentalia, sondern als Plädoyer fur dessen individuelle Interpretation zu verstehen. Für diese bietet Connanus zwei Modelle an: Der Name des Grundstücks ist entweder selbst Kaufgegenstand (, eius nomen emerim '), oder er ist das entscheidende Merkmal der Kaufsache, das den Kaufentschluß bestimmt (, substantia fundi, qua a me emitur '). 122 Connanus, Commentatorium luris Civilis Uhri X, Iib. VII cap. VI, S. 497 der Ausg. Lyon 1566. 123 Bestimmung 93f.
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Ein individuelles Verständnis der Unterscheidung von essentialia und accidentalia contractus läßt auch Connanus' Kritik von Ulpians viriolaEntscheidung in D 18.1.14 und Julians Lösung beim Kauf der, mensa argento cooperta pro solida' (D 18.1.41.1) erkennen. Beide ftlgt er, ohne daß die Quellentexte dazu Anlaß böten, in das Schema Hauptsache - accessio ein. Zu dem Kriterium, ob der Kaufgegenstand aliquid auri habe, ist Ulpian nach Connanus' Ansicht deshalb gelangt, weil er bei einer Legierung das Erz stets als accessio des Goldes angesehen habe. Eine vergleichbare Lösung scheitere in Julians Fall daran, daß Holz und Silber keine artgleichen Stoffe seien. Diese von Connanus eigens unterstellte Entscheidungsgrundlage hält er selbst ftlr falsch. Zur Bestimmung der accessio komme es nicht auf die natura rerum, sondern allein auf den Willen der Vertragsparteien an: At cum accessiones ex voluntate contrahentium quaeruntur, non natura rerum inspicitur, sed illorum animi destinatio et voluntas: ex qua idem iudicatur quod in viriola inaurata respondit Ulpianus. 124 Paulus' Entscheidung, daß ein dissensus über die accessio stets und ohne Rücksicht auf deren Wert unbeachtlich sei,12S will Connanus auf den Fall beschränken, daß der Vertragswille im Dunkelny liege. Ansonsten und auch im viriola-Fall solle allein der Parteiwille entscheiden, was Hauptsache und was accessio sei: Sed cum certa est mens contrahentium, earn servarnus. Itaque in viriola empta plus fuit aeris quarn auri, plus inquarn aestimatione et precio, tarnen auro dicetur accedere, quoniarn aurearn empta est viriola. Sin earn emissem aenearn, et habet auri aliquid, quod pluris esset, quarn ipsum aes, aeri tarnen aurum accederet: quia viriola aenea empta est, et hoc praecipue fuit inter nos actum. Die im Quellenmaterial keineswegs angelegte Zuordnung des Stoffirrtums zu der lediglich bei Paulus getroffenen Unterscheidung nach res und accessio läßt sich nur dadurch erklären, daß Connanus auf diese Weise den Anschluß an Baldus' Einteilung der Irrtumsgegenstände nach essentialia und accidentalia contractus sucht. Diese nutzt er ftlr eine Ausrichtung der Irrtumslehre auf die Umstände, die im Einzelfall ftlr den Vertragsschluß entscheidend waren. Beachtlich sind die Eigenschaften des Geschäftsgegenstands, die den Anstoß zum Ver-
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Connanus a.a.O., S. 499. D 18.1.34pr. (33 ed): ,Si in emptione fundi dictum sit accedere Stichum servum
neque intellegatur, quis ex pluribus accesserit, cum de alio emptor, de alio venditor senserit, nihilo minus fundi venditionem valere constat: sed Labeo ait eum Stich um deberi quem venditor intellexerit. nec refert, quanti sit accessio, sive plus in ea sit quam in ipsa re cui accedat an minus: plerasque enim res aliquando propter accessiones emimus, sicuti cum domus propter marmora et statuas et tabulas pictas ematur.. 6 Harke
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum Ober wesentliche Eigenschaften
tragsschluß gaben und damit "essentiell" sind, unbeachtlich solche, die ohne Einfluß auf den Parteiwillen und damit "akzidentiell" sind. 126 III. Eine von gegenständlichen Kategorien befreite und nur dem Kausalitätsprinzip gehorchende Irrtumslehre bricht sich im Naturrecht Bahn: 1. Grotius schließt vom Gesetz auf die promissio als Grundschema 127 des Vertrags. Ebenso, wie ein Gesetz hinflillig sei, wenn es auf einer unrichtigen ,praesumtio facti' beruhe, mache diese auch eine promissio zunichte. Deren Urheber habe sich nämlich nur unter der Bedingung verpflichtet, daß seine Vorstellung der ausschlaggebenden Umständen die Wirklichkeit treffe. Ein Irrtum, der filr die Abgabe des Versprechens nicht kausal ist, läßt dessen Wirksamkeit dagegen unberührt. Ist der Irrtum nur rur einen Teil der promissio verantwortlich, wirkt er nur hierauf und ist rur die Gültigkeit des Versprechens im übrigen ohne Belang: At viam nobis reperiendae naturali veritati pandit, quod de legum vi atque efficacia omnium ferme consensu receptum est, ut si lex fundetur in praesumtione aliqua facti, quod factum revera ita se non habeat, tunc ea lex non obliget, quia veritate facti deficiente deficit totum legis fundamentum. Quando autem lex in tali praesumtione sit fundata, ex legis materia, verbis et circumstanciis colligendum. Similiter ergo dicemus, si promissio fundata sit in praesumtione quadam facti quod non ita se habeat, naturaliter nullam ejus esse vim: quia omnino promissor non consensit in promissum, nisi sub quadam conditione, quae re ipsa non exstitit. ... Si vero adfuerit quidem error, sed in quo fundata non fuerit promissio, ratus erit actus, utpote non deficiente vero consensu: ... Si pro parte fundata erit errore promissio, valebit pro reliqua parte. 128
Die Herkunft der Elemente, aus denen sich diese Lehre zusammensetzt, ist bekannt: Dießeihorst 129 hat sie zu Molina und Lessius zurückverfolgt. Schermaier 130 hat den Blick auf Soto und Vascius erweitert und zugleich die unmit-
126 Anders als Schermaier, Bestimmung 100fT. kann ich dagegen keinen nachhaltigen Einfluß von Baldus' Kategorisierung auf die Irrtumslehre Cujaz' feststellen. Zwar spricht Cujaz ebenso wie Connanus von der substantia emptionis; vgl. Recitationes solemnes, ad D 18.1.9, Opera VII, Modena 1779, Sp. 680. Der BegrifTscheint ohne weitere Überlegung aus Cl 4.38.3 übernommen und steht auch in keinem direkten Zusammenhang mit dem vorangehenden Satz: ,tria sunt necessaria ad contrahendam emptionem, pretium, res et consensus' (Sp. 679). Dieser ist nicht nur älter als Baldus' Einteilung der Irrtumsgegenstände. Die beiden ersten Glieder der Trias haben flir Cujaz auch keinen Bezug zum Irrtumsrecht. Dieses ordnet er allein dem consensus zu, indem er fortfährt: ,de pretio, et re jam dictum est; de consensu videamus '. 127 Vgl. oben § 7 V I N. 50. 128 De jure belli ac pacis, lib. 11 cap. XI § VI, S. 222 der Ausg. Amsterdam 1646 (Nachdruck New York 1995). 129 Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen (1959) 82fT. \30 ZEuP 1998, 71 fT. und eingehend Bestimmung 174fT. unter Aufnahme der Ausflihrungen aufS. 54fT. und 124fT.
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telbare Verbindung zur Zurechnungslehre des Thomas von Aquin hergestellt. 131 Der qualitative Sprung, den Grotius gegenüber der spätscholastischen Lehre macht, ist dabei zunehmend außer Acht geraten. Grotius befreit sich nicht nur von dem Schema essentialia - aceidentalia contractus. I32 Er gibt auch dem Begriff der conditio eine völlig neue Wendung: 133 Grundlage seines Vergleichs von lex und promissio ist der Begriff des Versprechens als Akt der Selbstgesetzgebung. 134 Die conditio, zu der Grotius die Richtigkeit der ,praesumtio facti' erhebt, ist keine Bedingung im Sinne der hergebrachten Vertragslehre, auch nicht in Form einer Fiktion. 13S Diese Bedeutung hat noch die inhaItsgleiche conditio taeita, mit der Lessius die Aufhebbarkeit einer onerosen Vereinbarung rechtfertigt. Anders als Grotius steht Lessius auf dem Boden der überkommenen Vertragstheorie. Die conditio tacita dient ihm als Antwort auf den Einwand, der Vertragspartner hätte sich nicht auf die Einschaltung einer Bedingung zum Schutz der irrenden Partei eingelassen. 136 Dieses Argument versagt nämlich, wenn die Bedingung üblich und stillschweigend, dem Vertrag damit von vornherein inhärent ist: Petes, an hic contractus, detecto errore, possit in irritum revocari arbitrio eius, qui deceptus est? Respondeo, si sit contractus gratuitus, ut promissio vel donatio !ibera!is, potest pro arbitrio revocari, si dolus vel error circa motivum ei causam dederit; quia in his spectanda est etiam intentio tacita et habitua!is: nam ex sola intentione legem accipiunt, cum omnino sint gratuita.... Si vero sit onerosus, maior est difficultas, quia hic contractus pendet etiam ex consensu alterius, qui talem conditionem nol-
131 Diesen Schritt hat zuvor schon Gordley, The Philosophical Origins of Modem Contract Doctrine (1991) 85ff. unternommen, der in der naturrechtlichen Lehre jedoch nur eine gedankenverirrte Übernahme der scholastischen Begriffiichkeit erkennt. Der Frage, ob die Naturrechtier ihre Aufgabe Oberhaupt in der Rezitation thomistischen Gedankenguts gesehen haben, stellt sich Gordley nicht. 132 Diesem folgen Lessius, Dejustitia etjure, lib. II cap. XVII, dub. V, n. 27, S. 183 der Ausg. Venedig 1608, in der objektiven und Vascius, Commentarii ae disputationes in primam seeundae Saneti Thomae, disp. XXX cap. IV n. 27, Bd. I der Ausg. Antwerpen 1621, in der von Connanus bekannten subjektiven Form; vgl. Schermaier, Bestimmung \33. \33 Ein weiterer Unterschied besteht in der Auflösung der scholastischen Verbindung mit dem Äquivalenzprinzip; vgl. Sehermaier, Bestimmung 180. 134 Richtig Dießelhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen (1959) 91, 94, 97, der hieraus jedoch keine Schlußfolgerung für den Begriff der eonditio zieht. 13S So aber Haupt, Die Entwicklung der Lehre vom Irrtum beim Rechtsgeschäft in der Rezeption (1941) 26, Hübner, FS Kaser (1976) 722, Luig, SZ (GA) 96 (1979) 50, Zimmermann, The Law ofObligations (1990) 612 sowie AcP 193 (1993) 147f., Winkel, Die Irrtumslehre, in: Feenstra, Zimmermann, Das römisch-holländische Recht (1992) 232, 236, Sehermaier, Bestimmung 176, die von einer stillschweigenden Bedingung oder einer fiktiven Bedingungskonstruktion sprechen. Unklar ist die Ansicht von Sehwaab, Zum Irrtum beim Vertragsschluß (1998) 36fT. 136 Darauf weist Dießelhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen (1959) 85 hin.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften let admittere .... Verius tamen puto, quandocunque error invincibilis dedit causam contractui, et res adhuc est integra, eum, qui deceptus est, ubi sciverit veritatem, in conscientia non teneri implere contractum; ... Tertio, quia alter non potest conqueri de iniuria, cum tacita mens contrahentium sit, non obligare se ad implendum contracturn, si se deceptos deprehendant: idque confirmat consuetudo passim recepta. 137
Einen solchen Versuch der Verbindung von Willens- und Vertragstheorie unternimmt Grotius erst gar nicht. 138 Seine conditio ist nicht taeita. Sie existiert ohne Rücksicht auf die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Vertragspartners und muß daher weder als üblich unterstellt noch tingiert werden. Da allein der Wille des promissor über die Reichweite des Versprechens entscheidet, sind die tatsächlichen Voraussetzungen, von denen er ausgeht, automatisch und ohne zusätzliche Voraussetzungen Gegenstand einer conditio. 139 Daß diese rein innerlich bleibt, enthüllt Grotius' einzige explizite Aussage zum contractus,140 in der er die conditio inder mens agentis ortet: Et de errore alibi diximus, ita jus dare a contractu recedendi si id quod per errorem creditum fuit, in mente agentis vim habuerit conditionis. 141
Grotius' conditio ist Ausfluß einer allein auf dem Prinzip der Selbstbestimmung gebauten Rechtsgeschäftslehre, welche von dem Phänomen der Zweiseitigkeit eines Vertrages konsequent abstrahiert. Die Pflicht, sich über die Richtigkeit der eigenen Vorstellung zu vergewissern und klar auszudrücken, muß ihren Platz demnach außerhalb des Vertragsrechts haben. Ihre Verletzung zeitigt fUr Grotius nur die deliktische Haftung: Quod si promissor negligens fuit in re exploranda, aut in sensu suo exprimendo, et damnum inde alter passus sit, tenebitur id resarcire promissor, non ex vi promissionis, sed ex damno per culpam dato, ... 142
2. Völlig verändert begegnet uns Grotius' Konzept schon bei Pufendorf. Dieser geht zwar von dem Lösungsschema seines Vorgängers aus, beschränkt es jedoch auf freigiebige promissiones, die er von den onerosen pacta sondert.
137 Lessius, De iustitia et iure, lib. 11 cap. XVII dub. V n. 33, S. 183f. der Ausg. Venedig 1608 138 Daß ihn von Lessius' Lehre einiges trennt, sieht auch Sehermaier, Bestimmung 177, der eine größere Nähe zu Vascius erkennt, dieses Urteil aber nicht auf Lessius' unterschiedliche Verständnis der eonditio stützt. 139 Daß dies auch bei einem Irrtum über den Wert des Vertragsgegenstands der Fall ist, bezweifelt Dießelhorst a.a.O. 95 unter Berufung auf die in De iure belli ae paeis, lib. 11 cap. XII § XII, erwähnte Ausgleichspflicht zur Herstellung der aequalitas. Kritisch dazu Schermaier, Bestimmung 179.. 140 Zu deren Bedeutung fllr die Reichweite von Grotius' Irrtumslehre; vgl. oben N. 50. 141 De iure belli ae pacis, lib. III cap. XXIII § IV, S. 604 der Ausg. Amsterdam 1646 (NachdruckNewYork 1995). 142 De iure belli ae pacis, lib. Il cap. Xl § VI, S. 222 der Ausg.
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Darüber hinaus stellt er die Beachtlichkeit einer unrichtigen praesumtio facti unter den Vorbehalt, daß diese dem Versprechensempfilnger erkennbar war: De promissis ita videtur pronunciandum; si promissio fundata sit in praesumtione alicujus facti, quod ita se non habebat, seu ubi in promissione aliquod factum, vel etiam qualitatem alterius supposuerim, citra cujus intuitum promissurus non fueram, naturaliter promissionis nullam fore vim; modo ipsa negotii natura, liquidaeque circumstantiae ostendant, promissorem unice ex illo facto, eave qualitate tanquam ex conditione consensum suspendisse. Ratio est, quia promissor consensit in promissum non absolute, sed praesumtionem ejus facti qualitasve tanquam conditionem supposuit; quae cum non existat, ruit quoque et evanescit, quicquid ipsi fuerat superstructurn .... Verum si promissio praesentiam aut absentiam alicujus qualitatis tanquam conditionem prae se non tulerit, licet fortasse ea facta non fuisset, ubi de illa promissori constitisset; promissio nihilominus valida erit. 143
Daß die Relevanz der fehlerhaften ,praesumtio facti' von ihrer Offenkundigkeit rur den Vertragspartner abhängt, ist keine bloße Fortbildung des Vertrauensschutzes, den Grotius über den außervertraglichen Schadensersatzanspruch des nicht irrenden Teils herstellt. 144 Dem Erfordernis der Erkennbarkeit einer ,praesumtio facti' liegen vielmehr die Abkehr von der Vorstellung einer vertraglichen Selbstgesetzgebung und eine Umdeutung des Bedingungsbegriffs zugrunde. 145 Pufendorf übt zwar keine offene Kritik an Grotius' Vergleich von Versprechen und Gesetz. 146 Er verzichtet jedoch keineswegs zufilllig darauf und
143 Dejure naturae et gentium, lib. III cap. VI § 6, S. 277 der Ausg. Amsterdam 1688 (Nachdruck New York 1995). 144 So aber Schermaier, Bestimmung 186, der außerdem eine durch Pufendorfs Sprachlehre bedingte Verschiebung vom Willen zur Erklärung annimmt (S. 202fT.) 145 Unrichtig ist daher auch das pauschale Urteil von Noda, lus commune 16 (1989) 85, Pufendorfsei bei einseitigen Versprechen kaum von Grotius' Lehre abgewichen. 146 Anders ist dies bei Samuel Cocceji, Grotius ilIustratus seu Commentarii ad Hugonis Grotii De jure belli ac pacis Iibros tres, Bd. 2 S. 124f. der Ausg. Breslau 1746, der Grotius' Behauptung attackiert, ein Gesetz sei mangels Richtigkeit seiner Voraussetzungen unverbindlich Dagegen wendet sich Cocceji zunächst mit den Argument, der Gesetzunterworfene sei nicht befugt, Uber die praesumtiones facti des FUrsten zu spekulieren. Als praktische Beispiele fiir die Geltung eines Gesetzes trotz Unrichtigkeit seiner Voraussetzung im Einzelfall fiihrt Cocceji die in integrum restitutio fiir den Minderjährigen und das SC Vellejanum an, die beide auch dann zum Zug kommen, wenn der minor oder die faemina geschäftserfahren sind. Eine theoretische Grundlage fiir diese Beispiele und das Verbot zur Spekulation über den FUrstenwillen enthält Coccejis drittes Argument: . Utroque igitur casu dejicit lex et obligatio non quia factum ibi praesumitur cujus veritas dejicit. sed quia dejicit dispositio et voluntas superioris eoque lex. non enim voluit Legislator ut leges iIIae obligent. nisi jU?fta verba et formam praescriptam.. Schermaier, Bestimmung 306 erkennt hierin einen Ahnlichkeitsschluß vom FUrstenwillen auf die WillensUbereinstimmung beim Vertrag. Cocceji geht es jedoch nicht um den Vergleich zweier Akte der Willensbestimmung. Statt dessen will er zeigen, daß der Wille des Gesetzgebers ebenso wie derjenige der Vertragsparteien nur im Gesetz oder Vertrag angemessen zum Ausdruck kommen kann.
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nennt auch die Richtigkeit der ,praesumtio facti' nicht einfach conditio. 147 Statt dessen spricht er stets davon, daß der Gegenstand der beachtlichen Fehlvorstellung ,tanquam conditio' des Versprechens sei. Die conditio, von der hier die Rede ist, hat keine Ähnlichkeit mit der Bedingung, die Grotius meint. Sie ist nicht immanente Beschränkung des Versprechens als Akt der Selbstgesetzgebung. Pufendorfs conditio ist Bedingung im hergebrachten Sinne. Sie bezeichnet das anerkannte Institut, mit dessen Hilfe die Parteien die Wirkung eines Vertrages an den Eintritt oder Ausfall eines Umstands binden. Daß dies bei der relevanten ,praesumtio facti' nur ,tanquam' der Fall ist, liegt daran, daß diese anders als die gewöhnliche Bedingung nicht vereinbart, sondern lediglich erkennbar sein muß. Das GegenstUck zur Voraussetzung, die bloß ,tanquam conditio' ist, sieht Pufendorf in einer ausdrUcklichen /ex contractus. Diese ist erforderlich, wenn der Kontrahent eines pactum auch nach dessen Ausfilbrung in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit der praesumtio geschUtzt sein will. Re integra soll er sich von dem onerosen Vertrag schon bei Erkennbarkeit praesumtio und damit unter der gleichen Voraussetzung lossagen dürfen, unter der eine promissio nichtig wäre: Die Richtigkeit der praesumtio ist ,tanquam conditio '. Dem Vertragspartner ist der Irrende dann freilich ebenso wie bei Grotius per aequitatem zum Schadensersatz verpflichtet. Nach dem Vollzug des Vertrags kann er sich nur noch auf den Ausfall einer ausdrUck lichen Bedingung berufen. Den Unterschied stellt Pufendorf an einen Fall dar, in dem jemand Pferde in der irrigen Annahme gekauft hat, seine eigenen seien eingegangen: Patrifamilias peregre versanti faltus nuncius adfertur, equos ipsius domi periisse. Hoc i1Ie prae se ferens circa alios emendos contractum inivit. Sed antequam traditio pretii aut equorum fieret, nuncium istum falsum comperit. Puto, eum ad implendum contractum adigi non debere, cum sciente venditore istum nuncium tanquam conditionem supposuerit. Etsi ad id quod interest, aut saltem ad pensandum damnum, si quod fecit venditor, per aequitatem obligetur. Verum ubi pecunia et equi jam mutuo fuerint traditi, etiamsi isti equis deinde opus non sit, non poterit ad reddendam pecuniam, et recipiendos equos compelli venditor, nisi expresse haec lex contractui dicta sit. Das naturrechtliche Gegenmodell zu Grotius' Bedingungslehre, das gemeinhin erst Thomasius zugeschrieben wird,148 finden wir damit schon bei Pufendorf angelegt. Er ordnet die conditio, von der Grotius spricht, dem gleichnamigen
147 Entgegen Dießelhorst, Das Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs (1976) 74f. übernimmt er schon gar nicht die hieraus folgende Lehre Grotius'. Was Pufendorf beibehält, sind lediglich - abgewandelte - Formulierungen. 148 Vgl. Luig, SZ (GA) 96 (1979) 51 sowie Forschungsband ZeilIer (1980) 160 und Christian Thomasius. Interpretationen zu Werk und Wirkung (1989) 162f., Noda, lus commune 16 (1979) 86f. Schermaier, ZEuP 1998,75.
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Institut des römischen Vertragsrechts l49 zu und raubt ihr damit ihre eigentliche Bedeutung. Hat man sich von der Vorstellung einer vertraglichen Selbstgesetzgebung losgesagt, bietet eigentlich auch die Erkennbarkeit einer ,praesumtio facti' keinen hinreichenden Grund dafilr, die Vertragsgeltung unter eine Bedingung zu stellen. ISO Einem Vertragspartner steht es frei, seine ,praesumtio facti' zum Gegenstand einer Vereinbarung zu machen. Unterläßt er es, übernimmt er das Risiko der Unrichtigkeit seiner Vorstellung. Die praktischen Konsequenzen hieraus hatte Pufendorf bereits in seinen Elementa jurisprudentiae universalis gezogen. Anders als in libri de jure naturae et gentium nennt er die praesumtio facti hier einfach conditio und verlangt zu ihrer Annahme nicht nur bloße Erkennbarkeit, sondern ausdrückliche Erklärung oder stillschweigende Einschaltung aufgrund der natura negotii: At vero vix errorem intervenisse dici potest, quando illud non adparet, quod pro conditione non fuit suppositum, expresse aut ex natura negotii. ISI
3. Die theoretische Grundlage filr diese von Pufendorf selbst nicht konsequent verfolgte Lösung liefert Thomasius. Von ihm stammt die Sentenz: ,error in duMo semper nocere debet erranti ,.152 LuiglS3 leugnet nicht deren Zusammenhang mit Thomasius' Auslegungslehre, deutet sie jedoch im Anschluß an Gundlings lS4 und Hommels lSS Verständnis als eigenständige Gefahrtragungsre-
149 Entgegen Schwaab, Zum Irrtum beim Vertragsschluß (1998) 42f. und Schermaier, Bestimmung 189 ist Pufendorfs conditio im Unterschied zu derjenigen Grotius' daher sehr wohl am modemen Bedingungsbegriff zu messen. Pufendorf rUckt nicht nur in "die Nähe der gemeinrechtlichen Bedingungslehre" (so Schermaier 186), er Ubemimmt sie völlig und wagt lediglich den Versuch, Grotius' Vorstellung hier unterzubringen. ISO Daneben besteht die von Haupt, Die Entwicklung der Lehre vom Irrtum beim Rechtsgeschäft in der Rezeption (1941) 29 und Dießelhorst, Das Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs (1976) 79f., 97 bemerkte Inkompatibilität mit dem Rechtsbegriff der conditio: Der irrtUmlieh angenommene Umstand kann gerade wegen des Irrtums nur im Wege einer Fiktion zur Bedingung oder bedingungsähnlich werden. Der Irrende stellt sich die Frage, ob er den Vertrag auch unter anderen Umständen abgeschlossen hätte, nämlich gar nicht. Die unberechtigte Kritik, die Schermaier, Bestimmung 186f. an dem Einwänden Haupts und Dießelhorsts Ubt, beruht darauf, daß er Pufendorfs conditio zu Unrecht mit derjenigen Grotius' gleichsetzt und damit einen Vergleich zur modemen (und römischen) Bedingung ausschließt. 151 Elementa jurisprudentia universa/is, lib. I def. XII § 19, S. 105 der Ausg. von 1672 (Nachdruck New York 1995). 152 Als Acl zu finden in Institutionum jurisprudentiae Divinae /ibri tres, lib. n cap. VII § 39, S. 140 der Ausg. HallelMagdeburg 1720. 153 Forschungsband Zeiller (1980) 159ff. sowie Thomasius. Interpretationen zu Werk und Wirkung (1989) 162ff. 154 Schwere Lehre von dem Irrthum in der Rechtsgelartheit, § XIII, Gundlingiana, 33. StUck, S. 224 der Ausg. Halle 1724. Daß hier der Ursprung des Vergleichs mit den hergebrachten Regeln Uber das periculum liegt, glaubt Schermaier, Bestimmung 265.
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gel: Das Risiko einer nicht vom Vertragspartner hervorgerufenen Fehlvorstellung müsse tragen, in wessen Gefahrenbereich der Irrtum falle. Schermaier l56 will den Satz von der Eigenschädlichkeit des Irrtums dagegen allein auf Thomasius' Sprachlehre zurückfUhren, aus der sich die Erklärungspflicht als unmittelbarer Maßstab der Risikozurechnung ergebe. 157 Den Unterschied zu Grotius und Pufendorf reduziert er so auf eine unterschiedliche Gewichtung des Gebots der Zuverlässigkeit äußerer Zeichen: Bei Thomasisus nähme die Geltung des Erklärten danach nur den Platz ein, den bei Grotius und Pufendorf der Schadensersatzanspruch des Vertragspartners hat. Die Verbindung dieser bei den unterschiedlichen Mechanismen hat jedoch erst Titius l58 hergestellt, der auf der Ebene der Rechtsfolgen zu einem einfachen, aber trügerischen Schluß kommt: Für den Vertragspartner, der dem anderen Teil ohnehin auf das Interesse hafte, bedeute es keinen Nachteil, wenn er statt dessen an den Vertrag gebunden sei. 159 Die Richtigkeit dieser Behauptung steht und fiillt mit der unwahrscheinlichen Annahme, Grotius und Pufendorf hätten den irrenden Vertragspartner zum Ersatz des ErfUlIungs- und nicht nur des Vertrauensschadens verpflichtet. 160 Gegen die Eigenständigkeit des Satzes: ,error in dubio semper nocere debet erranti', spricht, daß Thomasius im Anschluß hieran auf die Erklärungspflicht des Vertragspartners und die Gefahr der Erleichterung einer Mentalreservation verweist: Cum enim in promissionibus quilibet sensa animi fui alteri decIarare debeat, causa vero contrahendi, objectum item, de quo contrahitur, et persona, cum qua contraho, ad naturam pactorum in genere nihil faciant, nulla subest causa, cur alteri error meus, ad quem iIIe nec dolo nec culpa concurrit, magis imputari debeat, quam mihi. Accedit, quod, si error meus alteri praejudicaret, facile daretur occasio ad reservationes mentales, ... 161
155 Rhapsodia, obs. DCCLXXXIV n. 1, S. 324f. der Ausg. Bayreuth 1785: .Nam errare est infortunium casus; itaque in pari causa praestet casum ferri ab errante. tanquam domnio i.e. infortunato. ' 156 ZEuP 1998, 76ff.; Bestimmung 236, 240ff. 157 In ZEuP 1998 78ff. verfolgt Schermaier die Herkunft dieser Sprachlehre zu Thomas Hobbes zurück. 158 Observationes ad Puffendorfium. de ojJicio hominis, \ib. I cap. IX § 12. 159 Gund\ing, Schwere Lehre, § XXI, S. 236 der Ausg., dient dieses Argument zur Unterstützung von Thomasius' Axiom der Eigenschäd\ichkeit des Irrtums. Titius nutzt es, wie Schermaier, Bestimmung 250 richtig bemerkt, nur zur Kritik an Pufendorfs Lehre. Titius selbst hält den error efficax rur beachtlich und bestimmt diesen mit Hilfe der herkömmlichen gegenstandsbezogenen Irrtumskategorien und einer an das Schema essenlialia - accidentalia contraclus erinnernden Einteilung nach res necessaria und non necessaria; vgl. zu den Einzelheiten ausflihrIich Schermaier, Bestimmung 245ff. 160 Richtig Schermaier, Bestimmung 249f. 161 lnstitutionum jurisprudentiae Divinae Iibri tres, Iib. 11 cap. VII § 40, S. 140 der Ausg. HalleIMageburg 1720. Ein weiteres Argument flir Schermaiers Ansicht bietet Thomasius' Vergleich zu letztwilligen Verfugungen in § 44 (S. 141): .... quoniam ulti-
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Thomasius versäumt allerdings auch nicht mitzuteilen, daß er die Regel von der Eigenschädlichkeit des Irrtums bereits andernorts entwickelt hat. 162 Hier kommt er ohne AnknUpfung an die Bedeutung der Erklärung aus. Die Folgenlosigkeit des Irrtums ergibt sich schlicht aus der Abgrenzung von Risikobereichen: Error tertii sive vineibilis sit, sive invineibiIis, non poterit alteri, qui non est in eulpa, cur tertius aberraverit, imputari, sed in ejusmodi eoneursu aequius est, ut imputetur erranti. 163 Gundlings und Hommels Verständnis, dem Luig folgt, trifft also durchaus Thomasius' Vorstellung. Die Kombination mit der aus Sprach- und Auslegungslehre stammenden Pflicht zur hinreichenden declaratio gelingt Thomasius erst über die conditio. Diese ist filr ihn nicht die von Grotius angenommene immanente Grenze der Selbstgesetzgebung, sondern ebenso wie filr Pufendorf Instrument des Vertragsrechts. Sie ist geeignetes Mittel zur Verteilung des Irrturnsrisikos. Hat der Irrende von ihr keinen Gebrauch gemacht, genügt dies, ihm dem Irrtumsrisiko aufzubürden. l64 Hat er sich ihrer bedient, trifft das Risiko der Fehlvorstellung auch den Vertragspartner: Limito tarnen dictum axioma, nisi eireumstantia iIla in qua erravi, expresse promisso per modum conditionis fuerit adjeeta. Turn enim alter, cum quo paetus sum, justarn de me eonquerendi oceasionem non habet. 165 Das Institut der conditio beweist filr Thomasius auch die Unrichtigkeit der Unterscheidung von pacta mutua und promissa gratuita. Bei diesen besteht nicht anders als bei jenen die Möglichkeit zur Einschaltung einer Bedingung. Wird sie nur innerlich gesetzt, bleibt der Irrtum unbeachtlich: Sed si promissor hane eonditionem mente retinuerit, nos quidem putamus, sibi eum imputare debere, eur non expresserit. 166 Mit der conditio widerlegt Thomasius ferner Pufendorfs, am Fall des Pferdekaufs exemplifizierte Ansicht, wonach der über seinen Beweggrund irrende Vertragspartner re integra vom Geschäft Abstand nehmen soll:
marum voluntatum quoad interpretationem alia est ratio, quam promissionum . • Zur Begründung hierfur findet sich n. f: ,Partim, quoniam ex testamento non statimjus alteri nascitur, uti ex promissio, neque testamenta requirunt acceptationem .. 162 VgI.lnstitutiones, lib. II eap. VII § 39 n. e, S. 140 der Ausg. 163 Institutiones, \ib. I eap. I § 72, S. 15 der Ausg.
164 Als Vorwurf an den Irrenden mißversteht dieses Argument Gundling, Sehwehre Lehre, §§ XIII, XIV (S. 225ff. der Ausg.). Auf die Inkompatibilität von Bedingungslehre und Entsehuldbarkeitskriterium weist Schermaier, Bestimmung 263 hin. 165 Institutiones, \ib. II cap. VII § 4 I, S. 140 der Ausg. 166lnstitutiones, \ib. II eap. VII § 43, S. 141 der Ausg.
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum Ober wesentliche Eigenschaften Fuit enim narratio ista de causa impulsiva contractus, quae nisi per modum conditionis inseratur pacto, est extra negotium. Narn poterit paterfamilias equos emere tarn qui jarn alios habet, quarn qui non habet. 167
Sie dient ihm schließlich auch zur Lösung der Fälle eines error circa rem: Sed hic in promtu causa est, Quia circumstantia, in qua fuit erratum promissio per modum conditionis fuit inserta. 168
Bei Thomasius finden wir die Kausalitätslehre damit in derselben Sackgasse, in der schon ihr glossatorischer Vorläufer endete. 169 Als Mittel zur Bestimmung des relevanten Irrtums scheitert sie an einem Institut, das älter ist als sie selbst. Es ist die condicio, die seit jeher ein geeignetes Instrument zum Schutz vor Fehlvorstellungen über die Wirklichkeit bietet. Für ein Irrtumsrecht mit dem gleichen Ziel ist daneben kein Platz. Aufrechterhalten läßt es sich nur, wenn man mit Grotius völlig vom sozialen Phänomen des Vertrages abstrahiert. Akzeptiert man diesen als zweiseitigen Akt, kann das Irrtumsrecht nur in der Bedingungslehre aufgehen. Schon die Transformation von Grotius' ,conditio' in eine Bedingung des Vertragsrechts ist nicht einem Mißverständnis Pufendorfs geschuldet, sondern ein unausweichlicher Schritt auf dem Weg zurück aus der Abstraktion. Wohin er führt, erfahren wir von Thomasius, der den Irrtum aus dem Kreis der wirkungsträchtigen Elemente des Vertragsrechts verbannt. IV.I. Christian Wolff bemerkt die unterschiedliche Bedeutung des Bedingungsgriffs bei Grotius und Pufendorf, verkennt jedoch die Differenz in der Irrturns lehre seiner beiden Vorgänger. Er verteidigt Grotius' Bedingungskonstruktion nur gegen Pufendorfs Ansicht, eine conditio im eigentlichen Sinne könne sich nur auf ein zukünftiges Ereignis beziehen. Diesem Einwand kann er leicht unter Hinweis auf den communis sensus latior und dadurch entkräften, daß Pufendorf bei der Weiterentwicklung von Grotius' Bedingungslehre selbst von conditio spricht: Quarnvis autem PutTendorfius neget, conditionem proprie dici posse, quae ad tempus praesens vel praeteritum refertur, prouti supra monuimus ... , ipse tarnen vocabulo hoc utitur in praesenti casu. Atque adeo vel hinc intellegitur, cur nos, qui methodo demonstrativa utimur terminorum aequivocationem respuente .. . , significatum conditionis communem, quo in lure naturae carere haud quaquarn possumus, et qui restrictiorem Iurisconsultis Romanis usitatum in se comprehendit, retinere debuerimus. Probe autem notandum est, ipsum PutTendorfium in praesenti casu ad conditionem sensu latiori, qui communis est, transferre, quae de conditione in strictiori affirmatur a Iurisconsultis Romanis, scilicet quod non existente conditione ruat, quod iRsi fuerat superstructum: id quod per methodum demonstrativarn fieri minime poterat. 70
1671nstitutiones, lib. II cap. VII § 46, S. 141 der Ausg. 168 Institutiones, lib. 11 cap. VII § 48, S. 142 der Ausg. 169 Siehe oben I. 170 Jus naturae, pars III cap. IV, § 569, Ausg. HallelMagdeburg 1743 (=Gesarnmelte Werke 1968, Bd. 19), S. 394.
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Daß die zeitliche Einordnung des ausbedungenen Umstands auch rur Pufendorf keinen Anlaß zur Kritik an Grotius' Ansicht und Terminologie bietet, erkennt Wolff richtig. Zwar bestimmt Pufendorf die conditio im eigentlichen Sinn durch deren Suspensiveffekt und bezeichnet die auf einen gegenwärtigen Zustand bezogene Bedingung an einer Stelle nur als ,tanquam conditio '. l7J Im gleichen Kapitel nennt er sie jedoch mehrfach auch schlicht conditio und beweist sogar ihre Ähnlichkeit zur Bedingung im eigentlichen Sinn. I72 Die Zugehörigkeit zum allgemeinen Begriff der conditio gibt Pufendorf von vornherein unumwunden zu: Sic ergo ad conditionem duo requiruntur, turn ut per eam differatur, et suspendatur vis obligationis; turn ut eventus ille, seu quod pro conditione supponitur, nondum extet, aut sit incertus saltem quoad nostram noticiam. Ex his concluditur, adjectiones illas non esse proprie conditiones, licet quoad formam verborum Grammaticam tales videantur, quae referuntur ad tempus praesens aut praeteritum. 173
Daß Pufendorfs Beharrlichkeit in der Bezeichnung der ,praesumtio facti' als . tanquam conditio' demnach eine andere Ursache, nämlich die' Abkehr von Grotius' Idee der Selbstgesetzgebung, zum Grunde haben muß, übersieht Wolff. Anscheinend verkennt er sogar die praktische Differenz zwischen den beiden Irrtumslehren. In seinen theoretischen Äußerungen folgt Wolff im wesentlichen Grotius: Bei der promissio beschränkt er lediglich die rur Grotius ohne weiteres beachtliche praesumtio facti auf die ratio unica des Versprechens: 174 Quodsi enim error det causam promissio, is ratio unica est, cur promissio facta, quae alias facta non fuisset .... Quamobrem cum promissor supponat per errorem aliquid esse, vel factum fuisse, quod non est, vel factum non est; promissio utique non sit nisi sub hac conditione, si hoc revera sit, vel factum fuerit, consequenter conditionata est .... 175
Bei der emptio venditio ordnet er die Irrtumskategorien in corpore und in materia dem Schema der kausalen praesumtio facti unter: 176
171 De Jure naturae et gentium, lib. III cap. VIII § 3, S. 302 der Ausg. Amsterdam 1688 (Nachdruck New York 1995). 172 Sie ergibt sich daraus, daß der zur Bedingung gemachte gegenwärtige oder vergangene Umstand bewiesen werden muß. Hieraus folgt einerseits ein Aufschub der Verbindlichkeit. Andererseits läßt sich die Bedingung auch als conditio propria verstehen, indem man zu ihrem Gegenstand nicht den gegenwärtigen oder vergangenen Umstand, sondern seinen Beweis macht. 173 De Jure naturae et gentium, lib. III cap. VIII §§ 2, 3, S. 301 der Ausg. 174 Die Unbrauchbarkeit dieses Kriteriums zeigt Schermaier, Bestimmung 277. 175 A.a.O., S. 393. 176 Die ,gemeinrechtliche Manier', die Schermaier 279 erkennt, entbehrt zumindest einer inneren Überzeugung des Autors, der allein auf dem Boden der naturrechtlichen Irrtumslehre steht. Ohne jeden Versuch der Versöhnung von Natur- und römischem Recht kommen daher Wolffs ,Grundsätze des Natur- und Völkerrechts' (§ 438, S. 270 der Ausg. Halle 1754) aus. Hier sagt Wolff einfach, daß "weil also die Verträge alle
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften Si venditor vendit, emtor emit rem aliam sive quoad corpus, sive quoad materiam, quam quae esse putatur, cum vel prorsus non contraheretur, vel non contraheretur hoc modo, si constaret rem esse aliam quam putatur; error dat causa contractui .... Enimvero si error det causam promisso, promissio valida non est ... . Quamobrem nec valida est emtio venditio, ~uando res alia pro alia sive quoad corpus, sive quoad materiam venditur ac emitur. 17
Konsequent ist sein Schluß auf Relevanz eines error in qualitate, inkonsequent jedoch dessen Darstellung: Etenim si venditor rem emit ob certam qualitatern, alias eandem non emturus et circa eam qualitatem erretur; error dat causam contractui ... . Quamobrem cum non valeat promissio, cui causam error dat ... ; nec valida est emtio venditio, si emtor vel expresse indecet, vel aliunde id appareat, quod ob qualitatem certam rem emat et circa eam qualitatem erretur. 178
Daß die entscheidende qualitas ausdrücklich erwähnt oder zumindest aus den Umständen erschließbar sein muß, findet sich schon in Wolffs Illustration des Irrtums bei der promissio. Das angefuhrte Beispiel eines Geldversprechens in der irrigen Annahme eines vorangehenden Erbschafserwerbs ergänzt Wolff um den Satz: Quamvis enim non expresse dixerim: si verum est, agnatum meum mortuum esse et me haeredem instituisse, dabo tibi decem aureos: hanc tarnen conditionem tacite inesse promission i ex circumstantiis facile colligitur. 179
Kraft zu verbinden von den Versprechen haben; dasjenige, was wir vom Versprechen gesagt haben, auch von den Verträgen verstanden werden" muß. Dazu gehört auch der Satz: "Weil in dem Falle, da der Irrthum die Ursache am Versprechen ist, man annimmt, es sey unter der Bedingung geschehen, woferne dasjenige wahr ist, welches man durch einen Irrthum vor wahr annimmt; folglich die Bedingung, unter welcher das Versprechen geschehen, nicht würcklich vorhanden; so ist ein Versprechen, woran ein Irrthum schuld gewesen, nicht gültig." (§ 405, S. 245f. der Ausg.). 177 Jus naturae, pars IV cap. IV, § 1055, S. 738 der Ausg. (Bd. 20). 178 Jus naturae, pars IV cap. IV, § 1057, S. 739 der Ausg. (Bd. 20). In der Erläuterung fUhrt Wolff zwei Argumente für diese bewußt in Abweichung vom römischen Recht gewählte Lösung an: Dem denkbaren Einwand, daß der Kauf dennoch, aber zu einem anderen Preis zustande gekommen sein könnte, begegnet er mit der Überlegung, daß in diesem Fall ein error in pretio als Fehlvorstellung über den richtigen Preis vorliege. Darüber hinaus beruft er sich auf die erst im usus modernus entstandene Figur des beachtlichen error in qualitate lega/i; vgl. dazu oben § 7 IV. Wolffvermag keine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung des error in qualitate naturali zu erkennen: .Interpretes Juris eivi/is qualitatem distinguunt in legalem, quae a lege dependet, et naturalem, quae naturae, vel arti debetur. Enimvero eum qua/itas lega/is res non permittat esse in eommereio, ut emi ae vendi non possint; ea in praesenti, ubi ad statum eivi/em non respicitur, non attendenda. Et si vel maxime attendenda forte, sine uti/itate tamen qualitas lega/is a physiea distingueretur, eum emtio nunquam valeat, si error contraetui eausam det, quomodoeunque tandem erratum sit, consequenter etiam si in eo erratum sit, quod putaveris rem vendi posse, quae vendi nequit. ' (S. 740 der Ausg., Bd. 20) 179 Jus naturae, pars III cap. IV, § 569, S. 393 der Ausg. (Bd. 19).
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Soll die ursächliche praesumtio facti aus den Umständen ermittelbar und damit auch filr den Vertragspartner erkennbar sein, entspricht dies nicht mehr der Lehre Grotius', sondern der Ansicht Pufendorfs. '80 Die conditio, die dem Versprechen ,taeite' inhärent sein muß, ist keine automatische Beschränkung der promissio als Akt der Selbstgesetzgebung. 181 Es ist die condieio als Institut des Zivilrechts, von der Pufendorf und Thomasius ausgehen. Trotz seiner Überlegungen zur Eignung des Bedingungsbegriffs fehlt Wolff also die Einsicht in die Verschiedenheit von Grotius' und Pufendorfs Begrifflichkeit und die sich daraus ergebenden praktischen Folgen. 2. Wolffs unklarer Bedingungsbegriff bleibt ohne Einfluß auf die naturrechtlichen Kodifikationen. Diese orientieren sich eher an der Lehre Thomasius', 182 der die conditio als Bedingung im hergebrachten rechtsgeschäftlichen Sinn und ihre Einschaltung in das Geschäft als Voraussetzung der Irrtumsrelevanz ansieht. Besonders deutlich wird dies in Kreittmayrs Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis. Dessen § 25 IV 1 lautet: Ad 3tium giebt der Irrthum keinen hin länglichen Fug zur Annulierung einer Conventi on, ausgenommen unter folgenden zwey Requisiten: Erstlich muß er sich in einem Haupt-Umstande ereignen, anerwogen bloße Nebendinge, soferne sie nicht ausdrücklich in Bedingniß gebracht sind, dießfalls nichts zur Sache thun. Zweytens muß solcher nicht von einem Dritten, sondern von dem gegentheiligen Compascienten selbst dolo vel culpa veranIaßt seyn, sonst fallt er mehr dem Irrenden, als einem anderen zur Last.
. he A XlOm:, . . dub·/0 semper nocere ue -1 b ·,183 erDas thomaslsc error In et errantl, kennen Luig l84 und Schermaier l85 hier übereinstimmend in seiner spezifischen Funktion als Gefahrtragungsregel. 186 Die Frage, ob diese Deutung von Thomasius selbst stammt oder eine spätere Verfremdung ist, konnten wir schon mit Hilfe von Thomasius' Bedingungsbegriff auflösen: Daß allein der Irrende die
180 Eine eindeutige Zuordnung zu einen oder anderen Lehre, wie sie Oebike, Wille und Erklärung beim Irrtum in der Dogmengeschichte der bei den letzten Jahrhunderte (1935) 16 (Grotius) und Haupt, Die Entwicklung der Lehre vom Irrtum beim Rechtsgeschäft seit der Rezeption (1941) 31 (Pufendorf) vornehmen, gelingt nicht. 181 So aber offensichtlich Schermaier, Bestimmung 275. 182 So auch Coing, Europäisches Privatrecht I (1985) 419, 11 (1989) 448, Zimmermann, The Law of Obligations (1990) 613. 183 Dieses zitiert Kreittmayr in seinen ,Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum Civilem', n. 3 zu § 25 IV 1, Bd. 4, S. 76 der Ausg. München 1844. 184 FS Kreittmayr 74f.; etwas anders noch in: Forschungsband Zeiller (1980) 160. 185 Bestimmung 354ff. 186 Beide wenden sich damit sowohl gegen die haltlose Ansicht von Haupt, Die Entwicklung der Lehre vom Rechtsgeschäft seit der Rezeption (1941) 35, 38f., der in Verkennung des thomasischen Einflusses an einen südostdeutschen Sonderweg glaubt, der von ,primitiver Härte' geprägt sei (so ebenfalls Hübner, FS Kaser (1976) 723; dagegen Luig schon in SZ (GA) 96 (1979) 51).
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum Ober wesentliche Eigenschaften
Gefahr einer vom Vertragspartner nicht veranlaßten Fehlvorstellung trägt, liegt daran, daß er mit der conditio über ein Mittel zur Bewältigung des Risikos einer Fehlvorstellung verfUgt. Nutzt er es nicht, schlägt der Erkenntnismangel zum eigenen Nachteil aus. Genau diese Lösung ist in Kreittmayrs Codex umgesetzt: Auf das Erfordernis einer conditio verzichtet das Gesetz nur bei einem Hauptumstand der Vereinbarung. Ansonsten sind die von einem Vertragspartner rur wesentlich gehaltenen Umstände "ausdrücklich in Bedingniß" zu bringen. Großzügiger ist die Irrtumsregelung des Preußischen ALR. 187 Dieses berücksichtigt neben dem Irrtum im Wesentlichen des Geschäfts 188 eine Fehlvorstellung über Eigenschaften der Person und Sache auch dann, wenn sie bei Geschäften dieser Art gewöhnlich vorausgesetzt werden. Der Unterschied zum Irrtum über ausdrücklich vorausgesetzte Eigenschaft besteht allerdings darin, daß dieser anders als der Irrtum über nur gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaften nicht der Prüfung auf ein grobes oder mäßiges Verschulden des Irrenden unterzogen wird. Die maßgeblichen Vorschriften im vierten Titel des ersten Teils sind: § 75. Irrthum in dem Wesentlichen des Geschäfts, oder in dem Hauptgegenstande der Willenserklärung macht dieselbe ungültig. § 77. Auch Irrthum in ausdrücklich vorausgesetzten Eigenschaften der Person oder Sache vereitelt die Willenserklärung. § 78. In allen diesen Fällen (§. 75.76.77) bleibt die Willenserklärurig ungültig, auch wenn der Erklärende den Irrthum hätte vermeiden können.
§ 81. Irrthum in solchen Eigenschaften der Person oder Sache, welche dabey gewöhnlich vorausgesetzt werden, entkräftet ebenfalls die Willenserklärung. § 82. Doch besteht dieselbe, wenn der Irrende durch eigenes grobes oder mäßiges Versehen seinen Irrthum veranlaßt hat.
Schermaier 189 ortet diese Regelung in der Mitte zwischen Pufendorfs zu Thomasius' Lehre. Isoliert betrachtet läßt sich die Anerkennung von Irrtümern über gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaften beiden Systemen zuschlagen. 190 Einerseits kann sie als Einschränkung von Pufendorfs Kriterium der erkennbaren ,praesumtio facti', andererseits als Auflockerung von Thomasisus' Forderung nach einer ausdrücklichen Bedingung verstanden werden. Die Entscheidung rur die zweite Möglichkeit gibt ein Blick auf die Bedingungslehre und das Gewährleistungsrecht des ALR vor: 187 Hierzu Luig, AcP 194 (1994) 531 f. Den Zusammenhang mit der Irrtumslehre Svarez' untersucht eingehend Schermaier, Bestimmung 364fT. 188 Daß mit dem gleichgestellten Irrtum im Hauptgegenstande der Willenserklärung kein Erklärungsirrtum gemeint ist, zeigt Schermaier, Bestimmung 373. 189 Bestimmung 376f. 190 Noda, Jus commune 16 (1989) 96 schreckt auch vor einer RückfUhrung auf die Irrtumslehren Titius' und Samuel Coccejis zurück. Wir halten es ebenso.
§ 9 Handlungstheoretische und rechtsgeschäftliehe Bedingungslehre
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Auskunft über die Bedeutung des Begriffs "Voraussetzung" geben die Vorschriften zum "Bewegungsgrund", die sich im selben Abschnitt wie das Irrtumsrecht am Ende der Regelungen über die Bedingung finden: § 145. Wird bey einer Erklärung eine gewisse Begebenheit oder Thatsache, als eine solche, die entweder schon geschehen ist, oder noch geschehen soll, blos vorausgesetzt, so ist sie nur als ein Bewegungsgrund anzusehen.
§ 146. Der angefilhrte Bewegungsgrund dient hauptsächlich nur zur Erklärung einer zweifelhaften Absicht.
Die Voraussetzung hat nicht die gleiche Wirkung wie die Bedingung. Sie entscheidet nicht selbst über den Eintritt der Rechtsfolgen einer Willenserklärung, sondern dient "hauptsächlich" nur deren Deutung. 191 Die ausdrücklich vorausgesetzten Eigenschaften im Sinne von § 77 I 4 ALR sind demnach nicht per condicionem ausbedungen,l92 sondern Bestandteil der Willenserklärung in der Hauptsache. Diese umfaßt bei einem Vertrag von vornherein die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften. Ist deren Fehlen nicht offensichtlich, stehen sie ausdrücklich vorausgesetzten Eigenschaften gleich; ansonsten bestimmen sich die Rechte des Leistungsempfiingers nach den irrtumsrechtlichen Vorschriften: § 319. Er muß die bey der Sache gewöhnlich vorausgesetzten, und die im Contract ausdrUcklieh vorbedungenen Eigenschaften vertreten.
§ 325. Fehlen der Sache ausdrUcklieh vorbedungene Eigenschaften, so ist der Empfltnger auf die Gewährung derselben anzutragen berechtigt. § 329. Fehlen der Sache solche Eigenschaften, die dabey gewöhnlich vorausgesetzt werden, so finden die Vorschriften des vierten Titels §. 81. 82 Anwendung. § 331. Ist aber der Fehler nicht in die Augen fallend, so findet alles statt, was von dem Mangel einer solchen Eigenschaft, deren Gewährung ausdrücklich versprochen worden, §. 325 - 328. vorgeschrieben ist.
Sind die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften selbstverständlicher und bei Verträgen schon gesetzlich vorgegebener Bestandteil einer Willenserklärung zur Hauptsache, läßt sich ihre irrtumsrechtliche Relevanz nicht Pufendorfs Lehre von der Beachtlichkeit bloß erkennbarer ,praesumtiones facti' zuordnen. Die Regelung des ALR entspricht Thomasius' Forderung nach einer rechtsge191 Ausnahmen enthalten §§ 148, 150 I 4 ALR filr einen vorsätzlich hervorgerufenen Irrtum und filr freigiebige Geschäfte. 192 Dies erkennt auch Brauer 58ff., der jedoch zu Unrecht annimmt, die Irrtumsregelung des ALR habe nicht nur tatsächlichen, sondern auch vereinbarten Eigenschaften der Person oder Sache gegolten. Der Verzicht auf die Zuordnung zur Bedingungslehre bedeutet noch nicht, daß die Regelung des ALR filr den Erklärungsirrtum zugänglich gewesen wäre. Das Gegenteil beweist die Verschränkung mit dem Gewährleistungsrecht, die keineswegs inkonsistent ist und Brauers Verdikt einer "Gemengelage" ebensowenig verdient wie Schermaiers FesteIlung eines "hoffnungslosen Widerspruchs" (vgl. Bestimmung 377).
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum über wesentliche Eigenschaften
schäftlichen Bestimmung. Der Unterschied zu seiner Lehre ist nur rechtstechnischer Art: Statt von einer gesonderten Bedingung auszugehen, integriert das ALR die Voraussetzung in die Willenserklärung. 193 Die Irrtumsregelung des ABGB von 1811 stimmt mit der des ALR insofern überein, als die Relevanz eines Irrtums über wesentliche und sonstige Eigenschaften der Hauptsache von deren vertraglicher Ausbedingung abhängt. Daß dies wie im Codex Maximilianeus auch rur sonstige "Nebenumstände" gilt, macht die Regelung des ABGB großzügiger als die des ALR. 194 Daß die BeachtIichkeit eines jeden Irrtums dessen Verursachung durch falsche Angaben des Vertragspartners und fehlendes Verschulden des Irrenden voraussetzt, macht sie enger und ruckt sie wiederum in die Nähe des Codex Maximilianeus: § 871. Wenn ein Theil von dem anderen Theile durch falsche Angaben irre geführt worden, und der Irrthum die Hauptsache, oder eine wesentliche BeschatTenheit derselben betriffi, worauf die Absicht vorzüglich gerichtet und erkläret worden; so entsteht fllr den Irregeführten keine Verbindlichkeit. § 872. Betrifft aber der Irrthum weder die Hauptsache, noch eine wesentliche BeschatTenheit derselben, sondern einen Nebenumstand; so bleibt der Vertrag in so fern beyde Theile in den Hauptgegenstand gewilliget, und den Nebenumstand nicht als vorzügliche Absicht erkläret haben, noch immer gültig; allein dem Irregeführten ist von dem Urheber des Irrthums die angemessene Vergütung zu leisten. § 876. Wenn der versprechende Theil selbst und allein an seinem wie immer gearteten Irrthume Schuld ist, so besteht der Vertrag; es wäre denn, daß dem annehmenden Theile der obwaltende Irrthum otTenbar aus den Umständen autTallen mußte. 195
Dem Gebot, die vorzügliche Absicht zu erklären, liegt wiederum die Erwägung zugrunde, der Irrende könne sich durch hinreichende Erklärung des Risikos einer Fehlvorstellung entledigen. Als unterstützendes Argument findet sich diese Überlegung noch in der Vorgängerregelung von § 876 im Urentwurf des AGBG. Dessen § 20 lautet: Die Annahme eines Versprechens ist ferner giltig, wenn der versprechende Theil selbst und allein an seinem Irrthum Schuld ist: da es von ihm abhieng, das Versprechen unter gewissen Bedingungen zu machen; so ist es natürlich, daß er die Folgen seiner Unwissenheit und seines unvorsichtigen Benehmens selbst trage. 196
193 Entgegen Noda, Ius commune 16 (1989) 96 ist die naturrechtliehe Bedingungskonstruktion damit keineswegs überwunden, sondern nur modifiziert. 194 Vgl. dessen Ausschlußvorschrift in § 83 I 4: ,Durch Irrthum in andern Eigenschaften oder Umständen wird die Willenserklärung niemals vereitelt. ' 195 Zur Gesetzgebungsgeschichte und zur Rolle von Martini und Zeiller eingehend Luig, Forschungsband Zeiller (1980) 161tT. und Schermaier, Bestimmung 438tT. Wie bei der Beurteilung von Thomasius' Lehre streiten sich beide auch hier darüber, ob der Grundsatz der Eigenschädlichkeit des Irrtums dem Gefahrtragungsprinzip oder vertrauenstheoretischen Erwägungen entspringt. 196 § 20 Urentwurf; vgl. Ofner, Der Ur-Entwurf und die Berathungs-Protokolle des Oesterreichischen ABGB, Wien 1889, Bd. I, S. XCI.
§ 10 Rückkehr zur römischen Irrtumslehre
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Die spätere Streichung dieser im Gesetz überflüssigen Bemerkung ändert nichts an ihrer Aussagekraft filr den Sinn der Regelung. 191 3. Was Codex Maximilianeus, ALR und ABGB vom eigentlichen Irrtumsrecht übrig lassen, ist die Fehlvorstellung über den Hauptum oder -gegenstand. Ihre Ausnahme vom Erfordernis einer Bedingung oder Voraussetzung beruht auf der Unterstellung ihrer Ursächlichkeit filr den Vertragsschluß und folgt der älteren Scheidung der Irrtumsarten nach Fehlvorstellungen über essentialia und accidentalia negotii. 198 Daß sie die naturrechtliche Umdeutung des Irrtums- in ein Bedingungsrecht sogar in Gesetzesform l99 überlebt hat, ist ein Zeichen filr die Widerstandskraft des gemeinen Rechts, welches nach der Selbstaufhebung der naturrechtlichen Irrtumslehre den Ausweg finden muß.
§ 10 Rückkehr zur römischen Irrtumslehre Das Argument, der Irrende habe durch Verzicht auf eine Bedingung selbst das Risiko einer Fehlvorstellung übernommen, triffi einen Irrtumsfall nicht: die Fehlvorstellung über den Inhalt der eigenen Erklärung. Deren Übereinstimmung mit der Vorstellung kann sich ihr Urheber nicht ausbedingen, ohne die Erklärung selbst zu entwerten. Will er sie abgeben, bieten ihm die Instrumente rechtsgeschäftlicher Gestaltung keinen Schutz gegen das Risiko einer Fehlvorstellung über Existenz und Bedeutung des Erklärten. Zwar läßt auch auf diesen Irrtum die einfache Gefahrtragungsregel anwenden, zu der Gundling und Hommel die thomasische Sentenz: ,error in dubio semper nocere debet erranti " gemacht haben. Sieht man in ihr nur eine unvermittelte Zuweisung von Gefahrenbereichen, filhrt sie zu dem Ergebnis, daß der mögliche Nachteil einer zufälligen und selbst verschuldeten Fehlvorstellung den Irrenden treffen muß?OO Diese Lösung läßt sich jedoch nicht mit der wahren Bedeutung von Thomasius' Satz vereinbaren. Er ist verbunden mit der Erklärungspflicht, die den Urheber eines Rechtsgeschäfts triffi. Diese wiederum knüpft an die conditio als Instrument zum Schutz gegen das Auseinderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit
191 Als "bloß begründende Schlußstelle" mußte sie während der Beratung der Hofkommission für Gesetzsachen einer Ausnahmebestimmung für den offenbaren Irrtum weichen, vgl. Ofner, Bd. H, S. 14. 198 Schermaier, Bestimmung 356 verfolgt ihren Weg in den Codex Maximilianeus über Titius zurück. 199 Am reinsten in Art. 1110 CC, dessen gemeinrechtliche Prägung durch die Irrtumslehre Pothiers Schermaier, Bestimmung 387ff. aufzeigt. 200 Die Fälle der römischen Juristen kann Hommel, Rhapsodia, obs. DCCLXXXIV n. 8, S. 326 der Ausg. Bayreuth 1785, daher nur als solche des zweiseitigen Irrtums deuten, in dem die Zufallsgefahr beide Parteien treffe: ,Sunt pauci tantummodo casus, ubi leges exceptionem erroris admittunt, inter quas is, si ab utraque parte erratum fuerit. ... Hinc infortunium sive casus utrinque adest, ergo infortunium infortunio compensandum. ' 1 Harke
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2. Kap.: Vom error in materia zum Irrtum Uber wesentliche Eigenschaften
an. Nur wo dieses zur Verfilgung steht, darf der Satz, error in dubio semper nocere debet erranti' eingreifen. Wenn Thomasius selbst nicht zu diesem Schluß gekommen ist, liegt dies an seinem Irrtumsbegriff. Error ist filr ihn wie filr seine gemein- und naturrechtlichen Vorgänger die unrichtige ,praesumtio/acti'. Zu den/acta, die Gegenstand der falschen praesumtio sein können, gehört nicht die Erklärung. Sie existiert seit der byzantinischen Rechtwissenschaft nur als Medium des Willens. Einen Eigenwert, der sie zum/actum und damit zum tauglichen Gegenstand eines Irrtums machen würde, hat sie nicht. Gewinnen kann sie ihn erst durch das von Wolff vorbereitete, von Nettelbladt ausgefilhrte 201 Modell der Willenserklärung,202 bei dem die Erklärung dem Willen als selbständiges Element gegenUbertritt. Ist die Erklärung irrtumsbefangen, versagt die Erwägung, der Erklärende hätte sich rechtsgeschäftlich vor seiner Fehlvorstellung schUtzen können. Übrig bleibt nur, die Geltung des Erklärten unmittelbar aus der Pflicht zum deutlichen Ausdruck herzuleiten. Diese Lösung hätte aber keine Ähnlichkeit mehr mit dem Schluß aus der unterlassenen Bedingung. Dessen Ergebnis ist mit dem Grundsatz der Selbstbestimmung von Rechtsfolgen vereinbar: Indem er auf die Absicherung seiner Vorstellung durch eine Bedingung verzichtet, hat der Irrende das Risiko einer Fehlvorstellung selbst übernommen. Auch wenn er sich der möglichen Unrichtigkeit seiner Annahmen nicht bewußt ist, wird die Auslassung der Bedingung von seinem Bewußtsein getragen. Anders liegt es bei einer Fehlvorstellung über Existenz und Inhalt der eigenen Erklärung. Hier fehlt dem Erklärenden das Bewußtsein daftlr, welches Zeichen er setzt. Eine auf sein Verschulden oder die Zuordnung zu seinem Gefahrenbereich gestUtzte Geltung des Er201 Zum Streit Uber das Gewicht des jeweiligen Beitrags der bei den Juristen nimmt auch Schermaier, Bestimmung 291ff. Stellung. Seine Entscheidung für die größere Bedeutung von Nettelbladt läßt sich anhand der irrtumsrechtlichen Untersuchung bei WolfT, Jus natura, pars IV cap. IV, § 1054, S. 736 der Ausg. Halle/Magdeburg 1743 (=Gesammelte Werke 1968, Bd. 20) untermauern: .Etenim quia venditor in pretio indicando erravit. adeoque pretium vero majus. quod ab emtore accepit. pro vero habuit ... ; res pro vero pretio emta censetur. consequenter plus dedit emtor per errorem. quam dare debebat. Quodsi ergo venditor quod plus datum non restituerit. locupletior fieret pecunia alterius ... . adeoque cum damno alterius ... . Quamobrem cum nemo locupletior fieri debeat cum damno alterius ..... si venditor in pretio indicando erravit et vero majus ab emtore accepit. quod plus accepit. eidem reddere tenetur.· Wolff beschäftigt sich mit einem Fall des Erklärungsirrtums: Der Verkäufer hat sich versprochen und einen höheren Preis verlangt, als er eigentlich haben wollte, der Schuldner hat diesen bezahlt. Wolffs schneller Durchgriff auf das Bereicherungsrecht ist nur damit zu erklären, daß er die declaratio des Verkäufers für völlig bedeutungslos hält und die Preisvereinbarung unmittelbar dem übereinstimmenden Willen der Parteien entnimmt. 202 Dessen Bedeutung für die Entwicklung des Irrtumsrechts ist schon hinreichend betont worden; vgl. Oebike, Wille und Erklärung beim Irrtum in der Dogmengeschichte der bei den letzten Jahrhunderte (1935) 14fT., 36f., Schermaier, Bestimmung 291.
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klärten läßt sich nicht auf die bewußte Übernahme eines Risikos zurUckftihren. Die Bindung an die Erklärung würde nicht mehr an eine Entscheidung des Erklärenden, sondern allein an das gesetzte Zeichen als zurechenbaren Erfolg anknUpfen. Sie hätte so die gleiche Struktur wie eine außervertragliche Haftung. Diese läßt sich mit der Anerkennung von Erklärungs- und Inhaltsirrtum kombinieren, kann jedoch nicht an deren Stelle treten, ohne daß zugleich das Prinzip der Selbstbestimmung aufgegeben wUrde. Daß der wesentliche Irrtum in einer Fehlvorstellung Uber die eigene Erklärung liegen muß, erweist sich damit als notwendige Folge der untergegangenen Irrtumslehre des Naturrechts. Diese hat sich im Werk Thomasius' selbst aufgehoben und in eine Lehre von der rechtsgeschäft lichen Bedingung verkehrt. Der hieraus entstandene Satz. error in dubio semper nocere debet erranti' darf weiterhin Geltung beanspruchen. Er erfaßt zwar nicht den Erklärungs- und Inhaltsirrtum, wohl aber alle Ubrigen Fehlvorstellungen, die sich Irrtümer im Beweggrund nennen lassen. Der Satz von der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums ist älter als seine Voraussetzung: die Einsicht in den Zusammenhang von Risikoübernahme und Beschränkung auf den Erklärungs- und Inhaltsirrtum. Erst sie kann der ohne zureichende Basis entwickelten Regel nachträglich eine Grundlage geben. Auch mit dieser gelingt die richtige Einordnung des Eigenschaftsirrtums aber zunächst nur zuflillig: I. Vorkämpfer ftir den Satz von der Irrelevanz des Motivirrtums war Thibaut. In seiner Kritik an der Irrtumslehre Glücks 203 wendet er sich gegen dessen später revidierte 204 Ansicht, ein einseitiger Irrtum sei stets beachtlich, wenn er unvermeidbar und ftir den Vertragsschluß kausal war. Den Irrtum im Beweggrund will Thibaut nur anerkennen, falls die Richtigkeit der Fehlvorstellung zum Gegenstand einer Bedingung gemacht wurde.20s Diese Ansicht entspricht Zu dieser oben § 7 IV und vor allem Schermaier, Bestimmung 331 ff. Dazu Schermaier, Bestimmung 334. 205 Bruchstücke zur Berichtigung und Ergänzung der gewöhnlichen Begriffe über die Wirkung des Irrthums bey Verträgen, Stück 11, in: Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Bd. 2, S. 108 der Ausg. Jena 1817. Den Fall der Bedingung nennt Thibaut hier zwar ebenso wie die Fehlvorstellung über eine bestehende Verpflichtung "Ausnahme" vom Prinzip der Irrelevanz des Motivirrtums. Daß dies nur ein Mißgriff in der Formulierung ist, zeigt seine vorangehende allgemeine Bemerkung: "Es muß also vielmehr die allgemeine Regel seyn, daß der Irrthum über die Beweggründe ex capite erroris kein Geschäft ungültig macht, man mag nun ein Interesse an der Ungültigkeit haben, oder nicht." (S. 106). Danach ist der Motivirrtum als solcher stets irrelevant. Die Rechtsfolgen entspringen unmittelbar den jeweils einschlägigen Instituten, also Bedingung oder condictio indebiti. Daß dies auch im Gewährleistungsrecht der Fall ist, stellt Thibaut außer Zweifel: Sein Zusatz zum 11. Stück (S. \09f.) dient entgegen Noda, Ius commune 16 (1989) 106 nicht der Beschreibung einer weiteren "Ausnahme", sondern vielmehr der Befestigung des Satzes von der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums. Dieser ergibt sich für Thibaut nicht zuletzt daraus, daß die Fehlerhaftigkeit der Kaufsache, obschon von einer Fehlvorstellung des Käufers begleitet, nur vertragliche Rechtsbehelfe 203
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der Haltung Thomasius,.206 Thibaut unterlegt sie mit dem Hinweis auf die Rechtsfolgen des dolus. 207 Zu dessen Sanktion bedürfte es keiner exceptio oder restitutio in integrum, wenn schon der durch Täuschung bewirkte Irrtum im Beweggrund die zivilrechtliehe Nichtigkeit des Geschäfts zeitigte. Zum Gegenteil des unbeachtlichen Motivirrtums macht Thibaut den Irrtum über den Geschäftsgegenstand, dessen Relevanz er auf das Erfordernis des consensus zurückfUhrt: "Der Grund, warum die Römer ein Geschäft eines Irrthums wegen als nichtig ansehen, wird immer darin gesetzt: quia consensus de/icit. Der consensus besteht aber in nichts anderm, als darin, daß die Absicht bei der Theile auf Einen Punct, in Einem Obj ect zusammentriffi. Nur der error in obiecto (in re et negotio) kann den consensus ausschließen; und sobald bei der Absicht in dem Gegenstande zusammentriffi, ist eine wahre Einwillifcung vorhanden, sie mögen nun über die Beweggründe gleich denken, oder nicht." 08
Diese Lehre, die bald zur herrschenden Meinung wird,209 ist weder auf der Höhe der Zeit, noch trifft sie die Ansicht der römischen Juristen. Sie ist rückständig, weil sie vom Vertrag und nicht vom allgemeineren Begriff der Willenserklärung ausgeht. Sie verfehlt das römische Recht, weil sie zum Anknüpfungspunkt des consensus nicht den Vertragsinhalt, sondern die übrige Wirklichkeit macht: Das "Eine Object", in dem die Ansichten der Parteien zusammentreffen sollen, ist ein solches der empirischen Wirklichkeit. Der Irrtum, dem ein Vertragspartner hierüber unterliegen kann, unterscheidet sich in seiner Struktur zeitigt und nicht zur Unwirksamkeit des Kaufvertrags fUhrt. Daß Thibaut bei dieser Gelegenheit ohne Erwähung der Bedingung darauf hinweist, der Fall der condictio indebiti sei eigentlich keine Ausnahme vom Dogma der Irrelevanz des Motivirrtums, zeigt, wie wenig ausgegoren seine Irrtumslehre ist. - Eine klarere Vorstellung von der Zugehörigkeit des bedingungsgeschützen Bewegrundes hat Richelmann, Der Einfluß des Irrthums auf Verträge, Hannover 1837. Er schließt sich Thibauts Lehre an. Zur Wirkung des Irrtums über den Gegenstand einer Bedingung meint er: "Eine Erweiterung dieses Satzes mit Mehren dahin zu machen, daß jedem Irrthum dann diese Wirkung beizulegen sey, wenn der Bestandtheil, worüber geirrt wird, ausdrücklich als Bedingung von den Contrahenten vorausgesetzt sey, ist in der That überflüssig, da in solchem Falle nicht der Irrthum, sondern die besondere Verabredung selbst den Vertrag hinfällig macht." (S. 14). - Vergleichbar ist auch Richelmanns Urteil über den error in existentia: "Der Hauptgesichtspunkt, aus dem die in der Überschrift aufgeworfene Frage beurtheilt werden muß, ist zwar nicht sowohl herzunehmen von den Grundsätzen des Irrthums, als vielmehr von der Unmöglichkeit oder großen Schwierigkeit der Erfüllung, .... "
206 Wie Schermaier, Bestimmung 467 bemerkt, gibt Thibaut, Stück VII, S. 131, auch Thomasius' Satz von der Eigenschädlichkeit des Irrtums in Form der Gefahrtragungsregel wieder: "Das Naturrecht kann hier nichts anderes sagen, als: jeder trage die Folgen des Zufalls, weIcher sich in seiner Person ereignet; ... ". 207 Stück 11, S. 106. 208 Stück 11, S. 105E 209 Vgl. die eingehende Untersuchungen von Noda, lus commune 16 (1979) I08ff. und Schermaier, Bestimmung 475fT.
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nicht von dem Intum im Beweggrund. Daß dieser anders als jener irrelevant bleiben soll, ist nicht einzusehen. Richelmann, der sich in seiner Dissertation über den Irrtum Thibauts Lehre anschließt, kann sich bei der Rechtfertigung des Unterschieds nur mit dem - aus der modemen Rechtsprechung bekannten 210 - Kriterium der Unmittelbarkeit behelfen: " ... , bedingen wir aber die Wirksamkeit dieses Irrthums dadurch, daß er sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Vertrages selbst beziehet, so setzen wir an die Stelle des Irrthums in den Motiven den Irrthum im Objecte, wobei nur die gewöhnlichen Regeln gelten können; ... ,,211
Eine befriedigende Abgrenzung gelingt erst Savigny, der jedenfalls der Sache nach zum römischen Begriff des error zuruck- und durch Übertragung auf das Institut der Willenserklärung zugleich Anschluß an die Entwicklung der Rechtsgeschäftslehre findet. 212 11.1. Daß der Intum im Beweggrund nach gemeinem Recht irrelevant ist, ergibt sich filr Savigny ebenso wie filr Thibaut bereits aus der Existenz der sonst überflüssigen Rechtsbehelfe wegen dolus. 213 Auch das Gewährleistungsrecht, schon von Thibaut als Argument eingesetzt, nutzt Savigny rur den Beweis der Siehe vor allen unten § 13. Der Einfluß des Irrthums auf Verträge, Hannover 1837, S. 39f. Schermaier, Bestimmung 474f. hält dies zu Recht fIlr eine petitio principii, wirft Richelmann aber zu Unrecht einen Widerspruch mit seinen vorangehenden Äußerungen vor. Wenn Richelmann 15f. fordert, daß der "irrthümlich vorausgesetzte Umstand stets zugleich Bestimmungsgrund zur Eingehung des Vertrages gewesen sein" müsse, meint er damit nur eine Prüfung, die zu der Untersuchung des Irrtums auf die Erheblichkeit seines Gegenstands hinzutreten soll. Bei jener Prüfung geht es - wie auch Oe bike, Wille und Erklärung beim Irrtum in der Dogmengeschichte der bei den letzten Jahrhunderte (1935) 29f. verkennturn den Ausschluß des Falles, in dem der Vertrag ohnehin geschlossen wäre. Für Richelmann ist nicht die Kausalität positive Voraussetzung des wesentlichen Irrtums, die fehlende Ursächlichkeit vielmehr Grund fIlr dessen Ausschluß. Entsprechend fiUlt die Beweislastverteilung aus: "Jedoch müssen wir fIlr den zweifelhaften Fall die gesetzliche Regel [Nichtigkeit] in Anwendung bringen, das Gegentheil aber nur annehmen, wenn es klar aus den Umständen erhellet." (S. 15). 212 Der Umstand, daß es den Begriff des Motivirrtums schon vor Savigny gibt, schmälert dessen Verdienste daher trotz Flume, AT 113 442 keineswegs. Er sollte auch nicht genügen, Savigny mit Zimmermann, The Law of Obligations (1990) 614 die Rolle eines ,great innovator' abzusprechen. Die Ansicht von Haupt, Die Entwicklung der Lehre vom Rechtsgeschäft seit der Rezeption (1941) 41 f., die von Savigny ausgefilhrte Lehre habe dem gemeinen Recht "von jeher" zugrunde gelegen, wäre noch nicht einmal dann richtig, wenn man sie ohne Abstriche fIlr die Auffassung der klassischen römischen Juristen nähme. Richtig eingeschätzt wird Savignys Bedeutung von Oebike, Wille und Erklärung beim Irrtum in der Dogmengeschichte der bei den letzten Jahrhunderte (1935) 32, der meint, vor Savigny sei der Motivirrtum zwar dem Namen nach, nicht aber in Wesen und Funktion bekannt gewesen. 213 System des heutigen römischen Rechts III (1840) 342f. (Beylage VIII). 210
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Unbeachtlichkeit des Motivirrtums. Er sieht es zwar als Ausnahme von der Regel über die Irrelevanz des Motivirrtums an,214 hält diese wegen der Offenkundigkeit des Ausnahmecharakters jedoch gerade rur bestätigt: Das "Ganz Positive" des ädilizischen Sachmängelrechts komme in der Eigenständigkeit der gewährten Klagen und ihrer mangelnden Herleitung aus der Vertragsklage hinreichend zum Ausdruck. 21S Neben dieser positivistischen Argumentation, die auf der unzutreffenden Annahme beruht, die römische actio empti stehe filr das Gewährleistungsrecht nicht zur Verfilgung,216 entwirft Savigny eine andere, wirkungsträchtigere Begründung. Den naturrechtlichen Satz, eine unter falscher ,praesumtio facti' gesetzte Rechtsfolge sei ungewollt und damit hinfällig, kehrt er in sein Gegenteil: Der Irrtum im Beweggrund hebe gerade nicht den Willen des Irrenden auf. Nur seiner Entscheidung sei es zu verdanken, daß der Motivirrtum überhaupt Konsequenzen zeitige und in der Vornahme eines Rechtsgeschäfts mUnde: "Immer war es der Handelnde selbst, der dem Irrthum diese bestimmende Kraft einräumte. Die Freyheit seiner Wahl zwischen entgegengesetzten Entschlüssen war unbeschränkt. ,,217
Für die juristische Erfassung des Problems folgt daraus die "scharfe Unterscheidung des Wollens selbst, von Demjenigen was ihm in der Seele des Wollenden vorherging,,218. Während dieses ohnehin irrelevant ist, soll es beim "Wollen selbst" gar nicht auf den Irrtum, sondern nur darauf ankommen, ob der Wille als "nothwendige Bedingung der juristischen Thatsache,,219 vorhanden ist. Der Irrtum, den Savigny als unechten, weil selbst wirkungslosen, bezeichnet,220 "ist nicht der positive Grund des Schutzes, welcher dem Irrenden gegen den Nachtheil gewährt wird, sondern dieser Grund ist ganz negativ, die bloße Abwesenheit des Willens, wodurch allein dieser Nachtheil begründet werden könnte.,,221
Über die Wirksamkeit einer Willenserklärung entscheidet daher allein die Übereinstimmung der Erklärung mit dem Willen des Erklärenden. 222 Auf die
214 Vgl. System III 114f. und 356ff. (Beylage VIII), wo Savigny als weitere Ausnahme auch die condictio indebiti anfUhrt. Anders als bei Thibaut (dazu oben N. 205) ist der Begriff der "Ausnahme" in Savignys Lehre unproblematisch, denn er entwirft eine eigenständige Lehre fUr den "ächten" Irrtum, fUr die der Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums ebenfalls gilt. 215 System III 359 (Beylage VIII). 216 Dazu oben § 6 11 I. 217 System III 113. 218 A.a.O. 219 System III 440 (Beylage VIII). 220 System III 264 und 441 (Beylage VIII). 221 System III 263. 222 System III 265 und 444 (Beylage VIII).
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Ursache einer möglichen Divergenz, insbesondere das Verschulden des Erklärenden, kommt es nicht an. 223 2. Die Funktion des Irrtums beschränkt sich darauf, die Divergenz von Wille und Erklärung erkennbar zu machen und zugleich eine Abgrenzung zum geheimen Vorbehalt zu ermöglichen. Dieser ist rur Savigny unbeachtlich, wenn er "in dem Gedanken des Handelnden eingeschlossen,.224 und nicht als Teils eines Scherzes, symbolischen Akts oder einer Simulation dem Erklärungsempfllnger gegenüber hervorgetreten ist. 22S Das Erfordernis eines äußeren Zeichens überträgt Savigny auch auf den Fall, in dem Wille und Erklärung ohne Absicht des Erklärenden auseinanderfallen. Hier ist es der Irrtum, der die Divergenz von Wille und Erklärung aus "dem bloßen Gedanken des Handelnden" hervorhebt und zur Anschauung bringt: "Demnach darf ein Widerspruch zwischen dem Willen und der Erklärung nur angenommen werden, insofern er rur den, weIcher mit dem Handelnden in unmittelbare BerUhrung kommt, erkennbar ist oder wird, also unabhängig bleibt von dem bloßen Gedanken des Handelnden. Dieses kann geschehen aufzweyerley Weise. Erstlich mit dem Bewußtseyn des Handelnden, indem Dasjenige, was sonst als Zeichen des Willens dient, in diesem einzelnen Fall erweislich einen anderen Zweck hat. Zweytens ohne dessen Bewußtseyn, indem derselbe in einem solchen Irrthum befangen ist, wodurch der Wille selbst ausgeschlossen, und der bloße Schein des Willens hervorgebracht wird.,,226
Mit der "Erkennbarkeit" des Widerspruchs von Wille und Erklärung ist entgegen Luii227 nicht ein zusätzliches Kriterium gemeint, das zu dem Irrtum hinzutritt. Anders, als Nodcl 28 und Schermaier229 glauben, geht es Savigny dabei aber auch nicht um die Beweisbarkeit des Irrtums. Diese ist erst der zweite Schritt. Die "Erkennbarkeit", die beim bewußten Vorbehalt von vornherein gegeben sein muß, ist durch den Irrtum selbst gewährleistet. Ohne dessen nachträgliche Behauptung ist dem Erklärenden verwehrt, sich auf eine Divergenz von Wille und Erklärung zu berufen. Savigny widerlegt damit seine eigene Ansicht, der Irrtum sei rur sich bedeutungslos und nur zuflilliger Auslöser der Abwesenheit des Willens. Im Ergebnis übernimmt er die Lehre des klassischen römischen Rechts, indem er den Angriff auf das in Erscheinung getretene Geschäft an die Behauptung eines Irrtums knüpft. Der Unterschied besteht nur im Objekt des Angriffs. Während es rur die
223 System III 446 (Beylage VIII). 224 System III 263. 225 System III 260ff. 226 System III 259. 227 lus commune 6 (1979) 47f. 228 lus commune 16 (\979)124f. 229 Bestimmung 489f.
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klassische römische Jurisprudenz im Vertrag liegt, ist es rur Savigny die Willenserklärung des Einzelnen. Diese Modifikation macht die Irrtumslehre nicht nur rur außervertragliche Rechtshandlungen fruchtbar. Sie ist auch im Vertragsrecht konsequent. Denn seit den Byzantinern ist der Vertrag keine unzerlegbare Einheit mehr, sondern die Summe von Parteiakten. 23o Beläßt man es bei dieser Aufspaltung, muß an die Stelle des objektiven Vertragsinhalts als Maßstab der Parteivorstellung die Willenserklärung des einzelnen Kontrahenten treten. Ein Problem bereiten nur die Quellen, in denen error und dissensus promiskue verwendet werden. Savigny setzt sich hierüber nicht einfach hinweg. Statt error nur als Fehlvorstellung über die eigene Erklärung und dissensus als die Nichtübereinstimmung der Erklärungen zu bestimmen, integriert er error und dissensus in eine einheitliche Irrtumsfigur. Diese gilt sowohl rur die Abweichung von Wille und Erklärung des einzelnen als auch rur die Divergenz der Erklärungen: "Der Wille jedes Einzelnen stimmt mit dessen Erklärung überein, so daß also jeder filr sich etwas Bestimmtes und Wahres denkt und erklärt, aber etwas von dem Gedanken des Andern Verschiedenes. Hier irrt also jeder einzelne blos über den Willen und die Erklärung des Andern, und nur wenn wir Beide als ein gemeinschaftlich wollendes Subject künstlich zusammenfassen, können wir auch hier einen Irrthum annehmen, wodurch dieser Fall mit den vorhin angegebenen Fällen gleichartig wird.,,231 Das "künstlich" zusammengefaßte, "gemeinschaftlich wollende Subject" ist der personalisierte Ersatz rur die Einheit des römischen Vertrags. Hätte Savigny sich von den darauf beruhenden Aussagen der römischen Juristen freimachen können, hätte er sich rur die Trennung von error und dissensui 32 entscheiden müssen. 233 3. Diese durch die Quellen erzwungene Inkonsequenz ist nicht die einzige in Savignys Entwurf. Größere Schwierigkeiten macht die Rechtfertigung der Erkennbarkeitsvoraussetzung selbst. Deren Verbindung mit dem eigenen Willensdogma gelingt Savigny nur oberflächlich: einerseits durch das empirische Argument, die Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung sei "nicht etwas
230 Die Zuordnung der Irrtumslehre zur Theorie der Willenserklärung hat also entgegen Flume, AT 11 3 445 nicht nur naturrechliche Wurzeln. 231 System III 265f. 232 Daß Savigny diese durchgefilhrt habe, behauptet Schwaab, Zum Irrtum beim Vertragsschluß (1998) 58 zu Unrecht. 233 Wegen des Zwangs zur Rückfilhrung der eigenen Lösung auf die Aussagen der klassischen römischen Juristen kann man darin entgegen Oebike, Wille und Erklärung beim Irrtum in der Dogmengeschichte der beiden letzten Jahrhunderte (1935) 42 keinen eigentlichen Fehler von Savignys Theorie erkennen.
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Zuflilliges, sondern ihr naturgemäßes Verhältnis,,234, andererseits durch die naturrechtliche 235 Forderung nach der Zuverlässigkeit der Zeichen: "Nun beruht aber alle Rechtsordnung gerade auf der Zuverlässigkeit jener Zeichen, wodurch allein Menschen mit Menschen in eine lebendige Wechselwirkung treten können. ,,236
Die Folge ist eine Fiktion, welche die Irrelevanz der Mentalreservation nicht befriedigend begründen kann: "Daher darf die erwähnte Störung nicht angenommen werden in dem einfachsten dafür denkbaren Fall, wenn nämlich Derjenige, weIcher Etwas als seinen Willen erklärt, heimlich den entgegengesetzten Willen hat, mag er sich auch darüber anderwärts ... deutlich ausgesprochen haben."m
Daß die bewußte, dem Erklärungsempflinger aber unerkennbare Divergenz von Wille und Erklärung schlicht "nicht angenommen werden" soll, offenbart die eigentliche Schwäche von Savignys System. 238 Aus seinem Willensdogma entwickelt er zwar eine Lösung, mit der die richtige Konsequenz aus dem Untergang der naturrechtlichen Irrtumslehre gezogen wird. Deren Herleitung ist jedoch nicht konsistent. Geht man von der Absicht als Geltungsgrund des Rechtsgeschäfts aus, entzieht sich nicht nur der Ausschluß der Mentalreservation einer hinreichenden Erklärung. Auch die Scheidung von Beweggrund und dem filr das Rechtsgeschäft maßgeblichen Wollen ist ohne innere Berechtigung. 239 Die Grenze zwischen bei den ist rein psychologischer Natur240 und als solche schon fragwürdig. Sie entbehrt jedenfalls einer Wertungsgrundlage, die ihre Übernahme fur die juristische Beurteilung rechtfertigen könnte. System III 258 Luig, Ius commune 6 (1979) 45, Schermaier, Bestimmung 489. Die von Hammen, Die Bedeutung Friedrich earl v. Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des BGB (1983) 118 gewählte Bezeichnung als "nichtjuristische Überlegung" erscheint mir unangebracht. 236 System III 258. 237 System III 258f. 238 Ob man es mit Luig, lus commune 6 (1979) 45ff. als ein erklärungstheoretisches Gebilde deuten kann, das allein durch die von den römischen Quellen erzwungenen Ausnahmen durchbrochen ist, erscheint mir zweifelhaft. Luigs Hinweis auf das naturrechtliche Axiom von der Zuverlässigkeit der Zeichen läßt sich zwar nicht mit dem Argument von Oebike, Wille und Erklärung beim Irrtum in der Dogmengeschichte der beiden letzten Jahrhunderte (1935) 39, Coing, Europäisches Privatrecht II (1989) 449 N. 20 und Hammen a.a.O. 117 entwerten, Savigny gehe es hierbei nur um Mentalreservation und Simulation. Das Willensdogma, das Savigny auf der Grundlage der römischen Quellen errichten will, trägt jedoch nicht nur Züge einer Ausnahmeerscheinung. Es ist ein eigenständiges Modell, das mit dem erklärungstheoretischen Ansatz kollidiert und nicht befriedigend damit verbunden werden kann. 239 Die von Hammen a.a.O. 116 als Leistung Savignys gelobte willenstheoretische Systematisierung ist also in Wahrheit dessen Problem. 240 Richtig Schermaier, Bestimmung 487,498. 234
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Eine solche hätte nur die Fortbildung des thomasischen Gedankens bieten können, der Verzicht auf eine Bedingung bedeute die Übernahme des Risikos, das durch die Bedingung hätte vermieden werden können. Dieser kommt ohne willenstheoretisches Fundament aus und läßt filr die rechtsgeschäftliehe Selbstbestimmung genUgen, daß eine Erklärung vom Bewußtsein ihres Inhalts getragen wird. Nur wo dieses nicht der Fall ist, bleibt das Rechtsgeschäft ohne seine gewöhnlichen Folgen. Der geheime Vorbehalt ist von vornherein unbeachtlich, der erkennbare ein reines Auslegungsproblem. Ein Irrtum ist nur relevant, wenn seine Gegenstände gerade Existenz und Inhalt der abgegebenen Erklärung sind. Savigny kommt zu genau diesen Ergebnissen. Sein System scheitert aber nicht nur bei der Beurteilung der Mentalreservation. Es bringt auch keine befriedigende Definition des wesentlichen Irrtums hervor. Die Konzentration auf die mangelnde Willenswirklichkeit und die Degradierung des Irrtums zu deren äußerlichem Zeichen verhindert den entscheidenden Schritt: die Bestimmung des beachtlichen Irrtums aus seinem Gegenstand, der Erklärung. 241 Der beachtliche "unächte Irrtum" bleibt, von seiner Wirkung abgesehen, konturenlos?42 Er ist, wie Schermaier243 erkannt hat, nach wie vor Sachverhaltsirrtum: Fehlvorstellung uber die Wirklichkeit im allgemeinen. Die gehörige Begrenzung auf den Erklärungsirrtum ergibt sich erst aus der Beurteilung der Willenswirklichkeit.
4. Die psychologische Theorie versagt noch an einer anderen Stelle, wo Savigny das richtige Ergebnis wiederum trotz und nicht wegen seines Willensdogmas findet: Den wesentlichen Eigenschaftsirrtum definiert Savigny als solchen, bei dem die "irrig vorausgesetzte Eigenschaft, nach den im wirklichen Verkehr herrschenden Begriffen," dazu fUhren wUrde, daß "die Sache zu einer anderen Art von Sachen gerechnet werden mUßte, als wozu sie wirklich gehört',?44 Um beachtlich zu sein, muß der Eigenschaftsirrtum also zu einer Gattungsverwechs-
241 Wenn Haupt, Die Entwicklung der Lehre vom Rechtsgeschäft seit der Rezeption (1941) 40f. den Erklärungsirrtum schon bei Savigny verwirklicht findet, vermengt er dessen Werk mit der nachfolgenden - vor allem Zitelmannschen - Interpretation. 242 Mit dem Irrtum im Beweggrund verfügt er allerdings Ober einen - schon vor Savigny entwickelten - Gegenbegriff. Daß sich dieser, wie Schermaier, Bestimmung 494f. gegen Noda, lus commune 16 (1979) 126f. gezeigt hat, nicht mit dem "ächten Irrtum" gleichsetzen läßt, ist folgerichtig und zeigt, daß die an der Wirkungsweise ausgerichtete Unterscheidung zwischen "ächtem" und "unächtem" Irrtum nicht mit der gegenstandsbezogenen Differenzierung nach Erklärungs- und Motivirrtum verwechselt werden darf. 243 Bestimmung 488, 497. 244 System 111 283. Vorbereitet findet sich diese Auffassung schon in der Pandektenvorlesung 1824/25, Savingyana (1993), S. 247; dazu Hammen, Die Bedeutung Friedrich earl v. Savignys rur die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des BGB (1983) 119, Noda, Ius commune 16 (1979) 117 und Schermaier, Bestimmung 485.
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lung werden, deren Merkmal die "völlige Ungleichartigkeit,,245 des Geschäftsgegenstands ist. Die Abgrenzung der Gattungen erfolgt nach den "im wirklichen Verkehr herrschenden Ansichten und Gewohnheiten,,246, die Savigny auch als den MaßstaQ der römischen Juristen ausmacht. Die Verwechslung edler Metalle hätten sie nicht wegen eines "abstracten Begriff des Stoffes", sondern wegen seines wirtschaftlichen Übergewichts über die Form rur beachtlich gehalten. Anders sei das Verhältnis von Form und Material bei Kunstwerken und bei Gerätschaften aus unedlem Metall oder bei Holzmöbeln?47 In allen diesen Fällen trete der Stoff gegenüber der rur Gebrauch und Wertschätzung entscheidenden Form in den Hintergrund. 248 Obwohl die Erklärung aus der Verkehrsanschauung weder die Ansicht der römischen Juristen noch die Bedürfuisse der modemen Dogmatik triffi, erweist sich Savignys Auffassung dennoch in beiderlei Hinsicht als sehr fruchtbar. Mit dem Kriterium der Gattungsverschiedenheif49 enthält sie sowohl den richtigen Ansatz rur die Deutung der Vergangenheit als auch den Ausgangspunkt rur die Entwicklung des Irrtumsrechts in der Zukunft. Die Bestimmung des wesentlichen Eigenschaftsirrtums als Gattungsverwechslung ermöglicht eine Einsicht in das Wesen von error in materia und error in sexu, deren Bedeutung sich nur über den Gattungsbegriff der römischen Juristen erschließt. Zugleich bereitet sie den Boden rur eine Abgrenzung von Irrtums- und Gewährleistungsrecht: Während das Gewährleistungsrecht dem Fall gilt, daß der Gegenstand schlechter ist als erwartet, kommt das Irrtumsrecht zum Zuge, wenn der Gegenstand anders, ein ,aliud pro alio' ist. Maßstab rur die Andersartigkeit kann freilich nicht der allgemeine VerkehrsbegrifT, sondern nur dessen Umsetzung im konkreten Geschäft sein. Dieses gibt die "Gattung" des Geschäftsgegenstands, nämlich die normativen Anforderungen, vor, denen er genügen muß. Bleibt er dahinter zurück, kann nur Gewährleistungsrecht Anwendung finden. Ist jedoch schon die Gattungsauswahl fehlerhaft, weil nicht vom Bewußtsein des Erklärenden getragen, liegt der Fall eines Irrtums vor. Zur Voraussetzung hat diese Lösung, daß der wesentliche Eigenschaftsirrtum - wie der römische error in materia oder in sexu - in einem Widerspruch von Erkiärung und Vorstellung des Erklärenden besteht. Dies ist denn auch das Schema, in das Savigny ihn einordnet. Die Einsicht in den inneren Grund dieser
System III 282. System III 277. 247 Bei D 19.1.21.2 wendet sich Savigny, System III 286ff. von der auf Cujaz zurückgehenden Tradition ab, den . dissensus de qualitate' fur relevant und den Kauf der ,mensae quasi citreae ' entgegen dem Wortlaut fllr unwirksam zu halten; vgl. dazu oben § 7 IIl. 248 System 1Il 280f. 249 Dessen Bedeutung unterstreicht auch Luig, lus commune 6 (1979) 55. 245
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Zuordnung fehlt ilun jedoch. Mit sicherem Gespür scheidet er aus dem Irrtumsrecht die FäHe der fehlenden Sachexistenz (sog. error in essenlia)25o und mangelnden Verkehrsflihigkeit (sog. error in qua/ilale lega/i)251 aus. 252 Daß die Nichtigkeit des Kaufs hier nicht aus dem Irrtum, sondern aus der Unmöglichkeit der Verkäuferleistung folgt,253 legt zwar den Schluß nahe, daß der relevante Eigenschaftsirrtum nicht in einer Fehlvorstellung über die tatsächliche oder rechtstatsächliche Beschaffenheit der Kaufsache bestehen kann. Dieser allgemeinen Erkenntnis verschließt sich Savigny allerdings. Statt den beachtlichen Eigenschaftsirrtum als FehlvorsteHung über die erklärten Eigenschaften und damit als Parallelerscheinung zum error in corpore zu bestimmen, schreibt er ihm eine "künstlichere Natur,,254 als jenem zu. Anlaß tUr diesen Befund ist die Annahme, der Eigenschaftsirrtum sei auf die Willenswirklichkeit eigentlich ebensowenig von Einfluß wie ein gewöhnlicher Irrtum im Beweggrund. Seine Wirkung habe er erst durch eine positive Entscheidung der römischen Juristen erlangt: "Fand man es überhaupt billig, dem Irrenden in diesem Fall zu Hülfe zu kommen, so konnte dieser allgemeine Zweck auf zweyerley Weise erreicht werden. Man konnte das Rechtsgeschäft als an sich gültig ansehen, dem Irrenden aber ausnahmsweise die Anfechtung wegen eines irrigen Beweggrundes gestatten, so wie dies bey den ädilizischen Klagen und bey der condiclio indebiti geschieht; man konnte aber auch den Willen selbst durch eine Art des Irrthums als ausgeschlossen betrachten, woraus sich dann die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts von selbst als Folge ergab. Das Römische Recht hat diese zweyte Behandlung gewählt, welches sowohl aus der Zusammenstellung mit dem error in corpore, als auch aus einzelnen Aussprüchen, unwidersprechlich hervorgeht."m
Die Aufuahme des Eigenschaftsirrtums in den Kreis der Fälle eines Widerspruchs von Wille und Erklärung versteht sich also keineswegs von selbst. Sie ist nicht dogmatisch begründet/56 sondern beruht auf einer wertenden Entscheidung tUr den Schutz des Irrenden und bleibt hieran gebunden:
Dazu oben § 7 II 3. Vgl. oben § 7 IV. 252 System III 284f., 302f. 253 Dies sagt Savigny, System III 303 ausdrücklich: "Demnach ist hier überhaupt nicht von einer mangelhaften Willenserklärung die Rede, diese ist vielmehr in sich vollendet, und alles Besondere, was hier eintritt, liegt in einem ganz anderen Gebiete, dem der Ausführung des Willens, oder seiner Wirkungen." 254 System II1293. 255 System III 291. 256 Wenn Schwaab, Zum Irrtum beim Vertragsschluß 59 unter Eingeständnis des fehlenden Quellenbelegs meint, Savigny habe den verkehrswesentlichen Eigenschaften "gegenstandsidentifizierende" Bedeutung beigemessen, trifft er damit nicht Savignys eigenes Verständnis, sondern nur die Interpretation von Windscheid/Kipp, Lehrbuch der Pandekten 8 (1900), Bd. I, S. 335f. 250 251
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"Daher wird sie überhaupt nur da angewendet, wo ein (sicheres oder denkbares) Rechtsinteresse des Irrenden dadurch zu schützen ist. ,,257
Die überlieferten Entscheidungen zum error in materia oder sexu dienen filr Savigny dem "Interesse des Käufers, nicht einen hohen Preis rur eine geringe Waare zahlen zu mUssen"2S8. Im entgegengesetzten Fall schUtzt das Irrtumsrecht den Verkäufer: "Wenn umgekehrt der Ver\