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German Pages [69] Year 2017
PLATON Werke Übersetzung und Kommentar
Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz herausgegeben von Ernst Heitsch, Carl Werner Müller und Kurt Sier
VII 3 Ion oder Über die Ilias
Vandenhoeck & Ruprecht
PLATON Ion oder Über die Ilias
Übersetzung und Kommentar von Ernst Heitsch Mit einem Beitrag von ###
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-30402-1 © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530a – 530b4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530b5 – 530d8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530d9 – 532c4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532c5 – 533c8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533c9 – 535c8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535d1 – 536e2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536e3 – 538b6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538b7 – 539d4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539d5 – 540d5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540d6 – 541c6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541c7 – 542b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Appendizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1) Die Erzählstruktur im Ion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2) Die logische Argumentationsstruktur im Ion . . . . . . . . . . . . II Ion aus Ephesos als Bester der Rhapsoden . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Im Jahr 1986 hat die Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz die Reihe ‚Platon. Übersetzung und Kommentar‘ unter die von ihr betreuten Projekte aufgenommen. Als erster Band erschien 1993 der Phaidros. Inzwischen liegen 17 Bände vor, einer von ihnen, die Nomoi, in drei Teilbänden. Von zwei Bänden war eine zweite Auflage erforderlich. Vier Bände sind im Augenblick im Druck oder das Manuskript steht kurz vor dem Abschluß. Wie bei einem längerfristigen Projekt nicht zu vermeiden, haben nicht alle seinerzeit gewonnenen Autoren ihre Zusage einhalten können. Der in meinen Augen bedauerlichste Fall ist Günther Patzig, mit dem ich mich 1985 in der Planungsphase beraten konnte und der dann selbst den Sophistes übernommen hatte. Noch vor zehn Jahren sah er in seiner Zusage das letzte Buch, das er zu schreiben gedächte. Es sollte anders kommen. Der hier vorgelegte Ion ist der vierte Band, den ich in dieser Reihe bearbeitet habe. Das war natürlich niemals beabsichtigt. Übernehmen wollte ich lediglich den Phaidros. Für Apologie, Größeren Hippias und Ion hatten sich zwei Kollegen offensichtlich zu viel vorgenommen; so glaubte ich, wenn auch ungern, einspringen zu müssen. Der Ion ist ein besonders kurzer Dialog, und auf den ersten Blick scheint er auch nur wenige erklärungsbedürftige Eigenheiten aufzuweisen. Das ändert sich allerdings spätestens, sobald man zur Kenntnis nimmt, daß der jugendliche Platon hier eine Seite des historischen Sokrates darstellen will, die wenig oder nichts zu tun hat mit jenem Sokrates, der überzeugt ist, im Auftrag des Gottes von Delphi sich um seine Mitbürger kümmern zu müssen. Diesen Mann darzustellen, übernimmt Platon erst nach dessen Verurteilung und Hinrichtung; insofern beginnt 399 für den Schriftsteller eine neue Epoche, deren erstes Produkt vermutlich der Laches ist. Vorher, als Sokrates noch lebte, war Platon, wie auch andere aus der jugendlichen Intelligenz Athens, fasziniert von jenem Mann, der in Wortgefechten (um hier diesen Ausdruck Platons zu
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Vorwort
benutzen) mit wechselnden Partnern ständig triumphiert. Eben das darzustellen, hat er – nicht nur nach meinem Urteil, sondern auch nach dem des Nestors unserer Philologie, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff – in den Dialogen Ion und Kleinerem Hippias versucht. *** Meine Übersetzung will korrekt und trotzdem lesbar und verständlich sein. Auch deshalb habe ich unter dem Text gelegentlich kurze Erläuterungen gegeben, auf die der antike Leser nicht angewiesen war. Die Zeilenzählung am Rande der Übersetzung und im Kommentar ist die, nach der heute üblicherweise zitiert wird; sie orientiert sich am griechischen Text und kann daher den Zeilen einer Übersetzung nicht genau entsprechen. Als griechischer Text dient im wesentlichen die Ausgabe von I. Burnet (Oxford 1903). Der Kommentar wendet sich auch an Leser ohne Kenntnis des Griechischen, kann aber gelegentlich auf Erörterungen griechischer Wörter und Formulierungen nicht verzichten. Er soll den Text dem heutigen Leser erschließen, philologische, historische und thematische Erläuterungen geben und die Argumentationsweise und die Gedankenführung verständlich machen. Vielleicht gelingt es, dem heute Interessierten zu zeigen, durch welche Diskussionsart und Argumentationstricks es seinerzeit Sokrates gelungen ist, den jugendlichen Platon in seinen Bann zu ziehen. Regensburg, im Mai 2016
E. H.
ÜBERSETZUNG
Personen: Sokrates, Ion aus Ephesos
Sokrates: Sei gegrüßt, Ion. Von wo kommst du zu uns denn diesmal? Etwa von zu Haus aus Ephesos? – Ion: Keineswegs, Sokrates, sondern von Epidauros von den Asklepien. – S: Veranstalten die Epidaurier dem Gott zu Ehren etwa auch Wettkämpfe der Rhapsoden? – I: Genau, so wie auch in den anderen Künsten. – S: Und wie war es? Hast du für uns b mitgekämpft? Und hast du Erfolg gehabt? – I: Den ersten Preis haben wir gewonnen, Sokrates. – S: Das klingt gut. Sorg also dafür, daß wir auch bei den Panathenäen siegen. – I: Das wird gelingen, wenn Gott will. –
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S: Schon oft, Ion, habe ich euch Rhapsoden wegen eures Gewerbes beneidet. Denn daß es zu eurem Gewerbe gehört, immer ordentlich aufzutreten und einen möglichst schönen Eindruck zu machen, daß ihr aber auch die Aufgabe habt, euch mit vielen trefflichen Dichtern zu befassen und natürlich besonders mit Homer, dem besten und göttlichsten unter den Poeten, und nicht nur sich die Worte einzuprägen, sondern auch seic ne Gedanken zu verstehen, das ist beneidenswert. Denn niemals dürfte es einen Rhapsoden gebe, der das vom Dichter Gesagte nicht verstünde. Der Rhapsode nämlich soll Interpret der Gedanken des Dichters sein für die Zuhörer. Und dies richtig zu tun, ohne zu verstehen, was der Dichter sagt, ist unmöglich. Dies alles aber ist beneidenswert. – I: Recht hast du, Sokrates. Mir jedenfalls hat dies die eigentliche Mühe bereitet in meiner Kunst, und ich denke unter den Menschen am schönsd ten über Homer zu reden, sodaß weder Metrodor aus Lampsakos noch Stesimbrotos aus Thasos noch Glaukon noch irgendein anderer derer, die je gelebt haben, so viele schöne Gedanken über Homer hat äußern können wie ich. – S: Wohl gesprochen, Ion, denn offenbar wirst du nicht zögern, mir einen Beweis zu liefern. – I: Und in der Tat lohnt es sich, Sokrates, zu hören, wie ich Homer verherrlicht habe. Und so glaube ich, es zu verdienen, von den Homeriden mit einem goldenen Kranz bekränzt zu werden. –
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Übersetzung
S: Und ich werde mir noch Zeit nehmen, dich zu hören. Jetzt aber beantworte mir nur so viel: Bist du nur für Homer zuständig oder auch für Hesiod und Archilochos? – I: Mitnichten, sondern nur für Homer. Das scheint mir nämlich genug zu sein. – S: Gibt es etwas, worüber Homer und Hesiod dasselbe sagen? – I: Ich glaube schon und zwar eine Menge. – S: Würdest du nun über das, was Homer hierüber sagt, schönere Ausführungen machen als über das, was Hesiod sagt? – I: Jedenfalls b dort, Sokrates, wo sie dasselbe sagen, würde ich in gleicher Weise sprechen. – S: Wie aber steht es um das, worüber sie nicht dasselbe sagen? Zum Beispiel spricht sowohl Homer als auch Hesiod über Mantik. – I: Durchaus. – S: Wie also steht es hier? Was diese beiden Dichter sowohl in gleicher Weise wie auch unterschiedlich über die Seherkunst sagen, würdest du das schöner erläutern als einer der guten Seher? – I: Einer der Seher. – S: Wärest du aber ein Seher, würdest du dann, wenn du denn das in gleicher Weise Gesagte erläutern könntest, auch das unterschiedlich Gesagte erläutern können? – I: Offensichtlich. –
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S: Warum nun bist du für Homer kompetent, für Hesiod aber nicht, und auch nicht für die anderen Poeten? Oder spricht Homer über andere Dinge als alle anderen Poeten? Hat er nicht im wesentlichen vom Krieg gehandelt und vom Verkehr der Menschen untereinander, der guten und der schlechten und der Laien und der Spezialisten, und von Göttern, wie sie miteinander und mit den Menschen umgehen, und von den Vorgängen am Himmel und in der Unterwelt, und die Entstehungen der Götter d und der Heroen? Ist es nicht das, worüber Homer gedichtet hat? – I: Du hast recht, Sokrates. – S: Und was ist mit den anderen Dichtern? Sprechen sie nicht über dieselben Dinge? – I: Sicher, Sokrates, aber sie haben nicht in derselben Weise gedichtet wie Homer. – S: Wie denn? Schlechter? – I: Bei weitem. – S: Homer aber besser? – I: Besser natürlich, bei Zeus. – c
S: Wenn nun, Ion, geliebtes Haupt, unter vielen, die über Zahlen diskutieren, einer sich besonders gut äußert, da wird doch jemand den, der e sich so äußert, als solchen erkennen? – I: Ja. – S: Doch wohl derselbe, der auch die erkennt, die sich schlecht äußern, oder ein anderer? – I: Offenbar derselbe. – S: Nämlich der, der die Zahlenlehre beherrscht. – I: Ja. – S: Und weiter. Wenn unter vielen, die darüber sprechen, was gesunde Nahrung ist, einer sich besonders gut äußert, wird dann ein anderer den, der sich so äußert, als solchen erkennen, ein anderer aber den, der sich schlechter äußert, oder derselbe? – I: Offensichtlich derselbe. –
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S: Wer ist das? Wie ist sein Name? – I: Arzt. – S: Fassen wir also zusammen: Wenn viele über dasselbe Thema sprechen, wird immer ein 532a und derselbe erkennen, wer gut spricht und wer schlecht.. Oder anders gesagt, wenn er nicht den erkennt, der schlecht spricht, dann offenbar auch nicht den, der gut spricht, sofern es um dasselbe Thema geht. – I: So ist es. – S: Derselbe also erweist sich in beiden Fällen als zuständig. – I: Ja. – S: Nun sagst du, Homer und die anderen Dichter, zu denen auch Hesiod und Archilochos gehören, sprechen über dieselben Dinge, doch nicht in gleicher Weise, sondern der eine gut, die anderen schlechter. – I: Und zu recht behaupte ich das. – S: Nun, wenn du den, der gut spricht, b erkennst, solltest du auch die schlechter Sprechenden erkennen, daß sie schlechter sprechen. – I: Es scheint jedenfalls so. – S: Also, mein Bester, wenn wir behaupten, Ion sei in gleicher Weise für Homer und für die anderen Poeten zuständig, werden wir nichts Falsches behaupten, da er ja selbst einräumt, daß ein und derselbe ein kompetenter Kritiker aller sei, die über dieselben Dinge reden, die Dichter aber fast alle über dasselbe sprechen. – I: Was in aller Welt also ist die Ursache, Sokrates, daß ich, wenn jemand c über irgendeinen anderen Dichter spricht, dann weder aufmerksam zuhöre noch etwas Beachtenswertes beisteuern kann, sondern geradezu einschlafe, sobald aber jemand Homer erwähnt, daß ich dann sofort wach bin und aufmerksam und reichlich Worte habe? – S: Das ist nicht schwer zu erraten, mein Freund, sondern für jeden ist klar, daß mit Sachverstand und Wissen über Homer zu reden du außerstande bist. Denn wärst du mit Sachverstand dazu imstande, dann könntest du auch über alle anderen Dichter sprechen. Denn die Dichtkunst ist d ja wohl ein Ganzes. Oder nicht? – I: Ja. – S: Wenn also jemand auch eine beliebige andere Fertigkeit, die ein Ganzes ist, sich aneignet, dann wird dieselbe Betrachtung gelten.1 Wie ich das meine, möchtest du das von mir hören, Ion? – I: Ja, bei Zeus, mein Sokrates, das möchte ich. Höre ich euch Gelehrten doch gerne zu. – S: Ich wollte, du hättest recht, Ion. Doch Gelehrte seid ja wohl ihr, die Rhapsoden und Schauspieler, und die, deren Dichtungen ihr vortragt, ich aber sage nichts anderes als das, was vor aller Augen liegt, wie es eie nem Laien zukommt. Denn auch das, was ich dich eben fragte, schau, 1
532d2: In den mss. folgt hier περὶ ἁπασῶν τῶν τεχνῶν, das Diller m. E. zurecht tilgt.
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Übersetzung
wie simpel und laienhaft und jedermann verständlich das ist, was ich sage, es sei dieselbe Betrachtungsweise, wenn man eine Kunst als Ganzes nehme. Denn laß es uns theoretisch erfassen: Gibt es so etwas wie Kunst der Malerei als Ganzes? – I: Ja. – S: Also gibt es und hat es gegeben viele Maler, tüchtige und schlechte? – I: Gewiß. – S: Sahst du nun schon einmal jemanden, der imstande ist, an Polygnot, dem Sohn des Aglaophon, zu zeigen, was er gut gemalt hat und was nicht, an anderen Malern 533a aber nicht? Und wenn jemand die Werke der anderen Maler vorführt, dann schläft er ein, versteht nichts und weiß nichts beizutragen, wenn er aber über Polygnot oder einen beliebigen anderen Maler, nur über ihn als einzelnen, seine Meinung äußern soll, ist er wach, aufmerksam und hat genug zu sagen? – I: Nein, bei Zeus, wahrlich nicht. – S: Und ferner: In der Bildhauerei, hast du schon einmal jemanden erlebt, der einzig b und allein über Daidalos, den Sohn des Metion, oder Epeios, den Sohn des Panopeus, oder Theodoros aus Samos oder sonst einen Bildhauer ausführen kann, was er gut geschaffen hat, vor den Werken der anderen Bildhauer aber in Verlegenheit gerät, einschläft und nichts zu sagen hat? – I: Nein, bei Zeus, auch dem bin ich nicht begegnet. – S: Und, wie ich jedenfalls glaube, auch beim Flöten- und Kitharaspiel, beim Gesang zur Kithara oder beim epischen Vortrag hast du niemals einen Mann erlebt, der zwar imstande ist, sich über Olympos zu äußern oder Thamyris c oder Orpheus oder Phemios, den Rhapsoden aus Ithaka, aber über Ion aus Ephesos verlegen ist und nichts beizutragen weiß zu dem, was er gut vorträgt und was nicht. – I: Ich kann dir hier nicht widersprechen, Sokrates. Doch darin bin ich mir ganz sicher, daß ich über Homer am schönsten rede unter den Menschen und über ihn was zu sagen habe und daß alle anderen von mir meinen, ich spräche vortrefflich, über die anderen Dichter aber nicht. Und sieh also zu, was es damit ist. – S: Das tue ich, Ion, und mache mich daran, dir zu zeigen, was ich davon d halte. Diese deine Eigenheit besteht darin, daß du keine eigentliche Technik besitzt, über Homer gut zu reden, wie ich schon einmal sagte, sondern eine göttliche Kraft, die dich antreibt, wie in dem Stein, den Euripides den magnesischen genannt hat, die meisten aber den herakleischen nennen. Denn auch dieser Stein bewegt nicht nur selbst die eisernen Ringe, sondern verleiht auch den Ringen eine Kraft, daß sie ihrerseits dasselbe tun können was der Stein tut, nämlich andere Ringe bewee gen, sodaß gelegentlich eine ganz lange Kette eiserner Ring aneinander hängt. Für sie alle aber hängt die Kraft an diesem Stein. So schafft auch die Muse selbst von Gott Begeisterte, dadurch aber, daß durch diese Be-
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geisterten andere geisterfüllt werden, entsteht aus ihnen eine Kette. Denn alle Dichter der Epen, soweit sie vortrefflich sind, tragen alle diese schönen Dichtungen nicht aufgrund einer Kunstfertigkeit vor, sondern weil sie gotterfüllt sind und besessen; und ebenso die guten lyrischen Dichter, wie die Korybanten nicht in vernünftigem Zustand tanzen, so schaffen auch die lyrischen Dichter diese ihre schönen Lieder nicht in vernünftigem Zustand, sondern wenn sie der Musik verfallen und dem Rhythmus, sind sie in bakchantischer Verzückung, und besessen, wie Bakchen aus den Flüssen Honig und Milch schöpfen, wenn sie besessen, doch nicht bei Verstand sind, so schafft auch die Seele der lyrischen Dichter das, was sie selbst erzählen. Denn die Poeten erzählen uns doch, daß sie aus honigströmenden Quellen von gewissen Gärten und Tälern der Musen ihre Lieder ernten und uns bringen, wie die Bienen, auch selbst hin und herfliegend. Und es ist wahr, was sie erzählen. Denn ein leichtes Ding ist der Dichter und beflügelt und heilig und nicht vorher imstande zu dichten, als bis er gotterfüllt ist und bewußtlos und der Verstand ihn verlassen hat; solange er aber diesen Besitz (den Verstand sc.) festhält, ist kein Mensch fähig zu dichten und weiszusagen. Weil sie also ohne Kunstverstand dichten und viel Schönes über die Dinge vortragen, wie du über Homer, sondern dank göttlicher Begabung, ist jeder nur das imstande poetisch zu gestalten, wozu ihn die Muse getrieben hat: der eine Dithyramben, der andere Lobgesänge, der Tanzlieder, der Epen, der Jamben, in Bezug auf anderes aber ist jeder untüchtig. Denn nicht dank Kunstverstand sprechen sie, sondern dank göttlicher Begabung. Denn wenn sie in einem einzigen Fall dank Kunstverstand schön zu reden verstünden, dann würden sie es auch in allen anderen Fällen. Aus diesen Gründen gilt, daß der Gott ihnen den Verstand genommen hat und sie als Diener benutzt und Wahrsager und göttliche Seher, damit wir, die Hörer, wissen, daß nicht sie es sind, die diese so erfreulichen Dinge vortragen, sie, die keinen Verstand haben, sondern der Gott selbst es ist, der spricht, durch sie aber zu uns redet. Der beste Beweis aber für diese Erklärung ist Tynnichos aus Chalkis, der keine andere Dichtung je verfaßt hat, derer man sich erinnern möchte, wohl aber den Paian, den alle singen, wohl das schönste aller Lieder, geradezu, wie er selbst ihn nennt, „ein Fund der Muse“.2 An ihm nämlich scheint mir der Gott, damit wir nicht zweifeln, uns vor allem gezeigt zu haben, daß diese schönen Dich2 Dieser berühmte Paian ist nicht erhalten. PMG 707. Aischylos soll die Aufforderung, einen Paian zu verfassen, abgelehnt haben mit dem Hinweis darauf, daß der Paian des Tynnichos nicht zu übertreffen sei. Aischylos TrGF 3 Testim. 114 (Radt).
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tungen nichts Menschliches sind und auch nicht von Menschen, sondern göttlich und von Göttern, die Dichter aber nichts anderes sind als Interpreten der Götter, besessen ein jeder, von wem er gerade besessen ist. Um dies zu beweisen, hat der Gott geflissentlich durch den unbegabtes535a ten Dichter das schönste Lied singen lassen. Ober glaubst du nicht, daß ich recht habe, Ion? – I: Doch, bei Zeus, ich denk schon. Denn irgendwie rührst du mit deinen Worten meine Seele, Sokrates, und mir scheinen die guten Dichter durch göttliche Begabung uns dieses von den Göttern zu vermitteln. – S: Und ihr wiederum, die Rhapsoden, legt die Verse der Dichter aus? – I: Auch darin hast du recht. – S: Also erweist ihr euch als Interpreten von Interpreten? – I: Durchaus. – S: Halt also mal und sag mir folgendes, Ion, und halte nichts geheim, was immer ich dich frage. Wenn du epische Verse vorträgst und die Zuschauer besonders erschütterst, entweder von Odysseus singst, der auf die Schwelle springt, sich den Freiern zu erkennen gibt und seine Pfeile vor den Füßen ausschüttet, oder von Achill, der gegen Hektor anstürmt, oder auch etwas von den traurigen Ereignissen um Andromache oder Hekabe oder Priamos, bist du dann bei Verstand oder gerätst du außer c dir und deine Seele glaubt bei den Ereignissen zu sein, von denen du in deiner Verzückung sprichst, entweder auf Ithaka oder vor Troja oder wo immer die epische Erzählung spielt. – I: Wie klar, Sokrates, du mir dieses Merkmal beschrieben hast. Ich will dir nichts verheimlichen. Denn wenn ich etwas Trauriges erzähle, füllen sich meine Augen mit Tränen; und wenn etwas Fürchterliches oder Schreckliches, dann stellen meine d Haare sich auf vor Furcht und mein Herz klopft. – S: Und was folgt daraus? Sollen wir, Ion, sagen, daß dann dieser Mensch bei Verstand sei, er, der geschmückt in bunten Kleidern und goldenen Kränzen, weint bei Opfern und Festlichkeiten, obwohl er nichts verloren hat, oder sich fürchtet, umgeben von mehr als zwanzigtausend ihm wohl gesonnenen Menschen, ohne daß ihn einer beraubt oder sonst ihm ein Unrecht tut? – I: Nein, bei Zeus, durchaus nicht, Sokrates, um die Wahrheit zu sagen. – b
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S: Weißt du nun, daß ihr auch auf die Masse der Zuschauer eben diese Wirkung habt? – I: Und sehr gut weiß ich das. Sehe ich sie doch jedesmal von oben herab von der Bühne, wie sie klagen und verstört dreinschauen und entsetzt sind über das Vorgetragene. Denn sehr muß ich sie im Auge behalten. Wenn ich sie nämlich zum Weinen bringe, werde ich selbst fröhlich über meine Einnahmen, bringe ich sie aber zum Lachen, werde ich selbst weinen über den verlorenen Verdienst. –
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S: Verstehst du nun, daß der Zuschauer der letzte der Ringe ist, von denen ich sagte, daß sie voneinander ihre Kraft vom herakleischen Stein bezögen? Der mittlere aber bist du, der Rhapsode und Schauspieler, der erste aber ist der Dichter selbst. Der Gott aber zieht durch sie alle die Seele der Menschen, wohin er will, indem er die Kraft voneinander abhängen läßt. Und von jenem Stein fügt sich eine lange Kette von Chorsängern, Chormeistern und Gehilfen, die seitlich angefügt sind an die von der Muse abhängenden Ringe. Und der eine der Poeten hängt an der einen Muse, der andere an einer anderen – wir sprechen von „er ist besessen“ (oder: wird festgehalten); das kommt der Sache nahe, er wird nämlich gehalten – und von diesen ersten Ringen, den Dichtern, hängen die einen von diesem, die anderen von jenem ab und sind gottbegeistert, die einen von Orpheus, die anderen von Musaios; die meisten aber werden von Homer besessen und gehalten. Von diesen aber bist einer du, mein Ion, und wirst besessen von Homer, und wenn jemand Lieder von irgendeinem Dichter singt, schläfst du ein und weißt nichts zu sagen, läßt aber einer ein Lied dieses deines Dichters ertönen, bis du sofort wach und deine Seele tanzt und du hast der Worte genug. Denn was du sagst, sagst du nicht dank einer Kunstfertigkeit oder eines Wissens über Homer, sondern dank göttlicher Erleuchtung und Besessenheit, wie die Korybanten allein jenes Lied sofort wahrnehmen, das dem Gott gehört, von dem sie besessen sind, und für jenes Lied haben sie reichliche Bewegungen und Worte, um die anderen aber kümmern sie sich nicht. So bist auch du, mein Ion, wenn einer auf Homer zu sprechen kommt, unerschöpflich, über die anderen aber weißt du nichts zu sagen. Der Grund aber davon, wonach du mich fragst, weshalb du über Homer gut Bescheid weißt, über die anderen aber nicht, ist, daß du nicht dank Kunstfertigkeit, sondern dank göttlicher Begabung ein mächtiger Lobredner Homers bist. – I: Gut sprichst du, Sokrates, doch würde ich mich wundern, wenn du so gut sprichst, daß du mich überzeugtest, daß ich als Besessener und Rasender Homer lobe. Und ich glaube, auch dir würde ich nicht so erscheinen, wenn du mich über Homer sprechen hörtest. –
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S: Und in der Tat ich möchte dich schon hören, doch nicht eher als bis du mir folgendes beantwortet hast: Über welche der von Homer behandelten Themen weißt du gut zu sprechen? Denn doch wohl jedenfalls nicht über alle. – I: Glaub mir, Sokrates, über jedes. – S: Doch wohl nicht über Dinge, von denen Homer spricht, du aber nichts verstehst. –
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I: Und welche Dinge sind das, von denen Homer redet, ich aber nichts verstehe? – S: Redet Homer nicht auch an vielen Stellen vieles über Fachkünste? Zum Beispiel über die Kunst des Wagenlenkens; wenn mir die Verse einfallen, werde ich sie dir nennen. – I: Laß mich sie sagen; ich hab sie im Gedächtnis. – S: So nenn mir, was Nestor zu seinem Sohn Antilochos sagt, wenn er ihm einschärft, sich in acht zu nehmen an der Wendemarke beim Wagenrennen zu Ehren des Patroklos. – I: Selber zugleich dann beug, sagt er, in dem schön geflochtenen Sessel sanft zur Linken dich hin, und das rechte Roß des Gespannes treib mit der Geißel und ruf und laß ihm die Zügel ein wenig: während dir nah am Ziele das linke Roß sich herumdreht, so daß (fast) die Nabe den Rand zu erreichen dir scheinet deines zierlichen Rades; den Stein nur zu rühren vermeide.3
S: Genug. Diese Verse, mein Ion, ob richtig ist, was Homer in ihnen sagt, oder nicht, wer wird das besser beurteilen, ein Arzt oder der Lenker eines Gespannes? – I: Der Wagenlenker natürlich. – S: Weil er diese Kunst beherrscht oder aus einem anderen Grund? – I: Aus keinem anderen Grund. – S: Nicht wahr, einer jeden Kunst ist von der Gottheit die Fähigkeit zugeteilt, in einer bestimmten Sache Bescheid zu wissen? Denn worüber wir mit Hilfe der Steuermannskunst Bescheid wissen, darüber wissen wir doch wohl nicht auch dank der Heilkunde Bescheid? – I: Natürlich nicht. – S: Und was dank der Heilkunst, das nicht auch dank d der Baukunst. – I: Nein. – S: Und so also ist es mit allen Künsten, worüber wir mit der einen Bescheid wissen, darüber nicht auch mit der anderen? Zuvor aber beantworte mir noch eine andere Frage. Angesichts irgendeiner beliebigen Kunst sprichst du je nachdem von der einen oder anderen Kunst? – I: Ja. – S: Indem du dich meinem Urteil anschließt, der ich, wenn die eine Kunst das Wissen bestimmter Sachverhalte ist, die andere das Wissen anderer Sachverhalte, in dem einen Falle von der e einen Kunst spreche, in dem anderen von einer anderen; und so sprichst du auch? – I: Ja. – S: Denn wenn es ein Verständnis derselben Sachverhalte wäre, weshalb sollten wir dann sagen, es seien unterschiedliche c
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Ilias 23, 335–40. Übersetzt von Joh. H. Voß; 5. Aufl. letzter Hand (erstmalig nachgedruckt: Reclam Stuttgart 2010). In dieser letzten von Voß besorgten Auflage (und demzufolge auch in deren Nachdruck) ist Vers 339 durch Auslassung eines Wortes unkorrekt. Ich habe den Fehler nach Maßgabe früherer Auflagen korrigiert.
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Sachverhalte, wenn doch in beiden Fällen dasselbe Wissen zustande kommt? Wie ich weiß, daß dieses fünf Finger sind, und du, wie ich, über sie dasselbe weißt; und wenn ich dich fragte, ob wir, ich und du, mit Hilfe derselben Kunstfertigkeit, der Zahlenkunde, dasselbe wissen, oder mit Hilfe einer anderen, würdest du offenbar sagen: mit Hilfe derselben. – I: Ja. – S: Was ich dich also eben fragen wollte, das sag mir jetzt, ob es hinsichtlich aller Künste so zu sein scheint, daß man mit Hilfe ein und derselben Kunst notwendigerweise (nur) über dieselben Dinge Bescheid weiß, mit einer anderen Kunst aber nicht über dieselben, sondern, wenn sie denn wirklich eine andere ist, daß man dann notwendigerweise (mit ihr) auch über andere Dinge Bescheid weiß. – I: So scheint es mir zu sein, Sokrates. – S: Wer also eine bestimmte Kunst nicht besitzt, der wird nicht in der Lage sein, das von dieser Kunst Gesagte oder Gemachte gut zu erb kennen. – I: Du hast recht. – S: Über die Verse also, die du zitiert hast, ob Homer in ihnen richtig spricht oder nicht, das wirst du oder ein Wagenlenker besser erkennen? – I: Ein Wagenlenker. – S: Denn du bist ein Rhapsode, doch kein Wagenlenker. – I: Ja. – S: Und die Rhapsodenkunst ist eine andere als die Kunst, ein Gespann zu führen. – I: Ja. – S: Wenn sie also eine andere ist, dann ist sie auch das Wissen von anderen Sachverhalten? – I: Ja. –
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S: Und wie ist es, wenn Homer sagt, daß Hekamede, die Dienerin Nestors, dem verwundeten Machaon einen Mischtrank zu trinken gibt? Hoc mer spricht etwa so: Mengte des Pramnischen Weins, sagt er, und rieb mit eherner Raspel Ziegenkäse darauf, nebst trunkeinladenden Zwiebeln.4 Ob Homer das recht sagt oder nicht, das kompetent zu beurteilen ist das Sache des Arztes oder des Rhapsoden? – I: Des Arztes. – S: Und weiter, wenn Homer sagt:
4 Ilias 11, 639–40. Platon zitiert aus dem Gedächtnis. Homers korrekter Vers 640b lautet ἐπὶ δ’ ἄλφιτα λευκὰ πάλυνεν „mit weißem Mehl ihn bestreuend.“ Die Worte παρὰ δὲ κρόμυον ποτῶι ὄψον hat Platon aus Vers 630.
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Gleich wie gerundetes Blei fuhr jen’ in die Tiefe hinunter, welches, über dem Horn des geweideten Stieres befestigt, sinkt, den gefräßigen Fischen des Meers das Verderben zu bringen.5 Was damit gemeint ist und ob es richtig ist oder nicht, sollen wir sagen, das zu beurteilen sei eher Sache der Fischer- als der Rhapsodenkunst? – I: Klar, Sokrates, daß das Sache der Fischerkunst ist. –
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S: Nun überleg, wenn du einmal die Rolle des Fragenden übernimmst und mich fragtest: „Da du, Sokrates, für eine jede dieser Künste im Homer findest, was ihr zu beurteilen zukommt, so komm und finde mir auch das heraus, was Sache des Sehers ist und der Wahrsagekunst, was ihm zukommt beurteilen zu können, ob es gut oder schlecht gedichtet ist“ – sieh, wie leicht und richtig ich dir antworten werde. Denn oft läßt er darüber sowohl in der Odyssee sprechen, z. B. was Theoklymenos, der Seher aus dem Geschlecht der Melampodiden, zu den Freiern sagt: Ach, was trifft euch für Leid, Unglückliche! Dunkel in Nacht ja Sind euch Haupt und Antlitz gehüllt und unten die Glieder! Wehklag hat sich empört, naß sind von der Träne die Wangen. Voll ist von schwebenden Schatten die Flur, und voll auch der Vorhof, die zum Erebos eilen in Finsternis. Aber die Sonn ist ausgelöscht am Himmel, und rings herrscht gräßliches Dunkel.6 Oft aber auch in der Ilias, z. B. im Mauerkampf. Denn Homer sagt dort:
c
Denn ein Vogel erschien, da sie überzugehn sich ermannet, ein hochfliegender Adler, der, linkshin streifend das Kriegsheer, eine Schlang in den Klauen dahertrug, rot und unendlich, lebend annoch und zappelnd, noch nicht vergessend der Streitlust. Denn dem haltenden Adler durchstach sie die Brust an dem Halse, 5 Ilias 24, 80–82. Homer vergleicht die Schnelligkeit, mit der die Götterbotin Iris ein von Zeus gegebenes Gebot ausführt und sich auf den Weg macht zu Thetis in den Tiefen des Meeres, mit der schnellen Bewegung einer mit einer Bleikugel (dem sog. Senker) beschwerten Angelschnur, die ins Wasser geworfen wird. Ein Stück von dem Horn eines Stiers (das scheint die beste Erklärung zu sein) ist oberhalb des Hakens über die Angelschnur gezogen, um zu verhindern, daß die Fische die Schnur durchbeißen. 6 Odyssee 20, 351–57 (ohne 254). Theoklymenos, Urenkel des Melampus (W. Burkert, Griech. Religion 181; Lex. d. frühgriech. Epos s.v. Μελάμπους), prophezeit den Freiern ihren Untergang..
Übersetzung
21
rückwärts drehend das Haupt; er schwang sie hinweg auf die Erde hart von Schmerzen gequält; und sie fiel in die Mitte des Haufens; aber er selbst lauttönend entflog im Hauche des Windes.7
d
Dieses und Ähnliches, so würde ich sagen, kommt dem Seher zu, es zu prüfen und zu beurteilen. – I: Womit du recht hast, Sokrates. – S: Auch du, Ion, hast damit recht. Komm also, und wie ich dir in Odyssee und Ilias ausgesucht habe, was Sache des Sehers ist und was des e Arztes und was des Fischers, so such auch du mir aus, da du ja in Homers Werken erfahrener bist als ich, was Sache des Rhapsoden ist, mein Ion, und der Rhapsodenkunst, was also dem Rhapsoden zukommt zu prüfen und zu beurteilen im Unterschied zu den anderen Menschen. – I: Ich nun, Sokrates, meine alles. – S: Das behauptest jedenfalls du, mein Ion, nicht. Oder bist du so vergeßlich? Doch ein Rhapsode sollte nicht 540a vergeßlich sein. – I: Was vergesse ich denn? – S: Erinnerst du dich nicht, daß du gesagt hast, die Rhapsodenkunst sei eine andere Kunst als die Kunst, ein Gespann zu führen? – I: Ich erinnere mich. – S: Und hast du nicht zugestimmt, daß sie als eine andere auch in anderen Dingen Bescheid weiß? – I: Ja. – S: Nicht also wird die Rhapsodenkunst nach deinem eigenen Urteil über alles Bescheid wissen und auch nicht der Rhapsode. – I: Ausgenommen vielleicht Dinge der folgenden Art, Sokrates. – S: Mit Dingen dieser Art meinst du wohl das, was nicht Sache der anderen Künste ist. Doch über welche Dinge also wird sie Bescheid wissen, da nicht über alle? – I: Was, so glaube ich wenigstens, einem Manne zukommt zu reden und was einer Frau und was einem Sklaven und was einem Freien und was einem Untergebenen und was einem Gebietenden. – S: Du meinst also, was der Kommandant eines Schiffes, das auf dem Meer mit dem Sturm kämpft, zu sagen hat, das wird der Rhapsode besser wissen als der Steuermann? – I: Nein, sondern in diesem Fall der c Steuermann. – S: Aber was einer, der für einen Kranken sorgt, zu sagen hat, das wird der Rhapsode besser wissen als der Arzt? – I: Auch das nicht. – S: Doch was dem Sklaven zu sagen gebührt, das meinst du? – I: Ja. – S: Was z. B. ein Sklave, der Rinder hütet, zur Beruhigung sagen
b
7
Ilias 12, 200–207. Polydamas deutet das Geschehen für Hektor als Warnung, die Mauer, die die Griechen um ihr Lager errichtet hatten, nicht zu durchbrechen. Wie der Adler keinen Erfolg hatte und seinen Kindern die Schlange nicht zum Fraß bringen konnte, so werden nach dem Durchbruch durch die Mauer viele der Troer nicht nach Troja zurückkehren können.
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Übersetzung
muß, wenn die Rinder wild werden, das wird der Rhapsode wissen und nicht der Rinderhirt? – I: Sicher nicht. – S: Aber was für eine Spinnerin sinnvoll ist über die Bearbeitung von Wolle zu sagen? – I: Nein. – S: d Aber was ein Mann, der Stratege ist, sagen muß, wenn er Soldaten ermuntert? – I: Ja, darüber wird der Rhapsode Bescheid wissen. – S: Wie? Ist die Rhapsodenkunst die Kunst des Feldherrn? – I: Ich jedenfalls wüßte, was ein Feldherr sagen sollte. – S: Vielleicht nämlich bist du auch mit dem Feldherrnamt vertraut, Ion. Denn wenn du zufällig reiten könntest und die Kithara spielen, würdest du Pferde erkennen, die gut und schlecht geritten werden. Doch wenn e ich dich fragte „Mit welcher Kunst erkennst du die gut gerittenen Pferde? Sofern du ein Reiter bist oder die Kithara spielst?“ Was würdest du mir antworten? – I: Sofern ein Reiter, würde ich sagen. – S: Nicht wahr, wenn du auch die guten Kitharaspieler identifiziertest, würdest du zustimmen, sie dadurch zu erkennen, weil du ein Kitharist bist, doch nicht als Reiter. – I: Ja. – S: Da du dich aber auch auf das Militärwesen verstehst, verstehst du das, weil du mit dem Amt des Feldherrn vertraut bist oder weil du ein guter Rhapsode bist? – I: Da scheint mir kein Unterschied zu bestehen. – S: Wie? Du meinst, es gäbe keinen Unterschied? Eine einzige Kunst, meinst du, sei die Kunst des Rhapsoden und des Strategen? – I: Eine einzige Kunst, scheint mir. – S: Wer also ein guter Rhapsode ist, der ist auch ein guter Stratege? – I: Durchaus, Sokrates. – S: Und wer ein guter Stratege, der ist auch ein guter Rhapsode? – I: Das nun andererseits scheint mir nicht. – S: Aber das jedenfalls scheint dir zuzutreffen, daß, b wer ein guter Rhapsode, auch ein guter Stratege sei? – I: Völlig richtig. – S: Nicht wahr, du bist unter den Griechen der beste Rhapsode? – I: Bei weitem, Sokrates. – S: Dann bist du auch als Stratege, Ion, unter den Griechen der Beste? – I: Glaub mir, Sokrates, auch das habe ich aus Homers Werken gelernt. –
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S: Weshalb denn nun, bei den Göttern, Ion, in beidem der Beste unter den Griechen, als Stratege und als Rhapsode, trittst du bei deinen Reisen für die Griechen als Rhapsode auf, nicht aber als Stratege? Oder scheint c dir an einem Rhapsoden, bekränzt mit einem goldenen Kranz, unter den Griechen großer Bedarf zu bestehen, an einem Strategen aber nicht? – I: Denn unsere Stadt wird juristisch und militärisch von euch geleitet und braucht keinen Strategen; eure Stadt aber und die der Spartaner würden
Übersetzung
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mich nicht zum Strategen wählen, glaubt ihr doch selbst auszureichen. – S: Bester Ion, kennst du nicht Apollodor aus Kyzikos? – I: Wen meinst du? – S: Den die Athener öfter zum Strategen gewählt haben, obwohl er d ein Ausländer ist; und Phanosthenes von Andros und Herakleides aus Klazomenai, die unsere Stadt, obwohl Ausländer, weil sie bewiesen, daß sie der Beachtung wert sind, ins Strategenamt brachte und die anderen Ämter. Ion aber, den Mann aus Ephesos, werden sie nicht zum Strategen wählen und zu Ehren bringen, wenn er der Beachtung wert ere scheint? Warum? Seid ihr Epheser nicht seit alters Athener, und ist Ephesos geringer als irgendeine andere Stadt? Aber (lassen wir das), denn wenn du, Ion, recht hast mit der Behauptung, daß du durch Kunstfertigkeit und Wissen imstande bist, Homer zu verherrlichen, tust du Unrecht, der du mit dem Versprechen, viel Schönes über Homer zu wissen, und mit der Ankündigung, das zu zeigen, mich täuschst und weit entfernt bist, mir das zu zeigen, der du ja nicht einmal sagen willst, was das ist, hinsichtlich dessen du kompetent bist, obwohl ich seit langem darum bitte, sondern geradezu wie Proteus vielerlei Gestalt annimmst, dich hin und her wendest, bis du mir schließlich 542a entkommst und als Stratege zum Vorschein kommst, um nicht zu zeigen, wie kompetent du bist in der Weisheit über Homer. Wenn du also als Kunstverständiger in Sachen Homers, wie ich eben sagte, mit dem Versprechen, es mir zu zeigen, mich täuschst, tust du Unrecht. Wenn du aber kein Sachverständiger bist, sondern dank göttlicher Fügung von Homer besessen, ohne etwas zu wissen, viel Schönes redest über den Dichter, wie ich von dir behauptet habe, tust du kein Unrecht. Wähle also, ob du von uns für einen Mann, der Unrecht tut, gehalten werden b möchtest oder für gotterfüllt. – I: Ein großer Unterschied ist das, Sokrates. Denn viel schöner ist es, für gotterfüllt zu gelten. – S: Dieses Schönere also wird dir bei uns zuteil, Ion, ein gotterfüllter und kein kunstverständiger Verherrlicher Homers zu sein.
KOMMENTAR
Datierung
I Wenn wir die heute übliche, letztendlich durch Cambell, Dittenberger, Ritter und andere8 gewonnene Gliederung der Schriften Platons in drei Gruppen zugrundelegen, gehört der Ion in die früheste Gruppe zusammen mit Apologie, Charmides, Euthydem, Euthyphron, Gorgias, Kleinerer Hippias, Kratylos, Kriton, Laches, Lysis, Menexenos, Menon, Phaidon, Protagoras, Symposion. Von diesen insgesamt sechzehn Schriften werden gelegentlich Symposion, Phaidon und Kratylos als eigene Untergruppe gerechnet, die einen Übergang zur Gruppe II (Politeia, Phaidros, Parmenides, Theaitetos) bildet. Davon abgesehen, ist die Aufgabe, die große Gruppe I in eine zeitliche Abfolge zu bringen, sicherlich verlockend, aber bisher nicht gelungen und ist wohl auch nicht lösbar, zumal mit Sicherheit damit zu rechnen ist, daß Platon bisweilen an mehreren Schriften gleichzeitig gearbeitet hat. Es wird bei dem Urteil von Charles Kahn9 bleiben müssen: „We really do not know the order of dialogues within Group I“. Immerhin hat es mit den beiden Dialogen Ion und Kl. Hippias eine eigene Bewandtnis. Sie gehören zu jenen Dialogen, mit denen auch namhafte Philologen ihre Schwierigkeiten gehabt haben, Schwierigkeiten, die dann gelegentlich dazu führten, sie für unecht zu erklären oder aber ihnen insofern einen Sonderstatus zuzuschreiben, als ihre Abfassung vor 399, also vor den Tod des Sokrates datiert wurde.10 Die Annahme einer solchen Frühdatierung von Schriften Platons erfreut sich zwar heute 8
Zusammenfassend dargestellt und präzisiert von Brandwood (1990). Kahn (1996) 46. Dazu (2002) 94: „In my opinion, this discovery of the division of Plato’s dialogues into three groups on stylistic grounds alone, without reference to philosophical content, can properly be regarded as one of the great achievements of historical philology – comparable, say, to Milman Parry’s discovery that the Homeric poems bear the mark of a long oral tradition. (I am assuming that Campbell and the others did in fact settle the question of chronology, as far as it could be settled. Argument for this assumption comes later).“ 10 Für alles, was ich hier in diesem Zusammenhang zur Sprache bringe, verweise ich auf meine Göttinger Akademieabhandlung (2002). 9
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Kommentar
keiner sonderlichen Beliebtheit, war aber in der Antike und schon im 4. Jh. v. Chr. nahezu selbstverständlich11 und auch in moderner Zeit für Philologen wie Wilhelm Gottlieb Tennemann, Friedrich Ast, Friedrich Schleiermacher, Karl Friedrich Hermann, Franz Susemihl, Friedrich Überweg, Hermann Usener, Eduard Zeller, Constantin Ritter und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff völlig unproblematisch.12 Gegen diese seinerzeit verbreitete Annahme hat zunächst allein George Grote Stellung genommen, mit Entschiedenheit und erstaunlichem Erfolg.13 Im 20. Jh. konnte dann, so scheint es, die Frage im Sinne Grotes als entschieden gelten. Ich nenne Eduard Meyer,14 A.E Taylor,15 G.C.Field,16 E.N.Tigerstedt,17 Guthrie,18 Kahn (1996) 2. Zu den wenigen, die anders und m. E. richtiger denken, gehören in erster Linie Sir David Ross,19 Paul Friedländer20 und natürlich Ritter und Wilamowitz.
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Meine Abhandlung (2002) 3–6. Meine Abhandlung (2002) 6–15 und 24–30.; und (2014) 7–8. Zitiert seien Äußerungen von Ritter und Wilamowitz zum Kl. Hippias. Ritter (1910) 56: „Daß er als echte Schrift ein Jugendwerk Platons sein müsse, ist unverkennbar. Ich bin aber mit älteren Gelehrten (wie Stallbaum) weiter der entschiedenen Ansicht, daß der fragliche Dialog nach dem Tode des Sokrates nicht mehr geschrieben werden konnte. Um von dem übermütigen Tone nicht zu reden, so ist der Inhalt der Art, daß jeder von den Richtern, die das Todesurteil über Sokrates sprachen, darin eine Rechtfertigung seines Spruches und die Beruhigung seines Gewissens gefunden hätte.“ (1931) 8: „Daß die Entstehung des kleineren Hippias nicht mehr denkbar ist von dem Zeitpunkt an, da peinliche Anklage gegen Sokrates erhoben war, woraus dann wieder folgt, daß die Apologie unmöglich die erste Schrift Platons sein kann, sollte jedem besonnenen Beurteiler einleuchten.“ Wilamowitz (1919 I) : Wenn es Sokrates mit Hilfe seiner Argumentationsmethode am Ende gelingt, den widerstrebenden Hippias zu dem Eingeständnis zu zwingen, gut und tüchtig sei in Wahrheit der, der freiwillig Schimpfliches und Unrechtes tut, so vertrete Sokrates „im Gegensatz zu Hippias die Unsittlichkeit, und so viel sollte jeder einsehen, daß kein Sokratiker nach dem Urteil des Gerichts denjenigen so etwas sagen lassen konnte, der als Verführer der Jugend verurteilt war“ (103). 13 Grote (1865). Dazu meine Kritik in meiner Abhandlung (2002) 16–22. 14 Meyer (1901=1956) 151 Anm. 1. „… die Annahme, daß schon zu Sokrates Lebzeiten sokratische Dialoge, und nun gar von Platon, verfaßt worden seien, gehört zu den Ungeheuerlichkeiten der modernen Forschung.“ 15 Taylor (1926) 21. 16 Field (1930, 73. 17 Tigerstedt (1969) 18 n. 39. 18 Guthrie (1975) 56. 19 Sir David Ross (1951) 4. 20 Friedländer III (21960) 422–23. Dazu meine Abhandlung (2002) 33. 12
Datierung
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II Das Sokratesbild, das die beiden Dialoge Ion und Kl. Hippias entwerfen, ist ein anderes als das, was uns in den anderen Dialogen Platons begegnet.21 Das genauer zu beschreiben gelingt, wie ich meine, am leichtesten mit Hilfe von Unterscheidungen, die Platon vor allem im Theaitetos, doch auch in der Apologie selbst eingeführt hat. Nach Theait. 167e4– 168a222 „ist zwischen Diskussionen, die als Wortgefecht (ἀγωνιζόμενος), und solchen, die als sachliche Erörterung (διαλεγόμενος) geführt werden,“ streng zu scheiden. „Dort mag man nach Kräften seine Späße treiben und dem Gegner Fallen stellen, im dialektischen Gespräch aber sollte man ihn nur auf jene Fehler hinweisen, wo der Irrtum in ihm selbst und seinem bisherigen Umgang begründet ist.“ Wer, mit dieser Differenzierung im Kopf, die beiden kleinen Dialoge jetzt noch einmal liest, dem dürfte klar sein, daß sie zu den Wortgefechten gehören, in denen der Gesprächsführer seine Späße treibt, dem Partner Fallen stellt und ihn durch dem aufmerksamen Leser durchsichtige Argumentationstricks23 im einen Fall schließlich zu dem Ergebnis führt, der Gute sei der, der Schlechtes, und zwar absichtlich, tut. Natürlich will Hippias das nicht akzeptieren, und überraschenderweise distanziert auch Sokrates sich von diesem Ergebnis, das er doch planvoll erzeugt hat und das, wie er dem international berühmten Sophisten versichert, sich im Augenblick aus ihrer Argumentation logisch zwangsläufig ergeben habe. Ich denke, Ritter und Wilamowitz haben recht, wenn sie urteilen, daß derartiges nach 399 nicht mehr von Platon veröffentlicht werden konnte, nachdem Sokrates wegen Gefährdung der Jugend verurteilt und hinge-
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Zum Folgenden meine Abhandlung (2002) 34–43. Sokrates hat zunächst die Lehre des Protagoras kritisiert, bekommt dann aber Bedenken und fragt, was Protagoras selbst denn wohl gegen diese Kritik gesagt hätte. Da aber Protagoras nicht nur nicht anwesend, sondern seit mehreren Jahren tot ist, übernimmt Sokrates jetzt dessen Rolle, hält also eine Rede gegen sich selbst. In diese Rede (165e4–168c7. Dieser Text ist auch übersetzt in meinen „Überlegungen Platons im Theaetet“. Abh. Akad. Mainz 1988 Nr. 9. 164– 168) gehört der zitierte Abschnitt. 23 Hippias spürt zwar – oder richtiger: der Autor läßt ihn spüren, daß in der Diskussion, in die Sokrates ihn verwickelt, nicht alles korrekt ist, doch die eigentlichen Fehler nicht wirklich durchschauen: „Ach Sokrates, immer knüpfst du solche Gedankenreihen. Du greifst heraus, was immer an einer Behauptung besonders verfänglich ist, hältst dich daran und hast nur Teile im Auge, mit der Sache insgesamt aber, die zur Diskussion steht, setzt du dich nicht auseinander“ (369b). Und: „Sokrates bringt immer Verwirrung in die Diskussion, und es sieht so aus, als tue er das aus Bosheit“ (373b). 22
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richtet worden war. Der andere Fall ist zwar moralisch harmloser, aber ebenfalls voller Hohn gegenüber dem Gesprächspartner, der als anerkannter Meisterrhapsode nicht in der Lage ist, über seine Tätigkeit vernünftig Rechenschaft zu geben, und um neben Kutscher, Fischer und anderen Spezialisten handwerklicher Tätigkeiten überhaupt noch einen eigenen Kompetenzbereich als Interpret Homers zu behalten, sich von Sokrates verführen läßt, sich als militärischer Spezialist auszugeben. Und da er unter den Rhapsoden als der Beste anerkannt ist, so ist er – Sokrates erspart ihm diese Konsequenz nicht – auch der beste General.24 So deutlich der Unterschied zwischen Wortgefecht und sachlicher Erörterung einerseits ist, so setzen sie andererseits doch dieselbe Fähigkeit voraus, nämlich diskutieren zu können, und das heißt in diesem Zusammenhang konkret, mit dem Partner Übereinstimmung zu erzielen über gewisse scheinbar unproblematische Annahmen oder Behauptungen und diese dann als Prämissen für überraschende Schlüsse zu verwenden. Sokrates ist offensichtlich ein Meister in dieser Argumentationskunst,25 und Platon hat in der Tatsache, daß dieselbe Kunst seriös und unseriös verwendet werden kann, ein ernsthaftes Problem gesehen. Er ist denn auch öfter darauf zu sprechen gekommen. Ich verweise dafür nur auf die beiden folgenden Stellen im Staat. An der einen (487bc) läßt er einen wohlwollenden, doch kritischen Zuhörer darauf verweisen, daß Sokrates gelegentlich im Laufe der Diskussion mit Hilfe kleiner Bedeutungsverschiebungen bestimmter Wörter sein Argumentationsziel zwar erreiche, doch bedeute das nicht, daß der überwundene Partner von der Richtigkeit dessen, was er schließlich habe zugeben müssen, überzeugt sei, und natürlich erst recht nicht, daß das so gewonnene Ergebnis auch richtig sei. An der anderen Stelle (537e–539c) erörtert er den Ausbildungsgang des Philosophen, der über Arithmetik, Geometrie, Stereometrie, Astronomie, Harmonielehre bis hin zur Dialektik führe; bei ihr aber sei Vor-
24
Nachdem Sokrates am Ende noch eine Begründung dafür verlangt hat, daß Ion als Rhapsode durch die Lande zieht, um sein Geld zu verdienen, sich aber nirgends als Stratege anbietet, bricht er ab und distanziert sich auch hier, wie im Hippias, von ihrer Diskussion und dem gemeinsam gewonnenen Ergebnis: ἀλλὰ γὰρ σύ ……… (541e1). Die Partikelkombination ἀλλὰ γὰρ ‚aber denn‘ (schulmäßig wiederzugeben als indessen) ist spätestens seit Wilamowitz aufzulösen etwa als „Aber lassen wir das, denn entweder täuscht du mich und entpuppst dich schließlich als General oder aber du bist gottbegeistert “ (So etwa zusammengefaßt die Begründung des DennSatzes). 25 Genauer habe ich diese Kunst charakterisiert in meinem Apologie-Kommentar (22004) Anm. 118.
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sicht geboten. „Denn ich denke, du weißt, daß die jungen Leute, wenn sie erstmals mit der Dialektik in Berührung kommen, sie wie ein Spielzeug und immer nur zum Widerspruch benutzen, und indem sie die Widerlegenden nachahmen, widerlegen sie sich selbst, wobei sie wie junge Hunde ihren Spaß daran haben, ihren Partner zu zerren und zu quälen“. Nur gefestigte Naturen sollten daher zur Dialektik zugelassen werden. „Wer älter ist, wird an solchem Unsinn nicht teilnehmen wollen, sondern eher den imitieren, der im dialektischen Gespräch die Wahrheit sucht, als den, der nur seinen Spaß treibt und widerspricht.“ Was hier sozusagen theoretisch problematisiert wird, das wird in der Apologie aus der Realität heraus zur Sprache gebracht. Dort gibt Sokrates ohne weiteres zu, daß er bei nicht wenigen seiner Mitbürger nicht gerade beliebt sei; und er hält durchaus für möglich, daß dieses Vorurteil das Urteil in seinem Prozeß beeinflussen werde. Es sei eben nicht jedermanns Sache, sich nachweisen zu lassen, in lebenswichtigen Fragen keine Ahnung zu haben. Er aber führe Gespräche mit dieser Zielrichtung nicht aus Freude am Triumph über seine Gesprächspartner, sondern im Auftrag des Gottes von Delphi, der den Menschen zu der Einsicht bringen wolle, daß er in Wahrheit, was das Wissen in den wirklich entscheidenden Fragen angeht, nichts wert sei. Und Sokrates ist überzeugt, daß er dann, wenn er nicht etwa in Volksversammlungen, wo man nicht diskutieren könne, sondern „privat sich an jeden einzelnen wende, ihn ermahne, sich um Tüchtigkeit/Tugend zu bemühen, und in diesem Sinne wie ein Vater oder älterer Bruder sich um seine Mitbürger kümmere“ (31b), nichts anderes tue als dem Gott zu helfen (23b τῶι ϑεῶι βοηϑεῖν). Durch eben diesen Auftrag, den er nicht zurückgeben könne, bringe er sich allerdings bei nicht wenigen in Mißkredit. Doch hat der Autor nicht etwa die Absicht, Sokrates als Sprecher der Apologie so darzustellen, daß er und sein Verhalten alleinige Ursache sind für eine in der Öffentlichkeit verbreitete Voreingenommenheit. Zwar hat er, wie Platon ihn betonen läßt, keine Schüler. Aber es gibt unter den Zuhörern, die sich oft einstellen, junge Leute, die Geld und Zeit genug haben, ohne arbeiten zu müssen, ihm folgen zu können, weil sie fasziniert sind von der Gesprächsführung, in der Sokrates sich den Partnern regelmäßig als überlegen erweist, die auch intelligent genug sind, die von Sokrates beherrschte Argumentationskunst26 zu durchschauen,
26
Zu ihr oben Anm. 25.
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sie sich anzueignen und nun ihrerseits Sokrates nachzuahmen und Leuten, die glauben, etwas zu wissen, nachzuweisen, daß sie in Wahrheit nichts wissen. Und die, denen das widerfährt, sind dann voller Zorn nicht etwa gegen sich selbst, sondern gegen Sokrates, der als angeblicher Lehrer die ihm anhängende Jugend verderbe (23c2–e; 33b9–e4). Sokrates kritisiert diese jungen Männer nicht direkt und unmittelbar, berichtet vor Gericht lediglich die Tatsache, daß sie ihn imitieren und als ihren Meister in Mißkredit bringen. Anders als Sokrates aber berufen sie sich nicht auf einen Auftrag des Gottes von Delphi, fühlen sich auch nicht etwa als von Sokrates beauftragte Missionare, sondern haben einfach ihren Spaß an der Sache. Doch wenn Platon jetzt in der Apologie Sokrates ausdrücklich die Folgen erwähnen läßt, die dieses Treiben der jungen Leute für ihn, den Angeklagten, habe, so ist das denn doch nur eine zwar indirekte, aber, wie ich denke, eindeutige Kritik. Nun ist es um den Bericht über die Aktivitäten dieser jungen Leute, den Sokrates dem Gericht gibt, allerdings merkwürdig bestellt. Es gibt keinerlei weitere Zeugnisse über solche mündlichen Aktivitäten auf den Straßen und Märkten Athens. Man wird andererseits nicht gerne annehmen, sie seien in der Apologie eine freie Erfindung des Autors. Nun gibt es für den Sachverhalt in der Apologie eine Parallele. In 39cd läßt Platon Sokrates jenen Richtern, die ihn verurteilt haben, prophezeien, daß nach seinem Tode Jüngere auftreten würden, die seine Tätigkeit, die Menschen kritisch auf ihre Lebensführung anzusprechen, übernehmen und viel heftiger dabei vorgehen würden, weil sie jünger seien und ungeduldiger. Der Leser muß nach Maßgabe des Zusammenhangs an mündliche Kritik denken. Doch von einer mündlichen Fortsetzung der von Sokrates ausgeübten Tätigkeit durch andere erfahren wir nichts. Und so hat ein Gelehrter wie Kurt von Fritz27 vermutet, wir hätten hier eine nicht eingetretene Prophezeiung des historischen Sokrates. Doch mit anderen denke ich, Platon habe hier Schriften gemeint: „Now this prediction makes sense only if it refers to something that had already taken place or was taking place at the time when Plato wrote the Apology. Since there is no evidence whatsoever of any of Socrates’ pupils ever addressing people in the streets and on the marketplace, the reference must be to Socratic writings“.28 Die Prophezeiung bezieht sich also auf Schriften, die beim
27 28
Grundproblem der Geschichte der antiken Wissenschaft. Berlin 1973. 250–251. So Slings (1999) 147.
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Erscheinen der Apologie schon vorlagen, wie etwa Gorgias mit seiner bis dahin ungewöhnlichen Kritik an Politikern Athens. Ich denke, die Annahme liegt jetzt nicht fern, daß der Autor der Apologie auch bei den jungen Leuten, die nach seinem Bericht die von Sokrates ausgeübte Diskussionskunst imitieren, in Wahrheit an Schriften denkt, an eigene Schriften, in denen er den Meister von Wortgefechten und nicht etwa jenen Sokrates darstellen wollte, der nach der Selbstcharakteristik der Apologie sich im Auftrag des Gottes von Delphi um seine Mitbürger kümmert wie ein Vater oder älterer Bruder. Diese, wenn man so will, bedenkliche, jedenfalls durchaus faszinierende Seite des historischen Sokrates darzustellen, mußte für jemanden, der einen Blick dafür hatte und schreiben konnte, reizvoll sein, und vor 399 war das ein literarischer Spaß und eine harmlose Sache. Dem verdanken wir Ion und den Kleineren Hippias. Nach 399 aber sah offenbar auch Platon selbst gute Gründe, anders zu denken und anders zu schreiben. Damit ist, wie ich denke, die Frühdatierung der beiden kleinen Dialoge jedenfalls plausibel gemacht. Abschließend seien noch einige weitere Begründungen für diese Datierung gegeben (a – d). (a) Der Laches wird gemeinhin als früher, vielleicht sogar als frühester Dialog betrachtet.29 Ich habe Gründe dafür angegeben, daß nach den vor 399 zu datierenden Dialogen Ion und Kl. Hippias Platon mit dem Laches einen Neuanfang gemacht hat, dessen ungewöhnlich lange Einleitung in beabsichtigtem Kontrast zu den beiden frühen Dialogen steht.30 Nimmt man dieses Verhältnis der drei frühen Dialoge einmal zur Kenntnis, dann wird es m. E. recht schwierig, die Frühdatierung nicht zu akzeptieren und dann die drei Dialoge gemeinsam und sozusagen nebeneinander in die ersten Jahre nach 399 zu setzen. (b) Die Wortgruppe ἐπιμέλεια ‚Sorge, Aufmerksamkeit‘ ἐπιμελεῖσϑαι ‚sich sorgen, kümmern um‘ fehlt im Ion und Kl. Hippias, begegnet aber sonst in sämtlichen Texten der frühen Gruppe und bezeichnet dort die charakteristische Tätigkeit des sich um seine Mitbürger kümmernden Sokrates. Ich habe die Belege zusammengestellt in einem Exkurs meines Apologiekommentars31 und betrachte den dort erstmals mitgeteilten Be-
29 30 31
Dazu die Angaben bei Erler (2007) 152. Heitsch (2004) 35–47. Göttingen (22004) 187–199.
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fund als Beweis der von Platon beabsichtigten Einseitigkeit des Sokratesbildes der beiden frühen Dialoge.32 (c) Unten S. 35 f. mit Anm. 34. (d) Unten S. 51 mit Anm. 67 und 68: Fremde als Strategen Athens.
32 Eine ähnliche Beobachtung stammt von Andreas Patzer (1987, 442). Innerhalb der Frühschriften gibt es nur vier Texte, in denen Sokrates die τί-ἐστι-Frage nicht stellt: Apologie, Kriton, Ion und Kl. Hippias. Patzer möchte diesen Befund historisch deuten und in den vier genannten die frühsten Schriften Platons sehen. Das führt m. E. zu einer falschen Datierung von Apologie und Kriton; in diesen beiden Texten hält Platon, wie ich denke, alles zurück, was nicht sokratisch ist. Für Ion und Kl. Hippias aber weist die Beobachtung von Patzer in die richtige Richtung.
Erläuterungen
530a–530b4. Durch die Begrüßung erfährt der Leser, daß Ion aus Ephesos stammt und nicht zum erstenmal nach Athen kommt. Unmittelbar vorher war er in Epidauros gewesen, hatte dort im Rahmen des Asklepiosfestes am Rhapsodenwettkampf teilgenommen und den ersten Preis gewonnen. Jetzt stehen in Athen die Panathenäen bevor, und Ion ist für den auch hier stattfindenden Wettkampf optimistisch. Asklepios ist ein junger Gott, dessen Kult sich in Griechenland erst im 5. Jhdt. ausbreitet;33 in Athen hat er fußgefaßt erst um 420, wobei übrigens der Tragiker Sophokles eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat. In Epidauros ist der Kult zu dieser Zeit offenbar erst im Aufbau; inzwischen hat man dort, wie in den großen Festen, auch musische Wettkämpfe eingerichtet. Ion ist Epheser, kein Athener. Wenn trotzdem Ion und Sokrates von wir sprechen, hat das vermutlich zwei Gründe. Die Epheser sind Ionier und insofern mit den Athenern verwandt. Wichtiger ist, daß Ephesos Mitglied des Seebundes war, der nach den Perserkriegen zum Schutz der Inseln und der kleinasiatischen Städte gegründet worden war. Inzwischen war er unter Führung Athens ein Machtgebilde eigener Art geworden. Die Mitglieder – in der Zeit der größten Ausdehnung über 300! – zahlen jährlich Beiträge, dafür übernimmt Athen mit seiner Flotte den militärischen Schutz. Innenpolitisch hatten die Mitglieder inzwischen die Entscheidung in Kriminalprozessen an Gerichtshöfe in Athen abgeben müssen; und seit etwa 450 durften im Bereich des gesamten Seebundes im Interesse der Einheitlichkeit eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes nur noch attische Münzen, Gewichte und Maße verwendet werden. An diese Verhältnisse denkt der Autor, wenn er später Ion sagen läßt, daß für Ephesos die politisch/juristische und die militärische Macht
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In der Ilias ist Asklepios noch kein Gott, sondern ein trefflicher Arzt. Die in der Ilias tätigen Ärzte Machaon und Podeleirios sind seine Söhne.
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bei Athen liegt.34 Da die 412 enden, als die jonischen Städte vom Seebund abfallen, ist, was der Autor im Auge hat und Ion im Auge haben läßt, der Zustand von vor 412. 530b5–530d8. Sokrates versichert Ion, wie sehr er ihn ob seines Berufes beneide. Immer in schönen Gewändern, sich nur mit Literatur und dem besten Dichter beschäftigen, dessen Verse auswendig lernen und versuchen, sie zu verstehen und als Dolmetscher dem Publikum nahezubringen, das sei ein wunderbarer Lebensinhalt. Ion bestätigt das, entscheidend sei in der Tat die Interpretation, in der er alle Konkurrenten übertreffe. Die Namen, die er nennt (Metrodor von Lampsakos,35 Stesimbrotos von Thasos36 und ein gewisser Glaukon37), müssen damals aktuell gewesen sein. Wir wissen nur wenig. Metrodor zeigt Ansätze zu allegorischer Homerinterpretation. Möglicherweise steht Ähnliches hinter den πολλὰς καὶ καλὰς διανοίας περὶ Ὁμήρου, die Ion seinem Publikum bietet (530b10; d3). Die Art, wie Sokrates auf Ion eingeht und ihn hervorlockt, gehört zu der vertrauenbildenden Gesprächstaktik, mit der er das Interesse seines Partners zu gewinnen sucht, und er zögert auch nicht, ihm eine Art Probevortrag vorzuschlagen (530d4–5). Doch als Ion im Begriff ist, genau darauf einzugehen, bricht Sokrates ab. Denn natürlich will er keine Vorträge hören – auch später läßt er Ion nicht zu Worte kommen und vertröstet ihn auf passende Gelegenheit (536d8) –, sondern möchte diskutieren, Fragen stellen. Ὁμηρίδαι (530d7) wären eigentlich die Nachkommen Homers. Das Wort dient aber bald als Bezeichnung jener Rhapsoden, die sich auf Homer spezialisieren, bezeichnet also, wie vergleichbare Wortbildungen, eine Berufsgruppe und meint schließlich wohl nicht mehr als Homerliebhaber. Bei Platon begegnet es neben unserer Stelle noch Staat 599e6 34 541c ἡ μὲν γὰρ ἡμετέρα πόλις ἄρχεται ὑπὸ ὑμῶν καὶ στρατηγεῖται. Die Formulierung spricht eindeutig für einen Zustand, wie er vor 412 herrschte, bevor die jonischen Städte vom Seebund abfielen, nicht für irgendwelche kurzlebigen Bündnisse, wie sie in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre geschlossen wurden. Dazu auch Moore (1974) 431–432 und Nails (2002) 316. C.W.Müller (1999) 417 wird mit der Formulierung von 541c unter Hinweis auf das dort auch genannte Sparta schnell fertig; doch Sparta neben Athen besagt lediglich, daß es in dieser Zeit die einzige politische Einheit Griechenlands ist, die, im Unterschied zu Ephesos, der Heimat Ions, eigenes Militär hat wie Athen. 35 VS 62. 36 FGrHist 107. 37 Gemeint ist vermutlich der Vater der Mutter Platons (Charm. 154ab, Proteg. 315a, Symp. 222b) oder aber einer der jüngeren Brüder Platons (Mitunterredner im Staat).
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und Phdr. 252b4. Im Phaidros heißt es von zwei epischen Versen, die zweifellos Platon selbst fabriziert hat, sie stammten aus Homers unveröffentlichtem Nachlaß, der unter der Obhut der Homeriden stünde.38 Wenn Ion an unserer Stelle Bezug nimmt auf den goldenen Kranz, der ihm irgendwo irgendwann, vielleicht als Preis, verliehen war, dann sind die Homeriden hier kaum mehr als das Publikum der anwesenden Homerliebhaber, deren Beifall über die Verleihung seinerzeit entschieden hatte. Ion selbst allerdings wäre es zweifellos lieber, wenn man das von ihm gebrauchte Wort in vollem Sinne nähme und an die Experten aus dem Kreis seiner Kollegen dächte. 530d9–532c4. Ohne zu zögern, bekennt Ion, nur für Homer zuständig zu sein. In der Beschränkung sieht er kein Problem. „Das scheint mir nämlich genug zu sein.“ Anders Sokrates, der, um das zu zeigen, eine Reihe von Fragen zu einer Argumentation verbindet, die nun allerdings ihrerseits nicht unproblematisch ist. Sokrates setzt zunächst den Fall, daß zwei Poeten, Homer und Hesiod, über etwas dasselbe aussagen. Offenbar wird stillschweigend vorausgesetzt, daß das Objekt, dem ihre Aussagen gelten, ein und dasselbe ist. In diesem Fall, so einigen sich die beiden Gesprächspartner, könnte der Homerspezialist auch die Äußerung Hesiods angemessen erläutern. „Jedenfalls über das, worüber sie dasselbe sagen“, versichert Ion. Da sicher nicht an Wortgleichheit gedacht ist – wir hätten dann zwar zwei verschiedene Sprecher, doch nur einen identischen Text –, ist schwer zu sagen, was eigentlich gemeint ist. Doch davon abgesehen, scheint die Fortsetzung zunächst einzuleuchten. „Wie aber steht es um das, worüber sie nicht dasselbe sagen?“ Der Leser glaubt, wie bisher, verstehen zu sollen: bei identischem Objekt. Doch der Text zeigt etwas anderes. Platon nimmt jetzt als Beispiel die Mantik, die Seherkunst, über die sich beide äußern, Homer und Hesiod. Und zwar über einiges in gleicher Weise: In diesem Fall, so darf der Leser annehmen, kann der Homerspezialist, also Ion, auch das von Hesiod Gesagte interpretieren; über anderes aber äußern sich Homer und Hesiod unterschiedlich: in diesem Fall wäre nach den bisherigen Überlegungen Ion für das von Hesiod Gesagte nicht zuständig. Platon aber hat etwas völlig anderes im Auge. Denn er fährt fort: „Was Homer und Hesiod in gleicher Weise und was sie unterschiedlich über die Mantik sagen, das kann ein guter Seher besser erläutern als du“, („der du nur ein Rhapsode bist“, so ist offenbar zu ergänzen). Wenn Ion ein Seher 38
Mein Phaidros-Kommentar 37 mit Anm. 35.
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wäre (zusätzlich zu seinem Rhapsodentum), nur dann, so glaubt Platon jetzt schließen zu dürfen, könnte er dann, wenn er das in gleicher Weise Gesagte erläutern könnte, auch das unterschiedlich Gesagte erläutern. Diese Gedankenführung ist unbefriedigend und verlangt, sobald mit der Mantik exemplifiziert wird, die zusätzliche Annahme, daß die Identität des Objekts aufgegeben wird. Der Gegenstandsbereich der Mantik, so sollen wir offenbar annehmen, ist zu umfangreich, und so gründet die Tatsache, daß Homer und Hesiod sich gegebenenfalls unterschiedlich über die Mantik äußern, einfach darin, daß sie sich unter dem Titel Mantik in Wahrheit zu unterschiedlichen Themen äußern.39 Wird noch berücksichtigt, daß die Fortsetzung in 531c1 mit τί οὖν ποτε („Warum also“) schwerlich an 531a5–b10, sondern viel besser unmittelbar an 531a3–4 anschließt, so hatte Hans Diller m. E. schon gute Gründe, den Text 531a5–b10 zu streichen.40 Ob er damit recht hatte, ist eine andere Frage. Ich halte den Text (nicht nur beim jugendlichen Platon) für nicht unmöglich und habe deshalb oben in der offiziellen Übersetzung für οὖν nicht also, sondern das schwächere nun gewählt. Mit 531c1 endlich stellt Sokrates den in seinen Augen anstößigen Sachverhalt zur Debatte. Daß Ion nur für Homer zuständig ist und sich auch so fühlt, kann nicht an den Themen liegen. Denn die Themen Homers, die Sokrates aufzählt (531c1–d2), sind, wie sich die Gesprächspartner schnell einigen, keine anderen als die der anderen Dichter.41 Es liegt also nicht an der Thematik, sondern an der Qualität. Homers Ausführungen über die angeblich von allen bearbeiteten Themen sind einfach besser (531d6–11). Nun ist die Behauptung von der singulären Qualität der Werke Homers eine Sache, über die sich selbstverständlich diskutieren läßt. Doch inwiefern die fragliche Qualität dieser Werke, gesetzt auch den Fall, sie würde akzeptiert, überzeugend begründen kann, daß Ion lediglich für sie kompetent sei, bleibt noch zu fragen. Ion selbst hat sich solche Fragen offenbar nie gestellt. Und wäre er nicht gerade an Sokrates geraten, so hätte er, gefragt, wahrscheinlich geantwortet, daß er an anderen Werken einfach kein Interesse habe und das sei angesichts
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Auffällt, daß zunächst von ταὐτὰ λέγειν und μὴ ταὐτὰ λέγουσιν („dasselbe und nicht dasselbe sagen“), dann aber von ὅσα τε ὁμοίως καὶ ὅσα διαφόρως περὶ μαντικῆς λέγουσιν („was sie in gleicher Weise und was sie unterschiedlich über die Mantik sagen“) gesprochen wird. Soll der Wechsel der Ausdrucksweise auch den Wechsel des Gegenstandes andeuten? 40 Diller (1955). 41 Natürlich stimmt das nicht. Doch Platon als Autor braucht hier für die Gesprächsstrategie, wie er sie plant, solche pauschalen Aussagen.
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der singulären Qualität der Werke Homers doch auch verständlich. Und ich denke, wir dürfen wohl annehmen, daß seinerzeit viele Hörer im damaligen Vortragsbetrieb und erst recht die heutigen Leser moderner und älterer Literatur für eine Antwort dieser Art durchaus Verständnis hätten. Schließlich war und ist es das Recht von Hörern und Lesern, sich ihre Literatur selbst auszuwählen. Nun ist Ion kein gewöhnlicher, sondern gleichsam ein berufsmäßiger Leser; und von ihm dürfte man ein anderes Verhalten erwarten. Wie es Platon denn auch tut. Angesichts der ausschließlichen Orientierung an Homer, der Ion das Wort redet, lenkt Sokrates jetzt die Aufmerksamkeit auf die Realität von Diskussionen (531d12–532b7). Sie mögen beliebigen Themen gelten – Sokrates exemplifiziert an solchen über mathematische Sachverhalte und über gesunde Nahrungsmittel –, immer oder sagen wir: meistens werden sich alsbald Unterschiede im Niveau zeigen, und wir können uns leicht den Fall denken, daß ein Experte als unbeteiligter Zuhörer sich schnell ein Urteil bildet, wer von den Beteiligten seine Meinung gut vertritt und wer schlecht. In den beiden Beispielen wäre der zuständige Experte, wer die Zahlenlehre beherrscht, und der Arzt. Sokrates faßt zusammen: „Wenn viele über dasselbe Problem sprechen, wird immer ein und derselbe es sein, der erkennt, wer von ihnen gut spricht und wer schlecht“ (531e9). „Oder“ so fährt Sokrates fort, wir können auch formulieren: „Wer in einem solchen Fall den erkennt, der gut spricht, erkennt auch den, der schlecht spricht“. Da Ion jedem einzelnen Argumentationsschritt zustimmt, kann Sokrates ihn vor die überraschende Folgerung stellen: „Ion gibt zu, daß er, wenn für Homer zuständig, dann auch für alle anderen Dichter.“ Worauf Ion, naiv und höflich wie er ist, mit einer Frage antwortet: „Was also (!) ist die Ursache dafür, daß es bei mir nicht so ist, wie es sein sollte?“ Mit also gibt er alles zu, was Sokrates soeben zwingend entwickelt hat, und bittet um eine Erklärung für den wahren Zustand, der dem von Sokrates „bewiesenen“ durchaus nicht entspricht, den er aber als gegeben hinnimmt und den er drastisch beschreibt (532b8–c4). 532c5–533c8. Sokrates hält die gewünschte Erklärung für leicht, gibt aber zunächst nur deren negative Seite, indem er erklärt, was die Fähigkeit, durch die Ion sich auszeichnet, gerade nicht ist: Sie ist nicht rationaler Natur, denn sie beruhe weder auf praktischem noch auf theoretischem Wissen. Besäße er nämlich ein solches Wissen, dann wäre er zuständig nicht nur für Homer, sondern auch für jeden anderen Dichter. In diesem Sinne macht er sich jetzt anheischig, das grundsätzlich an jedem
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beliebigen Fachbereich aufzuzeigen: überall werde sich dasselbe Phänomen beobachten lassen. Und Ion gewinnt nun tatsächlich Interesse daran, von einem Gelehrten wie Sokrates über sich selbst aufgeklärt zu werden (532c5–d5). So sieht Sokrates, daß erst noch ein Mißverständnis ausgeräumt werden muß. Von Gelehrtentum könne bei ihm keine Rede sein. Gelehrt seien vielmehr sie, die Rhapsoden, Schauspieler und die Autoren von Literatur. Er, als Nichtexperte und Privatmann, könne nur das sagen, was vor aller Augen liegt42. Dann aber macht er sich daran, das, was er eben schon an beliebigen Diskussionen des Alltags über Sachverhalte der Mathematik und der Ernährung gezeigt hatte, daß nämlich ein jeweils zuständiger Experte die guten und die schlechten Diskussionsbeiträge als solche erkennen könne, anzuwenden auch auf die höheren Künste, zu denen er nun auch die Rhapsodik zählt. Wie Sokrates betont, handelt es sich um einen ganz einfachen Sachverhalt. In der Geschichte der Malerei etwa, mit der er beginnt, gibt es viele gute und weniger gute Maler. Den Fall aber, daß jemand sich verständnisvoll über einen berühmten Mann wie Polygnot43 äußert, über andere weniger berühmte Maler aber schweige, wenn von ihnen gesprochen werde, einschlafe und nichts verstehe,44 einen solchen Fall gibt es nicht, wie die beiden Gesprächspartner überraschend schnell übereinkommen. Dasselbe gilt für die Bildhauer. Sokrates nennt wieder ausgewiesene Namen wie Daidalos, Epeios und Theodoros aus Samos;45 wer deren Leistungen kennt
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Erstmals hat wohl C.W. Müller (1999) 397 Anm. 20 darauf hingewiesen, daß die Formulierung ἐγὼ δὲ οὐδὲν ἄλλο ἢ τἀληϑῆ λέγω, zumal angesichts der folgenden Erläuterung „wie es einem Laien zukommt“, einen besseren Sinn ergibt, wenn man für ἀ-ληϑής nicht die übliche Bedeutung (wahr), sondern die etymologische (unverborgen, evident) annimmt. Als Laie kann Sokrates, so überlegt er, nur beitragen, was selbstverständlich, ohnehin klar (im Grund also: trivial) ist. Platon hat auch später die etymologische Bedeutung öfter verwendet; dazu meine AkademieAbhandlung (2011) 20–29. 43 Polygnot, Maler aus Thasos, erste Hälfte 5. Jhdt. Überliefert sind Beschreibungen mehrerer seiner Werke. In Athen hat er u. a. eine Iliupersis für die Stoa Poikile gemalt. Theophrast hält ihn für den Erfinder der Malerei, für Aristoteles liegt seine Bedeutung in der Betonung des Ethos (Poet. 1450a28). 44 Sokrates greift Worte auf, mit denen Ion seine übliche Reaktion beschrieben hatte, wenn nicht über Homer, sondern über andere Dichter gesprochen werde (532b8–c4). 45 Daidalos berühmt u. a. durch den Bau des Labyrinths auf Kreta und die Konstruktion von Flügeln aus Wachs und Federn für seine und seines Sohnes Ikaros Flucht aus Kreta. Ikaros kommt auf dem Flug der Wärme der Sonne zu nahe und stürzt ins Meer, das nach ihm benannt wird. Daidalos ist der Inbegriff des erfindungsreichen Handwerkers und gilt auch als bedeutender Bildhauer. – Epeios ist vor Troja der Erbauer des hölzernen Pferdes. – Theodoros aus Samos, 6. Jhdt. Vielseitiger Künstler, soll u. a. den Erzguß erfunden haben.
Erläuterungen
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und beurteilen kann, der kann das auch von Leistungen weniger bedeutender Autoren.46 Schließlich kommt er zu Personen aus dem Mythos wie Olympos, Thamyris, Orpheus,47 nennt zuletzt den aus der Odyssee bekannten Rhapsoden Phemios und wiederholt auch hier dieselbe Konstellation: Es gibt niemanden, der sich über diese Männer verständnisvoll äußern könne, doch in Verlegenheit geriete und nichts zu sagen habe, wenn ein so unbedeutender Rhapsode wie Ion aus Ephesos zur Debatte stünde. Ganz so deutlich, wie hier referiert, läßt Platon seinen Sokrates zwar nicht werden, aber es ist schon raffiniert, wie er ihn genau das indirekt zum Ausdruck bringen läßt. Ion kann nicht widersprechen, beruft sich aber weiterhin auf sein Bewußtsein, daß er unter allgemeiner Zustimmung über Homer am schönsten spreche, über die anderen Dichter aber nicht. Das zu erklären sei Sache seines Gesprächspartners: „Sieh also zu, was es damit ist.“ 533c9–535c8. Sokrates sieht sich jetzt vor der Aufgabe, eine Erklärung zu liefern, die geeignet ist, die soeben bewiesene Tatsache, daß auf allen Sachgebieten der zuständige Experte die guten und tüchtigen und die schlechten und untüchtigen Fachvertreter als solche erkennt, mit der anderen durch Ion vertretenen Tatsache verträglich zu machen, daß Ion sich als Rhapsode zwar als den besten Interpreten des besten Dichters, also Homers, versteht, doch an anderen, also schlechteren Dichtern kein Interesse und auch kein begründetes Urteil über sie hat. Und Platon läßt Sokrates die gesuchte Erklärung darin finden, daß er Ion für seine erfolgreiche Tätigkeit die Voraussetzung, einschlägiges Wissen zu besitzen, abspricht, ihm aber dafür göttliche Begabung zubilligt. Die folgenden Ausführungen dieses Abschnitts gelten durchweg der Ausgestaltung dieser These zusammen mit dem Versuch, Ion von deren Richtigkeit zu überzeugen und ihm zu einem neuen Selbstverständnis zu verhelfen. Was ihm am Ende denn auch gelungen ist (535a3–10). Seine Darstellung stützt sich im wesentlich auf drei Hilfsmittel: den Vergleich mit dem Magnetstein,48 Anleihen bei der Terminologie eksta46 Auch hier wären wir angesichts der Fülle der Produkte durch die Jahrtausende wohl doch zurückhaltender und rechnen längst mit individuellen Spezialisten. Doch für das Argumentationsziel Platons ist das unerheblich. 47 Olympos aus Mysien (vortrojanische Zeit; Flötenschüler des Marsyas) oder aus Phrygien (8. Jhdt.); gilt als Erfinder der Musik. – Thamyris, Sänger thrakischer Herkunft; fordert die Musen zum Wettstreit und wird von ihnen bestraft. – Orpheus, thrakischer Herkunft; berühmt durch die Zauberkraft seines Gesanges und seiner Musik (Phorminx, Kithara, Lyra). 48 Die für uns erstmals von Euripides bezeugte Bezeichnung hat sich gegenüber anderen durchgesetzt. Euripides (FrGF 5, 2. p. 589) F 567.
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tischer Kulte und den berühmten Paian des Tynnichos. Die ungewöhnlichen Fähigkeiten, von denen Ion, wenn als Rhapsode tätig, erfüllt ist, beruhen nicht, wie gesagt, auf rationalem Wissen, sondern sind vergleichbar der Kraft des Magnetsteins gerade auch insofern, als auch der Magnetstein seine Kraft überträgt etwa auf Eisenringe, die ihm nahekommen; diese Ringe, von dem Magnetstein magnetisiert, übertragen nun auch ihrerseits die ihnen verliehene Kraft auf andere Ringe, sodaß gegebenenfalls eine ganze Kette von Ringen durch die letztlich vom Stein ausgehende Kraft zusammengehalten wird. Genau so stehe es auch um die von der Muse ausgehende Kraft, die den Dichter erfüllt und zu seinem Werk befähigt, seien das nun Epen, Tanzlieder, Lobgesänge oder andere poetische Produktionen. Immer sind die Dichter, wenn sie als solche tätig werden, bar ihres eigenen Verstandes und erfüllt von göttlichem Geist, den sie als Interpreten dessen, was ihnen die Muse als Begabung schenkt, an den Rhapsoden vermitteln, der nun auch seinerseits, des Geistes voll, mit ihm auf die Zuhörer wirkt bis hin zum Letzten von ihnen. Die Rhapsoden, so können Sokrates und Ion am Schluß gemeinsam formulieren, sind Dolmetscher von Dolmetschern dessen, was durch Begabung von den Göttern zu ihnen kommt. Dichter können nur dichten, wenn sie ohne Verstand sind, wenn nicht sie es sind, die da sprechen, sondern ein Gott in ihnen spricht, ein Gott, von dem sie besessen49 sind. In diesem Zustand geraten sie über sich hinaus wie die Bakchen, die, ihres Gottes voll, aus den Flüssen Milch und Honig schöpfen, oder die Korybanten, die im Banne der großen Mutter Kleinasiens stehen und unter Wirkung phrygischer Musik dem rasenden Tanz verfallen, um schließlich, in Erschöpfung übermannt, sich befreit und erlöst zu fühlen nicht nur vom Wahnsinn, sondern auch von allem, was sie zuvor bedrückt hat.50 Was Platon Sokrates schließlich über Tynnichos sagen läßt, macht Tynnichos und seinen berühmten Paian zur göttlichen Bestätigung der von Sokrates entwickelten Dichtungstheorie. Denn nur um ein für allemal zu zeigen, daß gute Dichtung nicht Menschenwerk ist, sondern als Begabung von den Göttern kommt, haben sie, wie Sokrates das historische Phänomen interpretiert, dem unbegabtesten Dichter, der nichts sonst vorzuweisen hatte, das schönste aller Lieder eingegeben.51 49
Κατεχόμενος: Der Dichter ist in Besitz genommen von einem Gott, ist besessen (von ihm). Auch das griechische Wort wird, wie die deutsche Entsprechung, absolut gebraucht. 50 Burkert (1977) 136. 51 Tynnichos PMG 707.
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Sokrates vergewissert sich noch einmal (535a1): „Oder glaubst du mir nicht, daß ich recht habe?“ Doch wie sich dann zeigt, ist Ion überzeugt und faßt gemeinsam mit Sokrates die Hauptgedanken der neuen Theorie zusammen: 535a3–10. Für Ion persönlich bedeutet das, daß er als Rhapsode für sein Gewerbe kein Wissen besitzt, vielmehr von den Göttern begabt, von ihnen erfüllt ist. Damit hat Sokrates den ersten Schritt in diesem logischen Argumentationsspiel getan; er hat Ion bewogen, sich zu einer festen These zu bekennen, sie sich zu eigen zu machen. Der nächste Schritt, den Sokrates in diesem Spiel jetzt vor sich hat, wird also sein, die von Ion neu gewonnene Überzeugung zu erschüttern und in ihr Gegenteil zu verkehren. Dieser Schritt wird in 536d4–7 getan sein. 535d1–536e2. Sokrates möchte jetzt von Ion erfahren, wie er gestimmt ist, wenn er durch Vortrag und Interpretation bestimmter Homerszenen, für die er, Sokrates, ihm Beispiele gibt,52 die Zuschauer (535b3 τοὺς ϑεωμένους) in besondere Erregung bringt. Fühlt er sich dann besonnen und bei Verstand (ἔμφρων), oder gerät er außer sich (535b7 ἔξω σαυτοῦ γίγνηι), „und glaubt deine Seele bei dem Geschehen zu sein, das du berichtest, auf Ithaka oder vor Troja oder sonstwo?“ Ion fühlt sich von jemandem, der so fragt, durchaus verstanden. Füllen sich doch gegebenenfalls, wie er bekennt, seine Augen mit Tränen, sein Herz klopft und seine Haare sträuben sich. Für Sokrates aber ist das denn doch eine etwas sonderbare Situation. Selbst festlich gekleidet, in festlicher Umgebung, unter Hunderten von fröhlichen Menschen und von niemandem 52 Er nennt fünf oder sechs Namen, die für Erlebnisse stehen, die bei den Zuschauern Trauer und Emotionen verschiedenster Art hervorrufen. Odysseus, bisher als Bettler verkannt, gibt sich zu erkennen und schüttet die Pfeile vor sich aus, um sie alsbald auf die Freier zu richten (Od. 22, 1 ff.). Achill jagt Hektor, der nicht ohne Grund draußen vor dem Tor geblieben war, und treibt ihn dreimal um den Burgberg, bevor es zum Entscheidungskampfe kommt (Il. 22, 136ff). Bei Andromache könnte Sokrates an ihr letztes Gespräch mit Hektor denken (Il. 6, 407 ff.) oder an ihre Klage über seinem Leichnam (Il. 24, 725–745); bei Hekabe vielleicht an den (vergeblichen) Bittgang zur Göttin Athene, worum Hektor bei seiner kurzfristigen Rückkehr in die Stadt seine Mutter gebeten hatte (Il. 6, 254–311); und bei Priamos vielleicht an die flehentliche Bitte an Hektor, nicht draußen vor der Stadt auf Achill zu warten, oder an die nächtliche Fahrt ins griechische Lager, um Achill um die Rückgabe von Hektors Leichnam zu bitten (Il. 24, 486–506: seine Rede an Achill in dessen Zelt). Natürlich haben wir nicht die geringsten Andeutungen, wie Ion die von Sokrates ausgewählten Szenen interpretiert haben würde. Daß Platon davon ausgeht, daß ein Rhapsode wie Ion sich Gedanken gemacht hat, ist durch 530b10 und d3 (οὐδεὶς τῶν πώποτε γενομένων ἔσχεν εἰπεῖν οὕτω πολλὰς καὶ καλὰς διανοίας περὶ Ὁμήρου ὅσας ἐγώ) jedenfalls sicher. So sei es erlaubt, jedenfalls ausnahmsweise auf eine heutige Interpretation der ungeheuerlichsten Szene unserer Ilias (des Entscheidungskampfes zwischen Hektor und Achill) zu verweisen: Erzählung und Theologie in der Ilias. Abh. Akad. Mainz 2008 Nr. 3. 17–22.
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bedroht, zeigt der Rhapsode doch alle Zeichen von Trauer und Entsetzen. Und sei ihm klar, daß er auch die Masse des Publikums in eben diesen Zustand versetze? Doch eine solche Frage sagt für Ion nichts Neues. Er bekennt sofort, daß er von der Bühne herab seine Hörer durchaus im Blick behalte und das aus ganz egoistischen Gründen. Wenn er sie zum Weinen bringe, sei das gut für seinen Verdienst, stimme er sie dagegen heiter, sei das abträglich. Offensichtlich sind die äußeren Zeichen seiner Anteilnahme an seiner eigenen Vorführung, mit denen er auf der Bühne zu arbeiten pflegt, keineswegs der unmittelbare Ausdruck seines Empfindens, sondern sie sind antrainiert, eingeübt und lassen den Blick frei für die Reaktionen des zahlenden Publikums.53 Sokrates läßt dieses unerwartete Eingeständnis, mit dem Platon im Grunde die ganze schöne Theorie von der göttlichen, in den Dichtern und ihren Dolmetschern wirkenden Kraft zum Einsturz bringt, unbeachtet und bringt vielmehr eben diese Theorie dadurch zu ihrem Abschluß, daß er die Zuhörer zum letzten der Ringe macht, zu denen die göttliche Kraft durch Vermittlung der Rhapsoden kommt. In dieser endgültigen Darstellung der fraglichen Theorie gehen der Stein mit der magnetisierten Kette und der Gott bzw. die verschiedenen Musen mit den von ihnen besessenen Dichtern, Rhapsoden und Zuschauern eine gleichsam unauflösliche Verbindung ein, die noch einmal verständlich macht, daß hier für praktisches und theoretisches Wissen kein Platz ist, aber auch kein Bedarf. „Nicht durch Kunstfertigkeit, sondern dank göttlicher Begabung bist du ein bedeutender Lobredner Homers.“ So die letzte Aussage dieses Abschnitts, mit der Sokrates seine Darstellung schließt. Und es ist sicher kein Versehen, daß im ersten Satz (535e7–9) der Zuschauer der letzte der magnetisierten Ringe ist, die nicht an der Muse, sondern am Stein hängen. Ions Reaktion ist gespalten. Er bewundert zwar Sokrates ob seiner Darstellung, ist aber nicht überzeugt. Als Sokrates erstmals Ion τέχνη und ἐπιστήμη abgesprochen und durch göttliche Begabung ersetzt hatte, war Ion von diesem Angebot eines neuen Selbstverständnisses nicht wenig angetan und vielleicht sogar geschmeichelt (535a3–5). Doch jetzt, nach den genaueren Ausführungen, die Sokrates gegeben hat, ist er voller Bedenken (536d4–7). In dem Treiben der Korybanten kann er seinen interpretierenden Umgang mit Homer nicht wiederfinden, und 53 Das Problematische dieser aus dem Rahmen fallenden Bemerkung ist gesehen von Flashar (1958) 72–73 und Tigerstedt (1969) 21 und wird m. E. von Janaway 18 mit Anm. 31 seiner Gesamtdeutung zuliebe verharmlost.
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die Irrationalität, der Sokrates jetzt das Wort redet, ist seine Sache nicht. Er ist sich vielmehr sicher,54 daß dann, wenn er Homer verdolmetscht, er nicht besessen und nicht rasend (κατεχόμενος καὶ μαινόμενος) sei, und ist überzeugt, daß auch Sokrates so urteilen würde, wenn er ihn über Homer sprechen hörte. Und Sokrates? Er scheint es genau auf diese Reaktion seines Gesprächspartners abgesehen zu haben. Denn er geht, ohne zu zögern, sogleich auf Ions Antwort ein, ist auch wieder bereit, sich einen Probevortrag anzuhören. Nur müsse vorher noch etwas geklärt werden (536d8–e2). Er spricht hier zwar ebenso wenig wie Ion von τέχνη und ἐπιστήμη als Voraussetzung eines erfolgreichen Rhapsoden, aber die Fragen, die er stellt, setzen die beiden Begriffe voraus, und so wird im folgenden denn auch immer wieder von ihnen gesprochen. Sokrates aber – und das sollte nicht aus dem Auge verloren werden – ist es ein weiteres Mal gelungen, ihn zu einem Wechsel seines Selbstverständnisses zu veranlassen. 536e3–538b6. Sokrates wird jetzt diese Rückkehr Ions zu einem rationalen Selbstverständnis, das dem Rhapsoden wieder erlaubt, seine Tätigkeit als Kunstfertigkeit zu verstehen und als auf Wissen gegründet, ausnutzen, ihn in mehreren Schritten auf die Eigenheiten einer Wissenskultur aufmerksam zu machen und ihn damit in Probleme zu verwickeln, aus denen Ion keinen Ausweg sieht. So wird er ihn schließlich zu einem abermaligen, dem dritten Wechsel seines Selbstverständnisses zwingen, in dem er sich nun wieder der göttlichen Begabung öffnet. Angesichts der Frage, welche der von Homer zur Sprache gebrachten Sachverhalte Ion, der Interpret Homers, kompetent erörtern könne, läßt Platon Ion zunächst eine Allzuständigkeit beanspruchen. Ion, so will es der Autor, ahnt offenbar nicht, welche Möglichkeiten, kritische Fragen zu stellen, er Sokrates damit eröffnet. Sokrates tut so, als ginge er mit Selbstverständlichkeit davon aus, daß es Dinge gebe, über die Homer spreche, von denen Ion aber nichts verstehe. Ion allerdings ist vom Gegenteil überzeugt: Seiner Meinung nach gibt es solche Dinge überhaupt nicht. Um ihn zu korrigieren und ihn diese Korrektur auch verstehen zu lassen, geht Sokrates Schritt für Schritt vor. Zuerst muß geklärt werden, daß es einerseits unterschiedliche Sachverhalte gibt und andererseits ein für das Verständnis eines solchen Sachverhalts speziell zuständiges Wis-
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Θαυμάζοιμι εἰ (536d4) ist kaum eindeutig zu übersetzen. Neben „ich würde mich wundern wenn“ ist ebenso gut möglich „ich wüßte gerne ob“.
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sen (537a1–538b6). Sokrates exemplifiziert an einem berühmten Wagenrennen in der Ilias. Antilochos will an diesem Rennen teilnehmen, und sein Vater Nestor55 macht ihn auf die besonderen Schwierigkeiten aufmerksam, die beim Umfahren der Wendesäule zu beachten sind: Der Fahrer muß sein Gewicht nach innen verlagern (im vorliegenden Fall also nach links); die Leinen des inneren und des äußeren Pferdes müssen unterschiedlich geführt werden; das innere, also das linke Pferd soll, um seinen Weg abzukürzen, der Wendesäule möglichst nahekommen, doch so, daß der Wagen den Stein nicht berührt. Platon läßt Sokrates diese konkrete Anweisung nicht kritisieren,56 sondern läßt ihn fragen, ob es jemanden gibt, der den fraglichen Text kompetent beurteilen könnte. Und die beiden Gesprächspartner einigen sich schnell darauf, der Gesuchte sei nicht der Arzt, sondern der berufliche Wagenlenker, also, mit Wilamowitz zu reden, der Kutscher. Nur er kann beurteilen, ob Homer das komplizierte Manöver richtig beschrieben hat. Natürlich ist der Arzt ein anerkannter Experte – nur deshalb wird er hier überhaupt genannt –, wie auch der Baumeister; aber die haben eben ihre eigenen Sachbereiche. Und so ist es grundsätzlich: Worüber man mit der einen Kunstfertigkeit Bescheid weiß, da ist eine andere nicht zuständig (537d1). Die Feststellung, daß eine bestimmte Kunst(fertigkeit) (τέχνη) für einen bestimmten Gegenstand zuständig ist, ist für Platon offensichtlich außerordentlich wichtig, und zwar so wichtig, daß er für einen Augenblick den Gedankengang unterbricht (537d3–e8), um das gewonnene Ergebnis in einer fast schon formelhaften Klärung festzuhalten.57 Wenn wir von einer und einer anderen Kunstfertigkeit sprechen, etwa der eines Arztes und der eines Baumeisters, so liegt der Unterschied darin, daß je-
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Nestor, Herrscher über Pylos in Messenien, ist unter den Griechen vor Troja charakterisiert durch sein Alter (er lebt jetzt in der vierten Generation), Weisheit und Beredsamkeit. 56 Für die Anweisung, die Homer Nestor geben läßt, ist charakteristisch, daß die Wendesäule auf engstem Kurs umfahren werden soll. Das setzt voraus, daß die Geschwindigkeit für einen Augenblick stark abgebremst werden muß. Die Frage, ob es nicht richtiger wäre, den Wendepunkt auf einem größeren Kreis, aber mit höherer Geschwindigkeit zu umfahren, wird von Nestor nicht berücksichtigt; und merkwürdigerweise auch nicht von Platons Sokrates, der in gewisser Weise ja die Perspektive eines Kritikers des Homertextes einnimmt. Der Gründe sind mehrere denkbar; einer wäre, daß die Bahn abgesteckt gewesen wäre und das Umfahren auf einem größeren Kreis demzufolge als Regelverstoß hätte gelten müssen. 57 Das hier erstmals entwickelte, doch im Ion in der Argumentation auch vorher schon (532c) angewandte, Prinzip der genauen Entsprechung zwischen einem Wissen und seinem Gegenstand ist fundamental für Platons τέχνη-Theorie. Dazu Kahn (1993) 174–175 und (1996) 108.
Erläuterungen
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de der beiden Kunstfertigkeiten ein anderes Wissen voraussetzt, also das der Medizin und das der Architektur: ὅταν ἡ μὲν ἑτέρων πραγμάτων ἦι ἐπιστήμη, ἡ δ’ ἐτέρων, οὕτω καλῶ τὴν μὲν ἄλλην,τὴν δὲ ἄλλην τέχνην (537d5). Und Platon läßt Sokrates ein weiteres Beispiel geben: Da wir beide die Zahlenkunde beherrschen, wissen wir, mit ihrer Hilfe, daß dies fünf Finger sind. Nun endlich kommt Sokrates zu dem Punkt, den er im Auge hat. Da für alle Kunstfertigkeiten gilt, daß wir mit ein und derselben dasselbe erkennen, mit einer anderen aber nicht dasselbe, wird der, der eine bestimmte Kunstfertigkeit nicht besitzt, das, was von ihr gesagt oder gemacht wird, nicht gut erkennen können. Und damit ist schon geklärt, daß ein Wagenlenker besser beurteilen kann als Ion, ob Homer im oben gegebenen Zitat den komplizierten Vorgang korrekt beschrieben hat. Denn der eine beherrscht die Kunst, ein Gespann zu führen, der andere aber die Rhapsodenkunst. Und diese beiden Kunstfertigkeiten sind, da sie auf unterschiedlichem Wissen beruhen, zu unterscheiden; mit anderen Worten: sie leisten nicht dasselbe. Dieses Ergebnis wird Platon im folgenden Sokrates zunächst mit drei oder vier Beispielen noch genauer bestätigen lassen, bevor er ihn dann endlich an Ion die längst im Hintergrund stehende Frage stellen läßt, was nun eigentlich der Bereich ist, für den Ion selbst mit seiner Rhapsodenkunst zuständig ist. 538b7–539d4. Zunächst also schiebt Sokrates weitere Beispiele nach, die das Verhältnis, in dem der Rhapsode zu den verschiedenen Sachbereichen steht, gleichsam einüben. Wer beurteilt, ob Homer recht tut, wenn er einem Verwundeten einen starken Rotwein geben läßt, dem Gerstengraupen und geriebener Ziegenkäse zugesetzt sind?58 Ist das zu entscheiden Sache des Arztes oder des Rhapsoden? Und wenn Homer die Geschwindigkeit, mit der die Göttin Iris ein von Zeus gegebenes Gebot ausführt, vergleicht mit jener Geschwindigkeit, mit der der Haken einer zum Fang zugerüsteten Angel in der Tiefe verschwindet, so entscheidet über die Frage, ob Homer die Zurüstung der Angel richtig be-
58 Οἴνωι Πραμνείωι an derselben Versstelle auch Od. 10, 235. Die Lage eines Ortes Pramne oder –nos, aus dem der Wein kommt, ist unbekannt; vielleicht ein Berg Pramne auf Ikaria. Bekannt ist jedenfalls die Qualität des Weines. – Der hier verwundete Machaon ist zusammen mit seinem Bruder Podeleirios Herrscher über einen Teil Thessaliens mit den Städten Trikka und Ithome (Il. 2, 729–33). Als Söhne des Asklepios sind auch sie in der Ilias Ärzte; dazu auch oben Anm. 33.
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schrieben hat, der Fischer oder der Rhapsode?59 Beide Fragen beantwortet Ion ohne Zögern so, wie Sokrates das erwartet. Für das nächste Beispiel vertauscht Platons Sokrates dann die Rollen, wie er es auch später nicht selten tut. „Wenn du mich jetzt folgendes fragtest, würde ich folgendes antworten.“ Nach einem solchen fingierten Rollentausch kommt Sokrates in der Regel mit seiner eigentlichen Frage. So auch hier. Sokrates fingiert also, Ion frage ihn, wer für die kompetente Beurteilung solcher Textpartien zuständig sei, in denen ein Seher spricht; wofür er aus beiden Epen je eine Stelle nennt. Aus der Odyssee jene, wo Theoklymenos den Freiern im Hause des Odysseus ihren Untergang prophezeit;60 aus der Ilias, wo Polydamas, der zwar immer wieder Rat gibt, aber beruflich kein Seher ist, ein Geschehen zwischen Adler und Schlange deutet als Warnung für Hektor, die um das Lager der Griechen gezogene Mauer nicht zu durchbrechen.61 Und Sokrates meint, von Ion vor eine solche Frage gestellt, würde er nicht den Rhapsoden nennen, sondern den Seher. Was auch Ion billigt. 539d5–540d5. Nach dieser Vorbereitung also kann Sokrates endlich mit seiner Frage kommen. Dafür faßt er die vorherige Diskussion stichwortartig noch einmal zusammen: Er habe aus Odyssee und Ilias ausgewählt, was zu beantworten Sache eines Sehers, eines Arztes und eines Fischers sei. Nun möge Ion, der in Homer viel erfahrener sei, sagen, was Sache des Rhapsoden mit seiner Kunstfertigkeit sei, was also ihm zu prüfen und zu beurteilen zukomme. Und die Antwort, die Platon Ion geben läßt? Sie ist einigermaßen überraschend. „Ich meine alles.“ Der Leser oder Hörer könnte denken, für Ion habe die vorhergehende Diskussion gar nicht stattgefunden.62 Es ist jedenfalls, als habe er überhaupt nicht ver59
Zur Sache oben Anm. 5. Dazu oben Anm. 6. 61 Dazu oben Anm. 7. 62 Allerdings vom Standpunkt Ions aus kann die Antwort als korrekt oder jedenfalls als verständlich gelten. Ion denkt, wenn er so antwortet, wie er das hier tut, gar nicht an die bisherige Diskussion, sondern an seine Tätigkeit als Rhapsode. Und trägt er nicht den ganzen Homer vor? Daß die beiden Diskussionspartner sich gleich zu Beginn darauf geeinigt hatten, daß ein guter Vortrag voraussetzt, daß der Text und gegebenenfalls auch die in der Interpretation auftauchenden Sachfragen verstanden worden seien, hat er längst vergessen. Und so sieht er auch nicht, daß die Fragen, die Sokrates stellt, im Grunde der Klärung bestimmter Textstellen, letzten Endes also dem Textverständnis dienen und ihre Beantwortung die Voraussetzungen erfüllen für einen guten Vortrag. „Der Rhapsode soll Interpret der Gedanken des Dichters sein für die Zuhörer. Und dies richtig zu tun, ohne zu verstehen, was der Dichter meint, ist nicht möglich“: So Sokrates zu Be60
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standen, was er immer wieder zugegeben hat, daß nämlich für das Verständnis gewisser epischer Textpartien gerade nicht der Rhapsode, sondern andere Experten zuständig seien. Auch Sokrates kann sich nach dem Willen des Autors auf diese Antwort Ions keinen Reim machen. Ist Ion wirklich so vergeßlich? Was doch gerade ein Rhapsode nicht sein sollte. Doch Ion tut, als verstünde er den Vorwurf der Vergeßlichkeit gar nicht,63 und Sokrates muß ihm auf die Sprünge helfen. Was ihm denn auch gelingt unter Hinweis auf früher Gesagtes, und so kann er resümieren: „Nicht also jedenfalls über alles wird die Rhapsodenkunst nach deinem eigenen Urteil Bescheid wissen und auch nicht der Rhapsode“ (540a5). Wenn Ion in seiner Antwort durch πλῆν („außer, ausgenommen“) den unmittelbar vorhergehenden Satz – also das eben zitierte Resümee – einschränken will (und ein anderes Verständnis ist ja wohl nicht gut möglich) und τοιαῦτα („derartiges“) im Sinne des Folgenden verwendet, so muß er mit dem nicht grammatisch, aber jedenfalls sachlich schwer verständlichen Satz meinen, daß es für das Verstehen der homerischen Epen einen Bereich gibt, wo der Rhapsode mit seiner Kunst für alles zuständig ist. Auch Sokrates versteht Ions Formulierung nicht gleich und kann nur vermuten, daß Ion mit den Dingen/Sachverhalten dieser Art etwas meint, das zu verstehen nicht Sache der anderen Künste sei. Aber er will es natürlich genauer wissen. Und Ions Antwort lautet: „Die Rhapsodenkunst weiß Bescheid über das, was einem Manne zu reden zukommt und was einer Frau und was einem Sklaven und was einem Freien und was einem Untergebenen und was einem Gebietenden“ (540b3–5). Sokrates geht sofort auf diese Antwort ein und zeigt an mehreren Beispielen, daß es auch hier vielleicht nicht immer, aber jedenfalls oft um Sachverhalte geht, zu denen sich zu äußern nicht dem Rhapsoden zukommt, sondern anderen Experten: etwa dem Steuermann, dem Arzt, dem Sklaven als Rinderhirten, der Frau über die Bearbeitung von Wolle.
ginn (530c3); und Ion hatte zugestimmt und bemerkt: „Mir jedenfalls hat das die größte Mühe gemacht in meiner Kunst.“ Offenbar hat aber Ion, wie er glaubt, diese Mühe längst hinter sich. 63 Der Leser sollte sich fragen, weshalb Platon Ion hier an dieser nicht unwichtigen Dialogstelle als so völlig verständnislos darstellt. Und ich denke, die Antwort kann nur sein, Platon habe den Rhapsoden, der sich bisher als naiv und höflich gezeigt hatte, jetzt einfach als töricht darstellen wollen. Und das schien ihm notwendig, um den von ihm geplanten Schluß des Dialogs nicht gänzlich überraschend kommen zu lassen, sondern dem Kontext entsprechend. Nur ein Rhapsode, der die Diskussion, in der er einer der beiden Partner ist, der Sache nach gar nicht versteht und einfach töricht ist, ist auch unbedarft genug, sich von Sokrates dazu verführen zu lassen, in sich, dem international geschätzten Rhapsoden, den Strategen zu sehen.
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Kommentar
Bleibt noch etwas? In der Tat, im Epos, vornehmlich in der Ilias – so die Überlegungen, die Sokrates anstellen mag –, gibt es viele Kampfszenen. Könnte es also sein, daß der Rhapsode weiß, was ein Stratege sagen muß, der seine Soldaten ermuntert? Und aus der Befürchtung, daß sonst für ihn überhaupt nichts mehr übrigbleibt, greift Ion zu.64 Er will zwar die Tätigkeit als Rhapsode noch nicht mit dem Feldherrnamt identifizieren, aber er wüßte jedenfalls, wie er meint, was ein Stratege in der betreffenden Situation sagen sollte (540d5). 540d6–541c6. Sokrates will Ion nun eine Brücke bauen, damit er zu einer vernünftigen Auflösung dessen kommt, was zu behaupten er sich hat verführen lassen. Vielleicht sei ja Ion auf irgendeine Weise mit dem Strategenamt vertraut geworden. Denn man könne durchaus verschiedene Kunstfertigkeiten gleichzeitig beherrschen, etwa Reiten und Kitharaspielen. Aber in der Anwendung beider Fertigkeiten würde man natürlich streng unterscheiden. Hier würde man sich als Reiter, dort als Spieler eines Musikinstrumentes gefragt sehen. Und Sokrates legt ihm nahe, so stünde es auch um seine militärische Begabung; er verstünde sich auf das Militärwesen, weil er mit dem Strategenamt vertraut geworden sei, nicht aber als Rhapsode. Doch Ion zeigt sich jetzt hartnäckig; die einmal eingenommene Position will er behaupten und die angebotene Brücke nicht betreten. Er sehe zwischen dem Strategen und dem Rhapsoden keinen Unterschied. Auf eine verwunderte Nachfrage seines Gesprächspartners versteift er sich dann tatsächlich auf die Behauptung, die Kunst des Rhapsoden und die des Strategen seien eine einzige. Zwar macht er eine gewisse Einschränkung. Sicher, der gute Rhapsode sei ein guter Stratege, deshalb aber noch nicht jeder gute Stratege auch ein guter Rhapsode. Doch er bleibt dabei, daß er die Schlußfolgerung, die Sokrates jetzt zieht, meint bejahen zu sollen, daß nämlich er, der unter den Griechen der beste Rhapsode, dann unter ihnen auch der beste Stratege sei. „Glaub mir, Sokrates, auch das habe ich aus Homers Werken gelernt.“ Aber Sokrates ist immer noch nicht recht überzeugt. Weshalb denn reise er, wenn er doch gleichzeitig die Kompetenz des Strategen habe, als Rhapsode durch die Lande? Gäbe es denn überall Bedarf an Rhapso64
Für die Gesamtdeutung sollte auch hier beachtet werden, daß Ion das Militärwesen nicht von sich aus einführt, sondern ihm von Sokrates gleichsam als letztes noch denkbares Sachgebiet angeboten wird. So wie Ion dargestellt wird, darf man annehmen, daß er von sich aus noch niemals an das Amt des Generals als die ihm angemessene Domäne gedacht hätte.
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den, doch keinen an Strategen? Doch Ion hat auch hierauf eine Antwort. Ephesos brauche keine Strategen, weil es – bis 412 – als Mitglied des Seebundes verwaltungstechnisch und militärisch unter Athen stehe (541c4–5).65 Athen aber und Sparta, das hier deshalb genannt wird, weil es zu dieser Zeit als einziger Staat neben Athen ein eigenes Militär hat, seien sich selbst genug. Doch das will Sokrates nicht gelten lassen. 541c7–542b. Er nennt drei Fremde, die von den Athenern zu Strategen und in andere Ämter gewählt worden wären. Über Apollodoros66 von Kyzikos (Halbinsel an der Südküste der Propontis) ist nicht mehr bekannt als das, was Platon hier Sokrates über ihn sagen läßt, die Athener hätten ihn mehrfach (πολλάκις) zum Strategen gewählt. Osborne datiert diese Wahlen auf etwa „ 410 or soon after“, PAA ins 4. Jhdt. wohl aus keinem anderen Grund als weil die einzige Quelle, ein Dialog Platons, wie alle Dialoge Platons in diese Zeit gehöre. Leichter greifbar für uns ist Phanosthenes67 von Andros. Als die Athener den Strategen Konon mit seinen zwanzig Schiffen von Andros nach Samos schicken, übertragen sie die Position auf Andros an Phanosthenes mit vier Schiffen. Ihm, der vorher wohl eingebürgert worden war, gelingt es, zweifellos dank der Kenntnis der Küste seiner Heimatinsel und vor allem der dort herrschenden Windverhältnisse, zwei feindliche Schiffe mit kompletter Besatzung zu kapern (um 407).68 Herakleides69 von Klazomenai schließlich ist laut Aristoteles (Ath.Pol. 41, 3) innenpolitisch aktiv in den neunziger Jahren des 4. Jhs., außenpolitisch wird er aber schon in einem Beschluß von 424/23 geehrt, und 404/3 wird die Ehrung wiederholt und erweitert (γῆς ἔγκτησις καὶ οἰκίας καὶ ἀτέλεια). Von einem Strategenamt erfahren wir nur in Platons Ion; man wird auch hier an dieselben Jahre denken wie für Apollodoros und Phanosthenes. Doch nun bricht Sokrates mit der Partikelkombination ἀλλὰ γάρ (541e1) die Diskussion ab. Mit ἀλλά ‚aber‘ leitet die feste Kombina-
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Dazu oben Anm. 34. RE s.v. Nr. 25. PA 1458; PAA 143545. Osborne III and IV (1983) 30–31. 67 RE s.v. PA 14083; PAA 916690. Osborne III and IV (1983) 31–33. 68 Xenophon HG A 1, 5, 18–19. Osborne 31 n. 53: „It seems likely that Phanosthenes was naturalized in ca. 410, and it may be that the ’city of Democrats’ found themselves somewhat short of suitable candidates for generalship in the years 410–407, during which they were estranged from the fleet based in Samos.“ Dazu auch Andrewes (1953). Ferner Dover in HCT 4, 392: Die drei Genannten „were no doubt στρατηγοί in the generic, not the spezific, sense.“ 69 RE s.v. PA 6489; PAA 486295; Meiggs-Lewis (Oxford 1975) Nr. 70; Osborne (1983) 45– 47. 66
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tion70 einen Gegensatz zum Vorigen ein, der für den jeweiligen Sprecher allerdings so auf der Hand liegt, daß er ihn zwar ankündigt, dann aber nicht zur Sprache bringt, sondern statt dessen den nicht ausgedrückten Gedanken in einem mit γάρ ‚denn‘ eingeleiteten Satz begründet.71 So ergibt sich für 541e1 die folgende Gedankenentwicklung: „Aber (ich will unsere abwegigen Überlegungen, in die wir uns zuletzt verloren haben, nicht fortsetzen), denn zur Debatte steht eine einfache Alternative: Entweder bist du ein sachkundiger Interpret Homers, täuschst mich aber und tust unrecht, sofern du trotz meiner Bitten nicht einmal zeigst, worin du sachkundig bist und dich schließlich als Feldherr zu erkennen gibst;72 oder aber du bist, ohne sachkundig zu sein, ein gotterfüllter Interpret Homers.“ Wie Ion, vor diese Alternative gestellt, ohne noch auf seiner ihm gerade zugesprochenen militärischen Kompetenz zu bestehen, sich entscheidet, ist verständlich. Diese Schlußfolgerung des Dialogs, daß Ion mangels anderer Sachbereiche, für die er als Interpret zuständig sei, als Rhapsode der geborene Stratege ist, auf die Sokrates mit aller logischen Raffinesse zusteuert, um dann allerdings mit einer letzten Bemerkung an die gemeinsame Vernunft beider Gesprächspartner zu appellieren und alles und namentlich die letzte Folgerung für Unsinn zu erklären, hat ihre genaue Paralle70
Denniston (21954) 98–108. Als erster hat m. E. seinerzeit Wilamowitz im Kommentar zum Herakles 138 auf die Eigentümlichkeit dieser Partikelkombination hingewiesen. Sie hat ihren Entstehungsort zweifellos in der Mündlichkeit. Die scheinbar unsinnige Kombination ‚aber denn‘ wird sofort verständlich, wenn wir annehmen, der Sprecher mache hinter ἀλλά eine kleine Pause, gegebenenfalls unterstützt durch eine entsprechende Handbewegung, um dann diese Pause bzw. den in ihr nicht ausgesprochenen Gedanken in dem folgenden Satz zu begründen. „Aber … (ich breche jetzt ab/will das jetzt nicht weiter verfolgen) …, denn worauf es ankommt, ist, wie wir alle, Hörer und Sprecher, wissen, folgendes: …“ Wilamowitz hat damals richtig diagnostiziert, daß die Kombination „in gutem Griechisch immer die Ergänzung des Gedankens“ fordert. „Erst als Isokrates seinen Stil zur Manier ausgebildet hat, ist ἀλλὰ γάρ so ziemlich eine starke Adversativpartikel, und ganz ohne Bedeutung wird γάρ erst bei stumpfen Nachahmern.“ Ich habe seinerzeit, als ich auf die Erscheinung bei Platon aufmerksam geworden war, sämtliche Belege bei ihm daraufhin überprüft: Platon schreibt, um mit Wilamowitz zu reden, gutes Griechisch. Dazu auch Ges. Schr. III (2003) 101–103 und meinen Beitrag Zum Alkibiades I (2012). 72 Worauf oben schon hingewiesen, bietet im Laufe der Diskussion Sokrates seinem schlecht beratenen Gesprächspartner militärisches Wissen und entsprechende Ämter sozusagen als letzte denkbare Möglichkeit eines Sachbereiches an, für den Ion als Rhapsode zuständig sei. Jetzt, in der Zusammenfassung, wird daraus der Zufluchtsort, auf den Ion sich aus eigenen Stücken zurückzieht, um zu vermeiden, zeigen zu müssen, wie kompetent er sei in seinem Wissen über Homer (ἕως τελευτῶν διαφυγών με στρατηγὸς ἀνεφάνης, ἵνα μὴ ἐπιδείξηις ὡς δεινὸς εἶ τὴν περὶ Ὁμήρου σοφίαν). 71
Erläuterungen
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le im Kl. Hippias, dessen argumentatives Ergebnis lautet, „daß also der, der sich absichtlich verfehlt und Schändliches und Unrechtes tut, wenn es denn diesen Menschen gibt, kein anderer ist als der Gute“ (376b4–6). Und als nun das Hippias denn doch nicht mehr zugeben will (376b7 οὐκ ἔχω ὅπως σοι συγχωρήσω ταῦτα), erklärt Platons Sokrates überraschenderweise: „Und ich mir nämlich auch nicht“ (οὐδὲ γὰρ ἐγὼ ἐμοί), um dann aber treuherzig hinzuzufügen: „Aber im Augenblick jedenfalls hat es sich aufgrund unserer Argumentation zwangsläufig so gezeigt“ (ἀλλ ’ἀναγκαῖον οὕτω φαίνεσϑαι νῦν γε ἡμῖν ἐκ τοῦ λόγου). Beide Dialoge gehören nach der von Platon selbst eingeführten Differenzierung zu den Wortgefechten, in denen man nach Kräften seine Späße treibt und dem Gegner Fallen stellt. Beide sind nach demselben Modell konstruiert. Aber nach 399 ist für sie – auch in Platons Augen – kein Platz mehr.
Appendizes
I Analysen
1) Die Erzählstruktur im Ion I 530a-d8 Ion als Bester der Rhapsoden. II 530d9–536d7 Unter welcher Voraussetzung ist verständlich, daß Ion nur für Homer zuständig ist? III 536d8–542 Unter welchen Voraussetzungen ist verständlich, daß Ion für alle im Werk Homers zur Sprache kommenden Themen zuständig ist?
2) Die logische Argumentationsstruktur im Ion Aus der Tatsache, daß Ion sich nur für Homer zuständig fühlt, folgert Sokrates, daß Ion nicht aufgrund von Fachwissen, sondern dank göttlicher Begabung Texte Homers interpretieren kann. Ion stimmt dem zu (535a3–10). Darauf macht Sokrates auf die bedenklichen Züge des gotterfüllten Interpreten aufmerksam, auf seine ‚Besessenheit‘. Ion reagiert, wie von Sokrates erwartet: Er möchte sich als Interpret Homers doch lieber nicht nach Art von Korybanten oder Bakchen verstehen müssen, sondern als ausgestattet mit rationalem Wissen (536d4–7). Sokrates akzeptiert das neue, bzw. die Rückkehr Ions zu seinem ursprünglichen Selbstverständnis und fragt nach dem Sachbereich, für dessen Interpretation Ion zuständig sei, findet aber zusammen mit ihm in zwei Anläufen immer nur andere Experten: Wagenlenker, Ärzte, Fischer, Seher oder Steuerleute, Ärzte, Hirten, Weberinnen. Übrig bleibt schließlich, wie Sokrates angesichts der Kampfszenen des Epos seinem
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Appendizes
Gesprächspartner suggeriert, der Stratege, der seine Soldaten ermuntert. Was Ion nachdrücklich akzeptiert (540d1–5). Daraufhin versucht Sokrates, im wohlverstandenen Interesse Ions, die Identität von Rhapsode und Stratege zu modifizieren. Doch Ion bleibt jetzt hartnäckig: die beiden Fachwissenschaften des Rhapsoden und Strategen seien in Wahrheit eine (541a1) μίαν τέχνην εἶναι τὴν ῥαψωιδικὴν καὶ τὴν στρατηγικήν). Und, auf Nachfrage, bestätigt Ion ausdrücklich, als anerkannt bester Rhapsode sei er auch der beste Stratege (541b2–5). Und auch auf die letzte Frage, mit der Platon Sokrates dieses Thema beenden läßt, läßt er Ion eine verblüffende Erklärung geben: In der Tat könne er seine Kompetenz als Stratege nicht zum Einsatz bringen und das aus einem einfachen Grund: Ephesos als Mitglied des Seebundes brauche keine Strategen, da es militärisch und verwaltungsmäßig von Athen abhängig sei und weil die einzigen griechischen Staaten, die eigenes Militär hätten, Athen und Sparta, sich selbst versorgten. Letzteres allerdings widerlegt Sokrates unter Hinweis auf drei bekannte Fälle von Nichtathenern, die in Athen zu Strategen gewählt worden seien. So bleibt denn also der am Schluß zur Diskussion gestellte Sachverhalt scheinbar ungeklärt. In Wahrheit zeigt sich, daß der Versuch Ions, seine Untätigkeit als Stratege zu erläutern, gescheitert ist und damit natürlich auch der verwegene Versuch überhaupt, den Rhapsoden als Strategen auszugeben; Sokrates aber kann unter Ablehnung des Unsinns, in den sie sich zuletzt verwickelt hätten, Ion noch einmal die göttliche Begabung des in seinem Beruf tätigen Rhapsoden zur Wahl stellen. Ein Selbstverständnis, das der gescheiterte Stratege jetzt akzeptiert.
II Ion aus Ephesos als Bester der Rhapsoden Ion ist als Rhapsode überaus erfolgreich. Allseits gelobt und preisgekrönt, glaubt er zu wissen, der Beste seines Faches zu sein. Mit Sokrates ist er sich schnell einig, daß einen Text nur gut vortragen kann, wer ihn verstanden hat. Doch deshalb hat er eine klare Vorstellung davon, was er als Rhapsode eigentlich tut, offensichtlich nicht. Überzeugt, seine Texte zu verstehen – dieses Verstehen zu erwerben, habe ihn die größte Mühe in seinem Gewerbe gekostet (530d7–d3),73 – wird er von Sokrates als73
Später allerdings wird klar, daß er eine eigene Vorstellung hat von dem, was er für Verständnis hält.
II Ion aus Ephesos als Bester der Rhapsoden
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bald eines Besseren belehrt, daß er nämlich nicht aufgrund von Wissen und Verstehen, sondern dank göttlicher Begabung seine Texte vortrage und interpretiere. Und das ist das erste, aber nicht das letzte Mal, daß er sein Selbstverständnis wechselt.74 Doch Platon, der als Autor des Dialogs den Charakter jener Personen, die er in ihm auftreten läßt, erst entwerfen muß, stattet Ion nicht nur mit einem unsicheren Selbstverständnis aus, das sich durch den ganzen Dialog hinzieht, sondern läßt ihn darüberhinaus an zwei Stellen fast allzu deutlich zeigen, daß er grundsätzlich nicht auf der Höhe der Diskussion ist. (a: 535e1–6) Beim Vortrag gefährlicher oder trauriger Szenen, für die Sokrates Beispiele bringt,75 bleibt es nicht aus, wie Ion auf Nachfrage bestätigt, daß seine Augen sich mit Tränen füllen, seine Haare sich sträuben und sein Herz klopft (535c5–7). Und als Sokrates fragt, ob ihm klar sei, daß er genau diese Wirkung auch auf sein Publikum habe, lautet seine Antwort: „Und sehr genau weiß ich das. Sehe ich doch jedesmal von oben herab von der Bühne, wie sie klagen und verstört dreinschauen und entsetzt sind über das Vorgetragene.“ Doch Ion weiß nicht nur um seine Wirkung, sondern er hat sie auch sehr genau im Auge: „Denn bringe ich die Zuschauer am Schluß zum Weinen, fließt das Honorar reichlich, bringe ich sie dagegen zum Lachen, mindere ich den Verdienst“ (535e3–6). Das ist zumal im Rahmen der von Sokrates entwickelten Theorie, daß die Rhapsoden Interpreten sind der Dichter, die ihrerseits Interpreten sind dessen, was die Musen ihnen eingeben, eine ganz erstaunliche Bemerkung. Platon läßt als Autor seine Figuren nicht nur sagen, was er an diesem Punkt des Dialogs von ihnen erwartet, sondern er läßt sie auch entsprechend agieren, und so läßt er Ion hier nicht erkennen, daß ihm mit der Betonung des Verdienstes als des für seine Bewertung der im Publikum erzeugten Emotionen entscheidenden Gesichtspunktes eine Bemerkung in den Mund gelegt wird, die geeignet ist, sein eigenes Wirken auf der Bühne – im Rahmen der von Sokrates entwickelten Dichtungstheorie – zu entwerten und zunichte zu machen. Ion hatte zwar den Eindruck erweckt, eben diese Theorie durchaus mit Überzeugung zur Kenntnis genommen zu haben – die Position, die die Rhapsoden in dieser Abfolge einnehmen, entspricht offenbar seiner Selbsteinschätzung –, aber verstanden hat er sie, nach dem Willen des Autors, offensichtlich nicht.
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Dazu oben zur logischen Argumentationsstruktur im Ion. Oben Anm. 52.
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Appendizes
(b: 539e6) Ion ist zunächst von Sokrates gewonnen für die Meinung, als Rhapsode dank göttlicher Begabung zu wirken, doch als dann Sokrates die Begabung weiter ausführt und von Besessenheit spricht, die den von einem Gott erfüllten heimsucht, ferner von Korybanten und Bakchen, kommen Ion Bedenken. Besessen und wahnsinnig fühlt er sich nicht, wenn er Homer vorträgt und interpretiert (536d4–7). Und Sokrates geht auf den Wechsel der Selbsteinschätzung seines Gesprächspartners abermals sofort ein, möchte aber, wenn Ion meint, doch lieber nicht dank göttlicher Begabung, sondern dank weltlichen Wissens seine Kunst auszuüben, wissen, auf welchem Gebiet seine Kompetenz liegt. „Über welche von Homer behandelten Themen weißt du gut zu sprechen? Doch wohl nicht über alle. – Glaub mir, Sokrates, über jedes. – Doch wohl nicht über Dinge, von denen Homer spricht, du aber nichts verstehst. – Und welche Dinge sind das, von denen Homer redet, ich aber nichts verstehe?“ Ion hat nicht gezögert, eine Allkompetenz in Anspruch zu nehmen. Und, von seinem Standpunkt aus betrachtet, war er nicht ganz zu Unrecht überzeugt, sich dafür auf die tägliche Praxis berufen zu können. Schließlich trug er aus dem ganzen Homer vor und interpretierte ihn. Und dabei kam er natürlich auch zu Partien, wo von Fachkünsten und Fachwissen gesprochen wurde, und offenbar hatte er sich so weit kundig gemacht, wie das einem Laien jeweils möglich ist. Für Vortrag jedenfalls und Erläuterung des epischen Textes reichte, was er als Erklärung bot, in der Praxis offenbar aus. Doch Sokrates genügt das nicht. Seine Frage ist, ob denn richtig ist, was Homer Nestor über ein bestimmtes schwieriges Manöver beim Wagenrennen sagen läßt. Und ist es denn richtig, wenn Homer einem Verwundeten schweren Rotwein, gemischt mit Ziegenkäse und Zwiebeln, geben läßt? Die Entscheidung darüber treffen offenbar nicht die Rhapsoden, sondern spezielle Fachleute, in diesen Fällen also der ausgebildete Kutscher und der Arzt. Sokrates könnte aus Homer noch zahlreiche Fälle für Spezialisten mit dem zuständigen Fachwissen nennen, beläßt es aber bei vieren, um dann Ion zu fragen, „was demgegenüber Sache des Rhapsoden sei und der Rhapsodenkunst, was also dem Rhapsoden zukomme, auf seine Richtigkeit zu prüfen und zu beurteilen im Unterschied zu anderen Menschen?“ Und Ion antwortet, als habe die vorhergehende Diskussion gar nicht stattgefunden, als habe er die Beispiele nicht gehört oder nicht begriffen, bei deren Erörterung er mit Sokrates einig gewesen war, daß die Entscheidung darüber, ob der Sache nach richtig ist, was Homer gewisse Personen sagen oder tun läßt, bei bestimmten Fachleuten, nicht aber beim
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Rhapsoden liege. Von all dem, was er soeben bestätigt oder selbst behauptet hatte, völlig unberührt, wiederholt er seine oben schon einmal gegebene Antwort: „Ich behaupte, der Rhapsode sei für alles zuständig“ (539e6 Ἐγὼ μέν φημι, ὦ Σώκρατες, ἅπαντα). Ion, so will es der Autor, ist einer Diskussion, die von Argument zu Argument fortschreitet, ganz offensichtlich nicht gewachsen, weil er Argumente als solche überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt.76
76 Zur Frage, weshalb Platon seinen Ion hier so unbedarft darstellt, daß auch Sokrates ihn nicht versteht und ihm – man ist geneigt, zu sagen: freundlicherweise – Vergeßlichkeit vorwirft (doch der Mangel an Verständnis ist viel grundsätzlicher), oben Anm. 62 und 63.
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Register1
1. Stellen
369b 373b 376b
27 29 33 12 23 23 53
Kratylos –
27
a) Platon Apologie2 –
23b 23c–e 31b 33b–e 39cd
7 27 33 32 31 32 31 32 32 28
Charmides –
27
Euthydem –
27
Kriton –
Laches –
27 32
27 33
Lysis –
27
Menexenos –
27
27 33
Menon –
27
Hippias maior –
7
Nomoi –
7
Hippias minor –
8
Parmenides –
27
Euthyphron – Gorgias –
1 2
27
Kursive Ziffern: Anmerkungen. Der Ion ist gegliedert im Inhaltsverzeichnis oben S. 5.
66
Register
Phaidon – Phaidros – 252b
27
Aristoteles Ath. Pol 41, 3 Poet. 1450a28
7 27 36–37
Euripides Herakles 138 F 567 (FrGF 5, 2 p. 589)
Politeia – 487bc 537c–539c 599e
27 30 30–31 36
Protagoras –
27
Sophistes –
Homer Il. 6, 254–311 6, 407 ff. 11, 639–640 12, 200–207 22, 136 ff. 23, 335–340
7 24, 80–82
Symposion –
27
Theaitetos – 167e–168a
27 29
24, 486–506 24, 725–745 Od. 10, 235 Il. 20, 351–357 22, 1 ff.
b) Andere Autoren Aischylos TrGF 3 Testim. 114
Tynnichos PMG 707 Xenophon HG A 1, 5,18–19
2
2. Personennamen3 Achill 16, 52 Aglaophon 14 Andromache 16, 52 Antilochos 46 Apollodor aus Kyzikos Archilochos 12, 13 Asklepios 33 Athene 52 3
23, 51
Bakchen
15, 42, 55, 58
Daidalos
14, 40
Epeios 14, 40 Euripides 14 Glaukon
Nicht berücksichtigt sind Platon, Sokrates und Ion.
11, 36
51 43 71 48 52 52 19 4 20 7 52 18 3 20 5 52 52 58 20 52 2 51 68
67
Register Hekabe 16, 52 Hekamede 19 Hektor 16, 48, 7, 52 Herakleides von Klazomenai Hesiod 12, 13, 37, 38 Hippias 29, 53, 12, 23 Homeriden 11, 36 Iris
Olympos 14, 41 Orpheus 14, 17 41 23, 51
47, 5
Konon 51 Korybanten
15, 42, 44, 55, 58
Machaon 19, 33, 58 Melampodide 20 Melampus 6 Metion 14 Metrodor aus Lampsakos Musaios 17 Musen 17, 42, 44 Nestor
Sophokles 35 Stesimbrotos aus Thasos 11, 36
18, 19, 55
Odysseus
Panopeus 14 Phanosthenes aus Andros Phemios 14, 41 Podaleirios 33, 58 Polydamas 48, 7 Polygnotos 14, 40 Priamos 16, 52 Protagoras 22 Proteus 23
16, 48, 52
11, 36
Thamyris 14, 41 Theodoros aus Samos 14, 40 Theoklymenos 20, 48 Thetis 5 Tynnichos 15, 42 Zeus
13, 14, 16, 47, 5
3. Griechische Wörter ἀγωνίζεσϑαι 29 διαλέγεσϑαι 29 ἀλλὰ γάρ 24, 71 ἐπιμέλεια 33 ἐπιμελεῖσϑαι 33 ἡ μὲν γὰρ ἡμετέρα πόλις ἄρχεται ὑπὸ ὑμῶν καὶ στρατηγεῖται 34
23, 51
(μὴ) ταὐτὰ λέγειν ἀ-ληϑής 42 κατέχεσϑαι 49 ϑαυμάζειν εἰ 54 οἶνος Πράμνειος
39
57
Platon Werke Übersetzung und Kommentar Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz herausgegeben von Ernst Heitsch und Carl Werner Müller. Bei Subskription ca. 5% Nachlass.
Gesamtplan der Ausgabe I
1 Euthyphron (M. Forschner) 2 Apologie (E. Heitsch) 3 Kriton (W. Bernard) 4 Phaidon (T. Ebert)
VI
1 Euthydemos (M. Erler) 2 Protagoras (B. Manuwald) 3 Gorgias (J. Dalfen) 4 Menon (J. Szaif)
II
1 Kratylos (P. Staudacher) 2 Theaitetos (O. Primavesi) 3 Sophistes (B. Lienemann) 4 Politikos (F. Ricken)
VII
1 Größerer Hippias (E. Heitsch) 2 Kleinerer Hippias (K. Sier) 3 Ion (E. Heitsch) 4 Menexenos (P. Roth)
III
1 Parmenides (B. Strobel) 2 Philebos (D. Frede) 3 Symposion (K. Sier) 4 Phaidros (E. Heitsch)
IV
1 Alkibiades I (K. Döring) 2 Alkibiades II (H. Neuhausen) 3 Hipparchos (C. Schubert) 4 Erastai (W. Deuse)
VIII 1 Kleitophon (N.N.) 2 Politeia I–IV (P. Stemmer) Politeia V–VII (A. Schmitt) Politeia VIII–X (N. Blössner) 3 Timaios (F. Karfik) 4 Kritias (H.-G. Nesselrath)
V
1 Theages (K. Döring) 2 Charmides (E. Wöckener-Gade) 3 Laches (J. Hardy) 4 Lysis (M. Bordt)
IX
1 Minos (J. Dalfen) 2 Nomoi (K. Schöpsdau) 3 Epinomis (K. Geus) 4 Epistolae (K. Trampedach)
Weitere Informationen sowie Leseproben zu den erschienenen Bänden finden Sie auf www.v-r.de
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