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German Pages [169] Year 2018
GESCHICHTE KOMPAKT Jochen Johrendt, geb. 1973, wurde 2003 in München bei Professor Dr. Rudolf Schieffer promoviert und war von 2003 bis 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom (DHI Rom). 2008 habilitierte er sich und ist nach Lehrstuhlvertretungen in Eichstätt, Heidelberg, Essen und Münster seit April 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. Herausgegeben von Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt Herausgeber für den Bereich Mittelalter: Martin Kintzinger Beratung für den Bereich Mittelalter: Heribert Müller, Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter
GESCHICHTE KOMPAKT
Jochen Johrendt
Der Investiturstreit
Abbildungsnachweis: Karte: i Peter Palm, Berlin S. 55: i akg-images/Fototeca Gilardi; S. 75: i akg-images; S. 99: i akg-images/De Agostini Picture Lib.; S. 102: i akg-images; S. 126: i akg-images/British Library; S. 155: i akg-images/Erich Lessing
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Inhaltsverzeichnis Geschichte kompakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Der historische Rahmen des Investiturstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die soziale Ordnung im 11. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.Wirtschaftlicher und demografischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die religiösen Strukturen Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Libertas ecclesiae – die Forderung nach Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Eigenkirchenwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die monastische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das neue Priesterideal – die Reinheit der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das römische Adelspapsttum bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts . . . . 2. Das Reformpapsttum und die papstgeschichtliche Wende . . . . . . . . . . . . . . 3. Leo IX. – die Universalkirche als Diözese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nikolaus II. und das Papstwahldekret – Ursachen und Folgen . . . . . . . . 5.Gregor VII. – Höhepunkt und Krise päpstlicher Ansprüche . . . . . . . . . . .
36 38 40 47 52 55
IV. Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits . . . . . . . . . 1. Heinrich III. (1039–1056) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Herrschaftsantritt und Herrschaftskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Heinrich III. und die Kirche – die Synode von Sutri und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die letzten Jahre und das plötzliche Ende Heinrichs III. . . . . . . . . . . . 2. Die ersten Jahre Heinrichs IV. (1056–1073) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Vormundschaft und eigenständiger Herrschaftsantritt . . . . . . . . . . . . . 2.2 Konflikte im Reich. Heinrich IV. und die Fürstenopposition . . . .
63 67 67 71 72 75 76 81
V. Der Konfliktverlauf im Reich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Die Investiturfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII. . . . . . . . . . . . 93 2.1 Die Auseinandersetzungen Gregors VII. mit Heinrich IV. in drei Phasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2.2 Der Akt von Canossa und das 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2.3 Die Entwicklung bis zum Ende Heinrichs IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
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Inhaltsverzeichnis
3. Die Lösung des Investiturstreits im Reich unter Heinrich V. . . . . . . . . . . . 3.1 Die Anfänge Heinrichs V. – Hoffnung auf ein Ende der Konflikte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Kaisertum und Pravileg – erneute Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Das Wormser Konkordat – die Lösung des Investiturstreits im Reich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frankreich – Reformen gegen und mit dem König. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. England – ein gesichtswahrender Kompromiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Sonderfall Unteritalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die weltliche und geistliche Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streiten und Argumentieren – die Entstehung der Streitschriften. . . . 3. Das Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Reichsverfassung – König und Fürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Entstehung von Gegenpäpsten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Bruch mit der Ostkirche und die Kreuzzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140 140 143 145 148 150 153
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Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Personen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Geschichte kompakt Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden. Kai Brodersen Martin Kintzinger Uwe Puschner Volker Reinhardt
In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch)
Einleitung Der Kern des Investiturstreits ist eine grundlegende Auseinandersetzung zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt, deren Folgen die westlich-europäische Kultur bis heute prägen. Das bedeutsamste Ergebnis dieses Streites war das begriffliche, formale und in bestimmten Teilen auch reale Auseinandertreten der geistlichen und weltlichen Gewalt. An seinem Ende standen durch den Konflikt geschärfte und erweiterte Vorstellungen vom Amt des Königs, des Papstes, der Bischöfe, eines weltlichen Herrn und eines einfachen Priesters, weshalb er auch als ein „Ringen um die rechte Ordnung“ charakterisiert wurde. Der Konflikt zwischen den beiden Gewalten ist das zentrale Moment, sein Ergebnis die grundlegende Frucht für die weitere Geschichte des lateinischen Europas – nicht die namensgebende Auseinandersetzung um die Investitur, die Einsetzung in ein Amt. Die Frage, wer dazu berechtigt war, einen Bischof oder Priester in sein geistliches Amt einzusetzen, stand zunächst nicht im Zentrum dieses Konfliktes und war den Kirchenreformern selbst nur ein Mittel zum Zweck. Die Investitur war der Hebel, über den die Reformer erreichen wollten, dass nur noch geeignete Kandidaten in kirchliche Ämter gelangten. Die Reformer strebten eine veränderte Kirche an, eine reinere, eine dem Einfluss der Laien und damit der weltlichen Gewalt möglichst stark entzogene Kirche. Die Investitur war dabei nur ein Aspekt, weswegen die Forschung vor allem nach der wichtigen Habilitationsschrift von Rudolf Schieffer aus dem Jahr 1981 immer wieder vom „sogenannten Investiturstreit“ spricht. Alternative Konzepte, diese Epoche zu bezeichnen, wie Gregorianische Reform oder Kirchenreform konnten sich nicht durchsetzen, sodass heute in der aktuellen Forschungsliteratur wieder vom Investiturstreit gesprochen wird, ohne den Zusatz „sogenannt“ oder Anführungszeichen. Daher soll der Begriff in diesem Band verwendet werden und hat ihm den Titel gegeben, obwohl er auf den ersten Blick zur falschen Assoziation führt, dass es in diesem Konflikt vor allem um die Investitur ging. In keinem anderen europäischen Land ist der Investiturstreit nach wie vor so präsent wie in Deutschland und Österreich. Das hängt ohne Frage mit den Ereignissen von Canossa zusammen, als König Heinrich IV. am 25. Januar 1077 (Fest der Bekehrung Pauli) barfuß als einfacher Büßer vor der Burg Canossa erschien, in der sich Papst Gregor VII. aufhielt. Dieser Akt von Canossa fand in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung ein deutlich geringeres Echo als die zuvor von Papst Gregor VII. ausgesprochene Bannung Heinrichs IV. Doch Canossa rückte in den darauffolgenden Jahrhunderten in veränderter Form immer stärker ins Zentrum der Erinnerung, bis der Canossagang durch Otto von Bismarck schließlich sogar sprichwörtlich wurde. Daher verbinden die meisten Menschen mit dem Begriff Investiturstreit den
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Einleitung
Canossagang. Das ist nicht falsch, aber nur ein Bruchteil. Denn diese Reduktion führt nicht nur zu einer Verengung der Entwicklung auf ein einziges Ereignis, sondern suggeriert, dass der Investiturstreit eine Auseinandersetzung zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. gewesen sei, was die Dimensionen verkennt. Denn es handelt sich um einen das gesamte lateinische Europa erschütternden und in der Folge verwandelnden Konflikt. Das Reich und sein König standen zunächst nicht im Zentrum des Streits: Unter den Königen war es nicht Heinrich IV., sondern der französische König Philipp, dem der Papst auf der Fastensynode 1075 als Erstem die Exkommunikation angedroht hatte. Und nicht Heinrich IV., sondern den in Unteritalien herrschenden Normannen Robert Guiscard hatte Gregor VII. im Jahr 1074 als ersten Herrscher tatsächlich exkommuniziert. Der Konflikt der geistlichen Gewalt mit der weltlichen wurde fast im gesamten lateinischen Europa geführt. Diese Reichweite kam dadurch zustande, dass die lateinische Kirche eine fundamentale Wandlung erfuhr, die sie für das weitere Mittelalter und im nach der Reformation katholisch gebliebenen Teil Europas bis heute prägt. Die zuvor kollegial-episkopal organisierte Kirche, die auf der Gemeinschaft der Das römisch-deutsche Reich zur Zeit des Investiturstreits
Ostsee
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Magdeburg Goslar Rh Harzburg Paderborn ein HZM. NIEDER- Kaiserswerth Northeim Merseburg LOTHRINGEN Köln Aachen Lüttich
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Siena
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Rom
PATRIMONIUM PETRI
Barcelona
Neapel
Mittelmeer Sardinien
Cagliari
Das Reich der Salier um 1050 seit 1033 zum Reich
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Messina
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S
Einleitung
Bischöfe aufbaute und Rom innerhalb der lateinischen Kirche vor allem einen Ehrenvorrang zuwies, wurde in eine hierarchisch durchstrukturierte Papstkirche umgewandelt. Der Anspruch dieser Päpste, die das Universale ihres Amtes immer stärker betonten, erstreckte sich auf viele Eingriffsmöglichkeiten und -rechte und dehnte sich bis in den hintersten Winkel der lateinischen Christenheit aus. Rom hatte sich mit den sogenannten, seit der Mitte des 11. Jahrhunderts amtierenden Reformpäpsten aus einer zuvor eher passiven Haltung gelöst und nahm das Heft des Handelns zunehmend selbst in die Hand. Rom wurde damit zum Motor der Kirchenreform, sodass die Unterordnung unter Rom und das neue Ideal der Kirche miteinander verknüpft wurden. Das eine schien den römischen Reformern ohne das andere nicht möglich zu sein. Beide Entwicklungen, der Konflikt zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt sowie die Umwandlung der Bischofs- in die Papstkirche, treten im Investiturstreit in eine Wechselwirkung, was die Wucht des Konflikts erklärt. Und da der römisch-deutsche König sich bei der Ausübung seiner Herrschaft im Reich – stärker als andere Könige – auf die Kirche stützte, ist verständlich, wieso der Investiturstreit im Reich besonders heftig ausgetragen wurde. Hier lagerten sich weitere, rein weltliche Konflikte an, sodass diese Epoche für den römisch-deutschen König zu einer existenziellen Bedrohung seiner Herrschaft wurde. Der Investiturstreit erweist sich somit als eine Verknüpfung zahlreicher Konflikte. Erst in ihrer Kombination entstand eine Wirkung, die in den Worten des Zeitgenossen Bonizo von Sutri, eines eifrigen Anhängers Gregors VII., „die Welt erschütterte“.
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I. Der historische Rahmen des Investiturstreits Überblick
D
er Investiturstreit, die grundlegende Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, fand nicht allein auf einer theoretischen Ebene statt, sondern war in das konkrete historische Geschehen eingebunden, baute auf die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Gegebenheiten in Europa auf. Obwohl er ein auf das gesamte lateinische Europa bezogenes Phänomen ist, waren die konkreten Konflikte doch immer wieder von der jewei-
ligen Situation vor Ort abhängig, wenn beispielsweise in der Mailänder Pataria-Bewegung soziale und religiöse Anliegen miteinander verzahnt wurden. In der Makroperspektive als grundsätzliche Gegner geltende Akteure konnten vor Ort durchaus zusammenarbeiten und umgekehrt. Daher scheint es unerlässlich, zunächst den historischen Rahmen abzustecken und dabei vor allem auf Dynamiken und statische Momente der Epoche zu verweisen.
1. Die soziale Ordnung im 11. Jahrhundert Gesellschaftsmodell
Die Welt des 11. Jahrhunderts ist von ihrer sozialen Gliederung her in mehrere Teilbereiche zu differenzieren, die nicht immer strikt voneinander zu trennen sind und bisweilen ineinander übergehen. Am Beginn des 11. Jahrhunderts formulierte Adalbero von Laon eine Gliederung der Gesellschaft in drei funktionale Stände (ordines). Nach seiner Darstellung gab es einen Stand, der betet, einen, der kämpft, und einen, der arbeitet. In der Quellenterminologie bei Adalbero sind es Personen qui orant, pugnant oder eben laborant. Mit den Betern waren sowohl Mönche als auch Kleriker gemeint, mit den Kämpfern der Adel – ohne dass dieser im 11. Jahrhundert bereits ein geblütsrechtlich abgeschlossener Stand gewesen wäre – und als Arbeitende sind vorrangig die Bauern bezeichnet, die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, da sich Städte in Deutschland erst allmählich entwickelten. Dieses Modell der Dreiteilung gewann für das weitere Mittelalter eine enorme Wirkmächtigkeit. Adalbero steht dabei für einen von vielen Autoren des 11. Jahrhunderts, die häufig eine derartige Dreiteilung der Gesellschaft vornahmen, jedoch mit unterschiedlicher Terminologie. Das Dreiteilungsschema kann somit als ein allgemein im 11. Jahrhundert verbreitetes Schema aufgefasst werden, das den Zeitgenossen dazu diente, ihre Gesellschaft zu beschreiben. Der Anspruch war jedoch nicht eine soziologische
1. Die soziale Ordnung im 11. Jahrhundert
Analyse des aktuellen Zustandes der Gesellschaft. Das liegt nicht nur an den funktionalen Begrifflichkeiten bei Adalbero, sondern auch an ihrem Zweck. Adalbero bot vor allem eine Norm. Er beschrieb, wie die Gesellschaft aufgebaut sein sollte, in der jeder der drei Stände seine Aufgabe für das Ganze erfüllte. Die Aufgabe der Kämpfer war der Schutz sowohl der Kirche als auch aller Laien. Die Beter hatten für das Seelenheil der Gläubigen zu wirken und die Arbeitenden sich selbst sowie die beiden anderen ordines zu ernähren, die sich auf den Schutz und die Heilsvermittlung für alle spezialisiert hatten. In diesem Gesamtgefüge hatte jeder seine Aufgabe, zum Gelingen des Ganzen beizutragen – sobald er dies nicht im rechten Maße tat, geriet die Ordnung durcheinander, etwa wenn sich die Arbeitenden gegen die Kämpfer erhoben oder die Beter nicht mehr das göttliche Heil vermittelten. Und genau dies war in den Augen etlicher Zeitgenossen im Investiturstreit geschehen: Das harmonische Miteinander der drei ordines war durch den Konflikt gestört. Dabei war den Zeitgenossen bewusst, dass die drei Stände nicht immer klar voneinander zu trennen waren. Adalbero von Laon bietet dafür innerhalb seiner drei Ordines noch eine Binnendifferenzierung, die durch weitere Elemente wie den rechtlichen Status (Adelige, Freie, Unfreie) oder das Vermögen geprägt war. In der Kategorie der Kämpfer waren Adelige und teilweise Freie zu finden. Die soziale Mobilität dieser Epoche war im Vergleich zum ausgehenden 12. Jahrhundert noch relativ hoch. Der Aufstieg der Freien in den Adel war hier noch möglich. Die Arbeitenden sind hingegen in ihrer Masse mit den Unfreien zu identifizieren, nur wenige waren im 11. Jahrhundert noch Freie. Die gesellschaftliche Führung in der Gruppe der Kämpfer und Beter beanspruchte der Adel. Zwar wies die Kirche stets eine gewisse Durchlässigkeit auf, sodass Bischofstühle immer wieder von Personen besetzt wurden, die nicht aus dem Hochadel stammten, doch insgesamt war die Kirche deutlich durch den Adel dominiert. Die entscheidende Grundeinheit für den mittelalterlichen Menschen war ohne Frage die Familie, in die man hineingeboren wurde. Das Grundkonzept der Familie (familia) galt jedoch nicht nur für natürliche Familien. So wird beispielsweise die Gemeinschaft eines Klosters in den Quellen als familia bezeichnet. Dazu gehören auch die Personen, die der Gewalt und dem Schutz des Abtes unterstellt waren. Die natürliche Familie, der Stand von Vater und Mutter, trug maßgeblich zum sozialen Stand der Menschen bei, zu deren Aufstiegsmöglichkeiten, aber auch zu deren Rechtsstellung. Ihrer Rechtsstellung nach sind Adelige von den einfachen Freien und diese wiederum von den Unfreien zu unterscheiden. Generell war die Grenze zwischen Freien und Adeligen im 11. Jahrhundert noch einfacher zu überwinden als seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert. Die rechtliche Stellung des Individuums war noch nicht ausschließlich geburtsrechtlich an die Stellung der Eltern gekoppelt, der Adel
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familia
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I.
Laien und Kleriker
Der historische Rahmen des Investiturstreits
noch keine geblütsrechtlich abgeschlossene Schicht. Daher weist die Gesellschaft des 11. Jahrhunderts – zumindest im Reich – eine gewisse soziale Mobilität auf, in welcher der Rechtsstatus nicht mit der Geburt festgelegt sein musste. Zugleich ist jedoch zu betonen, dass diese Mobilität nur einem kleinen Teil der Bevölkerung offenstand. Die allermeisten Menschen blieben zeit ihres Lebens in dem rechtlichen Stand, in den sie hineingeboren wurden. Doch einzelne Beispiele des Aufstiegs lassen uns erkennen, dass eine gewisse Mobilität möglich war. Gerade im Vergleich zur geblütsrechtlichen Abschottung des Adels ab dem 12. Jahrhundert weist das 11. Jahrhundert hier eine wesentlich höhere Durchlässigkeit auf. Diese Dynamiken wurden durch den demografischen und wirtschaftlichen Wandel unterstützt. Funktional und rechtlich am deutlichsten voneinander zu trennen sind sicherlich Kleriker und Laien. Dabei ist die Gruppe der Beter nicht einfach mit den Klerikern gleichzusetzen, auch ungeweihte Mönch zählten dazu. Die Weihen waren für die funktionale Hauptaufgabe etlicher Mönche im 11. Jahrhundert, das Beten für das Seelenheil anderer, nicht notwendig. Kleriker waren hingegen durch ihre Weihe deutlich von den Laien getrennt. Durch die Weihe konnten Priester die Sakramente spenden und damit das göttliche Heil an die Gemeinden vermitteln. Die besondere Stellung der Kleriker kam auch in ihrer Rechtsstellung zum Ausdruck, da die weltliche Gewalt einen Kleriker – außer bei Kapitalverbrechen – nicht ohne die Einwilligung des Diözesanbischofs verhaften oder gar aburteilen konnte. Nach dem sogenannten privilegium fori unterstanden die Kleriker dem kirchlichen Gericht. Der Bischof einer Diözese war der Richter seiner Kleriker und Mönche. Erst nach der Verhandlung vor dem Bischof entschied dieser, ob er bei der erwiesenen Schuld eines Klerikers oder Mönches diesen nicht nur mit geistlichen Strafen belegte, sondern ihn auch der weltlichen Gewalt übergab. Im Übrigen war der entsprechende Kleriker rechtlich gesehen dem Zugriff der weltlichen Gewalt entzogen.
2. Wirtschaftlicher und demografischer Wandel Bevölkerungswachstum
Das 11. Jahrhundert steht am Beginn einer demografischen und wirtschaftlichen Aufschwungsentwicklung in Europa. Wir können davon ausgehen, dass um die Jahrtausendwende im Reich ca. 4,5 bis 5,5 Millionen Menschen lebten, im westfränkisch-französischen Königreich hingegen 6,5 bis 7 Millionen, wobei diese Zahlen immer nur Annäherungen sein können. Ist das 10. Jahrhundert eher durch eine Stagnation der Bevölkerungsentwicklung gekennzeichnet, sofern die spärlichen Quellenzeugnisse dieser Zeit genauere Aussagen zulassen, so beginnt mit dem 11. Jahrhundert ein beachtliches Bevölkerungswachstum und eine wirtschaftliche Dynamik. Das Bevölkerungswachstum wurde durch eine Ausweitung der Anbauflächen ermöglicht, indem Wälder gerodet,
2. Wirtschaftlicher und demografischer Wandel
Sümpfe trockengelegt oder Deiche errichtet wurden. Land allein war für die Grundherren von wenig Interesse – es musste bewirtschaftet werden und Ertrag bringen. Der Großteil Europas bestand im 11. Jahrhundert noch aus Wald. Er lieferte nicht nur Holz und damit einen entscheidenden Grundstoff für weiteres Werkzeug, zum Bau von Häusern oder Brennmaterial. Doch ebenso war der Wald eine wichtige Nahrungsquelle, indem etwa im Herbst die Schweine zur Eichelmast in den Wald getrieben wurden. Der Wald lieferte Honig, das einzige bekannte Süßungsmittel des Mittelalters, da es noch keinen Zucker gab. Die Rodung weiterer Waldflächen diente der Gewinnung von Neuland, um mehr Getreide anbauen zu können. Vom Ertrag her kann man davon ausgehen, dass ein Korn im Durchschnitt vier Körner hervorbrachte, sofern es zu keiner Dürre oder Unwettern in der Erntezeit kam, das Saatgut nicht verdarb oder Ähnliches eintrat. Von der Ernte musste im günstigsten Fall ein Viertel für die Neuaussaat zurückgehalten werden. Erst der Rest kann als Ertrag betrachtet werden. Von diesem musste nicht nur der Zehnt für die Kirche abgezogen werden und sich die Bauernfamilie, die das Feld bewirtschaftete, ernähren, sondern ebenso musste der Grundherr davon ernährt werden. Dieser konnte ein Adeliger, ein Kloster, ein Bischof, ein Herzog oder der König sein. Und erst der Rest war möglicher Gewinn, der veräußert oder eingetauscht werden konnte, zugunsten der das Land bewirtschaftenden Bauern oder des Grundherrn. Der Agrarsektor war im gesamten Mittelalter der wichtigste wirtschaftliche Bereich. Auf dem Land wurde nicht nur die Grundlage des allgemeinen Lebens erwirtschaftet, neben den Lebensmitteln entstanden hier alle für das tägliche Leben notwendigen Dinge. Allein die Produktion von Luxusprodukten war dem städtischen Bereich vorbehalten, für deren Herstellung man Spezialisten brauchte. Organisatorisch für die Strukturierung des Landes und der ländlichen Wirtschaft war im 11. Jahrhundert noch die sogenannte Villikationsverfassung des Frühmittelalters maßgeblich. Zwar setzte im 11. Jahrhundert ihr Zerfall ein, doch sie blieb in diesem Jahrhundert die bestimmende Wirtschaftsart auf dem Land. Kennzeichnend für die Villikationsverfassung ist ein zweigeteiltes Grundherrschaftssystem: Einen Teil des Landes, das einem Grundherrn gehörte, bewirtschaftete dieser selbst. Der zentrale Punkt dieser Eigenwirtschaft des Grundherrn war ein Fronhof, auch als Salhof bezeichnet, der in den Quellen häufig als villa erscheint und der dem gesamten Bewirtschaftungssystem seinen Namen gab. Idealtypisch war diese villa der Wohnsitz des Grundherrn. Andere – ebenso dem Grundherrn gehörige, von diesem aber nicht selbst bewirtschaftete – Fronhöfe wurden von einem Verwalter bewirtschaftet, der in den Quellen meist als villicus auftaucht oder als maior (Maier). Das Land, das zu dem Fronhof gehörte, das sogenannte Salland, wurde von abhängigen Bauern bewirtschaftet. Diese wohnten in der Umgebung des Salhofes und waren als Unfreie direkt vom Grundherrn abhängig – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch
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Villikationsverfassung
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I.
Reichsgut – Eigengut
Der historische Rahmen des Investiturstreits
rechtlich. Als Hintersassen bezeichnen wir die weiter vom Hof entfernt lebenden Abhängigen, die nicht mehr das Salland bearbeiteten. Ihre Abhängigkeit vom Grundherrn kam in einer Abgabe an diesen zum Ausdruck. Diese bemaß sich in der Regel nach dem von ihnen bewirtschafteten Grund. Die Einheit, die dieser Bewirtschaftung zugrunde liegt, bezeichnen wir als Hufe, der Quellenbegriff lautet mansus. Eine Hufe ist jedoch kein Flächenmaß, sondern meint so viel Land, wie eine Familie bewirtschaften kann. Das Villikationssystem war immer auf die Versorgung des Grundherrn ausgerichtet. Es ist daher von seinem systemischen Charakter her auf geringe Außenbeziehungen zu anderen ausgerichtet. Nicht zuletzt wurde diese Tendenz zusätzlich dadurch unterstützt, dass die Märkte sowie der Nah- und Fernhandel dieser Epoche zumindest im Reich noch nicht allzu sehr entwickelt waren. Zwar kann es an einzelnen Orten eventuell schon Messen gegeben haben, doch erst im 12. Jahrhundert erleben diese Einrichtungen einen entscheidenden Aufschwung. Generell musste das 11. Jahrhundert in manchen Bereichen der Wirtschaftsorganisation erst wieder auf das Niveau der Karolingerzeit zurückkommen. Denn das 10. Jahrhundert war eine Phase der immer stärkeren Dezentralisierung nicht nur der politischen Entscheidungskompetenzen, sondern auch der Gesamtpolitik für die Nachfolgestaaten des Karolingerreiches. Das Karolingerreich hatte – zumindest in seiner Hochphase unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen – noch sehr stark auf die wirtschaftliche und konkret nahrungstechnische Versorgung des Hofes durch die königlichen Güter gesetzt. Damit sind die Güter gemeint, die wir im Westfrankenreich beziehungsweise Frankreich als Krondomäne bezeichnen, im Reich als sogenanntes Reichsgut. Eigentümer dieser Güter war das Königreich in der Person des Königs. Er verfügte über diese Güter, konnte sie direkt bewirtschaften oder ausgeben. Davon zu trennen ist das Allod, oder Allodialgut, also das Eigengut des Herrschers, das nicht dem Königreich, sondern dem König als „Privatperson“ gehört. Im Erbfall ging es daher nicht an den nächsten König über, sondern an Mitglieder der königlichen Familie, an die Verwandten des Königs. Dieses Reichsgut wurde seit den Ottonen immer stärker durch die Reichskirche verwaltet, der die Könige die Reichsgüter übertragen hatten. Nach dem ersten Drittel des 10. Jahrhunderts bemühten sich die Herrscher des ostfränkisch-deutschen Reiches um eine kontinuierliche und intensivere Einbindung der Kirche in die herrscherlichen Belange. Dieses Vorgehen hatte sich als für die Könige sehr ertragreich herausgestellt. Langfristig entzog es dem Königtum jedoch die direkte Verfügungsgewalt über erhebliche Ressourcen – und je stärker die Sphären von regnum und sacerdotium, von Königtum und Kirche, auseinandertraten, desto deutlicher machte sich dieser Verlust von direkter Kontrolle der wirtschaftlichen Basis und damit in den wirtschaftlichen Grundlagen des Königtums bemerkbar. Das lange eingeübte Zusammenwirken von König und Reichskirche bei der königlichen Herrschaftsausübung schien durch den
3. Die religiösen Strukturen Europas
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Investiturstreit bedroht. Die heftigen Proteste des Reichsepiskopats und des weltlichen Adels im Reich gegen den zwischen Heinrich V. und Paschalis II. ausgehandelten Lösungsansatz zeigen, wie eng diese Verbindung geworden war und als wie bedrohlich eine Auflösung von den Betroffenen empfunden wurde. Heinrich V. und Paschalis II. hatten geplant, dass die der Reichskirche übertragenen Güter wieder an den König zurückfallen würden, der König dafür auf jede Form der Investitur verzichten würde. Der Plan war zwar durch den entschiedenen Widerstand der weltlichen und geistlichen Reichsfürsten nicht zur Ausführung gekommen. Er demonstriert jedoch die Reichweite des Investiturstreits jenseits der Fragen der Kirchenreform. Der Investiturstreit ist eben kein rein kirchengeschichtliches Thema, sondern eine Epoche grundlegender Wandlungen sowohl der geistigen als auch der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Europas.
3. Die religiösen Strukturen Europas Das lateinische Europa war zu weiten Teilen christlich geprägt. Dies gilt vor allem für die Regionen England, Irland, Frankreich, Italien und den Westen des Reiches. Der Osten des Reiches war hingegen zu erheblichen Teilen noch nicht bis auf die Ebene der Pfarrei christianisiert gewesen. So waren die östlich der Elbe siedelnden Liutizen Heiden. Auch die angrenzenden Pommern wurden erst zu Beginn des 12. Jahrhunderts intensiver missioniert. Bischof Otto von Bamberg (p 1139) hatte sich bei der Pommernmission so große Verdienste erworben, dass er als der Missionar der Pommern gilt – was diese jedoch nicht davon abhielt, ihn zu erschlagen. Weite Teile um Magdeburg waren bis auf die Ebene der einzelnen Pfarrei erst im 12. Jahrhundert flächendeckend christianisiert. Die einseitige Quellenüberlieferung führt jedoch dazu, dass wir über viele der heidnischen Kulte wenig wissen und sie in der Regel allein aus der Perspektive christlicher Autoren kennen. Eigene Schriftzeugnisse der heidnischen Religionen sind meist nicht überliefert – großenteils sind wir auf archäologische Befunde angewiesen, die vor allem aufgrund von Bestattungspraktiken und Grabbeigaben Informationen zur Glaubenspraxis beisteuern können, auch wenn man mit der Deutung der Befunde immer vorsichtig sein muss. So ist ein heidnisches Amulett als Grabbeilage nicht ohne Weiteres als ein eindeutiges Indiz für heidnische Praktiken zu deuten. Es kann sich ebenso um ein Andenken oder Ähnliches handeln, das die Hinterbliebenen dem Gestorbenen ins Grab legten. Trotz dieser Einschränkungen wird man für das 11. Jahrhundert sicherlich formulieren können, dass das lateinische Europa auf dem Weg einer flächendeckenden Christianisierung bis auf die Ebene der Pfarrei weitergeschritten war, dass es aber bei der Erreichung dieses Ziels noch eine Wegstrecke vor sich hatte.
Heiden
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I. Ostkirchen
Jüdische Gemeinden
Der historische Rahmen des Investiturstreits
Das Christentum im Europa des 11. Jahrhunderts war nicht in einer einheitlichen homogenen Kirche organisiert. Da ist zum einen die Differenzierung zwischen der griechisch-byzantinischen Kirche und der lateinisch-römischen Kirche, doch ebenso ist auf unter arabischer Herrschaft befindliche Kirchen auf der Iberischen Halbinsel hinzuweisen. Auf der Ebene des einfachen Gläubigen und seiner religiösen Praktiken existierte daher bei Weitem kein von Irland bis nach Süditalien reichender einheitlicher kirchlicher Ritus. In Spanien herrschte bis in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts die mozarabische Liturgie vor. In Süditalien galt der griechische Ritus und in Mailand der auf den Kirchenvater Ambrosius zurückgehende Ambrosianische Ritus. Erst im Laufe des 11. Jahrhunderts wurden die Grundlagen für eine intensivere Homogenisierung der lateinischen Kirche gelegt. Am Ende dieser Entwicklung stand eine auf Rom ausgerichtete Kirche. Doch davon kann zumal in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts noch keine Rede sein. Rom beanspruchte zwar auch damals, das Fundament der Gesamtkirche zu sein und die höchste Lehrautorität zu besitzen. Doch dass die Gewichte in der Realität anders verteilt waren, verdeutlicht die Veränderung des Nizänischen Glaubensbekenntnisses unter Benedikt VIII. im Jahre 1014 auf den Wunsch Kaiser Heinrichs II. hin. Neben den heidnischen Kulten, die vor allem im Osten und Norden Europas im 11. Jahrhundert noch weit verbreitet waren, ist bei der religiösen Struktur Europas ebenso auf andere Religionen hinzuweisen. Das sind zum einen die jüdischen Gemeinden und zum anderen die Muslime. Zumal die Kontaktzonen des christlichen Europas mit dem Islam wurden in den letzten Jahren intensiv untersucht. Für den Investiturstreit spielt diese Thematik eine deutlich untergeordnete Rolle. Die ersten jüdischen Gemeinden im ostfränkischdeutschen Reich lassen sich an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert fassen. Im 11. Jahrhundert werden die Quellen etwas dichter. Schätzungen über die Anzahl der in diesen Gemeinden lebenden Juden sind sehr schwer. In der Literatur ist immer wieder die Zahl von etwa 5000 Juden zu finden, die am Ende des 10. Jahrhunderts im Reich lebten. Die bis zum Ende des 11. Jahrhunderts wichtigste jüdische Gemeinde im Reich war Mainz, vor allem aufgrund der dortigen Schule und der darin lehrenden Rabbiner. Jüdische Dörfer scheint es im 11. Jahrhundert nicht gegeben zu haben, sodass wir allein von städtischen Gemeinden ausgehen müssen. Zunächst waren die Juden im Reich vor allem als internationale Händler tätig, indem sie Waren aus den unterschiedlichsten Regionen Europas und darüber hinaus an die Höfe von Herrschern, Fürsten oder Bischöfen brachten. Doch im Laufe des 11. Jahrhunderts sind jüdische Kaufleute immer mehr im Nahhandel nachzuweisen. Die Spezialisierung auf den Fernhandel blieb zwar erhalten, doch trat nun eine Ausweitung der Handelsaktivitäten sowie der gehandelten Produkte hinzu. Die Tätigkeit jüdischer Kaufleute im Kreditwesen ist jedoch erst eine Entwicklung des 12. und dann vor allem des 13. Jahrhunderts. Aufgrund der mangelnden Geldwirtschaft des
3. Die religiösen Strukturen Europas
11. Jahrhunderts spielte der Geldhandel für jüdische Kaufleute in dieser Epoche noch keine Rolle. Das 11. Jahrhundert ist für die jüdischen Gemeinden im Reich eine Phase des Wachstums, in der sich die Zahl vervier- oder verfünffachte. Dies erfolgte nicht durch eine Zunahme von jüdischen Gemeinden, sodass an immer mehr Orten Gemeinden gegründet worden wären, sondern durch ein Wachstum der bestehenden Gemeinden. Wir können insgesamt 13 jüdische Gemeinden nachweisen, auf die sich die Summe von 20000–25000 Juden am Ende des 11. Jahrhunderts verteilte. Das bedeutet, dass die jüdischen Gemeinden in den Städten, in denen sie existierten, bisweilen einen erheblichen Anteil der Bevölkerung ausmachten und bis zu 20 Prozent stellen konnten. Am Ende des 11. Jahrhunderts ereignete sich dann ein tiefer Einschnitt in das bis dahin weitgehend friedliche Zusammenleben von Christen und Juden im Reich. Im Zuge des ersten Kreuzzugs von 1096 kam es im Reich zu den ersten überregionalen Pogromen gegen die jüdischen Gemeinden, denen Tausende zum Opfer fielen. Der Kreuzzug war für die jüdischen Gemeinden im Reich eine Katastrophe und der Beginn von sich bis ins 13. Jahrhundert immer weiter steigernden Pogromen. Anders als die jüdischen Gemeinden, die über ganz Europa verbreitet waren, sind islamische Gemeinden allein im muslimischen Herrschaftsbereich nachzuweisen. Nach der Eroberung Spaniens ab 711 sind im 11. Jahrhundert weite Teile der Iberischen Halbinsel muslimisch, auch wenn die muslimische Seite zunehmend in die Defensive geriet. Die christliche Seite war zu diesem Zeitpunkt größtenteils eher an Tributzahlungen als an territorialen Eroberungen und damit verbundener Christianisierung der Gebiete interessiert. Erst im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts kam es zu einer verstärkt kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen auf der Iberischen Halbinsel. Muslimisch waren im 11. Jahrhundert zudem Teile der Bevölkerung Siziliens. Seit der Mitte des 9. Jahrhunderts begannen sich Muslime in Unteritalien festzusetzen, gegen den Widerstand der dortigen Langobarden und der Byzantiner. Erst im 11. Jahrhundert drehte sich das Blatt zugunsten christlicher Herrscher, namentlich der Normannen, die zunächst die Terraferma, das unteritalienische Festland, eroberten und dann am Ende des 11. Jahrhunderts unter Roger I. Sizilien einnahmen und christianisierten. Bis in die 20er-Jahre des 13. Jahrhunderts gab es auf Sizilien noch muslimische Gemeinden, bevor sie von Friedrich II. in das apulische Lucera umgesiedelt wurden. Das jüdische Königreich in Palästina hatte mit seiner Vernichtung im ersten nachchristlichen Jahrhundert aufgehört zu existieren. Doch die beiden anderen monotheistischen Religionen hatten Herrschaftsräume in Europa ausgebildet. Innerhalb dieser christlichen oder muslimischen Königreiche hatten andere religiöse Gruppen eine geminderte Rechtsstellung. In einem christlichen Königreich hatten weder Juden noch Muslime dieselben Rechte wie Christen und in einem muslimischen galt dies ebenso für Juden und Christen. Religion und
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Muslime
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I.
Der historische Rahmen des Investiturstreits
ihre Ausübung war im 11. Jahrhundert keine Privatangelegenheit, sondern n entschied auch über den rechtlichen Stand einer Person. Auf einen Blick
Adalbero von Laon bietet eine Dreiteilung der mittelalterlichen Gesellschaft. Welche Funktion schreibt er den Gruppen zu, und inwiefern entsprach diese Dreiteilung der Realität? Im 11. Jahrhundert begann eine weitreichende ökonomische Veränderung des lateinischen Europas. Inwiefern wurden durch diese Veränderungen auch gesellschaftliche Ordnungen beeinträchtigt? Die ökonomische Grundlage der Königsherrschaft bestand vor allem aus dem Reichsgut und seiner Bewirtschaftung (meist nicht durch den König direkt). Was ist der Unterschied zwischen Allodialgütern und Reichsgütern? Das lateinische Europa war in der Epoche der Kirchenreform und des Investiturstreits nicht allein christlich geprägt. Beschreiben Sie die religiöse Struktur Europas, insbesondere die Differenzen innerhalb der christlichen Kirche(n).
Literaturhinweise Borgolte, Michael: Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr. (Siedler Geschichte Europas 2), München 2006. Sehr gute und die Fixierung auf das lateinische Christentum aufbrechende Darstellung der drei monotheistischen Religionen und ihrer Rolle in Europa. Borgolte, Michael: Europa entdeckt seine Vielfalt (1050–1250) (Handbuch der Geschichte Europas 3), Stuttgart 2002. Umfassender und gut lesbarer Überblick vor allem der strukturellen Veränderungen in der behandelten Epoche. Moore, Robert Ian: Die erste europäische Revolution. Gesellschaft und Kultur im Hochmittelalter, München 2001 (ursprüngl. The first European revolution, c. 970–215, Oxford 2000). Arbeitet die grundlegenden Veränderungen im europäischen Hochmittelalter heraus mit einem deutlich stärkeren Akzent auf der wirtschaftlichen Entwicklung, als dies in den gängigen deutschsprachigen Überblicksdarstellungen üblich ist. Oexle, Otto Gerhard: Die funktionale Dreiteilung der „Gesellschaft“ bei Adalbero von Laon, in: Frühmittelalterliche Studien 12 (1978) S. 1–54. Rösener, Werner: Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 13), München 1992. Guter Überblick mit der üblichen Zweiteilung in einen darstellenden Teil und einen zweiten Teil, der Forschungsentwicklungen und -probleme thematisiert. Schieffer, Rudolf: Christianisierung und Reichsbildung. Europa 700–1200, München 2013. Umfassender und detaillierter Überblick.
II. Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits Überblick
W
ährend des gesamten Frühmittelalters stand die Kirche unter erheblichem Einfluss der Herrscher und regionalen Machthaber. Wie weit dieser Einfluss reichte, verdeutlicht die Veränderung des Glaubensbekenntnisses, eines zentralen christlichen Textes, im Jahr 1014 auf Drängen Kaiser Heinrichs II. hin. Aus kirchlicher Perspektive ging es im Rahmen von Kirchenreform und Investiturstreit vor allem um die Zurückdrängung dieses weltlichen Einflusses auf
die Kirche, auch auf der untersten kirchlichen Ebene, wenn etwa Laien und nicht Bischöfe festlegten, welche Person zum Priester geweiht werden sollte. Diese jahrhundertelang geübte Praxis wurde durch die Kirchenreform infrage gestellt, da die Laieninvestitur ihrem Verständnis nach einer reinen Kirche entgegenstand, die so in ihr Amt gelangten Priester nicht in der Lage waren, das göttliche Heil an die Gläubigen zu vermitteln.
1. Libertas ecclesiae – die Forderung nach Freiheit Der Wille nach einer Zurückdrängung des Einflusses von Laien auf die Kirche gipfelte in der Forderung nach der libertas ecclesiae (lat. Freiheit für die Kirche). Das war das Schlagwort, mit dem die Reformer den Einfluss der weltlichen Seite in der Kirche reduzieren wollten. Sie wollten der Kirche Freiheit geben, Freiheit in theologischen Fragen, aber auch auf jede einzelne Kirche, jedes einzelne kirchliche Amt ganz konkret angewandt. Auf der theologischen Ebene bedeutete dies, dass sich Könige, Kaiser oder andere Große nicht mehr in theologische Fragen einmischen sollten. Und in der Tat war das Eingreifen Heinrichs II. auf der Kaiser-Papst-Synode im Anschluss an seine Kaiserkrönung am 14. Februar 1014 das letzte Mal, dass ein hochmittelalterlicher Kaiser die Theologie der Kirche prägte. Damals hatte der letzte Ottonenherrscher dafür gesorgt, dass das Glaubensbekenntnis verändert wurde. Er setzte die Aufnahme der filioque-Formel durch, die besagte, dass der Heilige Geist nicht allein aus dem Vater, sondern „auch aus dem Sohn“ hervorgegangen sei. Derartige Eingriffe in die Theologie kennt die Salierzeit nicht, da die Kirche nun den Einfluss von Laien stark reduzierte. Die von den Reformern erstrebte libertas ecclesiae bezog sich ganz konkret auf die einzelne Kirche, auf jedes einzelne Amt. Es war Gerd Tellenbach, der in seiner umstürzenden und wegweisenden Studie von 1936 dieses Ringen um
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II.
Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits
die libertas ecclesiae als den Hauptantrieb der Reformkreise ausmachte, wobei die Bezeichnung dieser Personen als Reformer eine Kennzeichnung durch die Forschung ist. Keiner der Reformpäpste hat sich selbst als Reformpapst tituliert oder wurde von anderen Zeitgenossen so bezeichnet. Die Reformer wollten die Kirche verändern, sie aus ihrem aktuellen und in ihren Augen schlechten Zustand befreien, eine Reform, die nach innen gerichtet eine Wiederherstellung kirchlicher Ordnung forderte. Reform meinte dem Anspruch nach nie den Beginn einer neuen Ordnung oder gar einen Umsturz der Verhältnisse. Die mittelalterliche Forderung nach Reformen war stets die Forderung nach einer Rückkehr zu alten Idealen. Dies meint auf der einen Seite die Tradition, doch ebenso die in den Schriften der Patristik zu findenden Normen. Diese Normen wurden und werden immer wieder unterschiedlich ausgelegt, bisweilen ganz anders, als sie ursprünglich gedacht waren. Doch das Wesen der mittelalterlichen Reformen ist eine Rückführung zum alten Ideal, wie es ja bereits semantisch in dem dafür benutzten Wort zum Ausdruck kommt: reformare (lat. wiederherstellen). Derartige Reformen hatte es immer gegeben, getreu dem Motto ecclesia semper reformanda – die Kirche muss immer reformiert werden. Doch das Neuartige des Reformanliegens im 11. Jahrhundert war die Grundsätzlichkeit der Fragen, die behandelt wurden, und es war die Wirkung, die von ihm ausging. Letztlich kann man den gesamten Investiturstreit als eine Folge dieses Strebens nach der libertas ecclesiae interpretieren. Denn der tiefere Grund des Konfliktes, der nach der sogenannten Investitur bezeichnet wird, war nicht das päpstliche Verbot der Investitur durch Laien, das wurde in den Quellen im Grunde nur am Rande behandelt, sondern es war ein grundsätzliches Ringen der geistlichen und weltlichen Gewalt, deren Ergebnis ein Auseinandertreten dieser beiden Bereiche war. Begriffsgeschichtlich stellt sich die libertas ecclesiae jedoch zunächst nicht als eine klare Trennung der Kirche von der weltlichen Gewalt dar. Der Begriff der libertas kommt vielmehr zunächst in Urkunden vor, welche die Könige und Kaiser für Klöster und andere Kirchen ausstellten, um sie mit königlichem Schutz auszustatten. Die Klöster wurden dem Herrscher direkt unterstellt und aus der Einflusssphäre anderer Großer oder Bischöfe herausgenommen. Sie erhielten die sogenannte Immunität. Diese schützte sie vor den Eingriffen Außenstehender, unterstellte sie jedoch zugleich dem Herrscher. Die Immunitätsprivilegien nennen das, was sie den Klöstern verleihen, in der Regel libertas ecclesiae, was den skizzierten Rechtsstatus umschreibt. Diese Form der libertas war also keine völlige Freiheit; sie entzog die Kirchen zwar dem Einfluss einfacher Laien, doch unterstellte sie diese zugleich dem Herrscher. Derartige Abhängigkeiten Geistlicher von Weltlichen wollten die Reformer zurückdrängen und bedienten sich dabei der Terminologie königlicher Privilegien, indem sie von libertas ecclesiae sprachen. An die Stelle des Schutz gewährenden Königs trat jedoch zunehmend das Papsttum, sodass sich eine libertas Romana entwi-
2. Das Eigenkirchenwesen
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ckelte. Die Herausnahme kirchlicher Institutionen aus weltlicher Einflussnahme war eine fundamentale und weitreichende Forderung, die mit der bisherigen, seit der Karolingerzeit geübten Praxis brach und das sogenannte Eigenkirchenwesen infrage stellte.
2. Das Eigenkirchenwesen Die grundlegenden Einsichten zum Eigenkirchenwesen verdanken wir einer Studie von Ulrich Stutz (1895). Es entstand in der karolingischen Epoche und wirkte – wenn auch in veränderter Form – das gesamte Mittelalter fort. Es meint das Verfügungsrecht des Eigentümers einer Kirche über deren Vermögensmasse (Gebäude, Stiftungen, Landbesitzungen, Einnahmen etc.) sowie den geistlichen Leiter dieser Kirche. Historisch gesehen hatte das Eigenkirchenwesen einen nicht unerheblichen Anteil an der Ausbreitung des Christentums. Denn eine Vielzahl von Kirchen, vor allem der Pfarrkirchen, wurde nicht von der Amtskirche errichtet, sondern von einem Grundherrn. Er stellte in einer schematisch vereinfachten Form den Baugrund zur Verfügung, ließ die Kirche bauen und stattete sie mit Besitzungen aus, sodass der Priester davon leben konnte. Die karolingische Amtskirche verurteilte diese Praktik nicht, da so etliche Kirchen entstanden und die Christianisierung vorangetrieben werden konnte. Der Grundherr, der die Kirche auf seinem Grund hatte errichten lassen, beanspruchte jedoch auch nach der Fertigstellung nach wie vor eine Verfügungsgewalt über die Kirche, die er als sein Eigen betrachtete. Daher bestimmte der Eigenkirchenherr, der in der Regel Laie war, nicht nur, ob Güter der von ihm errichteten Kirche an eine andere übertragen wurden oder ob er etwa noch eine weitere Kirche gründete, aus der ursprünglich nur für eine Kirche gedachten Vermögensmasse. Er bestimmte ebenso den Geistlichen, der an dieser Kirche tätig war. Das Eigenkirchenwesen blieb im 11. Jahrhundert nicht allein auf die Niederkirchen beschränkt, auf einfache Pfarreien. In der Karolingerzeit ist eine ganze Reihe von Bistümern zu fassen, die Eigenkirchen waren. Noch im 11. und 12. Jahrhundert besaß beispielsweise das Erzbistum Salzburg vier Eigenbistümer: Gurk, Seckau, Lavant und Chiemsee. Das Prinzip war dasselbe wie bei den Pfarreien: Erzbischof Gebhard I. von Salzburg (1060–1088) gründete im Jahr 1072 in seiner eigenen Diözese das Bistum Gurk, was er sich bereits 1070 ausdrücklich von Papst Alexander II. (1061–1073) hatte genehmigen lassen. Der Papst schrieb gemäß dem Wunsch des Salzburger Erzbischofs fest, dass die Wahl und Weihe des Bischofs von Gurk ausschließlich dem Erzbischof von Salzburg zustehe. Damit war mitten in den Zeiten der anbrechenden Reform ein Bistum als Eigenbistum errichtet worden – auch wenn der Eigenkirchenherr in diesem Fall ein Erzbischof war. Die freie Wahl durch Klerus und Volk, welche die Synoden seit der Kirchenreform für die Erhebung eines
Eigenkirchenwesen
Praxis
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II.
Wirtschaftliche Bedeutung
Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits
Bischofs regelmäßig einforderten, war hier ausgehebelt. Allein der Salzburger Erzbischof wählte den Bischof und ordinierte ihn anschließend. Die (Aus-) Wahl des Kandidaten und zukünftigen Bischofs fand nach demselben Prinzip statt wie die Benennung eines einfachen Pfarrers durch den Eigenkirchenherrn. Dass damit im Hinblick auf die Wahl eines Bischofs – der von Volk und Klerus seines Bistums gewählt werden sollte – das geltende Kirchenrecht gebrochen wurde, störte die Zeitgenossen und selbst den Reformpapst Alexander II. offensichtlich weniger, als man mit unserem heute systematische Zugriffe liebenden Blick meinen möchte. Gebhard I. von Salzburg und Alexander II. sahen in der Errichtung des Eigenbistums schlicht die geeignetste Lösung, um der Probleme in der übergroßen Diözese von Salzburg Herr zu werden – es war eine pragmatische und auf den konkreten Fall ausgerichtete Lösung. Das Bevölkerungswachstum forderte eine Nachjustierung der seelsorgerischen und kirchenadministrativen Fähigkeiten in diesem Raum – und beide sahen in einem Hilfsbistum, das dann konkret als Eigenbistum konzipiert wurde, das geeignete Mittel. Auf diese Weise war eine stärkere bischöfliche Präsenz in der Diözese gegeben, ohne dass die neu etablierten Bistümer aus der Kontrolle des Stifters, des Erzbischofs von Salzburg, gefallen wären. Die Amtskirche hatte letztlich sogar ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Eigenkirchenwesens gehabt, da mit seiner Hilfe die Christianisierung Europas vorangetrieben wurde. Es entstand eine Verbindung von Welt und Kirche, die beiden Bereichen Vorteile brachte. Die Kirche als Glaubensinstitution hatte den Vorteil, dass Kirchen geschaffen und diese mit Priestern ausgestattet wurden. Im Falle des Eigenkirchenwesens musste die Amtskirche dies nicht von sich aus vorantreiben. Die Grundherren errichteten diese Kirchen zwar aus eigenen Mitteln, doch dürften dabei eigene materielle Interessen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Die Pfarrei bildete vor allem auf dem Land den Mittelpunkt der Gemeinde. Dort floss der Kirchenzehnt zusammen, den jeder Getaufte entrichten musste. Wer in einer Kirche getauft und gefirmt war, der gehörte zu dieser Gemeinde und musste dort den Zehnt abliefern. Dieser Zehnt wiederum wurde kirchenrechtlich in vier Teile aufgeteilt: Je ein Viertel ging an den Bischof, den Pfarrklerus, die Armen und Fremden sowie ein Viertel an die Fabrik, die für den Unterhalt eines Kirchengebäudes zuständig war. Dieses an großen Kirchen entwickelte Modell galt grundsätzlich auch für einfache Landkirchen. Doch im Falle der Eigenkirche liefen diese Einnahmen eben nicht an den Bischof, den Pfarrer, die Armen und Fremden sowie die Kirchenfabrik, sondern an den Eigenkirchenherrn. Hält man sich nochmals die Definition des Eigenkirchenwesens als das Verfügungsrecht des Eigentümers über die Vermögensmasse – die Gebäude, finanzielle Stiftungen, Landbesitzungen etc. – der Eigenkirche vor Augen, so ist ersichtlich, dass der Eigenkirchenherr ein Interesse an der Errichtung von Eigenkirchen hatte – nicht nur für sein Seelenheil, sondern auch in materieller Hinsicht.
3. Die monastische Entwicklung
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Diese über Jahrhunderte geübte Verquickung von weltlicher und geistlicher Sphäre durch das Eigenkirchenwesen griff aus Sicht der späteren Reformer fundamental in grundlegende Angelegenheiten der Kirche ein, da auf diese Weise der Eigenkirchenherr bestimmte, wer für die Seelen der zu seiner Eigenkirche gehörenden Menschen zuständig war. Zwar musste der Kandidat, sofern er die Sakramente verwalten sollte, geweiht sein, und damit kam dem Bischof noch ein bestimmtes Eingriffsrecht zu. Doch war dies genau der umgekehrte Weg, den die Reformer einschlagen wollten. Die Priester sollten sich zu diesem Dienst berufen fühlen und nach einschlägigen Studien, dem erfolgreichen Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten geweiht werden. Und da dies in den Augen der Reformer eine ausschließlich innerkirchliche Angelegenheit war, sollte der Diözesanbischof bestimmen, wo und wie diese Kandidaten eingesetzt werden würden. Diese Festlegung sollte nach der Vorstellung der Reformer eben nicht durch den Laien erfolgen, sondern nach eingehender Prüfung durch den Bischof. Dies war notwendig, da die Reformer ein neues Priesterbild anstrebten, eine neue Reinheit der Priester, damit diese ihrer innerkirchlichen Aufgabe gerecht werden konnten. Doch wieso störte man sich ab dem ersten Drittel des 11. Jahrhunderts an einem zuvor jahrhundertelang geübten Prinzip? Wieso wollten die Reformer diese bisher durchaus für beide Seiten vorteilhafte Verbindung trennen? Wo hatten sie hier vielleicht ein Vorbild vor Augen? Aus welchem Bereich könnte dieser Drang nach libertas ecclesiae beflügelt worden sein? Ein Modell der Lösung aus der Bevormundung der Kirche durch Laien schien aus dem klösterlichen Bereich zu kommen, für den kein anderes Kloster so sehr steht wie das 910 gegründete und in Burgund liegende Cluny. Es ist einer der Ansatzpunkte, der dann der Reform eine breitere Basis verschaffen sollte.
3. Die monastische Entwicklung Cluny war im 10., 11. und noch im 12. Jahrhundert ein unvergleichliches Erfolgsmodell, das weit über das Mutterkloster Cluny hinausstrahlte. Seine Äbte gehörten zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der Kirche, und so war es kein Zufall oder allein Devotion einer bestimmten Lebensausrichtung gegenüber, dass Kaiser Heinrich III. den Abt von Cluny zum Taufpaten seines Sohnes gemacht hatte, zum Taufpaten des zukünftigen römisch-deutschen Königs. Die enorme Bedeutung Clunys ist bereits an den Dimensionen seiner Klosteranlage zu erkennen. Die von Abt Hugo von Cluny (1049–1109) umgebaute Abteikirche (Cluny III) war bei ihrer Fertigstellung mit über 180 Metern Länge im Mittelalter die größte Kirche der lateinischen Christenheit. Nicht in Rom, Paris oder Speyer stand die größte Kirche, sondern im burgundischen Cluny. Bereits diese Größe
Cluny
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II.
Freiheit Clunys
Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits
macht die Bedeutung der mit der Kirche verbundenen geistlichen Gemeinschaft deutlich. Cluny war auch für die Reformer ein wichtiges Kloster, dessen Einfluss in der älteren Forschung jedoch vielleicht ein wenig überschätzt worden ist. Es führt kein direkter Weg von Cluny zu den in Rom umgesetzten Reformen, die für die Gesamtkirche Geltung erlangen sollten. Doch Cluny war für die von den Reformern weiterentwickelte Idee der libertas ecclesiae wichtig, eines Lebens frei von weltlicher Bevormundung und Einflussnahme. Wie wichtig Cluny den Päpsten war, wird nicht nur daran deutlich, dass sie sich meist sehr eng mit den Äbten von Cluny abstimmten, sondern auch daran, dass sie gerade bei den Legationen und im päpstlichen Sinne zu erledigenden Aufgaben auf der Iberischen Halbinsel zunächst sehr stark auf Cluniazensermönche zurückgriffen. Urban II. weihte 1095 persönlich den Hauptaltar des Baues Cluny III dem heiligen Petrus. Die Mönche von Cluny und der mit diesem Kloster verbundenen Abteien waren weder die Erfinder noch alleinigen Auslöser der Reformbewegung. Dennoch entstand in Cluny ein Modell der Reform, das sich als äußerst wirkmächtig erwies, eine enorme Strahlkraft weit über die Region hinaus entwickelte. Und sie sind es wohl auch gewesen, die der Reform einen entscheidenden Schub verliehen und ihn zu weiten Teilen in der Frühphase trugen. Doch sie waren nicht die Einzigen, so wie es vor allem die ältere Forschung gesehen hat. Das im Mâconnais gelegene Kloster Cluny ist eine Gründung des Herzogs Wilhelm I. von Aquitanien aus dem Jahre 910. Die dazugehörige Urkunde ist auf den 11. September 910 datiert. Wie bei Klostergründungen üblich, beschrieb Wilhelm seine Motive, warum er dieses Kloster gründet hatte: für sein Seelenheil. Indem die Mönche des Klosters für den Stifter beteten, wirkten sie für dessen Seele. Das Modell ist für das gesamte Hoch- und Spätmittelalter bekannt und nichts Neues. Neu war jedoch, dass der Stifter das Kloster nun nicht mehr wie bei einer Eigenkirche seiner persönlichen Aufsicht oder gar Verfügung unterstellte. Es sollte also kein Familienkloster entstehen, in dem nach dem Tod Wilhelms I. dessen Söhne die Verfügung über das Kloster erhielten. Das Kloster sollte vielmehr ganz explizit kein Eigenkloster des Klostergründers und dessen Familie werden. Doch wer sollte nach dem bekannten Muster von Schutz und Herrschaft den Schutz für das Kloster und im Gegenzug Herrschaft in diesem und über dieses ausüben können? Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis des Werts Clunys für die Reformer und hier liegt das völlig Neue: Wilhelm legte fest, dass das Kloster keiner irdischen Gewalt unterstellt werden sollte, dass kein Kaiser, König, Graf, Adeliger, Bischof oder irgendjemand anderes Einfluss in dem Kloster haben sollte. Die im Falle der Eigenkirchen ganz selbstverständliche Verbindung von Welt und Kirche war damit aufgebrochen worden. Die Freiheit von jeglicher irdischen Herrschaft sollte dem Schutz des Klosters dienen, die Mönche zugleich deutlich von der irdischen Welt trennen, damit sie sich
3. Die monastische Entwicklung
ganz ihrer Hauptaufgabe widmen konnten: dem Gebet für den Stifter. Und diesem Gebet kamen die Cluniazenser wie keine andere monastische Gemeinschaft nach – für ihr Gebet wurden sie bald in ganz Europa geschätzt. Einen Schutzherrn hatte die Gründungsurkunde jedoch indirekt genannt, auch wenn das am Anfang so sicherlich nicht intendiert war. Denn die Urkunde sprach davon, dass das Kloster Eigentum Christi sei sowie der Apostelfürsten Petrus und Paulus. Petrus wiederum ist bekanntlich der einzige Heilige, der einen Nachfolger beziehungsweise Stellvertreter auf Erden hat: den Papst. Den hatte Wilhelm zwar nur bedingt als Schutzherrn eingesetzt, da er in der Gründungsurkunde davon sprach, dass der Bischof von Rom ausschließlich im Notfall in die Angelegenheiten des Klosters eingreifen sollte, jedoch nur im konkreten Bedarfsfall zum Schutz des Klosters. Mit der Unterstellung unter den Apostelfürsten war ein Weg eröffnet, den das Reformpapsttum beschritt, um Kirchen an das Papsttum zu binden und diesem Einfluss zu verschaffen. Hatte Wilhelm I. tatsächlich eine völlige Freiheit des Klosters Cluny angestrebt, so war durch die Übertragung an Petrus und Paulus ein entscheidender Schritt zur Ausformung des sogenannten päpstlichen Schutzes entstanden. Denn dieser päpstliche Schutz meinte bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts in der Regel keinen Besitzanspruch des Papstes auf das Kloster oder direkte Eingriffsrechte. Es meinte vielmehr den Schutz des Apostelfürsten selbst, der einer in den Schutz aufgenommenen Institution vom Stellvertreter des Apostelfürsten auf Erden zugesprochen wurde, vom Papst. Doch den Schutz bewirkte in der ursprünglichen Bedeutung nicht der Papst, sondern der Apostelfürst selbst. Und dieser Gebetsschutz bedingte zunächst keine Herrschaftsrechte des Papstes an dem vom Apostelfürsten beschützten Kloster, der Kanonikergemeinschaft, der Kirche oder anderem. Daran änderte das Modell von Cluny zunächst nichts, auch wenn es auf einer theoretischen Ebene dem Papst ein Eingriffsrecht ermöglichte. Doch der Papst war im 10. Jahrhundert an einem aktiven Eingriff nicht interessiert, daher ist die Lösung von Cluny zunächst für die Ausbildung einer päpstlichen Herrschaft ohne Folgen geblieben. Erst in dem Moment, in dem die Päpste von sich aus aktiv wurden und bestimmte Rechte einforderten, die sie durch die Übertragung an den Papst als gegeben ansahen, konnte sich aus der traditio Romana ein rechtliches Abhängigkeitsverhältnis entwickeln, bei dem der Papst an die Stelle der früheren Eigenkirchenherrn trat. Doch diese Entwicklung sollte erst durch die papstgeschichtliche Wende des 11. Jahrhunderts angestoßen werden. Wäre Cluny nur ein kleines Kloster im Burgund geblieben, so hätten diese Neuerungen keine größeren Umwälzungen hervorgebracht. Doch Cluny entwickelte sich rasch zu einem Klosterverband. Dem Kloster unterstellten sich immer mehr Abteien, sodass der Verband stetig wuchs. Im 12. Jahrhundert unterstanden dem Kloster mehr als 1150 Abteien und Priorate, kleinere Ab-
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Papstschutz
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II.
Gorze
Kamaldolenser
Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits
teien. Und auch Cluny selbst wurde immer größer. Bestanden viele Konvente nur aus zehn oder 20 Mönchen, so umfasste die Mönchsgemeinschaft Clunys unter Abt Hugo, der im Streit zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. eine entscheidende Rolle als Vermittler spielen sollte, mehr als 300 Mitglieder. Cluny war eine Instanz geworden, sodass der Abt von Cluny in Satiren spöttisch als der „Mönchskönig“ bezeichnet wurde. Und in der Tat hatte Cluny allein aufgrund seiner Größe einen enormen Einfluss auf das 11. Jahrhundert gewonnen. Zusammen mit Cluny gewann auch die Idee der libertas, der Befreiung des Klosters von jeglicher irdischen Herrschaft, an Kraft und verbreitete sich fast in der gesamten Christenheit. Cluny verwies bereits auf den Ort, von dem die Reform der Gesamtkirche nach der Synode von Sutri maßgeblich vorangetrieben werden sollte: auf Rom, das in der Not als Schutzmacht intervenieren sollte. Die Anbindung der libertas ecclesiae führte zur libertas Romana, einer Freiheit, die man von Rom und in Anbindung an Rom erhielt. Doch nicht nur in dieser strukturellen Hinsicht war Cluny wegweisend. Es wurde rasch von anderen Reformbewegungen imitiert, im südwestdeutschen Raum durch die Abtei Gorze. Wie in Cluny entwickelte sich auch von Gorze aus ein Klosterverband, der eng zusammengeschlossen war, sich aber von der Hand weltlicher Herrschaft befreit hatte. Diese Reformbemühungen waren zwar verglichen mit Cluny nur ein kleineres Gebilde. Doch macht der Verband um das lothringische Gorze deutlich, dass auch in anderen Regionen Europas monastische Reformen umgesetzt wurden, welche die Kirchenreformer des 11. Jahrhunderts mit prägten. Aus dem italienischen Raum sind vor allem die durch Romuald angestoßene Eremitenbewegung sowie die von Vallombrosa ausgehende monastische Reformbewegung zu nennen. Die italienischen Beispiele führen vor Augen, dass der Weg nicht einfach von Cluny beziehungsweise dem lothringischburgundischen Raum nach Rom führte, sondern dass es etliche parallele Entwicklungen in Europa gab, auch wenn nicht bei allen eine direkte personelle Verzahnung zu fassen ist. Im Falle Romualds ist diese sehr schön zu greifen – und zwar in der Person des Petrus Damiani, der einer der einflussreichsten und gedanklich brillantesten Köpfe der frühen Reformer war. Romuald war als Sohn Herzog Sergius’ von Ravenna aus einer einflussreichen Familie hervorgegangen. Doch er wandte sich 973 von allen weltlichen Dingen ab und suchte in strenger Askese sein Heil, wozu er zunächst ins Kloster eintrat, das ihm jedoch offenbar ein zu laxes Leben bot, sodass er sich bald wieder zurückzog und als Eremit lebte. In äußerster Askese lebend und Mittel wie die freiwillige Geißelung nicht verschmähend galt Romuald rasch als frommer Mann. Sein Ruf war beträchtlich und zog nicht nur Gleichgesinnte an, sondern auch Herrscher. Otto III. wollte ihm gemäß der Vita Romualdi aus der Feder des Petrus Damiani die Abtei Sant’Apollinare in Classe bei Ravenna übertragen, das Kloster, in das Romuald zunächst eingetreten war. Doch Romuald verweigerte die
3. Die monastische Entwicklung
Einsetzung als Abt, ein Umstand, der seine Wertschätzung als frommer Mensch bei den Zeitgenossen durchaus steigerte. Als Abt trat Romuald schließlich doch noch in Erscheinung, jedoch nicht als Abt eines schon bedeutenden Klosters, sondern als Abt der von ihm in Camaldoli in der Toskana gründeten und nach diesem Ort benannten Eremiten-Gemeinschaft der Kamaldulenser. Der Ort dieser Gemeinschaft war in gewisser Weise Programm, denn er lag weltabgewandt und war damals noch relativ unzugänglich. Doch binnen weniger Jahre entwickelte sich aus den in einigem Abstand gelegenen Klausen der einzelnen Eremiten ein ansehnliches Kloster. Romuald selbst starb zwischen 1023 und 1027 nach eigenem Willen als ein Incluse, d.h. er ließ sich einmauern und starb in dieser Einmauerung. Vom Geiste Romualds war bald auch das Kloster Fonte Avellana erfasst, in das der 1007 geborene Petrus Damiani eingetreten war und dessen Abt er bald werden sollte. Auf diese Weise wirkten Romuald und seine Vorstellungen auf die Kirchenreformer ein, nicht zuletzt durch seine sehr konsequente Haltung, für die er geachtet wurde und die etlichen der späteren Kirchenreformern zu eigen war. Eine andere wichtige monastische Gemeinschaft sind die – wie bei den Cluniazensern nach ihrem Mutterkloster benannten – Vallombrosianer, die ihr Zentrum im namensgebenden Vallombrosa haben. Die Gründerfigur ist hier Johannes Gualberti, der in Florenz in das Kloster San Miniato eintrat. Den Lebenswandel der Mönche empfand er rasch als nachlässig, wie Romuald in Sant’Apollinare in Classe. Doch anders als Romuald trat Johannes Gualberti zunächst nicht wieder aus dem Kloster aus, sondern versuchte im Jahr 1035 durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Klosterbelange, das Kloster unter Druck zu setzen. Auch das wurde ein wegweisender Wesenszug etlicher oberitalienischer Reformbewegungen, dass der reformorientierte Klerus und radikalisierte Laien an einem Strang zogen, um auf unorthodoxe Weise ihre Ziele durchzusetzen. Doch die Zeiten waren noch nicht so weit, dass diese Vorgehensweise sofort Früchte getragen hätte. Johannes Gualberti scheiterte mit seinem Vorhaben in Florenz und musste fliehen. Er entfernte sich jedoch nicht weit von seiner ursprünglichen Wirkungsstätte und gründet ca. 15 Kilometer östlich von Florenz das Kloster Vallombrosa. Was er in Florenz selbst angeprangert hatte – und die Methoden, mit denen er dagegen vorzugehen versucht hatte –, vergaß er nicht. Als es 1061 zur Erhebung Petrus Mezzabarbas zum neuen Florentiner Bischof kam und sich der Ruf verbreitete, dieser habe sein Amt erkauft, predigten die Vallombrosianer landauf, landab gegen den neuen Bischof. Erneut versuchten sie die unteren Schichten des Volkes für ihre Ideen zu gewinnen, diese zu radikalisieren und so ihren Willen und ihre Vorstellungen einer neuen und reinen Kirche umzusetzen. Schließlich landete die Angelegenheit in Rom – und erst auf das Wort des römischen Archidiakons Hildebrand hin, des späteren Gregors VII., kehrte eine gewisse Ruhe ein, ein Frieden auf Zeit. Denn bald darauf forderte Johannes Gualberti den Florenti-
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Vallombrosianer
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II.
Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits
ner Bischof durch ein Gottesurteil heraus, das Papst Alexander II. zwar untersagt, was Johannes jedoch nicht an der erfolgreichen Durchführung hinderte. Der Bischof war diskreditiert und musste abdanken. Am Beispiel des 1073 verstorbenen Johannes Gualberti wird deutlich, welche neuen und radikalen Ansichten von einer reinen, einer neuen Kirche entstanden waren – und wie weit einige dabei bereit waren zu gehen. Johannes Gualberti hatte nicht gezögert, die Macht der Straße gegen den Bischof einzusetzen. Er hatte die öffentliche und die kirchenrechtliche Ordnung auf den Kopf gestellt. Die Reformer in Rom konnten diesen Prozess nur bedingt beeinflussen, wie das Beispiel des Gottesurteils gezeigt hatte. Damit ist die Spannweite der monastischen Entwicklung skizziert. Cluny wollte die Lösung aus aller weltlichen Bevormundung, doch nicht um auf die Welt tagespolitisch einwirken zu können, sondern um ungehindert durch das Gebet für das Heil der Menschen eintreten zu können. Es war die Lösung aus der weltlichen Bevormundung, um das kontemplative Leben im Kloster, abgeschirmt von der Welt, auf einem neuen Niveau praktizieren zu können. Das Gebet der Cluniazenser hatte einen anderen Stellenwert als das Gebet eines normalen Sünders. So formulierte es auch Heinrich III. in einem Brief an Abt Hugo von Cluny. Quelle
Brief Heinrichs III. an Abt Hugo von Cluny Zit. nach: Johannes Laudage / Matthias Schrör (Hrsg.): Der Investiturstreit, Nr. 5, S. 49
Das folgende befehlen wir auch nicht so sehr, als dass wir es demütig erbitten, nämlich, dass Dein ständiges Gebet zu unserem allermildesten Herrn zum Nutzen des Gemeinwesens nicht fehle zur Ehre des gesamten Kaiserreichs und zu unserem und der Unsrigen Seelenheil, damit uns durch göttliche Fügung der Wohlstand der Kirchen sowie Frieden und Ruhe des ganzen Volkes verschafft werden können. Denn welcher Weise würde nicht das Gebet durch Dich und die Deinigen herbeiwünschen? Wer würde nicht darum werben, es durch das unauflösliche Band der Liebe festzuhalten? Zumal deren Gebet umso reiner ist, je mehr es von weltlichen Geschäften entfernt ist, zumal es umso würdiger ist, je verwandter es den göttlichen Betrachtungen erscheint.
Es ist klar ersichtlich, wieso hier libertas erstrebt wurde – vonseiten der Mönche, um durch den mangelnden Kontakt mit allem Weltlichen dem Göttlichen näher sein zu können, und vonseiten der Weltlichen, um genau das den Mönchen zu ermöglichen. Die Bewegungen des Romuald und vor allem des Johannes Gualberti wollten ebenso eine Lösung von der Welt, doch mit einer ganz anderen Intention, mit einem anderen Ziel. Nicht allein der eigenen Perfektion im Leben für Gott sollte das Abstreifen der weltlichen Bevormundung dienen. Libertas ecclesiae war hier keine ausschließlich auf das innerkirchliche
4. Das neue Priesterideal – die Reinheit der Kirche
Wesen oder gar allein auf die Freiheit einer einzelnen monastischen Gemeinschaft ausgerichtete Forderung. Vielmehr wollten diese radikalen Strömungen auch eine Veränderung ihrer Umwelt, der gesamten Welt, eine Reform an Kopf und Gliedern. Und für diese Reform waren sie bereit, zu Mitteln zu greifen, die von der traditionellen Kirche und vom Kirchenrecht verdammt wurden. Dennoch besaßen die von ihnen propagierten Ideen offenbar eine derartige Faszination für die Zeitgenossen, dass Kirche und Welt sich dem nicht immer entziehen konnten. Diesem Milieu entstammten etliche der Personen, die dann in Rom in Zusammenarbeit mit den Reformpäpsten die Reformen für die gesamte Kirche anstoßen sollten. Dass das monastische Umfeld überhaupt für die Reformer ein wichtiges Personaltableau darstellte, kann man an den Namen von vier herausragenden Reformern erkennen: Humbert von Silva Candida, Friedrich von Lothringen, Petrus Damiani, Johannes Gualberti. Sie alle entstammten dem Mönchtum, und vor allem die drei Erstgenannten wurden dann von Rom aus zu maßgeblichen Trägern der Reform.
4. Das neue Priesterideal – die Reinheit der Kirche Das Ideal des Priesterstandes scheint nach der Norm überzeitlich zu sein. Denn dass ein Priester eine Vorbildfunktion für die Gemeinde haben soll, dass er sich in stärkerem Maße als das einfache Gemeindemitglied an der Schrift und den Regelungen der Kirche orientieren soll, das sind überzeitliche und bis heute gültige Vorstellungen. Doch zugleich gibt es seit dem beginnenden 11. Jahrhundert wenn auch nicht in allen Teilen neue, so doch nun verdichteter eingeforderte Ideale von der Reinheit der Priester, wie es Johannes Laudage in seiner Dissertation zu „Priesterbild und Reformpapsttum“ (1984) herausgearbeitet hat. Die Arbeit ist nicht in allen Punkten auf Akzeptanz gestoßen, doch ist es ihr bleibendes Verdienst, nachdrücklich auf dieses Moment als Vorbedingung der Reformen hingewiesen zu haben. Damit eröffnete sie einen weiteren Horizont für das Verständnis dessen, was sich in der gregorianischen Reform vollzog, auch wenn suggerierte Zwangskausalitäten strittig bleiben. Entscheidend ist es für das Verständnis der Forderung nach Reinheit, dass diese kein Selbstzweck war. Vielmehr wurde unter den Reformern intensiv diskutiert, wie die Kirche ihrer Aufgabe gerecht werden kann, das göttliche Heil zu vermitteln. Wo waren die Grenzen, wo waren Verbesserungen notwendig, was musste konkret getan werden? Nur vor diesem Hintergrund ist die Forderung verständlich, dass Priester reiner leben sollten, als dies bisher teilweise der Fall gewesen war. Nur mit reinen Priestern konnte die Kirche nach der Vorstellung der Reformer ihre Aufgabe der Heilsvermittlung erfüllen. Die Forderung nach Reinheit musste für fast jeden Priester Konsequenzen haben, wie
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Reformer aus monastischem Milieu
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II.
Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits
es Petrus Damiani in seinem wohl im Sommer 1052 entstandenen Liber Gratissimus formulierte. Quelle
Die geforderte Reinheit der Priester und die Wirkung des Amtes (Petrus Damiani, Liber Gratissimus) Zit. nach: Johannes Laudage / Matthias Schrör (Hrsg.): Der Investiturstreit, Nr. 6, S. 51
Der wahre und unverkürzte Glaube beinhaltet also, dass wie die Taufe so auch die Priesterweihe durch keinen Schandfleck sündig erscheinender Amtsinhaber beschmutzt wird und dass sie nicht durch das Verbrechen einer fremden Schuld Schaden erleidet, sondern dass derjenige, der geweiht wird – wie lasterhaft und in beliebig großer Sünde verstrickt auch jener sein mag, der konsekriert –, deswegen keineswegs durch den Verlust der geheiligten Gaben zugrunde gerichtet und durch keinerlei Minderung der himmlischen Gaben betrogen wird. Denn nicht aus dem Verdienst des Priesters, sondern aus dem Amt, das dieser versieht, wird das Mysterium der Weihe auf einen anderen übertragen, und es lohnt sich nicht, auf den Konsekrator zu schauen, wie beschaffen jener gelebt hat, sondern man muss nur auf das Amt achten, das er empfangen hat.
Reformforderungen
Petrus Damiani hat damit auf der einen Seite eine tröstliche Botschaft für die Priester und die Gläubigen: Die Wirkung der Sakramente hänge nicht vom persönlichen Verdienst der die Sakramente spendenden Person ab, sondern allein von dem Amt – in diesem Fall des Konsekrators: „nicht aus dem Verdienst des Priesters, sondern aus dem Amt“ geschehe das nach den Worten Petrus Damianis. Doch ebenso macht er einleitend deutlich, dass der Priester sein Amt nicht beschmutzen dürfe, da er dadurch eventuell seiner „geheiligten Gaben“ verlustig ginge oder diese zumindest gemindert würden. Die Wirkung der Sakramente allein durch das Amt blieb während des Investiturstreits eine nicht unumstrittene Position, die dann vor allem im Hinblick auf die von Schismatikern gespendeten Weihen immer wieder infrage gestellt wurde. Damit die Kirche ihre Aufgabe erfüllen und das göttliche Heil vermitteln konnte, mussten ihre Amtsinhaber nach der Vorstellung der Reformer bestimmten Mindestanforderungen gerecht werden können: Vor allem durften sie sich nicht beflecken, damit ihre Person nicht als für den göttlichen Dienst unwürdig gelten konnte und damit insbesondere die Wirksamkeit der Heilsvermittlung mithilfe der Sakramente infrage stand. Um dies zu verhindern, rückten rasch zwei Punkte als die immer wieder eingeschärften Reformforderungen in den Fokus der Reformer, die Radikale unter ihnen sogar mit Häresie gleichsetzten: Simonie und Nikolaitismus galten den Reformern als entscheidendes Übel, die es in der Kirche zu beseitigen galt, sodass sie ihren Auftrag durch reine Priester wahrnehmen konnte. Diese beiden Forderungen wurden immer verkündet und sind daher in fast allen überlieferten Synodalbeschlüssen enthalten. Die permanente Wiederholung dieser Forderungen verdeutlicht
4. Das neue Priesterideal – die Reinheit der Kirche
zugleich, wie langwierig und schwierig der Kampf gegen Simonie und Nikolaitismus war, wobei die Überlieferung uns nur selten Einblick in die Rechtfertigungsschriften von Simonisten gibt – anders als bei den Schriften, die die Priesterehe verteidigen. Die allgemein übliche Laieninvestitur war für die frühen Reformer dagegen kein Ärgernis. Stichwort
Simonie Der Begriff Simonie geht auf Simon den Magier zurück, der nach Apg 8,5–24 versucht haben soll, den Jüngern Jesu ihre Gaben mit Geld abzukaufen. Simonie bezeichnet daher den Kauf oder Verkauf geistlicher Ämter. Seit der frühen Kirche war Simonie zwar explizit untersagt, doch ebenso gängige Praxis, an der sich erst die Reformer des 11. Jahrhunderts in erheblichem Maße störten.
Stichwort
Nikolaitismus Der Zölibat für Priester war zwar bereits in der frühen Kirche gefordert worden, doch entsprach diese Lebensweise nicht der sozialen Praxis der lateinischen Kirche, insbesondere nicht der Landpfarrer. Die nicht zölibatär lebenden Priester wurden erstmals von Humbert von Silva Candida in polemischer Weise als Nikolaiten bezeichnet. Die Lateransynode von 1059 verbot diesem Personenkreis gottesdienstliche Handlungen, ohne dass dies jedoch sofort auf breite Akzeptanz gestoßen wäre.
Dieses neue Ideal der reinen Priester wird besonders deutlich im Bereich der Kanoniker fassbar, bei in monastischer Gemeinschaft zusammenlebenden Geistlichen, die auf die Seelsorge ausgerichtet waren und damit auf die sakramentale Heilsvermittlung. Als gemeinschaftliches Priesterkolleg bemühten sie sich darum, das göttliche Heil zu vermitteln, das nach allgemeiner Lehrmeinung nur in und durch die Kirche zu erreichen war (nulla salus extra ecclesiam). Es ist naheliegend, dass Fragen des priesterlichen Selbstverständnisses in diesen Priestergemeinschaften eher artikuliert, dann verschriftlicht und tradiert wurden als bei einem einfachen Landpfarrer. Im Reich ist auf dieser Grundlage eine zweifache Veränderung des Priesterbildes zu fassen: Zum einen ist die Sakramentenvermittlung stärker in den Vordergrund gerückt, und hier vor allem die Feier der Eucharistie, in der der Priester an Christi statt die Wandlung von Hostie und Wein in Leib und Blut Christi vollzieht. Doch neben dieser Vermittlung an die Gläubigen ist zum anderen ein verstärktes Bemühen der Priester um Selbstheiligung festzustellen, etwas, was bisher eher aus dem monastischen Bereich bekannt war, in dem sich die Mönche zum Zwecke der Selbstheiligung aus der Welt zurückzogen, um näher zu Gott zu kommen.
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II. Regularkanoniker
Vita communis
Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits
Verstärkt wurde diese Neuorientierung der Kanoniker durch eine Kanonikerreform, zu der auch das Papsttum einen Beitrag leistete. Die Lateransynode des Jahres 1059 beschloss eine weitreichende Reform der Kanoniker, deren ursprüngliche Regel 816 durch Ludwig den Frommen festgeschrieben worden war. Es kam zu einer Differenzierung in Säkularkanoniker und Regularkanoniker. Die Rückführung der Kanoniker zu einem einfacheren Leben und weiteren Regelungen, die diese zu reineren Priestern machen sollten, kann als der eigentliche inhaltliche Anteil Gregors VII. an der Reform bezeichnet werden. Vor allem stand eine Rückkehr zum apostolischen Leben im Zentrum der Reform der Regularkanoniker, der strengeren Ausprägung der Kanoniker, denen beispielsweise Besitz verboten war. Sie erhielten zuletzt durch Urban II. nochmals eine kräftige Förderung. Sie spielten für die Anliegen der Reform allzumal im Reich eine große Rolle, was am Beispiel des Kanonikerstifts Rottenbuch gut abzulesen ist. Auch in Frankreich und Italien machten sich Bischöfe und Priester Gedanken über eine Neuausrichtung des priesterlichen Lebens. So lassen sich beispielsweise in Italien Bemühungen des Bischofs von Cesena um eine neue vita communis des Kathedralklerus fassen. Auch dort kam es zu einer Angleichung an den monastischen Bereich. Der Bischof forderte von seinen Priestern Besitzlosigkeit, eine Forderung, welche die Ausprägung der Regularkanoniker unterstützte. Die an der Kathedrale zu einem Kathedralkapitel zusammengeschlossenen Kanoniker sollten regelmäßig zu den Gottesdiensten, Gebeten und Andachten erscheinen und die divina officia ausüben, mithin Sakramente spenden. Diese Bemühungen um eine neue Qualität der Heilsvermittlung hatten Rückwirkungen auf die Vorstellung von Kirche selbst. Das neue und schärfere Priesterbild führte zu einer veränderten Sicht auf die Kirche, zu neuen Vorstellungen von dieser, ja es konnte sogar bis zu einer Verschiebung der Akzente in der Ekklesiologie reichen. Dadurch veränderten sich die lebenswirklichen Anforderungen an einen Bischof. Die Norm, an der er sich auszurichten hatte, erhielt einen neuen Sitz im Leben. Die Idee der libertas nach cluniazensischer Prägung, die vallombrosianischen Bemühungen um ein neues und reineres Mönchtum und die Vorstellungen von einem neuen Priestertum blieben zunächst für die Gesamtkirche ohne umfassende Wirkung. Denn noch fehlte der Kirche ein all diese Entwicklungen tatkräftig bündelndes Zentrum, das Ideen und Entwicklungen aus einzelnen Regionen in die Gesamtkirche hineinspiegelte und somit die gesamte Kirche mit den neuen Vorstellungen konfrontierte. Das Papsttum war – zumindest bis zur papstgeschichtlichen Wende – noch keine aktiv in die gesamte n Kirche hineinwirkende und diese aktiv leitende Institution.
Literaturhinweise Auf einen Blick
Geistliche und weltliche Sphäre waren vor der Kirchenreform eng miteinander verbunden. Was erstrebten die Kirchenreformer mit ihrer Forderung nach der libertas ecclesiae? Die Abtei Cluny war im 11. Jahrhundert das wohl bedeutendste und größte Kloster Europas. Inwiefern erwies sich das dort entwickelte Modell der Freiheit eines Klosters als zukunftsträchtig? Seit der Karolingerzeit wurde die Christianisierung Europas auch mithilfe des Eigenkirchenwesens vorangetrieben. Was versteht man unter dem Eigenkirchenwesen und wieso stellte diese seit Jahrhunderten geübte Praxis für die Kirchenreformer ein Problem dar? Die Kirchenreform war zunächst vor allem ein Ringen um die Wiederherstellung der Kirche, damit diese ihrer Aufgabe der Heilsvermittlung an die Gläubigen gerecht werden konnte. Was waren für die Kirchenreformer die beiden Hauptübel, die es nach ihrem Dafürhalten zu bekämpfen galt, um eine reine Kirche herzustellen, damit diese ihren göttlichen Auftrag wahrnehmen konnte?
Literaturhinweise Bünz, Enno: Art. Eigenkirche, in: HRG2 1 (2008) Sp. 1267–1269. Knapper, aktueller Überblick zum Eigenkirchenwesen mit dem Hinweis auf weitere Literatur. Laudage, Johannes: Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert (Beihefte zum AKG 22), Köln/Wien 1984. Vgl. dazu: Schieffer, R.: „Priesterbild“, Reformpapsttum und Investiturstreit. Methodische Anmerkungen zu einer Neuerscheinung, in: AKG 68 (1986) S. 479–494. Rosenwein, Barbara H.: Negotiating space. Power, restraint, and privileges of immunity in early medieval Europe, Manchester 1999. Verfolgt die Wechselwirkung von Freiheit, Schutz und Herrschaft nach, die aus dem Modell von Cluny hervorgegangen sind. Schieffer, Rudolf: Freiheit der Kirche. Vom 9. zum 11. Jahrhundert, in: Johannes Fried (Hrsg.): Die abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich (Vorträge und Forschungen 39), Sigmaringen 1991, S. 49–66. Skizziert klar, wie die Freiheit der Einzelkirche sukzessive an den Gehorsam Rom gegenüber gekoppelt wurde. Tellenbach, Gerd: Libertas Ecclesiae. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 7), Stuttgart 1936. Die Heidelberger Habilitationsschrift Tellenbachs bietet einen ideengeschichtlichen Zugriff auf den Investiturstreit und die Anliegen der Reformer. Wollasch, Joachim: Cluny – „Licht der Welt“. Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft, Zürich 1996 (mehrere Nachdrucke). Gute und nach wie vor nicht überholte Einführung in die Welt Clunys.
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III. Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII. Überblick
D
ie sogenannte papstgeschichtliche Wende in der Mitte des 11. Jahrhunderts führte zu einer fundamentalen Veränderung der lateinischen Kirche. Die bisher kollegial organisierte Bischofskirche sollte nach den Vorstellungen der Kirchenreformer zu einer hierarchisch auf Rom ausgerichteten Papstkirche werden. Entscheidende Schritte waren dabei eine neue Vorstellung vom päpstlichen Amt und ein
Grundlagen des Papsttums
bisher unbekannter Wille der Päpste, die Gesamtkirche aktiv zu leiten. Entscheidend waren dafür Erfahrungen und Prägungen, die die neuen Päpste aus ihrem alten Bistum nach Rom mitbrachten. Sie universalisierten das Papsttum und drängten die römischen Bezüge zurück. Dieser fundamentale Wandel hatte dem neuen päpstlichen Anspruch nach Auswirkungen auf alle Kirchen der Christenheit.
Das Papsttum entstand als Institution nicht erst im 11. Jahrhundert. Doch ist unverkennbar, dass das 11. Jahrhundert eine herausragende Epoche in der Geschichte des Papsttums war, in dem der Bischof von Rom – zumindest seinem Anspruch nach – endgültig zum aktiven Leiter der Gesamtkirche aufstieg. Diesen Vorrang führten die Päpste vor allem auf eine Bibelstelle aus dem Matthäusevangelium, Mtth. 16,18, zurück, in der Christus zu Petrus sagt: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen.“ Das Bibelwort wurde so interpretiert, dass Petrus der Grund der Kirche ist. Der Kirchenvater Ambrosius brachte das auf die griffige Formel ubi Petrus, ibi ecclesia, wo Petrus ist, da ist Kirche. Das konnte jedoch auch so gedeutet werden, dass dort, wo Petrus nicht ist, keine Kirche sei. Im Sinne der Päpste bedeutete dies, dass es Kirche und deren Theologie nur mit der Zustimmung Petri geben konnte, dessen Stellvertreter der Papst war. Daher führte er den Titel eines vicarius Petri, eines Stellvertreters Petri. In dieser Stellvertreterfunktion übte er die Petrus übertragene Binde- und Lösegewalt aus, die auf dem Christuswort in Mtth. 16,19 fußt: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Gemeint war damit die Kraft, Sünden vergeben zu können. Doch die Grenzen der Binde- und Lösegewalt sollte in der päpstlichen Interpretation des 11. Jahrhunderts, namentlich durch Gregor VII., erheblich verschoben werden. Mit ihrer Hilfe meinte Gregor VII. schließlich, alles auf Erden binden und lösen, ja sogar Könige einund absetzen zu können.
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII.
Dies waren die beiden Fundamente, auf denen die päpstliche Gewalt aufruhte: die Binde- und Lösegewalt sowie der Grundsatz, dass die Kirche auf dem Fels (lat. petra = Fels) Petrus errichtet worden war. Dass der Papst eine Fürsorgepflicht gegenüber allen Christen hatte, kam nach päpstlichem Selbstverständnis ebenfalls in einem Christuswort an Petrus zum Ausdruck. In Joh. 21,15–17 fragt Jesus seinen Jünger Petrus dreimal: „Simon, Sohn des Johannes, hast Du mich lieb?“ Dreimal bejaht Petrus dies, und dreimal antwortet ihm Jesus daraufhin: „Weide meine Schafe!“ Dieser Auftrag an Petrus als Hirte der Schafe wurde als eine Fürsorgepflicht des Papstes für die gesamte Christenheit interpretiert. Doch die Päpste konnten für ihre herausgehobene Stellung auch nicht biblische Argumente ins Feld führen wie beispielsweise die römische Doppelapostolizität. Dass eine Kirchengemeinde von einem Apostel gegründet wurde, gilt nicht nur für Rom. Und einige Kirchen konnten zudem von sich behaupten, dass sie nicht nur von einem Apostel gegründet worden waren, sondern dass sie zudem über die Gebeine des Apostels als Reliquien verfügten. Das galt ab dem 4. Jahrhundert für die fünf Patriarchate Jerusalem, Antiochia, Alexandria, Rom und bedingt für Konstantinopel. Innerhalb dieser Pentarchie kam Rom rasch eine Vorrangstellung zu, die Kaiser Justinian (p 565) festschrieb. Denn keines der Patriarchate konnte von sich behaupten, dass es über die Gebeine zweier Apostel verfügte, was man für Rom annahm. Dort war der Tradition gemäß nicht nur Petrus gekreuzigt, sondern auch Paulus enthauptet worden. Über deren Begräbnisstätten sind nach mittelalterlicher Vorstellung die Basiliken von St. Peter im Vatikan und von St. Paul vor den Mauern errichtet worden. Auch aus diesem Grund kam dem Papst innerhalb der fünf genannten Patriarchate ein Ehrenvorrang zu. Damit sind sehr grob die Grundlagen skizziert, auf denen die Päpste ihren Lehr- und Jurisdiktionsprimat argumentativ aufbauten. Zur Geltung konnte der päpstliche Primat jedoch nur kommen, wenn das Papsttum mit den anderen Kirchen der Christenheit in Verbindung trat. Zwar war das Christentum seit den maßgeblichen ökumenischen Konzilien der Spätantike in seinen groben Zügen ausgeformt. Doch historische Veränderungen erforderten immer wieder Aktualisierungen und neue Probleme mussten geregelt werden. Dabei wurde oftmals aufgrund des ihm zugebilligten Ehrenvorrangs der Bischof von Rom um eine Rechtsauskunft gebeten, ohne dass diese in allen Fällen stets als bindend angesehen wurde (zumindest bei einem ungünstigen Bescheid bei denen, die die Rechtsauskunft erbeten hatten). Durch diese Rechtsauskünfte standen die Päpste in Kontakt mit der Gesamtkirche, selbst im sogenannten saeculum obscurum, dem dunklen Zeitalter, wie der bedeutende Geschichtsschreiber Kardinal Caesare Baronio (p 1607) das 10. Jahrhundert aufgrund seiner Quellenarmut und seines für das Papsttum wenig schmeichelhaften Charakters nannte. Auch in diesem Zeitabschnitt war das Papsttum in
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III.
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII.
Kontakt mit den unterschiedlichen Kirchen der Christenheit – jedoch reagierend und nicht aktiv.
1. Das römische Adelspapsttum bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts
saeculum obscurum
Diese Passivität betraf die gesamte Christianitas jenseits der direkten Interessenssphäre der Päpste, also Roms und seines Umlands, wo die Päpste nicht zuletzt ihre Rolle als weltliche Herrscher wahrnahmen. Das gilt selbst für so umstrittene Päpste wie den 964 auf der Jagd verstorbenen Papst Johannes XII., über den böse Zungen sagten, er habe mehr Frauen als Kirchen besucht. Zumindest in Rom war dieser Papst aktiv gewesen. Die Kommunikation der Päpste mit der übrigen Christenheit war zum Großteil das Antworten auf Anfragen, was wiederum eine (An-)Frage voraussetzte. Kirchen, die keine Anfragen an Rom herantrugen, traten mit Rom auch nicht in Kontakt, da der Papst von sich aus nicht an sie schrieb, von sich aus nicht zu ihnen reiste, von sich aus keine Legaten zu ihnen entsandte und die Bischöfe und Äbte der Christenheit so gut wie nie von sich aus nach Rom einlud. Die eigentliche Wirkung des Papsttums blieb daher auf dessen eigene Interessenssphäre beschränkt: Rom und der engere mittelitalienische Bereich. Die Kirchen der Christenheit kamen ohne den steten Kontakt zu Rom aus, was auch erklärt, wieso es so wenig Widerstand gegen römische Ansprüche gab: Sie wurden zu Teilen schlicht ignoriert, da sie in der Lebenswirklichkeit vor Ort keine oder eine nur sehr geringe Auswirkung hatten. Zudem waren die bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts eingesetzten Päpste keinesfalls über alle Zweifel erhaben. Die seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts aus der Familie der Tuskulaner stammenden Päpste sind nicht mit Johannes XII. zu vergleichen, doch sie waren keineswegs makellos. So soll der Tuskulanerpapst Benedikt IX. am 21. Oktober 1032 im zarten Alter von 18 Jahren die Kathedra Petri bestiegen haben, mithin in einem Alter, in dem er die Bischofsweihen noch gar nicht hätte empfangen dürfen. Und auch der zunächst von den Reformern geschätzte Gregor VI. fiel schließlich der durch die Reformer vorangetriebenen strengen Auslegung des Kirchenrechtes zum Opfer, als man ihn der Simonie beschuldigte. Kurzum, es gab in der Phase vor 1046 zwar Ansatzpunkte zur Kritik an Rom, doch da sich die Päpste passiv verhielten, war die Gesamtkirche davon wenig tangiert. Kurz vor der Jahrtausendwende konnte Gerbert von Aurillac, der dann später ironischerweise selbst Papst wurde, über den in Rom residierenden Papst schwadronieren, dass dort kein Heiliger auf der Kathedra Petri sitze, sondern ein Monster. All diese Geschichten haben Caesare Baronio darin bestärkt, dem 10. Jahrhundert das Signum des saeculum obscurum zu verleihen – nicht nur aufgrund der Quellenarmut,
1. Das römische Adelspapsttum bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts
sondern auch weil sich das Papsttum selbst in einer dunklen Phase seiner Geschichte befand. Und dennoch ist ein bemerkenswerter Fund zu konstatieren: Obwohl sich das Ansehen der Päpste in dieser Phase an einem Tiefpunkt befand, war man sich in Rom selbst in diesen dunklen Phasen der Vorrechte der römischen Kirche bewusst. Man tradierte sie in Rechtssammlungen und wusste um die Vorrechte des römischen Bischofs. So stürmisch die Zeiten auch waren, dieses Wissen bewahrte man in Rom – und es war im Zweifelsfall immer abrufbereit, um argumentativ auftrumpfen oder sich gegen Angriffe erwehren zu können. Und ebenso erstaunlich bleibt es, dass Empfänger in Spanien, England, dem Reich oder Frankreich selbst von den umstrittensten Päpsten wie Johannes XII. Urkunden haben wollten. Das hing wohl weniger mit der Kenntnis um die charakterliche Eignung des jeweiligen Inhabers der Kathedra Petri zusammen, als vielmehr mit der Vorstellung vom Ehrenvorrang Roms als Institution, als der Stätte des Apostelfürsten Petrus. Von dort ging die Kirche nach ihrem Verständnis aus. Und so ist es gut denkbar, dass Urkundenpetenten teilweise weniger an einem konkreten Rechtsinhalt interessiert waren, sondern sich mit der Urkunde des Stellvertreters Petri vielmehr ein Stück Heiligkeit nach Hause holen wollten. Die Urkunde wäre dann weniger ein Recht setzendes Dokument, als vielmehr ein Schriftstück aus dem Zentralort der Christenheit, ein Stück authentisches Rom, ein Stück Heiligkeit. In der Karolingerzeit erbat man Bücher aus Rom, die für die Empfänger einen reliquienähnlichen Charakter besaßen, da sie aus dem Ort höchster christlicher Authentizität kamen. Dieser Nimbus Roms, diese heilsgeschichtlichen Vorstellungen von Rom blieben auch in den dunklen Zeiten der Päpste erhalten, da sie unabhängig von der konkreten Person des Papstes funktionierten. Das galt ebenso für die Zeit der Tuskulanerpäpste, in der jedoch weniger Personen an die Päpste herantraten als noch in der karolingischen Hochphase. Die Tuskulanerpäpste blieben reaktiv und waren wenig mit der Gesamtkirche vernetzt. Dass sie so wenig von sich aus mit der restlichen Christenheit in Kontakt traten, mithin so wenig Interesse an der außeritalienischen Situation hatten, lag zu erheblichem Teil an ihrer Herkunft. Sie stammten alle aus adeligen römischen Familien, im Falle der Tuskulanerpäpste bis zu Gregor VI. aus der Familie der Tuskulaner. Als Päpste blieben sie natürlich Mitglieder der dortigen Familien und diese Familien bestimmten maßgeblich die Interessen der jeweiligen Päpste. Sie handelten nicht nur als Papst, der für die Gesamtkirche verantwortlich ist, sondern ebenso als Tuskulaner – und die Interessen dieser Familie lagen in Mittel- und Teilen Süditaliens. Herkunft und Interessensgebiete der Adelspäpste waren somit zwei Seiten derselben Medaille.
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Kontakt zu Rom
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III.
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII.
2. Das Reformpapsttum und die papstgeschichtliche Wende Drei Päpste
Mit der Synode von Sutri vor Weihnachten 1046 begann eine neue Epoche in der Geschichte des Papsttums. Auslöser und Urheber dieser Veränderung war der salische König Heinrich III., der sich auf seinem Romzug befand, um in der Ewigen Stadt vom Papst zum Kaiser gekrönt zu werden. Seit der Kaiserkrönung Karls des Großen in Rom am Weihnachtstag des Jahres 800 erfolgte die Kaiserkrönung durch den Papst – und seit den Tagen Ottos des Großen wurden ausschließlich die römisch-deutschen Könige zum Kaiser gekrönt. In dieser Tradition brach Heinrich III. um den 8. September 1046 (Mariä Geburt) von Augsburg aus über den Brenner nach Rom auf. Im Oktober 1046 war er mit Gregor VI. in Piacenza zusammengekommen und hatte ihn mit allen Ehren als Papst behandelt. Er dachte offenbar gar nicht daran, Gregor VI. nicht als rechtmäßigen Papst anzuerkennen. Beide ließen sogar gemeinsam für sich beten, indem sie sich in Piacenza zusammen in ein Memorialbuch für eine Gebetsverbrüderung eintragen ließen. Doch die innige Gemeinsamkeit beider endete rasch. Auf dem weiteren Weg nach Rom kamen Heinrich III. offensichtlich Zweifel am Papat Gregors VI. Der zukünftige Kaiser sah sich mit der Tatsache konfrontiert, dass angezweifelt wurde, ob Gregor VI. rechtmäßig in sein Amt gekommen war. Zudem wird der Salier auf dem Weg nach Rom noch von zwei weiteren Personen gehört haben, die als Päpste angesprochen werden konnten, sodass sich die Situation immer verworrener dargestellt haben dürfte. Wer war der legitime Papst? Da war zum einen Benedikt IX. aus dem Geschlecht der Tuskulaner, der im Jahr 1032 die Kathedra Petri bestiegen hatte. Diesem stellte sich ab dem Herbst 1044 schließlich Silvester III. an die Seite, der von den Crescentiern unterstützt wurde, einer anderen in Rom einflussreichen Adelsfamilie, die mit den Tuskulanern um die Vorherrschaft in Rom rang. In dem dadurch ausgebrochenen Schisma waren die Pontifikate beider Päpste, Benedikts IX. und Silvesters III., umstritten, sodass man in Rom zur Bereinigung der Situation darauf verfiel, einen dritten, von allen Parteien akzeptierten Kandidaten zu erheben. Dieser Kandidat war Johannes Gratianus, der als Reformer galt und schließlich am 1. Mai 1045 als Gregor VI. die Kathedra Petri bestieg. Benedikt IX. war zugunsten seines Verwandten Gregors VI. zurückgetreten und hatte in diesem Zusammenhang eine nicht unerhebliche Summe Geldes erhalten. Dies wiederum machte man Gregor VI. nun zum Vorwurf: Er habe das päpstliche Amt gekauft und sei daher ein Simonist. Doch ist diese Summe vielleicht eher so zu deuten, dass sie Benedikt IX. nach seiner Resignation weiterhin ein standesgemäßes Leben ermöglichen sollte und weniger der Preis für seinen Rücktritt war. Wie dem auch sei, für den Salier Heinrich III. konnte es im Hinblick auf die Legitimität seines Kaisertums nicht förderlich sein, wenn er die Kaiserkrone aus den Händen eines Simonisten
2. Das Reformpapsttum und die papstgeschichtliche Wende
erhalten hätte und damit die Legitimität des Krönungsaktes infrage gestellt war. Das hätte die Position Heinrichs III. untergraben – und wohl aus diesen Gründen entschloss er sich zu einem weitreichenden Schritt: Er ließ alle drei Päpste, Benedikt IX., Silvester III. und Gregor VI. nach Sutri zu einer Synode vorladen, die am 20. Dezember 1046 tagte. Gregor VI. und Silvester III. wurden dort von den Synodalen abgeurteilt, wobei Gregor VI. nach späteren, gregorianisch orientierten Quellen von sich aus auf das Amt verzichtet haben und zurückgetreten sein soll. Benedikt IX. hingegen war nicht erschienen und wurde wenig später, am 23. Dezember 1046, in Rom von einer weiteren Synode abgesetzt. Silvester III. kehrte in sein altes Bistum Sabina zurück, Benedikt IX. verblieb im Schutz seiner Familie und Gregor VI. wurde in die Verbannung nach Deutschland gebracht, in die Nähe von Köln, begleitet von einem jungen Kleriker namens Hildebrand, der dann mit Papst Leo IX. nach Rom zurückkehren und schließlich 1073 als Gregor VII. selbst die Kathedra Petri besteigen sollte. Doch zurück nach Sutri und Rom: Heinrich III. hatte die Päpste zwar nicht selbst abgesetzt – das wäre kirchenrechtlich nicht möglich gewesen –, doch er hatte sicherlich genügend Druck auf die Synode ausgeübt, sodass diese die Päpste absetzte. Der überragende Einfluss Heinrichs III. auf die Situation wird an der Person des neuen Papstes deutlich. Die Erhebung eines neuen Papstes war umso notwendiger, als Heinrich III. mit der Absetzung der drei anderen Päpste der Coronator abhandengekommen war. Doch ohne Papst konnte er nicht Kaiser werden. Der Salier sorgte daher dafür, dass rasch ein neuer Papst gewählt wurde. Und der neue, unter dem Einfluss des zukünftigen Kaisers erhobene Papst stammte aus dem Umkreis Heinrichs III. Es war Bischof Suidger von Bamberg. Wie zu Zeiten Ottos III. wurde ein nordalpiner Kleriker, meist ein Bischof zum Papst erhoben. Damals waren Gregor V. (996) und Silvester II. (999) auf Betreiben Kaiser Ottos III. eingesetzt worden, doch blieb dies in der Papstgeschichte eine Episode von unter sechs Jahren, und Gregor V. konnte sich zudem in Rom ohne die Hilfe Ottos III. nicht durchsetzen. Seit der Synode von Sutri gab es hingegen eine Reihe von Päpsten, die aus dem Reich nördlich der Alpen kamen und daher die „deutschen Päpste“ genannt werden. Diese waren dort zuvor Bischöfe gewesen, bevor sie Päpste wurden, bis auf den Letzten in dieser Reihe, Stephan IX., der zwar nordalpiner Herkunft war, doch keine bischöfliche, sondern die Abtswürde von Montecassino innehatte. Die Päpste behielten ihr altes Bistum und waren damit Papst und zugleich Bischof eines anderen Bistums. Sie waren papae qui et episcopi, wie sie es selbst ausdrückten.
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III.
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII. Stichwort
Die „deutschen“ Päpste der Reformzeit Clemens II. (1046–1047) – zuvor Bf. Suidger von Bamberg Damasus II. (1048) – zuvor Bf. Poppo von Brixen Leo IX. (1049–1054) – zuvor Bf. Brun von Toul Viktor II. (1055–1057) – zuvor Bf. Gebhard von Eichstätt Stephan IX. (1057–1058) – zuvor Abt von Montecassino
Nomination durch den Kaiser
Diese Bischöfe wurden durch den maßgeblichen Einfluss Heinrichs III. zum Papst erhoben. Clemens II. war der Erste von ihnen, den Heinrich III. während seines Aufenthaltes in Rom zum Papst hatte erheben lassen. Die Forschung hat ein Nominationsrecht des Saliers mit dem unmittelbar nach der Kaiserkrönung von den Römern an ihn verliehenen Titel des Patricius Romanorum in Verbindung gebracht. Doch ist es schwer, die sich aus der Verleihung ergebenden Kompetenzen des Saliers genauer zu fassen. Für die Erhebung Clemens’ II. konnte er noch keine Rolle gespielt haben. Der Titel war seit den karolingischen Tagen an den Kaiser gekoppelt. Während Karl der Große diesen Titel geführt hatte, bevor er Kaiser geworden war, so führte Heinrich III. ihn nun nach seiner Kaiserkrönung. Vielleicht wollte der Salier damit verdeutlichen, dass er rechtlich abgesichert war, wenn er in die römischen Verhältnisse eingriff – und das meinte in der Perspektive der Reformer vor allem, wenn er in die Papstwahl eingriff. Denn daran war den Reformern zunächst sehr gelegen, da auf diese Weise Reform-Kandidaten auf die Kathedra Petri gebracht werden konnten. Zwar widersprach das Eingreifen des Kaisers in die Papstwahl den Grundsätzen der Reformer von der libertas ecclesiae sowie insbesondere einer freien und kanonischen Wahl. Und in der Rückschau distanzierten sich etliche Reformer vom Eingreifen des Kaisers im Jahr 1046 und bei den folgenden Papstwahlen. Doch zunächst waren die Reformer darauf angewiesen, dass Heinrich III. durch eine gezielte Personalpolitik den Reformen in Rom selbst zum Durchbruch verhalf. Denn nach dem Tod eines Papstes schickten die Reformer in Rom zu Lebzeiten Heinrichs III. stets eine Gesandtschaft an den Kaiser, um bei diesem um einen Kandidaten zu bitten. Heinrich III. nominierte infolgedessen einen ihm als geeignet erscheinenden Kandidaten aus seinem Umfeld. Und dieser wurde dann formal vom Klerus und dem Volk von Rom zum Papst erhoben. So ist zu erklären, dass alle Päpste zwischen 1046 und 1057 aus dem direkten Umfeld des Kaisers stammten. Die ältere Forschung sah hier ein Bemühen Heinrichs III., das Papsttum in das sogenannte ottonisch-salische Reichskirchensystem einzubauen. Ähnlich wie er die Bischöfe seines Reiches bestimmt habe, so habe er nun auch den Papst bestimmt. Die papae qui et episcopi blieben dadurch, dass sie nicht nur Papst, sondern zugleich Bischof eines Reichsbi-
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stums waren, Mitglieder der Reichskirche, hatten sich also neben der Universalkirche immer noch um ihre alte Diözese im Reich Heinrichs III. zu kümmern. Dies hat die ältere Forschung zu der These gebracht, Heinrich III. habe die andere Universalgewalt gleichsam zu einem Bischof seines Reiches gemacht. Doch diese Interpretation geht sicherlich zu weit. Zum einen ist der systemische Charakter des früher so bezeichneten ottonisch-salischen Reichskirchensystems deutlich infrage gestellt worden, und damit die Einflussmöglichkeiten des Königs beziehungsweise Kaisers auf die Besetzung der Bistümer und Abteien innerhalb der Reichskirche relativiert worden. Zum anderen scheint dies eine Fragestellung genuin des 19. Jahrhunderts zu sein. In gewisser Weise entspringt die Fragestellung, ob Heinrich III. durch die Erhebung der „deutschen Päpste“ das Papsttum beherrscht habe, der Annahme eines Ringens von regnum und sacerdotium um die Vorherrschaft – die vielleicht gar nicht den Vorstellungen der Zeitgenossen entsprach. Es ging den Zeitgenossen und Heinrich III. sicherlich weniger um die grundsätzliche Frage, ob der Kaiser über dem Papst. Heinrich III. wollte vielmehr sicherstellen, dass die Reformen in Rom weitergingen – was den Interessen der römischen Reformer entsprach. Heinrich wurde zu einem entscheidenden Akteur für die Veränderungen in Rom. Das hatte der Salier bei seinem Romzug so sicher nicht geplant, was sein guter Umgang mit Gregor VI. in Piacenza belegt. Er war nicht in die Ewige Stadt aufgebrochen, um dort den Reformen zum Durchbruch zu verhelfen. Doch als er diesen Weg beschritten hatte – nicht zuletzt zur Absicherung der Legitimität seiner Kaiserwürde durch einen makellosen Coronator –, ging er ihn weiter. Wie sehr er persönlich dabei treibende Kraft war, ist nicht eindeutig zu klären. Zu den römischen Kandidaten hatte er kein Vertrauen, sodass er Personen einsetzte, die ihm bekannt waren und die er für Reformer hielt. Das Epochemachende an dieser neuen Entwicklung war, dass die Päpste nunmehr nicht mehr wie seit Jahrhunderten aus dem römischen Klerus kamen, sondern aus ganz anderen Zusammenhängen. Das bedeutete zum einen, dass sie auch andere Interessen hatten – ihr Blick war durch ihre Herkunft weiter, reichte über die Alpen hinweg und war nicht allein auf Rom und Mittelitalien konzentriert. Die neuen Päpste brachten ihre Erfahrungen aus ihren nordalpinen Diözesen mit. Sie waren nicht mit der römischen Situation vertraut, sondern mit der Organisation und Gestaltung eines Bischofsamtes im Reich Heinrichs III. Sie importierten etwa die Formen der Konfliktaustragung aus ihren alten Diözesen. Nicht nur das war eine Prägung von nördlich der Alpen. Auch das Bild vom Papsttum, das diese Päpste bei ihrem Pontifikatsbeginn hatten, war nördlich der Alpen entstanden. Sie wurden mit einer Außenperspektive auf das päpstliche Amt nun selbst Inhaber dieses Amtes – und formten es gemäß dieser ursprünglichen Außenansicht. Das Papsttum veränderte sich dadurch. Zum anderen bedeutete es für die Situation in Rom
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Päpste als Fremde in Rom
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III.
Neues Bild des Papsttums
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selbst, dass eine jahrhundertelange Tradition abbrach. Die neuen Päpste waren Fremde in der Ewigen Stadt, mit aus der Perspektive der Römer bisweilen fremden Interessen. Diese von außerhalb kommenden Päpste waren nicht in die römischen Netzwerke eingebunden, sie mussten sich neue Verbündete suchen, um sich in Rom durchsetzen zu können. Das alte Adelspapsttum konnte Rom gerade aufgrund seiner engen Verbindung zu den führenden städtischen Schichten beherrschen, konnte auf eigene Verwandte zurückgreifen, um Widerstände in Rom und dessen Umgebung zu beseitigen. Und das meint nicht nur in politischer Hinsicht, sondern durchaus ebenso in kirchlicher, wenn der Papst gegen aufsässige Bischöfe vorgehen musste. Der Kaiser wirkte hier als Schutzmacht für die nordalpinen Päpste und seit dem Ausgleich Heinrichs III. mit Gottfried dem Bärtigen, dem Herzog von Tuszien, auch dieser. Dieser Schutz von außen war notwendig, denn die neuen Päpste wurden in Rom nicht nur mit offenen Armen begrüßt. Aus der Perspektive der Römer waren diese Veränderungen ein eklatanter Bruch mit der Tradition. Es waren Neuerungen, die Heinrich III. und seine Reformer eingeführt hatten, welche dem gewohnten Prozedere widersprachen, weshalb die frühen Reformpäpste immer wieder angefeindet wurden. So konnte Damasus II. nur mit militärischer Hilfe in Rom einziehen, Leo IX. musste sich militärisch gegen Gegner durchsetzen. Und nicht zuletzt mussten immer wieder nicht unerhebliche Geldmittel bereitgestellt werden, um die Römer zufriedenzustellen. Die ältere Forschung dachte, dass diese vermutete Finanznot, die reale Bedrohung in Rom sowie ein bewusster Einbau des Papsttums in das sogenannte Reichskirchensystem ausschlaggebend dafür gewesen seien, dass die frühen Reformpäpste ihr altes Bistum behielten. In diesen drei Punkten sah sie die Ursachen für die Entstehung der papae qui et episcopi. Es ist vor allem den Studien von Werner Goez zu verdanken, dass die Forschung heute weniger extrinsische Motive als ausschlaggebend ansieht, sondern vielmehr intrinsische. Nicht äußere Bedrohungen und Einflüsse, sondern ein Blick auf das Papsttum selbst in Kombination mit einer gesteigerten kanonistischen Sensibilität waren dafür verantwortlich, dass die frühen Reformpäpste ihre alten Kirchen nicht verließen, sondern deren Hirten blieben. Auf der einen Seite wurde die Verbindung eines Bischofs mit seinem Bistum verstärkt wie eine unauflösliche Ehe betrachtet, sodass ein einmal ins Amt gekommener Bischof sein Bistum nicht mehr verlassen konnte. Von Clemens II. sind Schreiben an sein altes Bistum Bamberg erhalten, in denen er sich um Bamberg sorgt und es als seine sponsa dulcissima anspricht, seine süßeste Braut. Die Ehe galt als Sakrament, sodass der sponsus (Bräutigam, i.e. der Bischof) seine sponsa (Braut, i.e. sein Bistum) nicht verlassen konnte. Dieses enge Band von Bischof und Bistum wurde zudem durch das kirchenrechtliche Translationsverbot gefestigt, das es einem Bischof untersagte, von einem Bistum in ein anderes zu wechseln. Nicht zuletzt aufgrund der schaurigen Leichensynode im Jahr 897, die über den
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transferierten Papst Formosus nach dessen Tod zu Gericht saß, war das Translationsverbot den Bischöfen präsent. Aus diesem Grund scheinen die frühen Reformpäpste an ihrem alten Bistum festgehalten zu haben. Legt man dieses Bild von Braut und Bräutigam der Verbindung von Bischof und Bistum zugrunde, so ist auch verständlich, dass die frühen Reformpäpste eine Vorstellung vom päpstlichen Amt gehabt haben müssen, wonach der Papst nicht allein Bischof von Rom, kein normaler Bischof war, die römische Kirche kein normales Bistum, da er sonst mit zwei Bräuten verbunden gewesen wäre, was durch das Kumulationsverbot untersagt war. Die Beibehaltung ihres alten Bistums und die Ausübung des Amtes als Papst war den Reformpäpsten möglich, da sie das päpstliche Amt in einem neuen Licht sahen. Diese Vorstellung lässt sich ab Paschalis II. etwa darin fassen, dass dieser auf den Urkunden als catholicae ecclesiae episcopus (Bischof der katholischen Kirche) unterschrieb und nicht als Bischof von Rom. Auch wenn diese Praxis erst zu Beginn des 12. Jahrhunderts zu fassen ist, so sind die Vorstellungen doch älter und brachen sich mit den frühen Reformpäpsten Bahn, namentlich mit Leo IX. Für diese hatte das päpstliche Amt eine derart universale Dimension, dass die regionalen Bezüge deutlich an Bedeutung verloren, ohne dass sie bis heute ganz verschwunden wären. In der Gewichtung von Verantwortung für die eigene Diözese und für die Universalkirche kam der Diözese und Kirchenprovinz Rom eine geringere Bedeutung zu. Die frühen, von nördlich der Alpen stammenden Reformpäpste prägten das Amt mit dieser Vorstellung maßgeblich, sodass auch ihre Nachfolger bis zum beginnenden 12. Jahrhundert papae qui et episcopi waren. Stichwort
Die papae qui et episcopi der Reformzeit Clemens II. (1046–1047) – zuvor Bf. Suidger von Bamberg (1040–1047) Damasus II. (1048) – zuvor Bf. Poppo von Brixen (1039–1048) Leo IX. (1049–1054) – zuvor Bf. Brun von Toul (1026/27–1050/51) Viktor II. (1055–1057) – zuvor Bf. Gebhard von Eichstätt (1042–1057) Stephan IX. (1057–1058) – zuvor Abt von Montecassino (1057–1058) Nikolaus II. (1058–1061) – zuvor Bf. Gerhard von Florenz (1045–1061) Alexander II. (1061–1073) – zuvor Bf. Anselm von Lucca (1056–1073) Gregor VII. (1073–1085) – zuvor Hildebrand, Archidiakon der röm. Kirche Clemens (III.) (1084–1100) – zuvor Ebf. Wibert von Ravenna (1073–1100) Viktor III. (1086–1087) – zuvor Abt. Desiderius von Montecassino (1058–1087) Calixt II. (1119–1224) – zuvor Ebf. Guido von Vienne (1088–1121)
Durch die Lösung des Papsttums aus dem lokalen römischen Kontext als Interessenshorizont und aus der Hand des römischen Adels konnte das Papsttum zur Universalgewalt aufsteigen. Es konnte sich zu einer Institution entwickeln, deren Blick und deren Einfluss weit über den bisherigen Horizont hinaus-
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III.
Päpstlicher Anspruch
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und dem Anspruch nach bis in den hintersten Winkel der Christenheit reichten. Beansprucht hatten das die Päpste seit den Tagen Leos des Großen (p 461). Doch was sich durch Sutri veränderte, war die gesteigerte Bereitschaft zum aktiven Eingreifen in die Gesamtkirche. Bedingt durch die Ereignisse von Sutri fand eine Öffnung des Papsttums statt, welche die Päpste stärker mit der Christenheit in Verbindung brachte, als dies zuvor der Fall war. Die Forschung hat von einer Internationalisierung des Papsttums gesprochen – zum einen durch die Kandidaten auf der Kathedra Petri selbst, zum anderen aber auch durch eine Internationalisierung der päpstlichen Umgebung, namentlich der Kardinäle, die dann vor allem Leo IX. zu einem Gremium machte, das maßgeblich von Personen geprägt wurde, die nicht aus Rom und seiner Umgebung kamen. Wenn wir vom Aufbruch des Papsttums sprechen und von einer engeren Anbindung der Kirche an die Päpste, von einer Zentralisierung der Kirche auf Rom hin, von einer Umwandlung einer Bischofskirche in eine Papstkirche, so ist zu fragen, auf welche Art und Weise den Päpsten und ihrem Umfeld dies gelang. Denn eines ist klar: Der Papst hatte keine Legionen. Er besaß keine physischen Machtmittel, um seine Vorstellungen durchzusetzen, keine Armeen, die er etwa gegen den Bischof von Santiago schicken konnte, der sich in seinen Augen den Titel apostolicus anmaßte, und er konnte keinen Bischof in Norddeutschland mithilfe von Soldaten absetzen. Die Macht des Papstes beruhte nicht auf derartigen Herrschaftsmitteln oder erheblichen Geldmengen, die er in seinem Sinne einsetzen konnte. Die Grundvoraussetzung ist vielmehr, dass die Ordnung, in welcher der Papst für sich eine Position als oberster Richter, Gesetzgeber und Heilsvermittler beansprucht, von den von diesem Anspruch betroffenen Personen akzeptiert oder in der Sprache der Religion: geglaubt wird. Nur wer den Satz ubi Petrus, ibi ecclesia akzeptiert, wird sich päpstlichen Entscheidungen unterordnen. Über die konkrete Ausgestaltung der päpstlichen Ansprüche und Kompetenzen gab es selbstverständlich immer wieder auch harte Kontroversen. Doch der Gedanke einer papstfreien Kirche ist dem Mittelalter fremd. Herrschaft – und das gilt in gewisser Weise auch für die Ausübung des päpstlichen Kirchenregiments – setzt immer auch den Willen der Beherrschten voraus, beherrscht zu werden, wie es Max Weber formulierte. Der Herrschaftsanspruch muss auf eine Herrschaftsakzeptanz treffen, damit er Wirkung entfalten kann. Doch wo und wie trafen die Ortskirchen des 11. Jahrhunderts auf den gewandelten Herrschaftsanspruch des Reformpapsttums? Unter welchen Bedingungen kam es zu Situationen, in denen sie den Herrschaftsanspruch akzeptieren mussten? Die Wandlungen in Rom wären für die Kirche in Santiago kein Problem gewesen, wenn das Papsttum wie unter den Tuskulanerpäpsten relativ passiv geblieben wäre. Doch das änderte sich spätestens mit Leo IX., der nicht nur regelmäßig die Bischöfe der Christenheit nach Rom einlud, sondern auch selbst durch seine Reisen zu den Kirchen kam. Mit ihm beginnt die zweite
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Phase der frühen Reformpäpste, in der sie die Zügel des Kirchenregiments für die Gesamtkirche immer straffer zogen.
3. Leo IX. – die Universalkirche als Diözese Mit Leo IX. vollzog sich ein neuer Aufbruch in Rom. Das war schon den Zeitgenossen klar. Desiderius von Montecassino hatte in seinen wohl zwischen 1076 und 1079 entstandenen Dialogi de miraculis sancti Benedicti, in einem Gespräch zwischen Theophilus und dem Diakon Albericus über die durch den Heiligen Benedikt gewirkten Wunder berichtet. Dabei kommen die Gesprächspartner auf Leo IX. zu sprechen, zu dem Desiderius ausführt, dass mit diesem eine nova lux in die Welt gekommen sei. Leo IX. habe die gesamte Kirche erneuert und wiederhergestellt (renovata ac restaurata). Und in der Tat hatte Leo IX. das Gesicht und die Struktur der Kirche, vor allem die Form der Kirchenleitung durch den Papst dauerhaft verändert. Er leitete die Umwandlung von der Bischofs- in die Papstkirche maßgeblich ein und legte damit den Grundstock für die weitere Entwicklung, in der der Papst schließlich im Pontifikat Bonifaz’ VIII. (1294–1303) mit der Kirche gleichgesetzt werden sollte. Das begann bereits mit der gewandelten Kommunikation zwischen Papst und Ortskirchen. Hier ist an erster Stelle ein steiler Anstieg der Kommunikationsintensität zwischen Rom und den Einzelkirchen zu nennen. Am fassbarsten wird das für uns in der Anzahl der ausgestellten Urkunden. Aus den 150 Jahren vor der epochemachenden Synode von Sutri im Jahr 1046 sind insgesamt 630 Urkunden in ihrem Text überliefert. Zieht man von dieser Zahl noch die Fälschungen ab, so bleiben ca. 580 Stück übrig. In den eineinhalb Jahrhunderten vor Sutri sind damit im Durchschnitt pro Jahrzehnt weniger als 40 Urkunden überliefert. Man sollte diese Zahl nicht zu stark belasten, doch sie verdeutlicht die enorme Veränderung, die sich in der darauffolgenden Epoche vollzog. Am Ende des 12. Jahrhunderts stellte die päpstliche Kanzlei über 4000 Stücke in einem Jahrzehnt aus. Diese Urkundendichte belegt die enorme Intensivierung der Kommunikation zwischen 1046 und dem Ende des 12. Jahrhunderts. Vergegenwärtigt man sich, dass fast jede Urkunde im Grunde ein erfüllter Empfängerwusch ist, da die zukünftigen Empfänger zunächst als Petenten an den Papst mit einem Anliegen herantraten, so veranschaulicht die rasant gestiegene Zahl der Urkunden, welche Bedeutung das Papsttum für die Empfänger und ihre Lebenswirklichkeit vor Ort inzwischen gewonnen hatte. Sie hielten es in deutlich höherem Maße für notwendig, Urkunden vom Papst zu erhalten, als dies vor der papstgeschichtlichen Wende der Fall war. Doch die Päpste standen nun nicht nur in einem intensiveren Kontakt zu den Ortskirchen, sondern sie machten auch durch die Veränderung der päpstlichen Dokumente deutlich, dass sich Rom gewandelt hatte. Die päpstlichen
Kommunikation
Urkunden
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III.
Reskripttechnik
Synoden
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Urkunden, die zuvor aus Papyrus hergestellt worden waren, wurden nun auf Pergament geschrieben. In gewisser Weise kann man hier eine Anlehnung an die königlich-kaiserliche Tradition sehen, doch ist ebenso festzustellen, dass die Päpste nun ihre Urkunden auf demselben Beschreibstoff ausstellten wie der Rest Europas. Es war im Grunde keine besondere Innovation, sondern eine Anpassung an die Gegebenheiten, zumal die Papyrusherstellung sich als schwierig erwies. Der Wechsel kann nicht genuin mit dem Reformpapsttum in Verbindung gebracht werden, da die erste überlieferte päpstliche Pergamenturkunde bereits auf das Jahr 967 datiert und seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts immer mehr Papsturkunden auf Pergament ausgefertigt wurden, bis 1057 schließlich die letzte Papyrusurkunde ausgestellt wurde. Deutlich aussagekräftiger als der Wechsel des Beschreibstoffes ist jedoch die radikale Neugestaltung der Papsturkunden, vor allem der Privilegien namentlich seit Leo IX. Die Privilegien wurden nun mit einem Monogramm ausgestattet, wie man es bis zu diesem Zeitpunkt von den Herrscherurkunden kannte. Unter Leo IX. wurde ein sogenanntes Rekognitionskomma eingeführt sowie die Rota, die auch unter den Nachfolgern ein fester Bestandteil der sich dann zum feierlichen Privileg entwickelnden Urkundenart war. Damit wurde für jeden Empfänger anhand des päpstlichen Schreibens unabhängig vom konkreten Inhalt oder einem persönlichen Kontakt mit dem Papst oder Personen aus seinem Umkreis deutlich, dass sich das Papsttum verändert hatte und neue Wege beschritt. Mit diesen anders gestalteten Urkunden transportierten die Päpste ihre Vorstellungen in die Gesamtkirche hinein, ebenso mithilfe der von ihnen erteilten Rechtsauskünfte. Da diese eine Reaktion auf Anfragen sind, wird diese Technik als Reskripttechnik bezeichnet. Derartige Rechtsauskünfte wurden zwar aufgrund des Ehrenvorrangs Roms schon lange von den römischen Bischöfen erbeten. Doch die Reformpäpste stellten zum einen aufgrund der gestiegenen Kommunikationsdichte mehr dieser Reskripte aus und zum anderen ließen sie diese Reskripte systematisch sammeln und auswerten. Die von den Päpsten versandten Reskripte werden in der Kanonistik als Dekretalen bezeichnet. Auch die Zunahme dieser Dekretalen verweist auf die gestiegene Bedeutung des Papsttums. Ein weiteres wichtiges Instrument, mit dessen Hilfe die Päpste die Kirche zunehmend auf Rom ausrichteten, waren ohne Frage die nun regelmäßig stattfindenden römischen Synoden. Seit den Tagen der alten Kirche kamen Bischöfe und Prälaten auf Synoden zusammen, um Fragen der Kirche zu beraten oder um Gericht zu halten. Auch die vorherigen Bischöfe von Rom beriefen derartige Synoden nach Rom ein, wie jeder Erzbischof, der die Bischöfe seiner Kirchenprovinz zu einer Provinzialsynode zusammenrief. Doch der römische Bischof lud nicht nur den Episkopat seiner eigenen Kirchenprovinz nach Rom, sondern er berief auch Bischöfe aus dem Reich, aus Frankreich oder Spa-
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nien nach Rom. Das Einzugsgebiet der römischen Synoden war daher grundsätzlich die gesamte Christenheit. Und so verstand der Papst die von ihm einberufenen Synoden auch als grundsätzlich für die gesamte Christenheit geltend. Dazu sah sich der Papst in der Lage, da er zum einen der Nachfolger Petri war und somit der Grund der gesamten Kirche. Zum anderen war er aber auch der Nachfolger Pauli, der die Heiden missioniert hatte und somit zum Lehrer der Völker geworden war, zum doctor gentium. Der Papst artikulierte daher den Anspruch, dass jede Synode, der er vorsaß, grundsätzlich für die gesamte Christenheit Bedeutung hatte. Mit den Reformpäpsten fanden diese Synoden regemäßig statt und wurden von immer mehr Bischöfen besucht. Leo IX. hielt als erster Papst zweimal im Jahr eine Synode in Rom ab, eine Frühjahrs- und eine Herbstsynode. Er forderte unterschiedliche Bischöfe des Reiches immer wieder auf, nach Rom zu kommen, sodass mit der Zeit tatsächlich etliche der Bischöfe in Rom auf einer Synode waren. Und umgekehrt waren die Reformpäpste der Auffassung, dass die Beschlüsse aller Synoden, die von ihnen geleitet wurden, für die gesamte Christenheit Gültigkeit besaßen. Diese Überzeugung fußte zwar auf den pseudoisidorischen Fälschungen, die nach dem ersten Drittel des 9. Jahrhunderts im karolingischen Kloster Corbie entstanden waren. Doch die Zeitgenossen nahmen sie nicht als Fälschung wahr, sodass sie diesen päpstlichen Anspruch nicht grundsätzlich infrage stellten. Auch den Synoden kam daher eine universalisierende Wirkung zu, die die Kirche stärker auf den Papst ausrichtete. Die Überwindung des Raumes und der persönliche Kontakt sind in der Vormoderne ohne Frage von wesentlicher Bedeutung für die Belastbarkeit von persönlichen Beziehungen. Dabei konnten nicht nur Bischöfe im Rahmen einer Synode zum Papst reisen, sondern umgekehrt auch der Papst zu den Bischöfen. Leo IX. war zwar nicht der erste Papst, der über die Alpen zog. Vor Leo IX. reiste zuletzt Benedikt VIII. über die Alpen, als er im Jahr 1020 mit Kaiser Heinrich II. in Bamberg zusammentraf. Doch unter Leo IX. gewann diese Reisetätigkeit eine neue Qualität. Er zog mehrfach über die Alpen und war nur einen Bruchteil seines Pontifikates in Rom anwesend. Man hat ihn als den reisefreudigsten der mittelalterlichen Päpste bezeichnet. Durch diese Reisen kam Rom in der Gestalt des Papstes zu den Ortskirchen – und er brachte dabei seine Vorstellungen vom päpstlichen Amt zu den Ortskirchen. Das wird beispielsweise auf der Reimser Synode deutlich, die er im Oktober 1049 mit Teilen des französischen Episkopats abhielt. Leo IX. feierte mit den Bischöfen nicht nur die Messe, sondern befragte jeden der Bischöfe einzeln nach ihrem Lebenswandel. Das Anliegen der Reformer – eine reine Kirche herzustellen – und das Gewicht des päpstlichen Amtes waren so miteinander verbunden. Die Anliegen der Reformer zu missachten, bedeutete somit das päpstliche Amt zu missachten – und umgekehrt. Beide Stränge waren miteinander verknüpft und stärkten sich gegenseitig. Die Person des Papstes vor Ort entfaltete damit für die Reformanliegen eine enorme Durch-
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Papstreisen
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III.
Rom vor Ort
Reisen als Visitation
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schlagskraft, die der Papst zur Ausweitung der Autorität seines Amtes nutzte. So ließ Leo IX. zu Beginn der Reimser Synode von 1049 den Bischof von Santiago wissen, dass sich allein der Papst als episcopus apostolicus bezeichnen könne. Am Ende der Synode wurde der Bischof von Santiago de Compostela abgesetzt, weil er sich diesen Titel nach päpstlicher Auffassung angemaßt hatte. Das war etwas Neues – denn die Tuskulanerpäpste hätten sich höchstwahrscheinlich für den Titel des Bischofs von Santiago gar nicht interessiert, geschweige denn einen direkten Handlungsbedarf gesehen. Leo IX. bemühte sich darum, überall dort, wo er war, eine Kirche nach seinen Vorstellungen zu schaffen. Zu seiner Frankreichreise und der Synode in Reims schrieb er in einem Brief an die französischen Bischöfe, dass er nun in das Gebiet Frankreichs reise, um die heilige Religion Gottes wiederherzustellen, an anderer Stelle, um die Kirche zu ordnen, zu leiten und Fehler zu korrigieren. Er wolle die Kirche Galliens wieder aufrichten. Und das hatte direkte Konsequenzen für die Bischöfe der gallischen Kirche. Denn nun waren die Reformen und ihre Ansprüche in der Person des Papstes zu den französischen Bischöfen vor Ort gekommen. Die Möglichkeiten, den Kontakt mit Rom zu vermeiden, waren durch das Agieren der Reformpäpste geringer geworden. Rom war nicht zuletzt durch die Reisen der frühen Reformpäpste präsenter. So wurden die Bischöfe nicht nur allgemein gefragt, ob sie sich als Simonisten schuldig gemacht hätten, sondern schwierige Kandidaten wurden zu einem Vieraugengespräch mit dem Papst gebeten, mussten sich in einem colloquium privatum vor dem Papst rechtfertigen – und nicht alle behielten danach ihr Amt. Doch warum und mit welchem Selbstverständnis führte Leo IX. diese Reisen durch? Der Schlüssel zum Verständnis liegt wohl in den Erfahrungen, die Leo IX. in seiner eigenen Diözese Toul gesammelt hatte, in dem dort eingeübten Verhalten eines Bischofs, das Leo IX. auf die Gesamtkirche übertrug. So wie er zuvor seine Diözese Toul verwaltet hatte, so leitete er nun die Gesamtkirche als die Diözese des episcopus catholicus. Diese Vorstellung Leos IX. kann man deutlich an dessen Verständnis seiner Reisen ablesen. Er beschreibt sie selbst so: aliquas ecclesias … visitavi („ich habe einige Kirchen besucht / visitiert“). Visitare meint in diesem Zusammenhang die Umsetzung einer Visitation, zu der jeder Bischof der lateinischen Christenheit einmal im Jahr in seiner eigenen Diözese verpflichtet war. Diese Pflicht ist seit dem 6. Jahrhundert kontinuierlich in der kanonistischen Literatur zu finden. Sie findet sich auch in dem zwischen 1008 und 1014 abgefassten Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Das Dekret Burchards kann – zumindest im Reich – als das kanonistische Standardwerk bis weit über die Mitte des 11. Jahrhunderts hinaus gelten. Wer wissen wollte, wie sich ein Bischof zu verhalten hatte, wer die kanonische Richtschnur in einer Frage suchte, der sah im Dekret Burchards nach. Diese Visitationspflicht dürfte einer der entscheidenden Gründe für die Reisen Leos IX. gewesen sein. So wie der Bischof für seine Diözese verantwortlich war
3. Leo IX. – die Universalkirche als Diözese
und in ihr seine Fürsorgepflichten wahrnehmen musste, so handelte Leo IX. der Gesamtkirche gegenüber. Sowohl Leo IX. als auch seinen Nachfolgern war klar, dass sie bei Weitem nicht in alle Teile der Christenheit selbst reisen konnten, um die Reformen voranzubringen. Daher nutzen sie ein Instrument intensiver, das zwar bereits zuvor vorhanden war, jedoch vor 1046 wesentlich seltener von den Päpsten eingesetzt worden war und wenn, dann vor allem reaktiv. Sie schickten Stellvertreter in die unterschiedlichen Regionen Europas, die dort mit papstgleicher Vollmacht handeln und die Reformen vorantreiben sollten, die sogenannten Legaten. Auch dieses Instrument gab es in den Diözesen, und dass es nun verstärkt eingesetzt wurde, könnte in der Tat mit einer neuen Interpretation des Legateninstituts aus der Perspektive des Diözesanbischofs zu erklären sein. Bei wichtigen Aufgaben suchten die Päpste hierfür in der Regel Kardinäle aus, die als Kardinallegaten bezeichnet werden. Der Kardinalat entwickelte sich mit der Ausrichtung der Gesamtkirche auf Rom als das entscheidende Gremium für die Reformen. Die Kardinäle waren die engsten Mitarbeiter des Papstes, die ihn berieten und mit ihm wichtige Fragen (causae maiores) gemeinsam entschieden – auch wenn die Quellen aufgrund ihrer papstzentrierten Darstellung in der Regel allein den Papst als Handelnden erscheinen lassen. Nicht zuletzt aufgrund der häufigen Formulierung der Päpste selbst, dass sie Entscheidungen nach gemeinsamer Beratung mit den Kardinälen getroffen hätten (de fratrum nostrorum consilio), sind die Kardinäle in der Forschung als der Senat des Papstes bezeichnet worden. Und wie die Päpste nach Sutri nicht mehr der römischen Kirche entstammten, so wurden auch die Kardinalbistümer nicht mehr mit Klerikern dieser suburbikarischen Bistümer, sondern mit Vertrauten der Päpste besetzt, die teilweise ebenso aus weit entfernten Regionen stammten wie die Päpste selbst. In der Zeit von Leo IX. bis zu Gregor VII. findet sich ein einziger Römer unter den erhobenen Kardinalbischöfen. Dies war ein deutliches Zeichen der umfassenden Wandlungen des Papsttums und des mit ihm immer enger verbundenen Kardinalates. Rom war ab dem ausgehenden 11. Jahrhundert nicht mehr allein der Papst, sondern immer der Papst und das Kardinalskollegium. Sie wirkten nicht nur als die Berater des Papstes, sondern wurden ebenso mit entscheidenden Aufgaben betraut. So schickte der Papst bei heiklen Angelegenheiten in der Regel einen Kardinal, um diese vor Ort zu erledigen. Die Ausstellung von Urkunden, die Erteilung von Rechtsauskünften, die Einberufung von Synoden, die Entsendung von Legaten – all diese Instrumente waren im Grunde bereits lange vor den Reformpäpsten bekannt. Doch das Neue der Entwicklung war, dass die Reformpäpste diese Instrumente nun aktiv nutzten. Sie führte schließlich bis zu Gregor VII., dessen Verständnis vom Papsttum bei Weitem nicht alle Zeitgenossen zustimmten und der die Sache der Reformer fast bis an den Abgrund geführt hatte. Doch davon war
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Legaten
Kardinäle
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III.
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII.
die Entwicklung bei Leo IX. noch weit entfernt. Eine neue Stufe der Herausbildung eines selbstständigen und immer stärker von den Einwirkungsmöglichkeiten der weltlichen Seite abgeschirmten Papsttums sollte dann der Pontifikat Nikolaus’ II. bilden.
4. Nikolaus II. und das Papstwahldekret – Ursachen und Folgen Die weitere Emanzipation des Papsttums aus seinen lokalen Kontexten und aus der Einflusssphäre des römisch-deutschen Königs beziehungsweise Kaisers geschah aus der Not heraus, welche die Reformer in eine Tugend in ihrem Sinne umwandelten. Heinrich III. war am 5. Oktober 1056 in Bodfeld verstorben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er als Patricius Romanorum die entsprechenden Papstkandidaten nominiert. Die Wahl des Papstes war bis dahin an den Vorschlag beziehungsweise die Zustimmung des Kaiserhofes gebunden gewesen. Doch mit dem Tod des Kaisers war zunächst ein Vakuum entstanden, nicht allein für das Reich, sondern ebenso für die Päpste. Nach dem Tod Papst Viktors II. am 28. Juli 1057 war im August desselben Jahres mit Stephan IX. noch ein reformkonformer Papst erhoben worden, der zudem nachträglich die Zustimmung des Kaiserhofes gefunden hatte. Als Stephan IX. bereits nach sieben Monaten am 29. März 1058 vermutlich in Florenz verstarb, verschoben sich die Gewichte. Der Kaiser war seit eineinhalb Jahren verstorben und an dessen Stelle war eine Vormundschaftsregierung der Kaiserinwitwe Agnes für den minderjährigen Heinrich IV. getreten. In dieser Situation kehrten die Römer wieder zur alten, praeheinrizianischen Tradition der Papsterhebung zurück und vollzogen die Wahl damit wieder im völligen Einklang mit dem Kirchenrecht. Denn der Wahl war nun keine Nomination durch den Kaiser vorangestellt, sondern es war eine Wahl durch Klerus und Volk, wie sie für die Wahl eines Bischofs vom Kirchenrecht gefordert wurde. Bereits wenige Tage nach dem Tod Stephans IX. erhoben sie am 5. April 1058 Johannes, den Bischof von Velletri, zum Papst, der den Namen Benedikt X. annahm. Damit stellten sie den alten Zustand wieder her, dass das Bistum Rom von einem Römer geleitet wurde. Benedikt X. gehörte, wie schon der 1046 abgesetzte Benedikt IX. und dessen Vorgänger in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts dem Haus der Grafen von Tusculum an, den mächtigen Tuskulanern. Damit nahm man in der Perspektive der Römer den Faden wieder dort auf, wo die Entwicklung durch die Synoden von Sutri und Rom 1046 unterbrochen worden war. Die Römer setzten den Traditionsstrang fort, den Heinrich III. durch sein Eingreifen gekappt hatte. Sie wollten die in ihren Augen nicht ganz elfeinhalb Jahre dauernde Anomalie der Nomination durch den Kaiser beenden. Das bedeutet nicht per se, dass die Römer den Reformanliegen ablehnend gegen-
4. Nikolaus II. und das Papstwahldekret – Ursachen und Folgen
übergestanden hätten, doch offensichtlich wollten sie wieder einen Papst aus ihren eigenen Reihen. Die Reformer im Umfeld der Reformpäpste wollten dies jedoch nicht zulassen. Sie waren nach einer gewissen Zeit des Abwartens nicht dazu bereit, die Erhebung Benedikts X. zu akzeptieren. Namentlich die engsten Mitarbeiter der Reformpäpste, die Kardinäle wie Hildebrand, der spätere Gregor VII., Petrus Damiani oder Humbert von Silva Candida waren nicht bereit, den Pontifikat Benedikts X. als rechtmäßig anzuerkennen. Sie nahmen acht Monate nach der Erhebung Benedikts X. handstreichartig das Heft des Handelns selbst in die Hand und wählten – obwohl Benedikt X. eindeutig im Einklang mit den Normen des Kirchenrechts erhoben worden war – am 6. Dezember 1058 den Bischof von Florenz, Gerhard, zum neuen Papst. Es ist nicht eindeutig zu klären, warum diese Gruppe mit der Wahl Gerhards so lange wartete. Vielleicht waren sie von der Wahl Benedikts X. überrumpelt worden, sahen aber aufgrund der kanonisch korrekten Erhebung des Tuskulaners zunächst keine Möglichkeit, die Wahl anzufechten. Und wie das Beispiel Gregors VI. gezeigt hatte, dem Hildebrand ins Exil gefolgt war, musste den Reformern nicht jeder Römer automatisch als reformfeindlich erscheinen. Die Wertungen der Wahl und des Kandidaten lassen sich erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand fassen, wenn Petrus Damiani beispielsweise mehrere Wochen nach der Wahl in einem Brief davon berichtet, dass diese nachts vollzogen worden sei, unter Einsatz erheblicher Geldmittel, die an die Bevölkerung verteilt worden seien, begleitet von der Androhung militärischer Gewalt. Die gesamte Erhebung wertete Petrus Damiani als ein Verbrechen. Unabhängig davon, welchen Quellenwert man diesen Äußerungen des Kardinals zuweisen will, ist festzuhalten, dass die Reformer nicht unmittelbar nach der Inthronisation Benedikts X. zur Erhebung eines anderen Kandidaten schritten, sondern erst acht Monate später in Siena. Das könnte darauf hindeuten, dass weder der Kandidat so ungeeignet war, wie spätere reformerfreundliche Quellen uns glauben machen möchten, noch dass die Umstände der Erhebung den Pontifikat Benedikts X. in der Wahrnehmung der Zeitgenossen grundsätzlich diskreditiert hatten. In jedem Fall ist zu vermuten, dass die Reformer sich die Wahl eines Gegenkandidaten nicht allzu leicht gemacht hatten. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Art und Weise, wie sie die Wahl Nikolaus’ II. vollzogen hatten, im Grunde unkanonisch war. Denn nicht Klerus und Volk von Rom hatten Nikolaus II. gewählt und damit zum Papst gemacht, sondern die Kardinäle. Aufgrund dieses vom kanonischen Recht nicht abgedeckten Vorgehens war die Wahl Nikolaus’ II. anfechtbar. Dieser vermochte es zudem nur mit militärischer Gewalt, sich gegen Benedikt X. durchzusetzen. Wie bei Damasus II. war es erneut der Markgraf der Toskana, der den Reformerpapst nach Rom führte und ihm damit die Ewige Stadt öffnete, sodass der außerhalb Roms gewählte Nikolaus II. am 24. Januar
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Wahl Benedikts X. und Nikolaus’ II.
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III. Papstwahldekret
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII.
1059 in Rom inthronisiert werden konnte. Benedikt X. musste aus Rom fliehen, konnte jedoch erst ein Jahr später von Nikolaus II. mit normannischer Hilfe endgültig bezwungen werden, als er im April 1060 auf der Ostersynode dieses Jahres devestiert wurde und ein Schuldbekenntnis ablegen musste. Damit hatte sich Nikolaus II. durchgesetzt. Bereits auf der Ostersynode des Jahres 1059 erließ Nikolaus II. das sogenannte Papstwahldekret, das einerseits die Wahl des Papstes für die Zukunft regeln und andererseits die Erhebung Nikolaus’ II. regelkonform erscheinen lassen sollte. Er machte in gewisser Weise aus der Not eine Tugend. Denn er erhob seine eigene, regelwidrige Erhebung im sogenannten Papstwahldekret von Ostern 1059 zur neuen Norm. In dem für die Papstwahl entscheidenden Dokument wurde erstmals festgehalten, dass allein die Kardinäle die Wähler des Papstes sein sollten. Das war ein bedeutungsvoller Schritt, der bis heute für die Wahl des Papstes Gültigkeit besitzt: Die Kardinäle erhielten das exklusive Wahlrecht für den Papst. Nicht nur, dass Nikolaus II. damit ein neues Wahlprozedere festgelegt hatte, das mit der kirchenrechtlichen Tradition gebrochen hatte. Es war ein entscheidender Schritt, mit dem das Papsttum sich der Verfügungsgewalt anderer entzog – da der Einfluss anderer Personen jenseits der Kardinäle, die stets durch den Papst kreiert wurden, ausgeschlossen war. Eine Beteiligung der Römer an der Papstwahl – jenseits der Akklamation – war nicht mehr vorgesehen. Und auch in einer anderen Hinsicht ließ das Papstwahldekret die immer größer werdende Distanz zwischen Papsttum und Ewiger Stadt deutlich werden. Denn es ermöglichte ebenso, dass die Wahl und Erhebung des Papstes, falls es in Rom nicht möglich wäre, außerhalb stattfinden könne. Der regionale Bezug des Papsttums verlor damit weiter an Bedeutung und die Gewichte wurden weiter hin zur Universalisierung dieser Institution verschoben. Stichwort
Papstwahl Das Ideal mittelalterlicher Wahlen ist es, dass sie einmütig (unanimiter) stattfinden. Die Papstwahl sieht dabei vor, dass diejenigen Wähler, die nicht für den Kandidaten gestimmt haben, der von einer Mehrheit gewählt wurde, dem Ergebnis beitreten (accessus), sodass der Papst dann einmütig von allen gewählt wurde. Für die Wahl selbst unterscheidet man drei Arten der Entscheidungsfindung: per scrutinium: Die Wahl erfolgt durch die Stimmabgabe der Kardinäle. per compromissum: Die Kardinäle übertragen die Entscheidung auf ein kleineres Gremium innerhalb der Kardinäle, die sogenannten Kompromissare, und verpflichten sich, das Ergebnis anzuerkennen. per inspirationem: Die Wahl erfolgt durch Inspiration. Ohne formalen Wahlgang einigen sich die Kardinäle auf einen Kandidaten, indem sie beispielsweise alle gleichzeitig einen Namen ausrufen, was bei der Wahl Gregors VII. der Fall gewesen sein soll.
5. Gregor VII. – Höhepunkt und Krise päpstlicher Ansprüche
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5. Gregor VII. – Höhepunkt und Krise päpstlicher Ansprüche Kein zweiter Papst ist gerade in Deutschland so bekannt wie Gregor VII. Das liegt vor allem an den Auseinandersetzungen mit Heinrich IV., die nach der Auffassung des 19. Jahrhunderts in Canossa gipfelten. Durch Gregor VII. erhielt das Papsttum einen weiteren, deutlichen Schub auf dem Weg seiner Emanzipation, durch den jedoch nicht nur der Anspruch des Papsttums auf einen neuen Höhepunkt gesteigert wurde, sondern er brachte auch eine tiefe Krise des Reformpapsttums hervor, an der es beinahe gescheitert wäre. Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich die auf ihn folgenden Päpste so gut wie nie namentlich auf Gregor VII. bezogen. Doch langfristig ist sein Pontifikat neben dem Pontifikat Leos IX. der Schlüsselpontifikat für die Transformation des Papsttums in eine der Gesamtkirche gebietende Institution. Gregor VII. selbst ist ohne Frage eine Ausnahmegestalt, welche die Historikerinnen und Historiker seit über 200 Jahren fasziniert. Die einen bewundern seine Glaubensstärke und Beharrungskraft, die anderen sehen in ihm einen religiösen Fanatiker. Diese zwei Perspektiven auf Gregor VII. sind schon bei seinen Zeitgenossen zu fassen, wenn ihn etwa Petrus Damiani als einen „heiligen Teufel“ (sanctus satana) bezeichnet. Die genaue Herkunft Gregors VII., der offenbar als Kanoniker an der römischen Lateranbasilika seine kirchliche Ausbildung erfuhr, kennen wir nicht. Doch schon in jungen Jahren scheint Hildebrand, wie Gregor VII. vor seiner Erhebung auf die Kathedra Petri hieß, dem päpstlichen Umfeld aufgefallen zu sein. Denn er begleitete den in Sutri verurteilten Gregor VI. nach Köln. Das bedeutet wohl, dass der junge Hildebrand dem reformorientierten Gregor VI. aufgefallen war. Durch Leo IX. kehrte er dann nach dreieinhalbjähriger Abwesenheit zusammen mit anderen exponierten Reformern wie etwa Humbert von Silva Candida nach Rom zurück. Dort wurde ihm die Sorge für die Abtei St. Paul vor den Mauern übertragen und die dort erzielten wirtschaftlichen Erfolge brachten ihn rasch in das Amt des Archidiakons der römischen Kirche. Und auch in diesem Amt erwies sich Hildebrand als ein geschickter Organisa-
Abb. 1 Gregor VII., Papst 1073–1085
Werdegang Hildebrands
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III.
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII.
tor. Zudem wurde er mit unterschiedlichen Legationen betraut, sodass er mit der Situation der Kirchen nördlich der Alpen vertraut war. Das galt insbesondere für Frankreich, wo Reformen, denjenigen Kaiser Heinrichs III. im Reich vergleichbar, zu weiten Teilen fehlten. Vor allem die Kirchen Frankreichs bereiteten Hildebrand Sorgen. Heinrich III. galt ihm hingegen als derjenige, der die Reform ins Rollen gebracht hatte. Obwohl Heinrich sein dreijähriges Exil von Rom verursacht hatte, sprach er nie negativ über den Salierkaiser und bemühte sich stets um gute Kontakte zum salischen Hof. So war Hildebrand etwa an einigen der römischen Gesandtschaften beteiligt, die nach dem Tod eines Papstes an den salischen Hof gezogen waren, um einen neuen Papstkandidaten zu erbitten. Er hat daher Heinrich IV. bereits vor dessen Volljährigkeit gekannt. Kurzum: Hildebrand war in wirtschaftlichen Dingen erfahren, kannte die kirchlichen Zustände in Italien, Deutschland und Frankreich aus eigener Anschauung und stieg rasch ins Kardinalskollegium auf. Er wurde zu einer der zentralen und beherrschenden Personen. Während sich der greise Petrus Damiani immer mehr zurückzog, lagen die Zügel der Kirchenleitung immer mehr in Hildebrands Hand. War Hildebrand 1061 noch nicht zum Papst erhoben worden, so fiel die nächste Wahl, die nach dem Tod Alexanders II. am 21. April 1073 erfolgte, auf ihn. In einer tumultuarischen Erhebung, die im Grunde nicht den Erfordernissen einer ordentlichen Papstwahl genügte, wurde der Archidiakon der römischen Kirche in einer Wahl per inspirationem zum neuen Papst ausgerufen. Hildebrand nahm die Wahl an und nannte sich Gregor VII., womit er sich zum einen auf Gregor den Großen bezogen haben dürfte, zum anderen auf den 1046 abgesetzten Gregor VI., dessen Pontifikat er durch seine eigene Ordnungszahl VII. als rechtmäßig verkündete. Über seine Wahl dürfte er nicht überrascht gewesen sein, war er doch seit längerer Zeit die zentrale Figur im päpstlichen Umkreis gewesen. Im Vergleich zu seinen Vorgängern und Nachfolgern sind wir über seine Handlungen als Papst ausgesprochen gut informiert, denn anders als bei diesen sind die päpstlichen Register Gregors VII. überliefert. Dieser Überlieferungszufall hat seinen Pontifikat noch stärker ins Interesse der Forschung gerückt. Er lässt einen genauen Blick auf das Wollen Gregors VII. zu, denn die im Register eingetragenen Briefe spiegeln dieses wider. Sie offenbaren uns die Gedankenwelt Papst Gregors VII., indem sie bewahren, was er an andere schrieb, wozu er sie aufforderte, was er von ihnen wollte, worüber er sich beklagte, worüber er sich freute, was er nicht hinzunehmen bereit war und Ähnliches.
5. Gregor VII. – Höhepunkt und Krise päpstlicher Ansprüche
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Stichwort
Päpstliche Register Die päpstlichen Register wurden wohl seit dem 6. Jahrhundert regelmäßig geführt, doch erst seit Innozenz III. (1198–1216) sind die Registerbände kontinuierlich überliefert. Zuvor sind allein die Register Gregors I. (590–604) und Johannes’ VIII. (872–882) in Abschriften sowie das Register Gregors VII. (1073–1085) im Original auf uns gekommen. Letzteres befindet sich heute im Vatikanischen Geheimarchiv. In die päpstlichen Register wurden die auslaufenden Stücke eingetragen. Erteilte der Papst eine Urkunde oder schrieb er einen Brief, so wurde ein Teil dieser Texte von Mitgliedern der päpstlichen Kurie in das Register eingetragen. Im 13. Jahrhundert wurden jedoch lediglich 20 Prozent der Dokumente, die die dann ausgebildete Kanzlei verließen, in die Register eingetragen. Das Register Gregors VII. unterscheidet sich von den späteren Registern insofern erheblich, da in dieses vor allem Briefe eingetragen wurden, Urkunden hingegen in deutlich geringerem Umfang.
Etliche dieser Schriftstücke sind im Register mit dem Eintrag dictatus papae überschrieben, Diktat des Papstes. Das bedeutet, dass man bereits im Register vermerkte, dass die Formulierungen des eingetragenen Briefes von Gregor VII. persönlich stammten. Die Forschung spricht vom sogenannten Eigendiktat. In diesen Briefen finden sich seine Vorstellungen in seiner ganz eigenen Ausdrucksweise. Ist aufgrund des Diktatvergleichs also klar, bei welchen Briefen wir es mit dem authentischen Gedankengut Gregors VII. zu tun haben, so ist hingegen weniger klar, ob jeder Brief des Registers seinen Empfänger erreichte – nicht alle Eintragungen des Registers waren offenbar für einen Empfänger außerhalb der Kurie bestimmt. Das gilt beispielsweise für das berühmteste Schriftstück des Registers Gregors VII., den sogenannten Dictatus Papae, der vermutlich im März 1075 in das Register eingetragen wurde und damit vor den Auseinandersetzungen Gregors VII. mit dem Salier Heinrich IV. In ihm hatte Gregor VII. in 27 Leitsätzen seine Vorstellungen vom päpstlichen Amt zum Ausdruck gebracht. Dabei folgen die Einzelsätze keiner Systematik, und einzelne Punkte werden doppelt erwähnt. Dieser unsystematische Charakter spiegelt in gewisser Weise das Denken Gregors VII. wider. Die darin formulierten Vorstellungen waren dazu angetan, die bisherige mittelalterliche Welt radikal zu verändern, vor allem das Verhältnis von Papsttum und Ortskirchen, aber auch zwischen Papsttum und jeglicher weltlicher Macht.
Dictatus Papae
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III.
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII. Quelle
Der Dictatus Papae Gregors VII. Zit. nach: Rudolf Schieffer: Papst Gregor VII., S. 35f.
Dass die römische Kirche vom Herrn allein gegründet worden ist. Dass allein der römische Papst mit Recht allgemein (universalis) genannt wird. Dass er allein Bischöfe absetzen und wieder einsetzen kann. Dass sein Legat den Vorrang vor allen Bischöfen bei einer Synode hat, auch wenn sein Weihegrad niedriger ist, und dass er gegen sie ein Absetzungsurteil fällen darf. Dass der Papst Abwesende absetzen kann. Dass wir mit den von ihm Exkommunizierten unter anderem nicht im selben Haus verweilen dürfen. Dass es ihm allein erlaubt ist, nach den Erfordernissen der Zeit, neue Gesetze zu schaffen, neue Gemeinden zu bilden, aus einem Kanonikerstift eine Abtei zu machen und umgekehrt, ein reiches Bistum zu teilen und arme zu vereinen. Dass er allein kaiserliche Insignien verwenden kann. Dass alle Fürsten die Füße allein des Papstes küssen sollen. Dass allein sein Name in den Kirchen genannt werde. Dass dieser Name einzigartig ist auf der Welt. Dass es ihm erlaubt ist, Kaiser abzusetzen. Dass es ihm erlaubt ist, bei zwingender Notwendigkeit Bischöfe von einem Sitz zum anderen zu versetzen. Dass er an jeder Kirche, wo immer er will, Kleriker weihen kann. Dass ein von ihm Geweihter einer anderen Kirche vorstehen, aber nicht dienen kann; und dass er nicht von einem Bischof einen höheren Weihegrad annehmen darf. Dass keine Synode ohne seine Anordnung allgemein (generalis) genannt werden darf. Dass kein Kapitel und kein Buch für kanonisch gehalten werde ohne seine Autorisierung. Dass sein Urteilsspruch von niemandem widerrufen werden darf und er selbst als einziger die Urteile aller widerrufen kann. Dass er selbst von niemandem gerichtet werden darf. Dass niemand es wage, jemanden zu verurteilen, der an den apostolischen Stuhl appelliert. Dass die wichtigen Streitfragen (causae maiores) einer jeden Kirche ihm vorgelegt werden müssen. Dass die römische Kirche niemals geirrt hat und nach dem Zeugnis der Schrift auch in Zukunft nicht irren wird. Dass der römische Bischof, falls er rechtmäßig geweiht ist, durch die Verdienste des heiligen Petrus unzweifelhaft heilig wird, nach dem Zeugnis des heiligen Bischofs Ennodius von Pavia, dem viele heilige Väter beistimmen, wie es in den Dekreten des heiligen Papstes Symmachus enthalten ist. Dass es nach seiner Verfügung und mit seiner Erlaubnis Untergebenen erlaubt ist anzuklagen. Dass er ohne eine synodale Versammlung Bischöfe absetzen und wieder einsetzen kann. Dass nicht als katholisch gelten soll, wer nicht übereinstimmt mit der römischen Kirche. Dass er Untergebene vom Treueid gegenüber Sündern lösen kann.
5. Gregor VII. – Höhepunkt und Krise päpstlicher Ansprüche
Welche Sprengkraft in dieser völlig auf die römische Kirche konzentrierten Gedankensammlung für die Gesamtkirche lag, die sich zu weiten Teilen zum Zeitpunkt der Abfassung des Dictatus Papae immer noch als eine kollegial organisierte Bischofskirche und nicht als eine hierarchisch durchstrukturierte Papstkirche verstand, ist offensichtlich. Zu Protesten der Bischöfe kam es jedoch nicht, was daran liegt, dass der Dictatus Papae außerhalb des Registers keine weitere Verbreitung gefunden zu haben scheint. Es sind keine Kopien überliefert und die Zeitgenossen beziehen sich nicht auf den Dictatus Papae in dem Sinne, dass berichtet wird, der Papst habe so gehandelt, wie es im Dictatus Papae vermerkt sei. Er ist auch kein Regierungsprogramm, das abgearbeitet worden wäre – auch wenn deutlich zu erkennen ist, dass Gregors Handlungen mit seinen Inhalten übereinstimmen. Die Sprengkraft seiner Gedanken war weltverändernd, auch wenn er vermutlich nichts anderes als eine gedankliche Skizze Gregors VII. war, eine unsystematische Zusammenstellung der päpstlichen Kompetenzen in den umstrittenen Bereichen – denn die Rom ohne Weiteres zugestandenen Kompetenzen werden nicht thematisiert. Er skizziert damit zugleich die Konfliktfelder, die Gregor VII. eröffnet oder maßgeblich befeuert hatte und die noch etliche seiner Nachfolger beschäftigten sollten. Die Folgen seines Handelns waren eine starke Ausrichtung der gesamten Kirche auf Rom. Das mussten auch die stolzen Erzbischöfe des Reiches oder Frankreichs erfahren. Für Gregor war nicht die Tradition und Genese einer Landeskirche entscheidend, sondern allein die Frage, ob er einem Bischof vertrauen konnte oder nicht. So schwächte er systematisch die traditionellen Leiter der Landeskirchen, indem er neue Vikariate schuf, in denen ständige Legaten als seine Stellvertreter in dieser Landeskirche wirkten. Hatte es zuvor derartige Vikariate im Reich etwa für den Erzbischof von Mainz gegeben, so machte Gregor VII. Altmann von Passau zu seinem ständigen Vertreter für das Reich nördlich der Alpen, einen einfachen Suffraganbischof, der den Erzbischöfen vorangestellt wurde. Nur in Übereinstimmung mit Rom war nach seiner Auffassung – und dabei baute er auf Leo IX. auf – Rechtgläubigkeit herzustellen. Erforderlich war dafür nach Gregors Auffassung vor allem Gehorsam. Ungehorsam ihm und der römischen Kirche gegenüber galt ihm als Idolatrie, als irregeleitete Bilderverehrung, da sie für ihn eine Abweichung im Glauben bedeutete. Zur Wahrung und Verbreitung der richtigen Lehre bei allen Christen und damit in letzter Konsequenz zur Vermittlung ewigen Heils an alle Gläubigen bediente sich Gregor der Instrumente, die das Reformpapsttum seit Leo IX. intensiv nutzte, vor allem der Synoden und Legaten. Durch beide Mittel stand er zusätzlich zu den Briefen, die er versandte und die zu schreiben er seine Korrespondenzpartner mahnte, in stetem Kontakt mit weiten Teilen der lateinischen Kirche. Gregor war hier – wie in vielen anderen Bereichen auch – kein wesentlicher Neuerer, sondern bediente sich der gewohnten Instrumente, jedoch in neuer Intensität.
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Zentralisierung der Kirche
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III. Widerstände
Legaten
Radikalisierung
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII.
Vom Widerstand der Bischöfe gegen die neue Intensität, mit der die Legaten in die ursprünglich von ihnen geregelten Belange eingriffen, zeugen sowohl Gregors Auseinandersetzungen mit Manasses von Reims um die Frage, was genau ein Romanus legatus sei, als auch der Protest der auf der Nürnberger Synode von 1074 versammelten Erzbischöfe gegen den Vorsitz päpstlicher Legaten. Dort hatten Legaten mit einer niederen Weihestufe den Vorsitz beansprucht, was die anwesenden Erzbischöfe zu Protesten veranlasste, da sie traditionell den Vorsitz übernahmen. Im Nachspiel dieser Synode charakterisierte Erzbischof Liemar von Bremen Gregor VII. als „einen gefährlichen Menschen, der den Bischöfen befehlen will, wie ein Herr seinen Knechten“. Das waren die Bischöfe im Reich nicht gewohnt. Sie deuteten dieses Verhalten als den Versuch einer Umwandlung der bisher vor allem bischöflich-kollegial organisierten Kirche in eine auf den Papst ausgerichtete Hierarchie, gegen die sich die Bischöfe wehrten. In ihrem Absageschreiben an den „Bruder Hildebrand“, das die Reichsbischöfe an Gregor VII. sandten, nachdem dieser Heinrich IV. die Exkommunikation angedroht hatte, warfen sie ihm daher vor, nach „gottlosen Neuerungen“ zu streben. Er habe danach getrachtet, ihnen jede Gewalt zu entziehen sowie die Rechte, die allen Bischöfen zukämen, zu zerstören. Schließlich habe er ihnen sogar die Binde- und Lösegewalt abgesprochen und sie allein für sich und für von ihm Beauftragte reklamiert. Für die Bischöfe stand damit nicht wenig auf dem Spiel. Sie sahen ihre durch die Weihe und das Wirken des Heiligen Geistes konstituierte Gewalt als eigenständige Größe bedroht. Eine entscheidende Rolle spielten bei der Zentralisierung der Kirche ohne Frage die Legaten – gerade unter Gregor VII. Auch wenn sie die traditionelle Hierarchie der Kirche durchbrachen und Rom durch ihre Person vor Ort brachten, da sie in Stellvertretung für den Papst handelten, so war Gregor nicht um eine grundsätzliche Erneuerung des Systems bemüht. Den afrikanischen Christen gegenüber betont er sogar die Kompetenzen der Metropoliten. Gregors Handeln ist stark auf die Person des Bischofs ausgerichtet, der jedoch für dieses Amt geeignet sein muss. Die Beaufsichtigung beziehungsweise Kontrolle von Bischofswahlen und die Überprüfung der Kandidaten sowie Amtsinhaber auf ihre Eignung hin ist folglich eine der Hauptaufgaben der Legaten. Für den Notfall behielt sich der Papst eine persönliche Kontrolle des Kandidaten vor. Volk und Klerus von Dol dürften nicht wenig überrascht gewesen sein, als nicht der von ihnen gewählte Elekt nach einer Romreise zur Weihe durch Gregor VII. als Bischof zurückkehrte, sondern einer seiner Begleiter, den Gregor für geeigneter gehalten und kurzerhand geweiht hatte. Auch seine Aufforderung an Erzbischof Humbert von Lyon, einen Elekten notfalls mit Gewalt zur Amtsannahme zu zwingen, belegt, dass Gregor – falls er von einem Fall überzeugt war – gewohnte Bahnen verließ und ungewöhnliche Mittel ergriff. Im Laufe seines Pontifikates radikalisierte sich Gregor VII. zunehmend, bis er an dessen Ende von etlichen Kardinälen verlassen wurde. Nicht zuletzt
5. Gregor VII. – Höhepunkt und Krise päpstlicher Ansprüche
die Auseinandersetzungen mit Heinrich IV. veränderten seinen Blick auf die weltliche Gewalt, mit der er zuvor im Sinne der Reform immer wieder zusammengearbeitet hatte. Schon im August 1076 hatte er an Bischof Hermann von Metz geschrieben, dass er nicht verstehe, wieso die Könige nicht einsähen, „dass Gott, als er dem heiligen Petrus grundsätzlich die Gewalt zu binden und zu lösen, im Himmel und auf Erden, übertrug, niemanden ausnahm, nichts seiner Gewalt entzog“. Und er fragt weiter: „Wenn nun der heilige apostolische Stuhl aufgrund der ihm von Gott übertragenen grundsätzlichen Vollmacht über Geistliches entscheidet und richtet, warum dann nicht auch über Weltliches?“ Mit diesem argumentum e potiori beanspruchte Gregor nicht weniger als eine Entscheidungsgewalt über grundsätzlich alle geistlichen und weltlichen Dinge, auch über die Rechtmäßigkeit königlicher Amtsausübung. In einem weiteren Schreiben an Hermann von Metz (VIII/21), das er nach der zweiten Exkommunikation Heinrichs IV. verschickte, geißelte er die weltliche Gewalt, die er für verwerflich erklärte, und führte aus, dass die Könige nicht nach dem guten Zusammenleben und der Erfüllung der christlichen Gebote trachteten, sondern ein Teil des teuflischen Körpers seien. An eine einträchtige Zusammenarbeit der beiden Universalgewalten war nach dieser Einschätzung nicht mehr zu denken. Die letzten Worte des am 25. Mai 1085 in der Verbannung in Salerno verstorbenen Papstes sollen gewesen sein: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Ungerechtigkeit gehasst, daher sterbe ich in der Verbannung.“ Diese letzten Worte zeugen auf den ersten Blick von einer tiefen Resignation Gregors VII., doch das entsprechende Psalmenwort fährt fort: „Du liebst Gerechtigkeit und hassest gottloses Treiben; darum hat dich der Herr, dein Gott, gesalbt mit Freudenöl wie keinen deinesgleichen.“ (Ps. 45,8) Diese Auffassung passt gut zur Selbsteinschätzung dieses Papstes, der bereits im Oktober 1076 seinen Getreuen in Mailand geschrieben hatte, dass es eine feststehende Sentenz des Apostels Paulus sei, „dass alle, die fromm in Christus leben wollen, Verfolgung leiden.“ Die bei Paulus für alle Christen formulierte Aussage verengte Gregor daran anschließend auf sich und sein Amt: „Diese Festlegung ist mit dem apostolischen Stuhl gleichsam nach Erbrecht auf uns gekommen.“ Verfolgung und Leid sind nach diesen Aussagen Gregors – und es ließen sich noch andere anführen – ein Wesensmerkmal des päpstlichen Amtes. Dienst für Gott und Leiden bis zum Tod erscheinen so wie zwei Seiten einer Medaille, die an ein Martyrium erinnert. Kurzfristig war Gregor gescheitert, aus Rom vertrieben, seine Unterstützer waren von ihm abgefallen. Die Reformer schmolzen auf ein kleines Häufchen zusammen. Doch langfristig hatte er Erfolg. Er eröffnete eine Linie, die bis zu Bonifaz VIII. reicht, der am Beginn des 14. Jahrhunderts formulierte, dass es für das Seelenheil eines jeden Christen n unbedingt notwendig sei, dem Papst Untertan zu sein.
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Tod Gregors VII.
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III.
Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII. Auf einen Blick
Die Synode von Sutri (1046) stellt einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des Papsttums dar. Sie beendet eine jahrhundertelange Tradition der Erhebung der Päpste und brachte Personen von außerhalb auf die Kathedra Petri. Beschreiben Sie die Wechselwirkung zwischen dem Bedeutungsverlust der lokalen Interessen und der Universalisierung des Papsttums. Als Heinrich III. zu seiner Kaiserkrönung nach Rom zog, hatte er zunächst nicht die Absicht, Papst Gregor VI. zu stürzen. Die Erhebung Clemens’ II. und der folgenden Päpste dürfte dann jedoch maßgeblich auf Heinrichs Einfluss zurückzuführen sein. Wer waren diese neuen Päpste und wie hat die Forschung ihre Erhebung gedeutet? Die Mittel des Kirchenregimentes wurden durch die Reformpäpste nicht neu erfunden, doch zum Teil verändert und vor allem intensiver eingesetzt. Welcher Mittel bedienten sie sich, um die Kirche auf Rom zu zentrieren? Der Pontifikat Leos IX. ist ein Schlüsselpontifikat für die Entwicklung des Reformpapsttums. Seine Ideen, Handlungen und Personalpolitik strahlten weit über seinen Pontifikat hinaus. In welchen Bereichen wies er seinen Nachfolgern den Weg?
Literaturhinweise Cowdrey, Herbert E.J.: Pope Gregory VII 1073–1085, London 1998. Umfangreichste und detaillierteste aktuelle Biografie zu Gregor VII. Engelberg, Pius: Heinrich III. und die Synoden von Sutri und Rom im Dezember 1046, in: Römische Quartalschrift 94 (1999), S. 228–266. Untersucht detailliert die Quellen zur Synode von Sutri nach ihrem Entstehungszeitpunkt und ihrer Darstellungsabsicht. Goez, Werner: Zur Persönlichkeit Gregors VII., in: Römische Quartalschrift 73 (1978), S. 193–216. Sehr gute Skizze zu Person und Gedankenwelt des Papstes. Hehl, Ernst-Dieter: Zwischen Ansehen und Bedrängnis. Das Papsttum im 10. Jahrhundert, in: Wilfried Hartmann / Klaus Herbers (Hrsg.): Die Faszination der Papstgeschichte: Neue Zugänge zum frühen und hohen Mittelalter (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J.F. Böhmer, Regesta Imperii 28), Köln 2008, S. 81–96. Neuere Abhandlung zum Papsttum im saeculum obscurum. Johrendt, Jochen: Die Reisen der frühen Reformpäpste – ihre Ursachen und Funktionen, in: Römische Quartalschrift 96 (2001), S. 57–94. Verdeutlicht, wieso die Reisen Leos IX. als Visitationen zu interpretieren sind. Schieffer, Rudolf: Motu proprio. Über die papstgeschichtliche Wende im 11. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 122 (2002), S. 27–41. Thesenhafter Beitrag, der den Begriff der papstgeschichtlichen Wende in die Forschung eingeführt hat. Weinfurter, Stefan: Heinrich IV. und die Bischöfe im Jahre 1076. „Unheilige Neuerungen“ und „neue Religion“, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hrsg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert. Positionen der Forschung, München 2006, S. 403–416. Untersucht die Wirkung des gregorianischen Anspruchs auf den Reichsepiskopat und dessen Reaktion.
IV. Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits Überblick
I
n keinem anderen Reich Europas war die Königsherrschaft so eng mit der Kirche verzahnt wie im Reich. Die Reichskirche war in erheblichem Ausmaß mit Reichsgut ausgestattet und stellte dem König im Gegenzug Ressourcen für dessen Herrschaft zur Verfügung. In der Regierung Heinrichs III. gipfelte dieses enge Zusammenwirken von Reichskirche und Herrscher. Auf deren Grundlage war
es diesem Salierkaiser gelungen, eine dominante Stellung innerhalb der Kirche und gegenüber den weltlichen Großen aufzubauen. Sie fühlten sich zunehmend in ihrer Herrschaft eingeschränkt. Durch den frühen Tod Heinrichs III. entluden sich die daraus resultierenden Spannungen nicht mehr zu dessen Lebzeiten. Sie wurden jedoch zu einer Belastung für dessen Sohn, Heinrich IV.
Mit der Reichskirche der Ottonen und Salier ist in der Literatur seit den Tagen Leo Santifallers (1890–1974) der von ihm geprägte Begriff des Reichskirchensystems verbunden. Die Charakterisierung des Zusammenspiels von König und Kirche wird heute vor allem aufgrund des Systembegriffes nur noch in Anführungszeichen verwendet. Denn ob hier tatsächlich ein System vorlag, das zudem der König gesteuert habe, wurde von der Forschung stark hinterfragt. Unter der Reichskirche versteht man diejenigen Kirchen, die mit Reichsgut ausgestattet waren und daher auf materielle Weise direkt an das Reich gebunden waren. Indem Könige an einzelne Kirchen Reichsgut vergaben, begründeten sie zugleich Rechte des Reiches an diesen Kirchen. Diese Ausstattung konnte in Grundbesitz bestehen, doch ebenso in Hoheitsrechten. So übertrug Heinrich II. etwa dem Bistum Bamberg eine Grafschaft, also ein vom König zu vergebendes Amt. Er integrierte die Kirche von Bamberg damit in die königliche Herrschaft. Doch nicht nur auf diesem Wege war die Reichskirche in die Königsherrschaft eingebunden. Als Gegenleistung für die Ausstattung mit Grundbesitz und Hoheitsrechten forderte der König von den Reichskirchen das servitium regis ein, den Dienst für den König. Das konnte die Ernährung des königlichen Hofes bedeuten, wenn der König in oder bei einer Kirche Station machte. Dass diese Verpflegung nicht nur direkt vor Ort zu leisten war, macht erneut eine Episode aus der Zeit Heinrichs II. deutlich. Als dieser in die Nähe von Eichstätt kam, forderte er den dortigen Bischof Megingaud auf, den königlichen Hof zu verpflegen, auch wenn er über eine Tagesreise von Eichstätt entfernt war. Ebenso wichtig war für den König jedoch die Stellung militärischer Truppen durch die
Ottonisch-salische Reichskirche
servitium regis
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IV.
Eigenkirchenwesen
Investitur
Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits
Reichskirche, die einen nicht unerheblichen Teil seiner Heeresmacht bildete. Aus dem Jahre 983 ist ein Truppenverzeichnis überliefert, der sogenannten Indiculus loricatorum. In ihm werden Panzerreiter (loricati) aufgelistet, welche die Großen Otto II. nach Italien schicken sollten. Es handelt sich somit um einen Querschnitt durch die militärische Leistungsfähigkeit der Großen nördlich der Alpen. Drei Viertel der Panzerreiter wurden von 19 Bischöfen und zwölf Äbten gestellt. Das bedeutet, lediglich ein Viertel der von nördlich der Alpen angeforderten Kontingente stellten die weltlichen Großen. Aus dieser Perspektive wird die zentrale Bedeutung der Reichskirche für die königliche Herrschaft deutlich. Sie ernährte nicht nur den königlichen Hof, sondern sie machte ihn in militärischer Hinsicht erst handlungsfähig. Der Anteil der Reichskirche an den königlichen Truppen nahm bis zum 12. Jahrhundert zwar kontinuierlich ab, doch war ihre Bedeutung für die Schlagkraft der königlichen Heeresmacht nach wie vor entscheidend. Das erklärt, wieso die Könige daran interessiert waren, eine wirksame Kontrolle über die Reichskirche auszuüben. Dazu banden die Herrscher im Rahmen einer allgemeinen königlichen Kirchenhoheit die Reichskirchen an das Haupt des Reiches, den König. Die Kontrolle der Reichskirche bedeutete für das Königtum auch eine effektive Einbindung der Reichsressourcen, mit denen die Könige die Reichskirchen ausgestattet hatten, in die königliche Herrschaft. Die Nutzung dieser Ressourcen oblag zwar der Reichskirche – doch je enger diese an den König gebunden war, desto ertragreicher wurden jene für die Königsherrschaft eingesetzt. Als Schlüssel für die Kontrolle der Reichskirche und deren Ressourcen galt die Besetzung der Leitungspositionen. Die Könige waren darum bemüht, Personen ihres Vertrauens auf Bischofsstühle zu bringen oder als Abt oder Äbtissin einer bedeutenden Abtei, als Prior oder Äbtissin eines Kanonikerkapitels einzusetzen. Sie handelten wie ein Eigenkirchenherr (s. Kap. II. 2). Da der König die Reichskirchen mit Reichsgut ausgestattet hatte, beanspruchte er, die Leiter dieser Kirchen einsetzen zu können: im Falle einer Bischofskirche den Bischof, im Falle einer Abtei den Abt oder bei einem Stift den Prior. Den Akt, mit dem der Herrscher die Bischöfe, Äbte, Äbtissinnen oder Prioren in ihr neues Amt einsetzte, bezeichnet man als Investitur (lat. investire = einkleiden). Der König – wiewohl er den Titel eines vicarius Christi trug – galt den Reformern des 11. Jahrhunderts jedoch als Laie. Die Einsetzung durch den König war in ihren Augen eine Laieninvestitur – und diese hatte Papst Gregor VII. im Jahr 1078 verboten. Doch bis zum letzten Viertel des 11. Jahrhunderts war die Investitur durch den König völlig normal. Sie war eine gängige Praxis, an der so gut wie niemand Anstoß nahm. Die Einsetzung der Bischöfe und Äbte ermöglichte dem König eine starke Einflussnahme nicht nur auf die Besetzung selbst, sondern durch die Auswahl geeigneter und ihm nahestehender Kandidaten auch auf die weitere Entwicklung des Bistums oder
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der Abtei. Erneut ist es Heinrich II., der ein exzellentes Beispiel für das königliche Verständnis bietet. Er wurde in der Historiografie seiner Epoche immer wieder als Mitbischof (coepiscopus) der Bischöfe bezeichnet, was die enge Verbindung des Herrschers mit seinen Bischöfen verdeutlicht. Dabei erwartete Heinrich II. ausgesprochene Loyalität. Als sich Bischof Gundekar I. von Bamberg (1015–1019), der aus einem unfreien Geschlecht kam und seine Erhebung zum Bischof maßgeblich dem letzten Ottonenherrscher verdankte, weigerte, den herrscherlichen Wünschen bei der Ausstattung des neu gegründeten Bistums Bamberg nachzukommen, soll ihn Heinrich II. nach dem Anonymus Haserensis angeherrscht haben: „Gunzo, was muss ich von dir hören? Du weißt doch, dass ich dich nur deshalb zum Bischof ernannt habe, weil ich meinen Willen bei deinem Vorgänger … nicht durchsetzen konnte … Wenn du das Bistum und meine Huld behalten willst, dann nimm dich in acht, dass ich nicht noch ein zweites Mal so etwas von dir höre!“ Aus dieser Perspektive wird deutlich, welche Bedeutung Heinrich II. dem Einsetzungsakt zuschrieb: Durch ihn sollte der Bischof zu einem gehorsamen Diener seines Königs werden. Bereits die Forschung des beginnenden 20. Jahrhunderts hatte erkannt, dass etliche der Kandidaten, die unter dem maßgeblichen Einfluss des Königs auf Bischofsstühle promoviert worden waren, der Hofkapelle entstammten. Die Hofkapelle ist die direkte Umgebung des Königs, sie vollzog die Messen für und mit dem König, bewachte die Reliquien des Königs und war bis zum 12. Jahrhundert für die Ausstellung der Urkunden zuständig. Die Hofkapläne gelangten in der Regel aus einem Domkapitel an den königlichen Hof. Aus der Hofkapelle promovierte der Herrscher deren Mitglieder auf vakante Bischofsstühle. Ein großer Teil des Reichsepiskopats entstammte somit der Hofkapelle und blieb mit dem König auch nach der Erhöhung zum Bischof in enger Verbindung. Die ältere Forschung hat diese enge Verbindung als das Ergebnis eines systematischen und gezielten Handelns des Königs interpretiert. Die Beförderung auf Bischofsstühle wurde von ihr als eine bewusste Politik der Könige gesehen, um ihren Einfluss auf die Kirche ausbauen zu können, die ihren Ausgang mit Otto dem Großen genommen hatte und ihren Höhepunkt unter Heinrich III. erreichen sollte. In diesem vermeintlichen „ottonisch-salischen Reichskirchensystem“ erblickte Leo Santifaller eine Besonderheit des Reiches, die es diesem ermöglicht hätte, größere Ressourcen zu mobilisieren, als es etwa in dieser Phase dem Königreich Frankreich auf dem politisch-militärisch Feld möglich gewesen war. Dass die Ottonen und Salier bis zu Heinrich III. einen hohen Einfluss auf die Reichskirche besaßen, ist bis heute unbestritten. Doch sieht man dies nicht mehr als eine Sonderentwicklung des Reichs und auch der Systembegriff wird heute abgelehnt. Es war der englisch-deutsche Historiker Timothy Reuter, der dezidierte Zweifel an der Sonderstellung des
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Hofkapelle
Systemischer Charakter
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Reiches im Hinblick auf das Zusammenwirken von König und Kirche anmeldete, doch ebenso hinsichtlich dessen Systemcharakters. Zum einen konnte Reuter aufzeigen, dass in anderen europäischen Ländern ebenso eine starke Dominanz des Königs bei der Besetzung der Bischofsstühle zu verzeichnen ist. Im Königreich Sizilien etwa, immerhin einem päpstlichen Lehen, bestand diese königliche Prärogative sogar bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, als der König im Reich diese Rechte infolge des Investiturstreits längst nicht mehr in vergleichbarem Umfang wahrnehmen konnte. Zum anderen stellte Reuter deutlich heraus, dass die Besetzung der Bischofsstühle nicht allein einem königlichen Plan folgte und somit kaum als ein System bezeichnet werden kann. Betrachtet man die Herkunft und den Werdegang der Bischöfe des Reiches in ottonischer und salischer Zeit, so stellt sich vielmehr heraus, dass etliche der scheinbar allein durch königlichen Wunsch ins Amt Gekommenen dem lokalen Adel der Gegend entstammten, in der sie später als Bischöfe eingesetzt wurden. Überspitzt formuliert bedeutet das: Viele von ihnen waren bereits vor ihrer Berufung in die Hofkapelle ein Teil der adeligen Herrschaft in dem Raum, in dem sie nach ihrer Zeit in der Hofkapelle wieder eingesetzt wurden. Die Hofkapelle stellt sich in dieser Perspektive daher nicht nur als eine Ansammlung von dem König für das Bischofsamt geeignet erscheinender Personen dar. Die Auswahlkriterien für die Aufnahme in die Hofkapelle scheinen vielmehr durch die unterschiedlichen Regionen des Reiches geprägt gewesen zu sein. Oder anders ausgedrückt: Die Regionen schickten dem König potenzielle Bischofskandidaten an seine Hofkapelle und trafen damit bereits eine Vorauswahl der Kandidaten, die später als Bischöfe zurückkehren sollten. Die Thesen von Reuter sind in einigen Punkten wohl etwas überspitzt gewesen, doch insgesamt hat er sich mit seiner Darstellung gegen Santifaller durchgesetzt. Den momentanen Forschungsstand stellt die Zusammenfassung Rudolf Schieffers dar, der – wie dem Titel seiner Akademieabhandlung von 1998 zu entnehmen ist – nicht mehr von einem Reichskirchensystem spricht, sondern von einer Reichskirchenpolitik. Unbestritten bleibt jedoch, dass die Verbindung von König und Reichskirche im Vergleich zu anderen europäischen Königreichen in der ottonischen und frühen salischen Epoche besonders intensiv und nicht allein auf ausgewählte Regionen konzentriert war. Die Ursache dieses besonders intensiven und unter Heinrich III. dann auf einen Höhepunkt gesteigerten Zusammenwirkens von Reichskirche und König ist sicherlich in der vergleichsweise starken Stellung des Königs gegenüber der Reichskirche zu suchen. Das konnte für das Verhältnis von König und Adel nicht ohne Auswirkungen bleiben.
1. Heinrich III. (1039–1056)
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1. Heinrich III. (1039–1056) 1.1 Herrschaftsantritt und Herrschaftskonzentration Nach dem Tod Konrads II. am 4. Juni 1039 übernahm sein am 28. Oktober 1017 geborener Sohn Heinrich III. die Herrschaft im Reich. Der Übergang vom Vater auf den 21-jährigen Sohn war unproblematisch verlaufen, da Konrad II. seinen Sohn Heinrich III. schon sehr früh in seine Herrschaft miteinbezogen hatte. Nachdem das Herzogtum Bayern 1026 vakant geworden war, setzte Konrad II. am 24. Juni 1027 seinen Sohn Heinrich III. zum Herzog von Bayern ein. Dieser, damals noch keine zehn Jahre alt, war damit zu einem der mächtigen Männer des Reiches geworden – unter der Kuratel seines Vaters. Es war der erste Schritt, mit dem Heinrich III. allmählich in die Königsherrschaft eingeführt wurde. Zu Ostern 1028 erfolgte der nächste Schritt, als Heinrich III. in Aachen von Erzbischof Pilgrim von Köln unter Zustimmung der Großen zum König gesalbt und gekrönt wurde. Die Beteiligung seines Sohnes an der Königsherrschaft und die Konzentration etlicher Ressourcen bei ihm führte Konrad II. konsequent fort. Dass er Bayern an Heinrich III. übertragen hatte, machte das Herzogtum gleichsam zu einem Kronland. Doch der Konzentrationsprozess ging noch weiter. Denn 1038 wurde Heinrich III., der bereits Herzog von Bayern war, zusätzlich Herzog von Schwaben und ein Jahr später Herzog von Kärnten, sodass sich der gesamte Süden des Reiches in der Hand des Thronfolgers befand. Im gleichen Jahr wurde Heinrich III. zudem König von Burgund – alles zu Lebzeiten des Vaters. Dabei sammelte er keine leeren Titel, sondern handelte zunehmend selbstständig, was sich daran zeigt, dass Heinrich III. 1031 den Frieden mit Ungarn aushandelte und dieser dann von Konrad II. genehmigt wurde. Ferner wurde er vier Jahre später mit einem ersten größeren militärischen Unternehmen betraut, mit einem Kriegszug nach Böhmen, wo er die Interessen seines Vaters und damit seiner zukünftigen Position vertrat. Mit anderen Worten: Heinrich III. war bereits vor dem Tod Konrads II. in königsgleicher Stellung aktiv. Doch nicht nur hinsichtlich der politischen Praxis war Heinrich III. bestens auf sein zukünftiges Amt vorbereitet worden, indem der Vater ihn frühzeitig einband. Heinrich III. genoss zudem eine hervorragende Erziehung. Dafür sorgten Bischof Bruno von Augsburg, der Bruder des letzten Ottonenkaisers Heinrichs II., sowie Bischof Egilbert von Freising und der Kaplan Wipo. Die Erziehung sollte ihn auf das Amt vorbereiten und legte zugleich die Grundlagen für die Konzepte seines Handelns. Denn Heinrich III. war dadurch nicht nur an weltlichen Dingen interessiert, sondern auch an geistlichen. Er wurde in der Wahrnehmung mancher Zeitgenossen ein sehr frommer Kaiser, für den eine besondere Marienverehrung kennzeichnend war. Mit ihm waren viele Hoffnungen verbunden, vor allem vonseiten der Kirche. Denn er galt als tugendhaft und gebildet. Ihm traute
Beteiligung unter Konrad II.
Eigenständiges Handeln
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IV. Ortsfremde Herzöge
Sachsen
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man zu, weitere Reformen anzugehen und Missstände abzustellen. In ganz Europa hatte inzwischen eine Reform begonnen, die sich innerhalb der Kirche neuen Idealen verschrieben hatte. Heinrich III. galt als der geeignete Mann, um dieser im Reich und darüber hinaus zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu schienen Heinrich III. die notwendigen Herrschaftsmittel mitgegeben worden zu sein, da er nicht nur König war, sondern ab 1036 auch drei Herzogtümer in seiner Hand hatte. Bei der Neuvergabe dieser Herzogtümer gelang es ihm, anders als in Sachsen, die enge Wechselwirkung von lokaler Verankerung eines Geschlechtes und der auf diesen Raum bezogenen Ausübung der herzoglichen Gewalt zu vermeiden: Er setzte ortsfremde Herzöge ein. Diese besaßen in den entsprechenden Herzogtümern keine eigenen Besitzungen und konnten daher keine beherrschende Stellung aufbauen. Sie waren gezwungen, sich an die königliche Zentralgewalt anzulehnen, was Heinrich III. dauerhaften Einfluss sicherte. In Bayern wurde im Jahr 1042 der Luxemburger Heinrich VII. Herzog, drei Jahre später ging das Herzogtum Schwaben an Otto II., einen Ezzonen, und Mitte 1047 folgte die Vergabe Kärntens an den schwäbischen Grafen Welf III. Alle drei südlichen Herzogtümer waren damit nach kurzer Zeit wieder vergeben, aber da es sich nun um ortsfremde Herzöge handelte, waren sie zur Herrschaftsausübung auf die stützende Kraft der königlichen Zentrale angewiesen. Zugleich hatte Heinrich III. drei herausragende Dynastien für sich gewonnen: die Luxemburger, Ezzonen und Welfen. Der Süden war daher trotz der Neuvergabe der Herzogtümer – zu der sich der König nach Antritt seiner eigenständigen Königsherrschaft genötigt sah – fest an den König gebunden und auch ein rascher Wechsel der Herzöge in Bayern und Schwaben änderte daran nichts. Anders sah es hingegen im Norden und Westen des Reiches aus. Die Sonderrolle Sachsens, die der dortige Adel bereits unter Heinrich II. für sich beansprucht hatte, da zuvor für über ein Jahrhundert die Könige aus Sachsen gekommen waren, hatte nicht unbedingt zu einer innigen Verbindung der Könige mit Sachsen geführt. Diese Distanz zwischen dem nördlichsten Herzogtum und den salischen Königen musste sich in dem Maße vergrößern, in dem die Salier darum bemüht waren, eine verstärkte Kontrolle über Sachsen auszuüben und damit dessen Sonderrolle zu beseitigen. Da die Herzöge hier nicht ausstarben und das Herzogsamt erblich war, konnte Heinrich III. auf Sachsen – anders als in Süddeutschland – keinen Einfluss über die Besetzung des Herzogsamtes gewinnen. Er musste vielmehr die direkten Zugriffsmöglichkeiten des Herrschers auf Ressourcen stärken und versuchen, diese auszubauen. Konkret bedeutete dies, dass Heinrich III. (wie schon sein Vater Konrad II.) sich um einen Ausbau des Reichsgutes bemühte, also um Burgen, Länder, Besitzungen im weitesten Sinne, die Eigentum des Reiches waren und über die der König daher direkt verfügen konnte. Kein anderer Ort steht so deutlich für diese Bemühungen wie Goslar. Es ragte wie ein Zeichen königlichen Machtanspruchs in das sonst davon relativ abgeschottete Sachsen hinein. Der ge-
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samte Harz mit Goslar als Zentrum wurde von Heinrich III. intensiv ausgebaut. Die zentrale Rolle Goslars wird daran deutlich, dass das dort angesiedelte Stift St. Simon und Judas zu einer Kaderschmiede für Bischöfe im Reich wurde. Etliche der späteren Bischöfe im Reich Heinrichs III. waren in Goslar an St. Simon und Judas Kanoniker gewesen, bevor sie auf Bischofsstühle promoviert worden waren. Parallel dazu baute Heinrich III. seinen Einfluss auf die Reichskirche in Sachsen aus, entnahm deren Bischöfe seiner Hofkapelle. Besonders Hildesheim und Halberstadt standen fortan verstärkt unter salischem Einfluss. Und schließlich setzte Heinrich III. im Jahr 1043 auch in Hamburg-Bremen, dem nördlichsten Erzbistum des Reiches, einen ihm genehmen Kandidaten ein, Adalbert, der nicht zu den Parteigängern des billungischen Herzogs Bernhard II. gehörte. Der Erzbischof, der im Norden eine entscheidende politische Größe darstellte, wurde damit von Heinrich III. bewusst als ein Gegengewicht gegen den Herzog eingesetzt. Damit sind die Konfliktpotenziale skizziert, die das Verhältnis der Sachsen zum König gefährdeten, die jedoch unter Heinrich III. noch nicht mit aller Wucht ausbrechen sollten. Noch verfügte Heinrich III. offenbar über eine so gute Position, dass er den Unmut bändigen und sich die Sachsen gefügig machen konnte. Das sollte sich erst nach seinem Tod ändern. Anders sah es hingegen in Lothringen aus. Denn dort kam es über Jahre hinweg zu schweren militärischen Auseinandersetzungen. Die beiden Kontrahenten, die sich hier gegenüberstanden, waren Heinrich III. und der lothringische Herzog Gottfried der Bärtige. Verfassungsrechtlicher Kern des Konfliktes war die Frage, welche Kompetenzen die königliche Zentralgewalt gegenüber der Herzogsgewalt auszuüben berechtigt war, ob der König dem legitimen Erben eines Herzogs sein Anrecht auf die Nachfolge teilweise verwehren konnte oder nicht. Je nachdem, wie diese Frage beantwortet wurde, entwickelte sich das herzogliche Amt zu einer Institution, die in der ungebundenen Verfügungsgewalt des Königs lag oder an den Willen der Herzöge sowie Großen im Herzogtum rückgekoppelt war. Es ging mithin um die Reichweite königlichen Einflusses innerhalb des Verfassungsgefüges. Lothringen bestand bis 1033 aus zwei Herzogtümern, aus Oberlothringen und Niederlothringen. Als Herzog Friedrich von Oberlothringen in diesem Jahr ohne einen legitimen Erben starb, übertrug Konrad II. das oberlothringische Herzogtum nun dem niederlothringischen Herzog Gozelo I., sodass beide lothringischen Herzogtümer in der Hand eines einzigen Herzogs vereint waren. Gozelo I. erwies sich daraufhin als ein treuer Diener Konrads II. und eine wesentliche Stütze des ersten Saliers. Strukturell gesehen handelte Konrad hier jedoch ganz anders als sonst: Generell war er eher um eine Verkleinerung der Herrschaftsräume bemüht. In Lothringen hatte er anders gehandelt – und die Unterstützung Gozelos I. war ihm das offenbar wert gewesen. Dies wollte Heinrich III. nach dem Tod Gozelos I. im Jahre 1044 wieder rückgängig machen. So vergab er Oberlothringen an Gozelos Sohn, Gottfried
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Lothringen
Konflikt mit Gottfried
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IV.
Heinrich III. und Leo IX.
Herrschaftsauffassung Heinrichs III.
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den Bärtigen, der eigentlich der Erbe beider Teile Lothringens werden sollte. Niederlothringen vergab Heinrich III. jedoch an Gozelo II., einen anderen Sohn Gozelos I. Dieser galt den Zeitgenossen und vor allem seinem Bruder Gottfried dem Bärtigen jedoch nicht als erbfähig – die genauen Gründe dafür kennen wir nicht. Gottfried erschien im September 1044 auf einem Hoftag Heinrichs III. in Aachen, um seine Ansprüche zu artikulieren, jedoch ohne Erfolg. Den Protest Gottfrieds zu dieser Entscheidung wertete Heinrich III. als Hochverrat und ließ Gottfried durch einen Fürstenspruch sogar alle Reichslehen absprechen. Dieses Beispiel ist ein beredtes Zeugnis für das gesteigerte Selbstverständnis Heinrichs III. als König und für seine Auffassung vom Königtum. Gottfried blieb daher nur die offene Empörung gegen den König übrig. Doch da er kaum Unterstützung fand, musste er sich 1045 in die Hand des Königs begeben, der ihn zunächst monatelang inhaftierte und dann zum Herzog von Oberlothringen einsetzte. Niederlothringen blieb jedoch als eigenständiges Herzogtum erhalten – ebenso wie die Spannungen zwischen Gottfried und Heinrich III. Schließlich schloss sich Gottfried mit weiteren Unzufriedenen aus dem Niederlothringischen Raum zusammen, namentlich mit Dietrich von Holland und Balduin V. von Flandern, um sich erneut gegen den König zu erheben. Militärisch wurde Heinrich III. dieses massiven Widerstandes nicht mehr Herr, sodass der Salier zur Beruhigung der nordwestlichen Front auf die Unterstützung des Papstes setzte. Der Kaiser drohte mit militärischer Gewalt, und der Papst verhängte den Kirchenbann über dessen Gegner. Erst auf diese Weise gelang es, den Widerstand niederzuringen. Dennoch blieb der Nordwesten des Reiches eine Zone, die sich dem herrscherlichen Zugriff Heinrichs III. entzog. Auch der Konflikt mit Gottfried sollte bis zum Tod des Saliers andauern. Die Situation veränderte sich jedoch 1054 dahingehend, dass Gottfried nun sein Augenmerk nicht mehr auf das ihm vorenthaltene Niederlothringen richtete, sondern durch die Heirat mit Beatrix von Canossa auch in Mittelitalien zu der bestimmenden Größe werden sollte. Heinrich III. war nicht gewillt, diese deutliche Aufwertung der Position Gottfrieds, mit dem er sich nach dem anfänglichen Zerwürfnis von 1044 nie endgültig ausgesöhnt hatte, hinzunehmen. Er fühlte sich durch diesen Akt Gottfrieds in seiner Autorität herausgefordert, hätten doch beide – so Heinrichs III. Auffassung – als Lehnsnehmer des Saliers die Zustimmung ihres Lehnsherrn zu dieser Verbindung einholen müssen. Heinrich III. reagierte hart, ließ Beatrix und ihre Tochter Mathilde gefangen setzen sowie weitere Familienmitglieder Gottfrieds verfolgen. Die Auseinandersetzungen verloren das Maß der politischen Nützlichkeit und sind wohl nur durch die übersteigerte Herrschaftsauffassung Heinrichs III. zu erklären. Der Salier sah sich als vicarius Christi, den Stellvertreter Christi, der von Gott eingesetzt war, um die gottgewollte Ordnung aufrechtzuerhalten, um Frieden und Gerechtigkeit herzustellen. Gerechtigkeit bedeutete jedoch in der
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Vorstellung des Saliers nicht vorrangig Milde, und auch der Frieden hatte den Vorstellungen des Königs zu folgen – denn Widerstand gegen den vicarius Christi war in der Deutung Heinrichs III. letztlich auch Widerstand gegen den göttlichen Heilsplan. Die Hierarchisierung des Reiches und seine Ausrichtung auf den Gesalbten des Herrn erfuhr unter ihm eine enorme Zuspitzung. Und nicht nur gegenüber den weltlichen Großen des Reiches artikulierte Heinrich III. diesen Führungsanspruch, sondern ebenso gegenüber den Geistlichen. Dieser Konzeption Heinrichs III. lag ein theokratischer Herrschaftsgedanke zugrunde, den er erfolgreich in der Kirche artikulierte, sodass auch die Bischöfe den Anspruch des Saliers akzeptierten.
1.2 Heinrich III. und die Kirche – die Synode von Sutri und ihre Folgen Im eben beschriebenen theokratischen Sinne übte Heinrich III. auch seine Herrschaft über die Kirche aus, ohne dass diese als willkürlich beschrieben werden könnte. Heinrich III. scheint nach einigen Zeugnissen ein zutiefst religiöser Herrscher gewesen zu sein. Herrschaft über und in der Kirche bedeutete für ihn daher offenbar eine Verpflichtung gegenüber den Reformanliegen. Die Kirche selbst fasste die Herrschaft Heinrichs III. keineswegs als eine Bevormundung oder Gängelung auf, oder gar als eine Beeinflussung der geistlichen Sphäre durch die weltliche. Das Auseinandertreten der weltlichen und der geistlichen Sphäre sind erst ein Ergebnis des Investiturstreits. Unter Heinrich III. sind vielmehr Königsherrschaft und Priestertum, regnum und sacerdotium, keine getrennten Sphären. Der König war ein zentraler Bestandteil der geistlichen Sphäre und stand dieser ohne Widerspruch vor. Er leitete die Synoden der Bischöfe seines Reiches und trieb die Reform der Kirche maßgeblich voran. Die Regierung Heinrichs III. bildete einen Höhepunkt der engen Zusammenarbeit zwischen König und Kirche. Wenn Heinrich III. die Reichskirche zum servitium regis heranzog und damit deren Ressourcen zur Umsetzung seiner Herrschaft nutzte, so diente dies in seiner Perspektive ebenso dem göttlichen Heilsplan wie die Kontrolle des Werdegangs der Bischöfe, der Einhaltung kanonischer Normen oder die Reform der Klöster. Sein gesamtes Handeln diente intentional der Herstellung des Friedens in seinem Reich und damit der Umsetzung des göttlichen Gebotes, auch wenn dies zu folgenschweren Konflikten führte. Es wäre wohl falsch, Heinrich III. als einen rein berechnenden Machtpolitiker einzuschätzen – die Reform der Kirche war ihm nach etlichen Quellenzeugnissen ein zentrales Anliegen. Nach Rom war Heinrich III. im Jahr 1046 jedoch nicht gezogen, um dort einen neuen Papst einzusetzen und Anliegen der Reformer mittels eines erneuerten Papsttums in der gesamten Kirche zum Durchbruch zu verhelfen – das hatte er (zunächst) nicht beabsichtigt. Den Ende des Jahres 1046 offenbar nicht mehr als tragbar angesehenen Papst Gregor VI. hatte er in Oberitalien
Romzug
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IV.
Zusammenarbeit der Universalgewalten
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noch ehrenvoll empfangen und sich mit ihm in Piacenza zusammen in eine Gebetsverbrüderung eintragen lassen. Für ihn war Gregor VI. zu diesem Zeitpunkt der rechtmäßige Papst. Erst auf dem Weg nach Rom kamen ihm offenbar Zweifel, die dann schließlich zur Synode von Sutri führten, deren Ergebnis das endgültige Ende der Pontifikate der drei Päpste Benedikt IX., Silvester III. und Gregor VI. bedeutete sowie die Wahl Clemens’ II., des vorherigen Bischofs von Bamberg. Für die weitere Entwicklung entscheidend ist jedoch, dass dieser durch die konkrete Situation bedingte Akt, der dazu diente, keine Zweifel an der Legitimation des Kaisertums Heinrichs III. aufkommen zu lassen, den Reformen in Rom zum Durchbruch verhalf. Der Salier hatte – wenn auch mit anderen Zielen – entscheidend in die Entwicklung des Papsttums eingegriffen. Und das tat er nach 1046 weiterhin (s. Kap. III. 2). Der Kaiser gab den in Rom fremden Päpsten, die ja keine Römer waren, sondern von außerhalb kamen, den notwendigen Rückhalt, um sich durchsetzen zu können. Denn der Rückgriff auf den Adel, wie dies noch unter den Tuskulanerpäpsten üblich war, blieb den deutschen Päpsten verwehrt. Zugleich begann mit Sutri die Phase eines engen Zusammenwirkens von Kaiser und Papst, wie sie die Geschichte noch nie gesehen hatte und nie wieder sehen sollte. Dies wurde nicht nur im gemeinsamen Kampf gegen Simonie und Nikolaitismus deutlich, dem sich beide mit vereinten Kräften widmeten, sondern ebenso in scheinbar rein weltlichen Belangen: Denn im Frühjahr 1047 zog Heinrich III. gemeinsam mit Clemens II. nach Unteritalien, wo sich der Kaiser huldigen ließ und die Verhältnisse zu ordnen suchte. Der Einzug nach und die Unterwerfung von Benevent blieben ihm jedoch verwehrt. Doch am Beispiel von Benevent ist bereits ein Handlungsmuster zu erkennen, das sich bald darauf auch nördlich der Alpen fassen lässt und das für das Zusammenspiel der beiden Universalgewalten Kaisertum und Papsttum unter Heinrich III. bezeichnend ist. Denn der Kaiser drohte Benevent mit militärischer Gewalt, während der Papst den Kirchenbann verhängte. Das Muster setzte sich bei den weiteren Päpsten fort, am deutlichsten ist es bei Leo IX. und Heinrich III. zu erkennen. Leo IX. arbeitete nach seiner Erhebung fast denselben unteritalienischen Reiseweg ab und nahm dort Treueide für sich und den Kaiser entgegen. Die koordinierte Androhung von militärischer Gewalt durch Heinrich III. und geistlicher Strafmittel durch die Päpste ist sowohl auf diesen Unteritalienzügen als auch vor Pressburg oder in Lothringen zu beobachten. Stets unterstützte hier die päpstliche Seite den Kaiser, und beide Universalgewalten wirkten zum Nutzen Heinrichs III. zusammen.
1.3 Die letzten Jahre und das plötzliche Ende Heinrichs III. Die eben skizzierte Einheit der Universalgewalten konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Herrschaftskonzept Heinrichs III. offenbar die Mög-
1. Heinrich III. (1039–1056)
lichkeiten mittelalterlicher Königsherrschaft – zumindest was das Reich anbelangt – für die Mitte des 11. Jahrhunderts überspannt hatte. Im Osten schien Heinrich III. die Stellung des Reiches stark ausgebaut zu haben. Polen und Böhmen galten als abhängig vom Reich, und als der Salier am 5. Juli 1044 die Ungarn in der Schlacht bei Menfö besiegt hatte, akzeptierte auch der ungarische König eine Oberhoheit des Reiches, womit praktisch alle unmittelbar im Osten angrenzenden Gebiete unter dem Einfluss des Reiches standen. Doch auf welch tönernen Füßen diese Stellung aufgebaut war, sollte der plötzliche Tod Heinrichs III. erweisen. Von der scheinbar hegemonialen Stellung des Reiches blieb wenig übrig, der faktische Einfluss des Reiches in Ungarn war beendet. Heinrich III. bildete sowohl den Höhepunkt als auch das abrupte Ende dieser Entwicklung. Die Überdehnung der Möglichkeiten kam nicht nur in den Beziehungen des Reiches nach Osten zum Ausdruck, sondern ebenso innerhalb des Reichsgefüges. Die hegemoniale Politik gegenüber Ungarn ließ in Bayern einen Konflikt ausbrechen. In dieses Herzogtum hatte Heinrich III. nach dem Tod des Luxemburgers Heinrichs VII. den Ezzonen Konrad I. eingesetzt, den er 1053 wieder absetzte. Die genauen Hintergründe kennen wir nicht. Doch ist zu vermuten, dass Konrad I. – aus bayerischer Perspektive und mit bayerischen Interessen handelnd – wieder eine Annäherung an Ungarn suchte, während der Kaiser eine klare Unterordnung Ungarns einforderte und zu keinen Zugeständnissen bereit war. Die Absetzung des Herzogs wurde von etlichen Großen abgelehnt. Ein konsensuales Miteinander sah sicher anders aus als die von Heinrich III. getroffenen Entscheidungen, die er nicht zuletzt durch sein militärisches Drohpotenzial alle anderen zu akzeptieren nötigte. Als schließlich die Absetzung Konrads I. durch ein Fürstengericht im selben Jahr auch formal ausgesprochen wurde, kam es zu einer offenen Empörung gegen den Kaiser. Herzog Welf III. von Kärnten ergriff für Konrad I. Partei, ebenso die Grafen von Scheyern, Pfalzgraf Aribo und Bischof Gebhard III. von Regensburg. Heinrich III. gelang es zwar rasch, diesen Widerstand zu brechen, und er vergab das Herzogtum dann nacheinander an seine Söhne und schließlich an seine Frau Agnes. Doch durch diesen rücksichtslosen Akt stieß Heinrich III. etliche regionale Machthaber vor den Kopf. Auf die Großen war die königliche Herrschaft jedoch angewiesen, wollte sie auf Dauer Erfolg haben. Der Aufstand der bayerischen Großen gegen Heinrich III. scheiterte zwar, doch Gerüchte, sie hätten geplant, Kaiser Heinrich III. zu ermorden und an dessen Stelle den abgesetzten Bayernherzog Konrad I. zum König zu machen, verdeutlichen, wie angespannt die Stimmung war. Derartige Gerüchte zeigen an, dass die Herrschaft Heinrichs III. von den weltlichen Großen zwar ertragen, aber nicht in allen Punkten akzeptiert wurde. Nicht von ungefähr hat Egon Boshof daher von einer Krise des Reiches in den letzten Jahren Heinrichs III. gesprochen. Denn je länger seine Herrschaft währte, desto offener traten die
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Distanz zum Herrscher
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IV.
Wahl Heinrichs IV.
Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits
Spannungen zwischen seinem theokratischen Anspruch und den strukturellen Gegebenheiten hochmittelalterlicher Herrschaft im Reich zutage. Es waren Spannungen, die vermutlich auf der einen Seite durch die in der Tat beherrschende Stellung Heinrichs III. und auf der anderen Seite durch den frühen Tod des Kaisers nicht zum Ausbruch kamen. Die zunehmende Distanz zwischen dem Kaiser und den Großen schlug sich in der an Bedingungen geknüpften Wahl Heinrichs IV. zum König nieder. Im November 1053 hatte Heinrich III. die Großen in Tribur zusammenkommen lassen, damit diese seinen Sohn Heinrich, der ihm am 11. November 1050 geboren worden war, zum König wählten. Die Großen kamen diesem Wunsch nach. Doch Hermann von Reichenau bemerkt zu dieser Wahl in seinem Chronicon, dass die Fürsten diese Wahl nur unter Vorbehalt vollzogen hätten, nämlich si rector iustus futurus esset(nur wenn der zukünftige König sich als gerecht erweisen sollte). Heinrich III. ließ seinen dreijährigen Sohn im darauffolgenden Jahr am 17. Juli in Aachen krönen, um so sein Erbe abzusichern. Formal war der Übergang damit festgelegt, doch die Großen schienen die Herrschaft Heinrichs III. – anders als es beim Übergang von Konrad II. auf Heinrich III. der Fall war – nicht im selben Maße zu tragen wie bei der letzten Festlegung des Nachfolgers unter dem Großvater Heinrichs IV. Das dürfte jedoch nicht nur durch den unversöhnlichen Regierungsstil Heinrichs III. bedingt gewesen sein, sondern ebenso durch die erhöhte Konkurrenz der Großen mit dem König im Ringen um Herrschaftsressourcen, wie sie dann wenige Jahre später unter Heinrich IV. in dessen Auseinandersetzung mit den Sachsen offen ausbrach. Dass die Nachfolgeregelung von 1053/54 so rasch würde greifen müssen, war sicher weder den Großen noch Heinrich III. bei der Wahl seines Sohnes bewusst. Zwar hatte der Kaiser bereits 1045 nach einer schweren Erkrankung mit dem Tod gerungen, doch mit dessen tatsächlichem Eintreten hatte im Jahre 1056 niemand gerechnet, zumal der Kaiser erst 39 Jahre alt war. Zuvor hatte Heinrich III. noch den alten Streit mit Gottfried dem Bärtigen zu beenden versucht. Dies ist wohl nicht aus einem inneren Bedürfnis des Kaisers heraus geschehen, sondern aus der schlichten Einsicht, dass die Nachfolge Heinrichs IV. besser abgesichert wäre, würde er sich zumindest mit dem mächtigsten seiner Gegner aussöhnen. Und in der Tat erwies sich der Schachzug des Kaisers als weise. Bis in die letzten Stunden scheint ihn die Sorge um die Nachfolge seines Sohnes umgetrieben zu haben: Schon auf dem Sterbebett in Bodfeld niedergestreckt, ließ er die in seiner Umgebung weilenden weltlichen und geistlichen Großen nochmals zu sich rufen und diese eine erneute Wahl Heinrichs IV. vornehmen. Seinen Sohn stellte er anschließend unter den Schutz Papst Viktors II., der zu dieser Zeit in Deutschland und am Sterbebett des Kaisers weilte. Zum letzten Mal können wir hier die enge Zusammenarbeit von Kaiser und Papst unter Heinrich III. fassen. Am 5. Oktober 1056 schließlich starb Heinrich III. Er wurde Ende Oktober in Speyer beigesetzt.
2. Die ersten Jahre Heinrichs IV. (1056–1073)
Das Urteil über ihn ist bereits unter den Zeitgenossen gespalten. Der schon zitierte Hermann von Reichenau führte über die Regierung Heinrichs III. aus: „Die kaiserliche Regierung hatte die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt; dem hohen sittlichen Anspruch, unter dem sie angetreten war, war sie nicht gerecht geworden. Die Wahrung von Gerechtigkeit und Frieden lag im Argen, Resignation machte sich breit.“ Die Enttäuschung über die Herrschaft Heinrichs III. ist in den Worten des Reichenauer Mönches deutlich zu spüren. Und auch die Ausführungen von Otloh von St. Emmeram in Regensburg zeugen von dieser Enttäuschung. In seinen Visionen beschreibt er einen Traum über Heinrich III. In Otlohs Traum hätten drei Arme vergeblich versucht, dass der Kaiser ihnen Recht verschaffe. Doch Heinrich III., der im Traum mit den Großen im Gespräch war, habe die drei Armen barsch zurückgewiesen. Da habe eine Stimme aus dem Himmel dem Kaiser harte Strafen im Jenseits angedroht. Als Otloh erwachte – so beschreibt er es –, habe er die Nachricht vom Tod des Kaisers vernommen. Der hier geschilderte Wesenszug Heinrichs III., seine Unnachgiebigkeit und Härte, war ein Charakteristikum seiner Herrschaft. Für die Reformer hingegen blieb der erste salische Kaiser zunächst derjenige, der ihrer Sache zum Sieg verholfen hatte. Erst sein Sohn sollte durch seine Auseinandersetzungen mit Gregor VII. dieses verklärte Bild Heinrichs III. auch in den Augen mancher Reformer überdecken.
75 Urteile der Zeitgenossen
2. Die ersten Jahre Heinrichs IV. (1056–1073) Heinrich IV. ist von seinen Zeitgenossen überaus unterschiedlich beurteilt worden. Von seinen Parteigängern wurde sein Vorgehen gegen den Einfluss der als immer dominierender wahrgenommenen (Papst-)Kirche gelobt, seine Fürsorge gegenüber den Armen, seine gesetzgeberischen Tätigkeiten und vieles mehr. Seine Gegner sahen in ihm den Tyrannen, der jeden Widerstand niederbügelte, einen Verfolger der Kirche und nicht zuletzt einen sexuellen Wüstling, der selbst vor Sodomie nicht zurückschreckte. Bezeichnend ist bei all diesen Urteilen, dass sie meist erst nach dem heftigen Zusammenstoß zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. festgehalten wurden. Einige fanden sich zwar bereits davor wie der Vorwurf der Ty-
Abb. 2 Kaiser Heinrich IV. auf dem Thron mit Krone, Zepter und Reichsapfel
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IV.
Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits
rannei, den die Sachsen erhoben, obwohl Heinrich IV. in seiner Perspektive lediglich konsequent die Politik seines Vaters fortsetzte und die königliche Position gegenüber den Sachsen auszubauen versuchte, sowie Gerüchte über mangelnde Milde und einen geradezu unmenschlichen Umgang mit seiner ersten Frau. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Auseinandersetzung mit dem Papsttum die Kritik wesentlich verschärfte, die Urteile härter werden ließ und damit auch der Charakter dieses Herrschers aus der Perspektive des Konflikts überzeichnet wurde. Kein Herrscher vor Heinrich IV. dürfte so sehr durch Höhen und Tiefen gegangen sein wie er – auf der einen Seite schien er nach dem triumphalen Sieg über die Sachsen die Position seines Vaters noch übertroffen zu haben, auf der anderen Seite war sein Königtum mehrfach in Gefahr, wurden Gegenkönige gegen ihn aufgestellt, wurde er von seinem ersten Sohn Konrad verraten und am Ende seiner Herrschaft von seinem zweiten Sohn abgesetzt. Doch so umstritten Heinrich IV. bei den Zeitgenossen war und in der Forschung heute noch ist, so wenig ist zu verkennen, dass er am Ende seines Lebens auf eine erstaunlich lange, fast 50-jährige Regierungszeit zurückblicken konnte. Er war für ein halbes Jahrhundert König gewesen – und allein dies ist eine Leistung, welche die Regierungsfähigkeit Heinrichs IV. unter Beweis stellt. Es verdeutlicht, dass Heinrich IV. keineswegs der einsame Tyrann war, sondern dass seine Herrschaft von weiten Teilen des Reiches getragen wurde, anders ist diese lange Regierungszeit nicht zu erklären.
2.1 Vormundschaft und eigenständiger Herrschaftsantritt
Vormundschaft Agnes’
Der im November 1050 geborene Heinrich IV. war im November 1053 von den Großen zum König gewählt worden, unter dem Vorbehalt, dass er ein gerechter König sein werde, wie Hermann von Reichenau in seiner Chronik berichtet. Im Jahr darauf war der kleine Heinrich in Aachen gekrönt worden, womit die Nachfolge als gesichert gelten konnte. Als Heinrich III. am 5. Oktober 1056 unerwartet und plötzlich starb, gab es folglich unter den Großen keine Bemühungen, einen anderen Kandidaten zu suchen und zum König zu erheben. Der damals noch nicht ganz sechsjährige Heinrich IV. galt im gesamten Reich als der neue König. Mit minderjährigen Königen hatte man seit den Tagen Ottos III. (p 1002) Erfahrung, und auch Papst Viktor II., dem der sterbende Heinrich III. seinen Sohn anempfohlen hatte, dürfte keinen unerheblichen Anteil am reibungslosen Übergang gehabt haben. Eine Auflehnung gegen Heinrich IV. hätte eine Auflehnung gegen den Papst bedeutet. Doch nicht der Papst, sondern die Kaiserinwitwe Agnes führte die Vormundschaftsregierung und zunächst die im letzten Jahr seiner Regierung begonnene Politik ihres verstorbenen Gatten fort. Hatte Heinrich III. zuvor auf einen Ausbau der königlichen Macht gesetzt, so hatte er in den letzten Monaten in Sorge um die Nachfolge seines Sohnes eine konziliantere Politik betrie-
2. Die ersten Jahre Heinrichs IV. (1056–1073)
ben. Die Königsherrschaft kehrte in gewisser Weise in die Bahnen der Vorgänger Heinrichs III. zurück, die sich seit den Tagen Heinrichs I. unterschiedlich ausgeprägt am Ideal der konsensualen Herrschaftspraxis orientiert hatten. Das war jedoch nicht allein Herrscherwille, sondern schlicht den Herrschaftsbedingungen des mittelalterlichen Königtums geschuldet, das nicht über die Ressourcen verfügte, seine Position gegen den Willen der Großen durchsetzen zu können. Heinrich III. war hier eine gewisse Ausnahme – und nur der frühe Tod scheint ihn davor bewahrt zu haben, dass es zu einer grundsätzlichen Kraftprobe der Großen mit dem Kaiser gekommen war. Agnes, um einen Ausgleich mit den Großen bemüht, kehrte auf die traditionellen Pfade der Königsherrschaft im Sinne der konsensualen Herrschaftspraxis zurück: Das Herzogtum Schwaben vergab sie 1057 an Rudolf von Rheinfelden, der in erster Ehe zudem mit Mathilde, einer Tochter aus der Ehe Heinrichs III. und Agnes, verheiratet war. Bayern, das die Kaiserin bis dahin persönlich verwaltet hatte, erhielt 1061 der aus Sachsen stammenden Otto von Northeim, Kärnten im selben Jahr der Zähringer Berthold. Beide waren in ihren Herzogtümern ortsfremd. Doch vor allem die Aussöhnung mit Gottfried dem Bärtigen war ein wichtiger Schritt hin zu einer Deeskalation der mit etlichen Konfliktpotenzialen aufgeladenen Situation. Doch nicht in jeder Hinsicht kann die Vormundschaftsregierung allein als eine Fortsetzung der Politik aus den letzten Tagen Heinrichs III. gelten. Hatte der Salierkaiser die Reichskirche herangezogen, um deren Potenzial für seine eigene Herrschaft zu nutzen, so waren seine engeren Ratgeber doch nicht allein Bischöfe gewesen, sondern auch immer Vertreter des weltlichen Adels. Die engere Umgebung Agnes’, wenn man so will die erweiterte Vormundschaftsregierung, bestand hingegen fast nur aus Bischöfen. Die fromme und den Reformern sehr zugetane Kaiserin schien für manchen Betrachter zu sehr auf den Einfluss dieser Bischöfe zu hören, unter denen der Kölner Erzbischof Anno II., der Mainzer Siegfried I. sowie Bischof Hermann II. von Augsburg als maßgebliche Berater der Kaiserin fungierten. Waren die Erzbischöfe zur Mitwirkung an der Regierung bereits durch ihre Stellung innerhalb der Reichskirche prädestiniert – der Mainzer als Kanzler des Reiches und der Kölner als Leiter der italienischen Kanzlei –, so ist die Beteiligung Hermanns II. von Augsburg erklärungsbedürftig. Sie mag durch seine persönlichen Fähigkeiten bedingt gewesen sein, doch einige Zeitgenossen vermuteten eine intime Beziehung des Bischofs zur Kaiserin, was wohl als üble Nachrede gewertet werden muss. Nicht zu verkennen ist hingegen, dass vor allem die partikularen Gewalten, Herzöge, Grafen und andere Adelige, die Minderjährigkeit des Königs dazu nutzten, um die Erfolge Heinrichs III. bei der Rückgewinnung und Zentralisierung von Reichsgut zu revidieren. Vor allem in Sachsen versuchten die Adeligen, das Rad wieder zurückzudrehen und die dortigen Königsgüter erneut in ihre Hand zu bekommen. Es ist daher nicht zufällig, dass Hein-
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Rolle der Bischöfe
Erstarken der Partikulargewalten
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IV.
Cadalus-Schisma
Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits
rich IV. nach dem Antritt seiner selbstständigen Regierung vor allem mit den Sachsen in Konflikt geriet, als er die Politik seines Vaters wieder aufnahm. Diese Konfliktlinie kam unter Agnes noch nicht zum Ausbruch. Ein anderes Ereignis brachte die Vormundschaftsregierung in eine Krise. Die Entwicklung verdeutlicht, wie eng die beiden Universalgewalten miteinander verknüpft waren und welch starken Einfluss beide aufeinander haben konnten. Denn die Krise der Vormundschaftsregierung entsprang einer sich in der Rückschau als falsch erweisenden Stellungnahme des kaiserlichen Hofes in einem Papstschisma, das durch die Doppelwahl Honorius’ (II.) und Alexanders II. entstanden war. Nach dem Tod Papst Nikolaus’ II. im Jahre 1061 erhoben die reformorientierten Kardinäle gemäß den Regelungen des Papstwahldekrets von 1059 Bischof Anselm I. von Lucca zum Papst, der den Namen Alexander II. annahm. Eine andere Gruppe, maßgeblich durch die oberitalienischen Bischöfe unterstützt, erhob hingegen den Bischof von Parma, Cadalus, zum Papst, der den Namen Honorius (II.) annahm. Beide Seiten appellierten nun an den römisch-deutschen Königshof und damit an Agnes, sich für den einen oder anderen Kandidaten zu entscheiden und damit das durch die Doppelwahl ausgebrochene Schisma zu beenden. Agnes entschied sich für Honorius (II.), was sich rasch als ein folgenschwerer Fehler erwies. Denn dieser hatte zwar die oberitalienischen Bischöfe und Teile der Römer auf seiner Seite, doch die Reformer und vor allem die Kardinäle standen hinter Alexander II. Sie waren nicht gewillt, von ihrem Kandidaten abzurücken, den sie gemäß den Regelungen des Papstwahldekretes erhoben hatten. Bald war damit offenbar, dass das Schisma durch Agnes’ Entscheidung nicht beendet, sondern im Gegenteil perpetuiert worden war. Stichwort
Schisma Als Schisma (lat. schisma = Spaltung) bezeichnet man eine Spaltung der Kirche. Diese Spaltung kann durch ein offenes Zerwürfnis entstehen, wie etwa im sogenannten morgenländischen Schisma von 1054, in dem sich die Ost- und Westkirche gegenseitig bannten und eine dann vor allem infolge des vierten Kreuzzugs real eingetretene Spaltung forcierten. Innerhalb der lateinischen Kirche entstehen derartige Schismen durch eine Doppelwahl oder die Erhebung eines Gegenpapstes, sodass zwei Kandidaten zugleich von sich behaupten, der rechtmäßige Papst zu sein. Der im Ringen der beiden Kandidaten unterlegene Papst wird dann in der Rückschau zum Gegenpapst, unabhängig von der Rechtmäßigkeit seiner Erhebung.
Schleiernahme
Die tief gläubige Agnes fühlte sich offenbar für die Perpetuierung des Schismas verantwortlich. Als Reaktion auf ihr Verhalten nahm sie den Schleier, versprach zeit ihres Lebens Witwe zu bleiben und sich den geistlichen Dingen zu
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widmen. Kirchenrechtlich war sie damit dem Stand der normalen Laien entrückt. Sie war zwar keine vollwertige Nonne oder Kanonisse geworden, doch kann man den Zustand nach der Schleiernahme als eine Zwischenstellung charakterisieren. Die Zügel der Herrschaft hielt Agnes danach nicht mehr mit derselben Intensität in ihrer Hand. Sie und ihre Berater waren durch ihre Entscheidung im Cadalus-Schisma infrage gestellt worden – zumal Agnes und Bischof Hermann II. von Augsburg offenbar nicht bereit waren, ihre Fehlentscheidung zu korrigieren, obwohl etlichen Großen klar war, dass sich der salische Königshof damit in eine Sackgasse manövriert hatte. Namentlich Erzbischof Anno II. von Köln wollte dies ändern, wodurch die enge Bindung der Universalgewalten aneinander zu sehr konkreten Auswirkungen auf das Schicksal des jungen Heinrich IV. führte. Die Taten Annos II., so ungeheuerlich sie erscheinen, müssen wohl aus dieser Perspektive gesehen werden, aus dem Bemühen des Erzbischofs, das Reich zur Anerkennung Papst Alexanders II. zu bewegen, die Eintracht zwischen den Universalgewalten wiederherzustellen, was ihm nur durch eine Verdrängung des maßgeblichen Einflusses Hermanns II. von Augsburg möglich schien. Aus diesem Grund dürfte es im April 1062 zum sogenannten Staatsstreich von Kaiserswerth gekommen sein, der in dem damals noch nicht zwölf Jahre alten Heinrich IV. tiefe Spuren der inneren Kränkung hinterlassen haben dürfte und der vielleicht auch das zukünftig häufig von diesem Herrscher anderen gegenüber an den Tag gelegte Misstrauen erklären könnte. Unsere ausführlichste Quelle zu den Ereignissen sind die Annalen Lamperts von Hersfeld. Der Hersfelder Mönch berichtet, dass der königliche Hof im April 1062 in der Kaiserpfalz Kaiserswerth am Rhein weilte, als Anno II. von Köln den jungen Heinrich IV. zur Besichtigung eines Bootes überredete, das der Erzbischof unterhalb der Kaiserpfalz am Rhein liegen hatte. Quelle
Der Staatsstreich von Kaiserswerth (Lampert von Hersfeld, Annalen) Zit. nach: Adolf Schmidt / Dietrich Fritz (Hrsg.): Lampert von Hersfeld, Annalen, S. 75
Dazu ließ sich der arglose, an nichts weniger als an eine Hinterlist denkende Knabe leicht überreden. Kaum aber hatte er das Schiff betreten, da umringten ihn die vom Erzbischof angestellten Helfershelfer seines Anschlags, rasch stemmten sich die Ruderer hoch, warfen sich mit aller Kraft in die Riemen und trieben das Schiff blitzschnell in die Mitte des Stromes. Der König, fassungslos über diese unerwarteten Vorgänge und unentschlossen, dachte nichts anderes, als dass man ihm Gewalt antuen und ihn ermorden wolle, und stürzte sich kopfüber in den Fluss, und er wäre in den reißenden Fluten ertrunken, wäre dem Gefährdeten nicht Graf Ekbert trotz der Gefahr, in die er sich begab, nachgesprungen und hätte er ihn nicht mit Müh und Not vor dem Untergang gerettet und aufs Schiff zurückgebracht. Nun beruhigte man ihn durch allen nur möglichen freundlichen Zuspruch und brachte ihn nach Köln.
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Staatsstreich von Kaiserswerth
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IV. Anerkennung Alexanders II.
Regiment Annos II.
Schwertleite
Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits
Was Lampert schildert, ist nichts anderes als eine öffentliche Entführung des jungen Königs durch den Kölner Erzbischof Anno vor den Augen des gesamten Hofes. Das Ereignis muss auf den jungen Heinrich schockierend gewirkt haben. Und das Erstaunliche war: Es regte sich keine Hand im Reich, um gegen Anno von Köln vorzugehen. Auch Agnes, die bis 1065, bis zur Schwertleite ihres Sohnes, im Reich blieb und erst dann nach Rom übersiedelte, scheint nicht eingeschritten zu sein. Formal blieb sie nach dem sogenannten Staatsstreich die Regentin, wobei an die Stelle Hermanns II. von Augsburg, der die Geschicke des Reiches maßgeblich beeinflusst hatte, nun Anno II. von Köln getreten war. Dieser Wechsel schien nicht nur von weiten Teilen des Reiches, sondern auch von Agnes selbst akzeptiert worden zu sein, zumal Anno II. von mächtigen Großen wie Otto von Northeim und Gottfried dem Bärtigen unterstützt wurde. Der Staatsstreich von Kaiserswerth war die Voraussetzung dafür gewesen, die in der Rückschau falsche Entscheidung im Cadalus-Schisma korrigieren zu können, was nach vorausgegangenen Verhandlungen schließlich zu Pfingsten 1064 auf einer in Mantua tagenden Synode geschah, zu der Honorius (II.) erst gar nicht mehr erschien. Die Synode und damit auch der römisch-deutsche Königshof erkannten nun Alexander II. als rechtmäßigen Papst an. Anno II. war der Mann, der diesen Politikwechsel maßgeblich betrieben hatte. Der Staatsstreich von Kaiserswerth ist in diese Politik des machtbewussten Kölner Erzbischofs einzuordnen. Er war fortan die zentrale Person des Reichsregimentes. Gegen ihn brachten sich nun vor allem der Mainzer Erzbischof Siegfried und noch mehr Erzbischof Adalbert von Hamburg-Bremen in Stellung und versuchten ihrerseits Einfluss auf die Reichsregierung zu erlangen. Dass die Verhältnisse sich in Kaiserswerth schlagartig geändert hatten, war ihnen ein Beleg dafür, wie instabil die momentane Ordnung offensichtlich war und wie rasch die Gewichte durch tatkräftiges Eingreifen zu den eigenen Gunsten verschoben werden konnten. Es herrschte eine Atmosphäre der Konkurrenz, vorrangig unter den Erzbischöfen. Der junge König erscheint fast wie eine Schachfigur, die von anderen auf dem Brett bewegt wird, wobei die Frage, wer der Spieler ist, von der aktuellen Sachlage abhing. Nach der Entführung Heinrichs dürfte dies keine angenehme Erfahrung für den jungen König gewesen sein. Modern würde man von einem Verfall der politischen Kultur sprechen. Ein Ende dieses Zustandes schien mit der Schwertleite Heinrichs IV. im März 1065 gekommen zu sein, durch die Heinrich IV. offiziell mündig wurde und die Vormundschaftsregierung beendet war. In einer feierlichen Zeremonie wurden dem jungen König in Worms die Waffen übergeben, und der Salier wurde ermahnt, sie zum Schutz der Armen und Schwachen sowie der Kirche einzusetzen. Anwesend waren dabei auch die drei Erzbischöfe Anno II. von Köln, Siegfried von Mainz und Adalbert von Hamburg-Bremen sowie Herzog Gottfried der Bärtige, der den Schild des Königs trug, ein Zeichen, dass er des-
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sen Königtum voll und ganz anerkennen und Heinrich IV. loyal zur Seite stehen würde. Der feierliche Charakter der Zeremonie wurde nach Lampert von Hersfeld jedoch dadurch gestört, dass Heinrich IV. sich, kaum mündig geworden, unmittelbar mit dem Kölner Erzbischof Anno II. schlagen wollte. Als Motiv gibt Lampert die tiefe Kränkung in Kaiserswerth an. Zwar konnte Agnes offenbar durch eine persönliche Intervention eine Auseinandersetzung mit dem Schwert in der Hand verhindern, doch der Einfluss Annos II. auf die Reichsregierung war beendet. An dessen Stelle trat nun Adalbert von Hamburg-Bremen. Zu diesem hatte der junge König offenbar Vertrauen und Adalbert verstand es geschickt, den Einfluss anderer Großer zu beseitigen, sodass manche Quellen von einer „angemaßten Alleinherrschaft“ Adalberts sprechen. Vor diesem Hintergrund ist die spontane Attacke Heinrichs IV. nach seiner Schwertleite auf Anno II. von Köln eventuell als eine Einflüsterung Adalberts zu interpretieren. Die Grundstruktur am Königshof hatte sich trotz der Schwertleite zunächst nur bedingt geändert, da Adalbert nun einen bestimmenden Einfluss auf den König gewann.
2.2 Konflikte im Reich. Heinrich IV. und die Fürstenopposition Die Konflikte im Reich, namentlich mit den Sachsen, verdeutlichen, dass die Sprengkraft des Investiturstreits im Reich nicht nur durch das Ringen zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt bedingt war, sondern ebenso durch ein Ringen um Herrschaftsressourcen zwischen König sowie weltlichen und geistlichen Großen. Durch diese sich verschärfende Konkurrenz gewann die Auseinandersetzung des Königtums mit der sich entwickelnden Papstkirche eine neue Dimension, da sich beide Konflikte miteinander verbanden und Grenzen sowie Berechtigung der traditionellen königlichen Herrschaftsausübung infrage stellten. Sind im weltlichen Bereich die Konfliktlinien bereits unter Heinrich III. zu erkennen, so bewahrte dessen früher Tod ihn davor, sich dem offenen Konflikt stellen zu müssen. Er vererbte ihn gewissermaßen an seinen Sohn, mit dessen eigenständigem Regierungsantritt zunächst kein fundamentaler Wandel im Reichsregiment eingetreten war: Das Ränkespiel der Erzbischöfe ging weiter, der Entfremdung von Reichsgut trat die königliche Gewalt zunächst nicht wirkungsvoll entgegen. Dies war kein glanzvoller Auftakt für einen König, sondern in gewisser Weise die Fortsetzung dessen, was man unter Anno II. erlebt hatte, an dessen Stelle der nicht minder ehrgeizige und vor allem bei den Sachsen wenig beliebte Adalbert von Hamburg-Bremen getreten war. Auch Adalbert versuchte, die Ressourcen seines Bistums durch Reichsbesitzungen zu mehren, insbesondere durch die Aneignung von Reichsklöstern. Als er sich des bedeutenden Reichsklosters Lorsch zu bemächtigen versuchte, läutete er jedoch das Ende seiner Herrschaft ein. Die Mönche appellierten an
Einfluss der Großen
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IV.
Gescheiterte Scheidung
Mordanschlag?
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den König und die Großen, reichten Urkunden ein und wandten sich schließlich an den Papst, um nicht in den Status eines bischöflichen Eigenklosters herabzusinken. Die eifrigen Aktivitäten Lorschs waren jedoch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, da sich inzwischen immer mehr Große des Reichs gegen das Regiment des Erzbischofs zur Wehr setzten und auf den König Druck ausübten, der diesem schließlich nachgeben musste. Im Januar 1066, weniger als ein Jahr nach der Schwertleite Heinrichs IV., musste er Adalbert als maßgeblichen Ratgeber vom Hof entfernen. Das war ein Erfolg für die Sachsen, gegen die Heinrich III. seinerzeit Adalbert bewusst zum Erzbischof von Hamburg-Bremen eingesetzt hatte, welcher sich zu einem gleichwertigen Gegenspieler der sächsischen Herzöge entwickelt hatte. Mit der Entlassung des Erzbischofs hatten die Großen dem jungen König die Grenzen seiner Herrschaft deutlich gemacht. Sie ist ein Beispiel für die gestiegene Bedeutung der Großen für die königliche Herrschaft und die Verschiebung der Gewichte weg von der königlichen Prärogative hin zum Mitbestimmungsrecht der Großen. Gegen deren geschlossenen Widerstand konnte Heinrich IV. nicht regieren. Dazu war seine Stellung nicht stark genug. Der Spielraum, in dem die Großen ihre eigenen Interessen ausbauen und umsetzen konnten, war durch den Tod Heinrichs III. größer geworden. Für Verstimmung bei den Großen hatte zudem (teilweise) die persönliche Lebensführung Heinrichs IV. gesorgt. Der König wollte sich 1069, drei Jahre nach seiner Hochzeit, von seiner Frau, Bertha von Savoyen, scheiden lassen, obwohl keine rechtlich verwertbaren Gründe für eine Scheidung vorlagen. Die Reichskirche, insbesondere der Mainzer Erzbischof, wollte in diesem heiklen Fall offenbar kein Urteil sprechen und reichte die Angelegenheit nach Rom weiter. Von dort rückte der greise Kardinal Petrus Damiani an, um die Sachlage zu klären. Er machte deutlich, dass Rom eine Scheidung nicht akzeptieren werde. Dem König blieb daraufhin nichts anderes übrig, als sein Projekt zunächst aufzugeben. Diese erneute Demütigung für den jungen König war nicht durch die Großen des Reiches erfolgt, sondern durch die Reformer in der Person Petrus Damianis. Die Königsherrschaft schien zunehmend in Konflikte zu geraten, bei denen die Interessenlagen nicht immer eindeutig zu klären sind. Die Quellen lassen zunehmend härtere Konflikte erkennen, die Konfliktparteien gingen schonungsloser miteinander um. Das zeigt das Beispiel der ersten Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit Otto von Northeim, der 1070 von Heinrich angeklagt wurde, einen Mordanschlag auf den Salierkönig geplant zu haben, den ein sonst in den Quellen nicht zu fassender Egino beinahe ausgeführt habe. Die Motivlage beider Seiten ist unklar. Doch durch die öffentliche Anklage war die Angelegenheit nicht mehr gütlich beizulegen. Heinrich IV. forderte Otto von Northeim schließlich zum Zweikampf auf, um auf diese Weise zu einer Entscheidung kommen zu können. Der Bayernherzog stellte sich dem
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geforderten Zweikampf nicht, sodass ihn ein Fürstengericht verurteilte. Es entzog ihm seine Ämter, allen voran das Herzogtum Bayern, das Heinrich IV. unmittelbar danach an Welf IV. ausgab. Die Hintergründe dieses Vorgehens bleiben wie gesagt leider im Dunklen. Doch die Auseinandersetzung selbst ist klar belegt und ihre Wirkung steht außer Frage. Der König, der bisher vor allem dazu gezwungen gewesen war, zurückzustecken, setzte nun offenbar auf einen konfrontativen Kurs. Das kommt nicht zuletzt in der Aufforderung zum Zweikampf zum Ausdruck, der die massivste Form einer Konfrontation zwischen zwei Personen war. Mit dem Vorgehen gegen Otto von Northeim beginnt in der Herrschaft Heinrichs IV. der Teil seiner Regierung, der in den gängigen Darstellungen in der Regel als „Herrschaft im Konflikt“ gekennzeichnet wird. Durch die Auseinandersetzung mit Otto von Northeim kam es zu einer – wie sich später für Heinrich IV. herausstellen sollte – über den Einzelkonflikt hinweg andauernden Verbindung seiner Gegner, durch die die Herrschaft des Saliers grundlegend infrage gestellt wurde. Otto von Northeim war nicht bereit, das Fürstenurteil zu akzeptieren, und sah sich nach möglichen Verbündeten um, die ihn in seinem Anliegen unterstützten und ebenfalls in Opposition zu Heinrich IV. standen. Bei den Sachsen wurde er fündig. Sie nutzten die Absetzung Ottos von Northeim als willkommenen Anlass, um gegen den offenbar wachsenden Einfluss des Königs vor allem im südlichen Sachsen offen zu protestieren. Namentlich der Sohn des sächsischen Herzogs, Magnus, unterstützte Otto von Northeim und artikulierte den Protest der Sachsen gegen das königliche Vorgehen. Doch dass diese Verbindung für den König folgenreich werden sollte, war zunächst nicht abzusehen. Denn Mitte des Jahres 1071 hatte Heinrich IV. die so skizzierte Opposition militärisch niedergerungen. Otto und Magnus mussten sich dem König unterwerfen, sodass der Widerstand gebrochen, Heinrich IV. sich auf ganzer Linie gegen seinen Kontrahenten Otto durchgesetzt zu haben schien. Bald stellte sich allerdings heraus, dass Heinrich IV. nur einen Etappensieg errungen hatte und ihn die Auseinandersetzung mit Otto und den Sachsen noch Jahre beschäftigen würde. Denn zwei Jahre nach der Unterwerfung Ottos hatte dieser als treibende Kraft dafür gesorgt, dass sich die Sachsen erneut gegen den Salierkönig erhoben. Diesmal, im Sommer 1073, war der Widerstand gegen die königliche Herrschaft jedoch wesentlich breiter verankert als noch zwei Jahre zuvor, zumal nun auch der sächsische Herzog inzwischen Magnus selbst der Opposition beitrat, daneben herausragende geistliche Würdenträger, darunter der Magdeburger Erzbischof Werner und der Halberstädter Bischof Burchard II. Jetzt ging es nicht nur um die Herabsetzung einer einzigen Person aus dem Umkreis der Sachsen, wie 1070 in der Person Ottos von Northeim. Gegenstand der Auseinandersetzung war etwas Grundsätzlicheres: die Grenzen der königlichen Herrschaft in Sachsen. Was stand dem König zu? Inwiefern konnte er mit bisherigen Traditionen, die in den Augen der Sachsen als
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Bündnis mit Sachsen
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IV. Revindikationspolitik
Freiheit der Sachsen
Herrschaftsverdichtung
Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits
das tradierte Recht gelten mussten, brechen und inwiefern seine eigene Position auf Kosten des sächsischen Adels ausbauen? Heinrich IV. war in seiner Politik gegenüber den Sachsen zu den Zielen seines Vaters zurückgekehrt, indem er sich um einen Ausbau der königlichen Herrschaft in diesem Raum bemühte. Im Herzogtum wurde in der Perspektive der Sachsen die Ausdehnung der königlichen Kompetenzen und eine grundsätzliche Zurückdrängung des adeligen Einflusses verhandelt. Heinrich IV. strebte aus seiner Perspektive wohl eher an, die dem Königtum zustehenden Ressourcen, die sich andere – etwa in der Phase der Vormundschaftsregierung – angeeignet hatten, wiederzugewinnen. Ganz konkret ging es dabei um Reichsgut, das der König zurückforderte, was als Revindikationspolitik bezeichnet wird. Er wollte zurückholen, was der Krone rechtmäßig zustand und von Adeligen unrechtmäßig entfremdet worden war. Dies bedeutete für die betroffenen Adeligen eine Schmälerung ihrer Machbasis. In diesem Konflikt treffen damit zwei sehr unterschiedliche Rechtsvorstellungen aufeinander, wobei das Verständnis der beiden Konfliktparteien für die jeweils andere Seite nicht zu deutlich ausgeprägt war. Die Sachsen empfanden die Politik Heinrichs IV. nicht als eine Umsetzung legitimer Ansprüche, sondern als ein völlig neues Programm, mit dem sie konfrontiert wurden. Die Sachsen hatten unter Heinrich II. und Konrad II. erfolgreich eine große Eigenständigkeit ihrer Region eingefordert. Unter Heinrich III. hatte sich dies zwar geändert, da dieser Salier Sachsen enger an die königliche Herrschaft anzubinden suchte, doch war der große Konflikt ausgeblieben, nicht zuletzt aufgrund des frühen und unerwarteten Tods Heinrichs III. Aus der Perspektive der Sachsen war folglich nicht die Situation unter Heinrich III. die Normalität, an der sich die königliche Herrschaft zu orientieren hatte, sondern die Situation vor Heinrich III., die von einer relativen Absenz königlicher Herrschaft in diesem Raum geprägt war. Das Vorgehen Heinrichs IV. erschien ihnen daher nicht als eine Fortsetzung berechtigter königlicher Politik, sondern als ein Bruch mit der zuvor mit dem Königtum ausgehandelten relativ unabhängigen Stellung. Zu diesen grundsätzlich divergierenden Rechtsauffassungen kam eine Veränderung durch den wirtschaftlichen und demografischen Wandel dieser Epoche hinzu, der die Konkurrenz zwischen König und Adel steigerte: Die Bevölkerung war gewachsen, was den sogenannten Landesausbau ermöglichte. Indem Wälder gerodet, Deiche errichtet oder Sümpfe entwässert wurden, gewann man neues Land, das bewirtschaftet werden konnte. Voraussetzung dafür war das Bevölkerungswachstum, denn das Land musste bewirtschaftet werden, damit es für den Grundherrn Ertrag abwerfen konnte. Die so vermehrten Ressourcen dienten wiederum dazu, den Ausbau weiter voranzutreiben. Eine unmittelbare Folge war damit nicht nur eine Verdichtung der Herrschaftsräume, die nun intensiver genutzt wurden, sondern ebenso eine stär-
2. Die ersten Jahre Heinrichs IV. (1056–1073)
kere Konkurrenz der Herrschaftsräume untereinander. Denn der Landes- und Herrschaftsausbau wurde auf den unterschiedlichsten Ebenen vollzogen. Nicht nur der König versuchte, seine Herrschaft zu intensivieren, sondern auch Bischöfe, Äbte, Herzöge, Grafen und einfache Adelige. Die Folge dieser Verdichtung war ein erhöhter Konkurrenzdruck, der sich nun ebenfalls in Sachsen Bahn brach. Der Adel sah sich dabei nicht nur im Hinblick auf die Ressourcen selbst in einer immer stärkeren Konkurrenz zum Königtum, sondern auch hinsichtlich der von ihm eingesetzten Mittel. Indem Heinrich III. und in dessen Nachfolge Heinrich IV. im sächsischen Raum verstärkt Ministeriale einsetzten, um die Reichsgüter verwalten zu lassen und dem königlichen Herrschaftsanspruch Geltung zu verschaffen, wurde der Adel nicht mehr in demselben Maße in die königliche Herrschaft eingebunden. Die Intensivierung königlicher Herrschaft im südsächsischen Raum hatte folglich nicht nur für die Großen Sachsens Auswirkungen, sondern auch für die lokalen Adelsgeschlechter, deren (wenn teilweise auch nur bescheidene) autogene Adelsherrschaft von Bevollmächtigten des Königs bedroht wurde. Dem konsensgebundenen Handeln von König und lokalem Adel wurde eine Delegation königlicher Gewalt entgegengesetzt, die in deutlich geringerem Maße auf die Akzeptanz bei den Adeligen vor Ort angewiesen war. Stichwort
(Reichs-)Ministeriale Ministeriale sind ihrem Ursprung nach Unfreie, die ihre Handlungskompetenz durch Delegation von Herrschaftsrechten ihres Herrn erhalten. Sie können – anders als Adelige – folglich nicht von sich aus Herrschaft ausüben, sondern sind immer auf ihren Herrn verwiesen. Zunächst sind diese Ministerialen im Dienst der Reichskirche zu fassen, wobei das Wormser Hofrecht (1024/25) oder das Bamberger Hofrecht (1061/62) erste Versuche darstellen, deren Stellung rechtlich zu definieren. Im Dienste des Königs sind die als Reichsministerialen bezeichneten Dienstmannen erstmals unter Konrad II. zu fassen, in größerem Umfang jedoch erst unter Heinrich III. und dann Heinrich IV., die Ministeriale offenbar gezielt zur Verwaltung der Reichsgüter in Sachsen einsetzten. Erst im ausgehenden 12. Jahrhundert gelang etlichen Reichsministerialen dann der Aufstieg in den Adelsstand.
Der Konflikt mit den Sachsen hatte folglich mehrere Ursachen. Unzweifelhaft war jedoch ebenso, dass der forcierte Herrschaftsausbau des Königs auf die Sachsen bedrohlich wirken musste. Die engere Anbindung der Reichsgüter an den König, ihre direktere Kontrolle und nicht zuletzt die dadurch bedingte Steigerung des dem König zur Verfügung stehenden Machtpotenzials behinderte den adeligen Herrschaftsausbau. Die erhöhte Kontrolle der Ressourcen war sehr konkret visuell wahrnehmbar: Heinrich IV. trieb im südlichen Sachsen den Ausbau königlicher Burgen voran, die nun nicht mehr als Fliehburgen
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IV.
Klage der Sachsen
Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits
ottonischen Typus’ errichtet wurden. Die neuen, wesentlich kleiner dimensionierten, dafür jedoch massiver ausgeführten Burgen dienten nicht mehr dem Schutz der Bevölkerung, sondern der Kontrolle des sächsischen Südens durch den König. Sie beherrschten die Landschaft nicht nur militärisch, sondern auch optisch: Die königliche Präsenz war durch die weithin sichtbare Positionierung der Burgen deutlicher geworden. Der neue Anspruch des Königs stand den Sachsen in steinernen Burgen vor Augen. Sie bemühten sich folglich darum, den König von einem weiteren Ausbau seiner Herrschaft in Sachsen abzubringen. Ein Hoftag in Goslar, zu dem Heinrich IV. für Ende 1073 geladen hatte, schien die rechte Situation zu bieten, um die sächsischen Wünsche zu artikulieren. Doch der Hoftag sollte nicht zu einer Annäherung der Positionen führen, sondern in der Rückschau den Beginn eines grundlegenden Zerwürfnisses bilden: Um den König von seiner bisherigen als Druck empfundenen Politik abzubringen, waren die Sachsen mit einem offenbar beachtlichen Aufgebot zum Goslarer Hoftag gekommen. Sie hatten sich vor der Pfalz versammelt und warteten darauf, dass der König sie in diese hineinrief. In Brunos zwischen 1082 und 1093 entstandenem Buch vom Sachsenkrieg, das in Teilen die Züge einer Anklageschrift gegen Heinrich IV. trägt, findet sich die Szene wie folgt dargestellt: Quelle
Die Demütigung der Sachsen vor der Pfalz von Goslar (Bruno, Buch vom Sachsenkrieg) Zit. nach: Franz-Josef Schmale (Hrsg.): Brunos Sachsenkrieg, c. 23, S. 221f.
Die Sachsen warteten vergeblich vor der Pfalz, „denn er (i.e. Heinrich IV.) hatte die Türen seiner Kammer verschlossen und trieb innen mit seinen Schranzen Würfelspiel und andere unnütze Dinge unbekümmert darum, dass er so viele bedeutende Männer vor seiner Tür warten ließ, als seien sie die niedrigsten Knechte. So verging der ganze Tag, ohne dass er selbst oder ein Bote, der die Wahrheit berichtet hätte, herauskam. Als es schon Nacht geworden war, kam einer von den Höflingen heraus und fragte die Fürsten höhnisch, wie lange sie dort noch warten wollten, da der König schon zu einer anderen Tür hinausgegangen sei und in schnellem Ritt zu seiner Burg eile. Da gerieten alle über die schmähliche und hochmütige Behandlung seitens des Königs derart in Erregung, dass sie ihm noch in dieser Stunde alle zugleich und ohne jede Scheu offen die Treue aufgesagt haben würden, wenn nicht der Markgraf Dedi dank seiner Klugheit ihren Zorn besänftigt hätte“.
Brunos Darstellung mag übertrieben und in der Rückschau bewusst als Ausgangspunkt der folgenden Auseinandersetzungen komponiert worden sein, doch sie umschreibt einen wohl wahren Kern, eine Demütigung der Sachsen durch Heinrich IV., der diese tief traf und vom König entfernte. Wieso hatte Heinrich IV. so gehandelt? Die Erklärung dürfte darin zu suchen sein, dass die
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Sachsen den König durch ihr zahlreiches Erscheinen unter einen erheblichen Druck gesetzt hatten, dem der König nicht bereit war nachzugeben. Um den offenen Konflikt zu vermeiden, hatte der König sich offenbar vor einem Zusammentreffen aus Goslar zurückgezogen, wodurch die Sachsen ihr Anliegen nicht artikulieren konnten. Auch wenn das Verhalten Heinrichs so erklärt werden kann, ist doch auf der anderen Seite klar zu erkennen, dass die Sachsen sich gedemütigt fühlten. Infolgedessen entschlossen sich die Sachsen auf einem Stammestag in Hoetensleben zum offenen Widerstand. Der anwesende Otto von Northeim thematisierte die Burgenpolitik Heinrichs IV., welche die sächsische Freiheit bedrohe, was auf allgemeine Zustimmung stieß, sodass die Sachsen den Aufstand gegen die Königsherrschaft Heinrichs IV. beschlossen. Sie zogen umgehend mit einem ansehnlichen Heer vor die Harzburg, eine der Hauptburgen Heinrichs IV. im südlichen Sachsen, in der sich der König zu diesem Zeitpunkt aufhielt, schlossen diese ein und konfrontierten den König mit ihren Forderungen, auf die er aber nicht bereit war einzugehen. Der König entzog sich dem Zugriff vielmehr durch eine heimliche Flucht, bei der er drei Tage lang durch die ihm unbekannten und dichten Wälder um die Harzburg eilte. Der Gefahr entkommen organisierte er umgehend Maßnahmen gegen die Sachsen. Die Autorität des Königs war herausgefordert, und es galt in der Wahrnehmung des Saliers nicht weniger, als ein Majestätsverbrechen zu bestrafen. Doch die Heinrich IV. unterstützenden Fürsten verhielten sich abwartend und hofften auf eine Deeskalation der Situation. Die Sachsen wichen in den folgenden Verhandlungen jedoch nicht von ihrer Position zurück, sondern brachten vielmehr neue Argumente gegen den König hervor, indem sie ihm sittliche Verfehlungen vorwarfen und damit seine Eignung für das Königtum infrage stellten. Damit war für Heinrich IV. eine ganz neue Ebene des Konfliktes eröffnet, die sein Königtum nicht nur in Sachsen, sondern grundsätzlich anzweifelte. Heinrich IV. musste diesen Konflikt lösen oder zumindest einhegen, eine Ausbreitung in jedem Fall verhindern. Am 20. Oktober 1073 kam es daher in Gerstungen zu einem Treffen zwischen den Sachsen und der königlichen Partei, wobei der König nicht persönlich erschien und den Ausgang der letztlich ergebnislosen Verhandlungen in Würzburg abwartete. Dass Heinrich IV. sich an Gregor VII. gewandt hatte, der die Sachsen in einem Schreiben vom 20. Dezember 1073 aufforderte, die Waffen bis zur Ankunft seiner Legaten ruhen zu lassen, zeigt die Verkoppelung des Konflikts mit den Sachsen mit der Frage der Zusammenarbeit der beiden Universalgewalten. Noch war es Heinrich IV. gelungen, eine Vereinigung seiner Gegner zu verhindern, sogar von Gregor VII. gestützt zu werden. Der Winter 1074 hatte zu keinen Verhandlungsergebnissen geführt, lediglich zu einem Ende der Gefechte. Die Sachsen boten daraufhin an, die Herrschaft Heinrichs IV. wieder anzuerkennen, wenn dieser seine Burgen zerstöre, was
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Aufstand der Sachsen
Erfolg der Sachsen
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IV.
Sieg Heinrichs IV.
Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits
der Salier schließlich bewilligen musste, wollte er sein Königtum nicht ernstlich gefährden. Die Sachsen schienen sich damit auf ganzer Linie durchgesetzt zu haben. Doch dann kehrten sich die Verhältnisse jäh um: Als der König die Burgen nicht in der gewünschten Schnelligkeit rückbaute, griffen Teile der lokalen Bevölkerung selbst zur Tat, gipfelnd in der Zerstörung der Harzburg, die wie keine andere Burg mit Heinrich IV. und seiner Burgenpolitik verknüpft war. Die zuvor – vermutlich unter Zwang – den Aufbau der Burg hatten bewerkstelligen müssen, rissen nun nicht nur die Burg selbst ein, sondern ebenso die dortige Stiftskirche, und schändeten die dort befindlichen Gräber des früh verstorbenen Bruders Heinrichs IV. und dessen Sohn. Deren Gebeine wurden aus den Gräbern gerissen, die Reliquien der Burgkirche zerstreut. Damit hatten die Sachsen einen entscheidenden Fehler in den Auseinandersetzungen mit dem König begangen. Denn sie hatten nun nicht nur den Frieden gebrochen, sondern vielmehr die Gräber von Saliern geschändet und Reliquien entehrt. Die Folge war ein abrupter Stimmungswechsel im Reich, den Heinrich IV. geschickt nutzte, indem er Verhandlungen mit den Sachsen ablehnte und deren bedingungslose Unterwerfung forderte. Von breiter Unterstützung getragen rang der Salierkönig die Sachsen am 9. Juni 1075 in der Schlacht an der Unstrut militärisch nieder. Doch der Salier nutzte seinen Sieg nicht für einen Ausgleich und damit eine dauerhafte Befriedung mit den Sachsen. Sein Verhalten führte vielmehr ganz im Gegenteil zu einer Fortführung des Konfliktes, auch wenn zunächst die Waffen aufgrund der militärischen Überlegenheit des Königs schwiegen. Als die Sachsen zu ihrer zuvor verhandelten Unterwerfung erschienen, deren Bedingungen Heinrich IV. angeblich beeidet haben soll, fühlte sich der Salier an seinen Eid offenbar nicht mehr gebunden und ließ die sächsischen Anführer an getrennten Orten in Gefangenschaft bringen. Die prosächsische Geschichtsschreibung sah darin eine erneute Bestätigung, dass dem Salier nicht zu trauen war. Doch auch die proheinrizianische Historiografie konnte das Verhalten des Königs nicht entschuldigen und hüllte sich lieber in Schweigen. Faktisch war Heinrich zu diesem Vorgehen aufgrund seiner aktuellen militärischen Überlegenheit in der Lage. Doch langfristig erwies sich dieser Konfrontationskurs als eine schwere Hypothek seiner Herrschaft. Der Konflikt mit den Sachsen offenbart die innere Zerrissenheit des Reiches, die Härte der Auseinandersetzungen zeigt wiederum die Unversöhnlichkeit und das Grundsätzliche dieses Ringens zwischen königlicher Herrschaft und adeliger Mitbestimmung. Heinrich IV. schien es gelungen zu sein, die Gewichte zu seinen Gunsten zu verschieben. Doch rasch nach dem Sieg über die Sachsen rückte eine andere, noch grundsätzlichere Auseinandersetzung näher, die sich mit den Konflikten im Reich verband und so eine enorme Sprengkraft entwin ckelte.
Literaturhinweise Auf einen Blick
Die Charakterisierung der ottonisch-salischen Reichskirchenpolitik als „Reichskirchensystem“ ist überholt. Welche Argumente kann man anführen, um den systemischen Charakter zu hinterfragen und eine vermeintliche Sonderstellung des Reiches zu relativieren? Die Regierung Heinrichs III. war eine Phase enger Zusammenarbeit zwischen den beiden Universalgewalten, die zunächst auch über den Tod Heinrichs III. hinaus eine prägende Kraft entfaltete. An welchen Ereignissen werden der Austausch und die gegenseitige Beeinflussung von römisch-deutschem Königtum und Papsttum nach dem Tod Heinrichs III. deutlich? Heinrich III. war durch seinen frühen Tod nicht mehr mit dem Ausbruch etlicher durch die Art seiner Herrschaft entstandener Konflikte konfrontiert worden. Welche strukturellen Wandlungen im Reich hatten unabhängig von der persönlichen Herrschaftsauffassung Heinrichs III. Auswirkungen auf das Verhältnis von König und Adel? Die Auseinandersetzung mit den Sachsen wurde für Heinrich IV. zu einer existenziellen Krise seiner Königsherrschaft. Wieso wurde dieser Konflikt grundlegend, und welche Handlungen des Saliers bedrohten in den Augen der Sachsen deren Freiheiten? Als Heinrich III. starb, war sein Sohn, Heinrich IV., erst fünf Jahre alt. Die Anfangsjahre seines Königtums waren daher eine Vormundschaftsregierung. In diese Zeit fällt auch der sogenannte Staatsstreich von Kaiserswerth. Welche Wirkung könnte dieser auf Heinrich IV. gehabt haben, und inwiefern wirkte die Vormundschaftsregierung für das Verhältnis von König und Adel entspannend?
Literaturhinweise Althoff, Gerd: Heinrich IV. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2006. Modernste Biografie Heinrichs IV. Becher, Matthias: Die Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit den Sachsen. Freiheitskampf oder Adelsrevolte?, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hrsg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert. Positionen der Forschung, München 2006, S. 357–378. Kontrastiert gelungen die Perspektiven der Konfliktparteien. Laudage, Johannes: Heinrich III. (1017–1056). Ein Lebensbild, in: Johannes Rathofer (Hrsg.): Der Codex aureus Escorialensis. Das salische Kaiserevangeliar, 3 Bde., hier Bd. 1 (Kommentar), Madrid 1999, S. 87–195. Momentan umfassendste Darstellung Heinrichs III., ein Tagungsband (Hrsg. Lubich) ist im Druck. Schieffer, Rudolf: Der geschichtliche Ort der ottonisch-salischen Reichskirchenpolitik (Vorträge der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, G 352), Wiesbaden 1998. Synthese der Forschungen ausgehend von Santifallers ottonisch-salischem Reichskirchensystem.
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V. Der Konfliktverlauf im Reich Überblick
S
o wenig beim Pontifikatsbeginn Gregors VII. auf einen Konflikt der beiden Universalgewalten hingedeutet hatte, so erbittert wurden die Auseinandersetzungen im Reich nach ihrem Ausbruch geführt. Das ist zum einen durch die enge Verbindung der beiden Universalgewalten bedingt, da Kaiser und Papst einträchtig zusammenarbeiten sollten, um Gottes Geboten auf Erden Geltung zu verschaffen. Dieses einmütige Zusammenwirken war in der zeitgenössischen Vorstellung vom Kaiser und Papst als Zwillingen zum
Ausdruck gekommen. Dieses Bild einer Gleichrangigkeit der Universalgewalten wurde jetzt von Konzepten der Über- und Unterordnung verdrängt. Im Reich fiel die Auseinandersetzung der weltlichen und geistlichen Gewalt auch deshalb intensiver aus als in anderen Reichen Europas, da dort beide Sphären in Form der Reichskirche enger miteinander verzahnt waren. Der Konflikt rührte im Reich daher nicht nur ideell, sondern auch materiell stärker als in England oder Frankreich an die Grundlagen der Königsherrschaft.
1. Die Investiturfrage Es ist kein Zufall, dass die Frage nach dem Investiturrecht, die dem epochalen Konflikt seinen Namen gegeben hat, erst an dieser Stelle behandelt wird, nachdem die Zentralisierung der Kirche auf Rom hin, die Konflikte im Reich sowie die allgemeinen Wandlungen der Herrschaftsbedingungen thematisiert worden sind. Denn anders als der Name des Streites suggeriert, war die Investitur nicht der Gegenstand des Streites, sondern eines der Mittel, mit deren Hilfe die Reformer ihre Interessen durchzusetzen suchten. Die Reformziele standen lange vor der Frage der Investitur fest. Der Streit um die Investitur war niemals Selbstzweck. Das königliche Investiturrecht wurde beispielsweise im Königreich Sizilien noch deutlich über das Ende des Investiturstreits im Reich hinaus ausgeübt und von den Päpsten akzeptiert. Dennoch gab das Ringen um das Investiturrecht dem epochalen Streit der weltlichen und geistlichen Gewalt seinen Namen. Je stärker die Kirche von einer Bischofskirche in eine Papstkirche umgewandelt wurde, desto mehr Gewicht kam der päpstlichen Stellungnahme zur Laieninvestitur zu. Es verwundert daher nicht, dass es eine lange Forschungsdebatte dazu gibt, wann die Päpste das erste Laieninvestiturverbot erließen.
1. Die Investiturfrage
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Stichwort
Laieninvestitur Unter Investitur versteht man die symbolische Einsetzung (lat. investire = einkleiden) einer Person in ein geistliches oder weltliches Amt. Die dabei verwendeten Symbole konnten sehr unterschiedlich sein. Die im Frühmittelalter vor allem im Bereich der Niederkirchen gängige Praxis war die symbolische Ausdrucksweise für die Verfügungsgewalt des Eigenkirchenherrn, in der Regel eines Laien, über das jeweilige kirchliche Amt. Sie wurde schließlich auf die Bischofskirchen übertragen. Die seit den Tagen Heinrichs III. dabei verwendeten Investitursymbole waren Ring und Stab. Die Laieninvestitur verschwand mit dem Investiturstreit nicht, sondern fand im Patronatsrecht zumindest für die Niederkirchen eine Fortsetzung, da dem Patron eines Amtes ein Präsentationsrecht für Geistliche vor dem Bischof zugestanden wurde. Dem jeweiligen Diözesanbischof oblag dann die formale Einsetzung beziehungsweise Weihe des aufgrund des Patronatsrechts Präsentierten.
Die über Jahrhunderte ausgeübte Laieninvestitur wurde letztlich erst durch das Programm der Reformer, das im Sinne der libertas ecclesiae eine Zurückdrängung des Einflusses von Laien in der Kirche bewirken sollte, zu einem potenziellen Konfliktfeld. Die Reinheit der Kirche sollte auch dadurch hergestellt werden, dass ihre Amtsinhaber auf kanonische Weise und ohne den Einfluss von Laien in ihr Amt gelangten. Sosehr Leo IX. auch darum bemüht war, die Reformen voranzutreiben, so wenig steht bei ihm doch die Bekämpfung der Laieninvestitur im Vordergrund. Wie sehr sie in der Anfangszeit der Reformer noch akzeptiert war, wird an der Einsetzung und Weihe des Eichstätter Bischofs Gundekar deutlich. Dieser war Gebhard von Eichstätt, der als Viktor II. die Kathedra Petri bestiegen hatte, nach dessen Tod in Eichstätt als Bischof gefolgt. Gundekar, ein ehemaliger Kaplan der Kaiserin Agnes, erhielt seine Investitur am 20. August 1057 am königlichen Hof in Tribur. Der 1071/72 entstandene Eichstätter Liber Pontificalis (auch als Pontficale Gundecharianum bezeichnet) formuliert dazu, dass Gundekar in Anwesenheit anderer Bischöfe est anulo investitus („mit dem Ring investiert wurde“). Wer genau diese Investitur durch den Ring durchführte, ist unklar, doch scheinen die Umstände deutlich dafür zu sprechen, dass er von Agnes investiert wurde. Letztlich handelte es sich um eine im Reich übliche Investitur, die vonseiten des Königs oder der Kaiserin vorgenommen wurde. Dieser Umstand dürfte Bischof Anselm I. von Lucca, dem späteren Papst Alexander II., und Hildebrand, dem späteren Papst Gregor VII., bewusst gewesen sein, als sie am 27. Dezember 1057 in Pöhlde der Weihe des durch die königliche Gewalt investierten Gundekars beiwohnten, wie dieselbe Quelle berichtet. Von einem unmittelbaren oder späteren päpstlichen Protest erfahren wir nichts, was die breite Akzeptanz der Laieninvestitur in dieser Phase der Reform verdeutlicht. Zwar wurde die Laieninvestitur etwa von Humbert von Silva Candida in seinem 1058 abge-
Akzeptanz der Laieninvestitur
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V.
Verbot 1078
Rezeption um 1100
Der Konfliktverlauf im Reich
schlossenen Traktat Adversus simoniacos libri tres verurteilt, doch hatte dies keine Auswirkungen auf konkrete Handlungen oder Forderungen der anderen Reformer oder gar der Päpste selbst. Die Verurteilung durch Humbert von Silva Candida ist für uns ein wertvolles Zeugnis, das uns erkennen lässt, dass die Reformer, oder zumindest einzelne von ihnen, untereinander offenbar bereits zu diesem Zeitpunkt über die Laieninvestitur diskutierten. Doch sie leiteten daraus keine Handlungsnotwendigkeiten ab. Die Habilitationsschrift von Rudolf Schieffer hat gezeigt, dass das Thema der Investitur in der zeitgenössischen Diskussion letztlich keine große Rolle spielte. Zwar ist schon 1059 auf der Synode Nikolaus’ II., die auch das Papstwahldekret erließ, ein Investiturverbot ausgesprochen worden, das auf einfache Laien zielte. Dieser Beschluss ist nicht als ein Verbot gegenüber dem vicarius Christi, dem Gesalbten des Herrn, welcher der König in den Augen der Zeitgenossen war, aufzufassen. Die Regelungen von 1059 sollten sich nicht gegen den König richten, sondern allein gegen die darunterliegende Ebene der weltlichen Amtsträger und Adeligen. Die Reformer schenkten der Laieninvestitur nicht die Aufmerksamkeit, die die ältere Forschung noch vermutete. Die Investitur war für sie kein Reformziel, sondern ein Mittel, um in ihren Augen geeigneten Personen den Zugang zum Bischofsamt zu ermöglichen, um die Kirche mithilfe dieser Personen zu reformieren. Das endgültige Verbot der Laieninvestitur, das jeden Laien (auch den König) mit einschloss, erließ erst Gregor VII. – und vermutlich erst im November 1078. Die ältere Forschung hat immer wieder vermeintliche Investiturverbote aus der Zeit vor Gregor VII. als Ursache für die Bannung und Exkommunikation Heinrichs IV. durch Gregor VII. gesehen. Für sie war das Investiturverbot der Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung, weshalb sie diesem Konflikt auch den Namen „Investiturstreit“ gab. Doch das Laieninvestiturverbot und die königliche Zuwiderhandlung durch eine Investitur waren nicht die Ursache für die Exkommunikation Heinrichs IV. Das Laieninvestiturverbot vom November 1078 war vielmehr erst ein Ergebnis des Konfliktes, als Gregor VII. und die Reformer einsehen mussten, dass eine Reform der Reichskirche in ihrem Sinne nicht mit, sondern nur gegen den Salier und dessen Einfluss möglich war. Mit den Ereignissen von Canossa steht das Ringen um die Investitur nur sehr bedingt in Verbindung. Worum man vor und nach Canossa zwischen Kaiser und Papst rang, war nicht vorrangig die Investitur, sondern die generellen Kompetenzen der geistlichen und weltlichen Seite. Auch nach der offiziellen Verkündigung des Laieninvestiturverbotes ist das Echo darauf in den Quellen zunächst sehr schwach. Wie die Dissertation von Stefan Beulertz (1991) gezeigt hat, spielte die Investiturfrage etwa in den Synoden keine herausragende Rolle – vor allem im Vergleich zu den Reformanliegen der Simonie- und Nikolaitismusbekämpfung. Erst ab der Jahrhundertwende fand das Laieninvestiturverbot sowohl in den Synoden, den kano-
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII.
nistischen Sammlungen als auch in der Historiografie eine breitere Berücksichtigung. Erst dann, als es um die konkrete Lösung der Konflikte ging und von päpstlicher Seite die Investiturpraxis als ein rechtlich lösbarer Bereich in den Fokus gerückt wurde, kann man eigentlich von einem Ringen um das Investiturrecht, von einem Investiturstreit sprechen.
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII. 2.1 Die Auseinandersetzungen Gregors VII. mit Heinrich IV. in drei Phasen 1. Phase: bis zur Wormser Synode (Jan. 1076) – Einvernehmen zw. regnum und sacerdotium Januar 1074
Orientplan Gregors VII. (S. 96), Heinrich IV. wird die Kirche anvertraut
1075
Veränderung der Situation: Hugo Candidus fällt von Gregor VII. ab; Sieg Heinrichs IV. über die Sachsen; Thedald in Mailand eingesetzt, Investituren in Fermo und Spoleto
24. Januar 1076
Wormser Synode: Gehorsamsaufkündigung der Bischöfe und Heinrichs IV.
2. Phase: bis zur zweiten Exkommunikation Heinrichs IV. (1080) 22. Februar 1076
Exkommunikation Heinrichs IV. durch Gregor VII. (Register III/6*)
16. Oktober 1076
Hoftag in Tribur (königliche promissio)
25.–28. Januar 1077
Heinrich in Büßergewand vor Canossa, Rekonziliation, rex-Titel; Treffen in Bianello
15. März 1077
Wahl Rudolfs von Rheinfelden in Forchheim
1079
Päpstliche Legaten in Deutschland (Fritzlar / Würzburg): keine Entscheidung
Januar 1080
Schlacht bei Flarchheim: keine Entscheidung
3. Phase: bis zum Tod Gregors VII. (25. Mai 1085) 13. April 1080
Zweite Exkommunikation Heinrichs IV. durch Gregor VII.
25. Juni 1080
Synode in Brixen: Nominierung Wiberts von Ravenna als Papstkandidat, Einleitung eines Verfahrens gegen Gregor VII.
15. Oktober 1080
Schlacht an der weißen Elster: Tod Rudolfs v. Rheinfelden (Verlust der rechten Hand)
1081 u. 1082
Vorstöße Heinrichs IV. nach Rom, ohne die Stadt einnehmen zu können
1083
Einnahme der Leostadt durch Heinrich IV.
21. März 1084
Römer öffnen Heinrich IV. die Tore
24. März 1084
Erhebung Wiberts zu Clemens (III.), daraufhin: Kaiserkrönung Heinrichs IV.
1084
Blutbad der Normannen in Rom, Flucht Gregors VII. nach Salerno
25. Mai 1085
Tod Gregors VII. in Salerno
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V.
Einvernehmen
Der Konfliktverlauf im Reich
So sehr die Auseinandersetzung zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. eine bis dahin nicht gekannte Dimension der Eskalation erreichte, so wenig war dies am Beginn des Pontifikates Gregors VII. abzusehen. Für ihn war Heinrich IV. zunächst und vor allem der Sohn des großen Reformers Heinrich III. – und mit ihm wollte er das Werk einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern fortsetzen. Zunächst ging der Papst nicht von einem Konflikt aus, sondern sah in der Zusammenarbeit mit Heinrich IV. die Möglichkeit, an die infolge der Synode von Sutri (1046) eingeleitete enge Zusammenarbeit der beiden Universalgewalten anknüpfen zu können. Das Verhältnis zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. lässt sich für die Zeit ab 1073 in drei Phasen einteilen: in eine erste Phase, die vom Beginn des Pontifikates Gregors VII. im Jahre 1073 bis zur Wormser Synode vom 24. Januar 1076 reicht, eine zweite Phase von der Exkommunikation Heinrichs IV. im Jahre 1076 und der Hoffnung Gregors VII. auf eine Schiedsrichterrolle in der Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit Rudolf von Rheinfelden sowie eine dritte Phase, die von der zweiten Exkommunikation Heinrichs IV. von 1080 bis zum Tod Gregors VII. am 25. Mai 1085 reicht. Am Beginn des Pontifikates Gregors VII. deutete noch nichts auf eine Auseinandersetzung mit Heinrich IV. hin. Zwar hatte Alexander II. in seinen letzten Monaten aufgrund der Auseinandersetzungen um den Mailänder Bischofsstuhl Ratgeber Heinrichs IV. exkommuniziert und damit für eine Verstimmung gesorgt, doch Gregor VII. war zunächst sehr an einer Annäherung interessiert. Heinrich IV. war für den Papst vor allem der Sohn Heinrichs III., der den Reformern in Rom zum Durchbruch verholfen hatte. So schrieb Gregor VII. in seinem ersten Pontifikatsjahr Heinrich IV. als imperator futurus an, als künftigen Kaiser, und ließ damit keinen Zweifel daran, dass er Heinrich IV. die Kaiserkrone verleihen werde, vermutlich wohl nicht zuletzt, um mit ihm als Kaiser die Zusammenarbeit der Universalgewalten im Interesse der Reformen reaktivieren zu können. Und auch Heinrich IV. hatte zunächst allen Grund, sich mit Gregor VII. gut zu stellen. Die ersten Jahre seiner Regentschaft waren voller Niederlagen gewesen. Vor allem die Auseinandersetzung mit den Sachsen setzte dem Salier zunächst zu. Zu diesem Konflikt gesellten sich noch Auseinandersetzungen um die Besetzung des Mailänder Bischofsstuhls. Dort hatte Heinrich IV. nach der Abdankung Widos im Jahre 1070 den Mailänder Subdiakon Gottfried zum neuen Erzbischof eingesetzt, an dem er zunächst auch gegen den Widerstand der Mailänder Pataria festhielt, unter deren maßgeblichem Einfluss Atto als Erzbischof installiert worden war. Papst Alexander II. unterstützte die Pataria sowie Atto als Mailänder Metropoliten und versuchte, den Salier zum Einlenken zu bringen, indem er dessen Ratgeber exkommunizierte.
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII. Stichwort
Pataria Die Pataria ist eine soziale und religiöse, vorrangig von Laien getragene Bewegung, die in der Mitte des 11. Jahrhunderts entstand. Sie verknüpft soziale Fragen mit der Forderung nach einer reinen Kirche, ist somit gegen den Adel und die traditionelle Kirche gerichtet. Der Druck auf die Priester wurde vor allem dadurch ausgeübt, dass die Patarener die Anerkennung der von im Verdacht der Simonie oder des Nikolaitismus stehenden Priestern gespendeten Sakramente verweigerten und offen gegen diese Priester predigten. Charakteristisch für die Pataria ist die Bekämpfung der traditionellen Kirche und ihrer Amtsvertreter durch den Druck der Straße. Zum Anführer der Patariabewegung stieg der Laie Erlembald auf, der 1075 ermordet wurde. Während die Patarener Atto als Mailänder Erzbischof (1072–1085) ansahen, hatte Heinrich IV. wohl mit Unterstützung der Großen Mailands zunächst Gottfried (1072–1075) und danach seinen Kaplan Thedald (1075–1085) eingesetzt.
Die Exkommunikation der Ratgeber war ein deutliches Warnsignal an Heinrich IV., der nach dem Kirchenrecht mit den Exkommunizierten eigentlich keinen Umgang mehr pflegen durfte. Eine Schwächung seiner Position wäre für die Auseinandersetzung mit den Sachsen ein deutlicher Nachteil, zumal der König sich als der Wahrer des Rechtes darstellte. Welche Bedrohung der Konflikt mit den Sachsen war, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass Heinrich IV. im Sommer 1073 schließlich eine Ergebenheitsadresse an den am 22. April zum Papst erhobenen Gregor VII. schickte und darin signalisierte, dass er zum Einlenken in der Mailänder Frage bereit war. König und Papst erklärten daher öffentlich alle Streitpunkte für ausgeräumt, der Papst unterstützte Heinrich IV. nach Kräften. Die päpstliche Unterstützung war für den Salier in der Auseinandersetzung mit den Sachsen hochwillkommen. Wie sehr Gregor VII. für das Ziel einer einvernehmlichen Zusammenarbeit der Universalgewalten zum Nutzen der Reformen bereit war, Heinrich IV. entgegenzukommen, verdeutlicht der Fall des Bischofs Anselm von Lucca. Denn Gregor respektierte für alle sichtbar das Investiturrecht Heinrichs IV. für das Bistum Lucca. Er wartete zunächst die Investitur Anselms II. von Lucca durch Heinrich IV. ab, bevor er ihn zum Bischof weihte. Den Höhepunkt des Einvernehmens bildete sicherlich der Orientplan Gregors VII. Der Papst hatte von der bedrängten Situation der Christen im Heiligen Land gehört und wollte selbst an der Spitze eines Heeres in den Orient aufbrechen. Für seine Abwesenheit übertrug er Heinrich IV. die Leitung der Kirche. Dieser Plan bezeugt, wie eng das Verhältnis zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. in dieser Phase war – zumindest in den Augen des Papstes. Das gute Einvernehmen bestand noch bis zum Sommer 1075, dann verdüsterte sich der Horizont.
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V.
Der Konfliktverlauf im Reich Stichwort
Der sogenannte Orientplan Gregors VII. Die Byzantiner hatten im Jahr 1071 bei Manzikert eine schwere Niederlage gegen die Seldschuken erlitten. Der byzantinische Kaiser hatte den Papst zwar nicht um Hilfe ersucht, doch sah Gregor VII. in einem Kriegszug in den Orient die Chance einer Wiedervereinigung von West- und Ostkirche. In mehreren Briefen rief der Papst unterschiedliche Fürsten Europas zu einem Kriegszug und zur Verteidigung Konstantinopels auf. Offenbar hatte Gregor VII. vor, selbst an der Spitze eines Heeres in den Orient zu ziehen, wie er Heinrich IV. in einem Brief darlegte, da er dem Salier die Sorge um die römische Kirche während seiner Abwesenheit anvertraute. Trotz einiger Briefe, die Gregor in expeditione ausstellen ließ, scheinbar bereits auf dem Weg in den Orient, setzte er seinen Plan nie um. Mit Gregors Orientplan ist zum ersten Mal die Idee eines Kriegszugs in den Orient unter päpstlicher Führung zu fassen.
Sieg über die Sachsen
Mailand
Eine entscheidende Grundlage für die Wende Heinrichs IV. in seinem Verhalten gegenüber dem Papst stellte der militärische Sieg des Saliers über die Sachsen am 9. Juni 1075 dar, die er damit zur Unterwerfung gezwungen hatte. Der Salier war damit nach den anfänglichen Rückschlägen in seiner Regierung hinsichtlich seiner Scheidung, der Wahl seiner Berater und der Auseinandersetzung mit den Sachsen auf einem gewissen Höhepunkt angelangt und konnte sich in der Entfaltung seiner Königsherrschaft als Nachfolger seines Vaters fühlen, der scheinbar dieselbe beherrschende Position einnahm. Der König kam nun aus der Defensive heraus, in der die Unterstützung durch den Papst für ihn sehr wertvoll gewesen war. Im Norden des Reiches schien Heinrich IV. infolge seines Sieges den Rücken freizuhaben. Hatte er sich das päpstliche Wohlwollen 1073 maßgeblich durch eine Gregor VII. gegenüber artikulierte Revision seiner Haltung im Mailänder Streit erworben, so fühlte er sich im Bewusstsein seiner nach dem Sieg über die Sachsen starken Stellung nicht mehr an seine ehemaligen Zusagen gebunden. Ermöglicht wurde dieser Wandel auch durch eine deutliche Schwächung der Pataria in Mailand infolge der Ermordung ihres Anführers Erlembald Mitte April 1075. In dieser Situation ließ Heinrich IV. den 1072 von ihm eingesetzten Gottfried fallen und ernannte seinen eigenen Kaplan Thedald zum neuen Mailänder Metropoliten. Genau so nicht zu handeln, hatte der Salier Gregor VII. noch 1073 zugesichert. Der Papst wurde misstrauisch und der Abfall des Kardinals Hugo Candidus von Gregor VII., der sich an den königlichen Hof begab, wird die angespannte Situation nicht unbedingt vereinfacht haben. Als dann Heinrich IV. auch noch in den Bistümern Fermo und Spoleto, die beide in der Kirchenprovinz von Rom lagen, das Investiturrecht ausübte, war für Gregor VII. eine rote Linie überschritten, die ihn zum Handeln zwang. Der Papst fühlte sich nun endgültig von Heinrich IV. getäuscht.
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII.
Gregor VII. ging gegen Heinrich IV. mit denselben Mitteln vor, mit denen er bereits gegen den französischen König Philipp vorgegangen war. Er wandte sich in einem Brief an Heinrich IV. und beschwor ihn, seine Handlungen zurückzunehmen und für seine Vergehen Buße zu leisten. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, drohte er dem Salier bei Zuwiderhandlung mit der Exkommunikation. Das Schreiben des Papstes erreichte Heinrich IV. am 1. Januar 1076 in Goslar. Und Heinrich IV. verstand es geschickt, das Schreiben in seinem Sinne zu instrumentalisieren. Er ließ es öffentlich verkünden. Die Forderungen Gregors VII. riefen vor allem unter den Reichsbischöfen helle Empörung hervor, die es nicht nur als eine ungeheuerliche Anmaßung des Papstes gegenüber dem König deuteten, sondern auch etliche kirchenpolitische Handlungen Gregors VII. ablehnten. Er habe „unerhörte Neuerungen“ eingeführt, klagten sie. Die Ausrichtung der Kirche auf Rom und den Papst drohte in ihren Augen zu einer Nivellierung der bischöflichen Stellung in der Kirche zu führen. Das konnte den Bischöfen nicht recht sein. Erzbischof Liemar von Bremen hatte das auf den Punkt gebracht, als er Gregor VII. einen homo pericolosus nannte, einen gefährlichen Menschen, der den Bischöfen befehlen wolle wie ein Herr seinen Knechten. In dieser angespannten Situation entfaltete der Brief Gregors VII. an den Salier eine explosive Wirkung. Der König musste offenbar nicht mehr viel beisteuern, da die Bischöfe bereit waren, die Gelegenheit zu nutzen, um ihrem Unmut Luft zu machen. Damit waren die Reihen zwischen Herrscher und Bischöfen geschlossen und am 24. Januar 1076 verfasste man einen Brief an Gregor VII. Darin sprachen Bischöfe und König Gregor VII. nicht als Papst, sondern als „Bruder Hildebrand“ an und forderten ihn auf, abzudanken. Der Brief, der auch in einer propagandistisch aufgehübschten Form im Reich verschickt wurde, um die eigenen Reihen geschlossen zu halten, endete mit den Worten: Descende, descende („Steige herab!“). Die Bischöfe hatten Gregor VII. damit nicht abgesetzt – sie hatten also den Grundsatz prima sedes a nemine iudicatur eingehalten. Es handelt sich vielmehr um eine Gehorsamsaufkündigung, zu der die Bischöfe und der König griffen. Stichwort
Nichtjudizierbarkeit des Papstes Der Papst ist nach den sogenannten Symmachianischen Fälschungen, die zu Beginn des 6. Jahrhunderts im Zuge des Laurentianischen Schismas (498–505/6) entstanden sind, nicht judizierbar, was in dem Satz prima sedes a nemine iudicatur („der erste Sitz darf von niemandem gerichtet werden“) zusammengefasst wurde. Vor allem die Reformer scheinen eine starke Sensibilität für diesen Grundsatz, der eine Fälschung ist, entwickelt zu haben, da sie beispielsweise die Synode von Sutri in der Rückschau so darstellen, als ob es kein Urteil über Gregor VI. gegeben hätte.
97 Exkommunikation
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V.
Der Konfliktverlauf im Reich
Damit war die zweite Phase der Beziehungen zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. eingeläutet. Mit dieser Reaktion des Saliers hatte Gregor VII. wohl kaum gerechnet und was nun folgte, führt eindrücklich vor Augen, dass dieser Papst eine impulsive Persönlichkeit war und zu ungewöhnlichen Mitteln griff, um seinen Willen durchzusetzen. Auf der Fastensynode von 1076 wandte sich Gregor VII. in einem Gebet an den Apostelfürsten Petrus, exkommunizierte Heinrich IV. und setzte ihn nach eigenem Verständnis als römisch-deutschen König ab. Quelle
Die Exkommunikation Heinrichs IV. durch Gregor VII. in Form eines Gebets an Petrus Zit. nach: Franz-Josef Schmale (Hrsg.): Brunos Sachsenkrieg, S. 289
Heiliger Petrus, Fürst der Apostel … In dieser festen Zuversicht also, zur Ehre und zum Schutz deiner Kirche, im Namen des allmächtigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, kraft deiner (i.e. Petri) Gewalt und Vollmacht spreche ich König Heinrich, des Kaisers Heinrich Sohn, der sich gegen deine Kirche mit unerhörtem Hochmut erhoben hat, die Herrschaft über Deutschland und Italien ab, und ich löse alle Christen vom Eid, den sie ihm geleistet haben oder noch leisten werden, und untersage, ihm fürderhin als König zu dienen.
Wirkung
Zwar hatte Gregor VII. zuvor bereits dem französischen König die Exkommunikation angedroht und den Normannen Robert Guiscard auch tatsächlich exkommuniziert, doch von der Exkommunikation Heinrichs IV. waren die Zeitgenossen mehr als überrascht. Mit ihr hatte Gregor VII. „den Erdkreis erschüttert“, wie es Bonizo von Sutri im Rückblick formulierte, als er 1085/86 seinen Liber ad amicum verfasste. Und in der Tat war die Wirkung der Exkommunikation eine gewaltige Erschütterung der königlichen Herrschaft Heinrichs IV. Diese Exkommunikation – und nicht der Gang nach Canossa – fand in den Quellen ein breites Echo: Der zukünftige Kaiser war vom Papst exkommuniziert worden. Gleichwohl wollte Gregor VII. die Herrschaft Heinrichs IV. durch dessen Exkommunikation nicht beenden. Denn die Exkommunikation soll ihrem Wesen nach den Sünder zur Umkehr bewegen, damit er seine Taten bereut, Buße übt und infolgedessen geläutert wieder rekonziliiert werden kann. Dementsprechend signalisierte Gregor von sich aus, dass er bereit war, den König wieder in die Kirche aufzunehmen. Doch dem musste nach päpstlicher Vorstellung eine Buße vorangehen. Wie schwach das Fundament der königlichen Position tatsächlich war, offenbarte sich nach dem Hammerschlag Gregors VII.: Die Unterstützung für Heinrich IV. bröckelte rasant und die Fürsten nutzten die Gelegenheit, um dem König Zugeständnisse abzupressen. Im Oktober 1076 kam es in Tribur zu einem Hoftag, auf dem die gesamte causa Heinrich IV. wieder aufgerollt wurde.
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII.
Doch nicht nur die alten sächsischen Forderungen wurden hier artikuliert – die Fürsten drohten dem König nun mit der möglichen Neuwahl eines Königs, sollte Heinrich IV. sich nicht auf sie zubewegen. Nur ein Jahr nach dem glänzenden Sieg über die Sachsen schien für den König damit alles auf dem Spiel zu stehen. Heinrich blieb nichts anderes übrig, als eine radikale Wende im Verhältnis zu Gregor VII. durchzuführen, der zu diesem Zeitpunkt selbst jedoch weit weniger scharf gegen den König vorzugehen gedachte als die Sachsen. Diese hatten ursprünglich eine sofortige Neuwahl gefordert. Doch nachdem Heinrich IV. vor päpstlichen Legaten Gehorsam gegenüber Gregor VII. und eine angemessene Bußleistung gelobt hatte, wurde eine sofortige Neuwahl ausgeschlossen. Dieses Versprechen Heinrichs IV., seine promissio gegenüber Gregor VII., ist in einem Brief Heinrichs IV. im Wortlaut überliefert. Doch eine Aufhebung der Exkommunikation durch die päpstlichen Legaten erfolgte nicht – in diesem Punkt konnte sich die Fürstenopposition durchsetzen. Sie lud Gregor VII. vielmehr für das kommende Jahr nach Deutschland ein. Dort sollte der Papst den Fall persönlich untersuchen und abschließend über die Eignung des Saliers für das königliche Amt urteilen. Zudem wurde verabredet, dass Heinrich IV. sein Amt automatisch verlieren sollte, wenn er nicht binnen eines Jahres die Lösung vom Bann erreichen konnte. Diesen suchte der Salier jedoch nicht erst bei der Ankunft Gregors VII. in Deutschland zu lösen, sondern zog im Winter über den Col du Mont Cenis nach Italien, bis vor die Burg Canossa, wo sich Gregor VII. befand, der offenbar nicht mit der Ankunft des Saliers in Italien gerechnet hatte. Ende Januar stand der König schließlich vor der Burg, über die Mathilde von Canossa befahl, die Herrin Tusziens. Am Tag der Bekehrung Pauli, am 25. Januar 1077, erschien der König im Büßergewand und in demütiger Haltung vor der Burg, bis der Papst ihn nach drei Tagen, an denen der Salier in derselben Weise vor den Mauern seine Reue demonstrierte und damit öffentlich Buße tat, wieder in die Kirche aufnahm. Er ist dazu offenbar von einflussreichen Vermittlern gedrängt worden: Mathilde von Canossa und der ebenfalls herbeigeeilte Abt von Cluny, Hugo, der zugleich Taufpate Heinrichs IV. war, setzten sich massiv für eine Vermittlung zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. ein. Gregor VII. rekonzi-
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Abb. 3 Heinrich IV. erbittet die Hilfe von Mathilde von Canossa
Canossa
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Gegenkönig
Der Konfliktverlauf im Reich
liierte Heinrich IV. und sprach ihn wieder als rex (König) an, womit der Status quo ante wiederhergestellt war. Das Echo in den Quellen auf diesen vor allem seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland bestens bekannten Canossagang blieb erstaunlich gering, vor allem im Vergleich zur breiten Resonanz, die die Exkommunikation Heinrichs IV. gefunden hatte. Mit der Aufhebung der Exkommunikation war auch die königliche Würde Heinrichs IV. wiederhergestellt. Diese Interpretation wird dadurch gestützt, dass sich Papst und König kurz nach dem Akt von Canossa in Bianello trafen, um über das weitere Prozedere zu verhandeln. Dabei suchte der Papst bei Heinrich IV. unter anderem um Unterstützung gegen die lombardischen Bischöfe nach, die der König jedoch verweigerte, was Gregor wiederum mit der Weigerung beantwortete, Heinrich IV. zum König von Italien zu krönen. Trotz dieser Verstimmung blieb Gregor VII. jedoch zunächst bei seiner Linie, dass Heinrich IV. der rechtmäßige König sei. Doch im Reich nördlich der Alpen hatte sich die Situation inzwischen überschlagen, da die Fürstenopposition Heinrich IV. nach der Rekonziliation – entgegen der Vereinbarung – nicht wieder als König anerkannte. Am 15. März des Jahres 1077, eineinhalb Monate nach der für den König erfolgreichen Beendigung seines Bußgangs, wählten die Fürsten in Forchheim, wo im November 911 Konrad I. als erster Nicht-Karolinger des ostfränkisch-deutschen Reiches erhoben worden war, Rudolf von Rheinfelden zum römischdeutschen (Gegen-)König – in Anwesenheit zweier päpstlicher Legaten. Das war ein schwerer Schlag für Heinrich IV., der nun trotz seiner Rekonziliation um sein Königtum fürchten musste. Die Verbitterung im Reich, namentlich bei den Sachsen, war offenbar so tief, dass sie zu keinem Kompromiss mit Heinrich IV. bereit waren. Die Reaktion Gregors VII. auf die Wahl des Schwabenherzogs war dilatorisch, zumal sie vermutlich nicht im päpstlichen Sinn gewesen war. Dennoch verwarf Gregor das Königtum Rudolfs nicht grundsätzlich. Vielmehr verwies er darauf, dass er nach Deutschland reisen und dort ein Urteil über die beiden Könige fällen wolle, womit er sich in die ursprünglich geplante Rolle des Schiedsrichters begab. Diese Haltung behielt er bis zur zweiten Bannung Heinrichs IV. im Jahre 1080 bei, auch wenn sie ihm immer schwerer fiel und er sich mit seiner abwartenden Haltung zunehmend ins Aus manövrierte, da er im Grunde beide Parteien verprellte. Dass Gregor VII. sich wieder an Heinrich IV. annäherte, dürfte zu nicht unwesentlichen Teilen durch die Normannen bedingt gewesen sein, die Rom bedrohten. Dem suchte Gregor durch ein engeres Bündnis mit Heinrich IV. zu entgehen. Die Situation blieb jedoch weitgehend unentschieden. Heinrich IV. seinerseits war um einen Separatfrieden mit Gregor VII. bemüht. Sein Plan war es, die Adelsopposition und den Papst zu spalten, da die Verbindung dieser Gegner die Sprengkraft der Einzelkonflikte potenziert hatte. Doch sowohl diese Anstrengungen Heinrichs IV. als auch die Bemühungen Gregors VII. um einen Ausgleich beziehungsweise einen Schiedsspruch waren ergebnislos. 1079 erschienen zwei
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII.
päpstliche Gesandte in Deutschland, die jeweils auf einem Fürstentag in Fritzlar und Würzburg über die beiden Könige verhandelten, ohne jedoch einen Erfolg zu erzielen. Eine diplomatische Lösung schien unmöglich zu sein, sodass Heinrich IV. sich nach Sachsen wandte und eine militärische Entscheidung suchte. Aber die Schlacht bei Flarchheim am 27. Januar 1080 brachte keine Klärung der Verhältnisse. Eine letzte diplomatische Offensive von königlicher Seite scheiterte ebenfalls. In dieser festgefahrenen Situation entschied sich Gregor VII. genau vier Jahre nach seiner ersten Bannung Heinrichs IV. zu einer erneuten Bannung des Saliers. Er exkommunizierte diesen am 13. April 1080, am Ostersonntag, und setzte ihn ausdrücklich auch als König ab. Damit hatte Gregor offiziell für Rudolf von Rheinfelden Partei ergriffen, doch wie sich bald herausstellte, erfolgte dies zu spät. Mit der zweiten Bannung Heinrichs IV. beginnt die dritte Phase der Beziehungen zwischen Heinrich IV. und Gregor VII., die dadurch charakterisiert ist, dass eine Aussöhnung der beiden Kontrahenten nun fast unmöglich geworden war. Die Ereignisse gleichen ein wenig dem Ablauf von 1076. Denn auch 1080 kündigte eine große Anzahl von Reichsbischöfen Gregor VII. den Gehorsam auf. Der Unterschied lag jedoch darin, dass sie sich dazu 1080 im Wissen um die Tragweite ihrer Handlungen entschieden, während sie 1076 die Exkommunikation des Königs und der Gegenschlag Gregors VII. überrascht hatten. Am 25. Juni 1080 tagte zudem eine gut besuchte Synode in Brixen, die ein Verfahren gegen Papst Gregor VII. einleitete und zudem den Erzbischof von Ravenna, Wibert, als Kandidaten für den päpstlichen Stuhl nominierte. Das Blatt wendete sich in diesem Jahr endgültig durch die Schlacht an der weißen Elster zugunsten Heinrichs IV. Noch zu Ostern 1080 hatte Gregor VII. zusammen mit der Exkommunikation dessen Ende prophezeit. Der Salier werde bis zum 1. August seinen Untergang finden, oder man solle ihn, Gregor VII., von der Kathedra Petri vertreiben. Doch im August war Heinrich IV. immer noch König und am 15. Oktober errang er zudem einen Sieg über Rudolf von Rheinfelden. Die Schlacht hatte zwar kein eindeutiges militärisches Ergebnis hervorgebracht, doch Rudolf von Rheinfelden hatte sein Leben und zuvor – fast noch wichtiger für Heinrich IV. – in der Schlacht seine rechte Hand verloren. Das war besonders symbolträchtig, da die rechte Hand nicht nur die Schwerthand ist, sondern zudem die Schwurhand. Rudolf von Rheinfelden hatte sein Leben folglich durch den Verlust der Hand verloren, mit der er Heinrich IV. die Treue geschworen hatte. Das war in den Augen der Zeitgenossen ein eindeutiges Zeichen und machte Heinrich IV. zum Sieger, auch wenn die militärische Situation weniger eindeutig war. Heinrich hatte Rudolf von Rheinfelden, der in Merseburg ein königsgleiches Grab erhalten sollte, damit endgültig besiegt. Seine Herrschaft wurde durch den 1081 als weiteren Gegenkönig erhobenen Hermann von Salm, der keine entscheidende Rolle zu spielen vermochte, nicht gefährdet.
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Zweite Exkommunikation
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V.
Der Konfliktverlauf im Reich
Abb. 4 Befreiung des in der Engelsburg eingeschlossenen Papstes Gregor VII. durch den Normannen Robert Guiscard im Mai 1084 und Gregors Tod am 25. Mai 1085 in Salerno
Ende Gregors VII.
Der Salier konnte sich daher 1081 nach Italien aufmachen, um nun den Konflikt mit Gregor VII. in seinem Sinne zu lösen. Ein erster Angriff auf Rom scheiterte, ebenso wie jegliche Einigungsversuche mit Gregor VII. Der Papst musste erkennen, dass Heinrich IV. sich in einer neuen Situation befand, bedeutende Bischöfe nun bewusst auch nach der Exkommunikation des Saliers auf dessen Seite blieben. Von der erschütternden Wirkung der ersten Exkommunikation war beim zweiten Mal nichts mehr zu spüren. Vielmehr strebte Heinrich IV. seinerseits ein Verfahren gegen Gregor VII. an und nahm 1083 die Leostadt ein, mit der darin befindlichen Petersbasilika und damit dem Petrusgrab. Doch noch immer schien Heinrich IV. zu einem Kompromiss mit Gregor VII. bereit gewesen zu sein, denn trotz der Kontrolle der Petersbasilika kam es in dieser Situation nicht zur Erhebung Wiberts zum Papst. Gregor VII. hingegen war zu keinem Kompromiss bereit. Diese unversöhnliche Haltung verstörte seine Anhänger zunehmend, sodass es schließlich zum Abfall von 13 Kardinälen kam und die Römer Heinrich IV. am 21. März 1084 die Tore zur Stadt öffneten. Eine anschließend in St. Peter tagende Synode erklärte Gregor VII. für abgesetzt und erhob am 24. März Wibert von Ravenna zu Papst Clemens (III.). Die von diesem durchgeführte Kaiserkrönung Heinrichs IV. erfolgte am Ostersonntag, vier Jahre nach
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII.
seiner zweiten Exkommunikation. Gregor selbst war in der Engelsburg eingeschlossen, musste von dort ohnmächtig den Triumph seines Gegners mitansehen und hatte in seiner Verzweiflung als letzte Hoffnung die Normannen zu Hilfe gerufen, für die er in seinen Briefen zuvor so gut wie kein gutes Wort gefunden hatte. Diese rückten mit einem respektablen Heer nach Rom vor, sodass sich Heinrich IV. schlagartig nach Verona zurückzog und die Ewige Stadt den Normannen überließ. Diese eroberten Rom, ohne auf größeren Widerstand zu treffen, richteten ein Blutbad unter der Bevölkerung an, plünderten die Stadt und machten ganze Stadtteile dem Erdboden gleich. Der sie gerufen hatte, war daraufhin verständlicherweise in Rom nicht gut gelitten, sodass Gregor VII. mit den Normannen nach Salerno floh. Dort starb er am 25. Mai 1085, von wo aus er Heinrich IV. nochmals gebannt hatte.
2.2 Der Akt von Canossa und das 19. Jahrhundert Kein Einzelakt des Konfliktes zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. ist in der deutschen Geschichtsschreibung so intensiv behandelt worden wie der Akt von Canossa. Dies ist mit Blick auf die internationale Geschichtswissenschaft ein Spezifikum der deutschen Forschung und durch die politische Aufladung der Ereignisse von Canossa im 19. Jahrhundert bedingt. Denn nicht nur die Geschichtswissenschaft, auch die Kunst hatte sich Canossas angenommen. So verfasste etwa Heinrich Heine – der nicht im Verdacht von Deutschtümelei steht – ein Gedicht zum Akt von Canossa mit dem Titel Heinrich (erschienen 1844), in dem trotz aller ironischer Brechung ein gedemütigter Heinrich IV. gezeichnet wird, der dann in der letzten Strophe ausführt: „Du, meine liebes, teures Deutschland / Du wirst auch den Mann gebären, / Der die Schlange meiner Qualen / Niederschmettert mit der Streitaxt.“ Gemeint war mit der Schlange der Qualen niemand anderes als das Papsttum in der Gestalt Gregors VII. Friedrich Rückert verfasste 1844 ein ganzes Canossa-Drama, das die „Schmach“ thematisiert, die Heinrich IV. vor den Toren der Burg zuteilgeworden sei. Es lassen sich viele andere Beispiele anführen, in denen das Bild eines erniedrigten deutschen Königs gezeichnet wird, das Bild des Königs einer unbeugsamen Nation, der durch die katholische Kirche gedemütigt wurde. Diese Deutung und ihre Kategorien entsprachen der Interpretation Canossas durch die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Canossa war für sie ein Ort der Schande, ein Ort, an dem der deutsche König im Büßergewand gedemütigt worden war, ein Ort, an dem das alles regierende Papsttum die Widerstandskraft des Königs gebrochen und ihn zu unterjochen gesucht hatte. Auf dieser Linie lag das durch Reichskanzler Otto von Bismarck verbreitete Bild von Canossa, das als der sogenannte Canossagang zum geflügelten Worte im deutschen Sprachgebrauch wurde. Bismarck – mit seinem besonderen Talent für aphoristische Zuspitzungen und griffige Formulierungen – hatte
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V.
Aktuelle Kontroverse
Der Konfliktverlauf im Reich
in Wilhelm Giesebrechts Kaisergeschichte gelesen und dort die Darstellung der Ereignisse von Canossa im eben skizzierten Geiste gefunden. Dieses Bild eines vor Canossa durch die Kirche gedemütigten Königs nahm er in einer Rede vor dem Reichstag auf, in der er sich am 14. Mai 1872 mit seinen Gegnern im Kulturkampf auseinandersetzte. Es ging um die Frage, wie viel Einfluss die katholische Kirche im soeben gegründeten Deutschen Reich besitzen durfte. Und in dieser Situation des Kulturkampfes sah Bismarck eine Parallelität zwischen seiner Situation und dem Akt von Canossa, er identifizierte den preußischen Staat mit Heinrich IV. und die katholische Kirche mit Gregor VII., als er ausrief: „Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig.“ Canossa steht darauf aufbauend im allgemeinen Sprachgebrauch und zu Teilen sicherlich auch in der populären Vorstellung noch bis heute für eine Niederlage, für die Demütigung des Herrschers. Doch das ist vor allem die Sicht des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf das Ereignis, einer Epoche des Kulturkampfes, in der der Einfluss der scheinbar übermächtigen katholischen Kirche zurückgedrängt werden sollte. Dieses Canossa ist jedoch weniger das, was sich tatsächlich im Januar 1077 vor der Burg der Markgräfin Mathilde von Canossa abspielte, sondern eine Chiffre in den Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts. Was sich in Canossa tatsächlich ereignete und wie es zu deuten ist, war in den Jahren nach 2008 erneut Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung. Ausgangspunkt dieser Kontroverse warenThesen Johannes Frieds zu den Ereignissen in Canossa, die sowohl durch Sammelrezensionen mehrerer Autorinnen und Autoren sowie auch Aufsätze ein sehr kritisches Echo, bisweilen sogar grundsätzliche Ablehnung erfahren haben. Im Lichte der internationalen Forschung wirken diese scharfen Auseinandersetzungen sonderbar, da außerhalb der deutschsprachigen Forschung Canossa für den Investiturstreit keine derartige Bedeutung zukommt. Begreift man den Investiturstreit als eine grundlegende Veränderung der politischen Strukturen und geistigen Grundlagen Europas, in der weder allein zwei Personen noch lediglich Kaiser und Papst miteinander rangen, sondern geistliche und weltliche Gewalt auf den unterschiedlichsten Ebenen, so wird die Fixierung auf Heinrich IV. und Gregor VII. fraglich und der Akt von Canossa verliert seine scheinbare Bedeutung. Das entspricht zumindest auch der Wahrnehmung der Zeitgenossen der beiden Kontrahenten, die fast immer über die Exkommunikation des Saliers berichteten und diese diskutierten, aber sehr selten über Canossa. In dieser Perspektive ist die Charakterisierung Canossas als Wende folgerichtig infrage gestellt worden.
2.3 Die Entwicklung bis zum Ende Heinrichs IV. Verunsicherung der Reformer
Mit der Flucht Gregors VII. aus Rom und seinem Tod schien sich die gegnerische Seite durchgesetzt zu haben. Das gilt sowohl für Heinrich IV. als auch
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für die gemäßigten Reformer innerhalb der Kirche, die wie Clemens (III.) nicht die Konfrontation suchten, sondern die Reformen stärker konsensorientiert durchzusetzen suchten. Dabei ist Clemens (III.) keine Marionette Heinrichs IV. gewesen. Er wäre vermutlich selbst als Reformpapst in die Geschichte eingegangen, hätten die bei Gregor VII. verbliebenen Reformer nicht nacheinander drei Gegenkandidaten gegen Clemens (III.) zum Papst erhoben, die sich schließlich durchgesetzt hatten. Clemens (III.) wurde erst in der Rückschau zum Gegenpapst – für einen erheblichen Teil seines immerhin bis 1100 währenden Pontifikates kann er als der anerkannte Papst gelten. Die konfrontative Haltung Gregors VII. scheint bei etlichen seiner Unterstützer Zweifel an der Richtigkeit seiner Positionen und vor allem seiner Vorgehensweise genährt zu haben. In dieser Situation verfasste beispielsweise Bonizo von Sutri seinen Liber ad amicum, mit dem er versuchte, die Parteigänger Gregors VII. nach dessen Tod bei der Stange zu halten. Bereits die Abfassung des Liber ad amicum ist ein Beleg für die schwierige Situation der Gregor-Anhänger im Kreise der Reformer. Es dauerte schließlich über ein Jahr, bis die auf der Seite Gregors verbliebenen Kardinäle nach dem Tod dieses Papstes im Mai 1086 einen neuen Papst wählten, Viktor III., den vorherigen Abt Desiderius von Montecassino. Doch Viktor III. hielt sich nur kurze Zeit in Rom auf und wich wieder in seine alte Abtei aus, wo er nach einem nur eineinhalbjährigen Pontifikat verstarb. Eine tatsächliche Konkurrenz stellte Viktor III. für Clemens (III.), der sich auf eine breite Obödienz stützen konnte, nicht dar. Erst dem politisch versierten Urban II. gelang es, die Gewichte zu seinen Gunsten zu verschieben und Clemens (III.) an Bedeutung verlieren zu lassen. Gleichwohl zog sich das mit der Erhebung Wiberts von Ravenna im Jahr 1084 ausgebrochene Schisma bis zu dessen Tod im Jahre 1100 hin. In dieser Zeit rangen beide Parteien um Anerkennung in den Kirchen der Christenheit. Im Reich wurde Clemens (III.) dabei maßgeblich von Heinrich IV. unterstützt, was nicht ohne Folgen für das kirchliche Leben nördlich der Alpen blieb. Die für Heinrich IV. und sein Königtum nach wie vor bedrohliche Mischung bestand aus der Verbindung der Anhänger Gregors VII., der Gregorianer, die eine Ausrichtung der Kirchen auf Rom und die Reformen auch gegen den königlichen Willen vorantreiben wollten, sowie der Fürstenopposition gegen das Königtum des Saliers. Beide Parteien unterstützten sich und suchten zur Durchsetzung ihrer Ziele die Position des Königs zu unterminieren. So blieben die Sachsen dem König feindlich gesinnt. Im süddeutschen Raum hatte die gregorianische Partei die Abwesenheit Heinrichs IV., der von 1081 bis 1084 in Italien weilte, genutzt, um hier für die Sache Gregors VII. zu werben, und das meinte aus der Perspektive der Opposition häufig auch, Argumente gegen das Königtum des Saliers zu liefern. Eines der Zentren der Gregorianer war das Kloster Hirsau und der mit diesem Kloster verbundene
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Situation im Reich
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V. Neue Bischöfe
Der Konfliktverlauf im Reich
Mönchsverband der Hirsauer, die vor allem durch den Einfluss des Abtes Wilhelm von Hirsau die Partei Gregors VII. maßgeblich unterstützten. Obwohl die Rückkehr Heinrichs IV. in Deutschland daher nicht nur auf Gegenliebe stieß, brachte ihn der Sieg über Gregor VII. doch in eine komfortable Position, die dem nunmehr als Kaiser auftretenden Salier half, etliche Widerstände leichter zu brechen. Die Partei Heinrichs IV. erhielt verstärkten Zulauf. Dazu trug sicherlich auch bei, dass Heinrich IV. bei den Bischofsbesetzungen zwar wie zuvor das ihm aus seiner Perspektive zustehende Investiturrecht ausübte und mit dessen Hilfe ihm genehme Kandidaten auf Bischofsstühle brachte. Dabei achtete er stärker als zuvor auf die Fähigkeit der zukünftigen Bischöfe, ihr Amt ausüben zu können und ob ihr Lebenswandel den kanonischen Normen entsprach. Trotz der Angriffe der Gregorianer auf die neu eingesetzten Bischöfe hielten diese in der Regel treu zu Heinrich IV. Gleichzeitig setzte der Salier teilweise allzu gregorianisch ausgerichtete Bischöfe ab und neue Bischöfe ein. Die alten Bischöfe gaben ihr Amt jedoch nicht auf, sondern beanspruchten weiterhin, rechtmäßige Bischöfe ihrer Bistümer zu sein, sodass es in der Zeit nach 1080 stellenweise zwei Bischöfe für ein Bistum gab. Die Spaltung am Haupt – in Rom – war damit bis zu den Gliedern der Kirche vorgedrungen und war so fast jedem Gläubigen präsent. Das Wibertinische Schisma war daher nicht eine abstrakte Größe, sondern direkt vor Ort von den Gläubigen erfahrbar. Der eine Bischof war der Obödienz Clemens’ (III.) zuzurechnen, der andere der Anhängerschaft Viktors III., Urbans II. und schließlich Paschalis’ II. Die regionalen Quellen dieser Epoche sind sehr stark von diesen Konflikten geprägt und zeichnen die Ereignisse in heinrizianischer oder gregorianischer Perspektive auf. Das wird noch – unter Bearbeitung einer älteren Lebensbeschreibung – in der am Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen Vita des 1091 verstorbenen Passauer Bischofs Altmann deutlich, der ein engagierter Parteigänger Gregors VII. war und in Deutschland als dessen Vikar wirkte. Altmann wurde von Heinrich IV. vertrieben, ein neuer Bischof eingesetzt. Die Folgen für die zentrale Aufgabe der Kirche, das göttliche Heil zu vermitteln, beschreibt die Vita in drastischen, anklagenden Worten. Quelle
Das Schisma in der Diözese Passau nach der Vita Altmanns von Passau Übersetzung der Vita Altmanns, MGH SS 12, S. 233
Als die Hirten schließlich vor den Dieben und Räubern geflohen waren, wurde die Herde des Herrn sogleich von den wilden Wölfen heimgesucht, die Herde Christi wurde zerstreut, das Hab und Gut der Diener Gottes von den Räubern aufgeteilt. Aber jene nahmen den Raub ihrer Güter mit Freuden auf und beteten für ihre Verfolger. So wurde der Sitz des Bischofs von Passau zum Sitz des Satans gemacht, und die Kirche der Gläubigen wurde zur Kirche der böswillig Handelnden, und der Ort, der zuvor die Wohnstätte der Diener Christi war, wurde zum Lusthaus der Hurer.
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII.
Die Schilderung zielt offensichtlich auf eine Diskreditierung der Priester, die ihre Weihen durch Bischöfe der Partei Wiberts erhalten hatten oder dessen oder Heinrichs Partei anhingen. Die Wortwahl verdeutlicht die aufgeladene Atmosphäre, in der ein Ausgleich kaum möglich erschien. Doch trotz derartiger Traktate, mit denen sich beide Seiten gegenseitig zu delegitimieren suchten, schien Heinrich im Reich rasch die Oberhand gegen seine Feinde zu gewinnen. Seine Reichstage erfreuten sich regen Besuchs, was als ein Gradmesser der Akzeptanz königlicher Autorität gelten kann. Indem die Großen bei Hoftagen erschienen, demonstrierten sie, dass sie die Königsherrschaft akzeptierten und mittrugen. Die Kommunikation zu entfernten Gebieten konnte durch gut besuchte Hoftage sichergestellt werden, wenn nicht nur Vertreter der Region, in welcher der Hoftag stattfand, anwesend waren, sondern auch Große aus entfernten Regionen. Dies war 1084, nach der Rückkehr Heinrichs IV. aus Italien, der Fall. Der Salier schien nun auf die richtigen Leute gesetzt zu haben. In Mainz hatte er beispielsweise 1084 Wezilo als neuen Erzbischof eingesetzt. Dessen Fähigkeiten machte sich der Kaiser bald zunutze und sie errangen für den Salier einen entscheidenden Sieg gegen die gregorianische Partei, da die Rechtmäßigkeit des Vorgehens Gregors VII. gegen Heinrich IV. öffentlich verneint worden war, ohne dass die gregorianische Partei argumentativ Adäquates entgegnen konnte. Für viele Zeitgenossen blieb bis dahin die Frage ungeklärt, ob die Exkommunikation Heinrichs IV. durch Gregor VII. rechtmäßig erfolgt war oder nicht und infolgedessen das Vorgehen Heinrichs IV. gegen den Papst. Je nachdem, wie die Antwort auf diese Frage ausfiel, wurde die Autorität des Königs gestützt oder nicht. Bei einem Zusammentreffen der Gregorianer und Heinrizianer am 20. Januar 1080 im thüringischen Gerstungen-Berka wurde sie erneut behandelt, diesmal zugunsten des Saliers. Die Besetzung der Parteiungen war hochkarätig: Die Partei Heinrichs IV., der selbst nicht anwesend war, wurde angeführt von den vier Erzbischöfen Liemar von Hamburg-Bremen, Wezilo von Mainz, Sigewin von Köln und Egilbert von Trier. Die Seite der Gregorianier wurde von Kardinalbischof Odo von Ostia angeführt, dem späteren Papst Urban II. Unterstützt wurde seine Sache von den Erzbischöfen Gebhard von Salzburg und Hartwig von Magdeburg. Die zentrale Frage, die in Gerstungen-Berka diskutiert werden sollte, war, ob man mit dem vom Papst exkommunizierten Heinrich IV. Gemeinschaft habe könne. Dieser Punkt war für die Zusammenarbeit der Großen mit dem Salier zentral, denn galt dieser tatsächlich als exkommuniziert, so konnte man nach dem Kirchenrecht keinen Umgang mehr mit ihm haben. Der Annalista Saxo führt in seiner wohl 1140–1160 entstandenen Chronik zur ersten Argumentation Erzbischof Gebhards von Salzburg, der die Gregorianer vertrat, aus: „so zeigte er als Beweis, um seinen Worten Glauben zu verschaffen, mehrere besiegelte Briefe des Papstes vor und bewies mit der Autorität der Evangelien, Apostel, Dekretalen des Heiligen
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Gerstungen-Berka
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V.
Der Konfliktverlauf im Reich
Stuhls und der Bischöfe und mehrerer kanonischer Sätze, dass man seinen Befehlen gehorchen und keine Gemeinschaft mit denen haben dürfe, welche als gebannt gelten.“ In geradezu klassischer Vorgehensweise bemühte Gebhard von Salzburg fast alle zur Verfügung stehenden Autoritäten: die Bibel, vertreten durch die Evangelien und die Schriften der Apostel, sowie die Konzilien der Apostel. Ferner bezog er sich auf Dekretalen, vom Papst erlassene Rechtssätze sowie allgemein Kanones, von Synoden oder Konzilien erlassene Rechtssätze. Die gesamte Bandbreite der Autoritäten wurde ausgeschöpft. Die Gregorianer waren zu diesem Zeitpunkt des Konflikts sicherlich mit dem Vorgehen Gebhards von Salzburg zufrieden, wähnten sich bereits als Sieger der Auseinandersetzung. Die Heinrizianer bestritten die Argumentation der Gregorianer in keiner Weise. Sie stimmten zu, dass man mit einem Exkommunizierten keinen Umgang haben dürfe. Doch nun kam die Wendung. Denn die Heinrizianer erklärten, dass Heinrich IV. gar nicht exkommuniziert sei, da der Papst ihn nicht hätte exkommunizieren dürfen. Dazu verlas nun der frisch erhobene Erzbischof Wezilo von Mainz gemäß dem 1080–1100 entstandenen Buch über die Bewahrung der Einheit der Kirche ein Papstdekret. Quelle
Die Verteidigung Heinrichs IV. in Gerstungen-Berka nach dem Liber de unitate ecclesiae conservanda Zit. nach: Schmale-Ott, Irene (Übers.), De unitate ecclesiae conservanda (lib. II c. 18), S. 445
Dieser aber stand auf und las vor, dass jemand, der seines Eigentums beraubt oder mit Gewaltakten von seinem Sitz vertrieben wurde, nicht angeklagt, vorgeladen, gerichtet oder verurteilt werden kann, bevor ihm nicht alles Geraubte vollständig zurückerstattet, sein Eigentumsrecht in allen seinen Vorrechten wiederhergestellt ist und er in Frieden lange Zeit seine Ämter ausüben kann, nachdem ihm sein eigener Sitz vorschriftsmäßig zurückgegeben ist.
Spolieneinrede
Heinrich IV. sei – so die Argumentation der Heinrizianer – bei seiner Exkommunikation nicht im Besitz all seines Eigentums gewesen, da etwa die Sachsen sich in offenem Widerstand gegen ihn erhoben hatten. Der Papst hätte daher zunächst dafür sorgen müssen, dass die Königsherrschaft des Saliers wieder vollständig hergestellt worden wäre, bevor er ihn exkommunizierte. Damit hatten die Gregorianer nicht gerechnet und wussten zunächst nichts zu entgegen, wodurch den Heinrizianern der Sieg zufiel. Mithilfe des Kirchenrechtes schien die Partei des Königs die Gregorianer geschlagen zu haben, ein in der Einschätzung der Zeitgenossen folgenschwerer Sieg, da die Gregorianer sich selbst im Bereich der Kanonistik als führend ansahen. Als die Gregorianer die falsche Argumentationsbasis der Heinrizianer erkannten, hatte sich die Kunde vom Sieg der Sache Heinrichs IV. in Gerstungen-Berka im Reich bereits verbreitet und ihre Wirkung nicht verfehlt. Gelungen war den Heinrizianer dieser
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII.
Erfolg durch einen Trick. Sie hatten aus einer von den Zeitgenossen für echt erachteten Dekretale der Pseudoisidorischen Fälschungen zur sogenannten Spolieneinrede zitiert. Danach muss einem Bischof zunächst alles zurückerstattet werden, was ihm geraubt wurde, bevor über ihn Gericht gehalten werden konnte. Diesen Grundsatz hatte auch Gregor VII. angeführt, als Heinrich IV. ihn 1084 vor die Synode in Rom bringen wollte. Doch der springende Punkt war, dass diese Spolieneinrede nicht für Laien gedacht war, sondern ausschließlich für Bischöfe. Die Heinrizianer hatten also eine Passage verwendet, die für Bischöfe galt, diese Regelung jedoch auf den König angewandt. Als die Gregorianer das erkannten, galten die Heinrizianer allerdings bereits allgemein als Sieger der Auseinandersetzung. Infolgedessen bröckelte der Widerstand gegen die Herrschaft Heinrichs IV. in Sachsen. Immer mehr Sachsen liefen zu Heinrich IV. über und dieser verhielt sich diesmal besonnen und nahm die ehemaligen Gegner auf. Heinrich IV. zeigte sich in der Folge erstaunlich konziliant und war offenbar sogar bereit, den Sachsen ihr altes Recht zu garantieren, sofern sie seine Königsherrschaft anerkannten. Dieses neue und besonnene Verhalten mag nicht nur die Position eines durch Canossa und die zweite Bannung geläuterten Königs gewesen sein, sondern vor allem auf das personell veränderte königliche Umfeld zurückzuführen sein, namentlich den neuen Erzbischof von Mainz, Wezilo. Dass Heinrich IV. mit seinen Gegnern und Unterstützern nunmehr anders umging, demonstriert das Verhalten des Saliers gegenüber dem böhmischen Herzog Wratislaw. Heinrich IV. operierte nicht mehr aus einer Position königlicher Stärke, aus der heraus er alle Großen zur Unterwerfung zwingen wollte, wie sein Vater dies noch getan hatte, sondern war verstärkt um eine Einbindung der Großen bemüht, um eine konsensuale Herrschaftspraxis. Unterstützung für den König wurde nun wieder angemessen belohnt: Heinrich IV. erhob Herzog Wratislaw zum König. Böhmen war damit noch kein erbliches Königtum geworden (das wurde es erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts infolge des deutschen Thronstreits), sondern es handelt sich um einen Königstitel ad personam, durch den sich Heinrich IV. bei Wratislaw für dessen Einsatz zugunsten des Saliers bedankte. Das veränderte Verhalten des Königs und die Ereignisse von GerstungenBerka ließen nun eine Beherrschung Sachsens möglich erscheinen. Im Sommer 1085 zog der König mit einem beachtlichen Heer nach Sachsen. Die Sachsen unterwarfen sich dem Salier, die gregorianischen Bischöfe flohen und Heinrich IV. setzte neue Bischöfe ein, so auch in Magdeburg. Doch wiederum wendete sich das Blatt jäh, als Heinrich IV. nicht nur Bistümer neu besetzte, sondern auch weltliche Positionen. Die Sachsen sahen darin eine Beschneidung der sächsischen libertas, was sie erneut als Gegner des Saliers einte. So schnell der Salier den Sieg ohne größeres Blutvergießen errungen hatte, so schnell war er ihm wieder aus den Händen geglitten. Sachsen blieb letztlich – trotz der kurzen Phase vom Sommer 1085 – bis zum Tod Heinrichs IV. eine königsferne Land-
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Ausgleich im Reich
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V.
Italien
Der Konfliktverlauf im Reich
schaft. Die Situation blieb unentschieden. 1088 wurde dies von beiden Seiten anerkannt und man einigte sich auf einen Modus Vivendi. Die sächsischen Bischöfe erkannten Heinrich IV. an und dieser wiederum sie. Der Ausgleich – der zwar die Position des Königs in Sachsen kaum vergrößerte, die Sachsen jedoch nicht mehr mit anderen Gegnern Heinrichs IV. in Verbindung treten ließ – hatte den Sachsen den gewünschten Freiraum gegeben und diese aus der Sicht Heinrichs zunächst aus dem Kreis seiner aktiven Gegner herausgebrochen. Dieser Ausgleich kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass der Magdeburger Erzbischof Hartwig, der in Gerstungen-Berka noch die Gregorianische Partei mit angeführt hatte, die neue Ehe Heinrichs IV. schließen sollte: 1087 war Heinrichs Frau Bertha gestorben, von der er sich 1069 ohne Erfolg scheiden lassen wollte. Den neuen Ehebund mit Eupraxia, der Tochter des Großfürsten von Kiew, die in den westlichen Quellen als Adelheid erscheint, schloss nun im Jahr 1088 der Magdeburger Erzbischof Hartwig. Doch kaum war die Situation im Norden des Reiches damit beruhigt, musste sich Heinrich IV. intensiv dem Süden zuwenden, namentlich den italienischen Verhältnissen. Der Mailänder Erzbischof Anselm III. war Ende der 1080er-Jahre zu Papst Urban II. übergelaufen, was zu einer erheblichen Schwächung Clemens’ (III.) in Oberitalien führte. Urban II. hatte zudem ein Eheprojekt eingefädelt, das die königliche Position in Süddeutschland und Mittelitalien bedrohte: eine Verbindung zwischen Welf V., dem 17-jährigen Sohn des bayerischen Herzogs Welf IV., der sich als überzeugter Gregorianer betätigte, und der über 40-jährigen Mathilde von Canossa. Damit waren die bayerischsüddeutsche und die mittelitalienische Opposition gegen die Salierherrschaft miteinander verbunden. Das zwang Heinrich IV. zum Handeln und führte zu dessen drittem Italienzug. 1090 in Italien angelangt versuchte Heinrich IV. umgehend, Mathilde von Canossa militärisch niederzuringen. Dabei konzentrierte er sich zunächst auf die oberitalienischen Stützpunkte Mathildes, deren Machbasis in Tuszien lag. Bis 1092 gelangen Heinrich IV. Erfolge, sodass er nun sogar Canossa, die Stammburg der Canusier, belagern konnte, vor der er Ende Januar 1077 von Gregor VII. rekonziliiert worden war. Vor Canossa wurde der scheinbare Siegeszug Heinrichs IV. abrupt beendet, als ein unvorhergesehener Ausfall der Eingeschlossenen das Heer des Saliers zerstreute und etliche der Gebietsgewinne des Saliers wieder zunichtemachte. Von diesem Punkt an schien sich die Lage Heinrichs IV. kontinuierlich zu verschlechtern. 1092 hatten die Gregorianer ihre Angriffe auf Süddeutschland konzentriert und in Schwaben gegen den treu zu Heinrich IV. haltenden Staufer Friedrich einen Gegenherzog erhoben, Berthold, der sich umgehend mit Welf IV. von Bayern verbündete und mit einem gregorianischen Kardinallegaten in Verbindung trat. Beide Herzöge versicherten Urban II. ihrer Unterstützung. Da sie auch zu den Sachsen Kontakt suchten, schien eine breite Front des Widerstandes gegen den Salier zu entstehen und die Herrschaft Heinrichs IV. erneut in
2. Der Investiturstreit im Reich: Heinrich IV. und Gregor VII.
Gefahr zu sein. Zudem fiel im Frühjahr 1093 der erstgeborene Sohn Heinrichs IV., Konrad, von seinem Vater ab und rebellierte öffentlich gegen den Kaiser. Diesem Beispiel folgte rasch auch Adelheid, die seit 1088 mit Heinrich IV. vermählt war. Erneut waren es Vorwürfe sexueller Verfehlungen, die Heinrich IV. in ein schlechtes Licht rückten. Anfang März 1095 sagte Adelheid vor einer von Papst Urban II. einberufenen Synode in Piacenza aus, dass ihr Gatte sie nicht nur gefangen gehalten, sondern auch noch durch einzelne Ritter habe vergewaltigen lassen. Die Forschung des 19. und zu weiten Teilen noch des 20. Jahrhunderts hat dieser Aussage Adelheids keinen Glauben geschenkt und die Aussage als ein Machwerk der gregorianischen Partei darzustellen versucht. Doch die neuesten Ansätze lassen der Aussage Adelheids durchaus Gewicht zukommen. Tatsache ist in jedem Fall, dass die Anschuldigungen gegen Heinrich IV. sowohl in Piacenza Glauben fanden als auch in weiten Gebieten nördlich der Alpen, wohin sich die Nachrichten bald ausbreiteten. Erneut war die Position des Kaisers dadurch moralisch untergraben worden – die Gegner des Saliers sahen sich darin bestätigt, dass Heinrich IV. nicht zu trauen war. So vielversprechend der Italienzug begonnen hatte, die Herrschaft Heinrichs IV. schien zu ihrem Ende gekommen zu sein. Denn während die süddeutschen Herzöge das Reich nördlich der Alpen gemeinsam mit den Sachsen kontrollierten, dominierten in Italien Mathilde von Canossa und die Partei Urbans II. Von der geringen Tragweite der königlichen Herrschaft Heinrichs IV. in den Jahren 1093 bis 1096 zeugt, dass die Quellen im Grunde fast gänzlich über den Herrscher schweigen. Es sind keine bedeutenderen Akte Heinrichs IV. überliefert. Für das gesamte Jahr 1094 ist lediglich eine Schenkungsbestätigung bekannt und genau datierbar. Der Salier hielt sich vermutlich bei Verona auf und konnte aufgrund mangelnder Truppen weder eine Entscheidung herbeiführen noch nach Deutschland zurückkehren, da die Alpenpässe durch seine Gegner gesperrt waren. Er war dazu verdammt, in einem kleinen Teil Italiens eine Schattenherrschaft ausüben zu müssen. In dieser Situation ergriff Welf V. die Initiative zu einer Auflösung seiner Ehe mit Mathilde von Canossa, indem er erklärte, Mathilde von Canossa nie berührt zu haben und sich aus dieser Ehe zurückzuziehen. Die Gründe dafür liegen im Dunklen, doch mag der fast 30-jährige Altersunterschied nicht unerheblich dafür verantwortlich gewesen sein, dass sich der junge Welf V. nicht den Interessen seiner Familie unterordnen wollte. Der politische Zweck der Ehe, die Verbindung der mittelitalischen und süddeutschen Gegner Heinrichs IV., war damit gefährdet. Aus der Perspektive der Welfen ging es dabei vor allem um das Erbe Mathildes von Canossa, das an Welf V. übergegangen wäre, wenn die Ehe tatsächlich vollzogen und nicht geschieden worden wäre. Welf IV., der Vater Welfs V., schäumte vor Wut über den Schritt seines Sohnes. In dieser neuen Situation waren die Welfen an einem Ausgleich mit Heinrich IV. interessiert, um sich zumindest die Herzogswürde für Bayern zu si-
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Ohnmacht Heinrichs IV.
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V.
Erneute Akzeptanz
Der Konfliktverlauf im Reich
chern. Heinrich ergriff die Gelegenheit beim Schopf und suchte einen Kompromiss mit Welf IV., um wieder aus der Defensive zu kommen. Wie wichtig dem Salier der Ausgleich war, verdeutlicht, dass er den Welfen nicht dazu zwang, sich von Urban II. loszusagen und in die Obödienz Clemens’ (III.) zu wechseln. Heinrich war sich offenbar bewusst, dass er allein durch einen Kompromiss mit dem Welfen und den süddeutschen Adeligen wieder in die Position kam, aktiv Politik gestalten zu können. Welf IV. söhnte sich mit Heinrich IV. aus, blieb jedoch Gregorianer. Dies zeigt, welch vielfältige und unterschiedliche Positionen unter dem Begriff der Gregorianer zusammengefasst werden. Auch mit Berthold von Zähringen, der in Schwaben zum Gegenherzog erhoben worden war, fand Heinrich nach dem Ausgleich mit Welf IV. rasch einen Kompromiss. Dazu schuf Heinrich IV. ein neues Fürstentum, das es dem Zähringer erlaubte, weiterhin den Herzogstitel zu führen. Die Burg Zähringen und das Reichslehen Zürich wurden zu einem neuen Gebilde zusammengefasst, für das Berthold den Titel eines Herzogs (dux) führte. Das Gebilde war – anders als die bisherigen Herzogtümer Bayern, Schwaben, Lothringen und Sachsen – kein Herzogtum, das sich aus einem Stammesherzogtum genetisch entwickelt hatte, sondern eine Neuschöpfung, die die Forschung als Titulaturherzogtum gekennzeichnet hat. Damit waren die Zähringer zufrieden, und die 1079 von Heinrich IV. mit Schwaben belehnten Staufer konnten allgemein anerkannt wieder in ihr Herzogtum zurückkehren. Nach Deutschland zurückgekehrt hielt Heinrich IV. zu Pfingsten 1097 in Regensburg nach siebenjähriger Abwesenheit seinen ersten Reichstag nördlich der Alpen ab, der rege besucht war. Von dieser Akzeptanz zeugt auch die Teilnahme der Großen am Hoftag zu Mainz im Frühjahr 1098, auf dem die Fürsten dem gegen seinen Vater rebellierenden König Konrad das Königtum durch allgemeinen Fürstenspruch entzogen. An dessen Stelle setzen sie nun den Zweitgeborenen Heinrichs IV. ein: Heinrich V. Dieser wurde am 6. Januar 1099 in Aachen zum König gesalbt und gekrönt. Doch zuvor hatte der Vater dem Sohn den Eid abgenommen, sich ohne die ausdrückliche Aufforderung des Vaters von der Herrschaft fernzuhalten. Offenbar wollte Heinrich IV. vermeiden, dass sich mit Heinrich V. wiederholte, was er mit seinem Erstgeborenen hatte erfahren müssen. Beachtlich ist, dass die Fürsten trotz der tiefen Verwundungen und trotz der Zerrüttung des Landes durch die Auseinandersetzungen zwischen Heinrizianern und Gregorianern erneut einen Salier zum König wählten und nicht von diesem Geschlecht abrückten. Den Salierkaiser stürzen zu wollen, schienen schließlich weder die Sachsen noch die Gregorianer, sondern allen Eiden zum Trotz sein eigener Sohn. Doch zunächst war die Herrschaft Heinrichs IV. allem Anschein nach wieder stabilisiert. Das ist wohl nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass Heinrich IV. sich nun vorrangig um die Friedenssicherung in seinem Reich kümmerte. Dies kam besonders in dem 1103 durch Heinrich IV. und die Reichs-
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fürsten beschworenen reichsweit geltenden Landfrieden zum Ausdruck. Auch sein Vorgehen gegen Friedensbrecher und seine Versuche, das Fehdewesen einzuschränken, beförderten die Akzeptanz seiner Herrschaft. Doch die vordergründige Stabilität der Herrschaft Heinrichs IV. war offenbar äußerst fragil, wie die Ereignisse der Jahre 1104 bis zum Tod Heinrichs IV. zeigen. Bei zu vielen Beteiligten saßen die Wunden zu tief, war man zu oft durch Heinrich IV. enttäuscht oder sogar getäuscht worden.
3. Die Lösung des Investiturstreits im Reich unter Heinrich V. 3.1 Die Anfänge Heinrichs V. – Hoffnung auf ein Ende der Konflikte Obwohl Heinrich V. unmittelbar nach seiner Erhebung nicht auf eine Absetzung seines Vaters hingearbeitet hatte, setzte er sich doch rasch an die Spitze einer Opposition gegen Heinrich IV. Sowohl beim Sohn als auch bei dessen Unterstützern scheint eine Mischung aus religiösen und machtpolitischen Zielen die Erhebung motiviert zu haben. Den konkreten Ausgangspunkt bildete im Februar 1104 die Ermordung des Grafen Siegehart in Regensburg, der durch seine Ministerialen den Tod fand. Vorwürfe, Heinrich IV. habe Große des Reiches ermorden wollen, sind mehrfach belegt. Zwar beschuldigte man ihn diesmal nicht direkt, doch wurde die Untätigkeit des Kaisers in diesem Konflikt als Ursache des Mordes benannt. Ungeachtet der Glaubwürdigkeit der Vorwürfe standen sofort wieder die alten Bilder im Raum – Heinrich IV. als der Tyrann auf dem Thron, der selbst vor Auftragsmord nicht zurückschreckt. Obwohl Heinrich IV. an der Ermordung Graf Siegeharts nicht beteiligt gewesen war, brachte ihn die Tat in die Defensive und setzte ihn unter Rechtfertigungsdruck. Zunächst hielt Heinrich V. treu zum Vater, distanzierte sich im November 1104 jedoch von diesem. Vor allem bayerische Adelige in der Umgebung des jungen Salierkönigs schienen den jungen König in seinen Ambitionen gegenüber dem kaiserlichen Vater zu ermuntern. An deren Spitze standen die Grafen Diepold von Vohburg, Berengar von Sulzbach und Otto von Kastl-Habsberg. Die jüngere Forschung hat als das entscheidende Handlungsmotiv dieser bayerischen Grafen, die Heinrich V. anscheinend maßgeblich zum Abfall von Heinrich IV. brachten, nicht verwandtschaftliche Beziehungen zu Graf Siegehart gesehen, obwohl es diese gab, sondern vielmehr ihre Zugehörigkeit zum Kreis des sogenannten Reformadels. Die von den Gregorianern angestoßenen Reformen waren dem Reformadel ein wichtiges Anliegen und diese Geisteshaltung verband sie über die gemeinsame Gründung von Reformklöstern hinaus zu einer politisch handelnden Gruppe. Religiöse Überzeugungen und der Wille zur Teilhabe an der Herrschaft einte sie. Beide Motive sind nicht eindeutig voneinander zu trennen. Eine Befriedung des Reiches sowie
Reformadel
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V.
Der Konfliktverlauf im Reich
eine darauf fußende dauerhafte Sicherung der Herrschaft in den Händen der Salier war ohne einen Ausgleich mit Rom in den Augen etlicher Zeitgenossen offenbar nicht mehr möglich. Doch ein solcher Ausgleich war mit Heinrich IV. als Herrscher für die Reformpäpste unvorstellbar. Heinrich V. musste daher nicht die Überzeugungen der Reformkräfte geteilt haben, wenn er seinen Vater verließ, weil ihm klar war, dass die Reformer sonst seine eigene Herrschaft nicht unterstützen würden. Man könnte den Abfall vom Vater daher durchaus als eine Form von pragmatischem Handeln deuten und müsste sie nicht auf religiöse Überzeugungen zurückführen. Um sich gegen den Vater durchzusetzen, versicherte sich Heinrich V. der Unterstützung Paschalis’ II. sowie der gregorianischen Partei. Danach sammelte er die „klassischen“ Gegner Heinrichs IV. um sich, die Sachsen ebenso wie die süddeutschen Gegner. Vor allem ging er auf die von Heinrich IV. abgesetzten Bischöfe zu und setzte diese wieder ein, ließ Weihen, die von seinem Vater investierte Bischöfe gespendet hatten, für ungültig erklären und versuchte auf diese Weise, die Kirche für sich zu mobilisieren – ob das aus Überzeugung oder aus Kalkül geschah, bleibt unklar. In der Nähe von Regensburg lagen sich schließlich Vater und Sohn mit Heeresmacht gegenüber. Zunächst schien Heinrich V. in der schwächeren Position, doch geschickte Zusagen wie die Vermählung Agnes’, der Salierin und Witwe des Stauferherzogs Friedrich, mit dem babenbergischen Markgrafen Leopold zogen etliche Parteigänger Heinrichs IV. auf die Seite seines Sohnes. Dem Vater blieb angesichts des um sich greifenden Abfalls in seinem Heer nichts anderes übrig, als sich nachts heimlich zu entfernen. Schließlich gelangte der Kaiser selbst in Gefangenschaft. Sein Sohn zwang ihn, von seiner Herrschaft zurückzutreten und die Reichsinsignien auszuliefern, was Heinrich V. als freiwilligen Verzicht darstellte, obwohl es der massive Zwang des Sohnes gewesen sein dürfte, der den Vater zu diesem Schritt veranlasste. Doch der Beginn der Alleinherrschaft Heinrichs V. fiel nicht glänzend aus, denn der alte Kaiser konnte seiner Haft entfliehen und nach Lüttich gelangen, von wo aus er den Widerstand gegen seinen Sohn organisierte. Aber bevor es zu einer erneuten militärischen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn kam, starb Heinrich IV. am 7. August 1106 in Lüttich, nach 50-jähriger Herrschaft. Seinem Sohn ließ er seinen Ring und sein Schwert entgegenbringen mit der Bitte, im Dom zu Speyer begraben zu werden, was der Sohn zunächst nicht umsetzte. Erst 1111 sollten die sterblichen Überreste Heinrichs IV., dann von seinem Sohn geleitet, ihre letzte Ruhestätte in Speyer finden.
3.2 Kaisertum und Pravileg – erneute Konflikte Frieden im Reich
Mit Heinrich V. schien zunächst ein grundlegender Wandel salischer Politik eingetreten zu sein. So war das Verhältnis zu den Sachsen von Einvernehmen gekennzeichnet. Heinrich V. vergab das Herzogsamt nach dem Tod des letzten
3. Die Lösung des Investiturstreits im Reich unter Heinrich V.
Billungerherzogs im Jahr 1106 an Lothar von Süpplingenburg, der allgemein Anerkennung in Sachsen fand. Zwar gab es im Nordwesten des Reiches, wo Heinrich IV. in seinen letzten Tagen Zuspruch gefunden hatte, Widerstand gegen die Herrschaft Heinrichs V. Doch seine Königsherrschaft festigte sich, sodass Heinrich V. 1108/9 in Thronkämpfe in Ungarn und Polen eingreifen konnte. Das zeugte von einer neuen Stärke des Reiches, das nun offenbar die Parteikämpfe überwunden hatte und geeint stärker nach außen wirken konnte. Doch sosehr Heinrich V. es auch verstanden hatte, das Reich hinter sich zu einen, das Investiturproblem blieb zunächst ungelöst. Er übte das Investiturrecht wie sein Vater ganz selbstverständlich aus, setzte Bischöfe in Bistümer ein und vollzog damit Handlungen, die Gregor VII. 1078 untersagt und deren Verbot Papst Paschalis II. 1106 erneuert hatte. Im Oktober 1108 bestätigte der Papst das Investiturverbot und drohte dem König und den investierten Bischöfen mit der Exkommunikation. Damit schien erneut eine Situation heraufzuziehen, wie man sie aus den Tagen Heinrichs IV. kannte und die man überwunden zu haben glaubte. Sollte sich die Zerrissenheit des Reiches wiederholen? War das Eintreten der Reformpartei für Heinrich V. umsonst gewesen? Heinrich V. ging zunächst nicht auf die Drohungen Paschalis’ II. ein und schickte vielmehr 1109 eine Gesandtschaft nach Rom, die über die Kaiserkrönung verhandeln sollte. Damit demonstrierte Heinrich V. öffentlich, dass er keinen Verhandlungsbedarf sah, doch ebenso, dass er an einer Zusammenarbeit mit dem Papst interessiert war. Die Gesandten verhandelten in Rom natürlich nicht nur die Kaiserkrönung, sondern Papst Paschalis II. rang mit ihnen zudem um das Investiturrecht des römischdeutschen Königs. Denn parallel hatte der Papst bereits mit dem englischen und französischen König eine Einigung hinsichtlich der Investitur erreicht. Dies wollte er auch für das Reich herbeiführen. Doch dazu kam es zunächst nicht. Im Herbst 1110 brach Heinrich V. zur Kaiserkrönung nach Rom auf, obwohl die Frage der Investitur noch nicht geklärt war. Als der Salier in Rom angelangt war, forderte Paschalis II. von ihm, auf das Investiturrecht zu verzichten, andernfalls werde er ihn nicht zum Kaiser krönen. Heinrich V. entgegnete, dass er seiner Machtgrundlage beraubt würde, wenn er die mit Reichsgut ausgestattete Reichskirche aus seinem Einfluss entließe. Nach dieser Replik des Saliers wartete Paschalis II. mit einem ungewöhnlichen Vorschlag auf: Die Kirche sollte im Reich alle Hoheitsrechte an das Reich zurückgeben, die sie bisher besessen habe: Länder, Minen, Grafschaften, Zölle sowie andere Formen von durch das Reich übertragenem Besitz. Die Reichskirche sollte sich für die Zukunft mit den Spenden der Gläubigen und dem Zehnt begnügen. Dieser Vorschlag hätte die Reichskirche mit einem Schlag um einen erheblichen Anteil ihrer Ressourcen gebracht. Heinrich V. war jedoch bereit, auf diesen Vorschlag einzugehen, denn die Besitzungen wären an den König gefallen und hätten dessen Machtgrundlage schlagar-
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Verhandlungen mit Rom
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V.
Pravileg
Der Konfliktverlauf im Reich
tig verbreitert. Man war bereits in Verhandlungen und hatte diese schriftlich aufgesetzt – daher wissen wir über das Ausmaß der Veränderungen. Schließlich wurde die Vereinbarung in eine Urkunde gegossen, die Paschalis II. am 12. Februar 1111 in St. Peter in Vorbereitung der Kaiserkrönung öffentlich verlas. Doch als der Papst die Übereinkunft bekannt gab, erhob sich lautstarker Protest der anwesenden Reichsbischöfe sowie der Reichsfürsten, die als Lehnsnehmer der Reichskirche von der bisherigen Handhabung ebenfalls profitiert hatten. Der Protest war derart massiv, dass die Krönung Heinrichs V. nicht vollzogen werden konnte. Der Papst geriet daraufhin in eine missliche Lage, denn die Reichsbischöfe und -fürsten sahen in ihm den Urheber des Planes, was im Grunde auch zutraf. Heinrich V. gestattete diese Situation, das Investiturrecht nun wieder für sich einzufordern, was Paschalis II. ihm jedoch verweigerte. Die verworrene Situation gipfelte schließlich in der Gefangennahme Paschalis’ II. durch Heinrich V. Der Papst befand sich damit in der Gewalt des Saliers – auch hier wurden sofort Erinnerungen an die Zeit Heinrichs IV. wach, als dieser Gregor VII. in der Engelsburg eingeschlossen hatte. Doch anders als noch 1084 waren die Normannen 1111 mit sich selbst beschäftigt und der Hilferuf des Papstes verhallte daher ungehört. Der Salier behielt den Papst zwei Monate in Gefangenschaft und zermürbte ihn dadurch offenbar derart, dass dieser am 11. April 1111 in den Vertrag von Ponte Mammolo einwilligte. Der Vertrag legte fest, dass der König die Bischöfe mit Ring und Stab investieren konnte. Damit hatte er sein traditionelles Recht gewahrt. Die königliche Investitur mit Ring und Stab war die Voraussetzung für die Weihe. Wen der König nicht investierte, der konnte auch nicht zum Bischof geweiht werden. Das ging noch deutlich über das Gewohnheitsrecht unter Heinrich IV. hinaus, da es dem König im Prinzip ein Vetorecht für jede Bischofswahl gewährte. Das schien ein großer Erfolg Heinrichs V. gewesen zu sein. Doch um diesen zu bewahren, ließ er den Papst einen Eid schwören, dass er Heinrich V. niemals bannen werde. Dadurch wollte der Salier die Aufhebung des Vertrages von Ponte Mammolo verhindern. Der Papst willigte in alle Forderungen ein, sodass kurz darauf die Kaiserkrönung Heinrichs V. erfolgte. Der Salier hatte das Investiturproblem damit scheinbar dauerhaft ganz in seinem Sinne geregelt. Die über die von Paschalis II. angestrebte Abgabe der Reichslehen erbosten Reichsbischöfe und -fürsten standen nach wie vor hinter ihm, und Paschalis II. hatte sich eidlich verpflichtet, nicht gegen Heinrich V. vorzugehen. Doch Heinrich V. hatte sich geirrt, wenn er meinte, auf ganzer Linie gesiegt zu haben. Denn die radikalen Reformer im Umkreis des Papstes waren nicht gewillt, den Vertrag von Ponte Mammolo anzuerkennen. Forderungen nach einer Absetzung des Papstes wurden laut, sodass Paschalis II. handeln musste. Im März 1112 nahm er den Vertrag von Ponte Mammolo auf einer Synode zurück. Die Umgebung des Papstes argumentierte, dass der Vertrag
3. Die Lösung des Investiturstreits im Reich unter Heinrich V.
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nicht aus freien Stücken geschlossen, sondern erpresst worden sei. Der Vertrag wurde von ihnen daher nicht als Privileg bezeichnet, sondern als Pravileg (lat. pravari = berauben). Heinrich V. wurde zudem durch den Kardinallegaten Kuno von Praeneste exkommuniziert. Die Folgen für das Reich waren jedoch gering, da Heinrich V. mit seiner bisherigen Investiturpraxis fortfuhr, die ihm der Vertrag von Ponte Mammolo zugestand.
3.3 Das Wormser Konkordat – die Lösung des Investiturstreits im Reich Der Romzug mit der Gefangennahme des Papstes und den vorangegangenen Verhandlungen hatte das Misstrauen zwischen Heinrich V. und den Fürsten wachsen lassen. Er stellt einen Wendepunkt in der Herrschaft des letzten Saliers dar. Nicht nur der Romzug weckte Erinnerungen an Heinrich IV. Dessen Sohn begann zunehmend selbstherrlich zu regieren, forcierte in Sachsen eine auf den Ausbau der Reichsrechte angelegte Politik, die wie bei Heinrich IV. so auch bei Heinrich V. zum offenen Widerstand der Sachsen führte. Auch im Nordwesen herrschte Aufruhr: Die Kölner Königschronik berichtet von einer Verschwörung gegen den König zur Herstellung der Freiheit (coniuratio Coloniae facta est pro libertate). Sie endete mit einer Niederlage Heinrichs V. bei Andernach im Oktober 1114. Die Region wurde nunmehr vom Kölner Erzbischof dominiert. Die Argumentationslinie des Aufstandes, dass man für die Freiheit vom königlichen Joch kämpfe (pro libertate), wurde auch in Sachsen verfolgt, das unter der Führung seines Herzogs Lothar dem letzten Salier am 11. Februar 1115 am Welfesholz eine vernichtende Niederlage bereitete, wodurch Sachsen eine dem königlichen Einfluss entzogene Region wurde. Die Situation war jedoch für Heinrich V. noch nicht bedrohlich, sodass er sich 1116 nach Italien aufmachen konnte, um sich um das Erbe der am 25. Juli 1115 verstorbenen Mathilde von Canossa zu bemühen. In Italien verweilte der Salier bis 1118 und zog in dieser Zeit mehrfach nach Rom, wo die Stadt ihn ehrenvoll empfing. Der Papst jedoch floh. Als Paschalis II. am 21. Januar 1118 verstarb, erhoben die Kardinäle Gelasius II. zum Papst, die führenden Schichten Roms (mit Unterstützung Heinrichs V.) Mauritius von Braga, der, ohne größere Wirkung entfaltet zu haben, als Gegenpapst Gregor (VIII.) in die Geschichte eingehen sollte. All dies erinnerte die Zeitgenossen an die Tage Heinrichs IV. Die Großen im Reich waren die zermürbenden Auseinandersetzungen leid und forderten deren Ende – innerhalb des Reiches und zwischen Kaiser und Papst. Erneut vermengten sich der Konflikt des Kaisers mit den Reformern sowie diejenigen zwischen Adel und König. Auf der geistlichen Seite sorgten die schon für das Jahr zuvor geplanten Legatensynoden, die dann erst 1118 in Köln, Fritzlar und Gandersheim stattfanden, für eine Zusammenführung des episkopalen Widerstandes gegen den Salier und eine Frontstellung gegen diesen. Im selben Jahr formierte sich der Widerstand der Großen insgesamt gegen den Kö-
Widerstand im Reich
Forderung nach Frieden
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V.
Mouzon
Fürstenverantwortung
Wormser Konkordat
Der Konfliktverlauf im Reich
nig. Entscheidend ist dabei sicherlich, dass nicht nur die Gegner Heinrichs V. ein Ende der Auseinandersetzungen forderten, sondern beide Parteien zur Erreichung des Friedens zusammenarbeiten und notfalls den König absetzen wollten. Dazu vereinbarte man einen Hoftag in Würzburg, dessen Planung Heinrich V. offenbar derart beunruhigte, dass er Italien rasch verließ, um persönliche Präsenz zu zeigen. Auf Druck der Großen berief Heinrich V. schließlich für den 24. Juni 1119 einen Hoftag ein, auf dem er versprach, mit dem Papst in Verhandlungen zu treten, um den Konflikt zu beenden. Allen Beteiligten war klar, dass ein Frieden im Reich nur durch eine Beilegung des Konfliktes mit dem Papsttum zu erreichen war, da beide Konfliktlinien zu stark miteinander verwoben waren. Heinrich V. ging daher auf die Fürsten zu und schloss mit diesen ein Bündnis, um mit dem Papst zu einer Einigung zu kommen. Auf den am 29. Januar 1119 verstorbenen Gelasius II. folgte am 2. Februar 1119 der hochadelige Erzbischof Guido von Vienne, der den Namen Calixt II. annahm und sich rasch um eine Einigung mit Heinrich V. bemühte. Vom 24. bis 26. Oktober 1119 fand in Reims eine Synode statt, die den lang ersehnten Frieden bringen sollte. Die Verhandlungen zwischen kaiserlicher und päpstlicher Partei fanden parallel im circa 100 km entfernten Mouzon statt, bei der die bisherigen Ergebnisse der Vorverhandlungen vonseiten der päpstlichen Delegation hinterfragt wurden. Doch Heinrich V. lehnte Änderungen ab, die Verhandlungen scheiterten. Der Kaiser und sein Anhang wurden exkommuniziert. Als die Konflikte im Reich während des Sommers 1121 erneut aufzubrechen drohten, konnten sich die Fürsten jedoch durchsetzen. Am 29. September 1121 kam es zu einem Hoftag in Würzburg, auf dem die Großen Heinrich V. dazu verpflichteten, die Auseinandersetzung mit dem Papst zu beenden. Der Kaiser sagte dem Papst in diesem Kompromiss Gehorsam zu, den Fürsten, dass er mit dem Papst eine Lösung der Investiturfrage finden werde. Die Fürsten versicherten dem Kaiser wiederum, dass sie sich für die Wahrung der Ehre des Reiches einsetzen würden. Das war ein deutliches Zeichen für die veränderte Stellung der Großen innerhalb des Reichsgefüges am Ende des Investiturstreits. Nach Vorverhandlungen zwischen päpstlichen Gesandten und der kaiserlichen Seite in Mainz und Worms, von denen ein Entwurf zum endgültigen Vertrag überliefert ist, kam es am 23. September 1122 zum Abschluss des von Leibniz (1646–1716) als Wormser Konkordat bezeichneten Vertrags zwischen Papst Calixt II. und Heinrich V. Gemäß der damaligen Vertragsgepflogenheiten unterzeichneten nicht beide Seiten auf einem Dokument, sondern der Kaiser stellte eine Urkunde für den Papst aus, das sogenannte Heinricianum, und der Papst eine Urkunde für den Kaiser, das sogenannte Calixtinum (s. Quellen). Während das Calixtinum nur kopial überliefert ist, verwahrt das Vatikanische Geheimarchiv das in seiner äußeren Form sehr unscheinbare Heinricianum bis heute. Ermöglicht wurde der Kompromiss jedoch nicht nur durch die beschriebene politische Entwicklung. Ebenso notwendig war die gedankliche
3. Die Lösung des Investiturstreits im Reich unter Heinrich V.
wie begriffliche Trennung der geistlichen und weltlichen Sphäre. Sie ist eine Frucht der jahrzehntelangen Auseinandersetzungen und ermöglichte die Beilegung des Konfliktes. Die Lösung war im Zuge des Investiturstreits in Frankreich durch den Kanonisten Ivo von Chartres (p 1115/16) gefunden worden, der die temporalia (= weltliche Sphäre) von den spiritualia (= geistliche Sphäre) trennte. Beiden Sphären wurden getrennte Investitursymbole zugeordnet. So galten Ring und Stab, die seit Heinrich III. vom König an den Bischof verliehen wurden, nunmehr als rein geistliche Investitursymbole und sollten allein zur Einsetzung in die spiritualia dienen. Die Investitur in die temporalia erfolgte mithilfe eines neuen Einsetzungssymbols, des Zepters. Quelle
Das Heinricianum Zit. nach: Johannes Laudage / Matthias Schrör (Hrsg.): Der Investiturstreit, Nr. 70, S. 225f.
Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit. Ich, Heinrich, von Gottes Gnaden erhabener Kaiser der Römer, überlasse Gott, Gottes heiligen Aposteln Petrus und Paulus und der heiligen katholischen Kirche – aus Liebe zu Gott, zur heiligen römischen Kirche und zum Herrn Papst Calixt sowie zum Heil meiner Seele – jegliche Investitur mit Ring und Stab, und ich gestehe zu, dass in allen Kirchen, die in meinem König- und Kaiserreich liegen, eine kanonische Wahl und eine freie Weihe stattfinden soll. Die Besitzungen und Regalien des seligen Petrus, die vom Beginn dieses Streits bis auf den heutigen Tage – sei es zur Zeit meines Vaters oder sei es auch zu meiner Zeit – abhandengekommen sind, erstatte ich der heiligen römischen Kirche zurück, sofern ich sie (in meiner Gewalt) habe; sofern ich diese aber nicht besitze, werde ich getreulich helfen, dass sie zurückerstattet werden. Auch die Besitzungen aller anderen Kirchen, die von Fürsten und die von sonstigen Personen, die von Klerikern ebenso wie die von Laien, werde ich auf den Rat der Fürsten und aus Gerechtigkeit zurückgeben, sofern sie in diesem Streit verloren gegangen sind und ich sie (in meiner Hand) habe; sofern ich sie nicht besitze, werde ich getreulich helfen, dass sie zurückgegeben werden. Und ich gebe wahren Frieden dem Herrn Papst Calixt, der heiligen römischen Kirche und allen, die auf seiner Seite sind oder gewesen sind. Und in all den Angelegenheiten, in denen die heilige römische Kirche Beistand fordern wird, werde ich getreulich helfen, und ich werde ihr im Hinblick auf die Dinge, über die sie bei mir Klage führen wird, die ihr zustehende Gerechtigkeit verschaffen.
Quelle
Das Calixtinum Zit. nach: Johannes Laudage / Matthias Schrör (Hrsg.): Der Investiturstreit, Nr. 70, S. 227
Ich, Bischof Calixt, Knecht der Knechte Gottes, konzediere Dir, geliebter Sohn H.(einrich), von Gottes Gnaden erhabenem Kaiser der Römer, dass die Wahlen der Bischöfe und Äbte des deutschen Reiches in deiner Gegenwart stattfinden, sofern sie zum Reich gehören, und zwar ohne Simonie und irgendwelche Gewalt, damit Du, wenn unter den Parteien irgendeine Zwietracht entstehen sollte, gemäß dem Rat und Urteil des Metropoliten und der Konprovinzialen dem gesünderen Teil (sa-
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V.
Der Konfliktverlauf im Reich niori parti) Hilfe und Beistand gewährst. Der Gewählte aber soll von Dir durch das Zepter die Regalien entgegennehmen, und er soll das leisten, was er Dir wegen dieser (Regalie) rechtmäßig schuldet. In den anderen Gebieten des Kaiserreiches soll der Geweihte innerhalb von sechs Monaten von Dir die Regalien durch das Zepter empfangen und das leisten, was er Dir wegen dieser (Regalie) rechtmäßig schuldet; dabei bleibt alles ausgenommen, was offensichtlich zur römischen Kirche gehört. Im Hinblick auf die Dinge aber, derentwegen Du bei mir Klage führen und Beistand fordern wirst, werde ich Dir – gemäß der Schuldigkeit meines Amtes – Hilfe gewähren. Ich gebe Dir wahren Frieden und allen, die zur Zeit dieses Zwistes auf Deiner Seite sind oder gewesen sind.
Das Heinricianum enthält die Zugeständnisse Heinrichs V. an Calixt II. sowie die Apostelfürsten Petrus und Paulus. Es ist also nicht nur an den momentanen Papst gerichtet, sondern enthält Versprechungen, die über dessen Pontifikat hinaus Gültigkeit besitzen sollten. In ihm verzichtete Heinrich V. auf die Investitur mit Ring und Stab. Ferner sicherte er die kanonische Wahl der Bischöfe und die ungehinderte Weihe der Gewählten zu. In diesen Punkten hatte sich die Kurie durchgesetzt. Doch auch der Papst machte einige Zugeständnisse: So gestattete er, dass die Wahl der Bischöfe in Gegenwart des Königs stattfinden sollte, was diesem eine gewisse Einflussmöglichkeit bewahrte. Bei zwiespältigen Wahlen sollte der Metropolit in Zusammenarbeit mit seinen Suffraganen entscheiden – auch hier war eine königliche Einflussnahme möglich, eine Chance, die die Nachfolger Heinrichs V. mehrfach nutzten. Entscheidend war jedoch als königliches Druckmittel die Einsetzung in die Regalien, in die Besitzungen des Bischofs. Diese sollte in einem gesonderten Investiturakt durch ein Zepter erfolgen. In Deutschland sollte diese Investitur vor der Weihe vollzogen werden, in Burgund und Italien sechs Monate nach der Weihe. Es ist klar zu erkennen, dass diese Trennung den König zwar von der Wahl der Bischöfe grundsätzlich eher fernhalten und seine Einflussmöglichkeiten zurückgedrängt werden sollten. Doch trug der Umstand, dass der König die Elekten in Deutschland vor der Weihe in die temporalia einsetzen musste, dazu bei, dass er auf die Wahl faktisch Einfluss ausüben konnte. Denn wenn der König einem Kandidaten die Einsetzung in die temporalia verweigerte, war er im Grunde nicht mehr wählbar, da der Kirche damit die materielle Grundlage entzogen war. Das Wormser Konkordat hatte damit die Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und Königtum über die Kompetenzen des Königs bei der Erhebung von Bischöfen beendet. Um diese Einigung abzusichern und die Großen in die Durchsetzung des Kompromisses einzubinden, fand im November 1122 ein Hoftag in Bamberg statt, der Heinricianum und Calixtinum zustimmte. Formal legte Calixt II. das Konkordat zudem einer im März 1123 im Lateran tagenden Synode vor, wodurch es – trotz heftiger Proteste der Synodalen – allgemein anerkannt wurde. Nach päpstlicher Auffassung war eine Zustimmung der Synode für die Gültig-
Literaturhinweise
keit der Vereinbarung zudem nicht notwendig, lediglich erwünscht, zumal die Kardinäle dieser zuvor bereits zugestimmt hatten. Heinrich V. verblieb wenig Zeit, um den Kompromiss mit einer konkret gestalteten Politik zu füllen. n Denn am 23. Mai 1125 verstarb der letzte Salier – kinderlos. Auf einen Blick
Das Laieninvestiturverbot für den römisch-deutschen König war nicht der Auslöser, sondern erst ein Ergebnis der Auseinandersetzungen zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. Welche Bedeutung kam dem Investiturverbot in den Augen der Reformer mit Blick auf die zentralen Ziele der Kirchenreform zu? Der Gang nach Canossa fand nur in wenigen zeitgenössischen Quellen Niederschlag, anders als die Exkommunikation des zukünftigen Kaisers durch den Papst. Dennoch ist der „Canossagang“ heute ein stehender Begriff. Was führte zu dieser Aufwertung der Bedeutung Canossas? Am Beginn seines Pontifikates setzte sich Gregor VII. stark für Heinrich IV. ein. Doch nach dem existenziellen Kampf mit dem Salier schloss der Papst diesen und „seinen“ Papst Clemens (III.) – im Gegensatz zu allen anderen – noch auf dem Sterbebett von einer möglichen Rekonziliation aus. Skizzieren Sie die Stationen dieser Beziehung. Heinrich V. schien zunächst auf Paschalis II. zuzugehen und sich mit diesem in der Frage der Investitur geeinigt zu haben. Schließlich änderte er seine Position fundamental und zwang dem Papst Zugeständnisse ab. Wieso konnte sich Heinrich V. mithilfe des Pravilegs in der Investiturfrage dennoch nicht durchsetzen? Die römisch-deutschen Könige regierten ihr Reich nicht überall auf dieselbe Weise. Inwiefern spiegelt das Wormser Konkordat die je unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten des Herrschers in Deutschland, Burgund und Italien wider?
Literaturhinweise Fried, Johannes: Canossa. Entlarvung einer Legende. Eine Streitschrift, Berlin 2012. Vgl. dazu die vier kritischen, parallel entstandenen Rezensionen von M. Becher, H.-W. Goetz, L. Körntgen u. C. Zey, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 1. Hasberg, Wolfgang / Scheidgen, Hermann-Josef (Hrsg.): Canossa. Aspekte einer Wende, Regensburg 2012. Sehr gelungener Sammelband, der viele Aspekte des Themas abdeckt. Hoffmann, Hartmut: Canossa – eine Wende?, in: DA 66 (2010) S. 535–569. Verdeutlicht, dass Canossa vor allem aus kirchlicher Perspektive zu keiner Entsakralisierung des Herrschers führte und somit keine Wende sei. Schieffer, Rudolf: Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbotes für den deutschen König (Schriften der MGH 28), Stuttgart 1981. Die Habilitationsschrift zeigt, dass das Laieninvestiturverbot nicht der Auslöser, sondern die Folge des Konfliktes zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. war. Struve, Tilmann: Gregor VII. und Heinrich IV. Stationen einer Auseinandersetzung, in: Studi Gregoriani 14 (1991) S. 29–60. Stellt die Entwicklung in drei Phasen detailliert dar.
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VI. Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich Überblick
A
uch in Frankreich und England ist wie im Reich eine Zweiteilung des Konfliktes zu beobachten. In beiden Königreichen ist ebenfalls zunächst eine Auseinandersetzung zwischen den Kirchenreformern und den beharrenden Kräften sowie dem Königtum zu verzeichnen, bevor der Konflikt in ein Ringen um die Investitur mündete, an dessen Ende ein gedankliches Auseinandertreten der geistlichen und weltlichen Sphäre standen. Die deutlich früher als im Reich erzielten Lösungen in England (1107) und
Frankreich dienten in Teilen als Vorlagen für das Wormser Konkordat. Das Beispiel Unteritaliens, das seit 1130 zu einem Königreich vereint war, zeigt zugleich, dass es in dieser Epoche auch andere Lösungen des grundlegenden Konfliktes geben konnte. Die Ausgangsproblematik der Epoche, das Streben der Kirche nach Freiheit, war in allen Regionen gleich, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Lösung erfolgte auf zum Teil ähnlichen, zum Teil sehr unterschiedlichen Wegen.
1. Frankreich – Reformen gegen und mit dem König Zwei Gegebenheiten unterscheiden die Situation am Anfang des Konfliktes in Frankreich grundlegend von der Situation im Reich. Beide sind zugleich die Erklärung dafür, wieso der Investiturstreit in Frankreich nicht zu vergleichbaren Verwerfungen führte und eine Lösung – ohne einen formalen Vertrag – auf relativ unkomplizierte Weise gefunden werden konnte. Zum einen galt Frankreich den frühen Reformern – ganz im Gegensatz zum Reich Kaiser Heinrichs III. – als das eigentliche Sorgenkind hinsichtlich des Zustands der Kirche. Frankreich kann daher gerade in der frühen Phase der Reform bis zu Gregor VII. als das Hauptbetätigungsfeld der Reformer gelten, in dem die Reformer ihr Programm nicht mit dem König, sondern ohne oder gegen diesen durchzusetzen versuchten und dabei stärker als im Reich auf eigene Instrumente vertrauten. Mit deren Hilfe bearbeiteten sie die französische Kirche deutlich intensiver als die Reichskirche. Zum anderen konnte der Investiturstreit für den französischen König bei Weitem nicht dieselbe Bedeutung einnehmen, da dieser lediglich auf einen Bruchteil der in Frankreich liegenden Bistümer Einfluss hatte. Während im Reich fast alle Bistümer dem König unterstanden, war es in Frankreich am Ende des 10. Jahrhunderts lediglich etwas mehr als ein Zehntel. Auch wenn der König diesen Anteil im Laufe des
1. Frankreich – Reformen gegen und mit dem König
11. Jahrhunderts verdoppeln konnte, so blieb der Unterschied zur Situation im Reich deutlich. Auf das gesamte Königreich gesehen war nicht der König die entscheidende Instanz, sondern die Regionalgewalten, sodass der am 13. November 1004 von reformunwilligen Mönchen erschlagene Abt Abbo von Fleury von sich hatte behaupten können, südlich der Loire mächtiger als der König zu sein. In der Tat war der Süden und Westen Frankreichs eine königsfreie Zone. Hier hielt sich der Herrscher, der in seinen realen Wirkungsmöglichkeiten auf den engeren Bereich der Krondomäne begrenzt war, kaum auf, hier hatte er keine Besitzungen und konnte daher kaum eingreifen. Beide Faktoren erklären, wieso zwar die Phase der Kirchenreform in Frankreich zu heftigeren Auseinandersetzungen führte als im Reich, der eigentliche Investiturstreit jedoch nicht in derselben Heftigkeit ausgefochten wurde. Das 11. Jahrhundert wird in der Geschichte des französischen Königtums gerne als eine Phase der ersten Formierung gekennzeichnet, der im 12. Jahrhundert eine Konsolidierung und Erweiterung der Herrschaftsgrundlagen folgten, sodass im 13. Jahrhundert der „Weg zur Großmacht“ beschritten wurde. Diese Charakterisierungen suggerieren stets eine Teleologie, die den Ereignissen so nicht innewohnte, kontrastieren jedoch in der Rückschau sinnträchtig die Entfaltungsmöglichkeiten königlicher Herrschaft im europäischen Kontext. Und um diese stand es im 11. Jahrhundert im Vergleich zu den anderen Reichen Europas nicht allzu gut. Als Heinrich I. mit 21 Jahren nach dem Tod seines Vaters Robert II. am 20. Juni 1031 die Herrschaft übernommen hatte, sah er sich umgehend mit etlichen Bedrohungen konfrontiert. Odo von Blois und Champagne, der die zentrale Königslandschaft zu umklammern drohte, wurde in einem Bündnis zwischen König Heinrich I. und Kaiser Konrad II. besiegt und fiel 1037 selbst in einer Schlacht. Im Westen drohte Ungemach durch die Grafen von Anjou, zu deren Niederringung der König sich mit Wilhelm II., dem Herzog der Normandie, verbündete. Als der Normanne immer mehr Einfluss gewann, wechselte Heinrich I. die Seite und schloss sich mit Graf Gottfried von Anjou zusammen, fand 1057 in der Schlacht bei Varaville jedoch eine herbe Niederlage. Auch von Rom war keine Unterstützung zu erwarten, da für Heinrich I. die Reformen nicht vorrangig waren und generell eher eine distanzierte Haltung dieses französischen Königs zu Rom festzustellen ist. Als Heinrich I. am 4. August 1060 starb, war sein Sohn Philipp zwar bereits gekrönt, aber noch minderjährig. Erst 1067 sollte er seine eigenständige Herrschaft antreten, für die die Interessensverlagerung des Herzogs der Normandie nach England, das er 1066 eroberte, eine spürbare Entlastung bewirken sollte. Es ist verständlich, dass die französische Monarchie in dieser Situation vorrangig mit dem Überleben beschäftigt war und daher nicht zum treibenden Motor der Kirchenreform wurde. Frankreich war für die Kirchenreformer das Königreich Europas, in dem die Reformen am notwendigsten vorangetrieben werden mussten. Einen Ein-
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Ausgangssituation für das Königtum
Wirkung der Kirchenreform
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VI.
Konflikt mit Philipp I.
Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich
druck von der anfänglichen Resistenz der französischen Kirche gegen das Reformprogramm und namentlich das Verbot der Simonie und des Nikolaitismus vermitteln die Synoden von Rouen (1063) und Paris (1074), auf denen der dort versammelte französische Episkopat es ablehnte, den Zölibat für den Pfarrklerus einzuführen. Zwar war die Priesterehe im Reich nicht spurlos verschwunden und es lassen sich zeitgleich Schriften fassen, die die Priesterehe verteidigen. Doch ein derartiger Synodalbeschluss ist für das Reich nicht überliefert. Anders als im Reich war das französische Königtum zunächst nicht an einer Zusammenarbeit mit dem Papsttum interessiert. Während Kaiser und Papst in der Zeit Heinrichs III. immer wieder Synoden zusammen abhielten, lässt sich das für den französischen König nicht feststellen: Papst Leo IX. reiste 1049 nach Reims, um die Remigiuskirche zu weihen, und lud den französischen Episkopat zu einer Synode ein, die vom 3. bis zum 5. Oktober 1049 in Reims stattfand. Zeitlich parallel wandte sich König Heinrich I. in einer militärischen Auseinandersetzung Gottfried von Anjou zu und forderte dabei die Unterstützung seiner Bischöfe ein. Der Besuch der Reimser Synode blieb daher bescheiden. Doch sie markierte die weitere Stoßrichtung der Reformer in Frankreich. Leo IX. setzte mehrere Bischöfe ab und konfrontierte die anwesenden mit dem Programm der Reformer, dem sie sich nicht entziehen konnten. Den von Leo IX. eingeschlagenen Weg setzten in Stellvertretung für den Papst in den kommenden Jahrzehnten päpstliche Legaten fort, unter denen Amatus von Oléron und vor allem Hugo von Die, der spätere Erzbischof von Lyon, hervorzuheben sind. Letzterer war ein radikaler Reformer. Auch der spätere Gregor VII. war in Frankreich bereits 1054 im Auftrag Leos IX. tätig geworden und dürfte die Situation daher gut gekannt haben, die er für deutlich verbesserungsbedürftig hielt. In keinem anderen Königreich wurde eine vergleichbare Zahl von Bischöfen durch den Papst, dessen Legaten und ihre Synoden verurteilt. Auf Frankreich richteten die Reformer ihren Eifer in besonderem Maße – mit den entsprechenden Folgen. Allein in den zehn Jahren zwischen 1071 und 1082 hielten päpstliche Legaten in Frankreich 34 Synoden ab, setzten ebenso viele Bischöfe ab oder suspendierten sie und exkommunizierten 18 Bischöfe. Der mangelnde Einfluss des französischen Königtums hatte im Süden des Landes nicht nur neue Formen von Recht und Friedensherstellung wie den Gottesfrieden entstehen lassen, sondern zugleich auch den Aktivitäten Roms einen größeren Spielraum gelassen, als dies im Reich der Fall war. Dort wurden die Reformen in Zusammenarbeit mit dem König umgesetzt, in Frankreich nahmen die Reformpäpste dies selbst in die Hand. Als Gregor VII. 1073 die Kathedra Petri bestieg, war es nicht das Reich, das er mit großer Sorge betrachtete, sondern vor allem Frankreich. Bereits in seinem ersten Pontifikatsjahr drohte er König Philipp I. die Verhängung des Interdikts für ganz Frankreich an, da der König dem kanonisch gewählten Bi-
1. Frankreich – Reformen gegen und mit dem König
schof von Mâcon, dem Archidiakon Landrik von Autun, die Investitur verweigerte. Als der zuständige Metropolit, Humbert von Lyon, die Weihe nicht gegen den königlichen Willen vollziehen wollte, weihte Gregor VII. Landrik selbst. Philipp I. gab schließlich nach und investierte Landrik, wodurch der Konflikt entschärft war, in dem Gregor VII. zwar ein grundsätzliches Investiturrecht des Königs anerkannte, doch eine kanonische Wahl einforderte. Kontinuierlich mahnte Gregor VII. den französischen König. Als Kaufleute im Jahr 1074 in Frankreich überfallen wurden, drohte Gregor VII. auf der Fastensynode 1075 Philipp I. die Exkommunikation an, da er den Schutz der Kaufleute nicht gewährleistet habe. Falls der König sein Verhalten nicht bereue und vor einem Legaten Abbitte leiste, sei er exkommuniziert, so der Eintrag zur Fastensynode, der sich kurz vor dem Dictatus Papae im Register des Papstes findet. Philipp I. vermied die Konfrontation und beugte sich dem päpstlichen Druck. Quelle
Gregor VII. in einem Brief an Erzbischof Manasses von Reims über Philipp I. (Reg. II/32) Zit. nach: Franz-Josef Schmale (Hg.), Ausgewählte Briefe, S. 131
Philipp, der König von Frankreich, oder eher der reißende Wolf und ungerechte Tyrann, der Feind Gottes und der Religion der heiligen Kirche
Obwohl eine Eskalation nur knapp vermieden worden war, richtete Gregor sein Augenmerk danach eher auf das Reich und die Auseinandersetzung mit dem salischen König. Das Königreich Frankreich wurde nun von Hugo von Die auf Kurs gebracht, der dort als Vikar des Papstes wirkte – und dessen Rigorosität selbst Gregor VII. zu diesen mäßigenden und gegenüber der französischen Kirche vermittelnden Worten veranlasste. Hugo von Die war es dann, der 1077 in Autun und 1078 in Poitiers das erste allgemeine Investiturverbot verkündete. Der König sah sich weniger durch dieses Verbot als durch das weitere Auftreten Hugos von Die und die versuchten Eingriffe Gregors VII. in die Besetzungen französischer Bistümer in seinem Handlungsspielraum bedroht und wandte sich an die Bischöfe mit der Aufforderung, die Legaten Gregors VII. zu boykottieren. Die Auseinandersetzungen drehten sich folglich nicht um das Investiturrecht, sondern um die Frage der grundsätzlichen Bindung der französischen Bischöfe an ihren König, die Philipp I. durch die Aktionen Hugos von Die gefährdet sah, welche auch der französische Episkopat mit großer Skepsis betrachtete. Zu diesen Belastungen des Verhältnisses zwischen Rom und dem französischen Königtum traten noch die römischen Versuche hinzu, den Primas der französischen Kirche zu entmachten, sowie die Auseinander-
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VI.
Abb. 5 Königin Bertha im Gefängnis und von König Philipp I. wieder aufgenommen (nach der Affäre mit Bertrada von Montfort)
Flexible Lösung
Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich
setzungen mit Manasses I. von Reims (1069–1080). Die französische Kirche sollte so enger an Rom gebunden werden, kirchliche Bezugspunkte neben Rom sollten ausgeschaltet werden. Die Frage der Investitur spielte in einigen Konflikten zwar eine Rolle, doch nicht als genereller Gegenstand, sondern lediglich auf einzelne, konkrete Fälle bezogen. Dabei vermied Philipp I. den offenen Kampf und legte Rom gegenüber eine eher um Ausgleich bemühte Haltung an den Tag, was den französischen (Kron-)Episkopat an der Seite des Königs ausharren ließ. Ein ernsthafter Konflikt mit Papst Urban II. trat erst ein, als Philipp I. im Jahre 1092 seine bisherige Frau Bertha verstieß – der englische Chronist Wilhelm von Malmesbury führt als Grund an, seine Frau sei ihm zu dick geworden – und nun Bertrada von Montfort an seine Seite zog, die zwar verheiratet war, die Philipp I. aber kurzerhand entführt hatte, um sie zu ehelichen. Zur Trauung fand sich schließlich sogar ein Bischof bereit. Als die Appelle Papst Urbans II. an König und französischen Episkopat zu keinem Gesinnungswechsel Philipps I. führten, exkommunizierte Hugo von Die, der inzwischen zum Erzbischof von Lyon aufgestiegen war, 1094 den französischen König auf einer gut besuchten Synode. Urban II. wiederholte dies 1095 auf der Synode von Clermont. Philipp I. scheint von der Person Bertrada offenbar sehr gefesselt gewesen zu sein, denn zehn Jahre lang war er nicht bereit, sich von ihr zu trennen. Erst 1104 kam es zur Auflösung der Verbindung und in deren Folge zur Aufhebung der Exkommunikation des Königs. Diese Eheangelegenheit Philipps I. hatte die Fragen der kirchlichen Freiheit und des königlichen Einflusses in der Kirche in den Hintergrund treten lassen. Doch anders als im Reich war in dieser Zeit in Frankreich niemals grundsätzlich um die Investitur gestritten worden und der französische König hatte bei der Einsetzung der Bischöfe nie die kirchlichen Symbole Ring und Stab benutzt. Geistliche und weltliche Sphäre wirken vor diesem Hintergrund weniger intensiv miteinander verbunden als im Reich. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich die Lösung des Investiturstreites in Frankreich relativ unproblematisch gestaltete. Anders als im Reich, in England oder Unteritalien
2. England – ein gesichtswahrender Kompromiss
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gab es in Frankreich keinen Vertrag zwischen Kurie und König. Dies schien weder den französischen Bischöfen noch dem König oder der Kurie notwendig. Man beließ es bei den bisherigen Gewohnheiten, mit denen offenbar alle Beteiligten leben konnten. Die Form der französischen Investitur, in der keine geistlichen Symbole verwendet wurden, hatte jeden Anschein vermieden, dass der König über die spiritualia verfügen könnte. Umso deutlicher forderte der König jedoch seine Verfügungsgewalt über die temporalia und die Treue seiner Bischöfe ein. Die Form, in der er dies tat – sei es durch einen von Rom abgelehnten Lehnseid, eine Formel, ein Investitursymbol wie einen Stab oder anderes –, sei, das erklärte niemand anderes als Ivo von Chartres, der die begriffliche Trennung in spiritualia und temporalia vorgenommen hatte, unbedeutend. Diese pragmatische Haltung ließ es in Frankreich nie zu einer prinzipiellen Auseinandersetzung kommen, da der französische König das Treueversprechen der Bischöfe, das er im Gegenzug zur Einsetzung der Bischöfe in die temporalia verlangte, sehr flexibel handhabte. Weigerte sich ein Bischof, das homagium als Rechtsgebärde zu leisten, und sprach lediglich einen Treueid, so verweigerte der König die Einsetzung in der Regel dennoch nicht. Umgekehrt hielt der Episkopat cum grano salis loyal zum König, welcher freie kanonische Wahlen garantiert und einen grundsätzlichen Konflikt um die Investitur vermieden hatte. Als förderlich für diese pragmatische Lösung mag es sich auch erwiesen haben, dass mit Urban II. und Calixt II. in der Hochphase des Investiturstreites im Reich zwei Päpste auf der Kathedra Petri saßen, die aus Frankreich stammten. Die Phase nach dem Tod Philipps I. am 29./30. Juli 1108 läutete eine enge Zusammenarbeit zwischen dem französischen König und der Papstkirche ein.
2. England – ein gesichtswahrender Kompromiss Die Situation in England ist neben der grundlegenden Wandlung des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Gewalt zudem durch einen epochalen Herrschaftsumbruch charakterisiert, welcher seinen Ausgang mit der Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer von seinem Herzogtum Normandie aus nahm, gipfelnd in der Schlacht von Hastings am 14. Oktober 1066. Die folgenden Jahrzehnte brachten eine grundlegende Veränderung der administrativen und rechtlichen Struktur der Insel mit sich, die auf das Verhältnis von König und Kirche nicht ohne Auswirkungen bleiben konnte. Die englische Kirche war Rom seit den Tagen Papst Gregors des Großen (p 604) eng verbunden, da dieser den Zeitgenossen als Initiator und Motor der Rechristianisierung der Insel galt, auch wenn der Anteil dieses Papstes daran in den letzten Jahrzehnten von der Forschung als weniger bedeutsamt eingestuft wurde. Gleichwohl ist das enge Verhältnis der englischen Kirche zu Rom
Ausgangslage
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VI.
Hastings
Straffes Kirchenregiment
Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich
klar zu fassen, was unter anderem im Peterspfennig zum Ausdruck kam, einer ursprünglich wohl freiwilligen Abgabe der angelsächsischen Könige an den heiligen Petrus, durch die sie ihre Verehrung des Apostelfürsten zum Ausdruck brachten. Erst im 13. Jahrhundert versuchten die Päpste aus dieser Abgabe retrospektiv eine Abhängigkeit Englands vom Heiligen Stuhl zu konstruieren, obwohl der Peterspfennig keine Lehnsabgabe war. Über England herrschte ab 1042 der angelsächsische König Eduard der Bekenner, der diesen Beinamen trotz aller persönlichen Frömmigkeit wohl seiner Kinderlosigkeit zu verdanken hat, die in der Rückschau als Folge sexueller Enthaltsamkeit gedeutet wurde. Dies verursachte allerdings ein Nachfolgeproblem, das er normannischen Quellen zufolge zunächst durch eine Nachfolge Wilhelms, des Herzogs der Normandie, zu regeln suchte, auf dessen tatkräftige Unterstützung gegen Widersacher Eduard bis zu Beginn der 1050er-Jahre zurückgegriffen hatte. Nach der zeitgenössischen Vita Aedwardi Regis soll der am 5. Januar 1066 verstorbene Eduard der Bekenner jedoch noch auf dem Totenbett Harald II. zu seinem Nachfolger designiert haben. Am 6. Januar erfolgte die Krönung Haralds II., dessen Königtum rasch allgemeine Anerkennung fand. Wilhelm, der die Erhebung Haralds nicht akzeptierte, bereitete eine militärische Durchsetzung seiner Ansprüche vor und warb dafür um Unterstützung, die er in Rom fand, namentlich beim römischen Archidiakon Hildebrand, dem späteren Papst Gregor VII. In einem Brief vom 24. April 1080 rühmt sich Gregor VII., im Jahr 1066 maßgeblich dafür gesorgt zu haben, dass Wilhelm die Petersfahne als offensichtliches Zeichen des päpstlichen Segens für sein Eroberungsunternehmen zugesandt wurde. Erneut war es Hildebrand, der wie im Falle der Mailänder Pataria ein militärisches Unternehmen unterstützte, um die in seinen Augen richtige Sache zu befördern. Wilhelm setzte am 27. September 1066 mit einem Heer von wohl nicht mehr als 7000 Mann nach England über. Am 14. Oktober 1066 gelang ihm bei Hastings ein entscheidender Sieg, bei dem nicht nur sein Gegner, König Harald, das Leben verlor, sondern auch etliche Große, die den König gegen den Herzog der Normandie unterstützt hatten. Wilhelm ließ sich wenige Wochen später, am 25. Dezember 1066 am traditionellen Erhebungsort in Westminster am Grab Eduard des Bekenners krönen, um seine Legitimität öffentlich zu demonstrieren. Gleichwohl machen die bis 1071 andauernden militärischen Auseinandersetzungen auf der Insel deutlich, dass sein Königtum keine sofortige Akzeptanz fand, sondern in zähem Ringen durchgesetzt werden musste. Sein Königtum bedeutete einen tiefen Einschnitt in der politischen und kirchlichen Geschichte Englands. Die Veränderungen in der englischen Kirche und die Durchsetzungsfähigkeit des Normannenherrschers werden wohl an keinem anderen Beispiel so deutlich wie in der Absetzung des sein Amt seit 1052 ausübenden Erzbischofs Stigand von Canterbury auf einer Synode in Winchester im Jahre 1070 sowie
2. England – ein gesichtswahrender Kompromiss
weiterer englischer Prälaten in Anwesenheit päpstlicher Legaten. Die Synode war ein Signal, dass sich Wilhelm nach seiner militärischen Durchsetzung nun der Kirche Englands zuwandte, um seine Herrschaft auch hier abzusichern. In seinem bisherigen Herrschaftsbereich, dem Herzogtum Normandie, hatte er die Bischöfe den salischen Herrschern vergleichbar in ihr Amt eingesetzt. Wie der Salier Heinrich III. setzte auch der Normannenherrscher Wilhelm die Bischöfe der Normandie mit Ring und Stab in ihr Amt ein. Diese Praxis übertrug er ab 1070 auf England. Das war kein gegen die Anliegen der Kirchenreformer gerichteter Schritt, sondern wurde von diesen getragen. Papst Alexander II. hatte seine Legaten auf Bitten Wilhelms nach England gesandt. Und auch in der Person des neuen Erzbischofs wird deutlich, dass der neue König für die Kirchenreform offen war: Es war Lanfranc, der ehemalige Abt des in der Normandie gelegenen Klosters Le Bec, der Wilhelm bei seinem Bestreben, die englische Kirche zu kontrollieren, unterstützte. Das straffe Kirchenregiment und der große Einfluss Wilhelms I. kommen in der Besetzung der englischen Bistümer nach 1066 zum Ausdruck: Der neue König erhob fast ausschließlich Personen aus Lothringen und der Normandie zu Bischöfen, etliche von ihnen aus dem Kreis seiner Hofkapläne. Auch die Domkapitel wurden durch den königlichen Einfluss zunehmend von Klerikern normannischer Herkunft dominiert. Das strikte Kirchenregiment des Königs äußerte sich darin, dass er zwischen 1073 und 1080 keinem päpstlichen Legaten die Einreise nach England erlaubte und anschließend die Kontakte zu Rom streng reglementierte. Bis zu seinem Tod am 9. September 1087 hatte Wilhelm die englische Kirche klar auf sich ausgerichtet. Zwar hatten sich Konflikte mit Gregor VII. angebahnt, etwa im Hinblick auf die von Wilhelm zurückgewiesene Lehnsabhängigkeit Englands oder hinsichtlich des zugestandenen Peterspfennigs, den der Papst einforderte. Doch an der königlichen Investiturpraxis nahm Gregor VII. offensichtlich keinen Anstoß, obwohl er diese im Reich ab 1078 bekämpfte. Das Laieninvestiturverbot spielte erst um die Jahrhundertwende eine Rolle, als der 1100 aus dem Exil zurückgekehrte Erzbischof Anselm von Canterbury mit der Berufung auf Konzilsbeschlüsse unter Papst Urban II. die (Neu-)Investitur durch einen Laien sowie das ebenfalls vom König geforderte homagium ablehnte. Durch Anselms Weigerung und seine damit verbundene Forderung, der englische König Heinrich I. solle die päpstlichen Beschlüsse beachten, war das Laieninvestiturverbot für den König auch in der englischen Kirche zu einem Thema geworden. Es erstaunt, dass das Verbot der Laieninvestitur in England erst so spät traktiert wurde. Die Gründe dürften im Wibertinischen Schisma zu suchen sein, in dem sich Urban II. zu Zugeständnissen gegenüber dem englischen König Wilhelm II. Rufus (p 2. August 1100) gezwungen sah, um England für seine Obödienz zu gewinnen. Doch mit dem Tod Urbans II. (29. Juli 1099) und Wilhelms II. war eine neue Situation eingetreten, die es Anselm gestattete, nun auch in England im Sinne Roms das Ver-
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Investiturstreit
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VI.
Lösung
Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich
bot der Laieninvestitur zu forcieren. Papst Paschalis II. (p 1118) war nicht bereit, die in seiner Interpretation offenbar allein für Wilhelm II. erteilten Zugeständnisse Urbans II. in Geltung zu belassen, sondern forderte – auch in Schreiben an König Heinrich I. – eine Ende der traditionellen königlichen Investiturpraxis. Mehrere Gesandtschaften des englischen Königs an Paschalis II. konnten jedoch zu keiner Einigung in der Frage des Investiturrechts sowie des von den Bischöfen zu leistenden homagium führen, vielmehr begab sich Anselm auf dem Rückweg von einer ergebnislosen Romreise gegen Ende des Jahres 1104 erneut ins Exil nach Lyon, dem Erzbistum des glühenden Gregorianers Hugo (p 1106), um den König auf diese Weise zum Einlenken zu bewegen. Der Konflikt um die königliche Investiturpraxis war damit zu einem Konflikt zwischen König Heinrich I. und Erzbischof Anselm von Canterbury geworden. Doch auch Paschalis II. verstärkte den Druck auf den König, indem er ihm Ende des Jahres 1104 brieflich die Exkommunikation androhte, sollte er auf seinem traditionellen Investiturrecht sowie der Einforderung des homagium beharren. Im März erfolgte die Exkommunikation einiger Ratgeber des englischen Königs durch den Papst, wodurch dieser den Druck weiter erhöhte. Nach einer Exkommunikation Heinrichs I. durch Anselm von Canterbury und der Intervention einiger Großer beim König zugunsten einer Rückkehr Anselms in sein Erzbistum kam es zu Verhandlungen zwischen König und Erzbischof, die am 22. Juli 1105 in Laigle in einen Kompromiss beider Kontrahenten mündeten. Unter der Bedingung, dass der Papst der Vereinbarung zustimmte, willigte Anselm in seine Rückkehr ein und stellte die Akzeptanz der vom König investierten Bischöfe sowie den Umgang mit diesen in Aussicht, ohne dies fest zuzusagen. Der König garantierte die Wiedereinsetzung in alle Besitzungen und scheint bereits in dieser Vereinbarung auf die Einsetzung mit Ring und Stab verzichtet zu haben. Nicht einigen konnte man sich über das homagium – ein wie in Frankreich hoch umstrittener Punkt. Die Zustimmung Papst Paschalis’ II. zu dem in Laigle gefundenen Kompromiss erfolgte erst im März 1106. Der Papst ging auf etliche Forderungen Heinrichs I. ein, vor allem gestand er zu, dass die Bischöfe nach ihrer Investitur das homagium leisten sollten, auch wenn er dies als ein Zugeständnis auf Zeit wertete und explizit auf eine sich in diesem Punkt verändernde Haltung des Königs setzte. Da das homagium allem Anschein nach vor der Weihe geleistet werden sollte, bedeutete dies eine weitreichende Anerkennung des bisherigen königlichen Einflusses auf die Bischofserhebung. Für die Gesichtswahrung Heinrichs I. im Kreis seiner Bischöfe war entscheidend, dass der Papst Anselm anwies, die von Heinrich investierten Bischöfe zu akzeptieren, falls nötig noch zu weihen und mit den von ihnen Geweihten Umgang zu haben, sie somit vollumfänglich als rechtmäßige Bischöfe anzuerkennen. Der Papst kam Heinrich I. offenbar deshalb so weit entgegen, da er die gefundene Lösung für das äußerste Zugeständnis hielt, das er beziehungsweise Anselm von Canterbury Heinrich I.
3. Der Sonderfall Unteritalien
in der aktuellen Situation abringen konnte, zumal der englische Episkopat in der Investiturfrage hinter der Haltung seines Königs stand. Zu einer formalen Beendigung des Konfliktes kam es dann allerdings erst im August 1107 auf einem Hoftag in Westminster durch das in der Forschung so bezeichnete Konkordat von Westminster oder Londoner Konkordat. Dieses sah vor, dass der König formal auf sein Investiturrecht verzichtete, die Elekten jedoch erst nach der Ableistung des homagium geweiht werden sollten. Eine explizite Regelung zum Wahlvorgang fehlte hingegen. Zudem wurden nach Ausweis der Überlieferung – anders als beim Wormser Konkordat – offenbar keine Vertragsurkunden ausgestellt, dem Heinricianum und Calixtinum vergleichbar. Das deutet darauf hin, dass Paschalis II. das Zugeständnis des homagium als einen Dispens interpretiert haben könnte, der seinem Wesen nach das Kirchenrecht nicht verändert, sondern lediglich auf Zeit für bestimmte Personen außer Kraft setzt, grundsätzlich aber in Geltung bleibt. Die Annahme, dass der englische König mit dem formalen Verzicht auf sein Investiturrecht keinen Einfluss mehr auf die Bischofserhebungen gehabt hätte, ist sicherlich falsch. Schon die Zeitgenossen bemerkten, dass Heinrich I. weiterhin dafür sorgte, dass ihm genehme Kandidaten auf die Bischofsstühle seines Reiches gelangten. Über die Hälfte der in den anschließenden eineinhalb Jahrzehnten erhobenen Bischöfe stammten aus der königlichen Kapelle, was den nach wie vor entscheidenden Einfluss des Königs auf die Besetzung deutlich macht. Das Konkordat von Westminster hatte daher auf die Besetzung der Bistümer unter Heinrich I. keine Auswirkungen. Es war vielmehr ein formaler Kompromiss, der es beiden Seiten erlaubte, das Gesicht zu wahren.
3. Der Sonderfall Unteritalien Unteritalien ist im 11. und 12. Jahrhundert ein Sonderfall – sowohl bezüglich der Herrschaftspraxis als auch im Hinblick auf das Kirchenregiment der normannischen Herrscher, wie es Johannes von Salisbury um 1163 in seiner Historia Pontificalis mit Blick auf den ersten Sizilischen König Roger II. beschreibt. Quelle
Das Kirchenregiment Rogers II. nach Johannes von Salisbury Übersetzung von Marjorie Chibnall (Hrsg.): Historia Pontificalis, c. 32, S. 65
Der König aber hielt die Kirche seines Herrschaftsgebietes nach der Art anderer Tyrannen in Knechtschaft, sodass niemand es wagte, eine freie Wahl abzuhalten, sondern er benannte denjenigen, der gewählt werden sollte, und so ordnete er die kirchlichen Ämter in derselben Art und Weise, wie er die Aufgaben in seinem Palast in Salerno regelte.
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Auswirkungen
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VI.
Heterogenität Unteritaliens
Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich
Was Johannes von Salisbury (p 1180) beschreibt, scheint auf den ersten Blick ein Anachronismus zu sein. Der 1130 zum König von Sizilien gesalbte Roger II. setzte die Bischöfe seines Königreichs nach eigenem Ermessen ein, ohne dass diese Widerstand geleistet hätten. Eine Trennung von temporalia und spiritualia fand offenbar nicht statt. Vielmehr übte der König ein eindeutiges Investiturrecht aus, Roger II. habe festgelegt, wer zu wählen sei, prenominabat. Es ist kein Wunder, dass John von Salisbury dieses Vorgehen als tyrannisch beschreibt und mit Blick auf seine eigene Umwelt in England verurteilte. Dort tobte eine heftige Auseinandersetzung zwischen König und Kirche, die 1170 mit der Ermordung Thomas Beckets, des Erzbischofs von Canterbury, einen unheilvollen und für König Heinrich II. von England letztlich auch katastrophalen Höhepunkt erreichte. Doch wie war Roger II. in Unteritalien möglich, was dem römisch-deutschen König eine Generation zuvor explizit untersagt, im Rahmen des Investiturstreits abgerungen und vom König im Wormser Konkordat akzeptiert worden war? Wieso konnte der König von Sizilien nach wie vor Bischöfe nach Gutdünken erheben, während Heinrich V. die freie Wahl festschreiben musste – von einem Vorschlagsrecht für die Kandidaten ganz zu schweigen? Die Erklärung für das robuste Kirchenregiment der Normannenherrscher in Unteritalien liegt sicherlich in dessen Genese, in seinem Werden in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen und der relativ kontinuierlichen Rückendeckung, welche die Normannen dafür von den Päpsten bekommen hatten. Die Sonderstellung des sizilischen Königs im Kirchenregiment ist das Produkt einer politischen Entwicklung sowie das Ergebnis einer Christianisierung muslimischer Gebiete durch die Normannenherrscher, deren Status quo die Päpste schließlich im Vertrag von Benevent (1156) anerkennen mussten und bis zum Ende des 12. Jahrhunderts auch nicht zu revidieren vermochten. Unteritalien – das meint immer das Festland (Terraferma) und die Insel Sizilien zusammen – war im 11. Jahrhundert ein Gemisch dreier Kulturen, der lateinischen, griechisch-byzantinischen und arabisch-muslimischen. Die lateinische Kultur war im 10. Jahrhundert vor allem durch die Langobarden im Inneren Unteritaliens mit den Zentren Benevent und Salerno vertreten. Hier dominierte die lateinische Sprache, und religiös orientierte man sich an der römisch-lateinischen Kirche. Seit der Rückeroberung Italiens unter Justinian (p 565) war der griechisch-byzantinische Einfluss vor allem im Süden Unteritaliens stark. Der größere Teil des unteritalienischen Festlandes, der Terraferma, war durch und durch byzantinisch: Notariatsinstrumente wurden in griechischer Sprache abgefasst, das Verwaltungs- und vor allem das Steuersystem war griechisch und nicht zuletzt war die Kirche Unteritaliens vorrangig griechisch und stand unter dem Einfluss des byzantinischen Kaisers. Unteritalien war durch kulturelle, administrative und religiöse Verbindungen eng an Byzanz gebunden. Diese byzantinische Vorherrschaft in Unteritalien bewirkte
3. Der Sonderfall Unteritalien
eine Dominanz der griechischen Kirche vor der Haustür des Papstes. In Unteritalien war Byzanz herrscherlich noch bis 1071 präsent. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde Bari, der letzte Stützpunkt der Byzantiner in Unteritalien, durch die Normannen erobert. Doch bis 1071 blieben die Byzantiner politischadministrativ und militärisch eine entscheidende, bisweilen sogar bestimmende Größe in der Geschichte Unteritaliens. Unteritalien ist folglich ein sehr heterogener Raum. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass es in kleinere Fürstentümer zerstückelt war und mit dem Niedergang der byzantinischen Vorherrschaft in Unteritalien das einende Band des östlichen Kaisertums immer weniger Anziehungskraft entfalten konnte. Die Heterogenität war jenseits der Zersplitterung des politischen Herrschaftsraumes durch eine hohe kulturelle Diversität bedingt. Die ältere Forschung sprach dabei gerne von einem Schmelztiegel der Kulturen, die hier miteinander neue Formen europäischer Kultur hervorbrachten. Neuere Forschungsansätze und Terminologien heben vor allem Formen der Hybridität oder transkulturellen Verflechtung hervor. Mit der Landung muslimischer Verbände im Jahr 827 auf der Insel Sizilien betrat die dritte kulturell prägende Kraft Unteritalien, deren Einfluss über das Ende ihrer Herrschaft im 11. Jahrhundert hinaus reichte, insbesondere auf der Insel Sizilien. Die muslimischen Gemeinden bestanden im Inneren der Insel noch bis in die 20er-Jahre des 13. Jahrhunderts, bis Friedrich II. sie nach einem Aufstand auf das Festland verlegte und im apulischen Lucera ansiedelte. Am sizilischen Hof war der arabisch-muslimische Einfluss bis zum Ende der Staufer deutlich zu erkennen, wenn auch in einem christlichen Gewand. Diese kulturelle, religiöse und administrative Heterogenität wurde im 11. Jahrhundert durch die aggressiv auftretenden Normannen überwölbt, die ganz Unteritalien 1130 zu einem Königreich einten. Bei ihrem ersten Auftreten in den unteritalienischen Quellen begegnen uns die Normannen um das Jahr 1000 nicht auf Raubzügen oder mit militärischen Aktionen, sondern zunächst im Gewand der Pilger auf der Rückreise von Jerusalem, als sie in Salerno haltmachten. Dort angekommen erwiesen sich die Normannen jedoch nicht nur als gute Pilger, sondern der Fürst von Salerno, Waimar III., erkannte umgehend ihre jenseits ihrer Religiosität liegende Qualität und bat sie um militärische Unterstützung gegen Sarazenen, die Salerno belagerten. Aufgrund ihrer Durchschlagskraft bedienten sich im Folgenden fast alle Parteien Unteritaliens der Normannen. Ihre Erfolge führten 1030 zur Integration in das bestehende Herrschaftssystem, indem Herzog Sergius IV. von Neapel den Normannen Rainulf mit der Grafschaft Aversa belehnte. 1041 sicherte sich Rainulf zudem das Herzogtum Gaeta. In Apulien traten die Brüder Wilhelm (Eisenarm) und Drogo aus dem Geschlecht der Hauteville hervor, deren Eroberungen durch den Salier Heinrich III. sanktioniert wurden, indem er Drogo mit Apulien belehnte. Damit war ein normannischer Komplex an der Westküste und einer an der Ostküste Unteritaliens entstanden und durch den
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Aufstieg der Normannen
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VI.
Leo IX. und die Normannen
Nikolaus II. und die Normannen
Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich
Kaiser legitimiert worden. Unmittelbar vor der Belehnung Drogos von Hauteville war zudem ein weiterer Bruder eingetroffen, Robert Guiscard, der mit Kalabrien belehnt wurde, das er sich zu weiten Teilen jedoch erst erobern musste. Mit dessen Vordringen nach Kalabrien war ein weiterer nicht unbeträchtlicher Teil Unteritaliens in der Hand der Normannen. Wie mächtig die Normannen in Unteritalien inzwischen waren, sollte Papst Leo IX. bald erfahren. Er hatte – wohl in Abstimmung mit Kaiser Heinrich III. und im Interesse des Saliers – die Normannen militärisch zu zähmen versucht, wozu er sich sogar mit den Byzantinern abstimmte. Leo IX. nahm jedoch nicht nur mit den Byzantinern Kontakt auf, die ihn mit Truppen zu unterstützen versprachen, sondern scharte ebenso ein aus italienischen und deutschen Rittern bestehendes Heer um sich, mit dem er den Normannen entgegenzog. In einer konzertierten Aktion der in der Region entscheidenden Akteure sollten die Normannen niedergerungen werden. Doch weder kam es zu einer Vereinigung des byzantinischen und päpstlichen Heeres, noch zu einem Sieg des zahlenmäßig wohl überlegenen Heeres Leos IX. Vielmehr erlitt dieser am 18. Juni 1053 in Civitate eine vernichtende Niederlage, geriet in Gefangenschaft der Normannen und wurde in Benevent festgehalten, aus dem man ihn erst zum Sterben nach Rom entließ. Die Normannen hatten damit ihre Stärke bewiesen und sich als entscheidender Machtfaktor in Unteritalien etabliert. Das von Konflikten gekennzeichnete Verhältnis sollte im Pontifikat Nikolaus’ II. in ein Bündnis des Papsttums mit den Normannen verwandelt werden. Hatten die Päpste bisher bei Kaiser Heinrich III. Schutz gesucht, so war die Durchsetzungsfähigkeit des salischen Hofes nach dessen Tod im Jahre 1056 für das päpstliche Umfeld unklar. Konkreter wurde die Bedrohung der Reformer durch die Erhebung Benedikts X., den die Römer nach präheinrizianischer Tradition zum Papst gemacht hatten. Da die traditionelle Schutzmacht – der Kaiser – in dieser Situation und vielleicht auch in Zukunft für Nikolaus II. ausfiel, musste sich der Papst unweigerlich nach neuen Verbündeten umsehen, wollte er seine Position nicht zuletzt in Rom durchsetzen. Der römische Archidiakon Hildebrand und der damalige Abt von Montecassino, Desiderius (der spätere Papst Viktor III.), hatten den Umschwung hin auf die Seite der Normannen maßgeblich vorbereitet. Die Normannen waren ihrerseits an einer Zusammenarbeit mit dem Papsttum interessiert, da dieses ihre Eroberungen legitimieren sollte – denn für weite Teile Unteritaliens, nicht nur für Byzanz, blieben die Normannen Eindringlinge und Eroberer, keine rechtmäßigen Herrscher. In diesen Zustand sollte sie erst das Bündnis mit dem Stellvertreter Petri bringen: Die Päpste setzten die Normannen – wie zuvor der Kaiser – in ihre Stellungen ein und legitimierten die Eroberungen. Im Anschluss an eine Synode von Melfi im August 1059 belehnte Nikolaus II. Richard I. von Aversa zusätzlich zu seinen bisherigen Lehen nun mit Capua; Robert Guiscard, der die Nachfolge seines verstorbenen Bruders Drogo antrat, erhob er zum Herzog
3. Der Sonderfall Unteritalien
von Apulien und Kalabrien sowie „mithilfe beider zukünftig auch Siziliens“ (dux Apulie et Calabrie et utroque subveniente futurus Sicilie). Es war ein Wechsel auf die Zukunft, durch den Nikolaus II. Sizilien, das im Moment der Lehnsübertragung muslimisch beherrscht war, für die römische Kirche zu gewinnen suchte. 1050 hatte Leo IX. bereits Humbert von Silva Candida zum Erzbischof von Sizilien geweiht, ohne dass der Kardinal Sizilien jemals betreten hätte. Mithilfe der Normannen suchte man im päpstlichen Umfeld das Ziel einer Rechristianisierung Siziliens zu erreichen. In diesem Sinne hatte Nikolaus II. den Normannen die Richtung für ihre weitere Expansion in Unteritalien gewiesen: nach Sizilien. Als Gegenzug leisteten die Normannen dem Papst einen umfangreichen Lehnseid. Sie gingen eine ligische Vasallität ein, d.h. sie räumten ihrem Lehnsherrn absoluten Vorrang ein, der sie rechtlich sehr eng an die Päpste band. Die Päpste hatten durch diesen Treueid eine militärische Stütze gewonnen, die zwar unberechenbar blieb, sich in entscheidenden Momenten jedoch als äußerst schlagkräftig erweisen konnte. Die Befreiung Gregors VII. aus Rom, bei der die Normannen fast die halbe Stadt zerstörten, demonstrierte dies eindrücklich. Zudem hatten die Päpste durch die direkte Bindung der Normannen an sie auch einen Anspruch auf Süditalien artikuliert, der nördlich der Alpen nicht auf Gegenliebe stoßen konnte. Denn indem die Päpste sich als Lehnsherrn gerierten, verneinten sie im Grunde die Lehnshoheit des Kaisers über die unteritalienischen Gebiete. Die Lehnsmannschaft der Normannen hatte in dieser Hinsicht einen Ausbau der päpstlichen Position zur Folge. Die Zinszahlungen, welche die Normannen an den Papst leisteten, sind in ihren Auswirkungen nur schwer abzuschätzen. Zumindest in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts waren die Zahlungen von nicht unerheblicher Bedeutung. Durch den Akt von Melfi im August 1059 hatten die Päpste die Normannen an sich gebunden. Die Hauteville waren zwar noch nicht die einzige Familie an der Spitze der Normannen und erst im Jahre 1130 sollten die unterschiedlichen Normannenherrschaften in einem Königreich unter ihrer Führung zusammengefasst werden. Doch rasch entwickelten sie sich zu der dominierenden Familie Unteritaliens, wozu auch die Anzahl von immerhin zwölf Brüdern beigetragen hatte. Eine entscheidende Rolle übernahm dabei Roger I. (1101), der im Auftrag seines Bruders Robert Guiscard die Reste Kalabriens sowie anschließend die Insel Sizilien eroberte. Dazu beseitigte er 1060 in Reggio di Calabria die letzte byzantinische Position in Kalabrien und richtete danach sein ganzes Augenmerk auf die Insel Sizilien, die durch innere Konflikte geschwächt war. Die von drei Regionalgewalten, sogenannten Emiren, beherrschte Insel stand lediglich in einer losen Verbindung zum Kalifen in Bagdad. Über Messina rang Roger I. in einer 30jährigen Auseinandersetzung die Emire nieder und eroberte 1091 Noto, die letzte Festung der Muslime, die noch Widerstand geleitet hatte. Auf dem Fest-
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Normannen als Schutzmacht
Eroberung Siziliens
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VI. Apostolische Legation
Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich
land hatten sich nach dem Tod Robert Guiscards (p 1085) dessen Nachfolger im Ringen um die Vorherrschaft in Apulien gegenseitig bekriegt, sodass Roger I. seine Herrschaft auf Sizilien relativ unbehelligt festigen konnte, was für das Kirchenregiment des Hauteville nicht ohne Folgen blieb. Dass das Papsttum diese Selbstständigkeit nicht nur unterstützte, sondern Roger I. zudem auch massiv förderte, kommt in einem in der mittelalterlichen Geschichte relativ einmaligen Akt zum Ausdruck. Denn Urban II. übertrug Roger I. 1098 die apostolische Legation für Sizilien. Das ist ein äußerst ungewöhnlicher Schritt, denn dadurch wirkte ein weltlicher Herrscher als päpstlicher Legat auf der Insel Sizilien. Während Urban II. im Reich mit Heinrich IV. um die Investitur rang und den Salier aufgrund seiner unnachgiebigen Haltung exkommunizierte, machte er Roger I. zum apostolischen Legaten. Obwohl die Kurie in Frankreich, England und im Reich auf eine Trennung der geistlichen und weltlichen Sphäre hinarbeitete, hob sie diese in Sizilien auf. War die Kurie in ganz Europa daran interessiert, beide Sphären voneinander zu trennen und so das Ideal der libertas ecclesiae zu verwirklichen, so legte man in Sizilien hingegen bewusst beide Sphären zusammen. Zwei Erkenntnisse dürften die Kurie zu dieser Verleihung bewogen haben, die ursprünglich wohl nur für Roger I. persönlich gedacht war und nicht für seine Nachfolger, die dieses Recht jedoch erfolgreich auch für sich beanspruchten. Zum einen war Urban II. und seiner Umgebung rasch klar, dass eine Christianisierung Siziliens nur durch den massiven Einsatz Rogers I. möglich war. Zum anderen war die Kurie gerade am Ende des 11. Jahrhunderts in den Auseinandersetzungen mit Clemens (III.) und Heinrich IV. auf die Unterstützung der Normannen angewiesen, die ihn 1096 nach Rom gebracht und seinen Widersacher vertrieben hatten. Zudem hatte selbst der energische Gregor VII. erkennen müssen, dass er auf die inneren Verhältnisse Unteritaliens wenig Einfluss ausüben konnte. Die Bischöfe waren fest an die Normannenherrscher gebunden. Seine Ohnmacht musste Gregor VII. selbst bei Bistumsgründungen erfahren: Roger I. errichtete 1080 ohne die Zustimmung des Papstes das Bistum Troina. Das brachte ihm zwar postwendend die Mahnung Gregors VII. ein, dass das in Zukunft nicht wieder vorkommen solle. Die Wirkung dieser päpstlichen Mahnung ist daran abzulesen, dass es wenig später in Kalabrien zur Errichtung des Bistums Mileto kam und Roger I. dabei die Einbindung eines päpstlichen Legaten verhinderte. Die Normannen schufen die Realität, gründeten Bistümer und bestimmten die Bischöfe dieser Bistümer. Den Päpsten blieb nichts anderes übrig, als dies zur Kenntnis zu nehmen. Da sie die Christianisierung vorantreiben wollten, erkannten sie die von den Normannen geschaffenenTatsachen an. Dies gipfelte schließlich in der apostolischen Legation für Roger I., die auch alle Nachfolger dieses Hauteville für sich beanspruchten. Kein anderer normannischer Herrscher artikulierte diesen Anspruch auf ein eigenständiges und straffes Kirchenregiment derart offen gegenüber der Kurie wie der zweite Sohn Rogers I., Roger II. Dieser hatte es nicht
3. Der Sonderfall Unteritalien
nur geschafft, ganz Unteritalien in seiner Hand zu vereinen, sondern im Zuge des Innozenzianischen Schismas (1130–1139) erreichte er zunächst durch Anaklet II. und nach der Gefangennahme Innozenz’ II. auch durch diesen die Erhöhung seines Herrschaftsgebietes zum Königtum. In diesem war die Einsetzung der Bischöfe vom Wohlwollen des Herrschers abhängig. Eine missliche Situation der Kurie ausnutzend wurde ihm dieses Recht 1156 im Vertrag von Benevent in Form eines Approbationsrechts von Hadrian IV. (p 1159) bestätigt. Nachdem sich seine Hoffnungen zerschlagen hatten, die Hadrian IV. auf der Grundlage des Konstanzer Vertrages von 1153 auf Kaiser Friedrich Barbarossa hinsichtlich eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Normannen gerichtet hatte, vollzog die Kurie wie in der Mitte des 11. Jahrhunderts, als sie ebenfalls zunächst mit dem Kaiser gemeinsam gegen die Normannen vorgehen wollte, eine Kehrtwende. Hadrian IV. sah sich in Friedrich Barbarossa getäuscht und suchte deshalb das Bündnis mit den Normannen. So kam es im Juni 1156 zum Vertrag von Benevent, der in der älteren Forschung immer wieder als Konkordat von Benevent bezeichnet worden ist. In ihm schlossen Papst und sizilischer König Frieden, erkannten sich gegenseitig an und bekundeten ihren Willen zu einer engen Zusammenarbeit. Zwar wurde dem Normannenherrscher darin nicht das freie Investiturrecht, aber ein Approbationsrecht für die gewählten Kandidaten zugestanden (s. Quelle). Die kirchlichen Institutionen sollten im Geheimen eine geeignete Person wählen. Diese musste dem König jedoch danach zur Approbation angezeigt werden, bevor der Elekt tatsächlich sein Amt antreten und geweiht werden konnte. Der sizilische König erhielt damit in der Mitte des 12. Jahrhunderts von der Kurie ein faktisches Besetzungsrecht für die Bistümer seines Königreiches. Zudem untersagte der Vertrag päpstliche Legationen auf die Insel Sizilien, auf der der König als apostolischer Legat wirkte. Der Vertrag blieb bis zum Tod Heinrichs VI. (p 1197) in Kraft. Erst in der Phase der Minderjährigkeit Friedrichs II. (p 1250) gelang es den Päpsten, den sizilischen Königen wesentliche Zugeständnisse bei der Wahl und Einsetzung der Bischöfe abzuringen. Quelle
Das Approbationsrecht des Königs von Sizilien im Vertrag von Benevent (1156) Übersetzung von MGH Const. 1, Nr. 414, S. 489f.
Mit den Wahlen soll es sich so verhalten: Die Kleriker mögen sich auf eine fähige Person einigen und dies unter sich geheim halten, bis sie jene Person unserer Erhabenheit [i.e. dem König] bekanntgeben. Und nachdem diese Person unserer Hoheit vorgeschlagen wurde – sofern jene Person nicht dem Kreis der Verräter und Feinde gegen uns und unsere Erben entstammt oder sich nicht als feindlich gegenüber unserer Herrlichkeit erweist, oder sonst kein anderer Grund gegen diese vorliegt, weshalb wir nicht zustimmen können – gewähren wir unsere Zustimmung.
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Konkordat von Benevent
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VI. Sizilien als Ausnahme
Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich
Obwohl in England, Frankreich und dem Reich zu Beginn des 12. Jahrhunderts Regelungen gefunden worden waren, die den Streit um die Investitur im Sinne einer Trennung von geistlicher und weltlicher Sphäre gelöst hatten, kam diese für das lateinische Europa grundlegende Entwicklung im einzigen päpstlichen Lehen, im Königreich Sizilien, nicht zum Tragen. Der König behielt dort die Zügel in einem Maße in der Hand, das den übrigen Königen Europas von den Päpsten untersagt worden war. Doch die sizilischen Könige regelten nicht nur die Besetzung der Bistümer in ihrem Sinne. Sie wirkten auch bis 1197 als ständige Legaten des Papstes auf der Insel Sizilien. Sizilien bildet damit nicht nur eine Ausnahme im Reigen der europäischen Königreiche, sondern es verdeutlicht, zu welchen Zugeständnissen die Kurie aufgrund politischer Gegebenheiten bereit war. Als Preis für die Unterstützung Siziliens, dessen Schiffe beispielsweise Alexander III. in den Auseinandersetzungen mit Friedrich Barbarossa aus Rom herausbrachten, um ihn vor der Gefangennahme zu bewahren, oder zum Frieden von Venedig (1177) in die Lagunenstadt, war die Kurie bereit, herrscherliche Praktiken der Besetzung kirchlicher Ämter hinzunehmen, wie sie im restlichen Europa seit über zwei Generationen unterbunden worden waren. Erst als die Durchsetzungsfähigkeit des sizilischen Königtums in den Auseinandersetzungen um die Herrschaft nach dem Tod Heinrichs VI. verblasste und die miteinander ringenden Parteiungen die Kurie mit Angeboten für sich zu gewinnen versuchten, gelang es dieser, den Einfluss der Könige auf die Besetzung der geistlichen Ämter erheblich zu ben schneiden. Auf einen Blick
Der Investiturstreit ist ein europäisches Phänomen. Wieso führte der Investiturstreit in den anderen Reichen Europas nicht zu vergleichbar grundlegenden Konflikten für die Königsherrschaft? So unterschiedlich die Lösungen des Investiturstreits in den einzelnen Königreichen waren, so führten sie doch überall zu einem stärkeren Auseinandertreten der geistlichen und weltlichen Gewalt. Wieso gelang diese Einigung in England und Frankreich früher als im Reich? Das homagium (Handgang) und die Frage, ob die Bischöfe dieses dem König leisten durften, war ein wichtiger Konfliktpunkt. Welche Lösung fand man dafür in Frankreich und England? Kein anderes Reich Europas war seit 1059 enger mit dem Papsttum verknüpft als die Normannen, die in diesem Jahr Lehnsmänner des Papstes wurden. Trotz dieser engen Bindung übten die Könige Siziliens bis ins ausgehende 12. Jahrhundert faktisch ein Investiturrecht aus. Wieso akzeptierten die Päpste in Unteritalien, was sie im restlichen Europa erbittert bekämpften?
Literaturhinweise
Literaturhinweise Becker, Alfons: Studien zum Investiturproblem in Frankreich. Papsttum, Königtum und Episkopat im Zeitalter der gregorianischen Kirchenreform (1049–1119), Saarbrücken 1955. Nach wie vor das Standardwerk zum Investiturstreit in Frankreich. Deér, Josef: Papsttum und Normannen. Untersuchungen zu ihren lehnsrechtlichen und kirchenpolitischen Beziehungen (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. 1), Köln u.a. 1972. Ältere, aber immer noch grundlegende Studie. Große, Rolf (Hrsg.): L’Église de France et la papauté (10e–13e siècle). Actes du 26e colloque historique franco-allemand organisé en coopération avec l’École nationale des chartes par l’Institut historique allemand de Paris (Paris, 17–19 octobre 1990) = Die französische Kirche und das Papsttum (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 1), Bonn 1993. Sehr guter Sammelband, der etliche Einzelaspekte detailliert und grundlegend beleuchtet. Loud, Graham A.: The Latin Church in Norman Italy, Cambridge 2007. Neueres Überblickswerk. Rennie, Kriston R.: Law and Practice in the Age of Reform. The Legatine Work of Hugh of Die (1073–1106) (Medieval Church Studies 17), Turnhout 2010. Neuere Monografie zu einem der eifrigsten Reformer im Umkreis Gregors VII. und dessen Vikar in Frankreich. Schild, Stefanie: Der Investiturstreit in England (Historische Studien 504), Husum 2015. Dissertation, die zeitlich bis zu den Konstitutionen von Clarendon (1166) ausgreift.
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VII. Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits Überblick
D
er Investiturstreit ist ein tiefer Einschnitt in der Entwicklung des lateinischen Europas, nach der ausgezeichneten Charakterisierung Gerd Tellenbachs ein „Ringen um die rechte Ordnung in der Welt“. Dies gilt sowohl für das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt zueinander, als auch für die Neuformierung der geistlichen Gewalt als Papstkirche. Das Normengefüge für das gesellschaftliche Handeln, Herrschaftsformen und Legitimationen veränderten sich. Es war ein grundlegender Umbruch, der zwar nicht alles verwandelte, aber vieles
hinterfragte und damit zu neuen Formen der Begründung zwang. Er schuf neue Argumentationsformen, die jenseits der konkreten Inhalte durch die Form der Austragung die europäische Geistes- und Kulturgeschichte grundlegend prägten. Das lateinische Europa war durch den Investiturstreit zur Entwicklung einer neuen Konfliktkultur gezwungen, zu einer neuen Ordnung von Autoritäten, zu einer Selbstversicherung, die zu nicht geringem Anteil auf Argumenten aufbaute, jenseits der Durchsetzungsfähigkeit der Konfliktparteien durch militärische Gewalt.
1. Die weltliche und geistliche Sphäre
Amt und Besitz
Das für die weitere Entwicklung des lateinischen Europas entscheidende Ergebnis des Investiturstreits ist das begriffliche, gedankliche und in Teilen auch reale Auseinandertreten von geistlicher und weltlicher Gewalt. Diese Trennung der beiden Sphären ist das Ergebnis einer Diskussion um den Charakter vor allem des bischöflichen Amtes und der mit diesem in der Lebenswirklichkeit verbundenen Aufgaben und Tätigkeiten auch jenseits der geistlichen Sphäre. Die Notwendigkeit einer Mitwirkung der Bischöfe an der weltlichen Herrschaftsausübung wurde dabei nicht infrage gestellt. Doch stellte sich die Frage nach der Verfügungsgewalt über die ökonomischen Grundlagen dieser Beteiligung, die in der Investitur zum Ausdruck kam, und deren Grenzen, nach der Abgrenzung von geistlichem Amt und weltlichem Besitz, den die Bischöfe Europas zu nicht geringem Anteil durch die jeweiligen Könige erhalten hatten. Dabei handelt es sich um keine für das Reich spezifische Diskussion. Sie wurde in allen Königreichen Lateineuropas geführt. Die Grenze zwischen geistlichem Amt und weltlichem Besitz, der mit dem geistlichen Amt verbunden war, spielte für die Zeitgenossen am Beginn der Kirchenreform eine deutlich geringere Rolle als am Ende des Investiturstreites, was
1. Die weltliche und geistliche Sphäre
die weite Verbreitung und Akzeptanz des Eigenkirchenwesens belegt. Die extreme Position der Kirchenreformer untersagte jedoch nicht nur den Empfang eines geistlichen Amtes aus der Hand von Laien, sondern jede Form von Laieninvestitur. Dieser Gedanke und die Enttäuschungen über Heinrich IV. führten Gregor VII. zu einem allgemeinen und für alle Laien geltenden Laieninvestiturverbot, wohl im November 1078. Das Verbot bedeutete einen radikalen Bruch mit der bisher jahrhundertelang geübten Praxis und stellte zudem die Oberhoheit des Königs an den Regalien infrage, da diese im Investiturakt zum Ausdruck kam. Die radikale Forderung ging letztlich an der Lebenswirklichkeit der Bischofskirchen und Abteien vorbei. Doch noch der ursprünglich zwischen Paschalis II. und Heinrich V. vereinbarte Kompromiss, der am Einspruch der Reichsfürsten scheiterte, hatte diese radikale Trennung vorgesehen, wonach das gesamte Reichsgut wieder an den König gefallen wäre. Die Reichskirche wäre nicht mehr mit Reichsgut ausgestattet gewesen, sodass damit auch der materielle Grund einer durch den König vollzogenen Investitur der Bischöfe in die Reichsgüter und Regalien entfallen wäre. Das Scheitern dieses Plans offenbarte seinen mangelnden Bezug zur nach wie vor engen Verschränkung der geistlichen und weltlichen Sphäre, der eben auch in der materiellen Ausstattung der Bistümer und im Gegenzug der Stützung der Königsherrschaft in einem für diese maßgeblichen Umfang durch die Bischöfe zum Ausdruck kam. Statt einer grundsätzlichen Trennung sind ab den 1080er-Jahren in unterschiedlichen Regionen Europas Bemühungen um eine gedankliche Differenzierung beider Sphären zu fassen, die eine weniger radikale Trennung anstrebten, mit der beide Seiten leben konnten. Dazu griff man ein Argument auf, das ursprünglich von den Simonisten verwendet worden war, um Simonie in gewissem Maße zu rechtfertigen: Für das geistliche Amt habe man keine Gelder bezahlt, gleichwohl für den Besitz, der zu diesem Amt gehörte. Die so formulierte Trennung in Amt und Besitz war bei den Reformern zunächst diskreditiert gewesen, da sie von Simonisten in die Diskussion eingespeist worden war, die extremen Reformern wie Humbert von Silva Candida als Häretiker galten. Gleichwohl war der Anspruch des Königs auf die Regalien nicht wegzudiskutieren – und die in anderen Argumentationszusammenhängen vorgenommene Trennung bot in neuen Kontexten angewandt eine Lösung. So stellte der Gregorianer Manegold von Lautenbach in seiner 1085 entstandenen Streitschrift Liber ad Gebehardum fest, dass Laien weder über das geistliche Amt noch den Zehnt verfügen dürften, gleichwohl über die beneficia ecclesiastica, worunter er insbesondere die vom König an eine Kirche übertragenen Güter verstand. Die Regalia waren nach Manegold folglich ganz in der Verfügungsgewalt des Königs. Dass dies aufseiten der Reformer keine isolierte Meinung war, verdeutlicht der Libellus de iniuste vexatione Willelmi episcopi, ein zeitgenössischer Prozessbericht. Im 1088 angestrengten Prozess König Wilhelms I. von England, vertreten durch Lanfranc, den Erzbischof von Canterbury, gegen Wilhelm von St. Calais,
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Lösungsansätze
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VII.
Ivo von Chartres
Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits
den Bischof von Durham, unterscheidet Lanfranc offensichtlich zwischen dem geistlichen Amt (officium spirituale) und dem weltlichen Kirchenbesitz (possessiones ecclesiasticae). Beide Autoren – Manegold und Lanfranc – belegen, dass man bereits zu dieser Zeit (vereinzelt) Wege gefunden hatte, die Laieninvestitur als einen rein weltlichen Akt zu interpretieren, der allein die Besitzungen betraf und die Einsetzung in das geistliches Amt nicht berührte. Ivo von Chartres hatte in Bec, dem ehemaligen Kloster Lanfrancs, studiert und stand mit Manegold in brieflichem Kontakt. Die Gedankengänge beider waren ihm sicherlich vertraut, als er 1097 seine Unterscheidung von temporalia und spiritualia formulierte. Er schuf die Begrifflichkeiten, mit denen die weiteren Auseinandersetzungen geführt wurden und die schließlich zu der von Ivo angestrebten Lösung führen sollten. Er war nicht der Erfinder der Trennung, doch wurde er für die weitere Diskussion der entscheidende Bezugspunkt. Das konnte er nach den Worten Hartmut Hoffmanns aufgrund „seiner eigentümlichen Stellung zwischen den streitenden Lagern“ werden, da er zwar grundsätzlich jede Form von Laieninvestitur ablehnte, zugleich aber einen Kompromiss anstrebte, der auch den König an der Investitur der Bischöfe beteiligte. Er suchte den Ausgleich zwischen den Gewalten, damit diese im Sinne des göttlichen Heilsplanes (wieder) zusammenarbeiten konnten. Die begriffliche Trennung beider Sphären und ihr danach getrenntes Zusammenwirken am Erhebungsakt der Bischöfe war ein Kompromiss, der ein jahrzehntelanges Ringen auf formaler Ebene beendete. Doch damit waren weder beide Sphären strikt voneinander getrennt, noch endete mit ihm das Ringen beider um den Einfluss auf die Besetzung kirchlicher Ämter. Die Einsetzung in ein geistliches Amt mit geistlichen Symbolen war den Herrschern Europas am Ende des Investiturstreits verwehrt. Im Reich und in Unteritalien war dies vertraglich geregelt worden, in Frankreich und England war es zu keiner von der älteren Forschung meist als Konkordat bezeichneten schriftlichen Fixierung des Kompromisses gekommen. Doch unabhängig von den konkreten Ausgestaltungen bilden diese Lösungen im lateinischen Europa die Grundlage für das weitere Verhältnis zwischen „Staat“ und „Kirche“. Gleichwohl ließ die Unterscheidung der Temporalia und Spiritualia auch dem römisch-deutschen König entsprechenden Handlungsspielraum, indem er etwa die Einsetzung in die Temporalia verweigern konnte, ein Mittel, von dem Friedrich Barbarossa in den Auseinandersetzungen des Alexandrinischen Schismas reichlich Gebrauch machte. Der nach wie vor bestimmende Einfluss der Laien auf die Besetzung kirchlicher Ämter wird im Niederkirchenwesen vor allem in Form des Patronatsrechtes deutlich, das auf der Grundlage des Eigenkirchenwesens den Eigentümern von Kirchen und Pfründen ein Präsentationsrecht für Geistliche gegenüber dem Bischof sicherte. Auf diese Weise konnten sie den Inhaber des geistlichen Amtes bestimmen. Auch daran wird deutlich, dass der sogenannte Investiturstreit nicht zu einer strik-
2. Streiten und Argumentieren – die Entstehung der Streitschriften
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ten Trennung der geistlichen und weltlichen Sphäre führte oder den realen Einfluss der Laien auf die Kirche beendete, sondern vor allem die gedankliche Trennung der beiden Sphären hervorbrachte, die für die weitere geistige Entwicklung der lateinischen Zivilisation grundlegend wurde.
2. Streiten und Argumentieren – die Entstehung der Streitschriften Zeugen bereits die neuen systematischen Rechtssammlungen von dem Willen, Wissen neu zu organisieren, um es gezielter einsetzen und Gegner argumentativ überzeugen zu können, so entstand daneben eine ganze Quellengattung, die ihren Ursprung dem Investiturstreit zu verdanken hat, die sogenannten Streitschriften. Sie sind auf Breitenwirkung ausgerichtet, durch eine dezidierte Parteilichkeit gekennzeichnet sowie als Traktat oder Brief abgefasst. Argumente wurden in ihnen weniger ausgetauscht und abgewogen, um zu einem ausgeglichenen Urteil oder gar zu einem Kompromiss zu kommen. Vielmehr dienten die meisten Streitschriften nicht zuletzt durch ihren polemischen Charakter auch weniger der Überzeugung der Gegner, sondern häufiger der Festigung der eigenen Reihen, indem das Vorgehen von Protagonisten und die Richtigkeit der eigenen Position detailliert erklärt wird, um auf diese Weise den eigenen Parteigängern Argumente für deren mündliche Auseinandersetzung mit Kontrahenten an die Hand zu geben. Die meist in Briefform und in polemischer Weise abgefassten Schriften fanden infolge des grundlegenden Werks von Carl Mirbt ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch hinsichtlich ihrer editorischen Aufarbeitung reges Interesse, weshalb die Monumenta Germaniae Historica ihnen mit den Libelli de lite innerhalb der Abteilung der Scriptores sogar eine eigene Reihe widmeten, die bereits sechs Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes abgeschlossen war. Voraussetzung für die Entstehung der Streitschriften war eine gewandelte und verdichtete Kommunikation im lateinischen Westen. Briefe dienten nicht mehr allein der Übermittlung von Inhalten an wenige Personen, sondern sollten Personengruppen, ja ganze Regionen und Königreiche informieren und beeinflussen. Inhalte wurden mit politischen Absichten zum Teil flächendeckend verbreitet, soweit das im 11. Jahrhundert möglich war. Diese politische Stoßrichtung brachte Carl Erdmann dazu, im Investiturstreit die „Anfänge der staatlichen Propaganda“ zu sehen. Auf der einen Seite sollten die Streitschriften die neu entstandene, kommunikative Öffentlichkeit beeinflussen und in diese hineinwirken, zugleich waren sie jedoch auch ein wesentliches Mittel, durch das diese erst entstand. Es bildeten sich Zentren, an denen man Argumente sammelte, neu zusammenstellte und in Streitschriften einfließen ließ, die teilweise deutlich aufeinander Bezug nahmen. Für die gregorianische
Streitschriften
Kommunikative Voraussetzungen
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VII.
Entstehung
Überlagerung
Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits
Partei ist hier ohne Frage die Konstanzer Domschule zu nennen, für die heinrizianische (oder in diesen Zusammenhängen wohl besser als antigregorianisch zu bezeichnende) Partei etwa Trier. Sie waren nicht nur für die Erstellung neuer Streitschriften wichtig, sondern ebenso für die Sammlung von Informationen und die Verbreitung von Argumenten. Auch wenn einige Streitschriften nur in sehr wenigen Exemplaren überliefert sind, so war ihr Zweck weniger die Anfertigung einer gelehrten Abhandlung für die eigene Dom- oder Klosterbibliothek. Sie zielten dezidiert auf eine Beeinflussung der Öffentlichkeit ab, auch wenn einige der Streitschriften faktisch keine Wirkung entfalteten. Entstanden waren diese Streitschriften, um Meinungen zu bilden und zu beeinflussen – in einer Kommunikationssituation, die zuvor meist mündlich geprägt war. Der Investiturstreit förderte damit nicht nur die argumentative Auseinandersetzung mit dem Gegner – und sei es in polemischer Weise –, sondern auch die Schriftlichkeit insgesamt. Argumente wurden verstärkt schriftlich zusammengestellt, wodurch ihnen eine über die Person hinausreichende Dauer und mit Blick auf das Medium auch gesteigerte Autorität verliehen wurde. Das Phänomen selbst war im lateinischen Westen nicht neu, weder mit Blick auf theologische Fragen (wie die Kontroverse um die Abendmahlslehre Berengars von Tours, die erstmals 1050 von den Kirchenreformern verurteilt worden war) noch im Hinblick auf Auseinandersetzungen um die Kathedra Petri, wie die Streitschriften belegen, die nach der Aburteilung des 896 verstorbenen Papstes Formosus durch Papst Stephan VI. auf der Leichensynode entstanden. Ein Spezifikum des Investiturstreits ist jedoch die politische Agenda der Autoren, die durch die Streitschriften ihren Beitrag zum grundlegenden Ringen der geistlichen und weltlichen Gewalt leisten wollten. Unter den Autoren im Reich nördlich der Alpen sind auf gregorianischer Seite vor allem Bernold von Konstanz sowie Manegold von Lautenbach hervorzuheben, auf antigregorianischer Seite der Domscholaster Weinrich von Trier. Die Masse der Streitschriften entstand erst nach der zweiten Bannung Heinrichs IV. (1080). Doch bereits der Tod Gregors VII. hatte bei den Reformern, die der Sache dieses Papstes treu blieben, eine Krise hervorgerufen. Dieser versuchte Bonizo von Sturi mit seinem Liber ad amicum zu begegnen, durch den er die Gregorianer weiter für die Sache des Papstes begeistern wollte – auch für dessen Radikalität, indem er ganz im Sinne Gregors VII. Gewalt als Mittel der Reformer zur Durchsetzung ihrer Position legitimierte. Bonizos Liber ad amicum ist ein Musterbeispiel dafür, wie genau es die Streitschriften bisweilen mit den historischen Tatsachen nahmen. Denn alle Entwicklungen vor 1080 wurden im Lichte dieser Ereignisse dargestellt, weshalb es Bonizio beispielsweise unmöglich war, Heinrich III. in Sutri eine entscheidende Rolle zuzubilligen. Die Streitschriften verformen daher aufgrund ihrer klaren Ausrichtung auf das argumentative Ergebnis und nicht auf einen Tatsachenbericht
3. Das Kirchenrecht
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die Ereignisse in dem von ihnen gewünschten Sinne. Das gilt allerdings für beide Seiten, Gregorianer wie Heinrizianer.
3. Das Kirchenrecht Die Bedeutung des Kirchenrechts wird man erst dann erfassen können, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es grundsätzlich für alle Geltung beanspruchte und nicht allein scheinbar rein kirchliche Dinge regelte. Es umfasste fast alle Bereiche des damaligen Lebens, da in einer gottgewollten Ordnung alles auf die Übereinstimmung mit Gottes Willen hin überprüft werden musste. Es regelte ebenso, bis zu welchem Verwandtschaftsgrad man heiraten konnte, was Ehehindernisse waren, wie eine Witwe zu versorgen war, wie mit ausgesetzten Kindern umzugehen war, was einer Frau nach einem Schwangerschaftsabbruch widerfahren sollte, wer beerdigt werden durfte und wer nicht, welche Strafen bei Vergehen unzulässig waren und vieles mehr. Das alltägliche Leben aller Menschen wurde durch das Kirchenrecht normiert. Ob diese Norm immer der Realität des 11. Jahrhunderts entsprach, ist fraglich. In der Ausbildung des Rechtes in Lateineuropa erwies sich die Kirche jenseits der konsequenten und konkreten Anwendung der kanonistischen Grundsätze als Schrittmacher bei der Ausbildung des Rechtes. Das zu Beginn der Kirchenreform am weitesten verbreitete kanonistische Grundlagenwerk, an dem man sich vor allem in Deutschland und Italien in allen Fragen des Kirchenrechtes orientierte, war das um 1010 abgeschlossene Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Burchard hatte diese Geltung nicht durch päpstlichen Beschluss erlangt, sondern schlicht, weil er den besten Zugang zum Material ermöglichte. Sein Dekret war jedoch keine Auftragsarbeit, sei es einer Reichsversammlung, Synode oder des Papstes, sondern im Grunde eine Privatarbeit Burchards, die jedoch rasch Akzeptanz fand. Das Überzeugende an Burchard war seine Anordnung des Materials, denn während die älteren, sogenannten historisch-genetischen Sammlungen des Kirchenrechtes schlicht die Beschlüsse eines Konzils nach dem anderen in ihrer Abfolge auflisteten, wählte er einen systematischen Zugang, der das überbordende Material von Einzelregelungen (der Bibel, der ökumenischen Konzilien, einfacher Synoden, der apostolischen Konzilien, der Patristik, päpstlicher Dekretalen, von Bußbüchern und etlicher weiterer Quellen) nach Betreffen ordnete und damit besser verfügbar machte. Bei der von Burchard angestrebten Harmonisierung des Kirchenrechtes wurde er jedoch mit dem Problem konfrontiert, dass einige kirchenrechtliche Regelungen im Widerspruch zur Bibel standen. Sein Lösungsansatz bestand in einer „Glättung“ der Texte, indem er sie veränderte. Durch die Reformer erhielten die Versuche der Systematisierung eine neue Dimension und Ausrichtung. Denn war bei Burchard der Papst noch
Burchard von Worms
Stellung des Papstes
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VII.
Päpste keine Auftraggeber
Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits
eine Autorität unter vielen, der Bischof von Rom in seiner Gesetzgebungskompetenz den anderen Bischöfen der Christenheit gleichgestellt, so bemühten sich die Rechtsgelehrten aus dem gregorianischen Umfeld, dem Papst innerhalb der Autoritäten die zentrale Stellung zuzuweisen. Der tiefere Grund dieses Bemühens ist in der – seit Papst Leo IX. deutlich artikulierten – päpstlichen Auffassung zu sehen, dass die römische Kirche eine besondere Verantwortung, einen besonderen Fürsorgeauftrag für alle anderen Kirchen habe, was zur Folge habe, dass wahrer Glaube nur in Gemeinschaft mit Rom vorhanden sein könne. Diese Grundüberzeugung wurde nun kirchenrechtlich ausgelegt, indem die gregorianischen Kanonisten dem Papsttum eine entscheidende Autorität zubilligten. Die Harmonisierung des Kirchenrechts erfolgte in diesem Sinne nicht mehr durch Textangleichungen, sondern durch eine Hierarchisierung von Autoritäten. Dabei hatten etwa Bonizo von Sutri (p vor 1099) und Bernold von Konstanz (p 1100) keine zu starre Hierarchisierung gefordert. Doch dabei sollte jeder einzelne Rechtsgrundsatz auf seine Entstehungsbedingungen überprüft und damit historisch eingeordnet werden, um seine Autorität einstufen zu können. Es sind die ersten Vorstufen eines akademischen Disputes, die sich hier fassen lassen – auf die auch die Veränderungen in der Kanonistik Einfluss ausübten. Bernold machte in grundsätzlichen Überlegungen zugleich deutlich, dass päpstlichen Festlegungen vonseiten der Gregorianer höchste Autorität zugebilligt wurde, was inhaltlich der Forderung Gregors VII. im 17. Leitsatz seines Dictatus Papae entsprach („Dass kein Kapitel und kein Buch für kanonisch gehalten werde ohne seine Autorisierung“). Der auch als Chronist tätige Bernold von Konstanz verfasste eine eigene Abhandlung zu den Quellen des Kirchenrechtes, in der er den Päpsten und ihren Dekretalen die höchste Autorität nach den Aposteln selbst zuwies. Das gelte in besonderem Maße für die frühen Päpste bis zu Silvester I., die noch unter der Christenverfolgung zu leiden gehabt hätten. Mit diesem und anderen Argumenten veränderten die Kanonisten unter den Kirchenreformern das Kirchenrecht fundamental, indem sie es auf den Papst ausrichteten und so mit der bisherigen Tradition brachen. Die Umwandlung der episkopal-kollegial strukturierten Kirche, wie sie im Dekret Burchards noch zu fassen war, in eine hierarchisch auf den Papst ausgerichtete Papstkirche wurde so auch im Bereich des Kirchenrechts betrieben – wohl aus der Überzeugung heraus, dass nur in der Übereinstimmung mit Rom wahrer Glaube gewährleistet sei. Die Rechtssammlungen waren damit auch ein Instrument der Kirchenreform in ihrem Bestreben, die Kirche rein zu gestalten, die rechte Ordnung der Kirche und ihr Verhältnis zur Welt normativ festzulegen. Obwohl das Papsttum und seine Rechtssetzungen für die gregorianischen Kanonisten von zentraler Bedeutung waren, ist es doch erstaunlich, dass keine einzige Rechtssammlung bekannt ist, die von einem Reformpapst in Auftrag gegeben wurde. Zwar soll Hildebrand bereits in der Zeit vor seiner Erhebung
3. Das Kirchenrecht
zum Papst Petrus Damiani darum gebeten haben, die Beschlüsse und Tatenbeschreibungen der Päpste durchzusehen und alle darin befindlichen Argumente, die die Autorität des Papstes stärkten, zusammenzustellen, wie Petrus Damiani selbst in einem Brief berichtet. Doch ging daraus keine Rechtssammlung hervor. Zugleich lässt sich eine Fülle derartiger Sammlungen aus dem Umkreis der Reformpäpste nennen, die nun entstanden: das Breviarium des Kardinals Atto von S. Marco (ca. 1075), die 74-Titel-Sammlung (wohl 1074–1076), die Papst Viktor III. gewidmete Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit (ca. 1081–1087), die Collectio canonum Bischof Anselms II. von Lucca (ca. 1081–1086), der Liber de vita christiana Bischof Bonizos von Sutri (ca. 1090–1095) und der Polycarp des Kardinals Gregorius von S. Crisogono (ca. 1104–1113). Die Sammlungen sind klar auf das Papsttum ausgerichtet worden. Hatte die ältere Forschung die Päpste noch als Initiatoren der Sammlungen gesehen – und dadurch die in den Rechtssammlungen zu fassende enorme Bedeutungssteigerung des Papsttums zu erklären versucht –, so ist inzwischen geklärt, dass es für keine von ihnen einen eindeutig belegbaren Auftrag der Päpste gab. Es war vielmehr die gregorianische Kanonisten und Päpste verbindende Ekklesiologie, die dem Papsttum in den Rechtssammlungen eine neue Rolle zuwies, wie Horst Fuhrmann treffend bemerkte. Im Zuge der Hierarchisierung der Autoritäten werteten die Gregorianer päpstliche Rechtssetzungen deutlich auf, insbesondere diejenigen der frühesten Päpste. Deren auch von Bernold von Konstanz eifrig benutzten Rechtsauskünfte stammen jedoch fast alle aus den sogenannten Pseudoisidorischen Dekretalen, einer in der zweiten Hälfte der 830er-Jahre im Kloster Corbie wohl unter der Aufsicht des Abtes Paschasius Radbertus entstandenen Fälschung, die Johannes Haller als den „größten Betrug der Weltgeschichte“ bezeichnet hatte. Sie waren zwar bereits im 9. Jahrhundert von den Päpsten benutzt worden, vor allem von Nikolaus I., unter dem die Primatsidee einen wichtigen Schub erhielt. Doch erst im Zeitalter der Kirchenreform, als die kanonistisch interessierten Gregorianer Pseudoisidor für die Päpste und ihre Stellung in der Kirche rezipierten, wurde das in den Fälschungen schlummernde Potenzial zum massiven Ausbau des römischen Jurisdiktionsprimates aktiv und nachhaltig genutzt. Die Reformer waren vermutlich weniger von den gefälschten Dekretalen inspiriert worden, sondern hatten vielmehr in ihnen ein gutes Mittel zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen gesehen, die zunächst ekklesiologisch formuliert und erst in einem zweiten Schritt kanonistisch ausgelegt worden waren. Wie wichtig das Kirchenrecht nicht nur für das Selbstverständnis der päpstlichen Partei, sondern auch für die Auseinandersetzungen zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, zwischen Gregorianern und Heinrizianern geworden war, verdeutlichen die Auseinandersetzungen in Gerstungen-Berka am 20. Januar 1080 (s. Kap. V. 2.3). Dort hatten sich die Heinrizianer mithilfe des Kirchenrechtes gegen die Gregorianer durchgesetzt und Heinrich IV. auf dem
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Pseudoisidor
Kirchenrecht als Argument
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VII.
Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits
Feld der Legitimation einen wichtigen Sieg errungen. Die auf Belegen und Autoritäten aufbauende juristische Argumentation sollte eine immer wichtigere Rolle für die Akzeptanz von Herrschaft und Autorität spielen. Durch die Kirchenreform und die Auseinandersetzungen des Investiturstreits war eine Entwicklung angestoßen, die vor allem im 12. Jahrhundert noch weitere Früchte tragen sollte, gepaart mit der Ausbildung von Rechtsschulen, unter denen Bologna als die wichtigste gilt. Dort wurde schließlich durch Gratian und sein Dekret von 1140/1143 das grundlegende kanonistische Werk geschaffen, auf das sich die gesamte lateinische Kirche berief und das die Panormia Ivos von Charters als allgemein akzeptierte Sammlung ablöste. Der Investiturstreit bereitete daher der raschen Entwicklung einer breiteren Rechtsgelehrsamkeit den Boden, ein Feld, das die weltliche Seite nicht der Kirche allein überlassen wollte, sondern das sie mit dem Rückgriff auf das römische Kaiserrecht in ihrem Sinne zu beeinflussen suchte. Zudem war durch die Systematisierung der Rechtsmaterialien ein Problem aufgetaucht, das mit den neu entstehenden Methoden der Scholastik gelöst werden sollte. Auch dies war eine durch den Investiturstreit beflügelte Entwicklung.
4. Die Reichsverfassung – König und Fürsten Wahlgedanke
Für das Reich hatte der Investiturstreit eine neue Form des Zusammenwirkens von König und Großen hervorgebracht. Die tief greifenden und grundlegenden Konflikte, die auf der einen Seite als eine Bedrohung traditioneller adeliger Herrschaft und auf der anderen Seite als eine generelle Infragestellung königlicher Herrschaft erscheinen mussten, ließen die konsensuale Herrschaft vor allem in ihrer Praxis eine neue Dimension gewinnen. Die veränderte Situation wurde bereits in der Wahl Heinrichs IV. deutlich, der nach Hermann von Reichenau nur unter der Voraussetzung erhoben worden war, dass er sich als ein gerechter König erweisen sollte. Das war eine deutliche Stärkung des Wahlgedankens, der in der Erhebung der Gegenkönige Rudolf von Rheinfelden und Hermann von Salm gipfelte. Die Ursachen sind in einer situationsspezifischen Perspektive in der fundamentalen Opposition erheblicher Teile der Großen zu sehen, in einer strukturellen Perspektive in einem gesteigerten Anspruch der Großen, an der Königsherrschaft beteiligt zu werden. In der ausgehenden Salierzeit ist die Vorstellung der Großen zu fassen, für das Reich verantwortlich, sogar dessen Träger zu sein. Als die Fürstenopposition in Forchheim am 15. März 1077 Rudolf von Rheinfelden zum König wählte, stärkte sie damit nach Auskunft Brunos und seines Buchs vom Sachsenkrieg (c. 91) dezidiert das Wahlrecht der Fürsten. Nicht durch Erbe, sondern allein durch Wahl sollten die Könige nach diesen Vorstellungen ihr Amt erhalten. Das war nicht nur eine Stärkung des fürstlichen Einflusses auf die Nachfolge, sondern zudem
4. Die Reichsverfassung – König und Fürsten
eine Verstärkung des Amtscharakters für das Königtum. Die Gewichte im Ringen zwischen Adel und König waren damit für das Königtum Rudolfs von Rheinfelden zugunsten des Adels verschoben worden, zumal Rudolf den Großen deren Position bestätigte. Ob sein Nachfolger als Gegenkönig, Hermann von Salm, auf die Erblichkeit seiner Königswürde verzichtete, ist nicht bekannt – und hatte aufgrund seiner schwachen Stellung keine Bedeutung für die Reichsverfassung. Gleichwohl ist die Erhebung Rudolfs von Rheinfelden Ausdruck des gewandelten Bewusstseins der Großen, die sich als die Träger des Reiches begriffen, die im Falle eines Notstandes zum Wohle des Reiches einen König absetzen und einen neuen König wählen konnten. Der Investiturstreit führte im Reich zu einer stärkeren Teilhabe der Fürsten an der Königsherrschaft. Äußerlich kommt dies etwa in den Zeugenlisten der Herrscherdiplome zum Ausdruck, die es in dieser Form vor Heinrich IV. nicht gab. Die in ihrem Anspruch auf die Spitze getriebene Herrschaft Heinrichs III. hatte eine durchsetzungsfähige Opposition gegen ein zu starkes Königtum entstehen lassen. Der frühe Tod Heinrichs III. ließ die sich bereits am Horizont abzeichnenden Konflikte zunächst zur Ruhe kommen, doch brachen sie mit aller Wucht unter Heinrich IV. aus. Der Investiturstreit bildet infolge dieser Konflikte für die Verfassungsgeschichte eine Wende. Begrifflich lässt sich das darin fassen, dass König beziehungsweise Kaiser und Reich nun sprachlich stärker differenziert wurden. Das Reich wurde sprachlich nicht mehr mit dem Herrscher gleichgesetzt, sondern bestand fortan aus Herrscher und Großen. Im Selbstverständnis der Großen waren am Ende des Investiturstreits sogar diese das Reich und nicht mehr der Herrscher. Die gewandelte Bedeutung der Großen kommt verdichtet am Beginn der Herrschaft Heinrichs V. und in der Lösung des Investiturstreits zum Ausdruck: Die Herrschaftsübernahme Heinrichs V. war nur durch das Bündnis mit dem Reformadel möglich geworden, das Wormser Konkordat auf Druck der Großen entstanden und abgeschlossen worden. Seit 1119 war Heinrich V. bewusst, dass er mit dem Papst zu einer Einigung kommen musste, wollte er politisch überleben. Der Kaiser musste sich daher auf dem Würzburger Hoftag im September 1121 den Forderungen der Großen in einem formalen Akt beugen und konnte endgültig nicht mehr eigenständig handeln. Er musste zugestehen, dass der Konflikt zwischen Kaiser und Papst nach der Darstellung bei Ekkehard von Aura „durch Rat und Hilfe der Fürsten“ beendigt wurde, was den Großen ein entscheidendes Mitspracherecht sicherte. Die ältere Forschung sah im Wormser Konkordat eine Feudalisierung der Reichskirche sowie der Reichsverfassung. Die Reichsbischöfe seien nunmehr mit den Regalien belehnt worden, wodurch sie zu Reichsvasallen geworden seien. Seit über einem Jahrzehnt ist nunmehr auch in der deutschsprachigen Forschung das Lehnswesen insgesamt hinterfragt worden und in diesem Zuge auch die scheinbar überzeugende Meistererzählung von der Feudalisierung der Reichsverfassung durch das Wormser Konkordat. Doch neuere Forschun-
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König und Fürsten
Keine Feudalisierung
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VII.
Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits
gen von Jürgen Dendorfer zeigten, dass die Einsetzung in die Regalien keineswegs als ein lehnsrechtlicher Akt zu deuten ist. Das hominium et sacramentum, bei dem der Bischof symbolhaft seine Hände in die Hände des Herrscher legte, fand entgegen anderen nachweisbaren lehnsrechtlichen Akten nicht vor, sondern nach der Einsetzung in die Temporalia durch die Zepterinvestitur statt. Handgang und Treueid erfolgten damit anders als bei fassbaren Lehnsakten erst nach der Einsetzung. Sie stellen damit einen Treueid dar, der keinen Lehnskonnex herstellt, wodurch die These von der Feudalisierung der Reichsverfassung durch das Wormser Konkordat hinfällig ist.
5. Die Entstehung von Gegenpäpsten
Benedikt IX./X.
Zwar hatte es bereits vor dem sogenannten Investiturstreit Schismen gegeben, doch diese waren in der Regel nur von kurzer Dauer gewesen. Sie wurden zudem dadurch entschieden, dass sich einer der beiden Kandidaten in Rom durchsetzte. Es waren so gesehen keine Schismen mit universalkirchlicher Tragweite, sondern letztlich allein innerrömische Auseinandersetzungen. Die von den Reformpäpsten vorangetriebene Umwandlung der kollegial organisierten Bischofskirche in eine hierarchisch gegliederte Papstkirche sowie die damit einhergehende Universalisierung des päpstlichen Amtes ließen das Phänomen der Gegenpäpste eine neue Dimension gewinnen – sowohl für die Universalkirche als auch für die Ortskirchen. Denn je stärker diese an Rom ausgerichtet wurden, desto mehr Auswirkungen hatte ein Schisma auf der Kathedra Petri. Derartige Schismen waren in der Tat nicht neu und bereits in der Ottonenzeit hatte es durch die Einsetzung eines (Gegen-)Papstes durch Kaiser Otto I. kurzfristig ein Schisma gegeben, das jedoch durch den Tod Johannes’ XII. nur von kurzer Dauer war. Die retrospektive Klassifizierung als Gegenpapst sagt nichts über die Rechtmäßigkeit oder Akzeptanz von Päpsten aus. Der rein heuristische Begriff zeigt in der Entwicklung des Papsttums lediglich an, dass der als Gegenpapst kategorisierte Kandidat im Ringen um die Kathedra Petri unterlag. Von der obsiegenden Partei wurden diese Personen in der Regel als intrusus etikettiert, als Personen, die nicht rechtmäßig ins Amt gekommen waren. Als derartige intrusi dürften etlichen Römern wohl die unter dem maßgeblichen Einfluss Heinrichs III. erhobenen Päpste gegolten haben, da die Art und Weise ihrer Erhebung den römischen Traditionen widersprochen hatte. Die retrospektiv als Gegenpäpste klassifizierten Päpste Benedikt IX. (1047–1048) und Benedikt X. (1058–1059) waren gemäß römischer Tradition durch die Wahl von Klerus und Volk erhoben worden. Diese Tradition machten sie durch ihre Namenswahl deutlich. Doch sie konnten sich nicht dauerhaft gegen die jeweiligen Reformpäpste durchsetzen, was sie zu Gegenpäpsten werden ließ.
5. Die Entstehung von Gegenpäpsten
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Stichwort
Liste der Päpste und Gegenpäpste (1046–1124) Papst Clemens II. (1046–1047) Damasus II. (1048) Leo IX. (1049–1054) Viktor II. (1055–1057) Stephan IX. (1057–1058) Nikolaus II. (1059–1061) Alexander II. (1061–1073) Gregor VII. (1073–1085) Viktor III. (1086–1087) Urban II. (1088–1099) Paschalis II. (1099–1118)
Gelasius II. (1118–1119) Calixt II. (1119–1124)
Gegenpapst Benedikt IX. (1047–1048)
Benedikt X. (1058–1059) Honorius (II.) (1061–1064) Clemens (III.) (1084–1100)
Theoderich (1100–1101) Albert (1102) Silvester IV. (1105–1111) Gregor (VIII.) (1118–1121) Coelestin II. (1124)
Einen anderen Charakter trug bereits der Pontifikat Honorius’ (II.), der nicht mehr allein das Ergebnis einer innerrömischen Opposition gegen das Reformpapsttum war. Seine Erhebung war zudem vom episkopalen Widerstand gegen den römischen Zentralismus befördert worden. Dass Honorius (II.) und die ihn unterstützenden Adelsparteiungen Roms am salischen Königshof um eine Anerkennung nachsuchten, ist Beleg für die normative Wirkung der bisherigen Erhebungspraxis der Päpste seit 1046, zunächst auch über den Tod Heinrichs III. hinaus. Die Interessen für die Erhebung Cadalus’ von Parma zum Papst sind eine Melange aus den Interessen des römischen Adels sowie der oberitalienischen Bischöfe, die die Entwicklung des Reformpapsttums und deren Folgen für ihre eigene Stellung mit zunehmender Skepsis betrachteten. Doch weder dieses Schisma noch Honorius (II.) als Kandidat führten eine grundlegende Spaltung der Gesamtkirche herbei. Die Auswirkungen blieben – trotz der anfänglichen Anerkennung Honorius’ (II.) durch den salischen Königshof – überschaubar. Zum Verständnis des Charakters dieser Gegenpäpste bis einschließlich zu Honorius (II.) ist fundamental, dass diese nicht gegen amtierende Päpste erhoben worden waren, die bereits etliche Monate als Päpste wirkten, sondern zeitgleich oder sogar deutlich vor dem Reformpapst, der sich gegen sie durchsetzte. Sie waren unmittelbar nach dem Tod eines römischen Bischofs erhoben worden.
Honorius (II.)
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VII. Clemens (III.)
Weitere Schismen
Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits
Das änderte sich erst mit Wibert von Ravenna, der 1084 zu Papst Clemens (III.) erhoben wurde. Wibert wurde 1080 auf einer Brixener Synode im Beisein und vermutlich unter dem nicht unwesentlichen Einfluss des Saliers Heinrich IV. als Papst nominiert, wenn auch noch nicht erhoben. Es war ein deutliches Warnsignal an Gregor VII., das die dort versammelten Bischöfe aussandten. Nicht nur Heinrich IV. schien eine weitere Zusammenarbeit mit Gregor VII. immer schwieriger, nachdem dieser Papst ihn im Frühjahr 1080 zum zweiten Mal exkommuniziert hatte, auch etliche Bischöfe waren der Ansicht, dass der Papst mit seinem Vorgehen das rechte Maß verloren hatte. Als Gregor VII. jede Vermittlungsbemühungen konterkarierte und sich immer stärker radikalisierte, fielen 13 Kardinäle von ihm ab, sodass es am Palmsonntag des Jahres 1084 zur Wahl Wiberts von Ravenna kam, der den Namen Clemens (III.) annahm. In der Geschichte der Gegenpäpste und Schismen stellt das sich anschließende Wibertinische Schisma, in dem sich Clemens (III.) nach Gregor VII., mit Viktor III., Urban II. und für kurze Zeit noch mit Paschalis II. als Konkurrenten konfrontiert sah, einen Einschnitt dar. Auch wenn Clemens (III.) von seiner inhaltlichen Ausrichtung her keineswegs als ein Gegner der Reformer zu werten ist und etwa im Bildprogramm seiner Papstbulle vielmehr bewusst an die Gestaltung des Siegels unter Viktor II. anknüpfte, so war er doch in der Amtszeit eines Papstes, der einer der maßgeblichen Träger der Reformkräfte war, erhoben worden. In der Rückschau war das Wibertinische Schisma zudem erst der Anfang einer ganzen Reihe von Schismen. Vom Ausbruch dieses Schismas bis zur Einführung der Zweidrittelmehrheit bei der Papstwahl durch das dritte Laterankonzil im Jahr 1179 sind Schismen eher der Normalfall als die Ausnahme. Allein die Zeit bis zu Calixt II. und damit zu dem Papst, in dessen Pontifikat das Ende der Auseinandersetzungen um das Investiturrecht durch das Wormser Konkordat im Jahr 1122 fällt, lassen sich von der papstgeschichtlichen Wende an nicht weniger als neun Gegenpäpste fassen – die jedoch erst in der Rückschau durch die Tatsache, dass sie unterlegen waren, zu Gegenpäpsten geworden waren. Auch das Phänomen der Gegenpäpste dieser Epoche ist im Sinne der Tellenbach’schen Deutung des Investiturstreits als ein „Ringen um die rechte Ordnung“ anzusehen. Sie sind ein Zeugnis der hohen Dynamik, die an der Spitze der Kirche vorhanden war, an der sich eine professionalisierte Kanzlei und ein kurialer Apparat erst zu Beginn des 12. Jahrhunderts ausformten. Sie bilden zugleich eine wichtige Variable, die es für das Verhalten der Akteure innerhalb des Ringens um die rechte Ordnung zu berücksichtigen gilt. Denn erst durch die Gegenpäpste wurde den mit dem römischen Anspruch konfrontierten Bischöfen und Königen eine Alternative an die Hand gegeben, mit deren Hilfe sie Druck auf die fordernde Position der Reformer ausüben konnten. Je wichtiger die Obödienz für die Anerkennung der Päpste wurde, desto mehr Gewicht mussten auch die mit Kontrahenten ringenden Kandidaten auf ihre
6. Der Bruch mit der Ostkirche und die Kreuzzüge
Anerkennung durch die unterschiedlichen Kirchen Europas legen, was diesen einen neuen Handlungsspielraum eröffnete. Das Verhalten der Reformpäpste gegenüber den englischen Königen war deswegen in etlichen Punkten nachgiebiger als den Saliern gegenüber, da sie es vermeiden wollten, dass die englischen Könige auf die Seite Clemens’ (III.) wechselten und so die Gewichte innerhalb der lateinischen Kirche zugunsten ihres Gegenkandidaten verschoben hätten. Diese Beinfreiheit erhielten die Reiche Europas in den Schismen grundsätzlich, solange die Kandidaten sich um ihre Anerkennung bemühen mussten, mithin eine echte Konkurrenz zu fürchten hatten. Das galt nach Wibert allein für innerkuriale Gegner, für Kandidaten, die ebenfalls von Kardinälen erhoben worden waren. Der unter kaiserlichem Einfluss 1118 erhobene Gregor (VIII.), der Ostern 1121 von den Truppen Calixts II. gefangen genommen worden war, stellte keine ernsthafte Alternative dar. Dieser Umstand ist nicht nur auf den mangelnden Einfluss Heinrichs V. zurückzuführen, sondern ebenso als eine Frucht des kurz vor seinem Ende stehenden Investiturstreits zu werten. Das Papsttum hatte sich inzwischen emanzipiert, eine kaiserliche Einflussnahme auf die Erhebung des Papstes, wie sie in den Tagen Heinrichs III. den Reformen in Rom überhaupt erst zum Durchbruch verholfen hatte, war nicht mehr vorstellbar. Geistliche und weltliche Sphäre hatten sich getrennt. Auf geistlicher Seite war eine auf den Papst ausgerichtete Ordnung der Kirche geschaffen worden. Ein von kaiserlichen Gnaden erhobener Papst fand in dieser Ordnung keinen Platz mehr. Es sollten in der Folge daher auch nur noch Auseinandersetzungen innerhalb des Kardinalskollegiums sein, die zu Schismen führten: 1130 durch eine Doppelwahl von Innozenz II. und Anaklet II. zum Innozenzianischen Schisma und 1159 durch die Wahl Alexanders III. und Viktors IV. zum Alexandrinischen Schisma, mit dem die Reihe der hochmittelalterlichen Schismen beendet wurde. Erst die durch Kirchenreform und Investiturstreit geformte Papstkirche machte diese Schismen zu einem die gesamte lateinische Christenheit betreffenden Phänomen.
6. Der Bruch mit der Ostkirche und die Kreuzzüge Kirchenreform und Investiturstreit beförderten im Zuge der Zentralisierung der Kirche auf Rom auch das Auseinandertreten der lateinischen Papstkirche und der byzantinischen Ostkirche. Beide Kirchen unterschieden sich bereits vor dem Investiturstreit. Doch führte die Ostkirche das filioque nicht in ihr Glaubensbekenntnis ein, das man im Westen auf Druck Kaiser Heinrichs II. 1014 eingefügt hatte. Neben derart bedeutenden Meinungsverschiedenheiten gab es etliche kleinere Fragen, wie etwa, ob Hostien aus gesäuertem oder nur aus ungesäuertem Brot hergestellt werden durften: die Azymenkontroverse.
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VII.
Morgenländisches Schisma
Kreuzzugsgedanke
Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits
Neben diese theologischen Streitfragen traten politische, die sich zunächst am deutlichsten in Unteritalien fassen lassen, das unter starkem griechischem Einfluss stand. Die von den Päpsten vorangetriebene Latinisierung der Kirche Unteritaliens führte zu einer Reduktion des politischen Gewichtes der Byzantiner in dieser Region. Beide Kirchen betonten zwar kontinuierlich ihren Willen zur Einheit, doch ebenso häufig kam es zu Konflikten und Verstimmungen, die man anschließend auszuräumen versuchte. Je deutlicher Rom seinen Primat artikulierte und dem Patriarchen von Konstantinopel eine vergleichbare Stellung absprach, desto schwieriger wurde die Verständigung, je stärker die Papstkirche hierarchisiert wurde, desto inkompatibler wurde sie mit der Ostkirche. Dennoch bemühte man sich immer wieder um eine Annäherung. Dazu hatte Papst Leo IX. wohl zu Beginn des Jahres 1054 Humbert von Silva Candida nach Byzanz entsandt. Der Kardinal sollte die Griechen für die römischen Positionen gewinnen und notfalls die römische Sicht mit Nachdruck vertreten. Letzteres tat Humbert nach einem heftigen Streit mit dem Patriarchen von Konstantinopel, als er am 16. Juli 1054 auf dem Altar der Hagia Sophia eine Bulle mit der Exkommunikation des Patriarchen von Konstantinopel und weiterer orthodoxer Kleriker niederlegte und ultimativ die sofortige Änderung theologischer Positionen verlangte, die er als häretisch ansah – unter anderem die Aufnahme des filioque in das Glaubensbekenntnis, das die lateinische Kirche erst 40 Jahre zuvor eingeführt hatte. Die griechische Kirche exkommunizierte als Replik ihrerseits Humbert und den Papst. So dramatisch die folgenden Ereignisse in Konstantinopel gewesen sein mögen – Humbert konnte vom Kaiser wohl nur mit Not davor bewahrt werden, gelyncht zu werden –, so vertraut waren den Akteuren der theologische Konflikt und die eingesetzten Mittel. 1054 war daher niemand davon ausgegangen, dass aus der gegenseitigen Bannung ein dauerhaftes Schisma hervorgehen würde. Erst in der Rückschau wurde 1054 zum Beginn des morgenländischen Schismas zwischen West- und Ostkirche, das faktisch jedoch erst ab 1204 begann, durch den vierten Kreuzzug und der damit verbundenen Eroberung Konstantinopels, der Vertreibung der byzantinischen Kaiser aus Konstantinopel, der Errichtung eines lateinischen Kaiserreichs und einer forcierten Latinisierung der byzantinischen Bevölkerung. Der Investiturstreit hatte die Spaltung nicht bewirkt, doch hatte die mit ihm verbundene Umgestaltung der westlichen Kirche – in der nach den Vorstellungen Gregors VII. Glaube auch Gehorsam gegenüber Rom bedeutete – den Dialog zwischen beiden Kirchen erheblich schwieriger werden lassen. Diese immer radikalere Forderung nach der Unterordnung unter Rom hat ohne Frage auch die Entstehung der Kreuzzüge mit beflügelt. Zwar sind die Vorstellungen vom auf Augustinus (p 430) zurückgehenden gerechten Krieg deutlich älter und Teile der jüngeren Forschung bemühten sich, Kreuzzüge bereits in der Karolingerzeit zu identifizieren. Dennoch ist unverkennbar, dass der
6. Der Bruch mit der Ostkirche und die Kreuzzüge
Kreuzzugsgedanke und die Kreuzzugsbewegung ab dem Ende des 11. Jahrhunderts eine völlig neue Dimension gewann. Die Reformer hatten nicht nur veränderte Vorstellungen von der Stellung des Papsttums innerhalb der Kirche, mit dessen Hilfe das Ziel der erneuerten Kirche durchgesetzt werden sollte, sondern auch von den Mitteln und Wegen, die dazu einzusetzen waren. Diese neue – zunächst vor allem gedankliche – Bereitschaft zur Gewaltanwendung gegen Widersacher Roms wird unter Papst Leo IX. fassbar, der auf das maßgeblich von Papst Nikolaus I. (p 867) geprägte Bild vom Schwert des Anathems zurückgriff. Exkommunizierte sollten in der bildlichen Ausdrucksweise der Papsturkunden fortan nicht mehr mit dem Band des Anathems festgehalten, sondern mit dem Schwert des Anathems durchstoßen, geteilt oder zerschnitten werden. Als Leo IX. ein Heer gegen die Normannen führte und am 18. Juni 1053 von diesen bei Civitate vernichtend geschlagen worden war, hatte er trotz dieser Niederlage demonstriert, dass er zur konkreten Gewaltanwendung bereit war. Auch seine Nachfolger stellten – meist vom Archidiakon Hildebrand organisiert – Söldnerheere zusammen. Sowohl die rhetorische Schärfe als auch die Aufforderung an andere und die Bereitschaft, selbst Gewalt anzuwenden und diese zu billigen, wurde im Zuge der Auseinandersetzungen des Investiturstreits größer. Vor allem Gregor VII., der sich innerhalb seines Pontifikates zunehmend radikalisierte, trieb diese Entwicklung voran. Er ist daher als der wohl „kriegerischste Papst“ bezeichnet worden, „der je auf Petri Stuhl gesessen hat“ (Carl Erdmann). Er setzte in gewisser Weise um, was radikale Kirchenreformer gedanklich vorbereitet hatten. Unter diesen hatte beispielsweise Humbert von Silva Candida die Simonie zur Häresie erklärt. Die absolute Verwerfung anderer Positionen machte Lösungen durch Kompromisse immer schwieriger. Gegen Rom Ungehorsame wurden zu Gegnern und schließlich zu Häretikern. Vor allem gegen diese hatte sich Augustinus gewandt, als er seine Theorie vom gerechten Krieg ausformulierte. Insofern scheute sich Gregor VII. nicht, bereits als Archidiakon unter Alexander II. militärische Gewalt gegen Häretiker zu befürworten, sei es im Fall der Pataria oder der Eroberung Englands durch den Normannen Wilhelm I. Schließlich ist Gregors Orientplan (1074) ein beredtes Zeugnis seiner Bereitschaft zu militärischen Aktionen. Gregor hatte wie kein Zweiter Gewalt gegen Häretiker gutgeheißen, deren tatkräftiger Anwendung den Boden bereitet und den Krieg im Dienst der Kirche als Bußwerk dargestellt.
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Abb. 6 Papst Urban II. ruft zum Ersten Kreuzzug auf
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VII. Erster Kreuzzug
Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits
Seine Vorstellungen und Taten wirkten katalytisch auf die Ausbildung des Kreuzzugsgedankens, der in dem am 27. November 1095 in Clermont von Papst Urban II. ausgerufenen Kreuzzug seine konkrete Anwendung fand. Auf die Vorstellung der durch den expandierenden Islam verfolgten Christenheit schloss sich spätestens im ausgehenden 11. Jahrhundert aufgrund der erheblichen Erfolge christlicher Herrscher in Spanien und Sizilien bei etlichen Zeitgenossen der Gedanke einer gottgewollten Phase christlicher Expansion an. Diese Idee war durch die Ableitung etlicher Konfliktpotenziale an die Peripherie der Christenheit ermöglicht worden und wurde als Gemeinschaftsunternehmen verstanden. Den Anstoß zum ersten Kreuzzug hatte der Reformpapst Urban II. gegeben, als Reaktion auf das Vordringen der Seldschuken, die den Byzantinern Anatolien und Nordsyrien abgerungen und 1085 auch Antiochien erobert hatten, eines der fünf traditionellen Patriarchate. Seit 1089 stand der Papst im Austausch mit Kaiser Alexios I. und dem Patriarchen von Konstantinopel, Nikolaus III., um über die Einheit der Kirche sowie die Bedrohung der Christenheit im Osten zu verhandeln. Wie schon 1074 Gregor VII. in seinem Orientplan den bedrängten Christen im Osten zu Hilfe kommen wollte, so setzte dies nun Urban II. durch seinen Kreuzzugsaufruf in die Tat um. Die bedeutende Rolle des Papstes ist nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass der römisch-deutsche König, Heinrich IV., in den Augen der Reformpäpste seit 1080 exkommuniziert und somit kein rechtmäßiger Kaiser war, mithin seine Rolle als defensor ecclesiae nicht wahrnehmen konnte. Auch der französische König konnte den bedrängten Christen im Orient kaum überzeugend zu Hilfe eilen, da er aufgrund seines offen ausgelebten Ehebruchs exkommuniziert war. Der päpstliche Aufruf – um dessen Tragweite Urban II. nicht wissen konnte – war ein Appell an die auf dem Konzil in Clermont versammelten Weltlichen, nicht nur ihre Waffen nicht mehr gegeneinander zu richten, sondern sie für die Eroberung des Heiligen Landes zu nutzen. Der Papst verband diesen Aufruf zudem mit einem Plenarablass, was einem bereits für die Iberische Halbinsel angewandten Modell entsprach. Doch anders als zuvor folgten diesem Aufruf nun Zehntausende, die, schließlich auf 20000 Mann zusammengeschmolzen, am 15. Juli 1099 Jerusalem eroberten und unter der n Bevölkerung ein Massaker anrichteten. Auf einen Blick
Die – mindestens gedankliche – Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt ist die Hauptfrucht des Investiturstreites. Worin kommt diese Trennung im Reich während des Investituraktes selbst zum Ausdruck? Im Investiturstreit verbanden sich für den römisch-deutschen Herrscher zwei grundlegende Konflikte miteinander: die grundsätzliche Auseinandersetzung der geistlichen und weltlichen Gewalt und das Ringen zwischen Fürsten und König. Welche Auswirkungen hatte der Investiturstreit für die Stellung der Großen im Reich?
Literaturhinweise
Durch den Investiturstreit wurden traditionelle Legitimationen infrage gestellt. Dazu bedurfte es neuer Argumente und Überzeugungsstrategien für die eigenen Parteigänger sowie Gegner. Inwiefern unterstützte die papstgeschichtliche Wende die Entstehung eines gesamteuropäischen Kommunikationsraumes für diese Auseinandersetzungen? Die Erhebungen von Gegenpäpsten, die zu langfristigen Schismen führten, sind erst seit dem Investiturstreit zu fassen. Wieso beförderte die Ausrichtung der Kirche auf Rom die Entstehung dieser Gegenpäpste, die für die gesamte Kirche – und nicht mehr allein für Rom und seine Umgebung – von Bedeutung waren? Die Zentralisierung der Kirche führte zu einer Verdichtung der lateinischen Kirche im Inneren, doch ebenso zu einer schärferen Abgrenzung nach außen. Ungehorsam gegenüber Rom wurde in dieser Entwicklung langfristig zur Häresie. Mit Gregor VII. wurde diese Radikalisierung auch auf den militärischen Bereich übertragen. Inwiefern beförderte der Investiturstreit daher die Entstehung der Kreuzzüge?
Literaturhinweise Dendorfer, Jürgen: Das Wormser Konkordat – ein Schritt auf dem Weg zur Feudalisierung der Reichsverfassung?, in: Jürgen Dendorfer / Roman Deutinger (Hrsg.): Das Lehnswesen im Hochmittelalter. Forschungskonstrukte – Quellenbefunde – Deutungsrelevanz (Mittelalter-Forschungen 34), Ostfildern 2010, S. 299–328. Verneint sehr überzeugend die Feudalisierung der Reichsverfassung durch das Wormser Konkordat. Erdmann, Carl: Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 6), Stuttgart 1935. Grundlegende Studie zu den geistigen Wurzeln des Kreuzzugs. Hartmann, Wilfried: Autoritäten im Kirchenrecht und Autorität des Kirchenrechts in der Salierzeit, in: Stefan Weinfurter (Hrsg.): Die Salier und das Reich, 3 Bde., Sigmaringen 1991, hier Bd. 3, S. 425–446. Stellt den grundlegenden Wandel im Kirchenrecht und die durch ihn bedingten Weiterungen dar. Hoffmann, Hartmut: Ivo von Chartres und die Lösung des Investiturproblems, in: DA 15 (1959), S. 393–440. Klärt die Bedeutung Ivos für den Investiturstreit im Reich. Jaspert, Nikolas: Die Kreuzzüge, Darmstadt 62013. Sehr gute Überblicksdarstellung. Melve, Leidulf: Inventing the public sphere: The public debate during the Investiture Contest, c. 1030–1122, 2 Bde. (Brill’s studies in intellectual history 154), Leiden u.a. 2007. Deutet den Investiturstreit als die Schaffung und Wirkung öffentlicher Räume, in denen Argumente ausgetauscht wurden. Mirbt, Carl: Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., Leipzig 1894. Nach wie vor nicht ersetztes Grundlagenwerk zu den Streitschriften. Müller, Harald / Hotz, Brigitte (Hrsg.): Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen (Papsttum im mittelalterlichen Europa 1), Wien u.a. 2012. Der Sammelband bietet eine neue Perspektive auf ein scheinbar erforschtes Phänomen.
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Auswahlbibliographie Quellenkunden
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Wattenbach, Wilhelm / Holtzmann, Robert / Schmale, Franz-Josef: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Die Zeit der Sachsen und Salier, 3 Bde., Darmstadt 1967–1971. Siehe ferner www.geschichtsquellen.de (auch für mögliche Übersetzung lat. Quellentexte).
Böhmer, Johann Friedrich: Regesta Imperii II. Sächsisches Haus 919–1024. 5: Papstregesten 911–1024, bearb. von Harald Zimmermann, Wien u.a. 21998. Zu zitieren als Reg. Imp. II/5 Nr. x. Bitte ausschließlich die zweite, verbesserte Auflage von 1998 benutzen. Böhmer, Johann Friedrich: Regesta Imperii III. Salisches Haus 1024–1125. 5. Abt.: Papstregesten 1024–1058. 1. Lief.: 1024–1046, bearb. von Karl Augustin Frech, Köln u.a. 2006. Böhmer, Johann Friedrich: Regesta Imperii III. Salisches Haus 1024–1125. 5. Abt.: Papstregesten 1024–1058. 2. Lief.: 1046–1058, bearb. von Karl Augustin Frech, Köln u.a. 2011. Regesta Pontificum Romanorum ab condita ecclesia ad annum post Christum natum 1198, bearb. von Philipp Jaffé / Samuel Loewenfeld / Ferdinand Kaltenbrunner / Paul Ewald, 2 Bde., Leipzig 1885–1888. Für das 11. Jahrhundert zu zitieren als JL x.
Quellenausgaben Im Rahmen der MGH finden sich vorrangig Quellen zur Reichsgeschichte, online: www.dmgh.de. Zweisprachige Ausgaben Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters (Freiherrvom-Stein-Gedächtnisausgabe), dort die Bände 11–15. Chibnall, Marjorie (Hrsg.): The Historia pontificalis of John of Salisbury (Oxford Medieval Texts), Oxford 1986. Zu benutzende Ausgabe mit englischer Übersetzung. Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. Nach den Texten der Monumenta Germaniae Historica in deutscher Bearbeitung, Köln/ Graz 1943ff. Bisher 104 Bde., nur deutsche Übersetzung. Laudage, Johannes / Schrör, Matthias (Hrsg.): Der Investiturstreit. Quellen und Materialien (Lateinisch – Deutsch), Köln/Weimar/ Wien 22006. Praktische Zusammenstellung von Schlüsseltexten, in der zweiten Auflage wurden etliche Fehler behoben. Regesten (Reichsgeschichte)
Die Regestenbände (online: www.regesta-imperii.de) stellen die Handlungen der römisch-deutschen Herrscher/der Päpste zusammen, bieten einen Überblick über die Quellengrundlage sowie neuere Literatur zum Sachverhalt. Böhmer, Johann Friedrich: Regesta Imperii II. Sächsisches Haus 919–1024. 4: Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich II. 1002–1024, bearb. von Theodor Graff, Wien u.a. 1971. Zu zitieren als Reg. Imp. II/4 Nr. x, in Analogie die anderen Bände. Böhmer, Johann Friedrich: Regesta Imperii III. Salisches Haus 1024–1125. Tl. 1: 1024–1039. 1. Abt.: Die Regesten des Kaiserreichs unter Konrad II. 1024–1039, bearb. von Heinrich Appelt, Köln u.a. 1951. Böhmer, Johann Friedrich: Regesta Imperii III. Salisches Haus 1024–1125. Tl. 2: 1056–1125. 3. Abt.: Die Regesten des Kaiserreichs unter Heinrich IV. 1056 (1050)–1106. 1.–5. Lieferung, bearb. von Tilman Struve u. Gerhard Lubich, Köln u.a. 1984–2018.
Ausstellungskataloge Die Salier. Macht im Wandel. Begleitband zur Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz Speyer, bearb. v. Laura Heeg, München 2011. Canossa 1077 – Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik [Ausstellung im Museum in der Kaiserpfalz, im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und in der Städtischen Galerie am Abdinghof zu Paderborn vom 21. Juli bis 5. November 2006], 2 Bde., München 2006. Das Reich der Salier 1024–1125. Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz [Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz, vom 23. März bis 21. Juni 1992], Sigmaringen 1992. Übergreifende Darstellungen Borgolte, Michael: Europa entdeckt seine Vielfalt (1050–1250) (Handbuch der Geschichte Europas 3), Stuttgart 2002. Umfassender und gut lesbarer Überblick vor allem der strukturellen Veränderungen in der behandelten Epoche. Luscombe, David E. / Riley-Smith, Jonathan S. (Hrsg.): The new Cambridge medieval history. Bd. 4: 1024–1198, Cambridge 2004. Zum Teil sehr gute Perspektive auf Einzelaspekte. Schieffer, Rudolf: Christianisierung und Reichsbildung. Europa 700–1200, München 2013. Umfassender und detaillierter Überblick. Die Salier / Reichsgeschichte Boshof, Egon: Die Salier, Stuttgart 52008. Guter Überblick über die Ereignisgeschichte.
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Oexle, Otto Gerhard: Die funktionale Dreiteilung der „Gesellschaft“ bei Adalbero von Laon, in: Frühmittelalterliche Studien 12 (1978), S. 1–54. Beste Studie zu diesem Thema. Rösener, Werner: Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 13), München 1992. Guter Überblick mit der üblichen Zweiteilung in einen darstellenden Teil und einen zweiten Teil, der Forschungsentwicklungen und -probleme thematisiert. Toch, Michael: Die Juden im mittelalterlichen Reich (Enzyklopädie deutscher Geschichte 44), München 32014. Bietet eine sehr gute Einführung. II. Die kirchliche Entwicklung am Vorabend des Investiturstreits Bünz, Enno: Art. Eigenkirche, in: HRG2 1 (2008), Sp. 1267–1269. Knapper, aktueller Überblick mit weiterer Literatur. Laudage, Johannes: Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert (Beihefte zum AKG 22), Köln / Wien 1984. Vgl. dazu: Schieffer, R.: „Priesterbild“, Reformpapsttum und Investiturstreit. Methodische Anmerkungen zu einer Neuerscheinung, in: AKG 68 (1986), S. 479–494. Müller, Harald: Die Pfarrei im Normengefüge der mittelalterlichen Kirche, in: Enno Bünz / Gerhard Fouquet (Hrsg.): Die Pfarrei im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 77), Ostfildern 2013, S. 61–96. Stellt die rechtlichen Vorstellungen von der Pfarrei und ihre Bedeutung sehr differenziert und gut lesbar dar. Rosenwein, Barbara H.: Negotiating space. Power, restraint, and privileges of immunity in early medieval Europe, Manchester 1999. Verfolgt die Wechselwirkung von Freiheit, Schutz und Herrschaft nach, die aus dem Modell von Cluny hervorgegangen sind. Schieffer, Rudolf: Freiheit der Kirche. Vom 9. zum 11. Jahrhundert, in: Johannes Fried (Hrsg.): Die abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich (Vorträge und Forschungen 39), Sigmaringen 1991, S. 49–66. Skizziert klar, wie die Freiheit der Einzelkirche sukzessive an den Gehorsam Rom gegenüber gekoppelt wurde. Stutz, Ulrich: Die Eigenkirche als Element des mittelalterlich-germanischen Kirchenrechts, Berlin 1895. Nach wie vor grundlegende Arbeit zum Eigenkirchenwesen. Szabó-Bechstein, Brigitte: Libertas ecclesiae. Ein Schlüsselbegriff des Investiturstreits und seine Vorgeschichte, 4.–11. Jahrhundert (Studi Gregoriani 12), Rom 1985. Bietet eine begriffliche Ergänzung zur Habilitation Gerd Tellenbachs. Tellenbach, Gerd: Libertas Ecclesiae. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 7), Stuttgart 1936. Die Heidelberger Habilitationsschrift Tellenbachs bietet einen ideengeschichtlichen Zugriff auf den Investiturstreit und die Anliegen der Reformer.
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Auswahlbibliographie
Tellenbach, Gerd: Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert (Die Kirche in ihrer Geschichte 2,F,1), Göttingen 1988. Ausgezeichnete, prägende und bis heute in vielen Bereichen nicht überholte Darstellung. Wollasch, Joachim: Cluny – „Licht der Welt“. Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft, Zürich 1996 (mehrere Nachdrucke). Gute und nach wie vor nicht überholte Einführung in die Welt Clunys. III. Das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII. Übergreifende Darstellungen Enciclopedia dei papi, 3 Bde., Roma 2000. Umfassendes Papstlexikon mit ausführlichen Einzelartikeln. Herbers, Klaus: Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Darmstadt 2012. Modernster Überblick in deutscher Sprache, aktueller Forschungsstand. Johrendt, Jochen / Müller, Harald (Hrsg.): Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III. (Neue Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2), Berlin / New York 2008. Bietet eine Neuperspektivierung der Papsttumsforschung. Johrendt, Jochen / Müller, Harald (Hrsg.): Rom und die Regionen. Studien zur Homogenisierung der lateinischen Kirche im Hochmittelalter (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Neue Folge, phil.-hist. Kl. 19), Berlin / Boston 2012. Setzt den Ansatz des vorherigen Titels konsequent und einheitlicher um. Morris, Colin: The Papal Monarchy. The Western Church from 1050 to 1250, Oxford 1989. Im Vergleich zu Robinson stärker strukturell ausgerichtet. Robinson, Ian Stuart: The Papacy 1073–1198. Continuity and Innovation, Cambridge 1990. Ein klassisches Standardwerk. Schimmelpfennig, Bernhard: Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance, Darmstadt 62011. Sehr gut geschriebener Überblick mit stetem Blick auf die Entwicklung in Rom. Sisson, Keith David / Larson, Atria A. (Hrsg.): A companion to the medieval papacy: growth of an ideology and institution (Brill’s companions to the Christian tradition 70), Leiden u.a. 2016. Modernes Kompendium, das etliche Aspekte in internationaler Perspektive abdeckt. Instrumente des päpstlichen Kirchenregimentes Rennie, Kriston R.: The Foundation of Medieval Papal Legation, Basingstoke u.a. 2013. Stellt die Geschichte u.v. a. die Bedeutung der Legationen für die Kirchenreformer gut dar.
Zey, Claudia: Die Augen des Papstes. Die Augen des Papstes: zu Eigenschaften und Vollmachten päpstlicher Legaten, in: Johrendt, Jochen / Müller, Harald (Hrsg.): Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III. (Neue Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2), Berlin / New York 2008, S. 77–108. Dendorfer, Jürgen / Lützelschwab, Ralf (Hrsg.): Geschichte des Kardinalats im Mittelalter (Päpste und Papsttum 39), Stuttgart 2011. Guter, jedoch sehr straffer Überblick über die jeweiligen Epochen. Hüls, Rudolf: Kardinäle, Klerus und Kirchen Roms (1049–1130) (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 48), Tübingen 1977. Nach wie vor grundlegende Studie. Gresser, Georg: Die Synoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland und Italien von Leo IX. bis Calixt II., 1049–1123 (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen), Paderborn u.a. 2006. Moderne Zusammenstellung und Bewertung der Synoden. Papsttum bis 1046 Fichtenau, Heinrich: Vom Ansehen des Papsttums im zehnten Jahrhundert, in: Hubert Mordek (Hrsg.): Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und fünfzigjährigen Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 117–124. Veranschaulicht die Attraktivität Roms im saeculum obscurum. Hehl, Ernst-Dieter: Zwischen Ansehen und Bedrängnis. Das Papsttum im 10. Jahrhundert, in: Wilfried Hartmann / Klaus Herbers (Hrsg.): Die Faszination der Papstgeschichte: Neue Zugänge zum frühen und hohen Mittelalter (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J.F. Böhmer, Regesta Imperii 28), Köln 2008, S. 81–96. Neuere Abhandlung zum Papsttum im saeculum obscurum. Herrmann, Klaus Jürgen: Das Tuskulanerpapsttum (1012–1046). Benedikt VIII., Johannes XIX., Benedikt IX. (Päpste und Papsttum 4), Stuttgart 1973. Beste zusammenfassende Studie über das Tuskulanerpapsttum. Johrendt, Jochen: Papsttum und Landeskirchen im Spiegel der päpstlichen Urkunden (896–1046) (MGH Studien und Texte 33), Hannover 2004. Verdeutlicht die unterschiedliche Rolle und Wahrnehmung des Papsttums in den Landeskirchen vor Sutri. Zimmermann, Harald: Der Bischof von Rom im saeculum obscurum, in: Michele Maccarrone (Hrsg.): Il primato del vescovo di Roma nel primo millennio. Ricerche e testimonianze, Cittá del Vaticano 1991, S. 643–660. Sehr gute Zusammenfassung des wohl besten Kenners der Epoche. Die papstgeschichtliche Wende Engelberg, Pius: Heinrich III. und die Synoden von Sutri und Rom im Dezember 1046, in: Römische Quartalschrift 94 (1999),
Auswahlbibliographie S. 228–266. Untersucht detailliert die Quellen zur Synode von Sutri nach ihrem Entstehungszeitpunkt und ihrer Darstellungsabsicht. Frech, Karl-Augustin: Die deutschen Päpste. Kontinuität und Wandel, in: Stefan Weinfurter (Hrsg.): Die Salier und das Reich, 3 Bde., Sigmaringen 1991, hier Bd. 2 S. 303–332. Knapper Überblick auf dem damaligen Forschungsstand. Goez, Werner: Papa qui et episcopus. Zum Selbstverständnis des Reformpapsttums im 11. Jahrhundert, in: AHP 8 (1970), S. 27–59. Grundlegende Studie für das gewandelte Bild vom Papsttum. Hartmann, Wilfried: Verso il centralismo papale (Leone IX, Niccolò II, Gregorio VII, Urbano II), in: Cinzio Violante/Johannes Fried (Hrsg.): In: Il secolo XI. Una svolta? (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Quaderno 35), Bologna 1993, S. 99–130. Thematisiert sehr gut die Widerstände gegen den römischen Zentralismus auf unterschiedlicher Ebene. Johrendt, Jochen: Papstgeschichtliche Wende und produktive Zerstörung. Päpstliche Briefe im Zeitalter des Investiturstreits, in: Florian Hartmann (Hrsg.): Brief und Kommunikation im Wandel. Formen, Autoren und Kontexte in den Debatten des Investiturstreits (Papsttum im mittelalterlichen Europa 5), Köln u.a. 2016, S. 103–128. Skizziert die gewandelte Erscheinungsform und Ausdrucksweise der Briefe. Johrendt, Jochen: Reformverlierer im Umfeld der Reformpäpste, in: Andreas Bihrer / Dietmar Schiersner (Hrsg.): Reformverlierer 1000–1800. Zum Umgang mit Niederlagen in der europäischen Vormoderne (ZHF Beihefte 53), Berlin 2016, S. 425–448. Untersucht die auch in Rom anzutreffenden Verlierer der Reformen. Johrendt, Jochen: Die Reisen der frühen Reformpäpste – ihre Ursachen und Funktionen, in: Römische Quartalschrift 96 (2001), S. 57–94. Verdeutlicht, wieso die Reisen Leos IX. als Visitationen zu interpretieren sind. Martin, Guido: Der salische Herrscher als Patricius Romanorum. Zur Einflussnahme Heinrichs III. und Heinrichs IV. auf die Besetzung der Cathedra Petri, in: Frühmittelalterliche Studien 28 (1994), S. 257–295. Aktuellste Studie zum Thema, die von Bedeutung ist. Schieffer, Rudolf: Motu proprio. Über die papstgeschichtliche Wende im 11. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 122 (2002), S. 27–41. Thesenhafter Beitrag, der den Begriff der papstgeschichtlichen Wende in die Forschung eingeführt hat. Weinfurter, Stefan: Heinrich IV. und die Bischöfe im Jahre 1076. „Unheilige Neuerungen“ und „neue Religion“, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hrsg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert. Positionen der Forschung, München 2006, S. 403–416. Untersucht die Wirkung des gre-
gorianischen Anspruchs auf den Reichsepiskopat und dessen Reaktion. Zu einzelnen Päpsten Bischoff, Georges / Tock, Benoît-Michel (Hrsg.): Léon IX et son temps. Actes du colloque international organisé par l’Institut d’Histoire Médiévale de l’Université Marc-Bloch, StrasbourgEguisheim, 20–22 juin 2002 (Atelier de recherches sur les textes médiévaux 8), Turnhout 2006. Aktueller Tagungsband zu Leo IX. Hägermann, Dieter: Das Papsttum am Vorabend des Investiturstreits. Stephan IX. (1057–1058), Benedikt X. (1058) und Nikolaus II. (1058–1061) (Päpste und Papsttum 36), Stuttgart 2008. Nicht in allen Punkten gelungene Darstellung, v.a. im Hinblick auf die Anmerkungen. Schmidt, Tilmann: Alexander II. (1061–1073) und die römische Reformgruppe seiner Zeit (Päpste und Papsttum 11), Stuttgart 1977. Nach wie vor das Standardwerk. Blumenthal, Uta-Renate: Gregor VII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2001. Ausführlichste und sehr gute deutsche Biografie mit einer erfrischenden Herangehensweise. Cowdrey, Herbert E.J.: Pope Gregory VII 1073–1085, London 1998. Umfangreichste und detaillierteste aktuelle Biografie zu Gregor VII. Goez, Werner: Zur Persönlichkeit Gregors VII., in: Römische Quartalschrift 73 (1978), S. 193–216. Sehr gute Skizze zu Person und Gedankenwelt des Papstes. Johrendt, Jochen: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Ungerechtigkeit gehasst“. Gregor VII. in Konflikt und Krise, in: Michael Matheus / Lutz Klinkhammer (Hrsg.): Eigenbild im Konflikt. Krisensituationen des Papsttums zwischen Gregor VII. und Benedikt XV., Darmstadt 2009, S. 20–44. Knappe Skizze zur Persönlichkeit Gregors VII. Schieffer, Rudolf: Papst Gregor VII. Kirchenreform und Investiturstreit, München 2010. Knappe Biografie. Ziese, Jürgen: Wibert von Ravenna, der Gegenpapst Clemens III. 1084–1100 (Päpste und Papsttum 20), Stuttgart 1982. Standardwerk zu Clemens (III.). Becker, Alfons: Papst Urban II. (1088–1099), 3 Bde. (Schriften der MGH 19/1–3), Stuttgart / Hannover 1964–2012. Servatius, Carlo: Paschalis II. 1099–1118. Studien zu seiner Person und seiner Politik (Päpste und Papsttum 14), Stuttgart 1979. Cantarella, Glauco Maria: La costruzione della veritá. Pasquale II, un papa alle strette (Studi storici 178–179), Roma 1987. Schilling, Beate: Guido von Vienne – Papst Calixt II. (MGH Schriften), Hannover 1998. Stroll, Mary: Calixtus II (1119–1124). A pope born to rule (Studies in the history of Christian traditions 116), Leiden u.a. 2004.
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Auswahlbibliographie IV. Geistliche und weltliche Gewalt im Reich am Vorabend des Investiturstreits Hofkapelle Finck von Finckenstein, Albrecht: Bischof und Reich. Untersuchungen zum Integrationsprozess des ottonisch-frühsalischen Reiches (919–1056) (Studien zur Mediävistik 1), Sigmaringen 1989. Fleckenstein, Josef: Die Hofkapelle der deutschen Könige, Bd. 2: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche (MGH Schriften 16), Stuttgart 1966. Zielinski, Herbert: Der Reichsepiskopat in spätottonischer und salischer Zeit: 1002–1125, Stuttgart 1984. Kirchenpolitik
Erkens, Franz-Reiner: Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG kan. Abt. 89 (2003), S. 1–55. Sehr dichte Überblicksdarstellung zum Sakralherrscher. Reuter, Timothy: The ‚imperial church system’ of the Ottonian and Salian rulers. A reconsideration, in: The Journal of ecclesiastical history 33 (1982), S. 347–374. Erfrischender Blick aus England auf die Reichskirchenpolitik. Santifaller, Leo: Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchensystems (Sitzungsberichte der Akad. der Wiss. in Wien, phil.-hist. Kl. 229,1), Wien 1954. Überholte, wichtige Studie, die die Forschung lange prägte. Schieffer, Rudolf: Der geschichtliche Ort der ottonisch-salischen Reichskirchenpolitik (Vorträge der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, G 352), Wiesbaden 1998. Synthese der Forschungen ausgehend von Santifallers ottonisch-salischem Reichskirchensystem. Vogtherr, Thomas: Die Reichabteien der Benediktiner und das Königtum im hohen Mittelalter (Mittelalter-Forschungen 5), Sigmaringen 2000. Standardwerk zu den Reichsabteien. Wolter, Heinz: Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056 (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen), Paderborn u.a. 1988. Standardwerk für die Synoden bis einschließlich zu Heinrich III. Heinrich III. Becher, Matthias: Heinrich III. (1039-1056), in: Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hrsg.): Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919–1519), München 2003, S. 136–153. Knappe Skizze auf Forschungsstand. Boshof, Egon: Das Reich in der Krise. Überlegungen zum Regierungsausgang Heinrichs III., in: HZ 228 (1979), S. 265–287.
Fried, Johannes: Tugend und Heiligkeit. Beobachtungen und Überlegungen zu den Herrscherbildern Heinrichs III. in Echternacher Handschrift, in: Wilfried Hartmann (Hrsg.): Mittelalter. Annäherungen an eine fremde Zeit (Schriftenreihe der Universität Regensburg 19), Regensburg 1993, S. 41–85. Laudage, Johannes: Heinrich III. (1017-1056). Ein Lebensbild, in: Johannes Rathofer (Hrsg.): Der Codex aureus Escorialensis. Das salische Kaiserevangeliar, 3 Bde., hier Bd. 1 (Kommentar), Madrid 1999, S. 87–195. Momentan umfassendste Darstellung der Persönlichkeit Heinrichs III. Lubich, Gerhard (Hrsg.): Heinrich III. (1016/17–1056). Kaiser am Beginn eines neuen Jahrtausends (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J.F. Böhmer, Regesta Imperii 43), Köln 2018 (im Druck). Prinz, Friedrich: Kaiser Heinrich III. Seine widersprüchliche Beurteilung und deren Gründe, in: HZ 246 (1988), S. 529–548. Steindorff, Erich: Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich III., 2 Bde. (Jahrbücher der Deutschen Geschichte 13/1–2), Leipzig 1874–1881. Nach wie vor umfangreichste Zusammenstellung der Quellen. Weinfurter, Stefan: Ordnungskonfigurationen im Konflikt. Das Beispiel Kaiser Heinrichs III., in: Jürgen Petersohn (Hrsg.): Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters (Vorträge und Forschungen 54), Stuttgart 2001, S. 79–100. Betont die theokratischen Herrschaftsvorstellungen Heinrichs III. V. Der Konfliktverlauf im Reich Investiturfrage Becker, Hans-Jürgen: Art. Investitur, in: HRG2 2 (2011), Sp. 1285–1290. Beulertz, Stefan: Das Verbot der Laieninvestitur im Investiturstreit (MGH Studien und Texte 2), Hannover 1991. Depreux, Philippe: „Investitura per anulum et baculum“. Ring und Stab als Zeichen der Investitur bis zum Investiturstreit, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hrsg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert. Positionen der Forschung, München 2006, S. 169–195. Keller, Hagen: Die Investitur. Ein Beitrag zum Problem der ‚Staatssymbolik’ im Hochmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 51–86. Scharnagl, Anton: Der Begriff der Investitur in den Quellen und der Literatur des Investiturstreites (Kirchenrechtliche Abhandlungen 56), Stuttgart 1908. Schieffer, Rudolf: Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbotes für den deutschen König (Schriften der MGH 28), Stuttgart 1981. Die Habilitationsschrift zeigt, dass das Laieninvestiturverbot nicht der Auslöser, sondern die Folge des Konfliktes zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. war.
Auswahlbibliographie Schmid, Paul: Der Begriff der kanonischen Wahl in den Anfängen des Investiturstreits, Stuttgart 1926. Töbelmann, Paul: Stabsymbolik in Ritualen des Mittelalters (Historische Studien 502), Husum 2011. Heinrich IV. Königsherrschaft im Konflikt Althoff, Gerd: Heinrich IV. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2006. Modernste Biografie Heinrichs IV. Althoff, Gerd (Hrsg.): Heinrich IV. (Vorträge und Forschungen 69), Ostfildern 2009. Becher, Matthias: Die Auseinandersetzung Heinrichs IV. mit den Sachsen. Freiheitskampf oder Adelsrevolte?, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hrsg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert. Positionen der Forschung, München 2006, S. 357–378. Kontrastiert gelungen die Perspektiven der Konfliktparteien. Becher, Matthias: Heinrich IV. (1056–1106): Mit Rudolf (1077–1080), Hermann (1081), Konrad (1087–1093, 1101), in: Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hrsg.): Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919–1519), München 2003, S. 154–180. Black-Veldtrup, Mechthild: Kaiserin Agnes (1043–1077). Quellenkritische Studien (Münstersche historische Forschungen 7), Köln u.a. 1995. Goez, Elke: Der Thronerbe als Rivale. König Konrad, Kaiser Heinrichs IV. älterer Sohn, in: Historisches Jahrbuch 116 (1996), S. 1–49. Meyer von Knonau, Gerold: Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., 7 Bde. (Jahrbücher der Deutschen Geschichte 14/1–7), Leipzig u.a. 1890–1909. Zusammenstellung aller Quellen, in der Materialdurchdringung unübertroffen. Muylkens, Michaela: Reges geminati. Die Gegenkönige in der Zeit Heinrichs IV. (Historische Studien 501), Husum 2012. Robinson, Ian Stuart: Henry IV of Germany 1056–1106, Cambridge u.a. 1999. Sieber-Lehmann, Claudius: Papst und Kaiser als Zwillinge? Ein anderer Blick auf die Universalgewalten im Investiturstreit (Papsttum im mittelalterlichen Europa 4), Köln 2015. Struve, Tilmann: Gregor VII. und Heinrich IV. Stationen einer Auseinandersetzung, in: Studi Gregoriani 14 (1991), S. 29–60. Stellt die Entwicklung in drei Phasen detailliert dar. Struve, Tilman: War Heinrich IV. ein Wüstling? Szenen einer Ehe am salischen Hofe, in: Oliver Münsch / Thomas Zotz (Hrsg.): Scientia veritatis. Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, Ostfildern 2004, S. 273–288. Vogel, Jörgen: Zur Kirchenpolitik Heinrichs IV. nach seiner Kaiserkrönung und zur Wirksamkeit der Legaten Gregors VII. und Clemens’ (III.) im deutschen Reich, 1084/85, in: Frühmittelalterliche Studien 16 (1982), S. 161–192.
Canossa Fried, Johannes: Canossa. Entlarvung einer Legende. Eine Streitschrift, Berlin 2012. Vgl. dazu die vier kritischen, parallel entstandenen Rezensionen von M. Becher, H.-W. Goetz, L. Körntgen u. C. Zey, in: sehepunkte 13 (2013) Nr. 1. Hasberg, Wolfgang / Scheidgen, Hermann-Josef (Hrsg.): Canossa. Aspekte einer Wende, Regensburg 2012. Sehr gelungener Sammelband, der viele Aspekte des Themas abdeckt. Hoffmann, Hartmut: Canossa – eine Wende?, in: DA 66 (2010), S. 535–569. Verdeutlicht, dass Canossa vor allem aus kirchlicher Perspektive zu keiner Entsakralisierung des Herrschers führte und somit auch keine Wende sei. Schieffer, Rudolf: Worms, Rom und Canossa (1076/77) in zeitgenössischer Wahrnehmung, in: HZ 292 (2011), S. 593–612. Weinfurter, Stefan: Canossa. Die Entzauberung der Welt, München 2006. Zimmermann, Harald: Der Canossagang von 1077. Wirkungen u. Wirklichkeit (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 1975, 5), Wiesbaden 1975. Heinrich V. und die Lösung des Investiturstreits Dendorfer, Jürgen: Heinrich V. Könige und Große am Ende der Salierzeit, in: Tilmann Struve (Hrsg.): Die Salier, das Reich und der Niederrhein, Köln 2008, S. 115–170. Lubich, Gerhard (Hrsg.): Heinrich V. in seiner Zeit. Herrschen in einem europäischen Reich des Hochmittelalters (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte 34), Köln. u.a. 2013. Schilling, Beate: Ist das Wormser Konkordat überhaupt nicht geschlossen worden? Ein Beitrag zur hochmittelalterlichen Vertragstechnik, in: DA 58 (2002), S. 123–191. Weinfurter, Stefan: Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich. Überlegungen zu einer Neubewertung Kaiser Heinrichs V., in: ders. (Hrsg.): Reformidee und Reformpolitik im spätsalischfrühstaufischen Reich (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, S. 1–45. Zey, Claudia: Der Romzugsplan Heinrichs V. 1122/23. Neue Überlegungen zum Abschluss des Wormser Konkordats, in: DA 56 (2000), S. 447–504. VI. Der Konfliktverlauf im europäischen Vergleich Becker, Alfons: Studien zum Investiturproblem in Frankreich. Papsttum, Königtum und Episkopat im Zeitalter der gregorianischen Kirchenreform (1049–1119), Saarbrücken 1955. Nach wie vor das Standardwerk zum Investiturstreit in Frankreich. Deér, Josef: Papsttum und Normannen. Untersuchungen zu ihren lehnsrechtlichen und kirchenpolitischen Beziehungen (Studien
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Auswahlbibliographie
und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. 1), Köln u.a. 1972. Ältere, aber immer noch grundlegende Studie. Ehlers, Joachim: Geschichte Frankreichs im Mittelalter, Darmstadt 2 2009. Große, Rolf: Vom Frankenreich zu den Ursprüngen der Nationalstaaten (800–1214) (Deutsch-Französische Geschichte 1), Darmstadt 2005. Große, Rolf (Hrsg.): L’Église de France et la papauté (10e–13e siècle). Actes du 26e colloque historique franco-allemand organisé en coopération avec l’École nationale des chartes par l’Institut historique allemand de Paris (Paris, 17–19 octobre 1990) = Die französische Kirche und das Papsttum (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 1), Bonn 1993. Sehr guter Sammelband, der etliche Einzelaspekte detailliert und grundlegend beleuchtet. Houben, Hubert: Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 22010. Loud, Graham A.: The Latin Church in Norman Italy, Cambridge 2007. Neueres Überblickswerk. Rennie, Kriston R.: Law and Practice in the Age of Reform. The Legatine Work of Hugh of Die (1073–1106) (Medieval Church Studies 17), Turnhout 2010. Neuere Monografie zu einem der eifrigsten Reformer im Umkreis Gregors VII. und dessen Vikar in Frankreich. Sarnowsky, Jürgen: England im Mittelalter, Darmstadt 2002. Schild, Stefanie: Der Investiturstreit in England (Historische Studien 504), Husum 2015. Dissertation, die zeitlich bis zu den Konstitutionen von Clarendon (1166) ausgreift. VII. Ergebnisse und Folgen des Investiturstreits Althoff, Gerd: „Selig sind, die Verfolgung ausüben“. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter, Darmstadt 2013. Bayer, Axel: Spaltung der Christenheit. Das sogenannte Morgenländische Schisma von 1054 (Archiv für Kulturgeschichte. Beiheft 53), Köln 22004. Dendorfer, Jürgen: Das Wormser Konkordat – ein Schritt auf dem Weg zur Feudalisierung der Reichsverfassung?, in: Jürgen Dendorfer / Roman Deutinger (Hrsg.): Das Lehnswesen im Hochmittelalter. Forschungskonstrukte – Quellenbefunde – Deutungsrelevanz (Mittelalter-Forschungen 34), Ostfildern 2010, S. 299–328. Verneint sehr überzeugend die Feudalisierung der Reichsverfassung durch das Wormser Konkordat. Erdmann, Carl: Die Anfänge der staatlichen Propaganda im Investiturstreit, in: HZ 154 (1936), S. 491–512.
Erdmann, Carl: Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 6), Stuttgart 1935. Grundlegende Studie zu den geistigen Wurzeln des Kreuzzugs. Hartmann, Florian (Hrsg.): Brief und Kommunikation im Wandel: Medien, Autoren und Kontexte in den Debatten des Investiturstreits (Papsttum im mittelalterlichen Europa 5), Köln 2016. Hartmann, Wilfried: Autoritäten im Kirchenrecht und Autorität des Kirchenrechts in der Salierzeit, in: Stefan Weinfurter (Hrsg.): Die Salier und das Reich, 3 Bde., hier Bd. 3 425–446. Stellt den grundlegenden Wandel im Kirchenrecht und die durch ihn bedingten Weiterungen dar. Hoffmann, Hartmut: Ivo von Chartres und die Lösung des Investiturproblems, in: DA 15 (1959), S. 393–440. Klärt die Bedeutung Ivos für den Investiturstreit im Reich. Jaspert, Nikolas: Die Kreuzzüge, Darmstadt 62013. Sehr gute Überblicksdarstellung. Kéry, Lotte: Das Kirchenrecht als Instrument päpstlichen Führungsanspruchs, in: Bernd Schneidmüller u.a. (Hrsg.): Die Päpste. Amt und Herrschaft in Antike, Mittelalter und Renaissance (Die Päpste 1), Regensburg 2016, S. 275–298. Märtl, Claudia: „Res Ecclesiae“, „beneficia ecclesiastica“ und Regalien im Investiturstreit, in: Chiesa e mondo feudale nei secoli X–XII. Atti della dodicesima Settimana internazionale di studio. Mendola 24–28 agosto 1992 (Miscellanea del Centro di studi medievali 14), Milano 1995, S. 451–472 Mayer, Hans Eberhard: Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 102005. Melve, Leidulf: Inventing the public sphere: The public debate during the Investiture Contest, c. 1030–1122, 2 Bde. (Brill’s studies in intellectual history 154), Leiden u.a. 2007. Deutet den Investiturstreit als die Schaffung und Wirkung öffentlicher Räume, in denen Argumente ausgetauscht wurden. Mirbt, Carl: Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., Leipzig 1894. Nach wie vor Grundlagenwerk zu den Streitschriften. Müller, Harald / Hotz, Brigitte (Hrsg.): Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen (Papsttum im mittelalterlichen Europa 1), Wien u.a. 2012. Der Sammelband bietet eine neue Perspektive auf ein scheinbar erforschtes Phänomen. Schieffer, Rudolf: Der Investiturstreit im Bilde der Zeit nach 1122, in: Klaus Herbers (Hrsg.): Europa an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. Beiträge zu Ehren von Werner Goez, Stuttgart 2001, S. 248–260.
Personen- und Ortsregister Aachen 67, 70, 74, 112 Abbo, Abt v. Fleury 123 Adalbero, Bf. v. Laon 12f., 20 Adalbert, Ebf. v. Hamburg-Bremen 69, 80–82 Adelheid/Eupraxia, röm.-dt. Kg.in 110f. Afrika 60 Agnes, Ks.in 52, 73, 76–81, 91 Agnes, T. H. IV. 114 Albericus, Diakon 47 Alexander II. (Anselm I. v. Lucca), Papst 23f. 30, 45, 56, 78–80, 91, 94, 129, 155 Alexander III., Papst 138, 153 Alexandria 37 Alexios I., byz. Ks. 156 Altmann, Bf. v. Passau 59, 106 Amatus, Bf. v. Oléron 124 Ambrosius, Hl. 18 Anaklet II., Gegenpapst 137, 153 Anatolien 156 Andernach (Schlacht) 117 Annalista Saxo 107 Anno II. Ebf. v. Köln 77, 79–81 Anselm I., Ebf. v. Canterbury 129f. Anselm III., Ebf. v. Mailand 110 Anselm II., Bf. v. Lucca 95, 147 Antiochia 37, 156 Apulien, Hzgtm. 133, 135f. Aribo, Pfalzgf. 73 Atto, Kard. 147 Atto, Ebf. v. Mailand 94f. Augsburg 40 Augustinus, Bf. v. Hippo 154f.
Bagdad 135 Balduin V., Gf. v. Flandern 70 Bamberg 44, 63, 65, 72, 85, 120 Bari 133 Baronio, Cesare, Kard. 37f. Bayern, Hzgtm. 67f., 73, 77, 111f. Beatrix, Mgf.in v. Tuszien 70 Bec, Le, Kl. 129, 142 Benedikt, Hl. 47 Benedikt VIII., Papst 18, 49 Benedikt IX., Gegenpapst 38, 40f., 52, 72, 150 Benedikt X. (Johannes v. Velletri), Gegenpapst 52–54, 134, 150 Benevent 72, 132, 134, 137 Berengar v. Tours 144 Berengar, Gf. v. Sulzbach 113
Bernhard II., Hzg. v. Sachsen 69 Bernold v. Konstanz 144, 146f. Bertha v. Savoyen, röm.-dt. Kg.in 82, 110 Bertha, frz. Kg.in 126 Berthold, Hzg. v. Kärnten 77 Berthold, Hzg. v. Schwaben 110, 112 Bertrada, Gf.in v. Montfort 126 Bianello 93, 100 Bismarck, Otto v. 9, 103f. Bodfeld 52, 74 Böhmen, Hzgtm. 67, 73, 109 Bologna 148 Bonifaz VIII., Papst 47, 61 Bonifaz, Mgf. v. Tuszien 53 Bonizo v. Sutri 98, 105, 144, 146f. Brixen 93, 101, 152 Bruno, Bf. v. Augsburg 67 Bruno, Geschichtsschreiber 86, 148 Burchard, Bf. v. Worms 50, 145 Burchard II., Bf. v. Halberstadt 83 Burgund 25, 27f. Byzanz/Byzantiner 19, 96, 133–135, 154, 156
Calixt II. (Guido v. Vienne), Papst 45, 118, 120f., 127, 152f. Camaldoli, Kl. 29 Canossa 9, 55, 92f., 98–100, 103f., 109f., 121 Capua 134 Cesena, Btm. 34 Chiemsee, Btm. 23 Civitate (Schlacht) 134, 155 Clemens II. (Suidger v. Bamberg), Papst 41f., 44f., 62, 72 Clemens (III.) (Wibert v. Ravenna), Gegenpapst 45, 93, 101f., 105–107, 110, 112, 121, 129, 136, 152f. Clermont (Synode) 126, 156 Cluny, Kl. 25–28, 35 Corbie, Kl. 49, 147 Crescentier, Fam. 40
Damasus II. (Poppo v. Brixen), Papst 42, 44f., 53 Deutschland 100 Diepold, Gf. v. Vohburg 113 Dietrich, Gf. v. Holland 70 Dol, Btm. 60 Drogo (Hauteville) 133f. Eduard d. Bekenner, engl. Kg. 128 Egilbert, Ebf. v. Trier 107 Egilbert, Bf. v. Freising 67
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Personen- und Ortsregister Egino 82 Eichstätt, Btm. 63, 91 Ekkehard v. Aura 149 Elster, weiße (Schlacht) 93, 101 England, Kgr. 17, 39, 90, 122f., 127–129, 138, 153, 155 Erlembald 95f. Ezzonen, Fam. 68
Fermo, Btm. 93, 96 Flarchheim (Schlacht) 93 Florenz 29, 52 – San Miniato, Kl. 29 Fonte Avellana, Kl. 29 Forchheim 93, 100, 148 Formosus, Papst 44, 144 Frankreich, Kgr. 16f., 34, 39, 48, 50, 56, 90, 119, 122f., 125–127, 130, 138 Friedrich I., Ks. 137f., 142 Friedrich II., Ks. 19, 133, 137 Friedrich, Hzg. v. Oberlothringen 69 Friedrich, Hzg. v. Schwaben 110 Fritzlar 93, 101, 117 Gaeta, Hzgtm. 133 Gandersheim 117 Gebhard I., Ebf. v. Salzburg 23f., 107f. Gebhard III., Bf. v. Regenburg 73 Gelasius II., Papst 118 Gerstungen/Gerstungen-Berka 87, 107–110, 147 Gorze, Kl. 28 Goslar 68f., 86f., 97 – St. Simon und Judas, Stift 69 Gottfried, Ebf. v. Mailand 94–96 Gottfried d. Bärtige, Hzg. 44, 69f., 74, 77, 80 Gottfried, Gf. v. Anjou 123f. Gozelo I., Hzg. v. Niederlothringen 69 Gozelo II., Hzg. v. Niederlothringen 70 Gratian 148 Gregor I. (d. Große), Papst 57, 127 Gregor V., Papst 41 Gregor VI. (Johannes Gratianus), Papst 38–41, 43, 55f., 62, 71f. Gregor VII. (Hildebrand), Papst 9–11, 28f., 34, 36, 41, 45, 51, 53, 55, 57–60, 64, 75, 87, 90–108, 110, 115f., 121f., 124f., 128f., 134–136, 141, 144, 146, 152, 154–156 Gregor (VIII.) (Mauritius v. Braga), Gegenpapst 117, 153 Gregor, Kard. 147 Gundekar, Bf. v. Bamberg 65 Gundekar, Bf. v. Eichstätt 91 Gurk, Btm. 23 Hadrian IV., Papst 137
Halberstadt, Btm. 69 Hamburg-Bremen, Ebtm. 69 Harald II., engl. Kg. 128 Hartwig, Ebf. v. Magdeburg 107, 110 Harz 69 Harzburg 87f. Hastings (Schlacht) 127 Hauteville, Fam. 135 Heine, Heinrich 103 Heinrich I., ostfr.-dt. Kg. 77 Heinrich II., Ks. 18, 21, 49, 63, 65, 67f., 84, 153 Heinrich III., Ks. 25, 30, 40–44, 52, 56, 62f., 65–77, 81f., 84f., 89, 91, 94, 119, 122, 124, 129, 133f., 144, 149–151, 153 Heinrich IV., Ks. 9f., 28, 52, 55–57, 60f., 63, 74–76, 78–89, 92–117, 121, 136, 141, 144, 147–149, 152, 156 Heinrich V., Ks. 17, 112–118, 120f., 132, 141, 149, 153 Heinrich VI., Ks. 137f. Heinrich I., engl. Kg. 129–131 Heinrich II., engl. Kg. 132 Heinrich I., frz. Kg. 123f. Heinrich VII., Hzg. v. Bayern 68, 73 Hermann v. Salm, Gegenkg. 101, 148f. Hermann II., Bf. v. Augsburg 77, 79f. Hermann, Bf. v. Metz 61 Hermann v. Reichenau 74–76, 148 Hildesheim, Btm. 69 Hirsau, Kl. 105f. Honorius (II.) (Cadalus v. Parma), Gegenpapst 78, 80, 151 Hugo Candidus, Kard. 93, 96 Hugo, Ebf. v. Lyon (Bf. v. Die) 124–126, 130 Hugo, Abt v. Cluny 25, 28, 30, 99f. Humbert v. Silva Candida, Kard. 31, 33, 53, 55, 91f., 135, 141, 154f. Humbert, Ebf. v. Lyon 60, 125
Iberische Halbinsel/Spanien 18f., 39, 48, 156 Innozenz II., Papst 137, 153 Innozenz III., Papst 57 Irland 17f. Italien 17, 28, 34, 56, 64, 102, 105, 107, 111, 117f., 145 – Mittelitalien 38f., 43, 70 – Oberitalien 71, 100, 110, 120f. – Unteritalien 10, 18, 39, 72, 122, 154 Ivo v. Chartres 119, 127, 142, 148
Jerusalem 37, 133, 156 Johannes VIII., Papst 57 Johannes XII., Papst 38f., 150 Johannes Gualberti 29–31 Johannes v. Salisbury 131f. Justinian, Ks. 37, 132
Personen- und Ortsregister
Kaiserswerth 79f., 89 Kalabrien 134f. Karl d. Große, Ks. 16, 40 Kärnten, Hzgtm. 67, 77 Kiew, Großfstm. 110 Köln, Ebtm. 41, 55, 117 Konrad II., Ks. 67–69, 74, 84f., 123 Konrad I., Kg. 100 Konrad, röm.-dt. Kg. 76, 111f. Konrad I., Hzg. v. Bayern 73 Konstantinopel 37, 154 – Hagia Sophia 154 Konstanz 137, 144 Kuno, Kard. 117
Laigle 130 Lampert v. Hersfeld 79–81 Landrik, Bf. v. Mâcon 125 Lanfranc, Ebf. v. Canterbury 129, 141f. Langobarden 19 Lavant, Btm. 23 Leibniz, Gottfried Wilhelm 118 Leo I. (d. Große), Papst 46 Leo IX., Papst 41f., 44–52, 55, 59, 62, 72, 91, 124, 134f., 146, 154f. Leopold III., Mkgf. v. Österreich 114 Liemar, Ebf. v. Bremen 60, 97, 107 Liutizen 17 Loire 123 London, Westminster 128, 131 Lorsch, Kl. 81f. Lothar v. Süpplingenburg, Hzg. v. Sachsen 115, 117 Lothringen, Hzgtm 28, 69f., 72, 112 Lucera 19, 133 Ludwig d. Fromme, Ks. 16, 34 Lüttich 114 Luxemburger, Fam. 68 Lyon 130
Magdeburg 17, 109 Magnus, Hzg. v. Sachsen 83, 115 Mailand 12, 18, 61, 94, 96, 128, 155 Mainz 18, 107, 112, 118 Manasses, Ebf. v. Reims 60, 125f. Manegold v. Lautenbach 141f., 144 Mantua 80 Manzikert (Schlacht) 96 Mathilde, Mgf.in v. Canossa/Tuszien 70, 99, 104, 110f., 117 Mathilde, T. H. III. 77 Megingaud, Bf. v. Eichstätt 63 Melfi 134f.
Menfö (Schlacht) 73 Merseburg 101 Messina 135 Mileto, Btm. 136 Mont Cenis 99 Montecassino, Kl. 41 Mouzon 118
Nikolaus I., Papst 147, 155 Nikolaus II. (Gerhard v. Florenz), Papst 45, 52–54, 78, 92, 134f. Nikolaus III., Patr. v. Konstantinopel 156 Normandie, Hzgtm. 127, 129 Noto 135 Nürnberg (Synode) 60
Odo, Gf. v. Blois u. Champagne 123 Othlo v. St. Emmeram 75 Otto I. (d. Große), Ks. 40, 65, 150 Otto II., Ks. 64 Otto III., Ks. 28, 41, 76 Otto, Bf. v. Bamberg 17 Otto v. Northeim, Hzg. v Bayern 77, 80, 82f., 87 Otto II., Hzg. v. Bayern 68 Otto, Gf. v. Kastl-Habsberg 113 Palestina/Heiliges Land 19, 95 Paris 25, 124 Paschalis II., Papst 17, 45, 106, 114–117, 121, 130f., 141, 152 Paschasius Ratbertus, Abt v. Corbie 147 Paulus, Hl. 9, 27, 37, 49, 61, 99, 120 Petrus, Hl. 26f., 36f., 39, 49, 98, 120, 128 Petrus Damiani, Kard. 28f., 31f., 55f., 82, 147 Petrus Mezzabarba, Bf. v. Florenz 29f. Philipp I., frz. Kg. 10, 97f., 123–127 Piacenza 40, 43, 72, 111 Pilgrim, Ebf. v. Köln 67 Pöhlde 91 Polen, Kgr. 73, 115 Pommern 17 Ponte Mammolo (Vertrag) 116f. Pressburg (Bratislava) 72 Rainulf, Gf. v. Aversa 133 Regensburg 75, 112–114 Reggio di Calabria 135 Reich, röm.-dt. 16f., 39, 48, 56, 67, 73 f., 81, 90, 105, 107, 110, 115, 118, 122f., 126, 138, 153 – Burgund 120f. – Deutschland 12, 46, 105, 111f., 120f., 145 Reims 49f., 118, 124 – Remigiuskirche 124
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Personen- und Ortsregister Richard I., Gf. v. Aversa 134 Robert Guiscard, Hzg. v. Apulien u. Kalabrien 10, 98, 102, 134–136 Robert II., frz. Kg. 123 Roger II., Kg. v. Sizilien 131f., 136 Roger I., Gf. v. Sizilien 19, 135f. Rom 25, 37–49, 52–55, 59, 71f., 78, 82, 93f., 96, 98, 102–104, 106, 109, 115, 117, 130, 134f., 150 – Engelsburg 103, 116 – Lateran/-basilika 33f., 55, 120f., 152 – Leostadt 93, 102 – St. Paul 37, 55 – St. Peter/Petrusgrab 37, 102, 116 Romuald, Hl. 28–30 Rottenbuch, Stift 34 Rouen (Synode) 124 Rückert, Friedrich 103 Rudolf v. Rheinfelden, Gegenkg. 77, 93f., 100f., 148f.
Sabina, Btm. 41 Sachsen, Hzgtm. 68, 76–78, 81, 83–88, 93–96, 99f., 109f., 112, 114f., 117 Salerno 61, 93, 102f., 132f. Salzburg, Ebtm. 23f. Sant’Apollinare in Classe, Kl. 28f. Santiago de Compostela, Btm. 46, 50 Scheyern, Gf. v. 73 Schwaben, Hzgtm. 67f., 77, 100, 110, 112 Seckau, Btm. 23 Seldschuken 96, 156 Sergius IV., Hzg. v. Neapel 133 Sergius, Hzg. v. Ravenna 28 Siegehart, Gf. 113 Siegfried, Ebf. v. Mainz 77, 80, 82 Siena 53 Sigewin, Ebf. v. Köln 107 Silvester I., Papst 146 Silvester II. (Gerbert v. Aurillac), Papst 38, 41 Silvester III., Papst 40f., 72 Simon, Magier 33 Sizilien, Insel 19, 135–138, 156 – Kgr. 90, 132, 136–138 Skandinavien 18 Speyer 25, 74, 114 Spoleto, Btm. 93, 96 Stephan VI., Papst 144 Stephan IX. (Friedrich v. Lothringen), Papst 31, 41f., 45, 52 Stigand, Ebf. v. Canterbury 128 Sutri (Synode) 28, 39, 41, 46f., 51f., 62, 72, 94, 144 Syrien 156
Thedald, Ebf. v. Mailand 93, 95f. Theophilus 47 Thomas Becket, Ebf. v. Canterbury 132 Toul, Btm. 50 Tribur 74, 91, 93, 98 Trier 144 Troina, Btm. 136 Tuskulaner, Fam. 38–40, 50, 52 Tuszien/Toskana 29, 110
Ungarn, Kgr. 67, 73, 115 Unstrut (Schlacht) 88 Urban II. (Odo v. Ostia), Papst 26, 34, 105f., 110–112, 127, 129, 136, 152, 155f.
Vallombrosa, Kl. 29 Varaville (Schlacht) 123 Verona 103, 111 Viktor II. (Gebhard v. Eichstätt), Papst 42, 45, 52, 74, 76, 91, 152 Viktor III. (Desiderius v. Montecassino), Papst 45, 47, 105f., 134, 147, 152 Viktor IV., Gegenpapst 153 Waimar III., Fst. v. Salerno 133 Weinrich v. Trier 144 Welf III., Hzg. v. Kärnten 68, 73 Welf IV., Hzg. v. Bayern 83, 110, 112 Welf V. 110f. Welfen, Fam. 68, 111 Welfesholz (Schlacht) 117 Werner, Ebf. v. Magdeburg 83 Wezilo, Ebf. v. Mainz 107–109 Wido, Ebf. v. Mailand 94 Wilhelm d. Eroberer, engl. Kg., Hzg. d. Normandie 123, 127–129, 141, 155 Wilhelm II. Rufus, engl. Kg. 129f. Wilhelm v. St. Calais, Bf. v. Durham 141 Wilhelm, Abt v. Hirsau 106 Wilhelm I., Hzg. v. Aquitanien 26f. Wilhelm v. Malmesbury 126 Wilhelm (Eisenarm) 133 Winchester (Synode) 128 Wipo, Kaplan 67 Worms 80, 85, 93f., 120–122, 132, 149, 152 Wratislaw, Kg. v. Böhmen 109 Würzburg 87, 93, 101, 118, 149 Zähringen 112 Zürich 112