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German Pages 284 [285] Year 2006
ARMIN MASLO
Interessenwahrung und Rechtsschutz der Aktionäre beim Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des genehmigten Kapitals
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 195
Interessenwahrung und Rechtsschutz der Aktionäre beim Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des genehmigten Kapitals
Von Armin Maslo
Duncker & Humblot • Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Osnabrück hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-11967-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Osnabrück i m Jahre 2005 als Dissertation angenommen. Die inhaltliche Arbeit am Manuskript habe ich im Sommer 2004 abgeschlossen. Literatur und Rechtsprechung sind bis Mai 2005 berücksichtigt. Mein Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Andreas Fuchs, LL.M., der mir bei der Bearbeitung und Erstellung dieser Arbeit jeglichen Freiraum eingeräumt hat und mir mit einigen wenigen präzisen Hinweisen geholfen hat, die Arbeit abzurunden. Herrn Prof. Dr. Rainer Hüttemann danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Bei der Erstellung dieser Arbeit habe ich von vielen Seiten Hilfe erfahren. Bei ihnen allen möchte ich mich auf diesem Weg bedanken, insbesondere aber bei Katja, die mich in kürzerer Zeit weiter gebracht hat als andere zuvor. Schließlich gilt mein ganz besonderer Dank meinen Eltern. Sie haben mich während meiner Studien- und Promotionszeit stets unterstützt. Ich hoffe, dass mein Vater bei der Lektüre des fertigen Buches genauso viel Freude hat wie bei der Durchsicht des Manuskripts. München, i m April 2006
Armin Maslo
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
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B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals I. Grundlagen des genehmigten Kapitals 1. Überblick über die historische Entwicklung 2. Regelungsgegenstand und Zweck 3. Verfahren a) Schaffung des genehmigten Kapitals b) Entscheidung des Vorstandes c) Durchführung 4. Praxis des genehmigten Kapitals und wirtschaftliche Bedeutung II. Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung und des Vorstands 1. Grundsatz 2. Genehmigtes Kapital a) Rechtliche Grundlagen der Kompetenzverteilung und Autonomiebereich des Vorstandes b) Praktische Gründe für die Kompetenzübertragung III. Organisationsstruktur als Ausgangspunkt für die Interessenwahrung der Aktionäre 1. Allgemeine Regelungsziele einer Kompetenzordnung 2. Mögliche Zweckbestimmungen der Kompetenzordnung 3. Bezugsrechtsausschluss, Aktionärsinteresse und Kompetenzordnung... a) Sonderstellung des Aktionärsinteresses b) Aktionärsinteressen im konkreten Fall des Bezugsrechtsausschlusses aa) Schutz der Verwaltungsrechte bb) Schutz der Vermögensrechte (1) Kurswert (2) Innerer Wert (3) Gewinnanteil (4) Liquidationswert cc) Minderheitsrechte dd) Zusammenfassung c) Folgen für die Kompetenzordnung
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C. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung I. Ausschluss des Bezugsrechts 1. Möglichkeiten des Ausschlusses des Bezugsrechts 2. Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG II. Begrenzung der Ermächtigungsentscheidung hinsichtlich des Bezugsrechtsausschlusses durch formelle Anforderungen 1. Ausschluss durch die Hauptversammlung a) Beschluss der Hauptversammlung b) Berichtspflicht 2. Ermächtigung des Vorstandes zum Bezugsrechtsausschluss a) Beschlussanforderungen b) Berichtspflicht III. Begrenzung durch materielle Anforderungen - Richterliche Angemessenheitskontrolle 1. Entwicklung der Rechtsprechung 2. Sachlicher Grund - Entscheidungen Kali+Salz und Holzmann a) Kali+Salz-Entscheidung aa) Gesellschaftsinteresse bb) Erforderlichkeit und Eignung cc) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit b) Holzmann-Entscheidung 3. Liberalisierungstendenzen a) Deutsche Bank-Entscheidung b) Liberalisierung durch das Gesetz über die kleine AG 4. Siemens/Nold-Entscheidung - Aufgabe der Holzmann-Rechtsprechung a) Fallgestaltung b) Aufgabe der Holzmann-Rechtsprechung c) Begründung des BGH für den Rückbau und die Aufteilung der Beschlusskontrolle IV. Einschätzung und Folgerungen aus der Siemens/Nold-Entscheidung 1. Aufgabe der Angemessenheitskontrolle a) Aufgabe auch der Kali+Salz-Rechtsprechung für das genehmigte Kapital durch die Siemens/Nold-Entscheidung? b) Vermögensschutz statt Beschlusskontrolle aa) §§ 243 Abs.2 Satz 2, 255 Abs. 2 AktG als Grundlage bloßen Vermögensschutzes? bb) Konzeption des Aktienrechts als reines Anlegerschutzrecht?.... 2. Rückbau der Beschlusskontrolle a) Kritik an der Begründung des BGH für den Rückbau auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses b) Rückbau der Beschlusskontrolle - eigene Ansicht
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3. Qualität der Angemessenheitskontrolle a) Angemessenheitskontrolle und unternehmerisches Ermessen aa) Erforderlichkeit hb) Interessenabwägung im engeren Sinn b) Verlagerung der Kontrolle auf das Vorstandshandeln und inhaltlicher Standard c) Aktuelle Tendenzen zur Einschränkung der Aktionärsstellung Auswirkungen auf die Ermächtigungskompetenz aa) Vereinfachter Bezugsrechtsausschluss, § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bb) Squeeze-out, §§ 327 a bis f AktG 4. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung - Folgerungen aus den dargestellten Kriterien
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D. Ausübungskompetenz des Vorstands I. Konkrete Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss und die Ausübungskompetenz 1. Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss durch die Hauptversammlung a) Anforderungen an den Hauptversammlungsbeschluss b) Anforderungen an das Vorstandshandeln aa) Übereinstimmung mit dem Unternehmensgegenstand bb) Übereinstimmung des Vorhabens mit den abstrakten Vorgaben cc) Übereinstimmung mit dem wohlverstandenen Gesellschaftsinteresse c) Vorstandsbericht aa) Bericht des Vorstandes bei Fehlen konkreter Pläne bb) Bericht des Vorstandes bei Vorliegen konkreter Pläne cc) Form des Berichtes 2. Sachkapitalerhöhung mit Ermächtigung des Vorstandes auch zum Bezugsrechtsausschluss a) Anforderungen an den Hauptversammlungsbeschluss - Gegenstand der Inhaltskontrolle b) Anforderungen an das Vorstandshandeln c) Berichtspflicht 3. Barkapitalerhöhung a) Übertragbarkeit der neuen Grundsätze b) Anforderungen an den Hauptversammlungsbeschluss und an das Vorstandshandeln II. Weitergehende Einschränkung der Ausübungskompetenz 1. Weisungsrecht der Hauptversammlung bei der Ausübung der Ermächtigung
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nsverzeichnis 2. Einschränkung der Ausübungskompetenz nach der „HolzmüllerDoktrin" a) Vorlagemöglichkeit und Vorlagepflicht des Vorstandes b) Vergleichbarkeit der Holzmüller-Doktrin mit der materiellen Beschlusskontrolle c) Begrenzungsfunktion der Ausübungskompetenz 3. Sonstige Grenzen der Ausübungskompetenz a) Pflichten des Vorstandes hinsichtlich der Festsetzung des Ausgabebetrages und des Inhalts der Aktienrechte b) Pflichten des Vorstandes bei der Zuteilung der Aktien, Neutralitätspflicht aa) Neutralitätspflicht des § 33 Abs. 1 WpÜG bb) Genehmigtes Kapital als Verhinderungsmaßnahme cc) Folgen für die Ausübungsbefugnis
E. Rechtsschutz der Aktionäre gegen den Ermächtigungsbeschluss I. Inhaltliche Mängel des Ermächtigungsbeschlusses 1. Ermächtigungsbeschluss mit Bezugsrechtsausschluss durch die Hauptversammlung a) Nichtigkeitsgründe b) Unwirksamkeitsgründe c) Anfechtungsgründe 2. Anfechtungsgründe im Fall der Ermächtigung des Vorstandes zum Ausschluss des Bezugsrechtes 3. Anfechtungsgründe bei Barkapitalerhöhung 4. Anfechtungsgründe bei konkretisierter Planung des Vorstandes II. Teilanfechtung des Ermächtigungsbeschlusses 1. Bezugsrechtsausschluss durch die Hauptversammlung 2. Ermächtigung des Vorstandes zur Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss III. Bedeutung des Rechtsschutzes gegen einen rechtswidrigen Ermächtigungsbeschluss 1. Nichtiger Ermächtigungsbeschluss 2. Anfechtbare Hauptversammlungsbeschlüsse a) Meinungsstand zur Entstehung neuer Mitgliedschaftsrechte bei regulärer Kapital erhöhung b) Eigene Ansicht und Übertragung auf das genehmigte Kapital 3. Entwurf des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts F. Rechtsschutz der Aktionäre gegen Vorstandsentscheidungen I. Folgerungen für den Rechtsschutz gegen die Vorstandsentscheidung II. Modell des BGH
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III. Wirkungsweise und Effektivität der Lösung des BGH 1. Zustimmung des Aufsichtsrates 2. Bericht in der nachfolgenden ordentlichen Hauptversammlung a) Grundlage b) Umfang c) Reaktionsmöglichkeit der Aktionäre 3. Haftung des Vorstandes gemäß § 93 Abs. 2 AktG a) Gesetzliche Grundlage und Voraussetzungen aa) Voraussetzungen (1) Vorstandsmitglied (2) Pflichtverletzung (3) Verschulden (4) Schaden bb) Beweislast cc) Durchsetzung des Anspruchs b) Rechtsfolge c) Bewertung des Aktionärsschutzes durch § 93 Abs. 2 AktG 4. Klagemöglichkeit des einzelnen Aktionärs a) Grundsätzliche Möglichkeit einer Mitgliedschaftsklage aa) Grundlagen der Mitgliedschaftsklage bb) Anwendung für das genehmigte Kapital cc) Schutzrichtung der Mitgliedschaftsklage - repressive oder präventive Klage b) Repressive Klage nach Verletzung der Mitgliedschaft aa) Klagebegehren und Klageart bb) Klagefrist cc) Passivlegitimation dd) Klagebefugnis und Feststellungsinteresse ee) Inhalt und Folgen der repressiven Feststellungsklage ff) Beweislast c) Präventive Klage aa) Klageart bb) Drohende Rechtsverletzung und Rechtsschutzbedürfiiis cc) Klagefrist und Passivlegitimation. dd) Streitwert ee) Wirkung der Unterlassungsklage ff) Einstweilige Verfügung 5. Prüfung der Sacheinlage und Bestellung eines Sonderprüfers IV. Gesamtbewertung und Kritik am Modell des BGH
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G. Eigener Ansatz eines sachgerechten Rechtsschutzmodells I. Anforderungen an den Rechtsschutz II. Interessenwahrung der Aktionäre durch direkte Schadenersatzansprüche...
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nsverzeichnis 1. Überblick 2. Ausgangslage für Schadensersatzanspruch der Aktionäre a) Einheitlichkeit des Bezugsrechtes b) Unmöglichkeit und Delikt c) Bezugsrecht als Schutzgesetz 3. Einzelheiten der Haftungstatbestände a) Fehlender wirksamer Bezugsrechtsausschluss b) Missbräuchlicher Bezugsrechtsausschluss c) Ausnutzung der Ermächtigung unter Verletzung der Vorgaben der Hauptversammlung, der Satzung oder des Gesellschaftsinteresses. d) Unangemessener Ausgabepreis e) Inhaltlich fehlerhafte Entscheidungen 4. Verschulden 5. Inhalt des Schadenersatzanspruches a) Bezugsrecht als Ausgangspunkt b) Fehlerhafte Ausgabe wegen unangemessenem Ausgabebetrag c) Fehlerhafte Ausgabe zu einem angemessenen Ausgabebetrag aa) Naturalrestitution bb) Schadenersatz in Geld III. Unterlassungsklage 1. Ausgangspunkt 2. Ergänzende Berichtspflicht a) Ergänzende Berichtspflicht bei Konkretisierung des Vorhabens Meinungsstand aa) Meinungsstand vor der Siemens/Nold-Entscheidung bb) Meinungsstand nach der Siemens/Nold-Entscheidung b) Begründung einer ergänzenden Berichtspflicht aa) Wortlaut des deutschen Gesetzes und die Siemens/NoldEntscheidung bb) Zielsetzung der Berichtspflicht cc) Einheitlichkeit der Rechtsordnung dd) Flexibilität des genehmigten Kapitals c) Ausnahmen von der ergänzenden Berichtspflicht aa) Kapitalmarktrechtliche Informationspflicht bb) Ausnahme für minderschwere Eingriffe 3. Ausgestaltung der ergänzenden Berichtspflicht a) Inhaltliche Anforderungen b) Mitteilung des Berichts aa) Meinungsstand bb) Eigene Ansicht c) Folgen eines ergänzenden Berichtes aa) Meinungsstand und kritische Würdigung bb) Fallgestaltungen
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nsverzeichnis cc) Registersperre und Freigabeverfahren 4. Streitwert und einstweilige Verfügung a) Streitwert b) Einstweilige Verfügung aa) Zulässigkeit bb) Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund cc) Schadenersatzrisiko
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H. Zusammenfassung und Ergebnisse I. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung II. Ausübungskompetenz des Vorstands III. Rechtsschutz der Aktionäre gegen die Ermächtigungsentscheidung IV. Rechtsschutz der Aktionäre gegen die Vorstandsentscheidung V. Ausgleich des bestehenden Rechtsschutzdefizits
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Literaturverzeichnis
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Sachverzeichnis
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Abkürzungsverzeichnis abl. Abi. Abs. AcP ADHGB a.E. a.F. AG AktG AktG 1937 allgem. allg. M. Alt. amtl. Art. Aufl. Az. BAnz. BayObLG BB Bd. Begr. Beil. Bek. BGB BGBl. BGH BGHZ BörsenZulVO BörsG BR-Drucks. BT-Drucks. BVerfG
ablehnend Amtsblatt Absatz Archiv für die civilisische Praxis (Zeitschrift) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 am Ende alte Fassung Aktiengesellschaft, Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktiengesetz vom 6.9.1965 Aktiengesetz vom 30.1.1937 Allgemein allgemeine Meinung Alternative amtlich(e) Artikel Auflage Aktenzeichen Bundesanzeiger Bayrisches Oberstes Landesgericht Betriebsberater (Zeitschrift) Band Begründer, Begründung Beilage Bekanntmachung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (Band und Seite Börsenzulassungsverordnung Börsengesetz Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (Band und Seite)
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
Abkürzungsverzeichnis bzgl. bzw. ca. DAV DAX
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bezüglich beziehungsweise circa Deutscher Anwaltsverein Deutscher Aktienindex
DB
Der Betrieb (Zeitschrift)
ders. DE-ÜG DJT DM DStR DVB1 DZWir E ErbStG EuGH EuZW e.V. EWG EWiR f, ff FGG Fn. FS gem. GKG GmbH GmbH & Co. GmbHG GmbHR GVG GWB Hg HGB h.M. HRV Hs. HV i.d.F. IStR i.S.v. i.V.m. JuS
derselbe deutscher Entwurf des Übernahmegesetzes Deutscher Juristentag Deutsche Mark Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Entwurf Erbschaftsteuergesetz Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) einstweilige Verfügung, eingetragener Verein Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) folgende Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote Festschrift gemäß Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesellschaft mit Beschränkter Haftung & Companie Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Herausgeber Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Handelsregisterverfügung Halbsatz Hauptversammlung in der Fassung Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) im Sinne von in Verbindung mit Juristische Schulung (Zeitschrift)
16 JW JZ KG KGaA KonTraG KStG l. LG li.Sp. lit. Mio. Mrd. m.w.N. n.F. NJW NJWRR Nr. NZG ÖAktG OHG OLG pW r. RegE re.Sp. RG RGZ RL Rn. RPflG s. S. Slg. Sp. StGB u.a. UmwG Urt. u.U. UWG
Abkürzungsverzeichnis Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untemehmensbereich vom 27.4.1998 Körperschaftsteuergesetz linke, links Landgericht linke Spalte Buchstabe Millionen Milliarde mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungs-Report-Zivilrecht (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) österreichisches Aktiengesetz Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht positive Vertragsverletzung rechte, rechts Regierungsentwurf rechte Spalte Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichtes in Zivilsachen (Band und Seite) Richtlinie Randnummer Rechtspflegergesetz siehe Seite Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichtes erster Instanz der Europäischen Gemeinschaft Spalte Strafgesetzbuch und andere, unter anderem Umwandlungsgesetz Urteil unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
Abkürzungsverzeichnis v. Urt. u.U. UWG v. Verf. vgl. v.H. Vor. Vorbem. VwVfG wg. WiB WiST WM WPg WpHG WpÜG WuB z.B. ZBB ZfbF ZGR ZHR ZIP ZPO z.T. Zust. ZZP
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vom Urteil unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom Verfasser vergleiche von Hundert Vorbemerkung Vorbemerkung Verwaltungsverfahrensgesetz wegen Wirtschaftrechtliche Beratung (Zeitschrift) Wirtschaft und Studium (Zeitschrift) Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (Zeitschrift) Schmalenbachs Zeitschrift für betriebwirtschaftliche Forschung (Zeitschrift) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Zivilprozessordnung zum Teil Zustimmend Zeitschrift für Zivilprozess (Zeitschrift)
A. Einleitung Ausgangspunkt für die Rechtmäßigkeit des Bezugsrechtsausschlusses im Rahmen des genehmigten Kapitals war bis zur Siemens/Nold-Entscheidung des BGH im Jahre 19971 fast ausschließlich die Ermächtigungsentscheidung durch die Hauptversammlung. Der Bericht des Vorstands gem. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG musste bereits zu diesem Zeitpunkt die wesentlichen Gründe zur sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses enthalten. Dies hatte unmittelbar zur Folge, dass die gerichtliche Kontrolle der Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses bereits auf der Ebene der Ermächtigung erfolgte und die Aktionäre hierzu auf das aktienrechtliche System der Beschlussanfechtung bzw. der Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen zurückgreifen konnten. Auch bestand weder ein besonderes Bedürfiiis der Abgrenzung der Kompetenzen der Hauptversammlung und des Vorstandes beim genehmigten Kapital noch stellte sich die Frage nach der eigenständigen Kontrolle der Einhaltung dieser Grenzen durch den Vorstand. Diese Anforderungen an den Vorstandsbericht wurden durch die Siemens/Nold-Entscheidung wesentlich eingeschränkt. Der Vorstand ist nunmehr nur noch verpflichtet, die Gründe für den Ausschluss des Bezugsrechts oder der Ermächtigimg zur eigenständigen Entscheidung hierüber abstrakt darzulegen. Die vom BGH hierzu angeführten Kriterien sind die Übereinstimmung der Maßnahme mit dem Gesellschaftsinteresse und die Erforderlichkeit und Eignung sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Bezugsrechtsausschlusses. Folge dieser Rechtsprechungsänderung ist, dass sich die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses auf die Ermächtigung und die Vorstandsentscheidung verteilt, wobei der Schwerpunkt nunmehr eindeutig auf letzterer liegt. Durch diese Rechtsprechungsänderung stellen sich für den Rechtsschutz der Aktionäre folgende grundsätzliche Fragen: In welchen Grenzen ist eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz von der Hauptversammlung auf den Vorstand nunmehr möglich, und welche Möglichkeiten bestehen, die Entscheidung des Vorstands wirksam zu überprüfen?
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BGH, NJW 1997, 2815.
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A. Einleitung
Diese Fragen sind aber weder in der Siemens/Nold-Entscheidung selbst noch in der nachfolgenden einschlägigen Literatur und instanzgerichtlichen Rechtsprechung abschließend geklärt, wie zwei aktuelle Entscheidungen durch das LG und das OLG Frankfurt aus den Jahren 2000 bzw. 2003 in diesem Bereich zeigen.2 Die vom LG und OLG Frankfurt entschiedenen Fälle betrafen eine Kapitalerhöhung der Commerzbank AG aus genehmigtem Kapital. Bei dieser Kapitalerhöhung hat der Vorstand unter Zustimmung des Aufsichtsrats der Gesellschaft in erheblichem Umfang und unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre die Ausgabe der neuen Aktien gegen Leistung einer Sacheinlage an die italienische Generali S.p.A. sowie ebenfalls unter Ausschluss des Bezugsrechts gegen Bareinlage an die Volksfiirsorge Deutsche Lebensversicherung AG beschlossen und durchgeführt. Ferner hat der Vorstand in einer fast zeitgleichen Ad hoc-Mitteilung angekündigt, eine weitere Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zu Gunsten der Banco Santander Central Hispano vorzunehmen. Zur Verhinderung dieser Ausnutzung des genehmigten Kapitals durch den Vorstand strengten Aktionäre der Commerzbank AG ein gerichtliches Verfahren zur Untersagung des Vorhabens bzw. nach Eintragung des ersten Teils der Kapitalerhöhung im Handelsregister die Unterlassung der Kapitalerhöhung unter Zuteilung der Aktien an die Banco Santander Central Hispano sowie die vorherige schriftliche Berichterstattung durch den Vorstand im Falle der Entscheidung über die Ausnutzung der durch die Ad hoc-Mitteilung angekündigte Kapitalerhöhung an. Begründet wurde dieses mit der Verletzung des formalen Verfahrens, insbesondere der fehlenden Berichterstattung des Vorstands sowie inhaltlich mit einer Kompetenzüberschreitung, da nach der Ansicht der Minderheitsaktionäre die Kapitalerhöhung den Einfluss von Aktionären stärken sollte, die der Verwaltung als freundlich gesonnen galten. Hierdurch sollte nach Ansicht der Minderheitsaktionäre einer feindlichen Übernahme der Commerzbank AG durch einen dritten Bieter vorgebeugt werden. Zur Klärung dieser beiden offenen Fragenkomplexe ist ausgehend von den zwei Stufen des genehmigten Kapitals zunächst zu bestimmen, welche Kompetenzen der Hauptversammlung bei dem Ermächtigungsbeschluss zustehen. Der Schwerpunkt liegt bei den Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss bzw. in welchem Umfang eine Verlagerung dieser Entscheidung auf den Vorstand zulässig ist. Hier wird sich zeigen, dass als Folge der Siemens/NoldEntscheidung, insbesondere bei einer Ermächtigung des Vorstands zum Bezugsrechtsausschluss nur noch ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich 2
LG Frankfurt, ZIP 2000, 117; OLG Frankfurt. ZIP 2003, 902 und 1198.
A. Einleitung ist und damit eine weitestgehende Übertragung von Hauptversammlungskompetenzen auf den Vorstand möglich ist. Mit dieser Erweiterung der Kompetenz des Vorstands bei der Ausnutzung der Ermächtigung gewinnt jedoch die exakte Bestimmung der Grenzen Ausübungskompetenz des Vorstands eine erheblich gesteigerte Bedeutung. Der Vorstand entscheidet nicht mehr nur noch über den Zeitpunkt einer genau durch die Hauptversammlung vorgegebenen Kapitalerhöhung, ihm kommt jetzt die Entscheidung über eine Kapitalmaßnahme zu, die in der Ermächtigung nur abstrakt umrissen ist. Die vom BGH in der Siemens/Nold-Entscheidung für die Vorstandsentscheidung aufgestellten Kriterien bedürfen vor diesem Hintergrunde einer weiteren Konkretisierung. Entsprechend der Verlagerung der Entscheidungskompetenzen kommt auch dem Rechtsschutz der Aktionäre gegen die Vorstandsentscheidung ein stärkeres Gewicht zu. Die Ermächtigungsentscheidung der Hauptversammlung wird hingegen nach den neuen Kriterien der Siemens/Nold-Rechtsprechung für den Bezugsrechtsausschluss aus der Sicht der Aktionäre regelmäßig keine Beeinträchtigung der durch das Bezugsrecht geschützten Mitgliedschaft mehr darstellen und mit Ausnahme von einer offensichtlichen Überschreitung der Ermächtigungskompetenz oder einem Missbrauch durch die Aktionäre angreifbar sein. Die vom BGH angeführten Kontrollmechanismen sind aber nicht ausreichend. Weder die erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats, noch eine Berichterstattung durch den Vorstand auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung können aus Sicht der Aktionäre eine effektive Überprüfung der Vorstandsentscheidung gewährleisten. Soweit der BGH auf einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand verweist, ist dies für die Vermögensrechte der Aktionäre weitestgehend nutzlos, zumal auch eine Durchsetzung durch einzelne Aktionäre nur eingeschränkt möglich ist. Soweit von der Rechtsprechung eine Mitgliedschaftsklage gegen Vorstandsentscheidungen zugelassen wird, hängt die Wirksamkeit von dem Informationsstand der Aktionäre ab. Erlangen die Aktionäre erst nach Durchführung der Kapitalerhöhung Kenntnis von der Ausnutzung der Ermächtigung durch den Vorstand, ist nur die nachträgliche Feststellung einer eventuellen Überschreitung der Kompetenz durch den Vorstand möglich. Eine echte Rückabwicklung der Kapitalerhöhung wird in aller Regel ausgeschlossen sein. Aber auch bei Kenntniserlangung vor Durchführung der Kapitalerhöhung bestehen in prozessualer Sicht Einschränkungen des Rechtsschutzes der Aktionäre. Da die Aktionäre ihren Anspruch auf Unterlassung der Ausnutzung der Ermächtigung durch eine Unterlassungs- oder Feststellungsklage geltend ma-
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A. Einleitung
chen müssen, greifen die aktienrechtlichen Sonderregelungen, wie etwa die Streitwertregelung des § 247 AktG, unmittelbar nicht ein. Zur Lösung dieses Rechtsschutzdefizits bestehen zwei Ansatzpunkte. Einerseits ist es möglich, die Position der Aktionäre durch die Gewährung eines unmittelbaren Ersatzanspruches gegen die Gesellschaft oder den Vorstand zu stärken. Andererseits kann die präventive Klagemöglichkeit zur Überprüfung der Vorstandsentscheidung durch eine ergänzende Berichtspflicht des Vorstands vor Ausnutzung der Ermächtigung gestärkt werden. Hierdurch kann gewährleistet werden, dass durch die Erweiterung der Ausübungskompetenz des Vorstands nicht gleichzeitig ein Rückbau des Aktionärsschutzes verbunden ist. Weiter müssen für die prozessuale Durchsetzung dieser Ansprüche die Sonderregelungen des aktienrechtlichen Beschlussanfechtungsrechts teilweise übertragen werden.
B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals I. Grundlagen des genehmigten Kapitals 1. Überblick über die historische Entwicklung In seiner heutigen Form wurde das genehmigte Kapital erstmals durch das Aktiengesetz 1937 in das deutsche Recht eingeführt. Vor dieser Neuerung wurden die Gesellschaften durch strenge Kapitalaufbringungsregelungen gehalten, den vollen Betrag der Kapitalerhöhung in einer relativ engen Zeitspanne aufzubringen. 3 Erfolgte dies nicht, so war die komplette Kapitalerhöhung gescheitert. Dieses starre Verfahren der regulären Kapitalerhöhung führte schon relativ früh zu der Suche der Gesellschaften nach flexibleren Formen der Eigenkapitalbeschaffung. Eine gewisse Lösung dieses Konfliktes fand die Praxis i m sog. Simultanverfahren. 4 Dieses Verfahren hatte aber den Nachteil, dass hierdurch eine Abhängigkeit der Gesellschaft von den Banken und deren Bereitschaft zur Übernahme der Aktien entstand.5 Seit den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts gingen deshalb die Gesellschaften vermehrt zur Schaffung von Vorratsaktien6 über. 7 Diese Vorratsaktien verleiteten aber häufig zum Missbrauch in der Hand der Verwaltung, da diese mit den Stimmrechten der Vorratsaktien in der Hauptversammlung Entscheidungen in eigener Sache treffen konnte. Aus dieser
3
Vgl. dazu etwa Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 6, 101; ders., in: Großkommentar zum AktG, §202 Rn.l; von Salis, Kapital, S. 218; Brodmann, Aktienrecht, §278 Rn. 2 f. 4
Vgl. von Salis, Kapital, S. 218. Beim Simultanverfahren wurde bei der Kapitalerhöhung von einer Bank das gesamte Kapital gezeichnet und dann erst später weiterveräußert, wenn die Bedingungen für die Zeichnung durch Dritte günstig waren. 5 Vgl. von Salis, Kapital, S. 158, 164 f, 218. 6 Vorratsaktien waren Aktien, die durch Hauptversammlungsbeschluss geschaffen wurden und von einer Bank oder von einem Treuhänder für Rechnung der Gesellschaft gezeichnet wurden. Das Problem dabei war, dass kein echter Kapitalzufluss von Außen stattfand. Die Finanzierung erfolgte durch von der Gesellschaft an die Zeichner gewährte Darlehen und damit aus dem Geseilschafts vermögen. Dazu auch Hirte, in: Großkommentar zum AktG, §202 Rn. 1; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, §202 Rn.2. 7
Vgl. von Salis, Kapital S. 219; Lutter, in: Kölner Kommentar, Vor § 202 Rn. 1.
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B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
Konstellation heraus wurde in den 30er Jahren unter Anlehnung an das angloamerikanische Recht das Institut des genehmigten Kapitals entwickelt. 8 Das angloamerikamsche Recht unterschied damals bereits bei der Gründung zwischen „authorized capital" und „subscribed capital". 9 Da aber in Deutschland schon zu dieser Zeit der Grundsatz der realen Kapitalaufbringung und der Mindestkapitalaufbringung in der Gründungsphase bestand, war die Übernahme dieses Systems nur bei späteren Kapitalerhöhungen und mit weiteren Einschränkungen möglich. 10 Entsprechend dieser Unterschiede, wurde dann das genehmigte Kapital in den §§ 169 ff AktG 1937 bei der Aktienrechtsreform 1937 als Ermächtigung der Verwaltung zur Entscheidung über die Erhöhung des Grundkapitals mit zeitlicher und umfangmäßiger Begrenzung ausgestaltet. 11 Gleichzeitig wurde damit i m Gegensatz zur Vorratsaktie die Einlageverpflichtung der Zeichner gesichert. In der Folge verlor die Vorratsaktie an Bedeutung und wurde praktisch durch das genehmigte Kapital ersetzt. 12 Diese im Jahre 1937 eingeführte Regelung des genehmigten Kapitals wurde bei der Aktienrechtsreform 1965 im Wesentlichen übernommen. Eingefügt wurde lediglich § 203 Abs. 2 AktG, wonach der Vorstand nun zum eigenständigen Ausschluss des Bezugsrechtes einer ausdrücklichen Ermächtigung bedurfte. Nach dem Aktiengesetz von 1937 war diese Befugnis schon in der Befugnis zur Kapitalerhöhung selbst enthalten. Inhaltlich neu war auch die Regelung der §§ 202 Abs. 4, 203 Abs. 4, 204 Abs. 3 und 205 Abs. 5 AktG, welche die Ausgabe von Belegschaftsaktien erleichtern und damit die Arbeitnehmerbeteiligung an der Gesellschaft sichern sollten. Durch die Novelle 1978, die der Durchfuhrung der Zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EWG vom 13.12. 197813 diente, wurde § 205 Abs. 3 AktG eingefügt. Wichtige mittelbare Folge der Richtlinie war die Einfuhrung der Berichtspflicht des Vorstandes im Zusammenhang mit dem Ausschluss des Bezugsrechts in § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. Weitere wesentliche Änderungen 8
Vgl. von Salis, Kapital, S. 221, 245 ff. Das authorized capital stellte die Obergrenze des begebaren Kapitals dar, ohne dass jedoch durch das subscribed capital ein Mindestgrundkapital vorhanden sein muss. Vgl. von Salis, Kapital, S. 245 ff. 10 Vgl. Baumbach/Hueck, AktG, Vor § 202 ff AktG. Zu den weiteren Unterschieden vgl. Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 3. 9
11 Lutter, in: Kölner Kommentar, § 202 Rn. 10; Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 3 und § 204 Rn. 2. 12 Dazu Henze, in: Großkommentar zum AktG, § 56 Rn. 6; Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 3 und von Salis, Kapital, S. 229 f. 13
Vgl. BGBl. I 1959.
I. Grundlagen des genehmigten Kapitals
25
ergaben sich durch die Verabschiedung des „Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechtes" vom 2. August 1994 14 . Von Bedeutung im Zusammenhang mit dem genehmigten Kapital waren die Änderung des § 182 Abs.2 AktG, auf den § 202 Abs. 4 Satz 2 AktG verweist und durch die sich Auswirkungen auf die nötigen Sonderbeschlüsse von Vorzugsaktionären ergeben und andererseits die Einführung des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG für börsennotierte Gesellschaften. 15 Marginale Änderungen der §§ 202 ff AktG wurden ferner noch im Rahmen der Zulassung der Stückaktie und der Umstellung auf den Euro im Jahre 1998 vorgenommen. 16
2. Regelungsgegenstand und Zweck Das genehmigte Kapital, geregelt in den §§ 202 bis 206 AktG, ist Teil des 2. Abschnittes des 6. Teils des AktG. Aus dieser Stellung folgen schon die zwei wesentlichen strukturellen Gesichtspunkte des genehmigten Kapitals. 17 Einerseits ist es als Satzungsänderung eine »Änderung der autonomen normativen Grundordnung des Verbandes" 18 und damit ein Grundlagengeschäft der Gesellschaft. Andererseits ist es eine Maßnahme der Kapitalbeschaffung zum Zweck der Unternehmensfinanzierung 19 und damit eine unternehmerische Entscheidimg der Gesellschafter und der Geschäftsführung innerhalb der Gesellschaft durch den Vorstand (§§ 76 f f AktG). I m Rahmen der Maßnahmen der Kapitalbeschaffung stellt sich das genehmigte Kapital als Sonderform der regulären Kapitalerhöhung gegen Einlage dar 20 , bei der im Gegensatz zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 207-220 AktG) der Gesellschaft neue Mittel zufließen. 21 14
BGBl. 11961.
15
Dazu unten unter C.I.2. Zu den Änderungen vgl. Hüffer, AktG, § 202 Rn. 1. Ausführlich zu den Umstellungsproblemen auch Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 8 ff. 17 Die Überschrift des 6. Teils lautet: „Satzungsänderung. Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung", die des 2. Abschnittes: „ Maßnahmen der Kapitalbeschaffung". 16
18
So Zöller, in: Kölner Kommentar, § 179 Rn. 12; dazu ebenfalls Hüffer, AktG, § 23 Rn. 2 ff; Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 179 Rn. 1; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 179 Rn. 1 ff. 19 Vgl. Lutter, in: Kölner Kommentar, Vorb. § 182 Rn. 1 ff; Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, Vorb. § 182 Rn. 1 ff. 20 Insoweit ist die Überschrift des ersten Unterabschnittes missverständlich, da jede Kapitalerhöhung grundsätzlich gegen Einlage erfolgen muss. Gemeint ist mit dieser
26
B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
Zielsetzung des genehmigten Kapitals ist, der Gesellschaft die Aufnahme von Eigenkapital zu erleichtern und damit die finanzielle Bewegungsfreiheit zu vergrößern. 22 Die Grundüberlegung ist dabei, dass eine ordentliche Kapitalerhöhung zeitaufwändig 23 und arbeitsintensiv 24 ist, und dadurch die Aktiengesellschaft nur sehr schwer auf kurzfristige Entwicklungen des Kapitalmarktes oder andere Gegebenheiten reagieren kann. 25 Ferner ist die ordentliche Kapitalerhöhung, soweit sie beschlossen ist, im Gegensatz zum genehmigten Kapital auf sofortigen Vollzug angelegt. Für den Vorstand besteht kein zeitlicher Dispositionsspielraum, um auf besondere Gegebenheiten reagieren zu können. 26 Innerhalb kürzester Frist muss das neue Kapital gezeichnet sein, damit die Durchführung des Erhöhungsbeschlusses rechtmäßig ist. Aus diesem Grund eignet sich die ordentliche Kapitalerhöhung meist nur zur Deckung eines Finanzbedarfes, der im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Hauptversammlung besteht. Dadurch ist eine Anpassung der regulären Kapitalerhöhung an die wirtschaftlichen Verhältnisse nur unzulänglich möglich, eine kurzfristige Reaktion auf günstige Marktsituationen fast ausgeschlossen. Möglich ist dies etwa zum Beispiel im Rahmen eines Sanierungsverfahrens, wenn schon vor der Hauptversammlung ein Konzept und ein Geldgeber feststehen. Für viele andere Finanzierungsfälle kommt ein derartiges Verfahren regelmäßig nicht in Betracht. 27 Diesen Umständen trägt die Konzeption des genehmigten Kapitals Rechnung. Dabei ist das Ergebnis nach Durchführung der Maßnahme das gleiche wie bei einer regulären Kapitalerhöhung.
Überschrift, dass es sich um den Grundfall der Erhöhungsmaßnahmen handelt. Vgl. Lütter, in: Kölner Kommentar, Vorb. § 182 Rn. 18. 21 Lutter, in: Kölner Kommentar, Vorb. § 182 Rn. 20 und 21, Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, Vorb. § 182 Rn. 36-38; Hüffer, AktG, § 182 Rn. 2 f. 22 Lutter, in: Kölner Kommentar, Vorb. § 202 Rn. 1; Hüffer, AktG, § 202 Rn. 2; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 202 Rn. 2 und 3; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 29 III 2c S. 906 f; Herrn, Handbuch des Aktienrechts, Rn. 1268. 23 Vgl. allein schon die Monatsfrist für die Einberufung nach § 123 I AktG. 24 Zu den Anforderungen an die Einberufung einer Hauptversammlung vgl. §§ 123, 124,125, 121 AktG. 25 Vgl. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 29 III 2c S. 906 f. Kritisch zu der Möglichkeit einer elektronischen Abstimmung durch die Aktionäre außerhalb der Hauptversammlung Hirte, In Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 19. 26 Lutter, in: Kölner Kommentar, § 182 Rn. 17, 25; Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 182 Rn. 7; Hüffer, AktG, § 185 Rn. 24; Martens, ZIP 1992,1677 (1681). 27 Dies zeigt schon der Umstand, dass der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 III 4 AktG, dessen Ziel gerade die optimale Eigenfinanzierung ist, meist im Rahmen eines genehmigten Kapitals erfolgt. Dazu unten unter C.I.2.
I. Grundlagen des genehmigten Kapitals
27
Das satzungsmäßige Grundkapital der Gesellschaft erhöht sich gegen Einlageleistung der Zeichner; die Gesellschaft erhält weiteres Eigenkapital. Während aber bei der regulären Kapitalerhöhung, entsprechend ihrem Charakter als Satzungsänderung, die Durchführung der Erhöhung ausschließlich im Verantwortungsbereich der Hauptversammlung liegt (§§ 182 Abs. 1, 179 AktG), findet beim genehmigten Kapital eine Kompetenzübertragung auf den Vorstand statt. 28 Zwar beschließt auch im Fall des genehmigten Kapitals die Hauptversammlung über die Kapitalerhöhung (§ 202 Abs. 1 und 2 AktG). 2 9 Dieser Beschluss bringt i m Vergleich zur ordentlichen Kapitalerhöhung nur den generellen Willen der Hauptversammlung zur Kapitalerhöhung zum Ausdruck. Ausführendes Organ der Kapitalerhöhung und aller damit verbundener Entscheidungen ist dann der Vorstand der Gesellschaft. Dieser entscheidet dann endgültig über die Durchführung der Kapitalmaßnahme. Der Beschluss der Hauptversammlung überlässt dem Vorstand aber nicht nur, ob die Kapitalerhöhung überhaupt durchgeführt wird 3 0 , sondern auch in welchem Umfang und zu welchen konkreten Bedingungen das genehmigte Kapital ausgenutzt wird. Der Inhalt des genehmigten Kapitals besteht damit in der Übertragung von elementaren Befugnissen der Hauptversammlung auf den Vorstand. Gleichzeitig mit dieser „Funktionserhöhung" 31 mindert sich die Grundsatzzuständigkeit der Hauptversammlung. Nach dem Beschluss durch die Hauptversammlung liegt die Verantwortung ausschließlich beim Vorstand. Die Verantwortung des Vorstandes unterliegt dann aber der Kontrolle durch den Aufsichtsrat der Gesellschaft. 32
28 Vgl. Lutter , in: Kölner Kommentar, Vorb. § 202 Rn. 2; Herrn, Handbuch des Aktienrechts, Rn. 1269; Hüffer , AktG, § 202 Rn. 2; Hirte , in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 20: ,3eim genehmigten Kapital handelt es sich um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Satzungsänderungen nicht auf Vorrat beschlossen werden können und ihre Auswirkung nicht vom Vorstand zurückgehalten werden kann." 29 Nach § 202 I AktG ist diese Entscheidung der Gesellschafter auch schon in der ursprünglichen Satzung möglich. Wesentliche Unterschiede ergeben sich aus dieser Möglichkeit nicht. 30
So die ganz h.M. vgl. Lutter , in: Kölner Kommentar, § 202 Rn. 2; Hüffer , AktG, §202 Rn. 6; HefermehüBungeroth, in: Geßler/Hefermehl, §202 Rn. 1. A. A. alleine Venrooy , AG 1981, 205 (210), der eine Pflicht zur Ausnutzung der Ermächtigung annimmt. 31 32
So Lutter , in: Kölner Kommentar, Vor. § 202 Rn. 3. Vgl. §§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204 Abs. 1 -Satz 2 Halbs. 1, 205 Abs. 2 Satz 2 AktG.
28
B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
Als Ergebnis dieser Kompetenzübertragung ist es der Gesellschaft nunmehr möglich, i m bestmöglichen Zeitpunkt schnell und flexibel zu handeln und benötigtes Eigenkapital günstig zu beschaffen, denn zur Durchführung der Kapitalmaßnahme genügt nun nur noch der Beschluss des Vorstandes nach §§ 76 ff AktG und die Zustimmung des Aufsichtsrats. Folge der Qualifikation der wichtigsten Fragen der Kapitalerhöhungsentscheidung als Geschäftsführungsmaßnahme ist aber auch, dass der Vorstand und der Aufsichtsrat, wegen der nach §§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1, 205 Abs. 2 Satz 2 AktG notwendigen Zustimmung bei Ausübung der Ermächtigung, eine erhöhte Verantwortung tragen und sie der Gesellschaft und den Aktionären gegenüber auch in größerem Umfang für die Folgen verantwortlich sind. 33 Denn die Durchführung der Kapitalerhöhung ist nun eine Maßnahme der Geschäftsführung und unterfällt dem Sorgfaltsmaßstab der §§93 Abs. 2, 116 AktG. 3 4 Für die Aktionäre bedeutet diese Kompetenzübertragung andererseits, dass sich die Mehrheits-/Minderheitskonflikte aus der Hauptversammlung nunmehr auf die Ebene eines Konfliktes zwischen dem einzelnen Aktionär und der Verwaltung verlagern. Dies gilt ebenso für den Rechtsschutz der Aktionäre. A n Stelle der Anfechtungsklage gegen einen Hauptversammlungsbeschluss bedarf es anderer Kontrollmöglichkeiten, um die Entscheidung der Verwaltung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu können.
3. Verfahren Das Verfahren des genehmigten Kapitals gliedert sich in drei Phasen: a) die Schaffung des genehmigten Kapitals, b) die Ausnutzung durch den Vorstand und c) die eigentliche Durchführung der Kapitalerhöhung. 35
a) Schaffung des genehmigten Kapitals Die Ermächtigung zur Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital kann schon zum Inhalt der Gründungssatzung gemacht werden oder nachträglich durch Satzungsänderung von der Hauptversammlung beschlossen werden 33
Vgl. Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 21. Lutter, in: Kölner Kommentar, § 182 Rn. 3 und § 202 Rn. 2. Zu der Frage, welche konkreten Folgen diese erhöhte Verantwortung nach sich zieht vgl. unten unter D. 34
35
So auch die Gliederung von Hüffer, AktG, § 202 Rn. 1 und 3; Lutter, in: Kölner Kommentar, Vorb. § 202 Rn. 2, 3, 4; Herrn, Handbuch des Aktienrechts, Rn. 1269, 1270, 1271. Abweichend Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 22-37, der die Entscheidung der Verwaltung und die Durchführung zusammenfasst.
I. Grundlagen des genehmigten Kapitals
29
(§ 202 Abs. 1 und 2 AktG). Im letzteren Fall ist die Satzungsänderung zur Eintragung i m Handelsregister anzumelden (§181 Abs. 1 AktG). Erst mit deren Eintragung wird die Änderung wirksam (§181 Abs. 3 AktG) und der Vorstand kann davon Gebrauch machen.36 Für die Satzungsänderung gilt das normale Verfahren gem. §§ 179 ff AktG. Erfolgt die Ermächtigung schon in der ursprünglichen Satzung, so bildet sie einen Bestandteil dieser Satzung und muss als solche von den Gründern in notarieller Form festgestellt werden (§§ 23, 28 AktG). 3 7 Sie ist auch mit dieser zusammen einzutragen (§ 39 Abs. 2 AktG) und wird auch zusammen mit dieser bekannt gemacht (§ 40 AktG).
b) Entscheidung des Vorstandes Aufgrund dieser Ermächtigung kann nunmehr der Vorstand beschließen, neue Aktien gegen Leistung der Einlage auszugeben. Sofern nicht bereits die Hauptversammlung bestimmte Vorgaben beschlossen hat, umfasst die Entscheidungskompetenz des Vorstandes weitere Details wie den Inhalt der Aktienrechte, der Bedingungen der Aktienausgabe, und soweit von der Ermächtigimg auch umfasst, die Entscheidung über einen Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (§§ 203 Abs. 2, 204 Abs. 1 und 2 AktG). 3 8 Die Entscheidung ist eine Angelegenheit der Geschäftsführung und unterliegt damit den Vorgaben des § 77 AktG. 3 9 Nach § 202 Abs. 3 Satz 2 AktG sollen die neuen Aktien nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats ausgegeben werden. Unter Ausgabe der Aktien ist nicht 36
Vgl. Hüffer, AktG, § 202 Rn. 3; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 202 Rn. 7. Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 202 Rn. 7. 38 Der Vorstand hat ebenfalls die Vorgaben von Gesetz und Satzung zu beachten, die auch die Hauptversammlung bei einer regulären Kapitalerhöhung binden: Mindestnennbetrag von einem Euro bzw. bei Stückaktien darf der entsprechende Wert nicht unter einem Euro liegen (§ 8 I, II AktG), die Ausgabe von Inhaberaktien darf nur nach Volleinzahlung erfolgen, beschränkte Anzahl von Aktien mit Entsendungsrecht (§ 101 II AktG) und von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§ 138 II AktG), Verbot der unter Pari Emission, Gebot der sofortigen Fälligkeit bei Sacheinlage. 37
39 Soweit ein mehrgliedriger Vorstand besteht und die Satzung keine abweichenden Regelungen trifft (§ 77 I 2 AktG), ist ein einstimmiger Beschluss notwendig, dazu Hüffer, AktG, § 77 Rn. 2; Meyer/Landrat, in: Großkommentar zum AktG 3, § 72 Rn. 2 und 5. Insbesondere entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Beschluss ist weder eintragungspflichtig noch eintragungsfähig. Die Hauptversammlung kann den Vorstand hinsichtlich der Ausübung auch nicht binden und dieser kann das Kapital auch in Tranchen ausnutzen. So die ganz h.M. vgl. Hüffer, AktG, § 202 Rn. 20; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 202 Rn. 14 und 15, Lutter, in: Kölner Kommentar, § 203 Rn. 5; Krieger, in: MüHandbuch des GftR, § 58 Rn. 24.
30
B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
die tatsächliche Ausgabe der Aktienurkunden gem. § 191 AktG gemeint, sondern der Beschluss des Vorstandes über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals. 40 Die Zustimmungspflicht gilt ebenfalls für die Festsetzungen des Vorstandes nach § 204 Abs. 1 AktG (§ 204 Abs. 1 Satz 2 AktG). 41
c) Durchführung Für die weitere Durchführung verweist § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG auf die §§ 185 bis 191 AktG und damit auf das Verfahren bei regulärer Kapitalerhöhung. An die Stelle des Erhöhungsbeschlusses der Hauptversammlung tritt hier jedoch nach § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG die Ermächtigung zur Ausgabe der neuen Aktien. Das Gesetz überträgt damit nicht den Beschluss der Hauptversammlung über die Ermächtigung des Vorstandes auf den regulären Erhöhungsbeschluss, sondern geht allgemein von der Ermächtigung aus. Dies hat zur Folge, dass diese im Falle der Satzungsänderung wirksam eingetragen sein muss (§§ 39 Abs. 2,41 Abs. 1 Satz 1, 181 Abs. 3 A k t G ) 4 2 Der Verfahrensablauf lässt sich damit wie folgt darstellen: •
Ermächtigung des Vorstandes in der ursprünglichen oder geänderten Satzung (§ 202 Abs. 1 und 2 AktG).
•
Im Falle der nachträglichen Satzungsänderung (§ 202 Abs. 2 AktG), Anmeldung und Eintragung der Satzungsänderung im Handelsregister (§§202 Abs. 2,181 AktG).
40 Hüffer, AktG, § 202 Rn. 21; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 202 Rn. 23; Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 167; Krieger, in: MüHandbuch des GftR, § 58 Rn. 25. 41
Lutter, in: Kölner Kommentar, § 202 Rn. 23; Krieger, in: MüHandbuch des GftR, § 58 Rn. 25. Femer entscheidet der Aufsichtsrat ebenfalls durch Beschluss, wobei die Zuständigkeit auf einen Aufsichtsratsausschuss übertragen werden kann (Arg. § 107 III AktG). Die Entscheidung des Aufsichtsrats ist einzelfallbezogen, da jeweils die konkreten Umstände mitgeteilt werden müssen, um dem Aufsichtsrat die Entscheidung zu ermöglichen. Hüffer, AktG, § 202 Rn. 21; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 202 Rn. 23; Krieger, in: MüHandbuch des GftR, § 58 Rn. 25. Entsprechend ist eine allgemeine Entscheidung des Aufsichtsrats für die Zukunft nicht möglich, da so die Kontrollfunktion nur unzureichend wahrgenommen würde. Ebenso bedarf es bei der Ausgabe in Tranchen jeweils einer gesonderten Zustimmung. 42
So auch Lutter, in: Kölner Kommentar, § 203 Rn. 4; Krieger, in: MüHandbuch des GftR, § 58 Rn. 4; Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 11; Schlegelberger/Quassowski, AktG 1937, § 170 Rn. 1.
I. Grundlagen des genehmigten Kapitals
31
•
Entschluss des Vorstandes zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals (§§ 203 Abs. 2, 204 Abs. 1 AktG) und hinsichtlich der weiteren Bedingungen der Ausgabe und des Inhaltes der Aktien.
•
Zustimmung des Aufsichtsrates zur Aktienausgabe und den Festlegungen des Vorstandes (§§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204 Abs. 1 Satz 2 AktG).
•
Wird das Bezugsrecht ausgeschlossen, und sieht man einen ergänzenden Bericht entsprechend § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG für notwendig an, bedarf es spätestens hier dieses Berichtes des Vorstandes 43.
•
Abschluss von Zeichnungsverträgen auf förmlichen Zeichnungsscheinen mit Bezugsberechtigten oder Dritten (§§ 203 Abs. 1, 188 Abs. 2 AktG).
•
Leistung der Mindesteinlage (§§ 203 Abs. 1, 188 Abs. 2 AktG).
•
Anmeldung der Durchfuhrung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister mit den notwendigen Versicherungen von Vorstand und dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates (§§ 203 Abs. 1 und 3 Satz 4, 188 Abs. 2, 37 Abs. 1 AktG).
•
Ausgabe der jungen Aktien an die neuen Mitglieder (§§ 203 Abs. 1,191 AktG).
4. Praxis des genehmigten Kapitals und wirtschaftliche Bedeutung Die Bedeutung und das Erscheinungsbild des genehmigten Kapitals haben sich im Laufe der Zeit stark verändert. 44 Nach der Systematik des AktG stellt die Kapitalerhöhung gegen Einlage (§§ 182 ff AktG) den Grundfall der Zufuhrung neuer Eigenmittel dar. In der Praxis ist dagegen das genehmigte Kapital das häufigste Verfahren der Kapitalerhöhung. 45 Dabei erfolgte die Ermächti43 44
Dazu ausführlich unten unter G.III.2.
Allgemein zur praktischen Bedeutung vgl. Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 87 ff; Roth, ZBB 2001,50 ff, Commerzbank, Rund um die Börse 1998. 45 Dazu auch Ekkenga, AG 2001, 567 (568); Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (555); ders., ZHR 164 (2000), 113 (114); Hirte, ZIP 1994, 356 (361), Martens; ZIP 1992, 1677 (1681): „Der Normalfall einer Kapitalerhöhung ist das genehmigte Kapital". So verfügten im Jahre 1984 von den damals 437 börsennotierten Gesellschaften lediglich 98 Gesellschaften über ein genehmigtes Kapital, was einer Quote von 22,43 % entspricht. Die höchste Quote stellte der Bankensektor (19 von 32 Gesellschaften, was einer Quote von 59,38 % entspricht), die niedrigste Quote die Versicherungswirtschaft (2 von 25 Gesellschaften, was einer Quote von 8 % entspricht). Im Jahre 1998 verfugten dagegen schon von nunmehr 526 börsennotierten Gesellschaften 336 über ein genehmigtes Kapital, was
32
B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
gung regelmäßig auch unter Ausschluss des Bezugsrechts oder mit Ermächtigung des Vorstandes hierzu. 46 Aber auch inhaltlich hat sich die Bedeutung des genehmigten Kapitals verändert. Dies sowohl was die Gesellschaftsgröße angeht, als auch den Zweck, der mit dem genehmigten Kapital verfolgt wird. War das genehmigte Kapital vor wenigen Jahren vor allem ein Finanzierungsmittel der großen Aktiengesellschaften, so ist dies heutzutage nicht mehr der Fall. Die Möglichkeit des genehmigten Kapitals wird unabhängig von der Größe relativ gleichmäßig genutzt. 47 Während früher die Praxis vom genehmigten Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts meist nur bei Barkapitalerhöhungen zum Ausgleich von Spitzenbeträgen 48 sowie für Optionsscheine und Wandelschuldverschreibungen Gebrauch gemacht hat 49 , ist das neu geschaffene Kapital I I 5 0 von vorneherein auf den Bezugsrechtsausschluss angelegt. Als Zwecke des genehmigten Kapitals werden in der Praxis folgende Fälle genannt: Sanierung eines Unternehmens unter Gewinnung eines entscheidenden Investors, Ausgabe von Belegschaftsaktien, Einführung der Aktie an ausländischen Börsen, Erwerb von Beteiligungen gegen Hingabe von Aktien, Konzernbildung und Ermöglichung von gekreuzten Bezugsrechten. 51 Seit dem Siemens/Nold-Urteil des BGH 5 2 ist die Nutzung des genehmigten Kapitals mit Ausschluss des Bezugsrechts nochmals angestiegen und die Tendenz zur Aufspaltung in ein genehmigtes Kapital I und I I rückläufig. 53 einer Quote von 63,88 % entspricht. Der Berechnung liegen die Angaben in Commerzbank, Rund um die Börse 1984, S. 56 ff und bei Roth, ZBB 2001, 50 ff zugrunde. Berücksichtigt sind nur Gesellschaften, soweit der Anteilsbesitz in festen Händen nicht 95 % erreicht. 46
Vgl. Hirte, Bezugsrechtsausschluss S. 2 und Timm, DB 1982, 211 (Fn.3).
47
Vgl. dazu den Nachweis bei Roth, ZBB 2001, 50 (53 f). Lediglich Gesellschaften mit einem Grundkapital unter der 5 Mio. €-Grenze verzeichnen mit 37,0% eine deutlich geringere Nutzungsquote als Gesellschaften mit einer höheren Grundkapitalziffer. Hier liegt der Durchschnitt der einzelnen Gruppen in einer Bandbreite von 57,8% bis 75%. Diese Quote steigt für Gesellschaften mit einer Grundkapitalziffer oberhalb von 250 Mio. DM auf 90% an. 48 Damit soll bei der Zuteilung von Aktien an die bezugsberechtigten Altaktionäre ein praktikables Bezugsverhältnis ermöglicht werden. 49 Vgl. Heinsius, FS Kellermann, S. 115 (116). In der Praxis wird zur Bedienung der Stock-Options-Programme eher auf ein bedingtes Kapital gem. §§ 192 ff AktG zurückgegriffen, vgl. etwa in neuerer Zeit Einem/Götz, AG 2002, 72 (73). Ausführlich dazu auch Roschmann/Erwe, in: Harrer, S. 43 ff. 50
Die Praxis ist nach der Holzmann-Rechtsprechung (BGHZ 83, 319) zur Minimierung des Anfechtungsrisikos dazu übergegangen, ein genehmigtes Kapital I mit Bezugsrecht der Aktionäre und ein genehmigtes Kapital II mit Bezugsrechtsausschluss zu schaffen. Vgl. dazu Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 153.
II. Entscheidungszuständigkeit
33
II. Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung und des Vorstands 1. Grundsatz Der Aktiengesellschaft stehen grundsätzlich zwei Wege zur Finanzierung der Geschäftstätigkeit zur Verfügung. Einerseits die Durchfuhrung einer Eigenfinanzierung durch Aufnahme von Gesellschafterkapital und andererseits sonstige Fremdfmanzierungsmaßnahmen wie etwa die Aufnahme von Kreditmitteln. Die Entscheidungszuständigkeit für diese beiden Finanzierungsmöglichkeiten differiert: Die Eigenfinanzierung durch Aufnahme neuen Gesellschafterkapitals ist, anders als die Fremdfinanzierung, nur durch eine Entscheidung möglich, die der Gesetzgeber als so weitreichend angesehen hat, dass er sie nicht von vorneherein dem Vorstand als dem grundsätzlich verantwortlichen Geschäftsführungsorgan überlassen hat (§119 Abs. 1 Nr. 6 AktG). 5 4 Erforderlich ist vielmehr ein satzungsändernder Gesellschafterbeschluss über die Erhöhung des Grundkapitals der Gesellschaft, oder, für den Fall des genehmigten Kapitals, ein entsprechender Ermächtigungsbeschluss (§§ 182 Abs. 1 AktG, 202 Abs. 2 AktG). 5 5 Fremdfmanzierungsmaßnahmen sind dagegen grundsätzlich eine Angelegenheit der Geschäftsführung durch den Vorstand, ebenso wie die anschließende Mittelverwendung. Eine Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung ist prinzipiell nicht vorgesehen. 56
51 52
Vgl. dazu Heinsius, FS Kellermann, S.l 16. BGH, NJW 1997, 2815.
53
Als Beispiel dafür mag die Metro AG dienen, die allein aufgrund der Pressemitteilung des BGH über das Siemens/Nold-Urteil zu einer außerordentlichen Hauptversammlung mit der Zielsetzung eines Beschlusses über ein erhebliches genehmigtes Kapital mit Ausschluss des Bezugsrechts einlud. Dazu Lutter, JZ 1998, 50 (52); Vollhard, AG 1998, 397 (404); Bungert, NJW 1998, 488 (491). Ebenso aber auch die Ausnutzung des genehmigten Kapitals im Falle der Commerzbank AG, vgl. dazu LG Frankfurt, ZIP 2001, 117 (118) und Meilicke/Heidel, DB 2000, 2358 (2359). 54 Dass mit § 119 I Nr. 6 AktG nicht auch die Fremdkapitalbeschaffung gemeint ist, ergibt sich aus dem Vergleich mit der Überschrift der §§182 ff AktG, vgl. auch Hüffer, AktG, § 119 Rn. 6. 55
Hüffer, Rn. 102 ff. 56
AktG, § 182 Rn. 6 f; Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 179
Eine Ausnahme hiervon besteht für den Fall der Nachgründung gemäß § 52 I AktG und der Sacheinlage, §§ 27 I 1, 183 I AktG, wenn ein Investitionsgut im Wege der Kapitalerhöhung angeschafft werden soll sowie für Wandel- und Gewinnschuldverschrei-
34
B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
Unklar ist dagegen die Situation für den Fall, dass mit der Mittelverwendung primär nicht der Zweck der Unternehmensfinanzierung verfolgt wird, sondern über die Veränderung der Kapitalstruktur versucht werden soll, Einfluss auf die Beteiligungsverhältnisse unter den Gesellschaftern zu nehmen. 57
2. Genehmigtes Kapital Wie bereits oben ausgeführt, ist das genehmigte Kapital durch die Übertragung von Kompetenzen geprägt, die grundsätzlich der Hauptversammlung zustehen. Dabei besteht die Kompetenzübertragung hauptsächlich aus zwei Komponenten. Einerseits erhält der Vorstand die Möglichkeit, über den Inhalt der Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe zu entscheiden (§§ 204, 205 AktG) 5 8 und andererseits zusammen mit der Kapitalerhöhung auch über den Ausschluss des Bezugsrechts zu befinden (§§ 202, 203 Abs. 2, 186 Abs. 3 AktG).
a) Rechtliche Grundlagen der Kompetenzverteilung und Autonomiebereich des Vorstandes Nach der grundsätzlichen Verfassung der Aktiengesellschaft obliegt dem Vorstand die eigenverantwortliche Leitung der Gesellschaft (§§ 76 Abs. 1, 82 Abs. 2 AktG). Er ist dabei nicht an Weisungen der Gesellschafter oder anderer Organe der Gesellschaft gebunden. Ihm steht dabei, i m Rahmen der Bestimmungen der Gesetze und der Satzung ein eigenes originäres unternehmerisches Ermessen und somit ein Autonomiebereich zur Erfüllung dieser Funktion zu 5 9 . bungen sowie Genußrechte (§ 221 AktG), da hier ähnlich wie bei einer Kapitalerhöhung die Mitgliedsrechte der Aktionäre betroffen sein können. 57
Hier sprechen erhebliche Punkte gegen eine uneingeschränkte Befugnis des Vorstandes im Rahmen der Mittel Verwendung. So gewährt etwa das Gesetz selbst der Hauptversammlung die Befugnis, bestimmte Personen privilegiert in die Gesellschaft aufzunehmen. So etwa § 192 II AktG für die Aufnahme von Arbeitnehmern oder von leitendem Personal, oder zur Vorbereitung eines Zusammenschlusses. Vgl. Hüffer, AktG, § 192 Rn. 14; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 192 Rn. 12. Ebenso sieht § 33 II, III WpÜG nur die Befugnis der Hauptversammlung vor, Maßnahmen gegen den Eintritt von bestimmten Personen in den Gesellschafterkreis zu erwirken. Dazu etwa Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33 Rn. 24 ff. 58 Die Durchführung der Kapitalerhöhung an sich ist grundsätzlich neutral für die Aktionäre, vgl. etwa dazu die überzeugende Begründung bei Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 217 ff. 59
Allgem. Meinung, vgl. Hüffer, tar, § 76 Rn. 42, jeweils m.w.N.
AktG, § 76 Rn. 10; Mertens, in: Kölner Kommen-
II. Entscheidungszuständigkeit
35
Mit diesem originären unternehmerischen Ermessen korrespondiert eine eingeschränkte Kontrollmöglichkeit. 60 A u f die Entscheidungen des Vorstandes, die er aufgrund der Ermächtigung der Hauptversammlung i m Rahmen des genehmigten Kapitals trifft, sind diese allgemeinen Grundsätze der Geschäftsführung und des Ermessensspielraums nicht uneingeschränkt anzuwenden, da die Kompetenz des Vorstandes, die ihm aufgrund einer Delegation zukommt, nicht weiter reichen kann, als die Kompetenz des übertragenden Organs, hier also der Hauptversammlung. 61 Es besteht damit für das genehmigte Kapital, anders als für die Wahrnehmung originärer Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben durch den Vorstand, kein grundsätzlich festgelegter Autonomiebereich, der keiner umfassenden inhaltlichen Kontrolle unterliegt. Von diesem Autonomiebereich, der für das genehmigte Kapital nicht besteht, ist aber eine Art ,Ausübungsbefugnis" 62 des Vorstandes zu trennen. Durch die Ermächtigung des Vorstandes erlangt dieser die Befugnis, hiervon auch Gebrauch zu machen und dabei den Rahmen der Ermächtigung auch auszuschöpfen. Der Vorstand muss grundsätzlich nicht bei der Hauptversammlung rückfragen, ob er die Ermächtigung i m konkreten Zeitpunkt und zu den vorgegebenen Bedingungen ausnutzen darf. Für das genehmigte Kapital gilt damit folgende grundsätzliche Kompetenzverteilung: Dem Vorstand obliegt nach entsprechender Ermächtigung durch die Hauptversammlung die eigenverantwortliche Entscheidung über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals. Dabei handelt es sich zwar um eine Geschäftsführungsmaßnahme, die Grundsätze des unternehmerischen Ermessens reduzieren sich aber auf den oben genannten Autonomiebereich. Ferner unterliegt die Ausgabe der neuen Aktien (§ 203 Abs. 1 AktG) und damit die Ausübung der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung den identischen Beschränkungen und inhaltlichen Rechtmäßigkeitsanforderungen, wie sie das Gesetz und die Rechtsprechimg für den Fall der regulären Kapitalerhöhung i.S.d. §§ 182 f f AktG vorsieht. 63 Die Kompetenzübertragung auf den Vorstand kann nur insoweit erfolgen, als sie 60 Grundlegend dazu etwa Würdinger, Rn. 10 ff.
AktienR, S. 122 f und Hüffer,
AktG, § 76
61
So wohl auch die überwiegende Meinung in der Literatur, vgl. Kindler, ZGR 1998, 35 (49 f); Bayer, ZHR 163 (1999), 505 (539); Semler, BB 1983,1566 (1568). 62
So in diesem Zusammenhang auch Ekkenga, AG 2001, 567 (569). Dies ist eine der zentralen Aussagen der Holzmann-Entscheidung des BGH, (BGHZ 83, 319), ausführlich dazu unten unter C.III.2.b). Zu der umstrittenen und nach der hier vertretenen Ansicht abzulehnenden Frage, ob die Siemens/Nold-Entscheidung des BGH diesen Grundsatz abgeändert hat und ob dies überhaupt angebracht wäre, ebenso unten unter C.IV. 1. 63
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B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
auch der Hauptversammlung zusteht. Eine Erweiterung der Kompetenzen durch Übertragung auf den Vorstand ist ausgeschlossen. Die Begründung und der Umfang der Ausübungsbefugnis beruhen nicht auf der gesetzlich bestimmten Regelung, sondern ausschließlich auf der Ermächtigungsentscheidung der Hauptversammlung. Das Gesetz begrenzt lediglich den Umfang der möglichen Kompetenzübertragung, begründet ihn aber nicht. Dies gilt nicht für die Bedingungen der Aktienausgabe und den Inhalt der Aktien (§ 204 Abs. 1 AktG). A u f diesem Gebiet besteht eine grundsätzliche Kompetenz des Vorstandes, die insoweit verdrängt wird, als die Hauptversammlung selbst eine konkrete Entscheidung in dem einzelnen Punkt trifft. Genau entgegengesetzt entscheidet das Gesetz für den Ausschluss des Bezugsrechtes. Diese Kompetenz steht dem Vorstand nur dann zu, wenn die Hauptversammlung eine ausdrückliche Entscheidung hierüber trifft. Eine konkludente Kompetenzübertragung ist ausgeschlossen.64 Der oben bereits erwähnte organisationsrechtliche Schutz der Ausübungsbefugnis durch den Vorstand ist gesetzlich nicht vorgegeben, sondern ergibt sich vorrangig aus dem Umfang der Ermächtigimg. Soweit diese besteht und nicht durch einen „actus contrarius", sprich einen weiteren Hauptversammlungsbeschluss aufgehoben oder geändert wurde, ist der Vorstand an eine weitere, über die Ermächtigimg hinausgehende Zustimmung durch die Hauptversammlung nicht gebunden.65 Eine Frage die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob nicht doch durch spätere Umstände eine erneute Befassimg der Hauptversammlung mit der Angelegenheit nach den Grundsätzen der Holzmüller-Doktrin notwendig werden kann. 66
b) Praktische Gründe für die Kompetenzübertragung Für die Kompetenzübertragung sprechen ferner praktische Gründe. Entscheidungsvorgaben der Aktionäre in der Hauptversammlung in Bezug auf die Kapitalerhöhung sind für das genehmigte Kapital finanzpolitisch nicht sinnvoll, 64
Zweifelhaft ist deshalb die Ansicht von Lutter, in: Kölner Kommentar, § 203 Rn. 12, der eine konkludente Ermächtigung z.B. bei Sacheinlage und eindeutigem Auslegungsergebnis annimmt. Dies insbesondere, da das Gesetz eine ausdrückliche Ankündigung des Beschlusses verlangt (§ 189IV 1 AktG). 65 Eine Beschränkung besteht allerdings durch die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates (§§ 204 I 2, 203 III 2 AktG). Diese ist aber unabhängig von der Form des genehmigten Kapitals und stellt eine auch bei der sonstigen Geschäftsführung zu beachtende Kontrolle dar. 66
Dazu unten unter D.II.
III. Organisationsstruktur und Interessenhrung
37
da nur der Vorstand als das geschäftsführende Organ der Gesellschaft praktisch in der Lage ist, auf Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds, insbesondere auf die Veränderungen des Kapitalmarktes, schnell und flexibel zu reagieren, dies insbesondere auch unter Berücksichtigimg der maximalen gesetzlichen Laufzeit eines genehmigten Kapitals von 5 Jahren (§ 202 Abs. 1 und 2 AktG), in welcher der Vorstand an die starren Vorgaben der HV gebunden wäre. 67 Soweit i m Rahmen des genehmigten Kapitals eine Sacheinlage vom Vorstand vorgesehen ist, kommt hinzu, dass diese Entscheidung auch im engen Zusammenhang mit der Investitionspolitik des Vorstands steht. Ein weiterer Punkt, der aus praktischen Gesichtspunkten heraus für eine Kompetenzübertragung herangezogen wird, ist der Umstand, dass die Einbeziehung der Hauptversammlung naturgemäß die Gefahr mit sich bringt, dass einzelne Aktionäre ihr gesetzliches Anfechtungsrecht (missbräuchlich) nutzen und die Maßnahme als solches blockieren. 68 Die Stichhaltigkeit dieses Arguments ist zweifelhaft, da erstens nicht jede Anfechtung missbräuchlich ist und weiter nicht von der ungewünschten Folge einer Anfechtungsklage auf den Umfang der Kompetenzverteilung geschlossen werden kann.
m . Organisationsstruktur als Ausgangspunkt für die Interessenwahrung der Aktionäre 1. Allgemeine Regelungsziele einer Kompetenzordnung Betrachtet man die Kompetenzordnung der Aktiengesellschaft im Sinne einer Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an die einzelnen Organe der Gesellschaft, so kann diese Kompetenzordnung Wirkung in zweierlei Richtungen haben. Einerseits bedeutet die Kompetenzordnung die Erweiterung, andererseits aber auch die Begrenzung der übertragenen Aufgaben und Befugnisse. Sie dient der Unterbindung von Kompetenzüberschreitungen 69. Diese Kompetenzüberschreitungen können zum einen darauf beruhen, dass ein Organ der Gesellschaft eine Entscheidung trifft und ausführt, für die ein anderes Organ zuständig ist. Die inhaltliche Rechtfertigung der Entscheidung steht dabei außen vor, so dass auch bei einer inhaltlich nicht zu beanstandenden Maßnahme 67 So die übereinstimmende Ansicht des BGH (BGHZ 83, 319 (=Holzmann), NJW 1997, 2815 (=Siemens-Nold)) und der Literatur, vgl. etwa Martens, ZIP 1992, 1677 (1678 ff); Volhard, AG 1998, 397 (398). 68
So die Argumentation eines Teils der Literatur, vgl. etwa Heinsius, FS Kellermann, 115 (120); ders., WuB II A, §186 AktG 4.93, S. 1171 f und Martens, ZIP 1992, 1677. Zu dieser Argumentationsschiene vgl. auch unten unter C.III.4.c). 69
Ekkenga, AG 2001, 567 (570) spricht deshalb auch von der „prohibitiven" Wirkung der Kompetenzordnung.
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B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
eine Kompetenzüberschreitung vorliegt. Betroffen ist die interne Organisationsstruktur der Gesellschaft. Im Außenverhältnis ist die Kompetenzüberschreitung dagegen grundsätzlich nicht erkennbar. Für das genehmigte Kapital können solche Kompetenzüberschreitungen insoweit vorkommen, als der Vorstand seine grundsätzliche gesetzliche Kompetenz oder die aufgrund der Ermächtigungsentscheidung übertragene, ursprünglich der Hauptversammlung zustehende Kompetenz verletzt. Ferner ist eine Kompetenzüberschreitung insoweit möglich, als das Organisationsrecht die betreffende Maßnahme inhaltlich missbilligt. Die Verletzung der Kompetenzzuweisung betrifft dann auch das Außenverhältnis der Gesellschaft, insoweit als gesellschaftsfremde Dritte in die Einhaltung bestimmter normativer Standards vertrauen durften 70 Neben dieser Begrenzungsfunktion folgt andererseits aus der Kompetenzordnung auch ein positiver Aspekt. Demjenigen Organ der Gesellschaft, dem eine bestimmte Kompetenz nach dem Gesetz oder aufgrund einer zulässigen Kompetenzübertragung zukommt, kommt dann ebenso die Pflicht zu, diese Kompetenz auch in eigener Verantwortung wahrzunehmen. 71 Für das genehmigte Kapital bedeutet diese positive Komponente der Kompetenzordnung, dass der Vorstand bei Ausnutzung der Ermächtigung etwa die Bestimmung der konkreten Bedingungen der Aktienausgabe oder der Aktieninhalte nicht vollständig einem gesellschaftsfremden Dritten, wie etwa einer Emissionsbank, überlassen kann. 72
2. Mögliche Zweckbestimmungen der Kompetenzordnung Nimmt man die oben dargestellte Differenzierung für die Regelungsziele einer Kompetenzordnung (Schutz vor Kompetenzüberschreitungen und vor Kompetenzvernachlässigung), so stehen diese Begriffe vorerst isoliert von einer 70
Diese inhaltlichen normativen Standards sind für die Aktiengesellschaft als Publikumsgesellschaft und Teilnehmerin am Kapitalmarkt besonders stark ausgeprägt. Zu nennen ist etwa der Grundsatz der Satzungsstrenge, § 23 V AktG, die kapitalmarktrechtlichen Anforderungen (etwa die Vorschriften des BörsG und des WpHG) und mitbestimmungsrechtliche Vorschriften. 71 Hiermit ist nicht automatisch eine Ausnutzungsverpflichtung gemeint, in dem Sinne, dass für das genehmigte Kapital eine Verpflichtung des Vorstandes bestehen würde, dieses dann auch auszunutzen. Nach richtiger Ansicht besteht eine solche konkrete Pflicht des Vorstandes gerade nicht, vgl. Hüffer, AktG, § 203 Rn. 33; Kindler, ZGR 1998, 35 (51 ff). Vielmehr besteht nur die Verpflichtung, die Kompetenzen zu erkennen und pflichtgemäß über die Ausnutzung zu entscheiden. 72
Zu diesem Problemkomplex vgl. Technau, AG 1998,445 (450).
III. Organisationsstruktur und Interessenhrung
39
weiteren konkreten inhaltlichen Zweckbestimmung. Es bedarf daher zur Konkretisierung der Frage, wann eine Kompetenzüberschreitung oder Kompetenzvernachlässigung vorliegt, der weiteren Ausfüllung dieser Begriffe mit den maßgeblichen inhaltlichen Abgrenzungskriterien. Als Abgrenzungskriterien für das Aktienrecht kommen hierfür allgemein folgende Kriterien in Betracht: •
Verbands- und Gesellschaftsinteresse: Als inhaltliche Zweckbestimmung einer Kompetenzordnung für das genehmigte Kapital ist als erstes das Verbands- und Gesellschaftsinteresse zu nennen. Dieses besteht grundsätzlich drin, dass die zur Entscheidung bestimmten Organe ihre durch die Kompetenzordnung begründeten Befugnisse entsprechend dem Verbandszweck wahrnehmen. Dabei ist zu beachten, dass der bei Gründung der Gesellschaft in der Satzung festgelegte Verbandszweck nicht mehr unbedingt mit dem nunmehr bestehenden Willen der Gesellschaftermehrheit übereinstimmen muss. Die Bestimmung des Verbandszwecks erfolgt vielmehr anhand einer „übergeordneten Zweckbetrachtung", die losgelöst vom aktuellen Meinungsbild der Gesellschafter besteht.73
•
Gesellschafterinteresse: Vom Gesellschaftsinteresse ist grundsätzlich das Gesellschafterinteresse am Erhalt der mitgliedschaftlichen Beteiligung zu trennen. In Teilbereichen besteht allerdings eine Kongruenz der Interessenlage, in anderen Teilbereichen bestehen erhebliche Abweichungen.
•
74
Anlegerinteresse: Neben dem noch ausführlich zu behandelnden Gesellschafterinteresse besteht weiter das Anlegerinteresse, welches Bestandteil der Zweckbestimmung der Kompetenzordnung sein kann. Schutzadressaten sind die am Erwerb der Aktie interessierten Teilnehmer am Kapitalmarkt oder Kapitalanleger, die bereits Anteile an der Gesellschaft halten. Das Anlegerinteresse berührt jedoch nicht das Verbandsmitglied in seiner umfassenden Rechtsstellung, sondern in der Funktion als Teil des Anlegepublikums und ist deshalb nur zum Teil kongruent mit dem Gesellschafterinteresse. Die Betonimg der Anlegerinteressen im Rahmen der Kompetenzordnung besteht in der Einhaltung der vereinheitlichten Standards des Kapitalmarkts und der entsprechenden organisationsrechtlichen Regelungen im Gesellschaftsrecht. Die Kompetenzordnung des 73
Vgl. zu den Einzelheiten dieses umstrittenen Punktes des Verbandszweckes: Zöllner, in: Kölner Kommentar, Einl. Rn. 105 ff; Ulmer, ZHR 148 (1984), 391 ff. Als aktuelles Beispiel für diese Abweichung ist etwa die Problemstellung zu nennen, dass ein genehmigtes Kapital nach dem Willen der Hauptversammlung zur Börseneinführung der Gesellschaft genutzt werden soll, die Satzung dies aber ausschließt. Dazu ausführlich Vollmer/Grupp, ZGR 1995, 459 (467 f). 74
Hierzu ausführlich im Anschluss unter B.III.3.
40
B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals genehmigten Kapitals wird hierdurch zum gesellschaftsrechtlichen Gegenstück des funktionellen Anlegerschutzes des Kapitalmarktrechts. 75
•
Gläubigerinteresse: Durch die Haftungsfimktion des Grundkapitals, hier beim genehmigten Kapital, speziell der Erhöhungsbetrag der Kapitalerhöhung, ist auch das Interesse der aktuellen und künftigen Gläubiger der Gesellschaft durch die Kompetenzordnung betroffen. Dies auch in Hinsicht auf das i m Erhöhungsverfahren festgelegte Aufgeld, soweit dies nach außen publiziert wurde.
3. Bezugsrechtsausschluss, Aktionärsinteresse und Kompetenzordnung a) Sonderstellung des Aktionärsinteresses Betrachtet man die Folgen eines Bezugsrechtsausschlusses76 angewendet auf die soeben dargestellten Kriterien, so ergibt sich für das Aktionärsinteresse eine Sonderrolle. Ausgehend vom Gesellschaftsinteresse stellt der Bezugsrechtsausschluss lediglich ein Mittel zu dessen Verwirklichimg dar. Entscheidend ist nicht der Bezugsrechtsausschluss als solcher, sondern die konkrete Kapitalmaßnahme die damit außerhalb des alten Aktionärskreises verwirklicht werden soll. Soweit diese Maßnahme auch auf anderem Weg realisiert werden könnte, besteht kein eigenes isoliertes Interesse an dem Bezugsrechtsausschluss. Ebenso liegt es bei einer Überschreitung der Kompetenzen bei Ausschluss des Bezugsrechtes durch ein Organ der Gesellschaft. Diese Kompetenzüberschreitung berührt nur dann das Gesellschaftsinteresse, wenn hierdurch eine negative Folge für die Gesellschaft als solche eintritt. Der Bezugsrechtsausschluss selbst ist dabei nur von mittelbarem Interesse. Ebenso verhält es sich aus Sicht der Gläubiger der Gesellschaft. Sofern die oben dargestellten Punkte im Rahmen der Kapitalerhöhung eingehalten werden, besteht hinsichtlich des Bezugsrechtsausschlusses selbst kein eigenes Interesse. Teilweise anders verhält es sich aus der Sicht der Kapitalanleger. Sofern man auf den individuellen Kapitalanleger abstellt, nähert sich dessen Interessenlage der der Gesellschafter selbst an. Stellt man aber abstrakt auf die Interessen der Kapitalanleger ab, so hat der Bezugsrechtsausschluss wiederum nur mittelbaren Einfluss. 75
Vgl. zu dieser Unterscheidung, die erst in neuerer Zeit betont wird vgl. etwa Möllers, AG 1999, 433 ff m.w.N. 76
Für die Betrachtung des Einflusses auf die verschiedenen Schutzinteressen ist es unerheblich, in welcher Form der Bezugsrechtsausschluss erfolgt.
III. Organisationsstruktur und Interessen Währung
41
Demgegenüber hebt sich das Aktionärsinteresse von den übrigen oben dargestellten Schutzinteressen der Kompetenzordnung insofern ab, als der Bezugsrechtsausschluss in das Mitgliedschaftsrecht einzelner Aktionäre eingreifen kann. Diese Aktionäre werden hierdurch nicht in ihrer Stellung als Aktionärsgesamtheit, sondern in ihrer Eigenschaft als individueller Rechtsträger nachteilig betroffen. 77 Dies rechtfertigt u.U. eine richterliche Überprüfung des Organhandelns auf seine inhaltliche Angemessenheit.78 Dabei ist die Überprüfung des Aktionärsinteresses durch eine inhaltliche Angemessenheitskontrolle nicht nur als eine Verschärfung im Vergleich zu den abstrakten und festen gesetzlichen Maßstäben des Anleger-, Gläubigerschutzes oder des Gesellschafts- und Satzimgszwecks zu sehen, sondern auch als eine Aufweichung des Aktionärsinteresses zu Gunsten eines übergeordneten Interesses des Verbandes. 79 Während ein Verstoß gegen diese festen, abstrakten Grenzen immer und ohne zusätzliche Anforderungen zur Rechtswidrigkeit führt, kann der Eingriff in das Aktionärsinteresse i m Einzelfall durch einen „sachlichen Grund", der im Gesellschaftsinteresse liegt, trotz des grundsätzlichen Eingriffscharakters gerechtfertigt sein.
b) Aktionärsinteressen im konkreten Fall des Bezugsrechtsausschlusses Wird i m Rahmen einer Kapitalerhöhung das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen, stellt sich dies als Eingriff in die Mitgliedschaft des einzelnen Aktionärs dar. 80 Dies verdeutlicht sich, wenn man die Folgen einer Kapitalerhö77 Grundlegend zu diesem Eingriff in die individuelle Rechtsstellung Zöllner, Stimmrechtsmacht, S. 339 ff; ders., AG 2002, 585; Hüffer, AktG, § 243 Rn 21 m.w.N. Zu eng ist dagegen der Versuch, diese individuelle Stellung des Aktionärs zugunsten einer ausschließlichen Orientierung am Gesellschaftszweck aufzugeben. So etwa Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 213 ff, 233 ff oder LG Dresden, ZIP 1995, 1596 (1599). Ausführlich zum Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht im Anschluss unter B.III.3.b). 78
Dazu ausführlich unten unter C.III.
79
Einen Sonderfall bildet hier der Bezugsrechtsausschluss zu Gunsten von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen (sowohl im Rahmen eines bedingten Kapitals § 192 II Ziff. 3 AktG, etwa zur Bedienung von „Stock-Options-Plänen" oder aber auch durch reguläre Ausgabe von Mitarbeiteraktien), da ein übergeordnetes Verbandsinteresse höchstens mittelbar vorliegt. 80
Nach der heutigen Ansicht dient das gesetzliche Bezugsrecht dem Schutz des einzelnen Aktionärs vor den Folgen einer Kapitalerhöhung in der Gesellschaft, vgl. nur Lutter, in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 7 m.w.N.; dazu schon RGZ 68, 244 und Priester, DB 1980, 1925 (1927). Dieser Zusammenhang mit der Mitgliedschaftsstellung der Aktionäre wurde unter Berücksichtigung der gesetzlichen Entwicklung erst im Laufe der
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B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
hung ohne Bezugsrecht für den einzelnen Aktionär betrachtet. Dabei ist Ausgangspunkt nicht die Mitgliedschaft als solche, sondern die drei wesentlichen Rechtspositionen, aus denen die Mitgliedschaft der Aktionäre besteht. Dies sind die Vermögensrechte, die Verwaltungsrechte sowie die Kontrollrechte. 81
aa) Schutz der Verwaltungsrechte Die Verwaltungsrechte als Teil der Mitgliedschaft der Aktionäre umfassen die Beteiligungsrechte außerhalb und innerhalb der Hauptversammlung, hier vor allem die Stimm- und Einberufungsrechte sowie die Informationsrechte. Im Rahmen der Verwaltungsrechte ist bei der Kapitalerhöhung vor allem das Stimmrecht der Aktionäre in der Hauptversammlung von Bedeutung. 82 Werden i m Zuge der Kapitalerhöhung neue Aktien ausgegeben, so vermehrt sich damit die Gesamtzahl der Aktien. Nimmt der Altaktionär an der Erhöhung nicht Teil, sinkt seine bisherige Beteiligungsquote (§§12 Abs. 1, 133 f f AktG), welche für das Stimmrecht maßgeblich ist, ab. Es handelt sich dabei um einen relativen Verlust an Stimmrechtsmacht, da zwar nicht der Zählwert, wohl aber der Erfolgswert des auf der Kapitalbeteiligung beruhenden Stimmrechts abnimmt. 83 Zeit erkannt, bei Einführung des § 282 HGB a.F. glaubte man noch, das Bezugsrecht sei allein deshalb erforderlich, um die Kursgewinne aus einer Weiterveräußerung der jungen Aktien allen Aktionären gleichermaßen zukommen zu lassen. Dem Bezugsrecht kam daneben in der Vergangenheit in der Praxis noch eine weitere, vom Gesetz so nicht vorgesehene Funktion zu. Vor allem in den 70iger und 80iger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Bezugsrecht als Mittel der Dividendenanreicherung ausgenutzt, vgl. Claussen, WM 1996, 609 (611); Martens, ZIP 1994, 669 (672). Dabei wurden den Aktionären neben einer gleichbleibenden Dividende die jungen Aktien erheblich unter dem Börsenpreis zum Bezug angeboten und so dem Aktionär noch ein zusätzlicher Vorteil zugewendet. Für dieses Modell der Teilnahme der Aktionäre am Unternehmenserfolg sprach vor allem die heute abgeschaffte Doppelbesteuerung der Dividende. Das Bezugsrecht war somit weniger eine Sicherung der mitgliedschaftlichen Stellung, sondern ein Recht auf Teilhabe am Unternehmenserfolg. Diese Bedeutung ist aber in den letzten Jahren durch die steuerliche Entwicklung zurückgegangen. 81
Vgl. allgemein Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 3 S. 556 ff; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band I § 7 II 1 S. 366 ff, wobei dieser noch ein Lösungsrecht vertritt. 82 Nach BGH(Z) 70, 117 (122) handelt es sich bei dem Stimmrecht um „das wichtigste mitgliedschaftliche Verwaltungsrecht des Aktionärs". 83 Dazu Priester, DB 1980, 1925 (1927), der hierin die besondere Bedeutung des Bezugsrechts sieht. Für den Fall der börsennotierten Gesellschaft offenbar anders Groß, AG 1993, 449; Martens ZIP 1992, 1677; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 45 ff und Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 2, die an der Bedeutung des Stimmrechtes zweifeln.
III. Organisationsstruktur und Interessenhrung
43
Das Bezugsrecht mit der Möglichkeit des Erwerbs von jungen Aktien entsprechend der bisherigen Beteiligung verhindert zwar nicht den relativen Stimmrechtsverlust der Altaktien, wohl aber den absoluten Einflussverlust des Aktionärs. Der Gesellschafter kann sich mit der Ausübung des Bezugsrechts vor dem Verlust seiner Stimmacht durch die Kapitalerhöhung schützen.84 Verzichtet der Aktionär auf das Bezugsrecht, veräußert er dieses oder wird das Bezugsrecht ausgeschlossen, sinkt seine Stimmrechtsmacht ab.
bb) Schutz der Vermögensrechte Die Vermögensrechte der Aktionäre sind der Anspruch auf den Anteil am Bilanzgewinn (§ 58 Abs. 4, 60 AktG), der Rückzahlungsanspruch bei Kapitalherabsetzung (§ 225 Abs. 2 AktG), der Anspruch auf Beteiligung am Liquidationserlös (§ 271 AktG), Ausgleichs-, Umtausch- und Abfindungsansprüche (z.B. §304, 305, 320, 327b AktG, 15, 29 UmwG) sowie das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhung. Durch eine Kapitalerhöhung kann eine unfreiwillige Verwässerung der Vermögensrechte der Aktionäre eintreten. Für den Fall der Kapitalerhöhung sind vor allem der Kurswert der Aktie, der innere Wert der Aktie, der Gewinnanteil und der Liquidationsanteil relevant; und zwar für den Gewinnanteil und den Liquidationsanteil unabhängig davon, ob die Aktie an der Börse gelistet ist oder nicht. Für den Wert der Aktie (Kurswert und innerer Wert) können sich aus der Börsennotierung Unterschiede ergeben. 85
(1) Kurswert Bei dem Kurs einer Aktie handelt es sich um den Quotienten aus dem Marktwert des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens und der Anzahl sämtlicher Aktien der Gesellschaft. 86 Der Marktwert wiederum stellt das gesamte Vermögen inklusive aller materiellen und immateriellen Werte und auch der zukünftigen Geschäftschancen und Risiken dar. Da diese theoretische Grundlage vor allem hinsichtlich der immateriellen Werte und der Geschäftschancen aber nur schwer zu erfassen und zu bewerten 84 Ebenso Hüffer, AktG, § 186 Rn. 2; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 7; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 186 Rn. 1. 85 Z.T. ungenau in Literatur und Rechtsprechung, so z.B. BGH, ZIP 1992, 1728 ff, der eine Unterscheidung zwischen Kurswert und innerem Wert nicht vornimmt. 86 Nippel/Schweizer, WiSt 1996, 532; Gebhardt, ZfbF 40, 896 (898 ff).
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B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
ist, nimmt die Börse als Markt ihre eigene, von ihr als richtig befundene Wertung vor und gibt damit dem einzelnen Anteil einen bestimmten Wert. 87 Dies zugrunde gelegt, ist für den Fall, dass weitere Anteile aus der Kapitalerhöhung unter dem Börsenpreis ausgegeben werden, die bisherige Bewertung der Aktien nicht mehr korrekt. Die neue Bewertung des Kurses der Aktie muss nun (theoretisch) berücksichtigen, dass sich eine größere Anzahl von Aktien im Umlauf befindet, das Eigenkapital aber im Vergleich zur Höhe des ursprünglichen Wertes nur unterproportional zugenommen hat. 88 Aufgrund dieser unterproportionalen Zunahme des Marktwertes gegenüber der Zahl der Aktien verkörpert die einzelne Aktie nunmehr nur noch einen geringeren Vermögensanteil. Als Folge dessen wird der neue Kurs der Aktie auf einen Mischkurs absinken, der unterhalb des alten Kurses liegt. 89 Das Vermögen des Aktionärs ist somit verwässert; ein Teil des Vermögens ist auf die neuen Aktien übergegangen. 90 Durch das Bezugsrecht hat der Aktionär nun die Möglichkeit, an der Kapitalerhöhung teilzunehmen und die jungen Aktien zu dem günstigeren Kurs zu erwerben. Dies verhindert zwar nicht das Absinken des Kurses, der Verlust wird aber durch den günstigen Ausgabekurs der jungen Aktien gegenüber dem neuen Kurs ausgeglichen. Ein Teil des in den alten Aktien verkörperten Vermögens des Aktionärs geht auf die neuen Aktien über. Oder der Aktionär will nicht weiter in die Gesellschaft investieren und verkauft sein Bezugsrecht in Form des konkreten Bezugsrechtsanspruchs 91 und gleicht so durch den Veräußerungserlös den Kursverlust der alten Aktien aus.
87
Dazu Claussen, Bank und Börsenrecht, S. 397 ff. Für den Fall von „Stock-Options" die unter Börsenkurs ausgegeben werden Pellens/Crasselt, DB 1998, 217 (221). 88
89
Beispiel: Eine Gesellschaft hat 2000 Aktien im Umlauf. Zur Zeit der Ausgabe der Aktien liegt der Kurs der Aktie an der Börse bei 102 Euro. Es werden 100 junge Aktien emittiert und zwar zu je 60 Euro. Der ursprüngliche Wert der Gesellschaft liegt damit bei 204.000 Euro, durch die neuen Einlagen steigt das Vermögen um 6000 Euro (60 Euro x 100) auf 210.000 Euro. Bei nunmehr 2100 Aktien liegt damit der neue Wert und somit der theoretische Börsenkurs pro Aktie bei 210.000 Euro/2100 = 100 Euro. Pro Altaktie tritt somit eine Kursverwässerung von 2 Euro ein. Weitere Rechenbeispiele bei Füchsel, BB 1972,1533 (1534). 90
Ebenso Heinsius, FS Kellermann, S. 115 (119); Füchsel, BB 1972, 1533 (1534); Lutter, in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 7, wobei dabei nicht deutlich zwischen dem Kurswert und dem inneren Wert der Aktie unterschieden wird. 91 Der konkrete Bezugsrechtsanspruch ist der durch den Kapitalerhöhungsbeschluss entstandene schuldrechtliche Anspruch, der dem Aktionär zusteht (vgl. Lutter, in: Kol-
III. Organisationsstruktur und Interessenhrung
45
(2) Innerer Wert Vom börsenbezogenen Kurswert ist der innere Wert oder auch wahre Wert der Aktie zu unterscheiden. Dieser stellt unabhängig von der Börsennotierung den aufgrund einer Unternehmensbewertung ermittelten Vermögenswert - berechnet auf die einzelne Aktie - dar. 92 Relevant kann dieser innere Wert für die Vermögensverwässerung in zwei Varianten werden. Sind die Aktien nicht gelistet und existiert damit kein Börsenwert, besteht für die Berechnung der Vermögensverwässerung im oben genannten Sinn keine andere Möglichkeit. Aber auch für börsennotierte Gesellschaften kann der innere Wert relevant werden. Wie oben festgestellt, bringt der Kurs der Aktie an der Börse die, von dieser durchgeführte Bewertung der Gesellschaft zum Ausdruck. Dabei spielen für den Wert der Gesellschaft auch an sich irrelevante Gesichtspunkte, so wie etwa der Verkauf einer größeren Anzahl von Aktien durch einen Anteilseigner oder generelle Tendenzen an der Börse eine Rolle. Der innere Wert der Aktie kann deshalb u.U. nicht unerheblich über oder unter dem Kurs liegen. Erfolgt nun eine Ausgabe der jungen Aktien unter diesen Bedingungen zum Börsenpreis, wird das Vermögen der Altaktionäre i m Verhältnis zum inneren Wert genauso verwässert, wie bei Verkauf unter Börsenkurs. Das Bezugsrecht eröffnet nun dem Aktionär, ebenso wie bei der Verwässerung des Kurswertes, die Möglichkeit weiter in die Gesellschaft zu investieren oder aber das Bezugsrecht zu veräußern. Übt der Aktionär sein Bezugsrecht aus, so gilt sowohl für den Fall der Börsennotierung, als auch ohne Börsennotierung, dass entsprechende wie oben für den Kurswert ausgeführt. Der Aktionär steht vermögensmäßig durch den Nachkauf der Aktien gleich, wie vor der Kapitalmaßnahme. Partiell anders liegt der Fall bei Veräußerung des Bezugsrechts. Gleicht der Verkauf des Bezugsrechtes hinsichtlich des Kurswertes die Verwässerung noch aus, ist dies bei börsennotierten Aktien, wenn der innere Wert höher liegt als der Börsenkurs und wenn die Ausgabe der jungen Aktien zu oder unter dem Börsenpreis erfolgt, nicht der Fall, da sich der Wert des Bezugsrechts am Markt ner Kommentar, § 186 Rn. 16). Dieser Anspruch stellt ein selbständiges Recht dar, welches nach §§ 413, 398 BGB übertragen werden kann. Zur Berechnung des Wertes vgl. nur Lutter, in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 125 ff und Füchsel, BB 1972, 1533 (1534). Im Beispielsfall aus Fn. 89 beträgt der Wert des Bezugsrechts 40 Euro, da der Erwerber 60 Euro für den Erwerb einer Aktie bezahlt, die dann 100 Euro wert ist. 92 Üblich ist die sog. Ertragswertmethode; hiernach wird (vereinfacht) der Barwert der zukünftigen Überschüsse der Einnahmen über die Ausgaben ermittelt, vgl. dazu Koppenstein, in: Kölner Kommentar, § 305 Rn. 38 ff; Emmerich, in: Geßler/Hefermehl, § 305 Rn. 44 ff; Hüffer, AktG, § 305 Rn. 19 f.
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B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
immer in Abhängigkeit zum aktuellen Börsenpreis berechnet, so dass die Differenz zum inneren Wert unberücksichtigt bleibt.
(3) Gewinnanteil Der Gewinnanspruch der Aktionäre richtet sich grundsätzlich nach ihrem Anteil am Grundkapital. Nimmt der Aktionär an der Kapitalerhöhung nicht teil, mindert sich demnach auch sein Gewinnanteil (§ 60 Abs. 1 AktG). 9 3 Zu beachten ist aber, dass der relative Gewinnanteil für sich genommen für die Vermögenslage des Aktionärs nur mittelbar eine Rolle spielt. Entscheidend ist die Frage, ob die zukünftige Dividendenausschüttung in ihrer absoluten Höhe durch das Absinken des Gewinnanteils und das Hinzukommen neuer Aktionäre eine Einbuße erleiden wird. 9 4 Hierfür ist aber nicht nur der Ausgabebetrag der jungen Aktien von Bedeutung, sondern vor allem die Rendite, die mit dem neuen Kapital erzielt werden kann. Geht man davon aus, dass die Rendite der neuen Mittel in der Gesellschaft die gleiche ist, wie sie bisher bei den Altinvestitionen vorliegt 95 , stellt sich die Lage ähnlich wie bei dem inneren Wert der Aktie dar. U m eine Vermögensverwässerung der Altaktionäre zu verhindern, müsste der Ausgabekurs auf derselben Höhe wie der innere Wert der Aktie liegen. 96 Ist die zu erwartende Rendite der neuen Mittel hingegen niedriger als die Rendite der Altaktien, müsste dieser Nachteil durch die Erhöhung des Ausgabepreises ausgeglichen werden. 97 Unterlässt die Gesellschaft dies und werden die Dividenden gleichwohl in unveränderter Höhe ausgezahlt, besteht kein direkter Vermögensverlust der Altaktionäre. Entscheidend ist aber, dass diese „ungerechtfertigten" Dividenden entweder aus Rücklagen gezahlt werden oder in diese hätten eingestellt werden können.98
93 Vgl. Heinsius, FS Kellermann, S. 118; Füchsel, BB 1972, 1533 (1534); Martens, ZIP 1992,1677(1691). 94 In diesem Sinne auch Martens, ZIP 1992, 1677 (1691) und Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 192. 95 Von dieser Annahme geht ohne größere Zweifel Martens, ZIP 1992, 1677 (1691 f) und Busch, AG 1994, 93 (99) aus. 96 Hier zeigt sich wieder die Bedeutung des inneren Wertes der Aktie, ermittelt nach der Ertragswertmethode. Dieser besagt letztlich, welcher Gewinn abgezinst auf jede Aktie entfällt. Dies ist der Betrag, der für die jungen Aktien gezahlt werden muss, ohne dass eine Vermögensverwässerung eintritt. 97 Vgl. dazu Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 192 und Nippel/Schweitzer, WiSt 1996, 532 (533 f). 98
So auch Heinsius, FS Kellermann, S. 118.
III. Organisationsstruktur und Interessenhrung
47
Bezüglich der Bedeutung des Bezugsrechts für den Gewinnwert der Aktie güt das, was für den inneren Wert ausgeführt wurde, entsprechend. Bei nichtbörsennotierten Gesellschaften ist bei Ermittlung des inneren Wertes und Ausgabe zu diesem Wert - unter der Voraussetzung der gleichen Rendite - die Vermögenslage des Aktionärs identisch, gleich ob er sein Bezugsrecht ausübt oder veräußert. Bei Aktien, die an der Börse gelistet sind, deren innerer Wert aber oberhalb des Kurses liegt, tritt eine Vermögensverwässerung ein, wenn das Bezugsrecht veräußert wird.
(4) Liquidationswert Der dem Aktionär zustehende Liquidationswert bestimmt sich nach dessen jeweiligem Anteil am Grundkapital (§ 271 Abs. 2 AktG). Durch eine Kapitalerhöhung verkleinert sich somit der relative Liquidationsanteil des Altaktionärs. Entspricht dabei der Ausgabewert der jungen Aktien nicht dem jeweilig anteiligen Liquidationswert, der auf die einzelnen Aktien entfällt, tritt durch die Kapitalerhöhung eine Verwässerung des Liquidationswertes bei den Altaktionären ein. Ist die Aktie nicht börsennotiert, richtet sich der Wert des Bezugsrechts nach der Differenz zwischen dem Ausgabekurs und dem inneren Wert der Aktien. Da der Ausgabekurs aber mindestens dem Liquidationswert entsprechen muss, stellt sich, gleich ob bei Ausübung oder Veräußerung des Bezugsrechts, keine Vermögensverwässerung ein. Im Falle der Börsennotierung ist dagegen genauso wie beim inneren Wert nicht ausgeschlossen, dass durch den Verkauf des Bezugsrechts das Vermögen verwässert wird. Denn die Bewertung der Gesellschaft durch die Börse kann unter Umständen vom Liquidationswert abweichen." Durch die neuen Teilhaber mehrt sich somit der Liquidationswert nur unterproportional. Ein Ausgleich ist somit in diesem Fall nur durch Ausübung des Bezugsrechts möglich.
cc) Minderheitsrechte Die Kapitalerhöhung kann im Einzelfall auch zur Verkürzung von gesetzlichen Minderheitsrechten führen, wenn die zur Ausübung bedeutsame Grenze
99
Ebenroth/Müller, BB 1993, 509 (510); Krieger, Rn. 51; Lutter, ZGR 1979, 403 ff.
in: MüHandbuch des GftR, 56
48
B. Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals
unterschritten wird. 1 0 0 Fällt durch die Ausgabe der jungen Aktien der Anteilsbesitz des Aktionärs gerade unter die Grenze (so etwa bei § 147 Abs. 1 AktG 10% des Grundkapitals), so ist die Geltendmachung des Rechts ohne die Ausübung des Bezugsrechts nicht mehr möglich. Eine Veräußerung des Bezugsrechts hilft dem Aktionär zum Erhalt der Quote nicht.
dd) Zusammenfassung Es lässt sich damit festhalten: Bei einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital findet ebenso wie bei der regulären Kapitalerhöhung eine Verwässerung der Verwaltungsrechte und der Vermögensrechte, in Sonderfällen auch ein Ausschluss von Minderheitsrechten statt. U m diese Effekte auszugleichen, besteht grundsätzlich ein gesetzliches Bezugsrecht der Altaktionäre. Hinsichtlich der Stimmrechte, der Minderheitsrechte und bei börsennotierten Gesellschaften ist, wenn der innere Wert über dem Börsenwert Hegt, ein Ausgleich nur möglich, wenn das Bezugsrecht auch tatsächlich ausgeübt wird.
c) Folgen für die Kompetenzordnung Ausgehend von den oben dargestellten Komponenten der Mitgliedschaft stellt sich die Frage, wie sich diese Individualinteressen der Aktionäre auf das Organisationsrecht und damit auf die konkreten Anforderungen des genehmigten Kapitals auswirken. Dabei ist, wie bereits erwähnt, zwischen zwei organisationsrechtlichen Positionen zu differenzieren: Einerseits haben die Aktionärsinteressen Einfluss auf die gesetzlich bestimmten Grenzen der Ermächtigungs- und Ausübungskompetenz. So sind etwa die formellen Beschlussanforderungen der Ermächtigungsentscheidung der Hauptversammlung (notwendige Mehrheit, formelle Verfahrensanforderungen) durch gesetzliche Regelungen bestimmt. Dies gilt in eingeschränktem Umfang auch für das Verfahren bei Ausübung der Ermächtigung durch den Vorstand. 101
100 Zur Einteilung der Minderheitsrechte vgl. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 III 2 c S. 476, betroffen sind hier nur Minderheitsrechte im technischen Sinn, also solche, die von einem prozentualen Anteilsbesitz abhängen. So etwa §§ 122 I, 142 II, 147 I, 258 II 2, 260 II, 265 III AktG. 101
Hier ist insbesondere das Verfahren zur Ausübung und die Möglichkeit der Sacheinlage teilweise gesetzlich geregelt, vgl. etwa die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates (§ 204 I 2 AktG), die grundsätzlich geltenden Anforderungen an den Vorstandsbeschluss (§ 77 AktG) und die Einschränkungen bei Sacheinlage (§ 205 AktG).
III. Organisationsstruktur und Interessenhrung
49
Andererseits hat das dargestellte Individualinteresse der Aktionäre und die daraus resultierende inhaltliche Angemessenheitskontrolle des Bezugsrechtsausschlusses einen erheblichen Einfluss auf die Ermächtigungs- und Ausübungskompetenz selbst. Dabei ist offensichtlich, dass dieses „bewegliche Beurteilungssystem" 102 nicht dazu geeignet ist, in abstrakter gesetzlicher Form den Umfang der Ermächtigungs- und Ausübungskompetenz zu definieren und damit die Interessenwahrung und den Rechtsschutz der Aktionäre zu gewährleisten. Dennoch prägt diese richterliche Angemessenheitskontrolle in erheblichem Umfang auch die Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung und die Ausübungskompetenz des Vorstandes. Dieser Einfluss der Angemessenheitskontrolle erfährt für das genehmigte Kapital mit dem zweistufigen Verfahren (Ermächtigung und Vorstandsentscheidung) noch eine zusätzliche funktionelle Prägung. Die Interessen der (Minderheits-)Aktionäre, die dem Beschluss der Hauptversammlung zur Ermächtigung des Vorstandes nicht zugestimmt haben, bedürfen durch die Kompetenzordnung des genehmigten Kapitals eines besonderen Schutzes, da sich die zu ihrem Schutz geltenden Wertungsgesichtspunkte durch die Verlagerung der Entscheidungskompetenz inhaltlich nicht ändern. Nur durch den Umstand, dass nunmehr der Vorstand anstelle der Hauptversammlung zur Entscheidung zuständig ist, findet keine Reduzierung der kompetenzrechtlichen Anforderungen an die Durchführung der Kapitalerhöhung und des Bezugsrechtsausschlusses statt. 103
102 103
Ekkenga, AG 2001, 567 (572).
So der Grundsatz der Einheitlichkeit der materiell-rechtlichen Kontrollmaßstäbe. Grundlegend dazu die Entscheidung des BGH in Sachen Holzmann, BGHZ 83, 319. Ausführlich dazu unten unter C.III.2.b).
C. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung Bisher erfolgte die abstrakte Darstellung der Organisationsstruktur des genehmigten Kapitals und die grundsätzliche Herleitung der Bedeutung der Kompetenzordnung für die Interessenwahrung der Aktionäre in Bezug auf ihre mitgliedschaftlichen Rechte. Der Struktur des genehmigten Kapitals entsprechend, folgt die weitere Untersuchung dem zweistufigen Verfahren der §§ 202 ff AktG aus Ermächtigungsentscheidung durch die Hauptversammlung und der anschließend zeitlich nachfolgenden Ausübungsentscheidung durch den Vorstand. Dabei ist insbesondere zu klären, inwieweit und in welchem der beiden Schritte des genehmigten Kapitals den Belangen und den Interessen der Aktionäre Einfluss auf die Kompetenzordnung eingeräumt werden muss. Hierbei ist auch die bereits oben angesprochene Zweiteilung zwischen dem gesetzlich bestimmten Rahmen und der Angemessenheitskontrolle hinsichtlich des Bezugsrechtsausschlusses zu berücksichtigen. Ferner stellt sich aber auch unabhängig von dieser Angemessenheitskontrolle die Frage, ob nicht auch aus anderen Wertungsgesichtspunkten, insbesondere auf der Ebene der Ausübungsentscheidung eine Eingrenzung der Kompetenzordnung erforderlich ist.
I. Ausschluss des Bezugsrechts 1. Möglichkeiten des Ausschlusses des Bezugsrechts Beim genehmigten Kapital kann das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre ganz oder zum Teil ausgeschlossen werden (§ 186 Abs. 1 und 2 AktG). Dem Ausschluss kommt hier besondere Bedeutung zu, da der Hauptzweck des genehmigten Kapitals darin besteht, der Gesellschaft größere Bewegungsfreiheit bei der Beschaffung von Eigenkapital zu geben. Ohne diese Möglichkeit wäre diese Intention wesentlich erschwert. Andererseits liegt in dem möglichen Bezugsrechtsausschluss auch der größte Einschnitt in die Befugnisse der Hauptversammlung, da hierdurch elementare Interessen der Gesellschafter betroffen werden, die Entscheidung über den Ausschluss aber nur zum Teil in der Hauptversammlung erfolgt.
I. Ausschluss des Bezugsrechts
51
Das Bezugsrecht der Aktionäre kann schon durch die Gründer in der Satzung selbst (§ 202 Abs. 1 AktG) oder durch die Hauptversammlung im Ermächtigungsbeschluss (§§ 202 Abs. 2, 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 3 und 4 AktG) ausgeschlossen werden. Dem Vorstand verbleibt damit aufgrund der Ermächtigung, die Entscheidung, ob und in welchem Umfang er von der Ermächtigung Gebrauch machen will. Erfolgt der Bezugsrechtsausschluss schon durch die Gründer, ist dies nur einstimmig im Wege übereinstimmender Willenserklärungen möglich. Die Vorschriften des § 186 Abs. 3 und 4 AktG bleiben unanwendbar, da gerade kein Konfliktfall vorliegt. Entsprechend bedarf es auch keiner weiteren inhaltlichen Anforderungen. Nimmt erst die Hauptversammlung später den Bezugsrechtsausschluss vor, liegt eine Satzungsänderung vor und der Beschluss unterfällt dem § 186 Abs. 3 AktG und ist nur zusammen mit dem Kapitalerhöhungsbeschluss möglich. 104 Neben der Sofortentscheidung der Gründer/der Hauptversammlung über den Ausschluss des Bezugsrechts, kann die Ermächtigung auch vorsehen, dass der Vorstand die Kompetenz erhält, selbständig auch über den Ausschluss des Bezugsrechts zu entscheiden (§ 203 Abs. 2 AktG). Damit erweitert sich die Entscheidungsbefugnis des Vorstandes in einem erheblichen Rahmen, da er nunmehr auch die Befugnis hat, direkt in die Rechte der Altaktionäre einzugreifen und Entscheidungen mit erheblichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Gesellschaft und die Gesellschafterstruktur zu treffen. Dies umso mehr, wenn die Ermächtigung sich der inhaltlichen Grenze Grenzen von 50% des bisherigen Grundkapitals nähert. Ebenso wenig, wie eine Pflicht des Vorstandes besteht, das genehmigte Kapital auszunutzen, ist der Vorstand gehalten, von dieser zusätzlichen Ermächtigung Gebrauch zu machen. Möglich ist also immer noch eine Kapitalerhöhung mit vollem oder teilweisem Bezugsrecht der Aktionäre. Für die Aktionäre bedeutet diese zusätzliche Ermächtigung, dass die für sie negativen Folgen eines Bezugsrechtsausschlusses nicht schon mit dem Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung eintreten, sondern allenfalls erst mit der diesbezüglichen Entscheidung des Vorstandes.
104
C.III.
Zu den sonstigen formellen und materiellen Anforderungen vgl. unten C.II und
52
c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
2. Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG M i t dem „Gesetz für die kleine Aktiengesellschaft und zur Deregulierung des Aktienrechts" 105 wurde die Regelung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG eingeführt. Diese erlaubt den Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre nach § 186 Abs. 1 AktG, bei einer Barkapitalerhöhung, bei der der Ausgabepreis der jungen Aktien den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet und die Kapitalerhöhung 10 v.H. des Grundkapitales nicht übersteigt. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfes ist der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss für den Fall vorgesehen, dass die Gründe, die zur Einführung des Bezugsrechts geführt haben, nicht vorliegen, also eine Beeinträchtigung der Aktionäre in ihrer Mitgliedschaft nicht eintritt. 106 Nach Ansicht des Gesetzgebers fehlt es dann an der Notwendigkeit des Bezugsrechts der Altaktionäre und dem Interesse der Gesellschaft an der Unternehmensfinanzierung gebührt der Vorrang. Dem liegt folgende Überlegung hinsichtlich der Mitgliedschaft der Aktionäre zugrunde: Als relevante Aspekte wurden die Einflussverwässerung und die Vermögensverwässerung festgestellt. U m die Einflussverwässerung zu verhindern, bestimmt das Gesetz eine Kapitalobergrenze von 10 % des Grundkapitals der Gesellschaft. Bei einer derart geringen prozentualen Erhöhung des Grundkapitals komme es zu keiner nennenswerten Einflusseinbusse der Altgesellschafter. Da das Gesetz auf börsennotierte Gesellschaften beschränkt ist, sei der Erhalt der Beteiligungsquote durch den Nachkauf an der Börse möglich und zumutbar. Hinsichtlich der Vermögensverwässerung sollen die Aktionäre, durch die Fixierung des Ausgabebetrages der jungen Aktien an den Börsenkurs der alten Aktien, geschützt werden. Eine nicht wesentliche Unterschreitung dieses Kurses ist Voraussetzung des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses. Durch diesen Ausgabebetrag in der Nähe des Börsenkurses treten die Folgen einer Vermögensverwässerung nicht ein, da der Gesellschaft i m Verhältnis ebensoviel Kapital zufließt, wie sie quotal ihr Grundkapital erhöht. Als Konsequenz des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses wird in der Literatur zum Teil von einer Abwicklungsfrist von nunmehr allerhöchstens 11 Tagen gesprochen. 107 Dies, da einerseits wegen des entfallenden Bezugrechtshandels die Norm des § 43 Abs. 1 Satz 2 BörsZulVO nicht eingreift, aus der sich die Pflicht ergibt, dass der Prospekt für die Zulassimg zum amtlichen Handel mind. 3 Werktage vor Beginn des Bezugsrechtshandels veröffentlicht wird 105 106
BGBl. I 1994,1961 ff.
Vgl. BT-Drucks. 12/6712 S. 10 r. Sp. 107 So etwa Seibert/Köster/Kiem, Die kleine AG, Rn. 193.
I. Ausschluss des Bezugsrechts
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und andererseits, da schon das Abwarten der Ausübungsfrist der Aktionäre (§ 186 Abs. 1 Satz 2 AktG) entfällt. Von der gesetzlichen Konzeption her dürfte das genehmigte Kapital der eigentliche Anwendungsbereich des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses sein. Nur durch die vom genehmigten Kapital gebotene Möglichkeit einer schnellen Entscheidung und Durchführung kann die flexible Regelung ihre volle Wirkung entfalten. Zöllner 108 vertritt deshalb auch die Ansicht, dass § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auf das genehmigte Kapital hätte beschränkt werden können. W i l l die Hauptversammlung selbst das Bezugsrecht ausschließen, so gilt § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG direkt über die Verweisung des § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG. Liegen die Voraussetzungen vor, kann die Hauptversammlung das Bezugsrecht i m Rahmen des zulässigen Umfangs ausschließen. Differenzierter ist die Situation bei der Ermächtigung des Vorstandes zum Bezugsrechtsausschluss. Bedenken gegen eine direkte Anwendimg auch in diesem Falle macht Natterer 109 geltend. Er beruft sich darauf, dass § 203 Abs. 2 AktG eine Sonderregelung ist, die den Verweis in § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG ausschließt. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG sei, da der Bezugsrechtsausschluss anders als durch Beschluss der Hauptversammlung ausgeschlossen wird, von § 203 Abs. 2 AktG verdrängt. Auch wäre der Verweis in § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG in seiner ursprünglichen Fassung gänzlich sinnlos gewesen, da § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG durch § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG ersetzt wird und die Sätze 2 und 3 des § 186 Abs. 3 AktG die formellen Aspekte des Beschlusses betreffen, dieser aber gerade nicht vorliegt. Diese Ansicht ist mit der ganz h.M. 1 1 0 abzulehnen. Lässt man die formale Verweisungstechnik außen vor, ergibt sich die Anwendbarkeit schon aus der Gesetzesbegründung und daraus, dass hier die einzig sinnvolle Anwendung des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses liegt. 1 1 1 Aber auch aus der Verweisungstechnik folgt nach der hier vertretenen Ansicht nicht der von Natterer gezogene Schluss. § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG spricht von einer sinngemäßen Anwendung der§§ 181- 191 AktG. Somit erkennt schon das Gesetz, dass eine direkte Übereinstimmung hier prinzipiell ausgeschlossen ist. Auch ist § 203 Abs. 2 AktG nicht ein aliud zu Abs. 1, sondern eine Erweiterung der Ermächti108 109 110
Zöllner , AG 1994, 336 (341). Natterer , Sachlicher Grund, S. 216 f.
Vgl. nur Hüffer, § 186 Rn. 33 f. 111
AktG, § 203 Rn. 10; Lutter, in: Kölner Kommentar, Nachtrag zu
So kommt Natterer dann auch auf eine unproblematische analoge Anwendung von § 186 III 4 AktG in diesem Fall.
54
c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
gung des Vorstandes. Und schließlich ist der Verweis auf § 186 Abs. 4 AktG wohl eher so zu verstehen, dass das Gesetz klarstellen möchte, dass besonders auch die Berichtspflicht anwendbar ist.
IL Begrenzung der Ermächtigungsentscheidung hinsichtlich des Bezugsrechtsausschlusses durch formelle Anforderungen Ausgangspunkt für die Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung hinsichtlich des Bezugsrechtsausschlusses im Rahmen des genehmigten Kapitals sind zuvorderst die formellen gesetzlichen Anforderungen, die an die Entscheidung der Hauptversammlung im Ermächtigungsbeschluss gestellt werden.
1. Ausschluss durch die Hauptversammlung Die formellen Voraussetzungen für den Ausschluss des Bezugsrechts durch die Hauptversammlung selbst sind nahezu identisch mit denen des Bezugsrechtsausschlusses bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung.
a) Beschluss der Hauptversammlung W i l l die Hauptversammlung selbst schon das Bezugsrecht der Aktionäre ausschließen, so bedarf es dafür eines eindeutigen Beschlusses hierüber. 112 Der Bezugsrechtsausschluss ist weiter nur im Beschluss über die Ermächtigung zur Kapitalerhöhung selbst möglich und ist jeweils auf diesen Fall der Ermächtigung beschränkt. Eine abweichende Satzungsregelung diesbezüglich ist ausgeschlossen. Die zusätzliche Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss ist damit ein unselbständiger Teil des Ermächtigungsbeschlusses. Der Beschluss muss deshalb für eine Wirksamkeit insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. 113 Die notwendigen Mehrheitserfordernisse des Beschlusses (§§ 186 Abs. 3, 203 Abs. 1 Satz 2 AktG) entsprechen denen für den Ermächtigungsbeschluss. Notwendig ist somit auch hier eine qualifizierte Mehrheit von 3Ä des bei der 112 Wobei allerdings in Ausnahmefällen die h.M. eine Auslegung des Beschlusses anhand des Inhaltes der Kapitalerhöhung für möglich hält. Vgl. Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 110 m.w.N.; dazu auch die Beispiele bei Hüffer, AktG, § 186 Rn. 29. Vor dem Hintergrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes ist dies allerdings kritisch zu sehen. 113
Dies hat auch Folgen für eine Teilanfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses, vgl. dazu unten unter E.II.
.
r e l l e Anforderungen
55
Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Darüber hinaus sind noch etwaige zusätzliche Erfordernisse der Satzung zu beachten.114 Nach §§ 203 Abs.l Satz 2, 186 Abs. 6 Satz 1 AktG muss der geplante Ausschluss des Bezugsrechts ausdrücklich und ordnungsgemäß (§ 124 Abs. 1 AktG) im Wege der Bekanntmachung zur Tagesordnung angekündigt worden sein. 115 Das bedeutet, dass sich nicht nur eindeutig, sondern eben ausdrücklich aus der Ankündigung ergeben muss, dass das Bezugsrecht ausgeschlossen werden soll. Bezweckt ist damit nicht nur eine Information der Aktionäre, sondern auch eine Warnung vor dem bevorstehenden Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte. 116
b) Berichtspflicht Nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG i.V.m. § 203 Abs. 1 AktG hat der Vorstand der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht vorzulegen, in dem der Ausschluss des Bezugsrechts begründet werden muss. 117 Soll der Ausgabebetrag der jungen Aktien durch die Hauptversammlung selbst festgesetzt werden, muss der Bericht ferner den vorgeschlagenen Betrag begründen. Für den Fall des Bezugsrechtsausschlusses durch die Hauptversammlung selbst sind die Berichtspflicht sowie die weiteren Detailfragen - im Gegensatz zum Bezugsrechtsausschluss durch den Vorstand - weitgehend unumstritten. Lediglich eine ältere Ansicht lehnt eine Berichtspflicht generell für das genehmigte Kapital ab, da sich Art. 29 Absatz 4 Satz 3 der Zweiten Kapitalrichtlinie
114 Ebenso wie für die Ermächtigung sind Erleichterungen durch Bestimmungen der Satzung ausgeschlossen, dazu Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 111. 115 Als mögliche Wege der Bekanntmachung stehen die Veröffentlichung im Bundesanzeiger (§ 25 AktG) und, soweit der Gesellschaft die Aktionäre namentlich bekannt sind, die Information mittels eingeschriebenen Briefes (§§ 124 I 3, 121 IV AktG) zur Verfügung. Abw. Kley, Bezugsrechtsausschluss und Deregulierungsforderungen, S. 83 ff, der den Verweis auf § 124 AktG als überflüssig ansieht. 116 Darüber hinaus bedarf die Ermächtigung als solche auch der Bekanntmachung in der Tagesordnung (§ 1241 AktG). Und zwar nach § 1241 2 1. Alt. AktG mit dem Wortlaut der Änderung. Wie weit dies auch für den Bericht des Vorstandes gilt, vgl. im Folgenden. 117 Diese Berichtspflicht des Vorstandes nach deutschem Recht beruht auf der Umsetzung von Art. 29 IV 3 der Zweiten Kapitalrichtlinie der EWG. Art. 29 IV 3 lautet: „Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan hat der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über die Gründe für eine Beschränkung oder einen Ausschluss des Bezugsrechts zu erstatten und den vorgeschlagenen Ausgabekurs zu begründen". Vollständige Wiedergabe bei Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 16 und Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn.43 f.
56
. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
nicht auf das genehmigte Kapital erstrecke. 118 Dieser Ansicht ist zwar zuzugeben, dass das genehmigte Kapital in Art. 29 Abs. 5 der Zweiten Kapitalrichtlinie festgelegt ist. Daraus kann aber nach der hier vertretenen Ansicht nach nicht geschlossen werden, dass ein Vorstandsbericht für das genehmigte Kapital nicht erforderlich sei. Dies insbesondere für das deutsche Recht. Hier hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der Berichtspflicht die Verweisung in § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht für die Berichtspflicht eingeschränkt. Zumindest für das deutsche Recht ist damit von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Berichtspflicht auszugehen.119 Inhaltlich handelt es sich bei der Berichtspflicht um ein kollektives Informationsrecht der Gesellschafter gegenüber der Geschäftsführung. Der Bericht soll einerseits die Entscheidungsbasis für den Hauptversammlungsbeschluss darstellen, die Aktionäre vor den Folgen des Ausschlusses warnen sowie andererseits auch die Grundlage für eine spätere gerichtliche Überprüfung darstellen. 120 Als indirekte Funktion besteht aber auch eine Wirkung gegenüber dem Vorstand selbst. Dieser wird durch die Abfassung des Berichts gezwungen, sich die Voraussetzungen und die Folgen seiner Entscheidung auf die Mitgliedschaft der Aktionäre und die Gesellschaft genau vor Augen zu führen. Der Bericht dient damit auch der Selbstkontrolle des Vorstandes. Aus dem genannten Zweck des Berichtes, der Hauptversammlung eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen, folgt, dass sich der Inhalt des Berichtes an den materiellen Anforderungen der Entscheidung zu orientieren hat. 121 Umstritten, da weder § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, noch Art. 29 Abs. 4 Satz 3 der Zweiten Kapitalrichtlinie hierzu Regelungen enthalten, sind der Zeitpunkt sowie die Art und Weise der Vorlage des Berichtes. Eine Meinung in der Literatur vertritt die Ansicht, dass der Bericht im Falle des genehmigten Kapitals nicht schon vor dem Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung zu erfolgen habe, sondern erst unmittelbar vor der Ent-
118
So etwa van Venrooy, BB 1983, 1137; allgemein dazu auch Bosse, ZIP 2001, 104
(104 f). 119 Ebenso auch Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 203 Rn. 24; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 203 Rn. 15; Krieger, in: MüHandbuch des GftR, § 58 Rn. 18; Hüffen AktG, § 203 Rn. 25 und Bosse, ZIP 2001,104 (105). 120 Ausführlich dazu Wiedemann , in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 117, m.w.N. und unten unter G.III.2.b). 121
Die Darstellung der inhaltlichen Anforderungen des Berichtes erfolgt deshalb jeweils im konkreten Zusammenhang mit den inhaltlichen Anforderungen des Bezugsrechtsausschlusses. Vgl. unten D.I.l.c) und D.I.2.C).
II.
r e l l e Anforderungen
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Scheidung des Vorstandes über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals. 122 Erst dann seien die notwendigen konkreten Tatsachen, die der Bericht enthalten soll, bekannt und die Aktionärsinteressen konkret gefährdet. Demgegenüber steht wohl die Rechtsprechung 123 und der überwiegende Teil der Literatur 124 , die schon die Ermächtigungsentscheidung der Sachkontrolle unterwerfen wollen und damit auch beim genehmigten Kapital eine Berichtspflicht anlässlich des Ermächtigungsbeschlusses vertreten. Folgt man der Rechtsprechung und herrschenden Literaturansicht, stellt sich ferner die Frage, in welcher Form der Bericht der Hauptversammlung zu erstatten ist. 1 2 5 Das Gesetz und die Richtlinie bestimmen lediglich, dass der Bericht der Hauptversammlung schriftlich zu erstatten ist (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG und Art. 29 Abs. 4 Satz 3 der Zweiten Kapitalrichtlinie). Eine Literaturansicht schließt aus dem fehlenden Hinweis in § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG auf die Bekanntgabevorschrift des § 124 AktG, wie sie in § 186 Abs.4 Satz 1 AktG enthalten ist, für die Form des Berichtes, dass es ausreicht, wenn der Bericht den Aktionären erst in der Hauptversammlung, in welcher der Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts erfolgen soll, vorgelegt wird. 1 2 6 Eine Differenzierung zwischen § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG und § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG erscheint insoweit fraglich, als die Aktionäre von dem bevorstehenden Ausschluss schon vor der Hauptversammlung unterrichtet werden müssen, aber die genauen Umstände und die Begründung hierfür ihnen bis zur Hauptversammlung selbst vorenthalten würden. 127 Entscheidend für die Form des Berichts muss vielmehr sein, dass dessen Zweck erreicht wird. Dafür ist es aber meiner Ansicht nach notwendig, dass der 122
So vor allem Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 72 ff. Gegen einen Bericht anlässlich der Ermächtigung auch Martens, ZIP 1992, 1677 (1682) und Heinsius, ZGR 1984, 383 (386), ohne sich aber positiv zu einer Berichtspflicht anlässlich der Vorstandsentscheidung zu äußern. 123
BGHZ 83, 319 (325 f) (=Holzmann) und wohl auch BGH, NJW 1997, 2815 (2816) (=Siemens/Nold). 124 Vgl. Hüffer, AktG, § 186 Rn. 23; HefermehUBungeroth, in: Geßler/Hefermehl, §186 Rn. 102 und die weiteren Nachweise der Vertreter dieser Ansicht bei Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 70 Fn. 86. 125 Folgt man der Mindermeinung von Hirte, so stellt sich hier ebenfalls die Frage des Verfahrens in dem der Bericht zu erstatten ist. Vgl. dazu unten D.I.l.c)cc). 126 So etwa Becker, BB 1981, 394 (395); Marsch, AG 1981, 211 (214); Martens, ZIP 1992, 1677 (1685); OLG Bremen, WM 1991, 1920 (1926) (=Bankverein Bremen). In letzter Zeit auch Sinewe, ZIP 2001,403 (404 f). 127
Dieses Auseinanderfallen von Information über das „ob" und der konkreten Begründung sieht im Ansatz so auch Bosse, ZIP 2001, 104 (105).
58
c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
vollständige Bericht analog §§ 175 Abs. 2, 179a Abs. 2, 293 f AktG, § 63 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 UmwG in den Geschäftsräumen der Gesellschaft ausgelegt und auf Verlangen jedem Aktionär vollständig übermittelt wird. Weiter ist der wesentliche Inhalt des Berichtes den Aktionären, den Aktionärsvereinigungen und bei Vertretung auch den Depotbanken nach §§ 125, 128 AktG zuzuleiten. Darüber hinaus ist der wesentliche Inhalt nach § 124 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AktG in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen.128
2. Ermächtigung des Vorstandes zum Bezugsrechtsausschluss a) Beschlussanforderungen Der Beschluss der Hauptversammlung über die Ermächtigung des Vorstandes zur Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss muss neben den Anforderungen an den Ermächtigungsbeschluss ferner noch denselben Anforderungen genügen wie der Direktausschluss (§§ 203 Abs. 2 Satz 2, 186 Abs. 4 AktG). Die Ermächtigung muss nach heutiger Rechtslage ausdrücklich erfolgen und ist nicht selbstverständlicher Teil der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung. 129 Ebenso wie der Direktausschluss, bedarf der Ermächtigungsbeschluss zum Bezugsrechtsausschluss der ausdrücklichen und ordnungsgemäßen Bekanntmachung (§ 124 Abs. 1 AktG). Ein Unterschied zum Direktausschluss besteht aber insoweit, als § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG nur § 186 Abs. 4 AktG, nicht aber § 186 Abs. 3 AktG in Bezug nimmt. Daraus folgt, dass die Ermächtigung des Vorstandes zur Entscheidung über das Bezugsrecht nicht zusammen mit dem Beschluss über das genehmigte Kapital erteilt werden muss. Möglich ist damit eine nachträgliche Ergänzung eines bereits beschlossenen genehmigten Kapitals. 130
b) Berichtspflicht Ist die Notwendigkeit eines Vorstandsberichtes im Falle des Bezugsrechtsausschlusses direkt durch die Hauptversammlung von der Gesetzeslage 128
So auch BGHZ 120, 141 (155) (=Bankverein Bremen); Lutter, in: Kölner Kommentar, § 203 Rn. 31; ders., ZGR 1979, 401 (409); ders., BB 1981, 861 (863); Quack, ZGR 1983, 257 (263); Sethe, AG 1994, 342 (351). In neuerer Zeit auch Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 111 und Bosse, ZIP 2001,104 (105). Abweichend Aubel, Bezugsrechtsausschluss, S. 116 und Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 203 Rn. 26 die eine Anwendung der §§ 125,128 AktG ablehnen. 129 130
Zur alten Rechtslage vgl. BGHZ 33,175 (180) (=Minimax II). GodinAVilhelmi, AktG 1965, § 203 Rn. 6; Hüffen AktG, § 203 Rn. 40.
II.
r e l l e Anforderungen
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her relativ eindeutig zu beantworten, so ist die Notwendigkeit eines Vorstandsberichtes für den Fall der Ermächtigung des Vorstandes zur Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts umstritten. Eine ältere Literaturansicht verneint schon die Berichtspflicht als solche, da nach ihrer Ansicht der Verweis in § 203 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 AktG auf § 186 Abs. 4 AktG nur dessen Satz 1 erfasse. Satz 2 in dem die Berichtspflicht geregelt ist, sei von der Verweisimg nicht erfasst. 131 Begründet wird diese Ansicht mit der Gesetzgebungsgeschichte.132 Wie aber gerade oben im Zusammenhang mit der Berichtspflicht bei Ausschluss des Bezugsrechts durch die Hauptversammlung ausgeführt, greift dieses Argument nicht ein, da nach der Intention des deutschen Gesetzgebers die Berichtspflicht auf alle Bereiche des Bezugsrechtausschlusses gelten soll. Schwerwiegender ist aber, dass die Zweite Kapitalrichtlinie in Art. 29 Abs. 5 Satz 1, der das genehmigte Kapital regelt, die Berichtspflicht des Art. 29 Abs. 4 Satz 3 nicht in Bezug nimmt. Daraus wird zum Teil gefolgert, dass europarechtlich überhaupt kein Bericht verlangt werde. 133 Dies ist aber aus mehreren Gründen abzulehnen. Schon der gesamteuropäische Hintergrund der Richtlinie gebietet keine solche zwingende Auslegung des Richtlinientextes. In den meisten Mitgliedsländern ist der Direktausschluss des Bezugsrechts durch die Hauptversammlung der Regelfall und die Ermächtigimg des Vorstandes hierzu eher die Ausnahme. 134 Die ungenaue Regelung dieses Falles in der Richtlinie muss eher als fehlende Sorgfalt für einen Ausnahmefall angesehen werden. 135 Das Argument, der Richtliniengeber habe sich bewusst gegen eine Berichtspflicht in diesem Fall ausgesprochen, ist damit nicht haltbar. Dies gilt insbesondere, wenn man für die Auslegung europäischen Rechts vorrangig Sinn und Zweck der betreffenden Norm heranzieht. 136 Eine die Berichtspflicht ablehnen131
So etwa van Venrooy, DB 1982, 735 (736); Marsch, AG 1981, 211 (212) und Kindler, ZHR 158 (1994), 339 (363 f) und ZGR 1998, 35 (63). 132 Der Verweis in § 203 II 2 Hs. 2 AktG bestand schon vor der Einführung der Berichtspflicht in § 186 IV 2 AktG, so dass sich ursprünglich die Verweisung nur auf § 186 IV 1 AktG bezog. Eine Änderung von § 203 II 2 Hs. 2 AktG nach der Einführung der Berichtspflicht unterblieb. 133
So etwa Kindler, ZGR 1998, 35 (63); ders., ZHR 158 (1994); Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 201; Hofmeister, NZG 2000, 713 (716); Kimpler, DB 1994, 767 (770); Sethe, AG 1994, 342 (354). Anders nur Westermann, FS Zöllner, S. 607 (630). 134 Vgl. dazu etwa die Nachweise bei Butters, ZBB 2001, 44 ff und bei Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 66 ff. 135
So auch Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 46. So in stetiger Echtsprechung der EuGH, zuletzt etwa in der Adidas-Entscheidung, EuGH Slg 1999-1, 7081, 7107 Rn. 23 f und Drinkuth, IStR 1997, 312 (314). 136
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
de Auslegung von Art. 29 Abs. 4 Satz 3 und Abs. 5 der Zweiten Kapitalrichtlinie würde wohl kaum dem Willen des europäischen Gesetzgebers entsprechen, mit der Berichtspflicht die Aktionärsrechte für den Fall des Bezugsrechtsausschlusses zu stärken, da auch in der neueren Entwicklung im europäischen Kapitalmarktrecht der Berichtspflicht eine umfassende Bedeutung zukommt; so etwa in Art 4 Abs. 2 i.V.m Schema C Nr. 5 a) der Börsenzulassungsrichtlinie 1 3 7 oder in Art 7 der EG-Insiderrichtlinie 138 . I m Ergebnis wird man deshalb auch schon europarechtlich eine Berichtspflicht für den Fall der Ermächtigung des Vorstandes zum Ausschluss des Bezugsrechts annehmen müssen.139 Aber selbst wenn man diese Argumente außen vor lässt, ist es europarechtlich nicht ausgeschlossen, dass der nationale Gesetzgeber einen umfassenderen Ansatz wählt. Dies hat der EuGH gerade im Zusammenhang mit der Zweiten Kapitalrichtlinie für den Fall des Bezugsrechts bei Sachkapitalerhöhung entschieden. 140 Damit bleibt festzuhalten, dass auch für den Fall der Ermächtigung des Vorstandes zur Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss ein Vorstandsbericht notwendig ist. Für die Form der Berichterstattung gilt das oben gesagte entsprechend.
IQ. Begrenzung durch materielle Anforderungen Richterliche Angemessenheitskontrolle 1. Entwicklung der Rechtsprechung Das Gesetz selbst beinhaltet bis heute keine ausdrücklichen materiellen Voraussetzungen für den Ausschluss des Bezugsrechtes, sondern beschränkt sich auf die oben genannten formellen Anforderungen. 141 Die Entwicklung der ma137
Richtlinie des Rates vom 5.3.1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse (79/279/EWG). 138
Richtlinie des Rates vom 13.11.1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäften (89/582/EWG). 139
So auch Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 202 Rn. 46, der zusätzlich darauf hinweist, dass diese Auslegung unter den Wortlaut von Art. 29 V der Zweiten Kapitalrichtlinie subsumiert werden kann, da man die Berichtspflicht formal als Regelung über die Beschlussfähigkeit zählen kann. 140 EuGH, NJW 1997, 721. 141
Zu der fehlenden gesetzlichen Regelung vgl. Natterer, Sachlicher Grund, S. 19 ff; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 11 ff; Wiedemann , in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 134 f.
III. Materielle Anforderungen
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teriellen Schranken des Bezugsrechtsausschlusses erfolgte ausschließlich durch Rechtsprechung und Literatur. 142 Ursprünglich begnügte sich die Rechtsprechung des Reichsgerichtes mit der Kontrolle der formellen Voraussetzungen, die das Gesetz verlangte und stellte sonst den Ausschluss des Bezugsrechts - in den Grenzen der Sittenwidrigkeit und des Verbots von Sondervorteilen - in das freie Ermessen der Hauptversammlung und damit der Mehrheit der Aktionäre. 143 Erst in den 30iger Jahren, mit der Entwicklung des Bezugsrechts hin zu einem Instrument zum Schutz der Aktionäre vor den Folgen einer Kapitalerhöhung, begann das Reichsgericht den Bezugsrechtsausschluss inhaltlichen Grenzen zu unterwerfen Als Grundlage hat das Reichsgericht hierbei die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Mehrheit gegenüber Minderheit herangezo«o«
144
gen. „Schon aus dem Gesagten ergibt sich, dass Maßnahmen wie die Schaffung von Schutzaktien in Form von Stammaktien wegen der damit in der Regel verbundenen Beeinträchtigung der besonderen kapitalistischen Minderheitsrechte für Verwaltung und Mehrheit eine sorgfältige Prüfung in der Richtung nötig machen, ob sich der verfolgte Zweck nicht auch in sehr viel schonenderer Form erreichen lässt. Aus der Befugnis, im Wege des Mehrheitsbeschlusses zugleich auch für die Minderheit zu beschließen und damit mittelbar über deren in der Gesellschaft gebundene Vermögensrechte zu verfügen, ergibt sich ohne weiteres die gesellschaftliche Pflicht der Mehrheit, im Rahmen des Gesamtinteresses auch den berechtigten Belangen der Minderheit Berücksichtigung angedeihen zu lassen und deren Rechte nicht über Gebühr zu verkürzen." 145 Eine Weiterentwicklung dieser Schranken erfolgte erst später 146 unter dem AktG 1965 durch den BGH in den Minimax-Entscheidungen 147 . In diesen zwei Entscheidungen griff der BGH für eine Inhaltskontrolle auf den nunmehr in
142
Die Entwicklung verlief dabei parallel zur Entwicklung der inhaltlichen Funktion des Bezugsrechtes. Vgl. hierzu auch den Überblick bei Zöllner, AG 2002, 585 (586 ff). 143
Lutter, ZGR 1979,401; Hüffer, AktG, § 186 Rn. 25. Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 134; ders., FS Heinsius, S. 949 (960), er bezeichnet deshalb diesen Ansatz auch als den „ breitesten Ansatz", da er auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander abstellt. In der Tat ist dieser Ansatz sehr „modern". Eine allgemeine Anerkennung einer Treuepflicht der Gesellschafter untereinander war lange Zeit äußerst umstritten, dazu Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 281 4 S. 807 m.w.N. 144
145
So das Reichsgericht im Victoria-Urteil, RGZ 132,149 (163), dazu Schockenhoff, AG 1994,45. 146 Die zwischenzeitlichen Aktienrechtsnovellen 1937/1965 ließen dieses Feld unberührt. 147 BGHZ 31, 354 (=Minimax I) und BGHZ 33,186 (=Minimax II).
62
. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
§ 53a AktG geregelten Gleichbehandlungsgrundsatz zurück. 148 Die bis heute geltende Inhaltskontrolle durch das Erfordernis eines „sachlichen Grundes" erfolgte erst im Jahre 1978 durch die Entscheidung des BGH Kali+Salz 149 .
2. Sachlicher Grund - Entscheidungen Kali+Salz und Holzmann a) Kali+Salz-Entscheidung In der Kali+Salz-Entscheidung 150 vom 13. März 1978 hat der BGH den Grundstein für eine umfassende materielle Beschlusskontrolle des Bezugsrechtsausschlusses gelegt und die materiellen Anforderungen gegenüber der bisherigen Rechtsprechung beträchtlich verschärft. 151 Der BGH verlangte in dieser Entscheidung für die Zulässigkeit eines Ausschlusses des Bezugsrechts bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung, dass dieser „... aus der Sicht im Zeitpunkt der Beschlussfassung auch bei gebührender Berücksichtigung der Folgen für die ausgeschlossenen Aktionäre durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist. Die Prüfung, ob diese sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung erfüllt ist, schließt die im neueren Schrifttum geforderte Abwägung der Interessen und die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ein." 152 Mit dieser Formel, vom Gesellschaftsinteresse als Maßstab für die Inhaltskontrolle des Bezugsrechtsausschlusses, ist ein Ausschluss nur dann zulässig, wenn er aa) einem Zweck dient, der im Interesse der Gesellschaft liegt, bb) er zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und cc) unter Abwägung mit den Interessen der Gesellschafter verhältnismäßig ist.
148
Dieser Gesichtspunkt kann auch heute noch eine Rolle für die Rechtmäßigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses spielen, wenn Aktien nur an bestimmte Aktionäre ausgegeben werden, Vgl. dazu unten unter D.II.3.b) und Ekkenga, AG 2001, 615 (625). 149 BGHZ 71,40. Der Entscheidung war in der Literatur eine umfassende Diskussion vorausgegangen. Vgl. Bruns, Eingriff in die Mehrheitsverhältnisse, S. 204 ff; Füchsel, BB 1972, 1533 ff; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 49; Mestmäcker, BB 1961, 945 ff; Wiedemann , in: Großkommentar zum AktG,3 § 186 Rn. 12, jeweils m.w.N. 150 BGHZ 71,40. 151 Zu den Unterschieden zur alten Rechtsprechung vgl. Kindler, ZGR 1998, 35 (39); Hirte, ZHR 154 (1990); 374, Müller, WPg 1978, 565 (574). 152 BGHZ 71, 40 (46).
III. Materielle Anforderungen
63
aa) Gesellschaftsinteresse Der Bezugsrechtsausschluss liegt dann im Interesse der Gesellschaft, wenn er im Rahmen des Unternehmensgegenstandes (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG) dazu dient, den Gesellschaftszweck zu fördern. 153 Eines hervorgehobenen, außerordentlichen Interesses der Gesellschaft an der Maßnahme bedarf es nicht 1 5 4 , ausreichend ist jedes legitime Interesse. 155 Ob dies der Fall ist, bestimmt sich exante im Zeitpunkt der Beschlussfassung aus der objektiven Sicht aller Aktionäre - nicht nur „bona fide" aus der Sicht der Beschlussmehrheit. 156 Durch diese Voraussetzung wird dem Verbandsinteresse der Vorrang vor den Interessen der einzelnen Mitglieder, also auch gegenüber den Interessen der Minderheit, eingeräumt. Nur aufgrund des „objektiven Verbandsinteresses" ist es nach der Rechtsprechung möglich, in die Mitgliedschaften der einzelnen Aktionäre einzugreifen. Der gemeinschaftliche Zweck rechtfertigt den Ausschluss der Einzelinteressen. Zu beachten ist dabei, dass anders als für die Entscheidung, wie das Verbandsinteresse am besten zu erreichen ist, für die Entscheidung, ob ein rechtfertigendes Interesse der Gesellschaft im konkreten Fall vorliegt kein Ermessensspielraum besteht. 157
bb) Erforderlichkeit und Eignung Der BGH stellt in der Kali+Salz-Entscheidung weiter das Kriterium der „Erforderlichkeit und der generellen Eignung" der Maßnahme auf. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass der konkrete Bezugsrechtsausschluss zur Errei-
153 So die Definition von Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 186 Rn. 112; Hüffer, AktG (3. Auflage), § 186 Rn. 26; dagegen Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 27 ff, der auf die „objektive Vorhersehbarkeit" abstellt und damit die Bindung des ursprünglich geschlossenen Gesellschafsvertrags betont. Noch anders die Rechtsprechung, die unter dem Gesellschaftsinteresse das „objektive Interesse der Aktionärsgesamtheit", also das von partiellen Einzelinteressen befreite Interesse des Verbandes versteht, vgl. dazu Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 139. 154
So BGHZ 71,40 (50). Zur Frage, ob auch ein außerhalb der Gesellschaft liegendes Interesse, etwa das Konzerninteresse genügt, vgl. Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 186 Rn. 111 und Krieger, in: MüHandbuch des GftR, § 56 Rn. 67. 156 Allgemeine Ansicht, vgl. Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 141; BGHZ 71,40 (49). 157 Zu der Frage des unternehmerischen Interesses beim Bezugsrechtsausschluss vgl. auch unten unter D.I.l.b)bb). 155
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
chung des angestrebten Ziels notwendig, aber auch geeignet ist. 1 5 8 Es ist nach der Auffassung der Rechtsprechung logische Folge des ersten Merkmals, da nur die Maßnahme, die auch konkret das Gesellschaftsinteresse zu fördern vermag, im Verbandszweck seine Rechtfertigung finden kann. I m Ergebnis geht es in diesem Prüfungsschritt darum, ob mit der Maßnahme der angestrebte Zweck erreicht werden kann, das Mittel also tauglich ist und ob der Zweck nicht auch durch eine Kapitalerhöhung mit gesetzlichem Bezugsrecht erreicht werden kann, also ob keine weniger belastende Alternative besteht. Dieses Kriterium gilt nicht nur für den Bezugsrechtsausschluss als Ganzes, sondern auch dafür, ob nicht für einzelne Aktionäre ein Bezugsrecht bestehen bleiben kann um die Aufrechterhaltung der Beteiligungsquote zu ermöglichen oder ob nicht eine gemischte Bar-/Sachkapitalerhöhung vorzunehmen ist.
cc) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Als letzte Anforderung muss der Bezugsrechtsausschluss auch verhältnismäßig sein. Die Förderung des Verbandsinteresses kann nicht jeden Eingriff in die Rechte des einzelnen Aktionärs rechtfertigen. 159 Die Verhältnismäßigkeit ist konkret dann gegeben, wenn das Gesellschaftsinteresse und damit das Interesse aller Gesellschafter an der Durchführung der Maßnahme höher zu bewerten ist, als das Interesse der einzelnen Aktionäre am Erhalt ihrer Rechtsposition, sprich ihrer Mitgliedschaft. 160 Vor- und Nachteile müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Dabei sind insbesondere die Auswirkungen des Bezugsrechtsausschlusses auf Seiten der Aktionäre, also die Vermögensverwässerung, die Beteiligungsverwässerung und der eventuelle Verlust von Minderheitsrechten zu beachten. Weiter ist auch zu prüfen, ob die negative Wirkung etwa durch begleitende Maßnahmen, wie etwa eine gemischte Sach-/ Barkapitalerhöhung für die an sich von der Sachkapitalerhöhung ausgeschlossenen Aktionäre, ausgeglichen werden kann. Zur Konkretisierung dieser komplexen Abwägimg sind die Rechtsprechung und Literatur i m Anschluss an die
158 Dazu insbesondere Zöllner, Stimmrechtsmacht, S. 352 ff und Lutter, in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 62. 159
BGHZ 71, 40 (46). Wiedemann , in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 146 spricht deshalb auch von der Zumutbarkeit des Bezugsrechtsausschlusses. 160
III. Materielle Anforderungen
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Kali+Salz-Entscheidung dazu übergegangen, eine Vielzahl von Fallgruppen zu bilden. 161
b) Holzmann-Entscheidung In der Holzmann-Entscheidung162 vom 19. April 1982 hat der BGH die eben dargestellten Grundsätze der Kali+Salz-Entscheidung auf das genehmigte Kapital mit der Ermächtigung des Vorstands zum Bezugsrechtsausschluss gegen Bareinlage übertragen. Beachtlich ist dabei, dass er den Grundsatz der „sachlichen Rechtfertigung" nicht nur auf die konkrete Vorstandsentscheidung, welche die Ermächtigung zur Kapitalerhöhung ausnutzt, überträgt, sondern verlangt, dass diese Gründe, die einen Ausschluss des Bezugsrechts rechtfertigen, explizit auch schon i m Zeitpunkt der Ermächtigung vorhanden sein müssen. 163 Folge der Vorverlagerung der Interessenabwägung ist, dass die Verwaltung zum Zeitpunkt der Ermächtigung die Zielformulierung konkretisieren muss, um so eine Überprüfung auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses zu ermöglichen. 164 Der Vorstand kann nur eine Maßnahme vorschlagen, die er nicht erst abstrakt plant, sondern die er schon fest umrissen hat und deren Umfang i m Beschlusszeitpunkt durch die Hauptversammlung bereits feststeht, so dass diese die Einhaltung der oben aufgestellten Kriterien nachprüfen kann. Entsprechendes gilt für den nach §§ 203 Abs. 2 Satz 2, 186 Abs. 4 Satz 2 AktG nötigen Vorstandsbericht. Die Voraussetzungen für den Bezugsrechtsausschluss müssen im Beschlusszeitpunkt durch diesen Bericht so konkret offen gelegt werden,
161
Vgl. nur Lutter, in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 65-73 und 78-82 für zulässige Maßnahmen und Rn. 74-77 für unzulässige Fälle. 162
BHGZ 83, 319.
163
BGHZ 83, 319 (325 f): „Vielmehr müssen bereits bei der Beschlussfassung der Hauptversammlung bestimmte tatsächliche Anzeichen dafür vorliegen, dass der Vorstand während der Dauer seiner Ermächtigung im Gesellschaftsinteresse genötigt sein könnte, die Kapitalerhöhung mit einem Bezugsrechtsausschluss durchzuführen. Insofern bedarf auch der Hauptversammlungsbeschluss nach § 203 II 2 sachlicher Rechtfertigung." 164 Die Ausdehnung der Kali+Salz-Rechtsprechung durch den BGH auf den Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung liegt meiner Ansicht nach teilweise in dem Umstand begründet, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine gerichtliche Kontrolle von Vorstandsentscheidungen in der Rechtsprechung abgelehnt wurde. Erst mit der ARAGEntscheidung des BGH im Jahre 1997 (BGH, WM 1997, 970) wurde die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung von Aufsichtsrats-/Vorstandsbeschlüssen zumindest Teilweise anerkannt. Der BGH stand damit vor der Entscheidung, die Kontrolle beim Ermächtigungsschluss anzusetzen, oder vollständig darauf zu verzichten. Vgl. zu diesem Aspekt auch Bungert, NJW 1998,488.
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
dass die Hauptversammlung sie endgültig beurteilen kann. 165 Die lediglich abstrakte Umschreibung des Vorhabens und dessen Dienst für das Gesellschaftsinteresse genügt dafür nicht. Es müssen stets die Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschluss i m Beschlusszeitpunkt konkret feststehen und der Hauptversammlung zur Bewertung dargelegt werden. 166 A n dieser Konzeption des BGH wurde von Seiten der Literatur zum Teil heftige Kritik geübt. 167 Nach dieser kritischen Ansicht bedarf nur die konkrete Entscheidung des Vorstandes zur Ausnutzung der Ermächtigung einer sachlichen Rechtfertigung. Der Ermächtigungsbeschluss selbst bedarf dagegen keiner eigenen Kontrolle. Folge dieser Rechtsprechung war, dass das genehmigte Kapital nur noch in Ausnahmefällen nutzbar war. 1 6 8 Bestand das Ziel der Kapitalerhöhung z.B. in dem Erwerb einer Beteiligimg an einem anderen Unternehmen gegen Ausgabe von eigenen Aktien, und hatte dieses Vorhaben schon so konkret Formen angenommen, dass es der Hauptversammlung bekannt gegeben werden konnte, bedurfte es keines genehmigten Kapitals; es war schon eine ordentliche Kapitalerhöhung möglich. Andererseits musste auch für das genehmigte Kapital der Umfang so konkret feststehen, dass die Bekanntgabe der Hauptversammlung möglich war. Es verbheb nur ein schmaler Anwendungsbereich. So etwa für den Beteiligungserwerb gegen Überlassung eigener Aktien nur der Fall, dass das Ziel und die Bedingungen der Übernahme bereits feststanden, lediglich die Abwicklung des Kaufpreises in Bar oder in Aktien noch offen war. 1 6 9 Verstärkt wurde dieser Umstand in der Praxis noch dadurch, dass über diese Vorraussetzungen im Rahmen der Anfechtungsklage durch drei Instanzen hindurch prozessiert werden konnte/musste. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung ist aber eine Eintragung im Handelsregister und damit eine Durchführung äußerst prob-
165 So z.B. noch der BGH, NJW 1995, 2656 (=Vorlageentscheidung im Fall Siemens/Nold). 166
Westermann, FS Zöllner, S. 607, (627 ff). Gegen eine Inhaltskontrolle bereits des Ermächtigungsbeschlusses zur Zeit der Holzmann-Entscheidung Martens, ZIP 1992, 1677 (1682) und Heinsius, ZGR 1984, 383 (386). Zustimmend dagegen Quack, ZGR 1983, 257 (262); Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, S. 79 f; ders., DB 1982,211 (214 ff). 167
168
Martens spricht deshalb, ZIP 1994, 669 auch von einer „nahezu totalen Blocka-
de". Beispiel nach Lutter, in: Kölner Kommentar, § 203 Rn. 27; ders. mit weiteren Beispielen, DB 1981, 862 und Timm, DB 1982, 215.
III. Materielle Anforderungen
67
lematisch. Da die Ermächtigung aber nur für 5 Jahre galt, trat meist schon vor Rechtskraft eine Erledigung des Sachverhaltes ein. 1 7 0
3. Liberalisierungstendenzen a) Deutsche Bank-Entscheidung Die ersten Liberalisierungstendenzen der Rechtsprechung zum Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital erfolgten durch das DeutscheBank-Urteil des BGH vom 7. März 1994. 171 In diesem Urteil entschied der BGH, dass die Zulassung der Aktie der Deutschen Bank zum Handel an ausländischen Finanzmärkten, an denen die Aktie bereits zum Börsenhandel zugelassen war, grundsätzlich im sachlichen Interesse der Gesellschaft liegt. Ein Bezugsrechtsausschluss sei dann gerechtfertigt, wenn mit ihm der Aktionärskreis durch Gewinnung privater und institutioneller Anleger i m Ausland erweitert werden soll, eine breite Streuimg der neuen Aktien vorgenommen wird und der Ausgabekurs an den aktuellen Börsenkurs angelehnt wird. 1 7 2 Das Urteil betraf zwar einen an sich berechtigten Fall des Bezugsrechtsausschlusses173, der Unterschied zur Holzmann-Rechtsprechung bestand aber darin, dass die Platzierung der jungen Aktien an den ausländischen Finanzmärkten nicht konkret nach Höhe und Inhalt beschrieben wurde 174 , sondern abstrakt auf das generelle Interesse bei Platzierung im Ausland abgestellt wurde und damit eigentlich die Voraussetzungen, wie sie die Holzmann-Entscheidung aufgestellt hat, verletzt wurden.
b) Liberalisierung durch das Gesetz über die kleine AG Ein weiterer Schritt zur Aufweichung der Holzmann-Rechtsprechung erfolgte durch den Gesetzgeber mit dem sog. Gesetz fiir die kleine A G und zur Deregulierung des Aktienrechts und dem darin enthaltenen erleichterten Bezugs170
Zu diesem Aspekt auch Westermann, FS Zöllner, S. 627.
171
BGHZ 125,239, auch JZ 1994, 911 mit Anmerkung von Lutter.
172
BGHZ 125, 239 (242). Die Formulierung des BGH erinnert an die Voraussetzungen des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses gem. § 186 III 4 AktG, der zum 2. August 1994 in Kraft trat. 173
Aus diesem Grund wurde z.T. das Urteil als Sonderfall und nicht als verallgemeinerungsfähig angesehen. So etwa Wiedemann, EWiR, § 186 1/94, 425. 174
Insbesondere war die Verteilung des Kapitals auf die verschiedenen Finanzmärkte nicht konkret festgelegt.
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
rechtsausschluss, § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. 1 7 5 Durch den erleichterten Bezugsrechtsausschluss zeigt der Gesetzgeber, dass er in bestimmten pauschalen Situationen den sachlichen Grund als fest gegeben ansieht, er also nicht die konkrete Darlegung der Gründe im Einzelfall als notwendig ansieht. 176
4. Siemens/Nold-Entscheidung - Aufgabe der Holzmann-Rechtsprechung Seine oben dargestellten Grundsätze aus der Holzmann-Rechtsprechung hat der BGH in dem Urteil vom 23. Juni 1997 in Sachen Siemens/Nold ausdrücklich aufgegeben. 177
a) Fallgestaltung Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Hauptversammlung der Siemens AG hatte den Vorstand mit Beschluss vom 28. März 1991 ermächtigt, das Grundkapital bis zum 1. März 1996 zu erhöhen, und zwar gegen Geldeinlage um bis zu nominal 500 Mio. D M durch Ausgabe von Stammaktien und Vorzugsaktien oder Stammaktien alleine (Genehmigtes Kapital I), und um bis zu nominal 300 Mio. D M durch Ausgabe von Stammaktien gegen Geld- oder Sacheinlage (Genehmigtes Kapital II). Für das Genehmigte Kapital I I schloss sie das Bezugsrecht der Aktionäre aus. Die Stamm- und Vorzugsaktionäre stimmten beiden Beschlüssen durch getrennt gefasste Sonderbeschlüsse mit der erforderlichen Mehrheit zu. In dem der Hauptversammlung erstatteten Bericht führte der Vorstand zu dem genehmigten Kapital I I folgendes aus: „Die beantragte Ermächtigung zur Ausgabe des Genehmigten Kapitals II - Punkt 7 der Tagesordnung - soll den Vorstand erneut in die Lage versetzen, ohne Beanspruchung der Börse eigene Aktien der Gesellschaft zur Verfügung zu haben. Die Ausnutzung des erbetenen Genehmigten Kapitals II soll auf zwei Fälle beschränkt werden. Zunächst sollen die Aktien den Arbeitnehmern wie in den vergangenen Jahren angeboten werden können. Ferner soll die Gesellschaft die Möglichkeit haben, in geeigneten Einzelfällen Beteiligungen gegen Überlassung von Stammaktien der AG erwerben zu können. Ihm trägt der vorgeschlagene Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre Rechnung."178 175
Zu den übrigen Neuregelungen vgl. Claussen, WM 1996, 609; Kindler, 1994, 3041 und Westermann, FS Zöllner, S. 628. 176
NJW
Dieser Umstand ist nicht unumstritten. Zu den genauen Auswirkungen, welche die Neuregelung auf den sachlichen Grund hat, vgl. unten unter C.IV.l und C.IV.3. 177
BGH, NJW 1997, 2815.
178
BGH, NJW 1997, 2815.
III. Materielle Anforderungen
69
Eine weitergehende Begründung enthielt der Bericht des Vorstandes nicht. Der Kläger - Henry Nold - hat gegen beide Beschlüsse Anfechtungsklage erhoben. Das LG München als Eingangsinstanz179 hat entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des BGH (Holzmann), der Klage im Antrag bezüglich des Genehmigten Kapitals I I stattgegeben, im übrigen abgewiesen.180 Das OLG München 181 als Berufungsgericht hat dieses Urteil bestätigt. Vor der endgültigen Revisionsentscheidung hat der BGH mit Beschluss vom 30. Januar 1995 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob diese Rechtsprechung mit der Zweiten Kapitalrichtlinie der EG zu vereinbaren wäre 182 , jedoch bei seiner endgültigen Entscheidung auf die Vorlageentscheidung nicht mehr zurückgegriffen. Die Fallkonstellation der Siemens/Nold-Entscheidung betrifft an sich nur den Fall des genehmigten Kapitals gegen Sacheinlage unter Ausschluss des Bezugsrechts direkt durch die Hauptversammlung (§§ 202 Abs. 1, 186 Abs. 3 Satz 1, 205 AktG). Für diese galt bis dato, dass der Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts sachlich nach den Grundsätzen von Kali+Salz gerechtfertigt sein muss, und dass zum Zeitpunkt des Beschlusses das Vorhaben schon konkret feststehen muss, um der Hauptversammlung ihre endgültige Abwägimg zu ermöglichen. Entsprechendes galt für den Bericht des Vorstandes. Diesen beiden letzten Punkten genügte der Beschluss der Hauptversammlung hinsichtlich des Beteiligungserwerbs auf keinen Fall, da lediglich abstrakt von geeigneten Fällen die Rede war. Bezüglich der Arbeitnehmeraktien genügte der Beschluss den Anforderungen. 183
b) Aufgabe der Holzmann-Rechtsprechung Schon im ersten Leitsatz der Entscheidung wird die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zu den Anforderungen an den Hauptversammlungsbeschluss deutlich. Der BGH formuliert: „Im Rahmen des genehmigten Kapitals kann die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre dann ausschließen oder den Vorstand zu dem Bezugsrechtsausschluss 179 180 181
LG München, WM 1992, 1151. LG München, WM 1992, 1151. OLG München, WM 1993, 840.
182 Vgl. BGH, WM 1995, 390. Die Problemstellung lag darin, dass die Richtlinie bei Sachkapitalerhöhungen grundsätzlich kein Bezugsrecht vorsieht und somit auch die Inhaltskontrolle fraglich erscheint. Der EuGH hat die Inhaltskontrolle des BGH in seiner Entscheidung als zulässig erachtet. 183
So hatte die Anfechtungsklage in diesem Punkt auch schon in den beiden Instanzgerichten keinen Erfolg, vgl. LG München WM 1992,1151 (1155).
70
c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung ermächtigen, wenn die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird." 184
Betrachtet man die Ausgangskonstellation, hier den Fall der Sofortentscheidung der Hauptversammlung über den Bezugsrechtsausschluss, lässt sich daraus für die neuen Anforderungen an den Hauptversammlungsbeschluss folgendes feststellen: (1)
Für die Rechtmäßigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses genügt es, wenn die Maßnahme vom Vorstand abstrakt und allgemein vorgeschlagen wird und in dieser abstrakten und allgemeinen Form begründet wird. Die Maßnahme muss nicht mehr konkret festgestellt und offengelegt werden. Die Prüfung durch die Hauptversammlung hat sich an den abstrakt umschriebenen Umständen ausrichten 185 . Allein aufgrund dieser allgemeinen Tatsachen müssen die Aktionäre ihre Entscheidung in der Hauptversammlung treffen, ob der Bezugsrechtsausschluss gerechtfertigt ist und sie diesem zustimmen.
(2)
Mit dieser Abschwächung des offenzulegenden Sachverhaltes, folgt die zweite Änderung die der BGH formuliert. Werden der Hauptversammlung nur noch die abstrakten Umstände bekannt gegeben, beschränkt dies auch den Umfang der inhaltlichen Prüfung. War im Falle von Holzmann neben dem sachlichen Grund noch eine Prüfung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit möglich und notwendig, so ist diese Kontrolle bei nur abstrakter Umschreibung nicht mehr möglich. Beide Prüfungsschritte verlangen die Angabe der konkreten Maßnahme, um die Einzelfallprüfung zu ermöglichen. Dementsprechend begnügt sich der BGH nunmehr mit der Voraussetzung, dass die Maßnahme im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt. 1 8 6 Im Übrigen verlagert sich die Prüfung auf die Entscheidung des Vorstandes.
184
BGH, NJW 1997, 2815. So der BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter I 2 b aa. 186 BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter I 2 b aa. Zu dieser zwingenden Folge vgl. auch Kindler, ZGR 1998, 35 (57) und Bingert, NJW 1998,488(490). 185
III. Materielle Anforderungen
71
c) Begründung des BGH für den Rückbau und die Aufteilung der Beschlusskontrolle Der BGH reagiert mit dieser Entscheidung nach der eigenen Begründung auf die erhebliche Kritik der Literatur und der Praxis an der HolzmannEntscheidimg 187 . Er stützt den Rückbau der materiellen Beschlusskontrolle beim genehmigten Kapital hauptsächlich auf den Nonnzweck der §§ 202 ff AktG: „Die Anforderungen, die der Senat im Rahmen des genehmigten Kapitals an den Bezugsrechtsausschluss bei der Ausgabe von Aktien gegen Sacheinlage stellt, sind, wie sich in der Praxis der Unternehmen und Rechtsprechung der Tatsachengerichte gezeigt hat, zu streng und nicht praktikabel. Sie nehmen dem Institut des genehmigten Kapitals die Flexibilität, die den Gesellschaften zur Verfügung stehen muss, um auf dem nationalen oder internationalen Markt rasch und erfolgreich auf vorteilhafte Angebote oder sich ansonsten bietende Gelegenheiten reagieren und Möglichkeiten zur Unternehmenserweiterung - insbesondere wie im vorliegenden Falle durch den Erwerb von Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen gegen Ausgabe von Aktien - im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre ausnutzen zu können."188 Und weiter führt der BGH zum Zweck des genehmigten Kapitals aus: „... das Institut des genehmigten Kapitals solle der AG die erforderliche Bewegungsfreiheit u.a. bei der Verbindung mit anderen Unternehmen geben, um die sich auf dem Kapitalmarkt bietenden Gelegenheiten rasch und flexibel ausnutzen zu können. Die Notwendigkeit schnell und flexibel zu handeln, besteht in erhöhtem Maße im heutigen Wirtschaftsleben. Insbesondere Unternehmenserweiterungen, die durch einen Unternehmens- oder Beteiligungserwerb erfolgen und nur gegen Ausgabe von Aktien vorgenommen werden können, weil die Übertragung von dem Aktienerwerb abhängig gemacht wird, erfordern in der Regel rasche Entscheidungen. Entgegen der Annahme des Urteils vom 19.4.1982 (= Holzmann Urteil, Anm. d. Verf. 189 ) sind die Unternehmen in den Grenzen, die ihnen durch die gegenwärtige Rechtsprechung gezogen werden, dazu nicht in der Lage."190 Der BGH stellt sich damit auf den Standpunkt, dass die Funktionsfähigkeit des genehmigten Kapitals durch die bisherige Rechtsprechung mit ihren stren187 Insbesondere Heinsius (FS Kellermann, 115 (120); WuB II A, §186 AktG 4.93, S. 1171 f) und Martens (ZIP 1992, 1677) haben die Holzmann-Rechtsprechung mit den vom BGH angeführten Argumenten angegriffen und werden von ihm auch in der Begründung angeführt. 188
BGH, NJW 1997, 2815, in den Entscheidungsgründen unter I, 2.
189
BGHZ 83,319.
190
BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter I, 2 a.
72
. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
gen Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss ausgehebelt wurde. Diese Einschränkung der Funktionsfähigkeit begründet er wie folgt: „... eine solche Entscheidung setzt nach dem Urteil des Senats vom 19.04.1982 (=Holzmann-Urteil, Anm. d Verf. 191 ) voraus, dass die Ermächtigung von sachlichen Gründen getragen wird. Sie werden nur dann als gegeben angesehen, wenn bereits bei der Beschlussfassung der Hauptversammlung bestimmte tatsächliche Anzeichen dafür vorliegen, dass der Vorstand während der Dauer seiner Ermächtigung im Interesse der Gesellschaft genötigt sein könnte, eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss durchzuführen. Dadurch wird einmal der Rahmen, in dem von dem genehmigten Kapital mit Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss Gebrauch gemacht werden darf, sachlich und zeitlich erheblich eingeschränkt, weil Vorgänge, für die sich noch keine konkrete Entwicklung abzeichnet, von der Ermächtigung ausgeschlossen werden. Zum anderen ist die Grenzziehung zwischen zulässigen Ermächtigungsbeschlüssen mit Bezugsrechtsausschluss und sog. Vorratsermächtigungen, die als unzulässig angesehen werden, nicht praktikabel. Die dadurch entstehende Rechtsunsicherheit ist erheblich. Überdies bezieht sie sich auf Handlungsbereiche, die großteils dem unternehmerischen Beurteilungsspielraum zuzuordnen sind."192 U m diese Funktionslosigkeit des genehmigten Kapitals zu beseitigen, sieht sich der BGH gezwungen, die Voraussetzungen, unter denen ein Ausschluss des Bezugsrechts möglich ist, neu zu definieren. ,JDer Senat hält es unter den vorstehend dargelegten Umständen für erforderlich, die Voraussetzungen, unter denen von dem genehmigten Kapital mit Bezugsrechtsausschluss oder der Ermächtigung des Vorstandes dazu für die Kapitalerhöhung mit Sacheinlage Gebrauch gemacht werden darf, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre neu zu bestimmen."193 Nach der Ansicht des BGH stellt der Normzweck des genehmigten Kapitals, also dessen Flexibilisierung der Entscheidungen bei der Kapitalaufnahme, das Maß für die Bestimmung der inhaltlichen Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss dar. Führen die bestehenden Anforderungen an die Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses zu einer Entwertung des gesamten Instituts, so müssen die Anforderungen soweit gelockert werden, dass das Institut wieder seinen Zweck erfüllen kann. Für den Fall des genehmigten Kapitals bedeutet dies nach der Ansicht des BGH einen Rückbau der materiellen Beschlusskontrolle.
191
BGHZ 83,319.
192
BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter I, 2 a bb.
193
BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter I, 2 b.
IV. Folgen von Siemens/Nold
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IV. Einschätzung und Folgerungen aus der Siemens/Nold-Entscheidung Ausgehend von der Kali+Salz-Rechtsprechung und deren Erstreckung auf das genehmigte Kapital durch die Holzmann-Entscheidung stellen sich die materiellen Kriterien, wie sie der BGH nunmehr in der Siemens/NoldEntscheidung aufstellt, als Erweiterung der Ermächtigungskompetenz und zumindest auf der Ebene des Hauptversammlungsbeschlusses - als Rückbau des mit der Begrenzungsfunktion der Kompetenzordnung verbundenen Aktionärsschutzes dar. Geht man von der allgemeinen Notwendigkeit der richterlichen Angemessenheitskontrolle für den Ausschluss des Bezugsrechtes der Aktionäre aus, so stellt sich die Frage, wie sich die neue Kompetenzordnung für das genehmigte Kapital begründen lässt. 194 Ein diametral entgegengesetzter Ansatz zur Begründung der Erweiterung der Ermächtigungskompetenz ergäbe sich hingegen, wenn man die Entscheidung des BGH nicht als bloßen Rückbau der richterlichen Angemessenheitskontrolle, sondern als vollständige Aufgabe dieses Kriteriums der Kompetenzordnung sehen würde. Inhalt der Kompetenzordnung wären dann nur noch die zwingenden gesetzlichen Voraussetzungen und eine auf Extremfälle beschränkte allgemeine Missbrauchskontrolle auf Grundlage von § 242 BGB oder dem aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgebot (§ 53a AktG).
1. Aufgabe der Angemessenheitskontrolle a) Aufgabe auch der Kali+Salz-Rechtsprechung für das genehmigte Kapital durch die Siemens/Nold-Entscheidung? Betrachtet man die Entscheidung des BGH nur in Bezug auf den Ermächtigungsbeschluss, könnte man die Ansicht vertreten, dass das Kriterium der umfassenden sachlichen Rechtfertigung, wie es in der Kali+Salz-Entscheidung aufgestellt wurde, für die Begrenzung der Kompetenzordnung des genehmigten Kapitals aufgegeben wurde und durch eine allgemeine Missbrauchskontrolle ersetzt wird. 1 9 5
194 195
Dazu unten unter C.IV.2.
So etwa Hommelhoff. , RWS Forum 10, S. 232 und Bayer , ZHR 163 (1999), 505 (513 f). Dazu auch Hüffen AktG, § 203 Rn. IIa; Kindler , ZGR 1998, 25 (39,65), und Ekkenga , AG 2001, 567 (574 f). Allgemein zum Rückbau der materiellen Beschlusskontrolle Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (577), der eine Beschränkung auf eine Missbrauchskontrolle vertritt. Ablehnend Hirte , in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 79 m.w.N.
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
Ansatzpunkt hierfür ist, dass der BGH für die Rechtfertigimg des Bezugsrechtsausschlusses auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses lediglich auf das abstrakte Interesse der Gesellschaft an der Maßnahme, zu der die Verwaltung ermächtigt wird, abstellt. 196 Die Kriterien der „Geeignetheit" und der „Erforderlichkeit", die noch eine zentrale Stellung im Kali+Salz-Urteil besaßen, erwähnt der BGH in diesem Zusammenhang nicht mehr. Noch deutlicher wird dieser Punkt für den Fall der Ermächtigung des Vorstandes nach § 203 Abs. 2 AktG zur selbständigen Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts, da hier nur noch die abstrakte Ermächtigung als solche und ihre Übereinstimmung mit dem Interesse der Gesellschaft zur Diskussion steht und sich diese wiederum auf eine abstrakte Maßnahme bezieht. Aus diesem Umstand, der fehlenden Überprüfung der Geeignetheit und der Erforderlichkeit auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses, kann aber nach der hier vertretenen Ansicht gerade nicht der Schluss gezogen werden, dass eine materielle Rechtfertigung und damit auch eine materielle Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses zu Gunsten einer allgemeinen Missbrauchskontrolle entfällt. Die Aufgabe dieser beiden wesentlichen Elemente der Kali+SalzEntscheidung erfolgt vom BGH nur auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses, und zwar nicht deshalb, weil der BGH von einer sachlichen Rechtfertigimg abweichen wollte, sondern, weil die Kontrolle der Geeignetheit und der Erforderlichkeit nach der neuen Konzeption, der „doppelten Pflichtenbindung" 197 auf der Ebene des Hauptversammlungsbeschlusses, schlichtweg unmöglich ist. Durch den Rückbau des Kontrollumfangs hinsichtlich des Ermächtigungsbeschlusses ist es an dieser Stelle nicht mehr möglich, die Geeignetheit und die Erforderlichkeit des Bezugsrechtsausschlusses schon anhand des abstrakten Ermächtigungsbeschlusses zu überprüfen. 198 Vielmehr verlagert sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung auf die zweite Stufe des genehmigten Kapitals, die Ausnutzung der Ermächtigung durch den Vorstand. Hier ist dann, wenn sich das abstrakt in der Ermächtigung umschriebene Vorhaben zu einer
196
BGH, NJW 1997, 2815, im ersten Leitsatz, als er auf das „wohlverstandene Interesse der Gesellschaft" abstellt. 197 So Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 76. 198 So führt der BGH zu dem Prüfungsumfang auf der ersten Stufe aus: „Auf diese Weise wird die Hauptversammlung in die Lage versetzt, allein anhand der abstrakt umschriebenen Voraussetzungen des von dem Vorstand dargelegten Vorhabens zu prüfen, ob bei der Schaffung genehmigten Kapitals der Ausschluss des Bezugsrechts gerechtfertigt ist oder ob der Vorstand zu einer solchen Maßnahme ermächtigt werden soll." BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter II, 2 b bb.
IV. Folgen von Siemens/Nold
75
bestimmten Maßnahme konkretisiert hat, eine vollständige Sachkontrolle möglich und auch notwendig. 199 Betrachtet man die Maßnahme als Einheit, so fuhrt dies höchstens zu einer Akzentverschiebimg der materiellen Rechtfertigimg des Bezugsrechtsausschlusses, nicht aber zu einer Aufgabe dieses Kriteriums. 200 In diesem Zusammenhang ist auch die Vorlageentscheidung des BGH zum EuGH in Bezug auf die Zweite Kapitalschutzrichtlinie der E W G 2 0 l z u sehen.202 In dieser Vorlagefrage hat der BGH eine Vorabentscheidung dazu erbeten, ob die Kapitalschutzrichtlinie einer umfassenden materiellen Beschlusskontrolle bei Sachkapitalerhöhungen unter gleichzeitigem Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts, wie sie seit der Kali+Salz-Entscheidung in Deutschland üblich sei, entgegenstehe.203 Dementsprechend wurde diese Vorlagefrage von einem Teil der Literatur als erstes Zeichen der Abkehr des BGH von seiner bisherigen Position, also der umfassenden materiellen Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses, gesehen.204 Nach der eindeutigen Entscheidung des EuGH zu dieser Vorlagefrage 205 , in der die Vereinbarkeit der Rechtsprechung des BGH mit der Zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie eindeutig bejaht wurde, und dem Siemens/Nold-Urteil, das nur am Rand auf die Vorlageentscheidung eingeht,
199
Dazu BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter II, 2 b bb. Vgl. auch im Einzelnen unten unter D.I.l.b), D.I.2.b) und D.I.3.b). 200
Zu dieser Ansicht gelangen so auch Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 76 und 79, Ekkenga, AG 2001, 567 (569); Kindler , ZGR 1997, 36 (40) und Cahny ZHR 163 (1999), 554 (571 ff, 593), der zu Recht auch daraufhinweist, dass der BGH in der Entwicklung seiner Rechtsprechung die Formulierung der materiellen Anforderungen sprachlich immer mehr verkürzt hat, ohne eine inhaltliche Änderung damit bezweckt zu haben (vgl. BGHZ 120, 141 (145 f); BGHZ 125, 239 (241)), so dass auch mit der neuen Begrifflichkeit nicht automatisch eine Verkürzung der inhaltlichen Anforderungen einhergehen muss. 201
RLNr. 77/91/EWG vom 13.12.1976.
202
BGH, NJW 1995, 2656.
203
Zum Meinungsstand in der deutschen Literatur vor, bzw. zu der Vorlagefrage, in dem zum Teil die Unvereinbarkeit einer Sachkontrolle mit der 2. Richtlinie ausgegangen wurde, da diese schon gar kein Bezugsrecht der Aktionäre vorsieht vgl. Kindler , ZHR 158 (1994), 339, (360 f, 370); Lutter , ZIP 1995, 648; Meilicke DB 1996, 513 (517); Hirte, DB 1995, 1113; Natterer , Sachlicher Grund, S. 237 ff; ders. ZIP 1995, 1481, jeweils m.w.N. 204
Im Ansatz zu diesem möglichen Argument auch Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (572), der aber ebenfalls keine Aufgabe der sachlichen Rechtfertigung sieht. 205
EuGH, ZIP 1996, 2015, vgl. dazu auch die Stellungnahme des Generalanwalts Tesauro , ZIP 1996, 2825.
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
lässt sich aber ausschließen, dass der BGH die Grundsätze, die er in der Kali+Salz-Entscheidung aufgestellt hat, aufgeben wollte. 2 0 6 Es lässt sich danach festhalten, dass auch nach der Siemens/NoldEntscheidung die Grundsätze der Kali+Salz-Rechtsprechung weiterhin fortgelten, also der Ausschluss des Bezugsrechts der sachlichen Rechtfertigung bedarf. Es gibt keine überzeugenden Gründe aus dem Siemens/Nold-Urteil zu folgern, dass der Vorstand im Rahmen der Ausnutzung des genehmigten Kapitals von der Notwendigkeit einer sachlichen Rechtfertigung der Maßnahme entbunden worden wäre. Diese gilt insbesondere, wenn man die Kritik betrachtet, die den BGH zur Aufgabe der Holzmann-Rechtsprechung veranlasst hat. 207 Diese bezog sich lediglich auf die „überzogene" Berichtspflicht, wendete sich aber nicht gegen das Kriterium des sachlichen Grundes. Wie sich aber die Kontrolle des sachlichen Grundes zwischen den zwei Stufen des genehmigten Kapitals, Ermächtigung und die folgende Ausnutzung, aufteilt und welche Folgen dies für den Rechtsschutz hat, bedarf der weiteren Untersuchung.
b) Vermögensschutz statt Beschlusskontrolle Einen Ansatzpunkt außerhalb des Urteils, der eine Abkehr von einer umfassenden Beschlusskontrolle rechtfertigen würde, ist der in jüngerer Zeit vertretene Ansatz Mülberts 2 0 8 , der einen vollkommen anderen Weg hinsichtlich des Bezugsrechts und dessen Ausschluss beschreitet. Mülbert lehnt die materielle Beschlusskontrolle als solche gänzlich ab und will den Schutz der Aktionäre auf einen rein vermögensmäßigen Schutz beschränken. In diesem Zusammenhang würde sich die vom BGH vorgenommene Entscheidung hinsichtlich des Rückbaus der materiellen Beschlusskontrolle lediglich als Teilstück eines neuen Schutzkonzeptes darstellen, das die Grundsätze der Kali+Salz-Rechtsprechung verlässt. Die materielle Beschlusskontrolle, wie sie seit der Kali+Salz-Rechtsprechung durchgeführt wird, beruht auf dem Gedanken des umfassenden Schutzes der Mitgliedschaft der Aktionäre. Also, sowohl dem Schutz von Vermögensrechten, als auch der Verwaltungs- und Stimmrechte. Nach der Auffassung Mülberts seien aber „insgesamt keine Gründe zu erkennen, die eine über 206
Kritisch zu der Begründung des EuGH Natterer, Sachlicher Grund, S. 241 ff; Kindler, ZGR 1997, 36, (44), der sogar von der „Neue(n) Beliebigkeit im europäischen Gesellschaftsrecht" spricht. 207
So der ausdrückliche Bezug des BGH, NJW 1997, 2815 (2816) auf Martens (in FS Steindorff, S. 151 (152 ff)) und Heinsius (in ZGR 1984, 383 (386) und in FS Kellermann, S. 115(120)). 208
Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 312.
IV. Folgen von Siemens/Nold
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§ 242 BGB hinausgehende generelle Inhaltskontrolle des Beschlusses über den Ausschluss des Bezugsrechts zu begründen vermögen". 209 Die Konzeption des AktG 1965 räume nur dem Schutz der Vermögensrechte einen besonderen Stellenwert ein. I m Hinblick auf die Verwaltungs- und Stimmrechte sei der Bezugsrechtsausschluss als ein „Gesellschafterausschluss auf Raten" möglich, solange er im Gesellschaftsinteresse liege und dem Aktionär der bisherige Vermögenswert seiner Beteiligung erhalten bliebe. 210 Dies zeige das AktG dadurch, dass es lediglich die §§ 255 Abs. 2, 243 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schutz der Aktionäre bereithalte. Der Verlust an Herrschaftsmacht der Kleinaktionäre spiele aufgrund der aktienrechtlichen Wertzusammenhänge für den Bezugsrechtsausschluss keine Rolle. Deshalb sei eine umfassende materielle Beschlusskontrolle i m Sinne der Kali+Salz-Rechtsprechung nicht notwendig. 211 Im Ergebnis beschränkt Mülbert damit den Aktionärsschutz auf einen rein vermögensbezogenen Schutz. 212 Das Stimmrecht der Minderheitsaktionäre wird weitgehend bedeutungslos.213 Die im Kali+Salz-Urteil verwirklichte Sachkontrolle verwandelt sich in eine auf den Aktionär als Kapitalanleger ausgerichtete Konzeption, in der für die Minderheitsaktionäre der Grundsatz des „dulde und liquidiere" gilt und in der die dauerhafte Mehrheitsherrschaft akzeptiert wird. 2 1 4 Möglich bleibt nur eine Anfechtung des Ermächtigungsbeschlusses gem. § 255 Abs. 2 AktG und der Entscheidung der Verwaltung analog § 255 Abs. 2 AktG 2 1 5 , wenn dieser/diese einen unangemessen niedrigen Ausgabebetrag festsetzt sowie der Vermögensausgleich den § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG vorsieht. Die Argumentation Mülberts beruht im Wesentlichen auf zwei Elementen. Erstens leitet er aus den §§ 243 Abs. 2 Satz 2, 255 Abs. 2 AktG ein „rein vermögensmäßig konzipiertes Schutzsystem" ab, und zweitens stellt er dieses als Anlegerschutzrecht verstandene System als das gesetzlich vorgesehene System des Aktiengesetzes dar.
209 210 211
Mülbert , Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 344. Mülbert , Aktiengesellschaft, Untemehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 312. Mülbert , Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 313.
212
Zu dieser Konzeption des vermögensbezogenen Schutzes auch Kindler , ZGR 1998, 35 (50). 213 Eine Minderheit in diesem Sinne ist für Mülbert ein Aktionär, der weniger als 25 % des Grundkapitals besitzt, da er sonst den Kapitalerhöhungsbeschluss verhindern könnte. 214
Mülbert , Aktiengesellschaft, Untemehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 259. Die analoge Anwendung des § 255 II AktG für den Fall des genehmigten Kapitals auf die Vorstandsentscheidung ist nach ganz h.M. möglich, vgl. nur Hüffler, in: Geßler/Hefermehl, § 255 Rn. 15. 215
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung aa) §§ 243 Abs.2 Satz 2, 255 Abs. 2 AktG als Grundlage bloßen Vermögensschutzes?
Nach der überwiegenden Ansicht der Literatur ist es Aufgabe des § 255 Abs. 2 AktG, die Aktionäre, die vom Bezugsrecht ausgeschlossen sind, zumindest vor der Vermögensverwässerung ihrer Mitgliedschaft zu bewahren, wenn der Ausgabebetrag der jungen Aktien unter ihrem wirklichen Wert hegt. 2 1 6 Insoweit beinhaltet § 255 Abs. 2 AktG einen auf das Vermögen beschränkten Schutz der Minderheitsaktionäre bei ansonsten wirksamem Bezugsrechtsausschluss. Daraus die umfassende Beschränkung auf einen reinen Vermögensschutz herleiten zu wollen, ist nach der hier vertretenen Ansicht nicht möglich. § 255 Abs. 2 AktG ist nicht ein Ausschluss der sonstigen Anfechtungsmöglichkeit nach §§ 255 Abs. 1, 243 AktG, sondern eine diese Möglichkeit erweiternde Regelung. 217 Dies folgt einerseits aus dem Wortlaut der Vorschrift 218 , andererseits aber auch aus dem gesetzlichen System des Vermögensschutzes der Aktionäre. Ein Sondervorteil der Bezugsberechtigten, der zur Anfechtung nach § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG berechtigt, liegt schon dann vor, wenn der Wert der Aktie höher als der Ausgabepreis der jungen Aktien liegt. Eines „unangemessen niedrigen" Ausgabekurses wie bei § 255 Abs. 2 AktG bedarf es hierfür nicht. Davor schützt § 255 Abs. 2 AktG, der zwar vom objektiven Tatbestand enger ist, aber auf die subjektive Anforderung des § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG verzichtet. 219 Hinzu kommt auch die Entstehungsgeschichte220, in der § 255 Abs. 2 AktG nach § 243 Abs.2 Satz 2 AktG eingefügt wurde. Es erscheint deshalb fraglich, ob man in § 243 Abs.2 Satz 2 AktG die Verallgemeinerung des Rechtsgedankens sehen kann, der erst durch § 255 Abs. 2 AktG eingefügt wurde. § 255 Abs. 2 AktG fällt somit zur Begründung des ersten Arguments von Mülbert aus.
216 So Schmidt, in: Großkommentar zum AktG, § 255 Rn. 1; Hüffer, in: Geßler/Hefermehl, § 255 Rn. Rn. 2; Zöller, in: Kölner Kommentar, § 255 Rn. 9. Allgemein zu § 255 II auch Bayer, ZHR 163 (1999), 505. 217
Ebenso Schmidt, in: Großkommentar zum AktG, § 255 Rn. 2; Hüffer, in: MüKom AktG, § 255 Rn. 2; ders., in: Geßler/Hefermehl, § 255 Rn. 5; Bayer, ZHR 163 (1999), 505 (526). 218
§ 255 Abs. 2: „Die Anfechtung kann, wenn das Bezugsrecht ausgeschlossen ist, auch darauf gestützt werden, dass der sich aus dem Erhöhungsbeschluss ergebende Ausgabebetrag ... unangemessen niedrig ist." 219 220
So der Wortlaut von § 243 II 1 AktG „zu erlangen suchte". Hierzu etwa Hüffer, FS Kropff, S. 133.
IV. Folgen von Siemens/Nold
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Aber auch aus der Regelung des § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG, der eine Anfechtung des Ermächtigungsbeschlusses zulässt, wenn ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts einen Sondervorteil zu Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre zu erlangen sucht, lässt sich eine ausschließliche Beschränkung auf einen Vermögensschutz nicht herleiten. Nach der Ansicht Mülberts soll ein Bezugsrechtsausschluss nur dann angefochten werden können, wenn neben dem Fall des § 255 Abs. 2 AktG ein Sondervorteil i.S.v. § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG vorliegt. 221 Für diesen gilt dann die Ausgleichsklausel des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG. Hieraus folgert Mülbert die reine Vermögensbezogenheit des Schutzes der Mitgliedschaft. Die Verwaltungs- und Minderheitsrechte seien gesetzlich nicht geschützt. Für die Tatsache, wieso § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG neben § 255 Abs. 2 die ausschließliche Anfechtungsmöglichkeit beinhalten, bleibt er eine Begründung schuldig. 222 Vielmehr erweitert § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG nach wohl richtiger Ansicht die bestehenden Anfechtungsmöglichkeiten des § 243 Abs. 1 AktG. 2 2 3 Ebenso lässt sich umgekehrt die Ausgleichspflicht des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht analog auf andere Anfechtungsgründe übertragen. § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG wurde auf der Grundlage konzernrechtlicher Sachverhalte entwickelt. 224 Ein Rückschluss, dass jeder Verstoß gegen Gesetz oder Satzung bei Gewährung eines Ausgleichs zulässig wird, ist nicht möglich. 225 Nur diese besondere Konzernstruktur rechtfertigt diese „Auslösung" von Rechten gegen Geld. Ein allgemeiner Rückschluss auf alle Fälle der Anfechtbarkeit ist nicht möglich und widerspräche dem System der aktienrechtlichen Beschlusskontrolle. Es lässt sich damit feststellen, dass aus den §§ 243 Abs. 2, 255 Abs. 2 AktG ein rein vermögensmäßig konzipiertes Schutzsystem nicht abgeleitet werden kann. Weder ist § 255 Abs. 2 AktG eine ausschließliche Regelung, noch ist die
221
Mülbert , Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 259. Mülbert , Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 261 ff. 223 So auch Hüjfer, in: MüKom AktG, § 243 Rn. 73; Bayer , ZHR 163 (1999), 505 (526) und Schmidt , in: Großkommentar zum AktG, § 243 Rn. 52, 59. Zwar ist heutzutage die Verfolgung von Sondervorteilen schon von § 243 I AktG erfasst, da die dies als Ungleichbehandlung oder als Treuepflichtverstoß im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs in die Mitgliedschaftsrechte oder eine Verletzung von Rücksichtspflichten zu Anfechtbarkeit führt. Dies ändert aber nichts an der Eigenständigen Bedeutung von § 243 II AktG. Vgl. Hüffen in: MüKom AktG, § 243 Rn. 73. 222
224
Dazu etwa Hüffen FS Kropff, S.134 ff. Ebenso Zöllner , ZHR 162 (1998), 235 (244 ff); Schmidt , in: Großkommentar zum AktG, § 243 Rn. 53. 225
80
c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG auf alle Fälle der Beschlusskontrolle geboten.
bb) Konzeption des Aktienrechts als reines Anlegerschutzrecht? Dem Standpunkt Mülberts, eines rein vermögensrechtlichen Schutzes, liegt weiter die These der faktischen Bedeutungslosigkeit der Verwaltungs- und insbesondere der Stimmrechte zugrunde. Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Das AktG hat jedem Aktionär, gleich ob unternehmerischer Großaktionär oder anlageorientierter Kleinaktionär, die Mitverwaltungs- und Stimmrechte zugestanden; dass diese faktisch den Kleinaktionären keine Einflussmöglichkeit gewähren, ist vielleicht Realität, kann aber keinesfalls eine Rückwirkung auf das gesetzliche System haben. 226 Der Schluss müsste eher andersherum erfolgen. Wer schon nicht den Inhalt eines Beschlusses mitgestalten kann, sollte nach der gesetzlichen Konzeption in der Lage sein, sich durch eine Anfechtung dieses Beschlusses zur Wehr setzen zu können, wenn ein Eingriff in die Mitgliedschaft erfolgt. 227 Auch ist zu beachten, dass die Bedeutungslosigkeit nicht aus dem Stimmrecht der einzelnen Aktie der Minderheitsaktionäre folgt, sondern nur aus der Zersplitterung des Aktienbesitzes. Würde man den Schutz nur auf Vermögensaspekte beschränken, so würde man den Minderheitsaktionären die Chance der Organisation der Stimmrechtsausübung nehmen (§ 135 AktG). Diese Überlegung gilt erst recht für den Fall des Bezugsrechts. Dieses ist durch das Gesetz und die Rechtsprechung im Sinne eines Individualrechtes der Aktionäre ausgestaltet worden. Würde dem Gesetz das Konzept eines reinen Vermögensschutzes zugrunde liegen, wäre das Bezugsrecht vom Gesetzgeber nicht als Individualrecht jedes Aktionärs, sondern als reiner Vermögensausgleichsanspruch ausgestaltet worden. Dass es den Aktionären, nach Mülbert, hauptsächlich um den Schutz ihres Vermögens geht, ist irrelevant. 228 Der Inhalt bestimmt sich nach dem Gesetz und nicht nach dem Willen der Aktionäre. Ob es andererseits sinnvoll wäre, eine Ausgabe von »Anlegeraktien" und ein anlegerschützendes Sonderrecht einzuführen, kann für diesen Punkt nicht rele-
226
Von einer Wertlosigkeit der Verwaltungsrechte kann aber auch nach den bestehenden tatsächlichen Gegebenheiten auf keinen Fall gesprochen werden. Als Beispiel hierfür kann gerade in letzter Zeit etwa das Bemühen von Großaktionären um die Stimmrechte von Kleinaktionären im Rahmen von Übernahmevorhaben herangezogen werden. 227
So zu Recht Hüffer,
228
So aber Mülbert,
S. 313.
FS Kropff, S. 142. Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt,
IV. Folgen von Siemens/Nold
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vant sein. 229 Der Schutz der Mitgliedschaft hat sich an dem bestehenden System zu orientieren und dieses lässt eine Beschränkung auf einen reinen Vermögensausgleich nicht zu.
2. Rückbau der Beschlusskontrolle a) Kritik an der Begründung des BGH für den Rückbau auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses Betrachtet man die Argumentation des BGH, dass aus der faktischen Entwertung des genehmigten Kapitals die Folgerung zu ziehen ist, dass die materiellen Anforderungen an den Hauptversammlungsbeschluss über das genehmigte Kapital mit Bezugsrechtsausschluss zu verringern sind, so erscheint dies aus praktischer Sicht zwar einleuchtend, aber aus dogmatischer Sicht heraus zweifelhaft. Zuzugeben ist, dass die entsprechend der Holzmann-Rechtsprechung 230 aufgestellten Voraussetzungen an die Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses das Institut des genehmigten Kapitals inhaltlich weitgehend entleert haben. 231 Aus diesen Umständen kann und darf aber nicht die Folgerung gezogen werden, dass sich der Umfang der materiellen Beschlusskontrolle an dem jeweiligen Normzweck der Form der Kapitalerhöhung zu orientieren habe. Denn einerseits gibt der Normzweck des genehmigten Kapitals diese weitreichende Folgerung so nicht her und weit wichtiger, eine Bestimmung des materiellen Schutz- und Prüfungsumfanges anhand der Interessenlage in der einzelnen Variante der Kapitalerhöhung, würde den allgemein anerkannten Grundsatz des Gleichklangs der sachlichen Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss in allen Varianten verletzen. 232 Die §§ 202 f f AktG haben nach ihrer gesetzlichen Konzeption nur eine Kompetenzübertragung zum Inhalt. 233 Durch die Übertragimg von grundsätzlichen Hauptversammlungskompetenzen auf den Vorstand, soll dieser in die Lage versetzt werden, sich bietende Gelegenheiten zur Kapitalbeschaffung von sich aus rasch und einfach nutzen zu können, ohne erst den schwerfälligen Apparat der Hauptversammlung in An-
229
In diesem Sinn aber Mülbert , Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 348 f. 230 BGHZ 83, 319. 231
So eingehend Mertens , ZIP 1992, 1677 (1681 ff). Zu diesem allgemein anerkannten Prinzip vgl. Hirte , Bezugsrechtsausschluss, S. 120 ff und S. 165 ff; ders. y WM 1997, 1001 (1002); ders in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 63; Kindler , ZGR 1998, 35 (49); Lutter , BB 1981, 861 (862). 232
233
Allg. Meinung, vgl. nur Lutter , in: Kölner Kommentar, Vorb. § 202 Rn.l und Hüffer , in: MüHandbuch des GftR, § 58 Rn. 1.
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
spruch nehmen zu müssen 234 . Ein weitergehender Normzweck der §§ 202 ff AktG lässt sich der Regelung des genehmigten Kapitals nicht entnehmen. Insbesondere kann die Hauptversammlung dem Vorstand im Rahmen der Ermächtigimg nur soweit Kompetenzen abtreten, als sie diese selbst besitzt. 235 Einen tiefergehenden Einschnitt in die Mitgliedschaft, als bei einer regulären Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss, gestattet das genehmigte Kapital grundsätzlich nicht. Dies zeigt, dass der vom BGH herangezogene Normzweck in dieser Form so gar nicht besteht. Betrachtet man weiter die Bedeutung des Bezugsrechts als Schutzmechanismus der Altaktionäre vor der Verwässerung ihrer Mitgliedschaft 236 , so zeigt sich, dass die unterschiedliche Form der Entscheidungszuständigkeit - Vorstand oder Hauptversammlung - für die Intensität des Eingriffs in die Mitgliedschaft unerheblich ist. 2 3 7 Für die Frage, ob Aktionärsinteressen beeinträchtigt sind, ist es ohne Bedeutung, ob ein nachteiliger Eingriff von der Hauptversammlung in der Form der Grundlagenentscheidung oder vom Vorstand als Geschäftsführungsmaßnahme vorgenommen wird. 2 3 8 Dies war auch einer der Gründe, wieso der BGH in der HolzmannEntscheidung festgestellt hat, dass die in der Kali+Salz-Entscheidung 239 aufgestellten sachlichen Gründe auch im Falle des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss Anwendung finden: „Denn der Eingriff in die mitgliedschafts- und vermögensrechtliche Stellung der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre ... wiegt nicht minder schwer, wenn anstelle der Hauptversammlung die Verwaltung über den Ausschluss entscheidet.11240 Würde man nunmehr mit dem BGH die Form der Kapitalerhöhung für den materiellen Rechtfertigungs- und Prüfungsumfang entscheidend sein lassen, verließe man dieses tragende Prinzip der materiellen Beschlusskontrolle 241 . 234
So grundsätzlich Hefermehl/Bungeroth,
in: Geßler/Hefermehl, § 202 Rn. 1.
235
Dies folgt schon aus dem System des genehmigten Kapitals, vgl. dazu Lutter, in: Kölner Kommentar, Vorb. § 202 Rn. 2. 236
Vgl. oben unter B.III.3.
237
Vgl. Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 205 und S. 104 ff.
238
So schon Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 105. Für die Frage des Rechtschutzes der Aktionäre gegen die Maßnahme bestehen dagegen erhebliche Unterschiede. 239
BGHZ 71, 40. BGHZ 83,319 (321). 241 Ebenso Kindler, ZGR 1998, 36 (49), der formuliert: „Damit aber wäre dem in Rechtsprechung und Literatur seit jeher - und mit Recht - einhellig vertretenen Gleichklang der sachlichen Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss in allen technischen Kapitalerhöhungsvarianten der Boden entzogen." 240
IV. Folgen von Siemens/Nold
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Ebenso untragbar ist diese spezifisch auf das genehmigte Kapital abstellende Begründung für den Rechtsschutz der Minderheitsaktionäre. Es kann nicht im Belieben der Mehrheit stehen, durch die Wahl des Modus der Kapitalerhöhung die Kontrolldichte bei der sachlichen Rechtfertigung zu bestimmen. 242 Ausschlaggebend kann immer nur die Qualität des Eingriffes in die Mitgliedschaft, nicht dessen äußere Form sein. 243 Aus diesen Gründen kann die vom BGH gegebene Begründung, der inhaltlichen Ausgestaltung der Beschlusskontrolle nach prozedualen Zielsetzungen, nicht überzeugen. Damit stellt sich dann aber die Frage, ob ein solcher Rückbau der Beschlusskontrolle überhaupt angebracht ist und wie er sich grundsätzlich begründen lässt.
b) Rückbau der Beschlusskontrolle - eigene Ansicht Ist der Rückbau der materiellen Beschlusskontrolle auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses allein mit dem Zweck des genehmigten Kapitals nicht zu begründen, so ergibt sich die Frage, in welcher Weise dies sonst zu rechtfertigen ist. Nach der hier vertretenen Ansicht ist dies nur möglich, wenn man als Ausgangspunkt den Gegenstand der Pflichtenbindung und der Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses heranzieht; und dies nicht wie der BGH isoliert nach dem Normzweck des genehmigten Kapitals, sondern bezogen auf den Ausgangspunkt des Bezugsrechts und der inhaltlichen Kontrolle des Ausschlusses. Wie bereits oben festgestellt, ist Ausgangspunkt des Bezugsrechts der Gedanke, den einzelnen Aktionär vor den für seine Mitgliedschaft negativen Folgen einer Kapitalerhöhung zu bewahren. 244 Der Ausschluss des Bezugsrechts und damit als Konsequenz ein Eingriff in die Mitgliedschaft ist nur möglich, wenn er sachlich i m Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist. 2 4 5 Dies ist der eigentliche Punkt der Kompetenzordnung, der für die Aktionäre von Interesse ist. 2 4 6 242
So überzeugend Lutter, BB 1981, 861 (862). Hirte, WM 1997, 1001 (1002). 244 Oben unter B.III.3. 245 So grundlegend der BGH in der Kali+Salz-Entscheidung, (BGHZ 71, 40): „... aus der Sicht im Zeitpunkt der Beschlussfassung auch bei gebührender Berücksichtigung der Folgen für die ausgeschlossenen Aktionäre durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist." Aber auch noch in der Siemens/Nold-Entscheidung (NJW 1997, 2815): „wenn die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt..." 243
246 Femer muss es für die Aktionäre auch möglich sein, notfalls gerichtlich überprüfen lassen zu können, ob diese Voraussetzung des Bezugsrechtsausschlusses im konkreten Fall vorliegt.
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
Betrachtet man diesen Ansatz, ist damit noch nicht gesagt, wie und vor allem wann dieser Prüfungsschritt vorzunehmen ist. Für die reguläre Kapitalerhöhung ergibt sich ein relativ eindeutiges Bild. Hier erfolgt der Ausschluss des Bezugsrechts und damit der Eingriff in die Aktionärsinteressen ausschließlich durch den Erhöhungsbeschluss der Hauptversammlung selbst. Dieser muss den Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts enthalten (§186 Abs. 3 Satz 1 AktG). Damit ist klar, dass Gegenstand der Pflichtenbindung und damit der Kontrolle auch ausschließlich dieser Beschluss der Hauptversammlung ist. Durch diesen erfolgt der Eingriff in die Aktionärsinteressen und ausschließlich hier ist die Kompetenzordnung mit der Kontrolle der sachlichen Rechtfertigung anzusetzen. Überträgt man aber diesen Gedanken, dass die Rechtfertigung i m Zusammenhang mit dem Eingriff in die Aktionärsinteressen steht, so ergibt sich für das genehmigte Kapital mit seinem zweistufigen Aufbau folgendes Bild: Im Zeitpunkt des Ermächtigungsbeschlusses sind die Aktionärsinteressen sowohl für den Fall der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss, als auch bei einem unmittelbaren Ausschluss durch die Hauptversammlung erst abstrakt gefährdet. Beschließt schon die Hauptversammlung selbst den Ausschluss des Bezugsrechts, so liegt darin zwar grundsätzlich schon der Eingriff in die Mitgliedschaft, zu diesem Zeitpunkt sind aber noch die wesentlichen Umstände der Maßnahme nicht bekannt. Einerseits ist noch völlig offen, ob und in welchem Rahmen der Vorstand von der Ermächtigimg Gebrauch machen wird und weiter ist in der Regel auch noch nicht festgelegt, zu welchem Ausgabekurs die jungen Aktien ausgegeben werden. 247 Setzt der Vorstand einen für die Altaktionäre angemessenen Ausgabepreis fest, so tritt durch den Bezugsrechtsausschluss zumindest keine Vermögensverwässerung ein. Erfolgt die Ermächtigung des Vorstandes zur Entscheidung über das Bezugsrecht, ist die Gefährdung noch abstrakter. Es steht weder der Umfang des Ausschlusses, noch der Ausgabekurs fest, noch erfolgt zwingend der Ausschluss des Bezugsrechts. Erst mit der Entscheidung des Vorstandes, von dem genehmigten Kapital Gebrauch zu machen, nimmt der Eingriff in die Aktionärsinteressen tatsächlich konkrete Formen an. 248 Nun stehen alle für die Kapitalerhöhung notwendigen Tatsachen fest, und eine konkrete Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts ist möglich.
247
Vgl. zum Eingriff in die Mitgliedschaft auch Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 117 ff. 248
So auch Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 74; ders., Bezugsrechtsausschluss, S. 120 ff.
IV. Folgen von Siemens/Nold
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Dem hat sich der Umfang der Pflichtenbindung und eben auch der Umfang der gerichtlichen Kontrolle anzupassen. Der Rückbau der materiellen Beschlusskontrolle, wie ihn der BGH in der Siemens/Nold-Entscheidung für den Ermächtigungsbeschluss vorgenommen hat, stellt sich damit nicht als genereller Rückbau der inhaltlichen Anforderungen an den Ausschluss des Bezugsrechts dar. Vielmehr ist die materielle Beschlusskontrolle als Teil der Kompetenzordnung an die Umstände des genehmigten Kapitals mit seiner zweistufigen Struktur anzupassen.249 Entgegen der Holzmann-Rechtsprechung ist nicht schon im Ermächtigungsbeschluss eine umfängliche sachliche Rechtfertigimg und damit auch eine umfängliche gerichtliche Kontrolle notwendig. 250 Dem Holzmann-Urteil lag die Vorstellung des BGH zugrunde, dass entweder der Ermächtigungsbeschluss einer Pflichtenbindung und Kontrolle unterliege, oder die Sachkontrolle vollständig fallen gelassen werden müsste. 251 Die Umsetzung einer doppelten Pflichtenbindung war zum damaligen Zeitpunkt ausgeschlossen, da eine Verhaltenskontrolle der Vorstandsmitglieder prinzipiell abgelehnt wurde. Als Beispiel hierfür mag die Kehrtwende der Rechtsprechimg in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH dienen. 252 Erst hier wurde von der Rechtsprechung anerkannt, dass es Bereiche von Entscheidungen der Verwaltung einer Kapitalgesellschaft gibt, die nicht voll dem unternehmerischen Ermessen unterliegen und die gerichtlich überprüfbar sind. Aus diesen Gründen ist für das genehmigte Kapital von einer doppelten Pflichtenbindung im Rahmen der Kompetenzordnung und damit auch von einer doppelten Kontrolle auszugehen. Dies in der Verteilung einer abstrakten Pflichtenbindung und Kontrolle des Ermächtigungsbeschlusses und einer den dann konkreten Umständen angepassten ergänzenden und umfassenden Kontrolle der Ausnutzung der Ermächtigung durch den Vorstand. 253 In diesen Zusammen249
Man könnte diesbezüglich, insbesondere hinsichtlich des Vorstandsberichtes auch von vorläufig „suspendierten Informationsrechten der Aktionäre" sprechen. So Tröger , ZIP 2001, 2029 (2042): „Erwägenswert erscheint, ob die für den Ermächtigungsbeschluss suspendierten Informationsrechte der Aktionäre nicht in diesem Rahmen wieder aufleben, dergestalt, dass der Vorstand nach Ausnutzung der Ermächtigung zur Offenlegung der abgeschlossenen Verträge und zur Erstellung eines ausführlichen Vorstandsberichtes ... verpflichtet ist." 250
Dem Holzmann-Urteil lag die Vorstellung des BGH zugrunde, dass entweder der Ermächtigungsbeschluss einer Pflichtenbindung und Kontrolle unterliege, oder die Sachkontrolle vollständig fallen gelassen werden müsste, dazu etwa Becker , BB 1981, 394 (395). Die Idee einer doppelten Pflichtenbindung war zu damaliger Zeit schwer möglich, da eine Verhaltenskontrolle der Vorstandsmitglieder abgelehnt wurde. 251 252
Dazu etwa Becker, BB 1981, 394 (395). BGHZ 135,244.
253 Diese doppelte Pflichtenbindung sehen so auch Kindler, ZGR 1998, 35 (62); Meilicke/Heidel, DB 2000, 2358 (2359); Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 115 f; ders., in:
86
c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
hang fügt sich auch die nach der hier vertretenen Ansicht dem Vorstand obliegende Pflicht bereits dann, wenn er zum Zeitpunkt des Ermächtigungsbeschlusses eine über die grundsätzlich abstrakte Planung hinausgehende konkrete Verwendungsabsicht hat, diese der Hauptversammlung zu offenbaren. 254 Geschieht dies, so umfasst die Pflichtenbindung und Kontrollmöglichkeit durch die Aktionäre auch diese weiteren Tatsachen. Die Rechtfertigung des Rückbaus der materiellen Beschlusskontrolle liegt damit in der Struktur des genehmigten Kapitals und dem Gedanken, dass der Umfang der Pflichtenbindung sich an dem Grad der Konkretisierung der Maßnahme auszurichten hat. Es findet kein Rückbau der Pflichtenbindung in ihrer gesamten Summe von Ermächtigungsbeschluss und Vorstandsentscheidimg statt, sondern die Verteilung der materiellen Rechtfertigung im Verhältnis Ermächtigungsbeschluss und Vorstandsentscheidung wird neu bestimmt. 255 Diese ist im Gegensatz zur Holzmann-Rechtsprechung nicht nur auf die Ermächtigungsentscheidung zu verlagern, sondern in dem genannten Verhältnis aufzuteilen. Als weiterer Wertungsgesichtspunkt, der einen Rückbau der Beschlusskontrolle rechtfertigt, könnte man noch die Vorgaben der Zweiten Kapitalrichtlinie heranziehen. Die Richtlinie verlangt grundsätzlich für einen Ausschluss des Bezugsrechts nur, dass dieser im Interesse der Gesellschaft zur Kapitalerhöhung liegt und kein Rechtsmissbrauch vorliegt. War der vom BGH vor der Siemens/Nold-Entscheidung vertretene Standpunkt noch im Toleranzrahmen der Richtlinie, so befindet sich die Rechtsprechung nunmehr in voller Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie. 256 Damit nähert sich i m Ergebnis die hier vertretene Ansicht der Meinung der an, die zumindest für den Fall der Ermächtigung des Vorstandes zur Entscheidung über das Bezugsrecht die sachliche Rechtfertigung ausschließlich bei der Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 76. Insoweit abweichend Lutter, in: Kölner Kommentar, § 203 Rn. 21 und Brandes, WM 1984, 289 (297), die von einer Teilung der Kontrolle sprechen. 254 Ausführlich dazu unten unter D.I.l.c)bb). Zustimmend auch die neueste Rechtsprechung, vgl. etwa LG, BB 2001, 747 und das Urteil der Berufungsinstanz OLG München ZIP 2002, 1580. Hierzu auch Natterer, ZIP 2002, 1672. 255
Im Ansatz so auch Ekkenga, AG 2001, 615 (617 f): gestimmt der Vorstand über den Ausschlussgrund Kraft Ermächtigung, ohne dass hiergegen ein Rechtsmittel des Aktionärs gegeben ist, so entsteht diesem hierdurch kein Nachteil, weil die Festlegung des Ausschlussgrundes die Rechtmäßigkeit des Bezugsrechtsausschlusses nicht präjudiziell. Vielmehr ist die Festlegung einer inzidenten Rechtskontrolle zu unterwerfen, sobald der Bezugsrechtsausschluss selbst angegriffen wird." 256
Dazu auch Kindler, ZGR 1998, 36 (48 f) und Goette, DStR 1997, 1463.
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Vorstandsentscheidung ansiedeln möchte und eine Kontrolle bereits des Ermächtigungsbeschlusses ablehnt. 257 Wie aber gerade der Fall einer schon konkretisierten Planung zeigt, kann aber auf die Kontrolle des Ermächtigungsbeschlusses nicht gänzlich verzichtet werden. Dies erkennt so auch Hirte, wenn er formuliert: „... kann damit auf die Kontrolle des Ermächtigungsbeschlusses nicht vollständig verzichtet werden, solange in Rechtsprechung und Schrifttum Unsicherheiten bezüglich der Frage bestehen, wie ein adäquater Aktionärsschutz im Zeitpunkt des Vorstandsbeschlusses ausgestaltet ist.4*258
3. Qualität der Angemessenheitskontrolle Lehnt man mit der hier vertretenen Ansicht eine Aufgabe der Angemessenheitskontrolle ab, so stellt sich im Anschluss daran die Frage, welche inhaltliche Qualität diese Kontrolle als Teil der Kompetenzordnung haben soll. Dabei sind nach der hier vertretenen Ansicht zwei Punkte zu trennen. Nämlich die Frage, ob eine gänzliche Reduzierung der Angemessenheitskontrolle erfolgen, oder ob sich diese Reduzierung, insbesondere im Rahmen des genehmigten Kapitals, nur auf die Ermächtigungsentscheidung der Hauptversammlung beziehen soll. I m neueren Schrifttum wird vereinzelt eine umfängliche Rückführung der materiellen Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den Standard einer bloßen Missbrauchskontrolle in Erwägung gezogen 259 ; und dies sowohl für Ermächtigungs-, als auch Vorstandsentscheidungen. Der Ausschluss des Bezugsrechtes wäre nach dieser Ansicht ausschließlich mit der Begründung
257
So etwa Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 72 ff; Kindler , ZGH 1998, 35 (62). 258
Hirte , in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 75. Gänzlich neu ist diese Tendenz nicht. Schon im früheren Schrifttum wurde eine solche Reduzierung auf eine Missbrauchskontrolle diskutiert. Diese bezog sich aber meist nur auf fusionsähnliche Konzernsachverhalte, vgl. dazu etwa Timm , ZGR 1987, 403 (428) oder Semler , BB 1983, 1566 (1568). Mit Recht abl. gegen diese partielle Freistellung von der Angemessenheitskontrolle die h.M., vgl. Lutter , in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 81; Hüffer , AktG, § 186 Rn. 34; Hirte , Bezugrechtsausschluss, S. 70 ff, da auch bei sonstigen Konzembildungsbeschlüssen eine inhaltliche Kontrolle stattfindet, so etwa bei Verschmelzung durch Aufiiahme (§ 343 I AktG a.F., § 69 11 UmwG n.F.). 259
. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung angreifbar, dass die Entscheidung eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der gesetzlich gegebenen Kompetenzen wäre. 260
a) Angemessenheitskontrolle
und unternehmerisches Ermessen
Eine inhaltliche Einschränkung der Angemessenheitskontrolle des Bezugsrechtsausschlusses befürwortet insbesondere Cahn 261 . Nach seiner Ansicht sind die nach der Rechtsprechung geltenden materiellen Voraussetzungen für einen Bezugsrechtsausschluss deshalb problematisch, da die Kapitalerhöhung und das mit ihrer Hilfe finanzierte Vorhaben als Einheit beurteilt werden müssen. Gerade bei der durchzuführenden Maßnahme handelt es sich nach seiner Ansicht i.d.R. um eine Entscheidung auf der Ebene der Geschäftsführung. Hierbei stehe dem Vorstand ein weitgehendes, originäres unternehmerisches Ermessen zu. Eine Einengung dieses Ermessens durch eine strikte Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsbindung würde dieses Ermessen unzulässig beschränken, wenn nicht sogar ganz verdrängen. Dieser Konflikt mit dem unternehmerischen Ermessen des Vorstandes bestehe nach Cahns Ansicht sowohl hinsichtlich der Prüfungsstufe der Erforderlichkeit, als auch der konkreten Interessenabwägung.
aa) Erforderlichkeit Dieser Ansicht von Cahn ist für das Prüfungsmerkmal der Erforderlichkeit zuzugestehen, dass insbesondere für das genehmigte Kapital eine Annäherung der inhaltlichen Kontrolle an eine Missbrauchskontrolle erfolgt. Die Erforderlichkeit wird in Rechtsprechung und Literatur dahingehend konkretisiert, dass ein Bezugsrechtsausschluss nur dann zulässig ist, wenn kein anderes, die Belange der Aktionäre weniger beeinträchtigendes Mittel zur Erreichung des mit der Kapitalerhöhung angestrebten Ziels in Betracht kommt. 2 6 2 Erfolgt nunmehr eine konkrete Umschreibung des Vorhabens durch den Vorstand, etwa der Erwerb einer Beteiligung an einer Zielgesellschaft, so ist 260 Diese Ansicht hätte auch weitreichende prozessuale Folgen. Oblag der Gesellschaft bislang nach der abgestuften Darlegungs- und Beweislast der Nachweis der maßgeblichen Faktoren, die der Entscheidung und damit der Rechtfertigung zugrunde lagen, verschiebt sich dieses Gefüge noch weiter zu Lasten der Aktionäre, wenn diese nunmehr einen Rechtsmissbrauch durch die Gesellschaft nachweisen müssen. 261 262
Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (557 ff).
So der BGH(Z), 71, 40 (44) in der Kali+Salz-Entscheidung, für die Literatur vgl. Hüffen AktG, § 186 Rn. 27 und Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 144. Zurückhaltend Martens, ZIP 1992,1677 (1693).
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dieser Erwerb nur dann nicht erforderlich, wenn feststeht, dass die Gesellschaft die entsprechenden Anteile an der Gesellschaft auch auf einem Weg erwerben könnte, der für die Aktionäre weniger belastend ist. Dabei kommen für die Alternativlösung wegen der fehlenden Konkretisierung ebenfalls nur abstrakte Sachverhalte in Betracht. Die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit in dieser Konstellation nähert sich damit im Ergebnis tatsächlich einer Kontrolle, die sich auf den Missbrauch des Bezugsrechtsausschlusses durch den Vorstand beschränkt. Weitergehende Bedeutung erhält aber das Merkmal der Erforderlichkeit gerade nach der durch die Siemens/Nold-Entscheidung möglichen abstrakten Beschreibung des mit der Kapitalerhöhung verfolgten Ziels. Nimmt man die Erforderlichkeit ernst, müsste das Gericht prüfen, ob das beschriebene Ziel ausschließlich auf dem Wege einer Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechtes erfolgen kann. Hierbei müsste das Gericht z.B. bei der Zielvorgabe ,3eteiligungserwerb" überprüfen, ob nicht auch ein Beteiligungserwerb gegen Barzahlung oder sonstige Alternativlösungen möglich wäre. Überprüfbar wäre somit schon der erste grundlegende Entscheidungsschritt des Vorstandes, welche Finanzierungsmöglichkeit gewählt wird. Gerade hierin sieht Cahn einen unzulässigen Eingriff in das unternehmerische Ermessen des Vorstandes. Ist dieser grundlegenden Überlegung von Cahn noch zuzustimmen, so kann daraus dennoch nicht gefolgert werden, die richterliche Angemessenheitskontrolle sei zu Gunsten einer allgemeinen Missbrauchskontrolle zurückzunehmen. Ein erstes Argument hiergegen ist schon die grundlegende These von Cahn, dass dem Vorstand in Fragen der Investitionspolitik ein uneingeschränktes unternehmerisches Ermessen zukommt. Mag dies für reguläre Finanzierungsentscheidungen, etwa einer Darlehensaufnahme noch richtig sein, so ist dies, soweit es sich um die Ausgabe von neuen Anteilen an Dritte unter Ausschluss des Bezugsrechts handelt, nicht vollumfänglich zutreffend. Diese Entscheidung unterfällt als Satzungsänderung grundsätzlich auch der Kompetenz der Hauptversammlung, die diese Kompetenz im Rahmen des genehmigten Kapitals auf den Vorstand delegieren kann. Es liegt also kein Fall des originären, sondern des abgeleiteten Ermessens vor. In diesem Bereich besteht damit gerade kein eigener, kontrollfreier Entscheidungsspielraum des Vorstandes. Ferner ist gerade die Struktur des genehmigten Kapitals mit seinem zweistufigen Verfahren zu berücksichtigen. Diese Verfahrensaufspaltung kann zugegebenermaßen dazu führen, dass die Angemessenheitsprüfüng in der ersten Stufe der Ermächtigungsentscheidung den Umfang einer bloßen Missbrauchskontrolle erhält. Ein Rückschluss darauf, dass aber generell für die vollständige Maßnahme von Ermächtigungsentscheidung und Konkretisierung durch den Vorstand nur ein Missbrauch überprüfbar ist, kann nicht gezogen werden.
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung bb) Interessenabwägung im engeren Sinn
Ähnlich wie bei der Erforderlichkeit sieht Cahn, bedingt durch das unternehmerische Ermessen des Vorstandes, auch bei der Interessenabwägung und der damit verknüpften Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck eine Einschränkung der Kontrollintensität. Ausgangspunkt für die Beurteilung des Bezugsrechtsausschlusses ist das Interesse der Gesellschaft an dem Ausschluss des Bezugsrechtes zur Verwirklichung des Vorhabens. Wenn die Maßnahme für die Gesellschaft und damit auch für die Gesamtheit der Aktionäre von Vorteil ist, kann hierdurch grundsätzlich ein Eingriff in die Individualinteressen der Aktionäre gerechtfertigt sein. Dies gilt aber dann nicht, wenn geringfügige Vorteile für die Gesellschaft durch schwerwiegende Nachteile für die mitgliedschaftliche Position der Aktionäre erkauft werden. 263 Neben diesem relativen Vergleich von Eingriff in die Aktionärsinteressen und Gesellschaftsinteresse ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aber auch noch ein absoluter Maßstab anzusetzen. Ist der Eingriff in die Aktionärsstellung derart schwerwiegend, dass er einem Entzug der Mitgliedschaft gleichkommt, so kann selbst ein überragendes Gesellschaftsinteresse diesen Eingriff nicht rechtfertigen 264 . Bei eindeutiger UnVerhältnismäßigkeit muss das Gesellschaftsinteresse zurücktreten, da nicht nur die Aktionäre der Gesellschaft Loyalität schulden, sondern auch umgekehrt der Verband zur Rücksichtnahme auf die individuellen mitgliedschaftlichen Interessen der Aktionäre verpflichtet ist. 2 6 5 Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, wie Cahn es vertritt, die obere Grenze der Verhältnismäßigkeit dort anzusiedeln, „wo die Förderung der Gesellschaftsbelange zum Nachteil von Gesellschaftern missbräuchlich erschiene" 2 6 6 . Im Falle eines Missbrauches liegt zwar stets auch eine UnVerhältnismäßigkeit vor, wieso aber hier die Verhältnismäßigkeit auf gleicher Höhe oder sogar oberhalb einer solchen Missbrauchsschwelle anzusetzen ist, ist nicht ersichtlich und wird von Cahn auch nicht begründet.
263
So noch zutreffend Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (559). So auch für den Fall der börsennotierten Gesellschaft Wiedemann , in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn. 147 a.A.; im Ergebnis auch Hüffer, AktG, § 186 Rn. 28, 32. Zur Frage, inwieweit die gesetzliche Einführung des „squeeze-out" in §§ 327a ff AktG eine Änderung der Bewertung der Aktionärsstellung entnommen werden kann vgl. unten unter C.IV.3.c)bb). 264
265
Grundlegend Zöller, ZGR 1988, 392 (432 f); Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (559).
266
Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (559).
IV. Folgen von Siemens/Nold
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Ferner ist hier die Verhältnismäßigkeit auch im Zusammenhang mit dem unternehmerischen Ermessen zu sehen. Zur Konkretisierung der im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigenden Interessen ist auf die in concreto betroffenen Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre abzustellen. Dabei ist zwar zuzugeben, dass insbesondere für Kleinaktionäre eine typisierte Betrachtung erfolgen kann, da hier in der Regel durch den Bezugsrechtsausschluss ausschließlich die Verwässerung des Vermögens betroffen sein wird und damit eine Fallgruppenbildung möglich ist. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass sich die Angemessenheitskontrolle immer auf eine solche typisierende Missbrauchskontrolle beschränken kann, bei der der Gesellschaft ein unternehmerisches Ermessen hinsichtlich der Wahl der Maßnahme zusteht.
b) Verlagerung der Kontrolle auf das Vorstandshandeln und inhaltlicher Standard Neben dieser Überlegung, ob nicht das dem Vorstand zustehende Ermessen eine Reduzierung des inhaltlichen Standards der sachlichen Rechtfertigung bedingt, stellt sich ferner die Frage, ob nicht auch aus der Verlagerung des Schwerpunktes hin auf die Vorstandsentscheidung als solches folgt, dass der inhaltliche Standard absinkt; dies vor allem unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kontrollmöglichkeiten bzw. Kontrollintensität hinsichtlich von Entscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat. Dies ist freilich zu verneinen. Der Rückbau der Standards der Inhaltskontrolle auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses war ganz entscheidend eine Antwort auf die regelmäßig gegen solche Beschlüsse erhobene Anfechtungsklage, die im Ergebnis eine Ausnutzung durch den Vorstand verzögerte oder wegen Ablaufs der Ermächtigungsdauer ganz unmöglich gemacht hat. Diese Sperrwirkung einer Anfechtungsklage als Rechtsschutz auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses greift jedoch nicht bei einer Verlagerung der Kontrolle hin auf den Vorstandsbeschluss. Die Verlagerung der Kontrolle hin auf das Vorstandshandeln liegt auf einer Linie mit der vom BGH bewusst verfolgten Annäherung an die im US-Recht bestehende Möglichkeit des direkten und unmittelbaren Vorgehens gegen Entscheidungen des „executive boards". 267 Eine
267
Diese Tendenz wird neben der Siemens/Nold-Entscheidung vor allem durch die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung verdeutlicht, in der erstmals eine Feststellungsklage eines Aufsichtsratsmitgliedes gegen einen Beschluss des Aufsichtsrates zugelassen wurde. Hierzu vgl. Hirte , NJW 1998, 2943 (2947); ders., in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 79.
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c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
gleichzeitige Absenkung der inhaltlichen Standards wäre mit einer solchen Verlagerung unvereinbar. 268 Dennoch stellt sich hinsichtlich des Rechtsschutzes der Aktionäre die Frage, ob nicht die Verlagerung faktisch eine Begrenzimg der inhaltlichen Rechtfertigung für das genehmigte Kapital zur Folge hat. Besteht materiell ein entsprechender Rechtfertigungsbedarf fiir den Vorstand, lässt sich dieser aber in der Praxis von den Aktionären nicht in dem gebotenen Rahmen kontrollieren, da entweder eine Offenlegung der maßgeblichen Umstände nicht erfolgt, oder können die Aktionäre selbst bei angemessener Offenlegung nicht wirksam hiergegen vorgehen und die Maßnahme unterbinden, stellt sich dies i m Ergebnis als Begrenzung der inhaltlichen Rechtfertigung dar.
c) Aktuelle Tendenzen zur Einschränkung der Aktionärsstellung Auswirkungen auf die Ermächtigungskompetenz
-
aa) Vereinfachter Bezugsrechtsausschluss, § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG Jedenfalls aus aktueller Sicht kann meiner Ansicht nach die teilweise bei Einführung der Regelung in der Literatur vertretene Meinung, der Gesetzgeber habe mit der Einführung der Möglichkeit des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses die materielle Inhaltskontrolle und den damit bezweckten Bestandsschutz zugunsten eines Vermögensschutzes zurücktreten lassen, nicht mehr aufrechterhalten werden. 269 Mit der Zulassung des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses hat der Gesetzgeber nicht wie der BGH im Rahmen der Kali+Salz-Rechtsprechung bei dem Eingriffsgrund, sondern bei den Eingriffsfolgen und deren Kompensation angesetzt. Der Gesetzgeber hat die Kompensationsfolgen, Gewährleistung eines -ausreichenden, am Börsenpreis orientierten Mittelzuflusses in das Vermögen der Gesellschaft und die den Altaktionären eröffnete Möglichkeit ihren Quotenverlust durch Zukäufe an der Börse wieder auszugleichen, als ausrechende Rechtfertigung angesehen. Eine Reduzierung der Anforderungen, die grundsätzlich an den Eingriffsgrund gestellt werden, liegt hierin gerade nicht. Die Hauptversammlung und der Vorstand erhalten den „Persilschein" 270 nicht umsonst; als Gegenleistung begeben sie sich in gewissem Umfang ihres ihnen an anderer Stelle sonst zustehenden Entscheidungsspielraumes. Die Fest268
So auch Goette, FS 50 Jahre BGH, S. 123 (140). So etwa Wiedemann, in: Großkommentar zum AktG, § 186 Rn.159; Martens, ZIP 1994, 669 oder Schockenhoff, AG 1994,45. 269
270
So plakativ Ekkenga, AG 2001, 567 (575).
IV. Folgen von Siemens/Nold
93
legung des Ausgabepreises und des Ausgabevolumens ist durch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG eingeschränkt. Eine weitergehende Einschränkung des Bestandsschutzes kann der Regelung auch ferner deshalb nicht entnommen werden, da dies auf einen partiellen „Squeeze-out" hinauslaufen würde. 271 Diese Möglichkeit wurde vom Gesetzgeber bewusst aber erstmals in allgemeiner Form mit der Regelung der §§ 327 a ff AktG eingeführt.
bb) Squeeze-out, §§ 327 a bis f AktG Mit Wirkung zum 1. Januar 2002 ist mit dem sog. Squeeze-out in den §§ 327 a-f AktG die Möglichkeit geschaffen worden, dass ein Mehrheitsaktionär mit mindestens 95 % des Grundkapitals Minderheitsaktionäre auch ohne ihre Zustimmung gegen Barabfindung aus der Gesellschaft hinausdrängt. Das bislang geltende Aktienrecht kannte die Möglichkeit des Ausschlusses eines Aktionärs neben der Zwangseinziehung gem. den §§ 237 ff AktG und der Kaduzierung in § 64 AktG nur für den Fall der Eingliederung nach § 320 AktG. 2 7 2 In Hinblick auf den Bezugsrechtsausschluss stellt sich die Frage, ob hierdurch auch Folgen für die sachliche Rechtfertigimg bzw. deren inhaltliche Qualität verbunden sind. Zum Teil wird in der Literatur aus der Einführung des Squeeze-out durch den Gesetzgeber gefolgert, „dass der aktienrechtliche Minderheitsteil von weniger als 25% im Regelfall gegen adäquaten Vermögensausgleich entzogen werden kann, da die Beteiligung insoweit als allein vermögensmäßig zu qualifizieren ist." 2 7 3 Eine andere Einschätzung würde den aktuellen Rahmenbedingungen am Kapitalmarkt nicht mehr gerecht. Erweitert man diesen Ansatz auf den Eingriff in die Mitgliedschaft durch einen Bezugsrechtsausschluss, so müsste auch hier gelten, dass dieser bei ange-
271
Hierzu schon Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 31. Femer besteht auch die Möglichkeit der Eingliederung nach § 319 AktG, diese setzt aber 100 % Anteilsbesitz der zukünftigen Hauptgesellschaft voraus. In der Literatur wird auch die Möglichkeit der Ausschließung aus wichtigem Grund diskutiert, vgl. etwa Schmidt , Gesellschaftsrecht, § 28 I 5; ablehnend dagegen die Rechtsprechung, BGHZ 18, 350 (365). Zu diesem Punkt auch Habersack , ZIP 2001, 1230. 272
273 So etwa Wolf, ZIP 2002, 153 (156), der die vom Gesetzgeber gezogene Grenze von 5%- großzügig auf 25%-Beteiligungen ausdehnen möchte, da bis zu dieser Grenze die Bedeutung der Mitwirkungsrechte zu vernachlässigen ist und die Beteiligung nur unter vermögensrechtlichen Aspekten zu beurteilen sei.
94
c. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung
messener finanzieller Entschädigung auch ohne weitergehende Rechtfertigung zulässig wäre. 274 Nach der hier vertretenen Ansicht kann diese Einschränkung der mitgliedschaftlichen Rechte, wie sie bei dem Squeeze-out vorgenommen wird, nicht auf das Bezugsrecht der Aktionäre gem. § 186 Abs. 1 und 2 AktG übertragen werden.
4. Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung Folgerungen aus den dargestellten Kriterien Betrachtet man die oben dargestellten Grenzen der Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung, so ergibt sich unter dem Blickwinkel der mitgliedschaftlichen Rechte und Interessen der Aktionäre ein zweigeteiltes Bild: Für die Übertragung der Entscheidungskompetenzen sowie für Umfang und Inhalt der Entscheidungskompetenz bestehen klar umrissene gesetzliche Vorgaben. Diese gewährleisten, dass eine Übertragimg der grundsätzlich der Hauptversammlung zustehenden Kompetenzen auf den Vorstand nur aufgrund einer Entscheidung der Hauptversammlung und nur insoweit erfolgen kann, als diese der Hauptversammlung auch zustehen. Ferner ist insbesondere durch die Begrenzung des Inhaltes und des Umfanges sicher gestellt, dass die Kompetenzübertragung auf den Vorstand nur in einem Umfang erfolgt, der nicht die grundsätzliche Organisationsstruktur der Aktiengesellschaft verletzt würde. Soweit die Hauptversammlung von der Ermächtigungskompetenz zur Delegierung von Entscheidungen über einen Bezugsrechtsausschluss Gebrauch macht, ist wie folgt zu differenzieren: Ausgangspunkt für die Begrenzung der Ermächtigungskompetenz aus Sicht der Aktionäre durch eine richterliche Angemessenheitskontrolle sind weiterhin die im Kali+Salz-Urteil des BGH aufgestellten Grundsätze. Diese für den Fall der regulären Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss aufgestellten Kriterien, die durch die HolzmannEntscheidung auf die Ermächtigungsentscheidung der Hauptversammlung im Rahmen eines genehmigten Kapitals erweitert wurden, sind nach der hier vertretenen Ansicht durch das Siemens/Nold-Urteil des BGH nicht aufgehoben geworden. Die Zielsetzung muss weiterhin sein, den überstimmten (Minderheits-)Aktionär vor einem ersatzlosen Verlust eines Teils seiner Mitgliedschaft zu bewah274
Dieser Ansatz entspricht damit zum Teil dem Ansatz von Mülbert, vgl. oben C.IV.l.b).
IV. Folgen von Siemens/Nold
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ren. In welcher Komponente der Mitgliedschaft - Stimmrechte oder Vermögensbeteiligung - der Schwerpunkt zu setzen ist, ist hierfür grundsätzlich unerheblich. 275 Ergebnis der Angemessenheitskontrolle muss stets die normative Zweckbindung der Kapitalerhöhung sein. Ausschlaggebend hierfür sind dann im konkreten Einzelfall die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit des Bezugsrechtsausschlusses.276 Dass nunmehr der BGH in der Siemens/Nold-Entscheidung diese Begrenzung zumindest für die Ermächtigungsentscheidung aufgelockert hat, führt zu einer Erweiterung der Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung; diese kann nunmehr, lediglich begrenzt durch den abstrakt vorgegebenen Rahmen der zulässigen Zielsetzungen eines Bezugrechtsausschlusses entweder selbst das Bezugsrecht ausschließen oder den Vorstand hierzu ermächtigen. Die Fragestellung, die aus dieser Erweiterung der Kompetenz folgt, ist nunmehr die, welche Konsequenzen dies für die Entscheidung des Vorstandes bei Ausnutzung der Ermächtigung hat. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass Entscheidungen, die in die individuelle Rechtsphäre der Aktionäre eingreifen, nicht von der Hauptversammlung an den Vorstand delegiert werden können, wenn hierdurch ein unterschiedliches Maß an Eingriffsintensität und Interessenwahrung der Aktionäre verbunden ist. 2 7 7 Dies ist auch i m Zusammenhang mit dem Rechtsschutz der Aktionäre zu sehen, der sich maßgeblich an der Kompetenzordnung, bzw. deren Überschreitung ausrichtet. Ist die Ermächtigungskompetenz, und dieser folgend auch die Ausübungskompetenz des Vorstandes, zwar inhaltlich beschränkt, ist diese Beschränkung aber von den Aktionären nicht effektiv kontrollierbar, ist der Zweck der Kompetenzordnung verfehlt.
275
Zu den Extrempositionen vgl. etwa Hirte , Bezugsrechtsausschluss, S. 138 und Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 334 f. 276 Hiermit ist aber noch keinesfalls gesagt, wann und in welchem Konkretisierungsgrad diese Kriterien zu beachten sind - wie also eine Verteilung zwischen Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung und Ausnutzungsentscheidung des Vorstandes zu erfolgen hat. 277
Ekkenga stellt deshalb auch zu rech fest: „Die Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung entspricht nicht notwendigerweise ihrer Sachentscheidungskompetenz" (AG 2001, 567 (576)).
D. Ausübungskompetenz des Vorstands I. Konkrete Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss und die Ausübungskompetenz Wie oben aufgezeigt, hat der BGH von den Kriterien der HolzmannEntscheidung Abstand genommen und die Anforderungen an den Hauptversammlungsbeschluss hinsichtlich der nötigen Angaben und der Verhältnismäßigkeit erleichtert. Durch diese Änderungen der Gewichtung haben sich die Anforderungen an die gesamte Maßnahme, bestehend aus Ermächtigimg und Vorstandsentscheidung, verschoben. Es ist zu untersuchen, welche Anforderungen nunmehr an die Kompetenzordnung zu stellen sind. Weiter betraf die Entscheidung Siemens/Nold den Fall der Sofortentscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts bei Sacheinlage. Zu klären ist deshalb auch, welche Auswirkungen auf den Fall der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss nach § 203 Abs. 2 AktG und den Fall der Bareinlage bestehen.
1. Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss durch die Hauptversammlung I m Falle der Sofortentscheidung der Hauptversammlung über den Bezugsrechtsausschluss erfolgt zunächst die Ermächtigung des Vorstandes zur Kapitalerhöhung. Gleichzeitig mit dieser beschließt die Hauptversammlung über den Ausschluss des Bezugsrechts für die Maßnahme des Vorstandes. In einem zweiten Schritt nimmt dann der Vorstand diese Ermächtigung unter Mitwirkung des Aufsichtsrats wahr.
a) Anforderungen
an den Hauptversammlungsbeschluss
Die Hauptaussage des BGH in der Siemens/Nold-Entscheidung liegt - wie oben festgestellt - darin, dass sich die Hauptversammlung nunmehr auf die Festlegung eines allgemein umschriebenen Ermächtigungsrahmens beschränken kann. Einer konkreten Bestimmung der Maßnahme durch die Hauptversammlung bedarf es nicht mehr. Dies hat auch die bereits dargestellten Auswirkungen auf die Frage der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsaus-
I. Bezugsrechtsausschluss und Ausübungskompetenz
97
Schlusses. Aufgrund dieser Vorgaben ist nur noch eine Übereinstimmung mit dem „wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft" notwendig. Klärungsbedürftig ist aufgrund dieser Abschwächung des Konkretisierungsgrades, ob nunmehr auch „Vorratsermächtigungen" für den Vorstand zulässig sind. 278 Der BGH äußert sich im Urteil selbst weder negativ noch positiv, er spricht lediglich von „abstrakten Tatsachen".279 Eine ablehnende Stellung gegenüber einer Vorratsermächtigung bezieht Goette 280 . Er begründet dies damit, dass „die herausgestellte Gefahr der Selbstentmündigung der Hauptversammlung" bestehe, wenn man eine Vorratsermächtigimg zulasse. Der Bericht des Vorstandes dürfe sich deshalb ,glicht in Allgemeinheit verlieren, sondern muss die vorgesehene Maßnahme in abstrakter Form so genau beschreiben, dass nicht nur der Vorstand im Laufe des Ermächtigungszeitraumes genau feststellen kann, ob die von ihm ins Auge gefasste unternehmerische Entscheidung von dem Ermächtigungsbeschluss gedeckt ist, sondern dass auch nachträglich eine Kontrolle möglich wird, ob er seine Befugnisse nicht überschritten hat." 281 I m Ergebnis sei deshalb eine Vorratsermächtigung unzulässig. Begründen ließe sich diese Meinung damit, dass der BGH in seiner Entscheidung ausführt, dass für den Vorstandsbericht an Tatsachen angeknüpft werden soll, die der Verwaltung vorliegen. Dies könnte man so interpretieren, dass der BGH von einem bestehenden Plan der Verwaltung ausgeht und so eine Vorratsermächtigung ausschließen möchte. Dieser Schluss ist aber nicht zwingend, da der BGH im folgenden Satz ausfuhrt, dass wenn der Hauptversammlung außer dem abstrakt umschriebenen Vorhaben bei der Beschlussfassung keine weiteren Tatsachen bekannt gewesen sind, sich die Prüfung an den abstrakt umschriebenen Umständen auszurichten hat. 282 Eine entgegengesetzte Position hierzu bezieht wohl der überwiegende Teil der Literatur, der eine Vorratsermächtigung für nunmehr zulässig hält. 283 Dem ist hier zuzustimmen. Der Begründungsansatz von Goette geht fehl. Erstens be278
Dies sind Ermächtigungen, bei denen der Vorstand die Durchführung der genehmigten Maßnahme noch nicht aktuell plant, sondern sich diese auf Vorrat für die Zukunft genehmigen lassen will. 279 280 281 282 283
BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter II b aa. Goette , DStR 1997, 1463. Goette , DStR 1997, 1463. BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter 12 b aa.
So etwa Bungert , NJW 1998, 488 (490); Hüffer , AktG, § 203 Rn. 26; Bosse, ZIP 2001, 104(105).
98
D. Ausübungskompetenz des Vorstands
steht die Befürchtung einer „zu allgemeinen Begründung" und die damit zu befürchtende Selbstentmündigung der Hauptversammlung nicht nur für den Fall der Vorratsermächtigung. Es ist ein allgemeines Problem des genehmigten Kapitals, das auch bei einem konkretisierten Vorhaben besteht. Auch bei diesem ist ein „verlieren in der Allgemeinheit möglich". Aus dieser Gefahr die Unzulässigkeit einer Vorratsermächtigung zu schließen ist deshalb nicht möglich. Ferner ist auch fraglich, wo die Grenze zwischen einem zulässigen allgemein beschriebenen „konkretisierten" Vorhaben und einem unzulässigen „Vorratsvorhaben" besteht. Der BGH formuliert ausdrücklich, dass eine allgemeine Umschreibung des Maßnahmentypus genügt. Wo hiernach die Unterscheidung zwischen Vorratsvorhaben und sonstigem Vorhaben liegen soll, ist nicht ersichtlich. Würde man Goette folgen, müssten dann zum Beschlusszeitpunkt doch wieder konkrete Gesichtspunkte vorliegen. Gerade diese Anforderung wollte der B G H abschaffen. Ob der BGH damit ausdrücklich eine Vorratsermächtigung zulassen wollte, lässt sich nicht zwingend beantworten. Über die von ihm aufgestellten Voraussetzungen ist dies nunmehr zulässig. Insbesondere ist anzunehmen, dass der BGH, hätte er dies verhindern wollen, eine diesbezügliche Einschränkung i m Urteil vorgenommen hätte. Dass er dieses Problem übersehen hat, ist wohl eher zweifelhaft. 284
b) Anforderungen
an das Vorstandshandeln
Die Entscheidimg des BGH betraf zwar grundsätzlich nur die Anfechtung der konkreten Hauptversammlungsbeschlüsse, der Rückbau der Beschlusskontrolle hat aber auch erhebliche Auswirkungen auf die Ausübungsvoraussetzungen für den Vorstand, da ja erst dieser die konkrete Maßnahme bestimmt und erst jetzt eine Überprüfung des Bezugsrechtsausschlusses möglich ist. 2 8 5 Diese Verlagerung sieht auch der BGH und stellt gleichzeitig mit dem Urteil im zweiten Leitsatz und in den Entscheidungsgründen die Voraussetzungen für diese Entscheidung auf 2 8 6 :
284
Ebenso Hüjfer, AktG, § 203 Rn. 26. Es stellt sich dann auch das Problem, was man als Abgrenzungskriterium heranziehen will. Es verbliebe fast nur die subjektive Vorstellung des Vorstandes. Dies ist aber ein ungeeignetes, da weitgehend der objektiven Beweisbarkeit entzogenes, Kriterium. 285 Kindler stellt zutreffend fest: „Im übrigen verlagert sich die Rechtsprüfung auf die 2. Stufe der Kapitalmaßnahme, die Ausübung der Ermächtigung durch den Vorstand." Kindler, ZGR 1998, 37 (57). 286
BGH, NJW 1997 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter I 2 b bb.
I. Bezugsrechtsausschluss und Ausübungskompetenz
99
•
Übereinstimmung des Vorhabens mit dem satzungsgemäßen Unternehmensgegenstand.
•
Übereinstimmung der tatsächlichen Lage mit der abstrakten Umschreibung des Vorhabens im Hauptversammlungsbeschluss.
•
Übereinstimmung des Vorhabens mit dem wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft.
aa) Übereinstimmung mit dem Unternehmensgegenstand Der Unternehmensgegenstand (§§ 23 Abs. 3 Satz 2, 179 Abs. 2 Satz 2 AktG) ist Bestandteil der Satzung und gehört zum Zweck der Gesellschaft im weiteren Sinn, ist aber nicht identisch mit dem Gesellschaftszweck (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB) 2 8 7 . Er umschreibt die Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstandes (§§ 76, 82 Abs. 2 AktG) und soll außenstehende Dritte über den Tätigkeitsbereich der Gesellschaft informieren. 288 Da es sich bei der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss um eine rein interne Maßnahme handelt, kann diese Voraussetzung des BGH nur so gemeint sein, dass der Vorstand bei der Ausübung der Ermächtigung an seine, ihm von der Hauptversammlung übertragene Geschäftsführungskompetenz, gebunden sein soll. Zu beachten ist dabei, dass es sich nicht um einen regulären Fall der Geschäftsführungsbefugnis handelt (§ 77 ff AktG). 2 8 9 Der Vorstand kann über die Kapitalerhöhung nur aufgrund der Delegation durch die Hauptversammlung entscheiden. Eine originäre Befugnis besitzt er in diesem Fall nicht. Dieses Kriterium kann deshalb nur so verstanden werden, dass der BGH versucht, die aufgrund der abstrakten Beschreibung „ausgeuferte" Befugnisdelegation durch die Bindung an den Unternehmensgegenstand zu konkretisieren. Hinsichtlich dieser Bindung an den Unternehmensgegenstand ist aber wie folgt zu differenzieren: (1)
Bezieht sich die abstrakte Ermächtigung der Hauptversammlung auf eine Maßnahme, die im konkreten Rahmen des bestehenden Unternehmensgegenstandes liegt, so ist die eigenständige Bedeutung dieses Merkmals fraglich.
287
Zöllner , in: Kölner Kommentar, § 179 Rn. 116; Hüjfer, AktG, § 23 Rn. 21. BGH, WM 1981,163 (164); BayObLG, NJWRR 1996,413. 289 Diese auch deshalb, da der Hauptversammlung nach der gesetzlichen Kompetenzverteilung eine reguläre Geschäftsführungsbefugnis nicht zusteht, vgl. § 119 II AktG. 288
100
D. Ausübungskompetenz des Vorstands Die Kompetenz des Vorstandes ist schon über das zweite Kriterium an die Vorgaben der Hauptversammlung gebunden. 290 Nur für den Fall, dass die Umschreibung im Hauptversammlungsbeschluss derart allgemein gehalten ist, dass das konkrete Vorhaben ihm entspricht, aber der Unternehmensgegenstand verlassen wird, verbleibt ein fast nur theoretischer Anwendungsbereich. Fraglich bleibt zudem, ob dann nicht schon eine implizite Erweiterung des Unternehmensgegenstandes durch die Hauptversammlung angenommen werden kann. 291
(2)
Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand zu einer Maßnahme, die den bisherigen Unternehmensgegenstand verlässt, kommt eine implizite Erweiterung des Unternehmensgegenstandes in Betracht. 292 Der Kapitalerhöhungsbeschluss stellt dann zugleich eine stillschweigende Erweiterung des Unternehmensgegenstandes dar. Eine andere Auslegung des Kapitalerhöhungsbeschlusses würde zur Unwirksamkeit der gesamten Maßnahme führen. 293 Dies wäre im Zweifel abzulehnen, da ja gerade der Wille der Hauptversammlung zur Kapitalerhöhimg besteht. Nach überwiegender Ansicht ist eine solche zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung grundsätzlich zulässig. 294 Voraussetzung dafür ist aber, dass die für eine Satzungsänderung erforderlichen Voraussetzungen eingehalten werden, insbesondere, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss die für die Satzungsänderung notwendige Mehrheit erfüllt wird. Dies dürfte wegen der in § 202 Abs. 2 Satz 2 AktG für den Erhöhungsbeschluss geforderten qualifizierten Mehrheit stets erfüllt sein. Als Folge kann der Vorstand auch außerhalb des alten, in der Satzung definierten Unternehmensgegenstandes von der Ermächtigung Gebrauch machen. Somit spielt auch in dieser Konstellation die Begrenzung der
290
BGH, NJW 1997, 2815 (1816): „Sie darf nur erfolgen, wenn die zugrunde liegenden konkreten Tatsachen der abstrakten Umschreibung des Vorhabens entspricht." 291 Dazu auch Kindler, ZGR 1998, 37 (58), der allerdings aus diesen Umständen schließt, dass das erste Merkmal des BGH keine eigenständige Bedeutung erlangt. Dafür spräche, dass der BGH von einer Aufnahme in den zweiten Leitsatz der Entscheidung abgesehen hat. Zustimmend für diesen Fall auch Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (568). 292 Von einer stillschweigenden Satzungsänderung ist die Durchbrechung der Satzung zu unterscheiden. Letztere liegt vor, wenn der Beschluss der Hauptversammlung im Einzelfall einer fortbestehenden materiellen Satzungsbestimmung widerspricht, vgl. Hüffler, AktG, § 179 Rn. 7 ff 293 Zur Auslegung von satzungsändernden Kapitalerhöhungsbeschlüssen vgl. BGHZ 123, 347 (350 f) und Hüffler, AktG, § 23 Rn. 29. 294 Vgl. OLG Köln, AG 2001, 426; LG Bonn, AG 2001, 201 (202); Zöllner, in: Kölner Kommentar, § 179 Rn. 97.
I. Bezugsrechtsausschluss und Ausübungskompetenz
101
Ausübungskompetenz durch den Unternehmensgegenstand keine entscheidende Rolle, da die Übereinstimmung mit dem abstrakten Ermächtigungsbeschluss, der u.U. eine Erweiterung des Unternehmensgegenstandes enthält, schon in der zweiten Stufe geprüft wird. 2 9 5 Bedenken gegen diese Auslegung des Ermächtigungsbeschlusses macht Cahn geltend, der eine Erweiterung des Unternehmensgegenstandes durch den Ermächtigungsbeschluss ablehnt. 296 Er beruft sich darauf, dass das Kriterium des Unternehmensgegenstandes insbesondere dann wichtig wird, wenn die Kapitalerhöhung dem Erwerb von Beteiligungen dienen soll, die Satzimg aber eine Beteiligung der Gesellschaft an anderen Unternehmen überhaupt nicht oder nur in begrenztem Rahmen zulässt. Der Unternehmensgegenstand gehört zu den nach § 39 Abs. 1 AktG notwendigen Bestandteilen der Satzung. Deshalb genügt für eine Eintragung der Änderung wegen § 181 Abs. 2 AktG nicht die Bezugnahme auf die bereits eingereichten Urkunden, sondern die Satzungsänderung muss in der Eintragung selbst enthalten sein oder aus ihr zweifelsfrei hervorgehen. 297 Solange diese Anforderung nicht erfüllt ist, ist die angestrebte Erweiterung des Unternehmensgegenstandes sowohl im Außenverhältnis, als auch i m Innenverhältnis unwirksam (§181 Abs. 3 A k t G 2 9 8 ) und die Verwaltung ist nicht befugt, von dieser „erweiternden" Ermächtigung Gebrauch zu machen. Diesem Argument von Cahn ist zwar vom Ansatz her zuzustimmen, aber folgendes entgegenzuhalten. Nach §§39 Abs. 2, 181 Abs. 2 AktG sind die Bestimmungen der Kapitalmaßnahme ebenfalls ausdrücklich in das Handelsregister einzutragen, so dass die Umstände, welche die Satzungsänderung betreffen, schon im Rahmen der regulären Anmeldung des genehmigten Kapitals mit eingereicht werden müssen. 299 Eine Ausnahme ist nur dann möglich, wenn der Zweck der Ermächtigung nicht zum Inhalt des Beschlusses gemacht wird, da dann die notwendigen An-
295
Ebenso Kindler , ZGR 1997, 36 (58).
296
Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (569 f).
297
Zöllner , in: Kölner Kommentar, § 181 Rn. 40; Hüjfer , AktG, § 181 Rn. 37; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 181 Rn. 57. 298
Diese Folge ist auch für das Innenverhältnis zwingend, vgl. Zöllner , in: Kölner Kommentar, § 181 Rn. 49; Hüjfer , AktG, § 181 Rn. 24. 299 Lutter , in: Kölner Kommentar, § 202 Rn. 9; Hüjfer , § 203 Rn. 14.
102
D. Ausübungskompetenz des Vorstands gaben nur im Vorstandsbericht vorhanden sind 3 0 0 und nicht mit der Anmeldung eingereicht werden. 301 Dieser Fall ist wohl aber nur von theoretischer Natur und für Kompetenzordnung von untergeordneter Bedeutung. Ist die abstrakte Maßnahme, zu der die Verwaltung ermächtigt werden soll, von der Satzung nicht gedeckt, so wäre bereits der Beschlussvorschlag pflichtwidrig und ein zustimmender Beschluss der Hauptversammlung durch alle Aktionäre unter Beachtung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben nach den §§241 ff AktG anfechtbar, wenn nicht sogar nichtig. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass der BGH ja nun die Ermächtigung zu einer abstrakten Maßnahme zulässt und so die Aktionäre sich über den Umstand, dass die Ermächtigung den Unternehmensgegenstand verlässt, täuschen könnten. Gerade dies ist aber auch nach den neuen Anforderungen, die der BGH an den Ermächtigungsbeschluss stellt, auch weiterhin nicht zulässig. In einer absoluten Allgemeinheit darf sich die Ermächtigung auf keinen Fall verlieren, so dass über die Kongruenz mit dem Unternehmensgegenstand keinerlei Zweifel aufkommen dürften. 302
bb) Übereinstimmung des Vorhabens mit den abstrakten Vorgaben Die vom BGH verlangte Übereinstimmung des konkreten Vorhabens mit den Vorgaben des Beschlusses, folgt schon aus dem Umstand, dass das genehmigte Kapital eine außerordentliche Übertragung von Hauptversammlungskompetenzen auf den Vorstand ist. Lässt sich die konkret vom Vorstand beschlossene Maßnahme nicht unter die abstrakte Beschreibung subsumieren, verlässt der Vorstand die Ermächtigung und handelt rechtswidrig. Unklar ist in diesem Zusammenhang lediglich, wie der BGH hierbei die Stellung des Vorstandes im Hinblick auf das unternehmerische Ermessen sieht. Im Urteil selbst begnügt er sich mit der allgemein gehaltenen Formulierung:
300
Hier greift das Argument von Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (568 f). Zum Zweck der Ermächtigung und dem Beschlussinhalt vgl. auch Lutter, in: Kölner Kommentar, § 202 Rn. 19; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 202 Rn. 18; Hüjfer, AktG, § 202 Rn. 16; Krieger, in: MüHandbuch des GftR, § 58 Rn. 12. 301
302
Vgl. dazu etwa das Urteil des LG München I, BB 2001, 747, das zwar eine etwas andere Fallgestaltung betrifft, nämlich den Umfang des Vorstandsberichtes, aber dennoch eindeutig bestimmt, dass weiterhin noch ein Mindestmaß an Bestimmtheit notwendig ist. Dazu auch die Besprechung von hungert, BB 2001, 742 (743).
I. Bezugsrechtsausschluss und Ausübungskompetenz
103
„Der Vorstand hat die Erfüllung dieser Voraussetzungen im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens sorgfältig zu prüfen." 303 Allgemein anerkannt ist, dass dem Vorstand bei seinen Entscheidungen grundsätzlich ein unternehmerisches Ermessen zusteht. 304 Ein Ermessen besteht aber immer nur auf der Rechtsfolgenseite, niemals aber auf der Erkenntnisseite, also ob bestimmte Voraussetzungen vorliegen. 305 Für den vorliegenden Fall der Ausübung der Ermächtigung beim genehmigten Kapital bedeutet dies, dass bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, eben gerade kein Ermessensspielraum besteht. Das Vorliegen der Vorgaben der Hauptversammlung ist in tatsächlicher und rechtlicher Sicht genau zu prüfen; ein Ermessen kann allenfalls dann für die Schlussfolgerungen und die möglichen Handlungsalternativen bestehen.306 In Betracht kommt unter Umständen lediglich ein begrenzter Auslegungsspielraum, wie ihn auch der BGH in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung in Bezug auf die Auslegung der Umstände der Ermächtigung gesehnen hat. 307 Für das genehmigte Kapital sind hier insbesondere Fälle denkbar, in denen die Ermächtigung selbst schon auf der Tatbestandsseite bewusst auslegungsfähige oder auslegungsbedürftige Formulierungen enthält. So enthielt etwa die Ermächtigung der Hauptversammlung in dem der Siemens/Nold-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss zum Erwerb von Unternehmensbeteiligungen in „geeigneten Einzelfällen". 308 In diesem Fall obliegt dem Vorstand schon auf der Tatbestandsebene ein Auslegungsspielraum.
cc) Übereinstimmung mit dem wohlverstandenen Gesellschaftsinteresse Die Folgen der neuen Rechtsprechung zeigen sich am deutlichsten im letzten Prüfungsschritt des BGH. Danach darf der Vorstand nur dann von der Ermächtigung Gebrauch machen, wenn die Durchführung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt.
303
BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter II 2 b bb a.E.
304
Vgl. nur BGHZ 125, 239 (246) und Hüffer,
AktG, § 76 Rn. 10 ff m.w.N.
305
Zusammenfassend für den Fall des Ermessens des Aufsichtsrats BGH, WM 1997, 970 (973 f). 306 307 308
Ebenso deutlich Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (565 f). BGHZ 135, 244 (254). BGH, NJW 1997, 2815.
104
D. Ausübungskompetenz des Vorstands
Unklar ist die inhaltliche Reichweite dieses Kriteriums des „wohlverstandenen Interesses der Gesellschaft". Wie oben bereits erwähnt, wurde zum Teil aus diesem Merkmal im Vergleich zu den in der Kali+Salz-Rechtsprechung aufgestellten Merkmalen, eine Abkehr von dem Erfordernis der sachlichen Rechfertigung des Bezugsrechtsausschlusses gefolgert und lediglich eine allgemeine Missbrauchskontrolle für notwendig angesehen.309 Wie dargelegt, bietet die Entscheidung und deren Entwicklung für diese Interpretation aber keine Grundlage. Hinzu kommt, dass der BGH nicht lediglich von der Übereinstimmung mit dem Gesellschaftsinteresse spricht, sondern vom „wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft" 310 . Damit ist aber andererseits auch noch nicht gesagt, dass der materielle Kontrollmaßstab derselbe ist, wie er noch in der HolzmannEntscheidung für die Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses oder der Ermächtigung hierzu zugrunde lag. Aus der Verlagerung des Prüfungszeitpunktes des Bezugsrechtsausschlusses auf die Vorstandsentscheidung geht deutlich hervor, dass es nicht wie bei der Prüfung auf der Ebene des Ermächtigungsbeschlusses um den Vergleich der Maßnahme an sich mit dem Gesellschaftsinteresse geht, sondern nur um die Überprüfung der Nützlichkeit der konkret beschlossenen Maßnahme im Rahmen des durch die Hauptversammlung beschlossenen allgemeinen Typs der Maßnahme 311 . Aufgrund der Ermächtigungsentscheidung und des Bezugsrechtsausschlusses durch die Hauptversammlung obliegt dem Vorstand eine eigene Entscheidung über den grundsätzlichen Maßnahmentypus nicht mehr. Die Entscheidung des Vorstandes bedarf nur noch der materiellen Rechtfertigung innerhalb der von der Hauptversammlung beschlossenen Maßnahme. Der Maßnahmentypus selbst steht grundsätzlich nicht mehr zur Entscheidung des Vorstandes. Insoweit besteht eine Parallele zu dem Institut des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, als auch dort dem Finanzierungsinteresse der Gesellschaft unter gewissen Bedingungen allgemein der Vorrang vor dem Bezugsrecht der Aktionäre eingeräumt wird. Ebenso ist es hier, wenn die Hauptversammlung zu einer abstrakt formulierten Maßnahme ermächtigt, dann ist dieser Maßnahme auf der Ebene der Vorstandsentschei-
309 In diesem Sinn wohl auch LG Stuttgart, ZIP 1998, 422 (425) und OLG Stuttgart, ZIP 1998,1482 (1487). 310 BGH, NJW 1997, 2815 (2816), in den Entscheidungsgründen unter II 2 b bb. Hierauf weist zu Recht Cohn, ZHR 163 (1999), 554 (572) hin. 311 So entfallt im Regelfall z.B. bei beschlossener Sachkapitalerhöhung zum Beteiligungserwerb an einem anderen Unternehmen die Prüfung, ob nicht die „Einlage" mit Barmitteln zu erlangen wäre und so der Bezugsrechtsausschluss nicht notwendig ist. Dies wäre nach der alten Rechtslage zwingend nötig gewesen, vgl. Lutter, ZGR 1979, 401 (404).
I. Bezugsrechtsausschluss und Ausübungskompetenz
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düng allgemein der Vorrang vor den Interessen der Aktionäre eingeräumt. Dem Vorstand obliegt es dann nur noch, die abstrakte Ermächtigung auszufüllen. Aus diesem Vergleich ergibt sich aber auch die Grenze dieser beschränkten materiellen Rechtfertigung. Liegt einmal dennoch die Maßnahme an sich nicht mehr im Gesellschaftsinteresse, so etwa, wenn sich die grundlegenden Verhältnisse derart geändert haben, dass anzunehmen ist, dass die Hauptversammlung die Ermächtigung zu der Maßnahme nunmehr nicht mehr erteilen würde, so erstreckt sich die Entscheidung des Vorstandes auch auf diesen Punkt. Zu beachten ist dabei aber, dass hier die Anforderungen an eine solche Entscheidung wesentlich weiter sind, als die Entscheidung, welche konkrete Maßnahme erfolgen soll.
c) Vorstandsbericht Die Aufgabe der Holzmann-Rechtsprechung hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Berichtspflicht des Vorstandes anlässlich des Hauptversammlungsbeschlusses.312 Die Berichtspflicht soll der Hauptversammlung eine sachgerechte Entscheidung über den vorgeschlagenen Bezugsrechtsausschluss ermöglichen und dem Gericht eine Grundlage für die Überprüfung der inhaltlichen Wirksamkeit geben. 313 Daraus folgt, dass sich die inhaltlichen Anforderungen des Vorstandsberichtes mit denen des Hauptversammlungsbeschlusses decken. 314 Für die konkreten Anforderungen ist folgendermaßen zu differenzieren.
aa) Bericht des Vorstandes bei Fehlen konkreter Pläne Fehlen zum Zeitpunkt des Ermächtigungsbeschlusses konkrete Pläne des Vorstandes, wie er das genehmigte Kapital verwenden möchte, genügt es nunmehr nach der Rechtsprechung des B G H zur Erfüllung der Anforderungen an den Vorstandsbericht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, „wenn die Maßnahme, zu
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Dies verwundert nicht, da gerade der Vorstandsbericht, wie er nach der Holzmann-Rechtsprechung notwendig war, den wesentlichen Kritikpunkt ausmachte, vgl. Martens , FS Steindorff, S. 151 ff; ders., ZIP 1992, 1677; Heinsius , FS Kellermann, S.l 15 (120). 313 So BGHZ 83,319 (326). 314 Vgl. dazu Kindler , ZHR 158 (1994), 339 (357, 363). Dem Bericht kommt insoweit eine Indizfunktion für die sachliche Rechtfertigung zu.
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D. Ausübungskompetenz des Vorstands
deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, allgemein umschrieben wird und in dieser Form der Hauptversammlung bekannt gegeben wird." 3 1 5 Der BGH verzichtet also nicht generell auf eine Berichtspflicht für das genehmigte Kapital, sondern verlangt weiter die Unterrichtung der Hauptversammlung über den Zweck des genehmigten Kapitals. Dies bedeutet, dass die Beschreibung des Effekts der Kapitalerhöhung, die Stärkung der Eigenkapitalbasis, nicht ausreicht, sondern es der Bekanntgabe eines weitergehenden Interesses bedarf. Wie sich aber direkt aus dem Siemens/Nold-Urteil ergibt, genügt es für die Bekanntgabe dieses weitergehenden Interesses, dass der Vorstand mit der Ermächtigung den Erwerb von Beteiligungen gegen Überlassung von Aktien in geeigneten Fällen in Aussicht stellt. 316 Liegen bei Beschlussfassung noch keine konkreten Pläne für den Einsatz des genehmigten Kapitals vor, so kann der Vorstand verschiedene Kapitalerhöhungszwecke anführen, die sogar alternativ bestehen können. 317 Die gleiche Freiheit gilt grundsätzlich auch für die Art der Einlageleistung, Bar- oder Sachkapital. 318 Für die an sich zulässigen Zwecke, die in dem Bericht angegeben werden können, kann grundsätzlich auf die bisher zur sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses gebildeten und als zulässig erachteten Fallgruppen zurückgegriffen werden. 319 Diese sind: Ausschluss von Spitzenbeträgen, Ausgabe von Arbeitnehmeraktien, Aufrechterhaltung der Quoten bei verschiedenen Aktiengattungen, Beteiligungserwerb, Sanierung durch Beteiligung eines starken Partners, Abwehr einer drohenden Abhängigkeit oder Konzernbildung, Einführung an einer ausländischen Börse und ein mittelbares Bezugsrecht durch ein Nicht-Kreditinstitut. Vom BGH nicht angesprochen ist die Frage, wie diese abstrakte Ermächtigung zu beschränken ist, damit sie nicht durch die Angabe von einer Vielzahl
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BGH, NJW 1997, 2815. So ausdrücklich der Fall Siemens/Nold, BGH, NJW 1997, 2815. Hierzu insbesondere kritisch Lutten JZ 1998, 50 (51). 317 Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (557) nennt als Beispiel „die Ausgabe von Arbeitnehmeraktien und/oder den Erwerb von Beteiligungen gegen Überlassung von Aktien". Dies ist auch der Ausgangssachverhalt der Siemens/Nold-Entscheidung, bei der aber der Bereich der Ausgabe von Arbeitnehmeraktien von vornherein unproblematisch war. 316
318 319
So der BGH, NJW 1997, 2815. Ebenso Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (557). Vgl. dazu Lutten in: Kölner Kommentar, § 186 Rn. 65 ff.
I. Bezugsrechtsausschluss und Ausübungskompetenz
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von denkbaren Anlässen jegliche Begrenzungswirkung verliert. 320 Möglich wäre eine Differenzierung danach, ob die Verwaltung die einzelne Maßnahe schon in Betracht gezogen hat, oder ob nur eine rein theoretische Möglichkeit der Anlass für die Aufnahme in den Vorstandsbericht war. 321 In der Praxis wird aber eine solche, an subjektiven Kriterien angesetzte, Differenzierung meist unmöglich sein, so dass im Ergebnis da die Grenze zu ziehen ist, wo die Angabe von verschiedenen Möglichkeiten zur Durchführung der Kapitalerhöhung rechtsmissbräuchlich erscheint. 322
bb) Bericht des Vorstandes bei Vorliegen konkreter Pläne Unbeantwortet durch die Siemens/Nold-Entscheidung ist die Frage, ob der Vorstand bei einer fortgeschrittenen Planung über die oben dargestellten Mindestanforderungen eine weitergehende Pflicht zur Offenlegung hat. Hirte 3 2 3 lehnt eine solche Pflicht kategorisch ab, da es nach dem Siemens/Nold-Urteil eben eine solche erweiterte Pflicht für den Vorstandsbericht nicht gebe, räumt dann aber sogleich ein, dass „dann ein besonderes Gewicht auf die adäquate Ausgestaltung der Kontrolle auch der Vorstandsentscheidung gelegt werden müsse." 324 Demgegenüber tritt Cahn 325 für eine grundsätzliche Erweiterung der Berichtspflicht in diesem Fall ein, differenziert dann aber für geheimhaltungsbedürftig Tatsachen, für eine nur vorläufige und eine abgeschlossene Planung. Nur im letzteren Fall nimmt er eine Informationspflicht an. 326 Betrachtet man die Grundlagen der Berichtspflicht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG und die Begründung des BGH für die Abschwächung der Berichtspflicht 320
Treibt man die vom BGH ermöglichte alternative Angabe von möglichen Zwecken dadurch auf die Spitze, dass man fast jeden denkbaren Ansatz in dem Bericht ausführt, wäre der Bericht absolut sinnfrei. 321 Zu diesem Ansatz auch BGH, NJW 1997, 2815 und Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (559). 322 Zum „Marktstandart für Vorstandsberichte" vgl. Bungert, , BB 2001, 742 (742 f). 323 Hirte , in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 61; ebenso Heinsius , FS Kellermann, S. 115(127). 324 Hirte, in: Großkommentar zum AktG, § 203 Rn. 61. 325 Cahn, ZHR 163 (1999), 554 (559 ff); in Teilbereichen ebenso Bungert, BB 2001, 742 (743 f). Grundsätzlich zustimmend auch Ekkenga, AG 2001, 615 (617), der aber Zweifel an der Möglichkeit der Abgrenzung zwischen abgeschlossener und noch offener Planung hat. 326 Ähnlich das LG München I vom 25.1.2001, BB 2001, 747, wobei der zugrundeliegende Sachverhalt zugleich ein drastisches Beispiel für die Ausuferung der abgeschwächten Berichtspflicht ist.
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D. Ausübungskompetenz des Vorstands
in seiner Siemens/Nold-Entscheidung genau, so ergibt sich nach der hier vertretenen Ansicht folgende Lösung: Der Bericht des Vorstandes nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG dient nach allgemeiner Ansicht dazu, die Gründe für den Ausschluss des Bezugsrechts und den Ausgabepreis darzulegen und so der Hauptversammlung eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen. 327 Diese grundsätzliche Funktion, die der BGH für das genehmigte Kapital in der Holzmann-Entscheidung festgestellt hat, wurde durch die Siemens/Nold-Entscheidung in keiner Weise zurückgenommen. Der BGH hat lediglich den Umfang der Berichtspflicht für den Ermächtigungsbeschluss neu definiert, um damit eine Ermächtigung gerade auch für solche Fälle zu ermöglichen, in denen keine konkrete Maßnahme in Aussicht genommen worden ist. 3 2 8 A n der grundlegenden Bedeutung der Berichtspflicht als Ausgangspunkt der Überprüfung der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses wollte und hat der BGH nichts geändert. Dies wird spätestens dann klar, wenn der BGH ausführt, dass „auf diese Weise ... die Hauptversammlung in die Lage versetzt (wird), allein anhand der abstrakt umschriebenen Voraussetzungen des von dem Vorstand dargelegten Vorhabens zu prüfen, ob bei der Schaffung genehmigten Kapitals der Ausschluss des Bezugsrechts gerechtfertigt ist ...