Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland: Ein Forschungsreferat [Reprint 2011 ed.] 9783110929058, 9783484640030


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German Pages 404 [408] Year 2000

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Table of contents :
Vorwort
Geschichte(n) des Begriffs ›Intellektuelle‹
Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich
Intellektuelle in der Weimarer Republik
Intellektuelle im ›Dritten Reich‹
Intellektuelle im Exil
Intellektuelle in der Bundesrepublik 1945–1967
Intellektuelle in der Bundesrepublik 1968–1989
Intellektuelle in der SBZ/DDR 1945–1989
Intellektuelle nach 1989
Personenregister
Autorinnen und Autoren dieses Sonderheftes
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Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland: Ein Forschungsreferat [Reprint 2011 ed.]
 9783110929058, 9783484640030

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Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur

11. Sonderheft

Herausgeber München; G E O R G JÄGER, München; DIETER LANGEWIESCHE, Tübingen; ALBERTO MARTINO, Wien. WOLFGANG FRÜHWALD,

Wissenschaftlicher

Beirat

Madison, Wisconsin; WILFRIED BARNER, Göttingen; ROGER BAUER, München; HERMANN BAUSINGER, Tübingen; KARL BERTAU, Erlangen; M A X L . BAEUMER,

MARTin BIRCHER, G e n f ; WOLFGANG BRÜCKNER, W ü r z b u r g ; W E R N E R BUSCH,

Berlin; HORST DENKLER, Berlin; WOLFRAM FISCHER, Berlin; HANS FROMM, München; HANS NORBERT FÜGEN, Heidelberg; GERALD GILLESPIE, Stanford, California; HERBERT G. GÖPFERT, München; KLAUS GRUBMÜLLER, Göttingen; WOLFGANG HARMS, München; RENATE VON HEYDEBRAND, München; HANSJOACHIM KOPPITZ, Mainz; HELMUT KREUZER, Siegen; EBERHARD LÄMMERT, Berlin; PETER LUNDGREEN, Bielefeld; WOLFGANG MARTENS, München; J A N D I R K MÜLLER, München; WALTER MÜLLER-SEIDEL, München; O T T O O E X L E , Göttingen; PAUL RAABE, Halle; FRITZ K. RINGER, Boston, Massachusetts; LUTZ RÖHRICH, Freiburg; PIERRE-PAUL SAGAVE, Paris; N E L L O SAITO, Rom; GERHARD SAUDER, Saarbrücken; RUDOLF SCHENDA, Zürich; J Ö R G SCHÖNERT, Hamburg; ALPHONS SILBERMANN, K ö l n ; FRITZ STERN, N e w Y o r k ; PETER STROHSCHNEIDER,

Dresden; HORST T H O M £ , Stuttgart; J E A N - M A R I E VALENTIN, Paris; WILHELM Köln; ERNST-PETER WIECKENBERG, München; MANFRED W I N D FUHR, Düsseldorf; REINHARD WITTMANN, München; DIETER WUTTKE, Bamberg; BERNHARD ZELLER, Marbach a. N . ; HANS ZELLER, Fribourg; WOLFGANG ZORN, München.

VOSSKAMP,

Mitglieder der

Redaktion

Wien; OLIVER DÜRSELEN, München; MARTIN HUBER, München; ALFRED N O E , Wien; MIRJAM STORIM, München; R U T H STUBENVOLL, München NORBERT BACHLEITNER,

Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland Ein Forschungsreferat Herausgegeben von Jutta Schlich

11. Sonderheft Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000

IASL erscheint in zwei Halbjahresbänden mit etwa 480 Seiten Umfang insgesamt. IASL veröffentlicht Originalbeiträge in deutscher, englischer und französischer Sprache. Das Merkblatt zur Manuskriptgestaltung kann bei der Redaktion angefordert werden. Die Mitarbeiter werden ersucht, ihre Manuskripte satzfertig an die Redaktion einzusenden und Änderungen in den Korrekturfahnen nach Möglichkeit zu vermeiden, da der Verlag die durch Autorenkorrektur verursachten Mehrkosten nur in beschränktem Maße trägt. Die Zeitschrift zahlt kein Honorar. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Für die hier veröffentlichten Aufsätze hat § 4 UrhRG Gültigkeit. Rezensionsexemplare

werden an die Redaktionen erbeten.

IASL wird in Current Index ausgewertet.

Anschriften Prof. Prof. Prof. Prof.

Dr. Dr. Dr. Dr.

der

Contents/Arts

& Humanities

und im Arts & Humanities

Citation

Herausgeber

Wolfgang Frühwald, Römerstädter Str. 4k, 86199 Augsburg Georg Jäger, Klenzestr. 26a, 80469 München Dieter Langewiesche, Im Rotbad 9, 72076 Tübingen Alberto Martino, Peter-Jordan-Str. 145/1/5, A-1180 Wien

Redaktionen Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Institut für Deutsche Philologie Schellingstr. 3, D-80799 München Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft Berggasse 11/5, A-1090 Wien Redaktion

des Sonderheftes:

Georg Jäger

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Internationales Archiv für Sozialeeschichte der deutschen Literatur / Sonderheft] Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Sonderheft. - Tübingen: Niemeyer. Reihe Sonderheft zu: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 11. Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. - 2000 Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland : ein Forschungsreferat / hrsg. von Jutta Schlich. - Tübingen : Niemeyer, 2000 (Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur : Sonderheft ; 11) ISBN 3-484-64003-0

ISSN 0175-9779

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen una die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: ÄZ Druck und Datentechnik, Kempten Einband: Geiger, Ammerbuch

Inhalt

JUTTA SCHLICH: Vorwort

VII

JUTTA SCHLICH: Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle< Begriffsgeschichte im allgemeinen und im besonderen - methodische Überlegungen - Chronik und Hermeneutik von Begriffsgeschichten im Intellektuellen-Diskurs

1

CHRISTOPH GARSTKA: Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich Vorgeschichte und Überblicke - Naturalismus - Sozialdemokratie - Wissenschaft Künstler, Dichter, Literaten - Der Erste Weltkrieg

115

ANTJE BÜSSGEN: Intellektuelle in der Weimarer Republik Julien Benda: Der Verrat der Intellektuellen - Die Verantwortung der Intellektuellen für das Scheitern der Weimarer Republik - Die gesellschaftliche Funktion des Intellektuellen in der parlamentarischen Demokratie am Beispiel Weimars - Kriscnanalyscn um 1930— Weimarer Intellektuelle und die Kulturnation - Austauscheffekte in Weimarer Intellektuellendiskursen: Ansätze jüngster Forschungen

161

INGO DR2E0NIK: Intellektuelle im »Dritten Reich
Machtergreifung< - Intellektuelle Positionen im »Dritten Reich< OLIVER FINK: Intellektuelle im Exil Zwischen Ideenpolitik und Engagement - Planspiele und Zukunftsentwürfe

279

BIRGIT PAPE: Intellektuelle in der Bundesrepublik 1 9 4 5 - 1 9 6 7 Die Konstituierungs- und Konsolidierungsphase der Bundesrepublik: 1945—1955 Von den ersten außerparlamentarischen Widerstandsbewegungen bis zum Beginn der Studentenproteste: 1956-1967

295

ROMAN LUCKSCHEITER: Intellektuelle in der Bundesrepublik 1 9 6 8 - 1 9 8 9 . . Religiosität und Romantik: Die »Neue Aufklärung« in der Kritik - Die Intellektuellen zwischen Engagement und Ideologie - Katastrophenrhetorik, Posthistoire und neue Gegenintellektuelle

325

ROMAN LUCKSCHEITER: Intellektuelle in der S B Z / D D R 1 9 4 5 - 1 9 8 9 Die Intellektuellen und die Macht: Phasen der DDR-Kulturgeschichte - Intellektuellengenerationen - Die Intellektuellen und die Arbeiter - Die Intellektuellen und die Opposition - Die Intellektuellen und die Kulturnation

343

ROMAN LUCKSCHEITER: Intellektuellenach 1 9 8 9 Das Schweigen der Intellektuellen - Plädoyers für den postmodernen Intellektuellen - Plädoyers wider den postmodernen Intellektuellen

367

Personenregister

389

Autorinnen und Autoren dieses Sonderheiles

397

Vorwort

Das Forschungsreferat Uber die Intellektuellen im 20. Jahrhundert in Deutschland verdankt sich einem Impuls des Herausgebers des Internationalen Archivs für Sozialgeschichte der deutschen Literatur und profitiert von dessen umfangreicher bibliographischer Sammlung. Georg Jäger hat im Anschluß an ein von ihm im Oktober 1996 geleitetes DFG-Rundgespräch zum Thema »Schriftsteller als Intellektuelle - Politik und Literatur im Kalten Krieg« zu einer Bilanzierung der Intellektuellen-Forschung angeregt. Die Autoren des vorliegenden Bandes verdanken es Helmuth Kiesel, daß er die Anregung aufgegriffen und so die Heidelberger Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hat. Das vorliegende Forschungreferat zeichnet den Entwicklungsprozeß der Forschung in bezug auf die Intellektuellen in Deutschland seit Beginn unseres Jahrhunderts nach. Damit wird einem Prinzip entsprochen, das zur Zeit aktuell ist: am Ende dieses Jahrhunderts mit Blick auf Vergangenes Erreichtes zu überprüfen. Im Zuge der Dreyfus-Affäre avancierte das Wort >Intellektuelle< zu einem Begriff und damit zu einem Denkmal von Problemen, das bisweilen auch zu einem Stein des Anstoßes genommen wurde. Das Forschungsreferat konzentriert sich auf die Intellektuellen-Debatte in Deutschland und unternimmt zu den deutschen Intellektuellen, die in der Zeit des Dritten Reichs im Exil sind, sachgemäß einen Exkurs. Mit der Begrenzung auf die deutsche Intellektuellen-Debatte sollen nicht nationale Schematismen fortgeschrieben werden, welche den Intellektuellen-Diskurs wesentlich strukturieren. Die Entscheidung für die deutschen Intellektuellen und gegen die der anderen europäischen und außereuropäischen Länder basiert allein auf pragmatischen Überlegungen: Eine Orientierung am internationalen Rahmen hätte die Grenzen dieser Arbeit gesprengt. Die internationale Debatte kommt jedoch dort zur Sprache, wo sie in der Forschungsliteratur Thema geworden ist. Insbesondere die einleitende Begriffsgeschichte eröffnet per se internationale Perspektiven. Das Forschungsreferat beginnt mit einer Geschichte des Begriffs >IntellektuelleDritten Reich thematisch ergänzt. Die Bearbeitung der Kapitel verteilt sich auf die einzelnen Autor/inn/en dieses Buches. Diese Arbeitsteilung bringt freilich den Verlust einer gerade bei bilanzierenden Forschungsreferaten erwünschten einheitlichen Perspektive mit sich. Damit die multiauktoriale Perspektivik für die Leser/innen keine unüberschaubare Fragmentierung des Wissens bedeutet, wurden bestimmte vereinheitlichende Maßnahmen ergriffen. Alle Beiträge geben eine inhaltliche Gliederung, innerhalb derer chronologisch vorgegangen wird. Von dieser grundsätzlichen Systematisierung der Einzelmaterialien abgesehen, konzentrieren sich die Beiträge auf die kritische Berichterstattung und liefern erst abschließend ein nach inhaltlichen Gesichtspunkten strukturiertes Resümee, das über die Synthese des Geleisteten zur Formulierung von Forschungsaufgaben vordringt. Alle Beiträge beginnen mit durchnumerierten Titellisten. Diese erlauben im Verein mit der chronologischen Darstellungsweise und dem Personenregister eine nachschlagsweise Benutzung des gesamten Buches. Im laufenden Text wird auf die Titel der einleitenden Bibliographie mit kursiven Zahlen verwiesen, während die typographisch nicht hervorgehobenen Zahlen sich auf die jeweiligen Seiten beziehen. Das vorliegende Forschungsreferat ist von Literaturwissenschaftler/inne/n verfaßt. Damit wird das vorwiegend von Seiten der Intellektuellen gespielte > Indianerspiel zwischen Geist und Macht< (Hans Magnus Enzensberger) in seiner spielerisch-fiktiven Dimension ernstgenommen, dem System >Literatur< zugerechnet und als ein textuelles Phänomen mit philologischer Akribie untersucht. Ein zugleich literaturwissenschaftlich spezialisiertes und arbeitsteilig organisiertes Forschungsreferat über die Intellektuellen in Deutschland hat Konsequenzen gezogen aus deren Problematik, wie sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts herauskristallisiert hat. Nach Michel Foucault wurde der Typ des universellen Intellektuellen abgelöst vom Typ des spezifischen Intellektuellen. Der >universelle Intellektuell hatte »der Macht, dem Despotismus, den Mißbräuchen, der Arroganz des Reichtums die Universalität der Gerechtigkeit und Gleichheit eines idealen Gesetzes [entgegengestellt]« und »seine volle Entfaltung im Schriftsteller« als »dem Träger von Bedeutungen und Werten« gefunden (Wahrheit und Macht, Interview von A. Fontana und P. Pasquino. In: Michel Foucault: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit.

Vorwort

IX

Berlin, 1978, S. 21-54; hier S. 47). Der spezifische Intellektuelle« nun - dies eine tautologische Spezialität der Foucaultschen Definition - fungiert als eine Art »Scharnier zwischen universellem Intellektuellen und spezifischem Intellektuellen« (ebd., S. 46). Nach Foucault stammt der spezifische Intellektuelle von der Gestalt des Wissenschaftlers und Experten ab - das macht das Spezifische des > spezifischen Intellektuellem aus; als Wissenschaftler wiederum kann er, wie seinerzeit der Atomphysiker Oppenheimer, in den »Diskurs des Allgemeinen« (ebd.) intervenieren, wenn, wie im Falle der Thematisierung der atomaren Bedrohung, sein spezifischer Diskurs mit dem der Allgemeinheit koinzidiert - das macht das Universelle des spezifischen Intellektuellem aus. Demnach hat Foucault das »Abtreten des >großen Schriftstellers«« durch das Auftreten des »absoluten Wissenschaftler[s]«, den er pathetisch als »Stratege des Lebens und des Todes« (ebd.) begreift, kompensiert. Foucault hatte Biologie und Physik als bevorzugte Bereiche im Auge, »in denen sich diese neue Gestalt des spezifischen Intellektuellen herausbildete« (ebd., S. 49). Die Verfasser/innen des vorliegenden, in der Philologie angesiedelten Forschungsreferates greifen - weniger pathetisch - lediglich die Verbindung des Spezifischen mit dem Universellen auf, wie sie für Foucaults Definition symptomatisch ist. Zudem hat Foucault selbst an anderer Stelle seine spezifische Definition des spezifischen Intellektuellen universalisiert: Heute kommt es dem Intellektuellen [...] nicht mehr zu, sich an die Spitze oder an die Seite aller zu stellen, um deren stumme Wahrheit auszusprechen. Vielmehr hat er dort gegen die Macht zu kämpfen, wo er gleichzeitig deren Objekt und deren Instrument ist: in der Ordnung des »Wissens«, der »Wahrheit«, des »Bewußtseins«, des »Diskurses« (Gespräch zwischen Michel Foucault und Gilles Deleuze: Die Intellektuellen und die Macht. In: Michel Foucault: Von der Subversion des Wissens. Hrsg. u. aus dem Französischen u. Italienischen Ubertragen von Walter Seitter. Mit einer Bibliographie der Schriften Foucaults. Frankfurt a. M.: Fischer, 1987, S. 106-115).

Als Spezialisten fürs Allgemeine« sollten Intellektuelle - dies die vorläufige >Moral< der Geschichte des Intellektuellen-Diskurses im 20. Jahrhundert in Deutschland - weniger einem selbstbewußten Dilettantismus frönen, als vielmehr sich auf ihre lokalen Kompetenzen besinnen. Auch mit ihrer jeweils begrenzten Kompetenz bleiben Intellektuelle, wie auch Nicht-Intellektuelle, implizit auf eine >Ethik des Allgemeinen« bezogen. In diesem Sinne visiert dieses Forschungsreferat über seine eigentümliche, arbeitsteilige Anlage und seine literaturwissenschaftliche Spezialisierung das Ziel an, das für die seit 1976 in IASL erscheinenden Forschungsreferate gesteckt worden ist: »durch Forschungsberichte den Transfer von Wissen und Methoden zwischen benachbarten Disziplinen« und Forschungsgebieten »zu fördern« (Jäger: Der Forschungsbericht, S. 73). Jutta Schlich

Jutta Schlich

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
ZukunftsbegriffenZukunftsbegriffe< Kosellecks, sondern lediglich und exakt den Treffpunkt von sprachlosem Denkmal und sprachbegabtem Publikum. Genaugenommen ist

2

Jutta Schlich

ein Begriff also nicht autonomer Faktor von Geschichte, sondern er wird es dann, wenn sein Publikum auf seinen Aufforderungscharakter nachhaltiger als sprachlos reagiert. Ein Begriff ist also nicht Faktor von Geschichte, sondern von Geschichten, die sich um ihn herum ranken. Begriffe als Denkmäler von Problemen sind Indikatoren problematischer Zusammenhänge, im Zuge derer aus bloßen Wörtern Kandidaten für denkwürdige Begriffe werden, und sie sind Faktoren von >BegriffsgeschichtenBegriffsgeschichten< einzurichten. Eine bewußte Deontologisierung des Sprachgebrauchs im Umgang mit Begriffen entledigt von einigen Problemen, die sich notorisch in der Theorie des Begriffs und seiner Geschichte einzustellen pflegen. Sie entledigt beispielsweise von Stereotypen wie dem defizitären Blick, daß Begriffe nicht als Substanz fester Bedeutungen gelten können. Mit der Vorstellung, daß ein zum Denkmal geadeltes Wort zum Faktor von Geschichten wird, wird auch die Vorstellung von einer festen Bedeutung hinfällig. Wenn Begriffe als Denkmäler von Problemen verstanden werden, dann sind sie keine »Konzentrate vieler Bedeutungsgehalte« (65, XXII), sondern Konzentrate problematischer, umstrittener Aspekte des jeweiligen Themas, das sie bedeuten. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner richtet sich demzufolge nicht mehr auf eine Bedeutung, sondern wird bereits auf der Themaebene fündig. Nicht der Begriff selbst ist auffallend mehrdeutig, sondern das Thema oder Problem, für das er steht und aufgrund dessen er überhaupt erst zum Begriff gemacht wurde. Begriffe sind Wörter, an denen sich ideologische Fronten ausgebildet haben. Anstatt nun aber gleich wie dies insbesondere bei »Wörterfn] in der Politik« (118) der Fall ist, wo auch der Begriff >Intellektuelle< im Sinne einer Verbalwaffe verortet wird - ontologisierend die »ideologische Polysemie< eines Begriffs zu behaupten, damit einen diffusen Untersuchungsgegenstand zu konstruieren und etwa in Richtung »gegnerische Assoziationssysteme« (10,25) aufstellender politischer Toposforschung zu bändigen, wird eine neuerliche Geschichte des Begriffs unaufgeregt und allgemein der ihr vorgängigen Geschichten gedenken, die sich mit den im Wort kondensierten Problemen auseinandergesetzt haben. Den Sprachgebrauch im Umgang mit Begriffen zu deontologisieren und den Umgang mit Begriffen als Denkmälern von Problemen auf größere Ereigniszusammenhänge hin zu konkretisieren, entledigt von der leidigen Dichotomisierung der theoretischen Landschaft in Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte und darüber hinaus grundsätzlich von einer Aufspaltung des Kontinuums des Lebens in Weltgeschehen und Weltdeutung, in Wort und Tat. Zwar ist der Zusammenhang von Begriffs- und Sozialgeschichte bereits seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts systematisch bearbeitet worden, getragen von dem Historiker-Wunsch, Geschichte weniger als politische Ereignisgeschichte zu betreiben, um sie stattdessen auf ihre länger anhaltenden Voraussetzungen hin zu befragen und Sozialgeschichte also mit Hilfe von Geschichten ihres Begreifens als >Strukturgeschichte< (Werner Conze) zu etablieren (68, 91). Doch dem gelassenen Interesse der Historiker gegenüber dem begriffsgeschichtlichen

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
härter an den Fakten dran< sei als Begriffsgeschichte. Sozial- und Begriffsgeschichte werden von den Philologen allerdings nicht direkt, sondern über entsprechende Statthalter gegeneinander ausgespielt. In den Begründungen der Quellenwahl für ihre Geschichten zum »Schlagwort« >Intelligencija< (84), zum »Schimpfwort« >Intellektuelle< (9) oder zum »Deutungsmuster« >Kultur und Bildung« (17) bekennen sich Otto W. Müller, Dietz Bering und Georg Bollenbeck zu den »Niederungen der Praxis« (9, 24), zu den »Niederungen der Tagesschriftstellerei« (84, 24) oder zum »Weltwissen« (17, 16) und distanzieren sich mit Nachdruck von den »Höhen der großen Literatur« (84, 24) und der >Abgehobenheit< theoretischer oder wissenschaftlicher Literatur. Insbesondere für Bering gelten »Theoretiker« »nur etwas, wenn ihr unmittelbarer Einfluß auf die öffentlich-politische Sphäre [...] offen zutage liegt« (9, 15). Insofern unklar bleibt, welche theoretische Literatur denn so kategorisch in einer wissenschaftlichen Arbeit ausgegrenzt bleiben soll, handelt es sich nicht um ein stichhaltiges Argument, sondern um einen Affekt gegen die gängige Dichotomisierung und Kategorisierung in Wort- und Tatgeschichte. Es ist ebendieser Affekt, der für die Ontologisierung der Begriffe verantwortlich ist und mit dem der Wunsch einhergeht, den Symbolgehalt eines Wortes als reale Macht einzuschätzen (9, 18). Übrigens offenbart sich das auf philologischer Seite immer wieder als Minderwertigkeitskomplex aktualisierte Stigma verstaubter Lebensferne auch systematisch in dem Konzept einer >Sozialgeschichte der Literatur«, nach welchem die Geschichte der Literatur mit der von Politik und literarischem Leben vermittelt werden soll. Gegenstand von Begriffsgeschichte sind Texte und die darin ausfindig zu machenden Geschichten rund um einen Begriff als Denkmal. Gegenstand von Sozialgeschichte sind Texte und das darin ausfindig zu machende vergangene soziale Leben. Die Differenzierung in pragmata (Taten) und dogmata (Worte über Taten) ist nicht haltbar und auch nicht sehr aussichtsreich angesichts der Tatsache, daß Begriffsgeschichte von begriffsgeschichtlichen >Taten< erzählt, die die Appellfunktion eines Begriffsdenkmals so aktualisiert haben wie sie selbst es auch - im Bewußtsein ihrer Vorgänger - tut, und angesichts der Tatsache, daß die >Taten< der Sozialgeschichte aus Worten hervorgehen. Beide, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, leiten aus den Texten Sachverhalte und Bewegungen ab, die in den Texten nicht explizit enthalten sind, aber aus ihnen mit Hilfe bestimmter Interpretamente sozusagen >hervorgehen< (siehe dagegen 69, 107). Nicht zuletzt hat nicht nur die philosophische Begriffsgeschichtsschreibung, sondern grundsätzlich das Verständnis des Verhältnisses von Wort und Tat Richard Eucken entscheidende Impulse zu verdanken. Eucken hat 1879 eine Geschichte der philosophischen Terminologie verfaßt, darin eine »umfassende Theorie der Terminologiegeschichte [entwickelt]« und einen wichtigen Gedanken in einer griffigen Formulierung bereitgestellt: »Aller Streit mag sich in einem Gegensatz von Worten darstellen lassen, darum ist er doch nicht ein Streit um bloße Worte« (50, 793).

4

Jutta Schlich

Wer eine Geschichte um das Denkmal >Intellektuelle< herumranken will und diese mit Emile Zolas >J'accuse< beginnen läßt, erzählt von einer Tat, und zwar nicht nur vom Akt der Anklage, sondern auch vom Akt der Begriffsprägung oder Denkmalsetzung. Zolas Offener Brief vom 13. Januar 1898 zeichnet als Initialzündung einer offen ausgetragenen Kontroverse, in deren Verlauf über das Wort >Intellektuelle< elitäre Selbstbezeichnung und diffamierende Fremdbezichtigung erfolgen, dafür verantwortlich, daß das bloße Substantiv »Intellektue l l zum auffallenden, bedenkenswerten und erforschbaren Denkmal von Problemen avanciert. Es ist nicht nur müßig, sondern auch symptomatisch für die Haltung der manichäisch programmierten >Weltdeuter< gegenüber dem >WeltgeschehenIntellektuelle< mit einer >Geburtsstunde der Intellektuellem zu identifizieren, wie dies rituell im Intellektuellen-Diskurs betrieben wird. In einer solch ontologisierenden Rede offenbart sich allein die intellektuelle Sehnsucht nach der so attraktiven und so fernen >realen< Macht. Diese Sehnsucht, geboren aus dem zwanghaften Gedanken, dem Leben mit Worten allein nicht beikommen zu können, wird mit dem Mythos von der Macht des Wortes kompensiert, der sich hier sogar zur Phantasie von dessen Gebärfähigkeit versteigt. In der Adelung des Wortes >Intellektuelle< zum Begriff im Zuge der >Affaire Dreyfus< kulminiert ein problematisches Thema und viele damit einhergehende Fragen begrifflich und tatsächlich: Die problematische Selbsteinschätzung der Intellektuellen in bezug auf ihr Verhältnis zur Tat und zur Macht eskaliert und beruhigt sich gleichzeitig, indem sie zur monumentalen, bedenkenswerten und systematisch bedenkbaren Problematik mutiert. Es hat sich gezeigt, daß allgemeine begriffsgeschichtliche Überlegungen mit der Thematik dieser speziellen Begriffsgeschichte eng verwoben sind. Die Spaltung des Lebens in vita activa und vita contemplativa hier etwas ausführlicher zu thematisieren, ist nicht nur mit Blick auf eine allgemeine begriffsgeschichtliche Standortbestimmung sinnvoll, sondern hat auch direkt zum Thema geführt, für das der Begriff >Intellektuelle< steht. Mit dem Aspekt >Wort-TatIntellektuelle< keine Idee, sondern der gesellschaftliche Rang von Menschen zur Debatte steht, die sich für ihre spezifisch medial vermittelten Taten hauptsächlich des Werkzeugs >Intellekt< bedienen, ist auch die Tätigkeit der Verfasserin dieser Begriffsgeschichte betroffen. Es hat sich gezeigt, wie die traditionell im Intellektuellen-Diskurs vertretene Perspektivität ein ungleiches, asymmetrisches Wort-Tat-Verhältnis nach sich zieht und so zu einer ontologisierenden Sprachauffassung verkommen kann, die dann die geheime Leitidee einer angeblich sachdienlichen Erzählung ausmacht. Die Ent-Dichotomisierung des in Wort und Tat, Geist und Macht dichotomisierten gesellschaftlichen Lebens nimmt dagegen gerade dem »älteste[n] Traum der theoretisch denkenden und literarisch schreibenden Klasse, das Wort zur Tat werden zu lassen« (86), jegliche Spannung. Zu wissen, daß Wort und Tat nicht kategorisch zu trennen sind, befreit im Vorfeld methodischer Bewußtmachung von unfruchtbaren Alternativen, so daß letztlich im Dienst an der Sache der Tatenreichtum wortreichen Lebens herausgearbeitet werden kann.

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Begriff< bietet, stecken sie den Problemhorizont eines Themas ab und ebnen den Weg in ein weitläufiges Terrain. Bildlich gesprochen: Sie bieten, von einem Zentrum ausgehend, einen Ariadnefaden durch ein Labyrinth von Aspekten eines Themas, die so zu einer ununterbrochenen Linie aufgereiht werden können. Mit dieser Orientierungsfähigkeit wesentlich verbunden bleibt jedoch die Erfahrung von Orientierungslosigkeit. Während das Prinzip wissenschaftlicher Narration, wie es in Forschungsberichten als Fortschrittsberichten greifbar wird, von dem Bild eines kontinuierlichen Progresses mit etwaigen Umbrüchen geprägt ist, ist für eine am Bild des Labyrinths orientierte Begriffsgeschichte ein in Halbkreisen laufender Umweg konstitutiv, der beständig um die Mitte - das Thema - herumführt und im dauernden Wechsel der Richtung die Orientierung irritiert. Auch wenn die gegenwärtige Verlockung, am Ausgang des Jahrhunderts im Blick auf seine Anfänge das Erreichte zu prüfen, groß sein mag, gilt es, sich zu Beginn einer Begriffsgeschichte, die in Begriffen Denkmäler von Problemen sieht, von dem virtuellen deduktiven Gedankenbild der fortschreitenden Verfeinerung und Rationalität eines Begriffs hin zu seiner wissenschaftlichen Disziplinierung etwa in Form einer Definition zu verabschieden. Stattdessen scheint es aussichtsreich zu sein, sich bei der Erkundung der Dimensionen des zentralen Begriffs auf die induktive Erfahrung des eigenen, konkreten, persönlichen Fortschreitens in einem Labyrinth von Problemen zu besinnen, das - wenngleich verwirrend - methodisch begehbar ist. Wirft man einen ersten Blick in das Laybrinth rund um den Begriff intellektuelle^ fällt auf, daß in Büchern und Aufsätzen meist zu Beginn die Frage gestellt wird: >Wer oder was ist ein Intellektueller?< Bei der Frage nach Dasein und Sosein des Intellektuellen, in der der generische Begriff >Intellektuelle< also als maskulines Appellativum aufgefaßt wird, scheint es sich um einen Topos zu handeln, mit dem ein intellektuelles Gesellschaftsspiel eingeleitet wird. Auf diese Frage folgen nämlich nicht die für wissenschaftliches Arbeiten üblichen ad-hoc-Definitionen. Vielmehr zielt diese Frage auf eine soziale und politische Positionierung >des Intellektuellem, so daß eine umfassende Definition des Begriffs im intendierten Sinne eigentliches Anliegen dieser Monographien ist. Die Tätigkeit des Begriffdefinierens ist integraler Bestandteil des IntellektuellenDiskurses. Insofern wir es hier also nicht einfach mit Geschichten zu bestimmten Aspekten des Themas >Intellektuelle< zu tun haben, sondern im konkreten Sinne des Wortes mit Begriffsgeschichten, kommt über deren Erforschung Begriffsgeschichte im allgemeinen in dieser Begriffsgeschichte einmal mehr zu sich selbst. Vor dem Hintergrund einer Begriffsgeschichte, die Begriffe als Denkmäler von Problemen auffaßt, offenbart sich das Ritual des Begriffdefinierens als Denkmalkult. Anstatt das Denkmal >Intellektuelle< als Wegweiser in dessen Umgebung zu nutzen, gehen, ja irren die Intellektuellen des IntellektuellenDiskurses unablässig darum herum. Die >Affaire DreyfusAffaire Dreyfus< ist für den IntellektuellenDiskurs das, was die Geburt Christi für unsere Zeitrechnung ist: /innus Domini - Jahr des Herrn. Die gläubigen Begriffsgeschichten erweisen der in Zola inkarnierten >Geburt des Intellektuellem ihre Reverenz, indem sie regelmäßig von hier aus erzählen. Von hier aus wird dann auch das Ritual des Definierens des Appellativums intellektuellen als Epigonentum sinnfällig: Zolas machtvolle Geste der Denkmalsetzung mittels eines Offenen Briefes wird kopiert in der Behauptung von Definitionsmacht, wobei jedoch das kraftvolle >Je< des Meisters zum unpersönlichen Ritual eines abstrakten Diskurses verkommt. Die an diesem Diskurs mitwirkenden Autoren feiern >ihre Geburtsstunde< in Großen Erzählungen (Lyotard), in denen - hier abermals den Meister imitierend - Gericht über Politik und die Welt gehalten wird. Denn die Struktur dieser Erzählungen folgt dem Muster des Märchens: Das die Gegenwart im Licht einer mythisierten Vergangenheit geißelnde >Es war einmal< mündet in der streotypen >Moral von der Geschicht< mit den Versatzstücken >man solltees gältees wäre wichtige Deklamation und Präskription scheinen die beiden Modi der Mitteilung im Intellektuellen-Diskurs zu sein. Der Modus des konstruierenden Erzählens selbst ist dabei ebenfalls von Zola abgeschaut: Während dieser als erster Schriftsteller Frankreichs an den ersten Beamten des Staates einen Brief schrieb und darin aus einer undurchschaubaren Affare ein durchschaubares Drama mit Entwicklung, Höhepunkt und (verweigerter) Lösung kreierte (38), schaffen und kolportieren die Autoren des Intellektuellen-Diskurses den Mythos von der Geburt des Intellektuellen und der Rettung der Republik durch einen Offenen Brief. Im Zuge dieser Mythisierung wird der Begriff >Intellektuelle< maskulin vereinseitigt, appellativ verallgemeinert und dann regelrecht beschworen als magischer Stellvertreter kulturhistorischer Zusammenhänge, in denen seine Verwendung einmal funktioniert hatte (vgl. 63, 13). »Es gibt Diskursgemeinschaften« wie »Philosophie, Theologie, Jura, Philologie«, »die in besonderer Weise ihrer eigenen Diskurstradition zugewandt sind und die Geschichte der Bedeutungen ihrer zentralen Termini immer neu durcharbeiten müssen« (105, 177). Diese Beobachtung gibt mit Blick auf den Intellektuellen-Diskurs als eines Verbunds verschiedener wissenschaftlicher und publizistischer Praxisbereiche zu denken. Denn die Tätigkeit des Immer-neuDurcharbeitens erweist sich hier als eine des Immer-neu-Festsetzens. Der Intellektuellen-Diskurs ist kein systematischer, selbstreflexiver Diskurs, der etwa »die Bedingungen selbst zum Thema [hätte], unter denen eine Gegebenheit der Erfahrung einem Bedeutungsschema zugeordnet wird« (184; Hervorh. J.S.). Untersucht wird nämlich beispielsweise nicht, warum ausgerechnet das Wort >lntellektuelle< zum Begriffskandiaten werden konnte. Erkannt werden kann demzufolge nicht, daß »vor allem diejenigen Diskurselemente« »begrifflichen Status« »erlangen«, »die Stoff und Anhalt geben für die >imaginäre Totalisierung< vielfältiger Praxisbereiche« (63, 12). Erkannt werden kann so auch nicht, daß der Intellektuellen-Diskurs einen Hang zur imaginären Totalisierung hat, die sich nicht nur im Zusammendenken verschiedener Praxisbereiche äußert, sondern auch in der Verallgemeinerung eines singulären Falles. Deshalb eröffnet sich auch keine Alternative zum besinnungslosen Beliefern des Mythos der

Geschichte (η) des Begriffs >Intellektuelle
A.D.< zu erforschen. Die jeweils neue Bedeutung, die mit der Antwort auf die Frage >Wer oder was ist ein Intellektuellen in Umlauf gebracht wird, mag sie auch einem näher zu ergründenden Bezeichnungsbedürfnis entspringen, hat insofern keine >RezeptionsgeschichteDefinieren< spielen allein die Intellektuellen die Rolle, zu deren Standardrepertoire der Gestus der Setzung einer neuen, unhintergehbaren Bedeutung gehört. Auch wenn »der semantische Kampf, um politische und soziale Positionen zu definieren«, »zu allen Krisenzeiten« »gehört«, »die wir durch Schriftquellen kennen« (48, 24), weist »die Serialität von Bedeutungsinnovationen« im IntellektuellenDiskurs nicht - wie es ein begriffsgeschichtliches Deutungsmuster nahelegt »auf grundlegende Veränderungen im Bereich der [kollektiven] sozialen Erfahrung selbst hin« {105, 185). Da Bedeutungsinnovationen integraler und somit standardisierter Bestandteil des Intellektuellen-Diskurses sind, weisen sie höchstens auf eine Dauerkrise der politischen und sozialen Positionierung und damit der Identität hin, mit dem dieser Verbund verschiedener Praxisbereiche anscheinend zu kämpfen hat. Das Denkmal >Intellektuelle< bekommt mit jeder neuen Definition, die im dezidierten Interesse von Identitätsfindung abgegeben wird, einen Bedeutungtrabanten mehr, die allesamt schließlich eine schillernde >Bedeutungsgalaxis< formen. Die am Intellektuellen-Diskurs beteiligten Intellektuellen machen aus dem Denkmal >Intellektuelle< einen Begriff, dem auf den ersten Blick eine starke Dynamik eigen zu sein scheint. Ähnlich einem Bewegungsbegriff wie >Revolution< oder >Fortschritt< eignen auch dem Begriff >Intellektuelle< »starke programmatische Überschüsse im begrifflichen Gehalt« (vgl. 63, 11). Der programmatische Gehalt verselbständigt sich gegenüber der Bezeichnungsfunktion. »So ist man (unter Umständen, aber nicht notwendig) rasch darüber einig«, ob dieser oder jener Mensch ein »Intellektuellen ist, aber diskursiv überwuchert die Frage nach den wesentlichen Inhalten dieses Ausdrucks selbst die nominative Funktion fast völlig (vgl. 11). Schaut man aber auf die kommunikativen Bedingungen des vermeintlich bewegten Seins des Begriffs >IntellektuelleIntellektuelle< selbst und gewinnt damit sprachsystemische Bedeutungskonstanten (vgl. 17, 16). Wenn jedoch »der Wortschatz eines Wörterbuchs«, der »aus dem Strom der Rede entlassen« ist, »nur die Totenkammer der Sprache« enthält (71, 12), erweist sich ein durch serielle Bedeutungsinnovationen scheinbar in Bewegung versetzter Begriff schließlich als einer, der um seine begrifflich und tatsächlich in ihm verdichtet vorliegende Dynamik an Aspekten und Problemen und so um seine ihm eigen-

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tümliche Lebendigkeit gebracht wird. Wenn schon keinen >BewegungsbegriffIntellektuelle< doch etwas, was sich mit einer Definition der Metapher »Schlüsselwort« zusammenfassen läßt: Ein Schlüsselwort ist ein lexikalisch-ausdrucksseitiger Fixpunkt in einem thematisch und/oder zeitlich abgeschlossenen Kommunikationsprozeß, dessen Bedeutung im Verlauf dieses Prozesses von den Kommunikationsbeteiligten ständig verhandelt wird. [...] Dabei erfährt der sprachliche Ausdruck eine im Verhältnis zu anderen Wörtern starke Dynamik der Konnotationsveränderung (Werte, Gefllhle u. a.). (76, 4)

In der permanenten Verhandlung der Bedeutung des Begriffs intellektuelle« kommt eine Dynamik von Wertungen zum Tragen, die sich einer gefühlsmäßigen Verfaßtheit ihrer Autoren verdankt: deren persönlicher Betroffenheit. Hier steht politische und soziale Identität auf dem Spiel. Die vielfältigen Aspekte rund um den Begriff >IntellektuelleIdentität< und werden so zu einem wesentlichen Aspekt des Themas intellektuelle«. Im IntellektuellenDiskurs wird der Begriff intellektuelle« zu einem Wort, das - wenn man so will - den > Schlüssel« zur problematischen Identität der Intellekuellen an die Hand gibt, wobei der >Schlüssel« allerdings lediglich ein Werkzeug ist, von dessen Handhabung alles Weitere abhängt. Beim Gang durch das Labyrinth von Aspekten des Themas orientiert sich die folgende Begriffsgeschichte an den >Begriffsstories«. Die Analyse der Dimensionen des Begriffs intellektuelle« beginnt damit, die Definitionsversuche exemplarisch zu notieren, die hier ein Feld der Bedeutungen des Begriffs abstekken. Da der Gegenstand dieser Begriffsgeschichte durch die Charakteristik des Intellektuellen-Diskurses zunächst doch auf die Bedeutungen des Begriffs beschränkt ist, wird sie also semasiologisch arbeiten und die mannigfachen Sachverhalte in dem einen Begriff herausarbeiten. Im Unterschied zur Onomasiologie, die sich mit Alternativbezeichnungen und Bindestrichbildungen beschäftigt, zielt Semasiologie hier auf eine Terminologiegeschichte, die »das Wiederauftreten klassischer Definitionen oder die neue Erarbeitung von definitorischen Bestimmungen« (44, 119) über einen gewissen zeitlichen Abstand hinweg festhält. Das Textkorpus setzt sich folgendermaßen zusammen: Standardwerke des Intellektuellen-Diskurses, kanonisch gewordene Texte; monographische >Begriffsstories« und ausgewiesene Begriffsgeschichten; Monographien, die vor dem Hintergrund der notorischen Definitionsversuche einen Definitionsversuch symptomatischerweise vermissen lassen; Texte, die sich um eine >Begriffsstory< ranken; Beiträge, die sich mit bestimmten intellektuellen Persönlichkeiten auseinandersetzen und nicht nur mit der im maskulinen Appellativum repräsentierten Spezies als solcher; die aktuelle Intellektuellen-Debatte in den Feuilletons, die sich anläßlich der Centaurfeier von >A.D.< an einer - ebenfalls rituellen - Variante der Frage >Wer oder was ist ein Intellektueller?« abarbeitet, nämlich an der, ob es den Intellektuellen überhaupt noch gibt. Vom Textkorpus ausgenommen sind Lexikondefinitionen. Und dies nicht etwa aus Gründen der größeren Nähe zum Leben, die sich durch die - weiter

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Sozialgeschichte-Begriffsgeschichte< aufdrängen würden. Insofern die parole des Intellektuellen-Diskurses einen starken Hang zur lartgue und damit zur >Totenkammer der Sprache< hat, haben wir es hier ohnehin mit einem hybriden Gegenstand zu tun, gewissermaßen mit der langue der parole. Vor dem Hintergrund des Intellektuellen-Diskurses, an dem sich Bedeutungskonstitutionsprozesse studieren lassen, erscheint die Verbürgtheit und sogenannte >Objektivität< der lexikalischen Bedeutung ohnehin als eine vermeintliche. Deshalb kommen Lexika nur zur Sprache, insofern sie in das monographische Material einbezogen sind, wo sie dann Symptomwert haben. Eine Ausnahme bilden natürlich begriffsgeschichtlich arbeitende Wörterbücher wie das Historische Wörterbuch der Philosophie oder das Lexikon Geschichtliche Grundbegriffe. Da es eine Besonderheit dieser speziellen Begriffsgeschichte ist, über die Aspekte >Wort-Tat< und >Perspektivität aufgrund persönlicher Betroffenheit und über die >Begriffsstories< des Intellektuellen-Diskurses mit Begriffsgeschichte im allgemeinen besonders konfrontiert zu sein, richtet sich die Auswahl der Quellen nicht allein nach dem Vorhandensein der Leitvokabel »Intellektuellem Zudem kommt es im Gang durch ein Labyrinth darauf an, sich von einer ausschließlich gegenstandsbezogenen Erkenntnis zu lösen und sich gleichzeitig in einer Welt systematisch aufeinander bezogener Regeln zurechtzufinden (44, 120). Aus den genannten Gründen und insofern sie den Stand der einleitenden methodischen Reflexion ergänzen, werden mitunter Texte zur Theorie von Begriffsgeschichte in das Korpus integriert, darüber hinaus Literatur zum Verhältnis von Sprache und Politik und, wofern wir es streckenweise mit einem Schimpf- und Schlagwort zu tun bekommen, Literatur über verbale Aggression. Schließlich wird auch auf aktuelle sprachwissenschaftliche Untersuchungen zum öffentlichen Sprachgebrauch oder zu kontroversen Begriffen geachtet, da gerade von Überlegungen aus sprachwissenschaftlicher und kommunikationstheoretischer Sicht eine inspirierende Wirkung auf Textanalyse ausgehen kann. Was den Zeitpunkt betrifft, an dem die Begehung des Labyrinths ansetzen kann, so fällt deutlich die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg auf. Nachdem sich die deutsche Soziologie seit 1906 um Wesen und Grenzen der >Intelligenz< einem »Kollektivbegriff« für die »Intellektuellem (83, 92) - bemüht hatte, so daß Ausgang der Zwanziger Jahre eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur dazu vorlag, nachdem Karl Mannheim Alfred Webers Umwertung der seinerzeit »entwurzeltem Intelligenz zur »sozial freischwebenden« derart zum soziolgischen Theorem von der Rolle der »freischwebenden Intelligenz< ausgebaut hatte (80, 454), daß dieses zum geflügelten, die Zeiten der »Intelligenzbestie< im Dritten Reich »überfliegendem Theorem wurde, entfachte sich nach dem zweiten Weltkrieg die Intelligenz-Diskussion neu (84, 93). Als Katalysator der ohnehin selbstkritischen Stimmungslage wirkte hier Theodor Geigers 1944 im schwedischen Exil verfaßte und 1949 ins Deutsche übersetzte Schrift Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft (40). Die Frage, die die Intellektuellen nach dem zweiten Weltkrieg bewegte, war folgende: »Was (oder wie) können wir aus der Geschichte bezüglich des öffentlichen oder politischen

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Sprachgebrauchs lernen, wie verhüten wir die Wiederkehr des Gleichen in veränderter Gestalt?« {106, 7). In dieser Frage artikuliert sich eine neue »Sensibilität für problematischen und persuasiven Sprachgebrauch« (7). In ihr klingt auch die Frage nach Rolle und Identität der Intellektuellen mit. Die Besonderheit dieses ersten Sensibilisierungsschubs wird sinnfällig beim Vergleich mit einem zweiten, der nach 1968 im Zuge der kritischen Studenten-, Umwelt- und Feminismusbewegungen einsetzt (7). Die Tatsache, daß man seit Anfang der siebziger Jahre auch auf die Nutzbarmachung von Sprachkritik als einer »wissenschaftlich fundierte[n] Beeinflussungsstrategie« abzielt, wirft ein bezeichnendes Licht auf den »Sensibilisierungsschub nach 1945«, wonach Kritik und Bewußtmachung um ihrer selbst willen betrieben werden (8). Für das bei aller Betroffenheit und allem Engagement Verhaltene im Umgang mit dem Thema > Sprache und Politik< nach dem zweiten Weltkrieg spricht auch eine andere Beobachtung: Vor dem zweiten Weltkrieg hinken die Lexikographen in bezug auf das Wortfeld >Intellekt< nach, und danach bemühen sich die großen Lexika (Der Große Brockhaus, Der Große Herder, Meyers Neues Lexikon), diesen Termini Rechnung zu tragen (vgl. 83, 94). Diese Diskrepanz zeigt, daß das Wortfeld und damit auch unser Begriff, nach dem Krieg systematische Relevanz erlangt. Der Intelligenz-Diskurs zeigt also trotz aller neu entfachten Glut eine Tendenz, Wörter aus dem Strom der Rede zu isolieren, deren Sinnhorizonte zu kappen und einen vermeintlichen >Bedeutungskern< festzusetzen. Die Beschäftigung mit dem Begriff >Intellektuelle< findet nach 1945 in einer Zwischenzone von langue und parole statt. Symptomatisch dafür ist die 1945 einsetzende und in der Monatszeitschrift Die Wandlung erscheinende Reihe von Beiträgen unter dem gleichermaßen provisorischen wie systemische Relevanz beanspruchenden Titel Aus dem Wörterbuch des Unmenschen (103; Hervorh. J.S.), in welcher auch >der Intellekt u e l l im Kontext des adjektivischen Lemmas >intellektuell< eine Rolle spielt. Der Gang durch das Labyrinth von Aspekten des Begriffs >IntellektuelleErscheinungen< in ihrer natürlichen, chronologischen Reihenfolge. Gegliedert wird also allein nach Erscheinungsdaten und nicht etwa nach Textsorten (publizisitisch, wissenschaftlich, literarisch) oder Disziplinen (Sprachwissenschaft, Soziologie, Literaturwissenschaft) oder Themen (beispielsweise Deutscher Herbst oder Deutscher Literaturstreit). Die Chronik der >Begriffsstories< rund um den Begriff >Intellektuelle< bedient sich des ihr gemäßen Tempus. In vergegenwärtigendem Präsens werden die Elemente vorgestellt, aus denen sich der Intellektuellen-Diskurs wesentlich zusammensetzt, wobei die Kombinatorik des einzelnen Autors selbst dokumentarischen Wert gewinnt. Funktion dieser unilinearen »narrative[n] Sprachgeschichtsdarstellung« (107, 77) ist Information, nicht Demonstration. Mit der Methode des Referierens, mit der eine Askese in der Wertung einhergeht, wird nämlich ein Desiderat erfüllt, das in den >Begriffsstories< aufleuchtet. In den verschiedenen monographischen Wortgeschichten, die meistens usurpiert sind zugunsten einer Bedeutung festsetzenden Definition, von der sie im Sinne eines anvisierten Ziels ausgehen und auf die sie dann auch hinauslaufen, wird letztlich deduktives Arbeiten in Reinform greifbar. Dieses führt aus, was im

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Deduktion< festgesetzt ist: >Deduktion< impliziert eine abstrakte Norm als unhintergehbaren status quo ante, von der aus auf Konkretes geschlossen wird und in das Konkretes >induziert< wird. Vom abstrakten Gesetzt e n ) geht alles aus und in dieses führt alles hinein. Diese Begriffsgeschichte bevorzugt induktives Arbeiten und wertet dieses zu einer autonomen Tätigkeit auf, insofern sie auf kein bestimmtes Ziel hinsteuert. Ihr kommt es darauf an, die »>doppelsinnige[]< Struktur« (32, 8) der Äußerungen von sinnstiftenden Intellektuellen zu entwirren und die mit abstrakten, vorgefaßten Wertvorstellungen vermischten konkreten Sachzusammenhänge herauszuarbeiten. Durch einfaches vergegenwärtigendes Nacherzählen werden die rituellen Begriffsstories gleichsam verfremdet. Wo sonst immer nur mit dem Impetus des >Begriffe Besetzens< eine Vereinnahmung dessen vorgenommen wird, was man als zur Disposition gestellt voraussetzt, wird erst einmal immer schon zur Disposition Gestelltes als solches sichtbar gemacht. Diese Begriffsgeschichte praktiziert die Methode des beschreibenden Feststellens, ohne gleich stiften zu gehen. Fern davon, ein bloßes Nachschlagewerk sein zu wollen, sichert sich diese Begriffsgeschichte vor dem Hintergrund der im intellektuellen Umgang mit dem Begriff >Intellektuelle< zelebrierten dezidierten Eigenständigkeit ihre Eigenständigkeit im Referat. Damit arbeitet sie jedoch gleichzeitig der Gefahr zu, die bei begriffsgeschichtlichen Forschungen generell besteht, nämlich der, »als interessante Steinbrüche oder Exemplasammlungen aufgefaßt« und ausgebeutet zu werden (97, 43). Ein ausgesprochener Nachteil, den die bloße Deskription mit sich bringt, ist darüber hinaus bereits im Intellektuellen-Diskurs offenbar geworden. Jan Szczepänski hat 1961 den Versuch unternommen, den Begriff >Intellektuelle< enumerativ zu definieren, dafür mehr als sechzig voneinander abweichende Definitionen zusammengetragen, die er dann in drei Gruppen kategorisiert hat (109). Der zum Zweck einer faßbaren und verfügbaren Definition des Begriffs durchgeführten Aufzählung mangelt es demzufolge »an differenzierten Aussagen über die soziale und politische Rolle der Intellektuellen« (8, 46f.). Selbst wenn im Kontext des Intellektuellen-Diskurses ein Referat den Status einer eigenständigen Forschungsleistung gewinnt, ist es also nicht angeraten, dabei stehenzubleiben. Die Summe dieser einleitenden Begriffsgeschichte soll gleichwohl nicht aus der bloßen Addition der referierten >Begriffsstories< hervorgehen. Der Aufgabe von Forschungsberichten, Quantität in Qualität zu verwandeln (54, 81), wird hier entsprochen, indem sich die chronologische Beschreibung der Begriffstories zu einer neuen großen Erzählung formt. Deren Eigentümlichkeit ist zunächst einmal darin auszumachen, daß sie auf ihr Konstruiert-Sein hin durchschaubar bleibt. Für die Konstruktion dieser neuen Erzählung ist die Rekonstruktion der immanenten Systematik des Intellektuellen-Diskurses konstitutiv, wie sie sich in dem im folgenden analysierten Textkorpus abzeichnet. Da die Erarbeitung des Kategoriensystems eines gegebenen Diskurses ein systematisches Interesse schon beim Studium der einzelnen Texte voraussetzt (vgl. 44, 120), werden im Zuge der chronikalen Berichterstattung sich aufdrängende Besonderheiten in dreifacher semiotischer Hinsicht registriert, nämlich semantisch (Wortbedeutung als Textbedeutung), pragmatisch (Frage nach dem cui

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bono? Schließt der/die Sprechende sich ein oder aus, wenn er/sie den Begriff definiert? An wen wird adressiert?; vgl. 65, XX) und syntaktisch (Kohärenzen zwischen einem Text und anderen). Hierin ist bereits die Öffnung unilinearer Sprachgeschichtsdarstellung hin zu einer multilinearen Diskursanalyse angelegt (vgl. 105, 189). Da die Versuche, den Begriff zu definieren, nicht »die ratio seiner Verwendung wiedergeben«, hat die dimensionale Analyse des Begriffs »das Nichtgesagte und Ausgegrenzte zu erklären«. (18, 18) Das, worum es den Autoren thematisch speziell geht, kommt deshalb im Zuge der Untersuchung ihres Begriffs vom Intellektuellen nicht immer zur Sprache - davon handeln im Anschluß an die begriffsgeschichtlichen Überlegungen die genuinen Forschungsreferate. Praktiziert wird vielmehr eine »Art von >TiefensemantikA.D.< beginnen läßt, ist es ihr Ziel, eine neue und entschlossene >Wortgebrauchsempfehlung< (vgl. 50, 806) abzugeben, wie sie Hermann Lübbe im Sinne hat. Insofern Lübbe zufolge Begriffsgeschichte »verhinder[n]« soll, »daß wir uns durch Begriffe beherrschen lassen« (78, 15), kommt eine neue Wortgebrauchsempfehlung einer angstbestimmen Reaktion auf einen allmächtig geglaubten Begriffs gleich, dem man demzufolge allein in der steten Behauptung von Definitionsmacht die Stirn zu bieten meint. Die Rede vom anvisierten Ziel einer Untersuchung beschränkt sich hier auf eine Rede vom Erkenntnisinteresse, das sich auf unspezifische Größen wie Mentalitäten und Ansichten richtet und nicht auf ein spezifisches Ziel. Über die Analyse auffälliger und repräsentativer Benennungsvorgänge - wobei deren

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
A.D.< in Auseinandersetzung mit dem Begriff >Intellektuelle< heraus entwickelt hat. Durch die Zusammenschau der >Begriffsstories< als einer wesentlichen Dimension des Begriffs >Intellektuelle< sollen für den aktuellen Forschungsstand repräsentative Strukturen des Intellektuellen-Diskurses erkennbar werden. In Abwandlung der begriffsgeschichtlichen Suche nach dem gemeinsamen Grundgedanken aller historischen Definitionsversuche, geht es hier darum, in der »Divergenz von Bestimmungen nach der Konvergenz von [nicht expliziten] Ansichten« (64, 434) und den sich darin systematisch aussprechenden Besonderheiten des Intellektuellen-Diskurses zu suchen. Das Erkenntnisinteresse der folgenden Begriffsgeschichte richtet sich mitunter auch auf den Zeitpunkt dieses Forschungsberichts, der - wie im Vorwort bereits erwähnt - von Georg Jäger im Anschluß an ein von ihm im Oktober 1996 geleitetes DFG-Rundgespräch zum Thema »Schriftsteller als Intellektuelle Politik und Literatur im Kalten Krieg« (55) initiiert worden war. Welcher Platz kommt diesem Impuls innerhalb des Intellektuellen-Diskurses zu? Die Tatsache, daß »das lateinische Stammwort« »heute den ganzen Erdball umwandert hat« (83, 398), kann jedenfalls nicht dafür verantwortlich sein, denn die Vollendung der Erdumwanderung wurde bereits 1971 von Müller in seiner material und kenntnisreichen Untersuchung zum »Schlagwort« >Intelligencija< gefeiert. Auch von der These der »Transitorik« (117, 50) der Begriffe, die, »wenn sie aus dem Zustand der Aktualität geworfen sind, ihre Hoch-Zeit vorüber ist«, »formalisierbar« und »sprachanalytischer Begriffshistorie« zugänglich werden (49, 807) und damit also wirkungslos und »schal wie abgestandenes Wasser« (119, 50) geworden zu sein scheinen, will sich diese Begriffsgeschichte in ihrem Erkenntnisinteresse nicht irritieren lassen oder auch zufriedengeben. Denn das hieße, wie seinerzeit mit der Adelung des Begriffs im >Jahre des Herrn< die Geburtsstunde der Intellektuellen auszurufen, nun mit dessen Degradierung deren Niedergang anzunehmen. Dieser wäre dann allerdings schon auf das Jahr 1978 zu datieren, in dem die Studie des Sprachwissenschaftlers Dietz Bering Die Intellektuellen.

Geschichte

eines Schimpfwortes

(9) erschienen ist. Die

Verfasserin dieser Begriffsgeschichte als Mitglied dieser Spezies ist jedoch noch lange nicht >untergangenBegriffsstories< noch vor sich. Und welcher Platz dieser Begriffsgeschichte innerhalb (nicht etwa außerhalb) des Intellektuellen-Diskurses zukommt, wurde in dieser Einleitung bereits angedeutet und wird sich mit dem Schluß der Erzählung erweisen. Dem Bild des Labyrinths gemäß wird hier einzig eine ambulatorische Didaktik wirksam, im Zuge derer die Gedanken versuchen, mit den Beobachtungen Schritt zu halten, und deren inhärentes >Ziel< es ist, mit Hilfe des - wörtlich - entwickelten Ariadnefadens Gänge durch und auch Ausgänge aus dem Labyrinth zu erschließen. Dabei kann sich erweisen, wie faszinierend und spannend induktives Arbeiten ist, wenigstens insofern auf diese Weise die immanente Systematik und auch Dramatik in der Dramaturgie der Stories zu entdecken ist,

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welche dem intellektuellen Ritual des Begriffdefinierens seine Monotonie nehmen und einer ermüdenden Beschäftigung damit entgegenwirken können. Die Funktion der Faszination der Wahrnehmung derjenigen, die mit dem Intellektuellen-Diskurs befaßt sind, bekommt darüber hinaus eine tiefere Bedeutung vor dem Hintergrund der Tatsache, daß der Intellektuellen-Diskurs eine - systemisch betrachtet - hybride Angelegenheit ist. Er ist zum einen ein Verbund verschiedener wissenschaftlicher und publizistischer Praxisbereiche und dient sich zum anderen politischer Dezidiertheit an. In diesem Zusammenhang eröffnet die zum geflügelten Wort gewordene Formulierung Hans Magnus Enzensbergers vom »Indianerspiel zwischen Geist und Macht« eine spielerische und fiktive Dimension. Für den Intellektuellen-Diskurs mit seinem integralen Bestandteil >Begriffsstories< bringt das eine Verortung im System >Literatur< mit sich. Diese systemische Zuordnung wiederum setzt die Funktion des Literatursystems frei: Unterhaltung im Sinne einer Faszination des sinnlich-intellektuellen Wahrnehmens (vgl. 86, 56). Dieser literarischen Funktion antwortet hier eine literaturwissenschaftliche Analysehaltung, die die Texte als wenigstens dreidimensionale semantische, syntaktische und pragmatische Zeichen wahrnimmt. Ebenso wie mit bloßem Referieren auf die Tatsache reagiert wird, daß der Intellektuellen-Diskurs Wertvorstellungen mit konkreten Sachzusammenhängen vermischt, wird die Hybridisierung der Diskurse > Wissenschaft und >Politik< durch eine literaturwissenschaftliche, politisch desengagierte und ästhetisch engagierte Einstellung entmischt. Indem die folgende Begriffsgeschichte allerdings über die analytische Nach-Erzählung der >Stories< eine neue große Erzählung konstruiert, betreibt sie eine neuerliche Hybridisierung der Systeme, nämlich von >Literatur< und > Wissenschaft. Diese Zwischenzone in vollem Bewußtsein zu betreten, ist allerdings >ruhmvoller< als das panische Gegeneinander-Ausspielen von Wort und Tat: Die Dichterphilosophin, die die mimetische Kraft der Sprache freizusetzen versteht und deren kognitive, reflexive Potenzen aufs äußerste steigert, erklimmt nämlich den intellektuellen Gipfelpunkt ... (vgl. 34).

2. Chronik und Hermeneutik von Begriffsgeschichten im Intellektuellen-Diskurs 1945 beginnen die Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind in der Monatszeitschrift Die Wandlung eine auf einen längeren Zeitraum hin angelegte Reihe von Publikationen, die Proben Aus dem Wörterbuch des Unmenschen (102) geben will. Die Autoren erklären im Vorwort ihre Absicht, mit dem Wörterbuch den »leider« nicht fremden Wortschatz »des Unmenschen« fremd zu machen (7), und weisen damit das Projekt als Teil der (Kollektiv-)Schulddiskussion der unmittelbaren Nachkriegszeit aus (108, 355). In ihren Wortkritiken bewegen sich die Autoren in

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
intellektuellintellektuell< zunächst als ein »durch und durch abendländisches Wort« begutachtet hat, muß er doch auffällige Unterschiede zwischen Romania und Germania einräumen: Im Vergleich mit dem französischen Dictionnaire von Littrö aus dem Jahre 1877 klafft in Grimms Deutschem Wörterbuch aus demselben Jahr eine empfindliche Lücke: »die ganze Wortfamilie der >Intelligenz< und des >Intellekts< ist ausgefallen« (102, 898)! Vor dem Hintergrund der abendländischen Güte des Wortes zeichnet sich für Sternberger hierin eine deutsche Anomalie ab, in der er sogleich die »Ursache dafür« sieht, »daß der Unmensch das Wort so anwenden konnte, wie er es angewendet hat und noch anwendet« (899). Damit erklärt Sternberger dem ausfindig gemachten Grunde des Übels auch schon den Kampf. Mit dem Impetus, nachzuliefern, was Grimms versäumt haben, und somit auch wiedergutzumachen, was jene verschuldet haben, gibt Sternberger eine etymologisch-morphologische Worterklärung ab. Er steigt hinab zu des Wortes romanischen Wurzeln und zerlegt es dort in seine Teile. Wenn er dann gegen Ende des Beitrags den Unmenschen zitiert, der den »Intellekt« »zersetzend« heiße (900), ist diese Diffamierung mit philologischer Raffinesse bereits entkräftet und hat der zergliedernde Intellekt gesiegt. Unter Berufung auf das »maßgebende [] Wörterbuch der lateinischen Sprache« übersetzt Sternberger >legere< mit »Stück für Stück wegnehmen« und macht aus dem >lesenden Sammelm eine zeitlose Angelegenheit, die von der »Urtätigkeit aus der Zeit der Wildnis« bis zur »hohen Kunst, Geschriebenes zu lesen«, reicht (899). Das Gemälde dieser zeitlosen Idylle wird allerdings jäh gestört, als mit der Vorsilbe >inter-< aus dem Lesen ein >Dazwischenlesen< wird und Ordnung in die Wildnis und das Chaos kommt. Das unterscheidend Innewerden< liegt Sternberger besonders am Herzen: »ich werde sehend für das Unsichtbare«, »der Mensch erwacht« und »tritt die Herrschaft an in der Natur an« (899f.). Sternberger, der im folgenden den Unmenschen als Ordnungszerstörer geißelt und ihm einen Hang zur vorher so idyllisch ausgemalten Wildnis attestiert, sympathisiert hier mit dem biblischen Schöpfungsmythos. Mit dessen Hilfe deutet er das vom Unmenschen in Verruf gebrachte >Zersetzen< zu einer Tätigkeit des Schaffens aus dem Nichts um. In diesem hehren Zusammenhang rechtfertigt Sternberger den »Intellekt« als »bescheidene[], gar nicht anmaßliche[] Art und Weise, sich in der Welt zu betragen«, was seiner Meinung nach durch einen Vergleich mit dem »Begreifen« und dem »Begriff« als einer »wesentlich energischere[] Art des Menschen,

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Besitz zu ergreifen und die Dinge in seine Gewalt zu bringen« (900), plausibel wird. Sternbergers Vergleich des >Intellekts< als einem Vermögen oder einer Potenz mit dem >Begreifen< als einer Tätigkeit und dem >Begriff< als deren Resultat sensibilisiert für das Charakteristische an seiner Auslegung des Lemmas »intellektuelle Sternberger, auch wenn er einen Beitrag zu einer Eigenschaft angekündigt hat, handelt vom >Intellekt< als einem Vermögen. Auch wenn Sternberger sich für Morphologie interessiert - : gegenüber semantischmorphologisch motivierten Veränderungen der signifiant-Seite scheint er gleichgültig zu sein. Sternbergers Umgang mit dem Adjektiv >intellektuell< ist verhalten. Beispielsweise fügt er, nachdem er von interlego über die Adaptation des Schöpfungsmythos hin zum »Erkenntnis-Vermögen« gekommen ist, erklärend hinzu: »Genau genommen, ist also jeder Mensch notwendigerweise auch intellektuell oder - in Gottes Namen - ein Intellektueller« (900; Hervorh. J.S.). Adverbiale Bestimmungen der Art und Weise häufen sich und steigern sich affektiv vom sachlich hinweisenden >genau genommen< zum ungern zugestehenden >notwendigerweise< bis hin zum resignativ einräumenden >in Gottes Namenintellektuell< sprechen sich also auf einmal viele Befindlichkeiten aus: die sachliche Haltung weicht einer zunehmenden Emotionalisierung, in welcher die Handlungsfolge intellektuelles Aufbegehren gegen den Wahnsinn des organisierten Völkermords über dessen ohnmächtige Duldung bis hin zu fassungsloser Sprachlosigkeit wiederbelebt ist. Wenn Sternberger an die unmenschliche Rede von der »Intellektbestie« erinnert (901), muß man sich fragen, warum er nicht dieses eigentliche Wort des Unmenschen verhandelt hat. Hätte ein autonomer Platz in diesem Wörterbuch dem Wort zu viel Gewicht eingeräumt? Wäre das einer Wiederbelebung dessen gleichgekommen, das man ruhen lassen will? Warum hat Sternberger ausgerechnet und nur scheinbar das Adjektiv verhandelt? Blickt man, etwas ratlos am Ende des Beitrags angekommen, auf dessen Anfang zurück, findet sich eine Antwort auf diese Fragen: Das Adjektiv überträgt die eingangs hervorgehobene französische Vorbildlichkeit ins Deutsche. >intellektuell< erinnert an legendäre Zeiten des >intellectuelIntellekt< unter dem Deckmantel >intellektuell< kommt einer ersten Annäherung an vermintes deutsches Gelände gleich. Hier wird hochaktives Wortmaterial mit der schützenden Maßnahme der Tarnung entschärft. Ebenso wie Sternberger, nur unter anderen Vorzeichen, tut sich JOSEPH A. SCHUMPETER schwer mit einer Annäherung an die Intellektuellen. In seiner 1942 auf englisch erschienenen und nun ins Deutsche übersetzten Untersuchung über »Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie« (98) zeichnet der Soziologe mit spitzen Fingern ein düsteres Intellektuellenbild, das die vermutete >Verminung< der deutschen Intellektuellen-Debatte alles andere als >entschärftIntellektuelle
Störungsfaktor< - : ein einprägsames Kompositum, dessen >faktorielle Potenz< störend wirkt auf gewisse Abstumpfungen, die sich im Laufe der Beschäftigung mit dem Intellektuellen-Diskurs einstellen können. Ob das Intellektueller-Sein »der Beruf der Beruflosen« ist (237)? Diese Frage, mit der Schumpeter seinen »Versuch [aufgibt], mit Worten zu definieren«, was sich besser »epideiktisch«-illustrativ bewerkstelligen läßt, entfaltet, gerade weil sie sofort wieder als »unrichtig wie beleidigend« verworfen wird, als Suggestion eine nachhaltige Wirkung (237). Intellektuelle als Experten im Dienst von Politikern begreifend, die »allem, was geschieht, gewissermaßen ihre Mentalität [aufdrücken]« (249), lebt Schumpeter seinen Affekt gegen die solchermaßen reduzierte Spezies aus.

1948 endet in der Monatzeitschrift Die Wandlung die Publikationsreihe zum Wörterbuch des Unmenschen.

1949 erscheint die im schwedischen Exil verfaßte Studie Aufgaben und Stellung der Intelligenz (40) des Soziologen THEODOR GEIGER. Geiger vertritt einen elitären Intellektuellenbegriff. Da er die Intellektuellen weder als Klasse noch als sozialen Stand verstanden wissen will, sondern als Elite, spricht er einleitend auch nicht von >den Intellektuellen«, sondern von >den Gebildeten« (5). Gleichwohl stellt er bedauernd fest, daß »die Rede von den Gebildeten als Gesellschaftsschicht ihren Sinn verloren [hat]« (12). Denn >den Gebildeten« sei eine »gemeinsame gesellschaftliche Funktion« abhanden gekommen, »nachdem die Volksaufklärung Bildung für alle proklamiert hat« (12). Auch wenn Geiger also im Zuge persönlicher Positionierung einleitend von >den Gebildeten« spricht, so präsentiert dieser »reichlich verschlissene Begriff« (18) seinen Untersuchungsgegenstand nicht angemessen.

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Geigers Thema kommt erst ins Spiel, als er zum Abstraktum >Intelligenz< übergeht. Hier unterscheidet er auf sehr erhellende Weise zwischen >der Intelligenz< und >den Intellektuellem »dem Umfang« und »der Farbe nach« (13): »Intellektuellen läßt uns an einen gewissen Menschentypus, einen geistigen Habitus denken. >lntelligenz< bezeichnet ein Kollektivganzes als Träger einer bestimmten gesellschaftlichen Funktion. Intellektueller ist ein sozialpsychologischer, Intelligenz ein kultursoziologischer Begriff. (13)

Theodor Geiger, der aus seiner persönlichen Perspektivität keinen Hehl gemacht und diese mit dem entsprechenden Begriff zum Ausdruck gebracht hat, macht mit der Differenzierung der beiden Begriffe zum ersten Mal auf eine Differenz der mit ihnen »bezielten Erscheinungen« (14) aufmerksam: auf der einen Seite Menschen mit einer besonderen Haltung zum Geistigen, denen eine sozialpsychologische Analysehaltung korrespondiert; auf der anderen ein soziologisches Theorem, dem kultursoziologisches Analyseinstrumentarium entspricht und dessen Abstraktheit nur durch die Vielzahl seiner Mitglieder konkretisiert werden kann. Solcher theoretischen Differenzierung entsprechend, legt Geiger Wert auf terminologische Genauigkeit im praktischen Umgang mit den beiden Begriffen. Wenn von soziologisch zu bestimmender >Funktion< die Rede ist, muß von »Funktion der Intelligenz (nicht der Intellektuellen!)« (20) gesprochen werden, und im Kontext seiner soziologischen Untersuchung kann von den intellektuellem nur als »Mitgliedern] der Intelligenz« die Rede sein (14, 23 passim). Sensibilität im Umgang mit Begriffen beweist Geiger auch, wenn er »die Brauchbarkeit eines Begriffs« nicht dadurch verringert sieht, »daß der Kreis der bezielten Erscheinungen unscharf begrenzt ist« (14). Jedem begrifflichen Typus entspricht in der Wirklichkeit ein Kem von Erscheinungen, umgeben von einem Halo nicht minder eindeutiger Grenzfälle. (14)

Aus dieser Einsicht heraus setzt Geiger auch nicht zu einer »trockene[n] Definition« des Begriffs an. Vielmehr zeichnet er anhand von Referat und Kritik einer »bewundernswert formgewandten, aber inhaltlich unvertretbaren Analyse der Intellektuellen« ein »farbige[s]« und »lebendige[s]« »Bild des Personenkreises« (17). Geiger erzählt die »absonderlich[e]« »Umschreibung des Begriffs der Intellektuellen« durch Joseph A. Schumpeter nach, die »von vornherein ganz bestimmte Gestalten vor unseren Augen [heraufbeschwört]« (20). Von Schumpeters »unsympathischefm]« (19) Gemälde des Intellektuellen, das nach Geigers Meinung grob vom Modell abweicht, fertigt Geiger selbst, wohlwissend, daß ein Gemälde bei groben Abweichungen vom Modell nur auf den intellektuellen Zeichner selbst zurückfällt (22), eine Kopie an, die sich zugleich dem vermeintlich verzeichneten Modell wieder anzunähern versucht.

1952 Der Titel einer von der Redaktion der Zeitschrift Wort und Wahrheit. Monatszeitschrift für Religion und Kultur durchgeführten und von GOTTHARD MONTESI (83) ausgewerteten Rundfrage, »betreffend den Ort und die Aufgabe« der

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
starke Unbehagen^ das mit dem zur Erörterung stehenden Wort verbunden ist und sich in einer »ganze[n] Gruppe von [negativen] Antworten« spiegelt, als einen im Vergleich zu »den lateinischen Völkern« sich abzeichnenden »deutsche[n] Provinzialismus« (902), um gleich im Anschluß daran im Brustton der Überzeugung kundzutun, daß »den Tendenzen auf Abwertung des Terminus [...] nicht nachgegeben werden [darf]« (903). Späterhin wird er sich »gegen das Merkmal der VerantwortungsEnthobenheit als eines notwendig wesenbildenden« »erklären« mit der Begründung, daß »ein zu politisch-administrativer Verantwortung berufener Intellektueller« nicht »aufhör[t]«, »Intellektueller zu sein« (906). Die kämpferische Kasuistik dieser Erklärung läßt sich mit einem improvisierten Syllogismus erhellen: Erste Prämisse·. Der Intellektuelle ist als Intellektueller nicht der Verantwortung enthoben. Zweite Prämisse: Auch im Feld politisch-administrativer Verantwortung bleibt ein ursprünglich Intellektueller ein Intellektueller. Conclusion Der Intellektuelle ist wesentlich, ohngeachtet seiner Tätigkeit, verantwortlich, was ihn letztlich sogar von einem nicht-intellektuellen Politiker unterscheiden mag. Montesis Engagement verdankt sich einer Arbeit am Begriff, die »dem Wort den richtigen Begriffsinhalt zu geben« trachtet und dafür »die fremden, abträglichen Vorstellungselemente nach und nach [ausscheiden]« will (903). Die Erwägung, das pars pro toto nehmende und damit »ein führendes Merkmal, die Orientierung nach dem intellectus«, treffende Wort durch andere zu ersetzen, wird verworfen. Im Unterschied zu den anspruchsvollen »Ersatzvorschläge[n]Intellektuelle< »für den Gebrauch zugeschliffen« und müsse deshalb lediglich »durch Ballastabwurf mobil erhalten« werden (903). Montesi erwägt »eine allseitige Rehabilitierung des Intellektuellen [...] durch eine vorgängige Rehabilitierung des Intellekts« (904), kommt dann aber zu dem Schluß, daß »die verwerfenden Bestimmungen des Intellektuellen«, die »sich alle um die Vorstellung gruppieren, daß der Intellektuelle eine Art Kümmerwesen sei« (903), »alle einen Typus treffen, den es wirklich gibt und der nicht mit gutem Gewissen zu verteidigen ist« (904). Deshalb empfiehlt er, »die Definition des Intellektuellen« von den »entartete[n] Varietäten des geistigen Menschen« ab- und auf entsprechend repräsentative Varietäten hinzulenken (904). Bei diesem Unternehmen hält es Montesi dann mit dem von ihm befragten Max Bense. Bense

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Jutta Schlich

begreift den Intellektuellen als einen Menschen, »zu dessen Gedankenmodus gehört, daß sie von bloßen Emotionen und Erleuchtungen ebenso verschieden sind wie vom puren Räsonnement und vom Geschwätz« (907). Nach Montesi ist >der Intellektuell also mit hybriden >Gedanken als Zwischenschicht eindeutig definiert.

1957 »Das Wörterbuch des Unmenschen erscheint von neuem und zum ersten Mal in Gestalt eines veritablen Buches« {103, 9). In seiner Vorbemerkung begründet STERNBERGER die Neuauflage des Wörterbuchs mit dessen Aktualität. Den in »monströse[m] und zugleich krüppelhafte[m] Wortschatz« mit »gewalttätige[m] Satzbau« und »verkümmerte [r] Grammatik« inkarnierten Unmenschen zu inkriminieren, ist seiner Meinung nach noch immer notwendig, da der neue Sprachgebrauch sich der Trümmer des alten bedient hat (8). Der schöpfungsselige Sternberger will seine Arbeit solange fortsetzen, bis »Menschlichkeit [...] in die toten Glieder der Sprache fährt wie der Atem Gottes in den Lehmleib Adams« (8). Im Kontext des nun überschaubaren Wortschatzes des Unmenschen, der sich vorwiegend aus Verben und Substantiven des Behördendeutsch zusammensetzt, fällt die Bearbeitung des Lemmas > intellektuell ein weiteres Mal auf, das neben >charakterlich< das einzige Adjektiv im Wortschatz ist. Da das adjektivierende Suffix >-lich< Sternberger dazu anhält, zwischen dem Substantiv >Charakter< als einem »Name[n] für das Wesen des Menschen« und dessen adjektivischer »Abart« (41) zu differenzieren, ist die in einer expliziten Behandlung des Substantivs >Intellekt< endende Gleichgültigkeit gegenüber der Morphologie und Semantik des angekündigten Gegenstands >intellektuell< nur als Schutz vor dem durch bloßen Gebrauch zu aktualisierenden Potential des nationalsozialistischen Wortschatzes zu verstehen, zu dem >Intellekt< schlechthin und die >Intellektbestie< im besonderen als eine >unmenschlicheMöge doch dem Intellektuellen die seit je »unerbetene Aufmerksamkeit der Macht« (690) nicht so arg zusetzen !< Seufzend wird erklärt, wie es zu so einer >Ungerechtigkeit< kommen konnte: Der Intellektuelle, »unbequeme[r] Vormund der Macht«, erfüllt im Zeichen seines »legendäre[n] Schutzpatron[s] Sokrates« die Aufgabe, »auf die Unmündigkeit der Mehrzahl HEINZ-WINFRIED SABAIS

Geschichte(n)

des Begriffs

>Intellektuelle
der Intellektuell das Kollektive und Singulare gleichermaßen getürmt ist. Zur gleichen Zeit wie Sabais startet auch J.O. ZÖLLER einen »Versuch einer Begriffsbestimmung des Intellektuellen« (120), der sich jedoch als ein starker Kontrast zu Sabais) moralischer Definition erweist. Statt aus der Perspektive eines nonkonformistischen Intellektuellen von der Plage Herr zu werdenuneingestandenen UnredlichkeitWie erklär' ich's meinem Kinde< erläutert Zöller, daß »Macht, absolut genommen, [...] böse [ist], sicherlich. Die legitime Macht aber ist gebunden an das Recht« (49). Mit väterlicher (Un-)Geduld ergänzt Zöller den »einseitige[n] Gebrauch der Verstandeskräfte« seiner Schützlinge und deren »Verharren im bloß analytischen Prozeß« als »ergiebigste[r] Fehlerquelle« ihres Denkens um die ausstehende Syntheseleistung (49). Die private Rolle des geduldigen Vaters wird sodann zugunsten der öffentlichen des kritischen Wissenschaftlers aufgegeben. Der Wissenschaftler stellt das »Entscheidende« beim Intellektuellen als einem >homme de lettres< fest: daß er [...] sein ungeordnetes Weltverständnis nicht allein zu bewältigen versucht, sondern seine Denk- und Stilproben tausendfach vervielfältigt in die Welt schickt und so zu einer Publizität kommt, die in umgekehrtem Verhältnis zu seinem Beitrag zum Geistesleben steht. (50)

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
der Machtintellektuell< konzentriert sich Betz - wie Sternberger - auf ein Substantiv. Im Unterschied zu Sternberger beschäftigt er sich allerdings nicht mit der Potenz >Intellektintellektuell< auf das französische »Mutterwort[|« >les intellectuels< zurückgreift, kommt ihm - wie Sternberger - die stillschweigende morphologisch-semantische Umformung seines Gegenstandes nicht zu Bewußtsein. Während die Thematisierung von >Intellekt< unter dem Adjektiv >intellektuell< als Schutz vor nationalsozialisitsch-verseuchtem Wortmaterial wie >IntellektIntellektbestie< zu verstehen war, weist die Thematisierung des >Intellektuellen< unter dem Deckmantel des Eigenschaftswortes insbesondere auf eine HemWERNER BETZ,

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Jutta Schlich

mung hin, persönliche Betroffenheit und persönliche Perspektivität explizit zu machen und deutlich Stellung zu beziehen. Insgesamt scheinen bei der Beschäftigung mit dem großspurig beackterten Wortfeld > intellektuell semantisch-morphologische Aspekte und Differenzierungen nicht zu interessieren. Sternbergers gehemmte Problematisierung des Intellekts als einem Vermögen hat sich bei Betz aber immerhin zur Problematisierung des Intellektuellen als einer Person hin konkretisiert. Betz geht es um die Frage, woran > Intellektuell angesichts des vergangenen traumatisierenden kriegerischen Wahnsinns anknüpfen können. In der Sprache von Betz lautet die Frage so: »Läßt sich >intellektuell< heute noch und wieder in seine alten Werte einsetzen, oder muß ein neues Wort dafür geprägt werden?« (121) Noch einmal personifizierend übersetzt: »Können wir noch und wieder so denken wie früher, oder müssen wir unser Kategoriensystem überarbeiten, zumal der Ruf der Intellektuellen laut Großem Brockhaus von 1954, der den Intellektuellen - ähnlich wie Zöller fünf Jahre später - definiert als >Mensch, der seinem Verstände nicht gewachsen istSozialpsychologie< spricht sich ein Affekt gegen alles konkret und damit irgendwie Persönliche< aus, wie er sich beispielsweise über die Tarnungsmanöver von Dolf Stemberger (1946; 102) und Werner Betz(1960), die Feindfixierung von J.O. Zöller (1959; 120) und Winfried Sabais (1959; 89) und der vorläufigen Festschreibung der Methode des Abstrahierens vom Persönlich-Konkreten bei Cornelia Berning (1960; 12) mittlerweile als eine Konstante des Intellektuellen-Diskurses herauskristallisiert hat. CORNELIA BERNINGS Sammlung von mehr als fünfhundert Wörtern der Sprache des Nationalsozialismus, die von 1960 bis 1963 in der Zeitschrift für Deutsche Wortforschung erschienen ist, kommt unter dem Titel Vom >Abstammungsnachweis< zum >ZuchtwartIntellektuelle
romantische Haltung< genannt und bezeichnet den Zustand innerer Emigration; die dritte Haltung ist die >tragische Haltung< der Intellektuellen im Exil. Nach Dahrendorf zeichnet sich die »deutsche Sozialstruktur« durch ein »eigentümliches Mischungsverhältnis« dieser Haltungen aus, denen allen eine »bestehende Herrschaftsverhältnisse« stabilisierende und zementierende Wirkung eigen ist: neben der >klassischen< affirmativen Haltung bestätigt die >romantische< Haltung durch Stimmenthaltung die Stärkeren, und die >tragische< Haltung hat, gleichwohl sie sich betont politisch gibt, einen oft utopischen Zug. Dahrendorf räumt ein, daß »Klassifikationen dieser Art [...] notorisch unvollständig [sind]« und man auch nie verbindlich bestimmen kann, um »wie viele Klassen man sie noch ergänzen miißte« (317). Offensichtlich fehle aber mindestens eine Haltung, die, berücksichtigt man die soziologische Literatur, die eigentlich >klassischedynamische Synthese< (um mit Karl Mannheim zu sprechen) von Distanz und Zugehörigkeit, Entfremdung und Teilnahme, Kritik und Zustimmung« zu entwickeln (318). Dahrendorf sieht seine Beschreibung der Rolle des kritischen Intellektuellen in der Rolle eines Hofnarren präfiguriert. Der Hofnarr »[bleibt] den Handelnden auf den Fersen« und ist ihnen ein »Ärgernis [...] gerade noch in den Grenzen des Erträglichen« (318f.). Dahrendorf meint zu wissen, daß die deutschen Intellektuellen »sich nicht gerne als Narren beschrieben [hören]« (319). Zu dieser Vermutung kommt er, weil er als »deutsche Intellektuell solche im Auge hat, denen »der Staat den Gardinenzuschuß für Beamte [bezahlt], wenn sie ihre Wohnung wechseln« (322). Dahrendorfs »deutsche Intellektuelle< sind äußerst seriös und bodenständig, sie »schweben keineswegs frei« (322). Nach Dahrendorf hätten die beamteten deutschen Intellektuellen aber auch keine »Kette trauriger Brüche mit [sozialen] Gruppen und [...] Bindungen« zu verkraften (318; Hervorh. J.S.) und müßten demzufolge auch einigermaßen glücklich sein. Will Dahrendorf ihnen ihr Glück streitig machen, indem er sie bespöttelt? Dahrendorfs Idee mit dem »Hofnarren« assoziiert sich nur scheinbar mit dem Gedanken an den »Gardinenzuschuß< zu einer spöttischen Absicht und ist durchaus seriös. Dem Autor liegt die »dynamische Synthese« von anerkanntem sozialen Status und kritischer Distanz am Herzen (322). Anstatt in der »romantischem Haltung zu verharren und so »das Kartell der Mächtigen« »durch ihr mangelndes Selbstbewußtsein [zu stärken]«, sollten sich die deutschen Intellektuellen deshalb die »Funktion des Narren zur Regel machen« (324).

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1966

beginnt seine Beschreibung >des Intellektuellem (92) origineller· und erfrischenderweise mit einer Erklärung »Wer nicht gemeint ist« (9). Schiwy meint nicht »alle Menschen«, »die ihren Kopf gebrauchen« und erläutert: »Sonst wäre die Zahl der Intellektuellen unerträglich und selbstmörderisch, denn massenhaft auftretende Intellektuelle sind keine mehr« (10). Schiwy hat die »leidigen Intellektuellen« im Auge, »die in letzter Zeit in der bundesrepublikanischen Presse Schlagzeile machen, worüber sich vor allem die Gebildeten und Akademiker entrüsten, was darauf schließen läßt, daß sie nicht unbedingt zu den Intellektuellen gehören« (10). Schiwy hebt zu einer Korrektur der bisherigen Definitionsversuche an: »Obwohl es den Intellektuellen schon lange gibt, ist es viel leichter und richtiger, den zu beschreiben, der unter uns lebt, als die Intellektuellen schlechthin und aller Zeiten« (9). Schiwy plädiert damit für eine Konkretisation des Intellektuellen-Diskurses, allerdings für eine unter Vorbehalt: Schiwy zielt auf die chronologisch verstandene Gegenwart eines zeitgenössischen Typus, nicht auf die unmittelbare Präsenz und Präsentation einzelner. Schiwy schreibt den intellektuellen Affekt gegen personale Wirklichkeit als einer Konstanten des Intellektuellen-Diskurses fort. Es ist also nicht verwunderlich, daß sich Schiwys halbkonkrete Konkretisation der Beschreibung des zeitgenössischen Intellektuellen ebenso global und utopistisch ausnimmt wie die von ihm inkriminierten Beschreibungsversuche des Intellektuellen >aller ZeitenBerufungsmystizismusKritikbestieDelinquenten< bei Lepsius als eine dem Gemeinwohl unzuträgliche Erscheinung. Schiwy hält es nicht nur mit der Psychologieabwehr und Kritikversessenheit von Lepsius, sondern auch mit Dolf Sternbergers Beseeltheit durch den Schöpfungsmythos (vgl. 102, 899f.), und zwar mit dessen säkularisierter Variante, die er mit einem Zitat aus Gerhard Zwerenz' »Wider die deutschen Tabus« (1962) aktualisiert: »In sechs Tagen schuf Gott die Welt, und da sie unvollkommen war, schuf er am achten Tag den Intellektuellen« (92, 29), damit dieser sie in ihrer Unvollkommenheit kritisiere (30). Schließlich hält es Schiwy auch trotz bester, sachdienlicher Absichten mit dem naiven Pathos der gebethaften »moralischen Definition« von Winfried Sabais (88): Wie die schweizerischen >Eidgenossen< will Schiwy den von ihm gezeichneten Typus durch den »Rütlischwur der Intellektuellen« (92, 19) verbunden wissen. Dieser Schwur soll sie darin bestärken, sich für »absoluteQ Offenheit«, für »totale Erwartung« und für »das GÜNTHER SCHIWY

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Gretchenfrage< des Intellektuellen »Wie hast du's mit der Sprache?« (16): [. . .] die Intellektuelle. Sie konnte nichts, als was die Intellektuellen immer können, sogar in den wortlosesten Lagen: reden. Denn sie hatte ja nichts sonst, als was die Intellektuellen haben: für alles ein Wort. Ein Wort und keine Ahnung. (67)

Immerhin bringt Schiwys Hang zur Hyperfiktion über dieses Zitat ans Licht, daß mit Geschwätzigkeit, die notorisch dem schönen Geschlecht angetragen wird, der männliche Intellektuelle treffend charakterisiert ist. Was das Verhältnis angeht, das der Intellektuelle mit der Sprache hat, läßt Schiwy ihm »nichts [...] verhaßter« sein »als de[n] >Jargon der Eigentlichkeit< und das >Wörterbuch des Unmenschen« [...]«(16). Daß allerdings der Haß als gesteigerte Erlebniszeit auf ein besonders inniges und vertracktes Verhältnis zu diesem Stil und Wortschatz schließen läßt, kommt Schiwy, der systematisch von personaler Präsenz absieht, selbstverständlich nicht zu Bewußtsein. 1966 erscheint ein Sammelband mit dem engagierten, von der liberalisierenden Idee einer >M6ritocratie< durch Intelligenz anstelle von Vermögen und Herkunft beflügelten Titel Militanter Humanismus [...]. In seinem Beitrag zur Intelligenz in der gegenwärtigen Gesellschaft (110) faßt JAN SZCZPANSKI die Ergebnisse seines 1961 abgeschlossenen Projekts der Prüfung und Klassifizierung von sechzig Definitionen der Intelligenz und der Intellektuellen zusammen. Damit erschließt der Autor einem größeren Publikum den Wert seiner Arbeit, welcher zuvor lediglich über das Guiness-Buch der Rekorde hätte geschätzt und bekannt werden können. Anhand der Ergebnisse seiner Untersuchung stellt Szczepänski ein weiteres Mal »die Frage, die wahrscheinlich immer ohne eine befriedigende Antwort bleiben wird: Was ist die Intelligenz? Welche sozialen Kategorien bezeichnen wir mit diesem Begriff?« (234). Die soziologische Intention der zweiten Frage entschärft die auf eine ultimative Antwort zielende erste Frage >Was ist die Intelligenz« in ihrer Radikalität, macht so aber auch den radikalen Gestus dieser rituellen Frage des Intellektuellen-Diskurses überhaupt erst einmal sinnfällig. Szczepänski unterscheidet drei Klassen von Definitionen: a) Definitionen, in denen der »Intellektuelle« »durch seine Stellung zu den ewigen Werten, also durch seine moralische Haltung« gekennzeichnet wird, wie prototypisch bei Julien Benda; b) Definitionen, die »die Intellektuellen für >second-hand-dealers in ideas< halten, für Menschen, welche versuchen, die durch Denker geschaffenen Ideen gemeinverständlich zu machen«, wie dies auf die russische Intelligenz stark zutreffe (234); c) soziologische Definitionen, »die Intelligenz als soziale Schicht« bezeich-

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nen und als kulturbildenden Faktor darstellen, wofür die Auffassung von Joseph A. Schumpeter paradigmatisch sei. Sczcepanskis »Versuch einer umfassenden Begriffsbestimmung der Intelligenz« will feststellen, »welche Menschenkategorien in verschiedenen Ländern gegenwärtig als Intelligenz oder Intellektuelle bezeichnet werden«, »welche Funktionen sie [...] erfüllen und welches die Gründe [...] sind für das steigende Interesse, das ihnen von soziologischer Seite entgegengebracht wird« (235). Er kommt zu folgenden negativen Antworten: »Die Intelligenz [stellt] keine homogene Schicht [dar]«, sie ist »nicht durch ein institutionelles Band verbunden« und hat weder »ein einheitliches soziales Bewußtsein noch eine eigene Ideologie herausgebildet« (236). Demzufolge gilt es, das soziologische Konglomerat >Intelligenz< in »Kategorien von Intellektuellen« zu unterteilen, in Literaten, Wissenschaftler, Experten, Ideologen sowie >Techniker[] des Wortessecond-hand-dealers in ideas< verstanden werden. Diese Kategorien der Intellektuellen erfüllen differenzierte Funktionen, deren sechs von Sczcepänski dann aufschlüsselt werden. Angefangen bei den beiden Ausgangsfragen über die von der Intelligenz zu den Intellektuellen wechselnde Rede bis hin zu deren Differenzierung in Kategorien und Funktionen zeichnet sich insgesamt bei Szczepänski eine Tendenz zur Konkretisierung eines global-abstrakt gefaßten Themas ab. Angesichts der Heraufkunft der Massenkommunikationsmittel, die »einen Arbeitsmarkt für alle Kategorien der Intelligenz« zur Verfügung stelle (237) und auch für das »stete Anwachsen der Literatur auf diesem Gebiete« (236) sorge, läßt sich über die Intelligenz anscheinend nur anhand konkreter gefaßter Gruppen von intellektuellem sprechen - der Mann, der den umgekehrten Weg von der Konkretion zur Abstraktion beschritt und 1961 über sechzig Definitionen zusammenfassen wollte, muß wissen, was er tut. An Szczepänskis langfristigem Interesse an den Definitionen der Begriffe >Intellektuelle< und >Intelligenz< läßt sich exemplarisch die Entwicklung von Forschungsinteressen studieren, wie sie ein ursprünglich und unhinterfragt an der ultimativen Identität seines Gegenstands interessierter Forscher durchläuft. Der Stellenwert von deduktivem und induktivem Umgang mit dem Intellektuellen-Diskurs ist im Zuge der einleitenden methodischen Überlegungen zu dieser/n Begriffsgeschichte/n thematisiert worden (siehe dort). In seinem Buch Der fünfte Stand (70) berichtet WOLFGANG KRAUS von seiner Vision einer Weltrevolution der Intelligenz, die zu einem neuen Stil der Zusammengehörigkeit und zu neuen Realitäten des Denkens vorstoßen werde. »Wer ist ein Intellektueller«? (54). Die Definition des fünften Standes erfolgt wohldurchdacht im fünften Kapitel des Buches. In Symmetrie zur weitreichenden Perspektive seiner Vision beginnt Kraus für die Beantwortung dieser Frage weit zurückreichend in der Antike, um dann - wie einst Dolf Sternberger im Jahre 1946 (102) - den alten germanisch-romanischen Gegensatz anhand von Grimm und Littrd auszutragen (70, 54). Dabei gelingt es Kraus, eine Lücke auch in der scheinbar lupenreinen intellektuellen Kontinuität des illuminierten Nachbarlandes ausfindig zu machen: Rousseau. Mit Jean-Jacques wurde nachhaltig »die Natur gegen den Intellekt [mobilisiert]« und der »Vernunftweg« (61)

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
intellektuell< verhandelte intellektuelle >Potential< der ehedem nationalsozialistisch inkriminierten >Intellektbestien< wird historischer Analyse zugänglich. Hinter Überzeugungen leuchten zaghaft persönliche Zu- und Eingeständnisse hervor, die wiederum symptomatisch für die grundsätzliche persönliche Betroffenheit und Perspektivität im Zusammenhang mit dem interlego- Wortfeld sind. So konzediert Sternberger in einem Nachtrag zum Lemma >intellektuellkönigliche< Kunst der »Intellektuellem manifestiere sich an der Oberfläche als »Nein« »inmitten der Einverstandenen«, »[befördere] die Irritation« und geleite so in die Tiefen des »Kommende[n] im Heutigen, [der] Prozessualität hinter dem nunc stans, [der] Widersprüche im Verborgenen« (278). zufolge ist >der I n t e l l e k t u e l l ein »neue[r] soziale[r] Typus«, für den »seine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Macht« charakteristisch sei. Prototyp dieses Typus wiederum sei der »unabhängige[] Intellektuellen«, der »historisch mit der Aufklärung erstmals in Erscheinung [trat]« (283). Während Voltaire, Diderot und Rousseau dem modernen Intellektuellen als Muster dienten, lieferte Julien Benda - und hier Josef A. Schumpeter, Karl Mannheim und Heinrich Mann übertreffend - mit der Aufzählung der drei großen Ideen »Gerechtigkeit, Wahrheit, Vernunft« dessen »überzeugendste normative Bestimmung« (283). Typisch für die »von den deutschen Intellektuellen geschätzte Antithese von Geist und Macht« sei, daß diese »einseitig im Sinne der Intellektuellen interpretiert werde, nämlich als ein höheres Prinzip, das der Macht in jeder Hinsicht überlegen ist« (286). Walter Jens, liefert dafür ein Beispiel. Aktualisiert wird dieser von Sontheimer skizzierte deutsche Typus des Intellektuellen nicht nur von Jens, der den Intellektuellen einen außergewöhnlichen Tiefenblick konzediert, sondern auch von Sontheimer selbst. Sontheimer spricht diesem Typus nämlich die Aufgabe zu, »die Macht [...] an den Werten und Ideen zu messen, zu denen sie sich in ihrem offiziellen Deklamationen so gern bekennt« (286). Da diese >Berufung< allerdings voraussetzt, daß der typische Intellektuelle das hält, was er verspricht und für »Gerechtigkeit, Wahrheit, Vernunft« (283) einsteht, erweist sich Sontheimers Typus ein weiteres Mal als Repräsentant eines »höheren Prinzips< der so sehr selbstvergessenen >Macht I n t e l l e k t u e l l die Tatsache unumstritten bleibt, »daß dieses Reizwort einen Menschentypus kennzeichnet, ohne den Zusammenhänge und Entwicklungen in Geschichte und Politik, Gesellschaft und Kultur nicht zu verstehen sind« (7). Bergsdorf, dem der »AntiIntellektuelle« als »ärgste Kennzeichnung eines Mannes gilt, der den Begriff und das durch ihn umschriebene gesellschaftliche Phänomen zu entzaubern versucht« (8), hat entsprechend einen euphorisch-zauberhaften Begriff vom Intellektuellen. Trotz der »Abgrenzungs- und Verständnisschwierigkeiten«, die aus der Symbiose »mit Begriffen wie Kritik, Kreativität und auch Utopie« resultierten, und trotz des »Verdikt[s] der Unwissenschaftlichkeit« sei der Begriff > I n t e l l e k t u e l l »unverzichtbar« (7). Die Ähnlichkeit zur Gedankenführung Schelskys fällt auf, der allerdings von Bergsdorf als Inbegriff des Anti-Intellektuellen angeführt worden ist (8). Bezüglich der Definition der gesellschaftlichen Aufgabe der Intellektuellen hält es Bergsdorf mit Theodor Geiger: »Kritik und Mäßigung der Macht« (53) sei der »Hauptgegenstand« von Geigers »Untersuchung« der Seelenlage des Intellektuellen, zu deren Therapie Bergsdorf nun ansetzt. Die »spannungsreichen Entgegensetzungen wie Macht und Geist, Realität und Utopie, Affirmation und Kritik, Pragmatismus und Ideologie« seien von Intellekuellen erfundene Topoi, mit denen sie sich das Leben schwer machten. Deshalb versucht Bergsdorf Macht und Geist einander wieder anzunähern und arbeitet auf deren wechselseitige Respektierung hin (9). Im Unterschied zu Sontheimer und Jens, die den deutschen Topos von der Unvereinbarkeit von Geist und Macht einseitig im Sinne der Intellektuellen ausgelegt hatten (58), meint Bergsdorf illusionslos, daß dieser vielmehr die gängige Formel von »Deutschland als Land der Dichter und Denker« als einen Euphemismus entlarve (31, 46). Wie Martin Greiffenhagen 1980 (58) geht es Bergsdorf darum, »das Artifizielle der Unterscheidung zwischen Handeln und Denken« herauszustellen und die Sprache als das Feld auszuweisen, »das Politiker und Intellektuelle gemein-

Geschichte(n)

des Begriffs >Intellektuelle
kritische Sympathie< erwachsen könnte, läßt sich nicht um den Preis einer heteronomen Funktionsbestimmung erkaufen. Die Verhaltensvorschrift >kritische Sympathie< entpuppt sich deshalb als Arroganz im Sinne einer Vorwegnahme unbewiesener Überlegenheit. Mit ihr wird die zum seelischen Nachteil in Gestalt von Zerissenheit »zwischen Ohnmacht und Anmaßung« (Untertitel) gereichende und hier beschriebene »spannungsreiche[] Entgegegensetzungf]« (9) überspielt, wo doch Trauerarbeit angesichts der Abhängigkeit von der Macht angebracht wäre, die den Zerriß bedingt. »Kritische Sympathie< in dem eben beschriebenen Sinne legt der Paderborner Romanist JOHANNES THOMAS gegenüber Frankreichs Intellektuellen in seinem Beitrag zu Bergsdorfs Sammelband an den Tag. Thomas vergleicht »Intellektuelle in Deutschland und Frankreich« ( I I I ) und vermag so Aspekte zu bieten, die Dietz Berings Hypostasierung der Dreyfus-Affäre zum Glückfall für Frankreich mit seiner ungebrochenen demokratischen Tradition scheinbar relativieren, tatsächlich aber lediglich überspielen. Thomas depotenziert Berings Frankreich-Apologie nur scheinbar, weil er dem ihr zugrundliegenden spezifisch deutschen Minderwertigkeitskomplex nicht Rechnung trägt. Diesen damit auch nicht als Motor seiner eigenen Überlegungen reflektierend, kommt Thomas seinerseits zu einem neuerlichen tendenziös verzerrten >Gruppenbilddie die Arbeit tunIntellektuelle< evoziert, allen voran das vom >Guten Intellektuellem. Der >gute Intellektuell sei »ein hehres Ideal«, ein abstrakter und normierter »Lexikon-Intellektueller«, den »man dem jeweils aktuellen

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und regelmäßig negativ beurteilten Intellektuellen als Korrektiv entgegenhalten kann« (152). Zwei Kernvorstellungen prägten das Image des Intellektuellen: »Bezug auf Politik« und »Orientierung an Ideen und Theorien« (153), auf die hin sie die Wirklichkeit kritisch prüften, was »ihnen den Vorwurf des Nihilismus, des Negativismus und des Kritikastertums [eintrage]« (154). Nun sei »die Vorstellung [...] zumindest weit verbreitet«, daß diese »Eigentümlichkeiten des Intellektuellen-Images« ursächlich mit »einer spezifisch deutschen Verachtung für den kritischen Geist« verbunden sind (156). Die Imagedebatte über den Intellektuellen erweise sich vollends als »nationalImage-trächtigQ« (163), wenn man die Debatte um den Intellektuellen in der Weimarer Zeit, in welcher das französische raison-Image gegen das Image von deutscher Wesensart ausgespielt wurde und Ludwig Klages mit seinem dreibändigen Hauptwerk und dessen plakativen Titel »Der Geist als Widersacher der Seele« »zum Mann der Stunde« avancierte, auf seine legendären Vorfahren hin befragt (164): Im altfranzösischen Rolandslied tritt der >kluge Oliven gegen den >unbedacht kühnen Rolandintellectuelverspäteten< Michel Foucault und aus dessen Forschung nach allgemeinen Kräftelinien verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche sein abschließendes Plädoyer für einen selbstbewußten »Dilettantismus« ab (172). Kraft seiner >Leichtigkeit< vermag sich der unbeirrbare Dilettant über Einwände von seiten verwurzelter Wahrheitsapostel hinwegzusetzen und »der

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
ArroganzIntellektuelle< bislang abgezeichnet haben. Ebenso wie J.O. Zöller 1959 den Intellektuellen »Heimatlosigkeit nachgesagt hatte (120), »scheint« die Schlagwortforschung, die sich »im Spannungsfeld zwischen Linguistik und Literaturwissenschaft, Semiotik und Rhetorik« befindet (119, 6), »innerhalb der traditionellen Systematik der Wissenschaften eine heimatlose Disziplin zu sein« (11). Ebenso wie es sich bis hierhin für den Begriff >Intellektuelle< aufdrängt, hält Wülfing für das Schlagwort an sich eine »bestimmte Begriffserklärung« für »ebenso überflüssig wie schwierig« (13). Ein »hinreichender Hinweis« wie der, »daß [ein Schlagwort] in rascher Verbreitung ganze Bevölkerungsschichten durchdringt und ihnen unentbehrlich wird«, genüge (13). Neben diesem »hinreichenden Hinweis< greift Wülfing auf Metaphern als Elementen des Vorbegreifens von schwer Begreifbarem vor. So beschreibt er die Wirkung von Schlagwörtern mit Hilfe der Medizin als eine »epidemische« (29) und führt ihre Entstehung auf »die Wogen des öffentlichen Lebens« zurück, die, wenn sie »besonders hoch gehen« »eine Menge Schlagwörter ans Land [werfen]« (30). Als »Ergebnisse der Untersuchungen, die sich mit öffentlicher Rede beschäftigen« (33), referiert Wülfing Merkmale des Schlagwortes wie »Verkürzung von Programmen< und >Emotionalisierung< und warnt vor der ontologisierenden Rede von einer »affektbetonten Worteinheithinreichenden Hinweis< für Helmut Schelskys (91) emotionstreibende Verwendung des antirationalen Schlagwortes > Intellektuell im Zuge seiner sich betont >wissenschaftlich< gebenden Arbeit an die Hand. Gleichwohl die Appellfunktion beim Schlagwort dominiere, aktualisiere es auch die Darstellungs- und Ausdrucksfunktion. Die Darstellungsfunktion werde vom Schlagwort sogar besonders gut betreut, insofern es rhetorisch als verbum proprium beschrieben werden kann: Wer ein Schlagwort verwendet, kann den Eindruck erwecken, »daß er die Dinge >beim Namen nenntspontan< als prägnant empfunden« wird (43). Um allerdings herauszufinden, warum ausgerechnet ein an sich unpräzises Wort hier und da zum verbum proprium wird, gilt es zu untersuchen »wer wann wo zu wem worüber in welchen Worten spricht« (41). Von der konkreten historischen Situation also hängt die Schlagkraft und -richtung des Schlagwortes ab. Mit dem Wandel der Zeiten kann so auch eine »Reizabnutzung« des Schlagwortes eintreten. »Hohe Frequenz« nutzt das Wort ab und beschleunigt eher die »ideologische Immunisierung« als daß sie sie aufhält (50). Am Ende ist Wülfing wieder dort, von wo er ausgegangen war: beim metaphorischen Vorbegreifen von Unbegreifbarem. Hatte er anfangs mit Hilfe der medizinischen Metapher das unfaßbare Phänomen >Schlagwort< in seiner >epidemischen Wirkung< ausgemacht, so ist er jetzt in einem Bildbereich (im wahrsten Sinne des Wortes) >gelandetIntel-

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Ostblocks< lebhaft diskutiert« worden ist. Die Neuauflage legitimiert sich von der Tatsache her, daß »die stürmischen Veränderungen in den Ländern des ehemaligen >real existierenden Sozialismus< Kraus recht gegeben [haben]«. Kraus, Umpräger des umsatzbremsenden Begriffs >lntellektuelle< und Präger des griffigen, werbewikrsamen und verkaufsfordernden Begriffs »der fünfte Stand«, hatte seinerzeit prognostiziert, daß »die Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler, die Intellektuellen gerade in den Ländern« mit volksdemokratischem Regime »eine neue politische Entwicklung auslösen und bewirken würden«. Kraus' Vision habe sich nun bewahrheitet, der

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
ultimativIntellektuelle
Intellektuelleplapperbaren< Modewort werden wird. Eine Arbeitsgemeinschaft um den Düsseldorfer Linguistikprofessor GEORG STÖTZEL - die sogenannte >Stötzel-Schule< mit ihrem sogenannten Düsseldorfer Ansatz< - legt die Ergebnisse eines »neuartige[n] Versuch[s] einer Geschichte des öffentlich-politischen Sprachgebrauchs der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart« vor {107, V). Kontroverse Begriffe lautet der Titel der unter den Namen Georg Stötzel und Martin Wengeler vereinten Arbeiten, welche sich »bedeutsame[n] Felder[n] der deutschen Geschichte nach 1945« zuwenden und »große öffentliche Themen und Diskussionen« und »sprachlichpolitische Aushandlungsprozesse« nachzeichnen (2). Mit Hilfe von Ferdinand de Saussures Doppelbestimmung des Sprachzeichens als zugleich >arbiträr< und >konventionell entschärft GEORG STÖTZEL in seiner Einleitung den Manichäismus von ontologisierend-alttestamentarischer und sprachreflexiver Sprachauffassung und arbeitet die realitätskonstitutive und handlungsorientierende Funktion der Sprache in den verschiedenen Themenfeldern heraus (9). Die zugleich »traditionelle und neue >Findungsmethode< des zu analysierenden Sprachmaterials«, die auf der Beobachtung beruht, »daß in öffentlichen Diskussionen der Sprachgebrauch selbst oft explizit oder zum Thema gemacht wird« (2), hat den Begriff >Intellektuelle< oder überhaupt das Thema >Geist und Macht< nicht erfaßt. Diese >Ignoranz< gegenüber unserem Begriff ist ärgerlich, zumal neben dem Kriterium »explizite Thematisierungen von Sprache in Texten«, das »ein Indikator für Kommunikationsprobleme« sei (11), die Kriterien »konkurrierende Interpretationsvokabeln eines Problemverhalts«, »Strategien der Auf- und Abwertung bestimmter Bezeichnungen« und »Neuwörter« und »Neubedeutungen« auf unseren Begriff zutreffen. Die Intellektuellen, die ihr >Denkmal< in dieser Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs nicht berücksichtigt finden, müssen sich mit der fur solche Fälle ausgesprochenen Tröstung begnügen, daß auch bei der angewandten Findungsmethode »hier und da öffentlich bedeutsame Probleme und Spracherscheinungen durch die Maschen gefallen sind« (2). Auch wenn die Intellektuellen inmitten des thematischen Kaleidoskops von »Marktwirtschaft-Planwirtschaft«, »Europa«, »Wehrbeitrag-Friedensmissionen«, »Zweiter Bildungsreform«, »Halbstarke, Hippies, Hausbesetzer«, »Zerissenes Deutschland - vereinigte Republik«, »1968«, »Feministische Sprachkritik«, »Paragraph 218« und »Multikulturelle Gesellschaft« sich auch von dem einen oder anderen Thema mitgemeint fühlen mögen - : ein expliziter Bezug zur Geschichte des Begriffs >Intellektuelle< ist mit Hilfe des Sachregisters allein für das Kapitel Der Nazi-Komplex auszumachen. GEORG STÖTZEL, der diesen Beitrag verfaßt hat, referiert die »wissenschaftliche[n] und öffentliche[n] Diskussionen über die Weiterverwendung von >Nazi-WörternVokabular des Nationalsozialismus^ (355). So kommt das Wörterbuch des Unmen-

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sehen (103) zur Sprache, das anhand bestimmter Wörter »eine Mentalitätstradition mazistischer Denkweise< plausibel zu machen« versucht hat, »die unabhängig davon besteht, wer unter welchen Umständen die inkriminierten Ausdrücke gebraucht« (357f.). Trotz des »inhalt- und strukturinterpretierenden dramatischen Beschreibungsstil[s] Sternbergers« (360) sei dieser Ansatz »in der unmittelbaren Nachkriegszeit [...] ohne große öffentliche Wirkung geblieben«, wofür neben dem historischen Grund der starken institutionellen Verdrängung dieser Vergangenheit (357) ein sprachspezifischer Grund ausschlaggebend gewesen sei: Die stark erlebnisgeprägte Sprachsensibilität der Autoren richtete sich gegen Ausdrücke, deren >Belastung< - zumindest unmittelbar und intuitiv - nicht einleuchtete, sondern erst durch argumentativ-interpretatorische Gebrauchsanalyse nachgewiesen werden mußte. (357)

Stötzels Kritik, die diejenige von Peter von Polenz (1967) perpetuiert, trifft auf das Adjektiv >intellektuell< allemal zu. In der Bearbeitung Dolf Sternbergers (1946; 101) und Werner Betz' (1960; 14) hatte es gewissermaßen Alibi- oder Entlastungsfunktion innegehabt. So mußte man sich nicht direkt mit den an fürchterliche Assoziationen gekoppelten und eigentlich nazistisch >infizierten< Substantiven >IntellektIntellektbestie< auseinandersetzen.

1996 legt die Arbeitsgemeinschaft »Sprache in der Politik« die Ergebnisse ihrer Tagung zum Thema »Sprache - Streit - politische Kultur« vor, mit der sie »neuere bedeutungstheoretische Konzepte« wie beispielsweise »systematische Untersuchung der nicht-deskriptiven Bestandteile von Wörtern«, die auch für den Begriff >Intellektuelle< interessant ist, »für die politolinguistische Analysepraxis« »fruchtbar machen« will (118, 7). Wörter in der Politik befaßt sich mit »bislang von der Forschung ignorierte[n] Begriffefn] wie >GewaltEuropa< als schlagkräftiges Fahnenwort und Political Correctness< als Stigmawort... und kennt nicht den Begriff >Intellektuelle Intellektuelle< 1978 in der von linguistischem Pioniergeist getragenen Untersuchung von Dietz Bering (9) immerhin die Funktion eines Paradigmabegriffs und Paradebeispiels für die Erforschung der Konnotationen auf politischem Gebiet inne. Zum 60. Geburtstag von Georg Stötzel legen seine Schüler/innen eine Festschrift vor zum Öffentliche[n] Sprachgebrauch und eröffnen diesbezüglich praktische, theoretische und historische Perspektiven (85). Der Begriff »Intell e k t u e l l hat sich auch hier nicht in die mit den Marken »Einigkeit«, »Innere Emigration« und »Rassismus« abgesteckte Begriffslandschaft gefügt. Die wiederholte Abwesenheit des Begriffs in der aktuellen Sprachgeschichtsschreibung verdichtet sich nunmehr zu dem Verdacht, daß es sich bei >Intellektuelle< um

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
MentalitätenBewußtsein< der Sprecher/innen« angenähert habe (410). Daß die Befragung der historisch jeweils dominanten Themen und Diskurse auf ihre besonders charakteristischen Schlüsselwörter hin (393) weder in Georg Stötzels und Martin Wengelers Sprachgeschichte (1995; 107) noch in den Untersuchungen von Wörter[n] in der Politik (1996; 118) noch in den hier vorliegenden Untersuchungen zum öffentlichen Sprachgebrauch das Schlüsselwort >Intellektuelle< in den Blick bekommen hat, mag daran liegen, daß - so Wimmer - das eruierte »Bewußtsein der Sprecher/innen« aus einer allerdings nicht historischen, sondern aktuellen Perspektivität heraus sich nicht mehr in einem Kollektivum >Intellektuelle< begreifen lassen muß. Daß der historische Diskurs der Intellektuellen zum Thema >Geist und Macht< bei den Linguisten - von Dietz Bering (9) einmal abgesehen - keine Berücksichtigung gefunden hat, kann - und dies ein weiterer Aspekt selektierender Perspektivität - auch einfach daran liegen, daß die germanistische Sprachwissenschaft vom Thema >IntellektuelleIntellektuelle< hingezogen fühlt, offenbarte dann aber auch, daß der Intellektuellen-Diskurs kein selbstreflexiver ist. Es ist vielmehr ein Diskurs, der sich wie die Literaturwissenschaft mit Schriftstellern als Intellektuellem und die Soziologie mit heimatloser Intelligenz< mit einem objektivierten Problem beschäftigt, das mit der Person des jeweiligen Forschers und dessen subjektiver Befindlichkeit nichts (mehr) zu tun hat. Johannes Thomas (111) hatte 1982 den abstrakten und normierten LexikonIntellektuellem als einen beschrieben, »der sein Leben allein dem Geist widmet und als ästhetischer Liebhaber des absolut Rationalen persönlich interessefrei der Welt gegenübertritt« (162). Paradigma dieses >Papier-Intellektuellen< sollte der politischen Richtungen enthaltsame Julien Benda und dessen Gegenstück der reale und speziell der deutsche Intellektuelle sein. 1996 ist das Jahr, in welchem dieser von Thomas beschriebene Lexikon-Intellektuelle nachhaltiger als in dem solitären Individuum Julien Benda Gestalt annimmt. Dem idealen französischen Wörterbuch-Intellektuellen entspricht nun nämlich ein idealer Dictionnaire des intellectuels franqais (29). Nach der Rekapitulation der typischen französischen Biographie des Intellektuellen, der mit Voltaire anfängt, mit Zola das Erwachsenenalter erreicht und mit Sartre stirbt, behaupten die Herausgeber Jacques Julliard und Michel Winock mit überlegenem Stolz und ausländische Beobachter offenbar beschwichtigen wollend: »Die Intellektuellen sind keine französische Spezialität!« Sogleich wird aber das dabei mitschwingende understatement explizit gemacht: Besondere Kraft und ein wichtiger Platz in der

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politischen Diskussion seien die auffälligsten Züge nicht etwa der französischen Intellektuellen, nein vielmehr gleich >ganz< Frankreichs, so daß es sich von selbst verstehe und also legitim sei, dieses Lexikon im nationalen Rahmen zu entwerfen (13). Man findet in diesem Dictionnaire ein Who is who von Schriftstellern und Wissenschaftlern, Künstlern und Akademikern, >homme ou femme< (!). Politiker sind jedoch ausgenommen, denn - und hier landet französischer Intellektualismus und französische clarte bei glasklarer Kasuistik: Politiker, die geistig aktiv geworden sind und ein theoretisches Werk geschrieben haben, sind keine Intellektuellen; sie haben sich nicht engagiert in der Politik, weil sie sich dort bereits befanden (11)! Gleichwohl kasuistisch betont diese Klarheit in der Gedankenführung einen wichtigen, ja zentralen Aspekt, der bei den vielen Versuchen, das Handeln des Intellektuellen zu legitimieren, übersehen wird und dabei doch deren Voraussetzung bildet: Zum Intellektuellen gehört wesentlich, daß er die genuinen Grenzen seines jeweiligen Systems überschreitet und sich in eine hybride Position begibt; mit der Aufgabe seiner systemischen Autonomie zieht der Intellektuelle den Verdacht unbotmäßiger Fremdbestimmtheit und Abhängigkeit auf sich. Zu welcher Klarheit ehrlicher und aufrichtiger nationaler Bekennerstolz vordringen kann, zeigt sich auch in der besonderen Charakterisierung der Dreyfus-Affare durch die Herausgeber des Lexikons. Die DreyfusAffäre wird nicht zur Geburtsstunde der Intellektuellen stilisiert, sondern als die Schwelle zum Erwachsenendasein der Intellektuellen beschrieben. Dies ist insofern plausibel, als die Intellektuellen erst seither nicht wieder aufgehört haben, von sich reden zu machen (15).

1997 Am 18. Januar begutachtet der deutsche JÜRGEN RITTE (88) den französischen >Dictionnaire des intellectuels franfaisc Nachdem Ritte die deutsche Karriere des Schimpfwortes gegen die heroische Lesart des Begriffs in Frankreich profiliert hat, bemängelt er, daß die Herausgeber allzu akademisch mit einer dem hybriden Gegenstand unangemessen unpraktischen, soziologisch-formalen Lexikondefinition gearbeitet hätten. Ritte bringt diese auf die orginelle Formel »Kürschners Gelehrtenkalender minus Stubenhocker« und kommt zu dem verblüffenden Schluß, daß es sich um »kein Lexikon der Intellektuellen« handele. Der Dictionnaire leiste zwar »einen honorigen Beitrag zur intellektuellen Geschichte und Identität Frankreichs«, aber, insofern er sich am Adjektiv >intellectuek orientiert habe, nicht zu derjenigen der Intellektuellen. Denn um die Geschichte der Intellektuellen zu dokumentieren, hätte dieses »Wörterbuch des intellektuellen Lebens« von Zola und nicht von Voltaire aus erzählen müssen. Ritte besteht darauf, die >Affaire Dreyfus< weiterhin als >Geburtsstunde der Intellektuellem gelten zu lassen, und wendet sich gegen deren >Umdeutung< zur >Schwelle ins intellektuelle ErwachsenenalterIntellektuelle
intellektuell< eine Anbindung an die gloriose französische Tradition gesucht hatte, zerschlägt Ritte diese ungleiche, vom Stolz des französischen Nachbarn usurpierte Liaison wieder und behilft sich nun mit wortgeschichtlich unhaltbaren Haarspaltereien, in denen sich lediglich verletzter Stolz und philologische Unbeholfenheit kundtun. Am 7. März kann man über die Zeit nachträglich einem Gespräch beiwohnen, das THOMAS ASSHEUER und THOMAS MIESSGANG mit dem Merkur-Herausgeber Karl Heinz Bohrer geführt haben (3). Anläßlich des 50. Jubiläums seiner Zeitschrift ruft Bohrer das Ende der bürgerlichen Gesellschaft und damit auch das seiner Zeitschrift aus. Die so indirekt ausgesprochene Drohung, gleich nicht mehr da zu sein, kann als eine machtvolle Variation der intellektuellen Obsession aufgefaßt werden, ohnmächtig und überflüssig zu sein, in welcher sich ein chronischer Minderwertigkeitskomplex artikuliert. Im Zuge dieser verzweifeltohnmächtigen Behauptung der Macht des Geistes gegenüber der Macht der Macht - ein Gegensatz, den Bohrer restituiert haben will - diagnostiziert Bohrer eine »gefährliche Situation«, in der wir gegenwärtig leben, »eine nicht durchdachte Konzeption von Europa, in der jeder politische und kulturelle Begriff fehlt«, und eine »skandalöse Müdigkeit der Intellektuellen, diese Fragen zu diskutieren«. Gegen die »ungeheure Erschöpfung«, die die Intellektuellen heimgesucht habe, gibt Bohrer als Intellektuellen->Häuptling< - man denke an Enzensbergers »Indianerspiel zwischen Geist und Macht« - die plakative Parole aus, »ohne Götter human zu sein«. Ebenfalls am 7. März liefert LORENZ JÄGER in der Franfkurter Allgemeinen Zeitung einen Kontext, innerhalb dessen sich die >ungeheure Müdigkeit< Bohrers begreifen läßt (56). Bohrer zelebriere den intellektuellen »Gestus des Einsamen, der souverän und kühn auftritt und nicht bemerkt, daß er längst im Chor singt«. Denn »im intellektuellen Gesellschaftsspiel, der eigenen Zeit, wenn nicht einen Begriff, so doch einen Namen zu geben«, sei eine neue Runde eingeleutet. »Abschied heißt das laufende Programm«, das mit knapp zweihundertsechzig lieferbaren Abschiedsbüchern abgerundet werde. Mit >Abschied< und >Ende< haben sich, so Jäger, die Intellektuellen eine »privilegierte Situation in der Erlebniszeit« ausgesucht, Urszenen des Menschen, hochaffektive Momente, über die sie »Privilegien für alle zu verteilen« gedenken. Damit erweisen sich die Intellektuellen lediglich als sogenannte >Gutmenschen< (27). Ihre >IntimitätintellektuellGutmenschen< von eben ziemlich genau: »Das Engagement ist zweifellos das hauptsächliche Kriterium und natürlich wichtiger als die Intelligenz«. Stichhaltig wird Guy Rossi-Landis Bissigkeit, wenn man den unterstellten Mangel an Intelligenz mit der Intelligenz-Beschreibung des Historische[n]

Wörterbuchs fur Philosophie

von 1976 (50) ver-

gleicht. Insofern sich die Intellektuellen traditionsgemäß und ungestört vom Umbau der Gesellschaft von stratifikatorischer auf funktionale Differenzierung, der offiziell um 1770 herum stattgefunden haben soll, an der Dichotomie >GeistMacht< abarbeiten, auf das gesellschaftliche Teilsystem >Politik< fixiert und von diesem emotional abhängig sind, ist bei ihnen >Intelligenz< im Sinne einer >integrierenden psychischen Funktion< (57, 458) recht eigentlich nicht auszumachen. Am 3 0 . Mai berichtet THOMAS ASSHEUER von einer neuen Runde im intellektuellen Gesellschaftsspiel mit dem »1. FC Merkur« (4). Aus der Stichworte gebenden Rolle des Interviewers in die des Kritikers geschlüpft, diagnostiziert und prognostiziert Assheuer nun ganz unverblümt seine Meinung. Assheuer beobachtet einen Bruch zwischen liberaler Elite und Volk: »Während die Bürgerbräugesellschaft leuchtet, bilanziert der Merkur düster ihren Untergang«. Da »Sirenengesang im Olymp« nicht gut zur »Blechmusik am Zapfhahn« paßt, dringt Assheuer und den anderen Intellektuellen die Welt »ganz unästhetisch« ins Gehör, was der unästhetische Intellektuelle allerdings als optischen Eindruck - »die Welt liegt ganz unästhetisch vor Augen« - beschreibt. Dem unzeitgemäßen MERKUR, der künftig an seiner »Geistesgegenwart«, der »Präzision seiner Kritik«, der »Ruhelosigkeit seiner Gedanken« und schließlich der »Leidenschaft seiner Irrtümer« zu messen sei, erteilt der Intellektuelle Assheuer denn auch gleichzeitig mit seinen auf die Entschlossenheit und Eindringlichkeit eines fordernden Profi-Trainers verweisenden Schlagwörtern die kumpelhafte Generalabsolution. Am 17. September rezensiert HANNELORE SCHLAFFER ein Buch, das sich mit den »Göttinger Sieben« befaßt (93) und macht damit auf ein Faktum aufmerksam, das die anfängliche, mit einem nationalen Schematismus einhergegangene Orientierung der Begriffsgeschichtenerzähler an Vater- und Stiefvaterfiguren wie Grimm und Littr£ erhellen kann. Wie der Untertitel des Buches bereits verheißt, übt sein Autor Klaus von See »Kritik an einer Legende«. Als 1837 sieben Göttinger Professoren gegen die Rücknahme des Staatsgrundgesetzes durch den neuen hannoverschen König Ernst August protestieren, beginnt nach von See die Geschichte intellektueller Moral aus politischer Inkompetenz. Diese Geschichte sei 1864 dann von Treitschke einfach zu einer Legende von moralischer Größe stilisiert worden. Denn nicht etwa der Protest selbst, sondern allein die vorzeitige Publikation der Adresse an den König sei der Grund filr die Entlassung der Professoren gewesen. Jakob Grimms Verteidigungsschrift gegen seine Entlassung, gleichwohl sie als Gründungsurkunde der Universität als moralischer Anstalt in die Geschichte eingegangen sei, habe aufgrund ihrer realen und unspektakulären Bedingung - den von den Professoren begangenen diplomatischen Fehler - auch nicht zu Nachahmungstaten ermuntert. Klaus von See wundert sich also nicht, daß aus dem Akt politisch-akademischer Öffentlichkeit kein Vorbild für den deutschen Intellektuellen entstanden

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Intellektuelle< sehen. Ihrzufolge wird »die Ehre, den Intellektuellen hervorgebracht zu haben«, weiterhin »im allgemeinen Frankreich zuerkannt« und werden sich die deutschen Intellektuellen, auch wenn sie »aus eben solchen Motiven heraus gehandelt« haben sollten wie der 1898 »J'accuse« ausrufende französische Schriftsteller, sich wohl nie unter die ersten Intellektuellen reihen. Anläßlich des singulären und medienwirksamen Auftritts von Günter Grass, der seine Laudatio für Friedenspreisträger Yasar Kemal dazu genutzt hatte, um mit der »Bonner Barbarei« (Grass) abzurechnen, stellt der Heidelberger Erziehungswissenschaftler MICHA BRUMLIK am 2 3 . Oktober ernüchtert fest, daß »Der engagierte Intellektuelle [...] von der Bühne abgetreten [ist]« (20) und sucht dafür Gründe. Einmal sei der Typus des Intellektuellen inflationiert, weil es die »Professorin« und den »Sozialarbeiter« gäbe, was soviel heißt wie daß Frauen mittlerweile vermehrt laut zu denken wagen und Männer vermehrt >den Dreck weg machenSimplifizierung< sei nun das Kapitel >Komplexität< angebrochen, innerhalb dessen nuancierte intellektuelle Einmischung vorkommen dürfe. THOMAS SCHMID,

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Am 7. November dreht THOMAS ASSHEUER (5), der sich bereits vom stichwortgebenden Interviewer zum Profi-Trainer gemausert hatte, eine besonders ausgedehnte R u n d e im intellektuellen Gesellschaftsspiel des Begriffe-Findens, und diese Runde dreht sich u m die Bezeichnung der eigenen Spezies. »Leibhaftige Intellektuelle« sind nach Assheuer solche, die »über die eigene Überflüssigkeit [streiten]« und »Klage über eine Spezies [fuhren], der sie selbst angehören«. »Kritische Intellektuelle« sind diejenigen, die 1989 »am offenen Grab der Geschichte schworen, nie wieder kritisch zu sein«. Und konservative und postmoderne Intellektuelle repräsentieren zwei Denkschulen, die »es sich anheischig gemacht [haben], die alte BRD-Intelligenz zu beerben«. Der Typus des konservativen Intellektuellen, auch »Konsensintellektueller« genannt, »denkt nicht politisch, sondern metapolitisch« und »träumt von einem Nebenparlament der kulturellen Elite und von der Wiederkehr der Religion in staatlichen Bahnen«. Prototyp dieses Typus sei Frank Schirrmacher. Er gedenke des alten Intellektuellen mit W e h m u t und lobe den Linksintellektuellen für sein Verschwinden. Den Typus des postmodernen Intellektuellen (»Kontingenzintellektueller«) repräsentiert Nobert Bolz. Nach Assheuer fühlt sich Bolz als Medienphilosoph im Weltkulturbetrieb zu Hause, stimmt der globalisierten Welt zu und erkennt Bill Gates als deren »Hohepriester« an. Seine Losung »Seht her, alles ist kontingent« sei lediglich eine neue Maske für die antiquierte »Pose des alten Denkers, der die Weltweisheit mit Löffeln gefressen hat«. Beide, der Konsens- wie der Kontingenzintellektuelle, »erlösen sich von der Last der Kritik«. Zwischen unkritischer Konsensbeschaffung und postmodernem Gleichmut findet Assheuer aber noch ein Drittes. Der Typus des »abgeklärten Intellektuellen« geht »in öffentlicher Verborgenheit seinen Geschäften nach«. Mit der apodiktischen Beschreibung dieses letzten Typus, in deren Emphase mühelos eine Selbstbeschreibung des Autors zu entdecken ist, legt Assheuer den jüngsten Versuch vor, intellektuelle Definitionsmacht angesichts einer als ungebildet diagnostizierten Gegenöffentlichkeit zu behaupten. Der abgeklärte Intellektuelle habe von seinen ungleichen Brüdern gelernt, habe sich v o n dem konservativen Denker »über die Macht der Symbole« und von dem postmodernen »über die Selbsttäuschungen der Vernunft« unterrichten lassen und präsentiere sein in solcher Autodidaxe zusammengestückeltes Wissen »bescheiden« und nicht etwa in der »Attitüde des BRD-Großintellektuellen«. Der >abgeklärte I n t e l l e k t u e l l leiste sich den Sinn für Entwürfe und den Luxus der Erinnerung, aber auch den Luxus der Eitelkeit, zu welcher er meine, ein ironisch, distanziertes, eben >abgeklärtes< Verhältnis zu haben. Der abgeklärte Intellektuelle sitze am Spieltisch der Intellektuellen, habe seine Einsätze gemacht und warte gelassen: »Nichts geht mehr, aber alles ist möglich«. Der abgeklärte Intellektuelle, der sich im Unterschied zu seinen ängstlichen Nachbarn abenteuerlustig N e u e m entgegenbiegt, ist demnach ein waschechter Spieler, zu dem gehört, auch verlieren zu können, wobei allerdings auch gefragt werden darf, wie hoch sein Einsatz ist. Oder handelt es sich dabei womöglich u m einen Bluff und um eine subtile Variation der inkriminierten »Pose des [postmodernen] Denkers, der die Weltweisheit mit Löffeln gefressen hat?« Am 13. November vermittelt JÜRGEN KAUBE die olfaktorischen Eindrücke,

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Revolution< im Verhältnis zwischen Geist und Macht herbeigeführt haben. Da deren kraftvolle Schwingungen an der Grenze zu Deutschland jedoch halt gemacht zu haben scheinen, taucht das Datum bei Kaube nicht auf. Kaube stellt die Formel auf: Je jünger die Revolution, desto abgebrochener, desto zweifelhafter, in welchem Sinne von Revolution überhaupt die Rede sein könne. Deshalb werde das Gedenkjahr 1998 zu einem Streitjahr um die Definition vor allem der letzten dreißig Jahre. Für die Definitionsgefechte um 1968 habe Karl Heinz Bohrer eine verblüffende, das Arsenal von Gemeinplätzen pulverisierende Deutung bereitgestellt: Die Ideen von 1968 seien von einem bestimmten »Aroma« geprägt gewesen, dem Zigarettenrauch nämlich, der auf die intellektuelle Geste des >Sich-rauchend-verhalten< zurückzuführen sei, welche wiederum aus Frankreich importiert und von Sartre und Camus abgeschaut worden sei. Die Intellektuellen von 1968 seien weniger an ihren Ideen, als an ihrem Gestus zu erkennen. Dieser zeichnet sich also nicht nur - wie Kurt Sontheimer 1976 (100) festgestellt hatte - dadurch aus, daß aus der Vielfalt der Sprache »eine bescheidene Anzahl signalhaft einschnappender Wörter« für den Gruppenjargon ausgewählt (241) und die Vielfalt der Wirklichkeit auf die Wirklichkeit einer im »nachplappernden Kauderwelsch« (246) enstandenen theoretischen Gemengelage reduziert wird, sondern auch dadurch, daß mit dem verursachten Dunst aggressiverweise das essentielle Element >Luft< andeutungsweise vereinnahmt und besetzt gehalten wird. Am 19. Dezember stellt K L A U S H Ä R T U N G Neue Überlegungen zur Rolle des Intellektuellen in der künftigen >Berliner Republik (46) an. Darin übt er Kritik an Thomas Assheuers »karikierendem Bild, das die Krise der Intellektuellen kaum erhell[e]«, zumal Abgeklärtheit noch nicht einmal eine Tugend sei. Härtung erinnert an die Intellektuellen der Rheinischen Republik, an ihren »destruktiven Charakter« (Benjamin), ihre »alarmistische Rhetorik« und an das »Kartell der schlechten Laune«, das seit 1989 irreversibel aufgelöst worden sei. Statt jedoch diesen historischen Bruch »als intellektuelle Erfahrung« zu nutzen, feierten die Intellektuellen das durch Günter Grass beendete intellektuelle Schweigen »wie die Inszenierung eines allbekannten Erfolgsstückes«, bei dem der »Wiedererkennungseffekt zählte«. Die Intellektuellen mit ihrer eigentlich spielerischen, real aber todernsten Neigung zu dramatischer Fiktionalisierung, die im großen und ganzen nach 1989 ihrer Anlässe verlustig gegangen ist, versucht Härtung mit der >väterlichen< Tröstung zu beschwichtigen, daß, wenngleich das >Indianerspiel mit der Politik< ausgespielt und das Privileg des alten Gegensatzes zwischen Geist und Politik dahin sei, sie in einem Land lebten, »in dem sich alles [...], was in Europa der Fall ist, [zugespitzt hat]« - ein Privileg, das es also zu nutzen gilt. Am 3 1 . Dezember erläutert S T E P H A N W A C K W I T Z in seiner Rezension von Edward Saids Buch Götter, die keine sind. Der Ort des Intellektuellen (90) »wie man ganz einfach zum kritischen Intellektuellen werden kann, falls man nicht

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schon einer ist« (113). Wackwitz liest Saids Standortbestimmung als eine »Bastelanleitung«, die dem »Heimwerker« »alle Einzelteile [liefert], die es zum kritisch intellektuell sein braucht«: »Überheblichkeit, Denkfaulheit, Distinktionsgewinnlerei, Ahnungslosigkeit und Inkonsistenz«. Mit diesen Eigenschaften ist die »ständige Vertretung seines Volkes im professoralen Jet-Set aller international Wohlmeinenden und Billigdenkenden« für seine Aufgabe gut gerüstet, über den Code »Pro bono - contra malum« die »intellektuellen Markenartikel auf Kongressen anschlußföhig zu halten«. In Wackwitz' Rezension avanciert Saids Buch zur »Magna Charta des kritischen Intellektuellen«, was allerdings den Einspruch der auf Zolas »J'accuse« eingeschworenen Gläubigen erregen dürfte. Auch wenn Wackwitz' >Verriß< insofern relativierbar ist, als es, wie er Said zurechtrückend sagt, »keinen Berufsstand mehr [gibt], der in der Wahrheit ist«, dürfte ihm angesichts der Tatsache, daß sich die Eigenständigkeit der Intellektuellen in Grundsätzlichkeit erschöpft, recht zu geben sein, wenn er meint, daß da »wo Said immer schon angekommen ist, [die Arbeit] losgehen [könnte]«. Ähnlich wie Thomas A n z 1991 (35) sehen WOLFGANG JÄGER und INGEBORG

VILLINGER (32) ein wesentliches Merkmal des deutsch-deutschen Literaturstreites darin, daß die »Kontroversen über Begriff, Rolle und Funktion der Intellektuellen« hier »einen vorläufigen Höhepunkt« erreicht hat (9). Mit ihrer Chronik Die Intellektuellen und die deutsche Einheit wollen die Autor/inn/en zum einen »den Argumentationsverlauf der Debatten über 1989/90« dokumentieren, darüber hinaus aber auch die »Kompetenz und Glaubwürdigkeit der »Spezialisten fürs Allgemeinem nach dem »Hinfall[] der Ideologien« untersuchen (7). In ihrer einleitenden Skizze der Aspekte, die der Begriff >die Intellektuellem absteckt, kommen Jäger und Villinger vom »Spannungsfeld zwischen Verehrung und Geringschätzung« im Zuge der Dreyfus-Affäre über Julien Bendas »Abrechnung mit den Intellektuellen« von 1927, die als ein »vieldiskutiertes Schlüsselwerk« übrigens gegen eine ungebrochen euphorische Intellektuellentradition in Frankreich spricht (12), über die »Revitalisierung« der »moralischen Kompetenz« des Intellektuellen durch Jean-Paul Sartre als der »Urfigur der westdeutschen Nachkriegs-Intellektuellen« (16), über Helmut Schelskys Kritik am pädagogischen Anliegen der Intellektuellen, »das in erster Linie die Unentbehrlichkeit des Pädagogen selbst zum Programm habe« hin zur Fortsetzung dieser Kritik »im Frankreich der 80er Jahre durch >Großintellektuelle< wie Michel Foucault und Jean-Franfois Lyotard« (17). »Foucaults Absage an die >Zeit der Genies, die mit dem Gestus des Verkünders auftraten< und aus einer geheimnisvollen Inspirationsquelle intellektuelle Erkenntnis schöpften«, habe zu einer »reinen Arbeitsdefmition« geführt: Der Intellektuelle ist »Experte seines Wissensgebietes« und mit seinem lokalen Wissen »implizit einer Ethik des Allgemeinen verpflichtet« (18). Ebenso habe Lyotard mit seiner Absage an Universalität und monopolisierte Utopie »ex negativo eine präzise Definition des in den Jahren 1989/90 in der medialen Öffentlichkeit präsenten Selbstverständnisses vieler Intellektuellen« (19) gegeben, so daß letztlich im Zeichen der europäischen Währungsunion auch »die französischen und deutschen Intellektuellen trotz aller inhaltlichen Divergenz viel Ähnlichkeit« zeigten. Diese Ähnlichkeit sei mittlerweile und gerade in bezug auf die Währungsunionsdebatte

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Intellektuelle< folgendermaßen definiert: »Ein Intellektueller ist derjenige, dem beim Wort >Lilien< nicht Lilienthal, sondern Liliencron einfällt« (334). Die Sympathie für den Schriftsteller Detlev von Liliencron mit seinen Kriegsnovellen, die hier an ein Vergessen des dem Fliegen bahnbrechenden Flugtechnikers Otto Lilienthal gekoppelt ist, nimmt allerdings wunder angesichts des intellektuellen Strebens nach dem Reich der Ideen, das - analog zum K o p f - >Oben< verortet wird, angesichts des Strebens zur Metaphysik und des sich in geflügelter Metaphorik wie >freischwebende Intellektuell regelmäßig äußernden Griffs in die Luft. Die epigrammatisch-einprägsame Definition Amirys mit ihrer paradoxen Gedankenführung, die an die Luft denkt und dies gleichzeitig verneint, läßt sich - paradox formuliert - als intellektueller >Hang zur Metaphysik< übersetzen, der im Schlagwort »Intellektuellem sofern es von keiner Ideologie mehr getragen wird, als einem »geflügelten Wort ohne Flüg e l (vgl. 119, 51) sein Pendant hat. Im Thomas-Mann-Jahrbuch erscheint ein Aufsatz des Heidelberger Literaturprofessors DIETER BORCHMEYER (19). Anhand einer Analyse der spezifisch literarischen Argumentationsstruktur und anhand einer historischen Verortung des sechshundert Seiten starken »Essay-Monstrum[s]« (83) von Thomas Mann stößt Borchmeyer zu dessen »politischen Betrachtungen vor, entlarvt dessen unpolitische Haltung als eine nur vermeintliche und stellt damit die beiden geltenden Dichotomien »französische versus deutsche Intellektuelle^ »Heinrich versus Thomas Mann< in Frage. Da die ganze Polemik Manns gegen den »Zivilisationsliteratem die »Argumentationstopoi« der konservativen Revolutionskritik aktualisiert, sucht Borchmeyer diese »an ihrem respektabelsten Ort« auf, bei Edmund Burke und dessen Reflections on the Revolution

von 1790 (93). So

wird Manns Essay über die Traditionslinie des Konservatismus in ein erhellendes Licht gerückt (92). Denn hier wird offenbar - und bedauerlicherweise hat Mann Burke nicht im Originaltext gelesen - , daß Manns Betrachtungen » i n einem durch lange Tradition legitimierten Sinne politisch« sind (11). A u f der Grundlage der Unterscheidung zwischen politischer und geometrischer, auf dem blanken Reißbrett entstandener Einsicht, bezieht sich Burkes Haupteinwand gegen die Französische Revolution auf deren abstrakt-theoretische Prämissen, die dem englischen, auf die Praxis gerichteten Interesse unverständlich, ja zuwider sind (94f.). Ähnlich wie Burke mit seiner Differenzierung bis auf Aristoteles zurückgeht, auf dessen Differenzierung von Metaphysik und Politik und dessen legendäre phronesis, das durch Erfahrung gegebene praktische Wissen, kommt Manns Ironie, die bei ihm ein literarisches Prinzip ist, der

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praxisorientierten Klugheit des Aristoteles nahe. Da Kunst wie Politik eine »Mittlerstellung zwischen dem reinen Geist und dem Leben« einnähmen, komme der in beiden Domänen zwischen Geist und Leben vermittelnden Ironie zentrale Bedeutung zu (102). Ironie entspricht in der Definition Manns der Aristotelischen phronesis, der praktischen Vernunft, die gegen die Hybris des reinen Geistes und dessen Sympathie für große Gebärden abgegrenzt wird (103). So offenbaren sich in der Lesart Borchmeyers »politische Klugheit und literarische Ironie [...] als Zwillingsgeschwister, die gegenüber allem Radikalismus die Humanität der Mitte verteidigen« (103f.). Praktische Klugheit und Ironie nehmen es ernst mit der »Liebe des Nächsten« und setzen sich von einer »allgemeine[n] Liebe« ab, »die nichts kostet« und die, weil es sich bei ihr um einen >auf dem Reißbrett ausgedachten< abstrakten Imperativ handelt, in Destruktivität umschlagen kann (100). Aus dem »Vokabular des Zivilisationsliteraten ist Mann das Wort entschlossene Menschenliebe< aus Heinrich Manns Zola-Essay« »besonders verhaßt« (100). Die symbolische Aussage dieser »grauenhafteste^ Wortkoppelung [...], die je erfunden wurde« (Mann) (100), läßt sich auch in die gebildete Wortkoppelung »Militanter Humanismus« übersetzen, dem Titel eines Sammelbandes von 1966, der über die Beschreibung der »Intelligenz in der gegenwärtigen Gesellschaft« zur Formulierung von Aufgaben der modernen Soziologie vordringen wollte (82). Borchmeyers Lesart von Manns Essay durch die aristotelische Brille ist als >postmodern< zu bezeichnen. Die aristotelische phronesis spielt beispielsweise in der prinzipiellen Unbestimmtheit der Semiotik Umberto Ecos eine konstitutive Rolle, wie sie sich in Der Name der Rose mustergültig niedergeschlagen (frz. 1979; dt. 1982) hat. Darüber hinaus hat Jean-Franfois Lyotard, der Autor des >postmodernen Wissens< und des >Totenlieds der Intellektuellem (80), >die praktische Klugheit< dem Intellektuellen-Diskurs übermittelt. Die kluge Rede von der praktischen Klugheit, diesem untrüglichen Habitus des Sehens und Bemessens des konkreten Einzelnen und Besonderen, ist zwar als solche ebenfalls auf dem von den phronesis-Apologeten inkriminierten >Reißbrett< entworfen worden, zieht aber in der praktischen Konsequenz anstelle von Revolutionen eben ironische und vermittelnde Gelassenheit nach sich. Manns >Ironie< auf die aristotelische phronesis zurückzuführen, dürfte dem Autor selbst gefallen haben und zwar besonders deshalb, weil sie die an einem universellen Subjekt orientierten, von Mann seinerzeit als >Zivilisationsliteraten< begriffenen Intellektuellen mit ihrem »literatenhaften Mitgerede« (96) bei politischen Fragen für obsolet erklärt und damit Manns Intellektuellenverdikt auf subtile Weise aktualisiert. GERD LANGGUTH, Herausgeber des Sammelbandes Die Intellektuellen und die nationale Frage (33) stellt in seiner Einleitung verblüffenderweise den Topos vom Schweigen der Intellektuellen als Standarddiagnose in der Berichterstattung nach der deutschen Vereinigung in Abrede. »Selten« hätten sich die Intellektuellen »so ausführlich, vielstimmig und kontrovers zur politischen Situation der Zeit geäußert wie in den letzten Jahren« (9f.). Ein Grund für die demnach falsche Wahrnehmung der Intellektuellen als denen, die schweigend eine ihnen angesonnene Pflicht verletzten, sei einmal darin zu suchen, daß die Rede von >den Intellektuellem gewissermaßen einem Mythos aufgesessen sei, denn

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Bevölkerung< hat Langguth hauptsächlich die Öffentlichkeit der Politik im Auge. Sie begegne - im Gegensatz zu Frankreich den Intellektuellen nicht »unverkrampft« (12), sondern, wenn nicht ohnehin ablehnend, dann mindestens »ambivalent« (11). Außerdem sei sie, von Pragmatismus durchdrungen, der alltäglichen Lebenswelt derart entfremdet, daß sie auch an »intellektuell inspirierende[n] Debatten gegenwärtig nicht« interessiert sein könne (14). Alles in allem trauert Langguth einem »traditionellem Anspruch« der Intellektuellen nach, »als Repräsentanten] und Gewissen der Nation zu sprechen« und als »Architekten der nationalen Identität« (Bernhard Giesen) aufzutreten (10). Dieser traditionelle Anspruch der Intellektuellen sei »einem skeptischerem Rollenverständnis gewichen«, das einen »entzauberten Intellektuellen« zurückgelassen habe, der als solcher »immer weniger [...] die Diskussion in Deutschland als Konstrukteur[] deutscher Einheit und Identität [präge]« (14). Ebenso verblüffend wie Langguth angefangen hat, beendet er seine einleitende Skizzierung des Gegenstandes: Obwohl er anfangs den fehlenden Resonanzboden in der >politischen Bevölkerung< diagnostiziert hat, behauptet Langguth abschließend wider besseres Wissen, daß der intellektuelle »Erklärungsbedarf« dieser »politischen Bevölkerung< »steigt« (14). Diese These darf wohl als Langguths frommer, der Publikation zugrunde liegender Wunsch aufgrund der von Thomas Assheuer diagnostizierten intellektuellen Überflüssigkeitsneurose (5) verstanden werden. Schulgerecht beginnt Langguths mit den Beziehungen zwischen den Intellektuellen und der nationalen Frage befaßter Sammelband mit Beiträgen zu »begriffliche[n] und geschichtliche[n] Grundlagen der nationalen Frage«, wobei THOMAS SPARR mit bescheidenen Überlegungen »zur Begriffsgeschichte des Intellektuellen« (101; Hervorh. J.S.) den hier interessierenden Anfang macht. Auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten in der geschichtlichen Entwicklung des Begriffs >Intellektuelle< findet Sparr das »Gesetz der Substitution, der Übertragung und Verschiebung auf jene, die eigentlich gemeint sind« (19). Da das Wort um die Jahrhundertwende von seinem Geburtsland Frankreich nach Deutschland gekommen sei und seither »mit Fremden verbunden [wurde]«, handle es sich bei dem gefundenen Gesetz um ein »für die Begriffsgeschichte des Intellektuellen [...] wirkungsmächtig[es]« Gesetz (19f.). Sparr reproduziert in diesem Zusammenhang die kurzsichtige deutsche Apologie der französischen Intellektuellentradition. Frankreich durfte über eine kulturell-chronologische hinaus eine politische und damit exzeptioneller- und privilegierterweise eine doppelte Jahrhundertwende erleben, die als eine solche in einer großen, an die »L'Affaire Dreyfus et le tournant du siecle« erinnernden Pariser Ausstellung 1994 gefeiert worden sei (20). Dabei hätte Sparr auch ζ. B. daran erinnern können, daß das französische Militär sich zum letzten Mal in den achtziger Jahren

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als uneinsichtig präsentiert hat und die seit Dreyfus stolz gefeierten republikanischen und rechtsstaatlichen Werte ignorierend sich geweigert hat, Dreyfus zu rehabilitieren. Während Sparr als ein weiteres Merkmal, das sich »in der Geburtsstunde dieses Begriffs« gezeigt und von da an behauptet hat, den Plural ausmacht - »in der Regel wird jemand als Intellektueller im Hinblick auf eine Gruppe [...] bezeichnet« (19) - fällt auf, daß Sparr selbst mit dem Singular, mit dem er im Titel seinen Gegenstand begreift, diese Merkmaltradition unterbricht. Sparr erinnert zwar überraschenderweise daran, daß »wir [...] die Bezeichnung i n tellektuellen schon vor der Jahrhundertwende [finden], wenn auch in anderer Bedeutung, etwa bei Immermann, der 1840 schreibt, Bildung, Kunst und Wissenschaft seien >die Domäne der Intellektuellem«, oder im Verlauf des 19. Jahrhunderts bei französischen Schriftstellern wie Barbey d'Aurevilly, »die nach seltenen und entlegenen Worten suchen« (21). Doch es bleibt bei der bloßen Erwähnung. Statt die Chance zu ergreifen und die Geschichte der >Vorgeburt< des Begriffs >Intellektuelle< zu einer Geschichte jenseits ontogenetischer Strukturierung von Geburt, Zenit und Tod zu erzählen, kommt Sparr rasch zu einer Nacherzählung der »umfassendste[n] Dokumentation der Wirkungen und Verwendungsweisen des Begriffs der >IntellektuellenReflexionselite< dessen »Polemik« »heute weniger aktuell als vor zwanzig Jahren« sei (22). Demnach bevorzugt Sparr im Kampf gegen die polemische Verwendung des Begriffs >Intellektuelle< die Identifikation mit der unseligen und melancholisch machenden Schimpfworttradition. Sparr schreibt seine Überlegungen »zur Begriffsgeschichte des Intellektuellen« in einer melancholischen Tradition, die mit Berings Schimpfwortgeschichte nicht nur bewußt anschlußfähig, sondern auch bewußt ablehnbar geworden ist. Daß sich Sparr dazu entschlossen hat, diese Tradition fortzusetzen, ist insofern verwunderlich, als Bering selbst diese Tradition überwunden zu haben schien. Entweder hat Sparr Berings Jubel-Aufsatz von 1984 (11) nicht zur Kenntnis genommen, in welchem die Debatten um den »Deutschen Herbst< als Anschluß an die französische Erfolgsgeschichte gefeiert werden und der Begriff zur positiven Selbstbezeichnung zur Disposition gestellt wird. Seither hätte - so Bering damals - eine Anbindung an die unselige Schimpfworttradition nicht mehr pauschal behauptet werden dürfen, sondern in jedem einzelnen Fall nachgewiesen werden müssen. Für eine anachronistische Orientierung an Berings Schimpfwortgeschichte von 1978 spricht Sparrs Sichtweise, die »gegen die Aktualisierung eines historischen Wirkungspotentials« »de[n] Sprachwissenschaftler das Arsenal von Deutungen [stellen]« sieht, »die sich im Laufe der Geschichte angehäuft haben« (22). Wenn Sparr aber Berings Aufsatz von 1984 zur Kenntnis genommen hat, könnte er dessen Begeisterung als Trugschluß eines unter Sehzwang stehenden Forschers gedeutet haben, der als ein solcher vier Jahre später durch die Ereignisse um 1989/90 und die Debatte um die Rolle der Intellektuellen sinnfällig geworden ist, die auf eine ungebrochene Schimpfworttradition schließen ließ.

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Intellektuelle< - Abwesenheit definitorischer Trennschärfe^ >Denotatsschwäche und Konnotationsstärke< und ideologische PolysemieIntellektuelle< habe eine »wankelmütige Bedeutung« (23), sei deflatorisch eben »schwach« und überhaupt in der »Atmosphäre negativer politischer Semantik [...] zu einem Schlagwort verkümmerft]« (25), das - wie Sparr in Anlehnung an die entsprechenden Ausführungen im Historischen Wörterbuch der Philosophie von 1976 (51) formuliert - »auch heute kaum der ideologisch-polemischen Verwendung entwachsen und wissenschaftlich diszipliniert zu sein [scheint]«, das »nicht als deskriptiver Begriff [taugt]«., »nicht mit beiden Beinen im Feld der Wissenschaften [steht]«, »als Tausendfüßler durch die politischen Lager [irrt]«, {101, 30) und »am Ende [ist], was er am Anfang des Jahrhunderts war: ein Fremdling unter den vielen Worten« (31; alle Hervorh. J.S.). Der Begriff >Intellektuelle< führt in Sparrs personifizierend ontologisierender Auffassung ein quasi-physisches Eigenleben; er ist exakt im meta-physischen Reich der Lüfte zu Hause. Von daher wird auch Sparrs plötzlicher Gedankensprung hin zu einer »plastischefn] literarische[n] Figur«, für die die »negative Semantik des Begriffs [...] nicht den Stoff [hergebe]«, als Sehnsucht nachvollziehbar (28). »Für die Begriffsgeschichte des Intellektuellen« habe Robert Musil einen »überaus sprechenden Titel« gewählt: »Der Mann ohne Eigenschaften« (28). Über den literarischen Aspekt, der an »die Intellektuelle« erinnert, die 1958 >literarischkohärentplastisch< und quicklebendig auf Gottlieb Gaisers Schlußball herumtanzte (siehe 92), erweist sich der Intellektuelle im Sparrschen-Musilschen Sinne - der Intellektuelle als ein Luftikus - als ein spezifisch männliches Phänomen. Als »Gegenentwurf zur landläufigen, ganz und gar negativen Bedeutung des Intellektuellen, die Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen nachhaltig prägte«, macht Sparr den Intellektuellen in Theodor W. Adornos »Reflexionen aus dem beschädigten Leben« aus (29). Hier trete der Intellektuelle »als Instanz einer besonderen Subjektivität und Individuation« hervor (29). Sparr entdeckt allerdings nicht die spezifische Adornosche Verdrehung, die hier am Werk ist. Adorno nähert sich nämlich der modernen Arbeitsteilung, der »Departementalisierung des Geistes«, mit der er »die privilegierte Position des Intellektuellen« »bedroht« »sieht«, mit einer vormodernen Denkweise (29). Die moderne differenzierte Gesellschaft nehme dem Intellektuellen seine Unabhängigkeit und versperre seinen Blick auf Zusammenhänge. Anders ausgedrückt: Der Adornosche nicht-integrierte Intellektuelle möchte sich wieder von einem Mäzenatentum auf privilegierte Weise abhängig wissen, wohl wissend, daß die gesellschaftliche >Departementalisierung< ihm das Bewußtsein von Autonomie in bezug auf das gesellschaftliche Teilsystem, dem er sich zuschlagen muß, geradezu abverlangt. Gleichwohl Sparr - wie im Titel sinnfällig wird - seinen Gegenstand gewissermaßen als unzählbar-einmaliges >Singularetantum< begreift und damit - wie

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am Schluß im Kontext der Apologie der Adornoschen Verdrehung - schlußfolgert, daß ein Verständnis des Intellektuellen als Singular »die Augen für einen Aspekt [öffnet], der bei der Entstehung des Begriffs um die Jahrhundertwende während der Dreyfus-Affäre im Zentrum stand - der Intellektuelle macht nicht mit« (30) - perpetuiert er letztlich doch nur die Beringsche Schimpfworttradition und kommt über die Klischees nicht hinaus, die sich auf dem Gebiet der Geschichtenerzählerei des Begriffs >Intellektuelle< mittlerweile sedimentiert haben. Darüber hinaus ist die vormoderne Schlußfolgerung Adornos aus der Diagnose der Departementalisierung des Geistes von 1951, abgesehen davon, daß sie auch da nicht den seit ca. 1770 veränderten Verhältnissen angemessen war, bereits von den >Großintellektuellen< Michel Foucault und Jean-Francis Lyotard überholt worden, die den >Verlust< universeller Subjektivität als einen Gewinn gedeutet haben. Auch wenn man nicht von einem Extrem ins nächste verfallen muß, wäre eine Diskussion anstelle bloßer Aktualisierung eines begrenzten Standpunktes für diese seit 1978 erstmalig wieder explizit begriffsgeschichtlichen Überlegungen zum Wort >Intellektuelle< angemessen gewesen. In seinem Beitrag zu den Begriffen Kulturnation und Staatsnation (1) weist PETER ALTER die >Kulturnation< als Produkt der Intellektuellen aus. Eine kleine aktive, kulturnational orientierte Minderheit sei es gewesen, die die deutsche Nationalbewegung im frühen 19. Jahrhundert hervorgebracht habe (39). Diese nationalen Erwecken sorgten für einen »Intelligenz-Nationalismus«, so daß der Jenaer Professor Jakob Friedrich Fries 1815 behaupten konnte, »deutsche Vaterlandsliebe« sei in erster Linie eine »Sache der Gebildeten und weniger des gemeinen Haufens« (40). Heute wie damals sei es deshalb Zeichen der »Selbstüberschätzung der Intellektuellen, wenn sie sich über den Begriff der >Kulturnation< mit der ganzen Nation gleichsetzen und sich zum Sprecher und Interpreten der Nation aufwerfen« (40). Weil bezweifelt werden muß, »ob es kollektive Identitäten in komplexen Gesellschaften überhaupt gibt« (40), sei nicht nur die Zeit der sowieso historischen Rede von der >Kulturnation< und der »mit ihr einhergehenden ethnischen Exklusivitätsansprüchefn] [...] am Ende unseres Jahrhunderts [...] längst abgelaufen« (43f.), sondern auch die des Kollektivsingulars >IntellektuelleRepublik< als einem »reinen Zweckverband für ein gutes und glückliches Leben ihrer Bürger« (42) zurückzukehren, entspricht den Tendenzen, den Begriff >Intellektuelle< systemtheoretisch zu entauratisieren, den Beobachterstatus zu deprivilegieren und die Angehörigen dieser Zunft wieder zu Spezialisten verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche zurückzustufen, wie das eigentlich schon seit ca. 1770 der Fall hätte sein sollen.

1998 Am 8. Januar, rechtzeitig zur >Centenarfeier der Intellektuellem, bei der unweigerlich sentimentale »Erinnerungen an das Heroenzeitalter« wach werden, in dem »das Schreiben noch geholfen hat« und persönlich und doch öffentlich

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Affaire Dreyfus< durch Zolas Pamphlet herbeigeführt worden sei (38). In Form eines offenen Briefes habe Zola die voyeuristische Neugierde der Öffentlichkeit genutzt, den Konflikt coram publico personalisiert und aus der >Affaire Dreyfus< eine >Affaire Zola< gemacht. Die »verführerische Evidenz einer großen Erzählung von der Geburt der Intellektuellen und der Rettung der Republik durch einen offenen Brief« versauert Essig mit dem Hinweis, daß am Anfang dieser großen Erzählung ein sacrißcium intellectus stand. Denn Zola, der aus einer undurchschaubaren Affäre ein durchschaubares Drama konstruiert habe und dessen Sicherheit im Auftreten sensationell gewesen sei, habe dies nur mit Vereinfachungen, diffusen Drohungen, mit Dichotomisierungen in Unschuldige hier und ein allschuldiger Popanz dort geschafft - nach Essig ein Versuch, die öffentliche Meinung irrezuleiten und nach Zolas eigenen Worten ein Verbrechen. Darüber hinaus habe letztlich nicht Zolas in heimliche Flucht umgeschlagene Attacke die Wende in der DreyfusAffäre herbeigeführt, sondern die Tatsache, daß ein Mitarbeiter des Kriegsministers die Fälschung des wichtigsten Beweises gegen Dreyfus entdeckte. Gleichwohl demnach der »Symbolwert von >J'accuseGeburtsstunde< der Intellektuellen, die den Beginn einer großen Erzählung von deren Aufstieg und Niedergang eingeleitet habe, welche »in der Tristesse unseres Fin de stecle traurig endet«, koinzidiere mit dem 100. Geburtstag der Abrechnung mit der Schädellehre, der Phrenologie, und also mit dem Auftakt zur modernen Erforschung der menschlichen Intelligenz. Rauff konjugiert den möglichen Stellenwert der Dreyfus-Affäre im Rahmen der >Ontogenese< der Intellektuellen durch: Es handle sich um eine >Geburtsstunde< insofern, als Zolas Beispiel Schule machen sollte, die »Welt als Dauertribunal« zu nutzen und immer dann, wenn man Grund zur Klage findet, zur Anklage zu greifen. >Taufstunde< sei sie insofern, als die Intellektuellen schon zur Zeit Voltaires sozial existent gewesen und als »Spezies von Herolden des Geistes« nun lediglich zu ihrem Namen gekommen seien. Die Entwicklung der Intellektuellen erreiche mit Dreyfus ihr >Zenit< insofern, als Zolas Aufruf in L'Aurore den »älteste[n] Traum der theoretisch denkenden und literarisch schreibenden Klasse, das Wort zur Tat werden zu lassen«, scheinbar wahr werden ließ. In Wahrheit aber habe sich die intellektuelle-intelligente Abkürzung des offiziellen und mühsamen Wegs der Meinungsbildung ebenso wie die >menschliche Intelligenz< als Mythos erwiesen. Nachdem das manichäische Lagerdenken außer Kraft gesetzt worden und eine ultimative menschliche Intelligenz noch nicht festgesetzt worden sei, müßten sich die Intellektuellen an der neuesten Definition der Intelligenz aus der Feder von Jean Pierre Changeux messen lassen. Der Neurologe, Professor am College de France und Gastredak-

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teur des mit der Intelligenz und dem Stand der Intelligenzforschung befaßten Januarheftes der Zeitschrift Le Monde de I 'Education schreibt ebenda: »Die Intelligenz erfindet. Das ist das einzige Zeichen, an dem man sie erkennt«. Deshalb sollten die Intellektuellen nach Meinung Rauffs ihre Gedenkfeier zur Verabschiedung einer neuen Devise nutzen: Nachdem sie mit Ideologien und Tribunalen kläglichen Schiffbruch erlitten hätten, sei der Ausruf >Ich klage an< überholt und die bescheidenere Devise >Ich suche und erfmde< zeitgemäß. Ganz in diesem Kreativität fordernden Sinne setzt ein weiterer Festredner (34) Emile Zola in eine Talkshow und neben Dolly Buster, deren entblößter Busen heute fiir Zolas Wirkung und den »intellektuellen Mitnahmeeffekt« sorgen würde. WOLFGANG ENGLER löst in der tageszeitung die bürgerliche Hochkultur als das »Klima, in dem der Intellektuelle gedeiht«, durch die Unterhaltungskultur ab, in der die traditionellen Intellektuellen als deren mächtigste Gegener zu »hilflose[n] Aufklärer« abstiegen. Exklusive Wertschätzung von Schrift und ausdifferenzierten Textsprachen und Hegemonie über andere Kulturen, lebendige Sprachen und Dialekte seien obsolet geworden. Einzig in einer Intellektuellen-Partei mit entsprechendem werbewirksamen Wahlprogramm hätten die Intellektuellen in der Unterhaltungskultur eine Überlebenschance. Einstweilen, bis sich die Intellektuellen auf den üblichen Weg der öffentlichen Meinungsbildung machen, überbrückt Engler die Phase des Übergangs zur Normalität mit einer überaus hilfreichen Phantasie: In der Vorstellung vom Nebeneinander von Zolas geistreichen Worten und Dolly Busters üppigem werbewirksamen Busen nähern sich Geist und Materie, Kopf und Körper normalerweise wieder an. So auf den Boden der existentiellen Tatsachen zurückgeholt, wo Geist und Materie, Kopf und Körper ein gemeinsames Dasein fristen, fällt am 24. Januar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Beitrag von LORENZ JÄGER ins Auge. Jäger berichtet von einer Podiumsdiskussion in der Frankfurter Universität über das von Adorno verfaßte Kapitel »Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug« im ansonsten gemeinsam mit Max Horkheimer geschriebenen Buch Dialektik der Aufklärung (1947/48). Lorenz vermißte angesichts des philosophischen Übergewichts ausgleichende »historische, philologische und biographische Exegesen«, da nichts der »theoretischen Wahrheit, die in dem Werk insgesamt Herrschaft und Sexualität miteinander legiert, so nahe [komme] wie Horkheimers Briefe«. So liefert uns der Jounalist nach, was den »protestantischen Erben« entgangen ist: »daß das Kapitel über Kulturindustrie auch ein Dialog von zwei Männern mittleren Lebensalters [ist]«, »daß die zentralen Argumente von libidinösen Metaphern, Subtexten und Überwucherungen begleitet sind« und daß das »Bessere«, die Humanität, das Horkheimer als ein klassischer Intellektueller »in Frankreich zu Hause sah«, für ihn »an der Existenz von Bordellen« »evident wurde«. Eine der hybriden Struktur dieses geistig-materiellem Gegenstands angemessene Methode könne nur die persönliche und bislang ins Private abgedrängte »Erfahrung« der öffentlich nur universalistisch-allgemein redenden Exegeten sein. Um die Erfahrung zum Königsweg der Erkenntnis zu erheben, müßten diese nicht mehr notorisch »Verantwortung für das Ganze übernehmen«, sondern »sich dem Text« wie dem Leben überlas-

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Wenn ich König von Deutschland wäre, dann ...< ausgetauscht worden wären. Der intellektuelle Wahlspruch »Wir wünschen allen alles Gute« >gebäre< plakative intellektuelle Meinungen, die in Zeiten der Unterhaltungskultur im Lichte von Stars wie Harald Schmidt keine Chance mehr hätten. Die Tatsache, daß Scheel den Altintellektuellen zu Grabe trägt und damit der Grabmalsetzung Jean-Fran5ois Lyotards von 1983 verspätet einen Sinn gibt, hindert WALTER VAN ROSSUM, Autor eines soeben erscheinenden Buches über das Intellektuellenpaar Sartre-Beauvoir, nicht daran, sich am 21. Januar wieder für eine eingreifende Intelligencija stark zu machen. ULRICH BIELEFELD faßt am 2. Februar die Gefühlsqualitäten der Intellektuellen als »kalten Enthusiasmus« zusammen, »der kollektive Leidenschaften in einem nationalen Wir-Gefühl bündeln sollte«, und spricht, aus der »Geschichte der Intellektuellen des 20. Jahrhunderts in Europa und in Deutschland« die Konsequenzen ziehend, die Intellektuellen von der Verantwortung für das Wir frei. Am 7. Februar gibt DIRK BAECKER eine Erklärung für den im Jahr zuvor von Gerd Langguth (33) festgestellten >mangelnden Resonanzboden< der Bevölkerung und Politik in bezug auf intellektuelle Wortmeldungen. Baecker (53) datiert dieses seit 1989/90 verstärkt beobachtete Desinteresse an den Intellektuellen auf die letzten fünfzig Jahre zurück, in denen »die vom Buchdruck gestiftete Symbiose zwischen Intellektuellen und Publikum« durch die über Computer eingespielte Bilderflut aufgelöst worden sei. Intellektuelle hätten »beim Abschied vom faschistischen Syndrom in Ost und West« »die [unverzichtbare] Begleitmusik« gespielt und hätten es darüber versäumt, die wesentlichen »neueren Strömungen der Theoriearbeit« zu beobachten und sich an die »weitreichenden praktischen Umstellungen in der gesellschaftlichen Praxis« anzuschließen. Die Höhe der Zeit erklimmen können sie demnach nur, »wenn sie ihre eigenen Textmodelle reflektieren« im Hinblick auf die Auflösung des linearen Textverständnisses, auf die die Informationstheorie aufmerksam gemacht habe, im Hinblick auf das von der Kybernetik gesprengte »beruhigende Subjekt-Objekt-Schema«, das erlaubte, »ganz subjektiv objektive Aussagen zu

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treffen und sich aus den eigenen Aussagen herauszuhalten«, und im Hinblick auf die von der Soziologie thematisierte Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Reflexion auf die in einer ausdifferenzierten Gesellschaft geforderte Autonomie der einzelnen Teilsysteme und auf die eigene politische Heteronomie, Reflexion auf die persönliche Perspektivität und auf die eigene, durch das linearmonokausale Denken bedingte Engstirnigkeit scheine aber gerade bei Intellektuellen ausgeschlossen. Als sogenannte >Gutmenschen< definierten sie sich darüber, immer auf der anderen, der besseren, makellosen und unfehlbaren Seite zu stehen. Ähnlich wie Kurt Scheel und Wolfgang Engler am 13. Januar sieht NORBERT BOLZ, der Thomas Assheuer (5) zufolge Prototyp des postmodernen Intellektuellen als Medienclown ist, am 12. Februar den Intellektuellen als Bestandteil des Showbusiness der heutigen Unterhaltungskultur (53). Auch ERHARD SCHÜTZ befindet am 18. Februar, daß der Intellektuelle »durch den Moderator abgelöst worden« sei. In Analogie zu Bertolt Brecht, der aufgrund seiner Diagnose der Kommerzialisierung des Kunstwerks empfahl, den Begriff wegzulassen, um so die Funktion zu erhalten und nicht etwa zu zerreden, plädiert Schütz dafür, den Begriff >lntellektuelle< wegzulassen. Schütz stellt stattdessen Begriffe bereit für das, was er im Begriff ist zu tun: Schütz, der meint, daß »wir uns doch nicht ständig als wechselseitige Volksschullehrer, Therapeuten oder Politessen [brauchen], um zu wissen, was zu wissen sich lohnt, wie zu denken verantwortlich und was zu lesen erfrischend ist«, stellt mit diesen bespöttelten Alternativbegriffen das Intellektuellentum in Abrede und aktualisiert - präskribierend - gleichzeitig die in ihnen begriffene adhortative Funktion. NIKOLAUS MÜLLER-SCHÖLL wirft am 2 7 . Februar einen Blick über den Rhein und auf die französische Intellektuellendebatte, erschließt uns anhand von Pierre Bourdieu und Jacques Derrida das Wesen »des postsartreschen Intellektuellen« und liefert uns so eine paradoxe Formel, mit der das paradoxe Verhalten von Erhard Schütz und auch das seiner besserwissenden >widerspruchsfreien< Vorredner in der tageszeitung festgehalten werden kann: »Was sie verbindet, ist die Illusionslosigkeit über die Möglichkeiten des Intellektuellen und das gleichzeitige Festhalten am Anspruch, mit dem er in der Epoche des Bürgertums, von Voltaire über Zola bis Sartre, die Bühne des öffentlichen Lebens betrat«. Nach einem Intermezzo von HELMUT HÖGE, der sich am 11. März zur Geschichte der russischen Intelligencija äußert, und von INGRID GILCHER-HOLTEY, die am 18. März mit einem Bericht über Voltaires Eingreifen in die Affäre Calas die engen Grenzen der seit Zola vom Mythos der Geburt des Intellektuellen beseelten Intellektuellendebatte sprengt, kehrt JÜRGEN BUSCHE am 25. März wieder zu den geschwächten »Herren des Diskurses« zurück, um sie aufzurichten. Der universalistische, überall Rat wissende Intellektuelle, der nach MüllerSchöll seine eigene Grablegung überlebt habe und nun als Schauspieler seiner selbst fortlebe, hält nach Jürgen Busche »hartnäckig an den alten Drehbüchern« eines Tocqueville, Max Weber oder Habermas fest und könne so nicht mehr verstehen, wie »aktuelle Politiker es anstellen, Erfolg an Erfolg zu reihen«. Das, was die Intellektuellen anzubieten hätten, würde zwar nicht altern. Eine Verjün-

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Störfaktor< (98) und M. Rainer Lepsius' berühmter Formel von der inkompetenten, aber legitimen »Kritik als Beruf« (75) festhaltend, empfiehlt Bude dem Intellektuellen die Rolle »als Definierer« (53). Nachdem der Kapitalismus »nicht mehr Schicksal, sondern Projekt« sei und sich »die Formen der Kritik aus Enttäuschung« überlebt hätten, sollte sich der Intellektuelle als definierender Unternehmer begreifen lernen, der das »experimentelle[] Universum« antreibt. Im Kontrast zu solch abgeklärtem Management erzählt MICHAEL RUTSCHKY am 14. April die Geschichte des Zusammenstoßes der »französischen Jolle« seines »Freund[es] R.« mit dem »blitzende[n] japanischein] Kampfboot« einer »mitteljungen Frau im Dallas-Look« und unterzieht sie einer Allegorese, »das Verhältnis der Intellektuellen zu den anderen Leuten betreffend«. Denn vor nicht allzu langer Zeit hätte sein Freund R. schlecht über die sich als Polizistin a.D. erweisende Frau aus Rostock geredet, die nun »eine der seinen überlegene praktische Intelligenz bewies« und mit einem klugen Rat sein Auto wieder zum Laufen brachte. Rutschky enttarnt die »aufklärenden oder beschwörenden Anreden der anderen Leute« als nicht nur der Praxis des Publikums, sondern auch der Intellektuellen spottende »Deduktionen«. Der von den intellektuellen »Diskussionen im Lehrerzimmer oder in der Lehrplankommission« intendierte Kontakt mit den >anderen< bliebe aus. Von daher drängt sich Rutschky - stilistisch korrekt und überzeugend - die Frage auf, ob die Intellektuellen aus ihrer »völlig verfahren[en]« Geschichte nicht »vielleicht« durch einen Wechsel der Perspektive herausfinden könnten, indem sie versuchten, sich »als die anderen Leute der anderen Leute [zu] verstehen«. Die Serie der tageszeitung vorläufig oder endgültig beendend, studiert THOMAS SCHMID am 28. April »im Land so manchen deutschen Traums, in Italien«, am Beispiel des Falles »Adriano Sofri«, der 1988 aus zwielichtigen Gründen als Auftraggeber eines 1969 verübten Bombenanschlags auf eine Mailänder Bank zu langjähriger Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die Symbolwelt der 68er Generation, die heute kaum weniger fremd erscheine als die von Dantes >Divina CommediaIntellektuelle< nacherzählt und analysiert. Die Geschichten des Begriffs >Intellektuelle< sind integraler Bestandteil des Intellektuellen-Diskurses und sind in mehrfacher Hinsicht stereoptyp und unredlich-verlogen, weshalb Schlich sie >Begriffsstories< nennt. Begriffe als Denkmäler von Problemen begreifend, entfaltet Schlich über eine von systematischem Interesse geleitete Chronik dieser Stories Aspekte, die im Begriff >Intellektuelle< verdichtet vorliegen, und gelangt darüber schließlich zu ihrer eigenen chronologischen und systematischen Verortung. Sich abschließend selbst referierend, bringt sich diese Begriffsgeschichte sowohl im chronologischen als auch im hermeneutischen Sinne auf den >neuesten Stand< des IntellektuellenDiskurses. Statt die von den Stories kolportierte Ontogenese der Intellektuellen ein wieteres Mal von der Dreyfus-Affäre an über ihren Aufstieg bis zu ihren Fall im Kontext der Auflösung des sozialistischen Systems in Umlauf zu bringen, eruiert Schlich die transindividuelle Genealogie der sprachlichen Praxis der Intellektuellen, wie sie sich in den Stories artikuliert. Schlich betreibt Begriffsgeschichte als Diskursgeschichte, indem sie Wortbedeutungsgeschichte um Textbedeutungsgeschichte erweitert. Schlichs Diskursanalyse zielt darauf ab, »aus dem beobachteten Begriffsgefüge eines Textes Rückschlüsse zu ziehen auf die zugrundeliegende Weltsicht und Motivation des Sprechers, ebenso wie auf die epistemischen Voraussetzungen, die seine Aussagen oder Begriffsprägungen in der gegebenen Form überhaupt erst möglich machen« (25, 24). Der Begriff >lntellektuelle< wird, insofern diese Begriffsgeschichte individuelle und kollektive »Denkweisen, Einstellungen, Mentalitäten« erschließen will, zum Denkmal für »psychische Gegebenheiten« (48, 89) und gleichermaßen zum Denkmal für ein »Ensemble kommunikativer Praktiken und Verfahren, das systematisch die Gegenstände erst bildet, von denen es spricht« (63, 10). Schlichs philologische Konversationsanalyse verdankt sich einem textanalytischen Engagement, das den Bedingungen der Faszination des sinnlichen Wahrnehmens auf die Spur kommen will, wie es die Texte des Intellektuellen-Diskurses auszuüben vermögen. Die Faszination dieser Texte ist dabei primär nicht ihnen selbst zuzuschreiben, denn auf einen ersten Blick sind sie alles andere als faszinierend im Sinne von fesselnd und spannend. Die Faszination dieser Texte verdankt sich einer

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Begriffsstories< als einer wesentlichen Dimension des Begriffs >Intellektuelle< macht für den aktuellen Forschungsstand repräsentative Strukturen des Intellektuellen-Diskurses auf einen Blick erkennbar. Da es sich dabei mitunter um Strukturen handelt, die einerseits zwar von den am Intellektuellen-Diskurs Beteiligten immer wieder als defezitär gebrandmarkt werden, andererseits von ihnen aber ebenso notorisch gegen besseres Wissen durch die Art ihrer Beteiligung aktualisiert werden, zeigt Schlich kontrastiv dazu auf, inwiefern sie ihrer Meinung nach die aus dieser Selbstvergessenheit resultierende Aporie, die sich als Unredlichkeit oder Verlogenheit des Intellektuellen-Diskurses manifestiert, über ihre Art des Geschichte(n)erzählens aufgelöst zu haben glaubt. Der Intellektuellen-Diskurs ist wesentlich ein Begriffsdefinitionsdiskurs. >Intellektuelle< zwischen den Koordinaten >Geist< und >Macht< aufspannend, geht es den an ihm Beteiligten um Selbstvergewisserung. Paradoxerweise sind aber gerade Selbstvergessenheit und Besinnungslosigkeit die Kennzeichen dieses Diskurses, der sich über monotone, apersonale und genuin unhinterfragte Rituale fortschreibt. Ein stereotypes Erzählmuster der intellektuellen Geschichtenerzähler/innen, das über das Ritual der Kolportage der Ontogenese des >typischen< Intellektuellen seit Zola pointiert wird, ist das des Märchens. Die Erzähler/innen bedienen sich des gleichermaßen dramatisch-aufregenden und aufgrund seiner erwartbaren prototypischen Einheiten entspannenden Märchenmusters, beginnen mit »es war einmal« in einer märchenhaften Vergangenheit, um mit »und wenn sie nicht gestorben sind ...«in einer trotz oder gerade wegen ihrer Defizite verheißungsvollen Gegenwart zu enden, wobei sie es sich nicht nehmen lassen, noch ein aufklärerisches »und die Moral von der Geschichtintellektuell< im Rahmen des Wörterbuchfs] des Unmenschen angestellt hat (102), welches wiederum im Rahmen der Kollektivschulddiskussion

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der Nachkriegsjahre zu verstehen ist, die die Frage nach der Rolle der Intellektuellen im Staat umfaßte. Darüber hinaus wird bei Schlich der auf die Formel »und die Moral von der Geschieht'« gebrachte stereotyp präskribierende Modus des Erzählens abgelöst von einer sich selbst historisierenden, in die chronologische Berichterstattung einreihenden und somit zu sich selbst in reflexive Distanz tretenden Zusammenfassung der systematischen Aspekte, die sich im Zuge der Erzählung dieser Begriffsgeschichte abgesetzt und herauskristallisiert haben. In diametralem Gegensatz zu den Begriffstories wird damit Selbstbeobachtung als integraler Bestandteil dieser Begriffsgeschichte sinnfällig. Schließlich wird mit diesem Schluß ein Kreis hin zum Anfang geschlossen, wo in Auseinandersetzung mit Begriffsgeschichte im allgemeinen und im besonderen die spezifischen Implikationen der chronologisch systematisierenden Berichterstattung bereits herausgearbeitet und explizit gemacht worden sind. Das selbstverständliche Selbstverständnis der Intellektuellen, die sich z u m Beobachten und Kritisieren bestellt glauben, wird hier durch selbstbewußtes, um Selbstbeobachtung und Selbstkritik erweitertes Selbstbewußtsein übertroffen. Daß sich Wissenschaftlichkeit und Märchenhaftigkeit, Empirie und Fiktion nicht gegenseitig ausschließen müssen, wird im Intellektuellen-Diskurs daran sinnfällig, daß sich die intellektuellen >Märchentanten und -onkels< (es sind zu 9 9 % >OnkelsIntellektuelle< gesucht. D a Schlichs Begriffsgeschichte im gattungsmäßigen Kontext >Forschungsbericht< erscheint, der wesentlich ein >Fortschrittsbericht< ist, sieht sie sich überhaupt gehalten, über dieses selbstverständliche wissenschaftliche Erzählmuster zu reflektieren und verabschiedet sich zur Abwechslung einmal von vornherein von dem Bild eines kontinuierlichen Progresses mit etwaigen Umbrüchen. Der Gedanke des Fortschritts der Wissenschaft bleibt gleichwohl auch für ihre Berichterstattung auf eigentümliche Weise konstitutiv. Die unbesonnenen Selbstverständlichkeiten des Intellektuellen-Diskurses bewußtmachen wollend, sollen gerade gegenteilige Vorgehensweisen dessen Aporien hervortreiben. Statt sich also am Bild linearen Fortschritts zu orientieren, orientiert sich Schlich am Bild des zirkulären Fortschreitens in einem Labyrinth, w o f ü r ein in Halbkreisen laufender U m w e g konstitutiv sein soll, der beständig u m die Mitte - das Thema - herumführt und im dauernden Wechsel der Richtung die Orientierung irritiert. Die ständige Irritation der Blickrichtung wird j e d o c h durch das systematische Interesse an den Geschichten beruhigt. Dem Bild des Labyrinths gemäß werden die Aspekte des Begriffs >IntellektuelleIntellektuelle
lntellektuelle< verdichtet vorliegen, geht es Schlich im Unterschied zu Schumpeter und Bering erklärtermaßen auch um die Transparenz ihrer Konstruktionen. Schlichs chronologisch massenhafte Geschichten und systematisch einmalige Geschichte des Begriffs >Intellektuelle< will/wollen auf ihre eigene Konstruiertheit hin durchschaubar bleiben und sich als Provisorium zu erkennen geben. Daß Schlichs raumgreifende Methode dem Wunsch nach Transparenz nur zugute kommen kann, erhellt aus dem Negativbeispiel Gotthard Montesi (83): Montesi hatte eine Umfrage zum Thema >Intellektuelle< gestartet und dann 1952 aus Raumgründen eine zusammenhängende Darstellung der definierenden Antworten gegeben; den so entstandenen Raum hatte er dann ausgiebig für Bekundungen eigener vorgefaßter Meinungen genutzt und damit die Umfrage um ihren Erkenntniswert gebracht. Montesis Beispiel zeigt, wie Angst vor Platzverschwendung zu Platzverschwendung führt. Spätestens 1966 wurde der von Schlich eingeschlagene, am Konkreten entlangführende (Um-)Weg als Desiderat des Intellektuellen-Diskurses brisant. Nachdem Jan Szczepänski 1961 (109) auf der Suche nach einer faßbaren und verfügbaren Antwort auf die Frage »Was ist die Intelligenz?« den Versuch unternommen hatte, die Begriffe > Intellektuell und >Intelligenz< enumerativ zu definieren und dafür mehr als sechzig voneinander abweichende Definitionen zusammengetragen hatte, kam er 1966 in einer Zusammenfassung der Ergebnisse von 1961 zu folgenden negativen Antworten: »Die Intelligenz [stellt] keine homogene Schicht [dar]«, sie ist »nicht durch ein institutionelles Band verbunden« und hat weder »ein einheitliches soziales Bewußtsein noch eine eigene Ideologie herausgebildet« (710, 236). Szczepänski, der 1961 den Weg von den konkreten Definitionen zur abstrakten Definition beschritten hatte, sah sich

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1966 gehalten, das soziologische Konglomerat >Intelligenz< wieder in »Kategorien von Intellektuellen« zu zerlegen, in Literaten, Wissenschaftler, Experten, Ideologen sowie >Techniker[] des Wortes< oder >second-hand-dealers in ideas< zu konkretisieren, die allesamt differenzierte, von Szczepänski dann beschriebene und analysierte Funktionen erfüllen. An Szczepänskis langfristigem Interesse an der Definition der Begriffe >Intellektuelle< und >Intelligenz< läßt sich exemplarisch der Entwicklungs- und Reifungsprozeß von Erkenntnisinteressen studieren, wie sie ein ursprünglich und unhinterfragt an der ultimativen Identität seines Gegenstands interessierter Forscher durchläuft und dessen Summe lautet: Konkretes läßt sich nicht gegen Abstraktes ausspielen, sondern hat spezifischen Erkenntniswert. Die Konkreta als solche ernstnehmend, fördert Schlich mit ihrer ambulatorischen Didaktik die Erkenntnis zu Tage, daß es den meisten am IntellektuellenDiskurs beteiligten Definierern nur darum geht, die konkreten Erscheinungen in ihre vorgefaßte Meinung einzupassen. Sich den Überlegenheitsgewinn des Feststellenden sichern wollend (71, 92), wird der Begriff regelrecht besetzt und eine Interpretationshegemonie der Wirklichkeit behauptet, die sich aus »einem privilegierten Zugang« zu einer »objektiven Wahrheit« ableitet (95). Grundlage für eine solche Anmaßung ist eine ontologisierende, gewissermaßen »alttestamentarische Sprachauffassung«, »die ausgehend von einem objektivierten Wahrheitsbegriff, den Worten die Aufgabe zuweist, die Dinge zu bezeichnen« (94), und die sich aus der Motivation speist, sich >die Erde Untertan < zu machen. Während dieser Diskurs über seine monotonen und selbstvergessenen Rituale eine intellektuelle und emotionelle Zumutung für all diejenigen ist, denen seine Rituale fremd sind, stellt er über den Gestus des Begriff-Besetzens und die Behauptung von Interpretationshegemonie eine »Zumutung für die politische Kultur einer demokratischen Gesellschaft« dar (95). Schlichs ausgewogene Gleich-Gültigkeit, die die Bedeutungen der sprachlichen Zeichen sowohl als arbiträre zu relativieren als auch als konventionell-verbindliche ernstzunehmen vermag, rückt so die intellektuellen Definierer des Begriffs >Intellektuelle< in ein unsympathisches Licht. An ihnen ist letztlich nicht viel mehr abzulesen als das, was Stephan Wackwitz im Zuge seiner Rezension eines neuen Buchs zum Ort des Intellektuellen von Edward Said (90) apodiktisch formuliert hatte: »Überheblichkeit, Denkfaulheit, Distinktionsgewinnlerei, Ahnungslosigkeit, Inkonsistenz« und der simple Wahlspruch >Pro bono - contra malum< sind »alle Einzelteile, die es zum kritisch intellektuell sein braucht« (113). Schlichs Diskursanalyse löst den demokratieunverträglichen intellektuellen >Stammtisch< auf. Mit Hilfe von J. O. Zöllers Ausführungen zur >Heimatlosigkeit< der Kritik von 1959 (120) und Kurt Sontheimers Analyse des »Elends unserer Intellektuellen« von 1976 (100) macht sie sichtbar, daß hier, in der sicheren Ordnung des Diskurses, »frühkindliche Allmachtsphantasien« nach dem Muster >Wenn ich König von Deutschland wäre, dann ...< (53) sich austoben konnten. Im Laufe der Lektüre der nacherzählten Begriffsstories verdichtet sich der bei Sontheimer geäußerte Verdacht zur Gewißheit, daß mit diesen Allmachtsphantasien Machtlosigkeit kompensiert wird, die von einer chronischen Abhängigkeit von Vaterfiguren herrührt. Während Sontheimer die Intellektuel-

Geschichte(n) des Begriffs >Intellektuelle
Reduktion von Komplexität von Niklas Luhmann identifizieren konnte, spielten für die Intellektuellen der Eltern-Generation vorangegangener Dekaden noch die Lexikographen Grimm und Littr£ schlecht und recht diese Rolle des väterlichen und stiefväterlichen Vorbilds, das die verwirrende symbolische Welt vorstrukturiert. Mit Hilfe des Historischen Wörterbuchs der Philosophie von 1976, in welchem das gesamte interlego-Wortfeld Berücksichtigung gefunden hat, bringt Schlich die sich nach und nach sedimentierende Psychopathologie der Intellektuellen auf den Begriff. >Intellektualisierung< heißt der Sachverhalt, bei dem Triebkonflikte auf einer intellektuellen Ebene gelöst werden, indem man sie an Ideen knüpft, die mit dem Bewußtsein manipuliert werden können. Damit ist das Kindliche und Unausgereifte begriffen, der postpubeszente Zug, den Zöller und Sontheimer im Verhalten der Intellektuellen ausgemacht hatten. Insofern mit >Intellektualisierung< Verstandesleistungen gemeint sind, mit denen die konkreten Erfahrungen nicht Schritt halten können, ist zudem mit diesem Begriff die Symptomatik des Intellektuellen-Diskurses als eines von vorgefaßten Meinungen ausgehenden Begriffsdefinitionsdiskurses genau begriffen, in dessen Wahrnehmungsweisen die konkreten Erscheinungen immer schon getürmt sind. Intellektualisierungen haben eine unbewältigbare unmittelbare Gegenwart zum Anlaß. Sie helfen, von ihr abzusehen und sich ihr dann mit dem Schutzschild von Ausgedachtem zu nähern, mit dem die zuvor als unbewältigbar und übermächtig erfahrene Wirklichkeit dann >zähmbar< erscheint. Das Trauma einer als schlimm erlebten Wirklichkeit wird so nicht verwunden, sondern mutiert zu einem chronischen, in schwarz-weiß-Malereien immer wieder reinszenierten und abreagierten Leiden an der Gegenwart schlechthin. Intellektualisierung zeitigt ein Selbstabdichtungseffekt, dessen Konsequenzen Bernhard Giesen 1993 beschrieben hat: »Dem individuellen Erkenntnissubjekt steht so schließlich eine unpersönliche und allgemeine Ordnung gegenüber, mit der keine Kommunikation und keine Verhandlung mehr möglich ist« (43, 81). Während Giesen den Selbstabdichtungseffekt der Intellektualisierung zu einer privilegierten Erkenntnissituation der isolierten Person umdeutet, sieht sich Schlich gehalten, Symptome dieses Phänomens zu notieren, wie sie in Affekten und Polarisierungen sinnfällig werden. Für den Intellektuellen-Diskurs ist ein Affekt gegen Psychologie sowie gegen alles Personal-Konkrete konstitutiv, das aufgrund seiner Realität als bedrängend erlebt wird. Man arbeitet sich an den Polen soziologische Klarheit< - psychologische Unklarheit (Lepsius), w i s senschaftliche DisziplinWissenschaftpolitische Agitation (Schelsky), >Parnaß< - >Politik< a b - V a r i a n t e n der als zwiespältig erlebten Dichotomie >ratio< - >emotioIntellektuelle
Intellektuelle< kommt bekanntlich von der Dreyfusaffaire her« (574). Ein Forschungsreferat über deutsche Intellektuelle kann also sprachgeschichtlich wohlbegründet im deutschen Kaiserreich einsetzen. So bezeichnet Habermas Heinrich Heine als »Protointellektuellen«, der noch nicht dem >modernen< Typ entspräche, denn, so Habermas: Richtig ist gewiß die Beobachtung, daß der Intellektuelle mit der Ausbildung eines parlamentarischen Betriebes eine andere Rolle übernimmt. Ja, er gewinnt seine spezifische Rolle sogar erst mit dem Adressaten einer durch die Presse und den Kampf politischer Parteien geformten öffentlichen Meinung. Die politische Öffentlichkeit wird erst im Verfassungsstaat zum Medium und Verstärker einer demokratischen Willensbildung. Hier findet der Intellektuelle seinen Platz. (32, 28)

Heine erscheint bei Habermas als Ausgangs- und Kristallisationspunkt für die weitere Entwicklungsgeschichte der Intellektuellen in Frankreich und Deutschland. Gerade die Situation im Kaiserreich zeige ihm, daß die Deutschen nur die pejorativen Vorstellungen der Gegner übernommen hätten, während in Frankreich eine positive Wendung im von Heine vorgelebten Sinne zu verzeichnen sei. Es sei Heine in Deutschland nicht verziehen worden, daß er die Kluft zwischen Romantik und Aufklärung überbrückt habe. Zwei deutsche Mißverständnisse macht Habermas dafür verantwortlich, daß sich erst in der Bundesrepublik

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eine Intellektuellenschicht gebildet habe, »die sich selbst als solche akzeptiert« (46): die Autonomie von Kunst und Wissenschaft und das Mißverständnis über die Art des Engagements, daß nämlich Einflußnahme nicht unbedingt Eingliederung bedeuten muß. Trotz der von Habermas herausgestellten Notwendigkeit einer besonders entwickelten öffentlichen Meinung für die Herausbildung des modernen Typs des Intellektuellen, verwenden viele Untersuchungen den Begriff auch für Einzelpersonen und Gruppierungen in vorangehenden Zeitepochen. Eine historische Definition muß natürlich nicht einzige Grundlage einer Intellektuellengeschichte sein, doch sollte der Begriff zumindest genauer reflektiert werden. Allzu häufig wird er gleichberechtigt verwendet mit »Gebildeter«, »Akademiker«, »Geistesarbeiter«, »Literat«, »Bohemiens«, »Kulturschaffender«, »Künstler« oder »Schriftsteller«. WOLFGANG ESSBACH behandelt in seiner »Soziologie einer Intellektuellengruppe« die Junghegelianer (22). Er zählt zu den Intellektuellengruppen aber schon die italienischen Humanisten und sogar die auf Raffaels >Schule von Athen< abgebildeten Philosophen. Eßbach übernimmt einen soziologischen Intellektuellenbegriff, den er ohne genauere Erklärung zwischen die beiden Pole der Definitionen Schumpeters (1946) und Geigers (1949) verortet. Aufschlußreich für weitere Klassifizierungen sind seine 9 Thesen zur Soziologie von Intellektuellengruppen (419), in denen er 11 verschiedene Persönlichkeitstypen von Intellektuellen anführt. Das Problem solcher Untersuchungen ist, daß der Begriff in zeitgenössischen Texten nicht vorkommt, vom Autor allerdings inflationär gebraucht wird, ζ. B. in Kapitel III.6, »Das Treiben der Boheme« (290-310). Den Intellektuellen siedelt Eßbach dort irgendwo zwischen den Begriffen Bohemiens und Literat an: eine Person mit einem avantgardistischen Selbstverständnis, auch wenn dies rein künstlerischer Art ist. Auch der Soziologe BERNHARD GIESEN setzt in seiner Arbeit über Die Intellektuellen und die Nation den Untersuchungszeitraum auf die Jahre zwischen 1770 und 1870 und für ihn sind die Intellektuellen die Erfinder der deutschen Identität (28). Diese Entwicklung habe sich im 19. Jahrhundert vollzogen und setze sich zusammen aus den vier Komponenten eines moralisch orientierten Patriotismus der Aufklärung, aus einem romantischen, transzendent-ästhetischen Volksbegriff, aus dem demokratischen Volksbegriff der Vormärz-Intellektuellen und aus einer realpolitischen Reichsidee. Giesen stellt eher den Begriff der Nation als den des Intellektuellen heraus. Jene beschreibt er nur als »sozialstrukturelle Gruppe« (20), vergleichbar mit der Mittelklasse oder peripheren Eliten, die zusammengesetzt sei aus »Literaten, Philosophen, Historikerin]« (22). Bedeutsam für unseren Zusammenhang sind die letzten Kapitel seines aufschlußreichen und anregenden Buches, in denen Giesen Auskunft gibt über die Formierung der »Mandarine«, der »Preußischen Schule< in der Geschichtswissenschaft. Diese Gruppe nennt der Autor »Intellektuelle[.] im Vorhof der Macht« (202) und sieht sie mit Dahrendorf (1965) als »klassische staatsbejahende Intellektuelle« (203, Am. 6). Giesen betont das Selbstverständnis dieser Wissenschaftler als politische Führer zwischen restaurativen, reaktionären Gruppen und den ungebildeten und dadurch führungsbedürftigen Massen, »die zu radikalen Utopien neigten« (205). So habe die Geschichtswissenschaft im

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Zeitraum vor der Reichsgründung die Philosophie als Schlüsselwissenschaft verdrängen können, wodurch die Nationalstaatsidee geprägt und in Bismarcks Vereinigung in fast vollkommener Weise erfüllt worden sei. Allerdings sei mit der Reichsgründung auch die Krise des Bildungsbürgertums und seiner Intellektuellen, die »achsenzeitliche Spannung« (231), entstanden, da die kulturelle Identität über das nationale Thema im Gegensatz zum Bestehenden durch Bismarcks »>prinzipienlose Hasarderie«< (ebda.) verlorengegangen sei. So kommt der Autor auf die bemerkenswerte, aber durch die allzustarke Betonung des Nationalbegriffs wohl zu einseitige These zur Erklärung der nun verstärkt einsetzenden Beschäftigung mit kulturkritischen Fragestellungen: Nach der ReichsgrUndung lösten die Intellektuellen die Verbindung zwischen identitätssichemder Kultur und Nation. Im Kulturpessimismus rekonstruierten sie die kritische Spannung zwischen Kultur und dem Bestehenden und Weltlichen, aber die Nation war auf die Seite des Weltlichen gewechselt. Von nun an wurde sie zum Thema der Politik im Spannungsfeld zwischen Führer und Massen. (232)

Auf Giesens Arbeit rekurriert DIRK VON PETERSDORFF in seinen Ausführungen zum »Selbstverständnis romantischer Intellektueller« (55). Auf seine Hauptthese, daß »es der Zeichenkomplex der antiken Mysterienreligionen und ihre Adaption in einer Mysterientradition ist, der die romantische Identitätsbildung um 1800 formiert« (1), kann hier nicht näher eingegangen werden. Der Autor will jedoch seine Arbeit »auch als Beitrag zu einer Geschichte der Intellektuellen in der Moderne« (9) verstanden wissen. Eine Reflexion über den Begriff intellektuellen sollte spätestens dann folgen, wenn der Autor ein Kapitel über Schleiermacher mit »Eine Religion für Intellektuelle« überschreibt und dabei Bezug nimmt auf Schleiermachers Reden »Über die Religion. Reden an die Gebildeten [!] unter ihren Verächtern« (256). Gerade der Gegensatz zwischen >Gebildete< und >Intellektuelle< wurde zu einem der wichtigsten Streitpunkte in der Diskussion über die Standortbestimmung der >geistigen Arbeiten in Deutschland zu Beginn unseres Jahrhunderts. GORDON A. CRAIG beschreibt in einer mit Genuß lesbaren und für das Kaiserreich ebenfalls wünschenswerten Studie über »Deutsche Schriftsteller und die Macht« die trotz aller immer noch herrschenden Vorurteile durchaus getätigte Einmischung in die Politik durch bedeutende Autoren in der Zeit zwischen 1770 und 1871 (17). Grundsätzlich stellt der amerikanische Historiker zwar fest, daß es kaum etwas gebe, an dem die deutschen Intellektuellen einhelliger und hartnäckiger festgehalten haben als an ihrer Entschlossenheit, nichts mit Politik, in welcher Form auch immer, zu tun haben zu wollen [...], und es gibt wohl nur weniges, das mehr zum tragischen Verlauf der deutschen Geschichte in den beiden letzten Jahrhunderten beigetragen hat. (58)

Jedoch zeigt er, daß auch so große deutsche Schriftsteller wie Goethe, Schiller, Hölderlin, Kleist, Heine, Wilhelm von Humboldt, Nikolaus Lenau und Historiker wie Johannes von Müller und Georg Gottfried Gervinius nicht nur >Bürger einer anderen Welt< waren, sondern als >citoyen< politisch tätig wurden. Zu den wichtigsten Arbeiten über europäische Intellektuelle im 19. Jahrhundert gehört eine neuere Untersuchung des französischen Zeithistorikers CHRISTOPHE CHARLE, der bereits mehrere Veröffentlichungen zur Intellektuel-

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lenthematik aufzuweisen hat, die sich durch die vergleichende Perspektive im europäischen Zusammenhang auszeichnen (15). In seiner Einleitung greift er, indem er vom Funktionszusammenhang intellektueller Tätigkeit im 20. Jahrhundert ausgeht, die Wendung vom Intellektuellen >avant la lettre< auf und untersucht die Entwicklung hin zu dem Begriff, unter dem zuvor sehr heterogene Berufsschichten zusammengefaßt werden. Seiner sich aus dem gewählten Untersuchungsobjekt ergebenden Schwierigkeiten ist sich Charle offenkundig bewußt, wenn er schreibt: Wie soll man die Soziologie einer gesellschaftlichen Gruppe betreiben, die sich noch nicht vollständig definiert hat, die nicht einmal ausschließlich als soziale Gruppe - oder Berufsgruppe - definiert werden kann [...], wenn man als Kriterium im Rückblick das gemeinsame, im Namen moralischer und symbolischer Forderungen vorgetragene Engagement in der Politik aus der Zeit vor der Jahrhundertwende anlegt? (135)

Charles methodisches Vorgehen ist dabei so einfach wie wirkungsvoll: er betrachtet die Berufszugehörigkeit jener Personen, die das berühmte >Manifest der Intellektuellem während der Dreyfus-Affäre unterzeichnet haben. Unter ihnen befinden sich Wissenschaftler, Literaten, Lehrer, einige Journalisten, Studenten, Künstler, Ärzte und Rechtsanwälte. In zwei Zeitepochen, deren erste von 1815 bis 1860 er als »Zeit der Propheten« und deren zweite von 1860 bis 1914 er als »Zeit des Sammeins« begreift, zeichnet er die Entwicklung dieser Berufe nach, wobei er zunächst jeweils umfangreiches Zahlenmaterial vorstellt. Besonders die europäische Perspektive und die aussagekräftigen Statistiken machen dieses Buch zu einer notwendigen Basis für weitere Forschungen. Leise Kritik darf allein an der sogar hier vorherrschenden begrifflichen Unscharfe geübt werden, so ζ. B. dann, wenn Charle total apolitische Gruppen wie die >Wiener Sezession< als »reine Intellektuelle« (168) beschreibt, oder eine Gleichsetzung von Intellektuellen mit der russischen Intelligencija vornimmt (174). Für die >Zeit des Sammeins < stellt Charle einen enormen Ausbau des Bildungswesens und damit eine Vergrößerung des >Kulturpublikums< fest. Bezüglich der Anzahl des Lehrpersonals an Universitäten und Hochschulen sowie der absoluten Studentenzahlen nimmt Deutschland um 1910 eine Spitzenposition in Europa ein. Sowohl ein rasanter Ausbau des Verlagswesens als auch eine verstärkte Entwicklung unabhängiger intellektueller Berufe (Schriftsteller, Journalisten, Privatgelehrte, Publizisten) ist für den Zeitraum von 1880 bis 1910 festzustellen, trotzdem konstatiert Charle in Deutschland eine Abneigung, sich der wenig angesehenen Gruppe von Personen zuzuordnen, die ihren Lebensunterhalt mit Schreiben verdienen (111). Ob man in Deutschland aufgrund der Frankreichfeindlichkeit vor 1914 von der Existenz eines Intellektuellentypus im neuen französischen Sinne nicht reden kann, bleibt eine offene Frage. Habermas hatte, wie erwähnt, eine noch extremere Auffassung. Gleichwohl verweist Charte knapp aber treffend auf Debatten im Deutschen Kaiserreich, in denen sich intellektuelle Tätigkeit im neuen französischen Sinne bewähren konnte: die von Treitschke ausgelöste Antisemitismusdebatte, in der sich Theodor Mommsen mutig auf die Seite der angegriffenen Minderheit stellte, die Arons- (1899/1900) und die Spahn-Affare (1901) im universitären Bereich, schließlich auch die Affäre um den Simplicissimus und um die >Lex HeinzeEntwicklungsbericht Journalist und >LiteratForschungsaufruf< als um einen Bericht zum Forschungsstand. Er ergänzt damit seinen ersten hier vorliegenden Aufsatz, in dem er die Bedeutung der in Europa einzigartigen Schicht des Bildungsbürgertums in Deutschland, aus dem die allermeisten Personen, die sich später Intellektuelle nannten oder so genannt wurden, entstammen, herausstellt. In heftigen Debatten wurde immer wieder der Intellektualismus gegenüber >wahrer Bildung< abgewertet. So konnte sich das Selbstverständnis deutscher Intellektueller erst in bewußter Abgrenzung zu bildungsbürgerlichen Leitlinien entwickeln, denn, so die Herausgeber schon in der Einleitung: »Ein Intellektueller genannt zu werden, war in der deutschen geistigen Tradition lange ein Schimpfwort; es galt ein Gebildeter zu sein« (7). Wichtige Positionen intellektuellen Selbstverständisses werden hier ebenso skizziert wie bedeutende Träger der verschiedenen Debatten im Kaiserreich. Einen Ansatz für tiefergehende Forschung sieht Hübinger in der Bedeutungsverschiebung vom schulphilosophischen Gebrauch von >intellektuell< zu einer sozial-kulturkritischen Verwendungsweise um 1900. Unter intellektueller Tätigkeit verstand man nun Kulturdiagnose und Zeitkritik, man könnte vielleicht hinzufügen, im Dienste einer Utopie. Der Sammelband liefert allein durch Hübingers Beiträge umfassendere Aufschlüsse, die den in der Titelgebung angekündigten hohen Anspruch erfüllen. Die übrigen, zum Teil exotisch anmutenden Studien beleuchten jeweils Einzel-

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aspekte. Diesen Vorwurf formuliert Christophe CHARLE in seiner Rezension dieses Buches (8). Er kritisiert die starke Ausrichtung auf Max Weber und bemängelt, daß den jeweiligen Beiträgen keine einheitliche Definition von Intellektuellen zugrunde liege. Es darf in der Tat bezweifelt werden, ob die nichtsdestoweniger sehr informativen Aufsätze von BIRGIT MORGENBROD (>Träume in Nachbars Gartern. Das Wien-Bild im Deutschen Kaiserreich, 111-123) und WOLFGANG SCHWENTKER (Fremde Gelehrte. Japanische Nationalökonomen und Sozialreformer im Kaiserreich, 172-197) in diesem Rahmen zu berücksichtigen sind. Auffällig ist, daß sich kein Literaturwissenschaftler beteiligt hat. Die Rolle der Schriftsteller als Intellektuelle ist deshalb hier nur Nebensache. Folgende Aspekte, die bei Forschungen über Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich berücksichtigt werden müssen, sind hier angesprochen. GERD KRUMEICHS Beitrag über Die Resonanz der Dreyfus-Affäre im Deutschen Reich (13-32) stellt die Bedeutung der vielfältigen Kulturzeitschriften für die öffentliche Meinungsbildung im Kaiserreich heraus: [...] für die Ausdifferenzierung der deutschen Öffentlichkeit gegen Ende des Jahrhunderts scheint die Scheidung zwischen Tagespresse und Tendenzperiodika entscheidend gewesen zu sein; letztere beanspruchten >kulturelle Lotsen< zu sein, bzw. ein nationales Wächteramt auszuüben. (17)

In seinem Aufsatz Die Abkehr der Gebildeten von der Politik. Werner Sombart und der >Morgen< (62-77) verweist BERNHARD LENGER auf eine spezifische >antiintellektualistische< Haltung deutscher Gebildeter. Lenger stellt Sombarts auf einer Amerikareise gewonnene kapitalismuskritische Haltung dar, die ihn zu einer Abwendung vom politischen Tagesgeschehen geführt habe, da, so Sombart, alle Werte letztlich doch nur im Persönlichen ruhten. Charakteristisch für ein ganzes Spektrum deutscher Intelligenz sind Sombarts im Morgen vorgetragene Angriffe auf Berufspolitiker und das Gewerbe der Politik und sein Eintreten für die >ewigen Kulturwertevölkischen Propheten< für die deutsche konservative Bewegung denken. Die Haltung der Intelligenzschichten im Kaiserreich um die Jahrhundertwende ist geprägt durch eine dezidiert anti- oder apolitische Einstellung. Der Rückzug aus dem »schmutzigen tagespolitischen Geschäft und die Übernahme von Positionen stilisierter Innerlichkeit berechtigen vielleicht eher dazu, eine Geschichte der antiintellektuellen Bewegung im Deutschen Kaiserreich zu schreiben. Einer der schärfsten Kritiker solcher Einstellung, FRITZ STERN, machte bereits 1960 auf die »politischen Folgen des unpolitischen Deutschen« aufmerksam (71). Stern verweist die im westlichen Ausland herrschende Vorstellung von einem zweigeteilten Deutschland - in dem es eine aggressive Herrscherclique einerseits, ein potentiell friedfertiges, gebildetes und zur Demokratie fähiges Bürgertum andererseits gebe - ins Reich der Illusionen. Es müsse gesehen werden, daß die unpolitische Haltung des Bürgertums im Wilhelminischen Reich, die sich in einer einseitigen Verehrung des Kulturbegriffs ausdrückte, zunächst zum Ignorieren, dann zur Unterstützung der fatalen Politik der Herrscherclique geführt habe, letztlich darin also ein Versagen zu sehen ist. Fast allen europäisch vergleichenden Untersuchungen der jeweiligen Reflexionseliten liegt die Auffassung eines deutschen Sonderwegs zugrunde. WOLF LEPENIES 1985 erschienene Arbeit, in der er versucht, die Soziologie als dritte Kultur neben denen der herkömmlichen Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften zu etablieren, übernimmt ebenfalls diese These (45). So stellt er im Kapitel »Wissenschaftsfeindschaft und Dichtungsglaube als deutsche Ideologie« (245-264) ζ. B. die mangelnde gesellschaftliche Verankerung des dichterischen Worts heraus. Er betont, daß es in Deutschland den Typ der >hommes de lettres< nicht gab und daß Dichten und Lesen in Deutschland traditionell einsame Akte gewesen seien, wobei er die Zeit um die Jahrhundertwende als Achsenzeit definiert. Ausführlicher bezieht er sich darauf im Kapitel »Eine deutsche Besonderheit: Der Gegensatz von Dichtung und Literatur« (265-281). In Deutschland habe es nicht allein eine Trennung zwischen Dichtung und Wissen-

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schaft, sondern auch eine zwischen Dichtung und Schriftstellerei, Literatentum, gegeben. Dazu Lepenies: »Es ist dies eines der Raster, mit dessen Hilfe sich vor allem französische und deutsche Intellektuellenkultur voneinander unterscheiden lassen [...]« (265). Dieser Unterschied lasse sich an Aussagen Friedrich Gundolfs, der Literatur zur Gesellschaft, Dichtung zur Natur gehörig erklärte, und Rudolf Borchardts, der behauptete, der Dichter sei ein >Elementarwesen< und nicht wie der Alltagsmensch ein >zoon politikom, festmachen. Es ist offensichtlich, daß solche Verlautbarungen in Bezug auf die Gestalt Stefan Georges entstanden sind. Diesen Dichter und seinen Kreis untersucht Lepenies dann eingehender. George ist für ihn das Inbild des gesellschaftsfernen Dichters und Propheten, der mehr auf Intuition und Vision als auf Reflexion und Analyse baue. Aufschlußreich ist die Gegenüberstellung des Dichters mit Max Weber (339-355), die beide eng mit Heidelberg verbunden waren, das Lepenies »Deutschlands heimliche Hauptstadt zu jener Zeit« nennt (290). Marianne Weber erkannte in den beiden Gestalten »zwei polare Möglichkeiten des Menschentums« und Lepenies stellt ihre beiden Positionen in der Formel der »Hybris des Herrschenwollens« versus der »Hybris des Dienenwollens« (nämlich der Wissenschaft) gegenüber. Lepenies Arbeit ist ein verdienstvoller Hinweis zu verdanken auf einen Aufsatz Thomas Manns von 1912, der in der Fachliteratur zum Streit mit seinem Bruder nur wenig Beachtung findet: Der Künstler und der Literat (48), Hier drückt Mann seine hohe Meinung über den Literaten aus, dessen geistige Wurzeln er auf die französischen Philosophen des 18. Jahrhunderts zurückführt und den er gegen den Gelehrten positiv absetzt. Beim Literaten finde sich hohe Sittlichkeit gepaart mit Klugheit, die ihn zum prädestinierten Richter und Moralisten mache. Thomas Mann beschreibt damit die Funktion eines modernen Intellektuellen. Dahingegen sei der Künstler - hier rekurriert er auf Schillersche Überlegungen - sittlich indifferent und unverantwortlich, weil er die gleiche Unschuld wie die Natur habe. 1918 distanzierte sich Mann von diesem Aufsatz mit den Worten: »Welch ein Sermon« (371). In seinem breitangelegten, allerdings auf die Methode schlagwortartiger Zuweisung der einzelnen Phänomene zurückgreifenden Überblick über die »Kultur der Moderne« hat RICHARD MÜNCH in seinem Frankreichteil den »Intellektuellen« neben der »Kirche« und der »Administration« ein eigenes Kapitel gewidmet (52). Für Deutschland allerdings gelten die Stichworte »Staat« contra »Innerlichkeit«. Münch fährt die besondere Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation, die »als eine Reaktion der deutschen Intellektuellen auf die kulturelle Entwicklung in Frankreich und England zu verstehen« sei (697), auf die besondere Form des von Luther bereits gelehrten »Gegensatzes von privater Innerlichkeit und öffentlicher Äußerlichkeit« zurück (ebda.), wobei er sich auf Max Webers religionssoziologische Schriften stützt. Zumindest fragwürdig bleibt die Annahme einer Traditionsbesinnung als trotzige Reaktion auf andersgeartete Entwicklungen in Nachbarländern. Das Fazit, das Münch zieht, weist der protestantischen Weltanschauung die prägnante Bedeutsamkeit in der Entwicklung der deutschen Geistesgeschichte zu: Der Lutherische Protestantismus hat in Deutschland keinen selbstverantwortlichen individuellen Aktivismus entstehen lassen, der sich auf die gemeinsame Verpflichtung eines un-

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Christoph Garstka abhängigen selbstbewußten Bürgertums, auf universelle Ideen und dynamische Erneuerungsbewegungen stützt. (719)

Auf die Signifikanz protestantischer Geisteshaltung für die Anschauungen des Bildungsbürgertums verweisen ebenfalls die Herausgeber des ersten der vier Bände zur Geschichte des »Bildungsbürgertum[s] im 19. Jahrhundert« in ihrer Einleitung (4 a, 11, Anm. 7 a). Diese vier Bände sind als >Vor-Geschichte< zu einer Intellektuellengeschichte in Deutschland zu lesen. In dem Aufsatz von RÜDIGER VOM BRUCH im 4. Band der Reihe wird deutlich, daß durch die Abnahme des Selbstverständnisses des Bildungsbürgertums als »öffentliches Gewissem um die Jahrhundertwende ein Bedürfnis nach sinndeutenden Eliten entstand (10). Vom Bruch macht dafür zwei strukturelle Prozesse verantwortlich: zunächst die Professionalisierung des Wissenschaftsbetriebs, die durch zunehmende Spezialisierung dazu führte, daß die Universität dem Bildungsbürgertum nicht mehr als einheitsstiftende Basis zur Wertorientierung dienen konnte, schließlich die durchorganisiertere parteipolitische Willensbildung. Das so entstandene Vakuum habe neben der Entwicklung unterschiedlichster Kulturdeutungsmuster auch zur Herausbildung des »modernen Intellektuellentypus< beigetragen. Zu den in einem zweiten Teil seines Aufsatzes untersuchten politischen Stoßrichtungen aus dem Bildungsbürgertum zählen auch solche, die später als typische Intellektuelleninitiativen gewertet werden. Als Versuche politischer Einflußnahmen aus dem Bürgertum kennzeichnet vom Bruch ζ. B. pro-militaristische Demonstrationen in verschiedenen Vereinen und die Lebensreformbewegung, aber auch ad hoc gebildete politische Aktionsgemeinschaften gegen Behinderungen der Freiheit von Kunst, Bildung und Wissenschaft sowie die Bestrebungen einer bürgerlichen Sozialreform (siehe hierzu bereits ausführlicher vom gleichen Autor, 11). Als beispielhaft für die gelungene Darstellung einer Intellektuellengruppe im deutschen Kaiserreich kann CHRISTINE HOLSTES Arbeit über den Forte-Kreis herangezogen werden (35). Holste macht deutlich, daß sie nur den »Typus von Intellektuellen als sozialer Erscheinung [behandelt], den wir heute dem Spektrum von Irrationalität von Intelligenz zuordnen würden« (270). Ausgehend von einer Reserviertheit von Intellektuellen gegenüber Gruppenbildungen untersucht Holste die Gründe für ein Zusammengehen solch geistig eigenständiger Persönlichkeiten wie Frederik van Eeden und Erich Gutbind (die beiden Initiatoren der Gruppe) sowie Martin Buber, Gustav Landauer, Florens Christian Rang, Theodor Däubler u. a. Diese sieht die Autorin in einer gleichgearteten pessimistischen Analyse der Moderne, die sie als Epochenschwelle auffaßten, an der prinzipielle Wertfragen gestellt werden mußten. Doch ginge es dieser »Gruppe von acht geistesaristokratisch orientierten Intellektuellen verschiedener europäischer Länder« nicht allein um die Analyse der Gesellschaft und um Zeitkritik, vielmehr wollte sie »mit den Mitteln der Utopie über die Moderne [nachdenken], deren katastrophische Folgen sie bereits ahnten« (2). Gerade die anschließend vorgestellten Entwürfe einzelner Mitglieder zeigen in ihrer Disparität das breite Spektrum utopischen Denkens im Kaiserreich. Holste deutet die Zeit von 1910 bis 1914 als experimentierende Phase eines Intellektuellenbunds, in der die verschiedenen utopischen Entwürfe in ihren Realisierungsmöglichkeiten diskutiert

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wurden. Mit Beginn des Krieges setzte eine kritische Phase ein, die zur Auflösung der Gruppe geführt habe. Zwei unvereinbare Haltungen hatten sich herausgebildet, die ein weiteres Zusammengehen unmöglich gemacht hätten: die gesellschaftskritische Einstellung des >zivilen Ungehorsams< dem Krieg gegenüber und die patriotische Einstellung eines verpflichtenden Gehorsams dem Staat gegenüber. Auf vier Mitglieder, deren geistige Entwicklung Holste in »vier intellektuellen Biographien« eingehender behandelt, wendet sie die von Eßbach (vgl. 22) übernommene Kategorisierung von Intellektuellentypen an, wobei sie in Landauer und Rang programmatische Antipoden erkennt. Deutlich wird in dieser, eine Forschungslücke schließenden Untersuchung der einzelnen Programme und Vorstellungen die sich als exemplarisch für das deutsche Geistesleben erweisende intellektuelle Tätigkeit, die in ihrer gesellschaftskritischen Schärfe ehrliches und analytisch begabtes Engagement erkennen läßt, in ihrem spekulativen und elitären Utopismus jedoch einen erschreckenden Mangel an Realitätsbezug aufweist. FRIEDRICH JAEGER kommt durch seinen Vergleich amerikanischer und deutscher Lebensformen zu Beginn unseres Jahrhunderts zum gleichen Ergebnis eines mangelnden Pragmatismus der deutschen Intellektuellen (39). Der Beitrag eines Sammelbandes des Sonderforschungsbereichs der Bielefelder Universität zur »Sozialgeschichte des deutschen Bürgertums: Deutschland im internationalen Bereich« in der Reihe »Bürgertum: Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte« vergleicht, ausgehend von Ringers Charakterisierung deutscher Intellektueller um die Jahrhundertwende (vgl. u., 57) die New Yorker Gründungsgruppe der >New School for Social Research< und den Heidelberger Max-Weber-Kreis. Ob deutsche Intellektuelle als >Sonderfälle< gesehen werden sollten, muß beim Betrachten der von Jaeger aufgestellten Gegensatzpaare - ζ. B. »Progressivism« contra negativer Dialektik moderner Kultur, Pragmatismus contra tragischen Existentialismus - bejaht werden. Er verweist auf die Herausbildung der >Kultur< als Gegenwelt zur modernen Gesellschaft, auf die Schaffung eines antigesellschaftlichen Reichs der Innerlichkeit und sieht den deutschen Sonderweg darin, daß das Bürgertum durch den Rückzug in kulturelle Gegenwelten mit Betonung individueller Erfahrungen und Subjekterhöhung nicht auf die aktuelle Zeitproblematik reagierte.

2. Naturalismus Es kann wohl davon ausgegangen werden, daß mit dem Naturalismus zum erstenmal im Deutschen Reich eine auf breiterer Ebene geführte Diskussion über Möglichkeiten politischen und sozialreformerischen Engagements und konkreter Einflußnahme von Künstlern geführt wurde und damit eine Reflexion über die Stellung des Künstlers in der Gesellschaft einsetzte. Die mißtrauische Skepsis, die solchem Engagement nicht nur seitens des Bürgertums sondern besonders seitens der Arbeiterschaft und der Sozialdemokratie entgegengebracht wurde, hat wesentlich dazu beigetragen, daß ein intellektuellen zu sein, in

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Deutschland lange Zeit als Schimpfwort galt, zumal der Begriff genau zu dem Zeitpunkt übernommen wurde, als wesentliche Positionen des Naturalismus obsolet geworden waren. So spricht FRANK TROMMLER dem Verhältnis zwischen Naturalisten und Sozialdemokraten exemplarische Bedeutung für die Beziehung zwischen Sozialdemokraten und Intellektuellen im 20. Jahrhundert zu (72). Schon in dieser Zeit könne man in den Reaktionen der Partei, ζ. B. auf dem Gothaer Parteitag von 1896, in denen der Vorwurf laut wurde, die Naturalisten stellten nur eine Teilwahrheit dar und die ganze Bewegung sei nur die Erscheinung eines Übergangszeitalters, das für das spätere Verhältnis zwischen sozialistischen Parteien und den Intellektuellen typische Mißverständnis erkennen. Die hohe Zahl literaturwissenschaftlicher Untersuchungen über den Naturalismus und seine Vertreter divergiert in ihren Bewertungen zwischen der Betonung eines tragischen Scheiterns einer von ehrlicher Anteilnahme und jugendlichem Aufbauwillen geprägten Generation und der marxistischen Auffassung, daß eine bürgerliche Intelligenzschicht im Empfinden ihrer eigenen historischen RUckständigkeit sich dem zukunftsträchtigen Proletariat anbiederte, ohne allerdings ganz die eigenen Klassenbindungen aufgeben zu können. Marxistisch orientierte Arbeiten verwenden dabei die Begriffe Intelligencija, Intellektuelle und bürgerliche Intelligenz sehr häufig synonym und verstehen darunter bürgerliche Gebildete. Dabei sollte spätestens seit OTTO W . MÜLLERS ausführlicher Forschungsarbeit deutlich sein, daß Intelligencija nur ein ganz spezifisch russisches Phänomen beschreibt (51) (Müllers Arbeit fährt, das sei nebenbei vermerkt, einen sehr gründlichen und lesenswerten Abriß der Begriffsgeschichte von >intellego< durch). Beispielhaft für eine Deutung des Naturalismus von einem materialistischmarxistischen Standpunkt aus sind die Arbeiten KURT SOLLMANNS (67 und 68) über die literarische Intelligenz vor 1900. Der Autor nennt die von ihm untersuchten Schriftsteller eine »literarische Intellektuellengruppe« (68, 6) und will sie als politisch Reflektierende und Handelnde darstellen. Die zunehmende Monokapitalisierung der Gesellschaft habe bei den immer mehr verarmenden Autoren zur Entstehung eines >Literaturproletariats< geführt, das kurzfristig mit dem richtigen Proletariat sympathisiert hätte, bevor es dann ab etwa 1890 zu einem traditionellen bürgerlichen Wertebewußtsein zurückgekehrt sei. Sollmann gibt die Beschreibung eines anarchistischen, linksradikalen Intellektuellentyps, der durch folgende Punkte charakterisiert sei: [...] abstrakte[.] Herrschaftskritik, Ablehnung des Staates, Organisationsfeindlichkeit (be· wußte Distanzierung von den Massenorganisationen der Arbeiterklasse), Parlamentarismuskritik, demonstrierte Antibürgerlichkeit, abstrakter Revolutionismus und individualaristokratischer und libertärer Subjektivismus. (68,7)

Mit dieser Beschreibung eines revolutionären Anarchisten mit bohemienhaften Zügen versucht Sollmann, die naturalistischen Schriftsteller zu umschreiben, die in ihrer Tätigkeit nur an der Oberfläche der >wahren< sozialen Probleme rührten und »hinter der bereits in seiner Zeit voll entwickelten gesellschaftlichen Theorie« zurückgeblieben seien (68, 179). Solch ein Vorwurf mündet in die Erkenntnis, daß die damaligen Autoren scheitern mußten, weil sie die marxistische Theorie nicht übernommen hätten. Daher spricht ihnen Sollmann auch ernstge-

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meintes Engagement ab, sondern sieht in ihren literarischen und publizistischen Werken sowie in ihrem sozialreformerischen Engagement allein eine egoistische Sympathie für das >Ambientenach unten< war kaum mehr als ein mystifizierter Glaube an eine allgemeine Erneuerung« (67, 184). Als fehlgeschlagener Versuch zur Darstellung von Schriftstellern als Intellektuelle in der Kaiserzeit erweist sich HANS-JOACHIM EBERHARDS »Streifzug« Intellektuelle der Kaiserzeit (20). Die als »Reflexion des Wandels von Subjektivität in einer Phase des allgemeinen Umbruchs in Deutschland« (7) gekennzeichnete Studie erschöpft sich in einer eigenwilligen Analyse weniger literarischer Texte. Solch unterschiedliche Personen wie Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Arno Holz, Julius Langbehn [!] und Arthur Schnitzler werden einfach unter dem Begriff bürgerliche Intellektuell subsumiert, ohne daß dieser Begriff irgendwo reflektiert oder definiert wird. Vielmehr finden sich in Kapiteln, in denen man solches erwarten sollte, solche Plattitüden wie: »Der Intellektuelle leidet an der bürgerlichen Gesellschaft« (93). Gerade im Hinblick auf die ab 1900 entstehende diffamierende Intellektuellendebatte in Deutschland steht eine die Quellen im Naturalismus aufzeichnende Untersuchung noch aus. Hier ist besonders an die Tätigkeit der Brüder Hart in den »Kritischen Waffengängen« (1882-1884) zu denken. Es sollte dabei berücksichtigt werden, daß in der durch Verbote, inoffizielle Zensur und später durch das persönliche Regiment Wilhelms II. geprägten Zeit (»Eine Kunst, die sich über die von Mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr«, so Wilhelm II. 1901) vielleicht gesellschaftskritische aber doch unpolitische künstlerische Werke durch die staatliche Diskriminierung sehr schnell zu einem Streitfall, der intellektuelles Engagement erfordern konnte, wurden.

3. Sozialdemokratie Eine Untersuchung über die ersten schriftlichen Verweise auf >Intellektuelle< in Deutschland muß Publikationen, Reden, Diskussionen und Briefe von Sozialdemokraten berücksichtigen, in denen der semantische Gehalt des Begriffs entscheidend geprägt wurde. Ein Nachzeichnen der Verwendung verwandter Bezeichnungen wie Akademiker, Gebildeter, Literat bis zu dem Zeitpunkt, an dem das neue Wort sich eingebürgert hat, könnte gerade auf dieser Quellenbasis sehr aufschlußreich sein. Verwiesen sei auf die einschlägigen Artikel Karl Kautskys und Franz Mehrings in der Zeitschrift Die Neue Zeit. Nach der Aufhebung der Sozialistengesetze wurde die Beziehung zwischen der Partei und Mitgliedern der bürgerlichen Intelligenzschicht intensiv diskutiert, ausgelöst vor allem durch die Opposition der »Jungen« gegen die in der Repressionsphase notwendige Vorherrschaft der Reichstagsfraktion auch nach 1890. Getragen wurde diese Opposition von einem >Berliner Kreis von Intellektuellem, so kennzeichnet sie GEORG FÜLBERTH und zählt Bruno Wille und Max Schippel dazu (26). Fülberth betont, daß mit dieser Auseinandersetzung zum ersten Mal ein Bewußtwerden

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über die so heikle Frage der Bewertung dieses sympathisierenden, aber vom Klassenursprung nicht zur proletarischen Bewegung gehörenden Personenkreises in der Partei einsetzte. Hans MANFRED BOCK macht in diesem Zusammenhang besonders die Polemiken Friedrich Engels, der abfällig von einer »Literaten- und Studentenrevolte« sprach, dafür verantwortlich, daß nicht nur ein zunehmendes Mißtrauen in der Partei einsetzte, sondern auch die so Bezeichneten mit eindeutig negativen Eigenschaften - herrenlos, vagabundierend, deklassiert, egoistisch etc. - in Verbindung gebracht wurden (51). Diese Assoziationskette übertrug sich später direkt auf den Intellektuellen. Auf dem Erfurter Parteitag 1891 kam es zum Parteiausschluß dieser Gruppe, die Bock als erste dezidierte Opposition linker Intellektueller, als Plattform, innerhalb der Partei kennzeichnet. Die Anfeindungen setzten sich fort in der Revisionismusdebatte und fanden ihren Höhepunkt auf dem Dresdner Parteitag 1903, auf dem August Bebel die Bezeichnungen >Akademiker< und >Intellektueller< als Hendiadyoin benutzte und damit diesen Begriff in einer negativen Assoziationskette in den offiziellen Sprachgebrauch der Partei einführte. Mit einer kleinen Verzögerung beginnt danach in der sozialdemokratischen Presse die Reflexion über die Position der Intellektuellen, so ζ. B. in den Arbeiten Adolf Brauns, Die Intellektuellen und die Politik (In: Die Neue Zeit 27 (1908/1909), S. 847-853), und Max Adlers, Der Sozialismus und die Intellektuellen (Wien 1910). Das vor dem Sozialdemokratischen Akademikerverband 1926 gehaltene Referat HENDRIK DE MANS Die Intellektuellen und der Sozialismus (49) versucht von wissenschaftlicher Seite diese schwierige Frage< vor dem Hintergrund des Dresdner Parteitags zu beleuchten. De Man zitiert die in der SPD weitverbreitete Auffassung, die Intellektuellen seien »die Eiterbeule am Körper der Partei« (5) und er konstatiert ein »tragisches Mißverständnis zwischen Arbeitersozialismus und Intellektuellensozialismus«, ein gegenseitiges »Nicht-genug-verstehenkönnen auf Grund einer verschiedenen Gefühlslage« (15). Beachtenswert ist seine Aufzählung stereotyper Vorwürfe der Arbeiter gegenüber Intellektuellen: jene seien Streber, Nörgler, Stänker und überaus disziplinlos. Überhaupt sei Geistesarbeit keine >eigentliche< Arbeit. Weiterhin stellt er fest, daß in der Beziehung dieser beiden Gruppen ein gegenseitiger >lnferioritätskomplex< herrsche. Nicht nur die Arbeiter empfanden ein Unbehagen in Bezug auf die gebildeteren und ausdrucksstärkeren Intellektuellen, sondern jene blickten ebenfalls neidisch auf die Arbeiter, da sie wüßten, daß nur ein Proletarier ein »Vollsozialist« sein könnte (19). Über die Arbeiten einer der schillerndsten Persönlichkeiten, die sich zu Beginn des Jahrhunderts der Sozialdemokratie von wissenschaftlicher Seite her näherten, ROBERT MICHELS, gibt eine von JOACHIM MILLES herausgegebene Aufsatzsammlung mit dem bezeichnenden Titel Masse, Führer, Intellektuelle Auskunft (50). Robert Michels war Mitherausgeber des Archivs fiir Sozialwissenschaften und Sozialpolitik und veröffentlichte dort interessante Studien ζ. B. über die Struktur der SPD und die soziale Herkunft ihrer Mitglieder. In seiner Einführung nennt Milles Michels einen »radikalen Intellektuellen« (7) mit einer zutiefst widersprüchlichen Biographie - er war Mitglied der SPD, kandidierte 1907 für den Reichstag und wurde schließlich ein Anhänger von Mussolinis

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faschistischer Partei. Michels wissenschaftliche Arbeiten seien in einem engen Wechselspiel mit seinem politischen Engagement entstanden. Er wollte mit ihnen nicht nur Gegebenes analysieren, sondern auch zukünftige Entwicklungen beeinflussen, was besonders durch die These vom »Gesetz der Oligarchie« aus seinem Hauptwerk Zur Soziologie des Parteiwesens von 1911 deutlich werde. Als »revolutionären Idealisten« und »Kulturintellektuellen« hat INGRID GlLCHER-HOLTEY Robert Michels in ihrer 3 Typen von »Intellektuellen in der sozialistischen Arbeiterbewegung« beschreibenden Studie charakterisiert (30). Sie spricht ebenfalls von einer ambivalenten Beziehung und mahnt an, daß »abstrahierende Gesamtanalysen der Problematik der Intellektuellen in sozialistischen Parteien die Ambivalenz des Verhältnisses nicht« entfalten könnten (373), weshalb sie konkret drei intellektuelle Persönlichkeiten heranzieht und deren jeweilige Stellung zur Sozialdemokratie untersucht. Neben Michels sind das Heinrich Braun und Karl Kautsky. Alle drei hatten einen bürgerlichen Hintergrund, waren Akademiker, keine Berufspolitiker und ohne Amt in der Partei. Braun, so Gilcher-Holtey, entspräche dem Typ des parteinahen Experten, er sei ein wertfreier unabhängiger Forscher gewesen und habe vor allen Dingen als persönlicher Helfer eingegriffen. In Kautsky hingegen sieht sie den typischen Parteiintellektuellen, der sich ganz an den Interessen der Partei ausgerichtet hätte. Dieser Aufsatz kann und will selbstverständlich nicht alle Typen von Intellektuellen in der Sozialdemokratie beschreiben, doch es ist der Autorin darin zuzustimmen, daß eine derartige Geschichte nicht pauschal mit der Auffassung der Annäherung einiger revolutionären Elemente des Bürgertums an das progressive Proletariat in der entscheidenden Phase des Klassenkarnpfes, wie es Karl Marx im Kommunistischen Manifest ausgedrückt hatte, zu schreiben ist. Vielmehr müssen die Beweggründe und Arten der Zusammenarbeit zunächst individuell aufgefächert werden, bevor eine Typologisierung greifen kann. Für Karl Kautsky hat Gilcher-Holtey das in einer materialreichen Studie beispielhaft geleistet (29). Für sie ist Kautsky die »Schlüsselfigur in der Geschichte der Sozialdemokratie« (251). Die sehr klar strukturierte Arbeit untersucht die eigenartige und man darf wohl auch sagen einzigartige Stellung, die Kautsky innerhalb der Partei besaß. Obwohl er kein Amt bekleidete, war er besonders in der Zeit zwischen 1891 und 1914 der prägende Theoretiker. Als Redakteur der Neuen Zeit hatte er maßgebenden Einfluß in allen programmatischen Debatten. Es gäbe, so Gilcher-Holtey, zwei Legitimationsprobleme eines Intellektuellen gegenüber einem Machtapparat: die Frage nach der Anerkennung durch die Partei und die Frage nach der Selbstrechtfertigung gegenüber einer Machtstruktur. Kautsky habe beide Probleme dadurch, daß seine Rolle von der Parteispitze aber auch von den übrigen Mitgliedern akzeptiert wurde, und dadurch, daß er von seinem Selbstverständnis als Intellektueller ohne offizielles Mandat niemals abgewichen ist, erfolgreich gelöst. Zwar sei er ein unbedingter Marxist gewesen, er habe sich jedoch nicht als Weiterentwickler sondern als Vermittler der Ideen von Marx und Engels verstanden, also als »Oberpriester« und nicht als »Prophet« (254). Seine Position verdeutlicht die Autorin anhand der beiden großen »Bewährungsproben« (257) - Revisionismusdebatte und die Frage der Berechtigung politischer Massenstreiks - , aus denen er gestärkt als anerkannt

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führender Parteitheoretiker hervorgegangen ist. Überzeugend kann Gilcher-Holtey die stets >schwebende< Position Kautskys gegenüber der Parteiorganisation darstellen und daraus verallgemeinernde Schlüsse auf die ambivalente Position eines Intellektuellen gegenüber einer Machtstruktur ziehen. STANLEY PIERSONS gelungener Überblick über das zwiespältige Verhältnis marxistischer Intellektueller zur Arbeiterklasse in der Zeit von 1887 bis 1912 macht darauf aufmerksam, daß ausgerechnet Kautskys heftige Polemiken in der Revisionismusdebatte großen Anteil daran hatten, daß es zum von de Man so bezeichneten »tragischen Mißverständnis« zwischen beiden Gruppen und zur Herausbildung einer Intellektuellenschelte auch in der Arbeiterklasse kommen konnte (56). In einleitenden theoretischen Überlegungen definiert Pierson in Anlehnung an Mannheim, Geiger und Shils drei typische Positionen von Intellektuellen: der Apologet, der die Interessen einer bestimmten sozialen Gruppe auslegt und rechtfertigt, der Kritiker gängiger sozialer Praktiken und philosophischer Auffassungen und der Priester, der fundamentale menschliche Wahrheiten definiert. Der Autor verweist auf das von Marx so beschriebene Phänomen notwendiger »Deserteure aus der Bourgeoisie^ die den Arbeitern ein Klassenbewußtsein erst eröflhen müßten. Pierson glaubt, ab etwa 1880 eine verstärkte Annäherung marxistischer Intellektuelle an die Partei feststellen zu können, die, so seine Hauptthese, darauf hinarbeiteten, eine neue sozialistische Mentalität zu schaffen. Dies jedoch sei fehlgeschlagen. Seine Untersuchung setzt ein mit dem Protest der >Jungendeutschen Gelehrtem eine wegweisende und streitbare Studie verfaßt, in der er die gesellschaftliche Stellung deutscher Akademiker in der Zeit von 1890 bis 1933 mit der der chinesischen Mandarine gleichsetzt (57). In einer 15 Jahre später veröffentlichten, neue Wege weisenden Arbeit führt Ringer dann einen von der akademischen Situation in Frankreich ausgehenden Vergleich der Bildungseliten in ganz Europa durch (58). Seine Auffassungen über die deutschen Akademiker sind darin jedoch nur unwesent-

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lieh modifiziert worden. Er betont, daß im Unterschied zu Frankreich genau diese Gruppe - und nicht die Schriftsteller und Literaten - meinungsführend und angesehen waren. In seiner zuerst erschienen Publikation, die sich als Beitrag zur intellektuellen Geschichte Deutschlands versteht, übernimmt Ringer die These vom deutschen Sonderweg in der Entwicklung des Bildungs- in Abgrenzung zum Besitzbürgertum. Der Übersetzer aus dem Englischen wählte für > intellectual die deutschsprachige Entsprechung >Intellektuellein keiner anderen Epoche der neueren deutschen Geschichte [...] Gesellschaft und Staat in einer entsprechenden Weise qualitativ und institutionell von einer akademisch konstituierten Führungsschicht< so sehr >bestimmt gewesen seien, wie zwischen 1871 und 1918. (20)

Schwabe nennt dafür folgende Gründe: das zensurbedingte Fehlen einer freien öffentlichen Diskussion über politische Grundfragen - allein die Universitäten genossen eine relative Unabhängigkeit - und der Charakter einer gesamtdeutschen Institution der deutschen Universität ohne regionale Bindungen der Professoren und Studenten. Allerdings, so vermerkt der Herausgeber, sei der politisch engagierte Professor vom Typ der >Göttinger 7< nach 1848 mehr und mehr verdrängt worden. In seinem Beitrag Professoren als Parlamentarier macht BERNHARD VOM BROCKE eine bedeutsame Einschränkung, die die nicht allein von Ringer formulierte These des apolitischen Wesens< der deutschen Hochschullehrer in Frage stellt (6). Zwar meint vom Brocke, daß bei einem Blick auf die in der Wilhelminischen Zeit schwindende Anzahl der Professoren in den Parlamenten (so saßen 1914 nur noch 5 Professoren im Reichstag) von >Entpolitisierung< gesprochen werden könne, er sagt jedoch sehr deutlich: »Rückzug [der Professoren] aus den Parlamenten gewiß, aber nicht Rückzug aus der Politik« (68). Es habe eine ausgeprägte politische Mitwirkung der Professoren u. a. durch die Interpretation von Gesetzesnormen in Gesetzeskommentaren, durch die Mitarbeit in außerparlamentarischen Organisationen und durch die vielfältige publizistische Tätigkeit in nichtwissenschaftlichen Zeitschriften gegeben. Das reichhaltige statistische Material, das vom Brocke seinem Aufsatz mitliefert, beschreibt das Sozialprofil aller im Untersuchungszeitraum parlamentarisch tätig gewordenen Professoren. Daß Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland zu den Autoritäten »für kulturelle Absicherung und politische Wegweisung« zählten, betont anschließend RÜDIGER VOM BRUCH (9, 107). Auf den Begriff >Wertelite< bezogen, den die damaligen Professoren für sich beanspruchten, zitiert der Verfasser zustimmend die Äußerung Rudolf Martins, der 1910 behauptet hatte: »Die öffentliche Meinung entfernt sich nicht weit von der Ansicht unserer maßgebenden Professoren der Volkswirtschaft und Geschichtswissenschaft« (116). Vom Bruch kennzeichnet deren Stellung als »Monopol für öffentliche politische Resonanz« (ebda.), und er macht ihre herausragende Stellung nach 1890 anhand dreier Indikatoren fest: der Verwertung akademischer Lehrergebnisse in nichtwissenschaftlichen publizistischen Erörterungen, der überdurchschnittlich hohen Beteiligung der Gelehrten in außerparlamentarischen Organisationen und anhand ihrer zeitweise intensiven Kommunikation mit den politischen Führungsschichten. Der ebenfalls mit informativem statistischen Material angereicherte Beitrag beleuchtet besonders den sich als verhängnisvoll erweisenden Einsatz namhafter Historiker in der flotten- und weltpolitischen Publizistik mit erschreckend agitatorischem Charakter.

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Mit Ringers Bezeichnung des Gelehrten als Mandarin operiert HAUKE BRONKHORST in einem polemischen und heftigen Angriff auf die >antiintellektualistische deutsche Gelehrtenkultur< (12). Es wird eine Opposition zwischen Intellektuellen und Mandarinen aufgebaut, hier auch >Gegenintellektuelle< genannt. Letztere hätten in Deutschland eine Verbreitung der Aufklärungstradition bis in die Mitte unseres Jahrhunderts verhindert (»dort [in Deutschland] währte ihre Herrschaft ungefähr von 1860 bis 1960«, 15). Ausgehend von einem Intellektuellenbegriff im modernen französischen Sinne, der als moralisch einzig gerechtfertigte Geisteshaltung stilisiert wird, werden vier Wege aufgewiesen, die deutsche Gelehrte als Reaktion auf den Verfall der Philosophie als Regelwissenschaft nach Hegel eingeschlagen hätten. Gekennzeichnet sind diese Wege durch die beiden Gegensatzpaare affirmativ (= intellektualistisch, hier also unbedingt positiv) und negativ (= antiintellektualistisch), sowie inner- bzw. außerakademisch. Wie in vielen gleichgearteten Polemiken über die nur mangelhaft ausgebildete Intellektuellenkultur in Deutschland Uberhaupt, so wird auch in Brunkhorsts Streitschrift deutlich, daß die Epoche des Wilhelminischen Kaiserreichs nicht nur als Ausgangspunkt einer deutschen Intellektuellendebatte gesehen wird, sondern für die Autoren vielmehr eine Schlüsselposition in bezug auf eine sofort einsetzende antiintellektualistische Diffamierungskampagne innehat. Unter Verweis auf die angeblich typische zivilisationsfeindliche und antiaufklärerische Haltung deutscher gebildeter Schichten wird der Versuch gemacht, in die aktuelle Diskussion um Stellung und Aufgabe der Intellektuellen einzugreifen und Opponenten in Beziehung zu setzen mit jenen undemokratischen, sich entweder deutschnational gebärenden oder unpolitisch verhaltenden Gelehrten zu setzen, deren kurzsichtige Handlungsweise sich als so verhängnisvoll erweisen sollte. Über einen längeren Zeitraum von 1840 bis 1920 untersucht WOODRUF D. SMITH die Verbindung zwischen Politik und Kulturwissenschaften in Deutschland (66). In diesem Rahmen ist besonders das elfte Kapitel seines Buches, »Intellectual Politics and Cultural Science in the Wilhelmine Era«, von Belang. Mit Rüdiger vom Bruch (9) ist Smith der Meinung, daß gerade in der Zeit von 1890 bis 1907 von Akademikern Möglichkeiten zur verstärkten politischen und gesellschaftlichen Einflußnahme gesucht und genutzt wurden. Viele aus wissenschaftlichen Forschungen gewonnene Erkenntnisse sollten in der Absicht der Akademiker nun zur Bewährung in der Praxis kommen. Im Gegensatz zur Aufbruchstimmung während der Reichsgründung und in der Bismarck-Epoche sei nämlich die allgemeine Auffassung einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft und Umwelt kennzeichnend für die Akademiker im Wilhelminischen Deutschland gewesen. Dies habe speziell in dieser Zeit zu einer zuvor nicht gekannten Bandbreite politischer Entwürfe, Modelle und Pläne geführt, die bei aller Verschiedenheit dennoch auf Einheit und neuen nationalen Zusammenhalt zielten. Smith verweist auf einen bedeutenden Aspekt, der bei der Untersuchung des intellektuellen Klimas um die Jahrhundertwende berücksichtigt werden muß. Ausgehend von der Feststellung, daß eine eindeutige ideologische Zuordnung vieler akademischer und anderer Intellektueller in der Zeit um die Jahrhundertwende extrem schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, untersucht er

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den in losen Vereinigungen geführten Diskurs (»communities of discourse«, 195) und die Positionen, die die sich zu den bestimmten Fragen äußernden Teilnehmer jeweils annahmen. Unter drei Oberbegriffe, so der Autor schließlich, könnten die verschiedenen Debatten tendenziell zugeordnet werden: apolitisch, neoliberal und radikal-alldeutsch. In fast ausnahmslos allen kulturgeschichtlichen Analysen der Kaiserzeit wird Max Weber zumindest am Rande erwähnt. Analysen von Leben und Werk des Nationalökonomen nehmen in einem Überblick über die intellektuelle Kultur in Deutschland nach der Jahrhundertwende eine zentrale Position ein. Die zu diesem Thema erschienene Literatur auch nur der letzten Jahre zu referieren, ist in diesem Rahmen nicht möglich. Sowohl die Konzeption des Intellektuellen in den verschiedenen Schriften Webers als auch Weber selbst als intellektuelle Persönlichkeit beschäftigt die Forscher. Dabei scheint deutlich zu werden, daß Werk und Leben bei Weber insofern auf tragische Weise eng miteinander verquickt sind, als daß er gemäß dem hohen intellektuellen Ethos, das er in seinen theoretischen Schriften immer wieder gefordert hat, selbst nicht hat leben können, was sich in langer Krankheit und frühem Tod ausdrückte. HARTMANN TYRELL stellt in seinem Aufsatz heraus, daß Weber den Gedanken der Tragödie der Religionidealer Typen< intelligenter Persönlichkeiten aus, welches er in einem ersten Kapitel erläutert. Sadri geht danach in einem zweiten Kapitel auf Webers Religionsbegriff ein, der in Abgrenzung zur marxistischen Debatte gewonnen worden sei, d. h. nicht als Produkt einer ökonomischen Entwicklung die sich im ideologischen Oberbau widerspiegele. Anschließend betont Sadri in einem dritten Kapitel eine wichtige Unterscheidung Webers zwischen Intelligencija - »the aggregate of the educated members of one particular stratum or some strata, posessing varying degrees of >status consciousness«< und einer »category of intellectuals [which] comprises a small group of highly creative (often individualistic) individuals« (69). Letztere fungieren als Produzenten der Ideen, die hinterher von der Intelligencija und dann vom Rest der Schicht oder anderen Schichten jeweils geändert übernommen werden. Diese Unterscheidung dient Sadri als Grundlage für die Untersuchung des Intellektuellenbegriffs in Webers politisch-soziologischen Schriften. In diesen erkennt er Webers tiefen Pessimismus über die zukünftige Entwicklung der westlichen Zivilisation, in der es zu einer zunehmenden Konfrontation zwischen Intellektuellen und Mitgliedern der bürokratisierten Intelligencija kommen werde. Zwar wende sich Weber gegen eine zunehmende Bürokratisierung auch der Intellektuellen, aber die Frage, wie weit sich diese in die Politik einmischen sollten, sei von Weber offengelassen worden. In seinem abschließenden vierten Kapitel versucht sich Sadri an »Definitionen«, in denen er die zuvor vorgestellten > idealen Typen< intelligenter Persönlichkeiten in mehreren Tabellen gegenüberstellt, denen er jeweils Berufe zuordnet, so daß eine diskussionswürdige Zuordnungsmöglichkeit für unterschiedliche Persönlichkeiten mit herausragender Bildung und Tätigkeit entsteht. Als >politischen Intellektuellen im Deutschen Kaiserreich< sieht WOLFGANG J. MOMMSEN Weber in seinem Beitrag zum oben angeführten Sammelband (38, 33-61). Dieser Begriff könne auf ihn angewendet werden, da es unmöglich sei, sein politisches Denken und sein wissenschaftliches Werk einer eindeutig bestimmten Klasse oder sozialen Schicht zuzuordnen. Schon bei seiner Freiburger Antrittsrede 1895 sei deutlich geworden, daß er sich als herausragender »Analytiker des politischen Systems des wilhelminischen Deutschlands und der deutschen Gesellschaft« eignete (37). Mommsen liefert einen kommentierenden, chronologisch verlaufenden Lebensüberblick mit besonderer Akzentuierung der gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten Webers. Für die 90er Jahre stellt er bei ihm ein nationales Pathos und politischen Kampfeswillen fest. Nach seiner Erkrankung von 1904 kam es zu einer ruhigeren Reflexionsphase über den eigenen Standort im wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bereich. Den Höhepunkt des öffentlichen Engagements Webers macht Mommsen im Ersten Weltkrieg aus. Er habe eine nationale und idealisierende Stellung bezogen, nach außen hin den Krieg zwar bejaht, allerdings ohne sich an der Forderung extremer Kriegsziele zu beteiligen, nach innen habe er darauf gedrängt, daß der Krieg eine neue Verfassungsordnung erfordere. Gegen Ende des Krieges habe er sich gegen die Schaffungsversuche eines neuen Nationalmythos für

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die Jugend gewehrt. Mommsen ist es ein besonderes Anliegen, darauf zu verweisen, daß Weber keine einfache Gegenposition zur Moderne vertrat: Dies unterschied ihn [Weber] von der großen Mehrzahl der Intellektuellen seiner Zeit, die sich ganz überwiegend auf die Position einer mehr oder minder radikalen Zivilisationskritik zurückzogen. (58)

Weber habe vielmehr die Gefahren der Moderne mit den Mitteln der Moderne bekämpfen und so Freiräume erhalten und neue schaffen wollen. Mommsens kenntnisreicher Aufsatz erweist sich als informative Vorstellung der Hauptthesen aus Webers Schriften und als eine Würdigung der überragenden Persönlichkeit, doch ist hier sicherlich die Frage nach der Rolle, dem Selbstverständnis und der Wahrnehmung Webers als Intellektueller im Kaiserreich noch nicht hinlänglich beantwortet. Kurz eingeschaltet werden soll an dieser Stelle die Frage, inwieweit eine Akademikerbiographie als Baustein einer Intellektuellengeschichte herangezogen werden kann. Dies sollte immer dann geschehen, wenn nicht allein wissenschaftliche Debatten oder hervorragende Ergebnisse in Spezialdisziplinen vorgestellt werden, sondern von dem jeweiligen Wissenschaftler aus seiner Disziplin heraus Anregungen für eine auf breiterer öffentlicher Grundlage geführte Diskussion gegeben worden sind. Insofern kann die von ROGER CHICKERING herausgegebene Biographie Uber Karl Lamprecht, den er »the most famous and interesting historian in Wilhelmine Germany« nennt, bezüglich unserer Themenstellung gewinnbringend gelesen werden (76, xii). Die ausführliche Lebensbeschreibung ist für ein amerikanisches Publikum gedacht, das mit der deutschen Bildungsgeschichte, der Entwicklung der Geisteswissenschaften, insbesondere der Geschichte, mit dem Historismus und dem akademischen Milieu in deutschen Universitätsstädten vielleicht nicht so gut vertraut ist. Gerade die geduldigen und detailreichen Erklärungen macht sie jedoch auch für deutsche Nicht-Historiker empfehlenswert. Bedeutsam erscheinen die Ausführungen zur Diskussion im Anschluß an Franz Mehrings positive Rezension von Lamprechts großangelegter Deutschen Geschichte. Der G e schichtsschreiber der Sozialdemokratie< löste mit seiner Besprechung einen politischen Streit aus, der breite Beachtung fand. Chickering stellt stets die enge Verbindung zwischen der Geschichtswissenschaft und der Politik heraus, denn er meint, die Historiker seien die »most politically active group of academic scholars in imperial Germany« gewesen (394). Im Zentrum des von HUBERT TREIBER und KAROL SAUERLAND herausgegebenen Sammelbandes über Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise steht wiederum Max Weber (34 a). Die Situation in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, als Heidelberg den Ruf einer heimlichen Hauptstadt des geistigen Deutschlands besaß, wird hier im besonderen zur Anschauung gebracht. Die »Topographie der >geistigen Geselligkeit eines >WeltdorfesInteraktions-Netzsoziale VeranstaltungHäuser und Straßen des WeltdorfesGrenzgänger< dem Mythos Max Weber und untersucht die Beiträge zu dem Heidelberger Wissenschaftler, von denen er annimmt, daß sie alle die Kategorie des >Berufes< durchzieht. Chon stellt zutreffend Schluchters Deutung der beiden berühmten Vorträge Webers zu Politik und Wissenschaft heraus und vertritt die etwas paradox anmutende These, daß Webers Versuche einer Entzauberung der Moderne ihn selbst zu einem Mythos haben werden lassen, und dieser sollte die einzige Form von Mythos sein, »die sich eine entzauberte Welt leisten kann« (489). GERHARD WAGNER rühmt in seiner Besprechung - gegen Lepsius - die Vielfältigkeit an diesem Band sowohl in Bezug auf die Themenauswahl als auch die Herkunft der Autoren. Er sieht in Rüdiger Krammes Beitrag zum Logos eine Schlüsselstellung, da diese Zeitschrift die Konzeption des Heidelberger Geistes, der seiner Auffassung nach besonders durch den Neukantianismus in der Lehre Rickerts und Windelbands geprägt gewesen sei, am besten repräsentiere. HELMUTH KIESEL schließlich relativiert aus der Sicht des Literarhistorikers den hohen Anspruch, der in der Formel Heidelbergs als >heimlicher Hauptstadt des geistigen Deutschlands< steckt: Zentren der Moderne in Deutschland waren die Großstädte, besonders Berlin und München. Trotzdem sei Heidelberg ein >Kraftzentrum< und unbestreitbar ein >Schnittpunkt intellektueller Kreise< gewesen, woraus der Heidelberger Germanistikprofessor noch für seine eigene heutige Tätigkeit eine hohe Verpflichtung herausliest. Er kommentiert die im Buch vorgetragenen Gründe für die Frage >Warum gerade Heidelberg?Adelsprädikat< Intellektueller ausgezeichnet zu werden, müsse ein >Feingefühl der Erkenntnis« zur akademischen Ausbildung hinzukommen. Auch MARIE HOLZER übernimmt in ihrer Rezension des Romans in der Zeitschrift Die Aktion (3. Jg., 1913) diese Auffassung von Intellektuellen und sagt über die Autorin: »[...] ein kluges Buch, das ein warmfühlender, stolzer, ganzer, ahnender Mensch geschrieben. Ein Intellektueller« (173). ROBERT MICHELS hat in seiner Rezension des Romans erkannt, daß die Autorin konkret einen ganz bestimmten Menschentypen aus der Berliner Boheme, die aus dem »lebendigen Leben« herausgeschnitten sei, beschrieben hat (Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Jg. 36, 1913, S. 939). Er selber zählt jedoch zu den Intellektuellen noch derartig viele Berufsgruppen hinzu, daß klar wird: auch Michels meint eher eine Intelligenzschicht im russisch-sozialistischen Sinn. Wie unklar zunächst noch die Vorstellungen über den Gehalt des als neu empfundenen Begriffs Intellektueller zu jener Zeit waren, zeigt ein kurzer Blick auf die kurios anmutende Schrift von HANS KURELLA über Die Intellektuellen und die Gesellschaft von 1913. Unter dem Einfluß von Cesare Lombroso stehend, versucht der Bonner Nervenarzt hier einen Beitrag zur Theorie geistiger, besonders künstlerischer Begabung zu leisten und setzt Intellektuelle gleich mit Künstlern und Forschem in Opposition zu den sogenannten Praktikern. Bis zum Krieg, so bleibt festzustellen, haben Schriftsteller und Künstler kaum öffentlich beachtete Initiativen im Namen eines wie auch immer gearteten Ideals gestartet oder eine kritische Position in strittigen Fragen innerhalb der Gesellschaft kundgetan, sondern es größtenteils vermieden, >in der Wirklichkeit tätig zu werden Anrüchigkeit des Wortes im deutschen Sprachraum erklärbar? Man muß davon ausgehen, daß es zu einer Übertragung von negativen Urteilen über literarisch-künstlerische Subkulturen, wie sie in Berlin, München und einigen wenigen anderen großen deutschen Städten existierten, auf dieses eine Wort stattfand. Erkennbar wird dies bei einem Blick auf die sich gerade um die Jahrhundertwende, also viel später als ζ. B. in Frankreich, verstärkt ausbreitende Boheme. Die antibürgerliche Provokation dieser Gruppierung von Individualisten hat bei den »normalen Bürgern< Ressentiments aufgebaut, die auf den Begriff Intellektueller Ubertragen wurden. Die großangelegte und immer noch lesenswerte Studie von HELMUT KREUZER macht selbst leider den Fehler, zwischen dem Gebrauch der Begriffe >Bohemien< und »Intellektuellen fast schon willkürlich hin und her zu schwenken (42). Kreuzer definiert die Boheme als »Subkultur von Intellektuellen«, als »Randgruppen mit vorwiegend schriftstellerischer, bildkünstlerischer oder musikalischer Aktivität oder Ambition und mit betont un- oder gegenbürgerlichen Einstellungen und Verhaltensweisen« (V). Die vorliegende Studie geht zwar sowohl zeitlich als auch räumlich weit über den hier zu behandelnden Rahmen hinaus, doch konzentriert sich Kreuzer in dem der Entwicklung der Boheme in Deutschland gewidmeten Teil auf die Zeit um die Jahrhundertwende. In seinen theoretischen Vorüberlegungen greift Kreuzer die von Karl Marx zur Beschreibung des französischen Begriffs >la boh£me< gewählte Formulierung »Lumpenproletariat auf, die Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden hat, ursprünglich aber auch neben den Literaten die Gruppen der Gaukler, Vagabunden und sogar Bordellhalter umfaßte. In der Forschung, so behauptet Kreuzer, habe sich der Begriff »intellektuelles Proletariat« durchgesetzt (29). Viele in Deutschland bekannte Bohemiens sind gleichzeitig als Intellektuelle zu bezeichnen, wie ζ. B. Hermann Bahr, Oskar Panizza, Bruno Wille, Ernst Toller, Gustav Landauer, Karl Kraus, Kurt Eisner und Kurt Hiller. Als Ausgangspunkt für eine Unterscheidung zwischen Intellektuellen und Bohemien - falls dies wirklich notwendig und möglich ist - kann vielleicht deren jeweiligen Einstellungen zur >Gegenwelt< der Gesellschaft und des Bürgers gesehen werden. Der Intellektuelle ist für ein Ideal und arbeitet darauf hin durch Kritik am Ist-Zustand, der Bohemien ist gegen den Bürger und versucht, seine Auffassung durch Provokation kundzutun. Gut sind Kreuzers Beobachtungen zu den Boheme-Kreisen, die er als »intellektuelle Primärgruppen im Boheme-Milieu« (170) definiert. In diesem Zusammenhang kommt der Autor auf die >Kaffeehauszirkel< und die >Kaffeehauskultur< zu sprechen, die in land-

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läufiger Auffassung das geradezu determinierende Umfeld eines Intellektuellen sind. Das Kapitel »Boheme und Politik« (279-363) kann auch als Intellektuellengeschichte gelesen werden. Der Autor sagt dazu: Mit dem Begriff der politischen Boheme fassen wir die Bohemiens und sonstigen am Boheme-Milieu partizipierenden Intellektuellen zusammen, die Träger derart [d. h. mit der Tendenz zur Abweichung von geltenden politischen Ordnungen] bohemeadäquater politischer Tendenz sind. (279)

Kreuzer legt Wert darauf, daß der klassische Bohemien nicht einfach unpolitisch sondern gewollt a- oder antipolitisch gewesen sei. Es sei besonders die langweilige Tagespolitik gewesen, die abgelehnt wurde. Eine politische Einstellung und ein verbreiteter Hang zur Entwicklung politischer Utopien habe durchaus bestanden. Dabei sei zwar eine Sympathie für >Erniedrigte und Beleidigte< festzustellen, jedoch sei das Verhältnis zum Proletariat, zum Marxismus und zur Arbeiterbewegung zwiespältig geblieben, da der Bohemien (oder auch der Intellektuelle) einerseits jeder Organisation mißtraute, andererseits jedoch einen Anspruch auf geistige Führung geltend machen wollte, der nie eingelöst wurde. Die Idee eines deutschen Sonderwegs, einer besonderen Kulturnation, hat vor allem die Schriftsteller davon abgehalten, ein intellektuelles Selbstverständnis nach französischem Muster zu gewinnen. Max Weber hat diesen Hang zum Irrationalismus und die daraus entspringende mangelnde Verantwortungsethik häufig angeprangert und besonders den sich in dieser Zeit geradezu epidemisch ausbreitenden Nietzsche-Kult dafür verantwortlich gemacht. Die Ausbreitung und Wirkung von Nietzsche im deutschen Sprachraum ist nun in dem von RICHARD KRÜMMEL in zweiter und verbesserter Auflage herausgegebenen Werk Nietzsche und der deutsche Geist hervorragend kommentiert (53). Die beiden umfangreichen Bände müssen als Basis für jede spezifisch deutsche Intellektuellen-, oder besser >Anti-Intellektuellengeschichte< herangezogen werden. HANS-DIETER ZIMMERMANN hat jetzt noch in einem >polemischen Essay< die Verantwortungslosigkeit der Schriftsteller angeprangert und dabei auf den »verhängnisvolle[n] Nietzsche« verwiesen (76, 11). Mit Kreuzer vertritt er die These, daß die unbedingte Absage der Boheme an das Bürgertum eine Prädisposition für eine radikale politische Orientierung mit sich gebracht hätte. Trotzdem jedoch hat es auch in der Phase um die Jahrhundertwende Initiativen und Interventionen von aufgeklärten und engagierten Kulturschaffenden gegeben, die einen Vergleich mit den Entwicklungen in der Dreyfus-Afifäre nicht zu scheuen brauchen. Hervorzuheben ist da besonders die Affäre um die Lex Heinze, die häufig in der Literatur nur erwähnt, aber unter dem Aspekt einer Intellektuelleninitiative bisher nur unzureichend kommentiert ist. Als Ausgangspunkt kann dazu das von OTTO FALCKENBERG 1 9 0 0 herausgegebene Buch von der Lex Heinze dienen, das als ein deutsches »J'accuse«, eine deutsche Anklageschrift gegen puristische und zensorische Tendenzen in weiten Teilen der Politik gesehen werden muß (23). Es ist eine Sammlung verschiedener Stellungnahmen gegen die »Lex Heinze« mit Beiträgen von Schriftstellern, Juristen, Künstlern und Wissenschaftlern auch aus dem Ausland. Die vielbeachteten Zensurdebatten im Kaiserreich und in der Weimarer Republik sind allgemein geeignet, Positionen verschiedener herausragender Gestalten des öffentlichen Lebens

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darzustellen und einen der Ausgangspunkte zur Etablierung eines modernen Intellektuellenverständnisses nachzuzeichnen. Ausführlich analysiert sind die Vorgänge um die »Lex Heinze« in einem älteren Artikel von R. J. V. LENMAN (44). Nach dem Mord an einem Berliner Nachtwächter durch den Kriminellen und Zuhälter Heinze 1891 kam es ein Jahr später im Reichstag zu einer Debatte über die Verschärfung des Gesetzes zur Bekämpfung von Criminellem Abschaum< in der Großstadt. Das katholische Zentrum und rechtslastige Antisemiten wie Adolf Stöcker starteten eine Kampagne gegen Obszönität und Unmoral, aus der sich zunehmend eine Sittlichkeitsbewegung entwickelte, die nicht nur gegen Prostitution und Pornographie wetterte, sondern auch gegen Unzucht auf der Bühne, in der Literatur und in der darstellenden Kunst. Die heißeste Phase erlebte diese Diskussion von 1898 bis Anfang 1900, als der Reichstag über verschiedene Gesetzesvorschläge beriet. Jetzt erst kam es zu Protesten und Widerstand, die nicht allein von Künstlern sondern auch von Richtern getragen wurden. Die Verschärfung der Kunst- und Theaterparagraphen führte zu einer verbreiteten Empörung. Lenman zitiert einen Artikel aus dem Vorwärts vom 13. März 1900, in dem der Autor aufatmend feststellt, daß die Gebildeten endlich ihre Aufmerksamkeit der Wirklichkeit zuwendeten, wenn auch nicht auf gleich spektakuläre Art und Weise wie in der Dreyfus-Affäre. Auch Franz Mehring hatte dies in der Neuen Zeit (Nr. 18, 1899/1900) so festgestellt. Der Vergleich mit den Aktivitäten während der >Geburtsstunde< des modernen Intellektuellen in Frankreich ist also schon damals gezogen worden. Höhepunkt der großen Gegendemonstrationen waren Februar und März 1900. Zur Unterstützung der Gegenkampagne wurde am 15. März 1900 der Goethebund gegründet. Tatsächlich ist am 25. Juni auch nur eine abgeschwächte Version des Gesetzes, ohne den Theaterparagraphen, vom Reichstag verabschiedet worden. Damit war allerdings auch das kurze Zusammengehen zwischen Liberalen und SPD beendet und die pädagogischen Ambitionen der einzelnen Sektionen des Goethebundes verliefen bald darauf im Sand. Die >Beinahe-Geburtsstunde< des deutschen Intellektuellen ist von Lenman gut und sorgfältig, unter Nutzung zahlreicher Archivmaterialien dargestellt worden. STEPHAN FÜSSEL hat in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam ge-

macht, daß bereits der frühe Thomas Mann gegen staatliche Zensur protestiert hat (27). Dessen Erzählung Gladius dei von 1902, in der der Jüngling Hieronymus sich über eine im Schaufenster eines Kunstgeschäftes ausgestellte, entblößte und anrüchig wirkende Madonna empört, hat Füssel in Verbindung mit der Zensurdebatte im Kaiserreich gesetzt. Er sucht Vorbilder für den strengen Sittenwächter Hieronymus, die er in Mitgliedern der damals überall entstehenden Sittlichkeitsvereinen zu finden glaubt. Mann, so Füssels These, habe sich mit seiner Erzählung in eine aktuelle Diskussion einmischen und eindeutig gegen Zensur Stellung beziehen wollen. Auch wenn Füssel damit ein singuläres intellektuellentypisches Engagement nachgewiesen haben sollte, so ist wohl eher MICHAEL STARK zuzustimmen, der die Entstehung der Intellektuellendebatte hinsichtlich der Schriftsteller in Deutschland mit dem Beginn des Expressionismus und in der Auseinandersetzung mit dieser literarischen Strömung ansetzt:

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Erst seit der expressionistischen Kulturrevolte nämlich spielt die Intellektuellenfrage in Deutschland eine dominierende Rolle in den öffentlich ausgetragenen Kontroversen über zeitkritische und gegengesellschaftliche Kunst-Konzeptionen. (69, 1)

Der gleiche Autor hat zwei Jahre später unter dem Titel Deutsche Intellektuelle 1910-1933 eine aufschlußreiche Sammlung von Schriften vornehmlich literarischer Intellektueller aus dieser Zeit herausgegeben (19). Nur 13 der 61 Beiträge in diesem Band sind während der Kaiserzeit entstanden. Diese Phase nennt Stark die >Formierungsdebattelntellektuellenscheltebegriffsgeschichtlichen Klärung« die nur allzu knappen Auskünfte, die DIETZ BERING in seiner Untersuchung über die Geschichte eines Schimpfwortes für die Kaiserzeit mitgeteilt hatte (vgl. 3). Viel stichhaltiger als Bering kann Stark so etwa das Jahr 1910 als >Geburtsstunde< des modernen Intellektuellen in Deutschland ansetzen. Eine junge, sich bewußt den Problemen der Moderne zuwendende Generation hat sich selbst als geistige, revoltierende Opposition gegen den Typus des konservativen Weltflüchters definiert. Stark will zeigen, daß, nachdem die Positionen des Expressionismus sich herausgebildet hatten, in der Diskussion um diese Richtung der Begriff des Intellektuellen in seiner modernen Prägung in Deutschland sich herausgebildet hat und daß mit dem Scheitern der politischen Aktivitäten der zunehmend ideologisierten Expressionisten gleichzeitig die Diffamierung des Intellektuellen einherging. Der Autor macht nicht den Fehler, das Selbstverständnis der Expressionisten, Futuristen und Dadaisten auszublenden, die sich nämlich eher als antiintellektualistisch und vitalistisch sahen. Dabei kommt ihm die Sorgfalt seiner begriffsgeschichtlichen Erklärung zugute, so daß er darauf verweisen kann, daß >intellektualistisch< von den Expressionisten anfänglich noch als >grüblerisch< und >apathisch< aufgefaßt wurde. Gegen diese Einstellung ist gerade im Sturm heftig polemisiert worden. Trotzdem nimmt sich der Forscher das Recht heraus, vom Typus eines Intellektuellen expressionistischen Zuschnitts zu reden, für den er folgende Definition findet: Zwei Kriterien sind es also, die den intellektuellen Expressionisten auszeichnen: zum einen die Bereitschaft zu rhetorisch-aggressiver öffentlicher Intervention, zum andern die unbedingte Gegnerschaft gegen den Kult der Ästheten, d. h. gegen die inaktive und indifferente Haltung einer sich selbst genügenden künstlerischen Existenz. (154)

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Eine bedeutsame Unterscheidung trifft der Autor noch, indem er die Reaktionen der Frühexpressionisten auf Heinrich Manns Aufsatz Geist und Tat nachzeichnet. Diese wollten eben nicht Manns Aufruf zu einer demokratisch-republikanischen Wende folgen und die Rolle eines außerparlamentarischen, kulturund gesellschaftskritischen Intellektuellen einnehmen, sondern hatten vielmehr die Neigung zu einer fundamentalkritischen, anarchischen Opposition, für die die Realpolitik bedeutungslos war. Im dritten Teil seiner Dokumentation, die sich mit der Phase des Krieges und der Revolution beschäftigt, verweist Stark auf die zunehmenden Spaltungstendenzen innerhalb des Expressionismus. Der Höhepunkt der Intellektuellendebatte im Expressionismus stand, so Stark, in Verbindung mit den revolutionären Ereignissen 1918/1919. Die Faszination der Möglichkeit, selbst politisch tätig zu werden, hat zu ausgiebigen Diskussionen um die Frage der Beteiligung der Intellektuellen an der Revolution geführt. Die unterschiedlichen Antworten, so folgert Stark einleuchtend, haben die endgültige Spaltung des Expressionismus zementiert und im Scheitern der Revolution sei der Keim für die Diffamierung des Expressionismus und der Intellektuellen zu sehen. In seinem letzten Kapitel vollzieht Stark anhand von Schlagwörtern die Entwicklung des Begriffs Intellektueller hin zu einem Feindbild für breite bürgerliche Kreise nach. Es gelingt ihm, indem er ausführlich nicht nur auf die literarischen Äußerungen der Expressionisten und deren Gegner eingeht, sondern gerade deren publizistische und sonstige Reaktionen auf wichtige Probleme, die damals diskutiert wurden, heranzieht, insgesamt eindrucksvoll nachzuweisen, daß im >für und widen bezüglich des Expressionismus die Entstehung der Intellektuellendebatte in der deutschen Literaturgeschichte zu sehen ist. Einer der ganz wenigen größeren Aufrufe an die Dichter wurde mit expressionistischen Elan von dem Literaten, Schriftsteller, linken Anarchisten und Sozialrevolutionären LUDWIG RUBINER 1 9 1 2 in der Zeitschrift Die Aktion veröffentlicht: »Der Dichter greift in die Politik.« Rubiner erteilt hier allen politisch indifferenten Schriftstellern eine wütende Absage und nennt sie »Schweine einer skeptischen Naivtuerei«. Diesen und andere wichtige Texte und Manifeste Rubiners aus der Zeit von 1 9 0 8 - 1 9 1 9 hat WOLFGANG HAUG gesammelt herausgegeben (61). Haug beschreibt in seinem ausführlichen Vorwort den Lebensweg des ehemaligen Mitglieds der von den Brüdern Hart gegründeten »Neuen Gemeinschaft«, der ein Anhänger der anarchistischen Lebensweise in der Konzeption Gustav Landauers war. Der Herausgeber vermerkt jedoch auch, daß Rubiners Engagement für eine geistige Revolution, sein Aktivismus, nicht auf konkrete politische und soziale Tatbestände bezogen gewesen sei, sondern auf ein utopisches, anarchistisch-kommunistisches Ideal. Und er kommt zu dem Fazit: »Bei allem Enthusiasmus, der aus Ludwig Rubiners Texten spricht, sie geben Anlaß, sich mit der Ohnmacht der Intellektuellen im damaligen Deutschland auseinanderzusetzen« (30). Mit Rubiners Artikel beginnt die von LOTHAR PETER verfaßte Untersuchung über die Geschichte der Zeitschrift Die Aktion, die sich allerdings hauptsächlich mit der Entwicklung in der Weimarer Republik beschäftigt (54). Forschungen zu den zahlreichen literarischen, kulturellen und politischen Zeitschriften der Jahrhundertwende sind für jeden Bericht über Intellektuelle in der Kaiserzeit

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von höchster Relevanz. Erste interessante Debatten sind schon, wie HERMANN GLASER vermerkt, in den heftigen Polemiken Maximilian Hardens gegen die >Hofkamarilla< um Wilhelm II. und besonders gegen den Fürsten Phillip zu Eulenburg in der Zeitschrift Die Jugend zu beobachten (31). RÜDIGER VOM BRUCH bestimmt den Ort der politischen Zeitschrift in Deutschland um 1900 in Bezug auf das Bildungsbürgertum und betont immer wieder die SelbstUberzeugung der Herausgeber und Journalisten der verschiedenen Periodika, kulturelle und politische Lotsen ohne parteipolitische Gebundenheit zu sein (8). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang auch die großen satirischen Zeitschriften wie Ζ. B. der Simplicissimus, zu dem GERTRUD M . ROSCH sagt, er habe »als Synonym für Opposition und mutigen Witz gegen die Regierenden« gegolten {59, 334). Sie selber stellt in ihrem Aufsatz jedoch eine eher konservative und auf die breite öffentliche Meinung einschwenkende Auffassung der wichtigsten Karikaturisten der Satirezeitschrift bezüglich des Streits um die moderne Malerei dar. Ergiebig ist die den Simplicissimus mit dem Kladderadatsch in der Zeit von 1 8 9 0 bis 1 9 1 4 vergleichende Analyse von ANN TAYLOR ALLEN, die sich ebenfalls an diesem Ort Gedanken macht über die Satire als Mittel zur politischen Einflußnahme (1). Festzuhalten ist, daß die häufigen Affären um verschiedene Beiträge, welche nicht selten mit Prozessen und Festungshaft für ihre Autoren endeten, eine immense öffentliche Resonanz fanden. Die Brücke zwischen Kaiserzeit und Gegenwart schlägt MICHAEL STARK in einem neueren Essay in einem Sammelband, der sich mit der »Modernität des Expressionismus« beschäftigt (70). Ausgehend von der gegenwärtigen ( 1 9 9 4 ) >Schelte auf linke Intellektuell stellt Stark die Frage »nach der Modernität seiner [= der expressionistischen] Explikation der Rolle der/des Intellektuellen« (151). Ihn interessiert, was die heutigen Intellektuellen aus der Tätigkeit und dem Selbstverständnis der Intellektuellen während des Expressionismus lernen können. Stark stellt deren Krisenbewußtsein hinsichtlich von Prozessen der Modernisierung und deren - angebliche - Fähigkeit, fehllaufende Prozesse zu diagnostizieren, heraus. Sein Aufsatz ist eher auf die Gegenwartsproblematik, die zunehmend den Untergang der Intellektuellen herbeirede, bezogen. Die heutigen Intellektuellen sollten sich wieder auf die Ziele der Expressionisten, das utopische Ideal eines >neuen Menschern, besinnen, die durch den Kommunismus und die NS-Zeit keineswegs obsolet geworden seien. Ein Korrektiv der Intellektuellen sei gerade heute gefragter denn je. Wertfrei zu bleiben, hieße zur Krisenverschärfung beizutragen. Zumindest in diesem letzten Aufruf kommt der Expressionismusforscher dem Stil der Texte seines Forschungsgegenstandes sehr nahe. In seiner breit angelegten, allerdings eher für die Kriegszeit aussagekräftigen Untersuchung über Die Schriftsteller und Europa macht PAUL MICHAEL LÜTZELER für die Kaiserzeit auf eine widersprüchliche Situation der literarischen Intelligenz in Deutschland aufmerksam (46). Einerseits waren, worauf später ζ. B. Heinrich Mann und nostalgisch auch Stefan Zweig verwiesen, die Möglichkeiten zum Leben als europäischer Kosmopolit in sehr starkem Maße vorhanden, wozu Lützeler meint: »der Kommunikation zwischen den europäischen Intellektuellen [waren] viel weniger Schranken gesetzt als in den Jahrzehnten

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nach dem Krieg« (205). Andererseits kann er bei den allermeisten Schriftstellern nur eine europakritische und dem angeblich prosaischen Amerika abgewandte Geisteshaltung feststellen. Viel eher sei der Ferne Osten Wunschtraum und Ideal utopischer Überlegungen gewesen. Lützeler vermerkt abschließend, daß in Deutschland ein intellektuelles Manifest wie die russischen »Vechi« (= Wegzeichen, 1909), in denen Angehörige der Intelligencija zur Übernahme eines westeuropäischen Zivilisationsmodells in Rußland aufriefen, in Deutschland unmöglich gewesen wäre. Daß es im deutschen Sprachraum auch andere Formen der Auseinandersetzung mit den Problemen der Moderne gab, darauf macht ENDRE KlSS in seinem Vergleich zwischen Wiener und Berliner Intellektuellen aufmerksam (40). Allerdings ist sein Aufsatz zunächst nur als Vorüberlegung zu einer anstehenden Ausarbeitung, auf deren Notwendigkeit der Autor verweist, zu lesen. Dabei ist eine Sympathie des ungarischen Autors für die k.u.k. Monarchie nicht zu übersehen. Ein Vergleich der beiden >Vorkriegs-Modernen< müsse von zwei Thesen ausgehen, die deren unterschiedliche Strukturen definieren. Zunächst habe es in beiden Staaten unterschiedliche >Machtkomplexe< gegeben, im deutschen Kaiserreich einen national, etatistisch und autoritär orientierten, im österreichischen einen eher liberal und multinational ausgerichteten. Die zweite These von Kiss hypostasiert, daß unterschiedliche Paradigmen von Denkrichtungen bei den jeweiligen Intellektuellen vorherrschend waren. In Deutschland sei der philosophische Neukantianismus, der Historismus und der Kathedersozialismus dominant gewesen, in Österreich der Positivismus, der »Präsentismus« (vom Autor als Gegensatz zum Historismus gebildet, das Vorrecht der Gegenwart betonend) und die Österreichische Schule der Nationalökonomie. Diese hegemonen Paradigmen, so schlußfolgert Kiss, hätten die Auswirkung gehabt, daß in Deutschland eine >selektive< Einstellung bezüglich Aufgaben der Moderne, in Österreich-Ungarn jedoch eine konsequent kohärente existierte. In der Forschung über Heinrich Manns Roman Der Untertan hat sich in jüngster Zeit eine Auseinandersetzung entwickelt, die die Frage der Bewertung der Gestalt Diederich Heßlings betrifft. REINHARD ALTER sieht in seiner Studie Die bereinigte

Moderne

den Untertan

als »Prüfstein für die Kaiserreich-

Debatte« an (2, 1). In einem Angriff gegen den Roman, so stellt er fest, komme fast immer - auch noch in der Bundesrepublik - eine konservative Gesinnung, die Auffassung von >Verrat und DolchstoßUngleichzeitigkeiten< einer Zeit des raschen Übergangs vom Ständestaat zur modernen Industrie- und Klassengesellschaft« (19) emporarbeitenden Kleinbürger. Dabei wird die fiktive persönliche Entwicklung der literarischen Gestalt sowohl während ihrer Ausbildungsphase als auch während des Aufstiegs zum Großindustriellen sehr eng vor dem Hintergrund der konkreten historischen Situation im späten deutschen Kaiserreich nachgezeichnet. Allerdings, so gibt Alter zu Bedenken, gestatte es die im Untertan geäußerte massive Bürgerkritik keineswegs, Rückschlüsse auf eine radikale oder liberale Utopie Manns zu ziehen. Vielmehr sei auch Heinrich Mann immer >Bürger< geblieben und habe an seiner bereits früh gefundenen Einstellung betreffs der außergewöhnlichen Bestimmung des deutschen Bürgertums bis in die Weimarer Republik festgehalten und seine Vorstellungen über einen deutschen Sonderweg in den jeweiligen Zeitverhältnissen konkretisiert. So dürften in dem Untertan nicht allein die ätzend-satirischen Darstellungen des Wilhelminischen Bürgertums gesehen werden, sondern es sei notwendig, daraus Erkenntnisse über die spezifische Utopie einer deutschen Republik zu ziehen, wie sie von einem der bedeutendsten Intellektuellen im Deutschland jener Jahre konstruiert worden ist. Auf einen in Deutschland im Vergleich zu Frankreich vorhandenen »Rückstand der Professionalisierung bei Schriftstellern und Journalisten« sowie auf eine Abneigung, sich diesseits des Rheins der wenig angesehenen Gruppe von Personen zuzuordnen, die ihren Lebensunterhalt mit Schreiben verdienen, hatte Christophe Charle hingewiesen (vgl. 15, 110). In einer profunden sozialgeschichtlichen Analyse hat jetzt BRITTA SCHEIDLER die literarische Intelligenz im Zeitraum von 1880 bis 1933 hinsichtlich ihrer materiellen und sozialen Ausgangslage, ihres Selbstverständnisses und Anspruchsdenkens, der Reaktionen der Bezugsgruppen - hier besonders des Besitz- und Bildungsbürgertums - , sowie hinsichtlich der ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen dargestellt (63). Mit reichem Zahlenmaterial belegt die Autorin, daß zwar mit der Reichsgründung eine immense Expansionsmöglichkeit für den literarischen Markt gegeben war, doch unabhängige Schriftsteller überaus selten waren. Scheidler verweist auf die Diskrepanz zwischen >Beruf< und >BerufungVersagen< der Intellektuellen ausgerichtet. Andererseits ist die Intellektuellendebatte in der Zeit selbst geprägt vom Erlebnis des Krieges und der Revolution. Damit ist nicht nur das unmittelbare Fronterlebnis gemeint; gerade die hitzigen, vor einem großen Publikum ausgetragenen Diskussionen und Meinungskämpfe während des Krieges haben bei den Gebildeten das Bewußtsein über Formen und Möglichkeiten öffentlicher Intervention, haben eine Atmosphäre für intellektuelle Tätigkeit im modernen Sinne erst entstehen lassen. So kann GABRIELE SCHNEIDER über den Ersten Weltkrieg zusammenfassend sagen, er habe einen »Katalysatoreffekt sowohl hinsichtlich der Selbstkonstitution der Intellektuellen als Intellektuelle als auch hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Relevanz« gehabt (64, 176). Mit dem Überfall auf Belgien durch die

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deutsche Armee im August 1914 endete der vom überwiegenden Teil der deutschen Gebildeten als >lähmend< empfundene Frieden. Die tagespolitischen Ereignisse rückten nun in den Vordergrund der Aufmerksamkeit und die umfassende Solidarität fast aller Gebildeten mit der Politik ihrer Staatsführung drückte sich in zahlreichen, vorwiegend chauvinistischen und annexionistischen Manifesten und Aufrufen aus. Über die Initiativen, die von deutschen Hochschullehrern ausgingen, hat bereits vor längerer Zeit KLAUS SCHWABE eine gründliche Darstellung geliefert (65). Unter den Unterzeichnern des berühmten »Aufrufs der 93 >An die Kulturweltdie 93 < gegen den Vorwurf deutscher Kriegsschuld und -Greueltaten in Belgien. Mit der Gründung eines »Kulturbundes deutscher Gelehrter und Künstler« schließlich, in dem auch im Ausland hochangesehene Persönlichkeiten vertreten waren, wollte man eine Propagandaorganisation schaffen, die besonders das neutrale Ausland von der These überzeugen sollte, daß das Deutsche Reich schuldlos überfallen worden sei. Die Kriegsgegner versammelten sich im »Bund neues Vaterland«, doch Schwabe verweist darauf, daß die Vorstellung einer Läuterung vom >Vorkriegssittenzerfall< durch den Krieg viel verbreiteter war. Interessant ist hier noch der Hinweis auf die sogenannte »Intellektuellen-Eingabe« vom 20. Juni 1915, in der eine alldeutsche Initiative in aggressivster Form expansive Kriegsziele darlegte. Vorbereitet wurde sie von Heinrich Claß, Alfred Hugenberg und Emil Kirdorf. Unter den 1347 Unterzeichnern waren 352 Hochschulprofessoren. Schwabe stellt als einzigen rühmlichen Widersacher Hans Delbrück heraus. Der Berliner Historiker startete eine Gegeneingabe mit allerdings nur 141 Unterschriften. Er versuchte damit, wie er es nach dem Krieg zum Ausdruck brachte, »dem Sturm rasender Leidenschaften gegenüber die Stimme der Vernunft [...] zu Gehör zu bringen« (hier 72). Es ist Schwabes Verdienst, daß er im Anschluß an die Fischer-Debatte einen der, wie er selbst es vermerkt, Bausteine zur Darstellung der Haltung der bürgerlichen Intelligenz im Ersten Weltkrieg geliefert hat und dies bezüglich der Professorenschaft als einer der wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen, die er charakterisiert als »uneigennützig, staatstragend und staatstreu wie kaum eine andere Schicht im wilhelminischen Reich« (188). Mit dem >Aufruf der 93 < beschäftigt sich ein Aufsatz von BERNHARD VOM BROCKE näher, der in einem Sammelband über den berühmten klassischen Philologen Wilamowitz-Moellendorff veröffentlicht ist (7). Vom Brocke hatte einleitend das Phänomen festgestellt, »daß die Intellektuellen aller kriegführenden Länder in ihrer überwältigenden Mehrheit Wort und Feder in den Dienst ihrer Nation stellten« (649) und der Altphilologe sich daran an herausragender Stelle beteiligte. Wilamowitz-Moellendorff war Anreger und Verfasser des mit über 4000 Unterschriften herausgegebenen Manifestes »Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches« vom 16. Oktober 1914. In diesem findet sich eine positive Bewertung des deutschen Militarismus, der für die gesamte Kultur Europas kämpfe. Es vertritt die These der Einheit der deutschen Kultur - des in der Goethezeit begründeten geistigen Deutschlands - und des deutsch-preußischen Militarismus. Als Verfasser des >Aufrufes< vom 4. Oktober, den neben den

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Hochschullehrern auch bildende Künstler und Schriftsteller unterzeichneten (Richard Dehmel, Hermann Sudermann und Gerhart Hauptmann gehörten dazu), kann vom Brocke Ludwig Fulda kenntlich machen. Die Reaktionen im Ausland waren durchweg negativ. In England und Frankreich wurde nun auch die deutsche Wissenschaft als Dienerin der imperialistischen Wilhelminischen Politik angesehen. Der Autor sagt dazu: »Zwei internationale Phantome, die Internationale der Wissenschaftler und die internationale Arbeitersolidarität, waren in nichts zerflossen« (709). Vom Brockes Aufsatz ist sehr informativ, bietet viele Quellen und Literaturverweise und druckt in der Anlage auch noch den >Aufruf< und die >Erklärung< sowie zwei Briefe Ludwig Fuldas ab, die dessen Verfasserschaft für den >Aufruf< bestätigen. In der Zeit des Ersten Weltkriegs kam es nicht nur in den expressionistischen Zeitschriften verstärkt zu Aufrufen an Dichter und Künstler, öffentlich tätig zu werden. In den Texten zeigt sich jetzt besonders, daß sich das Verständnis vom Intellektuellen im modernen Sinne langsam durchgesetzt zu haben scheint. Alle diese Texte und Initiativen sind hinsichtlich der Formierung und Etablierung eines modernen Intellektuellentyps in Deutschland noch zu wenig beachtet und so sei auf einige hier kurz verwiesen. RUDOLF LEONHARD spricht beispielsweise in seinem kleinen Aufsatz Die Politik der Dichter davon, daß das Wesen des Dichters aus Unruhe, Betätigung und Wirkung bestehe und dies für jeden Staat notwendig sei (Die Weissen Blätter, 2. Jg. 1915). Als Vorbilder nennt er Voltaire, Rousseau, Beaumarchais in Frankreich und Heine, Heinrich Mann und Rene Schickele in Deutschland. Der Herausgeber der Weissen Blätter bedankte sich für seine Erwähnung mit einem Nachwort, in dem er zur »Disziplinierung der Intellektuellen« aufruft. Keine »Redekränzchen« seien notwendig, sondern geduldige, nicht parteipolitisch orientierte Tätigkeit unter Kenntnis der politischen Vorgänge und Arbeit. In OTTO FLAKEs Bericht Von der jüngsten Literatur von 1915 findet man die bis dato ausführlichste und dem modernen Verständnis gemäßeste Beschreibung des Intellektuellen (24). Flake kommentiert die Entwicklung der deutschen Literatur nach dem Naturalismus als Rückzug in das Beharrende und Flucht in »altgermanische Selbstentäußerung« (1277). Doch sei die Unzulänglichkeit mit den realen Machtverhältnissen bestehen geblieben, was er als Geburtsstunde des deutschen Intellektuellen bewertet. Es lohnt sich, diese Beschreibung (1278f.) zu zitieren: [...] aus diesem Haß oder mindestens der kalten bewußten Entfremdung wurde eine ganz neue, bestimmt gefärbte Opposition geboren, durch einen Akt der Selbsthilfe entstand, später als in anderen Ländern, und noch heute bei uns nicht als berechtigt erkannt, der Intellektuelle [i. O. Gesperrrt], [...] er rechnet [...] scharf und unerbittlich mit den Fehlern des ganzen Systems ab und ist sich mit der Zähigkeit dessen, der nicht angreifen darf, bewußt, daß er gleichberechtigt ist und eine große Macht, den Geist, vertritt. [...] Er ist nicht mehr deutsch im alten Sinne, weil er nicht faustisch die ganze Welt haben und auch nicht alles verstehen will [...], sondern er ist Methodiker und Stratege, der seine Kräfte auf einen Punkt vereinigt. [...] Der Vater der deutschen intellektuellen Literatur ist Heinrich Mann.

Doch ist ihm Manns neuer Roman Der Untertan zu destruktiv, er vermißt die utopische Komponente und stellt daher eher den >Moralisten< Wedekind heraus. In der Kriegszeit war die neutrale und zentral gelegene Schweiz ein beliebter Treffpunkt von Kriegsgegnern aus ganz Europa. Hier erschienen auch Publika-

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tionen von Pazifisten und zur Versöhnung aufrufenden Autoren. So ist unter der Mitarbeit von Eduard Bernstein, Georg Brandes, Lujo Brentano, Anette Kolb und Bertrand Rüssel sowie weiteren Autoren aus Deutschland, Österreich, England, Italien und Rußland (die französischen Autoren zogen ihre Beiträge zurück) in Zürich - allerdings nur für den Jahrgang 1915 - die Internationale Rundschau unter der Redaktion von Rudolf Wilhelm Huber herausgegeben worden. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, gegen den »Verleumdungsfeldzug gegen die Ehre des [jeweiligen] Feindes« anzukämpfen (1) und den Gedanken einer europaweiten Zusammenarbeit der Intellektuellen zu stärken. Unter diesem Aspekt beleuchtet Lützeler (vgl. 46) dieses Unternehmen. In der Schweiz sieht er den geeigneten Ort, »um Themen zu diskutieren, welche die Grenzen nationaler Belange und Interessen transzendierten« (249). Lützelers Arbeit, die für die intellektuellen Aktivitäten im Ersten Weltkrieg viel aussagekräftiger ist als für die vorhergehende Friedenszeit, referiert zunächst die >peinlichen< chauvinistischen Kundgebungen fast aller europäischen Schriftsteller zum Kriegsbeginn, die meistens in dem Vorwurf gipfelten, der jeweilige Gegner strebe die Hegemonie in Europa an. Vor dem Hintergrund des Europa-Gedankens bespricht Lützeler dann einzelne Texte wichtiger Autoren, die sich von der allgemein nationalistischen Stimmung nicht haben beeinflussen lassen, sondern fur die Notwendigkeit einer europäischen Gemeinschaft eintraten, wie ζ. B. Heinrich Mann mit seinem Essay Der Europäer vom Oktober 1916 mit der Begriffsprägung vom »gemeinsamen Haus« der Europäer (hier 244). Häufig waren diese Texte Reaktionen auf überhitzte Manifeste nationalen Großmachtdünkels eigentlich hochangesehener Kulturschaffender. So konnte in der Internationalen Rundschau nur fassungslos beklagt werden: »Der Geist ist ein Sklave des Instinkts geworden, nicht sein Meister« (170). In dieser Zeitschrift gab es zunächst psychologische Untersuchungen über Gerüchte von Kriegsgreuel und die Verwertbarkeit von scheinbar objektiven Aussagen. Verschiedene Friedensvorschläge von Diplomaten und Politikern wurden in offenen Briefen diskutiert. Doch diese Initiativen, wie ζ. B. auch die Gründung einer »Europäischen Gesellschaft zur Verständigung der Intellektuellen« waren zum Scheitern verurteilt. Immer wieder hatte sich gerade Romain Rolland um ein gemeinsames Vorgehen der europäischen Intellektuellen bemüht und dazu besonders die deutschen Schriftsteller aufgerufen. Im Literarischen Echo (Jg. 17, 1914/1915) gibt es dazu einen Bericht und den Abdruck eines Briefwechsels mit Gerhart Hauptmann, den Rolland zum Protest gegen die >verbrecherische< deutsche Politik speziell in Belgien aufforderte. Doch dagegen wehrte sich Hauptmann. Er sah den Krieg als eine gerechte Sache an. Daraufhin zog sich Rolland resigniert zurück, mit den Worten: »Armes Deutschland! Von deinen geistigen Führern verraten wie von denen, die handeln!« (ebd. 187). Die Borniertheit und der falsche Stolz der deutschen Gebildeten wird ebenfalls deutlich in einem Briefwechsel zwischen Rolland und August Messer, der in Eugen Diederichs Zeitschrift Die Tat (Nr. 7, 1915) abgedruckt ist. Dabei kann man erkennen, daß es vor allen Dingen die unterschiedliche Bewertungen der Ereignisse in Belgien waren, die ein Zusammengehen gemäßigter deutscher und französischer Intellektueller zu Beginn des Krieges verhinderten.

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Sicherlich ist die deutsche Aktivismus-Bewegung nicht als >gemäßigt< zu bezeichnen. Mit der gleichen Radikalität alldeutscher Großmachtphantasten traten sie für einen sofortigen Frieden ein und forderten nichts weniger, als daß alle Intellektuellen sich bedingungslos dieser Aufgabe hingäben. Über die Art der Forderungen und deren aufrüttelnden Stil gibt eine Textsammlung Auskunft, die von WOLFGANG ROTHE herausgegeben worden ist (60). Wie später Michael Stark es für die Expressionisten versuchte (70), wollte auch Rothe mit seiner Veröffentlichung dazu beitragen, daß die Aktivisten als positive Beispiele intellektueller Verantwortlichkeit in der jeweiligen Gegenwart dienten. Er stellt in seiner Einleitung den Bezug zur 68er Bewegung her und vermerkt polemisch, daß die Aktivisten »verantwortungsvolle, informierte, konstruktive Köpfe waren« und keinesfalls »wirre Hitzköpfe, enge Ideologen, sprich: Abstraktionisten und Dogmatiker« (8). Sie hätten in der Notlage im Krieg das Recht zu Protest und Revolution gehabt, wogegen heute (= 1969) die objektiven Voraussetzungen einer revolutionären Situation, fehlten, »und wer das leugnen wollte, gehört ins soziologische Proseminar« (ebda.). Die trotz der Polemik und offenen Sympathie des Autors für den Aktivismus informativ und kenntnisreich geschriebene Einleitung erläutert weiterhin für die Bewegung wichtige Begriffe wie Tat, Gemeinschaft, Geist und Religion und versucht eine Abgrenzung zum Expressionismus, bevor dann Artikel von Hiller, Rubiner, Max Brod, Gustav Landauer, Alfred Wolfenstein, Kurt Pinthus u. a. abgedruckt werden. ECKART KOESTER hat als erster eine umfassendere Sammlung publizistischer Äußerungen deutscher Schriftsteller während des Ersten Weltkrieges herausgegeben und sich darum bemüht, die erschreckenden patriotischen Verlautbarungen fast aller Schriftsteller zu Kriegsbeginn nicht als »zwischenzeitliche Verirrungen< ansonsten moralisch integrer Persönlichkeiten darzustellen (41). Vielmehr weist Koester in seinem umfangreichen Anfangskapitel auf Positionen in der Vorkriegsliteratur hin, die einen Bruch zwischen den Haltungen einzelner Schriftsteller ab 1914 zumindest fragwürdig erscheinen lassen. Der Autor redet daher eher von unterschiedlichen Aspekten einer Motivation des politischen Engagements durch schriftstellerische Veröffentlichungen für oder gegen den Krieg sowie von einer »Genese der dabei vorgetragenen Auffassungen über Kunst und Politik« (14). Ausführlich wird die apologetische Kriegspublizistik angeführt und systematisiert. Auch das gegensätzliche Begriffspaar >Kultur< und >Zivilisation< wird umfassend in seiner Verwendung beleuchtet und am Beispiel des Brudergegensatzes Heinrich und Thomas Mann entfaltet. Gerade Heinrich Manns Zola-Essay von 1915, der hier als Gegenentwurf zu Thomas Manns Friedrich-Essay von 1914/1915 gedeutet wird, wird als wichtigstes Beispiel literarischer Opposition gegen den Krieg, ein »geradezu singuläre[r] Verdienst« (338), angeführt. Je weiter der Krieg sich hinzog, desto vernehmlicher und zahlreicher wurden allerdings auch die Stimmen, die sich für einen baldigen Frieden einsetzten. So berichtet Koester über den Aktivismus und speziell Hillers Tätigkeit und über die ab 1916 erscheinenden Zz'e/-Jahrbücher, in denen Autoren wie Alfred Kerr, Franz Werfel, Max Brod, Ludwig Rubiner, Rudolf Leonhard, Alfred Kurella und Walter Benjamin mit der Feder für den Frieden kämpften.

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Als Fortführung von Koesters Arbeit ist die auf zwei Bände erweiterte Konstanzer Dissertation von HELMUT FRIES, Die große Katharsis. Der Erste Weltkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter, gedacht (25). Trotz der verdienstvollen methodischen Vorgehensweise, hauptsächlich auf Publizistik einzugehen, da sich die einzelnen Grundpositionen hier »zumeist sehr viel offener ausgedrückt [finden] als in den literarischen Werken aus der Zeit des Ersten Weltkriegs« (10), sind auf einige Mängel hinzuweisen. Basis von Fries' Überlegungen ist die These, daß die Deutschen den Krieg als notwendig gewordene Katharsis begriffen und die durch den langen Frieden bedrohte innere und äußere Einheit des Deutschen Reiches >im WafTengang< gestärkt werden sollte. Damit will er die »im Rückblick zunächst so überraschende Kriegsbejahung nahezu aller Deutschen vom Sommer 1914« (2) erklären. Das ist zunächst einmal keine so neue Erkenntnis, als daß sie den überheblichen Tonfall in der Darstellung (»Ignoranz der Forschung«, 9) rechtfertigen würde. Im ersten Band bemüht sich der Autor darum, eine komplette Kulturgeschichte des Kaiserreiches nachzuzeichnen, die angesichts der Themenstellung schematisch und überfrachtet wirkt. Verwundert liest man die lange historische Einführung und fragt sich, ob Fries vielleicht glaubt, daß Literaturwissenschaftler keine historischen Werke lesen. Erst im zweiten Band bringt er dann endlich die >Sicht deutscher Dichten auf den Krieg - die im Titel angekündigte > Sicht der Gelehrtem bleibt größtenteils ausgespart. Der Autor versucht anfangs, die Gründe für die umfassende Kriegsbegeisterung aus den kulturellen und technischen Entwicklungen des Kaiserreichs herauszuarbeiten. Untersuchungsgegenstand sind kunstprogrammatische und kulturtheoretische Schriften, keine fiktionale Texte. Darin sieht Fries die bestimmende literarische Entwicklungslinie von 1871 bis 1914: von der >hohen und schönem Literatur zur Prosa der offenen Form. Verantwortlich dafür sei eine rasante technische Entwicklung und die Herausbildung eines Massenpublikums. Spätestens an dieser Stelle kann man zu der Annahme kommen, der Autor versuche etwas als neue Entdeckung auszugeben, was längst bekannt ist (»Es ist bisher kaum erkannt worden, wie sehr diese Auffassung eines einzigartigen, zur Führung der Welt berufenen deutschen >Sonderwesens< die anfängliche Deutung des Ersten Weltkriegs beherrschte«, 10). Störend wirken die zahlreichen begrifflichen Unscharfen (der Autor will einerseits die Strömungen des Ästhetizismus und der Heimatkunst untersuchen, andererseits aber die »zahlreichen Seitenströmungen [!] der deutschen Literatur um 1900, wie ζ. B. Neoklassik, Jugendstil und Symbolismus« ausklammern, 16), viele Ungenauigkeiten (auf Seite 3 weist der Autor auf ein »steigende[s] Bildungsniveau der deutschen Bevölkerung« hin, zwei Seiten später redet er von der »wachsenden Unwissenheit der Massen«) oder die Verwendung von Platitüden als Argumente (die geringe Resonanz literarischer Werke beim zeitgenössischen Publikum habe eine Sinnkrise literarischen Schaffens vor dem Weltkrieg ausgelöst, 18). Die Arbeit von Fries stützt sich auf eine breite Basis von Primärliteratur und gewinnt dadurch einen informativen Reiz. Man fragt sich jedoch, ob der Autor aus Ignoranz oder Überheblichkeit so bedeutende Forschungswerke wie die Arbeiten Ringers oder Starks zu seiner ohnehin schmalen Sekundärliteraturliste nicht hinzugefügt hat.

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Bedeutsamer und anregender für die Diskussion um die Stellung der Intellektuellen im Ersten Weltkrieg ist die jüngst von WOLFGANG J. MOMMSEN herausgegebene Aufsatzsammlung Kultur und Krieg: Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg (43). Die hier vorliegen-

den 19 Essays eines wissenschaftlichen Kolloquiums kreisen um die Frage der Haltung der kulturellen Eliten im Ersten Weltkrieg und des Einflusses ihrer Auffassungen in den (verfassungs-)politischen Auseinandersetzungen in diesen vier Jahren. In vier Oberkapiteln werden die Sozial- und Geschichtswissenschaften, die bildende Kunst und die Literatur abgehandelt, eingerahmt von einem allgemein einleitenden Aufsatz des Herausgebers und einer von Gangolf Hübinger unter dem Stichwort »Das Scheitern einer neuen Kultursynthese« vorgelegten abschließenden Arbeit über »Eugen Diederichs' Bemühungen um die Grundlegung einer neuen Geisteskultur«. Auffällig ist zunächst die Titelgebung des Sammelbandes, die in Verbindung mit der Inhaltsangabe suggerieren könnte, Sozial- und Geschichtswissenschaftler seien die Intellektuellen, bildende Künstler und Schriftsteller eine Sondergruppe. Diese Aufzählung wird unkommentiert beibehalten, man sollte aber vielleicht versuchen, eher eine Unterscheidung bezüglich des Mediums der Mitteilung ihrer Reaktionen auf den Krieg zu treffen. Durch eine veränderte Akzentuierung der Betrachtungsweisen kann dieser Band interessante Erkenntnisse mitteilen. Blickt man beispielsweise auf das» was bildende Künstler über den Krieg in diesen vier Jahren selbst gesagt haben und nicht erst in der Zeit nach 1918, so muß man feststellen, daß auch diese wie alle anderen Gruppen zunächst kriegsbegeistert waren und Pazifisten als extreme Ausnahmen erschienen. Mommsen stellt in seiner Einleitung eine grundsätzliche Tendenz fest: »Mit dem weiteren Fortgang des Krieges verschärften sich die Richtungskämpfe unter den kulturellen Eliten im Deutschen Reich immer stärker« (14). Einerseits setzte sich die Moderne und Avantgarde mit einer zunehmend sozialistischen Tendenz durch, andererseits war eine Verhärtung der Opposition zu beobachten, ein Grabenkampf, der richtungsweisend für die 20er Jahre werden sollte. Der Gewinn dieses Buches liegt darin, daß in der Zusammenführung von Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen ein vielseitiger Blick auf die Situation gewährleistet ist, nur so kann Intellektuellengeschichte geschrieben werden. Ohne die verdienstvollen Einzelanalysen in ihrer Bedeutung schmälern zu wollen, so verdienen die jeweils die Oberkapitel einleitenden Überblicksanalysen doch eine besondere Aufmerksamkeit, ζ. B. gleich der erste von HANS JOAS bezüglich der Sozialwissenschaften (17-29). Er stellt fest, daß »selbst die wirklichkeitsgesättigten Sozialwissenschaften oder politikfernen Naturwissenschaften« mit propagandistischen Pamphleten den »rechten Weg wissenschaftlicher Objektivität« verließen (17). Durch Heranziehen vergleichbarer Aussagen französischer und amerikanischer Soziologen kommt er zu dem Ergebnis, daß bei allen Gemeinsamkeiten sich bei den deutschen Soziologen kein »prinzipiell positives Verhältnis zur Tradition aufklärerischer Friedensutopien« findet (21). Eine interessante Tendenz zeigt JÜRGEN VON UNGERN-STERNBERG auf ( Wie gibt man dem Sinnlosen

einen Sinn? Zum Gebrauch

der Begriffe

>deutsche

Kultur< und >Militarismus< im Herbst 1914, S. 77-96). Er stellt heraus, daß die

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Kriegsbegeisterung gerade unter den Gelehrten keinesfalls emphatisch und urwüchsig gewesen sei. Vielmehr sei man von der Notwendigkeit eines Entscheidungskampfes um die Behauptung der deutschen Kultur oder deren Untergang überzeugt gewesen und predigte deshalb nationalistisch, wobei man kaum an eine weltweite Missionierung gedacht hätte. Weiterhin weist UngernSternberg auf die Notwendigkeit hin, bei der Betrachtung der Gelehrtenerlasse, Kundgebungen und Aufrufe zwei Punkte zu beachten, zum einen den Einfluß amtlicher Stellen, zum anderen solle berücksichtigt werden, »daß der >Krieg der Geisten ein polemisches Gespräch war« (90) und deshalb die Positionen der Kommunikationspartner immer mit einbezogen werden müssen. Darauf aufbauend kommt er zu einem differenzierteren Blick auf die Erlasse zur Verteidigung des deutschen Militarismus, die von Gelehrten verfaßt und unterschrieben wurden, die sich selbst wohl kaum als Militaristen bezeichnet hätten. Das Kapitel Über die bildenden Künstler ist durch schöne Bildbeigaben ergänzt. PETER PARET kommt in seinem einführenden Aufsatz (155-164) zu dem Ergebnis: »an vielen Künstlern [...] ging der Krieg vorbei« (159) und es folgt die - nicht überraschende - Aussage, daß die besten und interessantesten Werke von Künstlern stammten, die Kriegsdienst leisteten oder geleistet hatten. Trotzdem, so Paret, nähme der Krieg allgemein weniger Raum ein, als vielleicht zu erwarten stünde. Er sei erst in den 20er Jahren zum überragenden Thema in der bildenden Kunst geworden. Joes SEGAL kann seine in seinem Aufsatztitel geäußerte These, »Krieg als erlösende Perspektive der Kunst«, leider nicht belegen (165-170). Überzeugend jedoch sind die beiden eindrucksvollen Einzelanalysen von CHRISTIAN LENZ und DIETRICH SCHUBERT über Kirchner, Meidner, Beckmann und Otto Dix im Krieg. Die vier Beiträge über die Literatur beginnen mit einem Überblick von GÜNTHER HÄNTZSCHEL über Aussagen von Schriftstellern in der weitverbreiteten Zeitschrift Das literarische Echo (209-219). Er stellt eine »schreib- und veröffentlichungsstimulierende Kraft« des Krieges fest (211), doch seien die Produkte qualitativ kaum überzeugend gewesen. Die Erwartungen an eine Erneuerung der deutschen Literatur hätten sich keineswegs erfüllt, vielmehr habe die Vielschreiberei zu einer Nivellierung gefuhrt. Häntzschel stellt hier nur ein vorläufiges Arbeitsergebnis nach Durchsicht des 17. Jahrgangs der Zeitschrift von 1914/1915 vor. Man darf auf die Ergebnisse seiner geplanten Gesamtdurchsicht gespannt sein. ANDREAS SCHUMANN blickt auf die Kriegsliteratur kanonisierter Autoren wie Hauptmann, George, Rilke, Hofmannsthal, und Hesse - von denen niemand aktiven Kriegsdienst geleistet hatte - und vermerkt, daß auch bedeutende Schriftsteller in dieser Zeit ruhmlose Werke verfertigten (221-233). Diese Autoren sahen sich zwar als Außenstehende mit eigenen inneren Kämpfen, sie erkannten jedoch die Notwendigkeit des Krieges als Abkehr aus dem verfemten Alltagsgeschäft für >normale Menschen« an. Zwar hatten alle unterschiedliche Auffassungen zum Krieg, Schumann konstatiert jedoch insgesamt eine nur spärliche, von der breiten Bevölkerung weitgehend unbeachtete Teilnahme der großen Autoren an der Kriegsdiskussion: »Die kanonisierten Autoren scheinen deutlich an einem breiten Interesse vorbeigeschrieben zu haben« (233). Alle wesentlichen Aspekte der Kriegsdiskussion innerhalb der literari-

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sehen Intelligenz reißt T H O M A S A N Z in seinem hervorragenden Artikel Vitalismus und Kriegsdichtung ( 2 3 5 - 2 4 7 ) an: Krieg als Katharsis, Haß auf die Wilhelminische Gesellschaft und den faulen Frieden, Aufbruchstimmung. Es sei, meint Anz, zu berücksichtigen, daß in den allermeisten Lobpreisungen von Schriftstellern der Krieg nicht als militärisches Mittel zur Durchsetzung der imperialistischen Großmachtpolitik gesehen, sondern apologisiert worden sei. D e n Vitalismus sieht Anz als verbindendes Glied zwischen den vorherrschenden Strömungen des Futurismus, Expressionismus und später des Dadaismus. In der Auffassung, daß sich das Individuum dem breiten Strom des Lebens unterzuordnen habe und daß der Krieg als Urerlebnis eine gemeinsame, rauschhafte Feier mit sich bringen werde, erkennt er die allgemeine Grundstimmung der literarischen Avantgarde zum Kriegsbeginn. Danach zeichnet der Autor den weiteren Weg des Vitalismus über die Stationen der desillusionierenden Ernüchterung, des Pazifismus bis zum revolutionären Engagement nach. Deutlich wird in diesem Sammelband, daß der Erste Weltkrieg einen entscheidenden Beitrag zur Genese der Positionen intellektueller Persönlichkeiten während der Weimarer Republik geleistet hat.

Bibliographie 1. Allen, Ann Taylor: Satire and Society in Wilhelmine Germany. Kladderadatsch & Simplicissimus 1890-1914. Kentucky: University Press, 1984. 2. Alter, Reinhard: Die bereinigte Moderne. Heinrich Manns >Untertan< und politische Publizistik in der Kontinuität der deutschen Geschichte zwischen Kaiserreich und Drittem Reich. Tübingen: Niemeyer, 1995. 3. Bering, Dietz: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes. Stuttgart: Klett-Cotta, 1978. 4. a) Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Band 1-4. Hier verwendet: Teil 1: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen. Hrsg. von Werner Conze u. Jürgen Kocka. Stuttgart: Klett-Cotta,21992. b) Teil 4: Politischer Einfluß und gesellschaftliche Formation. Hrsg. von Jürgen Kocka. Stuttgart: Klett-Cotta, 1989. 5. Bock, Hans Manfred: Die >Literaten- und Studenten-Revolte< der Jungen in der SPD um 1890. In: Das Argument 13 (1971), H. 63, S. 22-41. 6. Brocke, Bernhard vom: Professoren als Parlamentarier. In: 18, S. 55-92. 7. - : >Wissenschaft und Militarismus^ Der Aufruf der 93 >An die Kulturwelt< und der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik im Ersten Weltkrieg. In: Wilamowitz nach 50 Jahren. Hrsg. von William M. Calder, Hellmut Flashar u. Theodor Lindken. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1985, S. 649-719. 8. Bruch, Rüdiger vom: Kunst und Kulturkritik in führenden bildungsbürgerlichen Zeitschriften des Kaiserreichs. In: Ideengeschichte und Kunstwissenschaft. Philosophie und bildende Kunst im Kaiserreich. Hrsg. von Ekkehard Mai, Stephan Waetzoldt u. Gerd Wolandt. Berlin: Mann, 1983, S. 313-347. 9. - : Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland. In: 18, S. 105-150. 10. - : Gesellschaftliche Funktionen und politische Rollen des Bildungsbürgertums im Wilhelminischen Reich. Zum Wandel von Milieu und politischer Kultur. In: 4b, S. 146-179. 11. - : (Hrsg.): >Weder Kommunismus noch KapitalismusDie Aktion< 1911-1932. Köln: Pahl-Rugenstein, 1972. 55. Petersdorff, Dirk von: Mysterienrede. Zum Selbstverständnis romantischer Intellektueller. Tübingen: Niemeyer, 1996. 56. Pierson, Stanley: Marxist Intellectuals and the Working-Class Mentality in Germany, 1887-1912. Cambridge, Mass., London: Harvard Univ. Press, 1993. 57. Ringer, Fritz K.: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933. Aus d. Amerikanischen von Klaus Laermann. Stuttgart: Klett-Cotta, 1983. [1969] 58. - : Fields of Knowledge: French Academic Culture in Comparative Perspective, 18901920. Cambridge: Univ. Press/Paris: Editions de la Maison des Sciences de l'Homme, 1992. 59. Rosch, Gertrud Μ.: Ästheten. Intellektuelle. Schlawiner. Drückeberger. Die Auseinandersetzung um die moderne Malerei im >Simplicissimus< 1910-1921. In: 27, S. 334-345. 60. Rothe, Wolfgang (Hrsg.): Der Aktivismus 1915-1920. München: dtv, 1969. 61. Rubiner, Ludwig: Künstler bauen Barrikaden. Texte und Manifeste 1908-1919. Hrsg. von Wolfgang Haug. Darmstadt: Luchterhand, 1988.

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62. Sadri, Ahmad: Max Weber's Sociology of Intellectuals. With a Foreword by Arthur J. Vidich. New York, Oxford: Oxford Univ. Press, 1992. 63. Scheidler, Britta: Zwischen Beruf und Berufung. Zur Sozialgeschichte deutscher Schriftsteller von 1880 - 1933. Frankfurt a. M.: Buchhändler-Vereinigung 1997 (= Sonderdruck aus dem >Archiv fllr Geschichte des Buchwesens Weimar Germany < (39, 127) läßt einen, wenn nicht gar den wesentlichen Antrieb für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Weimarer Republik erkennen: Die Hinwendung zur Weimarer Republik ist, wie die historische, aber insbesondere auch die intellektuellengeschichtliche Forschung zeigen, stets von einem mehr oder minder dringlichen Bedürfnis nach Selbstverständigung bestimmt und damit auch von Vereinnahmungsabsichten bedroht. Gerade als gescheiterte Republik ist Weimar politisch verwendungsfähig, wie Trommler am Beispiel der krisengeschüttelten USA der sechziger Jahre zeigt. Sobald sich eine Demokratie bedroht oder erschüttert fühlt - wie die USA jener Zeit durch die scharfe Spaltung, die der Vietnam-Krieg in der Gesellschaft hervorrief - steht ihr das Schreckgespenst Weimar vor Augen, das Bild einer durch innere Krisen schließlich zusammengebrochenen Republik. So erinnert Trommler daran, daß sich in Amerika im verunsicherten Klima der sechziger Jahre die Frage erhoben hatte, ob das Schicksal Weimars auch zum eigenen Schicksal werden könne. Das Beispiel der USA erweist, was für die Forschung zur Weimarer Republik generell, verständlicherweise aber insbesondere für die in Deutschland unternommene Forschung, gilt: Über aller Beschäftigung mit diesem Zeitraum schwebt wie ein Menetekel das Wissen um den Zusammenbruch der Republik. Es wirft Fragen nach den Ursachen auf und verstärkt zugleich den Wunsch, durch die Erforschung der in Weimar begangenen Fehler und Versäumnisse Ähnliches fiir die Gegenwart auszuschließen. Aus der Geschichte lernen - dieser für skeptisch-resignativ gestimmte Geister antiquiert wirkende Impuls historischer Forschung galt für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Weimarer Epoche von Beginn an und tut dies - wie jüngste Publikationen zeigen offenkundig immer noch. Hier sei nur auf den 1997 erschienenen Sammelband Vom Nutzen und Nachteil historischer Vergleiche. Der Fall Bonn-Weimar (2) verwiesen, der die skizzierte wissenschaftstheoretische Frage gerade am Beispiel der Weimarer Republik entwickelt. Aus der Geschichte lernen - für die Intellektuellen der Weimarer Republik bedeutet dies, daß sie sich nach ihrem Beitrag zum Untergang der Republik und zum Sieg des Nationalsozialismus befragen lassen müssen. Diese kritische Befragung, die freilich schon im Exil oder in der Inneren Emigration als Selbstbefragung vieler Intellektueller einsetzte, bildet ein zentrales Anliegen der Forschung über Weimarer Intellektuelle. Formuliert wird es als Frage nach der Verantwortung der Intellektuellen für das Scheitern der Republik. Dabei gilt es

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stets, den Anteil der Intellektuellen am Untergang der Demokratie unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Rolle in der Gesellschaft wie auch ihres je individuell ausgeprägten intellektuellen Selbstverständnisses zu reflektieren. In der Verbindung dieser Momente erscheint dann das Verhalten vieler Weimarer Intellektueller als >VerratVerrat der Intellektuellen< geht auf Julien Benda, einen französischen Historiker und Mathematiker, zurück, der in den zwanziger Jahren unter dem Titel »La trahison des clercs« eine umfangreiche Streitschrift über die europäische Intelligenz veröffentlichte. Weil Bendas Verdikt über die Intellektuellen seiner Zeit geradezu klassisch wurde, weil es sich zu einem Topos der Rede oder auch Schmährede über Intellektuelle entwickelte, ist im folgenden Forschungsreferat der erste, sich damit auch als Einführung in das Thema verstehende Teil dieser Schrift gewidmet. Denn obgleich Bendas Wort vom >Verrat< wie auch seine zentrale Formulierung der spezifischen Aufgabe des Intellektuellen in der Gesellschaft - seine Rede vom >Wächter< oder vom >Wächteramt< - insbesondere die Forschung über Intellektuelle der Weimarer Republik durchziehen, ist Benda selbst mit seiner Schrift von dieser Forschung auffallend wenig bedacht, zumindest selten wirklich eingehend besprochen worden. Dies verwundert um so mehr, als HEINZ ABOSCH noch 1 9 7 9 unter dem Titel Intellektuelle Gewissensprüfung (1) für die Arbeit des »französischen Superrationalisten« Aktualität beanspruchte, Benda als »gebildete[n] Geist« und »brilliante[n] Stilistjen]« rühmte und dem deutschen Publikum nun anläßlich des Erscheinens der deutschsprachigen Buchausgabe die Beschäftigung mit dem Werk »dringend« nahelegte ( 2 8 4 ) . Daß Bendas Schrift mit einer Verzögerung von einem halben Jahrhundert nach Erscheinen der französischen Erstausgabe in Deutschland publiziert wurde, kann Abosch nur als Beweis für die Erfahrung ansehen, derzufolge die verschlungenen Wege von Edition und Rezeption zuweilen ein »Rätsel« (281) darstellten, das mit der möglichen Bedeutungslosigkeit eines Werkes nicht unbedingt - und im Falle Bendas keineswegs - zu tun haben müsse. Um Bendas Verdienste wenigstens in Erinnerung zu rufen und um sein Verständnis vom vielzitierten >Verrat< zu präzisieren, bietet das erste Kapitel ein ausführlicheres Referat seiner Schrift - der »prominentesten Schrift über die Intellektuellen in den zwanziger Jahren« (Trommler, 42, 52). Ein ganz anderer Zweig der Forschung über Weimarer Intellektuelle ist auf das Selbstverständnis der Intellektuellen dieser Zeit ausgerichtet. Mit Etablierung der ersten Demokratie in Deutschland ergab sich in den Weimarer Jahren für das Wirken von Intellektuellen ein neuer staatlicher und gesellschaftlicher Rahmen, der vor allem eine Veränderung ihrer sozialen Situation herbeiführte. Intellektuelle waren gezwungen, ihr traditionelles Selbstverständnis unter den veränderten sozio-ökonomischen Bedingungen zu überdenken. Ob und wie sie dies taten, ob sie also ihre gesellschaftliche Funktion und ihren Anspruch auf

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soziales Prestige und öffentliche Wirksamkeit neu definierten, untersuchen Arbeiten, die im dritten Kapitel vorgestellt werden: Die Rolle des Intellektuellen in der parlamentarischen Demokratie - am Beispiel Weimars. Wer nach der Verantwortung von Intellektuellen für den Untergang der Republik und nach ihrer zumindest indirekten - Verantwortung für die Ermöglichung der nationalsozialistischen Machtergreifung fragt, muß auch der politischen Urteilskraft der Intellektuellen Aufmerksamkeit schenken. Daher werden im vierten Kapitel Forschungsarbeiten vorgestellt, die von Intellektuellen verfaßte zeitkritische Schriften auf ihre diagnostische Schärfe hin untersucht haben: Krisenanalysen um 1930 - Zeitdiagnostische Deutungsmuster in intellektuellen Zeitkommentaren. Wichtig, weil für das Verantwortungsproblem und sich darum rankende Fragen von erheblichem erkenntnisfördernden Wert, scheint eine Reihe von Arbeiten, in denen die Deutungsmuster analysiert werden, mit denen Intellektuelle gesellschaftliche und politische Ereignisse beschrieben und interpretierten. In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff der >Kulturnation< von besonderem Interesse, dessen Bedeutung für Weimarer Intellektuelle einige Studien reflektieren, die im fünften Kapitel vorgestellt werden: Weimarer Intellektuelle und die Kulturnation. Die jüngste Forschung zu Intellektuellen in der Weimarer Republik, die vorwiegend mit der politischen Kultur von Weimar befaßt ist, wird im abschließenden Teil über Intellektuellendiskurse der Weimarer Republik auf ihre inhaltlichen und methodischen Schwerpunkte hin beleuchtet, weil sich von dort Anregungen für die Erforschung der Weimarer Intellektuellen aus literaturwissenschaftlicher Sicht ableiten lassen: Austauscheffekte in Weimarer Intellektuellendiskursen - Ansätze jüngster Forschungen. Die Arbeiten, die präsentiert und diskutiert werden, stellen eine Auswahl aus der umfangreichen Forschung über Weimar dar, wobei die Zahl der zu berücksichtigenden Titel freilich schon durch das Kriterium »Schriftsteller als Intell e k t u e l l reduziert werden konnte. Ein vollständiges Referat aller Arbeiten über Weimarer Intellektuelle wurde nicht angestrebt. Ausschlaggebend für die Aufnahme in das folgende Forschungsreferat war vielmehr die Frage, ob ein Werk im Diskurs der Forschung über >Schriftsteller als Intellektuelle in der Weimarer Republik< innovativ-wegweisende oder paradigmatische Bedeutung besitzt oder, sofern beides nicht gesagt werden kann, ob es thematisch unbedingt einschlägig ist. Ziel der folgenden Präsentation und Diskussion von Forschungsarbeiten ist es, Leitfragen des Diskurses, den die Forschung seit Ende des Zweiten Weltkrieges über Intellektuelle in der Weimarer Republik führte, zu rekonstruieren und so den Lesern die Einordnung von einzelnen Forschungsarbeiten in die Debatten um Weimarer Intellektuelle zu erleichtern.

1. Julien Benda: Der Verrat der Intellektuellen Daß sich Intellektuelle, bevor sie in jüngerer Zeit als postmoderne Intellektuelle zu desinvolvierten Beobachtern avancierten (HAUKE BRUNKHORST, 14, 1 5 ) , über Jahrhunderte hinweg als geistige Führer, als Erzieher des Volkes begriffen,

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daß ihr Selbstverständnis also auf einem moralisch legitimierten kulturellen Führungsanspruch gründete, ist eine hinlänglich bekannte Einsicht intellektuellengeschichtlicher Forschung, nachzulesen beispielsweise in Z Y G M U N T B A U M A N S aufschlußreichem und prägnantem Überblick zum Verhältnis von Geist und Macht bei europäischen Intellektuellen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert (2, bes. 174—176). Auch JULIEN B E N D A (4) faßte in seiner 1 9 2 7 in Frankreich erschienenen Streitschrift La trahison des clercs (dt. 1978: Der Verrat der Intellektuellen)

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tellektuelle noch in dem von Bauman thematisierten traditionsreichen Sinne als »Erzieher« ( 1 2 2 ) , »Lehrmeister« ( 1 9 6 ) und »Seelenlenker« ( 1 6 5 ) auf. Was Benda gegen die zeitgenössischen »geistigen Lehrer der Menschheit« (155) in Frankreich und Europa in kritischer Absicht vorbrachte, war die Feststellung, daß sich »ein kataklysmischer Umsturz der moralischen Begriffe bei den Erziehern der Welt« (122) ereignet habe. Dieser Umsturz, die Verabschiedung eines überkommenen, aus der Aufklärungsphilosophie gespeisten Kanons intellektueller Werte, stellt den zentralen, die Empörung des Autors immer wieder entfachenden Gegenstand des Buches dar. Im Blick auf die zurückliegenden fünfzig Jahre konstatiert Benda einen beispiellosen Wandel, der zweitausend Jahre Moral- und Geistesgeschichte der Menschheit (103) - um nichts weniger ist ihm letztlich zu tun - revidiert habe. Seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts habe sich der Maßstab intellektueller Werte radikal geändert, er habe sich exakt in sein Gegenteil verkehrt: An die Stelle der Wertschätzung des Universellen, Abstrakten, Allgemeingültigen sei die Verehrung des Partikularen, Spezifischen, Individuellen getreten. Unerbittlich verurteilt Benda eine Entwicklung, in der den zeitgenössischen Intellektuellen, den modernen >clercsSinn fürs Praktische< abgegangen sei, den sich die modernen Intellektuellen zugute hielten. In Überwindung der vermeintlichen Defizite ihrer historischen Vorgänger vermittelten die modernen Intellektuellen ihrem Volk nun zeitbezogene Wertvorstellungen. Moderne Intellektuelle, so resümiert Benda die von ihm als Verfallsprozeß gebrandmarkte Entwicklung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, setzten kulturspezifische, an den jeweiligen Bedürfnissen, Umständen und Zielen einer Nation ausgerichtete Moralkodizes an die Stelle einer alle nationalen Besonderheiten übergreifenden, internationalistischen Universalmoral (146). Für Benda stellt dieses Verhalten der Intellektuellen den Untergang einer Geisteshaltung dar, die für geistige Menschen von Plato bis Kant stets als verbindlich gegolten habe und der - als ihr maßgebliches Charakteristikum - ein »tiefinneres Bekenntnis zur Vorstellung des Guten« (147) eingeschrieben gewesen sei. Die Abwendung der modernen >clercs< von dieser jahrhundertealten Intellektuellenmoral ist also auch anthropologisch begründet: Sie hat die Verabschiedung eines

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Menschenbildes zur Voraussetzung, das moralische Perfektibilität für denkbar, annäherungsweise realisierbar und grundsätzlich erstrebenswert gehalten hatte. Die modernen Intellektuellen hingegen bewegen sich, so läßt Bendas Genealogie des zeitgenössischen Problems deutlich werden, in einem geistigen Kontext, der das Menschenbild und die ethischen Postulate sowohl der französischen Moralisten des 17. Jahrhunderts als auch der europäischen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts verabschiedet hat. Verantwortlich für diese Entwicklung ist Bendas Auffassung zufolge der Siegeszug der Lebensphilosophie, an deren Lehre von einer »»geschmeidigen Vernunftmobilem< Denken« (49) und an dem, was er als das »Dogma vom >flüssigen< Begriff« (51) bezeichnet, gar ungeahnte Aktualität beanspruchen. Im Namen eines auf Rationalität gegründeten Wissenschaftsbegriffs brandmarkt Benda solche lebensphilosophisch inspirierten erkenntnistheoretischen Positionen als Ausdruck einer unwissenschaftlichen, >mystischen< (vgl. 49) und folglich für Intellektuelle ausgesprochen unwürdigen, ja verfehlten Haltung. Vehement widersetzt er sich der Tendenz, einen als >dynamisch< und >offen< gerühmten Wahrheitsbegriff zu akzeptieren, dessen Verfechter die ultima ratio moderner Wirklichkeitserfassung darin erblickten, sich vermittels solcher Kategorien »dem Wirklichen als einem unaufhörlichen Wandel anschmiegen« (50) und es daher in seinem vermeintlich tatsächlichen Wesen als einzige adäquat erfassen zu können. Die Hochschätzung des Zeitgebundenen und Partikularen bei den modernen Intellekuellen leitet Benda aus einer facettenreichen Analyse des politischen Lebens ab, das zunächst einmal den vorzüglichen Gegenstand seiner Beobachtungen bildet. Die skizzierten intellektuellengeschichtlichen und philosophischen Reflexionen eröffnet er im ersten der insgesamt vier Teile seiner Streitschrift mit einer detaillierten und materialreich fundierten Beschreibung der politischen Entwicklung Frankreichs seit dem späteren 19. Jahrhundert, wobei französische Entwicklungen immer wieder zu denen anderer europäischer Länder, insbesondere Deutschlands, in Beziehung gesetzt werden (87-104). Im Rahmen dieser Analyse konstatiert Benda eine massenhafte Ausbreitung und enorme Intensivierung der politischen Leidenschaften (91), zu denen er Klassen-, Rassen-, Partei- und Nationalleidenschaften zählt (87). Bei den letztgenannten, den Nationalleidenschaften, nimmt er eine außergewöhnlich massive Verstärkung wahr, die ihm gefährlicher als die der anderen erscheint, da sie bei vielen Anhängern von einem »Hang zur Mystik und zur religiösen Verehrung« (100) begleitet werde. Insgesamt charakterisiert Benda diese Entwicklung als eine in der Geschichte beispiellose »Perfektionierung« (87) der politischen Leidenschaften. Als historisch einzigartig gilt ihm diese Entwicklung, weil sie überhaupt erst durch bestimmte Errungenschaften der modernen industriellen Gesellschaft

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(Medien, Massenorganisationen, Verwissenschaftlichung) ermöglicht worden ist. Bendas umsichtige, soziologisch und mediengeschichtlich verfahrende Analyse berücksichtigt die publizistischen, ideologischen und psychologischen Voraussetzungen dieser Entwicklung. Dabei wird deutlich, daß die politischen Leidenschaften durch den unvergleichlichen Perfektionierungsprozeß eine neue, spezifisch moderne Qualität gewonnen haben: Sie sind, so resümiert Benda, »universal, kohärent, homogen, kontinuierlich und dominierend geworden« (92), - ein Befund, der wie die sachliche-nüchterne Entfaltung von Max Webers berühmter emotionsgeladener Metapher vom >stahlharten Gehäuse< anmutet. Die Bewertung dieser Veränderungen durch den französischen Sozialkritiker ist eindeutig: Seine Analyse gipfelt in dem Diktum, daß das gegenwärtige Zeitalter »im Kern das Zeitalter des Politischen« (104) sei, - »Politik überall, Politik immerzu« (91). Diese Diagnose von der Omnipräsenz des Politischen überbietet er schließlich noch durch eine Warnung, die am Ende des 20. Jahrhunderts, im Rückblick auf zwei Weltkriege, prophetische Züge gewinnt: »Unsere Zeit«, so schreibt Benda 1927, »wird man einst das Jahrhundert der intellektuellen Organisation des politischen Hasses nennen. Dies wird einer der großen Titel sein, unter denen sie in die Moralgeschichte der Menschheit eingeht« (102f.). Fragt man nun nach der Rolle des Intellektuellen innerhalb dieser Entwicklung des politischen Lebens im Zeitalter der industriellen und technischen Moderne, so deutet Bendas Prophetie den Zusammenhang bereits an, der zwischen der Perfektionierung der politischen Leidenschaften und dem von ihm charakterisierten »modernen clerc< besteht: Der moderne Intellektuelle hat Anteil an dieser Entwicklung, er gehört zu ihren keineswegs unmaßgeblichen Protagonisten, denn in Abweichung von der jahrhundertealten Tradition seiner Vorgänger partizipiert er nun am politischen Leben, er hat sich entschieden, »in die politische Arena hinabzusteigen« (113). Für Benda stellt dieser Entschluß allerdings einen eklatanten Fehltritt dar, er bedeutet - in der juristisch und religiös imprägnierten Sprache des Autors - einen »Verrat«, den der moderne >clerc< an »seinem geistigen Amt« (114) übe. Denn dieses Amt, »die Suche nach ewigen Dingen und Werten« (ebd.), verlange dem Intellektuellen ab, sich im politischen Bereich aller konkreten, aktiven Tätigkeiten und Einmischungen zu enthalten. Als »Offizianten einer abstrakten Gerechtigkeit« (116) stehen die modernen >clercs< Benda zufolge vielmehr in der selbstauferlegten Verpflichtung, den politisch echauffierten Zeitgenossen durch die Erinnerung universaler Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Vernunft in ihrem politischen Fanatismus Einhalt zu gebieten. Für Benda hat der >clerc< ganz offensichtlich Weltbürger zu sein. Im Unterschied zu diesem postulierten übernationalen Selbstverständnis beobachtet er bei den modernen Intellektuellen jedoch, daß sie sich eine »staatsbürgerliche Gesinnung« (113) zugelegt hätten, die sie überdies auch noch mit Stolz und allen Zeichen der politischen Leidenschaftlichkeit auslebten. Zeitgenössische europäische Intellektuelle wie Mommsen, Treitschke, Barres, D'Annunzio oder Maurras verkörpern für Benda diesen Typ des national gesonnenen, modernen >clercVerrat< der modernen Intellektuellen grundlegend. Aus Bendas Erörterungen geht sie unmißverständlich hervor, wenn er - ausgerechnet, aber für sein Beweisziel wohlkalkuliert - Machiavelli anführt, um die behauptete welthistorische Zäsur im politischen Verhalten der Intellektuellen zu veranschaulichen (155). Machiavelli habe zwar, so argumentiert Benda, als Ratgeber der Fürsten aus machtpolitischen Interessen sehr wohl zu Kriegen geraten, diesem Handeln aber keinerlei moralischen oder gar ästhetischen Wert beigemessen, sondern ganz im Gegenteil festgestellt, daß Moral und Politik unvereinbar seien. Benda hebt also darauf ab, daß den modernen Intellektuellen eine Spannung zwischen machtbestimmten Handlungsweisen einerseits und deren moralischer Beurteilung andererseits verloren gegangen sei. Für die Bewahrung von Moralität - und damit als Schutz vor gegenseitiger Vernichtung der Völker durch Krieg - ist diese Spannung freilich konstitutiv und unverzichtbar (112). Der eigentliche >Verratclercs< steht es seines Erachtens jedoch, daß diese unzulässige Nobilitierung des neuen Denkens überhaupt statthaben konnte. Benda lastet ihnen an, das moralische Prestige, das ihrer Tätigkeit dank einer jahrhundertealten Tradition eigne, nun den Politikern übertragen zu haben. Die »moralische Noblesse« (178) der intellektuellen Aufgabe sei auf den Tatmenschen übergegangen, so empört sich Benda. Damit aber sei der »vorgebliche clerc« (ebd.) geboren worden, eine Person, die pragmatisch partikulare Interessen verfolge, dieses Tun jedoch als Produkt rein intellektueller, interessefreier Erkenntnis ausgebe. Der >vorgebliche clerc< - Benda führt als Beispiel Maurice Barres an - präsentiere, wenn er die politische Bühne betrete, seine Ansichten als Resultate philo-

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sophischer Reflexion, er trete als Wissenschaftler oder Philosoph auf, in der Pose dessen, der für die Anerkennung einer objektiven Wahrheit kämpfe. Er nehme, wie Benda schreibt, die »Pose des clerc im Gefecht« (116) an. Das trügerische Moment, das eigentliche Moment des Verrats, liegt also im Gebaren dieses neuen Intellektuellentyps: Er gibt vor, ein >clerc< zu sein, er nimmt einen intellektuellen Habitus an, der seinem Auftreten in einer zunehmend von Medien beherrschten Öffentlichkeit eine erhöhte Resonanz verschafft. Der vorgebliche clerc< ist also derjenige, der kraft eines angemaßten geistigen Attributs Prestige und Autorität gewinnt, dank dessen wiederum mit einer gesteigerten und achtungsvollen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit rechnen kann und vermöge dieser erschlichenen Reputation letztendlich »auf das Weltliche Einfluß nimmt« (ebd.). Die Verrats-These, die Bendas Buch den Titel gibt, ist sensu stricto auf diesen vorgeblichen clerc zu beziehen: Benda betont, daß der Gegenstand seiner Schrift nicht der tatsächliche, sondern der >vorgebliche clerc< sei (115f.). Wenn der moderne Intellektuelle aber dieser >vorgebliche clerc< ist, so kann von einem >wahren clercclerc< einen Bürger, einen >citoyen wie jeden anderem, gemacht habe (191). Soziologisch gesehen ging dem Verschwinden des Intellektuellen also ein Nivellierungsprozeß voraus, der dem Intellektuellen zunächst seine Privilegien nahm, ihm staatsbürgerliche Pflichten auferlegte und somit eine pflichtgemäße Wahrung seines Amtes zunehmend erschwerte. Was Benda den Intellektuellen als Gruppe zum moralischen Vorwurf macht, ihre Abwendung von einem tradierten universalistischen Wertekanon und ihre Hinwendung zu politischen und zeitverhafteten Belangen, nimmt er in einer soziologischen Argumentation bis zu einem gewissen Grad auch wieder zurück; zumindest relativiert er seinen Vorwurf durch die Einsicht in die sozio-ökonomischen Motive des Verhaltens vieler Intellektueller. Er begreift ihr Versagen also durchaus auch auch als Folge gesellschaftlicher Umstände und rechnet es sogar Versäumnissen des Staates zu. Dabei steht für Benda außer Zweifel, daß das Verschwinden der >wahren clercs< auch für den modernen Staat einen bedrohlichen Verlust darstellte, der durch das Auftreten des neuen, mit staatsbürgerlicher Gesinnung ausgestatteten Intellektuellentyps keineswegs aufgewogen wurde (ebd.). Denn mit dem Verschwinden der >wahren< Intellektuellen hält Benda den Untergang einer vernunftgeleiteten Menschheit für besiegelt und sieht im Gegenzug die prophezeite

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>intellektuelle Organisation des politischen Hasses< ungehindert ihren Gang nehmen. Die Geschichte hat Bendas düstere Prognose über den weiteren Fortgang dieser Entwicklung schließlich nicht als Phantom eines übersteigerten kulturkritischen Pessimismus widerlegt: »Eine solche Menschheit«, so ahnte Benda, »treibt dem totalsten und perfektioniertesten Krieg entgegen, den die Welt je erlebt hat, gleich ob er nun unter Nationen oder unter den Klassen stattfinden wird« (206). Inwieweit die historischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts dem von Benda definierten >Verrat der Intellektuellem anzulasten sind, stellt seit dem ersten Erscheinen seiner Schrift in Frankreich ein Leitthema aller IntellektuellenForschung dar. WALTER BENJAMIN, der sich in den zwanziger Jahren stark um die Vermittlung französischsprachiger Literatur in den deutschsprachigen Raum bemühte, hat Bendas Schrift zweimal besprochen. Zuerst unverzüglich nach Veröffentlichung der französischen Erstausgabe in einer Sammelrezension unter dem summarischen Titel Drei Bücher (5), die im Mai 1928 in den »Humboldt-Blättern« erschien, danach nochmals im Rahmen einer Untersuchung Zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Standort des französischen Schriftstellers (6), die 1934 in der Zeitschrift für Sozialforschung publiziert wurde. In beiden Rezensionen unterzieht Benjamin Bendas These einer scharfen Kritik, die sich am Dualismus der Bendaschen Argumentation entzündet. Unverkennbar schreibt Benda ja mit seiner strikten Funktions- und Kompetenzenteilung zwischen Intellektuellem und Politiker die christliche Entgegensetzung von vita contemplativa und vita avtiva, von Klerikern und Laien fort. Trotz seines dezidierten und unmißverständlichen Bekennmisses zur Demokratie, das Benda in seiner Streitschrift leistete - der einzigen Staatsform, in der der Intellektuelle überhaupt seine Aufgabe erfüllen könne - , erblickte Benjamin in Bendas zentraler Forderung nach Zurückhaltung des Intellektuellen in politischen Angelegenheiten »eine streng reaktionäre Geistesverfassung« (5, 112), ein Urteil, das er in seiner späteren Besprechung dann zur Feststellung von einer »durchaus romantische[n] Geistesverfassung« (6, 271) mildert. Benda, so heißt es bei Benjamin 1928 und wortgleich auch wieder 1934, behaupte »eine doppelte Moral in aller Form: die der Gewalt für die Völker, die des christlichen Humanismus für die Intelligenz« (5, 112; 5, 270). Scheint dieser Vorwurf auch auf den ersten Blick durchaus berechtigt, so vernachlässigt er doch zweierlei: Zunächst einmal, daß Benda den Intellektuellen nicht auf eine pazifistische Haltung um jeden Preis festlegen wollte, was er sowohl in der Erstausgabe 1927 deutlich machte als auch nochmals - was Benjamin natürlich 1934 nicht berücksichtigen konnte - nachdrücklich und ausführlich im Vorwort der französischen Zweitauflage von 1947. Freilich geht Benjamins Vorwurf der doppelten Moral tiefer, als daß er mit dem Hinweis auf die Legitimation von Gewalt in Notfällen beantwortet werden könnte. Dennoch verfehlt er Bendas eigentliches Anliegen, übersieht also ein zweites, auf das hier aufmerksam gemacht sei: Er vernachlässigt die oben erläuterte Differenzierung zwischen dem Verrat der clercs, wie beispielsweise Machiavelli ihn begangen hat - im klaren Bewußtsein eines moralischen Verstoßes - und dem Verrat der

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modernen >clercsgeistig< und >weltlichintellektuell< und >politischantidemokratisches Denken< dient Sontheimer, wie er in seinem Aufsatz Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik erklärt, als ein Klammerbegriff für eine Vielzahl von Denkrichtungen, die sich in der Weimarer Demokratie entfalteten und diese Demokratie »ohne ausreichenden geistigen Zuspruch von seiten der gebildeten Schichten ließen« (55). Antidemokratische Opposition war eine prinzipielle Opposition gegen Weimar, sie richtete sich gegen die Republik und gegen die Demokratie als solche. Die Wirkung, die dieses oppositionelle Denken zeitigte, differenziert Sontheimer nach zwei eng zusammenhängenden Gesichtspunkten: Zum einen legt er dar, welche Bedeutung dieses Denken für die Weimarer Republik und ihren Bestand besaß, zum anderen, wie es im Hinblick auf den Sieg des Nationalsozialismus zu bewerten sei (51). Die Weimarer Republik, so lautet der Befund für den ersten Aspekt, wurde durch antidemokratisches Denken »geistig unterhöhlt« (53), die Demokratie habe an »geistiger Auszehrung« (ebd.) gelitten, weil die antidemokratische Polemik »einen Konsensus der Staatsbürger« (ebd.) unmöglich gemacht habe. Ein solcher Konsens ist aber, wie Sontheimer nachdrücklich betont, für das Funktionieren eines demokratisch verfaßten Gemeinwesens unverzichtbar. Die antidemokratische Kritik traf die junge Republik also an ihren Grundfesten, was Sontheimers Metaphorik der »geistigen Auszehrung< und >Unterhöh-

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Iung< beklemmend bewußt macht. Unter dem Druck antidemokratischer Kritik sei die Republik in den Händen ihrer politischen Lenker »manövrierunfähig« (56) geworden, da gerade die politischen Institutionen bevorzugtes Ziel der Angriffe waren. Insgesamt, so läßt sich Sontheimers Darstellung resümieren, wurde durch die Kritik der prinzipiellen Republikgegner ein Vakuum geschaffen, in das schließlich die Nazis geradezu bequem einrücken konnten. Mit Blick auf den Sieg der Nationalsozialisten beschreibt Sontheimer die Wirkung antidemokratischen Denkens denn auch als eine vorbereitende: Antidemokratisches Denken habe, obwohl es keineswegs vereinfachend mit nationalsozialistischem Denken gleichgesetzt werden dürfe, den Nationalsozialisten doch in geistiger Hinsicht den Weg geebnet, es habe »das geistige Vorfeld für das Wachsen des Nationalsozialismus bereitet« (66), indem es eine feindliche Stimmung gegen die Republik schürte, die sich schließlich der Nationalsozialismus habe »zunutze machen« können. Hervorzuheben ist, daß Sontheimer hinsichtlich der erkenntnisleitenden Frage seines Buches, der Frage nach der Mitschuld der Intellektuellen am Untergang der Republik, mit Entschiedenheit feststellt, daß auch jene, die im nationalsozialistischen Deutschland nicht die Realisierung ihrer politischen Ziele erblicken konnten, von der Verantwortung für den demokratischen Zusammenbruch nicht auszunehmen seien - selbst jene nicht, die von den Nazis verfolgt wurden. In der Einleitung seines Buches heißt es, daß »ein schwer auflösbarer Rest von Mitverantwortung für die Katatstrophe« (14) bleibe. Sontheimers Begriffsdefinition gemäß, muß dem Spektrum antidemokratischen Denkens nicht allein das Denken der Rechtsintellektuellen, sondern auch das der radikalen Linken zugerechnet werden. Sein Diktum, demzufolge die Intelligenz »der demokratischen Republik die geistige Unterstützung versagte, deren sie so dringend bedurft hätte« (57, 14), trifft auf die radikalen Linken ebenso zu. Dennoch klammerte Sontheimer sie aus seiner Untersuchung von 1962 zunächst einmal aus, und zwar mit der Begründung, daß die Republik von rechts zerstört und im Sinne jener Ideen überwunden worden sei, die auf der Rechten entwickelt worden waren. Diese Begründung wurde von Sontheimer einige Jahre später dann gewissermaßen zurückgenommen durch die Publikation einer als Gegenstück zu seiner Weimar-Studie gedachten Arbeit über antidemokratisches Denken in der Bundesrepublik, die sich nun am Beispiel der Bundesrepublik den demokratiezerstörenden Wirkungen linken Denkens widmete: Das Elend unserer Intellektuellen. Linke Theorie in der Bundesrepublik (1976; siehe hierzu das Forschungsreferat zur Bundesrepublik). Den Linksintellektuellen von Weimar widmet Sontheimer aber auch in seiner Habilitationsschrift gegen Ende doch noch eine knappe Betrachtung (303306), deren wichtigster Befund nahelegt, in den antidemokratisch gesonnenen rechten und linken Intellektuellen von Weimar einen »Zug der Zeit« (305) verkörpert zu erkennen: Beide seien »Repräsentanten einer unbedingten und kompromißlosen Geistigkeit« (ebd.) gewesen. Die Charakterisierung, die Sontheimer von den radikalen nichtkommunistischen Linksintellektuellen gibt, ist insgesamt spürbar von der weiter oben erwähnten Studie Golo Manns geprägt. Wie dieser, nur in schärferer Diktion, hält Sontheimer der linken Intelli-

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genz vor, daß sie »unaufhörlich die ätzende Säure ihrer Kritik über eine im System gefangene Sozialdemokratie« (304) gegossen und damit »literarisches Zerstörungswerk an der Republik« (ebd.) betrieben habe. Für die Forschung über Intellektuelle in der Weimarer Republik ist Sontheimers Studie über alle Einzelleistungen wie die Erschließung und klar gegliederte Präsentation einer überaus reichen Materialfülle hinaus wohl in seinem methodischen Ansatz zu sehen, in der schon erwähnten und von ihm auch betonten Konzentration auf die Darstellung von Ideen. Sontheimer setzt voraus, daß Ideen, ein bestimmtes Denken, das der Öffentlichkeit vorgetragen wird, Geschichte beeinflußt. Als Produzenten von Ideen haben Intellektuelle insofern Anteil an der Gestaltung von Politik, sie haben Einfluß auf den Gang der Geschichte. Wo dies vorausgesetzt wird, ergibt sich konsequenterweise die Frage nach der Verantwortung der Intellektuellen für die Geschichte. Für die Rechtsintellektuellen der Weimarer Republik stellt Sontheimer denn auch fest, daß trotz aller zu bedenkenden Ermäßigungen dieser Schuld »ein schwer auflösbarer Rest von Mitverantwortung für die Katastrophe« (37, 14) bleibe. Bemerkenswert an Sontheimers Studie ist, daß sie im ideengeschichtlichen Bogen, den sie von der Lebensphilosophie zum antidemokratischen Denken der zwanziger Jahre spannt, und in dem moralischen Verdikt, das sie aufgrund dieser Analyse über die Rechtsintellektuellen verhängt, eine nicht zu übersehende Parallelität zu Julien Bendas Arbeit über den Verrat der Intellektuellen aufweist. Dennoch wird Benda nicht erwähnt und nicht zitiert, was als Ausdruck der mangelhaften Akzeptanz seiner Streitschrift in Deutschland gelten kann. Möglicherweise hängen die Gründe für diese unterbliebene Rezeption Bendas mit dem Widerstand zusammen, auf den Sontheimers pointierte Kritik an den Rechtsintellektuellen zunächst stieß, so daß seine These nicht noch durch die Nähe zu der polemischen Schrift Bendas verschärft werden sollte; möglicherweise ist aber auch Benda durch die Kritik Benjamins in einem Maße diskreditiert worden, daß er für eine Betrachtung im Rahmen einer akademischen Qualifikationsarbeit nicht geeignet erschien. Die Wege der Rezeptionsgeschichte Bendas zu verfolgen, wäre sicherlich aufschlußreich. Hier sei nur auf die erwähnten Gemeinsamkeiten der Analysen Bendas und Sontheimers verwiesen: So wie Benda den Siegeszug der Lebensphilosophie als Voraussetzung für den >Verrat< der Intellektuellen geschildert hat, identifiziert Sontheimer in der Lebensphilosophie die geistigen Prämissen des >antidemokratischen DenkensVernunft< auf das >Leben< politische Wirkkraft erst dann erlangte, als sie sich mit einem bei den Intellektuellen plötzlich erwachten Tatwillen verbinden konnte und so zum Nährboden für politische Utopien geriet (38, 58). Wenn Benda am Ende vom >Verrat der Intellektuellem spricht und damit den >Verrat an der Vernunft< meint, konstatiert Sontheimer das gleiche Phänomen einer »Preisgabe der Vernunft« (38, 68), die auch bei ihm als >Verrat< bezeichnet wird, gleichwohl unter Bezugnahme auf

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Ernst Jünger: Sontheimer kehrt dessen berühmtes Geständnis, >am Hochverrat des Lebens gegen den Geist< teilgehabt zu haben, um, wenn er in seinem Aufsatz 1962 schreibt: »Die antidemokratischen Intellektuellen verrieten den Geist an das Leben [...]« (ebd.). Ihre Ideenwelt, so Sontheimer, blieb aufgrund dieses an der Vernunft begangenen Verrats letztlich ein »Griff ins Leere« (69). Sieht man die beiden Arbeiten Bendas und Sontheimers in einer chronologischen Folge, so hat Sontheimer Benda gewissermaßen fortgeschrieben und bestätigt, indem er nach dem Zweiten Weltkrieg darlegte, daß die Entwicklung, die Benda schon 1927 verfolgt und als Weg in den Krieg gedeutet hatte, in Deutschland dann tatsächlich zum Sturz eines auf Vernunft gegründeten Staatswesens geführt hatte und daß die Intellektuellen als Propagatoren des neuen, >mobilen< Denkens für diesen Zusammenbruch Mitverantwortung zu tragen hätten. Der Frühphase der Weimarer Republik, den ersten Monaten nach Ende des Ersten Weltkrieges, ist ein äußerst erhellender Aufsatz von WOLFGANG FRÜHWALD aus dem Jahre 1971 gewidmet: Kunst als Tat und Leben. Über den Anteil deutscher Schriftsteller an der Revolution in München 1818/19 (17). Wenngleich Frühwald mit der Novemberrevolution die noch ganz junge, sich in den Geburtswehen befindende Republik ins Auge faßt, so ist doch auch hier wie schon bei Golo Mann und Sontheimer - die Beschäftigung mit diesen Ereignissen vom Wissen um ihr Ende bestimmt. Die Frage nach dem Anteil von Schriftstellern an der Revolution zielt zwar zunächst als beschreibende Kategorie auf das tätige Mitwirken von Dichtern am Revolutionsgeschehen, ist im weiteren dann aber auch wertend als Frage nach ihrer Verantwortung nicht nur für das Scheitern dieser Revolution, sondern der Weimarer Republik aufzufassen. Im Hinblick auf die Forschungsgeschichte zu Intellektuellen der Weimarer Republik liegt die Bedeutung der Arbeit darin, daß Fragen, die bis dahin in der Domäne von Politologie und Geschichtswissenschaft verhandelt wurden, nun in die Literaturwissenschaft vordrangen. Als Literaturwissenschaftler richtet Frühwald seine Aufmerksamkeit zudem vorwiegend auf solche Intellektuelle, die Schriftsteller waren. Weimarer Schriftsteller als Intellektuelle rückten also nunmehr in den Blick der germanistischen Forschung. Frühwald selbst vermerkte, daß er ein Thema aufgriff, das von der poetologisch orientierten Literaturwissenschaft bis dahin vernachlässigt worden war (363). >Anteil< hatten Schriftsteller an der Novemberrevolution in Bayern in außerordentlichem Maße, denn sie waren, wie Frühwald betont, Führer des ersten revolutionären Staates auf deutschem Boden, sie lenkten die Geschicke der »Bayerischen Republik«, die in der Nacht vom 7. auf den 8. November proklamiert worden war. Der Novemberrevolution ist also für die IntellektuellenThematik eine erhöhte Bedeutsamkeit zuzuschreiben, weil Schriftsteller sich in diesem historischen Augenblick einmal nicht mehr mit kultureller Führerschaft begnügen wollten, sondern politische Führerschaft beanspruchten und für eine kurze Zeit auch innehätten. Das geistesgeschichtliche Spezifikum dieser Revolution macht Frühwald in ihrer utopisch-illusionären Komponente aus, denn ein großer Teil der deutschen Intelligenz habe an eine Gesinnungsrevolution geglaubt (370). Damit aber habe

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der »Keim des Unwirklichen« (363) schon im Wesen der Revolution selbst gelegen, in ihrer Konzeption durch die Intellektuellen. Intellektuelle wie Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller hätten absolute Sittlichkeit im Bereich der Realpolitik umsetzen wollen, ein Unterfangen, das tragisch »und ein klein wenig lächerlich« (366) anmute, wie Frühwald eher mit ironischer Nachsicht als mit unduldsamer Verständnislosigkeit feststellt. Nichtsdestoweniger läßt er die »groteske und tragikomische Seite der bayerischen Revolution« (ebd.) scharf konturiert hervortreten, wenn er die Kluft zwischen revolutionsbegeisterten Intellektuellen einerseits und revolutionsunwilligem Volk andererseits beschreibt (vgl. 384). Eine Kluft im übrigen, die führende Protagonisten dieser Gesinnungsrevolution wie Ernst Toller später selbst eingestanden hätten. Die Ursachen des utopisch-grotesken Gepräges der Revolution sondiert FrUhwald zum einen in den philosophischen Inspirationsquellen der intellektuellen Revolutionäre und zum anderen in ihrem spezifischen Umgang mit diesen Quellen. Der Revolutionsbegriff Gustav Landauers, des Cheftheoretikers der Revolution, und seiner Mitstreiter trage Züge der Romantik, des Deutschen Idealismus und einer langen Tradition anarchistischen Dgnkens. Der Rückgriff auf die deutsche Klassik werde aber durch eine vehemente Kritik an ihrem zentralen Theorem, durch ein dezidiertes Überbietungsstreben hinsichtlich der Problemformel, die Schiller für das Verhältnis von Dichtung und Politik geboten hatte, auch wieder relativiert. Schillers Lösungskonzept einer >ästhetischen Erziehung des Menschern, demzufolge der Weg zur politischen Freiheit erst durch die Schönheit, also durch die Kunst führt - durch eine >höhere Kunst< allerdings, wie es bei Schiller wohlweislich heißt (6. Brief über ästhetische Erziehung) - , sei von den bayerischen Revolutionären als Ausdruck verzweifelter Resignation abgelehnt worden. Ihr politisches Handeln sei, so Frühwald, von dem Wunsch geleitet gewesen, mit dem angeblich resignativen Element dieses Konzepts zu brechen: Die vermeintliche Klassik-Formel >Humanität und Resignation hätten die Revolutionäre durch ihren Willen zur politischen Tat überwinden wollen, sie hätten die ursprünglichen Ziele des Deutschen Idealismus, Humanität und Freiheit, mit den Mitteln der Kunst und des politischen Aktivismus - gleichwohl mit den Mitteln einer politisch instrumentalisierten, im Schillerschen Sinne also heteronomen, >niederen< Kunst - realisieren wollen. Frühwalds Studie vermag in überzeugender Weise darzulegen, wie die Gesinnungsrevolutionäre der Novemberrevolution durch das Schillersche Konzept zugleich inspiriert und irregeleitet wurden. Irregeleitet, weil sie den Entwurf einer ästhetischen Erziehung des Menschen in seinem entscheidenen Punkt - der Autonomie des dort entwickelten Kunstbegriffs - verfehlten und dadurch in ihrem Überbietungsstreben selbst auf den Abweg eines realitätsfernen, den Bedürfnissen des Volkes sichtlich entfremdeten politischen Handelns gerieten. Sie wollten das klassische Konzept korrigieren, sie wollten es durch die Kopplung von Idee und Tat, von politisierter Kunst und politischem Tun unmittelbar gesellschaftsrelevant machen, konnten es damit aber letztlich nur mißverstehen und unterbieten. Aufschlußreich ist Frühwalds Nachweis, wie gerade in dem geschilderten Anspruch der

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Revolutionäre auf eine Verbindung von Politik und Kunst ihr politisches Scheitern begründet liegt, wie sie bei ihren politischen Plänen das geringe Maß an Tat- und Revolutionsbereitschaft des Volkes verkannten und es schließlich mit dem Einsatz avantgardistischer Kunstmittel zur Revolutionierung der Gesellschaft vollends überforderten. Diese Kluft zwischen intellektuellen Führern und dem Volk tritt kraß zutage, wenn Frühwald die zeitgenössische Reaktion eines geschmacklich an Heimatkunst gewöhnten Volkes auf die Publikation expressionistischer Graphiken in bayerischen Tageszeitungen und auf die Plakatierung kubistischer Holzschnitte in bayerischen Straßen schildert (vgl. 382, 384). Was die Intellektuellen als eine Revolution der Gesinnung und als unmittelbare Umsetzung des Gedankens in die Tat verstanden wissen wollten, erschien aus der Perspektive der Massen als »eine Revolution der Ranküne« (370). Die von den Revolutionären intendierte Widerlegung der Problemformel der deutschen Klassik sei gescheitert, so resümiert Frühwald, und durch das Scheitern ihrer insgesamt als überzogen und realitätsverkennend zu charakterisierenden Ziele hätten die Revolutionäre selbst letztendlich ein ungleich größeres Gefühl der Resignation entstehen lassen, als es die Klassiker je vermocht hätten (387). Darin nun erblickt Frühwald die Schuld, die den intellektuellen Revolutionsftlhrern für das weitere Schicksal der Weimarer Republik zuzuschreiben sei: Sie hätten dazu beigetragen, daß Resignation zum Grundgesetz der zwanziger Jahre wurde und daß sich damit jene Konstellation von Geist und Macht verfestigten konnte, die Ren6 König in den sechziger Jahren auf die Formel von der >Ohnmacht des Gedankens< und der >Übermacht des Faktischem gebracht hatte (388). Frühwald erinnert im übrigen daran, daß unter Hitlers erster Gefolgschaft der Nationalrevolutionäre von 1923 viele wiederzufinden waren aus den Reihen des bayerischen Proletariats, die zunächst an der Novemberrevolution beteiligt gewesen waren (370). So hatte die Enttäuschung über die Novemberrevolution beim Münchener Proletariat eine Wendung nach rechts bewirkt und Hitler erste Anhänger zugetrieben, während sie bei der Jugend jenes schon erwähnte Gefühl der Resignation auslöste, das Frühwald zufolge nicht unterschätzt werden dürfe in Hinsicht auf seine Bedeutung für den Niedergang der Republik; denn diese Jugend hätte sich nun in entschiedener Erkenntnis-Verachtung revolutionären Mythologien zugewendet und damit an jenem epochemachenden Phänomen teilgehabt, das Theodor Ziolkowski als >Hunger nach dem Mythos< bezeichnete (379). Daran partizipierte und davon profitierte bekanntermaßen der entstehende Nationalsozialismus. Trotz des kritischen Urteils über die Resultate der Gesinnungsrevolution von 1918/19 hebt Frühwald hervor, daß diese Revolution von humanitärem Pathos getragen war und gerade dadurch eine ungemeine Faszination auf die deutsche Intelligenz ausübte (369). Schließlich verschweigt er auch nicht, daß die Wirkung ihres Engagements nicht nur für das Schicksal der Weimarer Republik fatal war, sondern auch für die meisten der involvierten Intellektuellen selbst: Mit Ausnahme Tollers starben alle führenden Revolutionäre eines gewaltsamen Todes im Kontext politischer Radikalismen (385), Toller beging Selbstmord im Exil.

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Für die Intellektuellen-Thematik aufschlußreich ist indes eine Kombination der Ergebnisse Frühwalds mit den Postulaten und Prognosen Julien Bendas. Dabei fällt zunächst ins Auge, daß die Novemberrevolutionäre in einem entscheidenden Punkt von Bendas Charakterisierung des modernen >clercs< abwichen: Sie hielten durchaus am Wertekanon der Aufklärung und an ihrem Menschenbild - an der Annahme von der Perfektibilität des Menschen - fest und wollten durch ihr Tun ja gerade beidem Geltung verschaffen. Einen Verrat kann man ihnen in dieser Hinsicht also nicht vorwerfen, und dennoch beweist Frühwalds Studie, daß sie im Ergebnis durch ihr Handeln den politischen Irrationalimus der Rechten beförderten. Frühwalds empirische Arbeit führt also vor Augen, was eintritt, wenn Bendas Postulat einer strikten Kompetenzentrennung zwischen Intellektuellem und Politiker nicht befolgt wird: Die Umsetzung absoluter Sittlichkeit in der Realpolitik zeitigt tragische und groteske Folgen und wirkt dennoch aus der historischen Distanz »ein klein wenig lächerlich« (s. o.). Frühwalds Arbeit läßt deutlich werden, daß durch den Willen zu einer kompromißlosen Verwirklichung der Ansprüche der Vernunft gerade das Gegenteil bewirkt wurde und in den zwanziger Jahren somit letztlich ein spürbarer Mangel an Idealismus im politischen wie im gesellschaftlichen Leben zu verzeichnen war. WALTER LAQUEUR, der an der Universität von Tel Aviv Geschichtswissenschaft lehrte, trat in den frühen siebziger Jahren mit einigen Studien zur Weimarer Republik hervor, mit denen er insbesondere an der amerikanischen Forschungsdebatte zur Weimarer Republik teilnahm (vgl. dazu Trommler, 41). Seine Arbeiten wurden als die eines Kenners der Weimarer Republik auch in Deutschland mit Interesse wahrgenommen, wovon ihre zügige Übersetzung aus dem Englischen zeugt. 1972 widmete Laqueur der politischen Bedeutung der Intellektuellen in der Weimarer Republik einen Aufsatz, der zuerst im Sommer 1972 in Social Research veröffentlicht worden war und 1973 auf deutsch unter dem Titel Die Rolle der Intelligenz in der Weimarer Republik im Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik (28) erschien. Wenn sich Laqueur mit der politischen Bedeutung der Intelligenz in der Weimarer Republik beschäftigt, so verbirgt sich auch bei ihm hinter dieser Fragestellung nicht weniger als das »gesamte Thema der Verantwortung der Intellektuellen« (288). Laqueur konzentriert sich auf das Verhalten der linken liberalen Intellektuellen. Sein Urteil über sie fällt ambivalent und gegenüber der übrigen Forschung provokant aus. Nicht ohne eine Reihe von Fehlern der Linksintellektuellen zu benennen, stellt seine Untersuchung insgesamt doch eine - durchaus zweischneidige - Apologie dieser Intellektuellen vor dem Tribunal der Nachwelt dar. Hatten Golo Mann und Kurt Sontheimer der linken liberalen Intelligenz eindeutig eine Mitverantwortung für den Untergang der Republik zugeschrieben, weil Intellektuelle wie Tucholsky der Republik den > inneren Zuspruch < versagt hätten, so bestreitet Laqueur zwar nicht dieses Versäumnis der Intellektuellen, schätzt es aber für den Niedergang der Republik als geradezu bedeutungslos ein. Seine Argumentation läuft darauf hinaus, auch die Unterlassungssünden der Intellektuellen zu entschuldigen, weil diese Intellektuellen mit ihren Worten und Taten ohnehin keine öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hätten: »Was immer sie taten oder unterließen, es fand kein öffentli-

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ches Interesse.« (ebd.) Laqueur konstatiert also eine völlige politische Machtlosigkeit der liberalen Linksintelligenz, eine Machtlosigkeit, die gerade in den politisch so entscheidenden letzten Jahren der Republik offenkundig geworden sei und bei den Intellektuellen ein Gefühl der Ohnmacht ausgelöst habe. Dieses Ohnmachtsgefühl sei dann umgeschlagen in das Gefühl, nicht verantwortlich zu sein, sich also alles erlauben zu können. Dennoch spricht Laqueur sie von jeder faktischen Verantwortung für den Untergang der Republik frei, wobei er sogar so weit geht, die Vermutung anzustellen, daß es »aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Unterschied« (ebd.) gemacht hätte, wenn sich die Intelligenz geschlossen hinter die Republik gestellt hätte; denn, so das für ihn ausschlaggebende Argument, der Kampf um das Schicksal der Republik habe in den Straßen und in politischen Versammlungen stattgefunden, »nicht aber dort, wo sich die Intellektuellen aufhielten« (ebd.). Mit dieser geradezu topographischen Unterscheidung meint Laqueur, das Thema intellektueller Verantwortung »in der richtigen Perspektive« zu sehen (ebd.). Als Grundtenor ist aus Laqueurs Arbeit deutlich ein tiefsitzender Vorbehalt gegenüber der älteren Forschung herauszuhören, die den Intellektuellen eine tragende Rolle beim Niedergang der Republik zugeschrieben hatte. Seine provokant vorgetragene Behauptung von der Machtlosigkeit der Intellektuellen gründet Laqueur auf zwei Argumentationen: Zum einen unternimmt er eine kritische Beurteilung ihres politischen Verhaltens in entscheidenden, für die Verfolgung ihrer Interessen günstigen Momenten, zum anderen führt er eine bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende historische Betrachtung des politischen Verhaltens deutscher Intellektueller an. Für den erstgenannten Aspekt stellt Laqueur fest, daß die Linksintellektuellen nicht verstanden hätten, vorteilhafte Situationen für ihre Zwecke zu nutzen. So habe die Zeit vom Sommer und Herbst 1919 einen wichtigen Wendepunkt für die politische Haltung der deutschen Intelligenz dargestellt, da die rechtsgerichtete Intelligenz durch das Versagen der alten Ordnung zeitweilig zum Schweigen verurteilt und die öffentliche Diskussion von Themen wie Revolution und Sozialismus beherrscht worden sei. Die Unfähigkeit der Sozialdemokraten jedoch, ein eigenes politisches Konzept zu entwickeln und durch eine starke Führungsschicht vertreten zu lassen, habe zu einem schnellen Abklingen der Begeisterung für die demokratische Republik und zu einem neuen Erstarken der Rechten geführt (285). Weitere politische Fehler und Versäumnisse macht Laqueur für die Jahre zwischen 1923 bis 1929, für die »Blütezeit der Republik« (ebd.), aus: Das politische Engagement der linken Intelligenz habe abgenommen und sei, wo es denn zu finden war, mitnichten oppositionell gewesen. Als Beleg führt er neben bewundernden Äußerungen Kurt Tucholskys über die politische Durchsetzungskraft der Faschisten in Italien und der Kommunisten in Rußland mit Kurt Hillers in der Weltbühne erschienenem Aufsatz über den Kraftkerl Mussolini einen Text an, der in der Forschung immer wieder erwähnt wird, wenn es darum geht, die liberale Linksintelligenz wegen ihres Mangels an politischem Scharfsinn und an Gespür für das in der Demokratie Zulässige zu verurteilen. Das politische Verhalten der linken Intelligenz in den zwanziger Jahren beurteilt Laqueur insgesamt als verfehlt, weil sie Möglichkeiten zur Revolution zum falschen Zeitpunkt

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gesucht hätten, das heißt, genau dann, als die Republik bereits hätte gestützt und verteidigt werden müssen. Über die konkreten politischen Fehlleistungen der Linksintelligenz hinausgehend, beleuchtet Laqueur die politische Machtlosigkeit der Intellektuellen in einer historischen Betrachtung, die über die Revolution von 1848 bis zu Goethe und Börne zurückreicht (280f.). In dieser entwicklungsgeschichtlichen Perspektive, die im übrigen die gesamte deutsche Intelligenz, also Rechte wie Linke, Konservative wie Fortschrittliche, umfaßt, erscheint die politische Machtlosigkeit der Weimarer Intellektuellen lediglich als Fortsetzung einer langen Tradition. Von >der deutschen Intelligenz« ließe sich verallgemeinernd eigentlich gar nicht sprechen, denn es habe immer unterschiedliche Gruppen mit widerstreitenden Ansichten gegeben. Laqueur führt die politische Machtlosigkeit der deutschen Intelligenz - eine Machtlosigkeit, die er auch auf Seiten der Rechten verzeichnet - auf diese Gespaltenheit innerhalb der Gruppe aller Intellektueller zurück. Politische Machtlosigkeit durch innere Spaltung, so lautet also Laqueurs Diagnose. Die Rechts-Links-Opposition der Weimarer Zeit gilt ihm daher als Folge einer Spaltung der Intelligenz, die schon lange vor 1918 eingetreten sei. Ihre durch Zerrissenheit bedingte politische Wirkungslosigkeit sieht er schließlich noch verstärkt durch eine Tendenz zum »Rückzug in die Geistigkeit« (281) und zur »Ablehnung politischer Aktivität« (ebd.). 1974 erschien zunächst in englischer Sprache, 1977 dann in deutscher Übersetzung LAQUEURS Opus Magnum zur Weimarer Republik: Weimar: Die Kultur der Republik (28). Sein oben vorgestellter Aufsatz zur Rolle der Intelligenz in Weimar bietet ein vorab veröffentlichtes Kondensat zweier ausführlicher Kapitel dieses Buches, die sich mit den Intellektuellen befassen: Die Linksintellektuellen (62-103) und Donner von rechts - die Rechtsintellektuellen

(104—138).

Laqueurs Einschätzung über die Rolle der Intellektuellen in der ersten deutschen Republik, seine Auffassung von ihrer politischen Machtlosigkeit, dient ihm im Rahmen des Buches zur Strukturierung des umfangreichen Materials, das er zum intellektuellen Leben der Republik ausbreitet. War der Aufsatz, mit Ausnahme der knappen historischen Skizze zur Intelligenz in Deutschland, weitgehend auf die liberalen Linksintellektuellen beschränkt, so fügt Laqueur dem nun eine ausführliche Betrachtung der rechtsintellektuellen Szene hinzu. So wohltuend Laqueurs unpathetische und nüchterne Schilderung der Weimarer Kultur insgesamt anmuten kann und so realistisch seine Einschätzung der geringen Bedeutung der Intellektuellen in politischen Dingen sein mag, so muß man doch auch feststellen, daß er mit dieser Behauptung gerade in seinen Ausführungen zu den Rechtsintellektuellen nicht nur in - wohl beabsichtigte - Opposition zur übrigen Forschung gerät, sondern auch in logische Bedrängnis. Laqueur erneuert seine Behauptung, daß alles Tun und Unterlassen der Linksintellektuellen für den Schutz der Republik ohne Bedeutung, weil ohne öffentliche Resonanz geblieben wäre, ergänzt aber nun, daß es gleichwohl für Hitler forderlich gewesen sei (96). Diese Situation charakterisiert er als das Dilemma, in dem sich die Linksintelligenz befunden habe. Seine These von der politischen Wirkungslosigkeit der Intellektuellen formuliert Laqueur im Buch, anders

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als in seinem Aufsatz, zuweilen scharf bis polemisch, woran deutlich das Bedürfnis nach Verteidigung abzulesen ist. So versucht er, seine These durch eine Reihe von Hypothesen zu untermauern: Zwar verzeichnet er es als Versäumnis, daß die Linksintellektuellen das Phänomen Hitler vor 1933 keiner tiefschürfenden Analyse unterzogen hätten, spekuliert dann aber, daß keine noch so realistische Analyse die Stoßkraft der nationalsozialistischen Bewegung hätte bremsen können (90). Deutliche Kritik übt er auch an der Verweigerung der Linksintellektuellen, sich politischen Parteien anzuschließen, worin er das einzig wirkungsvolle Instrument zur politischen Teilhabe von Intellektuellen an der Macht erblickt. Aber, so fügt Laqueur hinzu, selbst wenn die Linksintellektuellen ihre politischen und moralischen Idealvorstellungen heruntergeschraubt und weniger rigoristische Maßstäbe angelegt hätten, dadurch kompromißbereit und zur Mittätigkeit in Parteien geeignet gewesen wären, so hätte auch all dies vermutlich nichts geändert, denn die Parteien hätten ihrerseits Vorbehalte gegen die Intellektuellen gehegt und ihrer Mitarbeit keinen Wert beigemessen. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation wiederholt Laqueur dann seine Aufforderung, die Frage nach der Verantwortung der Intellektuellen >in der richtigen Perspektive< zu sehen, und fügt hinzu: »Es war schließlich Hitler, und nicht Tucholsky, der die Weimarer Republik zu Grabe trug« (97). Laqueur pointiert sein Bild von der Rolle, die Intellektuelle in der Weimarer Republik hatten, wenn er sie als Kommentatoren, nicht aber als Akteure von Ereignissen beschreibt, die ihr eigenes Schicksal und das ihrer Nation betrafen. Statt den Intellektuellen Mitverantwortung und eine indirekte Schuld, die Schuld einer Unterlassungssünde, zuzuschreiben, bemüht sich Laqueur offenkundig, ihre Situation als tragisch und ausweglos zu charakterisieren: »Sie waren nicht das Gewissen der Nation«, stellt er apodiktisch fest, »und kein Mensch wollte moralische oder politische Belehrung von ihnen« (ebd.). Deutlich ist hier die Abwehr eines übersteigerten Selbstverständnisses der Intellektuellen selbst und einer ebensolchen Rollenzuschreibung von außen. Hierin wird aber auch die Schwäche von Laqueurs Arbeit deutlich: Er schreibt gegen Positionen anderer, gegen Schuldzuweisungen an die Weimarer Intellektuellen, an und entwikkelt dabei gleichwohl auch überzeugende Betrachtungen; insgesamt aber entbehrt sein Urteil einer systematisch begründeten Vorstellung von der Funktion des Intellektuellen in der Demokratie. Als politisch heimatlos, das heißt keiner Partei zugehörig, erscheint Laqueur nicht allein die linke Intelligenz, sondern auch die rechte (105). Gemeinsam sei beiden überdies, daß sie jeweils keinen Monolith bildeten, sondern in viele Splittergruppen zerfielen (115). Einheitlichkeit und parteimäßige Bindung oder Organisation bedeutet aber für Laqueur bekanntermaßen die unerläßliche Bedingung für politischen Einfluß, weshalb er denn auch für die Rechtsintellektuellen einen klaren Mangel an solchem Einfluß konstatiert (117). Selbst ihre Rolle als Berater von politischen Entscheidungsträgern schätzt er gering ein (118). Rechtsgerichtete politische Parteien hätten wenig Wert auf Intellektuelle in ihren Reihen gelegt und in gesellschaftlich maßgebenden konservativen Kreisen wie Großgrundbesitzern, Militärangehörigen und Industriellen seien Intellektuelle nur bedingt akzeptiert worden (117).

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Wenig schlüssig wirkt Laqueurs Behauptung von der politischen Machtlosigkeit der Rechtsintellektuellen indes, wenn er feststellt, daß Autoren wie Oswald Spengler zwar geringen politischen Einfluß besessen hätten, für das »allgemeine Meinungsklima« (118) jedoch beträchtliche Beiträge geliefert hätten - also doch, muß man folgern, Gehör in der Öffentlichkeit fanden. Eindeutig widersprüchlich ist schließlich Laqueurs resümierendes Urteil über rechtsgerichtete Ideologien. Sie hätten zwar das intellektuelle Klima der zwanziger Jahre »ziemlich genau« widergespiegelt und »in gewissem Maße« zur Ausbildung dieses Klimas beigetragen, seien aber »auf ihre Weise« genauso einflußlos geblieben wie die Linken (117). Rechtsintellektuelle spielten seines Erachtens eine bedeutende Rolle als »Schrittmacher der Nationalsozialisten« (138), weil sie die Demokratie im Mittelstand lächerlich machten; dennoch hätten sie auf den Gang der Ereignisse keinen »direkten Einfluß« (ebd.) gehabt. Hier schließt sich Laqueur unverkennbar und nicht ohne Widerspruch zu seiner Behauptung von der gänzlichen Bedeutungslosigkeit des Intellektuellen und seines Wortes nunmehr Sontheimers Deutung an, derzufolge die Vertreter antidemokratischen Denkens ein Vakuum in der Demokratie entstehen ließen, das den Nationalsozialisten schließlich zugute kam. Der britische Historiker GORDON A. CRAIG legte 1 9 7 8 eine umfangreiche und fundierte Studie zur deutschen Geschichte vor, die 1980 in deutscher Übersetzung erschien und seither mehrere neue Auflagen erfahren hat: Deutsche Geschichte 1866-1945. Vom Norddeutschen Bund bis zum Ende des Dritten Reiches (15). Im Rahmen einer Darstellung des Weimarer Kulturlebens sind zwei Kapitel den Intellektuellen gewidmet, wobei Craig - wie schon Laqueur Rechts- und Linksintellektuelle gesondert voneinander behandelt. Craig beschränkt sich auf Intellektuelle im engeren Sinne, auf Schriftsteller, Philosophen, Publizisten und Vertreter des akademischen Bereichs, er klammert also anders als Golo Mann, Sontheimer oder Laqueur - parteipolitisch aktive Vertreter des linken und rechten Spektrums aus seiner Betrachtung aus. Als maßgebliche Repräsentanten der linken Intelligenz gelten ihm die Expressionisten und die Autoren der Neuen Sachlichkeit, die dem Kapitel über die Linksintelligenz denn auch den Titel geben: Die Intellektuellen und die Republik. : Expressionisten und Vertreter der Neuen Sachlichkeit (419—425). Im Kapitel über Die Rechtsintellektuellen (425-432) beleuchtet Craig das Verhalten von Intellektuellen, die sich im Umkreis des Juni-Clubs, der Konservativen Revolution und des Tat-Kreises bewegten. Craig bietet insgesamt einen umsichtigen Überblick über das, weis die Forschung zu Weimarer Intellektuellen, zu ihren Versäumnissen und zur Frage nach ihrer Verantwortung für das Scheitern der Republik vorgetragen hat. Neues wird dem wohl nicht hinzugefugt, die Bedeutung liegt in der Zusammenschau und in der Akzentuierung bestimmter Perspektiven. Klar und prägnant, aber nicht polemisch geschrieben, kann diese Darstellung als Korrektur gegenüber den teilweise doch simplifizierend anmutenden Thesen von Laqueur empfunden werden. Wichtig scheint im Hinblick auf Laqueur, daß Craig dessen Behauptung von der politischen Machtlosigkeit der Intellektuellen nicht als Entlastungsargument zuläßt, offenbar aus diesem Grund gar nicht explizit auf

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Laqueur eingeht und vielmehr das voraussetzt, was auch die Forschung vor Laqueur stets in den Blick gefaßt hatte: das Moment eines »psychologischen« (419), also mentalitäts- oder ideengeschichtlich zu begreifenden Einflusses der Intellektuellen auf das Schicksal der Republik. Dabei fällt für Craig gar nicht so sehr die Republikfeindschaft jener intellektuellen Gruppen ins Gewicht, deren Abneigung zu erwarten gewesen wäre (Kommunisten, Neue Rechte, Universitätsprofessoren), als vielmehr die Ignoranz derjenigen Intellektuellen, die der Republik eigentlich für die Gewährung ihrer künstlerischen Souveränitätsrechte zu danken gehabt hätten. Den »psychologischen Schaden« (ebd.), den Künstler, Autoren, Journalisten und Gelehrte durch eine »Mischung aus Gleichgültigkeit, Verachtung und nörgelnder Kritik« (ebd.) angerichtet hätten, hält er für schwerwiegender und folgenreicher als die entschiedene Feindschaft von erklärten Republikgegnern. Implizit knüpft Craig damit an Sontheimers Deutung an, derzufolge ja der intellektuelle Beitrag zum Scheitern der Republik im Entzug von >innerem Zuspruch< bestanden habe. Zugleich steht Craigs Akzentuierung eines »psychologischen Schadens< in unübersehbarem Kontrast zu Laqueurs vereinfachender ereignisgeschichtlicher, chronologisch argumentierender Annahme, die das Schicksal Weimars allein in den letzten Jahren und auf den Straßen der Republik entschieden wissen will. Craig richtet also sein Augenmerk auf eine Grauzone von Unentschlossenheit, Zwiespalt und Schweigen, in der sich linksorientierte Intellektuelle bewegten. In seiner Analyse der Motive, die diese Intellektuellen in ihrer ablehnenden Haltung bewogen, geht er insbesondere mit den Expressionisten hart ins Gericht: Konzeptlosigkeit, Naivität, unzulänglichen Sachverstand, mangelnde Kompromißbereitschaft und die Übertragung eines subjektiven Idealismus auf gesellschaftliche Verhältnisse diagnostiziert er in ihren politischen Zielsetzungen und Handlungsweisen (420f.). Im Grunde durchdrungen von Politikverachtung und getrieben von höchst unrealistsischen Hoffnungen, seien die expressionistischen Aktivisten nicht willens gewesen, die bestehende Republik zu stützen. Verantwortungslose »Wortradikalität« (424), die schließlich zum Nutzen der rechten Republikgegner ausgeschlagen sei, und »Außerachtlassung des notwendigen politischen Augenmaßes« (ebd.) wirft Craig - in unverkennbarer Anlehnung an Golo Mann - Tucholsky vor, der ihm als Paradigma eines unter den linken weit verbreiteten Verhaltens gilt. Trotz dieser vehementen Kritik an ihrem Tun und an der destruierenden Wirkung ihrer überzogenen Kritik, streicht Craig - wie auch Frühwald in seiner Detailstudie zu den Münchener Revolutionären - den Idealismus heraus, der die expressionistischen Intellektuellen antrieb: Was aus Bendas historischer Perspektivierung des Verrats der modernen Intellektuellen als ein klares Versagen, als eine Form des Verrats und der Schuld hervorging, nämlich die Abwendung von einer optimistischen, auf die Perfektibilität des Menschen vertrauende Anthropologie, kann den Expressionisten nicht vorgehalten werden. Im Gegenteil: Craig betont, daß der Irrtum der Expressionisten gerade in einem übersteigerten Optimismus hinsichtlich des menschlichen Vervollkommnungsstrebens zu suchen sei, in »einem vielleicht zu naiven Glauben an die Entwicklungsfähigkeit der Menschen« (423). Die Vertreter der Neuen Sachlichkeit begingen diesen Irrtum eines überzo-

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genen Idealismus keineswegs, sie verkörperten in ihrer geistigen Grundhaltung gerade das Gegenteil - Pessimismus, Desillusionierung, angestrengte Nüchternheit; dennoch war, so zeigt Craig in einer Gegenüberstellung dieser beiden Flügel linksintellektuellen Künstlertums, die Wirkung ihres Schaffens für die Republik nicht minder schädlich als die expressionistische Emphase (ebd.). In seiner Betrachtung der Rechtsintellektuellen breitet Craig zunächst Argumente aus, die seit Golo Mann und Sontheimer geläufig sind. Wie Mann betont auch Craig den Einfluß, den die Rechten gerade auf die deutsche Jugend hatten, ein Einfluß, der »verheerend« (425) für die Republik gewesen sei und der - wiederum wie schon bei Mann - mit dem Hinweis auf die modernen, gerade nicht rückwärtsgewandten, sondern etwas radikal Neues versprechenden Momente dieses Denkens begründet wird: Als »bloße laudatores tempori acti« (ebd.) sei den Neokonservativen dieser Erfolg nicht beschert worden, mutmaßt Craig. Wie Sontheimer erblickt auch er den Anteil der Rechtsintellektuellen am Untergang der Republik darin, den Nazis qua Unterhöhlung der Republik den Weg geebnet zu haben (ebd.). Insofern gelten die Neokonservativen ihm »in einem ganz wirklichen Sinn [als] die intellektuelle Avantgarde der Revolution von rechts« (ebd.), die von den Nazis 1933 ins Werk gesetzt wurde. Die Wirkung, die antidemokratisches Denken von rechts im Rahmen der Weimarer Republik entfaltete, erblickt Craig in der Verschärfung von drei Tendenzen, die seines Erachtens in Deutschland ohnehin schon zu stark ausgeprägt gewesen seien (430): der Verschärfung des >AntiintellektualismusZeitalter des Politischem und an die auch sonst in der Forschung immer wieder verzeichnete Dominanz des Politischen in den zwanziger Jahren denkt. Wenn Craig von »politische[r] Gleichgültigkeit« (431) als einer nicht zu unterschätzenden Folge des Einflusses der Neokonservativen spricht, so meint er damit jedoch nicht die Politisierung aller Lebensbereiche, sondern einen grundsätzlichen Mangel an Bereitschaft, politische Verantwortung zu übernehmen. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn Craig die Verhaltensweise des Tat-Kreises um Hans Zehrer in den letzten Jahren der Republik analysiert: Selbst dort, wo man sich die >Tat< zur namensstiftenden Devise erkoren hatte, habe man in der Zeit der Krise keine politische Verantwortung übernehmen wollen, denn die von der »Tat«-Redaktion ausgegebene Handlungsanweisung jener Jahre sei paradoxerweise einem »Aufruf zur Tatenlosigkeit« (432) gleichgekommen. Craigs abschließendes Urteil über die Rechtsintellektuellen läßt deutlich werden, welche Tendenz er mit der zitierten politischen Ignoranz< oder >Abstinenz< jenseits aller konkreten politischen Ausfüllung als charakteristisch für deutsche Intellektuelle der Weimarer Republik betrachtet: ihre Flucht vor konkreter politischer Alltagsarbeit, die Abneigung also, sich langwieriger Kleinarbeit zu unterziehen. Diese Kombination von hochgesteckten politischen Geltungsansprüchen und tiefsitzender Abneigung gegen konkrete politische Tätigkeit beobachtet er bei den Rechtsintellektuellen ebensosehr wie bei den expressionistischen Aktivisten. Die neokonservativen Intellektuellen waren Craig zufolge »durchweg Romantiker«, einem irrationalem Denken verhaftet, das Rhetorik und Ästhetizis-

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mus mit politischer Einsicht verwechselt habe. Craig erneuert also das seit Golo Mann geläufige Verdikt, demzufolge die Rechtsintellektuellen realitätsferne, politisch unverständige Ästhetizisten waren. Ihre Übergriffe in den Bereich der Politik erscheinen folglich als unzulässige, weil inkompetente und in ihrer Wirkung auf die tatsächlichen politischen Verhältnisse verzerrende Übergriffe. Die Einstufung der Neokonservativen als >Romantiker< und die Tatsache, daß die Nazis nicht die Realisierung ihrer neokonservativen Wunschvorstellungen herbeiführten, dient Craig bei der Frage nach der Verantwortung dieser Intellektuellen jedoch keineswegs als relativierendes Entlastungsargument. Zwar verweist er - wie schon Sontheimer - darauf, daß die meisten von ihnen es ablehnten, sich in den Dienst Hitlers zu stellen oder sich später gar dem Widerstand gegen ihn anschlossen; doch er erspart ihnen nicht den Vorwurf, »in der Zeit ihres größten Einflusses« (430) für ihn gearbeitet zu haben, denn Hitler sei der »Nutznießer« (ebd.) ihrer Attacken auf Liberalismus und Demokratie gewesen. Aus dieser Feststellung leitet Craig dann seinen Hauptvorwurf gegen die Rechtsintellektuellen ab: Sie hätten Mithilfe geleistet bei der Erziehung der deutschen Jugend zur »politischen Verantwortungslosigkeit« (432). In einem Gespräch zwischen dem französischen Soziologen Raymond Aron und dem Literaturwissenschaftler Hans Mayer wurden hinsichtlich der Frage nach der Verantwortung der Weimarer Linksintellektuellen für das Scheitern der Republik Argumente ausgetauscht, die inzwischen zu Topoi des Streits über diese Frage geworden waren und aus der bislang vorgestellten Forschungsliteratur hinlänglich vertraut sind: Aron machte den Linksintellektuellen zum Vorwurf, durch ihre harsche Kritik den schwachen Weimarer Staat noch weiter geschwächt zu haben, worauf Mayer - wie schon Laqueur - mit der Vermutung konterte, daß die Weimarer Republik auch ohne die gegen sie gerichtete linksintellektuelle Polemik untergegangen sei, weil die linken Intellektuellen ohnehin fast keinen Einfluß auf das politische Bewußtsein der Bevölkerung besessen hätten. Dieses Gespräch bzw. die darin miteinander konkurrierenden Positionen nahm KURT SONTHEIMER in seinem 1982 im Merkur veröffentlichten Artikel Zwei deutsche Republiken und ihre Intellektuellen. Die Rolle der Intelligenz in Weimar und Bonn (37) zum Anlaß, die Frage nach der Verantwortung des Intellektuellen für die Politik auf systematische Weise zu erörtern (vgl. 1065), wobei Weimar und die in vergleichender Perspektive herangezogene »Bonner Republik« (1066) für die Analyse als historische Bezugsgrößen eines prinzipiellen Problems dienen: »Inwieweit«, so fragt Sontheimer, »ist die mit Recht vom Intellektuellen erwartete Kritik für die jeweilige Demokratie hilfreich, wieweit kann sie zerstörerisch sein?« (1065). Mit dem von Mayer im Gespräch mit Aron vorgetragenen Argument der ohnehin einflußlosen Position der Linksintellektuellen scheint Sontheimer - zurecht - die Frage nach der Rolle des kritischen Intellektuellen in der Demokratie in ihrem Kern umgangen zu werden. Denn seiner Auffassung zufolge - und in unverkennbarer, wörtlicher, aber wiederum nicht expliziter Anlehnung an Julien Benda - beruht die Aufgabe des Intellektuellen darin, ein »politisches Wächteramt« wahrzunehmen: Intellektuelle seien »berufene Vertreter von Gerechtigkeit, Moral und Wahrheit« (1063). Gemessen an diesem Rollenverständnis des Intellektuellen, gesteht

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Sontheimer für die Weimarer Zeit dann konsequenterweise allein den Linksintellektuellen zu, Uberhaupt tatsächliche Intellektuelle gewesen zu sein. Dabei deckt sich seine im Rückblick gewonnene Einschätzung mit dem Selbstverständnis der Weimarer Linksintellektuellen, denn, so heißt es, diese hätten sich dank ihrer festen Vorstellungen von Demokratie »als die wahren Treuhänder der demokratischen Werte und republikanischen Ideale von Weimar verstanden« (ebd.). Richtige Zielvorstellungen und ein entschiedenes Selbstverständnis als Intellektueller reichen allein aber noch nicht aus, um das zu erfüllen, was Sontheimer als »politisches Wächteramt« bezeichnet. Dazu gehört vielmehr auch - und das ist Sontheimers zentraler Gedanke in diesem Artikel - eine Reflexion auf »das Problem der Vermittlung von Geist und Realität, von Theorie und Praxis« (1065). Der Intellektuelle habe dieses Problem in seine öffentliche Tätigkeit einzubeziehen, er müsse den »Reibungsverlust« (ebd.) einkalkulieren, der sich bei der Umsetzung von Idealen in gesellschaftliche Praxis »notwendig« ergebe. Das Urteil, das die Nachwelt und die Forschung über die Verantwortung fällen, die Intellektuelle am Untergang der Demokratie gehabt haben sollen, hat sich daran auszurichten, so postuliert Sontheimer, in welchem Maße der Intellektuelle in seiner Kritik am Bestehenden besagten Reibungsverlust mitbedacht hat. Mit diesem Diktum hebt Sontheimer das Problem der Verantwortung des Intellektuellen auf eine Ebene, die den Mutmaßungen und Lamentos über politische Macht und Ohnmacht der Weimarer Linksintellektuellen enthoben ist und auf der die Verantwortung des Intellektuellen als das hervortritt, was sie in erster Linie ist: als »geistige Verantwortung« (1064). So begriffen entscheidet sich die Verantwortungsfrage nicht daran, ob Weimarer Intellektuelle überhaupt Einfluß auf das faktische Geschehen besaßen oder ob sie zumindest Einfluß auf das politische Bewußtsein der Bürger hatten, sondern daran, auf welche Weise sie ihren potentiellen Einfluß nutzten: ob unter Berücksichtigung oder unter Außerachtlassung des beschriebenen Reibungsverlustes. Für einen verantwortungsvollen Gebrauch des politischen Wächteramtes, so fordert Sontheimer, hat der Intellektuelle seine Ideale und seine daran ausgerichtete Kritik des Bestehenden an den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten zu relativieren. Andernfalls erscheine die Ausübung seines Wächteramts »arrogant und besserwisserisch« (1071), ein Verhalten, das Sontheimer der Kategorie zerstörerische Wirkung der Kritik des Intellektuellem zuschlagen müßte. Die Weimarer Intellektuellen rechnet Sontheimer denn auch nicht zu den »produktive[n]«, sondern zu den »schädliche[n] Störenfriede[n]« (1062) der Demokratie. Schädliche Störenfriede seien sie gewesen, weil sie ihre Ideen so hoch ansetzten, daß alle Wirklichkeit dahinter hätte zurückbleiben müssen, nicht allein die der Weimarer Republik. Von Schuld und Verantwortung der Weimarer Intellektuellen ist Sontheimers Ausführungen zufolge also sehr wohl zu sprechen, wenngleich er sich entschieden dagegen verwahrt, die Linksintellektuellen in gleichem Maße zu den »geistigen Totengräbern« (1064) der Republik zu zählen wie die Rechten. Die Gleichung, derzufolge beide intellektuelle Richtungen im selben Maße zum Untergang der Republik beigetragen hätten, hält Sontheimer für falsch. Den Beurteilungsmaßstäben entsprechend, die er in diesem Artikel entworfen hat, muß

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das Versäumnis der Linksintellektuellen darin erblickt werden, daß sie in ihrer Kritik an den Weimarer Verhältnissen keinerlei Reibungsverlust einkalkulierten; sie bemaßen die Wirklichkeit ungeschmälert an ihren Idealen, statt die Ideale an den Gegebenheiten zu relativieren und so zu einer maßvollen Kritik zu gelangen. Durch einen Vergleich mit den Linksintellektuellen der Bundesrepublik, die sich an den kritischen Linksintellektuellen der Weimarer Zeit, insbesondere an Tucholsky, orientierten, macht Sontheimer deutlich, daß das Fehlverhalten der Weimarer Intellektuellen nicht als historischer Einzelfall betrachtet werden kann, der durch einen Mangel an republikanischer Erfahrung zu erklären sei und somit für Post-Weimarer Zeiten als unwiederholbar zu gelten hätte. Vielmehr läßt der Vergleich mit bundesrepublikanischen Linksintellektuellen im Verhalten der Weimarer Linksintellektuellen ein grundsätzliches Problem linker Intellektueller aufscheinen, ein Problem, das im Selbstverständnis dieser Gruppe verwurzelt ist und folglich immer wieder virulent werden kann. So konstatiert Sontheimer denn auch mit Besorgnis, daß die Linksintellektuellen der Bundesrepublik ganz ähnlich wie ihre Weimarer Vorläufer radikale und in ihrer Wirkung letztlich kontraproduktive Kritik am bestehenden Staat geübt und somit also wiederum eine verantwortungsvolle Gestaltung ihres politischen Wächteramts in der Demokratie verfehlt hätten. Aus dieser vergleichenden Betrachtung folgert Sontheimer schließlich, daß die Linksintellektuellen einen »Typus des Intellektuellen« ( 1 0 7 1 ) verkörperten, der infolge seines emanzipatorischen Selbstverständnisses als >wahrer< Intellektueller »einer doppelten Gefahr« (ebd.) ausgesetzt sei: Zum einen neige er dazu, im Falle eines Scheiterns seiner Ideen stets die schlechten Verhältnisse, nicht jedoch die Ideen verantwortlich zu machen, - eine Einschätzung, die sich zwangsläufig aus der Überzeugung von der Priorität des Geistes gegenüber der Macht ergibt. Zum anderen drohe diesem Intellektuellentypus stets die Gefahr, daß er durch seine radikale Skepsis im sozialen Wertesystem schließlich die Geltung eben jener Werte untergrabe, für die er eigentlich kämpfe: Wahrheit, Moral, Humanität. Der Intellektuelle, der seine Ansprüche nicht zu mäßigen bereit ist, entkommt diesem Dilemma nicht. Es gilt daher Sontheimers Forderung, bei allem entschiedenen Eintreten für Wahrheit und Gerechtigkeit doch einzusehen, daß diese Werte »gleichwohl stets etwas Relatives bleiben« ( 1 0 7 1 ) . Hatte Sontheimer die Diskussion um die Verantwortung der Weimarer Intellektuellen mit seinem Merkur-Artikel 1982 bereits durch den historischen Vergleich mit der Bundesrepublik auf eine systematische Ebene gehoben, auf der es um epochenübergreifende, soziologische und politologische Einsichten hinsichtlich der Rolle des kritischen Intellektuellen in der Demokratie geht, so findet sich diese Loslösung vom historisch-epochalen Paradigma Weimar vollends realisiert in einem Aufsatz, den WOLFGANG HUBER 1 9 8 3 über Die Verantwortung der Intellektuellen (23) vorlegte. Weimar wird in dieser Arbeit nur gestreift, vielmehr nimmt Huber - wie auch Sontheimer ein Jahr zuvor - aktuelle Beobachtungen der frühen achtziger Jahre zum Ausgangspunkt für eine soziologisch und vor allem philosophisch argumentierende Erörterung der Frage intellektueller Verantwortung. Huber fällt also kein Urteil über das Verhalten

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Weimarer Intellektueller, unternimmt aber eine tiefschürfende Analyse desjenigen Begriffs, der sich in den bislang vorgestellten Arbeiten der Weimar-Forschung als leitend erwiesen hat, weshalb seine Einsichten hier vorgestellt werden. Durch eine religionssoziologische und philosophische Reflexion auf die Geschichte des Begriffs >Verantwortung< gelangt Huber zu Präzisierungen, die der vorausliegenden Forschung zu Weimarer Intellektuellen - sofern sie die Frage der Verantwortung ins Zentrum rückte - gut getan hätten, ja eigentlich dort bereits hätten geleistet werden müssen. Simplifizierende, den Kern des Problems verfehlende Positionen wären dann wohl nur als provokative Spitze in die Diskussion geworfen, aber nicht ernsthaft vertreten worden. Wer die Verantwortung von Intellektuellen zum Thema macht, der fragt, ob es eine Ethik der Intellektuellen gibt (344). In der Begründung dieser Engfuhrung von >Verantwortung< und >Ethik der Intellektuellem wird deutlich, daß sich Huber demselben Phänomen widmet, das Sontheimer ein Jahr zuvor unter der Bezeichnung >Reibungsverlust< bedacht hatte. Denn das Thema der Ethik, so bringt Huber in Erinnerung, ist die Frage nach den Folgen, die sich ergeben, wenn unter gegebenen Handlungsbedingungen bestimmte Handlungsprinzipien zur Geltung gebracht werden (342). Auf die Frage nach der Existenz einer spezifischen Intellektuellenethik gab Max Weber in seiner berühmten Rede Politik als Beruf (45) im Jahre 1919 eine Antwort, welche die weiteren Debatten um intellektuelle Verantwortung bis in die Gegenwart hinein prägten. Weber, an dem sich auch Hubers Suche nach einer spezifischen Intellektuellen-Ethik zunächst orientiert, unterschied bekanntermaßen zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik (vgl. 45, insbes. 79-81), wobei er selbst vor einer allzu vereinfachenden Gegenüberstellung der beiden Kategorien warnte. In der Rezeptionsgeschichte dieser beiden Begriffe wurde Webers Warnung allerdings in den Wind geschlagen, wie Huber kritisch vermerkt (342), und die Gesinnungsethik avancierte zur Ethik der Intellektuellen, - jene Ethik also, die nur auf die Reinheit der Handlungsabsichten achtet und den Realisierungsbedingungen und möglichen Folgen einer Anwendung ihrer Maximen keine Achtung schenkt, die also, mit Sontheimer gesprochen, keinerlei Rücksicht auf den Reibungsverlust bei der Umsetzung von Ideen in Wirklichkeit nimmt. Mit dieser Festlegung der Intellektuellen auf die Variante >Gesinnungsethik< wurde jedoch im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts - gerade im Rückblick auf Weimar - der Vorwurf von der Verantwortungslosigkeit der Intellektuellen gekoppelt und allmählich festgeschrieben. Huber muß daher noch 1983 feststellen, daß eine simplifizierende Rezeption der Weberschen Kategorien nach wie vor als »schlagkräftiges Argument zur Immunisierung gegen eine ethisch begründete Kritik öffentlicher Verhältnisse« (342) diene. Um die Möglichkeit einer solchen Kritik ist es ihm aber zu tun. Er beabsichtigt, eine Ethik des Intellektuellen zu definieren, die den Antagonismus der Weberschen Definitionen überwindet und damit den gegen Intellektuelle erhobenen Vorwurf der Verantwortungslosigkeit außer Kraft zu setzen vermag. Huber will also letztlich die Kluft von Geist und Macht überbrücken und so das negative Bild des Intellektuellen in der öffentlichen Meinung zurechtrücken. Der Intellektuelle soll von der Rolle befreit werden, derzufolge er der »Nicht-Verantwortliche« oder nur »das disputierende Subjekt« (337) ist.

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Die Formel von der >Verantwortung der Intellektuellem erscheint Huber indes problematisch, da sich in ihr eine Spannung zwischen Selbstbezüglichkeit und FremdbezUglichkeit verberge, die er durch eine begriffsgeschichtliche Analyse der beiden Komponenten dieser Formel ins Bewußtsein hebt: Der ursprünglich religiöse Begriff >Verantwortung< verweist in seiner doppelten Bedeutung als Verantwortung vor jemanden^ und > Verantwortung für jemandem im einen wie im anderen Fall auf die relationale Struktur menschlicher Existenz und im christlichen Kontext überdies auf die Rechtfertigung vor einer unbedingten Instanz; durch diese relationale Struktur sperrt sich der Begriff, so Huber, gegen eine Gleichsetzung mit dem auf Gewissensfreiheit und Selbstbestimmung gründenden Selbstverständnis des neuzeitlich-autonomen Subjekts. Definiert man jedoch, ungeachtet dieser Spannung, die Ethik des aus religiösen Bindungen entlassenen Intellektuellen als Verantwortungsethik, so wird die relationale Struktur von Verantwortung umgebogen in Selbstbezüglichkeit, Verantwortung gewinnt dann den Charakter von Selbstverantwortung (344f.). Der Intellektuelle aber begibt sich mit einer solchermaßen verstandenen Ethik in die größte Gefahr, die ihm - gemessen an der Funktion, die ihm in der Demokratie zukommt - droht: Er gerät in die Falle der Selbstbezüglichkeit, in der ihm die Wahrnehmungsfähigkeit für die Position des anderen abhanden kommt (343). Da der christlich geprägte Begriff >Verantwortung< aufgrund der geschilderten Struktur mit dem Selbstverständnis des modernen, sich auf Glaubensund Gewissensfreiheit berufenden Intellektuellen nicht umstandslos in Deckung zu bringen ist, Huber aber den Intellektuellen keineswegs aus den im Verantwortungsbegriff beschriebenen relationalen Strukturen menschlicher Existenz entlassen will, sucht er eine Definition der Ethik des Intellektuellen zu gewinnen, die das »Pathos der Intellektuellen« (ebd.) - ihren Autonomieanspruch respektiert, zugleich jedoch vor dem drohenden Umschlag in Selbstbezüglichkeit bewahrt. Bei diesem Bemühen tritt der Begriff der >Reflexivität< in seine Rechte: Huber bestimmt die Ethik des religiös emanzipierten Intellektuellen als eine - im Vergleich zu Webers Terminologie - erweiterte Form von Verantwortungsethik: als eine »Ethik des reflexiven Prinzipiengebrauchs« (ebd.). Den Vorzug einer so verstandenen Verantwortungsethik erblickt er darin, daß sie dem Status des neuzeitlichen Intellektuellen gerecht werde, ja, daß sie ihm gar »wahlverwandt« (ebd.) sei, weil beide durch einen gemeinsamen Ursprung innerhalb der Evolution ethischer Weltbilder - durch die Forderung nach Gewissensfreiheit - verbunden seien. Das von Huber in Geltung gebrachte Prinzip der Reflexivität gebietet dem neuzeitlichen Intellektuellen nun, die eigenen Prinzipien zu denen des anderen, desjenigen, der eine abweichende ethische Orientierung vertritt, in ein reflexives Verhältnis zu setzen und dabei die möglichen Folgen einer Verwirklichung dieser verschiedenen Prinzipien vergleichend abzuschätzen. Die >Ethik des reflexiven Prinzipiengebrauchs< hebt also deutlich auf die Realisierungs- und Handlungsproblematik ab, deren nahezu durchgängige Vernachlässigung durch kritische Intellektuelle Sontheimer 1982, aber auch schon Frühwald 1971 beanstandet hatten. Als spezifische Intellektuellen-Ethik beansprucht die von Huber postulierte Ethik, diesem Defizit intellektuellen Selbstverständnisses begegnen zu können, denn:

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Sie muß schließlich zu einer Analyse der realen Bedingungen vorstoßen, unter denen gehandelt wird. Prinzipienvergleich, Folgenabschätzung und Bedingungsanalyse werden so zu charakteristischen Merkmalen der Verantwortungsethik als einer Ethik des reflexiven Prinzipiengebrauchs. (343)

Betrachtet man Sontheimers Merkur-Artikel von 1982 und Hubers kurz darauf erschienene Arbeit im Vergleich, so scheint sich die Intellektuellen-Forschung, die mit dem Begriff >Verantwortung< operiert, zu Beginn der achtziger Jahre unter dem Eindruck der zeitgenössischen bundesrepublikanischen Verhältnisse um eine Präzisierung der mit diesem Begriff verbundenen Probleme zu bemühen: Wo Sontheimer die Berücksichtigung des Reibungsverlustes reklamiert, der bei der Verwirklichung von Ideen in gesellschaftliche Praxis unweigerlich eintritt, verlangt Huber den zeitgenössischen kritischen Intellektuellen Folgenabschätzung und einen reflexiven Umgang mit den eigenen und den gegnerischen Prinzipien ab. Würde eine so begriffene Reflexivität zur Spielregel intellektueller Debatten, dann könnte - so Huber - »intelligente Feindesliebe« (347) der spezifische Beitrag sein, den Intellektuelle der politischen Kultur ihres Landes erbrächten. Ihre Leistung bestünde darin, ein »nüchternes und empathisches Bild des anderen« (ebd.) zu entwerfen. Wenngleich die Weimarer Republik, wie erwähnt, Huber weder Gegenstand noch Anlaß seiner Studie über eine spezifische Intellektuellen-Ethik bot, läßt doch gerade ein Blick auf das intellektuelle Leben Weimars im Lichte der von Huber formulierten Einsichten und Postulate deutlich werden, welche Bedeutung eine Ethik des reflexiven Prinzipiengebrauchs für die politische Kultur einer Demokratie besitzen könnte: Weimar kannte eine solche Ethik offenkundig nicht, >intelligente Feindesliebe< war es mitnichten, was die Debatten der Intellektuellen dieser Zeit charakterisierte, sondern - wie die Forschung immer wieder hervorhebt - ein agonales, erbittertes Freund-Feind-Denken. Bemerkenswert an Hubers Arbeit ist überdies, daß sie in entscheidenden Punkten und im Grundtenor mit Julien Benda übereinstimmt. Wie schon Benda, so betont auch Huber - nunmehr in aktualitätsbezogener Wendung gegen Foucault - , daß eine Ethik der Intellektuellen universalistisch orientiert sei, daß sie »eine allen gemeinsame Wahrheit und ein für alle verbindliches Recht« (346) verteidige. Neben dieser Überzeugung von der Universalität intellektueller Werte teilt Huber mit Benda aber insbesondere ein zwar zurückhaltend bekundetes, aber dennoch unverkennbares Bedauern über die neuzeitliche Emanzipation aus religiösen Bindungen. Diese Emanzipation wird gleichwohl akzeptiert, schließlich bildet sie die Voraussetzung für die Definition einer Ethik des neuzeitlichen Intellektuellen. Dennoch bleibt das Bemühen um die Wahrung eines Unbedingten, einer unbedingten Instanz der Rechtfertigung, spürbar. Ging es Benda darum, in einer säkularisierten Epoche dem Prozeß der Relativierung durch die Erinnerung absoluter Werte Einhalt zu gebieten, so läßt sich ganz ähnlich auch bei Huber das Bestreben ausmachen, durch Säkularisierung herbeigeführten Relativierungsbewegungen entgegenzutreten. Von daher rührt dann auch sein entschiedenes Plädoyer, die relationale Struktur des Verantwortungsbegriffs »ernstzunehmen und an der Unbedingtheit von Verantwortung auch und gerade dann festzuhalten, wenn von der Verantwortung der Intellektuellen die Rede

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ist« (345). Anders als Benda stellt sich Huber jedoch gerade jenen Problemen, die in Bendas Definition des Intellektuellen als >Hüter geistiger Werte< offenblieben und Benjamins harsche Kritik hervorriefen. Mit seiner Forderung nach Folgenabschätzung und Bedingungsanalyse antwortet Huber auf das Problem der Umsetzung von Prinzipien in Handlungswirklichkeit und gibt damit sowohl Anweisungen für die kritische Tätigkeit des Intellektuellen als auch Beurteilungsmaßstäbe für denjenigen, der unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung schließlich jene Tätigkeit zu beurteilen hat. Insofern geht Huber einen entscheidenden Schritt über Benda hinaus.

3. Die gesellschaftliche Funktion des Intellektuellen in der parlamentarischen Demokratie am Beispiel Weimars Die Forschung zur Theorie der Intellektuellen befaßte sich bis weit in die sechziger Jahre hinein vornehmlich mit dem Problem der Umsetzung von Geist in politische Macht, wie PAUL NOACK (33) 1 9 9 1 in seiner Studie Deutschland, Deine Intellektuellen in einem knappen theoriegeschichtlichen Abriß zur Intellektuellen-Forschung feststellt (30). Seit den späten sechziger Jahren jedoch habe sich der Akzent verschoben, nunmehr sei die Frage in den Vordergrund getreten, welche Funktionen der Intelligenz »in einer zunehmend von Massenmedien beherrschten, offenen und in offenbarer Wandlung befindlichen Gesellschaft« (ebd.) zukämen. Was Noack für die theoretische Beschäftigung mit dem Phänomen »Intellektuelle* bemerkt, läßt sich auch an der notwendigerweise primär historisch ausgerichteten Forschung zu Weimarer Intellektuellen beobachten: Ein Zweig dieser Forschung, der sich seit den späten sechziger Jahren herauskristallisiert, beleuchtet das Verhalten der Intellektuellen in der Weimarer Republik zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Funktion von Intellektuellen in einer Demokratie und rückt damit die lange Zeit dominierende Frage nach der Verantwortung dieser Intellektuellen für das Scheitern der Republik in den Hintergrund, - eine Frage, die gleichwohl niemals völlig aus der Beschäftigung mit Weimarer Intellektuellen verdrängt wurde. Den Arbeiten dieses neueren Forschungszweiges jedoch gilt die erste deutsche Republik nunmehr als historisches Paradigma für ein grundsätzliches Problem intellektueller Existenz. Als erster trat JENÖ KURUCZ 1967 mit einer Studie zu Struktur und Funktion der Intelligenz während der Weimarer Republik (26) hervor. Die soziologisch angelegte Arbeit, mit der Kurucz an der Universität des Saarlandes habilitierte, wurde in der Forschung zu Weimarer Intellektuellen verblüffend wenig rezipiert, obwohl doch allein der Titel eine thematisch einschlägige Studie erwarten läßt und auch die - wie schon ein Blick ins detaillierte Inhaltsverzeichnis verrät - systematisch dargebotene Materialfülle eine ertragreiche Lektüre in Aussicht stellt. Die letztlich doch nachvollziehbaren Gründe für diese eher schwache Rezeption mögen aus der im weiteren gebotenen Präsentation von Kurucz' Thesen erhellen. Wenngleich die Arbeit in der Forschung also begründeterweise keinen nachhaltigen Widerklang fand, soll sie hier dennoch vorgestellt werden. Dies

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verdient sie nicht allein wegen der systematischen Erschließung des Themas, sondern auch, weil sie mit der Erforschung der Funktion des Intellektuellen in der pluralistischen Gesellschaft Themenstellungen entwickelt, die zwar unbefriedigend oder gar auf obsolete Weise beantwortet werden, aber als solche doch Wegweisendes bezeichnen. Die Arbeit ist in zwei große Teile untergliedert, einen theoretisch-definitorischen und einen historisch-analytischen, wobei der Schwerpunkt auf letztgenanntem liegt. Der einleitende theoretische Teil (Kapitel I) ist um eine soziologische Bestimmung der »Intelligenz« bemüht, in der sich Kurucz von Theodor Geigers Intellektuellen-Theorie abgrenzt (17-23) und für seine Untersuchungen der Weimarer Intelligenz eine einfache typologische Unterscheidung zwischen kulturtragender und technisch-organisatorischer Intelligenz (17) beziehungsweise zwischen >wirklichen< und >nominellen< Intellektuellen (25) trifft. Im historischen Teil (Kapitel II bis VI) kommt die im theoretischen Vorspann angestellte intellektuellentypologische Differenzierung dann zur Geltung: Kurucz faßt für die Weimarer Zeit nur die kulturtragende, >schöpferischewirkliche< Intelligenz, in den Blick; eine Ausnahme oder vielmehr einen Grenzfall seiner Typologie bildet allein das Akademikertum, die >vermittelnde IntelligenzStandpunktsicherheit< verfügte (36). Kurucz zufolge hat sich mit dem Verlust der Standpunktsicherheit des mittelalterlichen Klerikers die Frage nach der Legitimation des intellektuellen Anspruchs auf priesterliche Autorität in säkularen Verhältnissen (ebd.) erhoben, ein Problem, das die Intellektuellengeschichte der Neuzeit von der gebildeten Laienschicht der Renaissance bis hin zur modernen Intelligenz durchziehe. Dieser Legitimationsdruck sei entstanden, weil das Bildungswissen des Intellektuellen »keineswegs gebieterisch« (47) sei, weil es im Unterschied zum Heilswissen des Klerikers keine »unwiderrufliche, imperative Kraft« (22) ausübe. So anmaßend sich der Anspruch des neuzeitlichen Intellektuellen auf priesterliche Autorität angesichts dieses wenig verbindlichen Charakters seines Wissens auch ausnimmt, für Kurucz scheint dieser Anspruch doch insofern berechtigt, als er auf ein objektives gesellschaftliches Bedürfnis bezogen sei: Der mit priesterlicher Autorität auftretende Intellektuelle antworte auf das geistige Orientierungsbedürfnis der Gesellschaft, er bemühe sich, wie es in Mannheimscher Terminologie heißt, »die (profane) öffentliche Weltauslegung zu besorgen« (11). Daß dieses zunächst geradezu ideal anmutende Verhältnis zwischen »soziale[m] Auftrag« (48) und korrespondierender intellektueller Leistung schließlich nicht aufgeht, sieht Kurucz dem Umstand geschuldet, daß es in der pluralistisch strukturierten Industriegesellschaft »heterogene geistige Erwartungen« (ebd.) sind, die von Seiten unterschiedlicher Interessengruppen an die intellektuelle Weltauslegung herangetragen werden. Die Deutungsarbeit der Intellektuellen bleibe daher stets umstritten, sie könne keine allgemeine Akzeptanz finden, so wenig wie der Intellektuelle selbst kraft seiner Arbeit eine »allgemein anerkannte Autorität« (ebd.) erlangen könne. Im historisch perspektivierten Teil seiner Arbeit prüft Kurucz, ob das geschilderte »Repräsentationsbedürfnis«der kulturtragenden Intelligenz - ihr Anspruch, vermittels einer mit priesterlicher Autorität vorgetragenen Weltdeutung in die Sphäre des sozialen Handelns einzugreifen (14) - unter den Verhältnissen einer pluralistischen Demokratie legitim sei (54). Was Kurucz als eine Legitimationsfrage präsentiert, erweist sich im Zuge seiner Untersuchung dann aber stärker als eine Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen intellektueller Wirkungsmöglichkeiten denn als kritische Prüfung der Angemessenheit dieses Anspruchs selbst. Kurucz sucht nach Möglichkeiten, den Intellektuellen in die pluralistische Gesellschaft zu integrieren, ihn mit einer »unanfechtbaren sozialen Rolle« (11) auszustatten. Weimar dient dabei als warnendes Beispiel, anhand dessen demonstriert werden soll, welche Faktoren intellektuellen Verhaltens solche Integrations- und Wirkungsmöglichkeiten konterkarieren. Innerhalb der kulturschöpferischen Intelligenz der Weimarer Republik unterscheidet Ku-

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rucz drei Gruppierungen, die am Prozeß der öffentlichen Weltauslegung maßgeblich beteiligt waren (60): die Anhänger der Konservativen Revolution, die Vertreter eines »Humanistischen Intellektualismus« und die Linksintellektuellen. Bei allen dreien konstatiert er im Anschluß an eine wissenssoziologisch sich verstehende Analyse (vgl. 65f.) ihrer gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen schließlich ein Versagen hinsichtlich der Umsetzung dieser Ideen in soziale Praxis. Als wichtigste Ursache dieses Unvermögens bestimmt Kurucz eine zur Ohnmacht fuhrende Spaltung der kulturschöpferischen Intelligenz (78ff.). Dabei rückt er weniger die zwangsläufige Divergenz ihrer jeweiligen Wert- und Zielvorstellungen in den Vordergrund als vielmehr den Modus ihres Umgangs miteinander: Im Anschluß an Karl Mannheim sieht er das Verhältnis zum Gegner unter dem Zeichen des Ideologieverdachts stehen, wodurch die intellektuellen Auseinandersetzungen die Signatur grundsätzlicher Unschlichtbarkeit erhalten hätten. Insgesamt bietet das Bild, das Kurucz von der kulturschöpferischen Intelligenz Weimars anhand der drei genannten Gruppierungen zeichnet, keine neuen Einsichten. Die Gründe, die er für die Wirkungslosigkeit der Intellektuellen anführt, wurden im wesentlichen schon von der älteren Forschung im Kontext der Verantwortungsfrage vorgetragen: Ohnmacht durch innere Spaltung, Isolation durch realitätsuntüchtige Ziele, Handlungsunfähigkeit durch Utopismus, Idealismus und Mangel an politischer Kompetenz. Bemerkenswert - und möglicherweise ausschlaggebend für die weiter oben charakterisierte Rezeption der Arbeit in der Forschungsliteratur - ist indes, auf welche Gruppierungen Kurucz diese Ursachenbestimmungen bezieht. So diagnostiziert er bei den Konservativen Revolutionären dieselbe aus idealistischer Geistigkeit erwachsene politische Handlungsunfähigkeit wie bei den parteipolitisch ungebundenen Linksintellektuellen. Dabei läuft seine Darstellung spürbar auf eine Ehrenrettung der Konservativen Revolutionäre hinaus. Er attestiert ihnen »typisch intellektuelle Wirklichkeitsfremdheit« (88) und kritisiert ihre Unfähigkeit wie auch Unwilligkeit, sich »zu einer festen und werbefähigen politischen Organisation« (87) zu formen, um so letztlich die Behauptung von der politischen Isolation und Wirkungslosigkeit der Konservativen Revolution aufstellen zu können. Das Bild einer elitären, wirklichkeitsenthobenen, in die politische Isolation gedrängten Gruppe dient Kurucz schließlich dazu, die Deutung, die Sontheimer einige Jahre zuvor von der politischen Verantwortung der Konservativen Revolution für das Scheitern der Weimarer Republik gegeben hat, in Abrede zu stellen. Gegen Sontheimer führt Kurucz Armin Möhlers 1952 erschienene Studie über die »Konservative Revolution« ins Feld, die eine gewisse Affinität zum behandelten Gegenstand aufweist - ihr Verfasser fungierte von 1949 bis 1953 als Sekretär von Ernst Jünger - und durch Sontheimers Untersuchung des »Antidemokratischen Denkens« zwischenzeitlich differenziert und ergänzt worden war. Indem sich Kurucz aber in unnachgiebiger Obstination und unter Ausblendung von Sontheimers Ergebnissen auf die >Klarstellungen< (145) des »bahnbrecherischen« (62) Beitrags von Möhler stützt, begibt er sich in eine schwer haltbare, nach Publikation von Sontheimers Schrift obsolet erscheinende Position: Unter Berufung auf Möhler behauptet er, daß zwischen der rationalismus-

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kritischen Haltung vieler Weimarer Intellektueller und dem Antiintellektualismus der Nationalsozialisten keinerlei ursächlicher Zusammenhang bestehe (ebd.). Die gleichwohl unbestreitbare und den nationalsozialistischen Absichten zuträgliche Ausbreitung einer geistfeindlichen Atmosphäre in jenen Jahren lastet Kurucz in keiner Weise den Vertretern der Konservativen Revolution an, sondern im entschiedenen Gegenzug zu dieser Auffassung dem Versagen der kulturtragenden Intelligenz insgesamt: »Was ihn [den vitalen Antiintellektualismus, A.B.] zur öffentlichen Geltung kommen ließ, war nicht die >organische< Denkweise der konservativen Revolutionäre, sondern der Zerfall der >GelehrtenrepublikGelehrtenrepublikausgetrieben< habe (27). In Müllers Zugriff auf das Thema der Intellektuellen in Deutschland erhält die Weimarer Republik eine über sich selbst hinausweisende Bedeutung für die bundesrepublikanische Gegenwart. Denn der Umstand, daß in den zeitgenössischen Debatten noch keine Einigkeit über die Beurteilung des politischen Engagements der Weimarer Intellektuellen erreicht worden war, gilt ihm als Indiz dafür, »daß sich auch in der Bundesrepublik nur schwerlich ein Konsens darüber herstellen läßt, welche Form des politischen Engagements der Literaten einer parlamentarischen Demokratie eigentlich bekömmlich ist« (24). Eine eigene oder - gemessen am Forschungsstand - neuartige Einschätzung der Rolle, die Intellektuelle in der Weimarer Republik einnahmen, gibt Müller allerdings selbst auch nicht. Er beschränkt sich darauf, die Urteile der älteren Forschung mitzuteilen: Die Kritik der radikaldemokratischen Utopisten sei allzu schonungslos gewesen und die kritischen Intellektuellen hätten zu spät die Einsicht in die Notwendigkeit einer »kritischen Sympathie« (23) gegenüber ihrem Staat erlangt. Auch die Rolle des kritischen Intellektuellen in der parlamentarischen Demokratie gewinnt bei Müller im Rahmen der auf Weimar bezogenen Betrachtungen keine Konturen, Weimar fungiert lediglich als historische Folie für die aufgeworfene Fragestellung. Deutlich wird dabei insbesondere, daß die Beschäftigung mit Weimarer Intellektuellen durch die systematische Fragestellung nach der Funktion des Intellektuellen in der parlamentarischen Demokratie zwangsläufig in eine nicht nur historisch bedingte Distanz rückt. Die Auseinandersetzung mit Weimar erfolgt unter dem Gesichtspunkt der Selbstverständigung, in Müllers Fragestellung interessiert weniger Weimar selbst als vielmehr der zeitgenössische Umgang mit Weimar. Insgesamt erscheint das Verhältnis zwischen Literatur und Politik, das Müller für die Weimarer Jahre skizziert, äußerst dissonant, es wird ganz unter dem Zeichen einer radikalisierten, »vertieften Spaltung« (24) gesehen. Weimarer Autoren hatten seines Erachtens ein ausgeprägtes Bewußtsein der Trennung zwischen Kulturnation und Staatsnation (ebd.). In ihren Werken hätten daher auch solche Figuren dominiert, die - wie Kästners Fabian - »die Ohnmacht des Intellektuellen gegenüber der Macht des Faktischen« (25) verkörperten. Müller erklärt somit die Literatur zum Spiegel der von ihm charakterisierten Situation des Intellektuellen und wählt in seiner Darstellung der Weimarer Zeit freilich auch nur solche Autoren und Werke aus, die geeignet sind, diese Sicht zu veranschaulichen. Am Ende seiner einsträngig auf die Dissonanz von Geist und Macht abgestellten Darstellung der Geschichte von Literatur und Politik in Deutschland erscheint denn auch der Umstand, daß in den letzten Jahren der Weimarer Republik Autoren »die Erfahrung der Ohnmacht des Geistes vor der Macht des Ungeistes« (26) machen mußten, geradezu unausweichlich, zumindest in der Logik der aufgezeigten Entwicklung liegend. Müllers Darstellung

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legt nahe, in dieser bitteren Erfahrung der kritischen Weimarer Intellektuellen den Preis zu erkennen, den Intellektuelle entrichten müssen, wenn sie ihre Rolle in einer parlamentarischen Demokratie nicht angemessen auszufüllen wissen. Um eine angemessene Auffassung von der Funktion des Intellektuellen in einer parlamentarischen Demokratie kreisen auch die Überlegungen, die JÜRGEN HABERMAS 1986 zum Verhältnis von Geist und Macht in Deutschland anstellte und in historischer Perspektive als die Beschäftigung mit einem deutschen Thema< bestimmte: Geist und Macht - ein deutsches Thema. Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland (21). Anläßlich einer Gedenkfeier zum Verbot der jungdeutschen Autorengruppe durch den Deutschen Bundestag im Jahre 1835 verknüpft Habermas die Frage nach dem Selbstverständnis des Intellektuellen in Deutschland in einer zunächst überraschend erscheinenden Konstellation mit Heinrich Heine auf der einen und den Intellektuellen der Weimarer Republik auf der anderen Seite. Beide Autoren bzw. Autorengruppen dienen ihm als Paradigmen für mögliche Rollenverständnisse, die Intellektuelle in Deutschland ausbildeten. In Heine sieht Habermas ein intellektuelles Selbstverständnis verkörpert, das dem »typisch deutsche[n] Gegenspiel von Schwärmerei und Zynismus« (22) nicht erlegen sei, das vielmehr politisches Engagement und ein sich als autonom verstehendes Künstlertum in Einklang miteinander zu bringen vermocht habe. Ein solch ausgewogenes, von einer positiven und selbstbewußten Haltung gegenüber der eigenen Funktion erfülltes Selbstverständnis hatten Weimarer Intellektuelle hingegen nicht, betont Habermas. Ihr Verständnis von der Rolle des Intellektuellen im parlamentarischen System sei von Selbstüberschätzung oder von Skepsis, grundsätzlich aber von Mißverständnissen bestimmt gewesen, wie er an Vertretern der verschiedensten intellektuellen Gruppierungen oder Richtungen der Weimarer Zeit nachweist. Bei den bedeutendsten Fraktionen im Weimarer Geistesleben stößt er durchweg auf die Abneigung, sich selbst als >Intellektuelle< zu bezeichnen. Die Unpolitischen wie Hermann Hesse oder der frühe Thomas Mann, die Aktivisten um Kurt Hiller, selbst realpolitisch gesonnene Theoretiker wie Max Weber oder der junge Heuss und nicht zuletzt auch Parteiintellektuelle, zu welchen Georg Lukäcs oder Johannes R. Becher sich schließlich wandelten, - sie alle zogen es vor, sich >Geistigegeistige Menschen< oder - mit sozialistischer Färbung - >geistige Arbeiten zu nennen. Damit aber, so unterstreicht Habermas, taten sie genau das, was sonst nur Rechtsintellektuelle taten: sich als Intellektuelle dementieren (20). Der begriffsgeschichtliche Befund bleibt nicht äußerlich, sondern verweist auf das hinter dem Benennungsproblem sich verbergende problematische Verständnis von der Rolle des Intellektuellen. In der Abweisung des Begriffs intellektuellen erkennt Habermas ein »Dilemma der Selbstverleugnung« (21), das er in zwei Durchgängen historisch begründet, einmal begriffsgeschichtlich, zum zweiten mentalitäts- bzw. ideengeschichtlich. Begriffsgeschichtlich führt Habermas das Dilemma der Selbstverleugnung darauf zurück, daß in Deutschland von der im Nachbarland sich abspielenden Dreyfus-Affäre nur »das negativ besetzte Rollenstereotyp« (19) der gegnerischen Gruppe um Maurice Barres rezipiert wurde. Diesem Stereotyp gemäß, war der Intellektuelle ein abstrakter

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Denker ohne Instinkt und ohne patriotische Gesinnung, entwurzelt, dekadent und mit der Verbreitung einer zersetzenden Kritik am Bestehenden befaßt. Habermas zufolge ist nun diese einseitige Rezeption der französischen Debatte dafür verantwortlich, daß in Deutschland noch vor dem Ersten Weltkrieg eine »Intellektuellenkritik ohne Intellektuelle« (ebd.) entstanden war, die dann in der Weimarer Zeit geradezu normative Kraft entfaltete. Selbst Intellektuelle wie Heinrich Mann, Ernst Troeltsch oder Alfred Döblin, so erinnert Habermas, konnten sich nicht zu einer unbefangenen Verwendung des Begriffs intellektuellen durchringen. Für das Selbstverständnis und das Verhalten des Intellektuellen in der deutschen Geschichte ist diese auffällige Abstinenz in der Selbstbezeichnung als intellektuellen - als welchen man in diffamierender Absicht nur den intellektuellen Gegner titulierte aufschlußreich: Habermas gilt sie als Symptom einer Fehlentwicklung, er liest aus dem Sprachgebrauch, den Weimarer Intellektuelle in berufsständischen Fragen pflegten, ab, daß in der ersten deutschen Demokratie eine positiv verstandene Intellektuellenrolle nicht entstanden war. Weimar stellt daher für ihn den Fall einer »leider fehlgeschlagenen Institutionalisierung der Rolle des Intellektuellen« (22) dar. Die Gründe dieser Fehlentwicklung reichen in der deutschen Geistesgeschichte freilich noch weit hinter die Rezeption der Dreyfus-Affäre zurück, wie Habermas in einer ideengeschichtlichen Betrachtung deutlich werden läßt: Sie liegen in bildungsbürgerlich geprägten, von zwei grundlegenden Mißverständnissen bestimmten Vorstellungen über das Verhältnis von Geist und Macht. Deutsche Intellektuelle neigten, so stellt Habermas fest, (erstens) zu einer »Fetischisierung des Geistes« und fürchteten (zweitens) ihre Vereinnahmung durch die Politik, sie fürchteten die »Instumentalisierung der Politik« (28). Als sich für sie nach 1918 dann die Möglichkeit bot, mit kritischer Stimme ins politische Tagesgeschehen einzugreifen, als sie zum »Geburtshelfer« (17) einer aus der literarischen hervorgehenden politischen Öffentlichkeit hätten werden können, hätten die beiden genannten Ängste in fataler Weise fortgewirkt und die Ausbildung einer »balancierten Einschätzung der Intellektuellenrolle« (21) verhindert. Bei Vertretern aller von ihm kategorisierten intellektuellen Gruppierungen erkennt Habermas - je nach politischer Ausrichtung freilich in unterschiedlich starken Mischungsverhältnissen - zum einen die Sorge um die Autonomie ihres künstlerischen oder wissenschaftlichen Tuns und zum anderen die Verwechslung von >Engagement für die politische Öffentlichkeit mit einer drohenden >Absorption durch den politischen Machtkampf (21f.). Auch politisch denkende Intellektuelle wie Lukäcs oder Becher seien von Mißverständnissen und Irrtümern hinsichtlich der Funktion des Intellektuellen nicht ausgenommen gewesen, denn sie hätten bei ihrem Übertritt zur Politik ähnlich wie auch die Aktivisten um Kurt Hiller - intellektuellen Einfluß mit der Verfügung Uber politische Macht verwechselt und sich überdies in einer geschichtsphilosophisch begründeten »Avantgardefunktion von weltgeschichtlicher Bedeutung« (21) gewähnt; für die Ausübung dieser Avantgardefunktion hätten sie schließlich auch kein »noch so masochistisches Ritual der Selbstreinigung« (ebd.) gescheut. Habermas diagnostiziert also bei Weimarer Intellektuellen durchweg die Unfähigkeit, zu einem maßvollen, ausgewogenen Verstand-

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nis ihrer Intellektuellenrolle zu finden, - zu einem positiven Rollenverständnis also, das ihnen erlaubt hätte, ihr künstlerisches oder wissenschaftliches Geschäft mit einer »gleichsam im Nebenberuf« (28) ausgeübten Partizipation an der politischen Öffentlichkeit zu verbinden. Heinrich Heine hätte ihnen hierin zum Vorbild dienen können, so meint Habermas, konnte aber in Weimarer Zeiten in diese Funktion doch nicht aufrücken, weil das schwärmerisch-elitäre, mit Anspruch auf Höheres versehene Selbstverständnis einer weitgehend in bildungsbürgerlichen Traditionen verhafteten Intelligenz den Blick auf Heines vorurteilsfreies Selbstverständnis als Intellektueller verstellte. Erst nach 1945 konnte Heine in Deutschland für das Selbstverständnis der Intellektuellen traditionsbildend wirken. Das bedeutet in Hinsicht auf die Frage nach dem Selbstverständnis des Intellektuellen in der parlamentarischen Demokratie: Was in Weimar scheiterte, gelang erst in der Bundesrepublik: die Bildung einer Intellektuellenschicht, »die sich selbst als solche akzeptiert« (32). Wenn Habermas die Weimarer Republik mit der Kategorie des >Scheiterns< in Zusammenhang bringt, so fragt er also - anders als die übrige Forschungsliteratur - einmal nicht nach dem Scheitern dieser Republik durch das Zutun ihrer Intellektuellen, sondern nach den Gründen für das intellektuellengeschichtliche Faktum, daß die Ausbildung einer positiv verstandenen Intellektuellenrolle in der ersten deutschen Republik scheiterte. Dabei bleibt er seine Definition der spezifischen Rolle des Intellektuellen in der parlamentarischen Demokratie nicht schuldig, die Definition jener Rolle also, für die ihm Heine als >Protointellektueller< gilt und die Weimarer Intellektuelle noch nicht auszufüllen vermochten. Kontrastiert man dabei Habermas' Funktionsbestimmung mit den Überlegungen, die zwanzig Jahre zuvor Kurucz zur selben Frage entwickelt hat, so tritt nun, durch die Bemessung an den von Habermas entwickelten Maßstäben, nochmals schärfer hervor, wie obsolet Kurucz' Auffassung ist. Allerdings verbindet beide Autoren neben der gemeinsamen Fragestellung und trotz aller Differenzen im Detail doch eines: die Auffassung nämlich, daß Intellektuelle in der Weimarer Republik ihre Funktion nicht hätten erfüllen können. Kurucz zufolge konnten sie es unter den Bedingungen eines pluralistisch verfaßten Staatswesens nicht mehr tun, Habermas zufolge hätten sie ihre Rolle unter diesen Bedingungen überhaupt erstmals angemessen erfüllen können, was ihnen aber faktisch noch nicht gelungen sei und erst nach 1945 realisiert werden sollte. In der Zusammenschau der beiden Studien erscheint Weimar somit gleichsam als intellektuellensoziologisches Vakuum der deutschen Geschichte. Weil mit der Weimarer Republik in Deutschland erstmals ein Staatswesen mit verfassungsmäßig garantiertem parlamentarischem Betrieb etabliert wurde, konnten die Intellektuellen hier auch erstmals, so betont Habermas, ihre spezifische Rolle wahrnehmen. Denn erst mit dem Adressaten einer öffentlichen Meinung, die durch den Kampf der Parteien und der Presse geformt wird, gewinnt der Intellektuelle sein eigentliches Publikum. Seine Aufgabe besteht darin, an einer demokratischen Willensbildung mitzuwirken, sein Wirkungsfeld ist »eine politische Kultur des Widerspruchs« (17), die in der Demokratie die Institutionen des Staates ergänzt. Nur wo dies gegeben ist, »findet der Intellektuelle sei-

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nen Platz« (16). Habermas bindet also die Möglichkeit einer spezifisch intellektuellen Tätigkeit an die parlamentarische, pluralistische Demokratie - an jene Staatsform also, in der Kurucz zufolge der Intellektuelle gerade keinen Platz mehr habe, zu der er sich vielmehr ablehnend verhalte und die ihm selbst auch keinen unanfechtbaren Platz< einräumen wolle. Während Kurucz für den Intellektuellen eine feste, mit Autorität und Sozialprestige ausgestattete Position in der Gesellschaft einfordert und die gelingende Ausübung intellektueller Funktionen von der Gewährung einer solchen Position abhängig macht, erblickt Habermas umgekehrt die Grundbedingung intellektueller Tätigkeit in der Demokratie gerade im Freisein von staatlicher Einbindung. Der Intellektuelle soll ja die Institutionen des Staates kritisch ergänzen, er darf ihnen - das unterscheidet ihn vom Politiker, vom politischen Experten - daher gerade nicht angehören. Der Unterschied in den Auffassungen von Kurucz und Habermas liegt freilich in diametral entgegengesetzten Auffassungen darüber, was ein Intellektueller sei. Kurucz hängt an überkommenen, bildungsbürgerlich geprägten, mit kulturellen Herrschaftsansprüchen verbundenen elitären Konzepten, die viele Weimarer Intellektuelle - wie Habermas zeigt - selbst noch teilten. Für Sinnstiftungsaufgaben und geistige Orientierungsangebote, die von staatlich abgesicherten Positionen aus und mit >priesterlicher Autoritär dekretiert werden, ist freilich in der pluralistischen Gesellschaft kein Platz mehr. Daß die Rolle, die Kurucz dem Intellektuellen auch noch fiir die Weimarer Republik oder überhaupt für die parlamentarische Demokratie sichern wollte, veraltet und den Bedingungen moderner Industriegesellschaften inadäquat ist, stellt eine Einsicht dar, von der Habermas in seiner Analyse Weimarer Verhältnisse ausgeht: Denn, so stellt er fest, mit der Ausbildung eines parlamentarischen Betriebes - also mit der Ausrufung der Weimarer Republik - übernimmt der Intellektuelle »eine andere Rolle« (16). 1987, im gleichen Jahr also, in dem Habermas' Vortrag zur Rolle des Intellektuellen in Deutschland erschien, widmete auch K U R T SONTHEIMER erneut eine Arbeit den Weimarer Intellektuellen: Die politische Kultur der Weimarer Republik (40). Sontheimer wirft hier noch einmal im Zusammenhang mit den Intellektuellen die Frage nach dem Scheitern der Republik auf, was im vorliegenden Forschungsreferat auch eine Behandlung des Aufsatzes unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung von Intellektuellen erlaubt hätte. Ein anderer Aspekt der knappen Studie soll hier jedoch in den Vordergrund gerückt werden, der Sontheimers Überlegungen mit Habermas' Definition intellektueller Tätigkeit in der Demokratie zusammenrückt und daher die Erörterung an dieser Stelle ergiebiger erscheinen läßt. Bestimmte Habermas das Wirkungsfeld des Intellektuellen in der Demokratie als >eine politische Kultur des WiderspruchsWiderspruch< kristallisiert sich dabei als die entscheidende Kategorie zur Charakterisierung der beiden Kulturen heraus, und es wird deutlich, daß die politische Kultur einer parlamentarischen Demokratie nur ein begrenztes Maß an Widerspruch auszuhalten vermag. Sonthei-

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mer führt so - ohne explizit auf Habermas Bezug zu nehmen - die Grenzen des von Habermas postulierten Prinzips intellektueller Tätigkeit vor Augen. Angeregt zu diesem Vergleich zweier als >Kultur< definierter Bereiche hat Sontheimer die diametral entgegengesetzte Wertschätzung, die künstlerische Kultur< und politische Kultur< der Weimarer Republik in der Nachwelt erfuhren: Auf der einen Seite das hohe Ansehen der künstlerisch-geistigen Kultur, auf der anderen Seite hingegen die geringe Achtung gegenüber der politischen Kultur Weimars. Inwieweit nun die Ursachen des einen zugleich die Gründe des anderen sind, ist die Frage, die Sontheimer in dieser erneuten Beschäftigung mit Weimar zu erhellen versucht. Der Ertrag fällt indes nicht so aufsehenerregend und gegenüber den Befunden der vorausliegenden Forschung auch nicht so neuartig aus, wie es die Fragestellung zunächst erwarten lassen könnte, was Sontheimer zugegebenermaßen allerdings auch nicht in Aussicht stellt. Er versteht seinen Beitrag vielmehr als Anregung, der politischen Kultur von Weimar noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken (464), als es die Forschung bis dahin getan hatte, da er die Schwäche des Weimarer Staates und dessen Untergang in der Schwäche der politischen Kultur begründet sieht (456). In einer zuweilen schematisch anmutenden Gegenüberstellung hebt Sontheimer darauf ab, daß ein und dasselbe Prinzip des kommunikativen Umgangs miteinander in dem einen gesellschaftlichen Bereich befruchtend und im anderen zerstörerisch wirke: Das in Weimar allgegenwärtige Prinzip der »Gegensätzlichkeit« (462), einer aus Polarität erzeugten Spannung habe im künstlerischen Bereich überaus produktive, im politischen jedoch desaströse, gar tödliche Wirkungen entfaltet. Sontheimer rühmt zwar die Vielfalt und die schöpferische Breite des kulturellen Lebens, preist das Überbordende, Gärende und Ungebändigte der künstlerischen Produktivität diese Jahre (ebd.), betont aber dann, daß das überdurchschnittliche Niveau des Weimarer Kulturlebens sich eben jener Konstellation der Gegensätzlichkeit verdanke, die auch die politische Sphäre strukturierte, hier jedoch am Ende destruktiv wirkte. Ob allerdings tatsächlich ein enger kausaler Zusammenhang zwischen der Glanzzeit der einen Kultur und dem Untergang der anderen besteht, wie es Sontheimers Argumentationsschema von >geistig anregend versus politisch desaströs< insinuiert, bliebe zumindest in Hinsicht auf eine über Weimarer Verhältnisse hinausreichende, prinzipielle Geltung dieses Konnexes zu klären. Auffallig scheint die Nähe dieses Gedankens zu einem schematisch argumentierenden Topos der Bestimmung von Kunst und Macht, der in älteren kulturhistorischen Schriften begegnet und die Blüte ästhetischer Kultur an den Niedergang oder gar an den Mangel einer demokratischen politischen Kultur bindet, - wie beispielsweise im neunten von Schillers »Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen«, wo besagtes Verhältnis von ästhetischer und politisch-demokratischer >Blütezeit< ein und desselben Staates am Beispiel Athens und Spartas durchgespielt wird. Daß die kulturelle und die politische Sphäre nach unterschiedlichen Gesetzen funktionieren und das, was der einen nützt, der anderen schaden kann, hat - für den Fall Weimar - auch die ältere Forschung gesehen, wohl aber nicht in der von Sontheimer gebotenen Pointierung vorgetragen. Hilfreich ist zweifellos die begriffliche Präzisierung, die Sontheimer durch

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die Einführung des aus den Sozialwissenschaften stammenden Begriffs der p o litischen Kultur< für eine systematische Erarbeitung der in Rede stehenden Zusammenhänge bietet. Politische Kultur< bezeichnet, so definiert er, die emotionale und erkenntnismäßige Einstellung der Bevölkerung zum politischen System, in dem sie lebt (454). Unter Verwendung dieses Begriffs zeigt sich die Bedeutung, die intellektuellem Widerspruch oder intellektueller Zustimmung zu gesellschaftlichen und politischen Ereignissen beizumessen ist: Intellektuelle prägen wertmäßige Einstellungen der Bürger, sie haben Einfluß auf Stimmungen in der Bevölkerung. Damit aber können sie durchaus und in einem nicht zu unterschätzenden Maße zur Akzeptanz eines Staates bei seinen Bürgern beitragen - oder aber zum Entzug derselben. Wenn das Schicksal eines Staates mit seiner politischen Kultur steht und fällt - und das war, wie Sontheimer betont, in Weimar der Fall - , dann werden Behauptungen von der völligen Ohnmacht der Intellektuellen (Laqueur) gegenstandslos. Die Erforschung der politischen Kultur von Weimar besitzt daher Sontheimers Auffassung zufolge »eine Schlüsselfunktion« (454), wenn es um die Erklärung des Scheiterns der ersten deutschen Republik geht.

4. Krisenanalysen um 1930 - Zeitdiagnostische Deutungsmuster in intellektuellen Zeitkommentaren »Schriftsteller haben in diesem gesamten menschlichen Niederbruch weiter gesehn als die abgestempelten Lenker; sie haben alles Elend vorausgesagt, auch die Verhinderungsmöglichkeit. Beispielshalber ich.« Alfred Kerr vertraute diese offenkundig aller Selbstzweifel enthobene Einschätzung von der eigenen politischen Urteilsfähigkeit und der seiner Weimarer Schriftstellerkollegen 1938 im Londoner Exil seinem Tagebuch an. Seine Tagebuchnotiz provozierte zu Beginn der achtziger Jahre Literaturwissenschaftler zu einer kritischen Prüfung der zeitanalytischen Diagnosen von Weimarer Intellektuellen: Im Mai 1981 veranstaltete die Forschungsstelle »Deutsche Literatur 1933-1945« an der Universität-Gesamthochschule-Wuppertal ein Symposium, in dem über den diagnostischen und prognostischen Scharfsinn von Zeitkommentaren befunden werden sollte, die berühmte Repräsentanten der schriftstellerischen und publizistischen Intelligenz in den letzten Jahren der Republik angestellt hatten. Die Beiträge des Symposiums erschienen 1982 in einem Sammelband unter dem Titel Weimars Ende. Prognosen und Diagnosen in der deutschen Literatur und politischen Publizistik 1930-1933 (25). In seiner dichten und äußerst gehaltvollen Einleitung formuliert der Herausgeber THOMAS KOEBNER die Ziele und Fragestellungen, die für sämtliche der insgesamt neunzehn Beiträge leitend waren. Die Arbeiten sollten sondieren, wie das liberale und das extremistische Denken der frühen dreißiger Jahre bei der Analyse der Zeitverhältnisse verfahren ist (11). In der zeitlichen Konzentration auf die Krisenjahre der Republik, auf das Szenario, das ihrem Untergang vorausging, ist Koebners Ansatz geradezu paradigmatisch für die Erforschung von

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Weimar und unterscheidet sich auch in der damit einhergehenden inhaltlichen Perspektivierung auf das Scheitern der Republik wenig von den Arbeiten, die nach der Verantwortung und Schuld der Intellektuellen fragen. Anders als diese Arbeiten jedoch und im Einzelfall überaus erhellend sowie insgesamt inspirierend für die weitere Forschung ist der Erkenntnisimpuls, der hier zu einer Beschäftigung mit dem Denken von Weimarer Intellektuellen in den Krisenjahren veranlaßte. Denn nicht um eine ethische Bewertung und Schuldzuweisung ist es Koebner und seinen Kollegen vornehmlich zu tun, auch nicht um eine historiographische Beschreibung des politischen Niedergangs anhand von ereignisgeschichtlichen Fakten, von »dokumentierbaren Wendepunkten« (10), sondern um eine Analyse der »Mentalitäten und Einstellungen« (ebd.), die diesen Phänomenen des moralischen Versagens und des faktischen politischen Scheiterns zugrundeliegen. Der mentalitätsgeschichtliche Ansatz soll also Ereignis- und Ideengeschichte verbinden, er will »>hinter< die Schicht der protokollierten Ereignisse dringen« und dort »die verborgenen Dispositionen und die Leitideen geschichtlichen Verhaltens« (ebd.) aufspüren. Das »Bewußtsein/Unterbewußtsein« (13) soll durchleuchtet werden, das die von Historikern analysierte >Selbstpreisgabe der Republik< (Karl Dietrich Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik. Stuttgart 1955) durch den viel beklagten Mangel an demokratischer Verantwortung zuließ. Als heuristische Prämisse gilt dabei, daß sich dieses Bewußtsein oder Unterbewußtsein in bestimmten Denkmustern, in »Bahnen des Denkens« (11) bewegt habe. Für eine Charakterisierung und kritische Würdigung der Zeitdiagnosen, die Weimarer Intellektuelle unternahmen, muß diese Annahme als äußerst fruchtbar angesehen werden. Denn Koebner geht es nicht allein darum, solche VerständnisStrukturen zu identifizieren, also Muster, Motive und Stereotypen der Zeitkritik auszumachen, sondern darüber hinaus abzuwägen, inwiefern sie für die intellektuellen Analysen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Krise sensibilisierende oder blockierende Wirkung besaßen. Schärften oder paralysierten, so fragt er, diese Verständnis-Strukturen die Aufmerksamkeit gegenüber der aktuellen nationalsozialistischen Bedrohung, in der sich die Republik befand? Koebners kritischer Blick auf die diagnostische Kompetenz der Weimarer Zeitgenossen zeigt sich dabei - wie auch sonst in der Weimar-Forschung - geprägt von einem selbstkritischen Gegenwartsbezug: Auch er faßt Weimar als »Präfiguration oder Paradigma aktueller Krisen« (9) auf, auch er räumt ein, daß das wissenschaftliche Augenmerk, das sich auf Weimars Ende richtet, »durch die Sorge gelenkt [ist], Geschichte könne sich wiederholen« (ebd.). Wenn die Teilnehmer des Wuppertaler Kolloquiums sich bemühten, den Zukunftshorizont der Weimarer Intellektuellen zu rekonstruieren, so geschah dies also auch mit dem unterschwelligen Bedürfnis, »der eigenen prophetischen Kompetenz« (11) mit kritischer Aufmerksamkeit zu begegnen. Und dazu, so muß man sagen, ist der Ansatz, zeitdiagnostische Denkmuster auf ihre blockierende oder sensibilisierende Kraft zu untersuchen, überaus geeignet. Denn sollte sich herausstellen, daß die Sinndeutung mancher Weimarer Intellektueller nicht mehr »auf der >Höhe der Zeit< gewesen« (ebd.) war, weil sie mit überholten oder grob verein-

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fachenden Deutungsschemata operierten, so müßten solche Denkmuster, sofern sie in heutigen oder zukünftigen Zeitkommentaren wiederkehren sollten, erst recht als anachronistisch und für die politische Wahrnehmungsfähigkeit als gefahrlich eingestuft werden. Die von Alfred Kerr hoch veranschlagte prophetische Kompetenz der Intellektuellen wird von Koebner und den Teilnehmern des Symposiums danach bemessen, inwieweit sie zur Wahrnehmung und realistischen Beurteilung des heraufziehenden Nationalsozialismus befähigt hatte. Daß das Urteil der in Wuppertal zusammengetroffenen Wissenschaftler von der Einschätzung des Zeitzeugen Kerr - mit Ausnahme von Kerr selbst - in den meisten Fällen abweicht, verwundert eingedenk der Urteile, die schon die ältere Forschung unter dem Verantwortungsaspekt über Weimarer Intellektuelle fällte, kaum. Um die zeitdiagnostische Kompetenz der meisten Weimarer Intellektuellen war es insgesamt keineswegs gut bestellt, so befindet auch Koebner. Von einer überlegenen politischen Wahrnehmungsfähigkeit kann seiner Darstellung zufolge keine Rede sein. Gestützt auf die Ergebnisse der Einzelstudien des Symposiums, sieht er in den Zeitanalysen der meisten Intellektuellen Selbsttäuschungen und falsche Hoffhungen am Werke und spricht von einer »bisweilen fast gleichmütigen Unberührtheit angesichts der verhängnisvollen Situation der Republik« (12). Diese fatale Indifferenz, jenes Bewußtsein also, das Weimar im Stich ließ, verrät sich, wie Koebner resümiert, in den zeitdiagnostischen Schriften der Intellektuellen vor allem in drei Formen: in einer konservativen Mentalität, in der Denkfigur erwartungsvoller Schicksalsergebenheit und in den vielgeführten Klagen über das, was seit Kurt Tucholsky als >graue Republik< bezeichnet wird (13-15). Vorzugsweise in diesen drei Deutungsmustern wurden die Krisenphänomene der Republik von Intellektuellen begriffen und beschrieben. Damit aber brachten ihre Zeitanalysen keineswegs das hervor, was - wie man im Rückblick um so leichter weiß - dringend erforderlich gewesen wäre und doch auch trotz des Vorwurfes historischer Besserwisserei von Zeitanalysen erwartet werden kann: eine Intensivierung der politischen Wachsamkeit und gegebenenfalls eine Mobilisierung von Ab Wehrkräften gegen bedrohliche Entwicklungen. Die intellektuellen Zeitanalysen aus Weimar wirkten aber, sofern es um eine Rettung der Republik zu tun sein sollte, ganz im Gegenteil kontraproduktiv: Sie verstärkten, so stellt Koebner fest, den Geist »>hilflosen< Nicht-Engagements« (13), der die Republik schließlich den Nationalsozialisten auslieferte. Alle drei Deutungsmuster oder Denkweisen, die Koebner in Zeitanalysen der Weimarer Intellektuellen als strukturierend erkennt, vermochten auf die Krise nicht zeitgemäß zu reagieren, sie verfehlten das Neue und Spezifische der Situation. So reduzierte die konservative Mentalität in Analogieschlüssen das Neue auf Altbekanntes, auf historisch Vertrautes. Sie operierte mit weitausgreifenden geschichtsphilosophischen Vorstellungen und globalen Modellen. Viele Intellektuelle fanden bei solchen alten und dogmatischen Diagnosen Beruhigung. In dieser Mentalität aber wurde, so Koebner, die Grenze nach 1918 wieder durchlässig, von der Republik einmal verdrängte Ideen und Ideale rückten wieder in den Vordergrund und ließen so Weimar »zur rasch durcheilten Passage, zum Zwischenzustand« (14) geraten.

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Verbunden mit dieser Mentalität ist die Denkfigur, die Koebner durch alle politischen Lager hindurch als dominierend in der Zeit der Krise erachtet: die Haltung erwartungsvoller Schicksalsergebenheit, die Erwartung einer fundamentalen Umwälzung, einer grundstürzenden Revolution. Von Oswald Spengler und Ernst Jünger bis hin zu Alfred Döblin und Walter Benjamin reicht die Reihe der Intellektuellen, in deren Zeitdiagnosen chiliastische Strukturen durchscheinen. Koebner hebt hervor, daß in solchermaßen strukturierten Analysemodellen eine antiliberale Geschichtslogik am Werk ist, die automatische Verläufe und überindividuelle Determinanten in das Feld der historisch-politischen Wahrnehmung rückt und so die auf Widerstand sinnende Tatkraft des einzelnen im Keim erstickt (ebd.). So folgte auch die vor 1933 vielerorten kursierende Abnützungstheorie, die dem Nationalsozialismus keine langen Überlebenschancen voraussagte, wenn er einmal an die Macht gekommen wäre, diesem messianischen Denkmodell. Der Rettung, so besagt dieses Denken, geht eine Katastrophe mit kathartischer Wirkung voraus. Alle Krisenanalysen, die mit dieser geschichtslogischen Denkfigur arbeiteten, hatten, wie Koebner urteilt, die demokratische Gesellschaftsverfassung von Weimar bewußt oder unbewußt schon vor dem 30. Januar 1933 aufgegeben. Zur intendierten oder unwillentlichen Preisgabe der Republik in intellektuellen Zeitanalysen der Jahre vor 1933 trugen schließlich auch die Klagen über die >graue Republik< bei. Die Republik hatte sich als Ergebnis einer Niederlage etabliert und daher in der Ausbildung repräsentativer Zeremonien und Symbole Zurückhaltung gewahrt. Spätestens in den frühen dreißiger Jahren schlug diese Zurückhaltung der Republik jedoch zum Nachteil aus, denn durch den Mangel an ästhetischer Repäsentation konnte sie - wo die Bahnen der Vernunft blokkiert waren und die Instrumente der parlamentarischen Meinungsbildung machtlos erschienen - auch nicht auf dem Weg der Emotionalisierung durch politische Symbolik Anhänger gewinnen oder zumindest die alten weiterhin an sich binden. Dieses Defizit an republikanischer Symbolik wurde als Zeichen der offenkundigen politischen Schwäche ausgelegt. Die Republik galt als reizlos und langweilig, sie vermochte nicht, vermittels ästhetischer Wirkung zur emotionalen Identifikation einzuladen. Die Gegner der Republik wußten diese Situation zu nutzen und entwickelten ihrerseits in den frühen dreißiger Jahren symbolische Appelle und Stimuli, die mit der nüchternen und >grauen< Lebenswirklichkeit der Republik kontrastierten. Die Wirkung ihrer Symbole blieb nicht aus, sie trug zur Lähmung der republikanischen Ideen und Werte bei, zumal nach Abklingen der neusachlichen Mode die Empfänglichkeit für Symbole aus der regressiven Anti-Moderne gestiegen war. Die Gegenwehr von republikfreundlichen Intellektuellen, die sich, wie beispielsweise Thomas Mann, um eine die Republik stärkende Ästhetik bemühten, vermochte dagegen nichts mehr auszurichten. Die »reaktive Ästhetik« des liberalen oder linken Widerstands kam, so konstatiert Koebner, zu spät (16). Das Trauma der >grauen Republik< konnte nicht mehr bewältigt werden, maßgebliche Intellektuelle hatten versäumt, durch ihr künstlerisches Wirken der Republik rechtzeitig ein Potential anteilnehmender Phantasie zuzuführen.

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Die Bedeutung des von Koebner herausgegebenen Sammelbandes beruht ohne Zweifel darin, daß die hier vereinigten Studien an repräsentativen Einzelfällen zeigen, welche intellektuellen Denkfiguren und Diagnose-Modelle um 1930 allmählich in den politischen Ruin führten. Der Niedergang der Weimarer Republik erscheint so (auch) als das Resultat bestimmter, von Intellektuellen verwendeter und verbreiteter zeitdiagnostischer Deutungsmuster. Als zentrale Herausforderung für die Analytiker von Weimar betrachteten die Beiträger des Wuppertaler Symposiums es daher, zu prüfen, ob der Niedergang der Republik tatsächlich der Endpunkt eines unaufhaltsamen, zwangsläufigen Auflösungsprozesses war oder ob diese Perspektive nicht erst durch intellektuelle Zeitanalysen eröffnet wurde, die der typischen Konzeption von Zeitklagen folgten. Denn die Vergangenheit wird in messianisch strukturierten Zeitklagen stets als Vorgeschichte eines Verfalls gelesen und die Gegenwart erscheint als zu überbrückende Periode vor der reinigenden Katastrophe. Eine solche, die Aufmerksamkeit für die Gegenwart dämpfende Zeitstruktur identifiziert Koebner beispielsweise in Karl Jaspers berühmter und wirkungsmächtiger Studie über Die geistige Situation der Zeit von 1931 (9). Jaspers Zeitbild mußte daher eben jenes hilflose Nicht-Engagement hervorrufen, das Koebner als charakteristische Wirkung fast aller von Intellektuellen angestellten Zeitanalysen bestimmte. Im folgenden werden drei Beiträge des vorgestellen Sammelbandes ausführlicher präsentiert, da sie paradigmatische Bedeutung für das Bild von Weimarer Schriftstellern als Intellektuellen besitzen. Der wohl aufschlußreichste Beitrag des von Koebner herausgegebenen Sammelbandes befaßt sich mit dem Krisengefühl, das die Intellektuellen um 1930 umtrieb und zu einer Analyse der Gegenwart drängte. Unter der programmatischen Fragestellung Verfall Weimars oder Verfall der Kultur? Zum Krisengeföhl der Intelligenz um 1930 spürt FRANK TROMMLER (42) dem Zusammenhang zwischen intellektueller Zeitdiagnostik und individueller Lebenssituation der Intellektuellen nach. Trommler deckt dabei das beherrschende Deutungsmuster von intellektuellen Zeitanalysen der Jahre um 1930 auf und beschreibt die politische Wirkung, die damit operierende Schriften in der krisengeschüttelten Republik entfalteten. Ausgehend von der Beobachtung, daß um 1930 in der Weimarer Publizistik und Essayistik allenthalben ein angestrengtes Bilanzziehen zu verzeichnen sei, wundert sich Trommler darüber, daß nur wenige der liberalen und linken Zeitdiagnostiker im historischen Rückblick als scharfsichtig gerühmt werden könnten. Die Qualität der wirtschaftlichen und politischen Krise sei von kaum einem Intellektuellen realistisch eingeschätzt worden und Gleiches gelte für die Wahrnehmung der heraufziehenden nationalsozialistischen Bedrohung. Die Ursache für diesen weitverbreiteten Mangel an Klarsicht erblickt Trommler darin, daß sich die meisten Intellektuellen bei ihrer Beschreibung und Erklärung der Krisenphänomene auf das Deutungsmuster einer »gewaltigen Kulturkrise« (35) fixierten: Bankzusammenbrüche, Arbeitslosenschlangen und politische Straßenschlachten seien ihnen weder als Folgen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung erschienen, die Deutschland seit Ausgang des Ersten

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Weltkrieges mit aller Anstrengung betrieb, noch als Folgen der neu eingerichteten pluralistischen Demokratie nach westlichem Muster; vielmehr hätten den Intellektuellen die Elendszustände und die politische Verwirrung als Symptome einer schon lange schwelenden Kulturkrise gegolten, die ihrer Auffassung nach um 1930 endgültig einer Lösung entgegendrängte. Neu gegenüber der bisherigen Forschung über Weimarer Intellektuelle ist, daß Trommler den lange geläufigen Befund einer unpolitischen oder gar undemokratischen Haltung vieler Intellektueller mit dieser Beobachtung einer Fixierung auf die >große Kulturkrise< verbindet (ebd.). In der Zusammenschau dieser beiden Momente gelangt er zu der leitenden und titelgebenden Frage seines Aufsatzes, ob es denn den Weimarer Intellektuellen in ihren zeitdiagnostischen, zumeist überpolitisch argumentierenden Texten überhaupt um die (politische) Krise der Republik zu tun gewesen sei oder ob nicht viel eher im Mittelpunkt ihres Interesses die >große Kulturkrise< gestanden habe, deren Zeichen sie allerorten wahrnahmen. Durch die Brille einer großen Kulturkrise sei den Weimarer Intellektuellen der Überlebenskampf der Republik lediglich als Funktion dieser vermeintlich viel größeren, umfassenden Krise erschienen. Um plausibel zu machen, warum die Intellektuellen das Deutungsmuster der >Kulturkrise< so entschieden favorisierten, skizziert Trommler ihre von Not gedrückte wirtschaftliche und soziale Lage. Dabei wird deutlich, daß das Deutungsmuster >Kulturkrise< für die sprachlich orientierten Eliten (36) nicht bloß eine geistige Wahlmöglichkeit neben anderen darstellte, sondern unmittelbare existentielle Bedeutung besaß und daher für sie als Erklärung der allgemeinen Krisensituation geradezu zwingende Anziehungskraft besitzen mußte: Die akademische und die schriftstellerisch-publizistische Intelligenz (37), so zeigt Trommler, konzentrierte sich in ihren Zeitdiagnosen auf das Thema der >großen KulturkriseKulturkrise< lieferte das Erklärungsmodell für die eigene prekäre Lage, für den Prestigeverlust und den wirtschaftlichen Niedergang, vor dem Alfred Weber schon 1922 in seiner Schrift über Die Not der geistigen Arbeiter als vor einem für die Demokratie bedrohlichen Politikum gewarnt hatte. Trommler rückt also die soziale Dimension in den Vordergrund, die den Antrieb für die >Wahl< des Deutungsmusters >Kulturkrise< darstellte. Für die akademische, publizistische und schriftstellerische Intelligenz war dieses Deutungsmodell aber nicht allein deshalb besonders geeignet, weil es die persönliche, sie alle verbindene soziale Betroffenheit zu reflektieren vermochte; vielmehr erschien dieses Modell zudem inhaltlich variabel, so daß es von Vertretern verschiedener politischer Orientierungen ergriffen werden konnte. Das Konzept der Kulturkrise wirke »nicht unverständlich« (42), so räumt Trommler ein, wenn man sich in die Verhältnisse von 1930 zurückversetze und verschiedene Perspektiven einnehme: Ob von rechts oder von links, die Krisenphänomene hätten mit Hilfe dieses Deutungsmusters in überzeugender Weise stets als Resultate langwährender Prozesse, als Kulminationspunkt einer Dauerkrise gedeutet werden können, - sei es als Ergebnis der jahrelangen Herrschaft von Liberalismus

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und Massendemokratie, sei es als entscheidende Phase des lange betriebenen Niedergangs des Kapitalismus (ebd.). Besonders nachdrücklich wirkte das Modell >Kulturkrise< im Bereich der Moderne-Kritik. Rationalismus-Kritik und antitechnische Affekte wirkten zusammen und ließen die Republik als Verkörperung all dessen erscheinen, was man an der Moderne ablehnte. Kommerzialisierung des Geistigen und Politisierung der Kultur wurden vehement beklagt und gegen eine lebensphilosophisch fundierte Erkenntnistheorie ausgespielt. So ist es auch als Folge des von Intellektuellen verbreiteten Analysemodells >Kulturkrise< anzusehen, daß in der Krisenzeit alle Möglichkeiten einer intuitiven, »überpolitischen Wirklichkeitsbewältigung« (43), wie Trommler schreibt, mit erneutem Interesse aufgegriffen wurden. Die Krisenauseinandersetzung um 1930 reaktivierte mit dem Modell >Kulturkrise< Entwürfe, die aus der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg vertraut waren: Im Rückgriff auf Gemeinschafts- und Disziplinierungserfahrungen der Weltkriegszeit suchten Intellektuelle Lösungen der Gegenwartskrise. Damit avancierte, wie Trommler herausstellt, der Erste Weltkrieg zum wichtigsten Bezugsfeld der intellektuellen Krisendebatten um 1930. Im Rahmen dieses geistigen Bezugsfeldes lasse sich daher auch, so folgert er, eine gewisse Kontinuität zwischen den kulturrevolutionären Konzepten der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg und der Krisenmilitanz um 1930 erkennen. Die Kriegserfahrung hat seines Erachtens noch um 1930 ihre »Bannkraft« (46) bewiesen, indem sie angesichts der Krise zu überpolitischen Lösungen greifen ließ und demokratische, kompromißgebundene Lösungen diskreditierte. Die aktuelle Krise weckte Erinnerungen an Erlebnisse aus der Kriegszeit und geriet somit zu einem Dijä-vu-Erlebnis, das altvertrauten Lösungskonzepten neue Faszinationskraft verlieh. Trommler erklärt die charakteristische Militanz der Krisenlösungskonzepte aus den frühen dreißiger Jahren mit dieser Reminiszenz an Erlebnisse aus den Jahren des Ersten Weltkrieges. Der Rekurs auf das Kriegserlebnis und die soziale Verzweiflung vieler Intellektueller gelten ihm als der entscheidende Zugang zu einem Verständnis für die intellektuelle Bereitschaft zu Disziplin, Gemeinschaftsdenken und Radikalität. Das Zusammentreffen dieser beiden Momente habe »zum Sprung in den Dezisionismus, in Aktion und neues Missionsdenken« (ebd.) disponiert. Noch ein drittes Moment kommt schließlich hinzu, um die Durchschlagkraft des Deutungsmusters >Kulturkrise< bei Weimarer Intellektuellen zu begründen. Denn nicht zuletzt geschah es mit dem - intellektuellengeschichtlich betrachtet - altbekannten Begehren nach einer kulturellen Führungsrolle, daß sich die Intellektuellen in ihren Gegenwartsdiagnosen und im Entwurf von Lösungskonzepten dem Modell >Kulturkrise< verschrieben. Trommler stellt insofern zurecht fest, daß der »erneute Anspruch auf eine Sprecherrolle der Intelligenz [...] sich nur unter Berufung auf die Gesamtkrise der Kultur konstruieren« (ebd.) ließ. Anders gesagt: Nur wenn die Krise kulturell bedingt war, konnte sich die Intelligenz als zuständig für die Entwicklung von Lösungsentwürfen präsentieren, politische Lösungen hingegen wären nicht in ihr Kompetenzgebiet gefallen. Die »Selbsterhöhung der Intelligenz« (47) in der Zeit der Krise war nur solange möglich, wie die Krise mit Hilfe des Deutungsmusters >Kulturkrise< wahrge-

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nommen wurde. Daß Weimarer Intellektuelle in ihren zeitanalytischen Argumentationen den politisch-institutionellen Rahmen der Republik übersprangen (35), verwundert daher kaum. Daß sie aber gerade in dieser Abgehobenheit von politischen Fakten und Erklärungen gesellschaftliche Wirkung erzielten (36), müßte verwundern, tut es indes aber kaum noch, wenn man Trommlers Untersuchung des Krisengefühls der Intelligenz zur Kenntnis genommen hat. Denn die Bedeutung seiner Arbeit beruht nicht allein darin, daß sie verschiedene Momente benennt, in Anbetracht derer die Standortgebundenheit wie auch die eigentümliche Militanz intellektueller Zeitkommentare der Jahre um 1930 offenkundig werden und überdies bedingt nachvollziehbar, zumindest jedoch »nicht unverständlich« (s. o.) wirken mögen. Darüber hinaus ist jedoch maßgeblich, daß Trommler die geringe diagnostische Schärfe, j a die politische Blindheit der meisten von Intellektuellen angestellten und unter das Signum >Kulturkrise< gesetzten Zeitanalysen unerbittlich bewußt werden läßt. Das aus Gründen persönlicher Betroffenheit bevorzugte Deutungsmodell >Kulturkrise< lähmte die politische Wahrnehmungsfähigkeit, indem es von konkreten, der Singularität einer historischen Situation geschuldeten Konstellationen ablenkte. Das Kulturkrisengefühl hat, wie Trommler resümiert, »die politische Wachsamkeit und die Differenzierungsfähigkeit« (49) der Weimarer Intellektuellen abgestumpft und somit daran mitgewirkt, daß Weimarer Intellektuelle - ganz anders als Alfred Kerr behauptete - dem Nationalsozialismus mit erschreckender Ahnungslosigkeit gegenübertreten mußten. Der Verrat der Intellektuellen beruht daher Trommlers Auffassung gemäß nicht in ihrem politischen Engagement, womit er explizit auf Julien Benda verweist (52), sondern vielmehr darin, daß ihr vermeintlich politisches Engagement tatsächlich ein ganz und gar unpolitisches gewesen sei. Weimarer Intellektuelle verlagerten unter Anwendung des Deutungsmusters >Kulturkrise< die Auseinandersetzung um die Krise der Republik in einen ganz anderen Bereich, sie übertrugen sie auf die angeblich höhere und umfassendere Ebene der Kultur. Damit aber ersetzten sie konkrete politische Analyse durch mehr oder minder traditionelle Kulturkritik. Die faktische Wirkung dieser intellektuellen Partizipation an gesellschaftspolitischen Debatten beurteilt Trommler genau so, wie schon Sontheimer 1962 die Wirkung des antidemokratischen Denkens bestimmt hatte: Sie habe den Weg zu einer antidemokratischen Politik geebnet (52). Wie wenig das leitende Erkenntnisinteresse des von Koebner herausgegebenen Sammelbandes mit klaren, eindeutigen Urteilen bedient werden kann, erweisen die Einzelstudien des Bandes, wenngleich das in der Einleitung vom Herausgeber gefällte Urteil über die insgesamt geringe diagnostische und prophetische Kompetenz jener Zeitkommentare, die aus den Reihen der schriftstellerischen und publizistischen Elite hervorgingen, durch diese Einzelstudien zweifelsohne gestützt wird. WULF KÖPKES Analyse publizistischer Schriften von Alfred Döblin aus den frühen dreißiger Jahren zeigt jedoch, daß die einschränkungslose Qualifizierung eines Autors als >hellsichtig< oder >blind< im konkreten Einzelfall schwerfällt. Köpkes Arbeit Alfred Döblins Überparteilichkeit. Zur Publizistik in den letzten Jahren der Weimarer Republik (26) basiert vor allem auf Döblins Schrift Wissen und Verändern! Offene Briefe an einen

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jungen Menschen, deren Erscheinen 1931 von heftigen zeitgenössischen Debatten begleitet wurde. Ergänzend zieht Köpke für seine Analyse des Zeitkommentators Döblin dessen umfangreiches Werk Unser Dasein heran, das erst 1933 veröffentlicht wurde, als Döblin Deutschland schon auf der Flucht vor den Nazis verlassen hatte. Die zeitpolitischen Einschätzungen und Empfehlungen des Intellektuellen Döblin können als ein besonders geeigneter Gegenstand für die Prüfung der diagnostischen Kompetenz von Weimarer Intellektuellen gelten, weil Döblin bekanntermaßen zeitlebens ein engagierter Schriftsteller war, gegen den der Vorwurf weitabgewandten Ästhetentums nicht erhoben werden kann, der aber bei allem Engagement zugleich auch immer ein ausgeprägter, jedem Anschluß an Parteien oder Gruppierungen abgeneigter Individualist blieb. Diese »widersprüchliche Einheit von Engagement und individueller Freiheit« (318) macht Döblin für Köpke zu einer ausgesprochen interessanten Figur der zeitpolitischen Situation um 1930, weil die politisierte Atmosphäre jener Jahre dem engagierten Schriftsteller eben nicht allein Engagement, sondern dezidierte Parteilichkeit abverlangte. Döblin wußte sich aber diesen Erwartungen zu entziehen und eine Position der »Überparteilichkeit«, wie Köpke es nennt (vgl. Titel), einzunehmen. Indes bezeichnet Köpke mit diesem Begriff nicht nur eine zu respektierende Haltung der Souveränität und Überlegenheit gegenüber dem Ansinnen parteipolitischer Tätigkeit, sondern auch eine geistige Position, die angesichts der konkreten politischen Bedrohung der Republik wenig mit Überlegenheit, dafür aber um so mehr mit Abgehobenheit zu tun hat. Denn Döblin reagierte auf die aktuelle Krise mit einer »Grundlagendiskussion« (325), die eine Lösung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme nicht von Notverordnungen und neuen Regierungskoalitionen erwartete, sondern von einer grundlegenden Neuorientierung. Diese Neuorientierung sollte anthropologisch fundiert sein, Döblins Anthropologie des >Naturismus< stand hinter seiner Zielvorstellung einer gesellschaftlichen Neuordnung, die einen wirklich progressiven Sozialismus realisieren sollte. Während sich Döblin in den frühen dreißiger Jahren um eine solche Neuorientierung auf grundsätzlicher Ebene bemühte, zerbrach indessen, wie Köpke kritisch vermerkt, das parlamentarische System, das eben diese Diskussion überhaupt erst ermöglichte (ebd.). Prüft man also den Scharfblick Döblins, so bringt Köpke gegen Döblin vor, daß er die Krise »nicht als drohendes Ende, sondern als Übergang, ja Beginn« (326) wahrnahm, als Etappe also auf dem Weg zum >wahren Sozialismusrichtigen< Ideen hätte geworben werden müssen. Ganz anders stellt sich dies in den politischen Essays und Reden dar, die Thomas Mann in den Krisenjahren der Republik verfaßte. In seinem Beitrag Thomas Mann: Der Ironiker als citoyen. Politische Rhetorik und kritische Diagnose in der Weimarer Republik (36) präsentiert GERT SAUTERMEISTER Thomas Mann als einen psychologisch einfühlsamen und rhetorisch geschickten politischen Redner, der seine frühen, ästhetizistisch inspirierten Auffassungen allmählich revidierte oder vielmehr humanistisch erweiterte und angesichts der Bedrohung des Weimarer Staates schließlich zum Verfasser von Reden mit einer dezidiert publikumsbezogenen rhetorischen Strategie geworden sei. In Reaktion auf die massenwirksamen Propagandastrategien der Nationalsozialisten sei Thomas Mann selbst auch zu pragmatischen, werbenden und direkt appellativen Redeweisen übergegangen, womit er, wie Sautermeister betont, die Fähigkeit bewiesen habe, sich auch stilistisch auf die veränderten Zeitverhältnisse einzustellen. Denn Thomas Manns Essays stünden, so Sautermeister, mit ihrer auf Arbeiterschaft und Bürgertum abgestellten publikumsbezogenen Rhetorik in einer auffälligen Spannung zur ironisch-distanzierten Schreibweise des Erzählers wie auch zu seiner auf Autonomie bedachten Kunstauffassung. Mann war also Sautermeister zufolge bereit, seine künstlerischen Überzeugungen in der politischen Essayistik zurückzustellen, um politisch wirksam sein zu können. »Durchdringungskraft und Perspektivenreichtum« (271) zeichnen Manns politische Schriften für Sautermeister aus, sie gelten ihm als »Zeugnisse eingrei-

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fenden, operativen Denkens« (272). Anhand verschiedener politischer Essays und Reden von Thomas Mann rekonstruiert Sautermeister, wie Mann auf der Basis seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse Freuds das Programm einer »Aufklärung zweiten Grades« (282) entwickelte, das als Lösungsentwurf für die aktuelle Krise gedacht war. Er habe damit auf das Bedürfnis nach »massenwirksamer politischer Gefühlskultur« (299) zu antworten versucht, deren Erfordernis die Linken mit ihrem »abstrakten Aufklärertum« (ebd.) nicht verspürt hätten. Sautermeister findet für den Zeitdiagnostiker Thomas Mann insgesamt höchstes Lob. Aufschlußreich, aber zunächst verblüffend, weil ganz konträr zu den meisten Forschungspositionen, welche über die zeitanalytische Kompetenz der literarischen Elite urteilen, ist dabei die Begründung, die Sautermeister für seine Hochschätzung des Zeitkommentators Thomas Mann anführt: Die ästhetische Wahrnehmungskraft des Schriftstellers sei es, die ihn zum scharfsichtigen Zeitanalytiker hätte werden lassen (271). Hatte die ältere Forschung stets kritisiert, daß Thomas Mann als politischer Zeitzeuge nie über eine ästhetische Betrachtungsweise hinausgekommen sei, so profiliert Sautermeister nun in einem mutigen und wegen seiner Differenziertheit überzeugenden Gegenzug diese vermeintliche Schwäche Thomas Manns als seine Stärke: Gerade der Ästhet Thomas Mann habe über das notwendige Sensorium verfügt, das zur Wahrnehmung und Analyse des h e r a u f z i e h e n d e n F a s c h i s m u s b e f ä h i g t e Die h o c h g r a d i g e Sensibilität des musisch Gebildeten habe die Theatralik der Nazis als PseudoÄsthetik entlarvt, der gebildete Ästhet habe die Massenstrategie der Nazis als ein »raffiniertes compositum mixtum« (287) und einen »sozial verkleideten und ästhetisch blendenden Antihumanismus« (ebd.) durchschauen können. Diese durchdringende Wahrnehmungsfähigkeit, die, wie Sautermeister bedauernd feststellt, unter den Zeitgenossen viel zu wenig schulbildend, zu wenig »sichtbildend« (ebd.) gewirkt habe, verdanke sich aber nicht allein - und dies ist entscheidend - einem feingestimmten ästhetischen Sensorium. Sautermeister hebt unmißverständlich hervor, daß der vorbildliche Zeitanalytiker Thomas Mann nicht bloß Ästhet, sondern humanistisch aufgeklärter Ästhet war. Denn Thomas Manns ästhetische Wahrnehmungskraft der Jahre um 1930 war längst - anders als beim jüngeren Ästhetizisten der Weltkriegszeit - gesichert und gestützt durch außerästhetische Quellen, wie Sautermeister in Erinnerung bringt: Sie war gegen Entgleisungen ins Irrationale gefeit durch Bildung, Wissenschaft und Philosophie (271). Die ästhetische Sensibilität, die ihn zum scharfsichtigen Zeitanalytiker befähigte, wurde begleitet und ergänzt durch ein humanitäres Ethos und eine emanzipatorische Moral, welche beide sich der traditionskundigen Bildung Manns verdankten. Nur diese Kombination von musisch geschultem Perzeptionsvermögen und vernunftgesteuertem Erkenntniswillen befähigt zu dem, was Sautermeister am Beispiel Thomas Manns als die spezifische Leistung der sprachlich orientierten Elite herausstellt und mit bestechender Prägnanz als > literarische Seismographie< (296) definiert: Im frühzeitigen Wahrnehmen und Aufzeichnen der Wellen, die politische und gesellschaftliche Erdbeben vorausschicken, sieht Sautermeister die diagnostische und prophetische Aufgabe, die Schriftsteller als Intellektuelle kraft ihrer Tätigkeit - ihrer Arbeit auf dem Ge-

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biet sinnlicher Wahrnehmung - in gesellschaftspolitischen Debatten kompetent erfüllen könnten. Im Bereich sinnlicher Wahrnehmung, so ließe sich Sautermeisters Argumentation pointieren, sind Künstler Fachleute, und daher ist ihr Urteil in politischen Fragen unverzichtbar, gegebenenfalls sogar dem der politischen Spezialisten überlegen. »In ihrer ureigenen Domäne«, so schreibt Sautermeister, »mögen Künstler zu sensibleren, durchdringenderen, fortschrittlicherem Erfahrungen imstande sein als parteigebundene Strategen, im Wissenschaftsdiskurs befangene Gelehrte und ideologisch festgelegte Zeitkritiker« (ebd.). Über die Analyse des Weimarer Zeitkommentators Thomas Mann hinaus liefert Sautermeister mit seiner Arbeit eine einzige, emphatische Apologie der in politischen Diskursen als luxuriös und daher entbehrlich eingestuften ästhetischen Wahrnehmung. Zentrales Argument seiner Apologie ästhetischer Wahrnehmung ist ihre Sensibilisierungsleistung für politisch-soziale Analysen, insbesondere für die Analyse politisch-sozialer Barbarei. Am Ende überführt er daher ganz konsequent seine Untersuchung in die Skizze einer »politische[n] Wahrnehmungsästhetik« (295). Dabei ist sein Plädoyer strikt abzugrenzen von der geläufigen, gemeinhin unter dem Stichwort >Ästhetizismus< subsumierten Auffassung, derzufolge eine ausgeprägte ästhetische Wahrnehmungkraft eher als politisch gefährdend denn als erhellend gilt, weil sie zu Irrationalismus und Sinnenbarbarei disponieren kann. Abzuheben ist Sautermeisters Plädoyer von solchen Positionen, da seine Apologie ästhetischer Wahrnehmung unmißverständlich die Apologie einer aufgeklärten, durch ethische Maßstäbe und wissenschaftliche Einsichten rationalisierten ästhetischen Wahrnehmung darstellt und allein dadurch ihren Reiz und ihre Überzeugungskraft gewinnt. Koebners Befund von der insgesamt schwachen prophetischen Kompetenz der schriftstellerischen Elite Weimars erfährt bei Sautermeister eine geringfügige, aber doch nicht umstürzende Korrektur. Denn die Fähigkeit zu literarischer Seismographie kraft politischer Wahrnehmungsästhetik< erkennt Sautermeister nicht nur bei Thomas Mann, sondern auch bei Schriftstellern wie Bruno Frank oder Lion Feuchtwanger (ebd.). Unverkennbar ist dabei Sautermeisters Absicht, das Verdienst einer frühzeitigen Analyse der politischen Ästhetisierungen nicht allein der Ausnahmeerscheinung Thomas Mann zuzuschreiben, sondern einer Gruppe von Schriftstellern, um so der These von der literarischen Seismographie< ein breiteres empirisches Fundament zu verleihen. Zudem soll die analytische Kompetenz der genannten Schriftsteller mit der von undogmatischen Marxisten wie Bloch, Kracauer und Benjamin gleichgestellt werden. Die ästhetisch inspirierte politische Hellsicht liberaler und linksliberaler Schriftsteller wird gegenüber der politisch motivierten Skepsis von undogmatischen Avantgardisten marxistischer Färbung aufgewertet. Entscheidend, weil im Dienste seines Entwurfs einer »politischen Wahrnehmungsästhetik< stehend, ist dabei für Sautermeister, daß die genannten Schriftsteller »früher und schärfer« (296) als berufsmäßige Soziologen, Politiker und Parteitheoretiker einen »Hauptnerv« (ebd.) der faschistischen Strategie offenzulegen versucht hatten. Die Frage, ob die »Weltbühne« aufgrund der Zeitkommentare, die sie in den Krisenjahren der Republik veröffentlichte, als »falscher Prophet< zu gelten hat, verfolgt JOACHIM RADKAU in seinem Beitrag zu dem Wuppertaler Symposium:

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Die Weltbühne als falscher Prophet? Prognostische Versuche gegenüber dem Nationalsozialismus (35). Radkaus Arbeit erscheint vor allem aufgrund ihrer methodologischen Überlegungen zur Bedeutung historischer Prognose-Forschung lesenswert. Vorsichtig gegenüber einer allzu schnellen Verurteilung solcher historischer Prognosen, die durch den faktischen Verlauf der Geschichte widerlegt und daher leichthin als falsch qualifiziert wurden, mahnt Radkau dazu, die nicht eingetretenen Zukunftserwartungen als Bilder eines alternativen Verlaufs der Geschichte zu betrachten. Freilich will er damit nicht der wissenschaftlichen Diskussion das weite Feld historischer Spekulation eröffnen, sondern die geschichtsphilosophische Kategorie des Möglichen auf ein empirisches Fundament stellen. Gegen den möglichen Einwand des Spekulativen seines Vorgehens bringt er daher zur Beachtung, daß historische Prognosen keineswegs immer ein Spektrum unendlicher Möglichkeiten vor Augen führten, sondern gegebenenfalls gerade auch die Enge eines Handlungs- und Vorstellungsspielraums spürbar machten (74). Daß über eine zunächst einmal vorurteilslose Kenntnisnahme historischer Zukunftserwartungen ein breiterer Zugang zum Verständnis einer Epoche eröffnet werden kann, veranschaulicht Radkau am Beispiel einiger Zeitkommentare, die in den frühen dreißiger Jahren in der Weltbühne erschienen sind. Eine Durchsicht der einschlägigen ffe//6wA«e-Jahrgänge korrigiert seines Erachtens das Bild, das der damalige Stand der geschichtswissenschaftlichen Forschung vom Sieg der Nationalsozialisten vermittelte. Erschien der Sieg der Nationalsozialisten in der Darstellung der Geschichtswissenschaft »überdeterminiert« (61), weil mit dem »Schein des Unabwendbaren« (ebd.) versehen, so führten hingegen die zeitgenössischen Zukunftsprognosen, die Intellektuelle in der Weltbühne jener Jahre veröffentlichten, »das Mehrdeutige und Schillernde der Realität vor 1933« (ebd.) vor Augen. Der gängigen Geschichtswissenschaft macht Radkau zum Vorwurf, daß sie ein »deterministisches Geschichtsbild« pflege und sich in Kenntnis des realen Gangs der Ereignisse allein um den Beweis dafür bemühe, daß alles so kommen mußte, wie es kam. Würde sich die Geschichtswissenschaft von dieser Auffassung lösen, so könne sie scheinbare Fehlprognosen »als Fingerzeige für unerfüllte Möglichkeiten« (60) auffassen. Für die Beurteilung der zeitdiagnostischen Kompetenz von Weimarer Intellektuellen eröffnet Radkaus methodologisches Plädoyer neue Perspektiven. Intellektuelle, die den Sieg der Nationalsozialisten nicht oder nicht in dem tatsächlich eingetretenen Ausmaß voraussagten, müssen aufgrund dieser Fehlprognose nicht weiter unbedingt als politisch naiv gelten und - sofern es sich um Schriftsteller handelt - beispielhaft für den mangelhaften Sachverstand dieser Gruppe stehen. Diese Umstellung der Perspektive spielt Radkau am Beispiel von Tucholskys Sketch Der Hellseher durch, der zuerst 1930 und dann nochmals 1932 in der Weltbühne erschienen war. Tucholskys Text kann zweifellos als grobe Verharmlosung des nationalsozialistischen Aufstiegs verstanden werden und somit als schwerste Fehlprognose. Radkau wagt jedoch eine vorsichtige Korrektur des Urteils, das über Tucholsky in der Intellektuellen-Forschung seit Golo Mann geläufig ist. Obgleich er feststellt, daß auch 1930 schon eine tiefere Einsicht in den Neuaufstieg der Nazis möglich gewesen sei als Tucholskys kabaret-

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tistischer Text vermittelt, warnt er davor, sich allzu schnell über die Verblendung Tucholskys zu entsetzen. Statt im Wissen um den Lauf der Geschichte von einer Zwangsläufigkeit des nationalsozialistischen Sieges auszugehen, solle erwogen werden, ob Tucholskys Hellseherei »nicht vielleicht eine der damals möglichen Wahrheiten enthielt« (63). Ganz ähnlich wird Radkau durch Anwendung seiner methodologischen Prinzipien auch im Falle eines umstrittenen Textes des Weltbühne-Herausgebers Carl von Ossietzky vor einer allzu raschen Verurteilung zurückgehalten. Ossietzkys Artikel Brutus schläft, der auf dem Grund einer - mit Radkau - >deterministischen< Geschichtsauffassung als peinliches Dokument zynischer Sensationsgier erscheinen muß, wird von Radkau in den Kontext des damaligen Erfahrungshorizontes gestellt und mit der zeitgenössischen Perspektive einer noch offenen Zukunft gelesen. Der Text gewinnt dadurch für Radkau an Plausibilität, er wird als strategisch gemeintes Dokument der Hoffnung auf ein vereintes Vorgehen der Linken gegen den Faschismus begriffen. Daß nicht jede Prognose, die durch den Gang der historischen Ereignisse dementiert wurde, unbedingt eine Fehlprognose darstellen muß, bringt Radkau mit Blick auf den praktischen Sinn pessimistischer Prognosen zu Bewußtsein. Eine mögliche Sicht auf nichteingetretene Zukunftserwartungen ist demnach diejenige, die ihnen gerade ausgesprochene Überzeugungskraft, ja einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zugestehen müßte: Insofern nämlich, als solche Prognosen zu gegensteuernden Vorkehrungen veranlaßten und sich gerade deshalb nicht historisch >bewahrheitetenfalscher Prophet< gelten, weil sie die Einsicht vermittelt, daß auch nichterfüllte Prognosen »wahr« (62) sein können. Hatte sich Radkau schon 1982 in seinem Beitrag zu Koebners Sammelband über Weimars Ende gegen das von der Geschichtswissenschaft jener Jahre gepflegte Bild eines zwangsläufigen Scheiterns der Weimarer Republik gewendet, so verbindet ihn das mit HORST TURK, der 1991 einen Aufsatz über Die Intellektuellen in und zwischen den Kulturen. An Beispielen aus der deutschsprachigen Literatur zwischen 1918 und 1933 (44) vorlegte. Während Radkau, wie gezeigt wurde, die These vom zwangsläufigen Scheitern durch eine verstärkte historische Prognosen-Forschung erschüttern möchte, wählt Turk einen anderen Weg, der allerdings insgesamt mit Methode und Fragestellung des Koebnerschen Sammelbandes konvergiert: Turk unterläuft die Annahme eines unausweichlichen, also mehr oder minder einsträngigen Geschichtsverlaufs,

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indem er den »Pluralismus der Überlieferung« (243) betont, mit der sich der Historiker konfrontiert sehe. Anhand exemplarischer Schriften der politischen Essayistik aus den Jahren zwischen 1918 und 1933 liefert Turk eine »Skizze agonaler Positionsnahmen« (ebd.). Damit rückt er jenes Moment in den Vordergrund, auf das auch Radkau aufmerksam machte: die Vielfalt der Möglichkeiten, die sich dem zeitgenössischen Beobachter - oft im Unterschied zum historischen Betrachter - boten. Die wesentliche methodische Gemeinsamkeit Turks und der Beiträger des Sammelbandes zu Weimars Ende ist darin zu sehen, daß sie die zeitanalytischen Schriften von Intellektuellen auf zugrundeliegende Deutungsmuster und Gedankenfiguren hin durchleuchten. Turk fragt nach den handlungsleitenden Begriffen, die in den Texten von Intellektuellen auszumachen sind, er prüft den »Beurteilungsrahmen« (250) oder den »Erörterungsrahmen« (251), in den die Intellektuellen ihre Analyse stellten. Ziel dieses Vorgehens ist, zu erweisen, daß die zeitdiagnostische Analyse durch solche Vorentscheidungen geprägt und in bestimmte Bahnen gelenkt wurde. Denn mit der Bindung an bestimmte Deutungsmuster, so macht Turk - wie schon Koebner - deutlich, wurden sofort auch Bedingungen und Möglichkeiten für das Denken, Fühlen und Handeln geschaffen, der Intellektuelle handelte sich mit dem Deutungsmuster nicht nur heuristische Hilfestellungen, sondern auch Gegnerschaften und Solidaritäten ein (243). Wo Koebner und seine Kollegen von >Denkfiguren< sprechen, ist bei Turk indes die Rede von der >TraditionTradition< in der Weimarer Republik nichts war, dem man willenlos angehörte oder ausgeliefert war, sondern ein Muster der Welterschließung, dem man sich verpflichtete, dem man also freiwillig und aufgrund einer vorausliegenden Wahl angehörte. Der Aspekt der Wahl einer Denktradition ist dabei wesentlich, Turks Verdienst ist es, den Aspekt der »Traditionswahl« (ebd.) in die Forschung eingebracht zu haben. Wichtigstes Indiz für diese Behauptung bietet ihm der Pluralismus der Überlieferung, aus dem er, anders als die Forschung vor ihm, auf eine »Arbitrarität der Traditionen« (ebd.) schließt. Gegen die vielzitierte »Macht der Tradition«, gegen die Auffassung also von der Dominanz einer einzigen, schließlich ins Verderben führenden Tradition, stellt Turk seine Überzeugung, daß die Möglichkeit »einer mehr oder minder explizit vorgenommenen Traditionswahl« (243) bestanden habe. Turk befreit also, so muß man die Leistung seines Ansatzes charakterisieren, den Begriff der >Tradition< vom Nimbus des Zwingenden, dem gegenüber Menschen sich nur passiv verhalten könnten, das sie ergreife und somit der Möglichkeit einer freien Handlung beraube. Gegen das Bild eines linearen geschichtlichen Prozesses, der keine Abweichungen und Nebenwege kenne, bringt er das Agonale und Diverse der intellektuellen Stellungnahmen aus der Zeit zwischen 1918 und 1933 in Er-

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innerung; und zwar nicht, um - wie sonst in der älteren Forschung - damit wohl das Lob der vielgestaltigen und reichen Kultur Weimars zu singen, aber, ungeachtet dieser Fülle, doch weiterhin das politische Scheitern eindimensional als Unausweichlichkeit zu betrachten. Das empirische Fundament für seine methodologischen Reflexionen bieten politische Essays von Carl Schmitt, Walter Benjamin, Robert Musil sowie der Brüder Heinrich und Thomas Mann. Mit Ausnahme von Heinrich Mann gelangt Turk bei allen der genannten Intellektuellen zu dem Schluß, daß der Beurteilungsrahmen, den sie zur Analyse des Zeitgeschehens wählten, in irgendeiner Form unangemessen < gewesen sei. Auf die Probleme des Weimarer Staates hätten sie alle mit Hilfe der von ihnen gewählten Tradition nicht wirklich einzugehen vermocht. Allein Heinrich Mann habe mit seiner Konzentration auf die aktuelle Situation einen angemessenen Beurteilungsrahmen gewählt; allerdings habe er auf die Interessenlage der Bevölkerung nicht reagieren können, weil der von ihm propagierte Republikanismus »in der Erfahrung der Zeitgenossen noch kein handlungsleitender Begriff, sondern bestenfalls eine Idee war« (251). Turk entzieht sich am Ende der Lesererwartung, daß die Analyse seiner Fallbeispiele ein Resümee erlaube, mit dem die Frage nach dem Anteil Weimarer Intellektueller am Scheitern der Republik in neuer Weise beantwortet werden könnte. Zwar ist deutlich, daß er durch den Hinweis auf die Arbitrarität intellektueller Positionen die These von der Macht einer Tradition, der konservativ-nationalen, bestreitet, doch der Zusammenhang zwischen intellektueller Zeitdiagnostik und politischem Geschehen bleibt im Dunkeln. Turk beansprucht schließlich auch ganz bewußt nicht, aus seiner Skizze agonaler politischer Positionen »unmittelbar« eine Erklärung für das Scheitern der Republik ableiten zu können, denn das, so sein Argument, sei nicht Aufgabe einer mentalitätsgeschichtlichen Untersuchung (255). Enttäuschend bleibt seine Arbeit insofern, als am Ende, ohne engeren Bezug auf die erörterten Fallbeispiele, eine allgemeine, resignativ ausfallende Betrachtung über das Verhältnis von Wissen und Handeln steht: Wie alles Wissen sei auch das von Intellektuellen repräsentierte Wissen »bis zu einem gewissen Grade zur Wirkungslosigkeit verurteilt« (256). Die Weimarer Zeit gilt Turk als keineswegs atypische Periode der deutschen Geschichte, die diese Einsicht vermittle. Damit aber steht die Schlußpassage im Widerspruch zum Beginn der Arbeit, die auf einen Struktur- und Funktionswandel des Wissens seit Ausgang des 19. Jahrhunderts hinweist, der gerade durch das Auftreten des Intellektuellen signalisiert werde und eine »wachsende Anwendungsmöglichkeit« (242) des Wissens in Aussicht stelle. Wenn aber die Intellektuellen ohnehin keine Möglichkeit »zur Mitstrukturierung des politischen Feldes« (ebd.) besitzen, dann scheint auch, pointiert gesagt, die Differenzierung von angemessenen und unangemessenen zeitdiagnostischen Denkmustern sekundär, und Gleiches gilt für die mit methodologischem Aufwand getroffene Unterscheidung, ob nun eine einzige Tradition oder mehrere miteinander konkurrierende für das Schicksal der Republik letztlich unmaßgeblich waren oder vielmehr gewesen sein sollen. Anders gesagt: Damit die Erforschung intellektueller Zeitkommentare nicht intellektuellengeschichtlicher Selbstzweck ohne Anbindung an die Ergebnisse der Ereignisgeschichte bleibt, müßte dem

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Problem der Vermittlung intellektuellen Wissens und damit der Frage nach dem Beitrag der zurecht als agonal charakterisierten politischen Positionen der Weimarer Zeit doch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, als dies bei Turk letztlich geschieht.

5. Weimarer Intellektuelle und die Kulturnation Die zeitdiagnostische Kompetenz von Intellektuellen ist zweifellos abhängig von den Denkfiguren und Deutungsmustern, in denen sich ihre Analysen bewegen. Das ließen die bis zu dieser Stelle präsentierten Arbeiten deutlich werden. Als bevorzugtes Deutungsmuster der Weimarer Krisenjahre hat sich dabei das einer >enormen Kulturkrise< erwiesen. Ein Begriff jedoch, der im Rahmen der deutschen Geschichte, zumal in der Geschichte deutscher Intellektueller, wesentlich ist und - wie das Muster der >Kulturkrise< um 1930 - in intellektuellen Zeitkommentaren stets Konjunktur hatte, blieb bislang unerwähnt: der Begriff der >KulturnationDeutungsmuster< gebracht werden kann, läßt sich mit BERNHARDGlESENbehaupten, der 1994 die Beziehung zwischen Intellekuellen und der Nation in einer kurzen, seine einschlägigen Studien zusammenfassenden Arbeit charakterisierte: Die Intellektuellen und die Nation (20). Giesen erblickt in den Intellektuellen »die Architekten der nationalen Identität der Deutschen« (13), sie stifteten seines Erachtens über den Diskurs der >Kulturnation< nationale Identität gerade in jener Zeit, in der sich solche Einheit über staatliche und territoriale Kriterien nicht herstellen ließ. Die Verbindung der Themen >individuelle< und Kollektive Identität< wird dabei über die Idee der Bildung geleistet (24). Giesen zeigt, wie Intellektuelle - im Anschluß an die Bildungskonzeptionen des Deutschen Idealismus - die Ausbildung von personaler und nationaler Identität als parallele oder gar miteinander verschränkte Entwicklungen begriffen: Ganz ähnlich wie der einzelne durch einen auf Autonomie hinsteuernden Bildungsprozeß Identität gewinne, könne auch die Bevölkerung eines faktisch zerrissenen Landes durch >Bildung< zum Kollektiv einer >Nation< werden. Die Nation ist solchen Konzepten gemäß ein kollektives Subjekt, dessen Identität von Intellektuellen entworfen und von Historikern schließlich als »Bildungsgeschichte« (25) erzählt wurde. Giesen stellt insgesamt vier solcher kulturnationale Entwürfe vor, wobei sich als charakteristische Gemeinsamkeit jedesmal die Diskrepanz zwischen kulturellem Projekt und politischer Wirklichkeit herauskristallisiert: Als >Kulturnation< wurde die nationale Identität der Deutschen von Intellektuellen »immer im Gegensatz zum Bestehenden verstanden« (27). Wichtig, gerade mit Blick auf die Periode der Weimarer Republik, scheint Giesens Befund über die Beständigkeit, die solche einmal entwickelten Projekte auch dann noch bewiesen, wenn sie durch letztlich fehlgeschlagene Versuche einer ungebrochenen, direk-

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ten politischen Realisierung eigentlich diskreditiert worden waren. Denn trotz des Scheiterns solcher historische Kraftakte blieben die kulturnationalen Entwürfe »ein kulturelles Repertoire« (28), auf das immer wieder zurückgegriffen wurde, wenn es deutsche Identität zu konstruieren oder zu rekonstruieren galt. Neue Generationen von Intellektuellen knüpften an die Entwürfe der alten Generationen an. Giesens Arbeit erweist, daß das Projekt >Kulturnation< ein von deutschen Intellektuellen weit über hundert Jahre hinweg bevorzugtes Deutungsmuster ist, das selbst wiederholte Infragestellungen durch den faktischen Verlauf der Ereignisgeschichte zu überdauern vermochte. Wenn deutsche Intellektuelle in den Zeiten territorialer Zerstückelung ihres Landes eine geistig begründete Identität behaupteten, muß das Thema >Intellektuelle als Konstrukteure der deutschen Nation< natürlich insbesondere für die Zeit bis zur Reichsgründung 1871 Interesse beanspruchen, könnte es aber auch wieder ftir die Zeit der deutschen Teilung zwischen 1945 und 1990 tun (vgl. 28). Der Zeitraum von der Reichsgründung bis zur deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg, also nicht zuletzt die Periode der Weimarer Republik, bleibt in Giesens kurzer Darstellung unberücksichtigt, was insofern einleuchtet, als entsprechend der von ihm aufgezeigten Kausalität - Intellektuelle in den Zeiten territorial und staatlich definierter Einheit nicht unbedingt als Konstrukteure einer (kulturell zu begründenden) nationalen Identität auftreten mußten. Daß sie es aber dennoch taten, daß sie also das einmal etablierte Projekt >Kulturnation< auch in den Zeiten der Staatsnation keineswegs fallen ließen, zumal es dank seiner eigentümlichen Spannung zum Bestehenden eine besondere Affinität zu ihrer eigenen >freischwebendenKulturnation< »einer spezifisch deutschen Tradition der Intellektuellen« (219) zu. Er bringt in Erinnerung, daß der Diskurs der >Kulturnation< mit dem Gegensatz von (deutscher) >Kultur< und (westlicher) >Zivilisation< wie auch mit dem Antagonismus von >Geist< und >Macht< argumentiert (228f.); beide Begriffspaare bzw. die damit bezeichneten Vorstellungskomplexe sind für die »Realitätsuntüchtigkeit« (230) verantwortlich, die diesen Diskurs Winckler zufolge charakterisiert. Daß jedoch dieser realitätsuntüchtige - also für zeitpolitische Diagnosen und für den Entwurf von Krisenlösungskonzepten völlig untaugliche - Diskurs auch in der Weimarer Zeit, und zwar gerade in der Krisenzeit der letzten Jahre, immer noch durchdringende, geradezu penetrante Wirkung besaß, erweist Winckler am Beispiel Heinrich Manns. Selbst bei diesem prominenten Anhänger westlicher, französischer Vorstellungen von Demokratie und von der Aufgabe des Intellektuellen entfaltet die alte deutsche Vorstellung einer im Medium der Kunst vollzogenen Versöhnung von >Geist< und >Macht< noch beträchtliche Wirkung. Denn Mann folgt, wie Winckler nachweisen kann, 1929 in seinem maßgeblichen Essay Politik und Dichtung nicht dem französischen Modell einer Kritik der >Macht< durch den >GeistGeist< und >MachtMacht< kritisiert, wird von Heinrich Mann 1929 auf die politische Bühne gerufen, sondern der Intellektuelle mit einem kulturell begründeten Führungsanspruch, jener Intellektuellentyp also, der dem elitäraristokratischen Mandarinentum der Kulturnation des 19. Jahrhundert verpflichtet ist. Heinrich Mann befand sich mit dieser Auffassung auf dem Weg zum humanistischen Kulturstaat, den er dann, so Winckler, in der Zeit des Exils in den Vordergrund seines intellektuellen Interesses rückte. Wincklers Verdienst liegt darin, bewußt zu machen, wie sehr das politische Engagement Heinrich Manns in jenen Krisenjahren auf dem Bildungs- und Erziehungsbegriff der >KuIturnation< basierte. Mit seiner Forderung nach einer »Politisierung der Intelligenz« (228) habe Mann, so resümiert Winckler, zu dieser Zeit schließlich nichts anderes gemeint als »die Machtergreifung des Geistes« (ebd.). Das Deutungsmuster >Kulturnation< wirkte also sogar bei einem dezidiert westlich ausgerichteten und demokratisch gesonnenen Intellektuellen wie Heinrich Mann massiv nach. Wie fatal diese Wirkung im konkreten Fall aussehen kann, in welche Bahnen dieses Deutungsmuster selbst ein grundsätzlich liberales Denken führen kann, vermag Wincklers Analyse ebenfalls an der Person Heinrich Mann mit kaum zu überbietender Deutlichkeit vor Augen zu führen. Denn Mann ist für Winckler durch das kulturnationale Deutungsmuster schließlich in den »intellektuelle[n] Täterdiskurs« (ebd.) gerutscht, er sei auf den Irrwegen dieses Diskurses »zu grotesken Mißverständnissen der Demokratie selbst« (ebd.) gelangt, wie etwa sein fatales Lob Stalins als eines »Intellektuellen an der Macht< beweise. Heinrich Mann war indes kein Einzelfall. Die kulturnational bestimmte Vorstellung einer Nachkriegsgesellschaft, in der >Macht< und >Geist< versöhnt sein würden, war einer der zentralen Gedanken der Emigration. Am Beispiel des Intellektuellen Heinrich Mann hat Winckler mit exemplarischem Anspruch nachgezeichnet, wie in der Krisenzeit um 1930 im fortschrittlichen Diskurs des engagierten Intellektuellen allmählich der traditionelle Begriff der >Kulturnation< neu belebt wurde und den paradoxen Mischtyp des »»demokratischen Mandar i n s ^ (226) mitbegründen half. Blickt man auf die Geschichte deutscher Intellektueller im 20. Jahrhundert, so kann Wincklers Analyse des wohl prominentesten Anhängers französischer Vorstellungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts geradezu symptomatische Geltung beanspruchen, weil sie für die Weimarer und die Exilzeit ein Problem deutscher Intellektueller aufdeckt, das auch gegen Ende des Jahrhunderts immer noch nicht erledigt zu sein scheint. Denn RALF DAHRENDORF bezieht sich 1998 im Merkur in seiner politischen Kolumne Geist und Macht (16) auf aktuelle Tendenzen, wenn er angesichts der Wiederbelebung alter, aus dem Umkreis kulturnationaler Konzepte geschöpfter Vorstellungen mit ungeduldiger Entschiedenheit feststellt:

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Das ganze Geist-und-Macht-Sttlck deutscher Nation zeugt von einem tiefen Mißverständnis der Politik und der Rolle der Intellektuellen. [...] Die Bürgergesellschaft lebt geradezu davon, daß >Geist< und >Macht< - intelligente Diskussion und praktische Entscheidung nicht immerfort miteinander versöhnt werden. (711)

Der Ideenkomplex, der sich im Begriff >Kulturnation< kristallisiert, ist auch Gegenstand einer umfangreichen und ausgesprochen instruktiven Studie, die GEORG BOLLENBECK 1994 vorlegte: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters (12). Wenngleich sich diese Arbeit nicht explizit als intellektuellengeschichtliche präsentiert, muß sie hier doch unbedingt erwähnt werden, da sie anhand der Begriffe >Bildung< und >Kultur< die Geschichte desjenigen Deutungsmusters rekonstruiert, das deutsche Intellektuelle immer wieder zur Analyse von gesellschaftlichen und politischen Problemen verwendeten. Daher läßt sich die Geschichte dieser Begriffe auch als Geschichte eines Großteils der deutschen Intelligenz lesen. Weil Bollenbeck das favorisierte gesellschaftspolitische Deutungsmuster deutscher Intellektueller thematisiert, steht er mit seiner Arbeit, gerade soweit sie die Weimarer Krisenjahre um 1930 berührt, Trommlers einschlägigem Aufsatz zur intellektuellen Bewältigung der Weimarer Krisenjahre (vgl. 42) nahe. Trommlers Befund einer Fixierung der Intellektuellen auf die >große Kulturkrise< kann durch eine ergänzende Lektüre der neueren Arbeit von Bollenbeck fundiert und präzisiert werden, insbesondere aber kann sie in einem weitgefaßten historischen Zusammenhang verstanden werden. Diese historische Rekonstruktion des Deutungsmusters, die Geschichte seiner Entstehung und Ausformulierung in den exklusiven Zirkeln von Dichtern und Philosophen des ausgehenden 18. Jahrhunderts und seiner allmählichen Verbreitung in einer semantisch >abgeschliffenen< (101), vereinfachten Form, die Geschichte seines diskursiven Erfolges also, all dies soll hier nicht rekapituliert werden. Unverzichtbar für eine Charakterisierung und Bewertung der Krisenanalysen, die Weimarer Intellektuelle verfaßt haben, sind jedoch die Feststellungen, die Bollenbeck für die Wirkung des Deutungsmusters in der Weimarer Zeit trifft, zumal er damit nicht allein Trommler nahesteht, sondern auch mit Winckler übereinstimmt, wenn dieser im Kontext der >Kulturnation< die Realitätsuntüchtigkeit des deutschen Diskurses von >Geist< und >Macht< moniert. Bollenbeck begreift das Deutungsmuster >Bildung und Kultur< als »geistiges Erfahrungskapital« (285), mit Hilfe dessen konkrete politische und gesellschaftliche Situationen gedeutet und gegebenenfalls bewältigt werden sollen. Im weitesten Sinne ist also das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft bzw. das Verhältnis von Wirklichkeit und Gedanke Gegenstand des Deutungsmusters, anders gesagt: Mit den Begriffen >Bildung< und >Kultur< wird die Wirkung beschrieben, die eine »Veränderung des Bewußtseins« (97) für »eine Veränderung der gesellschaftlichen Praxis« (ebd.) besitzen soll. Das Deutungsmuster formuliert in seiner ursprünglichen, um 1800 ausgebildeten, theoretisch komplexen Form ein emanzipatorisches Bildungsideal, das die Autonomie des Individuums, seine personale Selbstbestimmung, in den Mittelpunkt der Reflexion auf gesellschaftliche Verhältnisse und ihre potentielle Veränderung rückt (171f.). Unter Berufung auf dieses Ideal einer zweckfreien geistigen >Bildung
konkreten< gesellschaftlichen BeWährungsfeldern in Politik und Ökonomie ab. Damit begann, so Bollenbeck, »die Geschichte des typisch deutschen Deutungsmusters« (98). Sprachlich läßt sich diese Entwicklung an einem Umwertungsprozeß ablesen, der sich um 1800 vollzog: an der Abwertung des alle Lebensbereiche umfassenden, materiell fundierten Kulturbegriffs der Aufklärung und einer im Gegenzug bewerkstelligten Aufwertung des idealistisch imprägnierten, neuhumanistischen Begriffs >Bildungtypisch deutsch« stellt Bollenbeck seine Überlegungen in den Kontext der Debatte um einen deutschen Sonderweg bzw. um ein Sonderwegbewußtsein (vgl. S. 2024). Das Deutungsmuster, das >Bildung< und >Kultur< gegenüber >Erziehung< und >Aufklärung< aufwertet, wird von Bollenbeck als Ausdruck eines deutschen Sonderwegbewußtseins begriffen. >Typisch deutsch< sei dessen antiaufklärerische und antidemokratische Ausrichtung (22). Charakteristisch für die Welterklärung, die mit Hilfe dieses Deutungsmusters vorgenommen wird, sei ihr regressiv-antikapitalistischer Charakter (27). Insofern ist es denn auch kein Zufall, daß sich gerade in der deutschen Intelligenz, wie Bollenbeck feststellt, eine große Skepsis gegenüber dem Kapitalismus beobachten läßt. Die Begriffsopposition >Kultur< und »Zivilisation«, die eine der bekanntesten sprachlichen Manifestationen des Deutungsmusters ist, enthält eine Kritik an der Moderne, die grundsätzlich zur Distanz gegenüber ökonomischer Vergesellschaftung wie auch gegenüber politischer Partizipation mahnt (vgl. 285). Wenn sich Intellektuelle im begrifflichen und gedanklichen Rahmen des Deutungsmusters »Bildung und Kultur« um die Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse und um etwaige Lösungsentwürfe für politische Krisen bemühen, dann tritt eine Vergeistigung dieser Sachverhalte geradezu zwangsläufig ein. Denn das Deutungsmuster disponiert dazu, wie Bollenbeck an einer Vielzahl von Beispielen aus der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts zeigt, Erscheinungen der modernen, kapitalistischen Welt als geistige Probleme zu behandeln und unter Rückgriff auf alte Ideale bewältigen zu wollen (163). Damit aber gerät das Deutungsmuster zu einem »semantischen Gefängnis« (285), dessen zwingende Macht spätestens in Zeiten bedrohlicher sozio-ökonomischer Krisen spürbar wird. Es wirkt desorientierend auf die Wahrnehmung und Deutung von Zeitverhältnissen, was Bollenbeck an kulturkritischen Texten aus der zuendegehenden liberalen Ära nachweist. Die Weimarer Republik stellt schließlich den Kulminationspunkt dieser Entwicklung dar: Die Vergeistigung gesellschaftlicher Probleme, so Bollenbeck, habe hier in einem kulturpessimistischen Zusammenhang von »Sensibilisierung, Desorientierung und Ohnmacht« (287) eine »fatale Steigerung« (ebd.) erfahren. Die Interpretation Weimarer Verhältnisse mit Hilfe eines Deutungsmusters, das zu dieser Zeit schon weit über hundert Jahre alt war, konnte freilich nur unzeitgemäß ausfallen. Mit traditionellen Wertvorstellungen reagierte man auf veränderte, moderne Realitäten im Bereich von Wirtschaft und Politik. Besonders ungünstig mußte ein Zeitkommentar, der sich in den Bahnen dieses tra-

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dierten Deutungsmusters bewegte, gerade für die neu eingerichtete Republik ausfallen, da in ihr die Folgen einer schon länger forcierten ökonomischen Modernisierung mit der erstmaligen Installierung einer demokratischen Verfassung zusammentrafen: Die Neuerungen und Probleme wirtschaftlicher und politischer Modernisierung prallten hart aufeinander. Und für die Wahrnehmung der Nachteile beider Modernisierungsprozesse sensibilisierte das Deutungsmuster seine Anwender in ausgesprochenem Maße, für den Entwurf von realitätstüchtigen Bewältigungsformen hingegen befähigte es mitnichten. Bollenbeck betont diesen Dualismus: Daß das Deutungsmuster für die nachteilhaften Folgen industrieller Modernisierung wahrnehmungsschärfend wirkt, während es auf seiten der Krisenbewältigungskompetenz weder konstruktiv noch auch bloß differenzierend ist; auf der Suche nach Überwindungsmöglichkeiten für die Modernisierungskrise erweist es sich vielmehr als desorientierend. Diesen Zusammenhang von Sensibilisierungsleistung auf der einen Seite und Desorientierung auf der anderen definiert Bollenbeck äußerst prägnant als eine »gespaltene Sehkraft« (279). Man könnte auch noch schärfer von der Disponierung zu einem schizophrenen Bewußtsein sprechen, die das Deutungsmuster angesichts von Modernisierung und Industrialisierung bei Intellektuellen produziert. Denn das skizzierte Nebeneinander von Sensibilisierung und Desorientierung erzeugt beim Interpreten gesellschaftlicher Krisenphänomene Bollenbeck zufolge schließlich noch ein Drittes: das Gefühl der Ohnmacht. Das Deutungsmuster »Bildung und Kultur< wirkt also nicht nur irreleitend, sondern auch handlungshemmend. Mit der begrifflichen Trias von »Sensibilisierung^ >Desorientierung< und >Ohnmacht< ist ein Verblendungszusammenhang abgesteckt, in dem sich Bollenbeck zufolge die Zeitanalysen all jener Weimarer Intellektuellen verfingen, die mit dem beschriebenen Deutungsmuster arbeiteten. Neben Georg Simmel und Karl Jaspers führt Bollenbeck mit Walter Rathenau ein bemerkenswertes Beispiel eines Intellektuellen an, der in dem skizzierten Verblendungszusammenhang von minutiös ausgeprägter Kritikfähigkeit und beschränkter Lösungskompetenz gestanden habe: Rathenaus Kulturkritik belege eindrucksvoll »jene gespaltene Sehkraft, die kulturkritisch die Auswirkungen der Ökonomie wahrnimmt, jedoch nicht deren Logik, und die daher Schadensbegrenzung betreiben will durch die Unterstellung der Ökonomie unter die Werte der >Kulturtypisch deutschem Deutungsmusters gelten müssen, sind darin von Beginn an angelegt. Die Abstufung zwischen bürgerlich-sozial-politischem und geistigem Leben ist diesem Deutungsmuster inhärent (162). Das aber bedeutet: Arbeit und Gesellschaft - also im weitesten Sinne jene Bereiche, deren Probleme die Weimarer Republik in die Krise trieben - lassen sich mit diesem Bildungsideal nicht denken. Dennoch - und darin beruht die Gefährlichkeit des Deutungsmusters gerade in politischen und ökonomischen Krisenzeiten - sind seine Anhänger gegenüber den Problemen ökonomischer Vergesellschaftung und politischer Partizipation keineswegs zum Schweigen verurteilt. Das Deutungsmuster macht hier zwar »blind, aber nicht sprachlos« (285), so stellt Bollenbeck lakonisch fest.

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Die Gefahr solcher Sprachmächtigkeit wurde schon bei Trommler deutlich, der darauf hinwies, daß in den Krisenjahren um 1930 von der Intelligenz ein erneuter Anspruch auf eine Sprecherrolle, auf kulturelle Führerschaft also, erhoben und mit der Zuständigkeit in Sachen >Kulturkrise< legitimiert wurde. Ähnlich rekurriert auch Bollenbeck in seiner Analyse des Zusammenhangs von zeitdiagnostischer Blindheit einerseits und einer davon - zwangsläufigerweise unangefochtenen, wortgewaltigen Kritik an den bestehenden Verhältnissen andererseits gerade auf die Jahre um 1930: Mit der Begrifflichkeit von >Bildung und Kultur< habe sich in der Kulturkritik der frühen dreißiger Jahre ein weit verbreitetes Unbehagen an der kapitalistischen Moderne nachhaltig Ausdruck verschafft (ebd.). Die Wirkungsmacht des Deutungsmusters >Bildung und Kultur< und der damit verknüpften kulturnationalen und kulturhegemonialen Ansprüche konnte Lutz Winckler selbst bei einem frankophilen und von demokratischen Überzeugungen durchdrungenen Intellektuellen wie Heinrich Mann nachweisen. Nicht allein seine Frankophilie, sondern eben besagte Neigung zu einer >typisch deutschem Denktradition verbindet Heinrich Mann mit seinem Zeitgenossen Ernst Robert Curtius, dem namhaften Romanisten, der in der Weimarer Zeit zuerst in Heidelberg (1924—1929) und später in Marburg lehrte. Was bei Heinrich Mann jedoch erst in der Zeit der Krise um 1930 durchschlug, verschaffte sich - so zeigen jüngere Forschungsarbeiten - bei Curtius nicht erst gleichsam notgeboren in den Jahren der Krise Geltung. Vielmehr waren Curtius' Denken und seine Aktivität als Intellektueller in der Weimarer Republik von Beginn an und durchgängig von kulturnationalen Positionen geprägt. Verblüffte der Nachweis solcher Denkfiguren bei Heinrich Mann angesichts seiner vorausliegenden intellektuellen Biographie, so vermag der ähnlich lautende Befund der neueren Curtius-Forschung zunächst ebenso zu konsternieren, da Curtius in der Zwischenkriegszeit als engagierter Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich hervortrat, eine Vision von Europa entwickelte und sich schließlich 1932 mit seiner kulturpolitischen Kampfschrift Deutscher Geist in Gefahr den Ruf eintrug, ein - freilich später - Retter der Weimarer Demokratie zu sein. Das aus diesen Fakten abgeleitete und lange Zeit transportierte Bild des Gelehrten wurde seit Beginn der neunziger Jahre in mehreren Arbeiten einer kritischen Prüfung unterzogen. Diese Untersuchungen - vornehmlich die von HANS MANFRED BOCK (Die Politik des Unpolitischem. Zu Ernst Robert Curtius' Ort im politisch-intellektuellen Leben der Weimarer Republik) und von DIRK HOEGES (Kontroverse am Abgrund: Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim. Intellektuelle und >freischwebende Intelligent in der Weimarer Republik) werden im folgenden vorgestellt, weil sie für den hier interessierenden Zeitraum deutscher Intellektuellengeschichte äußerst aufschlußreich sind und in einer entscheidenden Hinsicht - über die Betrachtung des Einzelfalls Curtius hinaus symptomatische Bedeutung beanspruchen können. Letzteres gilt insbesondere für Dirk Hoeges' Analyse der heftigen Auseinandersetzung, die Curtius in den Krisenjahren der Republik mit seinem ehemaligen Heidelberger Kollegen Karl Mannheim führte, denn anhand dieser Kontroverse - einer >Kontroverse am Abgrund deutschen Geistes< besorgt war. Bei oberflächlicher Betrachtung konnte selbst diese von konservativen Überzeugungen getragene kulturpolitische Tätigkeit noch als fortschrittlich gelten - also zu dem verfehlten Bild des vorbildlichen Europäers

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beitragen - , weil Curtius in der Öffentlichkeit als Vorkämpfer des deutsch-französischen Dialogs auftrat und im Austausch mit französischen Intellektuellen beispielsweise bei den europäischen Intellektuellentreffen der zwanziger Jahre in Pontigny und Colpach - um eine geistige Erneuerung Europas rang. Bock weist anhand von Curtius' Schriften nach, daß es dem Romanisten bei seiner kulturpolitischen Beschäftigung mit Frankreich letztlich nicht um einen Ausgleich oder um eine Annäherung zu tun gewesen war, sondern um eine »nationale Traditionsstiftung in Kontrastierung zum Westen« (44). Seine kulturpolitische Zuwendung zu Frankreich stand im Dienst eines nationalen Ziels: Curtius verstand sie, so Bock, »als Beitrag zur festeren und klareren Ausbildung der nationalen Identität der Deutschen« (ebd.), er habe damit letztlich den nationalpädagogischen Zweck der »Ausformung einer eigengesetzlichen deutschen Nationalkultur« (45) verfolgt. Zu einer Überwindung der aus dem kulturnationalen Diskurs vertrauten Antithesen wie >Kultur und Zivilisation«, »Aufklärung und Romantik«, »Intellekt und Gemüt< trug Curtius also mit seinen kulturpolitischen Essays keineswegs bei. Im Gegenteil: Bocks Arbeit legt offen - und das kann als ihre Pointe angesehen werden - , daß Curtius ausgerechnet in den Schriften, die den deutschfranzösischen Dialog vorantreiben sollten, die altbekannten Antithesen fortschrieb und mit einer kulturmorphologisch fundierten Nationalpsychologie (vgl. 42f.) begründete. Die Zitate, die Bock zum Nachweis seiner Deutung aus Curtius' Schriften anführt, wirken - sofern man sich der These vom noch heute vorbildlichen Europäer erinnert - tatsächlich verstörend. Erst vor dem Hintergrund der skizzierten nationalpädagogischen Funktion des von Curtius betriebenen deutsch-französischen Dialogs ist zu ermessen, was Curtius meinte, als er 1932 in Deutscher Geist in Gefahr schrieb, daß man in Deutschland den wahren Nationalismus noch nicht habe: Es sei, so Bocks Deutung, das Scheitern seines kulturelitären nationalen »Erneuerungs- und Selbstfindungsprogramms für Deutschland« (48), das Curtius mit diesen Worten eingestanden habe. In dieser Zeit hatte Curtius allerdings ohnehin bereits entschieden, sich von seiner aktiven Tätigkeit als Intellektueller zurückzuziehen. Solange er diese Rolle jedoch in der Weimarer Republik ausübte, vertrat er auch, wie Bock anhand der Publizistik des Romanisten nachweisen kann, die Antinomien der deutschen Ideologie. Curtius gilt Bock daher als ein »offensiver Vertreter der Ideologie des deutschen Sonderwegs« (47). Die Berufung auf Curtius' Europa-Idee ist hier als apologetisches Gegenargument zum Versuch einer Ehrenrettung des Romanisten nicht hinreichend. Denn diese Europa-Konzeption stand, wie Bock belegen kann, ganz in der Tradition der politischen Romantik. Inspiriert von Adam Müller, dem maßgeblichen Theoretiker der politischen Romantik in Deutschland, strebte Curtius nach einer Synthese von Nationalgefühl und Kosmopolitismus, die von der geistigen Elite Frankreichs und Deutschlands herbeigeführt werden sollte. Ihm ging es - im Konsens mit Andre Gide, mit dem er über solche Fragen korrespondierte - um Europa als geistige Lebensgemeinschaft, in der nationale Besonderheiten bewahrt und respektiert würden, zugleich aber in einer höheren Synthese aufzuheben seien. Die entscheidende Leistung für dieses »organische«

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Europa, wie Curtius selbst es im Anschluß an die Romantik nannte, wäre demnach von deutscher Seite zu erbringen gewesen, denn die Fähigkeit zur >SyntheseMittlertum, Universalität, Unendlichkeit und Toleranz«< (41) waren seiner nationalpsychologischen Typologie zufolge genau jene Eigenschaften, die den deutschen Geist< auszeichneten (vgl. 41f.). Bock bewertet Curtius' Europa-Idee daher als »das Instrument eines kulturpolitischen Revisionismus« (42), das Deutschland aus der »internationalen Paria-Stellung« (ebd.) nach dem Ersten Weltkrieg befreien sollte. In Curtius einen irenischen Verständigungspolitiker (47) des deutsch-französischen und europäischen Dialogs der Zwischenkriegszeit erblicken zu wollen, erscheint Bock überdies auch deshalb unmöglich, weil sich Curtius im persönlichen Umgang mit Kontrahenten kaum als Diplomat ausgewiesen habe. Die intellektuelle Auseinandersetzung sei oft in gereiztem, unsachlichem Ton erfolgt, Curtius habe auf Kritik mit »maßloser Polemik« (ebd.) gekontert, »apodiktisch und den Gegner herabsetzend« (46). Das Scheitern des deutsch-französischen Projektes habe er schließlich auch allein der französischen Seite angelastet. Im Resümee seiner Untersuchung charakterisiert Bock Curtius als einen unpolitischem Konservativen im Sinne jenes Begriffs, der durch Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen Geltung erlangte. Curtius war, so urteilt Bock, »weder ein Vertreter oder Verteidiger der Weimarer Republik noch ein richtungsweisender deutsch-französischer oder europäischer Verständigungspolitiker« (48). Seine Kampfschrift Deutscher Geist in Gefahr aus dem Jahre 1932 sei weniger als klares Votum gegen den Nationalsozialismus zu begreifen, denn vielmehr als Ausdruck der tiefen Enttäuschung über das Scheitern seiner kulturpolitischen Projekte (vgl. 32) und somit als »ein Dokument konservativer Kulturkritik« (49). Nicht die Weimarer Republik habe Curtius in dieser Streitschrift verteidigt, sondern »das Wunschbild seiner Generation«: das Programm einer von der Lebensphilosophie Bergsons und der elitistischen Kunstkonzeption Stefan Georges angeregten »geistigen Erneuerung« (33). Was Bollenbeck für die zeitdiagnostische Wahrnehmungskraft eines Bewußtseins, das sich im Rahmen des deutschen Deutungsmusters von >Bildung und Kultur< bewegt, in grundsätzlicher Dimension herausarbeitete, erweist Bocks Analyse am Einzelfall Curtius. Denn Bock räumt in seiner Bewertung des Intellektuellen Curtius ein, daß »von einem solchen Standort aus eine kritische (oder auch nur realistische) Einschätzung der nationalsozialistischen Gefahr nicht möglich war« (ebd.). Zu betonen ist, daß es Bock in seiner unnachgiebig kritischen Beurteilung des Intellektuellen Curtius nicht um eine gnadenlose Demontage oder gar Diffamierung der Person Curtius zu tun ist. Die zuweilen scharf formulierten Bewertungen dienen dazu, angesichts der aktuellen Berufungen auf den Humanisten und Europäer Curtius vor idealisierenden Fehleinschätzungen und solchen Inanspruchnahmen des berühmten Romanisten zu warnen, die mißverständlich wirken könnten. Curtius, der sich 1932 mit seiner kulturpolitischen Kampfschrift vom tagespolitischen Geschehen zurückzog und sich in seinen philologischen Studien von der Gegenwartsliteratur ab- und der Literatur des europäischen Mittelalters zuwandte, war kein Parteigänger der Nazis (ebd.), wie Bock

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mit Adresse an die Curtius-Verehrer konzediert. Er sieht in Curtius vielmehr ein Beispiel für die »schwierige Gratwanderung zwischen nationalem Identitätsgefühl und Nationalismus« (40). Stringent wirkt daher auch Bocks Postulat, daß das vorrangige Interesse der Forschung, die sich mit dem Weimarer Intellektuellen Curtius befaßt, nicht in seiner Verklärung zum Verteidiger der Weimarer Republik bestehen sollte, sondern vielmehr in der Klärung der Ursachen, die dazu führten, daß Curtius diese Rolle gerade nicht übernehmen konnte (49). Bock hat diese Erklärung in seiner Arbeit zweifellos selbst erbracht. Für das intellektuelle Leben der Weimarer Republik ist sein Porträt des akademischen Intellektuellen darüber hinaus von paradigmatischem Wert, weil Curtius als Repräsentant einer Generation und einer bestimmten sozialen Schicht vorgestellt wird: Er vertritt das akademische Mandariat (vgl. 22), das in der Weimarer Republik generell von einem tiefen kulturellen Krisenbewußtsein durchdrungen war und die Krisenbewältigung - wie Trommler nachgewiesen hat - durch eine Revolutionierung der Geistesformen suchte (ebd.). Überdies kann der akademisch etablierte Mandarin Curtius auch als idealer Repräsentant jener Generation gelten, die mit dem George-Kreis in Berührung gekommen war oder zumindest in dessen geistigem Wirkungsfeld gestanden hatte, denn Curtius war durch eine langjährige enge Freundschaft mit Friedrich Gundolf in den Kreis um Stefan George einbezogen (17). Für die spezifische Auffassung von der Rolle des Intellektuellen, die Curtius schließlich ausbildete und in seinem kulturpolitischen Engagement der Weimarer Jahre auch lebte, war diese frühe Prägung durch den George-Kreis, insbesondere die hier geübte Konzentration auf die charismatisch legitimierte geistige Führungsgestalt des >Meisterssociet£ de gens de lettres< genau und nur dann bestanden, wenn es galt, die Politik anzuklagen, die große Krise der Kultur zu beschwören und sich selbst mit dem Fingerzeig auf den Sündenbock der Politik »Generalabsolution« (227) zu erteilen. Am Fall des Romanisten Curtius, der seinen Kollegen Mannheim in der Be-

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sprechung von Ideologie und Utopie nicht allein als >Submarxisten< diffamierte, sondern sich überdies nicht versagte, auf die jüdische Abkunft des Soziologen anzuspielen, verdeutlicht Hoeges die aufgeladene und gewaltbereite Atmosphäre des intellektuellen Lebens dieser Zeit. Dabei betont er die europäische Dimension dieses Phänomens: Nicht allein unter Intellektuellen in Deutschland, sondern auch im übrigen Europa sei »Kumpanei im Ressentiment« (90) in allen politischen und geistigen Lagern anzutreffen gewesen, nicht allein an den extremistischen Rändern links und rechts. »Bornierte Aggressivität nur im Extremismus zu vermuten oder zu lokalisieren«, so warnt er, »ist eine Entlastungsstrategie; sie exkulpiert die Weltkinder in der Mitten; [...]« (ebd.). Curtius beweist für Hoeges daher exemplarisch, daß Befangenheit und Ressentiment sich auch im Denken des Geistesarbeiters Raum schaffen: »Der >reine< Intellektuelle ist eine Fiktion oder eine ideologische Suggestionsfigur« (ebd.).

6. Austauscheffekte in Weimarer Intellektuellendiskursen Ansätze jüngster Forschungen KURT SONTHEIMER plädierte 1982 in seiner Untersuchung zur politischen Kultur der Weimarer Republik für eine verstärkte Erforschung dieses Gebiets (40, 454), er betonte nachdrücklich, daß dies eine »lohnende Aufgabe« (464) darstelle, die trotz der umfangreichen Forschung zur Weimarer Republik noch keineswegs ausreichend bewältigt worden sei. Sontheimers Ermunterung scheint nicht ungehört verhallt zu sein, wie an einer Vielzahl von Publikationen, die in den neunziger Jahren erschienen sind, abzulesen ist. Schon die Titel oder Untertitel dieser Arbeiten signalisieren, daß der Beitrag, den Intellektuelle zur politischen Kultur der Weimarer Republik erbrachten, mit gebührender Aufmerksamkeit bedacht wird. Die ohnehin kaum mehr überschaubare Literatur zur Weimarer Republik ist nun durch eine Fülle von Sammelbänden zu Teilaspekten der politischen Kultur nochmals bereichert worden. In der Natur der Sache liegt es wohl, daß Sontheimers Anregung vornehmlich von Historikern und Politologen, weniger von Literaturwissenschaftlern aufgegriffen wurde. Für die Beschäftigung mit Weimarer Schriftstellern als Intellektuellen ist die Welle der neuesten Weimar-Forschung also nicht so ergiebig, wie man zunächst annehmen könnte. Dennoch sollen die wichtigsten Sammelpublikationen kurz charakterisiert werden. Ein Band, der durch seinen methodischen Ansatz bemerkenswert ist und auch der literaturwissenschaftlichen Forschung über Intellektuelle der Weimarer Jahre Impulse geben könnte, soweit die darin vereinigten Aufsätze nicht auch schon Literaten behandeln, wird schließlich ausführlicher in Konzeption und Anspruch erörtert. Seit 1982 besteht an der Maison des Sciences de l'Homme in Paris eine Einrichtung, die sich ganz der Forschung über Weimarer Kultur verschrieben hat: Die unter der Leitung von GERARD RAULET stehende Groupe de Recherche sur la Culture de Weimar, in der deutsche und französische Wissenschaftler kooperieren, ist unter den erwähnten Publikationen der neunziger Jahre vielfach ver-

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treten, ja die meisten neueren Sammelbände sind aus diesem Projekt oder seinem Umfeld hervorgegangen. Der weitgefaßte Begriff der >CultureGemengelage< ein Kriterium zur Charakterisierung des intellektuellen Lebens in der Weimarer Periode benennt, das in der Forschung als relativ neu gelten kann und ältere Perspektiven zurechtzurücken vermag. So wird unter dem Leitbegriff der »Austauschdiskurse« (13) versucht, die für eine Bestimmung Weimarer Verhältnisse längst eingeschliffenen ideologischen Oppositionen von Rechten und Linken, von Konservativen und Modernen, von Demokraten und Antidemokraten aufzubrechen und das Augenmerk auf die Gemeinsamkeiten zu lenken, die zwischen diesen Denkweisen und Überzeugungen bestehen. An den politisch äußerst heterogenen Diskursen der Weimarer Jahre sollen mit der Sonde >Austauscheffekte< verborgene strukturelle Gemeinsamkeiten, soll gar eine inhaltliche »Homogenität« (9) ans Licht gebracht werden. Wenn die Arbeiten Grenzgängern gelten, aus deren Schriften die behaupteten Vermengungen und Überlagerungen herauszulesen seien, dann beanspruchen die Herausgeber damit nicht, einen vernachlässigten Randaspekt der Weimarer Intellektuellendiskurse aufzuarbeiten, sondern vielmehr den entscheidenden hermeneutischen Schlüssel zu den Debatten der Zeit gefunden zu haben, ja sie behaupten, »der politischen Kultur der Weimarer Republik insgesamt eher gerecht zu werden [...] und ihre intellektuelle Gemengelage adäquater zu erfas-

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sen, als es beispielsweise hermeneutische Geistesgeschichte, politische Ideologiekritik, soziologische Intellektuellenforschung oder auch politisch-gesellschaftliche Strukturanalyse alleine vermöchten.« (ebd.) Mit dem Blick in die Tiefenstrukturen Weimarer Diskurse sollen die Grundkategorien, die den spezifischen Modus von »Kongruenz und Austauschbarkeit« (10) ermöglichten, offengelegt werden. Daß die Erforschung der Ambivalenzen der Weimarer politischen Kultur und ihrer intellektuellen Auseinandersetzungen nicht gänzliche Originalität behaupten kann, sondern schon zwanzig Jahre zuvor als ein Desiderat der Forschung kenntlich gemacht worden war, bestätigt ein Blick in FRANK TROMMLERS Aufsatz über Intellektuelle und Intellektuellenkritik in Deutschland (41) aus dem Jahre 1975. Trommler wies schon Mitte der siebziger Jahre daraufhin, daß eine »Durchleuchtung der Konvergenzen von rechten und linken Positionen« (130) vonnöten sei. Er begründete dieses Forschungspostulat mit dem Hinweis auf die nachhaltige Wirkkraft von Georg Lukäcs' Zerstörung der Vernunft, in deren geschichtsphilosophisch argumentierender »Kategorisierung von schwarzen und weißen Schafen« (ebd.) die Forschung über Intellektuelle und deren Verantwortung allzu lange verhaftet geblieben sei. Trommler reklamierte dagegen, »Rechts und Links, Schwarz und Weiß von der sicheren Höhe der Abstraktion herunterzuholen [...] und die jeweilige Ambivalenz dazwischen einzubeziehen, die den politischen Alltag bestimmte und bestimmt« (130f.). Mit letztgenanntem Argument, das auf die Erschließung derjenigen Faktoren und Motive abzielt, die den politischen Alltag und das individuell-konkrete, soziologisch und psychologisch gelenkte Verhalten von Intellektuellen jeweils bestimmen, deckt sich Trommler seinerseits wiederum mit der schon 1964 auch von RAINER LEPSIUS in Kritik als Beruf. Zur Soziologie der Intellektuellen (30) erhobenen gleichlautenden Forderung: Der Soziologe warnte in diesem Aufsatz - allerdings nicht im Zusammenhang mit Georg Lukäcs, sondern vielmehr mit Bendas Dichotomie von >clerc< und Laie - vor einer vereinfachenden dualistischen Kategorisierung, weil sie stets Gefahr laufe, zur Polarisierung des »ungeheuer vielfaltigen sozialen Verhaltens« in bloß zwei Seinsweisen zu geraten (274). Die Hinweise auf Trommler und Lepsius mögen genügen, um zu zeigen, daß die Erforschung der Austauscheffekte und Übergänge zwischen Rechts und Links schon länger als Forschungsdesiderat erkannt worden sind und daß daher der Ansatz von Gangl und Roussel nicht nur berechtigt und vielversprechend ist, sondern von der Forschung über Weimarer Intellektuelle geradezu erwartet wurde. Nimmt man überdies noch Sontheimers Appell zur Erforschung der politischen Kultur Weimars hinzu, so scheint der als Beitrag zur >Gemengelage der politischen Kultur< Weimars verstandene Sammelband über Intellektuellendiskurse geradezu sämtliche Desiderata einzulösen, die sich in der Forschung über die Weimarer Republik angestaut hatten. Ob indes alle Erwartungen und die von den Herausgebern selbst formulierten Ansprüche durch die versammelten Einzelbeiträge eingelöst werden, scheint fraglich. MATTHIAS UECKER meldet in seiner Rezension des Bandes (vgl. 18) trotz vielen Lobes methodisch begründete Zweifel gegen diese Erwartung an. Er moniert zurecht die weitgehen-

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de Ausblendung sozialgeschichtlicher und mediengeschichtlicher Forschungen in den Beiträgen, wodurch die rekonstruierten Diskurse in einem gleichsam schwerelosen, autonomen, praxisenthobenen Raum schwebten, in dem Wahrheitsansprüche und Forderungen nach empirischer Verifizierbarkeit nicht angemeldet werden könnten. Uecker kann sich schließlich des Verdachtes nicht erwehren, daß »die postulierte >Austauschbarkeit< der Diskurse nicht zuletzt ein Effekt eben jener Rekonstruktionsmethode sein könnte, die von den diversen historischen Praxisbezügen ihres Gegenstandes erst gar nichts wissen will« (217). 1996 erschien ein weiterer, von WOLFGANG BIALAS und BURKHARD STENZEL herausgegebener Sammelband zur politischen Kultur der Weimarer Republik. Auch hier wird die Intellektuellen-Thematik als Frage nach den Diskursen, die Intellektuelle führten, aufgerollt: Die Weimarer Republik zwischen Metropole und Provinz. Intellektuellendiskurse zur politischen Kultur (9). Der interdisziplinär angelegte Band versammelt Beiträge, in denen die politische Kultur der Republik im Licht der Kontroversen um das Verhältnis von Metropole und Provinz betrachtet wird (1). Methodisch wird versucht, die von Uecker im Hinblick auf den Sammelband von Gangl und Raulet beanstandete Ausblendung historischer und soziologischer Kontexte zu vermeiden, eine »Verschränkung von historisch vergleichender und intellektuellengeschichtlich systematisierender Perspektive« (5) wird gar ausdrücklich angestrebt. Die Unterscheidung zwischen hauptstädtischen und provinziellen Intellektuellendiskursen kann sicherlich als ein neuer Ansatz in der Beschäftigung mit Weimar gelten, insbesondere die Polarität zwischen der Provinzstadt Weimar und der Metropole Berlin kann zu einer Überprüfung des Gegensatzes von liberalen und konservativ-traditionellen Geisteshaltungen einladen. Doch die insgesamt sechzehn Beiträge lassen eine übergeordnete Systematik nicht erkennen, zumal auch kein erkenntnisleitender und bündelnder Gesichtspunkt, der allererst durch den Gegensatz von Metropole und Provinz in besonderem Maße erhellt werden könnte, herausgestellt wird. Intellektuelle in der Weimarer Republik erfreuen sich 1996 erstaunlicher Beliebtheit in der Forschung, wie ein weiterer, von WOLFGANG BLALAS und GEORG J. IGGERS herausgegebener Sammelband, der 1996 erschien und bereits ein Jahr später wiederaufgelegt wurde, zeigt (8). Das Problem, das schon bei Bialas und Stenzel deutlich wurde, die Suche nach einem systematisierenden, die Beiträge unter eine gemeinsame Fragestellung rückenden Gesichtspunkt, stellt sich hier um so deutlicher. Dieses Manko betrifft schließlich auch den Umgang mit dem Begriff >IntellektuelleGemengelagen< und >Austauscheffekte< (16f.), um dagegen das doch weniger präzise Postulat einer »> Spektralanalyse der geistigen Situation der Zeit«< (21) zu setzen. Die alte Rechts-Links-Opposition ist dann allerdings doch

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auch bei Bialas eindeutig verabschiedet, wenn es heißt, daß »sich der intellektuelle Diskurs der Weimarer Republik in seinen zahlreichen Facetten nicht auf politisch eindeutige, gar parteipolitisch identifizierbare Reaktionen auf zeitgeschichtliche Problem- und Konfliktkonstellationen reduzieren« (21) ließe. Für ein Erkenntnisinteresse, das sich auf Schriftsteller als Intellektuelle in der Weimarer Republik richtet, bietet der vornehmlich von Historikern, Politologen und Philosophen bestückte Band keine wesentlichen neuen Aufschlüsse. Angesichts der zahlreichen Publikationen, die gerade in den letzten Jahren zur Weimarer Republik erschienen sind und dabei die Intellektuellen und ihre Diskurse in den Mittelpunkt der Fragestellungen rücken, bleibt aus literaturwissenschaftlicher Sicht festzustellen, daß der thematische Schwerpunkt doch stets auf der politischen Kultur und ihren Repräsentanten liegt. Für eine von Literaturwissenschaftlern betriebene Intellektuellen-Forschung scheint wünschenswert, den Akzent zu verlagern und der ästhetischen Kultur bzw. dem Zusammenspiel von ästhetischer und politischer Kultur, das Sontheimer 1987 angesprochen hat, intensiver nachzugehen. Der von Thomas Koebner zu Beginn der achtziger Jahre herausgegebene Sammelband über Weimars Ende scheint für literaturwissenschaftliche Forschungen über Weimarer Intellektuelle immer noch Maßstäbe zu setzen. Ein vergleichbares Unternehmen, das auf der Grundlage der neueren soziologischen Intellektuellenforschung arbeiten würde und sich durch die methodischen Impulse inspirieren ließe, die in der jüngsten Forschung zur politischen Kultur der Republik gegeben wurden (>AustauschdiskurseBildung und Kultur< im Einzelfall verschiedener Intellektueller anzuwenden. Relikte kulturnationaler Denkfiguren, die das Verhältnis von Geist und Macht betreffen und von einer gespaltenen Sehkraft (Bollenbeck) hinsichtlich der Modernisierungsprozesse zeugen, sind sicherlich noch bei manchen Autoren dieser Zeit, bei denen man es nicht vermuten würde, auszumachen.

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Intellektuelle

in der Weimarer

Republik

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26. Köpke, Wulf: Alfred Döblins Überparteilichkeit. Zur Publizistik in den letzten Jahren der Weimarer Republik. In: 25, S. 318-329. 27. Kurucz, Jenö: Struktur und Funktion der Intelligenz während der Weimarer Republik. Köln: Grote, 1967. 28. Laqueur, Walter: Die Rolle der Intelligenz in der Weimarer Republik. In: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 18 (1973), S. 279-289. 29. - : Weimar. Die Kultur der Republik [Engl. Original: Weimar: A Cultural History 1918— 1933, 1974], Frankfurt a Μ., Berlin, Wien: Ullstein, 1977. Darin Kap. 2.: Die Linksintellektuellen, S. 62-103, und Kap. 3: Donner von Rechts - Die Rechtsintellektuellen, S. 104138. 30. Lepsius, Rainer M.: Kritik als Beruf. Zur Soziologie der Intellektuellen. In: Kölner Zeitschrift fllr Soziologie und Sozialpsychologie 16 (1964), S. 207-216. Wiederabgedruckt in: Rainer M. Lepsius: Interessen, Ideen und Institutionen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990, S. 270-285. 31. Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. [Zuerst 1958] Frankfurt a. M.: Fischer, 1992. Darin Kap. 10: Weimar. Die Intellektuellen, S. 719-737, wiederabgedruckt in: 7, S. 27-45. 32. Müller, Helmut L.: Die literarische Republik. Westdeutsche Schriftsteller und die Politik. Weinheim, Basel: Beltz, 1982. Darin: Literatur und Politik in der Weimarer Republik, S. 22-25. 33. Noack, Paul: Deutschland, deine Intellektuellen: die Kunst, sich ins Abseits zu stellen. Stuttgart: Bonn Aktuell, 1991. Darin Kap. 3: Weimar - die ungeliebte Republik und danach, S. 34-44. 34. Peukert, Detlev J. K.: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1987. 35. Radkau, Joachim: Die Weltbühne als falscher Prophet? Prognostische Versuche gegenüber dem Nationalsozialismus. In: 25, S. 57-79. 36. Sautermeister, Gert: Thomas Mann: Der Ironiker als citoyen. Politische Rhetorik und kritische Diagnose in der Weimarer Republik. In: 25, S. 271-302. 37. Sontheimer, Kurt: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. (1. Aufl. 1962) Nachdruck der Studienausgabe von 1968. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 4 1994. 38. - : Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. In: Der Weg in die Diktatur 1918-1933. Zehn Beiträge. Eine Sendereihe des Norddeutschen Rundfunks. Beiträge von Theodor Eschenburg u. a. (Ohne Herausgeber). München: Piper, 1962, S. 49-69. 39. - : Zwei deutsche Republiken und ihre Intellektuellen. Die Rolle der Intelligenz in Weimar und Bonn. In: Merkur 36 (1982), Η. 11, S. 1062-1071. 40. - : Die politische Kultur der Weimarer Republik. In: Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Hrsg. von Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/HansAdolf Jacobsen. Düsseldorf: Droste, 1987, S. 454-464. 41. Trommler, Frank: Intellektuelle und Intellektuellenkritik in Deutschland. In: Basis. Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur. Bd. 5(1975), S. 117-131. 42. - : Verfall Weimars oder Verfall der Kultur? Zum Krisengefühl der Intelligenz um 1930. In: 25, S. 34-53. 43. - : Intellectuals and Weimar Culture: The Different Legacies in America and Germany. In: Responsibility and Commitment. Ethische Postulate der Kulturvermittlung. Festschrift für Jost Hermand. Hrsg. von Klaus J. Berghahn, Robert C. Holub u. Klaus R. Scherpe, Frankfurt a. M.: Lang, 1996, S. 125-138. 44. Turk, Horst: Die Intellektuellen in und zwischen den Kulturen. An Beispielen aus der deutschsprachigen Literatur zwischen 1918 und 1933. In: Praxis interkultureller Forschung - Bildung - Politik. Beitäge zum II. Internationalen Kongreß der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik. Hrsg. von Bernd Thum und Gonthier-Louis Fink, München: Iudicium, 1993, S. 241-262. 45. Weber, Max: Wissenschaft als Beruf [1917/1919]. In: Studienausgabe der Max-WeberGesamtausgabe. Abt. I: Schriften und Reden, Bd. 17: Wissenschaft als Beruf 1917/1919. Politik als Beruf 1919. Hrsg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod. Tübingen: Mohr, 1994, S. 35-88. 46. Winckler, Lutz: Der Geist an der Macht? »Kulturnation« und intellektueller Hegemonieanspruch. In: 18, S. 219-231.

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Intellektuelle im >Dritten Reich
Dritten Reich< eine nahezu unüberschaubare Fülle an Titeln aufweist, wurden zentrale Probleme und Fragestellungen bisher nicht umfassend behandelt (vgl. Michael Ruck: Bibliographie zum Nationalsozialismus. Köln 1995; sowie: Bibliographie zur Zeitgeschichte. Beilage der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte). So fehlt eine die unterschiedlichen Positionen intellektuellen Verhaltens während der nationalsozialistischen Herschaft in Deutschland differenzierende und integrierende Zusammenschau. Neben einigen Dokumentensammlungen (vgl. ζ. B. Lion Poliakov/Joseph Wulf: Das Dritte Reich und seine Denker. Dokumente. Berlin 1959; oder: Joseph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Reinbek 1966). sowie zahlreichen zumeist germanistischen Arbeiten, die das Verhalten einzelner Schriftsteller zwischen 1933 und 1945 mehr oder minder detailliert beschreiben und untersuchen, überwiegen doch die Aufsätze und Monographien, die der Werkanalyse verpflichtet sind. Einer umfassenden Studie, die JAN-PIETER BARBIANS grundlegende Untersuchung der Literaturpolitik im >Dritten Reich (1) durch die Einnahme der entgegengesetzten Perspektive - sozusagen »der Opfer« - ergänzte, hat sich weder die realhistorische noch die literaturgeschichtliche Forschung angenommen (in einer Darstellung wurde versucht, das Thema aus dieser Perspektive auszuleuchten, allerdings in Form von Zitaten aus Quelleneditionen und Erinnerungen von Zeitgenossen: Harald Focke/Monika Strocka: Alltag der Gleichgeschalteten. Wie die Nazis Kirche, Kultur, Justiz und Presse braun färbten. »Alltag unterm Hakenkreuz«. Bd. 3. Reinbek 1985). Der Intellektuelle im Nationalsozialismus ist mit NORBERT FREIS und JOHANNES SCHMITZ' Studie zum Journalismus im Dritten Reich (10) lediglich für die klar abgegrenzte Berufsgruppe der Journalisten greifbar. Der folgende Bericht konnte sich aus diesem Grunde nicht auf einige zentral erscheinende Spezialstudien beschränken, sondern mußte notgedrungen auch Darstellungen berücksichtigen, deren Anliegen in erster Linie nicht die Position des Intellektuellen im »Dritten Reich< ist. Aus diesen Studien war der Forschungsstand gewissermaßen herauszufiltern. Das Verhalten von Wissenschaftlern und Studenten an den Universitäten sowie die Rolle von Amtsträgern der Kirchen im »Dritten Reich< blieben aus dem Bericht ausgeklammert, da allein für diese - durchaus von Intellektuellen dominierten - Bereiche eine solche Fülle von Literatur nachweisbar ist, daß eigene Forschungsberichte wünschenswert sind. Bemerkenswert ist allemal, daß im Gegensatz zur Forschung über das »Eldorado für Intellektuelle« (Sontheimer), die Weimarer Republik (vgl. vor-

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stehenden Bericht), in der Wissenschaftsliteratur zum >Dritten Reich< die Bezeichnung »Intellektueller« offenbar gemieden wird. Lediglich sieben der hier zusammengestellten Beiträge führen diese Bezeichnung im Titel, wobei einer (2) von der Geschichte des »Schimpfwortes« selbst handelt, und zwei nur scheinbar mit unserem Thema zu tun haben: Zwar behandelt BERNHARD GIESEN (11) in seiner 1993 erschienen Studie über Die Intellektuellen und die Nation, wie auf die hier dargestellten Codierungen nationaler Identität nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgegriffen wurde - allerdings fehlen Bemerkungen zum >Dritten Reich< gänzlich, was gerade angesichts des selbstgesteckten Themas (!) überhaupt nicht einsichtig ist. Auch der bereits 1968 im Monat publizierte Aufsatz MARTIN G R E B E N H A GENS (13) zu den Intellektuellen in der deutschen Politik ist für unsere Frage nicht ergiebig, wenngleich der Autor das >Dritte Reich< auch nicht völlig übergeht: Die Feststellung, »daß die deutschen Intellektuellen sich in ihrer Mehrzahl dem Nationalsozialismus fernhielten«, will ihm begreiflicherweise »nicht viel sagen« (38). Zur politischen Verortung der sogenannten »Inneren Emigration« im Koordinatensystem von Affirmation und Kritik behauptet er vielmehr, daß diese der Kollaboration eher zuzurechnen sei »als ihrem Gegenteil, der Opposition« (38f.). Eine nähere Erläuterung dieser Auffassung bleibt Greiffenhagen in seinem Artikel allerdings schuldig. Um einen Oberblick über den Forschungsstand zu den Intellektuellen im >Dritten Reich< zu gewinnen, war somit eine Literaturrecherche über andere Schlüsselwörter erforderlich, die gemeinhin Assoziationen mit einem mehr oder minder intellektuellen »Milieu« wecken, wie dies ζ. B. die Bezeichnungen Dichter, Literat, Schriftsteller, Publizist oder auch Journalist vermögen. Warum in der Forschungsliteratur zum >Dritten Reich< die Bezeichnung »Intellektueller« so ausgesprochen selten verwendet wird, läßt sich nur vermuten. Einen Hinweis bietet möglicherweise DIETZ BERING, der in seiner 1978 erschienenen Darstellung über die Geschichte eines Schimpfworts (2) vom »nationalsozialistischen Vernichtungswillen gegen >die Intellektuellem« (98) spricht und dabei Hitler zitiert: »Wenn ich so die intellektuellen Schichten bei uns ansehe, leider, man braucht sie ja; sonst könnte man sie eines Tages ja, ich weiß nicht, ausrotten oder so was.« (98) Im Zentrum der »rechten Ideologie« stehe ausgesprochener »Antiintellektualismus« (102) - und das bedeute, so Bering, der Unterschied zwischen dem Nationalsozialismus und der Konservativen Revolution sei in dieser Frage »nicht grundsätzlicher, sondern gradueller Art« (98). Die Nazis bezeichneten die Intellektuellen als »Literaten-Gesindel« (103), als »kalt, blutleer« (109), »verbildet« (116), »jüdisch« (117), »zersetzend« (124), »krank - wurzellos« (126) und »großstädtisch« (129), als »Neinsager« (133), »Intellektbestien« (136) und schließlich als »undeutsch« (144). Solche und andere pejorative Eigenschaften des Intellektuellen haben einerseits bis heute das Bild vom »geistfeindlichen« >Dritten Reich< bis in die Forschungsliteratur hinein geprägt - ein Bild, das im Hinblick auf Natur- und Geisteswissenschaften sicher zu korrigieren ist, da hier auch nach 1933 vielerorts der Betrieb nicht nur weiterging, sondern die Forschung zu Ergebnissen kam, die der NS-Ideologie fernstanden. Andererseits hat das »nationalistisch-faschistische Schimpfwort

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intellektueller«« (94) bis heute einen negativen Beigeschmack. So verzeichnet der Duden in seiner 20. Auflage von 1991 unter dem Stichwort »Intellektueller«: »[einseitiger] Verstandesmensch« (vgl. in diesem Zusammenhang auch das Stichwort »Intellektueller« in: Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin, New York 1 9 9 8 . S. 3 1 7 - 3 2 2 ) . Der Intellektuelle, der im >Dritten Reich< veröffentlichen wollte, mußte sich zwangsläufig mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik arrangieren - auch und besonders, wenn er dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstand. Insofern war die Situation des Intellektuellen im >Dritten Reich< nicht prinzipiell von der eines jeden Bürgers verschieden. RALF SCHNELL hat diesen Befund 1998 in seinem Buch Dichtung in finsteren Zeiten (31) so formuliert: Die deutschen Schriftsteller haben ebenso wie die deutsche Bevölkerung insgesamt an der »staatsfreien« Sphäre des Dritten Reichs partizipiert, nicht mehr, auch nicht weniger opportunistisch, als andere sich verhielten. Sie haben den Zwangsorganisationen sich anschließen und anfechtbare Kompromisse eingehen müssen. Sie standen als Soldaten in der deutschen Armee. Sie haben geschwiegen, statt Widerstand zu leisten. Sie haben publiziert, obwohl sie Kontroll-, Überwachungs- und Zensurinstanzen durchlaufen mußten. Sie haben Hakenkreuzfahnen aus dem Fenster gehängt, wenn es geboten erschien. Sie haben gelitten im Dritten Reich, aber sie haben auch gelebt - in Widersprüchen. (73f.)

1. Die Intellektuellen und die Machtergreifung« Der nationalsozialistischen Machtergreifung« ist in diesem Bericht ein eigener Abschnitt reserviert, da zu Beginn des Jahres 1933, so der nahezu Ubereinstimmende Tenor der Forschungsliteratur, »die größte Auswanderung von Intellektuellen in der Weltgeschichte« (3, 166) oder sogar der »Auszug der geistigen Elite« (26, 50) schlechthin stattgefunden habe. Während die Forschung offenbar über die Tatsache eines größeren »Exodus« (7, 28) einer Meinung ist, gibt es doch auffallende Differenzen, was die Anzahl der Emigrierten betrifft: Auf der einen Seite ζ. B. bezeichnet PIERRE BERTAUX (3) die 2 5 0 Schriftsteller, die seinen Schätzungen zufolge ins Exil gingen, als »die halbe deutsche Literatur« ( 1 6 6 ) . Diese Zahl führt auch HERMANN GLASER (12) an, wobei er zu ihrer Zusammensetzung die qualitative Bemerkung macht: »darunter die berühmtesten Repräsentanten der zeitgenössischen deutschen Literatur« ( 1 6 9 ) . Andererseits wollen NORBERT FREI und JOHANNES SCHMITZ (10) zumindest für die Journalisten auszumachen wissen, daß keineswegs die meisten unter ihnen Deutschland verließen: »[...] sie dachten nicht daran, zu emigrieren.« (19) WOLFGANG BREKLE (4) meint: »Die Mehrzahl der Künstler blieb - trotz der großen Zahl der Emigrierenden - in Deutschland.« (7) HANS-JÜRGEN EITNER (7) schließlich liefert nicht nur für Schauspieler und bildende Künstler den gleichen Befund: »Auch die Schriftsteller bleiben mehrheitlich.« (113) Die Gründe, warum zahlreiche Intellektuelle 1933 das Exil wählten, bedürfen an dieser Stelle wohl keines Referats - die Forschung ist sich im übrigen einig. Die wesentlich interessantere Frage, weshalb trotz des ausgesprochenen Antiintellektualismus und der terroristischen Maßnahmen der Nazis Intellektu-

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eile in Deutschland blieben, ist in diesem Zusammenhang von erkenntnisleitendem Interesse und wird höchst unterschiedlich beantwortet. U W E - K . KETELSENS schreibt in einem 1 9 8 3 erschienenen Beitrag unter dem Titel Literatur und Faschismus (19), diejenigen, die geblieben waren, »fühlten sich nicht unterdrückt und vergewaltigt«: »Ihre eigenen Aktivitäten auf kulturellem Gebiet gingen mit den Tendenzen der Kulturpolitik des nationalsozialistischen Staates und unterschiedlicher Parteiinstanzen über weite Strecken konform.« (42) Ketelsen verortet jene Intellektuellen nicht nur im faschistischen oder nationalsozialistischen, sondern vor allem auch im kulturkonservativen Milieu, für das ζ. B. die »anti-moderne Wendung« der Bücherverbrennung den »eigentlichen identifikationsstiflenden Akt« darstellte, »in der Liberale, Marxisten, >ModerneAsphaltliteraten< als ungleiche Brüder zusammengefaßt wurden« (45). Er unterscheidet dabei klar zwischen den »Völkischen« (denn nur bei ihnen könne diese Ablehnung der Moderne als »total« gelten) und den Nationalsozialisten, »die den Sieg der (westlichen) Industrialisierung durch einen Krieg rückgängig machen wollten, der wiederum die Industrialisierung Deutschlands voraussetzte« (45). Daß sich die kulturkonservativen Intellektuellen in ihren Werken auf spätromantische Dichtungstraditionen beriefen, daß es in der Literatur der dreißiger Jahre gewissermaßen zu einer »klassizistischen Wende« kam, gilt Ketelsen »als eine Abwehrreaktion gegen die für zerstörerisch gehaltenen sozialen und kulturellen Umbrüche« (50). Wie für die politischen, ökonomischen und militärischen Eliten ausführlich untersucht, so gilt auch für die Intellektuellen der Befund, daß das >Dritte Reich< ohne deren Kooperation kaum denkbar ist. Als Gründe für das »Versagen«, durch das ein großer Teil der Intellektuellen Hitler den Weg zum Erfolg ebnete, scheinen ERNST LOEWY (20) ein »verfehlter Idealismus und ein verqueres Weltbild« sowie »der Opportunismus und die Angst, die Gesinnungslosigkeit und die schiere Dummheit« (14). Nur so lasse sich die »innere Bereitschaft vieler« erklären, sich auch ohne äußeren Druck »dem neuen Kurs zu unterwerfen« (13), führt er in seiner bereits 1969 erschienenen Monographie Literatur unterm Hakenkreuz aus. Loewy lokalisiert die Schriftsteller, die 1933 ihren Namen für das >Dritte Reich< gaben, als in vier literaturgeschichtlichen Richtungen »beheimatet« (17): in der »nationalsozialistischen«, der »konservativen Revolution«, der »Heimatdichtung« und der »epigonenhaften Variante der Neuromantik« (17). In erster Linie geht es Loewy um eine Untersuchung der Literatur dieser Autoren - insofern leitet er sämtliche Urteile über ihre intellektuellen Positionen aus ihren Schriften ab. Den »Nazi-Dichtern« unter ihnen gehe es schließlich »um pure Überredung«: [...] sie wollen Emotionen mobilisieren und ihre Leser den Zielen der Despoten gefügig machen. Ihre Sprache ist entweder rührselig-sentimental oder auf monumentale Effekte abgestellt; sie soll dem kleinen Manne schmeicheln und ihn gleichzeitig einschüchtern. (21)

Daß die Schriften dieser Intellektuellen nicht »alle die gleiche Sprache« sprechen, sondern »alle Spielarten [aufweisen], die zwischen dem blutrünstigen Draufgängertum und einem gelegentlichen Lippenbekenntnis möglich sind« (22), macht für Loewy nur die eine Seite der »Tragödie der deutschen Literatur«

Intellektuelle im >Dritten Reich
Dritten Reich< näher eingegangen werden. Für den Zusammenhang der >Machtergreifung< sei hier nur noch Loewys Einschätzung zitiert, wonach man als »Nazi-Literatur« »nicht nur die betont politischen Schriften bestimmter Autoren zu bezeichnen« habe: »Man geht [...] kaum fehl, wenn man auch in den scheinbar unpolitischen Schriften der Nazi-Dichter die Spuren faschistischen Geistes vermutet.« (11) HANS-JÜRGEN EITNER sieht in diesen »intellektuellen Mitläufern« wegen ihrer internationalen Prominenz eine »Legitimationsbasis« (101) des nationalsozialistischen Regimes. In seiner 1990 publizierten Darstellung über Hitlers Deutsche (7) hat er besonders Hans Carossa, Emil Strauß und Gerhart Hauptmann im Blick, die er als »Favoriten der überwiegend nationalkonservativen Bildungsbürger« (117) bezeichnet. Fern davon, ihnen das Etikett »nationalsozialistisch« zuzuteilen oder sie gar als »Vorläufer des Nationalsozialismus« zu bezeichnen, verweist er allerdings auf ihre ablehnende Haltung gegenüber der Weimarer Republik, die ihre Indienstnahme für das >Dritte Reich< zumindest erleichterte: »Dies auch deswegen, weil sie sich darin in Romantik, Heimat- und Arbeiterdichtung, Irrationalismus, teils auch Expressionismus, bestätigt fühlen.« (117f.) Und schließlich bleibt auch die »nicht-NS-Literatur einer jungen Außenseiter-Generation von beachtlichem Niveau« nicht unerwähnt: Günter Eich, Marie Luise Kaschnitz, Wolfgang Koeppen, Karl Krolow u. a. zumeist erst mit der frühen Bundesrepublik assoziierten Schriftsteller scheinen ihm »abgestoßen von der NS-Wirklichkeit [...] einen eigenen Weg [zu] suchen« (118). Eitner lenkt zudem den Blick auf das »noch unaufgehellte Kapitel« (115) der etwa dreißig Intellektuellen, die unmittelbar nach der >Machtergreifung< Deutschland verließen, noch während der NS-Zeit allerdings wieder zurückkehrten. HANS MOMMSEN (22) hingegen hat bereits 1984 in dem Aufsatz Die deutschen Eliten und der Mythos des nationalen Aufbruchs von 1933 die von Eitner lediglich angemerkte Ablehnung des politischen und gesellschaftlichen Systems der Weimarer Zeit durch die nationalkonservativen Intellektuellen viel pointierter ausgeführt. Für ihn »besteht kein Zweifel daran, daß die Selbstgleichschaltung von zahlenmäßig erheblichen Teilen der deutschen Intellektuellen sich seit langem vorbereitet hatte« (98). Er erwähnt in diesem Zusammenhang ζ. B. Oswald Spenglers und Edgar Jungs »hemmungslose Polemik« (98) gegen Weimar. Die neokonservativen Intellektuellen erhofften von der >jungen Generation^ daß sie »der Herrschaft der Parteien und Interessengruppen ein Ende setzen werde, andererseits von einem aus einer organischen Gliederung der Gesellschaft herauswachsenden >natürlichen< Führertum die Verwirklichung einer wahren Volksgemeinschaft und eine Überwindung partikularer Interessen« (98). Mommsen gibt auch zu bedenken, daß der Führergedanke dieser Intellektuellen,

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obgleich er sich von dem der Nationalsozialisten unterschied, »dem Hitlerkult maßgeblich vorgearbeitet« (98) habe. Im Zentrum der Argumentation steht der »Mythos des nationalen Aufbruchs von 1933«, den sich die Nazis zur Vereinnahmung der »großen Mehrheit der intellektuellen und funktionalen Eliten für den Gedanken einer nationalen Erhebung gegen Bolschewismus, Materialismus, Liberalismus und westliche Zivilisation« (97) gar nicht erst zunutze zu machen brauchten: In dieser tiefgreifenden »Kulturkrise« vereinte die »Erwartung eines grundlegenden Neuanfangs, einer Aufbruchsituation«, ja einer »Kulturrevolution« (99), die neokonservativen Intellektuellen mit den Nationalsozialisten, wenngleich sie auch sonst kaum mit ihnen Ubereinstimmten und die meisten früher oder später mit ihnen brachen. So trat bei vielen »eine Ernüchterung ein, nachdem offenbar war, wie sehr sich die Wirklichkeit des Nationalsozialismus von den ursprünglichen Visionen [...] entfernt hatte« (99). Eine viel stärker wertende Interpretation des Verhaltens der Intellektuellen im >Dritten Reich< liefert EIKE WOLGAST (37), dessen Aufsatz Der Verrat der Intellektuellen - die Kapitulation des deutschen Bildungsbürgertums 1933 aus dem Jahre 1994 eine der wenigen monographischen Ansätze in unserer Frage darstellt. Auch Wolgast verwendet neben dem - im übrigen von den Nazis selbst so gebrauchten - Begriff der »von Staat und Partei geforderten und vorgenommenen Gleichschaltung« wie Mommsen den der »Selbstgleichschaltung«, die sich »in freiwilligem vorauseilendem Gehorsam oder in Anpassung an einen vermeintlichen Zwang des Faktischen« (104) vollzogen habe. Diesen Handlungskomplex bezeichnet er als »Verrat der Bildungsbürger an den intellektuellen Werten Gerechtigkeit, Wahrheit, Vernunft und Freiheit« (104). In einer insgesamt neun Punkte umfassenden Argumentation stellt er überzeugend die Gründe zusammen, die zu dieser intellektuellen Unterwerfung unter den Nationalsozialismus führten oder ihn zumindest erleichterten. Hierzu rechnet er neben dem erklärten nationalsozialistischen Staatsziel der »Aufwertung des nationalen Wertekanons«, der Verbindung einer »vermeintlichen Restauration« der Ideen von 1914 mit dem »Gedanken des nationalen Sozialismus« und der »Faszination, die vom Gedanken der Volksgemeinschaft ausging« (112), auch einen selbst für Liberale gefahrlichen »traditionellen Gouvernementalismus« (114), für den man sich selbst in Gegenwart offensichtlicher Unrechtstaten »mit dem Zynismus des >Wo gehobelt wird, fallen Späne< oder aber mit der Erwartung auf ein rasches Ende der revolutionären Phase und der dann folgenden Rückkehr zur Normalität« (115) tröstete. Wolgast läßt darüber hinaus keinen Zweifel daran, daß auch »Opportunismus« gerade im Falle der »auf Außenwirkung« angewiesenen Intellektuellen ein nicht zu vernachlässigendes Motiv in diesem »Kampf ums Dabeisein« war genauso wie »ein gewisser Privatismus [...] der Kapitulation vor den neuen Gewalten gleichfalls förderlich« (115). Anhand einer Darstellung des Verhaltens der Intellektuellen an den Universitäten, innerhalb der Evangelischen Kirche und der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste exemplifiziert Wolgast diese Thesen und kann gerade für die zuletzt genannte Institution konstatieren, sie sei »ein besonders markantes Beispiel vorauseilender Selbstgleichschaltung von Intellektuellen« (125) gewesen.

Intellektuelle im >Dritten Reich

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Dem Verhalten der in der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste organisierten Schriftsteller nach 1933 gilt auch das Interesse von INGE JENS (18), deren nach wie vor grundlegende Studie Dichter zwischen rechts und links aus dem Jahre 1971 seit kurzem in einer zweiten, erweiterten Auflage vorliegt. Jens stellt im letzten Kapitel das »Ende« der traditionsreichen Institution dar, wie es sich mit dem erzwungenen Rücktritt Heinrich Manns vom Präsidium und der fehlenden Solidarität unter den Intellektuellen abzeichnete: »>Es geht um Kunst und nicht um Politikc das war die Devise, in deren Zeichen die Preußische Akademie der Künste glaubte, einer eindeutigen Stellungnahme enthoben zu sein.« (227) Anhand einer Fülle an Material zu den internen Vorgängen sowie zum aktiven und passiven Verhalten der Akademiemitglieder zeigt sie, warum eine Mehrheit die von Gottfried Benn aufgesetzte Umfrage bejahte, die den Verzicht auf die »öffentliche politische Betätigung gegen die Regierung« (240f.) genauso beinhaltete wie die Zustimmung zu der »loyalen Mitarbeit an den [...] nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage« (241). Für Jens markiert diese Abstimmung zwar die »Umbildung der Abteilung von einer republikanischen Institution zu einem Ausführungsorgan nationalsozialistischer >Kulturtotal platten LandesDritten Reich
FUhlungsnahme< erzeugten jene charakteristische Mischung aus Selbstanpassung und erzwungener Umstellung, die im Frühsommer 1933 in vielen Organisationen und großen Teilen der deutschen Gesellschaft zu beobachten war. (26)

In einem kürzeren Aufsatz mit dem Titel »Machtergreifung« 1933 und die Intellektuellen versucht KARL PRÜMM (25), am Beispiel der beiden in jenen Jahren noch jungen Autoren Walter Dirks und Wolfgang Koeppen zwei verschiedene Handlungsweisen gegenüber dem Nationalsozialismus aufzuzeigen, für die er deren diametral entgegengesetzte politische Standorte im Jahr 1933 verantwortlich macht: Eingebettet in eine »Periode, in der viele Intellektuelle noch mit der neuen Macht handeln, auf sie einwirken und sie verändern wollen«, begreift Prümm die Texte dieser Intellektuellen als einen »Resonanzboden, der alle Schwingungen und Nuancen auffängt und selber zu differenziertem Ausdruck bringt« (18). Während Dirks nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zunächst noch »offen und unverschlüsselt« in der Rhein-Mainischen Volkszeitung den »antifaschistischen Diskurs« (24) weiterschreibt und zum Ermächtigungsgesetz auf »kompromißloser Distanz« (25) bleibt, dann aber schon bald mit einer an die neuen Machthaber gerichteten Erklärung den offenen Antifaschismus inklusive moralischen Protest und »Repräsentanz des demokratischen >Zielsvolkhaf-

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ten Anfänge< mit der Avantgarde versöhnt werden. Koeppens eigene Färbungen und Akzente dringen jedoch nicht mehr durch, sein revolutionärer Konservatismus ist kaum unterscheidbar von den Verheißungen des neuen Regimes. (32)

Koeppens Haltung sei symptomatisch für die Reaktion vieler Autoren seiner Generation, die Deutschland nicht verließen. Aufgrund seines politischen Standorts schätzt er Dirks »Taktik« (27), »sich dem nationalsozialistischen Staat als loyaler Partner an[zubieten] in der Hoffnung, Refugium und Handlungsspielraum zu bewahren« (26), allerdings als wesentlich fataler ein, da sie, »auch wenn sie sich selbst als subversiv begreift, [...] nur noch den Vorgaben der Macht« (27) folge: »[...] sie nimmt die Fakten hin, erteilt Lizenzen, räumt Positionen, kann als Anpassung gelesen werden« (27). Selbstredend waren Dirks Hoffnungen auf Gegenleistungen seitens des nationalsozialistischen Staates trügerisch.

2. Intellektuelle Positionen im >Dritten Reich< Auf die Frage, welche Positionen Intellektuelle im >Dritten Reich< prinzipiell einnehmen konnten, bietet die Forschungsliteratur, wie zu sehen war, bereits im Zusammenhang mit der >Machtergreifung< einige Antworten. Das folgende Referat berücksichtigt zunächst einige Studien, deren Absicht es ist, die Vielschichtigkeit solcher Positionen aufzuzeigen, bevor anhand eigener Unterkapitel versucht wird, die Forschungslage hinsichtlich der wesentlichen Grundhaltungen zu systematisieren. Mit den Reaktionen von Schriftstellern auf die nationalsozialistische Literaturpolitik beschäftigt sich die 1979 erschienene Darstellung Schriftsteller im Dritten Reich von WOLFGANG SCHIEDER (30), der besonders die Einrichtung der sogenannten »Reichsschrifttumskammer« fokussiert. Als Schriftsteller, Verleger oder auch als Buchhändler konnte man im >Dritten Reich< nämlich nur dann publizieren, Bücher verlegen oder verkaufen, wenn man dieser Kammer angehörte: »Die Nichtaufnahme oder der Ausschluß aus der >Reichsschrifttumskammer< kam einem wirklichen Berufsverbot gleich.« (89) Mit dieser Institution konnten die Nazis demnach schon vor möglichen Veröffentlichungen diejenigen Intellektuellen vom literarischen Leben ausschließen, die sie für »unerwünscht oder schädlich« (90) hielten. Nichtsdestoweniger konnten die Nazis bei der Förderung linientreuer Literatur kaum Erfolge verbuchen. Schieder bemerkt im Zusammenhang mit dem 1935 aus Mangel an einem Kandidaten »größten Formats« nicht verliehenen Schiller-Preis, daß die nationalsozialistischen »Literaturdiktatoren« ausschließlich konservativ-bürgerliche, völkische und sonstige reaktionäre Schriftsteller »von halbwegs literarischem Rang aufbieten konnten [...], aber nicht eigentlich aktivistisch-faschistische Autoren« (91). Im Zusammenhang mit den häufig formulierten Alternativen für intellektuelle Positionen im >Dritten Reich< - dem Eintreten für den Faschismus und dem antifaschistischen Widerstand - kann Schieder deutlich machen, daß »das Verhalten der Schriftsteller insgesamt erheblich komplexer war als es das pauschale

Intellektuelle im >Dritten Reich
pro< und >kontra< erkennen läßt«. Er geht dabei auf die Schriftsteller ein, die auf Hitlers Machtergreifung zunächst »keineswegs mit entschiedener Ablehnung« reagierten, später aber »verfemt« waren, und die »daraus resultierende politische Zweideutigkeit ihres Verhaltens [...] sehr unterschiedliche, meist individuell bedingte Gründe« (92) hatte. Daß Schieder hierfür die »inkonsequente Praxis der nationalsozialistischen Literaturpolitik« verantwortlich macht, die in den ersten Jahren des Regimes »noch nicht in vollem Umfang ihren extrem menschen- und geistfeindlichen Charakter offenbarte«, mutet allerdings eigenartig an, zumal er einige Seiten zuvor in den Bücherverbrennungen den nationalsozialistischen Kampf gegen den Geist sieht. Drei völlig verschiedene intellektuelle Positionen erläutert er schließlich am Beispiel Gottfried Benns, Ernst Jüngers und Thomas Manns, die »nicht zu den Antifaschisten der ersten Stunde« (92) zu rechnen seien, sich allerdings »früher oder später« (92) die Feindschaft des nationalsozialistischen Regimes zuzogen: »Jeder von ihnen reagierte 1933 anders auf die zwar identische, aber doch parallele Konfliktlage mit dem Regime.« (95) Die Reaktionen von 13 Intellektuellen und Künstlern ganz unterschiedlicher politischer Provenienz (u. a. Gottfried Benn, Richard Strauss, Hans Grimm und Arnolt Bronnen) sind Gegenstand der 1980 von KARL CORINO (6) herausgegebenen Sammlung Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus, deren einzelne Beiträge in diesem Rahmen nicht referiert werden können. In seinem Nachwort (242-253) geht der Herausgeber auf den »eigentümlich kryptischefn] Charakter der geistigen Vorbereitung« der Machtergreifung ein, den bereits die »Intelligenz des Jahres 1933« bemerkt habe, die besonders im Hinblick auf den Putschversuch von 1923 und Hitlers Buch Mein Kampf nicht »auf Arglosigkeit und erzwungene Ahnungslosigkeit« (242) habe pochen können. Corino führt hierzu Hitlers Reden an, in denen dieser wiederholt erklärte, »das Zeitalter der Aufklärung sei zu Ende, die Göttin des 19. Jahrhunderts, die Vernunft, entthront« (244). Eine mögliche Erklärung für das teilweise geradezu fanatische Eintreten für das >Dritte Reich< durch einige Intellektuelle sieht er in der »konsequenten Ignorierung [der Literatur] durch den Führer« (246) - eine Tatsache, die er auf Hitlers Mißtrauen gegenüber der Intelligenz zurückführt. In seinem abschließenden Urteil, das die in dem Band versammelten Studien des Verhaltens der Intellektuellen zwischen 1933 und 1945 resümiert, stellt Corino fest, »daß die kollaborierende Intelligenz [...] nicht weniger versagte als die intellektuellen Kriegsgewinnler des Ersten Weltkriegs. Hier wie dort das Teilhabenwollen an der Massenekstase eines Aufbruchs, an der Befreiung vom Zweifel.« (248) Wenn in Einzelfällen auch Opportunismus (Arnolt Bronnen) oder Eitelkeit (Richard Strauss) einflußreich waren, so scheint ihm doch der paradox anmutende »Überdruß am Geist selbst, an seiner immer stärkeren Verästelung, seinen perspektivischen Ungewißheiten, an seinen tausend Möglichkeiten, am ewigen Entscheidenmüssen« (248) ausschlaggebend gewesen zu sein. Der Fall Benn ist ihm hierfür exemplarisch und keineswegs eine Ausnahme. Denn unter den Intellektuellen habe es »nicht wenige« gegeben, »die in Hitler nicht nur die Erlösung vom Versailler Vertrag, von den Wirren der parlamentarischen Demo-

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kratie, von der wirtschaftlichen Not sahen, sondern etwas Umfassenderes« (249) - manche sahen in ihm gar den Messias, »der die erlösungsbedürftige Welt rettete« (250). Was andererseits die schon von Zeitgenossen beobachtete »Lähmung und Resignation« (250) unter den oppositionellen Intellektuellen bewirkte, vermutet Corino »vielleicht« in der »Einsicht, daß Hitler mit literarischen Mitteln, mit dem gedruckten Wort nicht zu bekämpfen war«: »Der Fronde fehlte ein Redner, der Hitler in offener rhetorischer Feldschlacht gewachsen war, vielleicht wie jener Ballerstedt, der Führer des Bayernbundes, den Hitler seinen größten Gegner nannte [...]« (250) Obgleich JAN-PIETER BARBIANS (1) 1 9 9 5 erschienene Analyse Ave Literaturpolitik im »Dritten Reich« vorwiegend die Aktivitäten der Bürokratie im Blickfeld hat, also gewissermaßen die »Perspektive der >Täter«< (38) wiedergibt, gibt die Fülle der hier ausgewerteten Verwaltungsakten auch Aufschluß über die Reaktionen von Schriftstellern, Verlegern, Buchhändlern und Bibliothekaren auf die Gleichschaltungsbestrebungen der Nazis. Im Abschnitt über die »Literaturpolitik gegenüber den Schriftstellern« (365FF.) zeigt Barbian auf, daß diese »keineswegs einheitlich und ideologisch gefestigt« (398) war, was er an Hans Grimm und Ernst Wiechert exemplifizieren kann: Auch gab es Nischen, in die sich Schriftsteller beruflich zurückziehen und in denen sie sich inhaltlich noch verwirklichen konnten. Doch sobald offene Kritik am nationalsozialistischen Staat oder der NSDAP geübt wurde, scheute der Propagandaminister auch vor physischer Gewaltandrohung nicht zurück. (398)

Barbian geht es auch um die Darstellung des propagandistischen Einsatzes von Schriftstellern durch den NS-Staat, der zur Behebung des demolierten Ansehens der Dichtung aus Deutschland völkische Autoren wie Hanns Johst und Hans Friedrich Blunck auf Auslandslesereisen schickte (43 Iff.). Hinsichtlich der Versuche, die literarische Produktion zu steuern, verweist Barbian auf die Preisausschreiben des Völkischen Beobachters (452) und auf die vom Propagandaministerium organisierten »Dichterfahrten« nach Polen und Frankreich nach der Eroberung dieser Länder zum Zwecke der Verfertigung von Kriegsdichtung. Anders als bei den Bemühungen, die literarische Verarbeitung von Themen wie »Rasse und Volkstum« zu fördern - diese Themen wurden fast ausnahmslos von Parteidichtern aufgegriffen, die »nur Beiträge von literarisch erbärmlicher Qualität beisteuerten« (458) - ging diese Rechnung auf. Das zeigt die »Fülle von Büchern, die das Kriegsgeschehen in berichtender oder >literarischer< Art darstellten und, wie der SD ermitteln konnte, als einzige Sparte der politischen Literatur auf positive Resonanz in der Bevölkerung stießen« (456f.). Den gleichen Befund liefert Barbian für den Krieg gegen die Sowjetunion: Auch hier beschrieben zahlreiche Intellektuelle das Kriegsgeschehen in mehr oder minder heroischen »Gedichten, Prosastücken, Berichten und Vorträgen« (457). Daß der Krieg auch für viele Schriftsteller >hinter der Front< zum beherrschenden Thema wurde, macht Barbian anhand der »Weimarer Dichtertreffen« und der »Europäischen Schriftstellervereinigung« deutlich: Nicht weniger martialisch [als beim ersten Treffen 1938] ging es beim zweiten Dichtertreffen im Jahr 1940 zu, das unter das Motto >Die Dichtung im Kampf des Reiches< gestellt

Intellektuelle im >Dritten Reich
Pluralität< innerhalb der Presse durchaus funktional im Sinne des Regimes gewesen ist.« (134) Im übrigen stellen sie fest, daß ab 1934/35 das Schreiben zwischen den Zeilen »immer versteckter, ambivalenter in seinem Charakter und auf Nebenschauplätze verschoben« (129) wurde und Beispiele eigentlich nur inf Feuilleton nachzuweisen sind: So gab es ζ. B. in Rudolf Pecheis Deutscher Rundschau und Peter Suhrkamps Neuer Rundschau am ehesten »Möglichkeiten, auf Sujets auszuweichen, für die keine Sprachregelungen oder Anweisungen vorlagen« (130). In mehreren Kapiteln präsentieren Frei und Schmitz zudem die Ergebnisse ihrer Untersuchungen der Zeitungen und Zeitschriften aus den unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Lagern. So können sie für die »großen demokratischen Zeitungen« (39) Frankfurter Zeitung, Berliner Tageblatt und Vossische Zeitung teilweise emphatische Reaktionen auf die Machtergreifung nachweisen, die zu Irritationen unter ihrer bürgerlichen Leserschaft führten. Auch die weitere Entwicklung innerhalb der Redaktionen ist bemerkenswert: Während ζ. B. 1936 im Berliner Tageblatt die alten Redaktionsmitglieder auf die Einsetzung des SS-Sturmführers Erich Schwarzer als neuen Chefredakteur

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»teils mit Kündigung, teils mit einer Art Dienst nach Vorschrift« (47) reagierten, folgten die Redakteure der Frankfurter Zeitung ihrer »grundsätzlichen Linie, nationalsozialistisches Vokabular aus dem Blatt herauszuhalten« (49). Diese »Verweigerung in der Sprache« (50) wurde allerdings bereits von Zeitgenossen im In- und Ausland verschiedenartig bewertet - einerseits als »Stimme des >anderen Deutschland«^ anderseits auch als »eine besonders tückische, weil weniger penetrante und damit schwerer erkennbare Form gelenkter Publizistik« (50). In jedem Falle konstatieren Frei und Schmitz trotz der geübten Praxis, Agenturberichte sprachlich zu reinigen und ζ. B. am Konjunktiv festzuhalten oder »umgekehrt besonders widerwärtige sogenannte Aufklärungsmeldungen des DNB demonstrativ in der Form eines Zitats zu veröffentlichen« (51) gerade für die Journalisten der Frankfurter Zeitung einen unaufhaltsamen Prozeß des Orientierungsverlusts nach 1933. Während für die bürgerlich-konservative Presse (ζ. B. Deutsche Allgemeine Zeitung) 1933 das Grundproblem in einem Satz zu formulieren ist: »Man wollte weitermachen, ohne mitzumachen« (62), was, die »Alternative des Kriegseinsatzes vor Augen« (63), dazu führte, daß kaum einer der Journalisten den Dienst quittierte, bezogen katholische Zeitungen und Zeitschriften wie Stimmen der Zeit und Hochland mit »historischen Analogien, >passenden< Zitaten, apokalyptischen Warnungen und anderen Formen der Andeutung [...] gegenüber dem Nationalsozialismus eine für Eingeweihte erkennbar ablehnende Position« (68). Daß die Nazis dennoch nicht mit Verbot reagierten, schreiben Frei und Schmitz der »Ventilfunktion« dieser Zeitungen zu, weshalb »geistiger Widerstand« (68) auch nicht überbewertet werden dürfe. Neben weiteren Analysen evangelischer Zeitschriften und der illustrierten Massenpresse, für die sie die Verbreitung antisemitischer Artikel nachweisen, des Rundfunks und der Wochenschauen, die sich besonders im Krieg nicht durch realistische Berichterstattung, sondern durch bewußte Fehlinformationen auszeichneten, widmen die Autoren auch der nationalsozialistischen Parteipresse sowie der Wochenzeitung Das Reich eigene Kapitel. Diese im Stil des Observer gehaltene, bewußt nach dem Sieg über Frankreich 1940 gegründete Zeitung stellte, obgleich ihre Leitartikel aus der Feder Joseph Goebbels' stammten, kein bloßes Propagandablatt dar, stand aber dennoch im Dienste nationalsozialistischer Agitation - freilich einer subtileren als derjenigen des Stürmers oder des Völkischen Beobachters: »Die besten Federn des deutschen Journalismus lieferten die politischen Aufsätze, Kriegsberichte, Kulturbetrachtungen, Feuilletons und Wirtschaftsartikel.« (110) Wenn sich auch Dissidenz oder gar Kritik am Nationalsozialismus im Reich nicht fand, so kann für diese Zeitung festgehalten werden, daß sie neben der Frankfurter Zeitung und der Deutschen Allgemeinen Zeitung die »bestinformierte Zeitung der Kriegsjahre« (112) darstellte. Trotz gelegentlicher Pressegerichtsverfahren sind für die Redakteure des Reichs keine Ausschlüsse aus der Reichspressekammer nachweisbar, was für die Betroffenen das Ende der journalistischen Arbeit bedeutet hätte. Frei und Schmitz machen in diesem Zusammenhang deutlich, daß der latente Druck auf die Journalisten »nicht nur die Atmosphäre innerhalb der Redaktion, sondern auch den journalistischen Stil« (114) prägte, was die Auswertung der Artikel

Intellektuelle im >Dritten Reich

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hinsichtlich ihres politischen Standpunkts heute erschwert: »Viele Artikel ließen sich damals und lassen sich noch heute unterschiedlich lesen.« (114) Mit dieser Feststellung ist auch das Problem der Begriffsbestimmung von intellektuellem »Widerstand« berührt: In der Forschungsliteratur finden sich neben den Bezeichnungen der »Inneren Emigration« und der »Kritik«, die nur scheinbar voneinander klar zu trennen sind, auch die des »Inneren Widerstands«, der »Opposition« sowie der »Resistenz«. In den folgenden vier Kapiteln sollen neben dem Begriff der »Affirmation« einige dieser Bezeichnungen als Leitvokabeln für die prinzipiell möglichen Verhaltensweisen von Intellektuellen im >Dritten Reich< dienen. Auf die Verwendung des eher unscharfen Begriffs der »Anpassung« wurde bewußt verzichtet, da dieser sowohl auf eine apologetische als auch auf eine ablehnende Haltung bezogen werden kann.

2.1.

Affirmation

In seinem 1976 erschienenen Beitrag über den Literarischen Nationalsozialismus (36) beschäftigt sich KLAUS VONDUNG mit jenen Schriftstellern, die schon vor 1933 »an die Erlösung Deutschlands durch eine >innere Wiedergeburt« (60) glaubten. Er verweist dabei ζ. B. auf Paul Ernst, Josef Magnus Wehner, Herbert Böhme, Franz Schauwecker u. a^ die meinten, nur die Dichter könnten eine solche herbeiführen. Nach der >Machtergreifung< sahen diese und andere Schriftsteller, »die sich als Inauguratoren der neuen Volksgemeinschaft verstanden« (60), die Chance, die so lange ersehnte >Herrschaft des Geistes< auszuüben »oder zumindest an der politischen Herrschaft teilzuhaben«. Vondung macht deutlich, wie unterschiedlich dieser Anspruch von den Intellektuellen umgesetzt wurde und daß dabei eine deutliche Trennlinie zwischen den Generationen gezogen werden kann: Während die älteren unter den Schriftstellern nämlich zumeist schon mit »Ehrenpositionen« wie ζ. B. der Mitgliedschaft in der ehemals Preußischen, jetzt Deutschen Akademie der Dichtung zufrieden waren, Preise und Auszeichnungen entgegennahmen »mit dem Genuß, sich als Poetae laureati des neuen Staates fühlen zu können«, waren die jüngeren unter ihnen gewissermaßen bei den Nazis in die Schule gegangen, sie drängten in die politischen Institutionen, wo sie »Ideologie in Politik und Geist in Macht« (61) umzusetzen begannen. Vondung kann nachweisen, daß von den fünfundvierzig Schriftstellern seiner Stichprobe, die 1933 noch lebten, fünfzehn Mitglieder der Dichterakademie wurden und neunzehn staatliche oder parteiamtliche Funktionäre - »vom Präsidialrat der Reichsschrifttumskammer über Reichspropagandaleitung, Reichsjugendführung und Oberster SA-Führung bis zum Rasse- und Siedlungshauptamt der SS« (60f.). Somit muß die Literaturpolitik des Dritten Reichs stets in einer zweifachen Perspektive betrachtet werden: Wird nämlich nur die Tatsache betont, daß die Nazis über politische Institutionen Literatur als Propagandamittel einsetzten, so verliert man leicht den Blick dafür, daß eine Literatur, »die mit ihren Ideologemen geholfen hatte, den Nationalsozialismus ins Leben zu rufen, mit dessen Machtantritt daranging, sich selbst politisch zu verwirklichen.« (61)

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Auch JOST HERMAND (16) zeigt in seiner 1988 erschienenen Studie über die »völkischen Utopien«, die zum Erstarken des Nationalsozialismus beigetragen und ihm zum Sieg verholfen haben, daß nahezu alle der völkisch gesinnten Autoren, »ob nun aus dem idealistischen, religiösen, deutschnationalen oder faschistischen Lager« (199) in ihren nach 1933 publizierten Schriften die >Machtergreifung< als »Revolution« feierten, als »eine welthistorische Stunde Null oder ein österliches Auferstehen« (200). Er macht dabei allerdings auch darauf aufmerksam, daß diese Autoren keineswegs in allen Fragen über die Konsequenzen dieser »Revolution« übereinstimmten: Vereint waren sie lediglich in ihrer gemeinsamen Ablehnung des Versailler Friedensvertrages und der durch diesen hervorgerufenen sogenannten >Erfüllungspolitik< der Weimarer Zeit. Bei der Untersuchung der herangezogenen Texte auf deren »utopische« Äußerungen stellt Hermand fest, daß solche im Grunde »nur bei jenen mittelständischen oder kleinbürgerlichen Autoren« zu finden sind, »die wirklich an Hitler und seine NSDAP >glaubtenEntfremdung< in der modernen, von kapitalistischen Produktionsprozessen dominierten Industriegesellschaft, galt eine Reihe »durchaus ehrenwerter, altruistischer, auf Brüderlichkeit drängender Tendenzen«. In erster Linie hebt Hermand allerdings die »Fülle kleinbürgerlich-verklemmter Ansichten« hervor, »die sich zwar selbst als >idealistisch< verstehen, aber in Wirklichkeit ständig auf eine hybride Selbstüberschätzung des deutschen Wesens und damit auf einen faschisierten Erwähltheitskult hinausliefen« (206). Diese Darstellung mündet in eine dezidierte Beurteilung der intellektuellen Qualität solcher Positionen: »Und doch waren solche Tendenzen noch das Beste, was die mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden oder sich mit ihm identifizierenden Intellektuellen vorzubringen hatten« (206).

2.2. Kritik und Opposition Die erst kürzlich erschienene Monographie über Konservative Revolution und Neue Rechte von ARMIN PFAHL-TRAUGHBER (23), mit der der Autor die Absicht verfolgt, »Auskunft über das Wirken rechtsextremistischer Intellektueller im Sinne einer Kulturrevolution von rechts< zu geben« (11), analysiert u.a. die durchaus kritischen Reaktionen der jungkonservativen Schriftsteller nach 1933. Zwar verweist auch Pfahl-Traughber wie Hermand (s. o.) auf die Tatsache, daß die Begrüßung der >Machtergreifung< durch dieses politische Lager »primär negativ motiviert« war, »ging doch mit diesem Tag die Zeit der abgelehnten Weimarer Republik offensichtlich zu Ende« (97). Da aber auch die Jungkonservativen, was die Einschätzung der politischen Handlungsfähigkeit wie auch der

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-absichten der neuen Regierung und besonders der Person Hitlers anbelangt, eine als heterogen zu bezeichnende Gruppe darstellten, verliefen die Wege ihrer Protagonisten nach 1933 auch nicht einheitlich: Die Jungkonservativen »schwankten zwischen Anpassung und Widerstand« (98). Pfahl-Traughber macht dies an den Verhaltensweisen Oswald Spenglers, Edgar Julius Jungs und Carl Schmitts deutlich. Während Spengler, der sich in seiner Schrift Jahre der Entscheidung von 1933 noch einen Affront gegen Hitler leistete (indem er im Zusammenhang mit dem Wunsch nach einem neuen Cäsarismus Mussolini erwähnte, den nationalsozialistischen Führer jedoch nicht), Goebbels Angebote ablehnte und sich nach der Röhm-Revolte endgültig ins Private zurückzog, übte Jung noch starke Kritik am Vorgehen der Nazis und hielt bis zu seiner Ermordung an seinem autoritären Staatsideal fest, das er in der Person Papens verkörpert sah. Diesen beiden Formen einer gewissen Opposition stellt Pfahl-Traughber die Position Carl Schmitts gegenüber, der nach der >Machtergreifung< der NSDAP beitrat, am Reichsstatthaltergesetz zur Gleichschaltung der Länder mitwirkte und zwischen 1933 und 1936 zahlreiche Publikationen zu verantworten hatte, in denen er u. a. die Morde vom Juni 1934 legitimierte (Der Führer schützt das Recht, 1934) und antisemitische Hetze verbreitete (Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, 1936). Nichtsdestoweniger wird Schmitt 1936 unter Hinweis darauf, daß sich seine »Auffassungen, vor allem aus Weimarer Zeit, nicht immer in völliger Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Ideologie bewegten« (102) der wichtigsten Ämter enthoben. Obgleich sich Schmitt im folgenden »thematisch stärker zu kriegs- und völkerrechtlichen Themen« (102) äußerte, rechtfertigte er auch weiterhin in seinen Schriften den Nationalsozialismus. In seiner »Bilanz: Die intellektuelle Wegbereitung der Diktatur« konstatiert Pfahl-Traughber schließlich, daß die Gleichsetzung der Jungkonservativen mit dem Nationalsozialismus, »ebensowenig überzeugen« könne »wie eine Auffassung, die hier einen generellen Unterschied sieht« (102). Der Autor übernimmt in diesem Zusammenhang die bereits von Armin Möhler 1950 gebrauchte Metapher der >Trotzkisten des Nationalsozialismus^ die es erlaube, das Verhältnis zwischen beiden Richtungen als das einer »lagerinternen Differenz« (103) zu beschreiben: »Hinsichtlich der politischen Grundpositionen bestand weitgehende Einheit, Differenzen ergaben sich eher in ideologischen oder strategischen Detailfragen.« (103) Mit einer solchen Begriffsbestimmung werden dann auch diejenigen Jungkonservativen, die sich in den vierziger Jahren am Widerstand gegen Hitler beteiligten, zwar als Gegner des Nationalsozialismus erfaßt, nicht aber als Anhänger eines demokratischen Verfassungsstaates, »bildete doch gerade die Gegnerschaft zu dessen Wertvorstellungen aus demokratietheoretischer Sicht eine zentrale Gemeinsamkeit von Jungkonservativen und Nationalsozialismus« (103). Die Publizistische Opposition in den Anfängen des nationalsozialistischen Regimes ist Thema eines Aufsatzes von BERND SÖSEMANN in dem 1994 von Jürgen Schmädeke und Peter Steinbach herausgegebenen Sammelband zum »Widerstand gegen den Nationalsozialismus« (33). Sösemann konstatiert für die

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ersten Monate des Jahres 1933 zunächst eine »partielle Offenheit der politischen und damit auch der publizistischen Situation« (191) und wählt zur Beschreibung widerständiger Reaktionen von Intellektuellen den Begriff der »Opposition«, da er moralisch und politisch weniger belastet sei als der des »Widerstands«: »Er vermag nämlich unterschiedlich motivierte, organisierte und spontane Widerstandshandlungen zu kennzeichnen.« (191) Nach einem kurzen Abriß der Grundzüge nationalsozialistischer Pressepolitik schließt sich Sösemann zur Beschreibung des Verhaltens der meisten Intellektuellen im >Dritten Reich< dem in der Forschungsliteratur häufig verwendeten Begriff der »geistigen Kapitulation« (197) an, für die er sowohl die »weitverbreitete Unterschätzung der Nationalsozialisten« wie auch die »wachsende Bereitschaft, in einer Krisensituation autoritäre Lösungen für eine, wie man glaubte, >Übergangsperiode< zu akzeptieren« (197), als Grund auszumachen meint - ein Phänomen, das nicht nur unter den Intellektuellen, sondern für die gesamte Gesellschaft 1933 zu konstatieren ist. Publizistische Opposition beschränkte sich nach Sösemann auf die »Form der Camouflage« (198), die sich in drei Ausprägungen zeigte: auf sprachlichstilistischer Ebene in derjenigen des »indirekten, ironisch-satirischen, verschlüsselten Schreibens« und der »bewußten sprachlichen Distanzierung von dem nationalsozialistischen Jargon« - d. h. in der Technik der >Sklavensprachezwischen den Zeilen< überhaupt zu erkennen vermochten« (202). Durch diese Einschränkung entziehen sich prak-

Intellektuelle im >Dritten Reich
ResistenzDritten ReichDritten Reich< aufzuhellen und die unterschiedlichen Formen von Anpassung, Opposition und Widerstand zu würdigen, sondern ihm den Anstrich einer »Bewegung der >Reaktionäre< im besten Sinne des Wortes« (83) zu geben. Beitrag (8) zu dem 1976 erschienenen Sammelband über Die deutsche Literatur im Dritten Reich geht auf die in der Forschung umstrittene Frage ein, ob es eine »Literatur des antifaschistischen Widerstandes« überhaupt gegeben habe und verweist auf die bereits im September 1933 von Ernst Fischer in den Prager Neuen Deutschen Blättern aufgestellten »drei Möglichkeiten« der Einsetzung von Literatur als Kampfmittel (429), die ihm die Möglichkeit geben, diese Literatur nicht nur als nichtfaschistisch, sondern als antifaschistisch zu qualifizieren. Somit ergibt sich auch eine klare Trennung dieser Literatur von der nichtfaschistischen Literatur der Camouflage-Technik, wenn diese auch durch ihr parabolisches Verfahren miteinander verbunden scheinen. WOLFGANG EMMERICHS

Das Problem, vor dem sich die literarhistorische Forschung in diesem Zusammenhang sieht, ist die Tatsache, daß auf der einen Seite die in Deutschland verfaßte antifaschistische Literatur bei weitem nicht die quantitativen Ausmaße der Exilliteratur erreicht und diese auf der anderen Seite »als Literatur, die vor-

Intellektuelle im >Dritten Reich
MachtergreifungRote Kapelle< genannt wurde, sowie den Widerstand aus christlicher oder humanistischer Motivation. Brekle kommt dabei zu der Erkenntnis, daß nicht nur »Intensität, Kontinuität und der Zeitpunkt ihres antifaschistischen Wirkens« (16) verschieden waren, sondern auch die Formen ihres Widerstandes. Der Widerstandsbewegung der >Roten Kapelle< weist der Verfasser »echten Volksfrontcharakter« (82) zu, da sich in ihr Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilose, bürgerliche Intellektuelle, Soldaten und Arbeiter befanden. Da sie »zu einem Fünftel aus Künstlern, Schriftstellern und

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Journalisten« bestand, kann man sie als einzige intellektuelle Widerstandsgruppe bezeichnen. Bei der ästhetischen Analyse der von den oppositionellen Intellektuellen verfaßten Texte betont Brekle, daß im Vergleich zur Exilliteratur »der künstlerische und politische Wert der Literatur des inneren Widerstandes zweifellos gering« (24) einzuschätzen ist. [...] man sollte sich aber auch von Umfang, Bedeutung und Wirkungsbreite einer in Deutschland existierenden illegalen Literatur keine übertriebenen Vorstellungen machen. Selbst in den Jahren 1933-1935, als es zahlreiche Flugblätter und illegale Zeitungen gab, enthielt die illegale Presse wenig literarische Beiträge. (24)

In seinem Beitrag Literatur unter dem Schafott (35) zu dem 1986 von Thomas Bremer herausgegebenen Band zur Europäischen Literatur gegen den Faschismus 1922-1945 betont auch FLORIAN VASSEN, daß sich die in Deutschland verfaßte Widerstandsliteratur »in der Regel nicht an ästhetischen Standards messen« lasse, ja daß sie »nur in geringem Maße ein ästhetisches Widerstandspotential« (33) besitze und »größtenteils kommunistischen Ursprungs« (35) ist. Für die sogenannte >Rote Kapelle< kann Vaßen nachweisen, daß in ihr »ein sehr hoher Prozentsatz von Künstlern, Schriftstellern und Journalisten organisiert war, ohne in ihrem Beruf weiterhin tätig zu sein« (37) - ein Befund, der ihn zu der Einschätzung bringt, eine »subversive Gegenkultur« habe unter dem nationalsozialistischen Terror weder entstehen noch weiterleben können: »Die totale Überwachung verhinderte so gut wie jede öffentliche kulturelle Manifestation der Arbeiterbewegung [...]« (37). Durch die Tatsache, daß die kommunistischen und sozialistischen Schriftsteller »in die isolierende Illegalität gedrängt« (38) wurden und nicht, wie ζ. B. die im Exil schreibenden Intellektuellen über konventionelle Verlage und Zeitschriften verfügten, in denen sie öffentlich auftreten konnten, mußten sich »Arbeitsweise und Persönlichkeitsstruktur« (38) dieser Intellektuellen notwendigerweise ändern. Vaßen verweist in diesem Zusammenhang auf die vom BPRS 1933 diskutierten Möglichkeiten der Camouflage-Technik als Form des literarischen Widerstands. Dabei ist der Hinweis auf die Tatsache wichtig, daß es »für die in der Illegalität schreibenden Intellektuellen [...] die Möglichkeit der ironisch-sarkastischen Darstellung ζ. B. der Bücherverbrennungen« nicht gab: »[...] in der Situation totaler Unterdrückung stand ihnen die >äsopische Schreibweise< nicht zur Verfügung.« (39) So fanden sich andere Formen wie die äußerst flexible und einfallsreiche des »Partisanentheaters« ζ. B. auf Bahnsteigen und anderen öffentlichen Plätzen, das allerdings nur in den ersten Monaten der »halblegalen Atmosphäre« (40) tauglich war. Während »in der alltäglichen Kommunikation und in knappen, häufig umgangssprachlichen Lyrikformen« (41) die Satire am bedeutsamsten wurde und Gedicht und Lied »auch unter den extremen Bedingungen von Kerker und Konzentrationslager die eindeutig dominierenden Literaturformen« (42) blieben, sieht Vaßen in der Herausgabe der Zeitschrift Stich und Hieb einen qualitativen Schub für den literarischen Widerstand: Mit ihren Reportagen, Skizzen, kurzen Erzählungen, Spottversen, Glossen und Witzen wirkte dieses Blatt nach innen auf die Konsolidierung der illegalen Gruppen.

Intellektuelle im >Dritten Reich
Dritten Reich< aufklären oder über Aktivitäten der verschiedensten Exilgruppen, über Veranstaltungen und Manifeste informieren« (186). Neben diesen im engeren Sinne agitatorischen Texten finden sich auch zahlreiche literarische, die ebenfalls in den Dienst des Kampfs gegen den Nationalsozialismus gestellt wurden. Mit den Schriftstellern und Journalisten, die vor dem Volksgerichtshof verurteilt wurden, beschäftigt sich die von BIRGIT RATSCH 1992 verfaßte Monographie Hinter Gittern (26). Mit Verweis auf Marie Luise Kaschnitz' Elissa (1937) und Günther Weisenborns Furie (1937) macht die Autorin auf einen Aspekt aufmerksam, der Schriftstellern, anders etwa als Journalisten, die Möglichkeit gegeben habe, ohne Gefahr des Entdecktwerdens zwischen den Zeilen zu schreiben: Weil den Nazis Literaturinterpretationen und -analysen »oft mühsam« (36) erschienen, sei den Zensoren häufig gar nicht aufgefallen, daß ein Schriftsteller ζ. B. auf dem Wege der Verwendung anderer Zeitebelnen oder Orte versteckte Systemkritik übte. Eine Entschlüsselung dieser Texte sei allerdings »für aufmerksame Leser durchaus« (36) möglich gewesen. Rätschs These, daß die nationalsozialistischen Zensoren unaufmerksamer waren als die Durchschnittsleser, kann allerdings nicht überzeugen - in diesem Zusammenhang sei an die bereits im vorangegangenen Kapitel erörterten Ein-

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Schätzungen erinnert, die solche Befunde als vom >Dritten Reich< zwar bemerkte, bewußt aber geduldete Opposition interpretieren. Im übrigen widerlegt sich die Autorin einige Seiten später selbst mit der Feststellung, daß die ζ. B. von den Redakteuren der Frankfurter Zeitung betriebene Opposition zwischen den Zeilen »der Auslandspropaganda des Regimes Vorschub [leistete], daß innerhalb der Reichsgrenzen durchaus Meinungspluralismus herrsche« (73f.) ein im übrigen wesentlich interessanterer Aspekt, der ein bezeichnendes Licht einerseits auf die Indienstnahme selbst oppositioneller Literatur für das >Dritte Reich< wirft wie auch auf die Tatsache, daß diese Literatur überhaupt in einen solchen Dienst genommen werden konnte. Nichtsdestoweniger ist Rätschs anschließende detaillierte Untersuchung von zehn »typischen« Publizisten-Biographien für die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden höchst aufschlußreich: Die genannten Intellektuellen gehörten nämlich alle bereits in der Weimarer Republik parteipolitischen Organisationen an und verbanden ihr politisches Engagement mit einem publizistischen. Ihre »geistigen Führungsqualitäten« (225) ließen ihre publizistischen Aufgaben im Widerstand überaus »facettenreich« werden: Während eine Gruppe sich mit der »Ausarbeitung neuer Konzepte« befaßte, eine andere Kontakte mit ausländischen Nachrichtendiensten aufnahm und eine dritte »als kleines, aber unentbehrliches Rad ihrer Partei oder Organisation« (225) fungierte, leistete eine vierte allein durch ihren publizistischen Widerstand »informative, integrative und instruktive Arbeit« (225). Daß es den Intellektuellen aber während der zwölf Jahre des >Dritten Reichs< - genauso wie dem Widerstand im allgemeinen - nicht gelang, sich zusammenzuschließen, scheint der Autorin für die Wirkungslosigkeit ihres Widerstands entscheidend gewesen zu sein: »Eine berufsspezifische >Einheitsfront wäre aber um einer effektiveren und spektakulären Publizität willen notwendig gewesen.« (225) Mit Widerstand oder Anpassung? titelt ein Beitrag von CAROLA GROPPE (15) über den George-Kreis nach 1933 in der von Günther Rüther 1997 herausgegebenen Sammlung zur »Literatur in der Diktatur«, die u. a. auch Einzelstudien zu Gottfried Benn, Thomas Mann, Ernst Jünger, Günter Eich und Anna Seghers enthält. Die Autorin macht dabei auf das historiographische Problem aufmerksam, Zeitgenossen wie ζ. B. die Georgeaner mit den Ergebnissen der Forschung wie ζ. B. den nationalsozialistischen Mord an den Juden zu konfrontieren. Groppe stellt fest, daß »für viele Zeitgenossen [...] die Machtübernahme zunächst - vor dem Hintergrund der chaotischen politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik - mit der Hoffnung auf eine neue Ordnung in der Politik und auf eine Beendigung der wirtschaftlichen Depressionsphase und der Massenarbeitslosigkeit verbunden« (60) war und man im allgemeinen nicht davon ausging, »daß militante politischen Parolen auch zu Taten führen würden, schon deshalb nicht, weil man völkisches Gedankengut und faschistische Programme von vielen rechten politischen Splittergruppen und weltanschaulichen Bewegungen bereits kannte« (60). Von vielen Georgeanem wurde der Nationalsozialismus als »erster Schritt auf dem Weg in ein Georgesches Reich« (84) angesehen, Georges Werk gar als »seherische Verkündung der jetzt in die Tat umgesetzten neuen deutschen Erfüllung« (86).

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Daß diese Ansicht natürlich nicht von allen Anhängern Georges geteilt wurde, versteht sich schon allein aus der Tatsache, daß der Kreis eine Vielzahl von jüdischen Mitgliedern zählte. Die Diskriminierung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland führte schließlich auch zu einer Spaltung des GeorgeKreises, der dieser »schwersten Belastungsprobe« (92) nicht standhielt: »Selbst die größte Nähe zu jüdischen Mitbürgern hatte nicht vor einer Sympathie mit den Nationalsozialisten geschützt, sondern eine konkrete Stellungnahme zur Judenpolitik der Nationalsozialisten wurde [...] durch subtile Argumentationen umgangen.« (92) Während Groppe anhand der Positionen Kurt Hildebrandts, Ernst Bertrams oder Woldemar von Uxkull-Gyllenbands u. a. eine Begrüßung der »Machtergreifung« nachweist, durch die das »Geheime Deutschland« zum »Verkünder des neuen Staates« (85) wurde, kann sie über die Reaktionen der jüdischen Mitglieder des Kreises, wie Ernst Gundolf, Ernst Morwitz, Karl Wolfskehl, Ernst Kantorowicz und besonders Edith Landmann, belegen, daß diese »die Haltung der mit den Nationalsozialisten sympathisierenden Kreismitglieder als Verrat am Geheimen Deutschland« (90) werteten, das bisher keine Unterschiede zwischen Juden und >Ariern< gemacht hatte.

2.4. Resistenz und Innere

Emigration

In seinem Aufsatz Im Dickicht der inneren Emigration (14), der in den von Horst Denkler und Karl Prümm 1976 herausgegebenen Band Die deutsche Literatur im Dritten Reich aufgenommen wurde, spricht sich REINHOLD GRIMM gegen die »Fehleinschätzungen« (409) aus, die die »Innere Emigration« als »Begriff und Vorstellung [...] erst nach dem Zusammenbruch entstanden« (409) wissen wollen (dieser Aufsatz erschien erstmals unter dem Titel Innere Emigration als Lebensform in: R. G./Jost Hermand (Hrsg.): Exil und Innere Emigration. Third Wisconsin Workshop. Frankfurt a. M. 1972. S. 31-73). Zur Illustrierung führt er den Pariser Schriftstellerkongreß von 1939 an, auf dem ein Unbekannter (Jan Petersen) mit einer Maske vor dem Gesicht erschien und Grüße der antifaschistischen Schriftsteller überbrachte. Grimm will also keinen klaren Trennstrich zwischen Innerer Emigration und antifaschistischer Widerstandsliteratur ziehen, sondern »stets eine gleitende Skala im Auge« behalten, die selbst das völlige Verstummen noch subsumiert, sofern dieses »ein unmißverständliches, ja demonstratives« darstelle: »Wer lediglich schwieg und sich abkehrte, leistete noch keinen Widerstand; und wer nicht faschistisch schrieb, schrieb damit noch keineswegs nichtfaschistisch oder gar antifaschistisch. Nur eine Gegenhaltung, die erkennbar war, verdient den Namen >innere Emigration«< (411). So verortet Grimm diese Intellektuellen auch nicht in einem politischen oder ideologischen Lager, vielmehr scheint ihm die Innere Emigration »gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie Vertreter der allerverschiedensten Richtungen in sich vereinigte« (413). Da diesen Schriftstellern Repressalien drohten, mußten ihre literarischen Mittel und Möglichkeiten naturgemäß beschränkt sein, so daß viele Intellektuellen gerade mal noch für die Schublade schrieben, keineswegs

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aber an Veröffentlichung dachte. Daß es aber auch Schriftsteller der Inneren Emigration wagten, »der Diktatur die Stirn zu bieten« (414), und daß deren »äsopische Schreibweise« sowie allegorische und parabolische Verfahren nicht nur von Eingeweihten hätten entschlüsselt werden können, kann Grimm an Ernst Wiechert, Werner Bergengruen und auch an Gottfried Benn deutlich machen. Er verweist aber auch auf das Problem der Mehrdeutigkeit bzw. Fehldeutung solcher Art von Literatur: »[...] je versteckter der Hintersinn dieser Texte in der Sklavensprache war, um so mehr wuchs auch die Gefahr des Selbstzwecks.« (415). Schließlich merkt Grimm an, daß Texte, die nicht nur aus der historischen Distanz nahezu kritiklos und überhaupt politikfern erscheinen, von den zeitgenössischen Lesern - und auch von den nationalsozialistischen Zensoren - überinterpretiert wurden: »Man nahm Texte, die völlig harmlos gemeint waren, als Botschaften in der Sklavensprache und heimliche Kritik auf.« (416) In dem von Peter Uwe Hohendahl und Egon Schwarz 1973 herausgegebenen Tagungsband »Exil und Innere Emigration II« untersucht CHARLES W. HOFFMANN Opposition und Innere Emigration als die »zwei Aspekte des >Anderen DeutschlandsDritten Reichs< feststellt sowie andererseits die Tatsache betont, daß es nicht nur zwei Aspekte dieses Deutschlands gibt, die voneinander zu trennen sind, sondern eben »daß sie verschieden sind« (129). Mit einem solchen Standpunkt muß er auch die im Untertitel von Wiesners Aufsatz (»Die innerdeutsche Literatur im Widerstand«) formulierte Ineinssetzung von Widerstand und Innerer Emigration bestreiten, da es so häufig unmöglich sei, »den Punkt zu bezeichnen, wo Opposition gegen den Nationalsozialismus aufhöre und etwas anfinge, was zwar weniger Opposition, aber noch immer grundsätzlich als antagonistisch« (129) zu gelten habe. Hoffmann geht daher von einem »Komplex der nicht-nazistischen Literatur« aus, zwischen deren Extremen ein »breites Feld von Abstufungen« (130) anzunehmen sei. Eine

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Innere Emigration stattfand, ist eins, aus dieser bloßen Tatsache qualitative Schlußfolgerungen zu ziehen, jedoch etwas anderes. Und es ist noch etwas ganz anderes anzunehmen, daß das, was diese Männer und Frauen schrieben (falls sie tatsächlich schrieben), einen Komplex an Literatur darstellt, der einfach deshalb in sich zusammenhängt, weil er von Menschen hervorgebracht wurde, die das gleiche Schicksal der Isolation und Entfremdung teilten. (131)

Eine solche Behauptung muß natürlich in die Irre führen, insofern der Begriff Innere Emigration »als Ausdruck literarischer Beschreibung geringen Wert« habe und nur brauchbar sei »in der Anwendung auf die geistige Einstellung und die Reaktionen auf den Nationalsozialismus« (131). Warum es der Forschung mitunter große Schwierigkeiten bereitet festzustellen, was Opposition und was bloßer »Eskapismus« war, hängt offensichtlich damit zusammen, daß die meisten der in Deutschland verbliebenen Schriftsteller die Nazis nicht offen angriffen oder ihre Leser zu direktem, aktiven Widerstand aufforderten, und »die zu direktem Handeln geneigten Autoren ins Exil gingen« (135). In seinem 1981 erschienenen Buch Das gespaltene Bewußtsein. Über deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945 (29) geht HANS DIETER SCHAFER auch auf die »nichtnationalsozialistische Literatur der jungen Generation im Dritten Reich« ein (das betreffende Kapitel erschien erstmals unter dem Titel Die nichtfaschistische Literatur der >jungen Generation< im nationalsozialistischen Deutschland in: Horst Denkler/Karl Prümm (Hrsg.): Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen - Traditionen - Wirkungen. Stuttgart: 1976. S. 459-503). Der Autor glaubt den Grund dafür, daß die Nazis diese Literatur geduldet haben, in der »Bereitschaft eines Teiles dieser Generation« zu sehen, »bei aller Gegnerschaft zur Ideologie die politischen Bedingungen des HitlerStaates nicht in Frage zu stellen« (7). Durch diese Akzeptanz und durch ihren Verzicht auf politisches Engagement verloren die »Jungen« einerseits den Blick für die tatsächlichen Ursachen der Depression, andererseits waren ihnen selbst unter wachsendem Terror »begrenzte Freiheiten« (24) möglich. Schäfer wertet die bei jenen Intellektuellen zu beobachtende »wachsende Hinwendung zu antiken Stoffen und mythischen Deutungsmustern« als mit deren Wunsch verbunden, »sich von der Zeit und ihren Schrecken zu distanzieren und sich in eine andere Welt zurückzusehnen« (25). Ganz deutlich wendet sich der Autor gegen die Interpretation der von diesen Intellektuellen verfaßten nichtnationalsozialistischen Erzählprosa als »verdeckte Schreibweise«: Die Neigung zum Gleichnis, das Retuschieren des Empirisch-Faktischen sowie die von Franz Schonauer beobachtete >merkwürdige Ortslosigkeit und Desorientiertheit wurden zwar durch die Zensur verstärkt, aber nicht gelöst. (29)

In ihrer 1993 erschienenen Dissertation über Nationalsozialismus und Verantwortung der christlichen Literatur (5) wagt TEA-WHA CHU nach eigenen Angaben »erstmals die Behauptung [...], daß die literarische Produktion der christlichen Dichter nicht einfach eine Form der Kollaboration mit dem Führerstaat

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darstellt« (14). Daß diese Einschätzung insofern kühn ist, als sie impliziert, die bisherige Forschung habe die vom Christentum geprägten Dichter innerhalb der Inneren Emigration pauschal des Mitläufertums bezichtigt, mag hier nicht wesentlich sein. Weitaus zweifelhafter ist Chus Standpunkt, diese Dichter allein aufgrund ihrer Affinität zur christlichen Lehre und explizit sogar »trotz [!] ihrer unterschiedlichen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus« (16) einfach im »anderen« Deutschland zu verorten. Auf diese Weise verwischt die Autorin zwar problematische, aber durchaus sinnvolle Trennlinien zwischen Affirmation und Opposition, die in der Forschung prinzipiell noch niemand bestritten hat. Besonders fraglich erscheint auch Chus Methode, auf die postum publizierten autobiographischen Schriften den Fokus ihrer Analyse zu legen und diese gar »als bedeutende Zeugnisse der Selbstverteidigung der Dichterexistenz im Dritten Reich« (25) zu werten. Für die »ununterschätzbare Wirkung« anderer Formen und Methoden oppositionellen Inhalts wie »Vorträgen, persönlichen Begegnungen und Gesprächen, Briefwechseln und Verteilung der ProtestSchriften«, die sie kurzum als die »verbreitetsten« bezeichnet, gebe es »allerdings keine statistischen Befunde« (32). Der Autorin geht es, und darüber läßt sie den Leser keineswegs im Unklaren, um eine Rehabilitation der christlichen Dichter. Sie kommt dabei zu solch diffusen Feststellungen, die das Verhalten der Intellektuellen in der Inneren Emigration mehr verdunkeln als erhellen: »Die daheimgebliebenen Dichter emigrierten wirklich nach innen, wo sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihrem Vaterland begegnen zu können glaubten.« (45) Die Behauptung, eine sogenannte »Praxis Pietatis«, die diese Intellektuellen miteinander verband, habe sich »gegen die Umdeutung der Sprache und der Symbole« gerichtet und sich »als Geist des Widerstandes« (255) erwiesen, nimmt letztendlich dem Begriff »Widerstand« die letzte Bedeutungskraft. Wesentlich brauchbarere Erklärungen für das Verhalten der Intellektuellen im »Dritten Reich< liefert M I C H A E L PHILIPP mit seinem Aufsatz Distanz und Anpassung (24) in dem von Claus-Dieter Krohn 1994 herausgegebenen Band über Aspekte der künstlerischen inneren Emigration 1933-1945. So kann der Autor festhalten, daß die bereits von Martin Broszat für die »Resistenz im Politischen« beschriebene »Unentschlossenheit und Mehrdeutigkeit« auch »für die meisten Fälle der literarischen Inneren Emigration« (17) gilt, für die er vier verschiedene inhaltliche wie formale Optionen unterscheidet: Neben dem generellen oder partiellen Verzicht auf Publikation, also dem Schreiben »für die Schublade« (18), nennt Philipp die »Literatur ohne irgendeinen intendierten Gegenwartsbezug«, dann die »literarische Darstellung eines historischen oder überzeitlichen Idealzustandes« und schließlich die »camouflierte Systemkritik durch literarische Satire oder Schreiben »zwischen den Zeilenlegaler< Literatur im »Dritten Reich«< (18). Der Autor bescheinigt den meisten Vertretern der Inneren Emigration dabei einen »beschränkten Wahrnehmungshorizont«, ein »mangelndes politisches Interesse«, »Informationsdefizite über die tatsächlichen Vorgänge« sowie die »Bereitschaft zu Hoffhungen und Illusionen« (23), ein Befund, der in anderer Hinsicht durchaus auch auf die Intellektuellen im illegalen antifaschistischen

Intellektuelle im >Dritten Reich
Volk und VaterlandDritten Reich< eine breite Skala von Abstufungen zwischen diesen Extremen benötigt. Überblickt man die Forschungsliteratur zum Thema »Intellektuelle im >Dritten ReichMachtergreifung< als auch für die zwölf Jahre des »Dritten Reichs< auszuloten. Eine solche Darstellung müßte dabei die von der Forschung bisher sehr disparat verwendeten Begriffe »Affirmation«, »Kritik«, »Opposition«, »Widerstand«, Resistenz« und »Innere Emigration« und mögliche weitere Bezeichnungen für intellektuelle Handlungsweisen während der nationalsozialistischen Herrschaft wesentlich schärfer definieren, um die jeweiligen Handlungsspielräume der Beteiligten in der nötigen Differenziertheit zu beschreiben. Bezöge man schließlich die Wechselwirkungen mit den allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen und Entwicklungen im »Dritten Reich< in dem notwendigen Umfang mit ein, so könnte diese Darstellung Licht in die äußerst unübersichtliche Forschungslage bringen.

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Oliver Fink

Intellektuelle im Exil

Eine explizite Thematisierung und zugleich begrifflich geschärfte Auseinandersetzung mit der Figur des Intellektuellen im Exil wurde bislang zumeist in einzelnen Aufsätzen geleistet. Zwar existiert eine größere Anzahl von wissenschaftlicher Literatur, die den besagten Begriff im Titel führt. Jedoch handelt es sich dabei des öfteren lediglich um die Schaffung eines größtmöglichen Nenners, um etwa verschiedene Beiträge zu einzelnen Schriftstellern, Publizisten, Wissenschaftlern, Künstlern usw. durch den Sammelbegriff >Intellektuelle< in einen Zusammenhang zu bringen, ohne zugleich Aussagen zu den Eigenschaften oder der Funktion dieser zugewiesenen Rolle vorzunehmen. Als Beispiel sei eine der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Exilzeit überhaupt angeführt: die 1953 erschienene soziologische Studie von DONALD P. KENT (10), der auf empirischer Grundlage (Fragebogen, Statistiken usw.) die Akkulturation deutscher exilierter Intellektueller in Amerika untersucht. Erwähnt sei auch der vom Titel her einschlägige Band Deutsche Intellektuelle im Exil (4), der Materialien für eine Institutionengeschichte exilierter Intellektueller ausbreitet; es geht darin um Hubertus Prinz zu Löwensteins unternommenen Versuch, mit der »American Guild for German Cultural Freedom« eine Deutsche Akademie der Künste und Wissenschaften sowie eine Hilfsorganisation für intellektuelle Exilanten zu schaffen. Literatur dieser Art wird im folgenden bewußt vernachlässigt. Die vorliegenden Studien, die sich schwerpunktmäßig auf die Figur des Intellektuellen konzentrieren - sei es, daß sie den Begriff konzeptualisieren, sei es, daß sie auf das rollenspezifische Eigenverständnis einzelner Intellektueller rekurrieren - , sind vor allem auf die Anfangsphase des Exils gerichtet. Einen ständigen Bezugspunkt stellen dabei die Bemühungen um eine > Volksfront dar. Diese vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (Komintern) 1935 gestartete Initiative zielte auf eine Koalition zwischen Kommunisten, Sozialisten und bürgerlichen Linken - gedacht als Plattform gegen das nationalsozialistische Regime, gleichsam universal verstanden als organisierter Widerstand gegen den Faschismus. Dieses von der Forschung unterschiedlich eingeschätzte Modell (kommunistische Unterwanderungstaktik oder richtungsweisender Versuch einer Einheitskampagne?), das in hohem Maße von Intellektuellen mitgetragen und gestaltet wurde, berührt zugleich einen neuralgischen Punkt: das Verhältnis zur stalinistischen Diktatur. Ein Problemfeld, das paradigmatischen Charakter freilich nicht nur für deutsche Intellektuelle besitzt und nicht auf den engeren Zeitraum des Exils beschränkt bleibt. Als geographische Zentren kristallisieren sich im folgenden Paris und Moskau heraus. Andere

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Orte, etwa das transatlantische Exil, das mit Beginn des Zweiten Weltkriegs an Bedeutung gewinnt, spielen im Hinblick auf die Figur des Intellektuellen in der Forschung bislang eine geringere Rolle.

1. Zwischen Ideenpolitik und Engagement Der erste Band des 1983 begründeten Jahrbuchs Exilforschung (5) beschäftigt sich vorrangig mit dem Verhältnis der Intellektuellen zu Stalin, das in den verschiedenen Beiträgen insbesondere anhand einzelner politischer Biographien exemplifiziert wird (Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Arthur Koestler, Ernst Toller, Gustav von Wangenheim, Karl August Wittfogel u. a.). Die dargestellte Auseinandersetzung dieser Intellektuellen mit dem Stalinismus betont ausnahmslos die problematischen Züge des Verhältnisses, wobei das Handlungsspektrum von kritikloser Unterordnung bis hin zur Abkehr von Stalin reicht. Im folgenden seien jene Aufsätze aus dem Band ausführlicher referiert, in denen Uber den bloßen individuellen Fall hinaus intellektuelle Rollenausübung prinzipiell thematisiert wird. IRING FETSCHER, dessen Aufsatz über den Totalitarismus den Band eröffnet, führt die historische Grundkonstellation vor Augen: Aus dem ursprünglichen Marxismus, der als »Theorie der Emanzipation« (7, 14) zu charakterisieren ist, sei ein Wegbereiter der »totalen Unterdrückung« (14) geworden. Dabei war es laut Fetscher der sowjetischen Staatsdoktrin gelungen, bei Zurücknahme zentraler Grundsätze der Aufklärung (ζ. B. Recht des selbständigen, kritischen Denkens) sich dennoch als »fortschrittlich und rational« (21) darzustellen. Einen allgemeinen Erklärungsansatz, warum zahlreiche Intellektuelle dieser Entwicklung ohne Widerspruch zuschauten, sich mit ihr identifizierten oder gar sich in den Dienst des sowjetischen Regimes stellten, sieht Fetscher mit Andr6 Glucksmann (Die Köchin und der Menschenfresser, 1975) in der Vereinnahmung und Entwertung emanzipatorischer Sprache durch die stalinistische Diktatur: Die Sowjetunion habe den »Kritikern und Oppositionellen [...] die Sprache und die Begriffe geraubt. [...] Freiheit, Emanzipation, Aufstand der Unterdrückten, Abstreifung der Ketten der Herrschaft - alle diese Vokabeln hat das Regime schon für sich selbst vereinnahmt und damit entwertet« (23). HEINZ ABOSCH (1933 als Jugendlicher nach Frankreich emigriert und somit auch ein Zeitzeuge) qualifiziert die Volksfrontinitiative Stalins als ein Werkzeug der Kommunisten, »um in die sozialistischen Reihen einzubrechen und um bisher skeptisch gebliebene Linksintellektuelle zu beeinflussen« (7, 28) - die Rede ist auch von einer »demokratisch-humanistische[n] Tarnkappe« (33). So verdeutlicht Abosch, wie man auf dem ersten internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur (Paris 1935) sich »im oberflächlichen Phrasenkult gefiel« und ein »Loblied auf die Sowjetunion« (33) anstimmte, während zur gleichen Zeit regimekritische Intellektuelle in der Sowjetunion dem stalinistischen Terror zum Opfer fielen. Bei der zu beobachtenden »Mobilisierung der Intellektuellen« durch Stalin macht Abosch neben Eitelkeiten

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angesichts einer scheinbaren Aufwertung ihrer (politischen) Rolle in erster Linie »viel Naivität, viel Aufrichtigkeit, viel Unkenntnis praktischer Politik« (37) aus. In Bertolt Brecht (wie auch zeitweise in Walter Benjamin) sieht er allerdings auch Figuren, die sich der Tragweite ihrer Parteinahme für eine repressive Diktatur vollkommen bewußt waren und individuelle Freiheit oder intellektuelle Unabhängigkeit als ein in Kauf zu nehmendes Opfer legitimierten. Abosch macht keinen Hehl aus einer Wertung. Er spricht angesichts der Annäherung der meisten Intellektuellen an Stalin rückblickend von einer »Enttäuschung« (28), da es sich doch bei diesen eigentlich um »Spezialisten des Denkens [handeln würde] [...], die gewohnt sind, Thesen zu analysieren, Hintergründe zu beleuchten.« (28). (Physische) Gewalt als Mittel zu einem (theoretischen) Zweck anzuerkennen, entspringe - so das Resümee - einem Hang, sich dem »Sog der Abstraktion« (43) zu ergeben, der letztlich »intellektuellen Hochmut« (44) zur Folge habe. Das lasse sich an einer historischen Linie ablesen, die von der religiösen Inquisition bis hin zu den totalitären Utopien reiche. WILLI JASPER geht es in seinem Aufsatz über Heinrich Mann und die Volksfront weniger um die konkrete Initiative der Kommunisten in den dreißiger Jahren infolge der Beschlüsse auf dem VII. Weltkongreß der Komintern in Moskau, sondern um die dahinterstehende »Ideenpolitik unabhängiger Intellektueller« (9, 45). Der Gedanke einer Einheitskampagne sei nämlich schon eine Forderung verschiedener Intellektueller in den letzten Jahren der Weimarer Republik gewesen, die vermitteln wollten zwischen »links« und »rechts«, »sozialistisch« und »konservativ« (45). Heinrich Mann, in den zwanziger Jahren an solcherlei Bestrebungen beteiligt, gehörte im französischen Exil zu den eifrigsten Protagonisten in der Volksfrontdiskussion und repräsentierte sie als »intellektuelle Führungspersönlichkeit« (45). Deutlich gemacht wird, daß dessen Engagement für die Volksfrontbewegung sich nicht aus »tagespolitischen Erwägungen« erklären lasse, sondern die »logische Konsequenz der Entwicklung und Veränderung seiner Humanismuskonzeption« (47) sei; die Auffassung etwa von der »gesellschaftliche[n] Verantwortung und Wirksamkeit des Intellektuellen« (47) speise sich aus dem Einfluß der französischen Moralisten des 18. und 19. Jahrhunderts.

Der Aufsatz ist bemüht zu zeigen, daß Heinrich Mann das Modell Volkfront ernst genommen hat und an deren grundlegender Richtigkeit und Zweckmäßigkeit keinen Zweifel hegte. Dennoch kann auch Jasper nicht umhin zu erkennen, daß Heinrich Manns politisches Engagement nicht das eines »politische[n] Analytiker[s] und Theoretiker[s]« gewesen sei: »Ausgehend von einer idealistisch-moralistischen Grundkonzeption, war seine Einschätzung historischer und realpolitischer Situationen nicht selten abstrakt oder falsch« (46). Schwer wiegt auch, daß Mann trotz zu beobachtender kontinuierlicher Skepsis gegenüber den Kommunisten auch im Rückblick des Jahres 1945 nicht zu einer Kritik an der stalinistischen Sowjetunion gelangte. Zuvor im amerikanischen Exil hatte das sowjetische Regime für ihn gar die »an die Macht gelangte Intellektualität« verkörpert, war ihm Stalin als »>Typ des intellektuellen Militärs links < und > rechts < [...], als Versuch, das Dilemma des Widerspruchs von Theorie und Praxis durch konkrete Politik zu lösen« (57). W U L F KÖPKE beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit Lion Feuchtwangers Buch Moskau 1937. Reisebericht für meine Freunde, mit dem sich dessen Autor ebenfalls in die Reihen der Stalin-Verteidiger einordnete. Köpke liest Feuchtwangers Text als Antwort auf Andr6 Gides 1936 erschienenen Reisebericht Retour de L'U.RS.S., in welchem dieser der Sowjetunion ein schlechtes Zeugnis ausstellt und Kritik an Stalin übt. Die unterschiedlichen Rückschlüsse über die individuell erfahrene sowjetische Realität (Enttäuschung und Kritik bei Gide, Rechtfertigung bei Feuchtwanger) besitzen für Köpke nahezu typologischen Charakter: Gide steht für den Intellektuellen, der im Sozialismus der Sowjetunion eine ungeheure, j a vielleicht die einzige Chance der Menschheit zum Fortschritt sah, für den aber Stalin, sein diktatorisches Regime, diesen Fortschritt bedrohten, j a zu vernichten suchten. Feuchtwanger vertritt den Intellektuellen, der aus der Erkenntnis heraus, daß man um einer besseren Zukunft willen Opfer in der Gegenwart bringen müsse, Stalins Regime mit seinen Schwächen als notwendige Aufbauphase erklärt und daher unterstützt. Bei beiden Autoren ist mehr als nur politische Vernunft am Werke. Gide wird von der neuen Generation der Sowjetmenschen fasziniert, er urteilt oft ästhetisch, j a erotisch. Feuchtwanger beobachtet fasziniert einen weltgeschichtlichen Prozeß und genießt sozusagen dessen dramatischen Konflikt. (11, 69)

In einer ausführlichen Rezension hat sich D A V I D PIKE, der selbst eine umfangreiche Studie über German writers in Soviet exile, 1933-1945 (1982) vorgelegt hat, mit dem ersten Band des Jahrbuchs Exilforschung beschäftigt und einige der Aufsätze einer genauen Lektüre unterzogen. Er begrüßt die Themenstellung und vermutet im Verhältnis der Intellektuellen zu Stalin ein symptomatisches, über den konkreten Fall hinausreichendes Phänomen intellektuellen Handelns im 20. Jahrhundert, genauer: The problem of Stalin and the intellectuals perhaps has a transcendent validity for a variety of other situations in which intellectuals come into conflict with or are entranced by political power and the systems of ideology rationalizing the exercise o f t h a t power in the name of a higher good. (15,244)

Hinsichtlich der vorliegenden Aufsätze in diesem Band macht er jedoch auch einige problematische Züge im wissenschaftlichen Umgang mit einzelnen, z.T. prominenten Intellektuellen und ihrer Positionen aus: [it] also [offers] traces of thinking that will never solve the underlying problems precisely because the authors are held back by a combination of their identification with and urge to »protect« certain revered personalities, their inadequate grasp of the dynamics of Stalinism, and what strikes me on occasion as a lingering reluctance to recognize the full dimensions of that political and intellectual malignancy. (244)

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Demonstriert wird das u. a. an Wulf Köpkes oben referiertem Aufsatz über Feuchtwanger, in dem er dessen Geschichtsoptimismus und die daraus folgende Apologie Stalins tendenziell legitimiere: »My differences with Koepke [...] stem from his tendency to magnify the intellectual validity of Feuchtwanger's experience and lend it an overemphasized semblance of legitimacy« ( 2 4 0 ) . Pikes Ausführungen implizieren die Forderung eines schonungslosen Umgangs auch mit prominenten Intellektuellen. Einen solchen bietet die Untersuchung von HANS-MARTIN LOHMANN über den Philosophen Ernst Bloch. Ausgangspunkt ist dessen öffentliche Verteidigung der Moskauer Schauprozesse während seiner Exilzeit in der Sowjetunion, die für Lohmann keineswegs einen »Akt opportunistischer Selbstgleichschaltung oder taktischer Anpassung« (12, 72) darstellt, sondern vielmehr den »Höhepunkt seiner Identifikation mit dem revolutionären Terror Stalins« (73). Verwirklicht sieht er darin einen für die »Linksintelligenz« dieser Zeit paradigmatischen Fall intellektuellen Verrats, wie er schon in den zwanziger Jahren von Julien Benda (La trahison des clercs, 1927) beschrieben worden sei; dazu gehöre beispielsweise ein inadäquates, religiös anmutendes Engagement für eine ideologische Bewegung und eine damit einhergehende Glorifizierung (gewaltsamer) Mittel, die der Durchsetzung ihres Ziels dienen. Die Problematik erkennt Lohmann vor allem in der »optimistischen Maßlosigkeit von Blochs revolutionärer Utopie« ( 7 3 ) , gültig formuliert in dessen Prinzip Hoffnung (1954—59), das weitgehend in der Exilzeit entstanden ist. Dem entgegen stehe Adornos »Maß intellektuellen Zweifels und humaner Skepsis«: Was Adorno von Bloch trennt, ist das tiefe Mißtrauen gegen jedwedes Positive [...]. Adorno diagnostizierte am linken Optimismus nicht nur die Neigung zum sacrificium intellectus, sondern auch zum Bündnis mit der Barbarei. (73)

In dieser Polarisierung - so deutet es Lohmann an - kristallisiert sich schließlich ein Spannungsverhältnis heraus, das von allgemeinerer Bedeutung ist für die politische Identität der Linksintellektuellen im 20. Jahrhundert. Ausgehend von dem Befund, daß im Exil - insbesondere zwischen 1933 und 1940 - »die Politik nicht von den herkömmlichen Trägern des politischen Handelns, von Parteien und Berufspolitikern, bestimmt [wurde], sondern von den Schriftstellern und der Literatur« (18, 18), beschäftigt sich Frithjof TRAPP mit den sich bietenden Formen und Möglichkeiten intellektuellen Engagements. Daß die »politische Führung zwangsläufig den Linksintellektuellen zufiel« (21), hing laut Trapp u. a. mit einem Autoritätsverlust der Parteien bei gleichzeitigem Autoritätsgewinn von Intellektuellen zusammen, deren Warnungen und Prophezeiungen vor 1933 nun bestätigt worden seien. Die Handlungsfelder im Exil werden in vier Bereiche eingeteilt und jeweils durch Beispiele illustriert. Zunächst wird auf politische Aktivitäten in Form von »individuelle[m] oder kollektive[m] Protest« (22) durch Appelle, Ansprachen, Manifeste oder Artikel verwiesen - als Beispiel dient u. a. Ernst Toller, der mit seinem Auftreten auf dem 11. Internationalen PEN-Kongreß in Ragusa (Mai 1933) für eine nachweisbare »negative Publizität« (23) der nationalsozialistischen Politik sorgte. Zweitens nennt Trapp die »Bemühungen um eine politisch-publizistische Ver-

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tretung des Gesamtexils« (22) mit integrativer Funktion. Gedacht ist hier u. a. an die vielen Zeitschriftenprojekte - der Titelname von Klaus Manns Organ Die Sammlung ist in diesem Sinne sprechend. Als dritter Bereich genannt werden die »Bemühungen um eine politische Programmdiskussion« (22), wie sie sich konkret in der Volksfrontpolitik niedergeschlagen hat. Gerade im Zusammenhang mit dieser Initiative erkennt Trapp jedoch eine offensichtliche Schwäche der Intellektuellen: zum einen, »keine festgefügte Gruppe gebildet« zu haben, zum anderen, daß die »Einheitlichkeit der politischen Auffassungen im Grunde nur das Resultat einer Balance höchst unterschiedlicher, im Prinzip teilweise sogar verschiedenartiger politischer Auffassungen war« (27). Das habe auch mit dazu beigetragen, daß gegen Ende der dreißiger Jahre die Parteien wieder zu den entscheidenden politischen Handlungseinheiten im Exil wurden. Der vierte Bereich beinhaltet schließlich Anstrengungen, die »Öffentlichkeit mit Hilfe der Literatur und der literarischen Propaganda über die in Deutschland herrschenden Zustände aufzuklären« (22), was als »wichtigste Leistung der Schriftsteller und Publizisten während des Exils« (27) bezeichnet wird - im Sinne einer »Gegenpropaganda« (27) und infolge einer teilweise zu beobachtenden Entwicklung hin zu einem operativen Literaturbegriff. Der Aufsatz von CHRISTOPH EYKMAN hat Heinrich Manns »Auffassung von Wesen und Mission des Intellektuellen« (6, 60) während der Exilzeit zum Thema, wie sie sich in dessen essayistischem und literarischem Werk darstellt. Er handelt also vom rollenspezifischen Eigenverständnis dieses Schriftstellers als Intellektueller. Vergleichend (und ergänzend) hinzugezogen werden Aussagen über diese Rolle von anderen exilierten Schriftstellern und Publizisten sowie vier ausgewählte Exilromane, in denen Intellektuellen-Figuren bzw. -Gruppen agieren - und zwar in Bernhard Diebolds Roman Das Reich der Mitte (1938), in Klaus Manns Vulkan (1938), in Alfred Döblins Romantetralogie November 1918 (1943) sowie in Thomas Manns Doktor Faustus (1947). Vor dem Hintergrund von Heinrich Manns Auffassungen über den Intellektuellen in den zwanziger Jahren, stellt Eykman fest, daß die »Betonung der politischen Ohnmacht bzw. Wirkungslosigkeit und des Abgetrenntseins vom Volk im Exil der Forderung weicht, die Massen, genauer: das Proletariat zu bilden, seine Belange auszudrücken, [...] es zu führen. Die alte Feindschaft des Intellektuellen gegenüber der politischen Macht und dem Staat im allgemeinen konkretisiert sich nunmehr im antifaschistischen Kampf« (65). Wichtig werde der »immer dramatischer vorgetragene[n] Glaube[n] an die Wirkkraft des sittlichen Geistes« (65). Mit anderen Exilautoren teile Heinrich Mann insbesondere die Kritik an den Intellektuellen, die in Deutschland verblieben sind. Ergänzend führt Eykman Deutungsmuster des Intellektuellentypus an, die sich bei Heinrich Mann nicht finden - so etwa den »Aspekt des Weibisch-Masochistischen« (67), den der Publizist Franz Schoenberner anführt. Damit werde der Intellektuelle kritisiert, der »die Tat, die Stärke, die Grausamkeit aufgrund seiner eigenen Schwäche anbete« (67). Die versammelten Beispiele für die zeitgenössische Auseinandersetzung mit der Figur des Intellektuellen bieten interessante Einblicke (neben Schoenberner werden Texte von Theodor Geiger oder auch Alfred Kurella

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konsultiert), Eykman erläutert diese Überlegungen jedoch nicht näher, wie auch Heinrich Manns Begriff vom Intellektuellen in diesem Aufsatz letztlich unscharfbleibt. Die Bedeutung Heinrich Manns als einer der exponiertesten Intellektuellen in der Exilphase bis zum 2. Weltkrieg tritt auch in der überarbeiteten Habilitationsschrift von Albrecht BETZ über das französische Exil zutage. Er operiert in seiner Studie mit dem Begriff des »Exilintellektuellen«, der bei ihm überwiegend diejenigen Schriftsteller bezeichnet, die sich mit dem Konzept Michel Foucaults {Der sogenannte Linksintellektuelle, 1978) vom >universellen Intellektuellem vereinbaren lassen. Also: der vorfindbare Glaube, »im Besitz universaler Wahrheit« zu sein und daraus die Berufung abgeleitet zu sehen, »im Namen aller zu sprechen« (3, 182, Anm. 2). Als zentralen Gestus stellt Betz dabei das Engagement in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Der in Deutschland seit 1933 herrschende Nationalsozialismus und die darauf folgende Emigrationswelle habe nämlich dazu geführt, daß »das Engagement zur dominierenden Schreibhaltung eines großen Teils der Exilautoren während der dreißiger Jahre wurde« (11). Neben der Analyse der für das französische Exil charakteristischen Diskussionszusammenhänge - etwa des Falles Sieburg, der Auseinandersetzung zwischen Klaus Mann und Gottfried Benn oder auch der Volksfrontdiskussion - , in denen Engagement als Haltung gewissermaßen durchschimmert, wird auch Einblick in die theoretische Fundierung dieser für den Intellektuellendiskurs zentralen Kategorie geboten. In einem Aufsatz des emigrierten deutschen Philosophen Paul L. Landsberg {Reflexions sur 1'engagement personnel, 1937), der in der französischen Zeitschrift Esprit erschien, sieht Betz einen der Ursprünge im Zuge der Politisierung des Begriffs (intellektuelles Engagement), die in der Nachkriegszeit dann von Jean-Paul Sartre mit großer Wirksamkeit fortgeführt wurde. Landsbergs Ausführungen - christlich akzentuiert - liege ein anthropologisches Konzept zugrunde: »Engagement als Bedingung der >Humanisierunganderen Deutschland< und Ausgangspunkt

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internationaler Manifestationen, die auch eine enge Zusammenarbeit mit den französischen Intellektuellen dokumentieren. Der Aufsatz von MICHEL GRUNEWALD beschäftigt sich mit der Stellung Klaus Manns in der Volksfrontdiskussion (1933-39), der als einer der ersten die »Aktionseinheit aller Gegner Hitlers« (8, 24) öffentlich befürwortet habe - als Beleg dient Grunewald u. a. eine in diesem Sinne argumentierende Rezension vom Februar 1933. Die an diesem Beispiel ablesbare Typologie des linksbürgerlichen Intellektuellen im Exil, wie sie im Titel angekündigt wird, setzt sich quasi zusammen aus der Summe verschiedener Aussagen und Positionen, die in erster Linie anhand von Klaus Manns essayistischem Werk herausgearbeitet werden. Hierzu gehört vor allem dessen Auseinandersetzung mit den Kommunisten sowie die »Frage nach der Sendung des Schriftstellers« (28). Mit seinem Konzept einer »Humanisierung des Sozialismus« mache Mann seine »Kritik an der autoritären Auffassung des Sozialismus« (26) deutlich, die ihn trotz streckenweise zu beobachtender Übereinstimmung - so beispielsweise in der Einschätzung des Nationalsozialismus als Phänomen eines kapitalistischen Entwicklungsprozesses - auf Distanz zu den Kommunisten gehen lasse. Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang sei das »Recht des Intellektuellen auf Selbständigkeit« (31), das beispielsweise durch eine Parteidoktrin nicht gefährdet sein dürfe. Diese postulierte Unabhängigkeit ist auch die Voraussetzung für die Aufgabe des Schriftstellers bei Klaus Mann, die Grunewald als einen Beitrag »zum antifaschistischen Kampf« (29) mit den Mitteln der Gesellschaftskritik allerdings recht vage charakterisiert und dessen Literaturbegriff zwischen dem »Artistischen« und dem »Ethischen« (30) in diesem Aufsatz eher konturlos bleibt. Präziser, differenzierter und den Untersuchungsradius erweiternd hat sich LUTZ WINKLER im gleichen Jahr ebenfalls mit Klaus Mann im Kontext der Intellektuellenthematik beschäftigt. Winklers Aufsatz zeigt, wie dessen Bild vom Intellektuellen von einem ausgeprägten Krisenbewußtsein beeinflußt wird. In der Anfangsphase war dieser als »moralisch-sozialer Kritiker des Faschismus und als der Linken zugehöriger Vertreter des >anderen Deutschlands (20, 50) aufgetreten, wobei seine »Strategie des Engagements der Intellektuellen« (50) auch die in Deutschland verbliebenen miteinbezog. Seit etwa 1940 ist - so Winkler - eine Abkehr von dieser Vorstellung zu beobachten. Klaus Mann erwarte nun die Befrfeiung Deutschlands durch den militärischen Eingriff der Alliierten, wobei er sich zugleich als »Anhänger der Re-Educations-Politik« (51) zu erkennen gebe. Winkler macht vor allem auf die Komplexität von Klaus Manns politischer Haltung aufmerksam, die »wesentlich durch ästhetische Erfahrungen bestimmt« (53) und in der »Tradition subversiver Aufklärung und Ästhetik« (53) verortet sei. Dazu gehöre ein oppositionelles Künstlerverständnis, ein anti-rationalistischer Erfahrungsbegriff oder auch ein »melancholischskeptizistischer Fortschrittsvorbehalt« (53). Neben der Enttäuschung über die fortschreitende politische Entwicklung ist vor allem Klaus Manns Bild vom Faschismus (beeinflußt durch Hermann Rauschnings Die Revolution des Nihilismus, 1938) evident, der ihm als »Resultat der Wertkrise und des Wertzerfalls der Moderne [erscheine]: als Umschlag des subversiven Potentials der Ideen wie der vitalen Triebe in eine anarchische Militanz, der Tradition kritischer

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Mythenzerstörung in den neuen Mythos der Gewalt, der Ästhetik der Subversion in eine Ästhetik der Macht« (56). Und das veranlasse Klaus Mann zu einer Neuformulierung intellektuellen Engagements - weg von rein »ästhetischer Opposition« hin zu »moralischer Repräsentanz« (58). Winkler entdeckt jedoch in den vor diesem Hintergrund entstandenen »pädagogischen Texten« (58) Klaus Manns den problematischen »Zwang [...], >Fremdes< repräsentieren zu müssen« (58). Das habe zur Folge, daß die Intellektuellen bei Mann zunehmend »nicht im Bild des Opfers, sondern des Verrats« (58) erscheinen. In seinem 1949 entstandenen Essay Die Heimsuchung des europäischen Geistes diagnostiziere Klaus Mann eine umfassende Zivilisationskrise, für welche er die Intellektuellen mitverantwortlich mache. Und zurückgenommen werden solle diese Schuld in einem »Akt der Sühne: der Selbstannulierung, des kollektiven Selbstmords der Intellektuellen« (50). RAINER NICOLAYSEN zeichnet in seinem Aufsatz den Prozeß und das letztendliche Scheitern der Volksfrontpolitik nach, wobei es ihm insbesondere um das Verhältnis zwischen Linksintellektuellen und den exilierten politischen Parteien geht. Herangezogen werden dabei zahlreiche Artikel aus der Exilpresse, die u. a. über die Schlagwörter >Intellektuelle< und >BUndnispolitik< ermittelt wurden. Schwierigkeiten einer Einigung bestanden - so Nicolay sen - im ersten Exiljahr vor allem darin, daß sich die Parteien untereinander nicht zu einer Zusammenarbeit entschließen konnten und die Kommunisten zudem auf der Grundlage ihres Faschismusbegriffs auch die »bürgerlichen Intellektuellen zu ihren Gegnern« (14, 8) zählten. Eine Abkehr von dieser »rein konfrontativen Politik« (10) der KPD zeichnete sich erst im Frühsommer 1934 ab und mündete schließlich in die bereits erwähnten Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Komintern, in denen die Volksfrontlinie zur Pflicht aller Parteien der Internationale gemacht wurde. Es handelt sich dabei allerdings - so Nicolaysen - keineswegs um einen Kurs-, sondern vielmehr um einen »Strategiewechsel« (12) zur Verwirklichung einer »Hegemonialstellung innerhalb der Volksfrontbewegung« (24). Erkennbar ist nun auch das (erfolgreiche) Werben um intellektuelle Autoritäten des Exils, das am Beispiel Heinrich Manns und Lion Feuchtwangers demonstriert wird. Die Leistung der Linksintellektuellen im Exil beschreibt Nicolaysen folgendermaßen: »Sie hatten dem Ausland gegenüber das >andere Deutschland< repräsentiert, hatten unermüdlich Einigungsbestrebungen des Exils forciert, hatten sich von der politischen Abstinenz früherer Tage weit entfernt« und einen publizistischen »Kampf gegen Hitler« (24) aufgenommen. Dem gegenüber stehe aber das Dilemma, daß ab dem Zeitpunkt einer Kooperation mit den Kommunisten als Bündnispartnern die eigentliche Stärke - nämlich die Unabhängigkeit - verlorenging und damit neben einer politisch zunehmend fragwürdigen Unterordnung unter die sowjetische Politik letztlich auch die »Autorität der Linksintelligenz« (24) Schaden nahm. JÖRG J. BACHMANN geht es in seiner Dissertation um die Perzeption der Sowjetunion durch die exilierten bürgerlichen Linksintellektuellen. Bei der definitorischen Umschreibung dieser Gruppe hält der Autor sich weitgehend an Jenö Kurucz (Struktur und Funktion der Linksintelligenz während der Weimarer Republik, 1967), der wiederum den Theoremen von Karl Mannheim über

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die >sozial freischwebende Intelligenz< folgt. Der Intellektuelle biete demnach geistige Orientierung in Form einer sinnkritischen Auslegung sozialen Daseins von einer mehr oder weniger praxisfernen Position aus. Als linksintellektuell würden jene spezifiziert, die dabei eine Variante der revolutionären Utopie verfechten - ein Personenkreis, der von linksliberalen Idealisten über Kommunisten bis hin zu anarchistischen Utopisten reiche. Bachmanns >bürgerliche< Linksintellektuelle erscheinen in dieser Konzeption als Anhänger einer freiheitlichen Demokratie bei gleichzeitiger Bezugnahme auf humanistische Ideale und sozialistische Ideen. Soziologisch seien sie als Gruppe freilich nicht immer eindeutig faßbar und ihre Ideenwelt verdichte sich nie zu einer »konsistenten, universalen Vorstellung von Welt und Wirklichkeit« (2, 27). Charakteristisch nun fiir deren Exilzeit ist eine verstärkte Hinwendung zum stalinistischen Sowjetsystem gewesen, die beispielsweise apologetische Züge annehme (ausführlich demonstriert an Feuchtwanger). Bachmann kommt zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem Bild, was sich diese Intellektuellen von der Sowjetunion machen, um ein »Konstrukt«, um eine »Kopfgeburt« (437) handelt, bei dem Realität, Wunschbild und Ideal sich vermengen - keineswegs seien die bürgerlichen Linksintellektuellen durch ihre Exilerfahrung zu Kommunisten geworden. Gründe für die zu beobachtende Affinität zur Sowjetunion sieht Bachmann in einer geistigen Disposition, die sich durch die Verbindung humanistischer Ideale der Aufklärungszeit mit utopischen Gesellschaftsentwürfen auszeichne. Hinzu kämen das Scheitern der Weimarer Verfassung, die Weltwirtschaftskrise, schließlich die außenpolitisch unentschlossene Haltung der westlichen Regierungen gegenüber dem nationalsozialistischen Regime als prägende politische Erfahrungen, die zu einem anti-westlichen Ressentiment geführt und prosowjetische Einstellungen nahegelegt hätten - die Sowjetunion sei als letztes Bollwerk gegen den vordringenden Nationalsozialismus erschienen. Damit glaubt Bachmann »handfeste Gründe und plausible Motivationen« (432) ausgemacht zu haben, um diesen Entwicklungsprozeß nachzuvollziehen. Absetzen möchte er sich damit gegen den von den >Renegaten< formulierten Sowjet-Mythos, der seiner Meinung nach kein adäquater Erklärungsansatz sei. Auch gebe es keinen Grund, den Linksintellektuellen mit dem Verdikt des Verrats zu konfrontieren, da dieser - im Gegensatz zu den Intellektuellen, die sich auf den Nationalsozialismus eingelassen hätten - »ein größtmögliches Maß an Wohlfahrt und Freiheit für alle Menschen, für sich selbst einen Vorteil aber zuallerletzt erstrebte« (437). Wenn auch Bachmann in seiner überaus materialreichen Studie wichtige Denkmuster und Argumentationsstrukturen herausarbeitet, so ist doch die hier vorgenommene Apologie des deutschen bürgerlichen Linksintellektuellen im Exil in dieser Ausschließlichkeit äußerst fragwürdig. Das wird besonders am neuralgischen Punkt des stalinistischen Terrors deutlich, dessen Perzeption durch die Linksintellektuellen sich laut Bachmann zwischen Nicht-Wissen und Nicht-glauben-Wollen bewege und abschließend ein lapidares und reichlich banales Resümee erfährt: »Das beweist nichts gegen die Moral der bürgerlichen Linken. Es beweist nur, daß dem Intellektuellen im allgemeinen kein höheres Maß an Einsicht als anderen Menschen zukommt« (439).

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2. Planspiele und Zukunftsentwürfe Der Literatur wird von vielen exilierten Schriftstellern nicht nur eine politische Funktion zugeschrieben, in ihr spiegelt sich auch die reale politische Auseinandersetzung, etwa im Agieren oder in der Konstitution literarischer Figuren. Das Erscheinungsbild des Intellektuellen im literarischen Text ist daher im hier dargestellten Zusammenhang von großem Interesse, ist das fiktionale Spiel doch zugleich ein aussagekräftiger Entwurf der jeweiligen Autoren über ihren Begriff vom Intellektuellen. DIETER THIELE beschäftigt sich mit den von Bertolt Brecht im finnischen Exil geschriebenen Flüchtlingsgesprächen (1940), in denen zwei deutsche Emigranten - der Physiker Ziffel und der Metallarbeiter Kalle - sich über ihr Flüchtlingsschicksal und dessen Voraussetzungen unterhalten. Verwirklicht sieht Thiele darin eine modellhafte Konfrontation des Intellektuellen mit dem Arbeiter, welche die »Differenzen des Proletariats zu den bürgerlichen Intellektuellen thematisiert und somit einen Beitrag zur Selbstverständigung der Intellektuellen leistet, soweit diese am revolutionären Kampf des Proletariats teilnehmen wollen« (17, 46). Im ganzen laufen - in der Sichtweise dieses Aufsatzes - die Flüchtlingsgespräche auf eine marxistische Kritik am Intellektuellen hinaus, die freilich nicht grundlegend gemeint sei, sondern notwendigerweise »Schwächen« herausarbeiten soll, um ein »Erkennen gemeinsamer Interessen mit dem Proletariat« (46) zu ermöglichen; dazu gehöre etwa die Einsicht, daß es sich beim Intellekt ebenso um ein verkaufbares Produktionsmittel im kapitalistischen System handle. Adressat dieses Textes seien denn auch die Intellektuellen, die sich mit Hilfe der Flüchtlingsgespräche schulen könnten, wozu die Erkenntnis sowohl über ihre eigene wie auch über die Rolle ihrer Verbündeten gehöre und auch die Erkenntnis über die »beiderseitige Aufgabenverteilung« (55). Im Mittelpunkt des Aufsatzes von MICHAEL WINKLER steht der Spanische Bürgerkrieg, genauer: dessen literarische Verarbeitung durch den deutschen Exilanten und Spanienkämpfer Gustav Regler. Die besondere Bedeutung des Bürgerkriegs wird u. a. darin gesehen, daß der »literarische Intellektuelle« (21, 217) zum eigentlichen Vermittler dieses Konflikts gegenüber der übrigen Welt wurde. Dessen »pädagogische Sendung« und »politische Verpflichtung« (217) erschienen als »letzte Bastion im Streit gegen fanatischen Nihilismus und totalitäre Unterdrückung« (217). Seine Haltung sei »durch ehrliche Hingabe geprägt, doch nicht weniger durch Widersprüche und Ausweglosigkeit, die sich aus dem Diktat der politischen Wirklichkeit mit ihrer ideologischen Orthodoxie und ihrem pragmatischen Selbstinteresse ergaben« (217). An Reglers autobiographischem und teilweise dokumentarischem Roman The Great Crusade (1940, dt.: Das große Beispiel, 1976) interessiert Winkler die Figur des Brigadekommissars und Schriftstellers Albert, der auf Seiten der internationalen Freiwilligen kämpft. Problematische Züge gewinnt er dahingehend, daß er angesichts der Nachrichten von Stalins Schauprozessen eine »intellektuelle Kapitulation« (221) vollziehe: die »Unterdrückung kritischer Unabhängigkeit zugunsten der Gruppensolidarität« (221). Dennoch werde deutlich, daß Regler seine Hauptfigur in der »Rolle des Intellektuellen« (222) dann doch als ein »Beispiel menschlichen Anstands ohne ideologische Voreingenommenheit«

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(223) präsentiere: »Sein Anspruch auf eine exemplarische Führungsrolle beruht auf seiner Fähigkeit, seine eigenen Truppen und den (besiegten) Feind davon zu überzeugen, daß er und seine Seite für jene Werte einstehen, die moralische Tugenden sind, bevor sie zu politischen Richtlinien werden« (222). Vergleichend hinzugezogen wird Stefan Heyms ebenfalls autobiographischer Roman The Crusaders (1948, dt.: Der bittere Lorbeer, 1950), der die Offensive der Alliierten in Europa 1944/45 zum Thema hat. In diesem Text finde sich nur noch die Darstellung der »Perversion von Intellekt und Kultur« (225) sowohl in den Reihen der Alliierten wie in denen der deutschen Gegner - den Intellektuellen werde keine wichtige Rolle mehr zugestanden. LUTZ WINCKLER stellt seine Lektüre von Lion Feuchtwangers Romanen Die Geschwister Oppermann (1933) und Exil (1940) unter die Fragestellung, inwiefern dessen Literaturprogramm sich »unter den Bedingungen des Exils entwikkelt hat« (19, 124). Hinter diesem Konzept stehe die Vorstellung, daß dem Schriftsteller als Intellektuellen eine soziale Verantwortung zukomme, die auf einem »humanistischen Krisenbewußtsein« (124) basiere; Feuchtwanger verkörpere in diesem Sinne den von Foucault (Wahrheit und Macht, 1978) beschriebenen (historischen) Typus des >LinksintellektuellenAmerikanisierung< zu mythologisieren« (40).

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3. Zusammenfassung Die hier referierten Studien über die Figur des Intellektuellen im Exil exemplifizieren zentrale Züge einer Phänomenologie, wie sie im allgemeinen Intellektuellendiskurs entworfen wird. Der Intellektuelle, der fast ausschließlich auf der politischen Linken zu verorten ist, erscheint demnach u. a. als Kritiker und Ideologe, als Sprecher im Namen universeller Werte, getragen von einem Sendungsbewußtsein (hier vor allem an Heinrich und Klaus Mann demonstriert). In der Praxis bedient er sich weitgehend publizistischer Mittel (Ausnahme: Spanischer Bürgerkrieg), mit deren Hilfe er Öffentlichkeit herzustellen versucht. Die ungeachtet aller Widersprüche und Unterschiede einende Aufgabe wird im Vorgehen gegen den Nationalsozialismus/Faschismus erkannt. An der Volksfrontdiskussion läßt sich am deutlichsten eine, wenn auch kritisch einzuschätzende, Institutionalisierung intellektuellen Engagements ablesen, die zugleich für die Hinwendung eines großen Teils der Intellektuellen zur stalinistischen Diktatur in der Sowjetunion steht. Die Analyse des damit einhergehenden Rechtfertigungs- und Legitimationsdiskurses der Linksintellektuellen, der auch Anlaß ist, den Vorwurf intellektuellen >Verrats< zu erheben, kristallisiert sich dabei als spannungsreichstes Thema heraus, das noch nicht erschöpfend bearbeitet worden ist. Auch wenn es sich bei dieser Faszination durch den Kommunismus um ein internationales Phänomen linksintellektueller Rollenausübung im 20. Jahrhundert handelt, so besitzt die Situation deutscher Exilintellektueller insofern einen besonderen Charakter, als ein großer Teil von ihnen ausgerechnet in einem dem nationalsozialistischen Regime (das sie vertrieben hat) wesensverwandten Totalitarismus ideelle Zuflucht suchten. Eine Frage wäre, ob der exilierte deutsche Intellektuelle damit einem ungleich komplexeren Bewertungskonflikt ausgesetzt ist. Erklärungsansätze der Forschung über die Anziehungskraft, die totalitäre Utopien in diesem Jahrhundert ausgeübt haben, existieren zwar bereits - abgesehen von den schon erwähnten politischen Erfahrungen sei stichwortartig hingewiesen auf ästhetische Konzeptionen der Moderne, denen der totalitäre Gedanke innewohnt, oder auf ein weit verbreitetes antibürgerliches Ressentiment. In einer engeren Verzahnung mit der Erforschung des Intellektuellendiskurses im Exil könnten solche Erklärungsversuche an Plastizität jedoch noch gewinnen.

Bibliographie 1. Abosch, Heinz: Von der Volksfront zu den Moskauer Prozessen. In: 5, S. 27—44. 2. Bachmann, Jörg J.: Zwischen Paris und Moskau. Deutsche bürgerliche Linksintellektuelle und die stalinistische Sowjetunion 1933-1939. Mannheim: Palatium, 1995. 3. Betz, Albrecht: Exil und Engagement. Deutsche Schriftsteller im Frankreich der dreißiger Jahre. München: edition text+kritik, 1986. 4. Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die »American Guild for German Cultural Freedom«. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Bibliothek, Frankfurt a. M. Ausstellung u. Katalog: Werner Berthold, Brita Eckert und Frank Wende. München, London, New York, Paris: Säur, 1993.

Intellektuelle im Exil

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5. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Bd. 1: Stalin und die Intellektuellen und andere Themen. Hrsg. von Thomas Koebner, Wulf Köpke und Joachim Radkau. München: edition text+kritik, 1983. 6. Eykman, Christoph: Die Bestimmung des Intellektuellen: Heinrich Mann und die Exilliteratur. In: Heinrich Mann-Jahrbuch 2 (1984), S. 60-75. 7. Fetscher, Iring: Der »Totalitarismus«. In: 5, S. 11-26. 8. Grunewald, Michel: Klaus Mann und die Volksfrontdiskussion. Ein Beitrag zur Typologie des linksbürgerlichen Intellektuellen in den dreißiger Jahren. In: Realismuskonzeptionen der Exilliteratur zwischen 1935 und 1940/41. Tagung der Hamburger Arbeitsstelle filr deutsche Exilliteratur 1986. Hrsg. von Edita Koch und Frithjof Trapp. Maintal: Koch, 1987 (Exil. Forschung. Erkenntnisse. Ergebnisse. Sonderband 1), S. 24-33. 9. Jasper, Willi: Heinrich Mann und die »Deutsche Volksfront«. Mythos und Realität intellektueller Ideenpolitik im Exil. In: 5, S. 45-60. 10. Kent, Donald P.: The Refugee Intellectual. The Americanization of the Immigrants 19331941. New York: Columbia University Press, 1953. 11. Köpke, Wulf: Das dreifache Ja zur Sowjetunion. Lion Feuchtwangers Antwort an die Enttäuschten und Zweifelnden. In: 5, S. 61-72. 12. Lohmann, Hans-Martin: Stalinismus und Linksintelligenz. Anmerkungen zur politischen Biographie Ernst Blochs während der Emigration. In: Exil. Forschung. Erkenntnisse. Ergebnisse (1984), Η. 1, S. 71-74. 13. Lützeler, Paul Michael: The City of Man (1940). Ein Demokratiebuch amerikanischer und emigrierter europäischer Intellektueller. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Bd. 2: Erinnerungen ans Exil - kritische Lektüre der Autobiographien nach 1933. Hrsg. von Thomas Koebner, Wulf Köpke und Joachim Radkau. München: edition text+kritik, 1984, S. 299-309. 14. Nicolaysen, Rainer: Leistung und Dilemma der Linksintelligenz. Zum politischen Kräfteverhältnis in der Anfangsphase des F.vik Im Die deutsche Literaturkritik im enmpaisehen Exil (1933-1940). Hrsg. von Michel Grunewald. Bern, Frankfurt a. M., New York: Lang, 1993 (Jahrbuch für Internationale Germanistik: Reihe A, Kongressberichte; 34), S. 3-25. 15. Pike, David: Stalin and the intellectuals. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 19 (1985), S. 225-244. 16. Schildt, Axel: Reise zurück aus der Zukunft. Beiträge von intellektuellen USARemigranten zur atlantischen Allianz, zum westdeutschen Amerikabild und zur »Amerikanisierung« in den fünfziger Jahren. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Bd. 9: Exil und Remigration. Hrsg. von Claus-Dieter Krohn, Erwin Rotermund, Lutz Winckler und Wulf Köpke. München: edition text+kritik, 1991, S. 25^45. 17. Thiele, Dieter: Proletarier und Intellektuelle. Brechts »Flüchtlingsgespräche« als Beitrag zur Bündnispolitik. In: Weimarer Beiträge 24 (1978), H. 2, S. 43-68. 18. Trapp, Frithjof: Schriftsteller als Politiker. Leistung und Schwäche der Linksintelligenz während der ersten Phase des Exils (1933-1940). In: Exil. Forschung. Erkenntnisse. Ergebnisse (1984), H. 1,S. 17-31. 19. Winckler, Lutz: Lion Feuchtwangers Exil oder die Versöhnung von Geist und Macht. In: Jahrmarkt der Gerechtigkeit: Studien zu Lion Feuchtwangers zeitgeschichtlichem Werk. Hrsg. von Wolfgang Müller-Funk. Tübingen: Stauffenburg, 1987, S. 123-138. 20. Winkler, Lutz: Die Krise und die Intellektuellen. Klaus Mann zwischen ästhetischer Opposition und republikanischem Schriftstellerethos. In: Deutschland nach Hitler. Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit 1939-1949. Hrsg. von Thomas Koebner, Gert Sautermeister und Sigrid Schneider. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1987, S. 49-61. 21. Winkler, Michael: Der Intellektuelle als Kreuzritter. Über ein Motiv in Kriegsromanen von Gustav Regler und Stefan Heym. In: Exil: Wirkung und Weitung. Ausgewählte Beiträge zum fünften Symposion Uber deutsche und österreichische Exilliteratur. Hrsg. von Donald G. Daviau und Ludwig M. Fischer. Columbia: Camden House, 1985, S. 215-228.

Birgit Pape

Intellektuelle in der Bundesrepublik 1945-1967

Der vorliegende Beitrag gilt der Forschung zum Thema »Intellektuelle« in der Bundesrepublik vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den Epochenjahren 1967/68. Nach der Katastrophe des Dritten Reichs schienen die Intellektuellen als Sinnstifter im Bemühen um eine neue Identität in besonderer Weise gefordert zu sein. PETER SUHRKAMP (47) bezeichnete es 1948 als Aufgabe der »Gemeinschaft aller Geistigen«, in der gegenwärtigen Situation wieder »ein moralisches menschliches Klima zu schaffen« (23); für Walter WEYMANN-WEYHE und RÜDIGER PROSKE (49) wurden - ebenfalls 1948 - die Intellektuellen zum »metaphysischen Ort«, in dem die »eigentlichen geschichtlichen Entscheidungen« (527) getroffen werden. Diesem Selbstverständnis der Intellektuellen entspricht das Bild, das in einem Teil der Forschung von den Intellektuellen gezeichnet wird. KEITH BULLIVANT (12) bezeichnete 1988 die Nachkriegsintelligenz schon im Titel seiner Arbeit schlicht als »Gewissen der Nation«. Nach und nach bildete sich - zunächst in den Besatzungszonen und dann in der Bundesrepublik - mit der engagierten Intelligenz ein »intellektuelles Gemeinwesen« heraus, von dem zahlreiche Impulse für die Gestaltung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens ausgingen. Das wichtigste intellektuelle Anliegen der Nachkriegszeit schien darin zu liegen, einen »Rtickfall in die Beziehungslosigkeit« (3,12) zu verhindern. Die hier vorgestellte Forschungsliteratur zu den ersten Nachkriegsjahren und der bundesrepublikanischen Phase bis 1967 ist zwischen 1946 und 1994 erschienen, wobei der Anteil der zeitgenössischen Arbeiten gegenüber der postumen Forschung deutlich überwiegt. Die unterschiedliche zeitliche Distanz zu dem geschilderten Gegenstand wird bei der Bewertung der Forschungsarbeiten ausdrücklich berücksichtigt. Darstellung und Analyse der Forschung wird in zwei voneinander abgegrenzten Zeitabschnitten erfolgen; in diesen Zeitabschnitten wird das Material wiederum nach thematischen Gesichtspunkten aufgefächert. Die Unterteilung der Zeit von 1945 bis 1967/68 in zwei Phasen, die selbstverständlich nicht als starre Blöcke aufzufassen sind, sondern zum Teil ineinandergreifen, dient zum einen der besseren Übersicht über den Forschungsgegenstand, entspricht zum anderen aber auch der Praxis vieler Arbeiten selbst. Die meisten Forscher sehen in der Entwicklung der bundesrepublikanischen Intellektuellen, in dem »Verhältnis zwischen Geist und Macht«, deutliche Veränderungen und setzen dementsprechend Zäsuren. Häufig werden zwei Phasen unterschieden: eine erste, welche die Situation der Intellektuellen in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in den Anfangsjahren der Bundesrepublik umfaßt,

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und eine zweite, deren Höhe- oder gar Schlußpunkt durch die Studentenunruhen von 1967/68 markiert wird. In den ersten Nachkriegsjahren sieht die Forschung die Intellektuellen von der idealistischen Idee eines radikalen Neubeginns Deutschlands bewegt, die häufig mit sozialistischen Vorstellungen und Zielen verbunden wurde. Als Reaktion auf die bald erlebte Enttäuschung ihrer Hoffnungen konstatieren viele Untersuchungen dann eine wachsende intellektuelle Distanz gegenüber der offiziellen Regierungspolitik und gegenüber einer als »restaurativ« empfundenen Bundesrepublik. Hinter dem Stichwort »Restauration« (vgl. zu diesem Komplex den Aufsatz von HELMUTH KIESEL; 24) verbirgt sich die Auffassung, die Ereignisse nach 1945 hätten auf die Wiederherstellung jener Besitz- und Machtverhältnisse sowie jener kulturellen und mentalen Grundlagen gezielt, die das deutsche Volk schon einmal in eine Katastrophe gestürzt hätten. Neben der deutlichen Distanzierung der Intellektuellen von den politischen Entscheidungen der Regierungsvertreter stellen einige Forschungsarbeiten für die. erste Nachkriegszeit auch die Bedrohung der Intelligenz durch verschiedene Krisenphänomene ins Zentrum ihrer Betrachtung. Zur Erklärung dieser intellektuellen Krise wird in der Forschung vor allem auf den durch die Erschütterungen des Krieges hervorgerufenen Glaubens- und Werteverlust und auf die politische und gesellschaftliche Isolierung der Intellektuellen verwiesen. Als kennzeichnend für die erste Phase betrachten viele Arbeiten auch die klar artikulierte antitotalitaristische, antiideologische Haltung der Intellektuellen und ihre weitgehende Abstinenz von direkten politischen Aktionen. Die wachsende Kritik an der Politik der Bundesregierung wird zu diesem Zeitpunkt noch auf verbale Interventionen und öffentliche Appelle beschränkt gesehen. Für die auf die erste Nachkriegsphase folgenden Jahre diagnostiziert die Forschung dann vielfach eine deutlich zunehmende Kritik an der Bundespolitik und ein - mit der Formierung von aktionistischen Kreisen und heterogenen Protestbewegungen - neue Formen erschließendes politisches Engagement der intellektuellen Kreise. Verschiedene Arbeiten werfen den Intellektuellen vornehmlich destruktives Verhalten vor und machen sie für die wachsende Entfremdung zwischen der geistigen und der politischen Sphäre verantwortlich. Zusätzlich konstatieren und befürchten vor allem zeitgenössische Forschungsarbeiten eine mögliche ideologische Verirrung der Intellektuellen, besonders im Zusammenhang mit dem in der Nachkriegszeit aufkommenden Antagonismus konkurrierender politischer Systeme und Weltanschauungen, der auch auf die deutsche Politik und Gesellschaft immer stärkeren Einfluß ausübt. Der Zeitpunkt des Übergangs zwischen den beiden skizzierten Phasen variiert in den einzelnen Darstellungen. In der vorliegenden Bilanzierung der Forschungsarbeiten wird als ordnende Zäsur das Jahr 1955 gesetzt, wofür sowohl die Orientierung an wichtigen politischen Ereignissen als auch die Betrachtung der gesellschaftlichen Entwicklung spricht. Mitte der fünfziger Jahre galt die Bundesrepublik im allgemeinen als konsolidiert. Die äußeren Zeichen dieses Tatbestands waren durch die Beendigung des Besatzungsstatuts (1952) und durch den Beitritt der Bundesrepublik zur WEU und NATO (Oktober 1954) gesetzt. Die Pariser Verträge wurden dann wenige Wochen später zum Anlaß

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einer ersten umfassenden bundesrepublikanischen Protestbewegung gegen die Remilitarisierung und Spaltung Deutschlands. Mit dem im Januar 1955 in der Frankfurter Paulskirche verabschiedeten »Deutschen Manifest« der bundesrepublikanischen Rüstungsgegner, dem ein gutes Jahr später gegründeten »Grünwalder Kreis« zur »Abwehr antidemokratischer Tendenzen« und dem Beginn einer Anti-Atomtod-Bewegung sind nur einige der von Intellektuellen initiierten oder mitgetragenen aktiven Protestbewegungen der Bundesrepublik benannt. Ihre Existenz dokumentierte neben dem Wandel gesellschaftlicher Werte auch den Wandel des Selbstverständnisses wichtiger gesellschaftlicher Gruppen. Ein bedeutender Teil der intellektuellen Kräfte wollte fortan ihr Engagement nicht länger ausschließlich auf den verbalen Diskurs beschränken.

1.

Die Konstituierungs- und Konsolidierungsphase der Bundesrepublik: 1945-1955

1.1. Die Intellektuellen in den ersten Jahren nach Kriegsende In den ersten Jahren nach Kriegsende herrschte unter den Intellektuellen eine allgemeine Aufbruchsstimmung. Auffassungen, die der geistigen Elite eine unbedingte Enthaltung von der Politik auferlegten, wie sie von dem französischen Intellektuellen JULIEN BENDA oder in deutschen Intellektuellenkreisen selbst von dem späteren Ostermarschierer STEFAN ANDRES vertreten und verbreitet wurden, wirkten anachronistisch und stellten die Ausnahme dar. BENDA, dessen 1927 erstmals erschienenes Buch »Latrahison des clercs« 1946 in deutscher Übersetzung herausgegeben wurde und dessen Plädoyer für eine strenge Trennung der intellektuellen und politischen Bereiche auch in deutschen Zeitschriften verbreitet wurde (4), sieht die ausschließliche Aufgabe des Intellektuellen in der Wahrung von Freiheit, Gerechtigkeit, Humanität und Vernunft. Die Vernachlässigung dieser Aufgaben und damit der Verrat an ihrem Amt trete dann ein, wenn die Intellektuellen begännen, Politik zu treiben. Nur eine fortwährend strenge Aufgabenteilung zwischen der geistigen und der politischen Sphäre garantiert für Benda den Fortbestand der Zivilisation. In Kreisen der literarischen Intelligenz wurde eine an Benda erinnernde Position von Stefan Andres und GOTTFRIED BENN vertreten. Andres reflektierte 1948 in einem Aufsatz (1) die Aufgaben des Dichters: Er möchte die »Sendung« der literarischen Intelligenz ganz auf die Dichtung konzentriert sehen, in welcher sie sich nicht der »Ergründung der Wahrheit« oder der »Verteidigung irgendeiner Ethik«, sondern einzig der Gestaltung der »Schönheit« widmen solle (133). Andres' Aufruf zu einer Kunst fern der Ideologien, zu einer »Welt an sich« (139), beschwört noch einmal die Trennung der intellektuellen von der politischen Sphäre herauf, die letztlich zu einem erneuten Rückzug der literarischen Intelligenz in den »Elfenbeinturm« der Ästhetik führen würde. Benn wandte sich im selben Jahr mit seinem aufsehenerregenden >Berliner Brief< (5) gegen die Orientierung des künstlerischen Schaffens an politischen Idealen, auch an den

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neuen demokratischen; ebenso impliziert sein Konzept der absoluten oder monologischen Lyrik, das er 1951 in seiner wiederum aufsehenerregenden und wirkungsreichen Marburger Rede >Probleme der Lyrik< (6) entwickelte, eine Absage an eine politisch engagierte und mit Botschaften aufwartende Dichtung. Ganz im Gegensatz zu diesen Haltungen besteht bei GERT THEUNISSEN (48), der in der frühen Nachkriegszeit Rundfunkabteilungsleiter des Kölner NWDR war, der »Verrat« des Intellektuellen gerade in der von ihm konservierten Distanz zur Politik. In einem 1946 verfaßten kurzen Aufsatz, der die politischen Präferenzen seines Urhebers durch die überaus lobende Hervorhebung des sozialistischen Intellektuellen offenbart, beschwört Theunissen die intellektuellen Kreise, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Gerade in der deutschen Tradition der Distanz zur Politik liege sowohl die Tragik als auch die Schuld des Intellektuellen, die sie zur leichten Beute für die Macht hatte werden lassen. Den Intellektuellen der Nachkriegszeit sieht der Autor noch immer durch den Verlust von »Weltbewußtsein und Welthaltigkeit«, »geistiger Durchschlagskraft und moralischer Präzision« gekennzeichnet, was von seinem allgemeinen Haß auf die Politik herrühre (43). Ein erneutes »ängstliches« (42) Zurückziehen auf intellektuelle Schaffensgebiete ist für Theunissen gleichbedeutend mit sozialer Verantwortungslosigkeit, weshalb es für ihn keine Alternative zum politischen Engagement des Intellektuellen gibt. Demgegenüber gibt es aber auch zeitgenössische Stellungnahmen und eine Reihe rückblickender Monographien, welche die aktive Rolle und Aufgabe des Intellektuellen nach Kriegsende, insbesondere die des Schriftstellers, in den Mittelpunkt der Untersuchung rücken. Die Beziehungen der Intelligenz zur Politik werden hier aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, wobei aber die post festum erschienenen Darstellungen übereinstimmend einen fortlaufenden Gegensatz von »Geist« und Macht konstatieren. Die Ursachen für diese beständige Dichotomie sehen die Forscher übereinstimmend in den vielfältigen Konflikten beider Sphären in der ersten Nachkriegsphase. Eine der frühesten Bestandsaufnahmen über die Erfahrungen und gegenwärtigen Aufgaben des »Geistes« stammt von dem Publizisten HANS PAESCHKE (39). Sie wurde mit dem Verweis, daß es sich lediglich um »Notizen« (100) zu einem Ende 1946 gehaltenen Vortrag handele, im ersten Heft der von Paeschke herausgegebenen kulturpolitischen Zeitschrift Merkur veröffentlicht. Die hellsichtigen Ausführungen basieren auf der Prämisse der besonderen Verantwortlichkeit der Intellektuellen, die sich nach Auffassung des Autors im Anspruch der Intellektuellen auf Mitgestaltung und im aktiven Engagement manifestieren müsse. Fern aller Gesinnungen und Ideologien, deren antithetische Natur nach Paeschke zur einstigen Lähmung des geistigen Widerstands beigetragen habe (101), sei es die Aufgabe der Intellektuellen, sich ihrer praktischen Verantwortung neu zu stellen und beim Aufbau Deutschlands und Europas mitzuwirken. Die wichtigsten Etappen zu diesem Ziel sieht der Autor in dem Bekenntnis von Schuld, der Vergewisserung von geistigen Prinzipien und Werten, der Überprüfung der vorhandenen Begrifflichkeit und dem kontinuierlichen Infragestellen des eingeschlagenen Weges. Bei der Ausgestaltung dieses neuen Anfangs zeigt sich der Autor aber keinesfalls als Vertreter der Nullpunkt-These, sondern ver-

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langt, bei der Bestimmung der Gegenwart Kontinuität zu wahren und in größeren Zusammenhängen zu denken. Das für Deutschland und seine Intellektuellen adäquate Verhalten sieht Paeschke im Gegensatz zur jüngsten Verherrlichung von Aktivismus und Machtpolitik in der Fähigkeit zum »Mittlertum« (105). Der »Sinn für Mitte«, der dem deutschen Volk immer abträglich gewesen sei, könne Deutschland nun zur ausgleichenden Macht, zum »Katalysator« der politischen Erfahrungen werden lassen (107). Diese Fähigkeit müsse nach Meinung des Autors heute zunächst im kleinen Kreis und in allen gesellschaftlichen Bereichen erlernt und erprobt werden. Die Deutschen müßten neu lernen, daß ein jeder für die Freiheit eines jeden einzustehen habe, und damit ihre Verantwortung für Gegenwart und Zukunft anerkennen (109). In einem historischen Abriß bietet der Politologe HELMUT L . MÜLLER (35) einen groben Überblick über das Verhältnis und die Konfliktfelder zwischen der literarischen Intelligenz und der politischen Sphäre von 1945 bis in die siebziger Jahre. Einzelne Werke und vier Autoren (Böll, Enzensberger, Frisch, Grass) werden kurz analysiert und als vier »Varianten« des politisch engagierten Schriftstellers bilanziert. Die Arbeit bedient sich fast durchweg dem Referatsstil und bleibt bei gelegentlichen Bewertungen der allzu bekannten Konfrontationen zwischen der literarischen Intelligenz und der politischen Sphäre dem gängigen Erklärungsmuster vom Gegensatz zwischen Geist und Macht verhaftet. Für Müller liegt der Schlüssel zum fortwährend problematischen Verhältnis zwischen bundesrepublikanischen Schriftstellern und Politikern in der unmittelbaren Nachkriegszeit (31). Die Schriftsteller hätten nach Kriegsende die deutsche Tradition des unpolitischen Intellektuellen verlassen und seien zum »Gewissen der Nation« (31) geworden. Besonders die jungen Schriftsteller und Intellektuellen, die sich um die Zeitschrift Der Ruf gruppiert hatten, seien mit eigenen politischen Konzepten in die Öffentlichkeit getreten. Sie seien in der unmittelbaren Nachkriegsphase von einer »Nullpunktsituation« (36) ausgegangen, die sie als Chance für einen radikalen Neubeginn begriffen hätten. Die von ihnen favorisierten Ideen einer deutschen Vermittlerrolle zwischen Ost und West und einer Verbindung der demokratischen Staatsform mit sozialistischen Vorstellungen sieht der Autor in der Tradition einer für Deutschland charakteristischen Gesellschaftsidee, der »Konzeption des dritten Weges« (37). In der Formierung der Gruppe 47 wird für Müller abermals die Hinwendung der literarischen Intelligenz zur Politik unterstrichen. Die hier versammelten Schriftsteller, die eine pazifistische und antifaschistische Grundhaltung verbunden habe, hätten einen entschieden politischen Anspruch von Literatur vertreten und versucht, mit literarischen Mitteln auf die politischen Programmatiken Einfluß zu nehmen. In der >Gruppe 47< habe sich nach Müller eine »demokratische Elite« (43) konzipiert, die allerdings keinen Anschluß an die Parteien habe finden können. Durch ihr Eintreten für politische Vorstellungen, die kompromißlos auf die Ideen der unmittelbaren Nachkriegszeit fixiert geblieben seien, sieht Müller die literarische Intelligenz schließlich in jene Außenseiterrolle gedrängt, die ihr weiteres Verhältnis zur Politik determiniert habe. Der von der Entwicklung enttäuschte Intellektuelle habe seinen Widerstand ab 1949 zunächst in dem Vorwurf der »Restauration« verbalisiert und dann in den fünfziger Jahren in

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eine neue Art von Protesten verwandelt (5 Iff.). Dem zeitgenössischen Urteil der Intellektuellen über die »restaurative« Entwicklung der Bundesrepublik schließt sich der Autor nicht an. Zum einen verweist er darauf, daß die politische und soziale Struktur des neugegründeten Staates im Vergleich mit anderen Demokratien sehr wohl fortschrittlich bewertet werden könne; zum anderen wirft er den Restaurationsvertretern eine einseitige Betrachtungsweise vor, die beispielsweise die weitgehende Akzeptanz der bundesrepublikanischen Entwicklung von seiten der Bevölkerung und die »ausgewogene politische und soziale Struktur« vollkommen außer acht gelassen habe (287). HANS-GÜNTHER LANFERS (27) deskriptive, chronologische Darstellung der Konfliktlinien zwischen Politikern und literarischer Intelligenz reicht von der Gründung der Bundesrepublik bis zum Beginn der achtziger Jahre und beschränkt sich auf die Optik der verschiedenen politischen Parteien und ihrer Repräsentanten. In deutlichem Anschluß an die von Müller skizzierten Konfliktlinien hinterfragt der Politologe, inwieweit die Intellektuellen den Status quo treffend analysiert und verbessert haben und welche Formen und Intensität die Kontakte mit der politischen Sphäre, vornehmlich den Parteien, im Verlauf der bundesrepublikanischen Entwicklung angenommen haben. Als grundlegenden Unterschied zwischen den intellektuellen und politischen Gruppierungen nennt Lanfer die vornehmliche Orientierung der ersten an einem »theoretischen, individualistischen, kosmopolitischen Erwartungshorizont« anstelle des politisch Machbaren (31). Kompromisse würden aus intellektueller Sicht zum Ausdruck einer Charakterschwäche. Genau wie Müller sieht auch Lanfer in der ersten Nachkriegsphase, zumal in der Wahl Adenauers, der wenig Bereitschaft zur Kommunikation mit der literarischen Intelligenz gezeigt habe, den Ausgangspunkt für das seitdem negative Verhältnis von Intelligenz und Politik (56). Es sei kaum zu nennenswerten Kontakten mit irgendeiner Partei gekommen, die intellektuellen Vorstellungen einer grundlegenden Neuorientierung seien unerfüllt geblieben, die daraus resultierende Enttäuschung habe zu einer Verbreiterung der Gräben geführt. Die Gründung der Bundesrepublik habe sich schließlich weniger gemeinsam als gegeneinander vollzogen. Lanfer sieht die Ursachen dieser »geistigen Vakanz« (95) zum einen in dem pragmatischen Denken Adenauers begründet, der den intellektuellen Stimmen keinerlei Bedeutung in der politischen Aufbauarbeit zugestanden habe, zum anderen aber auch in der zu hohen Erwartungshaltung der Intellektuellen selbst, die alle politischen »Sachzwänge« (93) außer acht gelassen hätten. Dabei habe es nach Auffassung Lanfers für die deutsche Politik seit Kriegsende gar keine Stunde Null, also keine Möglichkeit zur autonomen Neugestaltung des zerstörten Staates gegeben. Vielmehr hätten die Kontrolle der Alliierten und die materiellen Notwendigkeiten die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen determiniert (63). Die materialreiche englischsprachige Arbeit von ROB BURNS und WILFRIED VAN DER WILL (13) beleuchtet die Entwicklung der Bundesrepublik vom Kriegsende bis weit in die achtziger Jahre hinein unter der Perpektive ihrer Protestbewegungen. Damit rücken für die Autoren die kritischen Intellektuellen in den Mittelpunkt des Interesses, die sie als einzige soziale Gruppe in der Lage

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sehen, mit Sprache einen sozialen, ideologischen und politischen Wandel herbeizuführen (17). Für die Nachkriegszeit konstatieren die beiden Forscher eine große Präsenz der intellektuellen Stimme in der Öffentlichkeit, wofür sie neben dem Bedarf an Intellektuellen in den verschiedenen Medienbereichen auch ihren eigenen Rehabilitierungsdrang nach jahrelanger Verfolgung anführen (20). Nach der NS-Diktatur habe die Gesellschaft zudem ein Defizit an Moral und ein Bedürfnis nach Konzeptionen gespürt, weshalb sie den kritischen Intellektuellen sehr positiv gegenübergestanden habe. Die antiideologischen, an einem freiheitlichen Sozialismus orientierten Ideen der Intellektuellen, die bereits bei Müller referiert wurden, werden auch von Burns und van der Will als »Illusionen« (24) eingestuft. Die mangelnde Durchsetzbarkeit ihrer politischen Vorstellungen wie beispielsweise die Realisierung einer Politik des »dritten Weges« zwischen Ost und West führen die Autoren vor allem - ähnlich wie Lanfer - auf die Vormachtstellung der Alliierten zurück, die ihre Besatzungszonen bald in antagonistische ideologische Blöcke integriert hatten (28f.). Daneben findet sich als Begründung aber auch - diesmal ohne Distanzierung - die These von der »restaurativen« Gesellschaft, die den Innovationen der Intellektuellen keine Möglichkeit zur Verwirklichung ihrer Ideen gewährt habe, eine Entwicklung, die erst Mitte der sechziger Jahre beendet worden sei. Nach Burns und van der Will seien die linken Intellektuellen durch die »Restauration des Kapitalismus« in die Rolle der »heimatlosen Linken« gedrängt und zu einem vorübergehenden Rückzug auf eine I'art pour Tart Haltung provoziert worden, bevor die Wiederbewaffnungsdebatten eine neue Phase der Aktivität begründet hätten (30f.). Der in allen drei Monographien aufgeworfenen These von dem unmittelbar nach Kriegsende entstandenen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Geist und Macht widerspricht der Journalist und Politologe PAUL NOACK (37). In einer sehr informativen Arbeit, welche die Situation und Rolle des deutschen Intellektuellen durch einzelne Geschichtsepochen verfolgt und als Ergebnis dessen fortlaufende Außenseiterstellung konstatiert, versucht Noack für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem die These der Geistfeindschaft des Staates zu widerlegen. Die Existenz dieses »Klischees« (46) führt der Autor auf die Entstehungsbedingungen der Bundesrepublik zurück, in der die materielle Sicherung vor der Wertschätzung geistiger Güter angesiedelt worden sei. Dazu beigetragen habe außerdem, daß die Intellektuellen, die selber mit kritischen Äußerungen nie gespart hätten, stets äußerst beleidigt gewesen seien, wenn »die Beleidigten mit Gegenbeleidigungen« reagiert hätten (48). Ganz richtig erkennt Noack, daß eigentlich immer wieder die gleichen Bespiele angeführt werden, um das Urteil einer Distanz zwischen Politikern und Geistigen und die Bedrohtheit der letzteren zu rechtfertigen. Als ebenso falsch wie der Vorwurf, die Politiker seien »geistfern« (49), wird bei Noack die Sichtweise von der permanenten Abseitsstellung der Intellektuellen seit Kriegsende beurteilt. Alle politischen Parteien hätten in vielfältiger Weise intellektuelle Unterstützung genossen, auch wenn sich nach Noack die »linken« Intellektuellen hierzu nur ausnahmsweise bereit erklärt hätten (50f.).

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1.2. Krise der Intellektuellen: Glaubensverlust und Isolierung Viele Forschungsarbeiten sehen die Intellektuellen nach Kriegsende in einer Krise. Für einige Arbeiten rührt diese Krise unmittelbar aus den jüngsten Erfahrungen, die bei vielen Intellektuellen der Nachkriegszeit einen Glaubens- und Weltanschauungsverlust hervorgerufen habe. Für andere manifestiert sich die Krise der Intellektuellen erst später, nachdem sie gesellschaftlich und politisch marginalisiert und ihre Hoffnungen angesichts der realen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung enttäuscht worden seien. Übereinstimmend konstatieren aber fast alle Forscher die Entfernung des »Geistes« von der Macht, was für viele zum Symbol der intellektuellen Krise wird. Bereits 1 9 4 8 bezeichnen WALTER WEYMANN-WEYHE und RÜDIGER PROSKE (49) in einem Aufsatz zur Lage der Intellektuellen die geistige Situation als »katastrophisch« ( 5 2 6 ) . Durch den Nationalsozialismus mißbraucht und entwürdigt, sei der Intellektuelle nach Kriegsende in existentielle Krisen geraten, die durch den Mangel an Glauben und Grundwerte nur noch verstärkt worden sei. Politisch sehen ihn die Autoren nicht nur rechtlos, sondern vor allem richtungslos. Darüber hinaus sei die Zahl der aktiven Intellektuellen stark dezimiert worden, da viele in lähmendem Pessimismus verharrten, während wieder andere noch in Denazifizierungsverfahren um ihre Anerkennung kämpfen müßten. Aus dieser Tatsache ergebe sich für den fortwährend engagierten Intellektuellen, der sich in seiner rundum ungesicherten Situation um die Auffindung neuer, nicht entwerteter Maße bemühe, eine permanente »Arbeitsüberlastung« ( 5 3 9 ) . LUDWIG MARCUSE (30) gibt in einem englischsprachigen Aufsatz von 1 9 5 0 seine Sichtweise zur geistigen Situation Deutschlands in Form von Reiseeindrücken wieder. Das Stimmungsbild, das er von der deutschen Gesellschaft und ihren intellektuellen Gruppierungen zeichnet, ist deutlich am Phänomen der Krise orientiert. Der Autor sieht die Gesellschaft von Verdrängungsmechanismen bestimmt, da jede Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur vermieden werde und selbst die Antinazis primär mit den Fragen des Wiederaufbaus okkupiert seien. Diese Entwicklung müsse zumindest teilweise als »reaktionär« (347) angesehen werden. Auch die intellektuelle Szene wird von Marcuse in diese zeitverhaftete negative Sicht integriert. Er ist der Meinung, daß viele ältere Autoren die Diktatur ohne sichtbare Folgen in ihrem Denken überstanden hätten, also keinesfalls als Repräsentanten eines progressiven Neubeginns angesehen werden könnten. Auch die jüngeren Intellektuellen, die nach Marcuse sehr wohl das Bewußtsein gehabt hätten, ganz von vorn anfangen zu müssen, sind für den Autor keine ausreichenden Hoffnungsträger. Ihre Verzweiflung und Erschöpfung, gepaart mit Einsamkeit und einem grundsätzlichen Glaubensverlust, betrachtet Marcuse als entmutigend. Für einige scheint nach Auffassung Marcuses die »innere Emigration« überhaupt erst nach dem Krieg begonnen zu haben ( 3 5 0 ) . Ein Jahr später stimmt ALFRED VON MARTIN (31) in einer kurzen Bestandsaufnahme zur intellektuellen Situation der negativen Bewertung Marcuses zu. Nachdem er in seiner soziologischen Analyse zunächst allgemein über die Rolle der Intelligenz im gesellschaftlichen Geschehen, ihre Aufgaben und ihre

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Zusammensetzung referiert hat, konstatiert auch er eine gegenwärtige Krise des Intellektuellen. Der Mangel seiner Arbeit liegt in der nicht näher erfolgten Spezifizierung des Krisenphänomens. Zum einen verweist er auf die allgemeine Zeitsituation, die dem Intellektuellen die Erfüllung seiner Aufgaben deutlich erschwere, womit anscheinend seine materielle Lage angesprochen wird. Zum anderen aber wird die Krise auch auf den Intellektuellen selbst zurückgeführt, den er in einem Prozeß des »Verfalls« (385) sieht. Es falle ihm zunehmend schwerer, als »Gegengewicht gegen die irrationale Welt der Triebe und Leidenschaften« (384) zu agieren. Von Martin sieht die Intelligenz 1951 unter dem Zugzwang, große Risiken auf sich zu nehmen und »Zivilcourage« (386) zu beweisen, um der Wahrheit und Gerechtigkeit weiterhin wirksam dienen zu können. Daß das von der zeitgenössischen Forschung um 1950 diagnostizierte Krisenbewußtsein der Intellektuellen durchaus ein reales Zeitphänomen widerspiegelt, zeigt der Beitrag der Zeitschrift Wort und Wahrheit (33). Sie hatte 1952 in der Absicht, »die Gründe der krisenhaften Situation des Intellektuellen in unserer Zeit« (901) zu klären, eine Umfrage unter Intellektuellen gestartet. Nach einer Auswertung der Stimmen kommt der Initiator der Befragung, Gotthard MONTESI, zu dem Schluß, daß das Krisenbewußtsein vor allem aus den Beschreibungen der intellektuellen Rolle faßbar werde. Viele Intellektuelle seien bei der Darlegung ihrer Aufgaben über das »formal-funktionelle« (914) nicht hinausgekommen, was Montesi in erster Linie auf ihren Verlust an Weltanschauung zurückführt. Viele Intellektuelle hätten sich zudem in ihrer Zukunft bedroht gesehen und hätten sich der Meinung hingegeben, der »Geist« werde schon gegenwärtig nicht mehr als existent betrachtet (915). Zusätzlich sei der Intellektuelle durch Ideologien gefährdet und werde durch die zunehmende Bedeutung der Massen zu immer stärkerem Konformismus gedrängt. Bezeichnenderweise habe nur der christliche Intellektuelle nach wie vor keine Schwierigkeiten, seine Aufgaben substantiell überzeugend zu untermauern. Den ersten Versuch einer umfassenden Bilanzierung der geistigen Entwicklung des ersten Nachkriegsjahrzehnts unternimmt der an die Zeitschrift Merkur angelehnte und von JOACHIM MORAS und HANS PAESCHKE herausgegebene Sammelband »Deutscher Geist zwischen Gestern und Morgen« (34) von 1954. Hier sind Publizisten, Schriftsteller und Wissenschaftler versammelt, die mit ihren zahlreichen Beiträgen zur künftigen Wertorientierung die Zeitschriftenkultur der frühen Nachkriegszeit geprägt hatten. Insbesondere werden in dem Band die Wissenschaften und die »schönen Künste« einem »Rechenschaftsbericht« (9) unterworfen, der am Ende die wiederholt aufgegriffene These von der geistigen Krise in Deutschland unterstützt. Vor allem die Abschlußbeiträge von Hans Paeschke und Wolfgang von Einsiedel widmen sich ausführlich dem diagnostizierten Krisenphänomen, wobei Paeschke es auch unternimmt, eine Quersumme der im Band versammelten Beiträge zu ziehen. Eingehend widmet sich der 1903 geborene und damals in London lebende Philologe und Schriftsteller VON EINSIEDEL unter der Überschrift »Land ohne Mitte« der Krise der deutschen Intelligenz. Sie konnte seiner Meinung nach dadurch entstehen, daß die »Zeugungskräfte« (435) der Künste und Wissen-

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schatten in der ersten Nachkriegszeit unterbunden wurden und dieselben in einen Zustand der Lähmung und Resignation verfallen seien. Für diese negative Bilanz der geistigen Situation führt er eine ganze Reihe von Gründen an, die in der Bilanz des Ausfalls der »Mitte« (435) zusammentreffen und vom Autor politisch, soziologisch und psychologisch begründet werden. Zum einen hätte Deutschland nach dem Krieg ohne staatlichen Mittelpunkt und ohne Hauptstadt existieren müssen, was nicht nur das Staatsgefühl geschwächt, sondern auch die Gefahr geistiger Provinzialität heraufbeschworen habe. Die Intellektuellen hätten sich dadurch vielfach der Kommunikation unter Gleichgesinnten beraubt gesehen, was fortwährend große Unzufriedenheit hervorgerufen habe. Zum anderen seien durch die im Krieg und unter den Bedingungen der Diktatur vernichtete Mittelgeneration dem Geist erhebliche Triebkräfte geraubt worden. Da zudem die junge Generation vom Überlebenskampf und Mißtrauen beherrscht werde, was ihren künstlerischen Ausdruck hemme, werde die geistige Situation auch gegenwärtig noch von der Generation der Großväter bestimmt. Diese habe nach Auffassung von Einsiedels allerdings nur Bildungswerte und keine Zukunftsperspektiven zu bieten. Trotz der negativen Beurteilung ihrer Lage setzt von Einsiedel seine Hoffnung ganz auf die jungen Intellektuellen, deren positive Ansätze unmittelbar nach Kriegsende nun fortgesetzt werden müßten. Paeschke schließt sich der negativen Diagnose von Einsiedels bezüglich der geistigen Situation in der Bundesrepublik an. Als Kern des Problems sieht er den Verlust an Weltanschauung, der durch den Krieg und die Nachkriegszeit hervorgerufen worden sei und unter den Geistigen ein gefährliches Vakuum hinterlassen habe. Deutschland stellt dabei für den Autor nur das Extrem dar, da es sich letztlich um eine umfassende abendländische Kulturkrise handele. Metaphorisch beschreibt Paeschke, wie im Nachkriegsdeutschland nicht nur wie 1918 die Formen zerbrochen, sondern auch die Inhalte zerstört worden seien. In diesem Zustand habe sich das Bedürfnis durchgesetzt, neue Formen zu übernehmen, statt sie aus sich selbst zu entwickeln. Durch diese Sichtweise wird wie schon zuvor in dem Beitrag von Wilhelm E. Süskind - erneut die These von der Restauration lebendig, die laut Paeschke eine »Pseudomorphose« (453) mit der Ordnung eingegangen sei. Im geistigen Leben der Bundesrepublik hätten sich daraufhin neue Energien nur rudimentär entwickeln können. Der Staat habe es in dieser Situation, wie bereits einige Beiträge des Bandes verdeutlicht hätten, nicht vermocht, integrierend zu wirken, sondern zur Versteinerung beigetragen, was schließlich alle Gegenkräfte wirkungslos werden ließ. Der daraus resultierende Ausfall von Polaritäten habe zum einen zu einem Verschwinden der Gegensätze geführt, zum anderen aber auch die Beziehungslosigkeit der verschiedenen Sphären vergrößert. Auch inhaltlich, zum Beispiel in den Wissenschaften, wird nach Meinung des Autors die Krise deutlich. Einzelne Disziplinen würden heute der Begrenztheit der eigenen Methoden gewahr und fänden im Kontakt mit anderen Wissenschaften kaum noch eine gemeinsame Basis. Nicht zuletzt bei den Künsten sieht der Autor das geistige Vakuum offenbar. Zum Beispiel werde der »Geist« in der zeitgenössischen Literatur stets als bedrängt dargestellt (464). Eine mögliche Hoffnung auf Änderung sieht

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Paeschke in seinem resignativen Fazit nur, wenn die Intelligenz, die er in Passivität und Leidenschaftslosigkeit verharren sieht, den Versuch unternähme, neue dauerhafte Grundlagen zu schaffen.

1.3. Bewertung der intellektuellen Rolle im ersten

Nachkriegsjahrzehnt

Eine sehr positive, vor allem aber auch bleibend wirksame Rolle spricht die 1 9 9 3 erschienene Untersuchung von BERNHARD GIESEN (19) dem Intellektuellen der Nachkriegszeit zu. Der Soziologe widmet sich im Nachwort seiner überaus erhellenden Studie den Intellektuellen als den Architekten der nationalen deutschen Identität der Nachkriegsphase. Als Ausgangspunkt für die Entwicklung des Intellektuellen nach dem Zweiten Weltkrieg sieht Giesen die Zerstörung der staatlichen Einheit. Die Diskreditierung der Idee des deutschen Nationalstaats und das Bemühen, sich von den Verbrechen der Vätergeneration zu distanzieren, habe eine Identifikation mit der Staatsnation zusätzlich erschwert. In dieser Situation sei die deutsche Identität nach Giesen wieder einmal auf eine kulturelle Begründung angewiesen gewesen. Zum Motor der Identitätsstiftung seien die humanitär bewegten Intellektuellen geworden, die sich - mit mehr oder weniger Unterstützung von Seiten des Bildungsbürgertums - vordringlich »der Auseinandersetzung mit dem Holocaust« (237) gewidmet hätten. Entgegen allen Thesen von der verdrängten Vergangenheit sieht Giesen die Nachkriegszeit durch die kompromißlose Abgrenzung von der Vergangenheit bestimmt, durch einen Neuanfang und eine Offenheit gegenüber der Zukunft charakterisiert, was schließlich auch zu einer dauerhaften Demokratie geführt habe. Neben der von den Intellektuellen auf dem Weg über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gestifteten kulturellen Identität tritt im westlichen Nachkriegsdeutschland nach Ansicht Giesens dann ein zweiter Code der nationalen Identität, der Code einer »ökonomischen (ideologiefeindlichen) Prosperität« ( 2 4 1 ) . Als Träger dieses Wirtschaftswunder-Codes macht Giesen das Kleinbürgertum aus, dessen Konsumzufriedenheit alsbald zum Gegenstand intellektueller Kritik geworden sei. Mit dem Aufeinandertreffen der beiden Träger nationaler Identitäten in der 68er-Bewegung beginnt für Giesen die Zeit einer zweiten Nachkriegsgeneration, deren Verhalten er im weiteren Verlauf seiner Arbeit untersucht. Weit weniger gelungen erscheint die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in dem sich ausschließlich diesem einen Punkt verschreibenden Aufsatz von ANKE-MARIE LOHMEIER (29). Die Untersuchung der intellektuellen Leistungen bei der Auseinandersetzung mit der Hitler-Zeit konzentriert sich auf die unmittelbare Nachkriegszeit und hier auf das Medium der Zeitschriften. Als größte Auffälligkeit und Gemeinsamkeit in der intellektuellen Deutung der Vergangenheit entdeckt Lohmeier ein immer wiederkehrendes Schema. Es setzt sich aus der Distanz und dem Führungsanspruch der Intellektuellen gegenüber der Gesellschaft zusammen, die als »gesichtslose Masse« (203) fremdbestimmter Individuen angesehen wird. Ihre eingeforderte Führungsrolle sehen die Intellektuellen nach Lohmeier nur durch die Massenmedien

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begrenzt. Die Sichtweise der »Vermassung« des Menschen, die diesen anfällig für Suggestionen und Unterwerfung gemacht habe, findet sich nach Lohmeier in allen politischen und weltanschaulichen Lagern und geht auf die Denktraditionen der konservativen Kulturkritik seit 1900 zurück. In vielen intellektuellen Stellungnahmen verknüpfe sich der Aspekt der »Vermassung« noch mit der Kritik an der Technologisierung der Gesellschaft und einer insgesamt skeptischen Einstellung zur Demokratie. Alle drei Komponenten seien schließlich zu den wichtigsten Konstituenten im intellektuellen Nachdenken über die Vergangenheit geworden. In der argumentativen Verwendung der drei Aspekte sieht Lohmeier dann aber deutliche Unterschiede. Nur für eine sehr kleine Gruppe sei das Vermassungsargument zum Anlaß und Ausgangspunkt einer kontinuierlichen Unterstützung des demokratischen Staates geworden. Die übrigen von Lohmeier differenzierten intellektuellen Gruppierungen hätten es als Exkulpation, Distanzierungsmittel oder für eine milde Selbstanklage verwendet. Nach der Untersuchung Lohmeiers hatten also die wenigsten Intellektuellen der unmittelbaren Nachkriegszeit auf die Fortführung der aufklärerischen Traditionen gesetzt, um die Vermassung und Verführbarkeit des Volkes zu verhindern. Bei dem Bestreben, in dem Verhalten der deutschen Bevölkerung Wandlungen herbeizuführen, hätten die meisten Intellektuellen vielmehr die Stärke »präskriptiver Unterweisungen« (215) favorisiert. Für HAUKE BRONKHORST (11) liegt die Bedeutung des Intellektuellen im Nachkriegsdeutschland in seiner erstmals in der Geschichte sichtbar werdenden modernisierenden, die alten kulturellen Kräfte begrenzenden Wirkung. In seiner polemischen Arbeit über die langsame und äußerst schwierige Institutionalisierung des Intellektuellen in der Nachkriegszeit arbeitet er die kulturelle Entwicklung nach 1945 unter Rückgriff auf die historischen Voraussetzungen auf. Die deutsche Tradition der »Mandarine«, unter der Brunkhorst die kulturelle Hegemonie einer Klasse der akademisch Gebildeten versteht, darunter in erster Linie Universitätsprofessoren aus den alten Philosophischen Fakultäten (15), währte nach Ansicht des Autors ungefähr von 1860 bis 1960. Damit sieht er in Deutschland bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts mit einer Gruppe von Geistigen eine konservative Kultur vorherrschen, die sich vor allem durch geistige Aristokratie, elitären Antiintellektualismus, metaphysischen Optimismus und die Ausgrenzung westlicher Ideen ausgezeichnet habe. Gedanken der Autonomie und der Aufklärung seien von ihnen sorgfältig unter Verschluß gehalten und ein Führungsanspruch des »exklusiven Geistes über den Ungeist der ungebildeten Massen« (77) legitimiert worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien ihre elitären Geistvorstellungen laut Brunkhorst nicht mehr haltbar gewesen, auch wenn es den alten kulturellen Eliten zunächst möglich gewesen sei, ihre Hegemonie zu behaupten. Die gelungene Demokratisierung sieht Brunkhorst im ersten Nachkriegsjahrzehnt auf den parlamentarischen Kernbereich beschränkt, aber mit der Kriegskatastrophe als Ausgangspunkt für eine »Kurskorrektur« (103) sei auch schon deutlich geworden, daß eine Ausgrenzung des »egalitären Intellektualismus« (120) dauerhaft nicht mehr möglich gewesen sei. Von den modernen Intellektuellen der Nachkriegszeit, insbesondere von den Exilierten, sei bald ein zunächst schwacher, aber beständiger kultureller »Modernisie-

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rungsdruck« (123) ausgegangen. Dadurch hätten sich in der Nachkriegszeit sowohl das zweifelhafte Bündnis von Nazis und Nazigegnern als auch die vom Antikommunismus unterstützten Verdrängungstendenzen korregieren lassen. Das antiprovinzielle und antirestaurative Wirken der Intellektuellen in der ersten Nachkriegsphase hat nach Meinung des Autors seinen Höhepunkt schließlich 1968 erreicht (131). Dies ist für Brunkhorst die wichtigste Zäsur der deutschen Nachkriegsgeschichte, da die alten geistigen Eliten nach etwa einhundertjähriger Vorherrschaft ihren Einfluß verloren hätten, bevor sie in den siebziger Jahren ins politische Leben zurückgekehrt seien.

1.4. »Bonn ist nicht Weimar« Die von Fritz Ren6 Allemann 1956 geprägte These »Bonn ist nicht Weimar«, die aus einem Vergleich des Weimarer mit dem Bonner Staatswesen resultierte und in den historisch-politischen Wissenschaften rasch konsensfahig wurde, erlangte auch in der Forschung über die Intellektuellen der Bundesrepublik einige Bedeutung. Seit die Intellektuellen der Weimarer Republik für den Untergang der ersten deutschen Demokratie mitverantwortlich gemacht werden, ist der Vergleich der intellektuellen Szene der Bundesrepublik mit der der Weimarer Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Immer stärker betont die Forschung dabei die Unterschiede im Verhalten der intellektuellen Kreise beider Demokratien. Schon 1948 spricht HEINRICH BECHTOLDT (3) in der Einführung zu dem von ihm zusammengestellten, zum Verständnis der damaligen Stimmung unter der literarischen Intelligenz hochinteressanten Sammelband davon, daß das Postulat nach dem Zweiten Weltkrieg im Unterschied zur Weimarer Zeit eindeutig auf einer »litterature engagee« (12) gelegen habe. Die Gemeinsamkeit der in dem Band versammelten sieben Autoren, deren Stellungnahmen eine Wiedergabe ihrer Reden auf dem zweiten deutschen Schriftstellerkongreß im Mai 1948 darstellen, liegt für ihn in der Erkenntnis, daß es »kein Zurück zum Gestern und noch weniger zum Vorgestern« (10) mehr gebe. Der Vorwurf der Esoterik und Weltflucht, der der Literatur nach dem ersten Weltkrieg gemacht worden sei, schlägt für Bechtoldt bei der Bewertung der gegenwärtigen Literatur geradezu ins Gegenteil um. WOLFGANG BERGSDORF rekapituliert in einem Aufsatz, der 1978 erschien (7) und 1982 erneut gedruckt wurde (8), die Rolle der Intellektuellen über einige Epochen hinweg; zugleich bietet er einen Vergleich der intellektuellen Szene in Westdeutschland nach 1945 mit der intellektuellen Szene in der Weimarer Republik. Bergsdorf sieht Unterschiede von grundsätzlicher Bedeutung. Nicht nur das nationalistische, auch das konservative Denken sei durch Hitler so gründlich diskreditiert worden, daß sich die Nachkriegsintellektuellen in der Phase der »Neubesinnung« und des »Aufbruchs« eher links orientiert hätten. Das gemeinsame Erleben des Scheiterns der Weimarer Republik habe es zudem ermöglicht, politische Gegensätze nach dem Krieg grundsätzlich zu entschärfen. Hinzu komme, daß die überwiegende Mehrheit der bundesdeutschen Intellektuellen im Gegensatz zu der Weimarer Intelligenz immer auf dem Boden der

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Verfassung gestanden hätte, eine Ansicht, die man auch schon 1968 bei MARTIN GREIFFENHAGEN (20, 40) oder nach SONTHEIMER (46, 1071) bei BURNS und VAN DER WILL (13, 5) wiederfindet. Bergsdorf nennt als weiteren wichtigen Unterschied zur ersten Nachkriegszeit die Totalität der Zerstörung, die 1945 auch von den Intellektuellen eine gewisse Solidarität verlangt habe. Zusätzlich hätten sie im Vergleich zu Weimar nach dem Zweiten Weltkrieg eine andere Autorität erlangt und ihrer Stimme in permanenten Debatten Gehör verschafft, weshalb Bergsdorf auch der These von einer saturierten, trägen bundesrepublikanischen Gesellschaft nachdrücklich widerspricht. Die politische Funktion der Intellektuellen, die darin liege, Kritik zu üben, werde laut Bergsdorf in der Bundesrepublik - zumindest theoretisch - nicht einmal mehr von den politischen Machthabern bestritten. Auch der Politologe SONTHEIMER (46) sieht das intellektuelle Klima von Bonn deutlich von dem in Weimar getrennt. In einem Aufsatz vergleicht er das Verantwortungsbewußtsein der Intellektuellen beider Republiken und kommt zu einem für die bundesrepublikanische Intelligenz erfreulichen Ergebnis. Die Intellektuellen von Weimar, die Sontheimer mit den Bezeichnungen »traditionelle Konservative«, »Neokonservative«, »Vernunftrepublikaner«, »Demokraten« und »Linksintellektuelle« in fünf Gruppen (1062f.) aufspaltet, seien nie mehrheitlich zur Verteidigung der Republik bereit gewesen, und insbesondere den Rechtsintellektuellen müsse eine ursächliche Verantwortung für das Scheitern der Republik zugeschrieben werden. Demgegenüber konstatiert Sontheimer für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine bedeutsame Wandlung der intellektuellen Szene. Zum einen seien nicht mehr die ideologischen Kämpfe der Weimarer Intelligenz, sondern ein antitotalitäres Engagement gegen Faschismus und stalinistischen Kommunismus kennzeichnend für das Verhalten der bundesdeutschen Geistigen. Zum anderen aber müsse als wichtigste Differenz »das weitgehende Verschwinden der Rechtsintelligenz« (1066) angesehen werden, die durch das katastrophale Ende der Naziherrschaft kompromittiert gewesen sei. Entgegen den Darlegungen von Sontheimer und Bergsdorf versucht FERin einem Aufsatz, einige, die Intellektuellen beider Republiken verbindende Momente herauszuarbeiten. Die aufgedeckten, die historischen Abläufe zum Teil vereinfachenden Parallelen erscheinen ihm dabei etwas zutage zu bringen, was er als »typisch deutsch« (206) bezeichnet. Im Gegensatz zu Frankreich sieht Hoffmann unter den Intellektuellen in Deutschland stärkere Berührungsängste und unversöhnliche Spaltungen. Zeige sich dies schon in Weimar, wo allenfalls die gemeinsame Ablehnung des Staates die Intellektuellen verschiedenster Lager eint, so sei auch in der Bundesrepublik zum Beispiel zwischen Vertretern der inneren und der äußeren Emigration keine gemeinsame Sprache zu erkennen. Ebenso wie die Weimarer Intellektuellen, die kein Parteien unterstützendes Engagement entwickelt haben, steht für den Autor auch das politische Engagement der neuen Schriftstellergeneration nach dem Zweiten Weltkrieg, als deren Exponenten Böll und Borchert genannt werden, jenseits der Politik der Parteien. Gleichzeitig erscheint ihm die Generation der deutschen Nachkriegsschriftsteller sowohl den Fragen nach humanen, christlichen oder an-

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deren höheren Werten fern als auch dem politischen Engagement im neuen Staat, eine Beurteilung, die angesichts der literarischen Zeugnisse eines Heinrich Böll erstaunen muß. Hoffmann sieht eine Einigkeit unter den Intellektuellen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs abermals primär in ihrer Gegnerschaft gegen den Staat manifestiert - diesmal mit dem Exponenten Adenauer. Für die sechziger und siebziger Jahre könne angesichts der in der literarischen Intelligenz vorherrschenden Protest- und Agitproplyrik, mit der erneut wie zu Zeiten der Weimarer Republik der »barbarische Schreckensstaat« (205) heraufbeschworen worden sei, für Hoffmann nur noch von einem »defekten« (206) Demokratieverständnis gesprochen werden. Er versucht aufzuzeigen, daß die Ablehnung des Staates durch die linksgerichteten Intellektuellen wie in Weimar das Resultat ihrer erneut unerfüllt gebliebenen politischen Träume gewesen sei. Dabei übergeht Hoffmann allerdings die Tatsache, daß sich auch die linksorientierte bundesrepublikanische Intelligenz stets im Rahmen der Verfassung bewegt hat und daß demnach - anders als in Weimar - Umsturzversuche keineswegs zu befürchten waren. Eine tatsächliche Parallele ist dagegen in der von Hoffmann konstatierten Ignoranz der Regierungsparteien gegenüber den Linksintellektuellen zu sehen. Allenfalls Brandt habe es nach Meinung des Autors geschafft, die Isolation und Frustration dieser Kreise der Intelligenz vorübergehend zu beenden. Nach all den aufgezeigten Parallelen und Kongruenzen muß den Leser das abschließende »Nein« Hoffmanns zur Frage: »Ist Bonn Weimar?« fast überraschen (207). Allerdings schränkt Hoffmann dieses Urteil durch die Feststellung ein, daß bisweilen Weimarer Zustände herrschten. Die Unterschiede manifestiert Hoffmann dann zuvorderst in der praktikableren Bonner Verfassung und nicht in dem Verhalten der Intellektuellen. Deren Lernvermögen gegenüber den Erfahrungen der Weimarer Republik bleibt für den Autor im Reich der Hoffnung angesiedelt.

2.

Von den ersten außerparlamentarischen Widerstandsbewegungen bis zum Beginn der Studentenproteste: 1956-1967

2.1. Politisierung der Intellektuellen: Protestbewegungen parteipolitisches Engagement

und

Ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre artikulierten sich die Spannungen zwischen den Intellektuellen und der politischen Sphäre immer häufiger auch in der Teilnahme an politischen Bewegungen und Protestaktionen. Die Forschung hat in einer Reihe von Arbeiten die »außerparlamentarischen« Bewegungen der Bundesrepublik untersucht. Zu erwähnen sind beispielsweise die beiden Monographien von HANS KARL RUPP (40) und KARL A. OTTO (38), die die Protestbewegungen von den Aktionen gegen die Wieder- und Atombewaffnung bis hin zu den Studentenprotesten chronologisch darlegen und analysieren. Auch die bereits erwähnte Untersuchung von Burns und van der Will widmet sich in einzelnen Kapiteln den ver-

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schiedenen Protestgruppen. Eine Monographie zur Entstehung, Zielsetzung und Heterogenität des Konflikts um die Notstandsgesetzgebung liegt mit der quellenintensiven Studie von MICHAEL SCHNEIDER (43) seit Mitte der achtziger Jahre vor. Die Arbeiten rekurrieren in ihren Darstellungen der historischen Ereignisse zwar immer wieder auch auf die Mitwirkung von intellektuellen Kreisen, erwähnen einzelne Intellektuelle namentlich oder erklären es, wie zum Beispiel Rupp, geradezu zum »soziologisch auffallendste(n) Merkmal« (274) der außerparlamentarischen Aktivität, daß in Fragen der Atombewaffnung SPDFunktionäre, Behördenangestellte, Kirchen und Arbeiter mit Universitätsprofessoren, Künstlern und anderen Intellektuellen gemeinsam in Aktion getreten seien, widmen den Intellektuellen aber keine gesonderte Aufmerksamkeit. Die Frage nach der Rolle und der Bedeutung des Intellektuellen innerhalb der verschiedenen Protestbewegungen bleibt in allen Arbeiten unbeantwortet, weshalb sie auch nicht zur Forschung über Intellektuelle im engeren Sinne gehören. Dieses Defizit der Forschung über Intellektuelle wird auch bei der Betrachtung von JÜRGEN SEIFERTS zweibändiger Dokumentation der Spiegel-Affäre deutlich. Nur der zweite Band (45) beschäftigt sich auf ganzen sechs Seiten mit den Reaktionen der Schriftsteller und Künstler. Dieses Mißverhältnis ist umso erstaunlicher, als die Affäre als wichtiger »Wendepunkt« (35, 85) im Verhältnis zwischen den bundesrepublikanischen Politikern und den Intellektuellen bezeichnet wurde. Erst in ihr und seit ihr hätten sich die Intellektuellen wirklich als »Gewissen der Nation« (72, 66) erwiesen. Neben der Teilnahme an den verschiedenen Protestbewegungen zeigt sich ein weiterer Versuch der intellektuellen Einflußnahme auf die bundesrepublikanische Entwicklung in der Hinwendung der Intellektuellen zur parteipolitischen Sphäre am Ende der fünfziger Jahre. Viele Intellektuelle sahen die Möglichkeit einer Änderung der Regierungspolitik primär an den Wechsel der führenden Akteure gebunden, weshalb sie zögernd begannen, die SPD zu unterstützen. Wie nur wenige Politiker hat der Sozialdemokrat CARLO SCHMID Ende 1 9 5 7 (42) in einer Rede über die »Intellektuellen und die Demokratie« unter dem Stichwort »hinein in den Staat« (31) ausdrücklich zum parteipolitischen Engagement der Intelligenz aufgerufen. Für Schmid liegt in der Abstinenz der Intellektuellen von der Politik eine wichtige Ursache für die »Gebrechlichkeit« (14) der Demokratie. Durch die Mitarbeit bei einer politischen Partei könne der Intellektuelle ein Helfer gegenüber dem Machtmonopol der InteressenVerbände sein. Grundsätzlich verhindert für Schmid das politische, besser noch parteipolitisches Engagement des Intellektuellen, sich ein zweites Mal schuldig zu machen (33). 1965 setzen sich dann zwei Arbeiten mit dem neuen parteipolitischen Engagement der Intellektuellen auseinander und hinterfragen hierzu kritisch die Haltung der beiden großen deutschen Parteien. Beide konstatieren für die CDU die Notwendigkeit, ihre Zusammenarbeit mit den Intellektuellen zu intensivieren. A N T O N BÖHM (10) beschäftigt in einem Aufsatz zunächst die Tatsache, daß trotz der »totalen Mobilmachung« (7) der Intelligenz die SPD abermals die Wahlen verloren hat. Diese Niederlage habe nach Meinung des Autors zu Erklärungsmustern von Seiten der Intellektuellen geführt, bei denen der Mangel an

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Selbstkritik auffällig sei. Statt ihre eigene Wirkungslosigkeit zuzugeben, sei von den Intellektuellen die Wohlstandsgesellschaft und die Geistfeindschaft des Regimes zur Rechtfertigung ihrer Erfolglosigkeit herangezogen worden. Die eigentlichen Ursachen ihres Mißerfolgs liegen für Böhm in einer Entfremdung der Intellektuellen vom Volk. Bislang hätten die Geistigen immer großen Wert auf Distanz zum Volk gelegt und sogar bisweilen dessen Bedürfnis nach Sicherheit und Wohlstand verspottet. Hinzu komme, daß die literarische Produktion der Wahlkampfschriftsteller keinesfalls populär sei und ihre politischen Vorstellungen sich zum Teil durchaus von der SPD-Linie entfernt hätten. Grundsätzlich bewertet Böhm das parteipolitische Engagement der Intellektuellen langfristig durchaus positiv und nutzbringend. Auch die Unionsparteien hätten nach Böhms Ansicht viele Anhänger in intellektuellen Kreisen, nur würde das oppositionelle Verhalten immer größere Beachtung finden als die Zustimmung. Grundsätzlich müßten sich die Parteien, insbesondere die CDU, stärker um Mitwirkung der Intellektuellen bemühen, da sonst eine größere Entzweiung von Geist und Macht und am Ende vielleicht sogar die Lähmung der Demokratie zu befürchten sei. JOHANNES GROSS (22) widmet sich in seiner Untersuchung zur Innenpolitik nach Adenauer in einem Kapitel dem Verhältnis zwischen der Union und den bundesdeutschen Intellektuellen. Dieses Verhältnis werde insbesondere von der CDU seit einiger Zeit als Problem betrachtet, was für Gross einen Beweis für die Krise ihrer Politik darstellt. Niemals habe sich Adenauer in seinen Erfolgszeiten um die Intellektuellen bemühen müssen, da er sich der Untersützung seiner Politik durch den Wähler stets sicher sein konnte. Heute fehlten der CDU nach Ansicht des Autors die großen Themen, ein Verlust an politischer Substanz und neuen Perspektiven sei zu konstatieren. Zwar werde die CDU nach Gross nie eine »Partei der Intellektuellen« (131) werden, aber eine fortlaufende Ignoranz gegenüber den intellektuellen Kräften könne sie sich auch nicht länger leisten. Daher empfiehlt der Autor der Union, Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu signalisieren, intellektuelle Kritik zu ertragen und zu prüfen und bei Auseinandersetzungen anstelle von Repressionen zu versuchen, den Intellektuellen auf der gleichen geistigen Ebene zu begegnen. In der rückblickenden Untersuchung von HELMUT MÜLLER (35) markiert die Zuwendung der Schriftsteller und Intellektuellen zu der SPD den Wendepunkt von den fünfziger zu den sechziger Jahren. Während in den fünfziger Jahren die Geistigen eine antiideologische Haltung als gemeinsame Basis gehabt hätten, sei in den sechziger Jahren das Bild der »freischwebenden Intellektuellen« (70) nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen. Bei allen Vorbehalten hätten die Schriftsteller und Intellektuellen jetzt Anlehnung an die SPD gesucht und damit aktiveren Anteil am politischen Geschehen genommen. Müller deutet die parteipolitische Aktivität der Intellektuellen als Zeichen, daß sie sich in der Bundesrepublik nun nicht mehr völlig heimatlos gefühlt hätten. Im weiteren Verlauf nennt der Autor mit der Spiegel-Affäre und dem Kampf gegen die Notstandsgesetzgebung wichtige neue »Kristallisations- und Wendepunkte« (85) in dem Verhältnis der Intellektuellen zur Regierungspolitik. Der Wunsch nach einem Wechsel sei mit beiden Ereignissen nur noch vehementer artikuliert und der

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Graben zwischen der politischen und geistigen Sphäre weiter vertieft worden. Diesen Zustand sieht der Autor schließlich auch für die bundesrepublikanische Entwicklung als bestimmend an. LANFER (27) datiert das stärkere politische Engagement der Intellektuellen erst auf den Beginn der sechziger Jahre und widmet sich in seiner Darstellung den Reaktionen der großen politischen Parteien auf diese neue Aktivität der Intelligenz. Das Verhältnis der Union zu den Intellektuellen sei in dieser Phase weiterhin von tiefen Gräben bestimmt gewesen. Es ist ihr nach Laniers Ansicht nicht gelungen, das Urteil ihres latenten Antiintellektualismus loszuwerden. Zum einen habe Erhards Anschauung, daß seine Politik für alle Richtungen akzeptabel sein könne, einen Dialaog mit den intellektuellen Kreisen von vornherein erschwert. Zum anderen habe die CDU auf das Eintreten der Intellektuellen für einen Regierungswechsel vorwiegend mit Enttäuschung und Verbitterung reagiert, was einer Verbesserung des Verhältnisses auch nicht eben günstig gewesen sei. Auch die SPD habe das Engagement der Intellektuellen für ihre Partei laut Lanfer nicht durchweg positiv bewertet, da vor allem einige Ziele der Intellektuellen nicht mit der offiziellen Parteilinie übereingestimmt hätten. Zu einem Bruch sei es aber nicht gekommen, weil Willy Brandt auch noch zur Zeit der Großen Koalition fortwährend integrierend und mäßigend gewirkt habe. So sei es der SPD gelungen, das Vertrauen und das Engagement der Intellektuellen über die Große Koalition hinweg zu retten, bevor mit Brandt als Kanzler ein neues Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte angefangen habe. Erst jetzt habe sich die Bundesrepublik nach Lanfer zu einer geistig pluralisierenden Gesellschaft entwickelt.

2.2. Utopiesucht und Entfremdung der Intellektuellen Zum Bild der Intellektuellen gehört der Befund, daß sie sich in der Krise befinden oder von einem massiven Krisenbewußtsein oder Krisengefühl befallen sind. In den frühen Nachkriegsjahren wurde die Ursache dafür primär im Glaubensverlust und in der gesellschaftlichen Isolierung der Intellektuellen gesehen. Für das Krisenbewußtsein der zweiten Phase wurde vor allem auf die wachsende Entfremdung der Intellektuellen von der Realpolitik und auf ihr Verlangen nach einer neuen Utopie verwiesen. In der Unsicherheit der Intellektuellen bei der eigenen Positionsbestimmung und ihrer Sehnsucht nach einer neuen umfassenden Weltanschauung glauben einige Forschungsarbeiten auch die Erklärung für die Hinwendung vieler Intellektueller zum Kommunismus zu finden. Der Begriff »Linksintellektueller« wird in der Forschung populär und fungiert sehr bald auch als Negativschablone, indem dieser Intellektuellentyp, wie ALFRED FRANZ 1965 (17) feststellt, zum primären »Sündenbock für Zeiterscheinungen« (283) erklärt wird. Von großem Einfluß auf die nachfolgenden Forschungsarbeiten ist die umfangreiche Monographie des französischen Intellektuellenforschers RAYMOND ARON (2) von 1957 gewesen. Unter dem Titel »Opium für Intellektuelle oder: Die Sucht nach Weltanschauung« leistet die Arbeit eine grundlegende Ausein-

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andersetzung mit der Ideologie des Kommunismus und den Beweggründen seiner intellektuellen Anhängerschaft. Befremdet fühlt sich der Autor von der Tatsache, daß die Intellektuellen die Schwächen der Demokratie kontinuierlich und unnachsichtig anklagen, während sie gegenüber den kommunistischen Verbrechen immerwährende Nachsicht üben würden. Im ersten Teil der Arbeit, der sich unter der Prämisse der Enttarnung von Mythen mit der kommunistischen Ideologie beschäftigt, kommt Aron zu dem Schluß, daß viele Grundaxiome der marxistischen Ideologie theoretische Konstruktionen ohne realen Beweis darstellen. Im Kommunismus sieht der Autor demnach eine Weltanschauung von Intellektuellen, die einzelne Führer zum Erreichen und Zementieren ihrer Macht mißbrauchen (109). Daß trotz der nachweislichen Schwäche der Ideologie viele Intellektuelle von ihr verführt würden, erklärt Aron im weiteren Verlauf seiner Untersuchung damit, daß sie als »extremste Form« der »rationalistischen und optimistischen Philosophie« den politischen Erwartungen der Intellektuellen einen »kohärenten Ausdruck« gibt (379). Aufgrund der »Entfremdung« (247ff.) von ihrer Zeit und ihren Zeitgenossen begännen die Intellektuellen einer Weltanschauung zu dienen, die im Namen der guten Lehre die größten Verbrechen verübte (9). Im Kommunismus glaube der Intellektuelle Anerkennung zu finden und die Verbindung zu einer Weltanschauung zu haben, die ihm Geborgenheit und immerwährende Aufgaben biete. Außerdem glaube er, daß durch die Annahme des Sozialismus der sinnentleerten Welt eine neue geistige Ordnung gegeben werden könne. Kennzeichnend für solche Intellektuellen ist nach Aron auch ein latenter Antiamerikanismus (277). Die führende westliche Macht könne die intellektuelle »Sehnsucht nach einer die Welt umfassenden Idee« (377) nicht erfüllen. Zudem beachte Amerika seine Intellektuellen nicht in ausreichendem Maße. Nach Aron ertrage der Intellektuelle aber eher Verfolgung als Gleichgültigkeit (278). Der Argumentation Arons von der Entfremdung und Utopiesucht der westlichen Intellektuellen folgten eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten, die sich mit der Situation des Intellektuellen in der Bundesrepublik auseinandersetzen. ERNST DEUERLEIN (14) zeichnet in seinem Aufsatz von 1958 in knapper Form die Entwicklungslinie einer deutschen Intelligenz, die aufgrund ihrer Neigung zum Utopismus und ihrer radikalen Kritik nach Kriegsende eine Außenseiterposition in der Gesellschaft eingenommen habe. Habe noch bis 1948 die soziale Not im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen gestanden, sei seitdem die Zeit- und Kulturkritik vorherrschend, die mit ihrer Unzufriedenheit Züge des europäischen Kulturpessimismus annehme. Durch die ausschließliche Konzentration auf die kritische Analyse sieht Deuerlein die Intellektuellen an den Rand der Öffentlichkeit gedrängt. In dieser Situation würden sozialistische Ideen unter den Intellektuellen erneut populär, während die Demokratieentwicklung in Deutschland immer stärkere Ablehnung erfahre. Viele Intellektuelle hätten in »antiwestlicher Verkrampfung« (50) steigende Sympathien für Moskau entwikkelt und verfolgten vollkommen unrealistische Pläne einer Annäherung zwischen Deutschland und Rußland. Deuerlein deutet diese Entwicklungen in Berufung auf Aron primär als Ohnmachtsreaktion der Intellektuellen. Als Ergebnis seiner Analyse sieht er die dringende Aufgabe, die »politisch heimatlose Linke«

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in die Gesellschaft zu integrieren, um die ideologische Vereinnahmung der deutschen Intellektuellen zugunsten der Sowjetunion zu verhindern (50). Einen Monat später veröffentlichte HORST DIEMEL (15) in der gleichen Zeitschrift einen Artikel mit dem provokanten Titel: »Stichworte zum Konformismus. Wer ist unpolitisch: das Volk oder die Intellektuellen?« Der Aufsatz, der in einem Vorwort als Ergänzung zu Ernst Deuerleins Stellungnahme angekündigt wird, stellt den Intellektuellen in erster Linie als Opfer seiner »politischen Weltfremdheit« (31) dar. Dieses Charakteristikum, das irrtümlicherweise immer dem Volk zugeschrieben worden sei, durchziehe die Geschichte des Intellektuellen schon seit der Paulskirchenbewegung von 1848 und habe immer wieder entweder in Zynismus als Ausdruck geistigen Hochmuts oder in Illusionen geendet. Nach Diemel trete insbesondere der »Linksintellektuelle«, den er von Ressentiments und Komplexen bestimmt sieht, zwar immer wieder mit Forderungen nach politischer Mitsprache auf, sei aber den Beweis für die Legitimität seines Anspruchs schuldig geblieben. Jetzt, Ende der fünfziger Jahre, profitiere der Kommunismus stark von der Gefühlsbetontheit und »Urteilslosigkeit« (34) der Intellektuellen, dem immer wieder Dogmen und Doktrinen den Blick auf die Konsequenzen verstellten. Auch PETER GRÖNWOLDT (21) und RICHARD LÖWENTHAL (28) sehen den Intellektuellen durch die hartnäckige Verfolgung utopischer Vorstellungen in einem scharfen Gegensatz zur Politik der Bundesregierung. Nach den realpolitischen Erfahrungen mit den kommunistischen Staaten, die für die Bundesrepublik in dem Mauerbau vom August 1961 kulminiert waren, wird aber nun von keinem der beiden Autoren die kommunistische Ideologie zum Vorbild der Intellektuellen erklärt. In GRÖNWOLDTS kurzer Analyse von 1965 befindet sich der Intellektuelle in einer unversöhnlichen Distanz zur Politik, in einer Antihaltung fern jeder sachlichen Analyse. Als Ursachen zieht der Autor neben dem Nachholbedürfhis an Kritik den unerfüllten Wunsch nach Mitbestimmung und Verwirklichung seiner Ideen heran. Zu seiner fortwährend mißtrauischen Haltung gegenüber der realen Entwicklung der Bundesrepublik und der damit verbundenen Treue gegenüber einer »illusionären Musterdemokratie« (796) sehe der Intellektuelle nach Grönwoldt keine Alternative. Der Autor hält nach seiner Analyse des intellektuellen Verhaltens den Vorwurf, der Intellektuelle sei ein »wirklichkeitsfremder Theoretiker« (797), durchaus für gerechtfertigt. Dabei könnte die unentbehrliche Aufgabe des Intellektuellen für die Demokratie in seiner »koordinierenden und kritischen Wirkung« (794) liegen, in der nüchternen, umfassenden Beurteilung des Zeitgeschehens. Den Weg zur Utopie zurückzufinden stellt für RICHARD LÖWENTHAL in einem Aufsatz von 1968 (28) das Hauptmotiv der Intellektuellen dar. Ihr Engagement, das in Verbindung mit einer radikalen Kritik an der Industriegesellschaft auftritt, sieht der Autor vor allem durch Verzweiflung und eine kulturpessimistische Haltung geprägt. Das intellektuelle Unvermögen, sich mit einer »glaubenslosen Industriegesellschaft« (32) abzufinden und alle Energien in die Verbesserung von Staat und Gesellschaft zu investieren, stellt für Löwenthal eine deutsche Tradition dar, die sich bis in die Zeit der Romantik zurückverfolgen lasse. Unter dem anonymen Zwang der Entwicklung zur Industriegesell-

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schaft habe auch der Intellektuelle sich den Gesetzen der Arbeitsteilung und Spezialisierung unterwerfen und damit mit seiner Einengung und Entfremdung fertig werden müssen. Aus dem Protest gegen diese Entfremdung sei schließlich die utopische und romantische Geisteshaltung im frühen 19. Jahrhundert geboren worden, die noch heute fortwirke. 1945 habe es dann zum ersten Mal eine engagierte Intelligenz in Deutschland gegeben, die »weder konformistisch den Machthabern folgte« (37) noch Staat und Gesellschaft abgelehnt habe, sondern im Rahmen der Institutionen verantwortlich und kritisch habe handeln wollen. Diese für den Autor äußerst lobenswerte Haltung der Intellektuellen sieht er von den Entwicklungen der letzten Jahre zugunsten einer Intelligenz verdrängt, die auf der Suche nach einem eigenen, geschlossenen Weltbild und einer politischen Aufgabe wieder an die »Traditionen der totalen Kritik, der Romantik und Utopie« (37) angeknüpft habe. Korrespondierend zu der idealtypischen Vorstellung von Gesellschaft, werte der Intellektuelle die Errungenschaften der westlichen Demokratien rundweg ab, da in ihnen keine Identität von Herrschenden und Beherrschten erreicht worden sei. Aus Enttäuschung über die ausbleibende Vermenschlichung der bundesdeutschen Gesellschaft und damit seiner Wirkungslosigkeit in ihr orientiere sich der Intellektuelle mit seinen »geschichts-philosophischen Gesamtlösungen« (38) heute immer stärker an den unterentwickelten Ländern. Hier würden die utopistischen Intellektuellen nach wie vor die Möglichkeit sehen, ohne die Entfremdungsmechanismen der westlichen Industriegesellschaften Modernisierungen durchzuführen.

2.3. Intellektuellenschelte Mit der sich steigernden intellektuellen Kritik an den bundesrepublikanischen Verhältnissen nimmt auch die kritische Sicht auf die Intellektuellen selbst in der Forschung zu. Eine ganze Reihe von zeitgenössischen Untersuchungen spricht nun im Anschluß an viele Ergebnisse der vorherigen Analysen der Haltung und den Motiven des Intellektuellen kaum noch positive Wirkungen zu. Nicht mehr die »Krise« des Intellektuellen steht als Zeitphänomen im Vordergrund, sondern vor allem die durch ihn verursachte Destruktion. Der zunehmende Antagonismus zwischen der intellektuellen Sphäre und der offiziellen Regierungspolitik wird nun in einer Reihe von Arbeiten primär den Intellektuellen angelastet und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zum Teil sogar als latente Gefahr bewertet. Den Auftakt in dieser Bewertung der intellektuellen Aktivitäten machte JOHANNES BINKOWSKI (9) 1 9 5 8 . In einem Aufsatz konstatiert er eine verstärkte politische Oppositionshaltung der Intellektuellen, die aber keinesfalls auf die politische Sachkenntnis der Intellektuellen zurückzuführen sei, sondern auf die Kompensation ihres Freiheits- und Ansehensverlusts (43f.). Neben ihrer Unzufriedenheit mit ihrer gesellschaftlichen Stellung wirkt nach Binkowski in ihrer Widerstandshaltung und ihrer Neigung zu utopischen Zielen auch noch die geistesgeschichtliche Entwicklung, der moralische Idealismus nach. Er habe zu einer Spaltung von Sein und Bewußtsein geführt und zeige sich noch heute bei

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den Intellektuellen vor allem in ihrer Beurteilung der politischen Sphäre (38). Ihr Unbehagen an der Politik der Bundesrepublik hat sich nach Auffasung des Autors enorm gesteigert, seit sie erkannt hätten, daß die Politik weder auf die Macht verzichten könne noch sich ohne weiteres in Moral auflösen lasse (39). Der Autor lastet die Verantwortlichkeit für die starren Fronten zwischen Geist und Macht in erster Linie den Intellektuellen an, während das Versäumnis der Politiker, die Geistigen zur Mitarbeit aufzurufen, allenfalls zur Verstärkung des Zustands beigetragen hätte (44). Schon weitaus schärfer verurteilt der deutsch-amerikanische Soziologe HELMUT SCHOECK (44) ein Jahr später das Verhalten von vielen Intellektuellen. In seinem polarisierenden Aufsatz sieht er durch eine »politisch hilflose« (321) Intelligenz bereits die Freiheit der westlichen Demokratien in Gefahr. Vor allem ihre verharmlosenden Analysen der politischen Situation tragen nach Auffassung des Autors zur Unterminierung der »realen und moralischen« Positionen des Westens bei. Daß der Einfluß des Kreml auf die amerikanische und deutsche Demokratie bereits spürbar sei, versucht Schoeck durch einige Beispiele aus den Telemedien und Zeitschriften zu belegen, in denen er westliche Politikvorstellungen zunehmend in Frage gestellt sieht. Der Soziologe unterstellt den seiner Meinung nach »übersensitiven« (304) Intellektuellen zudem eine große Naivität im Umgang mit der sowjetischen Macht. Sie glaubten noch ernsthaft daran, daß sich Ost und West kommunikativ annähern könnten, was ihm selbst vollkommen illusionär erscheint. Die darüber hinaus anziehende Wirkung der kommunistischen Ideologie führt der Autor auf die »Ehrfurcht« (307) gegenüber einem vermeintlich geschlosseneren und dynamischeren System zurück. Aus einem »ästhetisierenden Minderwertigkeitskomplex« (307) heraus hingen die Intellektuellen fortwährend Wunschvorstellungen nach, ohne dieselben an der Realität zu überprüfen. Durch ihre Haltung, die Schoeck abwertend als »Intellektualismus« oder »Masochismus des Abendlandes« (325) bezeichnet, sieht er den Kreml sogar in der Lage, die gesellschaftliche Zielsetzung der westlichen Demokratien zu manipulieren, also nachhaltigen Einfluß auf deren weitere Entwicklung auszuüben. Auch in den im gleichen Jahr veröffentlichten polarisierenden Ausführungen v o n JOSEF ZÖLLER (51) w i r d d e r Intellektuelle m i t s e i n e r » S t a a t s f r e m d h e i t « u n d

»politischen Heimatlosigkeit« (43) zum Verursacher des Konflikts erklärt. Unter Rückgriff auf den Stand der Intellektuellenforschung versucht Zöller eine Begriffsbestimmung des Intellektuellen, die deutlich abwertende Tendenzen enthält. Vor allem die den vorhandenen soziologischen Definitionen angefügten »philosophischen« (48) Kennzeichen intellektuellen Denkens nehmen sich mehrheitlich negativ aus. Der Intellektuelle verschließe sich jedem objektiven Ordnungsbild, sein Denken sei subjektivistisch, ichbezogen, idealistisch, kritizistisch, realitätsfremd und nehme mechanistische Züge an (49). Sein letztlich ungeordnetes Weltverständnis verbreite er dann überall in der Welt und erreiche mit seiner Unruhe eine große Publizität, die Zöller im umgekehrten Verhältnis zu seinem Wirken durch geistige Beiträge sieht. Für den Autor sind die Intellektuellen als »schwärmerische Sektierer« (48) Außenseiter der Gesellschaft geworden.

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Dieser Polemik gegen Intellektuelle widersprach einige Zeit später WALTER DIRKS (16), der Herausgeber der Frankfurter Hefte. Er diagnostizierte als ein beherrschendes Element zur Durchsetzung politischer Ziele und Ansichten das Mittel der Diffamierung. Darstellungen wie die des »Denunzierers« (29) Zöller dienten nach Auffassung Dirks' nicht einer sachlichen Verständigung, sondern der Vereinfachung der politischen Fronten. Viele Intellektuelle in der Bundesrepublik würden beispielsweise einfach in das kommunistische Feindbild integriert, um die bestehenden Machtverhältnisse, gegen die dieselben ankämpften, zu zementieren. Intellektuelle Kritik an den bestehenden Verhältnissen sieht Dirks aber in jeder Hinsicht gerechtfertigt und einer demokratischen Ordnung angemessen, solange es den Intellektuellen um die Wahrheit und nicht um materielle und persönliche Interessen gehe. der sich im gleichen Jahr in einer Monographie mit den Verdiensten der Intellektuellen auseinandersetzt und zur Erläuterung seiner These vom engen Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung und dem geistigen Zustand der Intellektuellen neben historischen Spiegelungen auch auf die wichtigsten Forschungspositionen rekurriert, verweist auf die Beispielhaftigkeit des Konflikts zwischen Zöller und Dirks. Beide nähmen in der Definition der angemessenen intellektuellen Aktionsweise unterschiedliche, exemplarische Positionen an. Während sich die Haltung von Dirks in der Bejahung einer intellektuellen Kritik als »Movens und Reizmittel der freien Gesellschaft« (95) ausdrücke, solle die kritische Analyse nach Zöller allenfalls eine »vorsichtige Korrektur der Wirklichkeit« (96) anstreben. Noack macht deutlich, daß das Ideal seiner Meinung nach gerade zwischen den beiden Extremen - der bedenkenlosen Verteidigung von Staatsautorität und der hemmungslosen Kritik an ihr - anzusiedeln sei (97ff.). PAUL NOACK (36),

Mit der Forschungskontroverse zwischen Zöller und Dirks war die negative Bewertung intellektuellen Verhaltens noch keineswegs an einem Ende angelangt. Als ein zentraler Beitrag in der relativierenden, vornehmlich negativen Beurteilung des Intellektuellen muß ARNOLD GEHLENS (18) Münchner Rede im April 1964 angesehen werden, die bald darauf in der Zeitschrift Merkur veröffentlicht wurde. Der Soziologe Gehlen beginnt seinen Vortrag mit einer Festlegung der Fronten, das heißt, er umreißt zunächst die Gruppe der Intellektuellen definitorisch. Für ihn sind »Intellektuelle« diejenigen, »die die Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes handhaben, im Schwerpunkt also die Publizisten und engagierten Schriftsteller« (404). Anschließend aktiviert er die Errungenschaften der bundesrepublikanischen Demokratie, angesichts derer die wachsende Aggressivität der Intellektuellen doch erstaunlich sei. Zur Erklärung ihres »gebrochenen Verhältnisses« (410) zu allen staatlichen Institutionen erklärt der Autor, einige objektive und strukturelle Ursachen heranziehen zu wollen. Der Intellektuelle stehe heute unter der Belastung, sich in ein zunehmend komplexer werdendes dynamisches Weltsystem integrieren zu müssen, ohne selbst noch handelnd eingreifen zu können. Aufgrund des riesigen Informationsflusses sei sein Bewußtsein - wie das anderer Menschen auch - dabei kontinuierlich überfordert. In dieser »geistig tief entmutigende(n), frustrierende(n) Lage« (407) neige der Intellektuelle verstärkt zu ideologischen Meinungs-

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Schablonen, die ihm helfen würden, Informationen unter einer bestimmten Perspektive zu ordnen. In Berufung auf Max Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik sieht Gehlen im Intellektuellen von heute ausschließlich den Gesinnungsethiker, vor dessen Idealen die Wirklichkeit immer defizitär erscheinen müsse. Das daraus resultierende »Anmoralisieren anderer« (409) könne sich der Intellektuelle aber nur erlauben, weil er keine Verantwortung zu tragen habe. Gehlen verurteilt jede Stellungnahme der Intellektuellen, die ausschließlich der Kritik verhaftet bleibe und die keinen Beitrag zur Verbesserung der Situation darstelle, sondern primär das intellektuelle Streben nach Macht artikuliere. Da Hauptleistung der Intellektuellen in der Vergangenheit in der Zerstörung von Privilegien und Tabus bestanden habe, sei ihnen nun in der »radikale(n)« (412) Demokratie jegliche Aufgabe genommen. Da der Geist in der heutigen Zeit nicht mehr »nobilitiert« (412) sei, müsse auch das gesellschaftliche Prestige der Intellektuellen als rückläufig angesehen werden. Nicht zuletzt aus dieser Frustration heraus würden sie ihre Kritik immer radikaler artikulieren. Nach dieser scharfen Kritik kommt allerdings eine überraschende Wende: Gehlen spricht sich ausdrücklich für eine Zusammenarbeit zwischen politischer und intellektueller Ebene aus. Sollte dies nicht bloße Rhetorik sein, so dient die Aufforderung wohl vor allem einer dauerhaften Bindung der Kritiker an die staatliche Autorität. Neben der inhaltlichen Analyse sind es vor allem die Wortwahl und der Ton, mit denen Gehlen die kritische Intelligenz knapp zwei Jahre nach der SpiegelAffäre herabstuft und provoziert. Die vielen kritischen, bisweilen empörten Reaktionen auf Gehlens Beitrag, die der Merkur zwei Hefte nach dem Abdruck von Gehlens Rede veröffentlicht, dokumentieren die polemische Wirkung seiner Ausführungen (18). Namen wie Rudolf Augstein, Rüdiger Altmann, Hans Erich Nossack und Rolf Schroers belegen, daß sich vor allem die von Gehlen angesprochenen »Publizisten und Schriftsteller« zur Replik aufgerufen fühlen. Während die meisten einfach versuchen, argumentativ eine Gegenposition zu Gehlen zu finden, und sich vor allem kritisch mit Gehlens Definition des Intellektuellen und seiner Beschreibung von den intellektuellen Aufgaben in der Gesellschaft auseinandersetzen, antwortet Rudolf Augstein auf Gehlens polemische Rede ebenfalls mit einer Polemik. Zum einen konterkariert er Gehlens Befund, die Intellektuellen hätten ein gebrochenes Verhältnis zu allen Institutionen, mit der These, daß die politischen Institutionen selbst Anlaß zur kritischen Distanzierung gäben und ihrerseits den Intellektuellen mit Vorbehalten begegneten. Zum anderen greift Augstein den Soziologen auch persönlich an: Sarkastisch bemerkt er, daß es für ihn doch ein »seltsames Erlebnis« sei, einen »bedeutenden Geist des 20. Jahrhunderts auf prästabiliert a-demokratischen Bahnen kreisen zu sehen« (655). Wenn Gehlen politische Tatbestände untersuche, könne man sicher sein, »daß ein vom Leser zu ziehendes Resümee auf Abschaffung aller seit 1789 gewordenen Volksherrschaften zielen müßte« (655). In der Tradition der Intellektuellenschelte steht auch der Forschungsbeitrag von ALBERT WOOPEN (50), der in kurzer Form die intellektuelle Rolle von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Bundesrepublik der sechziger Jahre reka-

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pituliert. Als Ergebnis dieses historischen Rückblicks stellt der Autor die Unfähigkeit der bundesrepublikanischen Intellektuellen heraus, aus den Erfahrungen und Kenntnissen früherer Epochen dazuzulernen und ihre Chancen sinnvoll zu nutzen. Die Abwendung vom Staat und die Anfeindungen gegenüber der Republik, die schon das Verhalten der Intellektuellen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik bestimmt hätten, hätten sich in der Bundesrepublik nur noch verstärkt. Die intellektuellen Forderungen und ihre Kritik an dem bundesrepublikanischen Staat betrachtet Woopen mit ironischem Unterton, der diskreditierend wirkt. Da die Bundesrepublik bisweilen den Intellektuellen nicht genügend Angriffsflächen biete, sieht der Autor ihren Bedarf an Kritik durch den Rückgriff auf verschiedene Begriffsschablonen erweitert. Zusätzlich entwertet Woopen die intellektuellen Vorwürfe, indem er ihren Urhebern illegitime Beweggründe unterstellt. Die Kritik der Intellektuellen sieht er vor allem von »latenter Staatsfeindschaft« (38) und dem durch die Diktaturerfahrungen bedingten »Nachholbedarf an Zivilcourage« (39) bewegt. Durch die Verurteilung der Bundesrepublik unter dem Stichwort der »Restauration« hätten sich die Intellektuellen ein Kritikfeld konstruiert, das es nach Meinung des Autors gar nicht gebe (39). Woopen sieht die Intellektuellen letztlich vor allem von ihrer Ohnmacht bestimmt, die beklagenswert, aber auch von ihnen selbst verschuldet worden sei.

2.4. Blick auf die Intellektuellen und ihre Zukunftsperspektiven am Ende der zweiten Phase Am Ende der zu untersuchenden Zeitspanne existieren in der Forschung zwei diametral entgegengesetzte Positionen hinsichtlich der gegenwärtigen und zukünftigen Rolle des Intellektuellen. Die eine Seite sieht in dem Intellektuellen den Zukunfts- und Hoffnungsträger, der ganz zentral wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllt und weiterhin erfüllen wird, die andere dagegen erklärt ihn zum Protagonisten einer fortwährenden Sprach- und Wirkungslosigkeit. Der Wiener Schriftsteller, Journalist und Kulturorganisator WOLFGANG KRAUS, der auch in der kulturellen Szene der Bundesrepublik von sich reden machte, vertrat mit seiner 1966 veröffentlichten Monographie (25) eine positive Bewertung des Intellektuellen. Zu Beginn seiner Arbeit, in der die intellektuelle Rolle in den pluralistischen Staaten mit der in kollektiven Gesellschaften kontrastiert wird, stellt der Autor a priori fest, daß niemals die Wirksamkeit, die Wichtigkeit und die allgemeine Präsenz des Intellektuellen so ausgeprägt gewesen seien wie heute (46). Ohne speziell auf einzelne Nationen einzugehen, eröffnet Kraus in seiner Arbeit die Perspektive auf die Intellektuellen als weltumfassenden fünften Stand. Dieser werde fern jeder bisherigen Klassenkategorien und politischer Konventionen »einen neuen Stil der Zusammengehörigkeit« schaffen (53). Kraus gelangt in seiner Darstellung, die bisweilen stark utopistische Züge annimmt, zu der Vorstellung von einer Weltrevolution der Intelligenz, die alle ideologischen Erstarrungsformen zwischen den Blöcken Ost und West durchbrechen kann und über die verschiedenen Länder hinweg eine Ver-

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ständigung erreicht. Am Ende dieser Entwicklung sieht Kraus alle Ideologien entwertet und die gesellschaftlichen Kräfte dazu bereit, sich an den neuen Stand der Intellektuellen, den »fünften Stand«, zu wenden und ihre individuelle Haltung und Denkweisen zu übernehmen. Für Kraus basiert diese Haltung auf der harmonischen Synthese der westlichen Fähigkeit zur Rationalität und - im Sinne der osteuropäischen Mystik - auf der Offenheit für das Unendliche (127). Ein ähnlich positives und positivierendes Bild des Intellktuellen in der Bundesrepublik zeichnet im selben Jahr der 1932 geborene und dem Jesuitenorden angehörende Publizist GÜNTHER SCHIWY (41). Schiwys dreiteilige Arbeit, bestehend aus einer beschreibenden Definition des Intellektuellen, der Festlegung seiner gesellschaftlichen Funktionen in der Bundesrepublik und einem abschließenden Fazit, führt zu einer Metapher, in der sich die gegenwärtige Bedeutung des Intellektuellen offenbart. Für Schiwy ist der Intellektuelle das »Salz« (61) der Gesellschaft, ohne das diese nicht lebensfähig sei. Der Autor scheint in seiner Darstellung mehr einer Wunschvorstellung als einer realistischen Betrachtungsweise des Intellektuellen zu folgen. Zu idealistisch und altruistisch erscheint das Bild der Intellektuellen mit ihren gesellschaftlichen Aufgaben. Schon bei der beschreibenden Definition des Intellektuellen bemüht er alle Positiva, von der die gesellschaftliche Intelligenz - im Idealfall - bewegt sein könnte. Nach Schiwy agiert der Intellektuelle aus einer inneren Berufung heraus. Seine Handlungen entsprängen einem Verantwortungsgefühl für das Ganze, und sein Ziel sei einzig, den Menschen glücklicher zu machen. Der Intellektuelle als »Anwalt des einzelnen Menschen und der Menschheit« (26) verkörpert für Schiwy eine humanistische Grundhaltung. Dieses »Berufsethos« (26) sieht Schiwy heute von den kommunistischen Intellektuellen verraten, da sie zu Funktionären einer Ideologie geworden seien. In der Wohlstandsgesellschaft der Bundesrepublik wird der Intellektuelle aufgrund seiner vielfältigen Funktionen unentbehrlich. Zum einen müsse er immer aufs neue die Entwicklungen in Frage stellen und durch die Entwerfung von Utopien Alternativen zur bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bereithalten. Schiwy sieht den Intellektuellen dabei immer aus Sorge um alle Menschen bewegt. Durch seinen Protest und seine Aufklärungsbestrebungen verhindere der Intellektuelle zum anderen die Manipulation und Konzentration von Meinungen. Weitere bedeutende Tätigkeitsfelder für die Geistigen sieht Schiwy in der nach wie vor notwendigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, dem Eintreten für ein humanistisches Bildungsideal, der Aufklärung über die Folgen eines schrankenlosen Materialismus und der Hilfestellung bei der Annäherung an andere Staaten. Der oppositionelle Intellektuelle ist Schiwy zufolge ebenso wichtig wie der politische Funktionsträger: Beide halten durch ihre voneinander getrennten Aufgaben die Demokratie am Leben; dem Intellektuellen komme es zudem auch noch zu, die Demokratie durch seine »Kraft zur Synthese« (59) fortlaufend zu humanisieren. Ganz anders stellt sich die Situation des Intellektuellen in der Bundesrepublik am Ende der sechziger Jahre für KARL M A R K U S MICHEL dar. Der Mitarbeiter des Kursbuchs veröffentlichte 1968 einen aus drei Teilen bestehenden

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Essay (32) unter der Überschrift »Die sprachlose Intelligenz«, dessen einzelne Teile bereits seit 1965 in verschiedenen Nummern des Kursbuchs erschienen waren. Für Michel stellen die Intellektuellen in dieser Phase der bundesrepublikanischen Entwicklung ein Auslaufmodell dar. Ihr revolutionäres Potential sei aufgebraucht, ihre Angriffe gegen die Gesellschaft seien unwirksam und gleichfalls zum Konsumgut verkommen. Die Haltung der Intellektuellen, die nach Darstellungen Michels heute durch politische Ersatzbefriedigungen oder völlige Distanz zur Politik bestimmt wird, stellt primär eine Rückzugsbewegung dar, wird zum Ausdruck ihrer Wirkungs- und Sprachlosigkeit. Zur Erklärung dieses Zustandes blickt der Autor zunächst auf die Phase der Revolutionen von 1789 und 1917 zurück, bevor er sich dem Zustand des Intellektuellen in der Nachkriegszeit widmet. Die Revolutionen von 1789 und 1917 sind für Michel die Werke von Intellektuellen. Bei beiden sieht Michel die Bedingungen für eine erfolgreiche Durchführung noch nicht erfüllt, weshalb sie nur mit Unterdrückung funktioniert hätten. Auch die Intellektuellen haben dabei nach Michel immer wieder den Anschluß an die Mächtigen gesucht und sich durch sie korrumpieren lassen. Viele hätten aber auch begonnen, über ihre eigene Rolle innerhalb dieser Umwälzungen zu reflektieren, zum Beispiel mit Fragen, wer überhaupt zum Entscheidungsträger legitimiert sei und welchen Sinn der Kampf für eine Wahrheit habe, wenn derjenige, den diese Wahrheit betreffe, sie gar nicht kenne. Die intellektuelle Schicht, die die Revolutionen initiiert, bleibt letztlich von der Masse, auf die die Revolution zielt, entfremdet. Michel sieht die Intellektuellen dieser Revolutionen damit in Aporien befangen, die noch lange im 20. Jahrhundert nachwirken. Nach den Erfahrungen des Faschismus sieht Michel die Intellektuellen in der schmerzlichen Erkenntnis, daß Umwandlungen anscheinend umso effektiver sind, je weniger Vernunft und Humanität beteiligt werden. Sie seien nun ihrer »konkret-utopischen« (61) Ziele beraubt und durch die zunehmende Emanzipation der gesellschaftlichen Wirklichkeit von der kritischen Reflexion anscheinend auch ihrer Aufgaben. Nach Michel wird damit eine neue Aporie der Intellektuellen geboren, die er im folgenden weiter untersuchen möchte, die Aporie der »sprechenden und doch sprachlosen Intelligenz« (62). Zur Grundaussage des zweiten Teils seiner Untersuchung, die zur Lage der Intellektuellen im Jahr 1965 führt, wird für Michel der Rückzug und das Versagen der Intellektuellen. In ihren Äußerungsformen sieht Michel die Intellektuellen primär von einer Distanz zur Politik bestimmt. Wenn sie sich, besonders die junge Generation, doch einmal gegen die Entwicklungen zur Wehr gesetzt hätten, sei es in Form einer liberalen Kritik erfolgt, die allenfalls den Staat und seine politischen Organe in Frage stelle, aber kaum das System im ganzen. Diese Kurzsichtigkeit macht für den Autor das Versagen der Intellektuellen aus, deren Welt bald zum intellektuellen »Ghetto« (76) und deren Kritik zur Institution geworden sei. Ihre Wirkungslosigkeit führt der Autor auch auf die schon immer vorhandene Selbstüberschätzung der Intellektuellen zurück, die sich als »freischwebend« (80) empfänden und das Volk ständig kritisierten. Daß mit diesem »Mangel an wirklichem Engagement, an Liebe« (91) das Volk nicht mehr zu erreichen sei, hat sich für Michel in den Wahlen von 1965 bestätigt.

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Die Intellektuellen sind nach dem Urteil des Autors also in keiner Weise mehr die Agenten dynamischer Veränderungen. Die Ironie liegt für Michel aber darin, daß sie sich trotzdem weiter an die Illusion klammern, daß das menschliche Interesse doch noch verwirklicht werde und damit ihre Mission nach wie vor vorhanden sei. Dieser Glaube werde nur heute von ihnen introvertiert und zum Glauben an sich selbst und ihre Unabhängigkeit umgeformt. Durch ihren Rückzug und die Fixierung auf nicht mehr revolutionäre Utopien tragen sie nach Michel letztlich zur Zementierung des Bestehenden bei. Den dritten Teil seines Essays beginnt Michel mit der provozierenden Feststellung, daß die Bedeutungslosigkeit der Intellektuellen einen Grad erreicht habe, daß sie genauso gut nicht existieren könnten. Einen Ausweg sieht Michel nur, wenn der Intellektuelle die Rolle eines Analytikers akzeptieren würde und primär durch eine aktive Teilnahme und ohne Gereiztheit an der gesellschaftlichen Entwicklung teilnähme. So könnte nach Michel eine »Diskussionsgemeinschaft« (156) entstehen, in der ohne Heilungsgarantie gesellschaftliche Widersprüche ausgetragen würden und der Wandel als »permanente Revolution« (157) erfolgen könnte. Die hier vorgestellte Forschung über das Wirken der bundesrepublikanischen Intellektuellen bis 1967 ergibt am Ende eine heterogene Gesamtschau hinsichtlich der Bewertung ihrer Situation, Rolle und Intentionen. Während die Intellektuellen in den ersten Jahren nach Kriegsende vielfach zu primären Hoffnungsträgern stilisiert wurden, die in einem geistigen und politischen Vakuum neue Fundamente und Perspektiven aufzeigen sollten, erfährt die intellektuelle Rolle in der konsolidierten Bundesrepublik eine durchaus ambivalente Bewertung. Der Intellektuelle ist nicht mehr ausschließlich Motor gesellschaftlicher Progression und Liberalisierung, sondern auch eine der Weiterentwicklung entgegenstehende, realitätsferne Kraft, die nicht nur eine notwendige politische Entscheidungsfindung aus Eigennutz hemmt, sondern aufgrund ihrer Anfälligkeit für ideologische Konzepte destruiert. Von der Forschung weitgehend unbeantwortet bleibt die Frage nach dem Anteil und der Bedeutung intellektueller Teilnahme an den verschiedenen »Massenprotestbewegungen« der fünfziger und sechziger Jahre; die vierbändige Protest-Chronik von WOLFGANG KRAUSHAAR (26), die eine beeindruckend dichte chronologische Sammlung der oppositionellen Aktivitäten in der Bundesrepublik bis 1959 bietet, kann dabei allen weiterführenden Arbeiten als Ausgangsbasis dienen. Das Defizit einer profunden Bewertung des oppositionellen intellektuellen Verhaltens ist umso bedauerlicher, da die Beschäftigung mit dieser Frage auch ein päziseres Bild vom Beitrag der Intellektuellen zur Entwicklung der politischen Kultur in der Bundesrepublik verspräche. Darüber hinaus verdienten auch die transnationalen und internationalen Beziehungen und Aktivitäten bundesdeutscher Intellektueller durchaus eine nähere Betrachtung in der Forschung.

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Birgit Pape

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Roman Luckscheiter

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In den Jahren nach 1968 war die Auseinandersetzung mit dem Thema »Intellektuelle« zumeist eine Auseinandersetzung mit der sogenannten »Neuen Linken«, die sich zu einem großen Teil aus der Außerparlamentarischen Opposition formiert hatte. Mit den Intellektuellen sind in dieser Zeit in erster Linie die Studenten und ihre Theoretiker gemeint. Der Blick der Analysen ist meist auf die Folgen der Studentenbewegung für die politische Kultur der Bundesrepublik nach 1968 gerichtet. Auffallend ist die Tendenz, eindeutige Stellung zu beziehen und die Intellektuellen mit Verve zu kritisieren oder ebenso vehement zu verteidigen. Im Zusammenhang mit dem Terrorismus wird in den siebziger Jahren die Frage diskutiert, inwieweit Utopien auch zur Gewalt führen können, inwieweit sie also in die Verantwortung für gesellschaftliche Fehlentwicklungen genommen werden können. Ein Aspekt, der sich schon in der Beschäftigung mit der Rolle der Literatur in den sechziger Jahren aufgedrängt hatte, schlägt bald auch in der Intellektuellendebatte zu Buche: das Engagement. Im Mittelpunkt steht hier die Frage, ob bzw. wie der Konflikt zwischen Denken und Handeln gelöst werden könne. Im Zusammenhang mit dieser Frage wird auch das Verhältnis der Intellektuellen zu den politischen Parteien erörtert. Spätestens in den achtziger Jahren aber kommt, begleitet von allgemeiner »Katastrophenrhetorik«, das Gefühl auf, ein Engagement mit dem Ziel der Veränderung der Gesellschaft habe gar keinen Sinn mehr, weil man sich bereits am Ende der Geschichte, im »Posthistoire« befände. Der Begriff »Intellektuellenforschung« muß für das vorliegende Kapitel etwas weiter gefaßt werden: Zur Rolle der Intellektuellen in der Bundesrepublik liegen hauptsächlich Artikel vor, die den streng wissenschaftlichen Rahmen verlassen, essayistisch formuliert sind und zum Teil die Polemik nicht scheuen. Strenggenommen hat man es hier mit einer publizistischen, meist feuilletonistischen Debatte zu tun.

1. Religiosität und Romantik: Die »Neue Aufklärung« in der Kritik Die Debatte über die Intellektuellen nach 1968 war gekennzeichnet von dem Bemühen, den aktuellen Zeitgeist zu erfassen, das Selbstgefühl der Intellektuellen zu definieren und ihre Exponenten bestimmten Diskursen zuzuordnen. Zur gegenwärtigen Situation der deutschen Intelligenz verfaßte der 1913 geborene Schriftsteller HANS EGON HOLTHUSEN einen Beitrag für die Sommerkurse des Goethe-Instituts 1969. Die »neue Ideologie«, die unter den »jüngeren Kräften«

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herrsche, nenne sich die »Neue Aufklärung« (12, 9). Im Kampf gegen Traditionen sei sie wie keine intellektuelle Strömung zuvor von soziologischen und politischen Fragestellungen beherrscht. Ihre Leitfigur sei Bertolt Brecht und nicht mehr Gottfried Benn. Als »Bibel der Neuen Aufklärung« (13) bezeichnet Holthusen Das Prinzip Hoffnung (1959), das Hauptwerk des Philosophen Ernst Bloch. Dem »stark entwickelten Selbstgefühl« der jungen Generation, ihrem politischen Moralismus und insbesondere ihrem antifaschistischen Pathos, steht Holthusen mehr als skeptisch gegenüber. Für ihn zeichnen sich daran Züge einer Religiosität ab, die dem aufklärerischen Anspruch entgegenstünde. Die »Neue Aufklärung« führe sich zudem dadurch ad absurdum, daß ein Teil von ihr, der radikale Flügel der Studentenschaft, eine »Erziehungsdiktatur« als Voraussetzung einer »herrschaftslosen« Gesellschaft propagiere (14f.). Im Kampf gegen moralisch-politische Traditionen, so klagt Holthusen, sage sich die Neue Linke von der deutschen Geschichte los. Dieser prononcierten Unverbundenheit sei es zuzuschreiben, daß das Selbstverständnis der Deutschen unter einer Identitätskrise leide (17). Eine soziologisch orientierte Kritik an der Neuen Linken äußert der Philosoph ARNOLD GEHLEN in den Neuen deutschen Heften 1970. Die Studenten dienen Gehlen als Beispiel für die Weltfremdheit der Intellektuellen. Aus Mangel an Realitätssinn würden sie - Don Quijote ähnlich - gegen Gewerkschaften, Banken, Industriekonzerne anrennen, ohne sich klarzumachen, daß sie auf Umwegen gerade von ihnen ihren Unterhalt bezögen. Mit wachsender Deutlichkeit werde bewußt, wie die Industriegesellschaft mit ihren inneren Vernetzungen einen biologischen Charakter bekäme und die Programmierung ihres Wachstums in sich selbst trage, und so sei es eine Illusion zu glauben, als Intellektueller etwas in Bewegung setzen zu können. Für Gehlen ist es kaum überraschend, daß sich angesichts der komplexen »Großereignisse« und »Großzustände« »zwangsartig abstrakte Ideen« und »fanatische Formelgläubigkeit« einstellen würden (8, 8f.). Formeln von der Veränderung der Gesellschaft erwiesen sich als bloße Gebetsmühlen, ihr Hochmut als Kompensationsmittel von Ohnmachtsgefuhlen. Nichtsdestoweniger würden sich die Intellektuellen neben den Experten als neue Klasse herausbilden, als privilegierte Gegenaristokratie, die Segen stiften und Ächtungen verhängen könnte, da sie über eine größere Öffentlichkeitsmacht verfüge als die Experten (13f.). Stellungnahmen von Vertretern der Konservativen, wie Holthusen und Gehlen sie repräsentieren, wurden von den Angegriffenen als symptomatischer Ausdruck einer grassierenden »Intellektuellenfeindlichkeit« gedeutet. Die Kritik am fragwürdigen Verhalten und Denken einiger Intellektueller aus der Neuen Linken rief rasch Kritik an der Kritik hervor. Eine der zahlreichen Ehrenrettungen kam von dem Schriftsteller PAUL SCHALLOCK und auch bei ihm spielt der Unterschied zwischen den »zwei Kulturen«, zwischen Geist und Technik, Intellektuellen und Experten, eine argumentative Rolle. Die Rede von den zwei Kulturen geht zurück auf einen in Deutschland stark rezipierten Vortrag des englischen Schriftstellers Charles Percy Snow mit dem Titel Die zwei Kulturen Folgen der Beziehungslosigkeit zwischen Natur- und Geisteswissenschaften (1959). Schallück wirft den Intellektuellenkritikern vor, mit zweierlei Maß zu

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messen. Bei den Experten, so Schallück, denjenigen »Weltverbesserern, die sich Techniker, Städteplaner, Politiker nennen«, sei man nicht so kritisch im Hinblick auf ihre Mittel wie bei den Intellektuellen, also denjenigen »Weltverbesserern, die sagen, die Welt müsse verbessert werden« (23, 5114). Den Vorwurf, die Intellektuellen seien »Utopisten«, weist er als unqualifiziert zurück, weil es ohne intellektuelle Utopien »kein konkretes, humanes Denken« gebe. Auch der Vorwurf, die Intellektuellen wollten wie einst in Weimar »der Demokratie an den Kragen«, beruhe auf einer immensen Überschätzung ihres Einflusses (5112). Im Gegenteil sei eine grassierende Geistfeindlichkeit in der Bundesrepublik zu verspüren. Daß man in einer Gesellschaft lebe, die Intellektuelle als Utopisten belächle, sei zum Teil allerdings auch den Intellektuellen selbst zuzuschreiben. Zu viele von ihnen verhielten sich laut Schallück noch zu passiv und angepaßt, anstatt Zivilcourage zu zeigen (5115). Es gelte, sich gegen Tendenzen zu wehren, die den Dichter auf Innerlichkeit und Überhöhung des Alltags verpflichteten. Wer dem Intellektuellen die Analyse verwehre, verurteile ihn zu inhumaner Ohnmacht (5118). Wie Schallück macht auch der Literaturkritiker JOACHIM KAISER in der Bundesrepublik seit dem Erstarren der APO-Revolte eine »intellektfeindliche Stimmung« aus. Kaiser spricht gar von einer »geistfeindlichen Ideologie«, verortet sie aber in einem anderen Lager als Schallück. Diese Ideologie wolle nichts davon wissen, daß es zur Aufgabe des Intellektuellen gehöre, »den Sinn unpopulärer Anstrengungen zu erläutern«.Wenn nach dem »Einfachen«, dem »Klaren« und dem »Mühelos-Verständlichen« gerufen werde, wenn zwischen Substantiellem wie großer Dichtung und »Texten« wie Diskussionsbeiträgen kein Unterschied mehr gemacht werden dürfe, dann sei dies das Resultat einer »anti-geistigen, banausenhaften, vermeintlichen Demokratisierung« (15, 143). Das ist ein Angriff auf die »anti-individualistischen Motive« der Linksradikalen ebenso wie auf Politiker jeder Couleur. Kaiser kommt zu der erstaunlichen Feststellung, daß die »anti-intellektuelle Animosität« selbst in der AdenauerÄra nicht so stark gewesen sei wie in der Zeit um und nach 1968 (138). In den Beiträge von Gehlen, Schallück und Kaiser kommt immer wieder das Phänomen zum Ausdruck, das der Rechtssoziologe und -philosoph HELMUT SCHELSKY insgesamt unter dem Kapitel »Widerstreit von weltlicher und geistlicher Herrschaft in einem modernen Gewände« anführen würde. In seinem für Furore sorgenden Buch Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen (1975) geht er davon aus, daß der Protest der »jungen Rebellen« Anzeichen eines Strukturwandels gewesen sei (25, 12). Diesen Strukturwandel hatte Daniel Bell 1973 als »nachindustrielle Gesellschaft« bezeichnet, deren Hauptproblem er in den »heftige[n] Spannungen zwischen der [...] institutions- und gesetzesfeindlich ausgerichteten Kultur und der von Wirtschaftlichkeitsdenken beherrschten, technokratisch gesteuerten Sozialstruktur« sah (Daniel Bell: Die nachindustrielle Gesellschaft. Frankfurt am Main, New York 1975, S. 53). - Laut Schelsky kommt der Information in der sich anbahnenden neuen Gesellschaft eine immer größere Bedeutung zu. Er folgert (ähnlich wie Gehlen), daß sich daraus auch eine neue Klasse von Sinnund Heilsvermittlern bilden werde (14), die in einem neuen Klassenkampf die

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Macht erobern wolle. Da dieser Klassenkampf-Charakter ihrer Bemühungen aber verborgen bleiben solle, hielte die »neue Klasse« die Fronten des alten Klassenkampfes ideologisch in aller Härte aufrecht. Erstaunlicherweise meint Schelsky (ähnlich wie Holthusen), daß die neue Klasse nicht für eine politischsoziale Ideologie kämpfe, sondern vielmehr eine neue gesellschaftliche Religion verkünde (15). Diese Religion - die Schelsky als Anzeichen einer gesellschaftlichen Reprimitivisierung betrachtet - stehe für die Diffamierung von Leistung und für die Verlagerung der Lebenssinngebung in die Freizeittätigkeiten (181). Angriffsziel der »sozialen Heilslehre« seien die Konkurrenten Wissenschaft und Technik, die politischen Parteien sowie die christlichen Kirchen (154ff.). Wenn sich deutsche Schriftsteller als typische Vertreter dieser neuen Klasse engagierten, dann mit der Absicht, politische Herrschaft in der Kulturwelt zu erlangen, die als entscheidender Herrschaftsraum etabliert werden solle (130). Als besonderes Machtinstrument bezeichnet Schelsky die Sprache der »neuen Klasse«. Der Jargon der Frankfurter Schule (»integrative klassenspezifische Leerformeln«, 246) beispielsweise hätten das Gegenteil einer »herrschaftsfreien Kommunikation« bewirkt (239). Die Formen der neuen Herrschaft seien »Belehrung«, »Betreuung« und »Beplanung« (367). Die Soziologie erweise sich dabei als Schlüsselwissenschaft, in ihrer Gefolgschaft übernähmen Pädagogen (254), Theologen (300) und Publizisten (331) Willensbildung und Meinungsführung. Für schief, irreführend und unfruchtbar hält dagegen der Politologe RICHARD LÖWENTHAL (1975) Schelskys These von der »Priesterherrschaft« der Intellektuellen. Die »Sinnvermittler« seien weder eine herrschende, noch eine ausbeutende Klasse, sondern überhaupt keine Klasse, da Einfluß noch nicht Macht bedeute. Zudem stellten Frankfurter Schule und die neue Pädagogik das autonome Individuum in den Mittelpunkt, welches eine »Heilsabhängigkeit« vom Vermittler gar nicht zulasse. Auch gebe es keine Tendenz zu hierarchischen Organisationen unter den Intellektuellen {18, 806f.). Der Bedarf an Diesseitsreligionen und Heilskündern sei nicht als »Anfang einer neuen Kultur, sondern [als] ein Symptom und [als] ein Faktor der Zersetzung der alten gesellschaftsformenden Glaubensinhalte« zu verstehen. Das Entscheidende sei auch nicht, daß die Welt komplexer geworden sei; vielmehr fehle es an dem Vertrauen, daß sich die komplexen Zusammenhänge in eine sinnvolle Richtung entwickeln würden (815). Daraus erkläre sich auch der passive Rückzug von Teilen der Jugend in den Drogenkult. Die Sinnkrise der westlichen Gesellschaften sei mit der Kulturkrise der Renaissance vergleichbar, die mit der »Transformation der Verhaltensnormen und Institutionen unter Erhaltung der zugrundeliegenden Werte« einhergegangen sei (819). Noch sieben Jahre später wird Löwenthal Zustimmung von Jürgen Habermas bekommen, der ihn ausführlich zitiert, um die »Behauptung einer Priesterherrschaft der Intellektuellen« durch die »Neokonservativen« zu kritisieren. Wenn diese der Akademisierung, Bürokratisierung und Verrechtlichung kulturrevolutionäre Absichten unterstellten, verwechselten sie die Ursachen (nämlich »gesellschaftsstrukturelle Veränderungen«) mit den Folgen, um einen Vorwand für ihre »Mobilisierung mittelständischer Ressentiments« ( ! ) zu haben. Ansonsten belege Dietz Berings Studie über den Begriff des Intellektuellen (Stutt-

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gart 1978), daß Intellektuellenkritik vom Schlage Schelskys nichts Neues sei (Jürgen Habermas: Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik. In: Merkur 36 (1982), Η. 11, S. 1047-1061). Auch KURT SONTHEIMER (1976) hält die Rede vom Klassencharakter der kritischen Intelligenz, von dem Schelsky ausgegangen war, für nicht angemessen. Er sieht in den Intellektuellen eher eine Art »Sprachgemeinschaft«, ohne jedoch diesen Begriff zu gebrauchen, der erst einige Jahre darauf von Gouldner eingeführt wird. In Das Elend unserer Intellektuellen gibt Sontheimer zu bedenken, daß sich Intellektuelle in allen sozialen Klassen befänden {29, 267). Ihr Einfluß sei zwar seit den sechziger Jahren stärker geworden, doch sei er immer noch begrenzt. So habe der Aufstand der linken Intellektuellen am Ende der sechziger Jahren die Institutionen verunsichert, ohne aber letztlich die realen Strukturen der Gesellschaft »zu Bruch« zu kritisieren. Einer der wesentlichen Vorwürfe Sontheimers an die Intellektuellen lautet, daß diese Verunsicherung völlig unnötig gewesen sei. Sie setzten die verantwortlich Handelnden einem ständigen Zweifel an der Legitimität und Sinnhaftigkeit ihres Tuns aus und hielten, wie Enzensberger es 1967 formuliert hatte, die Bundesrepublik für »irreparabel« - obwohl die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung zufrieden sei (273). Der Einbruch linker Theorie in den sechziger Jahren habe durch Polarisierung und Re-Ideologisierung den Grundkonsens gefährdet und am Abbruch der gesellschaftlichen Wertvorstellungen gearbeitet (288): Das Elend unserer Intellektuellen [...] ist, daß sie [...] ihre Funktion mit teilweise unredlichen intellektuellen Mitteln und in einer engagierten Attitüde wahrnehmen, die der offenen und freien geistigen Auseinandersetzung konträr sind und tendenziell die freie geistige Kommunikation abtöten. (276)

Statt sich mit dem politischen System westlicher Demokratien zu identifizieren, so Sontheimer, suchten die Intellektuellen neue Identifikationen in Randgruppen und Befreiungsbewegungen (284). Er hebt hervor, für wie bedenklich er diese Tendenz hält: linke Intellektuelle, deren typischen Vertreter er in Jürgen Habermas sieht, wiesen eine »starke Empfänglichkeit« für die Idee einer Weltordnung aus einem Guß und einem Prinzip auf (281). Ein Jahr später meldet sich RICHARD LÖWENTHAL (1977) noch einmal zur Intellektuellenthematik zu Wort und gibt seinem Erstaunen darüber Ausdruck, wie die bestehenden Institutionen es vermocht hätten, die einstigen Revolutionäre - bis auf wenige Ausnahmen - zu integrieren. Er zeigt sich aber wie Sontheimer erschrocken, daß große Teile der Intellektuellen der zweiten Nachkriegsgeneration die westlichen Werte und mit ihnen die westlichen Gesellschaften in toto verurteilt hätten (18, 130). Diese Anpassungsverweigerung sei Symptom einer Kulturkrise des modernen Westens, wie sie »zuerst in dem zerstörerischen Ausbruch des Nationalsozialismus geschichtsmächtig geworden ist« (129). Die Wurzel der Kulturkrise, die die Intellektuellen nur artikulierten, nicht aber hervorriefen, sieht Löwenthal im Gefühl des Sinn- und Bindungsverlusts. Wenn es an überzeugten und überzeugenden Vorbildern fehle und Verhaltensregeln nur mehr äußerlich angenommen würden, bringe das eine gefahrliche Ich-Schwäche mit sich. Daher sei es die dringende Aufgabe der Intellektuellen, die grundlegenden Werte des Westens durch Erneuerung zu erhalten (136).

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Im selben Jahr tritt HELMUT SCHELSKY ( 1 9 7 7 ) auf dem Salzburger Symposium Abschied von Utopia? Anspruch und Auftrag der Intellektuellen auf und bekräftigt seine Ansichten über die »Intellektualisierung der Welt« (26, 168). Da die Politiker glaubten, Regierungsmacht zu gewinnen, wenn sie die intellektuellen Institutionen auf ihrer Seite hätten, würden die Politiker sich der Intellektuellenmentalität anpassen und nicht mehr von konkreten Leistungen sprechen, sondern Wertbekenntnisse abgeben, Utopien entwerfen und Publicity-Persönlichkeiten herausbilden ( 1 6 1 ) . Erfahrene Geschichte, Traditionen und Gedächtnis würden von den Intellektuellen ausgelöscht ( 1 7 0 ) . Schelsky nennt das die »Entfremdung des Menschen durch die Intellektuellen« (168) und wendet damit einen Begriff, den die Linke in den sechziger Jahren zur Legitimation ihres Protests gebraucht hatte, gegen sie selbst. Während sich Sontheimer und Löwenthal aus unterschiedlichen Gründen gegen die Idee einer »Klasse« von Intellektuellen aussprechen, schildern GYÖRGY KONRAD und IVAN SZELENYI in ihrem Buch Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht (1978), wie ihrer Meinung nach die Klasse der Intelligenz gestärkt aus dem Kampf mit dem Kapital um den Legitimationsanspruch hervorgehen werde. Einer der wenigen Berührungspunkte mit den Thesen Schelskys besteht also darin, daß auch Konrad/Szelönyi davon ausgehen, die Intelligenz werde sich zu einer Klassenmacht entwickeln. Ansonsten geht ihre Argumentation in eine andere Richtung. Sie entwerfen ihr Gesellschaftsbild ausdrücklich in der Marx'schen Terminologie, was eine kritische Haltung bei ihnen jedoch nicht verhindert: Den Autoren zufolge speist sich das Denken der Neuen Linken im kulturellen Bereich aus der Romantik, in der politischen Ideologie aus dem utopischen Sozialismus. Daß die Intelligenz eine »teleologische Mission« und pädagogische Wirkungskraft beanspruche, komme also nicht von ungefähr; da die Intellektuellen ihre Werke auf dem freien Markt nicht verwerten könnten, schmiedeten sie ihre »moralische Waffe«. In den Künstlerghettos der Großstädte sei so die frühe intellektuelle »Gegenkultur« entstanden, die den Rahmen für künstlerischen und politischen Aufruhr gegeben habe (16, 109f.). Die angefeindete »Antikultur« des »staatsmonopolistischen« Kapitalismus biete einer intellektuell-künstlerischen Gegenkultur aber erst die Existenzgrundlage, indem er der Freiheit des Individuums in der »Kulturindustrie« ein »Reservat« zugestehe (126). Daß sich die Intellektuellen an diesen Mechanismus angepaßt und ihrerseits den Charakter von Kapitaleigentümern eingenommen hätten, zeigen die Autoren am Beispiel der Studentenbewegung. Diese sei der Ausdruck dafür gewesen, daß man sich in den «Fabriken der Wissenschaft» nicht habe entfremden oder proletarisieren lassen, sondern das Monopol auf ein eigenes Wertesystem und »transkontextuell orientiertes Wissen« habe erhalten wollen (122f.). Diesen geistigen »Monopolbetrieb« bezeichnet ALVIN W . GOULDNER in seinen »16 Thesen zur Zukunft der Intellektuellen« mit dem Titel Die Intelligenz als neue Klasse 1980 als hermetische »Sprachgemeinschaft« (9, 55) und macht ihr ähnliche Vorwürfe, wie Schelsky sie formuliert hatte. Die Neue Klasse pflege die Kultur des »kritischen Diskurses« unter Verwendung explizit vereinbarter Bedeutungen. Nicht durch »Kontextsensitivität« oder »Kontextvariabilität« zeichne sie sich aus, sondern durch Theorizität (56). Die »Grammatik« des kriti-

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sehen Diskurses beanspruche, Uber Handlungen und Ansprüche aller sozialen Klassen und aller Machteliten zu Gericht zu sitzen (106). Die Angehörigen der Neuen Klasse könnten so zu »Zunftmeistern einer unsichtbaren Pädagogik« werden (57). Auch Gouldner zählt die Romantik zu einem der Fundamente ihrer Ideologie. Romantische und populistische Elemente der Neuen Linken führten zur Ideologie der Ökologie, ihre elitistischen Züge fänden sich in der Systemtheorie verwirklicht (78). Auftretende Ohnmachtsgefühle würden kompensiert durch die Suche nach mehr Solidarität, mehr Gruppenzugehörigkeit, weniger Vereinzelung (142). Dabei bilde sich mitunter ein politischer Radikalismus, der eine Art Überkompensation betreibe und gewalttätig werde. Als wichtige Quelle für diesen Radikalismus und den bewaffneten Terrorismus von Teilen der studentischen Jugend führt Gouldner das wachsende Überangebot gut Ausgebildeter in den späten sechziger Jahren an. Während die Führer der Bewegung tatsächlich durch ideologische Erwägungen motiviert gewesen seien, habe das »Gefolge« vor allem aus Teilen der gut ausgebildeten Jugend ohne Berufsaussichten bestanden (119).

2. Die Intellektuellen zwischen Engagement und Ideologie Gruppenaktivismus als Kompensation - das ist eine These, die sich immer wieder in den Analysen intellektuellen Engagements um und nach 1968 findet. Der Frankfurter Soziologe HORST BAIER untersucht 1970, wie gemeinsame Revolutionsideen und »akute Kampfsituationen« in besonderem Maße der gruppenbildenden Solidarisierung dienten. Che Guevaras Experiment des Guerillakampfes sei nicht nur ein Exempel für Kaderbildung, sondern auch für das »bereits zum literarischen Topos gewordene Bild des Intellektuellen: der Partisan mit dem Gewehr in der Hand und dem Buch im Tornister« (5, 174). Im Kontrast zur vorherrschenden Zweckrationalität entwickle der »handlungsfrustrierte, aber gedanklich expandierte« Intellektuelle »Tendenzen zur futurologischen Spekulation« und Utopien; verabsolutieren sich diese Utopien aufgrund mangelnder »Denkkontrolle« oder »Denkführung« unter Intellektuellen, so entwickelten sie laut Baier eine deutliche Tendenz zum »militanten Aktivismus«, der sich zum Teil auch in »Selbstzerstörung« auswirke (177) - beides Tendenzen, mit denen sich die Intellektuellen der siebziger Jahre dann tatsächlich verstärkt auseinandersetzen mußten. Für den Publizisten FRITZ J. RADDATZ hat das Engagement des Intellektuellen zunächst den Sinn, Unordnung in Ordnungen hineinzutragen und Hierarchien durch Anarchien zu irritieren (22, 318). Es gehöre zur Verantwortung des Intellektuellen, der Gesellschaft »vorzuträumen«, denn ein Mensch, der nicht träumt, werde verrückt, und eine Gesellschaft, »der nicht vorgeträumt wird«, werde »wahnsinnig« (322). Der Mensch, so Raddatz, verkümmere zusehends, wenn nicht auch der Skandal der »Überlebenschancen, die statt Lebenschancen angeboten werden«, durch die Intellektuellen »herausskandiert« würde (325) und zwar mittels Büchern, quasi den »Taten« des Intellektuellen. Sein Plädoyer

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für den engagierten Intellektuellen schließt eine Kritik an den Studenten des Pariser Mai 1968 mit ein: Sie hätten nach handgreiflichen Taten verlangt, hätten den klassischen Intellektuellen als Ideenlieferanten abgelehnt und statt eines partikularistischen Intellektuellen einen universalen gefordert. Dabei hätten die Taten, denen ihr eindeutiges Primat galt, »dringend der intellektuellen Überprüfung bedurft«. Das Resultat ihres spontaneistischen Konzepts sei ihre Erfolgslosigkeit gewesen. Begleitet waren die verschiedenen Formen des 68er-Aktivismus von Idolen und Vordenkern. Zu ihnen gehörte in den siebziger Jahren unzweifelhaft Jean Paul Sartre, so daß in Untersuchungen zum intellektuellen Engagement sein Name nur selten fehlt. Der Schriftsteller JEAN AMERY stellt 1976 auf einem Salzburger Symposium Sartre als leuchtendes Vorbild und Gegenpol zum »neuen Irrationalismus« dar, den er im Strukturalisten Claude L6vi-Strauss verkörpert sieht. Ihm wirft er vor, daß seine Mythologica in unverantwortungsvoller Weise zur Zivilisationsmüdigkeit beitrage und darüber die Verpflichtung des Intellektuellen gegenüber den »rationalistisch-moralischen Universalien« schändlich vernachlässige (4, 97). Beispielhaft sei Sartre, weil er die Orientierung an moralischen Universalien nie aufgegeben und die Pflicht des Intellektuellen nie verraten habe (100f.). Darin sei er ein zweiter Julien Benda. Zu einer gänzlich anderen Beurteilung Sartres, gerade im Bezug auf Julien Benda, kommt 1 9 7 9 der Publizist HEINZ ABOSCH. Nach der Lektüre von Julien Bendas Der Verrat der Intellektuellen stellt er fest, inwiefern dieses Buch noch immer von großer Aktualität sei. Abosch zitiert Benda mit den Worten, daß es sich um Verrat handele, wenn sich ein Intellektueller in den Dienst einer politischen Partei stelle und sich von zeitlosen Problemen abwende. Zur Entstehungszeit sei das vor allem gegen Maurras und die »Anbeter des französischen Nationalismus« gerichtet gewesen; jetzt aber, so Abosch, scheine es so, als ob diese Schrift »vor allem gegen Sartre und das revolutionäre Engagement« gerichtet sei (2, 284). Die politische Leidenschaft habe zwar die Couleur gewechselt, das Wesentliche aber bliebe unverändert ( 2 8 1 ) . Sartre als eine Art Heiliger der Neuen Linken wurde vor allem auch jenen zum Ziel der Kritik, die das institutionsunabhängige Engagement, das er vertrat, als Konkurrenz zu ihren sozial engagierten Institutionen betrachteten. PATRICK MCNAMARA konstatiert in seinem Beitrag zum Sonderheft »Intellektuelle« der katholischen Zeitschrift Concilium (1975) ein steigendes Interesse an »Aktionen jeder Art«, an Engagement »in der Welt«. Er beklagt, daß der Intellektuelle daher immer weniger Gründe sehe, sich den Interessen einer Institution wie der Kirche zu widmen (20, 2 3 ) . Der Theologe HEINZ ROBERT SCHLETTE untersucht im dem Heft den Erfolg von Jean Paul Sartre: Für seine Anhänger sei er bereits zu einem Denkmal geworden, für seine Gegner zumindest zu einer Institution, die man nicht antaste. ANDREW GREELEY beklagt ebenda, daß auch Denkmodelle »sakrosankt« werden könnten. Nur durch die »überwältigende Brillanz« des marxistischen Denkens sei beispielsweise zu erklären, daß das marxistische Denkmodell »trotz seines abgrundtiefen Versagens gegenüber der wirklichen Welt« immer noch eine starke Anziehung ausübe (10, 31). Unter Intellektuellen herrsche die Fertigkeit, Denkmodelle zu entwerfen und gleichzeitig Worte zu

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manipulieren. Das Publikum neige dazu, diese verbale Wendigkeit dann mit Urteilskraft und Kreativität zu verwechseln und meine, Kritiker als bedürftige Unwissende oder als lebensunwerte Böse zurückweisen zu können (33). Vorwürfe an politisierte Intellektuelle machte auch MANES SPERBER 1 9 7 7 geltend. Manchmal verhelfe der Elan der Utopisten zwar dazu, allmählich jene Änderungen zu bewerkstelligen, die das Leben sinnvoll gestalten können (32, 67). Dennoch müsse in Erinnerung gerufen werden, wie viele Intellektuelle, die es »mit der Menschheit besonders gut meinten«, dem Stalinismus lange die Treue bewahrt hätten (61). Dies sei um so bedenklicher, als diese Intellektuellen erheblichen Einfluß auf junge Menschen ausübten. Diese würden von ihren utopistischen Lehrern zum Haß erzogen, was dazu führe, daß sie sich in ihrer Verblendung tatsächlich in einer Gesellschaft der »repressiven Toleranz«, der »Manipulation« und der »Entfremdung« wähnten, aus der sie nur mit Gewalt ausbrechen zu können glaubten (62). In der Diskussion um Sartre zeichnete sich eine Polarisierung ab, die geradezu symptomatisch für eine verstärkte Dogmatik unter den Intellektuellen (aber auch ihren Kritikern) ist. Inmitten einer sich immer stärker differenzierenden Gesellschaft bildete sich offenbar die Tendenz, klare Positionen zu beziehen und die eigenen Utopien als die einzig wahren zu verkaufen. Die Gefahr der messianistischen Wirkung intellektueller Utopien analysiert 1978 die Literaturwissenschaftlerin GERTRUD HÖHLER. Politisches Engagement von Intellektuellen betrachtet sie, ganz wie Benda, als Preisgabe der Kritikerfreiheit. Indem der Intellektuelle seine Position politisiere, verlasse er den »Freiraum des erkenntnishungrigen Analytikers« (11, 17). Auch Höhler stellt fest, daß der Zeitgeist ein »Dämon der Bekenntnisse« geworden sei - vor allem die linken Intellektuellen zwängten sich in ein »terminologisches Korsett«, in die Abstraktion von Theorien und Ideen, die ihnen zur Ideologie gerieten. Doch gerade das mache offenbar ihren Erfolg aus: »Linke Theorie deckt bei Jugendlichen auf ideale Weise beides ab: Grundbedürfnis nach Aufklärung und Verankerung der irrationalen Heilshoffnung« (37). Die Folgenlosigkeit linker Theorien spiele dabei keine Rolle, da sie nicht moralisch, sondern »ästhetisch« rezipiert würden (34). Während der Linke den »Intellektuellentitel für sich gewinnen konnte«, befänden sich die konservativen Intellektuellen, die prinzipiell keinen eschatologischen Ausblick und keine Ordnungsentwürfe für das Chaos bieten könnten, im Dilemma (53). Die Fähigkeit, Nonkonformismus und Pluralismus in das eigene Denken zu integrieren, sei jedenfalls großenteils abhanden gekommen (69). Polarisierung statt Pluralisierung - diese Tendenz beobachtet und kritisiert auch KURT SONTHEIMER. Er vergleicht 1 9 8 2 die Rolle der Intellektuellen in der Bundesrepublik mit derjenigen in der Weimarer Republik und kommt zunächst zu dem Schluß, daß die Situation eine »ganz andere« sei: die Bundesrepublik sei faktisch weit weniger autoritär und weniger traditionsbelastet als die Weimarer Republik (30, 1067). Erst durch die Erschütterungen der Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre habe die geistige Situation der Bundesrepublik allerdings »einige Züge angenommen, die auch der Weimarer Republik eigen waren« (1070): sie sei »polarisierter« und zugleich »wirrer« geworden. Das Eindringen des Marxismus in das politische Denken der deutschen Intelligenz

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habe den antitotalitären Konsensus spürbar gelockert und so zu geistigen und politischen Polarisierungen geführt. Ein Teil der liberalen Intelligenz habe sich daraufhin zu »neuen Konservativen gemausert«. Doch die linke Intelligenz habe es verstanden, »sich als die wirkliche Verteidigerin der demokratischen Republik und ihrer Werte zu stilisieren« (1069). An ihrer Unfähigkeit, politisch mehr zu tun, als den bestehenden Verhältnissen - die gar nicht so schlecht seien - die Utopie einer besseren Welt entgegenzustellen, und an ihrer Kontraproduktivität stellt Sontheimer einige Parallelen zur problematischen Rolle der Linksintelligenz in der Weimarer Republik fest (1070). Der Politologe WOLFGANG BERGSDORF lenkt 1982 schließlich den Blick auf eine andere Komponente des komplizierten Verhältnisses von Ideologie, Intellektuellen und Politik. In seinem Aufsatz Ohnmacht und Anmaßung stellt er fest, daß sich die Politiker häufig an »geordneten Werten« und »Postulaten« orientierten, die von Intellektuellen erschaffen worden seien, und auch nach ihnen handelten. Gleichzeitig sei es aber die Rolle der Intellektuellen, Ideologiekritik an eben diesen »geordneten Werten« der Politik zu üben (6, 57). Der SPD sei es gelungen, mit ihrer »Strategie der Harmonisierung« viele Intellektuelle zu einer wohlwollenden Haltung gegenüber Willy Brandt, ja sogar zu einem Engagement für die SPD zu bringen. Das, so Bergsdorf, sei zwar legitim, habe aber gefährliche Konsequenzen für das »geistige Klima in unserem Lande«. Denn die Unterstützung einer Partei, insbesondere einer Regierungspartei, bilde eine »gouvernementale Intelligenz« heraus, die »monoton und monopolistisch« (64) werde. Zudem habe sich gezeigt, daß es auch für die Politik fatale Auswirkungen haben könne, wenn Intellektuelle einen Regierungschef zum Mythos werden ließen: Die »Heldenverehrung« habe den Erwartungshorizont ins Unerreichbare erweitert und schließlich zum Sturz Willy Brandts beigetragen (63). Anders liegt das Verhältnis der Intellektuellen zur CDU, mit dem sich 1986 der Journalist KONRAD ADAM beschäftigt. Er beginnt mit der Feststellung: »Die CDU hat Schwierigkeiten mit den Intellektuellen. Daß der Geist links steht, gilt als eine Selbstverständlichkeit, die zwar beklagt, doch nicht bezweifelt wird« (3, 42). Dabei habe der Geist niemals links gestanden, genausowenig wie rechts (48). Der Unterschied zwischen sogenanntem »progressiven« und »konservativen« Denken sei, daß der christliche Konservative dort, »wo der Intellektuelle gern sich selbst sieht«, die außermenschliche Instanz Gottes anerkenne (43). Die heutigen Links-Intellektuellen seien die »Erben der Epideiktik«. Es ginge ihnen nicht um die Sache, sondern um die Person. So sei es nicht verwunderlich, daß Heinrich Böll die Straße das Medium der Intellektuellen genannt habe (44). Wenn man den Konservativen häufig vorhalte, sie hätten keine Theorie, dann läge das daran, daß der Konservative die Wirklichkeit vorziehe. Generell gelte aber, so bedauert Adam, daß politische Konzepte extrem und weit entfernt sein müßten (er nennt die Beispiele Nicaragua, Kuba, China, Kambodscha und Persien), um intellektuellen Beifall zu finden (47). Ungeachtet all dieser Intellektuellenkritik beschäftigt sich in Frankfurt ein Kongreß mit der Lage der linken Intelligenz aus der Sicht der linken Intelligenz. Die Zeitschrift Das Argument druckt 1985 den Konreßbericht über Intelligenz, Intellektuelle und Arbeiterbewegung in Westeuropa ab und verkündet frohge-

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mut, daß man sich habe vergewissern können, daß die Linke in der Bundesrepublik trotz Berufsverboten »ihre kulturelle Hegemonie nicht eingebüßt« und auch die DKP »nicht alle Anziehungskraft auf die Intelligenz verloren« habe (14). In vielen Fragen sei man zwar uneins gewesen, wirklichen Konsens habe es aber in der Ansicht gegeben, »daß die Intelligenz an der Seite der Arbeiterklasse zu stehen habe und keinesfalls frei schweben solle«. Von den zahlreichen kritischen Betrachtungen über das Verhältnis von Intellektuellen zur Arbeiterschaft oder zur DKP, die in scharfer Form von linksintellektuellen Autoren der Bundesrepublik in den siebziger Jahren veröffentlicht worden waren, wurde offenbar keinerlei Kenntnis genommen. Ein sarkastisches Resümee vom Zustand der linken Intelligenz entwirft KARL MARKUS MICHEL 1 9 8 5 in seinem Essay Apocalypse now?. Die Geschichte der Linken seit Ende der sechziger Jahre, wie Michel sie entwirft, kann in ihrer Ironie schwerlich resümiert werden und sei hier im direkten Wortlaut wiedergegeben: Die linken Intellektuellen, die ein Jahrhundert lang und Ende der sechziger Jahre mit neuem Ingrimm alles Heil vom Proletariat erwartet hatten, wandten sich, da die Arbeiter die ihnen angediente Mission partout nicht erfüllen wollten, in den siebziger Jahren zunächst den Randgruppen zu, den Depravierten und Behinderten, vornehmlich den geistig Behinderten, den Irren und den Wilden, in denen sie ein schönes Protestpotential vermuteten, das sich aber leider auch nicht aktivieren ließ; so daß ihnen schließlich als Zeugen des Unheils und Träger des Heils nur noch die Bäume blieben. Doch die stehen im sauren Regen. Was mag das nächste Objekt linker Fürsorge sein, dieser nekrophilen Neigung zu dem, was verschwindet, was abstirbt? Vermutlich die Linken selbst, ihr eigener Lebenssaft. (21, 125)

3. Katastrophenrhetorik, Posthistoire und neue Gegenintellektuelle Die beträchtliche Anzahl von Linksintellektuellen, die sich seit den Jahren der Studentenbewegung herausgebildet habe, sei Zeichen eines deutschen Nachholbedarfs, meint HEINZ ABOSCH 1975. Lange Zeit habe es in Deutschland Intellektuelle gegeben, die »den Herrschenden passende Theorien lieferten«. Während in Frankreich die Existenz kommunistischer Intellektueller immer selbstverständlich gewesen sei, habe sich die Situation im geteilten Deutschland anders verhalten, weil hier die Kommunisten »als Instrument einer Besatzungsmacht« agierten (/, 258). Die sechziger Jahre hätten es zwar vermocht, das raanichäische Weltbild des Kalten Krieges zu relativieren, doch seien »im Zeichen des Nachholzwangs« auch grobe Mißverständnisse unterlaufen: Anstatt eigene Konzepte zu entwickeln, hätten sie eklektizistisch Theorie-»Brocken« aus anderen Ländern zusammengesucht und sich frei beim durch Lenin russifizierten Marx oder beim durch Mao sinisierten Lenin bedient (260). Nach »von draußen« übernommenen Regeln sei aber noch keine Gesellschaft umgestaltet worden. Welchen gravierenden Mißverständnissen man zudem als Außenstehender aufsitzen könne, belege Sartres Vergleich der RAF mit den französischen »Maos« (263). Abosch relativiert die Fehlleistungen der Intellektuellen dann, indem er Henri Lefebvres Manifeste differentialiste von 1970 zitiert: »Die Geschichte

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schweigt, sie hat keinen Sinn mehr« (265). Man miißte in der Tat feststellen, daß nicht mehr Klassen, sondern Völker, Stämme und Religionen einander gegenüberstünden. Dabei könnten die Intellektuellen keine gesellschaftliche Kraft erkennen, die »den Keim einer besseren Menschheit« in sich trüge. »So gesehen«, folgert Abosch, »geht es uns weit schlechter als den Intellektuellen vergangener Jahrhunderte, die in der Lage waren, ihren Freiheitstraum mit großen gesellschaftlichen Klassen zu identifizieren« (264). Es bleibe den Intellektuellen aber mit verstärkter Dringlichkeit die Aufgabe, das »Chaos zu deuten«, Probleme sachlich zu ergründen, falsche Mythologisierungen und Ideologien abzubauen. Die Domäne des Geistigen, die mit derjenigen einer freien demokratischen Gesellschaft identisch sei, müsse verteidigt werden (266). Anfang der achtziger Jahre schien es dann so, als schweige nicht nur die Geschichte, sondern auch die Intelligenz. Jedenfalls widmete die Frankfurter Rundschau diesem Thema eine Artikelreihe, die 1 9 8 1 von HANS-MARTIN LOHMANN als Essaybändchen herausgegeben wurde. Darin stellt LOTHAR BAIER fest, daß die Intellektuellen verschwunden seien und nur Dichter und Professoren, Künstler und Rezensenten zurückblieben (77, 17). Lohmann kommt erbittert zu dem Schluß, daß die Lektüre von Foucault, Glucksmann, Deleuze und Baudrillard unter westdeutschen Intellektuellen dazu geführt habe, Kritik am Staat, an der Gesellschaft oder an der Wirklichkeit für pass6 zu erklären. Der »neueste Intellektuelle« betrachte den »Aufbruch von '68« als bloße »Seifenblase« und stelle sich ganz auf das von der Zeitschrift Konkursbuch eingeläutete Zeitalter des Endes der Ideologiekritik ein (27). Für W . MARTIN LÜDTKE, ebenso Beiträger zu der Essayreihe, entspricht dieses Denken durchaus den Gegebenheiten. Auch wenn es zum Teil an Begründungen mangele, seien die »globalen theoretischen Bezugssysteme« in Verruf gekommen. Damit sei auch das »gesellschaftliche Ganze« »im Sartreschen Verständnis« aus dem Blickfeld geraten. Utopisches Denken, so Lüdtke resignierend, scheine »hoffnungslos desavouiert« (in: 17, 44). THOMAS SCHMID stellt am selben Ort dagegen einmal klar, daß das Gerede vom »Schweigen der Intellektuellen« mit einem unbehaglichen Pathos daherkomme. Es entspringe einer enormen Erwartungshaltung an den Intellektuellen, der als Gewissen der Nation betrachtet werde. Schmid hinterfragt dieses »heroische und weltfremde Bildchen«: »Warum eigentlich soll der Intellektuelle [...] unbestechlicher sein als die andern?« Der Intellektuelle sei im Besitz eines Privilegs und es bedürfe eines beträchtlichen Erklärungsaufwandes, warum er dieses Privileg ausschließlich altruistisch und engagiert nutzen solle (in: 17, 51 f.). Über die »Verantwortung der Intellektuellen« zu reflektieren, sieht WOLFGANG HUBER 1983 als Thema »gegen den Strom der Zeit« (13, 337). Ein Zusammenspiel zwischen Politik und Intelligenz sei durchaus notwendig und bis auf die Jahre zwischen 1969 und 1972 in der Geschichte der Bundesrepublik »noch die Ausnahme«. Auf der Tagesordnung stünde zunächst der unausweichliche Konflikt mit den »neokonservativen Orientierungen«, deren Absicht es sei, staatliche und ökonomische Entscheidungen »von moralischen Begründungsforderungen zu entlasten« (347f.). Diese Argumentation hatte Jürgen Habermas zuvor vor allem im Hinblick auf die Situation in den USA vertreten

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(vgl. Jürgen Habermas: Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik. In: Merkur 36 (1982), H. 11, S. 1047-1061). Das Problem sei, so Huber weiter, daß die Intellektuellen den Aspekt der »Selbstbestimmung« nur schwer mit dem Aspekt der »Verantwortung« zusammenbringen könnten. Selbstbeztlglichkeit betrachtet Huber daher als die größte Gefahr für die Intellektuellen, wenn sie den Respekt vor der Gewissensfreiheit der anderen außer acht ließen. Aus der Krise kämen sie erst, wenn sie die »Grenzen ihrer Zuständigkeit« überstiegen, die »Ethik der öffentlichen Einmischung« pflegten, tabuisierte Positionen zur Diskussion stellten und sich dabei als Generalisten betätigten. Das bedeute auch, so Huber etwas kryptisch, »geschichtliche Fakten anzuerkennen«, »Mut zu bitteren Wahrheiten« zu haben und »Nüchternheit gegenüber der gegenwärtigen Realität« zu bewahren (345ff.). Weder als postmodern noch als neu möchte der Soziologe HAUKE BRUNKHORST 1988 die »Wende der späten siebziger Jahre« verstanden wissen. Der »alte Hut eines aristotelischen Rechtshegelianismus« sei bloß »funktionalistisch frisiert« worden und habe den unorthodoxen Hegelmarxismus, der den »utopischen Schwung der 60-er Jahre« angetrieben habe, abgelöst (7, 12). Die »Rechtshegelianer« sind für Brunkhorst die »neuen Gegenintellektuellen« und gleichbedeutend mit den »neuen Konservativen« (10). Brunkhorst hält daher eine Eloge auf die Studentenbewegung, in der »egalitäre Intellektuelle mit beweglichen Massen« kommuniziert hätten und so »zur Institutionen schöpfenden Potenz« geworden seien. Zu den Leistungen der Bewegung gehöre es, das kollektive Beschweigen der Nazivergangenheit breitenwirksam gestört zu haben. Zu ihren Fehlern gehöre es, später »schuldbewußte Selbstkritik« geübt und damit eine linke Variante des Geschichtsrevisionismus vorgeführt zu haben (8f.). Anders als in Frankreich, wo die linken Avantgarden von 1968 zu den neokonservativen Avantgarden von heute geworden seien, hätten die Rechtsintellektuellen in Deutschland, die immer schon rechts gewesen seien, den sich selbstzerstörenden Linksintellektuellen nach 1968 den Rang ablaufen können. Seither appellierten sie an Traditionen und Werte und verzichteten auf den Wahrheitsanspruch, sie »theoretisierten ihre Theorielosigkeit«. Der postmodernen Mode, die »erfahrungsgemäß partikularen Interessen eher dient als den allgemeinen«, könne der »egalitäre Intellektualismus« zwar gelassen ins Auge sehen. Aber, und so endet Brunkhorst seine einseitig geratene Darstellung, leider dränge die Zeit. Was danach aber komme, der Untergang, der Faschismus oder noch etwas Schlimmeres, verrät Brunkhorst leider nicht. Die Stunde der »neuen Gegenintellektuellen« habe begonnen. Mit diesem Zitat von Hauke Brunkhorst (1988) beginnt der Literaturwissenschaftler HEINRICH VORMWEG seine Abhandlung über das Verhältnis von Intellektuellen und Politik. Der gesellschaftliche Diskurs der Intellektuellen, so befindet Vormweg, sei »in sich zusammengebrochen« und ersetzt worden durch eine »Fixierung auf Atomangst und Umweltverwüstung« (33, 106). Wer den Diskurs nicht für unentbehrlich halte, zeige sich wie gelähmt oder aber ginge unter »in der ungeheuren Woge des pausenlos anbrandenden, immer dürftigeren [...] Bilder- und Wörterschwalls« (107). Die Folge für den Linksintellektuellen seien Isolation und Resignation.

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1989 nimmt der Historiker MICHAEL SCHNEIDER die Diskussion der Frankfurter Rundschau Schweigen die deutschen Intellektuellen? von 1981 wieder auf und stellt die Gegenfrage, ob es nicht vielmehr eine noch nie dagewesene Beredsamkeit unter den Intellektuellen gebe. Es herrsche eine »schier universale Larmoyanz« darüber, »warum es ihnen die Sprache verschlagen hat, warum sie ihre Träume und Utopien verloren haben«. In ihren Ausreden und Rechtfertigungen verhielte sich die Generation von 1968 fast so wie die Generation ihrer Väter (28, 28). Dabei hätten sie gleichzeitig ein Gespür für intellektuelle Modewerte: Der neue Pessimismus und Nihilismus verkauften sich heute so gut wie vor zehn Jahren die politischen Manifeste und Pamphlete (30). Schneider zieht daraus die überraschende Schlußfolgerung, daß nicht die »empirischen Begriffe der marxistischen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie« versagt hätten, sondern diejenigen, die sich schnell der »neuesten Stimmung im Westen« (eine Formulierung von Martin Walser aus dem Jahr 1970!) angeschlossen hätten. Denn gerade der »ungeheure Verschleiß auf dem intellektuellen Ideenmarkt« beweise doch »die Gültigkeit der Marx'schen Waren-Analyse« (32). So wie Dutschke und Bahro versucht haben, Lenin »auf die Füße zu stellen«, hätte man den Marxismus »kreativ und kritisch« weiterentwickeln müssen (33). Statt dessen habe man sich auf sicheren Lehrstühlen eingerichtet und lehre über die »Ohnmacht des Einzelnen gegenüber dem Staat« oder über die »Vergeblichkeit aller Utopien« (35). Eine »merkwürdige Lust am Untergang« stellt aus anderer Warte auch der Politologe K U R T SONTHEIMER 1989 unter den Intellektuellen fest. Für ihn rührt diese Stimmung aber nicht daher, daß man die Wiederbelebung des Marxismus versäumt habe, sondern von den Prognosen des Marxismus, die in der Studentenrevolte als sakrosankt genommen worden seien. Nichts von all diesen Prognosen sei eingetreten (31, 972f.). Doch die Intellektuellen hätten nie den Grundtatbestand, daß die Bundesrepublik im internationalen Vergleich gut dasteht und zu den freiesten und reichsten Demokratien gehört, in Rechnung gestellt. Vielmehr sei die schrille und übertreibende Kritik auch nach dem Zerfall der Studentenbewegung beibehalten und zu einem Bestandteil unserer politischen Kultur geworden (977). Selbst unter Industriellen und Verbandsfunktionären habe sich so die »Katastrophenrhetorik« etablieren können. Sontheimer erklärt diese Unfähigkeit, mit der Bundesrepublik angemessen umgehen zu können, mit einer Gesinnung, die Siegfried Lenz einmal auf die folgende Formel gebracht habe: »Jeder wollte das Beste - für sich« (978). Es fehlt der Hinweis, daß Hans Magnus Enzensberger, einst einer der schärfsten Kritiker der Bundesrepublik, 1988 einen Essay geschrieben hat, der ganz im Sinne der Ausführungen von Kurt Sontheimer liegt: Mittelmaß und Wahn (Frankfurt a. M. 1988), geradezu ein Loblied auf die Bundesrepublik (vgl. hierzu das Nachwort von Helmuth Kiesel in: Protest! Literatur um 1968. Marbacher Kataloge 51 (1998), S. 593-640, hier: S. 627f.).

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4. Zusammenfassung und Ausblick In der Zusammenschau der ausgewählten Artikel zur Intellektuellendebatte der Jahre 1968 bis 1989 fällt zunächst auf, wie stark die Jahre der Studentenbewegung als Gegenstand der Diskussionen nachwirken. »1968« wird als Symbol gehandelt für eine geistige Haltung, die vornehmlich in ihren negativen Auswirkungen auf die Bundesrepublik der siebziger Jahre beschrieben wird. Während die einen (ζ. B. Sontheimer) die geistige Ferne der Intellektuellen zur Bundesrepublik beklagen, warnen andere (ζ. B. Bergsdorf) im Zusammenhang mit dem Engagement vieler Intellektuelle für die SPD unter Willy Brandt vor einer zu großen Nähe von Geist und Macht. Alle Darstellungen gehen davon aus, daß die Intellektuellen vom »linken Geist« dominiert sind; diejenigen Intellektuellen, die sich an der Debatte Uber die Intellektuellen beteiligen, äußern sich größtenteils als ihre Kritiker, wenn nicht als ihre Gegner: eine Art Selbstbeschreibung gibt es nicht. Als Kernpunkt der Kritik schält sich dabei die ambivalente Haltung der »Neuen Linken« hinsichtlich ihres Aufklärungspostulats heraus. Heillose Romantik wird ihr ebenso vorgeworfen wie eine Religiosität, die sich bis hin zu einem orthodoxen Dogmatismus entwickle. Marx und Sartre wird die Rolle der Kirchenväter zugeschrieben. Erst in den achtziger Jahren vernimmt man auch Stimmen, die selbstkritisch über die eigene Anfälligkeit angesichts linker Moden reflektieren und auch schon das aufkommende apokalyptische Denken mit in die Selbstkritik einbeziehen. Das Gefühl, im »Posthistoire« zu leben und am Konzept des engagierten Intellektuellen in dieser Lage nicht mehr festhalten zu können, breitet sich interessanterweise in einer Zeit aus, als in der DDR die Rolle der Intellektuellen im Umfeld der Bürgerrechtsbewegungen eine neue Bedeutung erhält. Für die Diskussion nach der Wiedervereinigung lautet dann die zentrale Frage, ob das »Posthistoire« die nunmehr gesamtdeutschen Intellektuellen erfaßt oder ob aus Ostdeutschland neue Impulse für die Tradition des engagierten Intellektuellen ausgesendet werden. Die Lage der Forschung betrachtend, fällt auf, daß es an Untersuchungen mangelt, die nach dem wechselseitigen Einfluß von Kulturpolitik und Intellektuellen fragen und anhand empirischer Analysen die tragenden Begriffe der Intellektuellendebatte in ihrer Bedeutung für die politische Kultur der Bundesrepublik zusammenstellen würden. Auch das Auseinanderklaffen von Beschreibungen der Bundesrepublik durch Intellektuelle und den tatsächlichen politischen, wirtschaftlichen oder ethischen Gegebenheiten wäre ein dankbares Forschungsfeld. Bis auf die Beispiele, die sich mit Sartres Vorbildcharakter oder die Macht des »Posthistoire«-Gedankens beschäftigen, fehlt es zudem an einer umfassenderen Rezeptionsforschung, die den Auswirkungen soziologischer und anderer Theoriemodelle auf das Selbstverständnis der Intellektuellen nachgehen würde.

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Intellektuelle in der Bundesrepublik 1968-1989

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30. - : Zwei deutsche Republiken und ihre Intellektuellen. Die Rolle der Intelligenz in Weimar und Bonn. In: Merkur 36 (1982), H. 11, S, 1062-1071. 31. - : Die Lust am Untergang. Die Intellektuellen und die Politik. In: Universitas 44 (1989), S. 971-979. 32. Sperber, Mands: Der prospektive Mensch. In: 24, S. 47-67. 33. Vornweg, Heinrich: Nur noch eine schweigende Minderheit? Intellektuelle und die Politik heute. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Vom Verlust der Scham und dem allmählichen Verschwinden der Demokratie. Göttingen: Steidl, 1988.

Roman Luckscheiter

Intellektuelle in der SBZ/DDR 1945-1989

Die Erforschung des Kulturbetriebs der DDR wurde erst in den siebziger Jahren intensiver in Angriff genommen. Und erst, seitdem sich die Geschichte des deutschen Teilstaates als abgeschlossenes Untersuchungsobjekt darbietet, kann sie ein gesteigertes Interesse verzeichnen. Im Hinblick auf die Rolle der ostdeutschen Intellektuellen dominiert in den meisten wissenschaftlichen Darstellungen die Frage, wie sie sich nach 1989 mit ihrer Vergangenheit und der neuen Gegenwart auseinandersetzen und wie die spezifische Rolle der DDR-Intellektuellen in der neuen Bundesrepublik nachwirkt. Einige Analysen, die den Rückblick vornehmlich unter dieser Perspektive unternommen haben, finden sich daher im Kapitel Intellektuelle nach 1989. Die Schwierigkeiten, die sich der Forschung in bezug auf die DDR zwangsläufig stellten und stellen, sind vielfältig. Zum einen war der Begriff des Intellektuellen nicht in der geläufigen Eigenständigkeit präsent, wie es in der Bundesrepublik der Fall war. Man sprach von der Intelligenz, die man aufteilte in eine technische und eine künstlerische. Zum anderen war die Rolle der Intellektuellen weitestgehend vom SED-Regime vorgegeben. Abweichungen vom offiziellen Diskurs fielen dadurch schnell unter die Kategorie des Dissidenten - GEORG JÄGER bringt das auf die Formel »Beglaubigung durch Verfolgung« (10). Folglich konnte sich eine Intellektuellendebatte nicht entfalten; zur Erforschung des intellektuellen Lebens ist daher in einem viel höheren Maße die Kulturpolitik zu berücksichtigen, als es für eine Demokratie nötig wäre. Während also in der Bundesrepublik die Vielzahl der publizistischen Debatten die Geschichte der Intellektuellen bestimmt, war es in der DDR die Vielzahl der kulturpolitischen Maßnahmen. Die Forschung von DDR-Wissenschaftlern über Intellektuelle hielt sich meist streng innerhalb der ideologischen Rahmenbedingungen auf. Die Forschung, die sich von der Bundesrepublik aus mit den Intellektuellen der DDR beschäftigte, ist dagegen häufig entweder von Sympathie mit dem System oder von scharfer Kritik gekennzeichnet. Die Definition des Intellektuellen orientiert sich dabei größtenteils an dem Begriff des Kulturschaffenden. Einteilungen werden vorgenommen: Der Germanist Georg Jäger spricht von drei Typen, dem Ideologen, dem kommunistischen Intellektuellen und dem kritischen Intellektuellen. RAINER LAND und RALF POSSEKEL stellen in ihrer Studie für die Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern die Frage, ob es in der DDR überhaupt Intellektuelle gegeben habe, und zweifeln daran, daß im SED-durchtränkten »Projekt DDR« wahre kritische Instanzen existierten (17). Schriftsteller stehen bis heute im Zentrum des Interesses der Intellektuellenforschung, doch werden und wurden - neben

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Künstlern und Musikern - auch Kirchenvertreter und Mitglieder politischer Oppositionsbewegungen berücksichtigt. Der vorliegende Forschungsbericht beschränkt sich - bis auf wenige symptomatische Ausnahmen - auf Arbeiten, die nicht einzelne Personen, sondern Personengruppen untersuchen, die ausdrücklich als »Intellektuelle« bezeichnet werden. Forschung zur Rolle der Wissenschaften wird dabei ebenso wenig in Betracht gezogen wie zur Arbeit der Kulturbehörden oder zu Fragen des literarischen Ausdrucks in der Diktatur. Die Einteilung der folgenden Kapitel erfolgt nach thematischen Gesichtspunkten. Gleichwohl spielen im Verhältnis von Geist und Macht chronologische Wegmarken eine Rolle. In deren Festlegung unterscheiden sich die Abhandlungen zur Kulturgeschichte der DDR nur geringfügig.

1.

Die Intellektuellen und die Macht: Phasen der DDR-Kulturgeschichte

1.1. Die Sowjetische Besatzungszone

1945-1949

Dem Germanisten JOACHIM-RÜDIGER GROTH zufolge ist die Kulturpolitik der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949 durch die Taktik einer »relativen Offenheit« geprägt (6, 57). Dazu gehört die Gründung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung DeutschlandsAntifaschismuseingeschleusten< Losungen« (11, 68). Er glaubte an die Vernunft der Parteiführer und hielt die Machtsicherung der SED für die Voraussetzung für gesellschaftliche Reformen (67). Der Literaturwissenschaftler ALFRED KANTOROWICZ (bis 1957 Professor an der Humboldt-Universität Berlin, ab 1957 politischer Asylant in Westberlin) verteidigte Brechts Loyalitätserklärung in den sechziger Jahren, indem er in ihr strategische Absichten vermutete. Wirksame Kritik, so Kantorowicz, hätte nur von einem Intellektuellen kommen können, der seine marxistische Überzeugung unter Beweis gestellt habe. Daher habe Brecht zunächst beteuern müssen, daß er »treu auf dem Boden der Arbeiter- und Bauernmacht« stehe (14, 147). Zur weiteren Verteidigung fuhrt Kantorowicz einige Beispiele dafür an, daß sich Brecht immer wieder für Publikationsmöglichkeiten kritischer Intellektueller eingesetzt habe. Die kritische Anmerkung Brechts im Gedicht Die Lösung, die Regierung solle das Volk auflösen und ein anderes wählen, tat ein übriges. In den Darstel-

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lungen zum 17. Juni herrschte Übereinstimmung, daß die Intellektuellen im allgemeinen erst dann eigene Forderungen formuliert hätten, als die Partei in Folge der Krise Nachgiebigkeit gezeigt hätte. KOLLER weist darauf hin, daß es wieder die Berliner Zeitung war, die sich zum Sprecher gegen die dogmatische Kunstpolitik machte. Die energischsten Forderungen habe dabei Wolfgang Harich erhoben, der die Auflösung der Staatlichen Kunstkommission< verlangte {16, 406) und - wie Kantorowicz berichtet — in einem Artikel vom 14. Juli 1953 die Kulturfunktionäre der »Dummheit« und der »Unehrlichkeit« bezichtigte (14, 148). JÜRGEN RÜHLE (damals Feuilletonchef der Berliner Zeitung und Theaterkritiker beim Sonntag; seine Ausführungen wurden aber zuerst in der West-Berliner Zeitschrift Der Monat, Nr. 82, Juli 1955, gedruckt) bringt in diesem Zusammenhang den »17. Juni der Intelligenz« in Erinnerung. Diesen Ehrentitel hatte die westdeutsche Presse der Uraufführung von Heinar Kipphardts Stück Shakespeare dringend gesucht im Juni 1953 verliehen, in dem die Hoffnung des von der Bürokratie gebeutelten Künstlers ausgedrückt wird, man könne sich in Zukunft den Massen und nicht den Dienststellen zuwenden. Am Ende wurde die Aufführung mit solchem Applaus bedacht, daß sich auch Otto Grotewohl gezwungenermaßen daran beteiligte und »lang anhaltend« klatschte (21, 185). In dieser Atmosphäre, so Rühle, hätten die Intellektuellen sich ein »Herz gefaßt«. MAGDALENA HEIDER, die diese Episode ausläßt, führt als erste Reaktion der DDR-Intellektuellen auf die Juni-Unruhen die Plenartagung der Akademie der Künste an, die am 30. Juni 1953 abgehalten wurde und auf der ein »kritischer 10-Punkte-Katalog zu Fragen der Kulturpolitik« beschlossen wurde. Johannes R. Becher und Alexander Abusch seien dadurch wohl angeregt worden, dem Präsidialrat eine ähnliche Mängelliste vorzulegen, allerdings nicht ohne den 17. Juni »auf die offizielle Formel von der »imperialistischen Provokation schrumpfen zu lassen« (8, 9). Die SED bemühte sich in der Folgezeit, die Intelligenz »zwar als nachdenklich und kritikbereit darzustellen«, insgesamt aber als eine Schicht, die die Politik des Neuen Kurses bejahte. Als eine Reaktion auf die Diskussionen und Einwände durch Verbände, Akademien oder einzelne Prominente wie Harich und Brecht deutet Heider die Gründung des Ministeriums für Kultur im Januar 1954 mit Johannes R. Becher als erstem Kulturminister. Insgesamt aber, so Heider, blieb der Ertrag der Juni-Tage für die Kulturpolitik der DDR »doch recht gering« (10). Jürgen Rühle bezeichnet es als wenig verwunderlich, daß die Auflösung der Kunstkommission und die Ernennung Bechers zum Kulturminister durch Otto Grotewohl nach einem halben Jahr unbefriedigender Diskussionen »völlig gleichgültig« unter ostdeutschen Intellektuellen aufgenommen worden sei (21,190).

1.4. Die Stalin-Kritik Einen Einschnitt bedeutete die Rede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956. Sie war gegen den Personenkult gerichtet und beinhaltete eine bisher ungeahnte Kritik an Stalin und seinen Herrschaftspraktiken. In etwas abgemilderter Form wurde sie als KPdSU-Erklärung veröffentlicht und erschien

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auch am 3. Juli 1956 im SED-Zentralorgan Neues Deutschland. DIETRICH STARITZ rekonstruiert die Auswirkungen für die DDR und kommt zu dem Schluß, daß die Stalin-Kritik, die in Polen und Ungarn »bald alle Gesellschaftsschichten bewegte«, in der DDR »zunächst ein nahezu isoliertes Überbauphänomen« geblieben sei. Vor allem die »vor 1945 politisch sozialisierten Parteiintelligenzler« hätten begonnen, nun »unbefangener als je zuvor nach neuen Konzeptionen fur den sozialistischen Aufbau zu suchen« (25, 153). Bei KERSTIN THONS findet sich jedoch auch der Hinweis, daß die Reformüberlegungen unter einer großen Zahl von Intellektuellen begleitet waren von einem »Schock«. Nicht nur junge Intellektuelle, sondern besonders auch ältere KPD-Intellektuelle hätten an der sowjetischen Abrechnung mit den Verbrechen Stalins »schwer zu tragen« gehabt und seien nach eigenen Auskünften sogar selbstmordgefährdet gewesen (8, 62). Bevor die Diskussion um Reformen auf die Intellektuellen in der Parteielite übergegriffen habe, hatten sich, wie Staritz hervorhebt, zuerst Ökonomen und Literaturtheoretiker, dann Philosophen, Rechtswissenschaftler und Historiker zu Wort gemeldet (25, 153). Als Beispiel für die kritischen Intellektuellen, denen Chruschtschows Rede eine »argumentative Plattform gegen die SED« gegeben habe, nennt GROTH Hans Mayer. Auf seine und andere Einlassungen hin habe das ZK der SED im Juli 1956 auch eine Überwindung dogmatischer Formeln versprochen (6, 64). So wird diese Phase im allgemeinen auch als »nachstalinistisches Tauwetter« bezeichnet (vgl. 8, 61).

1.5. Der Ungarn-Aufstand Der kulturpolitischen Defensive sollte jedoch kurz darauf eine erneute Offensive folgen. Die Niederschlagung des Ungarn-Aufstands am 4. November 1956 bedeutete das Ende jeglicher Reformpolitik. Ulbricht habe realistisch eingeschätzt, so STARITZ, daß der ungarische Aufstand eine Konsequenz dessen gewesen sei, was »intellektuelle und reformeuphorische Spitzenfunktionäre nicht bedachten oder gar [...] bewußt riskierten« (25, 161). Verstärkter Einsatz der Staatssicherheit an den Universitäten, Zwangsemeritierungen (Ernst Bloch), Verhaftungen (Erich Loest, Wolfgang Harich, Walter Janka u. a.), Drohungen gegen satirische Zeitschriften und politische Kabaretts, Abrechnungen mit Widersachern aus den politischen Rängen waren die Folge, wie GROTH aufzählt. Als die Intellektuellengruppe um Harich verurteilt wurde, waren die Schriftsteller Willi Bredel und Anna Seghers sowie die Brecht-Witwe Helene Weigel als Publikum geladen worden. Die Frage, wie deren Schweigen zu bewerten sei, löste 1990 in der DDR eine heftige Diskussion aus. Leider nennt KERSTIN THÖNS, deren Forschung man den Vorgang entnimmt, keine Quellen zu dieser Debatte.

1.6. Der Bitterfelder Weg Als neue kulturpolitische Offensive, die den Blick von den Schauprozessen weg zu der Idee einer notwendigen Kulturrevolution lenken wollte, stellt u. a. der

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Kulturhistoriker ANDREAS TRAMPE den >Bitterfelder Weg< dar, dessen Hauptaufgaben darin lagen, daß die Arbeiterklasse die »Höhen der Kultur erstürmen« solle, daß die »Kluft zwischen Kunst und Leben« überwunden und drittens der Weg zur »gebildeten Nation« geebnet werden solle (28, 297). GROTH formuliert, daß der Bitterfelder Weg aus den »negativen Erfahrungen« der Partei im Umgang mit den Kulturschaffenden hervorgegangen sei und das Ziel gehabt habe, den kulturellen Überbau mit der ökonomischen Basis zu »verklammern«, um dann das Amalgam leichter durch die Partei kontrollieren zu können. Beschlossen auf dem Parteitag der SED 1958 und in die Tat umgesetzt nach der I. Bitterfelder Konferenz 1959, hielt die Euphorie bei allem Aktivismus nicht lange an. So zitiert Trampe den Schriftsteller Franz Fühmann, der 1964, kurz vor der II. Bitterfelder Konferenz, in einem Brief an den Kulturminister für die eigene Arbeit resümierte, es komme dabei »nicht viel heraus« (298). Über eine Antwort des Kulturministers gibt Trampe aber keine Auskunft. Der Historiker CHRISTOPH KLESSMANN gibt in seinem monumentalen Dokumentationsband zur deutschen Geschichte 1955-1970 zu bedenken, daß der »überhebliche Spott« der westlichen Kritik am Bitterfelder Weg angesichts der »hochtönenden Parolen« zwar gewiß seine Berechtigung gehabt habe, daß sich in ihm aber ein Problem darbot, das in der Bundesrepublik in Form der >Gruppe 61 < ebenfalls ins Bewußtsein gekommen sei: die Überwindung der Kluft zwischen avantgardistischer Kunst und Massenkunst. Des weiteren habe das Konzept in der DDR auch durchaus beachtliche Werke hervorgebracht, wie beispielsweise Neutschs Spur der Steine, Erwin Strittmatters Ole Bienkopp und Christa Wolfs Der geteilte Himmel (15, 382).

1.7. Der Mauerbau Als einschneidendes Ereignis lag zwischen den beiden Bitterfelder Konferenzen der Mauerbau am 13. August 1961. Walter Ulbrichts harter Kurs konnte nach der Einkasernierung der Bevölkerung noch restriktiver verfolgt werden. Als wichtigstes Beispiel für die unversöhnlich harte Linie nennen MANFRED JÄGER, GROTH und TRAMPE die Entlassung von Peter Hüchel, dem liberalen Chefredakteur der Zeitschrift Sinn und Form. Als günstig für die SED-Führung wertet Jäger den Umstand, daß Bertolt Brecht und Johannes R. Becher, die sich in den Jahren zuvor schützend für Hüchel eingesetzt hatten, nicht mehr lebten. Hüchel wurde eines der prominenten Opfer und litt unter Isolation und Schikanen, bis er 1971 das Land verlassen konnte (11, 71). Als weitere »Aufräumaktion« wird allgemein das 11. ZK-Plenum der SED im Dezember 1965 angeführt. Unter der Regie von Erich Honecker, damals ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, wurden Autoren wie Stefan Heym, Peter Hacks, Heiner Müller beschuldigt, sie seien für ein »Abdriften der Kunst aus sozialistischen Gewässern« verantwortlich. Die anwesende Christa Wolf wurde, wie Groth es formuliert, »inquisitorischen Einlassungen« ausgesetzt (6, 72). Trampe erwähnt, daß zu den »spektakulärsten Folgen« des Plenums das Verbot von 12 DEFA-Filmen gehörte (28, 299). Bei BRETTSCHNEIDER findet sich der Hinweis auf die Polemik Ulbrichts gegen Wolf

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Biermann, Rainer Kirsch, Manfred Bieler und Stefan Heym, der ein »kollektives Schuldbekenntnis des Schriftstellerverbandes« gefolgt sei mit dem Versprechen, »in Zukunft schärfere Kritik an den eigenen Mannen zu üben« (3, 23).

1.8. Erich Honecker wird 1971 Nachfolger von Walter Ulbricht Trotz Honeckers rigiden Auftretens als Sicherheitssekretär brachte die Machtübergabe von Ulbricht an Honecker ein Gefühl der Erleichterung unter den Intellektuellen mit sich. GROTH führt das u. a. auf die »freundlichere Verpackung« der im Grunde unveränderten sozialistischen Kulturpolitik zurück, muß aber wie M. JÄGER auch feststellen, daß tatsächlich Werke erscheinen konnten, die vorher die Zensur nicht hätten passieren können. Die Ratifizierung der Ostverträge 1972 und die Unterzeichnung des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1973 nennt Groth als weitere Schritte, die zu einer begrenzten Lockerung führten und auch »Bewegungsfreiheit nach Westen« herstellten (6, 74).

1.9. Die Biermann-Ausbürgerung

1976

Eine Gegenbewegung begann abermals 1976, als gegen Reiner Kunze und kurz darauf gegen Wolf Biermann aufgrund »Fehlverhaltens« Exempel statuiert wurden. Kunzes Prosaband Die wunderbaren Jahre, als Sympathieerklärung an den Prager Frühling in der Bundesrepublik erschienen, war der SED Anlaß genug, Kunze ein fehlendes Bekenntnis zum sozialistischen Realismus vorzuwerfen und zum Boykott gegen ihn aufzurufen; die kritischen Äußerungen Biermanns auf einer Gastspielreise in Westdeutschland hatten die Aberkennung seiner DDR-Staatsbürgerschaft zur Konsequenz. Soweit die Fakten, die GROTH ebenso wie M. JÄGER nennt - bei STARITZ, der Kunze nicht erwähnt, klingt es etwas niedlicher. Das MfS, so Staritz, sei schon früh des » 1 9 6 5 vermeintlich ruhiggestellten, aber weiterhin quicklebendigen und zunehmend bissigen Biermann überdrüssig« gewesen und hätte daher schon 1973 ein Szenario für eine Ausweisung erarbeitet (25, 300). Dieser Hinweis fehlt wiederum bei Jäger und Groth, ausführlich dokumentiert wird der Vorgang in der Darstellung des Psychologen JOACHIM WITTKOWSKI. In der Dokumentation Die Biermann-Ausbürgerung und die Schriftsteller, herausgegeben vom Verband deutscher Schriftsteller, wird dagegen lediglich angemerkt, daß die Staatsführung regelrecht auf der Suche nach einer Gelegenheit war, um ein Exempel stauieren zu können. Daß die Einladung zu Auftritten in Köln und Bochum durch prominente Intellektuelle Westdeutschlands erfolgte, führt Wittkowski an und zählt Ernst Bloch, Heinrich Böll, Iring Fetscher, Günter Grass, Hans Mommsen und Peter Zadek als Unterzeichner auf (32, 4 1 ) . TILL SAILER bezeichnet die nach dem Konzert erfolgte Biermann-Ausbürgerung als ein »Schachspiel«, in dem sich der Bauer »nicht so einfach« zu schlagen gegeben habe. Strategisch betrachtet, sei die Ausbürgerung »die schlechteste aller Lösungen« gewesen, da die DDR

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1945-1989

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durch dieses faschistische Verhalten ihre antifaschistische Legitimation in Frage gestellt habe. Wittkowski kommt zu dem Schluß, daß die Ausbürgerung Biermanns »für das Verhältnis der Intellektuellen zum DDR-Staat [...] weitreichende Bedeutung« hatte: Auf beiden Seiten habe ein »Identitätsverlust« eingesetzt, der schließlich »zur Auflösung der DDR« beigetragen habe (32, 37). Die aus dem Umgang mit Biermann entstehende Konfrontation mit den Intellektuellen sei im Laufe der Zeit »bis zur Unkontrollierbarkeit eskaliert«. Während sich das parteitreue Autorenlager in »Ergebenheitserklärungen« (Groth) übte, waren die anderen von Verhaftungen, Einschüchterungen, Drohungen, Ausschlußverfahren, Hausarrest, Kündigungen und Parteirügen betroffen. Zwölf Schriftsteller hatten die >Biermann-Petition< mit der »Bitte, den Ausbürgerungsbeschluß zu überdenken«, an Erich Honecker eingereicht. Sie war, zumindest laut dem Schriftsteller Till Sailer, von Stephan Hermlin initiiert und entworfen worden und »moderat gehalten« (23, 11). Ihr schlossen sich bald zahlreiche Intellektuelle an, Staritz nennt 93 Künstler (25, 301). Die Auflehnung sei »erfolglos, [...] aber folgenreich« (302) gewesen. Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband und damit erschwerte Veröffentlichungsmöglichkeiten waren die Konsequenzen ebenso wie weitere Ausbürgerungen (Staritz fügt süffisant an: »als hätten sie von jenen Stammtischstrategen im Westen gelernt, die Kritiker immer gleich in den Osten schicken wollten«) und später die sanftere Lösung der Visum-Erteilung. Das kulturelle Leben in der DDR, so Groth, »verödete zusehends« (6, 77). Der Staat hatte die »Creme seiner Literatur für sich verloren« (78). Über das Verhältnis der Intellektuellen zur Macht in der Zeit nach der Biermann-Ausbürgerung liegen nur vereinzelte Untersuchungen vor. Die umfassenderen Darstellungen, die nicht bei Biermann enden, erwähnen meist noch das Strafverfahren gegen Stefan Heym 1978 als weiteres relevantes Datum oder heben wie Groth die Rolle Franz Fühmanns hervor, der es sich aufgrund seiner literarischen Reputation leisten konnte, sich für junge Schriftsteller einzusetzen. Generell gilt die Einschätzung, die zuletzt auch von TRAMPE geäußert wurde, daß sich das kulturpolitische Klima in der DDR weiter verschärft habe. Es sei in erster Linie von Zensur geprägt gewesen. Groth verweist auf eine »beträchtliche Anzahl von Titeln« hin, darunter Bücher von Monika Maron, Gert Neumann und Stefan Heym, die nicht publiziert werden konnten. Als letztes Datum von kulturpolitischer Bedeutung nennt die 1987 erschienene Darstellung den XI. Parteitag der SED im April 1986, auf dem Honecker zum wiederholten Male Kunstwerke gefordert hat, »die den Sozialismus stärken« (6, 83). Trampe widmet sich in Ermangelung aussagekräftiger Ereignisse den Oppositionsgruppen und ihrer »Demonstrationskultur«, die in den achtziger Jahren entstand (28, 301), untersucht die »Alternativdiskurse« der evangelischen Kirche und unterstreicht abschließend die Funktion der westlichen Funkmedien als »eigentliche Gegenöffentlichkeit in der DDR« (308). Thematische Aspekte, die in den chronologisch vorgehenden Untersuchungen nur anklingen, werden von anderen Forschungsbeiträgen ins Zentrum gerückt. Vor allem in der DDR interessierte sich die Wissenschaft für das Verhältnis der Intellektuellen zu den Arbeitern, was meist auf Artikel hinauslief, in denen die »Aufgaben« der Intellektuellen formuliert wurden. Aus westlicher

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und postsozialistischer Perspektive liegt der Schwerpunkt auf der Beziehung zwischen Opposition und Intellektuellen. Immer wieder wird dabei der Generationenaspekt problematisiert.

2. Intellektuellengenerationen WERNER BRETTSCHNEIDER teilt die Intellektuellen der DDR in drei verschiedene Gruppen ein. Die erste Gruppe, in den Jahren von 1880 bis 1900 geboren, habe sich für oder gegen den Nationalsozialismus entschieden, habe dann Verfolgung, Gefängnis oder Emigration durchlebt und aufgrund der gleichen Erfahrungen ein starkes Gruppengefühl entwickelt. Zu dieser Gruppe zählt Brettschneider u. a. die Autoren Arnold Zweig, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Willi Bredel, F. Wolf. Die folgende Gruppe der Jahrgänge 1900 bis 1920 habe die Kriegsjahre in der Emigration oder als Kriegsteilnehmer erlebt und sei erst im Sozialismus zur eigenen literarischen Konzeption gelangt. Zu den Autoren, die erst nach 1945 angefangen haben zu schreiben, gehören Stephan Hermlin, Stefan Heym, Johannes Bobrowski, Franz Fiihmann, Peter Hüchel, Erwin Strittmatter u. a. Die Namen Peter Hacks, Heiner Müller, Christa Wolf, Günter Kunert, Wolf Biermann, Reiner Kunze oder Volker Braun repräsentieren die dritte Gruppe der zwischen 1920 und 1950 Geborenen. Sie haben das Kriegsende noch erlebt, haben dann ihre Bildung in der »neuen Gesellschaft« genossen und Protest nur als Form der Integration erfahren. Gruppenbildend sei für diese dritte Generation die Dichterschule Johannes-R.-Becher-Institut in Leipzig gewesen. Der Soziologe GÜNTER ERBE unternimmt 1987 einen feiner untergliederten »Generationenvergleich« mit leichten Verschiebungen gegenüber Brettschneider. So kategorisiert er die erste Generation (bis 1914 geboren) nach Parteimitgliedschaft und Positionen im Kulturapparat. Die zweite Generation setzt Erbe bereits mit dem Jahrgang 1915 bis 1930 an und hebt deren Erfahrung des sozialistischen Aufbaus und die Erschütterungen durch die Aufstände 1953 und 1956 (Ungarn) ebenso wie das Gefühl der Resignation nach dem Scheitern des Prager Frühlings 1968 hervor (4, 1163f.). Er untersucht auch die soziale Herkunft der Autoren und teilt sie ein in eine proletarische (Hermann Kant, Gerhard Zwerenz), kleinbürgerliche (Johannes Bobrowski, Franz Fühmann, Erich Loest, Heiner Müller, Christa Wolf) oder bürgerliche Abstammung (Peter Hacks, Heinar Kipphardt). Neben dem »Typus des parteinahen Schriftstellers« habe in der zweiten Generation derjenige Typ an Bedeutung gewonnen, der den »Anspruch auf Wahrheit und Authentizität der Literatur« dem Parteilichkeitsdenken entgegenstellte (1172). Bis auf wenige Ausnahmen hätten die Angehörigen der ersten und zweiten Generation jedoch das Gefühl gemeinsam gehabt, dem marxistischen Denken verpflichtet und Sozialist zu sein. Für die dritte Generation (1931-1945 geboren) gelte, daß zwei Drittel ein Studium absolvierte und sich der Trend vom Parteischriftsteller zum kritisch engagierten Sozialisten fortsetzte. Besonders typisch für die dritte Generation sei zudem der »Übergang zu ei-

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ner einzelgängerischen Haltung«, wie er besonders an den Autoren Wolfgang Hilbig, Gerd Neumann und Thomas Brasch auffalle ( 1 1 7 5 ) . In Erweiterung der Darstellung von Brettschneider findet sich bei Erbe die vierte Generation der »in den Sozialismus Hineingeborenen«. Zu den Jüngsten zählt Erbe Uwe Kolbe und Gert Papenfuß, dann Sascha Anderson und Lutz Rathenow, noch etwas älter Thomas Rosenlöcher. In ihrer Generation habe sich »vor allem in den Großstädten Ost-Berlin, Leipzig und Dresden« ein Dichtertypus entwickelt, »der einen gänzlichen Bruch mit dem überkommenen literarisch-künstlerischen Selbstverständnis anstrebt«, sich auf »private Räume und Zirkel« zurückzieht und für die »Rehabilitierung autonomer Kunst« arbeitet ( 1 1 7 7 ) . M A N F R E D J Ä G E R schreibt über die »Hineingeborenen«, sie hätten von seiten der Kulturpolitik, die von Vertretern der älteren Generationen bestimmt gewesen sei, oft eine »Abfertigung ohne Argumente und Gegenargumente« erfahren. Aus ihrer »Enttäuschungssituation« sei ihnen aber auch »Erkenntnisgewinn« erwachsen, »in was für einer Gesellschaft man lebt« (11, 169). R A I N E R L A N D und R A L F POSSEKEL fragen in ihrer historisch-politischen Analyse nach den typischen Diskursen der Intellektuellengenerationen und unterscheiden im Umfeld der SED derer drei. »Ihre innere Kohärenz und ihre Verschiedenheit«, so ihre methodische Überlegung, »resultieren aus jeweils verschiedenen Verarbeitungen kontingenter Ereignisse, die in distinkte Erzählmengen münden« (17, 28). Demnach sei das »Grundmuster« im »Diskurs der Altkommunisten« die »Praktik des Belehrens und das Axiom der unbedingten Orientierung an der Sowjetunion« gewesen (30). Dazu habe aber auch eine »besondere Form der Kritik an der Herrschaftspraxis des Stalinismus« gehört, die versuchte, Ideale und Hoffhungen gegen die stalinistisch geprägte politische Praxis durchzusetzen. Diese Kritik habe sich dabei vor allem auf die Ideale des Marxismus und auf Lenin berufen (31). Doch sie »kam nicht zum Zuge«, weil sie in zwei Lager zerfiel: auf der einen Seite die Dissidenten, die mit dem Stalinismus brachen (Havemann, Heym), auf der anderen Seite die »durch die Partei Disziplinierten«, die sich im »kommunikativen Schweigen« übten (33). Der Diskurs der Aufbaugeneration sei dann ein Diskurs des »Staatsaufbaus«, nicht des Klassenkampfes gewesen. Aber auch er ging mit einem Schweigen einher: »Wie die Altkommunisten >kommunikativ< die Stalinschen Verbrechen beschwiegen, so die Aufbaugeneration ihre Vorgeschichte im >Dritten ReichTaktik< der KPD« (79). Eine wesentliche Aufgabe beim »Aufbau der Grundlagen des Sozialismus« sei es dann gewesen, eine »neue Intelligenz aus Arbeiter- und Bauernkindern« herauszubilden und zugleich das Bündnis mit der »alten Intelligenz« zu festigen (82). Es sei richtig gewesen, so Streisand, daß die Partei in dieser »Übergangs-

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periode«, also in einer »Situation, in der Teile der Intelligenz zwar die Friedenspolitik der Arbeiter- und Bauernmacht bejahten, aber angesichts der Verschärfung des Klassenkampfes [...] in bezug auf die DDR Schwankungen unterworfen waren«, ihren Mitgliedern die Aufgabe gestellt habe, »durch gelungene Beispiele realistischer Kunst zu überzeugen«. Sozialistische Kunst setze Kenntnis und Nutzung gesellschaftlicher Gesetze voraus und entstehe schließlich nicht spontan (85). Zum fiinfunddreißigsten Jahrestag der Gründung der SED verkündet GREGOR SCHIRMER in der Zeitschrift Einheit. Zeitschrift fiir Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus, dem Hausorgan der SED, daß die Partei auf »reiche Traditionen sozialistischer Intelligenz- und Bündnispolitik« zurückblikken könne. Der Weg, »der zur Herausbildung der sozialistischen Intelligenz führte«, sei zwar »schwierig und konfliktreich« gewesen, habe auf Seiten der Intellektuellen »oft bittere Selbsterkenntnis und gründliches Umdenken« erfordert, aber durch den »historischen Weitblick der Partei«, der der Intelligenz »Vertrauen entgegengebracht und konstruktive Arbeit übertragen« habe, sei ein »günstiges Klima für geistige Arbeit« geschaffen worden (24, 440f.). Zu den Leistungen der SED zählt Schirmer die Umerziehung der »alten Intelligenz«, die »z.T. elitären Vorstellungen und antisozialistischen Vorbehalten« verhaftet gewesen sei, ebenso wie der »jungen Intelligenz«, die »mit dem kapitalistischen Westen geliebäugelt« und in der »antifaschistisch-demokratischen Ordnung noch nicht festen Fuß gefaßt« hätte (440). Es bleibt das Geheimnis des Autors, warum es dann ausgerechnet zu den »Vorzügen des Sozialismus« zählen soll, daß die »Entfaltung individuellen Schöpfertums« in der DDR »nicht gegen die Gesellschaft durchgesetzt« werden müsse (442). Als »freie Bürger« könnten die »Angehörigen der Intelligenz [...] das Leben der sozialistischen Gesellschaft umfassend mitgestalten« (443). Den Annäherungsprozeß der Intelligenz an die Arbeiterklasse bezeichnet Schirmer als dialektisch. Es gehe darum, daß sich »in den Wesenszügen der Intelligenz immer mehr solche von der Arbeiterklasse geprägten Merkmale wie Diszipliniertheit, Organisiertheit und Kollektivität mit den Besonderheiten der Intelligenz verschmelzen« (444). Er betont, daß auch Intellektuelle, die sich nicht zur »Weltanschauung der Arbeiterklasse« - dem Marxismus-Leninismus - bekennen würden, aus ihr »wesentliche Anregungen« für ihren politischen Standort und ihr Schaffen erhielten (445). Besonders anziehend wirke auf sie die Logik, die Beweiskraft, die »Geschlossenheit und Folgerichtigkeit« des Marxismus-Leninismus. MANFRED LÖTSCH, einst Professor am Institut für marxistisch-leninistische Soziologie der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, betrachtet 1985 die Wechselwirkung zwischen Arbeitern und Intellektuellen zunächst einmal aus der Perspektive der Arbeiter und sagt voraus, daß ihre Klasse »weder durch >Dequalifizierung nach unten< noch durch >Intellektualisierung nach obenCharta 77BasisgruppenAufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschlands Hrsg. vom Deutschen Bundestag. Band VII, 1. Baden-Baden: Nomos, 1995, S. 873-895. 10. Jäger, Georg: Schriflstellei als Intellektueller. Em Problemaufriß. http://iasl.uiri-muenchen.de/Diskussionsforum. 11. Jäger, Manfred: Sozialliteraten. Funktion und Selbstverständnis der Schriftsteller in der DDR. Düsseldorf: Bertelsmann, 1973. 12. - : Die Kulturpolitik der DDR. 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DDR-Literatur zwischen Vereinnahmung und

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Intellektuelle nach 1989

Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Intellektuellen nach dem Ende der DDR und nach der deutschen Wiedervereinigung steht größtenteils unter dem Aspekt des »Versagens« der Intellektuellen in ihrem Verhalten gegenüber den Geschehnissen von 1989. Mehrfach wird daraufhingewiesen, daß die Intellektuellen stets den deutschlandpolitischen Diskussionen »hinterherhinkten« anstatt diese Diskussionen zu bestimmen oder mitzubestimmen. Visionäre Gedanken, die die deutsche Einheit schon früh als Möglichkeit vor Augen führten, seien jedenfalls von Politikern und nicht von Intellektuellen gekommen. Des weiteren wird ein Auseinanderdriften zwischen dem Grundtenor intellektueller Äußerungen und dem Meinungsbild der Bevölkerung konstatiert - die überwiegende Ablehnung der Wiedervereinigung durch die Intellektuellen stand einer überwiegenden Befürwortung des Einigungsprozesses durch die übrige Bevölkerung gegenüber. Die in den neunziger Jahren verfaßten Forschungsarbeiten zur Rolle der Intellektuellen im wiedervereinten Deutschland basieren je nach ihrer zeitlichen Distanz zu den Ereignissen von 1989 zwangsläufig auf unterschiedlichem politischen und historischen Wissen. Dennoch bleiben die Aspekte, unter denen die Rolle der Intellektuellen analysiert wird, die gleichen. So läßt sich eine große Gruppe von Arbeiten ausmachen, die sich auf die Frage konzentrieren, warum die Intellektuellen durch das Ende der DDR in eine Krise geraten und zumindest nicht als gesellschaftliche Gruppe in Erscheinung getreten sind - es ist hier oft die Rede vom »Schweigen der Intellektuellen«. Zentrale Stichworte in den Situationsanalysen sind die Schwierigkeit mit der nationalen Identität, die Debatte um den reformsozialistischen »Dritten Weg« und die Prägung der ostdeutschen Intellektuellen durch ihre Vergangenheit in der DDR. (In diesen Zusammenhang gehört auch der in den deutschen Feuilletons geführte »deutsch-deutsche Literaturstreit« um Christa Wolfs 1990 veröffentlichte Erzählung Was bleibt, der sich bald zu einer schmalbrüstigen Debatte über die deutschen Intellektuellen auswuchs. Aufgrund seines stark auf Statements zugeschnittenen und im Grunde literarischen Charakters wird er hier nicht berücksichtigt. Er ist außerdem ausführlich dokumentiert worden in dem Sammelband von Thomas Anz: »Es geht nicht um Christa Wolf«: der Literaturstreit im vereinten Deutschland (München 1991). Eine weitere Gruppe von Beiträgen zur Intellektuellenforschung geht über die bloße Analyse hinaus und beschäftigt sich hauptsächlich mit den Möglichkeiten intellektueller Existenz in der neuen politischen und kulturellen Lage, die mit dem Epochenbegriff »Postmoderne« belegt wird. Zentrales Motiv ist hier

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die Hypothese, daß intellektuelle Arbeit künftig sehr viel gegenwarts- und wirklichkeitsorientierter sein müsse als in den früheren Jahren, die noch von Zukunftsutopien und Fortschrittsdenken geprägt gewesen seien. Die Wiedervereinigung und das Ende der DDR als Scheitern einer Ideologie werden hier äußerst positiv beurteilt und auf dem Gebiet der Literatur als Gewinn von Freiheit jenseits einer Verpflichtung auf explizit politisches Engagement empfunden. Dem gegenüber steht eine Gruppe von Diskussionsbeiträgen, die in der Postmoderne die Gefahr sehen, daß der Intellektuelle zu einer rein ästhetischen Existenz werde. Beispielsweise würden die jüngsten Bürgerkriege in Europa die Rede vom »Posthistoire« als Täuschung kenntlich machen und verdeutlichen, daß gerade das im Aufbau befindliche Europa politisch engagierte Intellektuelle benötige. Häufig dient dabei Väclav Havel als Vorbild, der vom intellektuellen Regimekritiker zum Ministerpräsidenten von Tschechien avancierte. In den Plädoyers gegen eine postmoderne Definition des Intellektuellen erhält die Idee des »Dritten Wegs« eine neue Bedeutung. Es wird bedauert, daß nach dem Fall der Mauer die Chance auf ein neues staatliches Konzept mit den Leitgedanken Demokratie und Sozialismus nicht wahrgenommen wurde. Keineswegs habe der Kapitalismus für immer gesiegt, vielmehr gelte es, noch unerschlossene Potentiale sozialistischer oder marxistischer Ideen zu entdecken. Der politische Standort des Intellektuellen war mehrfach Thema von Diskussionen, die sich an konkreten literarischen Texten entzündet hatten. Die Debatte um Botho Strauß' Essay Anschwellender Bocksgesang von 1993 wäre hier zu nennen, ebenso der Streit um die Stellungnahmen und den Roman von Günter Grass zur deutschen Wiedervereinigung (Ein weites Feld, 1995) oder Peter Handkes provozierende Serbien-Reisebücher (1996). Doch konzentrierten sich die Diskussionsbeiträge meist auf die Person des jeweiligen Schriftstellers oder verblieben den Meinungsdiskursen der Feuilletons verhaftet. Es würde den Rahmen des Forschungsberichts sprengen, auf sie angemessen einzugehen. Sie müssen hier also unerwähnt bleiben, wären aber lohnende Gegenstände separater Untersuchungen.

1. 1.1.

Das Schweigen der Intellektuellen Vertrauensbruch

In der Essaysammlung zum »Übergang der Zeiten« (Glockenläuten und offene Fragen, 1991), entstanden zwischen 1989 und 1991, streift der Publizist FRIEDRICH DIECKMANN einige Aspekte der Intellektuellenrolle in Ost und West, die später kaum wieder aufgegriffen worden sind. So befürchtet er im Januar 1990, daß die Schuldgefühle der Ostdeutschen, nicht schon früher mit Demonstrationen die SED-Herrschaft ins Wanken gebracht zu haben, zu Aggressionen gegenüber den Intellektuellen führen könnten, da diese ja Organe gehabt hätten, um ihrer Bedrückung in der DDR Ausdruck zu verleihen. Die dadurch unter den Intellektuellen ausgelösten Selbstrechtfertigungen könnten dann eine destrukti-

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ve Polarisierung zwischen »Volk« und Intellektuellen bewirken und einen gemeinsamen Aufbruch zu neuen Ufern verhindern (5, 170f.). Den westdeutschen Intellektuellen hält Dieckmann im Mai 1990 vor, sie würden mit ihrer »Reflexion der Wiinschbarkeit« der Einheit den Gedanken aufrechterhalten, das deutsche Volk sei zu groß, um ungeteilt existieren zu können, damit sie ihre gewohnten Lebensformen und Interessen nicht in Frage stellen mußten. Die Staatseinheit sei aber keine ideologische Frage, sondern vielmehr eine praktische. Wenn das Volk, das den Prozeß der Einheit in Demonstrationen deutlich befürworte, für »blöd« erklärt werde, gehöre dies zu den »Lieblingsillusionen« der Intelligentsia und werde von der Gegenseite »herzlich erwidert« ( 2 3 8 ) . So ergibt sich für Dieckmann auf beiden deutschen Seiten die Gefahr des Vertrauensbruchs: in Ostdeutschland aufgrund der fragwürdigen Rolle der Intellektuellen in der DDR, in Westdeutschland aufgrund der Verachtung von »Volkes Stimme« in den Äußerungen der Intellektuellen zur Deutschlandfrage. Schon im Dezember 1 9 8 9 hatte der Publizist und Historiker JOACHIM FEST eine »Beklommenheit« unter den Intellektuellen konstatiert, die daher rühre, daß der Mauerfall eine »Revolution ohne Vordenker, überhaupt ohne intellektuelle Beteiligung« gewesen sei (7). Die Tatsache, daß mit dem Ende der DDR auch das Scheitern einer Idee manifest wurde, habe zu einer zusätzlichen »Verlegenheit« geführt. Das auffällige Schweigen der Intellektuellen angesichts der historischen Veränderungen in Osteuropa spreche für sich; jedenfalls könne man in Deutschland weder eine >Charta 77< noch einen Vdclav Havel vorweisen. In der Bevölkerung entwickle sich daher seit den politischen Ereignissen des Jahres 1989 ein »Soup9on gegen das politische Wortführertum der Intellektuellen«, die »in der Theorie hochreden, was dann für andere mühselige Praxis ist«.

1.2. Das Problem der nationalen Identität Der Philosoph RÜDIGER BUBNER konstatiert 1990 zunächst ebenfalls ein allgemeines Schweigen unter den westdeutschen Intellektuellen und führt das darauf zurück, daß sie angesichts der Revolution von 1989 »wirklichkeitsblind« geworden seien. Die Debatte um die staatliche Einheit Deutschlands werde im Westen nur von einzelnen Intellektuellen bestritten, die der Herausforderung, sich der Wirklichkeit zu stellen, nicht ausgewichen seien. Als Vertreter zweier entgegengesetzter Standpunkte führt Bubner Jürgen Habermas und Dieter Henrich an (3, 1019), deren Publikationen zur deutschen Wiedervereinigung kurz zuvor erschienen waren. Habermas vertritt in der Aufsatzsammlung Die nachholende Revolution die These, daß durch die Wiedervereinigung und die Ablehnung des »Dritten Wegs« nun die Gefahr des Rückfalls in eine »nationalstaatliche Vergangenheit« bestünde. Dieser skeptischen und antinationalen Argumentation von Habermas wirft Bubner einen falschen NationenbegrifF vor. Nation sei nicht durch Nationalismus zu definieren, sondern historisch als konkreter Verständigungshorizont politischer Einheit (1022f.). Habermas-Antipode Dieter Henrich sieht im Fall der Mauer durch die ostdeutschen Demonstranten die

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Möglichkeit, »zum ersten Mal eine >Republik Deutschland aus eigenem Wollen und Verstehen, also buchstäblich aus Volkswillen zu begründen«. Diesem Plädoyer für die Nation stimmt Bubner ausdrücklich zu, da hier Nation als Form des Republikanismus bestimmt werde (1025). Im Sinne Dieckmanns wäre hier anzumerken, daß Henrich als Intellektueller die revolutionäre Leistung der Ostdeutschen würdigt und damit einen Versuch vorlegt, einem »Vertrauensbruch« entgegenzuwirken. Die Rede vom »Schweigen der Intellektuellen«, die Fest aufgebracht und Bubner wieder aufgegriffen, dann aber relativiert hatte, stellt der Germanist HELMUTH KIESEL in seinen zehn Thesen zum Thema Die Intellektuellen und die deutsche Einheit (1991) als Klischee dar, dem im Hinblick auf zahlreich aufzufindende Äußerungen von Schriftstellern und Intellektuellen zu widersprechen sei. Die wesentlichen Äußerungen, die den Weg zur deutschen Einheit pointierend begleiteten, stammten - so Kiesel - allerdings in der Tat nicht von Intellektuellen, sondern von Politikern. Daß die Stimmen der Intellektuellen und Schriftsteller untergegangen seien, habe zwei Gründe: Zum einen sei keine Erklärung abgegeben worden, in der sich die Mehrzahl der Intellektuellen wiedergefiinden hätte - wie es ζ. B. 1918 in Heinrich Manns Rede Sinn und Idee der Revolution der Fall gewesen sei. Zum anderen seien die Intellektuellen mit ihren Bedenken quergelegen zur Dynamik des geschichtlichen Prozesses. Ihre Krise bestehe folglich darin, daß sowohl ihre Diagnosen als auch ihre Prognosen völlig an der Wirklichkeit vorbeiliefen. Diese analytische Unfähigkeit sei die Folge der deutschlandpolitischen Festlegung der Intellektuellen in den sechziger Jahren, als Jürgen Habermas, Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger im Gefolge von Karl Jaspers betonten, daß eine Wiedervereinigung nicht zur Debatte stünde (13, 50). Die damals entwickelte Idee der »Kulturnation« habe 1989 als Haupthindernis für eine angemessene Beurteilung der deutschlandpolitischen Möglichkeiten fungiert. Kiesel ruft jedoch auch in Erinnerung, daß die politische Teilung Deutschlands in der Literatur immer wieder beklagt worden ist - so bei Martin Walser und Peter Schneider (52). Wie Rüdiger Bubner stellt auch Kiesel fest, daß dagegen die Argumente derer, die sich - wie Habermas - als Vertreter einer Zweistaatlichkeit zu Wort meldeten, realitätsfremd, denunziatorisch und wenig stichhaltig seien. So werde in den Diskussionen um einen »Dritten Weg« die Bevölkerung der DDR übergangen und übersehen, daß gerade ein geteiltes Deutschland eine Gefahr fiir den Frieden sein könnte - worauf Walser schon hingewiesen habe (54). Daß sich die Befürworter der Vereinigung jedoch mit einer großen Moderatheit artikulierten, sei Symptom einer allgemeinen »Ernüchterung in nationalen Angelegenheiten«, so daß es zur deutschen Einheit weniger poetische Feiern gab als vielmehr Erzählungen, die von Aversionen gegen die Vereinigung geprägt sind: Kiesel zitiert Stefan Heym, Günter Gaus, Peter O. Chotjewitz und den etwas differenzierteren Friedrich Christian Delius (58f.). Die Skepsis angesichts der zukünftigen Entwicklung Deutschlands habe aber auch einen überraschenden positiven Effekt: Plötzlich würdigten auch Intellektuelle wie Habermas oder Muschg rückblickend die rechtsstaatliche Bundesrepublik und »Adenauers große Leistung« (57).

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Ähnlich wie Kiesel sieht CHRISTCAN JOPPKE 1 9 9 5 im Konzept der »Kulturnation« einen Hauptgrund dafür, daß die Intellektuellen erhebliche Probleme mit der deutschen Wiedervereinigung hatten. Die »ethnokulturelle« Bestimmung von Nation sei dabei auch als Wurzel für die nach 1989 verstärkt auftretende Xenophobie zu verstehen (II, 219). Daß ein nationaler Diskurs in Deutschland nicht aufkommen konnte (im Gegensatz zu den osteuropäischen Staaten, in denen der nationale Diskurs das größte Gegengewicht zum Kommunismus gewesen sei), erklärt Joppke mit zwei Phänomenen. Zum einen habe die Nazi-Vergangenheit eine angemessene Auseinandersetzung mit der DDR verhindert. Man habe den Gründungsmythos der DDR, ein antifaschistischer Staat zu sein, akzeptiert, Westdeutschland daraufhin negativ bewertet und zugleich übersehen, daß die DDR ein besetztes Land war (221). Kritik am Sozialismus hätte als Entschuldigung des Nationalsozialismus gegolten und sei daher weitestgehend ausgeblieben. Zum anderen meint Joppke, daß der Sozialismus tief in der deutschen Kultur verwurzelt sei, und die sozialistische DDR somit von den Intellektuellen als Bewahrerin der Tradition empfunden worden sei. Den Verlust der DDR-Kultur bedauerten heute jedoch nur die einst etablierten Intellektuellen, während einst marginalisierte und verfolgte Intellektuelle frei von Nostalgie seien (230). Daß die Wiedervereinigung durchaus Grund zu »poetischen Feiern« gegeben hätte, auf deren Ausbleiben Kiesel aufmerksam machte, legt DIETER HENRICHS Aufsatzsammlung Nach dem Ende der Teilung (1993) nahe. Die Kernthese des Philosophen Henrich lautet, daß sich durch die deutsche Einheit nicht nur die Lage Deutschlands in Europa geändert hat, sondern daß das Ende der Teilung nun wieder ein eigenständiges Denken der Intellektuellen ermögliche und vor allem fordere, nachdem sie zuvor häufig Denkmodelle des Westens bzw. des Ostens lediglich übernommen hatten. Durch die neue republikanische Wirklichkeit, die eine selbständige Weltorientierung ermögliche, werde sich, die intellektuelle Befangenheit auflösen (9, 173). Eine republikanische Verfassung habe in Deutschland aber lange gefehlt, weshalb der Intellektuelle kein spezifisch deutscher Typus sei und es in Deutschland auch keine eigenständige intellektuelle Sozietät gegeben habe: Vielmehr seien deutsche Intellektuelle durch die Befangenheit ihres Denkens, eine kurzatmige Hektik und ein Hinterherhinken hinter amerikanischen Erkenntnissen und Positionen gekennzeichnet gewesen. Die daraus resultierende diagnostische Schwäche habe in Verbindung mit einer generellen Aversion deutscher Intellektueller gegenüber der bundesrepublikanischen Gesellschaft zum Versagen der Intellektuellen im Prozeß der Wiedervereinigung geführt (170ff). Henrich sieht im Prozeß der deutschen Einheit einen besonderen Vorteil für die ostdeutschen Intellektuellen: Diese seien nach 1968 nicht der allgemeinen Anpassung an neue Sprachnormen ausgesetzt gewesen und könnten heute mit mehr Sensibilität eine neue Sprache der Politiker einfordern, die den Problemen in Ostdeutschland gerechter würde. Auf der »Tagesordnung« für Intellektuelle stünden: die kritische Durchsicht des Marxismus nach seinem Bestand in den Biographien, seinen Auswirkungen, Leistungen, Fehlern und seinem geschichtlichen Verhaftetsein einerseits, eine aufgeschlossene Selbstkritik und Selbster-

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klärung andererseits. Der Stasi-Debatte komme dabei keine intellektuelle Bedeutung zu, da sie mehr Sensationslust als analytisches Interesse befriedige (176ff.). Henrich erklärt das Jahr 1789 zum Geburtsjahr der Intellektuellen, da durch die Französische Revolution der Hofmann und der Homme de lettres zu einer Mixtur verallgemeinert und als Ideal eines freien und zivilisierten Lebens auf den Bürger übertragen worden seien. Für ULRICH SCHÖDLBAUER gerät diese 1789 begonnene Epoche der Intellektuellen mit dem Jahr 1989 nun nicht in eine Krise, sondern an ihr Ende (24, 15). Anders als Henrich bewertet Schödlbauer die Möglichkeiten der Intellektuellen als äußerst gering; er argumentiert aber weniger in Bezug auf die politische Verfassung, sondern vielmehr im Hinblick auf soziokulturelle Phänomene. Die Hauptthese seines Aufsatzes Vom Verschwinden der Intellektuellen (1996) lautet, daß der »Intellektuellentraum - die Rationalisierung des menschlichen Daseins mit den Waffen des Denkens« ausgeträumt sei (14). Die Ökologiebewegung habe dazu geführt, daß jeder einzelne einen »intellektuellen Bewußtseinsstand« erwerben konnte. Jeder habe die intellektuelle Sprache und in Diskussionen genüge nun lediglich »ein bißchen Gesinnung«. Einzelne Vordenker würden nicht mehr gebraucht. Die Mediengesellschaft habe stattdessen den Typus des »Parteiintellektuellen« herangezogen, der in seiner Gesprächsbereitschaft vom distanzierten Monolog des wirklichen Intellektuellen weit entfernt sei (10). Neben der Popularisierung durch die Medien sieht Schödlbauer einen weiteren Grund für die Agonie der Intellektuellen in ihrer »Zähmung« durch die langjährige Konkurrenz der politischen Systeme und durch die Erfahrung der Weimarer Republik. Diese Zähmung habe zur Folge, daß ihnen die »Vision der einen emanzipierten Menschheit« aus dem Blickfeld geraten sei. Die wenigen Ungezähmten, die sich auch nicht als »Parteiintellektuelle« definieren lassen wollten, hätten es sich dagegen zur Aufgabe gemacht, »das Schweigen zu brechen, mit dem die klugen Leute ihr Wissen und ihre Ahnungen in bezug auf das, was vorgeht, zu umhüllen pflegen« (12). Doch gibt Schödlbauer zu bedenken, daß es nie zu einem »intellektuellen Bewußtseinsstand« kommen könne, der etwa »mit normativer Kraft begabt« wäre (14).

1.3. Das gescheiterte Denkmodell des »Dritten Wegs« Einen einheitlichen »Bewußtseinsstand« nimmt HELMUT DUBIEL, Direktor am Frankfurter Institut für Sozialforschung, 1990 zumindest für die »Linksintelligenz« an und beschäftigt sich mit ihrer Reaktion auf die Ereignisse des Jahres 1989. Er stellt dabei zwei »Modelle der Trauerarbeit« fest, wie sie bereits Freud beschrieben habe. Nach Freud kann Trauerarbeit geleistet werden, indem eigene Vorstellungen abrupt aufgegeben werden: das, so Dubiel, sei manisch, bzw. postmodern. Der andere Weg sei der des Melancholikers, dessen Ablösung vom geliebten Objekt (hier: die DDR) mißlingt, weil er die eigene Identität unter falschen Prämissen aufrechterhalten will (hier: die Hoffnung auf eine Reform des Sozialismus). Das enttäuschte Traumbild des »Dritten Wegs« rühre vom Begriff des >Endes des Kapitalismus< her, der seit der Zeit des Anti-Antikommunismus Projektionsfläche im kollektiven Unbewußten vieler Linker gewesen sei (6,

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485). Dubiel betont dabei den Begriff des Traumbildes, da das Modeil des »Dritten Wegs« eine rein heuristische Funktion gehabt und auf keinerlei konkreter Grundlage beruht habe. Die Linke habe nicht nur übersehen, daß Realisierungsversuche dieses Modells von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen seien, sondern habe in ihrer Theorie vom »Ende des Kapitalismus« auch die Tatsache Ubersehen, daß der Kapitalismus über eine enorme Wandlungsfähigkeit verfüge und sich somit auch sozialistische Kritik einverleiben könne, ohne von ihr substanziell angegriffen zu werden ( 4 9 0 ) . Auf ein anderes »grobes Mißverstehen der Realität« macht der Literaturwissenschaftler ANDREAS HUYSSEN ( 1 9 9 1 ) aufmerksam. Der Vorwurf der Intellektuellen, die ehemalige DDR sei nach 1989 von der Bundesrepublik kolonisiert worden, geschehe aus Unkenntnis der Funktionsweise westdeutscher demokratischer Institutionen und entstamme dem ideologischen Vokabular des Kalten Krieges. Dadurch, daß die Intellektuellen noch den »Dritten Weg« diskutierten, als er schon längst nicht mehr realisiert werden konnte, hätten sie die geistige Führerschaft verspielt. Huyssen läßt hier erkennen, daß er den »Dritten Weg« für grundsätzlich machbar gehalten hat, weshalb er den Intellektuellen hauptsächlich ein »Zuspätkommen« vorwirft, während Dubiel das gesamte Konzept des »Dritten Wegs« als Fehler ansieht. Doch auch Huyssen wertet das Phänomen, daß die Intellektuellen in ihrer Rolle als Seismographen - Huyssen nennt vor allem Stefan Heym, Bärbel Bohley und Günter Grass - im November 1989 die Wünsche der Bevölkerung fehldeuteten, als Versagen. Währenddessen habe Helmut Kohl als Genie erscheinen können (10, 112). Darin sieht Huyssen zwar eine schwere, aber zugleich auch nötige Krise des Selbstverständnisses und der öffentlichen Rolle der deutschen Intellektuellen. Als Grund für die Krise der westdeutschen Intellektuellen führt Huyssen wie Kiesel den seit den 60er Jahren vorherrschenden »linksliberalen Konsens« an. Gründe für die Krise und Melancholie der ostdeutschen Intellektuellen vermutet Huyssen in der existenzbedrohenden Krise der kulturellen Institutionen, die zu einer DDRNostalgie führen werde.

1.4. Die Prägung der ostdeutschen Intellektuellen durch ihre Vergangenheit Die Diskussion über die Autorität der Intellektuellen nach 1989 bedarf zwangsläufig einer Auseinandersetzung mit der Rolle der ostdeutschen Intellektuellen in der DDR. In dieser Auseinandersetzung steht das Verhältnis von Geist und Macht im Mittelpunkt. Der Schriftsteller GERT HEIDENREICH betont zu Beginn seines Essays Volk ohne Traum ( 1 9 9 2 ) , daß Intellektuelle keine besseren Menschen seien und beginnt seinen Versuch einer Ehrenrettung ostdeutscher Intellektueller, indem er zu bedenken gibt, daß der Mut der Autoren zu Kritik am Staat unterschiedlich ausgeprägt sei. Zudem habe in der DDR das Gefühl, mit seinen Hoffnungen »fremd in der eigenen Zeit« zu sein, fatalerweise den Effekt einer Sehnsucht nach Heimat gehabt, die sich in gesuchter Staatsnähe ausgedrückt habe und bis zum Denunziantentum führen konnte (8, 58). Nun sei aber die »Staatssicherheit« zum »Prüfstein der Literatur« geworden. Von viel größe-

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rer Bedeutung seien jedoch Fragen nach der allgemeinen Anfälligkeit deutscher Intellektueller für Totalitarismen - ζ. B. die Frage, ob es eine deutsche »Blockwart-« oder »Spitzel-Mentalität« gebe, die sich im Osten nach 1945 habe fortsetzen können (59). Die Intellektuellen-Debatte nach 1989 sei dagegen in einem solchen Ausmaß von den Medien geprägt, daß lediglich Schlagworte und unausgereifte Redebeiträge ausgetauscht werden könnten. Das so vorgeführte Unvermögen zur Selbstkritik, das Heidenreich auf die Tradition des deutschen Idealismus zurückführt, trage zum Schwund des Vertrauens in die Intellektuellen bei (66). Diese Überlegungen entsprechen dem, was Friedrich Dieckmann 1990 formuliert hatte, und betonen ähnlich wie Schödlbauer 1996 die besondere Rolle der Medien in der Krise der Intellektuellen. Interessanterweise hatte Ulrich Schödlbauer den Begriff des neuen »Parteiintellektuellen« für diejenigen gebraucht, die sich dem Diskussionsstil der Medien anpassen. Der Philosoph HANS-PETER KRÜGER verwendet aus ostdeutscher Sicht den Begriff des »Parteiintellektuellen« in seinem Beitrag Ohne Versöhnung handeln, nur nicht leben (1992) im herkömmlichen Sinn als Bezeichnung für Ideologen. Bei aller Kritik zeigt Krüger die große Gefahr auf, als Intellektueller in starken Monopolstrukturen zum Ideologen zu werden und nimmt daher eher die Rolle des Verteidigers ein. Wie bei Heidenreich gilt auch bei Krüger, daß Intellektuelle »auch nur Menschen« seien. In der DDR habe der Widerspruch zwischen Opportunismus und Distanz, zwischen »Handlungen, die die Monopolstruktur konservierten, und Handlungen, die sie durch Modernisierung erodierten«, so gut wie jeden durchzogen und sei in protestantischer Tradition verinnerlicht worden (75, 47). Der Reformsozialismus habe vor allem für den Intellektuellen die innerliche Versöhnung zwischen der Duldung des Monopolregimes einerseits und dem Selbstverwirklichungsanspruch andererseits im Kampf gegen die latente Schizophrenie dargestellt. Die reformsozialistischen Erwartungen seien dann von jedem historischen Einschnitt neu differenziert und schließlich ab Dezember 1989 ganz aufgelöst worden. Hier zeigt Krüger deutlich, daß der »Dritte Weg« - wie ihn auch Dubiel analysiert hat - als therapeutisches Konzept mehr denn als historische Alternative funktionierte. An ein Ende der Intellektuellenepoche glaubt Krüger indes nicht. Auch wenn der Anspruch, Einfluß auf das Volk zu nehmen, inzwischen mehr von Popkünstlern als von Dichtern eingelöst werde (44), sei es nach wie vor ihre Aufgabe, Zusammenhänge darzustellen. Das müsse in einer entwickelten Expertenkultur zwangsläufig zu Dilettantismus führen; das Risiko falscher Diagnosen sei zwar hoch, doch das Verdienst, vor Gefahren zu warnen, sei dabei nicht zu vernachlässigen (43). In der aktuellen Intellektuellen-Debatte empfindet Krüger das Schüler-LehrerVerhältnis zwischen ost- und westdeutschen Intellektuellen angesichts des ostdeutschen Erfahrungsreichtums für unangemessen und plädiert für eine »symmetrische Verständigung«. Dabei sei zu fragen, ob Westdeutsche anders gehandelt hätten als ihre Kollegen aus Ostdeutschland, ob nicht auch sie einen Widerspruch verinnerlicht hätten (der aus einer Übermodernisierung resultierte) und ob nicht auch ihr Handeln von Opportunismen gekennzeichnet gewesen sei (50). Krüger schließt seine Ausführungen mit der Vermutung, daß die Wiedervereinigung für die Bundesrepublik eine größere Bewährungsprobe werde als es

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>1968< gewesen sei. Ähnlich wie Krüger, der eine kritische Rückschau von Ostwie westdeutschen Intellektuellen fordert (und dabei den Akzent auf die westdeutschen legt), hält es Gert Heidenreich in dieser Bewährungsprobe für erforderlich, daß die Vereinigung zum Anlaß genommen werde, Geschriebenes neu zu betrachten, zu prüfen, aber auch zu nutzen. Dabei sollte nicht der Fehler begangen werden, Utopie mit Ideologie zu verwechseln, mit anderen Worten: man möge den Intellektuellen das Recht auf Zukunftsentwürfe nicht verwehren. Der Soziologe WOLFGANG BlALAS (laut Selbstbeschreibung »in der DDR sozialisiert«) konstatiert in seinem Buch Vom unfreien Schweben zum freien Fall (1996) das Scheitern der ostdeutschen Intellektuellen nach dem gesellschaftlichen Umbruch von 1989 und unternimmt den Versuch, dieses Scheitern sowohl aufgrund ihrer besonderen Vergangenheit in der DDR als auch aufgrund der allgemeinen Definition des Intellektuellen in einer ausführlichen Analyse zu erklären. Daß ein Philosoph Held des gesellschaftlichen Umbruchs werden könnte, hält Bialas für einen Mythos - schließlich bevorzugten Intellektuelle heroische Gedanken den Taten oder Platitüden, die ihnen entspringen könnten (/, 179). Auf die Revolution von 1989 bezogen, verwundere es daher nicht, daß die Intellektuellen nicht als Integrationsfiguren gewirkt (30), sondern vielmehr einen »Wirklichkeitsschock« erlitten haben (180). Als bezeichnend zitiert Bialas einen »um Normalität bemühten« Artikel der Deutschen Zeitschrift ftir Philosophie vom Herbst 1989 über die »unscharfen Konturen« der Revolution und ihre Folgen für das philosophische Denken. Dementsprechend vermißt Bialas, daß sich die geistige Befreiung nach der Wende in einer »innovativen Produktion origineller Texte« ausgedrückt hätte (207). Statt dessen seien die Interpretationen der Ereignisse von 1989 so unsicher gewesen, daß sie als gemeinschaftsstiftende Sinnkonstruktionen nicht dienen konnten. Sowohl die These, der Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme habe den wahren Sozialismus befreit, als auch die These, die Vereinigung sei die Verhinderung eines demokratischen Sozialismus, liefen ins Leere und würden rasch unglaubwürdig (62). Gründe, warum den ostdeutschen Intellektuellen der Umgang mit der Wende so schwerfällt, seien, so Bialas, zum einen in der spezifischen Situation der Intellektuellen in der DDR zu finden. Daß es bis zum Herbst 1989 keinerlei »Vernetzung von professionellen Intellektuellen und Oppositionskultur« gegeben hatte (185), sei insofern verständlich gewesen, als die Vermeidung von Risiken, die »Anerkennung bestehender Machtmonopole« Voraussetzung waren, um im realsozialistischen Wissenschaftsbetrieb eine Chance zu haben (190). Dies sei den Intellektuellen, die generell dem Typus des »von eigener Verantwortung entlasteten unpolitischen Mitläufers« angehörten und sich nicht im politischen Kampf organisierten (40), nicht ungelegen gewesen. Wer dagegen bekennenderweise zur »sozialistischen Intelligenz« gehörte, habe sich als Teil einer »Armee von Parteisoldaten« verstanden. Alle anderen hätten ihre Gleichschaltung als Verweigerungshaltung stilisiert, obwohl sie nicht nur in die wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Institutionen eingebunden, sondern mit ihnen existentiell verbunden gewesen seien (87). Bialas zeigt, daß diese Verbundenheit schon auf sprachlicher Ebene begann: Das »Geheimnis es funktionalen Zusammenspiels marxistisch-leninistischer Ideologie

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und geistes- und sozialwissenschaftlicher Reflexionskultur« liege in der gemeinsamen Bindung an das Ideologem, »Gesellschaft nach dem normativen Maß einer Gemeinschaft im Großen zu gestalten« (43). So habe als Integrationsideologem beispielsweise auch der Begriff des Antifaschismus gewirkt (144). Die in diesem Zusammenspiel gepflegte ideologische Kunstsprache habe eine Separierung vom Rest der Bevölkerung bewirkt, die sich 1989 noch einmal bemerkbar machen sollte. Der allgegenwärtige Offizialdiskurs wurde, wie Bialas anhand eines Beispiels von einer Brecht-Tagung darlegt, nur gelegentlich mit rhetorischen Tricks zu durchbrechen versucht (194). Ansonsten habe der »Geist des Sozialismus« geherrscht, dessen Sakralisierung Bialas erklärt, indem er calvinistische und lutherische Elemente einer »gesellschaftlich relevanten protestantischen Berufsethik in der DDR« aufspürt, von denen auch schon Krüger sprach (79). Er wirft den ostdeutschen Intellektuellen vor, die machtpolitischen Hannonierituale nie gesellschaftskritisch betrachtet zu haben und hebt hervor, wie die »Legende von der >Unschuld der Intellektuellem« durch Rückgriffe ambitionierter Machtpolitiker auf intellektuelle Vorleistungen widerlegt worden sei (59, 64). Auch seien nicht nur die »Parteisoldaten« Mitglied in der SED gewesen (183). Da die Intelligenz keine Konkurrenz gehabt habe und bei den Arbeitern nur auf Ignoranz gestoßen sei (278), habe sie ungestört unter sich bleiben können, sei aber auf ein »Feedback« angewiesen gewesen, wie sie es - neben den westlichen Medien vor allem in der Staatssicherheit fand. Bialas vermutet, sie habe sich dieser Aufmerksamkeit geradezu erfreut, da doch ihre Bedeutung dadurch nur steigen konnte (275). Diese Faktoren hätten dazu geführt, daß der Intellektuelle in der Zeit des Umbruchs sowohl unfähig war, sich auf das Neue unter Verlust seiner Privilegien einzustellen, als auch so diskreditiert war, daß man seine Führerschaft nicht in Anspruch nehmen wollte. Das Scheitern der Intellektuellen im Herbst 1989 führt Bialas aber auch auf phänomenologische Besonderheiten des Intellektuellen-Status zurück. So gehöre zu seinem Verhaltenskodex beispielsweise die Verpflichtung zu Betroffenheit und Distanzwahrung (20). In dieser Distanz könne er dann die Exklusivität seiner Deutungsmacht pflegen (36) und Auseinandersetzungen auf »symbolische Kampfplätze« verlegen (31). Daß er in der Verfolgung eigener sozialer Interessen (75) - »im Gewände der Aufklärung verkleidet - einmal in Übereinstimmung mit den Massen gerät, sei zwar erstrebtes Ziel des »messianisch gestimmten Intellektuellen«, doch nur selten anzutreffen. Für die wenigen Tage vor dem Fall der Mauer sieht Bialas diese Konstellation eingetreten, als sich alle Bewegungen auf die Formel des »demokratischen, reformierten Sozialismus« geeinigt hatten. Doch habe dieser Gleichklang vorübergehend zuviele Divergenzen überdeckt, um Bestand haben zu können. Für diese Entwicklung gibt Bialas zweierlei theoretische Grundlagen an die Hand. Zum einen funktioniere der Zusammenschluß idealischer Intentionen mit realen Entwicklungen nur durch Ausblendung ganzer Realitätsbereiche. Hier verknüpft Bialas Dubiels Formulierung von der rein »heuristischen Funktion« des »Dritten Wegs« mit dem bei Bubner und Kiesel hervorgehobenen Aspekt der »Wirklichkeitsblindheit«. Zum anderen verbinde die Teleologie höherer Ziele »Geistesaristokraten« und Machtpotenta-

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ten in ihrer Tendenz zur Totalität. Totalitäre Bewegungen entwickelten aber zwangsläufig eine »destruktive Dynamik« (22). Das »Ende des kurzen Hochgefühls einer intellektuell dominierten Protestgemeinschaft« (82) zu erleben, habe Folgen für das Selbstverständnis der Intellektuellen. Zunächst habe das Scheitern den Effekt der weiteren Separierung und Hermetisierung gehabt (24) - erschwerend komme hinzu, daß andauernde Kommunikationsstörungen zwischen den kulturellen, subkulturellen und intellektuellen Milieus deren Funktionsverlust einleiten (276). Im Umgang mit der persönlichen Vergangenheit stellt Bialas zwei Varianten der Selbsttäuschung fest: die Illusion des radikalen Neuanfangs ohne die Last der Vergangenheit oder das Gefühl der eigenen ÜberflUssigkeit mit der daraus resultierenden Flucht in »Krankheit, Theorie oder Poesie«. Beides bedeute eine Uminterpretation des Geschichtsprozesses, die oft die Uminterpretation der eigenen Existenz nach sich ziehe (33). Ein weit verbreitetes Phänomen sei die »negative Lebensbilanz«, die keine Erwartungen mehr an die Zukunft stelle, und nur in der Vergangenheit noch Positives erkennen könne (47). Die Versuchung der Nostalgie liege da nicht fern, wie auch Huyssen, Dubiel und Heidenreich folgerten (140). Die Vergangenheitsbewältigung laufe, so Bialas, dann nach drei möglichen Strategien ab: Aufwertung der eigenen Biographie, Distanzierung von der Biographie als einer fremdbestimmten oder Aufspaltung der eigenen Biographie in eine gesellschaftlich geprägte exemplarische und eine autonome, zur distanzierten Betrachtung fähige Individualität (T26f.). Das Eingeständnis, zu einer Sinnproduktion in der Gegenwart nicht fähig zu sein, veranlasse viele Intellektuelle zu postmodernen Untergangsvisionen und zum Versuch, das Ende der Illusionen als Ende der Geschichte »apokalyptisch zu verlängern« (53). Das habe, so bedauert Bialas, den Abschied von der Emanzipationsmetapher zur Konsequenz und bedeute das problematische Eintauchen in postmoderne Beliebigkeiten, ohne sich ihrer Chancen und Risiken bewußt zu sein (69f.). Dem entspreche die zunehmende Anzahl von Stimmen, die eine wertfreie Wissenschaft reklamierten (268). Als Hauptgefahr aber betrachtet Bialas die Anpassung der ostdeutschen Intellektuellen an den westlichen Mainstream. Sich nun ausschließlich derjenigen Jargons zu bedienen, die am wenigsten an die marxistische Terminologie erinnerten, sei eine Vernachlässigung der eigenen Möglichkeiten. Hier erinnert Bialas' Entwurf an die Aussage von Henrich, die ostdeutschen Intellektuellen hätten den Vorteil, nicht an die nach 1968 etablierten neuen Sprachnormen der westdeutschen Intellektuellen angepaßt zu sein und somit auch sprachlich zu einer neuen Sichtweise auf ostdeutsche Probleme beitragen zu können. Doch Bialas geht einen Schritt weiter und fordert einen eigenen ostdeutschen Diskurs. Es gelte für den ostdeutschen Intellektuellen nun, zu sortieren, welche Texte aus der dem Marxismus verpflichteten Wissenschaft noch Bestand haben könnten (193), und den Umbruch als Chance zu nutzen und die eigene Detailkenntnis des untergegangenen Systems als »Marktvorteil« zu entdecken (280). Bialas empfiehlt daher auch eine neue Unbefangenheit im Umgang mit marxistischem Vokabular (272). Nur eine Minderheit jüngere ostdeutscher Intellektueller habe es bisher verstanden, fernab vom Mainstream in einer Neubestimmung kritischer Theorie nach Moderni-

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sierungspotentialen des Kapitalismus zu fragen, die noch »klassengesellschaftlich blockiert« seien (198). Erstaunlicherweise kommt Bialas zu dem Schluß, daß die im Westen lange Zeit gültige »altlinke Sicht«, der Kapitalismus sei generell unfähig, globale Probleme zu lösen, Ursache für Irritationen zwischen ost- und westdeutschen Intellektuellen gewesen sei - womit sich also die sozialistische Erfahrung der Ostdeutschen als Motor einer kapitalistischen Erneuerung herausstellen würde (196). Dennoch ist Bialas skeptisch: Daß die ostdeutschen Intellektuellen die westliche Sozialisation nicht »nachholen« könnten, sei für die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Ost und West schwerwiegender als theoretische Differenzen (210). Für beide Seiten gilt laut Bialas, daß die Geschichte »mit Sicherheit nicht zu Ende« ist, die globalen Probleme aber ohne »großen Steuermann« nun miteinander angegangen werden müssen (45). Zwar sei es »mit der unbefragten Zuständigkeit des Intellektuellen für Sinnproduktion erst einmal vorbei« (60) hier entspricht er u. a. den Überlegungen Krügers - doch sollten die bescheidenen Möglichkeiten genutzt werden. Der Intellektuelle sollte eine »besondere Verantwortung durch Reflexionsfähigkeit geschulter sozialer Sensibilität« verspüren (281). Selbst wenn die Verwirklichung von Ideen gescheitert sei, so heiße das nicht, daß die Legitimität der Ideen aufgehoben sei (64).

2.

Plädoyers für den postmodernen Intellektuellen

2.1. Von realer Geistesgegenwart In seinem »Plädoyer für eine neue Bescheidenheit der Intellektuellen« setzt sich der Publizist PAUL NOACK (.Deutschland, deine Intellektuellen, 1991) ausführlich damit auseinander, warum die Mehrzahl der Intellektuellen mit ihrer Abneigung gegenüber der Wiedervereinigung aus der bisherigen Meinungsführerschaft herausgefallen sind. Noack gesteht den Intellektuellen zu, per definitionem zur »diskutierenden Klasse« und damit zu den »Bedenkenträgern der Nation« zu gehören. Auch sei es Aufgabe des Intellektuellen, Stellung zu nehmen und systemkritisch zu sein, Sorgen zu artikulieren und gleichzeitig Sorgen zu bereiten. Doch die Abscheu vor der eigenen Nation, die Noack bei den deutschen Intellektuellen feststellt, gehöre hierzulande geradezu zum »juste milieu« und sei auch nur in Deutschland vorzufinden (23, 9). Noack versucht, dieses Phänomen zu erklären, indem er von einer »selektiven Wahrnehmung« der westdeutschen Intellektuellen spricht: diese hätten die DDR vor 1989 als HofFnungsträger für ihre Utopien genutzt. Um die schwierige »Vorausschau« leisten zu können, die man von Intellektuellen erwarte, hätten sie sich »multifunktionale Schlagworte« geschaffen, gleichsam als Schöpfer neuer Wirklichkeiten, als die sie dann in der Rolle des Stichwortgebers, Kommentators oder Kritikers in die Medien eingeladen worden seien (123ff.). Heute gönnten sie sich den Luxus einer Rückwärtsgewandtheit und schließlich, in ihrer Ablehnung der Wiedervereinigung, der Identitätsverweigerung (121).

Intellektuelle nach 1989

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Für einen zukunftsorientierten Blick des Intellektuellen, der gleichwohl nicht auf einem »dritten Weg« den Sozialismus zu retten versuchte, empfiehlt Noack den Intellektuellen, sich an neuen Aufgaben zu »erproben«. Noack schwebt die »Schaffung einer integrierten Nationalkultur« vor: In einer Zeit, in der Politik und Ökonomie zunehmend zusammengehen würden, bedürfte es einer Stärkung des kulturellen Bereichs: durch unaufgeforderte Beiträge für die »notwendige Planung der menschlichen Rahmenbedingungen« (Bildung, Ausländerproblematik, Arbeitslosigkeit, Erschöpfung der Rohstoffreserven, Naturzerstörung). Es werde darum gehen, so Noack, das gesellschaftlich und verantwortungsethisch Tragfähige zu prüfen und eine »>kleine< Utopie des common sense«, wie sie schon Hildegard Hamm-Brücher 1969 gefordert habe, zu entwickeln (138). Dafür jedoch bedürfe es einer Ausweitung der intellektuellen Zuständigkeit. »Die Intellektuellen müssen sich unter uns mischen«, fordert Noack, sich demonstrativ ganz aus der Reihe der Intellektuellen ausschließend, indem sie sich auf das »Handfeste« einlassen und nicht nur Stellung beziehen, sondern auch konkrete Alternativen aufzeigen. Das würde bedeuten, daß sie nicht mehr große telegene Schlachten, sondern kleine Gefechte führen müßten. Damit stellt sich Noack als ein weiterer Vertreter der These dar, daß die Medien in ihrer Tendenz zur vereinfachenden und polarisierenden Äußerungsform für die Krise der Intellektuellen mitverantwortlich sind. Überraschenderweise meint Noack, im Gegensatz zu Huyssen etwa, daß der Intellektuellentypus, wie ihn Väclav Havel darstellt, für Deutschland nicht denkbar sei (64). Der politische Einfluß von Intellektuellen sei vor allem in den Staaten wie der Tschechoslowakei groß, die sich eine Identität erst bewußt erwerben müßten und in der Umbruchzeit gezielt Intellektuelle »einsetzten«, da sie besonders gut ihre Wünsche und Hoffnungen artikulieren könnten. Die deutschen Dichter, die den Aufruf Für unser Land verfaßt haben, hätten dagegen ohne Auftrag gehandelt und Wörter für die Wirklichkeit gehalten, womit auch Noack im »Dritten Weg« lediglich ein theoretisches Konstrukt, jedoch keinen Handlungsentwurf sieht. Das eigentliche Material des Intellektuellen sei und bleibe die Sprache (129). Unter den ostdeutschen Intellektuellen sieht Noack eine größere Offenheit bei der Auseinandersetzung mit der Frage, warum Intellektuelle in der Revolution nichts zu sagen gehabt hätten. Selbstkritik empfiehlt Noack vor allem auch den westdeutschen Intellektuellen: Er sieht darin eine Möglichkeit, das häufig beklagte »Schisma« zwischen ost- und westdeutschen Intellektuellen zu überwinden (14). Noacks Aussage, daß im Gegensatz zu den westdeutschen Intellektuellen eine Mehrzahl der ostdeutschen Intellektuellen die Wiedervereinigung befürwortet habe, bleibt leider ohne Beleg und dient seiner Argumentation gegen die westdeutschen Intellektuellen daher nur begrenzt. THOMAS H. MACHO, Professor für Friedensforschung, diagnostiziert für die Zeit nach der Niederlage des Sozialismus Arroganz und Schwerhörigkeit unter den Intellektuellen und legt dabei den Hauptakzent wie Noack auf Westdeutschland. In seinem Beitrag Geistesgegenwart (1992) legt er dar, daß die »Krise des intellektuellen Auserwählungsparadigmas« aber nicht erst 1989 begonnen habe, sondern schon lange zuvor evident geworden wäre (18, 47). Ex-

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emplarisch zitiert er Michael Rutschkys Essay über die siebziger Jahre Erfahrungshunger, in dem es heißt, es gebe zuviele Bücher und zuviele Intellektuelle, mit der Konsequenz, daß jede Idee automatisch schon ein Plagiat sei. Damit habe Rutschky mustergültig das »Zeitalter der Kritiker« beschrieben, in dem die steigende Selbstreferentialisierung unter den Intellektuellen zur Depression führe (51). Aber auch Lösungsvorschläge gegen die Krise seien schon länger vorhanden. So habe Canetti in seinem »Anti-Nietzsche-Plädoyer« von 1983 ein »Denken ohne Neigung zu falschen Verallgemeinerungen«, »ohne > Willen zur Machtvorbelastet< zu sein. Das betrifft sowohl ehemalige DDR-Ideologen wie auch ihre westdeutschen Kollegen, die sich lange Zeit nicht unbedingt als Feinde der DDR-Diktatur zu erkennen gegeben hatten. Ein in der Vergangenheit begründbares gutes Verhältnis zur Masse der Bevölkerung können nur jene vorweisen, die sich in den oppositionellen Bürgerbewegungen engagiert hatten. Aus ihren Kreisen gelangt ein neues SelbstwertgeiÜhl in das vereinte deutsche Geistesleben, das sich nun nicht mehr nur mit dem Zustand, sondern auch wieder mit den Aufgaben der Intellektuellen auseinandersetzt. Für den »dritten Weg« einzutreten oder gar eine neue Lesart des Sozialismus zu empfehlen, waren anfängliche Zeugnisse für eine Haltung, die sich der »condition postmoderne« nach 1989 zu verweigern suchte. Erstaunlich ist, wie selten hier die Aspekte der Freiheit und neuer Autonomie Erwähnung fanden. Andere plädierten dagegen gerade für ein postmodernes Selbstverständnis der Intellektuellen, das sich nach dem Scheitern der großen Ideen in konkreterer Alltagsbezogenheit und realistischerer Analyse auszudrücken hätte. Ihre Devise lautete: Verzicht als Zugewinn an Glaubwürdigkeit. Diese Haltung ist jedoch schwer durchzuhalten (vgl. Roman Luckscheiter: Die Masse massakriert ihre Agenten. Über den hellhörigen Hans Magnus Enzensberger. In: Merkur 52 (1998), H. 8, S. 736-740).

Bibliographie 1. Bialas, Wolfgang: Vom unfreien Schweben zum freien Fall. Ostdeutsche Intellektuelle im gesellschaftlichen Umbruch. Frankfurt am Main: Fischer, 1996. 2. Bronkhorst, Hauke: Der entzauberte Intellektuelle. Über die neue Beliebigkeit des Denkens. Hamburg: Junius, 1990. 3. Bubner, Rüdiger: Philosophen und die deutsche Einheit. In: Merkur 44 (1990), H. 500, S. 1018-1025. 4. Buch, Hans Christoph: Engagement oder Elfenbeinturm - Sind die Intellektuellen auf dem Rückzug? In: Erwin Teufel (Hrsg.): Was hält die moderne Gesellschaft zusammen? Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996, S. 249-256. 5. Dieckmann, Friedrich: Glockenläuten und offene Fragen. Berichte und Diagnosen aus dem anderen Deutschland. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1991. 6. Dubiel, Helmut: Linke Trauerarbeit. In: Merkur 44 (1990), H. 496, S. 482-491. 7. Fest, Joachim: Schweigende Wortführer. Überlegungen zu einer Revolution ohne Vorbild. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Dezember 1989, S. 25. 8. Heidenreich, Gert: Volk ohne Traum. Die deutsche Intellektuellen-Debatte. In: Neue deutsche Literatur 40 (1992), H. 476, S. 56-67. 9. Henrich, Dieter: Nach dem Ende der Teilung. Über Identitäten und Intellektualität in Deutschland. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1993. 10. Huyssen, Andreas: After the Wall: The Failure of German Intellectuals. In: New German Critique 52 (1991), S. 109-143. 11. Joppke, Christian: Intellectuals, Nationalism, and the Exit from Communism: The Case of East Germany. In: Comparative Studies in Society and History 37 (1995), S. 213-241. 12. Jung, Michael: Intellektuelle und Politik. Versuch einer Verständigung. In: Eichholz Brief. Zeitschrift zur politischen Bildung 33 (1996), H. 4, S. 95-101.

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13. Kiesel, Helmuth: Die Intellektuellen und die deutsche Einheit. In: Die politische Meinung 36 (1991), Η. 264, S. 49-60. 14. Kohler, Georg: Das institutionalisierte Individuum. Über intellektuelles Rollenverständnis heute. In: 21, S. 27-37. 15. Krüger, Hans-Peter: Ohne Versöhnung handeln, nur nicht leben. Zur Diskussion um DDRIntellektuelle. In: Sinn und Form 44 (1992), Η. 1, S. 40-50. 16. Lepenies, Wolf: Fall und Aufstieg der Intellektuellen in Europa. In: Neue Rundschau 102 (1991), Η. 1, S. 9-22. 17. - : Das Ende der Utopie und die Rückkehr der Melancholie. Blick auf die Intellektuellen eines alten Kontinents. In: 21, S. 15-26. 18. Macho, Thomas H.: Geistesgegenwart. Notizen zur Lage der Intellektuellen. In: 21, S. 3856. 19. Magenau, Jörg: Strukturelle Befangenheiten. Die Intellektuellen-Debatte. In: Karl Deiritz/Hannes Krauss (Hrsg.): Verrat an der Kunst? Rückblicke auf die DDR-Literatur. Berlin: Aufbau, 1993, S. 48-63. 20. Meier, Christian: Nicht Zerstörung, aber neue Herausforderung der Vernunft. Erwartungen an deutsche Intellektuelle nach 1989. In: 21, S, 77-95. 21. Meyer, Martin (Hrsg.): Intellektuellendämmerung? Beiträge zur neuesten Zeit des Geistes. München, Wien: Hanser, 1992. 22. - : Intellektuellendämmerung? In: 21, S. 7-12. 23. Noack, Paul: Deutschland, deine Intellektuellen. Die Kunst, sich ins Abseits zu stellen. Stuttgart: Bonn Aktuell, 1991. 24. Schödlbauer, Ulrich: Vom Verschwinden der Intellektuellen. In: Zeno 18 (1996), S. 4-16. 25. Wagner, Richard: Die deutschen Intellektuellen und die Rückkehr des Krieges nach Europa. In: Kommune 13 (1995), H. 4, S. 50-55.

Personenregister

Abosch, Heinz 162,280,281,292,332, 335,340 Abusch, Alexander 347 Ackermann, Anton 345 Adam, Konrad 334, 340 Adenauer, Konrad 300, 309,311 Adler, Max 128 Adorno, Theodor W. 283,291,382,385 Allemann, Fritz Rend 307 Allen, Ann Taylor 146,157 Alter, Reinhard 94,109, 147,157 Altmann, Rüdiger 318 Altweg, Jürg 83, 109 Amdry, Jean 332, 340 Anderson, Sascha 353,357 Andres, Stefan 297,323 Anz, Thomas 70, 78, 88, 89,110, 157, 367 Aron, Raymond 188,312,313,323 Assheuer, Thomas 83, 84, 86, 87,91,98, 109 Augstein, Rudolf 318 Bachmann, Jörg J. 287,288,292 Baecker, Dirk 97, 111 Bahr, Hermann 141 Bahra, Rudolf 343 Baier, Horst 331, 340 Baier, Lothar 336 Balke, Friedrich 161 Barbian, Jan-Pieter 247,258,276 Bants, Maurice 166,201 Baudrillard, Jean 336 Bauman, Zygmunt 164 Bebel, August 128 Becher, Johannes R. 201,202,344-349, 352,363 Bechtoldt, Heinrich 307,323 Becker, Jurek 358 Beckmann, Max 156 Benda, Julien 163-169,170,177, 178, 181, 186-188,193, 194, 213,242, 283,297, 323, 332 Benjamin, Walter 153,169,170,171, 177, 194,209,218,222,235,281 Benn, Gottfried 253,254, 257,270,272, 285,297,323, 326

Bergengmen, Werner 272 Bergsdorf, Wolfgang 51-55, 62, 71, 109, 110,113, 171, 172,307, 308,323, 334,339, 340 Bergson, Henri 233 Bering, Dietz 3,13,46-51, 54, 55, 58, 61-67, 71, 72, 80, 81,92, 103, 105, 109, 113,144, 157,248, 276 Berning, Cornelia 24,28, 109,249 Bertaux, Pierre 249, 276 Bertram, Ernst 271 Betz, Albrecht 23,24,28,33-35, 40, 42, 110,285,292 Bezrodnyj, Michael 138 Bialas, Wolfgang 243,360, 365,375, 376,377, 387 Biedenkopf, Kurt 38, 71, 110 Bielefeld, Ulrich 97, 111 Bieler, Manfred 350 Biermann, Wolf 350, 352, 354, 357, 359 Binding, Rudolf G. 253 Binkowski, Johannes 315,323 Bittermann, Klaus 77,78, 110 Bloch, Ernst 218,283,326, 348,350 Blunck, Hans Friedrich 258 Bobrowski, Johannes 352 Bock, Hans Manfred 128, 157,230-238 Bohley, Bärbel 373 Böhm, Gunhild 357, 365 Böhm, Anton 310,323 Böhme, Herbert 261 Bohrer, Karl Heinz 83, 87,97,106,109, 111,385 Böke, Karin 109,112,113 Böll, Heinrich 299,309, 334, 350, 382 Bollenbeck, Georg 3,110,226-229, 233-235,244 Bolz, Norbert 86,98, 111 Borchardt, Rudolf 123 Borchert, Wolfgang 308 Borchmeyer, Dieter 89, 110 Börne, Ludwig 183 Bracher, Karl- Dietrich 207 Brandt, Willy 309,312,334,339 Brasch, Thomas 353 Braun, Adolf 128 Braun, Heinrich 129

390 Braun, Volker 352, 364 Brecht, Bertolt 267,281, 289,326,345349, 352,356 Bredel, Willi 348, 352 Brekle, Wolfgang 249,267,276 Bremer, Thomas 268 Brettschneider, Werner 345,349, 352, 365 Breuer, Stefan 174 Broch, Hermann 291 Brocke, Bernhard vom 133,150,157 Brod, Max 153,154 Bronnen, Arnolt 253,257 Broszat, Martin 274 Bruch, Rüdiger vom 124, 133, 146,157 Brumlik, Micha 85, 110 Brunkhorst, Hauke 65-68, 78, 108,110, 157, 163,306, 307,323,337, 340, 385, 387 Brunner, Otto 37, 111 Bruyn, Günter de 359,361 Buber, Martin 124 Bubner, Rüdiger 369,370, 376,387 Buch, Hans Christoph 382, 384,387 Bude, Heinz 99,111 Bullivant, Keith 295,323 Burns, Rob 300, 301, 308, 309, 323 Busche, Jürgen 98, 111 Busse, Dietrich 109,110 Canetti, Elias 380 Carossa, Hans 251 Charle, Christophe 115,118,119, 121, 158 Chickering, Roger 137,158 Chon, Song-U 139 Chotjewitz, Peter O. 370 Chu, Tea-Wha 273,276 Claß, Heinrich 150 Corino, Karl 257,276 Craig, Gordon A. 118, 158, 185-187 Curtius, Ernst Robert 230-239 D'Annunzio, Gabriele 166 Dahrendorf, Ralf 28,29, 74,110,117, 225 Däubler, Theodor 124 Dehmel, Richard 151 Delbrück, Hans 150 Deleuze, Gilles 38, 45, 111,336 Delius, Friedrich 370 Denkler, Horst 271 Deuerlein, Ernst 313,323 Diebold, Bernhard 284 Dieckmann, Friedrich 52,110, 368,370, 371,374,387 Diederichs, Eugen 155 Diemel, Horst 314,323 Dirks, Walter 255,317,323

Personenregister Dix, Otto 156 Döblin, Alfred 202,209, 213-216, 254, 284 Droste, Wiglaf 78, 110 Dubiel, Helmut 372, 374, 376, 387 Eberhard, Hans-Joachim 127,158 Eeden, Frederik van 124 Eich, Günter 251,270 Einsiedel, Wolfgang von 303,304 Eisner, Freya 130 Eisner, Kurt 121, 130,141, 158, 179 Eitner, Hans-Jürgen 251,276 Emmerich, Wolfgang 266,276 Engler, Wolfgang 96, 98, 106,110 Enzensberger, Hans Magnus 299, 329, 338,370, 382, 385 Erbe, Günter 352, 365 Erhard, Ludwig 312 Ernst, Paul 261 Eßbach, Wolfgang 117,125,158 Essig, Rolf-Bernhard 95, 110 Eykman, Christoph 284,285,293 Faktor, Jan 357, 358, 365 Falckenberg, Otto 142,158 Fechter, Paul 254 Fest, Joachim 369, 387 Fetscher, Iring 280, 293,350 Feuchtwanger, Lion 218,280,282,283, 287,288,290 Fischer, Ernst 266 Fischer, Kuno 138 Flake, Otto 151,158 Focke, Harald 247 Foerster, Wilhelm Julius 121 Foucault, Michel 38,45,46, 56, 88, 94, 97, 107, 111, 113,285,290,336 Frank, Bruno 218 Franz, Alfred 312,323 Frei, Norbert 247,249,254,255,259, 276 Freud, Sigmund 217 Fries, Helmut 154, 158 Frisch, Max 299 Frühwald, Wolfgang 178-181,186, 192 Fühmann, Franz 351,352 Fülberth, Georg 127,158 Füssel, Stephan 143 Gangl, Manfred 241,242, 243 Gaus, Günter 370 Gehlen, Arnold 317, 318, 323,326, 327, 340 Geiger, Theodor 9, 17, 18,27, 54, 110, 195,284 George, Stefan 123,156,233,234, 270 Gervinius, Georg Gottfried 118 Gide, Andrd 232,282

Personenregister Giesen, Bernhard 76,77,91,105, 111, 117,158,223,224,248,276, 305, 323 Gilcher-Holtey, Ingrid 98,129, 158 Glaser, Hermann 146,158,249,276 Glucksmann, Andr6 280, 336 Goebbels, Joseph 260 Goethe, Johann Wolfgang von 118, 183 Gothein, Marie-Luise 138 Gouldner, Alvin W. 329, 330, 340 Grass, Günter 299,350, 368,370,373, 382 Greeley, Andrew 332,340 Greiffenhagen, Martin 51,52, 54, 71, 111,248,276, 308, 323 Grimm, Hans 253,257, 258 Grimm, Reinhold 271,276 Grönwoldt, Peter 314,323 Groppe, Carola 270,276 Gross, Johannes 311,323 Grotewohl, Otto 345,347 Groth, Joachim-Rüdiger 344-351,365 Grunewald, Michel 286,293 Gundolf, Ernst 271 Gundolf, Friedrich 123,138 Gutbind, Erich 124 Habe, Hans 291 Habermas, Jürgen 56-59, 62,64, 70, 98, 109,111,116,119,158,201-204, 220,328,329, 336,354, 369, 370, 382,385,386 Hacks, Peter 349,352 Hammerthaler, Ralph 360,365 Handke, Peter 368, 382 Hanke, Edith 121,158 Häntzschel, Günther 156 Harich, Wolfgang 347,348, 357 Harnack, Arvid 267 Härtung, Harald 87,111 Haug, Wolfgang 145 Hauptmann, Gerhart 127, 151,152, 156, 251 Havel, Väclav 368,369, 379,383 Havemann, Robert 343 Heidegger, Martin 172, 173 Heidenreich, Gert 373-377,387 Heider, Magdalena 344, 347, 365 Hein, Christoph 361 Heine, Heinrich 116,118,201,203 Henrich, Dieter 369, 371, 377,387 Henschel, Gerhard 77,110 Hermand, Jost 262,276 Hermanns, Fritz 71, 109, 111 Hermlin, Stephan 351,352 Hertwig, Manfred 356,357, 365 Hesse, Hermann 156,172,201 Heßling, Diederich 147 Heuss, Theodor 201

391 Heym, Stefan 290, 349-352,361,364, 370, 373,383 Hilbig, Wolfgang 353, 357 Hildebrandt, Kurt 271 Hilger, Dietrich 111 Hiller, Kurt 141, 153,182,201,202 Hoeges, Dirk 230,231,235-239 Hoffmann, Charles W. 272,276 Hoffmann, Fernand 308, 309, 323 Hofmannsthal, Hugo von 156, 172 Höge, Helmut 98,111 Hohendahl, Peter Uwe 272 Höhler, Gertrud 333, 340 Hölderlin, Friedrich 118 Holste, Christine 124,159 Holthusen, Hans Egon 325, 326, 340 Holz, Arno 127 Huber, Rudolf Wilhelm 152 Huber, Wolfgang 190-194, 336,337, 340 Hübinger, Gangolf 115,120, 155, 159 Huch, Ricarda 172,253 Hüchel, Peter 349, 352 Hueber, Viktor 141,159 Hugenberg, Alfred 150 Humboldt, Wilhelm von 118 Huyssen, Andreas 373,377,379 r 3S3, 387 Iggers, Georg J. 243 Jaeger, Friedrich 125,159 Jäger, Georg 13, 83, 88, 89, 96,110, 111, 343, 365 Jäger, Manfred 344, 346,349,350,353, 365 Janka, Walter 348 Jasper, Willi 281,282,293 Jaspers, Karl 172,173,210, 228 Jellinek, Camilla 138 Jellinek, Georg 138 Jens, Inge 253, 276 Joas, Hans 155 Johst, Hanns 258 Jonsson, Dieter 356,365 Joppke, Christian 370,387 Julliard, Jacques 81, 110 Jung, Edgar Julius 251,263 Jung, Michael 380,387 Jünger, Ernst 209,257,270 Kaiser, Joachim 327, 340 Kant, Hermann 352, 357, 359, 361 Kant, Immanuel 167 Kantorowicz, Alfred 346, 347,363,365 Kantorowicz, Ernst 271 Kaschnitz, Marie Luise 251,269 Kaube, Jürgen 86,87, 111 Kautsky, Karl 127, 129

392 Kent, Donald P. 279,293 Kerr, Alfred 153, 206,208,213 Ketelsen, Uwe-K. 250, 276 Kiener, Franz 61, 62, 111 Kiesel, Helmuth 139,296, 323, 338, 370, 371,376, 388 Kinder, Hermann 75, 111 Kipphardt, Heinar 347, 352 Kirchner, Alfred 156 Kirdorf, Emil 150 Kirsch, Rainer 350 Kiss, Endre 147,159 Klein, Josef 71,73, 111, 112 Kleist, Heinrich von 118 Kleßmann, Christoph 349, 358,365 Knobloch, Clemens 112 Koebner, Thomas 206-210,213,220, 221,244 Koeppen, Wolfgang 251,255,384 Koester, Eckart 153, 159 Koestler, Arthur 280,281 Kohler, Georg 381,383,388 Köhn, Lothar 112 Kolbe, Uwe 353,357 Koller, Jürgen 345-347, 365 Kollwitz, Käthe 254 König, Ren6 180 Konräd, György 330, 340 Köpke, Wulf 213-216,282,283,293 Kopperschmidt, Josef 112 Koselleck, Reinhart 1,37, 89, 111, 112 Kracauer, Siegfried 218 Kramme, Rüdiger 138 Kraus, Wolfgang 32,68, 112,319,323 Kraus, Karl 141 Kraushaar, Wolfgang 322, 324 Krauss, Werner 112 Kreuzer, Helmut 141,159 Krohn, Claus-Dieter 274 Krolow, Karl 251 Krüger, Hans-Peter 354, 374, 376,378, 386,388 Krumeichs, Gerd 121 Krümmel, Richard 142 Kuczynski, Jürgen 343 Kuhn, Fritz 73,112 Kunert, Günter 352,356 Kunze, Reiner 350, 352 Kurella, Alfred 153,284 Kurella, Hans 140 Kurucz, Jenö 194-199,203,204 Land, Rainer 343, 353, 362,365 Landauer, Gustav 121,124, 141,145, 153,179 Landmann, Edith 271 Landsberg, Paul L. 285 Lanfer, Hans-Günther 112,300,301, 312, 324

Personenregister Langbehn, Julius 127 Langguth, Gerd 90, 91,97, 110 Langhoff, Wolfgang 267 Laqueur, Walter 181-188,241,246 Lask, Emil 138 Lenau, Nikolaus 118 Lenger, Bernhard 121 Lenman, R. J. V. 143,159 Lenz, Christian 156 Lenz, Siegfried 338 Leonhard, Rudolf 151, 153 Lepenies, Wolf 73, 74, 112, 122, 123, 159,383,384,388 Lepsius, M. Rainer 27, 30, 33,36, 99, 105, 112, 138,242,246 Ldvi-Strauss, Claude 332 Liebert, Wolf-Andreas 112 Lilienthal, Karl 138 Loeike, Oskar 253 Loest, Erich 348,352 Loewy, Ernst 250,276 Lohmann, Hans-Martin 283,293, 336, 340 Lohmeier, Anke-Marie 305,306,324 Lombroso, Cesare 140 Lötsch, Manfred 355,365 Löwenstein, Hubertus Prinz zu 279 Löwenthal, Richard 314, 324,328, 329, 340 Lübbe, Hermann 12, 59,60, 62, 64, 109, 112,113 Lüdtke, W. Martin 336 Luhmann, Niklas 41,42, 74, 75, 105, 112 Lukäcs, Georg 201,202,235,242 Lützeler, Paul Michael 146,159,290293 Lyotard, Francois 60,61, 88,90, 94,107, 112,381 Machiavelli, Niccholö 167 Macho, Thomas H. 379-384,388 Magenau, Jörg 384,388 Man, Hendrik de 128,159 Mann, Golo 171-176,181, 185-188, 219,246, 291 Mann, Heinrich 89,139, 144-147,153, 159,172, 202,222-225,230,253, 254,280-287,292 Mann, Klaus 284-287,292 Mann, Thomas 89, 123,153, 159, 172, 201,209, 216-218,222,233,235, 257,270, 284,291,363 Mannheim, Karl 9,29, 38, 53,76, 112, 170, 173,196, 197,230, 235-239, 287 Marcuse, Ludwig 302,324 Maron, Monika 351 Martin, Alfred von 302,303,324

Personenregister Maunas, Charles 166 Mayer, Hans 188,348 McNamara, Palrick 332,340 Mehring, Franz 137,143 Meier, Christian 381-383, 388 Meisel-Hess, Grete 140 Meyer, Martin 383,388 Meyer, Richard M. 116 Michel, Karl Markus 320-324, 335,340 Michels, Robert 128,140,159 Milles, Joachim 128 Mittenzwei, Werner 253,276 Moeller van den Bruck, Armin 197 Möhler, Armin 197,263 Mombert, Alfred 253 Mommsen, Hans 251,276,350 Mommsen, Theodor 119,166 Mommsen, Wolfgang 115, 120,136, 155, 159 Montesi, Gotthard 18, 19, 103, 112, 303, 324 Moras, Joachim 303,324 Morgenbrod, Birgitt 121 Morwitz, Ernst 271 Mühsam, Erich 121,179 Müller Müller, Adam 232 Müller, Heiner 349, 352,382,384 Müller, Helmut 199,200, 246,299, 300, 311,324 Müller, Johannes von 118 Müller, Otto W. 3 , 1 3 , 3 4 - 3 6 , 4 8 , 1 2 6 , 159 Müller-Schöll, Nikolaus 98, 107 Münch, Richard 123,159 Münchhausen, Börries von 253 Muschg, Adolf 370 Musil, Robert 222 Neumann, Erich Peter 259 Neumann, Gerd 351,353,357 Nicolaysen, Rainer 287,293 Nietzsche, Friedrich 135,171 Noack, Paul 194,246,301,317,324, 378-380,383, 384, 388 Nossack, Hans Erich 318 Opitz, Detlev 357 Ossietzky, Carl von 220 Otto, Karl A. 309,324 Paeschke, Hans 298,303, 304, 324 Panizza, Oskar 141 Papenfuß, Gerd 353 Paret, Peter 156 Pechel, Rudolf 259 Peter, Lothar 145,159 Petersdorff, Dirk von 118,159 Petersen, Jan 271

393 Pfahl-Traughber, Armin 262,277 Philipp, Michael 274, 277 Pierson, Stanley 130,159 Pike, David 282,283,293 Pinthus, Kurt 153 Plumpe, Gerhard 112 Possekel, Ralf 343,353,362,365 Proske, Rüdiger 295, 302, 324 Prümm, Karl 255,271,277 Raddatz, Fritz J. 331,340 Radkau, Joachim 218-220,246 Rang, Florens Christian 124 Rathenau, Walter 228 Rathenow, Lutz 353 Rätsch, Birgit 269,277 Rauff, Ulrich 95, 112 Raulet, Görard 240,241,243 Rauschning, Hermann 286 Regler, Gustav 289 Richthofen, Else von 138 Rilke, Rainer Maria 156 Ringer, Fritz K. 131,159 Ritte, Jürgen 82, 112 Rittelmayer, Friedrich 121 Ritter, Joachim 37,111 Rohrwasser, Michael 346,365 Rosch, Gertrud M. 146,159 Rosenlöcher, Thomas 353 Rossum, Walter van 97,111 Rothe, Wolfgang 153, 159 Rothfels, Hans 266, 277 Rotzoll, Christa 259 Roussel, Ηέΐέηε 241,242 Rubiner, Ludwig 145, 153, 154, 159 Rühle, Jürgen 347,366 Rupp, Hans Karl 309,324 Ruppelt, Georg 269,277 Rüther, Günther 270, 361, 366 Rutschky, Michael 99,111, 379 Sabais, Heinz-Winfried 2 0 , 2 1 , 2 3 , 2 8 , 30, 112 Sadri, Ahmad 135,160 Said, Edward 88, 104,112, 113 Sailer, Till 350, 366 Sartre, Jean-Paul 285, 332, 333,335,339 Sauerland, Karol 137 Sautermeister, Gert 216-218,246 Schäfer, Hans Dieter 273, 277 Schäfer, Wilhelm 259 Schallück, Paul 326, 327, 340 Schatz, Oskar 340 Schauwecker, Franz 261 Scheidler, Britta 148, 160 Schelsky, Helmut 38-42, 58,61, 88,105, 113,327, 330,340 Schieder, Wolfgang 256, 277 Schildt, Axel 291,293

394 Schiller, Friedrich 118, 179,205,215 Schippel, Max 127 Schirmer, Gregor 355,366 Schiwy, Günther 30, 31,33, 113, 320, 324 Schlaffer, Hannelore 84, 85, 113 Schlamm, William S. 291 Schlette, Heinz Robert 332,340 Schlich, Jutta 100-109,113 Schmädeke, Jürgen 263 Schmid, Carlo 310,324 Schmid, Thomas 85, 99,111,113,336 Schmitt, Carl 222,235,263 Schmitz, Johannes 249,255,259,276 Schmitz-Berning, Cornelia 24,28,109, 249 Schneider, Gabriele 149, 160 Schneider, Michael 310,324,338,340 Schneider, Peter 370 Schneider, Reinhold 272 Schnell, Ralf 249,277 Schnitzler, Arthur 127 Schödlbauer, Ulrich 372, 374, 385,388 Schoeck, Helmut 316,324 Schoenberner, Franz 284 Schonauer, Franz 254,277 Schroers, Rolf 318 Schubert, Dietrich 156 Schulte, Ruth 26,27, 37,48, 113 Schultz, Heiner 113 Schulze-Boysen, Harro 267 Schumann, Andreas 156 Schumpeter, Joseph A. 16-18, 32, 53, 103,113 Schütz, Erhard 98,111 Schwabe, Klaus 132, 150, 160 Schwarz, Egon 272 Schwarzer, Erich 259 Schwentker, Wolfgang 121 See, Klaus von 84,113 Segal, Joes 156 Seghers, Anna 270,348,352 Seifert, Jürgen 310,324 Sieburg, Friedrich 254,285 Simmel, Georg 132,228 Smith, Woodruf D. 134,160 Soergel, Albert 140 Sollmann, Kurt 126, 160 Sombart, Werner 132 Sontheimer, Kurt 41-^3, 51-54, 87, 104, 105, 113, 162, 174-177,181,185192, 197, 204,205,240-242,246, 248, 308,324, 329,333,338-341 Sösemann, Bernd 263,277 Span, Thomas 91,92,93, 113 Spengler, Oswald 174,185,209,251, 263 Sperber, Manös 333,341 Staritz, Dietrich 344,348,350, 366

Personenregister Stark, Michael 143, 146,153, 160 Steinbach, Peter 263 Steiner, Georg 380 Stenzel, Burkhard 243 Steppuhn, Fedor 138 Stern, Fritz 122, 160 Sternberger, Dolf 14-16,20,23,24, 28, 3 0 , 3 2 - 3 4 , 4 0 , 4 2 , 4 8 , 6 4 , 77, 80, 83, 101, 113 Stierle, Karlheinz 113 Stöcker, Adolf 143 Stötzel, Georg 79-81,112,113 Strauß, Botho 368, 382,384 Strauß, Emil 251 Strauss, Richard 257 Streisand, Joachim 354, 366 Streul, Irene Charlotte 360, 366 Strittmatter, Erwin 349,352, 356 Strocka, Monika 247 Strohmeyer, Klaus 265,277 Sudermann, Hermann 151 Suhrkamp, Peter 259,295, 324 Süskind, Wilhelm E. 304 Szelönyi, Ivän 330, 340 Teubert, Wolfgang 109,110 Theunissen, Gert H. 298,324 Thiele, Dieter 289,293 Thomas, Johannes 55, 56, 67, 70, 81, 89, 93, 113 Thöns, Kerstin 344, 348, 365 Toller, Ernst 121, 141,179, 280, 283 Tolstoj, Lew 121,122 Trampe, Andreas 349,351,366 Trapp, Frithjof 283,284,293 Treiber, Hubert 137, 138 Treitschke, Heinrich von 166 Tremplin, Wolfgang 358, 366 Troeltsch, Ernst 202,235 Trommler, Frank 126,160-162,181, 210-212,226,229,242, 246 Tucholsky, Kurt 173, 181, 182,184, 186, 190,208,219 Turk, Horst 220-222 Tyrell, Hartmann 135, 160 Uecker, Matthias 242,243 Ungern-Sternberg, Jürgen von 156 Uxkull-Gyllenband, Woldemar von 271 Vaßen, Florian 268,277 Villinger, Ingeborg 88, 89,110 Volker, Eckhard 50, 112, 113 Vondung, Klaus 261,277 Vornweg, Heinrich 337,341 Wackwitz, Stephan 87,104, 113 Wagner, Gerhard 139 Wagner, Richard 382, 388

Personenregister Wallraff, Günter 382 Walser, Martin 338, 370 Waither, Joachim 361,366 Wandruszka, Mario 36, 113 Wangenheim, Gustav von 280 Weber, Alfred 132,170,211 Weber, Marianne 138 Weber, Max 115, 121-123,135,137, 166,173, 191,201,318 Wedekind, Frank 127 Wehner, Josef Magnus 261 Weigel, Helene 348 Weisenborn, Günther 269 Welsch, Wolfgang 165 Wengeler, Martin 79, 81,109, 112, 113 Werfel, Franz 153 Werner, Renate 140,160 Weymann-Weyhe, Walter 295, 302, 324 Wiechert, Ernst 258,272 Wiese, Leopold 132 Wiesner, Herbert 272 Will, Wilfried van der 300,301,308, 309,323 Wille, Bruno 127,141 Wimmer, Rainer 81,113 Winckler, Lutz 224-226,229,230,290, 2 9 i 345,363,366

395 Windelband, Wilhelm 138 Winkler, Lutz 286,287,293 Winkler, Michael 289,293 Winock, Michel 81,110 Wittfogel, Karl August 280 Wittkowski, Joachim 350, 366 Wolf, Christa 349, 352,358, 361,364, 367 Wolfenstein, Alfred 153 Wolff, Rudolf 140,160 Wolfskehl, Karl 271 Wolgast, Eike 252, 277 Wolle, Stefan 359, 366 Woopen, Albert 318,319,324 Wülfing, Wulf 57, 58, 72, 113 Zadek, Peter 350 Zehrer, Hans 187 Zimmermann, Hans-Dieter 142,160 Ziolkowski, Theodor 180 Zöller, Josef 21-24,28,42, 57,104, 105, 113,316,317,324 Zweig, Arnold 352 Zwerenz, Gerhard 352

Autorinnen und Autoren dieses Sonderheftes

geb. 1 9 6 6 ; Studium der Romanistik, Germanistik und Kunstgeschichte; 1996 Promotion über die »ästhetische Erziehung« des Menschen bei Friedrich Schiller und Gottfried Benn; Wissenschaftliche Assistentin am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg. DR. ANTJE BÜSSGEN,

geb. 1971; Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Germanistik und Politischen Wissenschaft; Mitarbeiter am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg; Leiter des Elfenbein Verlags; promoviert über die Darstellung der nationalsozialistischen >Machtergreifung< in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. INGO DRZECNIK, Μ . Α . ,

geb. 1969; Studium der Germanistik und der Mittleren und Neueren Geschichte; Mitarbeiter am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg; promoviert über Heidelberg als deutscher Erinnerungsort; Veröffentlichung: Theater auf dem Schloß. Zur Geschichte der Heidelberger Festspiele ( 1 9 9 7 ) . OLIVER FINK, Μ . Α . ,

geb. 1968; Studium der Gemanistik, Slavistik und Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft; promoviert über politische Lyrik in Rußland; Veröffentlichungen und Vorträge zu Dostojewskis Romanen sowie seine Rezeptionsgeschichte in Deutschland durch die Vermittlung von Arthur Moeller van den Bruck. CHRISTOPH GARSTKA,

geb. 1970; Studium der Germanistik und Romanistik; Mitarbeiter am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg; promoviert über den »postmodernen Impuls« in der Literatur um 1968; Mitautor des Marbacher Katalogs Protest! Literatur um 1968 ( 1 9 9 8 ) . ROMAN LUCKSCHEITER,

geb. 1968; Studium der Germanistik, Geschichte und Politischen Wissenschaft; 1999 Promotion über den kulturellen Neubeginn in Heidelberg und Mannheim 1 9 4 5 - 1 9 4 9 ; Studienreferendarin in Heidelberg.

DR. BIRGIT PAPE,

geb. 1967; Studium der Germanistik, Romanistik und Pädagogik; 1992 Promotion; Wissenschaftliche Assistentin am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg; z. Zt. Fertigstellung einer Habilitationsschrift über »literarische Authentizität«; Veröffentlichungen zu Elfriede Jelinek, Heiner Müller, zur Literaturtheorie (Semiotik, Rezeptionsästhetik, LiteraturErlebnis-Pädagogik) und - gemeinsam mit Studierenden der Germanistik - zum »Kaspar-Hauser-Syndrom in Literatur und Film, Forschung und Lehre« ( 1 9 9 9 ) .

DR. JUTTA SCHLICH,