Immanuel Kant: Ontologie und Wissenschaftstheorie 9783110826432, 9783110025552


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Table of contents :
Vorwort zur ersten Auflage
Einleitung: Leibniz
TEIL I: DIE EINHEIT
Kapitel I: Das Sein des Raumes und der Zeit
§ 1 Das Seinsproblem des Raumes
§ 2 Der axiomatische Charakter der Geometrie
§ 3 Der konstruktive Charakter der Geometrie
§ 4 Die Apriorität der Geometrie
§ 5 Geometrie und Naturwissenschaft
§ 6 Die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit
Kapitel II: Das Sein der Welt
§ 7 Die geschichtlichen Voraussetzungen der Antinomienlehre
§ 8 Die systematischen Zusammenhänge
§ 9 Die transzendentale Idealität der Welt
Kapitel III: Das Sein der Natur
§ 10 Biologie, Theologie, Mechanik als die Wissensziele des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit
§ 11 Die Natur bei Kant als newtonsche Natur
§ 12 Die Apriorität der newtonschen Natur
§ 13 Der Relationscharakter der newtonschen Natur
§ 14 Die transzendentale Idealität der newtonschen Natur
Kapitel IV: Das Sein von Einheit überhaupt
§ 15 Die Seinsbestimmung der Einheit bei Plato und Aristoteles
§ 16 Die Seinsbestimmung der Einheit in der Scholastik
§ 17 Universalienproblem und Relationsproblem
§ 18 Die Seinsbestimmung der Einheit bei Leibniz
§ 19 Die transzendentale Idealität der Einheit
Kapitel V: Die Weisen des Seins
§ 20 Die drei großen Themen der Metaphysik
§ 21 Die Aporien des Dinges an sich
§ 22 Phaenomena und Noumena in der Kritik der reinen Vernunft
§ 23 Phaenomena und Noumena in den späteren Werken
§ 24 Zeitlichkeit und Räumlichkeit als Seinscharaktere
§ 25 Das Sein der Erscheinungen
§ 26 Das Sein Gottes
§ 27 Das Sein des handelnden Subjekts
§ 28 Das Sein des denkenden Subjekts
§ 29 Das Sein der Dinge an sich
Kapitel VI: Das Sein im ganzen
§ 30 Der Mensch als Erscheinung und als Ding an sich
§ 31 Der Analogiecharakter des Seinsbegriffes
§ 32 Realität, Wirklichkeit und Sein
TEIL III: UNTERSUCHUNGEN UBER DIE ENTSTEHUNG DER LEHRE VOM ANALYTISCHEN UND SYNTHETISCHEN URTEIL
Kapitel VII: Bedeutungsanalysen
§ 33 Der Wortschatz
§ 34 Die analytische und die synthetische Methode
§ 35 Analysis infinitorum
§ 36 Analysis veritatum et notionum
§ 37 Analysis und Synthesis in der ,Untersuchung' von 1764
§ 38 Analysis und Synthesis in der Dissertation von 1770
§ 39 Das analytische und das synthetische Urteil
§ 40 Die transzendentale Synthesis
Kapitel VIII: Die Entstehung der Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil
§ 41 Keine Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil in den Publikationen vor 1781
§ 42 Das Existenzialurteil
§ 43 Die analytische Logik von Leibniz und Wolff
§ 44 Die Zeit
§ 45 Der Raum
§ 46 Die Geometrie
§ 47 Die Kausalität
§ 48 Verschiedene Begriffe
§49 Zusammenfassung der entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung
Quellenverzeichnis
Verzeichnis der benutzten Ausgaben
Namenregister
Sachregister
Schriftenverzeichnis
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Immanuel Kant: Ontologie und Wissenschaftstheorie
 9783110826432, 9783110025552

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Gottfried Martin · Immanuel Kant

Gottfried Martin

Immanuel Kant Ontologie und Wissenschaftstheorie

Vierte, durchgesehene und um einen dritten Teil vermehrte Auflage

Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp.

Berlin 1969

Atcbiv-Nr. 36 62 691 1969 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Paul Funk, Berlin 30

VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE Die Kritik der reinen Vernunft ist ein Meer, das von zwei großen Strömen gespeist wird: der eine ist die neue Naturwissenschaft, der andere die alte Ontologie. Es bleibt das geschichtliche Verdienst der Neukantianer, die Bedeutung der Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, für Kant aufgezeigt zu haben. Die Kritik der reinen Vernunft ist gewiß eine Wissenschaftstheorie der Physik, sie ist gewiß eine Theorie der Erfahrung, wie Cohen dies eingehend dargelegt hat. Sie ist aber nicht nur Wissenschaftstheorie der mathematischen Naturwissenschaft, sie ist mindestens auch in gleichem Grade eine Ontologie. So nimmt die Kritik der reinen Vernunft die alte Ontologie auf, um sie weiterzubilden. Es ist das Ziel unserer Interpretation, den innigen Zusammenhang zwischen Ontologie und Wissenschaftstheorie zu zeigen. Man mag vielleicht sagen, daß auch diese Interpretation zu vielen, schon vorhandenen, lediglich eine weitere hinzufügt. Aber jede neue Interpretation ist nur ein neuer Beweis für die Unerschöpflichkeit des kantischen Denkens, als echtes Zeichen des Genius; dieselbe Unerschöpflichkeit, die aus den Gesängen Homers, aus den Passionen Bachs, aus den Dichtungen Goethes strahlt, und die den Werken von Plato, von Aristoteles, von Thomas von Aquin die Tiefe und die Weite gibt. Wenn der Verfasser in diesem Werk Untersuchungen vorlegt, die ihn über einen langen Zeitraum beschäftigt haben, so darf er an das Wort von Gauss erinnern, daß man, ist das Haus fertig, die Gerüste abreißt, die zum Bau notwendig waren. Der Sachkenner wird leicht bemerken, wieviel ich anderen schulde. Möge das Werk ein neues Zeichen der unerschöpflichen Tiefe des kantischen Denkens sein. Köln, den 12. Februar 1950. 146 Jahre nach Kants Tode. Gottfried Martin

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort zur ersten Auflage Einleitung: Leibniz

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TEIL I: DIE E I N H E I T Kapitel I: Das Sein des Raumes und der Zeit § § § § § §

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Das Seinsproblem des Raumes Der axiomatisdie Charakter der Geometrie Der konstruktive Charakter der Geometrie Die Apriorität der Geometrie Geometrie und Naturwissenschaft Die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit

13 18 24 31 39 42

Kapitel H: Das Sein der Welt § 7 Die geschichtlichen Voraussetzungen der Antinomienlehre . . . . § 8 Die systematischen Zusammenhänge § 9 Die transzendentale Idealität der Welt

48 58 64

Kapitel III: Das Sein der Natur § 10 Biologie, Theologie, Mechanik als die Wissensziele des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit 75 § 11 Die Natur bei Kant als newtonsche Natur 78 § 12 Die Apriorität der newtonschen Natur 83 § 13 Der Relationscharakter der newtonschen Natur 106 § 14 Die transzendentale Idealität der newtonschen Natur 108 Kapitel IV: Das Sein von Einheit überhaupt § § § § §

15 16 17 18 19

Die Seinsbestimmung der Einheit bei Plato und Aristoteles . . . Die Seinsbestimmung der Einheit in der Scholastik Universalienproblem und Relationsproblem Die Seinsbestimmung der Einheit bei Leibniz Die transzendentale Idealität der Einheit

115 123 135 139 143

TEIL II: DAS S E I N Kapitel V: Die Weisen des Seins § 20 § 21 § 22 § 23 § 24 § 25 § 26 § 27 § 28 § 29

Die drei großen Themen der Metaphysik 151 Die Aporien des Dinges an sich 157 Phaenomena und Noumena in der Kritik der reinen Vernunft 165 Phaenomena und Noumena in den späteren Werken 171 Zeitlichkeit und Räumlichkeit als Seinscharaktere 176 Das Sein der Erscheinungen 181 Das Sein Gottes 185 Das Sein des handelnden Subjekts 199 Das Sein des denkenden Subjekts 206 Das Sein der Dinge an sich 212

Kapitel VI: Das Sein im ganzen § 30 Der Mensch als Erscheinung und als Ding an sich § 31 Der Analogiecharakter des SeinsbegrifFes § 32 Realität, Wirklichkeit und Sein

221 226 231

T E I L III: U N T E R S U C H U N G E N ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER LEHRE VOM ANALYTISCHEN UND SYNTHETISCHEN U R T E I L Kapitel VII: Bedeutungsanalysen § 33 § 34 § 35 § 36 § 37 § 38 § 39 § 40

Der Wortschatz Die analytische und die synthetische Methode Analysis infinitorum Analysis veritatum et notionum Analysis und Synthesis in der Untersuchung' von 1764 Analysis und Synthesis in der Dissertation von 1770 Das analytische und das synthetische Urteil Die transzendentale Synthesis

245 249 254 256 266 273 274 282

Kapitel VIII: Die Entstehung der Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil § 41 Keine Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil in den Publikationen vor 1781 285 § 42 Das Existenzialurteil 286 § 43 Die analytische Logik von Leibniz und Wolff 290

§ 44 § 45 § 46 § 47 § 48 §49

Die Zeit Der Raum Die Geometrie Die Kausalität Verschiedene Begriffe Zusammenfassung der entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung

Quellenverzeichnis Verzeichnis der benutzten Ausgaben Namenregister Sachregister Schriftenverzeichnis

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IMMANUEL KANT ONTOLOGIE UND WISSENSCHAFTSTHEORIE

EINLEITUNG: LEIBNIZ

An den Anfang unserer Untersuchungen stellen wir Leibniz. Wir folgen damit Kants eigenem Vorgehen, das eine beständige Auseinandersetzung mit Leibniz darstellt. Das Zentrum der leibnizschen Philosophie ist die Monadenlehre. Eine Monade ist eine einfache Substanz, so bestimmen die beiden thematischen Abhandlungen in ihrem Beginn. Der Terminus Monade führt den griechischen Terminus Monas weiter. Monas bedeutet sowohl die Einheit als solche, als auch dasjenige, das je eines ist, in erster Linie also die Substanz in ihrer Einheit1. Diese Doppelbedeutung von Monas bleibt auch in der Monadenlehre ständig wirksam. Das Urbild von Einheit ist für die Griechen und für Leibniz der lebendige Mensch in der umgreifenden Einheit seines Seins. Von hier aus werden zunächst alle Monaden als lebendig bestimmt. In einem kühnen Übergriff wird dann das gesamte Universum mit einem dichten Meer von Lebendigem, das heißt also mit einem dichten Meer von Monaden erfüllt. Alles ist lebendig, alles Unfruchtbare, alles Sterile, alles Tote im Universum ist nur äußerer Schein2, sobald der Blick in das scheinbar Tote hineindringt, gewahrt er auch im scheinbar Toten eine unendliche Fülle des Lebendigen. In diesem großen Meere des Lebendigen gibt es keine leere Stelle, wohin man auch blickt, flutet eine unendliche Welt von Geschöpfen, von Lebewesen, von Tieren, von Entelechien, von Seelen. Jeder kleinste Teil auch der Materie ist ein Garten voller Pflanzen, ein Teich voller Fische, und jeder Zweig der Pflanzen in diesem Garten und jeder Tropfen in dem Blut dieser Fische ist wieder ein Garten voller Pflanzen, ist wieder ein Teich voller Fische, und so fort ins Unendliche3. Überall, im unendlich Großen, wie im unendlich Kleinen ist Leben, sind Monaden. Die beiden Grundbestimmungen unseres Seins, das Denken und das Wollen, kommen in ihrer allgemeinen Form, als perception und appe-

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Einleitung: Leibniz

tition jeder Monade zu4. Jede Monade stellt vor, und jede Monade will, freilich nicht immer in der gleichen Weise, und so entsteht eine Stufenfolge von Monaden. Die unterste Stufe bilden die nackten Monaden, deren geistige Fähigkeiten ganz dunkel und verworren sind. Es ist nicht ganz leicht zu sagen, was Leibniz unter diesen nackten Monaden sich vorgestellt hat. Sind es Pflanzen? Hegel hat an anorganische Monaden gedacht5; wie dem auch immer sein möge, es treten dann jedenfalls als eine der untersten Stufen die Pflanzen auf, dann die Tiere, dann die Menschen, und es mag vielleicht auf anderen Gestirnen Lebewesen geben, die noch feiner organisiert sind als die Menschen hier auf dieser Erde. Alles dies sind Monaden, lebendige Monaden. Ist Gott eine Monade? An manchen Stellen scheint Leibniz mit der Antwort zu zögern, im allgemeinen aber bejaht er diese Frage. Gott ist eine Monade sui generis, die allen anderen Monaden als den geschaffenen Monaden gegenübersteht. So haben sich die meisten Darsteller der Monadenlehre entschieden, ich nenne unter den älteren etwa Hegel6, unter den neueren etwa Dillmann7. Es wird dann eine Bestimmung lediglich der geschaffenen Monaden, einen Leib zu haben, und diesen Leib zwar nicht in seiner materiellen Identität, aber doch in seiner Funktion niemals zu verlieren. Die Monade wird für Leibniz zum ontologischen Zentralbegriff, indem alle Realität im Sein jeweils einer individuellen Monade beschlossen ist. Reales Sein ist nur möglich als das individuelle Sein einer Monade oder einer Modifikation einer individuellen Monade. Dies ist die ontologisdie Grundthese von Leibniz, sie macht das aus, was man den Pluralismus oder auch den Individualismus von Leibniz genannt hat. Sie erreicht ihren klarsten Ausdruck in dem Briefwechsel mit des Bosses; sie liegt aber schon in dem Ausgangspunkt der Monadenlehre, in der Bestimmung der Monade als einer einfachen Substanz. Seit der Begriff der Substanz thematisch untersucht wurde, hat das Sein der Substanz als das eigentliche reale Sein gegolten, wenigstens dann, wenn der Begriff der Substanz so weit gefaßt wurde, daß diese Kategorie auch auf das Sein Gottes anwendbar bleibt. Man wird wohl sagen können, daß Leibniz in diesem Problem den radikalsten überhaupt möglichen Standpunkt einnimmt. Alle Realität ist im Sein der individuellen Substanz beschlossen, außer und zwischen diesem individuellen Sein der Monaden gibt es keine Realität.

Einleitung: Leibniz

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Haben in diesem Sinne nur die Monaden und die Modifikationen der Monaden reales Sein, so können die relativen Bestimmungen kein reales, sondern nur noch ein ideales Sein haben. An vielen Stellen verwendet Leibniz auch den anderen Terminus: sie haben nur ein mentales Sein8. Sie sind, so könnte man in gewissem Sinne sagen, bloße Vorstellungen. Zu diesen relativen Bestimmungen gehören die Relationen im engeren Sinne, etwa die Gleichheit, die Ähnlichkeit, die Verschiedenheit, die Kausalität, dann aber auch die Zahl, die Zeit, die Dauer, der Raum, die Ausdehnung der Körper, Bestimmungen, die Leibniz im kategorial-analytischen und im ontologischen Sinne unter die Relation rechnet, so daß das gesamte Sein sich für ihn in Substanzen, Modifikationen und Relationen gliedert9. Relationen haben kein reales, sondern nur ein ideales Sein, mit dieser ontologischen These nimmt Leibniz alte Bestimmungen weiterführend auf. Die von den Sophisten und den Skeptikern ausgehenden Zweifel an der Realität setzen mit besonderer Vorliebe an der Relation an. Es liegt nahe, das Sein der Relationen auf ein bloßes Vorgestelltsein zurückzuführen. Nach dieser Auffassung hat, um ein Beispiel zu geben, jeder Mensch ein bestimmtes Alter, und diese Bestimmung kommt ihm, zunächst jedenfalls, als eine reale Bestimmung zu. Das Alter-Sein aber oder das Jünger-Sein einem anderen gegenüber kommt ihm nur dann zu, wenn ein Betrachter diese beiden Menschen vergleicht. Das Alter-Sein kommt ihm nur auf Grund dieser Vergleichung zu, und das Alter-Sein ist also entweder selbst nur eine Vorstellung, oder es hängt zum mindesten von einer Vorstellung ab. Aber diese, man könnte sagen, nominalistische Wurzel der Idealität der Relation ist bei Leibniz nicht die einzige und vielleicht nicht einmal die wichtigste Wurzel. Zu diesen nominalistischen Erwägungen tritt ein in der Scholastik aufgebauter Problemkreis, der einen Zusammenhang zwischen den Relationen und den transzendentalen Begriffen in Erwägung zieht. Es hatte sich gezeigt, daß die Substanz-Akzidens-Auffassung bei der Seinsbestimmung der Relationen große Schwierigkeiten macht. Ein Akzidens ist seiner Begriffsbestimmung nach immer ein Akzidens einer bestimmten Substanz, die ihm das tragende Sein gewährt. In Verfolgung dieses Gedankens ist auch für Leibniz jede Modifikation Modifikation einer bestimmten individuellen Monade, in deren substanziellem Sein das Sein der Modifikation wurzelt. Eine Relation scheint aber, wenn sie logisch genauer bestimmt wird, auf ein

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Einleitung: Leibniz

Akzidens zu führen, das in zwei Substanzen existiert, eine solche Relation wäre gewissermaßen, um einen scholastischen, auch von Leibniz häufig aufgenommenen Ausdruck zu gebrauchen, ein Akzidens, das mit dem einen Bein in der einen Substanz, und mit dem anderen Bein in der anderen Substanz steht10. Ein solcher Sachverhalt ist mit dem strengen Begriff des Akzidens unverträglich. Die Scholastik hatte wegen dieser Schwierigkeit den Begriff der transzendentalen Relation entwickelt, und Ockham hatte abschließend alle Relationen als transzendentale Relationen bestimmt. Eine transzendentale Relation hat keine Realität, sie hat keine distinkte Realität in dem Sinne und nur in dem Sinne, in dem auch das unum transcendens keine distinkte Realität hat. Wenn Leibniz die Realität der Relation bestreitet, so liegt darin also nicht nur ein skeptisches, sondern auch ein transzendentalphilosophisches und also auch ein aristotelisches Moment, und die Relation hat also doch in gewissem Sinne eine Realität, zwar nicht die Realität der Substanz, sondern die Realität der Transzendentalien. Dieser Realitätscharakter der Relation wird nun durch ein neues Moment verstärkt, das man vielleicht als ein platonisches Moment bezeichnen könnte. Die Relationen haben zwar nur ein ideales, ein mentales Sein, ihr Sein besteht darin, daß sie von einem Verstand gedacht werden. Aber der Verstand, der die Relationen denkt, ist der Verstand Gottes. So verlieren zwar die Relationen ihre substanzielle Realität, indem sie auf einen Verstand bezogen werden, aber weil dieser tragende Verstand der göttliche Verstand ist, erhalten sie eben doch in einem gewissen Sinne wieder eine neue Realität. Dieser Zusammenhang wird noch deutlicher bei den konkreten Einzelproblemen; wir wählen mit Rücksicht auf unsere späteren Erörterungen den Körper und den Raum. Der Körper, so sagt Leibniz immer wieder, ist ein bloßes Phänomen. Noch deutlicher wird dies beim Raum. Der Raum erweist sich zunächst in der kategorialanalytischen Untersuchung der Geometrie als ein reines Relationsproblem. Alle räumlichen Bestimmungen sind Relationen, wie sich deutlich zeigt, wenn man die Begriffe und Urteile der Geometrie einer Untersuchung unterzieht. Als ein solcher Relationszusammenhang gibt der Raum die möglichen räumlichen Beziehungen zwischen den Körpern, also zwischen den Monaden vor. Die räumlichen Beziehungen nun zwischen den Monaden, auf die also das Problem des

Einleitung: Leibniz

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Raumes hinausläuft, sind nicht selbst wieder Monaden. Sie können aber auch nicht Modifikationen der Monaden sein, da jede Modifikation nur die Modifikation einer bestimmten Monade sein kann; keine Modifikation kann zwischen zwei Monaden bestehen. Eine räumliche Beziehung, zum Beispiel, daß A zwischen B und C liegt, ist eine Beziehung zwischen mehreren Monaden und hat also kein reales Sein. Dieses Zwischensein besteht vielmehr nur darin, daß es vorgestellt wird, und zwar darin, daß es durch den göttlichen Verstand vorgestellt wird. Der Raum wird also ein Phaenomenon, aber ein Phaenomenon Dei11. Dieser phänomenale Charakter und sein fundierender Bezug auf den göttlichen Verstand gilt dann von allen relativen Bestimmungen, von den Relationen im engeren Sinne ebenso wie von der Zahl, dem Raum, der Ausdehnung, dem Körper, der Zeit, der Dauer12. Auf dieser Unterscheidung zwischen dem phänomenalen Sein der relativen Bestimmungen und dem realen Sein der Monaden und ihrer Modifikationen baut sich dann die Unterscheidung zwischen dem Reich der Natur und dem Reich der Gnade auf. Diese Unterscheidung geht besonders in der Monadologie von dem Gedanken des Gottesstaates aus, der alle denkenden Geister umfaßt. Dieses Reich der Geister bildet den vollkommensten Staat unter Gott als dem vollkommensten Herrscher. Es bildet zugleich eine moralische Welt inmitten der natürlichen Welt. Es werden also einander entgegengesetzt das physische Reich der Natur und das moralische Reich der Gnade. Das physische Reich der Natur ist das Universum, betrachtet als eine Maschine, das Reich der Gnade ist der Gottesstaat der Geister. Die praestabilierte Harmonie verbindet die beiden Reiche so, daß alle Ereignisse einander parallel gehen. Der von den Naturgesetzen bestimmte Ablauf des Universums, dies Universum als eine Maschine betrachtet, wird durch die praestabilierte Harmonie in genauer Übereinstimmung gehalten mit dem Ablauf der Ereignisse in dem Reich der Gnade, im Gottesstaat der Geister13. Man wird diese beiden Reiche im wesentlichen identifizieren können mit dem realen Reich der Monaden auf der einen Seite und mit der phänomenalen Welt des Raumes, der Zeit, der Bewegung und der Körper auf der anderen Seite. Durch diese metaphysische Unterscheidung zwischen dem realen Reich der Monaden und dem phänomenalen Reich der raumzeitlichen Körper löst Leibniz den Konflikt zwischen den

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Einleitung: Leibniz

alten Forderungen der Theologie und der Ethik und den neuen Forderungen der Naturwissenschaft. Die alten Aufgaben fordern die Freiheit der sittlichen und religiösen Entscheidung, die neuen Ergebnisse der Naturwissenschaft fordern die durchgängige kausale Bestimmtheit der Weltenmaschine — de la machine de l'univers14. Die ontologische Unterscheidung zwischen dem realen Reich der Monaden und dem mentalen Reich der raumzeitlichen Körper schließt die Lösung unmittelbar in sich. Im realen Reich der Monaden herrscht die Freiheit, die Naturkausalität beherrscht das mentale Reich der raumzeitlichen Körper. So ist für jede der beiden großen Gesetzlichkeiten ein eigener Bereich geschaffen, und die praestabilierte Harmonie schließlich tritt dafür ein, daß zwischen diesen Bereichen niemals ein Widerspruch entstehen kann, sondern daß zwischen ihnen ständig eine vollendete Harmonie herrscht. Das Fundament dieses Systems ist der Grundansatz, daß die Welt von Gott geschaffen ist, und in diesem Grundansatz laufen die Probleme der natürlichen Theologie, die Probleme der Ontologie und die Grundlagenprobleme der Mathematik und der Physik zusammen. Gott hat die Welt so geschaffen, daß in seinem Denken die Unendlichkeit der möglichen Welten gründet und durch seinen Willen aus der Unendichkeit der möglichen Welten die beste zur Wirklichkeit gerufen wird. Wenn die Unendlichkeit der möglichen Welten ihr Sein darin hat, daß sie von Gott gedacht wird, so begründet dieser Grundansatz auf der einen Seite den Gottesbeweis, auf der anderen Seite die Möglichkeit der Mathematik und der Physik. Gott existiert und seine Existenz ist beweisbar, weil diese Unendlichkeit der möglichen Welten nur von einem unendlichen Verstand gedacht werden kann. So erfüllt Leibniz die alte Forderung der theologia naturalis nach einem Gottesbeweis. Aber in diesem Denken Gottes gründet nun auch wieder die Möglichkeit der Mathematik, weil Gott in seinem beständigen Denken der möglichen Welten zugleich die in diesen Welten geltenden ewigen Wahrheiten, insbesondere alle Zahl- und Raumverhältnisse beständig denkt. Dies gilt dann ganz besonders von dem euklidischen Raum, der als der einzig mögliche Raum derselbe ist für alle möglichen Welten. Das Sein des euklidischen Raumes besteht daher primär in seinem widerspruchsfrei durch Gott Gedachtsein.

Einleitung: Leibniz

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Dies durch Gott Gedacht-Sein aller möglichen Welten begründet aber zugleich die Möglichkeit der Physik. Wenn jede mögliche Welt, und unter diesen also auch die wirkliche Welt, beständig von Gott gedacht wird, dann ist das Sein der Welt primär ein Gedachtsein, und die Welt ist also in ihrem ursprünglichen Sein begreifbar, rational durchschaubar. Es mag immer sein, daß das wirkliche Durchschauen der Welt nur einem unendlichen Verstand möglich ist, daß das Denken des Menschen endlich und eingeschränkt ist; dies alles hindert nicht, daß das Sein der Welt grundsätzlich rational und also auch dem Menschen erfaßbar und begreifbar ist, zum mindesten in der Annäherung eines unendlichen Progresses. Sichert der Grundansatz die Möglichkeit der Mathematik und der Physik von der Seite des Gewußten her, so sichert er sie zugleich auch von der Seite des Wissens her. Das Wissen ist primär ein Wissen Gottes, und alles menschliche Wissen ist also nur ein Nachvollzug des primären göttlichen Wissens. Also werden, um wieder zu einem konkreten Problem zurückzukehren, die Sätze der dreidimensionalen euklidischen Geometrie primär und beständig von Gott gedacht, und wenn der Mathematiker einen Satz der Geometrie in adäquater Erfassung entdeckt, einsieht und beweist, so stellt sich dies Wissen als ein Nachvollzug des primären göttlichen Wissens dar. Die Universalität, die den Grundcharakter von Leibniz ausmacht, zeigt sich darin, daß er von allen großen philosophischen Systemen die Leitgedanken aufnimmt, und an diesem Punkt, wir sahen es schon beim Seinsproblem der Relation, entfaltet der Zusammenhang mit Plato seine tiefe Wirksamkeit. Plato hat es ja wiederholt ausgesprochen, daß das Denken der Wahrheit ein Gott Ähnlichwerden bedeutet. Der alte platonische Gedanke dürfte Leibniz vielleicht am greifbarsten bei Malebranche entgegengetreten sein in dem Satz, daß wir alle Dinge in Gott schauen. Wenn Leibniz bei diesem weitgehenden Satz von Malebranche auch einige Bedenken nicht unterdrücken kann, so stimmt er ihm doch im wesentlichen zu, und er kann sich aus seinem Grundansatz heraus einer solchen Zustimmung auch gar nicht entziehen. Wir wollen gewiß nicht verkennen, daß Leibniz mit diesem Bezug des wissenschaftlichen Erkennens auf den göttlichen Verstand eine große Tradition weitergeführt hat, daß er in einer Reihe steht mit Plato, Plotin, Augustin, Malebranche. Es mag gewiß auch verständlich

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Einleitung: Leibniz

sein, daß in einer Zeit der größten wissenschaftlichen Entdeckungen, man braucht nur an die Infinitesimalrechnung und an die klassische Physik zu denken, die Wissenschaftstheoretiker zu einer so glanzvollen Auffassung des wissenschaftlichen Erkennens neigen, und es mag auch sein, daß diese glanzvolle Auffassung der Wissenschaft als eine Annäherung an das göttliche Denken nun auch ihrerseits die Wissenschaft zu immer neuen Entdeckungen beflügelt. Bei alledem wird doch immer wieder die Frage auftauchen, ob diese glanzvolle Bestimmung des Wissens nicht allzu glanzvoll ist, ob der hier sich zeigende Optimismus nicht allzu optimistisch ist. Dies möchte wohl auch von einem weiteren theologisch-ontologischen Problem gelten, das Leibniz gelöst zu haben geglaubt hat, das Problem der Theodizee. Wie steht es mit dem Bösen und mit dem Schlechten in der Welt? Oder rein theologisch gefragt: wie kann Gott das Böse zulassen? Auch die Lösung dieser Frage ergibt sich für Leibniz durch den Grundansatz und die sich daraus ergebende These von der wirklichen Welt als der besten aller möglichen Welten. Wenn diese Welt aus einer Unendlichkeit der möglichen Welten ausgewählt wurde, so kann sie nur die beste aller möglichen sein, denn Gottes Wahl kann nur auf die beste fallen. Der Optimismus, den wir bei der Bestimmung des Wissens fanden, erfährt im Problem der Theodizee eine für uns kaum noch verständliche Steigerung. Die Kritik an Leibniz, ja sogar der Spott, hat sofort an diesem Punkt eingesetzt, und Voltaires vergnügliche Erzählung Candide ist wohl die geistvollste Satire auf seine philosophische Konzeption. Bei alledem darf man nicht verkennen, daß hier der geniale Versuch einer umfassenden Synthese vorliegt. Leibniz ist nicht nur der letzte universale Gelehrte, die umfassende Einheit der Wissenschaften ist ihm thematisches Ziel, und Leibniz erstrebt die Einheit in erster Linie als eine Synthese von Theologie, Metaphysik, Mathematik und Physik. Wenn Hegel diese Synthese als einen metaphysischen Roman bezeichnet, so wird man den spöttischen Unterton in dieser Charakterisierung nicht überhören können15. Freilich wird man nicht umhinkönnen zu fragen, welche Charakterisierung unter einem solchen Gesichtspunkt nun Hegels Gedankengebäude verdienen würde. Die eigentliche Auseinandersetzung mit Leibniz hat, wenn wir recht sehen, Kant geführt. Kant stellt mit allem Ernst die Frage, ob diese

Einleitung: Leibniz

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Bestimmungen des Seins, diese Bestimmungen des Wissens, diese Bestimmungen des Bösen nicht allzu optimistisch angesetzt sind. So ist die kantische Philosophie dem Wollen und dem Vollbringen nach eine fundamentale Auseinandersetzung mit Leibniz, eine Auseinandersetzung, in der Zustimmung und Entgegensetzung unlösbar miteinander verbunden sind. Es kann also Kant, auf den philosophischen Ertrag seines Lebens zurückblickend, mit Recht sagen: „So möchte denn wohl die Kritik der reinen Vernunft die eigentliche Apologie für Leibniz selbst wider seine ihn mit nicht ehrenden Lobsprüchen erhebende Anhänger sein"16.

TEIL I DIE EINHEIT

KAPITEL I

DAS SEIN DES RAUMES UND DER ZEIT

§ l

Das Semsproblem des Raumes

Die transzendentale Ästhetik beginnt mit der Frage: „Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhältnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch an sich zukommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut würden, oder sind sie solche, die nur an der Form der Anschauung allein haften, und mithin an der subjektiven Beschaffenheit unseres Gemüts, ohne welche diese Prädikate gar keinem Dinge beigelegt werden können?" (A 23, B 37 f.) Es wird nicht gefragt, wie wir Raum und Zeit erkennen können, sondern es wird schlechthin gefragt, was Raum und Zeit sind. Der ontologische Sinn dieser Frage und der Zusammenhang dieses Fragens mit den geschichtlich erarbeiteten Mitteln der Ontologie wird noch deutlicher in der 1770 geschriebenen Dissertation: De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. Dort sagt Kant in fast wörtlicher Entsprechung zunächst vom Raum, und kurz darauf fast dasselbe von der Zeit: spatium non est aliquid objectivi et realis, nee substantia, nee accidens, nee relatio, sed subjectivum et ideale et e natura mentis stabili lege proficiscens1. Es bestehen also vier Möglichkeiten. Der Raum ist entweder ein wirkliches Wesen, eine Substanz, oder er ist eine Bestimmung, ein Akzidens, oder er ist eine Relation, und eine Relation kann er in zweifacher Weise sein, entweder eine an sich bestehende Relation, eine objektive Relation, oder eine Relation, die aus unserem Gemüt herrührt und die an der subjektiven Beschaffenheit unseres Gemütes haftet, eine subjektive Relation also, wenn wir die Terminologie der Dissertation etwas erweitern.

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Kap. 1: Das Sein des Raumes und der Zeit

Kant fragt also nach dem Sein des Raumes und der Zeit, und den Rahmen für die Antwort geben die von der Ontologie entwickelten vier Möglichkeiten des Seins. Das Ganze des Seins gliedert sich nach der Lehre der Ontologie, wie sie hier verstanden wird, in diese vier Möglichkeiten, und deshalb müssen auch das Sein des Raumes und das Sein der Zeit in dieser Gesamtgliederung des Seins enthalten sein. Dieser Zusammenhang mit der alten Ontologie ist nicht auf den ersten Blick zu sehen. Kant nämlich betrachtet es als ein bereits fest erzieltes Ergebnis der Seinsbestimmung des Raumes, daß die drei ersten Möglichkeiten, also Substanz, Akzidens und reale Relation, endgültig ausgeschaltet, und zwar durch Leibniz ausgeschaltet sind. Kant hält es daher nicht mehr für notwendig, diese drei ersten Möglichkeiten noch zu diskutieren; immerhin findet man gelegentlich noch Hinweise darauf, wenn etwa gesagt wird: „Die, so die absolute Realität des Raumes... behaupten... als subsistierend... müssen... zwei ewige und unendliche für sich bestehende Undinge (Raum und Zeit) annehmen, welche da sind (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles Wirkliche in sich zu befassen" (A 39, B 56). Zwei ewige und für sich bestehende Dinge von subsistierender und absoluter Realität sind eben Substanzen, nur daß die Erwägung einer solchen Bestimmung sofort zeigt, daß solche Substanzen keine Dinge, sondern Undinge sein würden. Aus dem handschriftlichen Material Kants läßt sich zeigen, daß Kant bei dieser ontologischen These, die Raum und Zeit als Substanzen betrachtet, in erster Linie an Epikur denkt2. In der Tat findet sich eine solche Substantiierung des Raumes und der Zeit in erster Linie in der Atomistik. In einem gewissen Sinne könnte man sagen, daß auch Platon im Timäus bei dem dort vertretenen atomistischen Standpunkt den Raum als eine Substanz betrachtet. Die dort gegebene Kennzeichnung des Raumes8 wird man jedenfalls von aristotelischer Begrifflichkeit her so auffassen müssen. In der Atomistik, bei Demokrit wie bei Leukipp, wird, wie sich auch aus sachlichen Gründen einsehen läßt, der Raum in der Tat als Substanz bestimmt. Die Atome und der leere Raum sind die Grundbegriffe der Atomistik. Wir kennen das Problem am besten aus den Erörterungen, die Aristoteles im vierten Buch der Physik über das Sein des Raumes durchgeführt hat. Geschichtlich mögen in erster Linie die Darstellungen bei Lukrez und Epikur wirksam gewesen sein.

§ l: Das Seinsproblem des Raumes

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Die Auseinandersetzung mit diesem Standpunkt, also der Bestimmung des Raumes als einer Substanz, durchzieht die gesamte Geschichte der Philosophie. Für Kant mag besonders wichtig der Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke gewesen sein, der der Sache nach ein Briefwechsel zwischen Leibniz und Newton gewesen ist. Der atomistische Standpunkt betrachtet also den Raum und die Zeit als Substanzen, das heißt also, als zwei ewige und unveränderliche Dinge, die die Atome und deren Konfigurationen, also alles Wirkliche, in sich enthalten. Diese beiden Substanzen würden auch dann noch existieren, wenn alle wirklichen Dinge aus ihnen herausgenommen würden, und wir haben ja gesehen, wie Kant (A 39, B 56) auf diesen Standpunkt anspielt. Eine besondere Anschaulichkeit erhält dieser Standpunkt, wenn er mit einer Kosmogonie verbunden wird. Dann sind Raum und Zeit schon immer da, und bei der Schöpfung werden die Dinge in den schon immer bestehenden Raum und in die schon immer bestehende Zeit hineingestellt. Dies gilt insbesondere für Newton. Aber gegen eine solche Bestimmung des Raumes und der Zeit als Substanzen lassen sich doch gewichtige Bedenken geltend machen. Die entscheidende Erwägung hat schon Zenon gefunden. Zenon sagt nach dem Bericht des Aristoteles4: Wenn alles Wirkliche im Raum ist, dann muß offenbar der Raum, wenn er wirklich ist, ebenfalls im Raum sein, es müßte also einen Raum des Raumes geben, und so weiter ins Unendliche. Alles Wirkliche ist ja im Raum. Was irgendwann in der Zeit ist, und was irgendwo im Raum ist, das jedenfalls ist wirklich. Daß die Sphinx, das ständige Beispiel der Griechen für ein Nichtwirkliches, nicht wirklich ist, zeigt sich eben daran, daß sie nirgends im Raum und niemals in der Zeit da ist. Ein solcher Ansatz gilt gewiß für die Atomistik: die Atome und ihre Konfigurationen, auf die sich für die Atomistik alles Wirkliche reduziert, sind im Raum, und für die Atomistik gilt daher in betonter Weise, daß alles Wirkliche im Raum ist. Dann kann aber, dies will die Paradoxie Zenons zeigen, auch der Raum selbst nur dann wirklich sein, wenn er selbst wiederum im Raum ist, und dies wird offenbar sinnlos. Mit dieser Paradoxie Zenons ist ein wichtiger ontologischer Sachverhalt zum ersten Male herausgestellt. Das Sein des Raumes, das zeigt die Paradoxie, muß ein anderes Sein sein als das Sein der Dinge, die im

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Raum sind. Der Raum kann gar nicht so etwas sein, wie die räumlichen Dinge, die im Raum sind, der Raum kann also nicht selbst ein räumliches Ding sein. In dieser Paradoxie Zenons zeigt sich zum ersten Male, daß die Frage nach dem Sein des Raumes ein besonderes Seinsproblem enthält: der Raum ist jedenfalls nicht selbst ein räumliches Ding, der Raum ist insbesondere keine Substanz. Leibniz macht im Briefwechsel mit Clarke diesen Sachverhalt mit besonderem Nachdruck geltend. In der Diskussion zeigt sich dann, daß auf dem Boden des Christentums zu diesem ontologischen Argument Zenons noch ein zweites Argument hinzutritt. Betrachtet man nämlich Raum und Zeit als Substanzen, dann sind beide ewig und unendlich. Dann gibt es aber neben Gott, dessen Sein primär das Sein einer ewigen und unendlichen Substanz ist, noch zwei weitere ewige und unendliche Substanzen, und dies ist unter den christlichen Voraussetzungen des Briefwechsels unmöglich6. Nicht nur aus allgemeinen ontologischen Gründen, wie sie in der zenonischen Paradoxie entwickelt wurden, sondern auch aus christlich-dogmatischen Gründen können daher Raum und Zeit nicht als Substanzen betrachtet werden. Das dogmatische Argument gewinnt eine besondere Bedeutung für Newton. Aus physikalischen Gründen muß Newton auf eine absolute Realität des Raumes bedacht sein. Wenn nun die Seinsbestimmung des Raumes als eine Substanz unmöglich geworden ist, dann bleibt nur noch übrig — will man an der absoluten Realität festhalten —, den Raum als Akzidens anzusetzen. Da nun Raum und Zeit ewig und unendlich sind, so können sie nur Akzidenzen einer Substanz sein, die selbst ewig und unendlich ist, sie können also nur Akzidenzen Gottes sein. Newton kann sich dieser Konsequenz nicht entziehen, und wir glauben, daß Clarke, wenn er Raum und Zeit als Eigenschaften Gottes bestimmt8, den Standpunkt Newtons richtig formuliert hat. Auch Kant denkt an Newton, wenn er einen Standpunkt ins Auge faßt, für den Raum und Zeit Akzidenzen sind7. Aber eine solche Seinsbestimmung des Raumes und der Zeit als Eigenschaften Gottes ist doch offenbar mißlich und eine reine Verlegenheitslösung, und Leibniz versäumt nicht, auf diese Mißlichkeiten und Verlegenheiten immer wieder hinzuweisen8. Es muß also auch diese Seinsbestimmung des Raumes und der Zeit als Eigenschaften, als Akzidenzen, aufgegeben werden. Von den Möglichkeiten, die Kant in seiner Fragestellung vorgegeben

§ l: Das Seinsproblem des Raumes

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hatte, sind also die beiden ersten — Raum und Zeit als Substanzen, wirkliche Wesen, oder als Akzidenzen, Bestimmungen — nicht zu halten. Dann muß also der Raum ein Verhältnis, eine Relation sein. Schon Aristoteles hebt den Relationscharakter des Raumes und der Zeit heraus, in thematischer Diskussion wird diese Bestimmung von Ockham erreicht9. Die endgültige Bestimmung erfolgt durch Leibniz. Schon aus kategorialanalytischen Gründen muß Leibniz den Raum dem allgemeinen Begriff der Relation unterordnen. Die Geometrie ist ebenso wie die gesamte Mathematik eine Lehre von den Relationen; Mathematik ist, dies hat Leibniz mit aller Deutlichkeit erkannt, Relationstheorie10. In dieser Analyse ist die ontologische Bestimmung bereits vorgezeichnet. Es wird weiter notwendig, das Sein einer Relation zu bestimmen, und hier findet Leibniz die scholastische Unterscheidung zwischen relatio realis, relatio transcendentalis und relatio rationis vor. Diese Unterscheidung ist von Thomas angebahnt, von Duns Scotus und Ockham thematisch entwickelt und durch Suarez in besonders präziser Form gegeben. Hier bei Suarez dürfte sie Leibniz auch gefunden haben. Eine reale Relation ist eine solche Relation, die von ihren Fundamenten durch eine distinctio realis unterschieden ist, die sich also von ihren Fundamenten unterscheidet wie eine res von einer anderen res11. Eine relatio rationis ist eine solche Relation, deren Sein lediglich in der Vorstellung besteht. Eine relatio transcendentalis ist eine solche Relation, die zwar nicht von ihren Fundamenten durch eine reale Distinktion unterschieden ist, die aber gleichwohl nicht lediglich in der Vorstellung besteht. Die genauere Seinsbestimmung der transzendentalen Relation erfolgt bei Thomas, Duns Scotus und Ockham in verschiedener Weise12. Jedenfalls kann die transzendentale Relation in gewisser Weise als relatio realis, in anderer Weise als relatio rationis bestimmt werden. Leibniz lehnt die reale Relation ab. Eine Relation verbindet zwei Fundamente, vorzugsweise und jedenfalls in letzter Fundierung zwei Substanzen. Eine reale Relation wäre daher eine Realität, die mit dem einen Fuß in einer Substanz, mit dem anderen Fuß in einer anderen Substanz stände. Eine solche Zwischenexistenz einer Relation zwischen zwei realen Substanzen ist unmöglich und die Relation kann daher keine res für sich sein13. Im Briefwechsel mit des Bosses findet Leibniz die schöne Formulierung: (tempus et spatium) sunt ordines, non res14.

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Reales Sein im Sinn einer besonderen res ist für Leibniz identisch mit dem Sein der Monaden oder ihrer individuellen Modifikationen; nur Monaden sind real in dem spezifischen Sinne, daß jede Monade eine res per se ist. Raum und Zeit sind daher nicht selbst Dinge, nicht selbst res, sonst wären sie Monaden, sie sind vielmehr Ordnungszusammenhänge, Ordnungssysteme von Monaden. Als solche sind sie nicht Dinge, sondern Vorstellungen, sie haben kein reales, sondern ein ideales Sein15. Obwohl Leibniz den Raum dem Wortlaut nach als eine relatio rationis zu bestimmen scheint, führt er in der Sache den Gedanken der transzendentalen Relation weiter. Diese Rückwendung zu einem objektiven Sein von Raum und Zeit drückt sich darin aus, daß das Denken, für das Raum und Zeit als Relationen Vorstellungen sind, das göttliche Denken ist. Die Raumtheorie von Leibniz erreicht hier ihren Höhepunkt in der Bestimmung des Seins von Raum und Zeit als phaenomena Dei18. In diesem Bezug auf das göttliche Denken hat auch Kant in seinen vorkritischen Schriften die Phänomenalität von Raum und Zeit verstanden. Versuchen wir, diese Bestimmungen von Leibniz uns noch einmal anschaulich vorzustellen, dann gibt es für Leibniz nur ein reales Sein, das sind die Monaden, beziehungsweise ihre individuellen Modifikationen. Alle Beziehungen zwischen den Monaden sind nicht selbst real, sie müßten ja sonst selbst Monaden sein. Sie haben vielmehr nur ein ideales Sein, und ihr ideales Sein haben sie als Vorstellungen der göttlichen Vernunft. Das göttliche Denken also ist es, das alle Beziehungen zwischen den Monaden beständig schaut, und in diesem Erschautwerden durch das Denken Gottes besteht das Sein der Beziehungen. So haben Raum und Zeit als Relationssysteme zwar ein ideales Sein, dies bloß ideale Sein erhält aber einen erfüllten Sinn durch die Beziehung auf die göttliche Ratio, und die so verstandene Phänomenalität des Raumes und der Zeit nähert sich wieder dem Sein der Ideen, sofern die Ideen von Plato und Augustin als Gedanken Gottes bestimmt werden. $ 2 Der axiomatische Charakter der Geometrie Daß die Kritik der reinen Vernunft von zwei großen Strömen gespeist werde, von der Wissenschaftstheorie und von der Ontologie, ist

§ 2: Der axiomatisdie Charakter der Geometrie

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unser leitender Gesichtspunkt. Kants Lehre von Raum und Zeit macht dies besonders deutlich. Die transzendentale Ästhetik ist gewiß eine Auseinandersetzung mit Leibniz und Newton, dies ist schon oft gezeigt worden. Es ist aber nicht genügend beachtet worden, daß Leibniz und Newton nicht nur die Gründer der neuen Naturwissenschaft sind, sondern daß sie zugleich die alte Philosophie aufgenommen, getragen und weitergebildet haben. Dabei scheint mir, daß Leibniz für den Aufbau des kantischen Denkens eine größere Bedeutung hat als Newton, und dies liegt wohl daran, daß die philosophischen Probleme bei Leibniz stärker in den Vordergrund treten. Jedenfalls sind die kantischen Untersuchungen zum Raum-Zeit-Problem in der Problemstellung, in der Methode und in der Lösung von Leibniz her zu sehen. Dem steht nicht entgegen, daß Kant in Punkten von großer Bedeutung in einen Gegensatz zu Leibniz tritt, daß Kant seine Position in gewisser "Weise gerade in der Auseinandersetzung mit Leibniz errungen hat. Dies trifft schon zu, soweit der axiomatische Charakter der Geometrie in Frage steht. Es handelt sich um ein altes Problem, das erst von David Hubert in den Grundzügen zu einer Lösung gebracht worden ist. Die Elemente des Euklid sind das erste Lehrbuch der Mathematik, das wir besitzen, freilich sofort ein für alle Zeiten klassisches Lehrbuch. Diese Elemente des Euklid geben einen axiomatischen Aufbau. Den Anfang machen die grundlegenden Definitionen, dann erscheint eine Reihe von Sätzen als Axiome und Postulate, und aus diesen Definitionen, Axiomen und Postulaten werden die Lehrsätze der Geometrie, der Arithmetik und der Proportionenlehre bewiesen. Verständlicherweise setzt unter den Mathematikern, den Logikern, den Philosophen sofort eine Diskussion darüber ein, was dieser axiomatische Aufbau bedeuten soll. Die Axiome sind Sätze, die dieselbe Form haben, wie die aus ihnen abgeleiteten Lehrsätze. Aber von welchem Charakter sind sie? Sind es Sätze, deren Beweis noch nicht gefunden ist, so daß ihre Gültigkeit hilfsweise solange axiomatisch gefordert werden muß, bis eines Tages der Beweis nachgebracht wird? Oder sind es echte Axiome, Sätze, die niemals bewiesen werden können, Sätze vielleicht, die in sich evident sind? Die Diskussion darüber ist zweitausend Jahre lang geführt worden, und die beiden möglichen Standpunkte sind mit Nachdruck vertreten worden. Leibniz lehnt den axiomatischen Standpunkt ab, er ist überzeugt,

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daß alle mathematischen Sätze bewiesen werden können. Dies bedeutet, daß alle mathematischen Sätze aus Definitionen und dem Satz des Widerspruchs zu beweisen sind1. Leibniz hat sich daher um den Beweis solcher fundamentalen Sätze, die üblicherweise als Axiome angesetzt werden, viel Mühe gegeben2, wie wir heute wissen, vergeblicherweise. Die Diskussion selbst geht in erster Linie um das Parallelenaxiom, und zwar wohl deshalb, weil dieses Axiom zum ersten Male im Satz 29 des ersten Buches der Elemente benutzt wird. Man kann die früheren Sätze beweisen, ohne dieses Axiom zu benutzen, und es lag daher nahe, nach der Beweisbarkeit zunächst einmal dieses Axioms zu fragen. Eine grundsätzliche Einsicht in das Problem wurde schon verhältnismäßig früh erlangt. Es gibt eine Reihe von Sätzen, die mit dem Parallelenaxiom äquivalent sind, so daß man statt des Parallelenaxioms auch einen dieser äquivalenten Sätze beweisen kann. Der Beweis selbst müßte als indirekter Beweis geführt werden, indem man das Gegenteil des Parallelenaxioms oder eines äquivalenten Satzes zugrunde legt, und dann in diesem Gegenteil oder in den Folgerungen, die daraus gezogen werden können, einen Widerspruch nachweist. In dieser Richtung hat man lange gesucht; den umfassendsten Versuch unternahm um 1730 Saccheri, ein italienischer Mathematiker3. Saccheri geht von einem äquivalenten Satz aus, er nimmt an, daß die Winkelsumme im Rechteck kleiner ist als 4 Rechte. Zu seinem großen Erstaunen sieht Saccheri, daß er aus dieser „falschen" Voraussetzung eine lange Kette von Folgerungen entwickeln kann, und der gesuchte Widerspruch ließ sich erst sehr spät aufzeigen. Die Nachprüfung dieser Untersuchung hat sehr bald ergeben, daß der aufgezeigte Widerspruch auf einem Schlußfehler beruhte, die Folgerungen aus der „falschen" Voraussetzung waren vielmehr, soweit man sehen konnte, widerspruchsfrei. Man kann also auf der Voraussetzung, daß die Winkelsumme im Dreieck kleiner ist als zwei Rechte, ein System von Lehrsätzen aufbauen, ebenso wie das euklidische System auf den Voraussetzungen aufgebaut werden kann, daß die Winkelsumme im Dreieck gleich zwei Rechten ist. Mit dieser Einsicht war die erste nicht-euklidische Geometrie gefunden. Einer ihrer ersten Vertreter war Lambert, der Berliner Mathematiker und Freund Kants4. In dieser Diskussion über den axiomatischen oder nicht-axioma-

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tischen Charakter der Geometrie vertritt nun Kant mit Entschiedenheit den axiomatischen Standpunkt. Wie Kant zu dieser Überzeugung gelangt ist, ist im einzelnen noch nicht geklärt. Vielleicht ist gerade Lambert das Verbindungsglied gewesen. Wahrscheinlich ist hier auch das Problem des vierdimensionalen Raumes von Bedeutung. Leibniz betrachtet alle Eigenschaften des euklidischen Raumes als denknotwendig; er rechnet hierzu auch die Dreidimensionalität. Ein „Beweis" für die Dreidimensionalität des Raumes findet sich unter anderem in der Theodizee5. Kant erkannte schon in seiner ersten, mit knapp zwanzig Jahren geschriebenen Schrift „Gedanken vor der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte" die Unrichtigkeit des Beweises. In dieser ersten Schrift wird in einer viel beachteten Stelle eine Geometrie von beliebig vielen Dimensionen als die wahre Geometrie gefordert6. In den kritischen Schriften jedenfalls werden die Axiome der Geometrie immer wieder als echte Axiome bezeichnet7. Nun hat zwar die Entdeckung der nicht-euklidischen Geometrien einen Sturm der Entrüstung unter den Mathematikern ebenso wie unter den Philosophen hervorgerufen, und an diesem Sturm haben sich die Kantianer des 19. Jahrhunderts (und viele auch noch später) nach Kräften beteiligt. Es hat sich aber dann doch die Erkenntnis durchgesetzt, daß dies vom kantischen Standpunkt aus nicht richtig war, und Nelson, Meinecke und Natorp haben dann abschließend gezeigt, daß die Annahme nicht-euklidischer Geometrien unter den kantischen Voraussetzungen nicht nur möglich, sondern sogar notwendig ist8. An der Richtigkeit dieses Standpunktes kann kein Zweifel sein, obwohl genauere Einzeluntersuchungen noch wünschenswert sind. Ich selbst habe in meiner Dissertation zeigen können, daß Kant den axiomatischen Charakter auch der Arithmetik erkannt hat, ja daß Kant in produktiver mathematischer Arbeit die Axiome der Arithmetik entdeckt hat, und daß die Axiomatik der Arithmetik von diesen kantischen Entdeckungen ausgeht9. Der axiomatische Charakter der Geometrie wird von Kant formuliert in der These, daß die geometrischen Urteile synthetische Urteile sind10. Ein analytisches Urteil und dementsprechend auch ein synthetisches Urteil wird von Kant auf zwei Weisen definiert. Ein analytisches Urteil ist ein solches, bei dem der Begriff des Prädikats in dem Begriff des Subjekts enthalten ist, und ein analytisches Urteil ist ein solches, das allein aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden

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kann. Dementsprechend ist ein synthetisches Urteil ein solches Urteil, bei dem der Begriff des Prädikates nicht in dem Begriff des Subjekts enthalten ist, und auf Grund der weiteren Definition ein solches Urteil, das aus dem Satz des Widerspruchs allein nicht bewiesen werden kann. Man hat oft beklagt, daß diese kantische Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen so schwer durch Beispiele zu belegen ist und daß insbesondere für analytische Urteile so schwer Beispiele zu finden sind. In der Tat reduzieren sich die analytischen Urteile für Kant fast ausschließlich auf Tautologien. Greifbare analytische Urteile sind nur gewisse allgemeine Sätze der Größenlehre, z. B. der Satz: Das Ganze ist größer als ein Teil11. Die kantische Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen wird erst dann deutlich, wenn man die leibnizsche Theorie der mathematischen Urteile als Beispiel für analytische Urteile heranzieht, und dies ist auch der tatsächliche geschichtliche Zusammenhang. Leibniz betrachtet, in kantischer Terminologie gesprochen, alle mathematischen Urteile als analytische Urteile. Sie können, nach Leibniz, aus dem Satz des Widerspruchs (und den Definitionen) bewiesen werden, und wie in jedem Urteil, so ist auch im geometrischen Urteil der Begriff des Prädikates in dem Begriff des Subjektes enthalten. In dieser leibnizschen Urteilstheorie hängen die beiden kantischen Definitionen des analytischen Urteils zusammen. Deshalb kann für Leibniz der Satz: das Dreieck hat eine Winkelsumme von zwei Rechten, allein aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden, und deshalb ist für Leibniz der Begriff des Prädikates: „Winkelsumme gleich zwei Rechten" im Begriff des Subjektes „Dreieck" enthalten. Für die axiomatische Auffassung liegt das Problem anders. Für die axiomatische Auffassung kann der Satz, daß die Winkelsumme im Dreieck zwei Rechte beträgt, nicht allein aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden. Der Begriff der „Winkelsumme gleich zwei Rechten" ist nicht in dem Begriff des Dreiecks enthalten, er ist nicht logisch notwendig mit diesem Begriffe verbunden, mit dem Subjektsbegriff Dreieck können vielmehr auch die beiden anderen logisch möglichen Prädikate „Winkelsumme kleiner als zwei Rechte" und „Winkelsumme größer als zwei Rechte" als verbunden gedacht werden. Dann baut sich auf der Verbindung des Subjekts Dreieck mit dem Prädikat „Winkelsumme gleich zwei Rechten" die euklidische Geometrie auf, auf der Verbindung des Subjekts Dreieck mit

§2: Der axiomatisdie Charakter der Geometrie

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dem Prädikat „Winkelsumme kleiner als zwei Rechte" baut sich die bolyai-lobatschewskysche Geometrie auf, und auf der Verbindung schließlich des Subjekts Dreieck mit dem Prädikat „Winkelsumme größer als zwei Rechte" baut sich die riemannsche Geometrie auf. Wir sehen also in der Axiomatik die Bestätigung der kantischen These vom synthetischen Charakter der geometrischen Urteile, wenigstens insofern der synthetische Charakter der geometrischen Urteile auf den axiomatischen Gesichtspunkt gestützt wird, insofern also, als Kant von der Überzeugung ausgeht, daß die geometrischen Urteile nicht allein aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden können, und daß die in den Urteilen der euklidischen Geometrie vorliegende Verbindung von Subjekt und Prädikat nicht logisch notwendig ist, sondern daß die Subjekte dieser Urteile auch mit anderen Prädikaten verbunden werden können. In diesem ersten Sinn von Synthesis, der sich auf den axiomatischen Charakter der Geometrie stützt, wird auch zum ersten Male die Spontaneität des geometrischen Denkens sichtbar. Man kann die Axiome auffassen als Wesenseinsichten in die Grundstrukturen des Raumes, man kann sie aber auch auffassen als freie Setzungen des Denkens. Gegen die Auffassung der Axiome als Wesenseinsichten spricht fast alles, es spricht insbesondere dagegen die große Freiheit der Setzbarkeit und der Abwandelbarkeit der Axiome. Aus den modernen axiomatischen Arbeiten läßt sich doch wohl kaum eine andere Auffassung gewinnen als die im zweiten Standpunkt vertretene. So beginnt die hilbertsche Axiomatik mit der Erklärung: „Wir denken drei verschiedene Systeme von Dingen"12. Diesen frei gedachten Dingen werden dann in den Axiomen frei gesetzte Eigenschaften zugelegt. Deshalb kann mit dem Begriff des Dreiecks sowohl der Begriff: „Winkelsumme gleich zwei Rechten", wie der Begriff „Winkelsumme größer als zwei Rechte", wie der Begriff „Winkelsumme kleiner als zwei Rechte" zugelegt werden. Wir sehen die Spontaneität des Denkens aber auch im weiteren Aufbau. Aus einem einmal aufgebauten Axiomensystem können durch Weglassung oder Hinzufügung einzelner Axiome (wenn das System nicht bereits vollständig war) aber auch durch Abänderung einzelner Axiome, und dann durch neue Weglassung oder Hinzufügung ohne Ende immer wieder neue Axiomensysteme aufgebaut werden. So entsteht eine unbegrenzte Zahl von Geometrien, von Arithmetiken,

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von Logiken, und der hilbertsdie Aufbau, so reich er auch bereits ist, stellt trotz seiner überwältigenden Fülle doch nur einen kleinen Ausschnitt aus einer ohne Ende fortsetzbaren Arbeit dar. Dies Phänomen kann man doch wohl nur von einer Produktivität des Denkens her verstehen, und die von der modernen axiomatischen Arbeit ausgehenden Interpretationsversuche haben es auch meistens so verstanden. Es ist vielleicht nur die Frage, ob diese Interpretationen nicht bereits zu weit gegangen sind, wenn sie es für notwendig gehalten haben, diese Freiheit des axiomatischen Denkens als ein bloßes Spiel oder als eine bloße Konvention zu verstehen. Der Zusammenhang der kantischen Arbeit mit der axiomatischen Arbeit ist für uns von großer Wichtigkeit. Wir finden eine erste Bedeutung und zugleich eine erste Begründung der kantischen These vom synthetischen und produktiven Charakter des geometrischen Denkens in dem axiomatischen Charakter der Geometrie.

$ 3 Der konstruktive Charakter der Geometrie Der konstruktive Charakter der Geometrie ist der zweite Sachverhalt, aus dem heraus Kant die geometrischen Urteile als synthetische Urteile bezeichnet. Der konstruktive Charakter der Geometrie und der Mathematik überhaupt ist nach Kant ein Grundkennzeichen der Mathematik, er unterscheidet diese Wissenschaft von der Philosophie. Kant entwickelt diesen Unterschied. Er definiert: „Die philosophische Erkenntnis ist die Vernunfterkenntnis aus Begriffen, die mathematische aus der Konstruktion der Begriffe. Einen Begriff aber konstruieren, heißt: die ihm korrespondierende Anschauung a priori darstellen" (A 713, B 741). Es fragt sich nun, was dies Konstruieren in der Anschauung zu bedeuten habe, und hier hat man Kant fast immer mißverstanden. Dies Konstruieren kann gewiß nicht an die Tafel zeichnen bedeuten. Kant weist selbst einmal darauf hin, daß der Kreis, den ich an der Tafel ziehe, den ich in den Sand zeichne, ja ganz gewiß kein Kreis ist1. Und doch, dieser in den Sand gezeichnete Kreis mag noch so ungenau sein, er steht dem Mathematiker für einen Kreis, und der Mathematiker kann alle Eigenschaften des Kreises präzis an ihm demonstrieren. Die Bedeutung der Konstruktion wird deutlich bei den

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Beweisen und bei den Definitionen. Wenn der Mathematiker einen Satz beweisen will, so geht dies immer über Konstruktionen: der Geometer „fängt sofort davon an, einen Triangel zu konstruieren. Weil er weiß, daß zwei rechte Winkel zusammen gerade so viel austragen, als alle berührenden Winkel, die aus einem Punkte auf einer geraden Linie gezogen werden können, zusammen, so verlängert er eine Seite seines Triangels, und bekommt zwei berührende Winkel, die zweien rechten zusammen gleich sind. Nun teilt er den äußeren von diesen Winkeln, indem er eine Linie mit der gegenüberstehenden Seite des Triangels parallel zieht, und sieht, daß hier ein äußerer berührender Winkel entspringe, der einem inneren gleich ist, usw. Er gelangt auf solche Weise durch eine Kette von Schlüssen, immer von der Anschauung geleitet, zur völlig einleuchtenden und zugleich allgemeinen Auflösung der Frage" (A 716 f., B 744 f.). Um ein Mißverständnis dieses Ansatzes zu verhüten, weist Kant sofort darauf hin, daß Konstruktion hier nicht mit geometrischer Zeichnung identisch ist, sondern daß auch das Verfahren der Algebra als eine, wenn auch symbolische, Konstruktion angesehen werden muß. Das Operieren mit Zeichen etwa in der Addition oder Subtraktion entspricht dem Ziehen von Geraden in der Geometrie (A 717, B 745). Man hat diese Ausführungen Kants gern dahin aufgefaßt, daß die Geometrie die Anschauung als zusätzliches Hilfsmittel benutzen soll, in Wirklichkeit bedeutet diese Bindung an die Konstruktion eine Einschränkung. Von allen möglichen Beweisen sollen nur diejenigen zugelassen werden, die sich durch eine Konstruktion belegen lassen. Dies wird noch deutlicher beim Problem der Definition. Im Kapitel über die Unterscheidung zwischen Phänomena und Noumena sagt Kant: „Die Realerklärung würde also diejenige sein, welche nicht bloß einen Begriff, sondern zugleich die objektive Realität desselben deutlich macht. Die mathematischen Erklärungen, welche den Gegenstand dem Begriffe gemäß in der Anschauung darstellen, sind von der letzteren Art" (A 241 f. Anm.). Die Konstruktion in der Anschauung ist also nicht ein Hilfsmittel zur Definition, sondern sie beschränkt die an sich möglichen Definitionen auf solche, deren Begriff eine objektive Realität hat. Deshalb kommt es auf die „Exaktheit" dieser Konstruktion auch gar nicht an. Schon beim Kreis kommt es nicht darauf an, daß ich einen exakten Kreis zeichne, und ein Tausendeck wird ja niemals ein Mathematiker konstruieren können oder wollen. Aber wir

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verfügen doch über das Schema der Konstruktion. In der Streitschrift gegen Eberhard kommt Kant noch einmal ausführlich auf dies Problem der Konstruktion zurück. Er setzt dort auseinander, daß nicht die mechanische Konstruktion gemeint ist. Es kommt etwa gar nicht darauf an, daß ich die mechanische Konstruktion der Parabel beherrsche. Ich muß sie nur schematisch konstruieren können, ja sie kann unter Umständen sogar analytisch durch eine Gleichung konstruiert werden. Kant ist sich durchaus darüber klar, daß eine solche analytische Konstruktion durch algebraische Ausdrücke in der Neuzeit in den Vordergrund getreten ist, er weist nur darauf hin, daß auch die synthetische Methode der Alten, die Kurven durch eine anschauliche Konstruktion im eigentlichen zu geben, doch nicht ganz vergessen werden dürfe8. Die Bedeutung dieser kantischen Erwägungen ist erst durch die Untersuchungen der modernen Grundlagenforschung an den Tag getreten. Brouwer, der Begründer der intuitionistischen Schule, ist es gewesen, der uns das sachliche Verständnis für die hier liegenden Probleme gebracht hat. Ich darf zunächst ein kurzes Beispiel geben. Der euklidische Beweis für die Existenz unendlich vieler Primzahlen ist ein konstruktiver Beweis. Es wird nicht nur die Existenz einer weiteren Primzahl bewiesen, sondern der Beweis gibt zugleich die Mittel an die Hand, eine solche Primzahl auch wirklich zu errechnen, allgemeiner gesagt, sie zu konstruieren. Der Satz von der Wohlordnungsfähigkeit des Kontinuums dagegen ist von ganz anderer Art. Aus dem Auswahlaxiom folgt, daß ich jede Menge muß wohlordnen können. Dies gilt beispielsweise auch für die Menge aller reellen Zahlen. Der Beweis gibt mir aber kein Mittel an die Hand, eine solche Wohlordnung herzustellen. Hier scheiden sich nun die Schulen der Grundlagenforschung. Die intuitionistische Schule läßt einen solchen Beweis wie den von der Wohlordnung des Kontinuums nicht gelten. Diese Schule läßt nur solche Begriffe wirklich zu, die tatsächlich konstruiert werden können. Im Gegensatz dazu bejahen andere Schulen die Existenz der mathematischen Gegenstände schon dann, wenn diese Gegenstände widerspruchsfrei sind. Die wohlgeordnete Menge aller reellen Zahlen ist — soweit wir wissen — widerspruchsfrei, aber nicht konstruierbar. Ihre Existenz wird daher von der intuitionistischen Schule verneint, von anderen Schulen bejaht. Wir sehen also, daß das Konstruktionsprinzip keine zusätzliche Hilfe bei Beweisen liefert, sondern daß es aus der

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Zahl der logisch möglichen Begriffe einen Teil auswählt. Von allen logisch möglichen, das heißt widerspruchsfreien Begriffen sollen nur diejenigen als mathematisch möglich angesehen werden, die konstruiert werden können. Wenn wir von hier aus Kants Erklärungen über den konstruktiven Charakter der Mathematik zu verstehen versuchen, dann sind wir uns darüber klar, daß wir Sachverhalte benutzen, die Kant in dieser präzisen Weise noch nicht gekannt hat. Eine solche Erklärung Kants von unseren heutigen Einsichten heraus scheint uns aber möglich zu sein, weil die Intuitionisten selbst diesen Zusammenhang mit den kantischen Ansätzen bejahen8. Dann bedeutet also die kantische These vom anschaulichen Charakter der Mathematik die Einschränkung der Mathematik auf solche Gegenstände, die konstruierbar sind4. Von hier aus läßt sich auch die Stellung Kants zur euklidischen Geometrie deutlich machen. Wir sagten schon, daß auch viele Kantianer die Möglichkeit der nicht-euklidischen Geometrie lebhaft bestritten haben. Sicherlich hat dieser Protest eine gewisse Begründung in den Aufstellungen Kants gehabt, aber die Dinge liegen weit schwieriger, als man zunächst angenommen hat. Sie werden noch dadurch erschwert, daß Kant — ebenso wie später Gauss — es vermieden hat, von nichteuklidischen Geometrien zu reden, und wenn wir die Kämpfe betrachten, die die Einführung der nichteuklidischen Geometrien entfacht hat, dann müssen wir wohl sagen, daß Kant mit gutem Recht vorsichtig gewesen ist. Es kann aber kein Zweifel sein, daß Kant sich darüber klar gewesen ist, daß auch in der Geometrie das logisch Mögliche über den Bereich der euklidischen Geometrie weit hinausgeht. Aber Kant hielt — wenn auch vermutlich irrtümlicherweise — an e i n e r These fest. Was über die euklidische Geometrie hinausgeht, ist zwar logisch möglich, es ist aber nicht konstruierbar, das heißt, es ist nicht anschaulich konstruierbar, und dies heißt nun wiederum für Kant, es existiert mathematisch nicht, es ist ein bloßes Gedankending. Nur die euklidische Geometrie existiert im mathematischen Sinne, während alle nicht-euklidischen Geometrien bloße Gedankendinge sind. Ein anschauliches Beispiel gibt Kant in A 220 f., B 268: „So ist in dem Begriffe einer Figur, die in zwei geraden Linien eingeschlossen ist, kein Widerspruch, denn die Begriffe von zwei geraden Linien und deren Zusammenstoßung enthalten keine Verneinung einer Figur; sondern die

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Unmöglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe an sich selbst, sondern der Konstruktion desselben im Räume, d. i. den Bedingungen des Raumes und der Bestimmung desselben, diese haben aber wiederum ihre objektive Realität, d. i. sie gehen auf mögliche Dinge, weil sie die Form der Erfahrung überhaupt a priori in sich enthalten". Von unseren heutigen mathematischen Begriffen her ist uns dies Beispiel ja sofort verständlich. In der euklidischen Geometrie können zwei Geraden niemals eine Figur einschließen. Betrachtet man aber die Oberfläche einer Kugel als Modell einer riemannschen Geometrie, dann sind die größten Kreise die Geraden dieser riemannschen Geometrie, und es können also in der Tat zwei Geraden eine Figur, ein Zweieck bilden. Dabei mag es bis zu einer genaueren Untersuchung zweifelhaft erscheinen, in welchem Sinne Kant eine solche positive Möglichkeit ins Auge gefaßt hat. Zwar hat schon Lambert den Zusammenhang der nichteuklidischen Geometrie mit der Kugeloberfläche gesehen, und es wäre nicht undenkbar, daß Kant diesen Gedankengang weiterverfolgt hätte. Aber es wäre auch durchaus denkbar, daß Kant auf rein begrifflichem Wege vorgegangen ist, daß Kant sich also überlegt hat, ob in dem reinen Begriff eines geraden Zweiecks als solchem ein Widerspruch enthalten ist. Jedenfalls ist Kant auf dem einen oder dem anderen Wege zu der richtigen Einsicht gelangt, daß der Begriff eines geraden Zweiecks kein widerspruchsvoller Begriff ist. In einem solchen Ansatz hat also Kant einen kühnen Schritt über Leibniz hinaus getan, denn für Leibniz ist der Begriff eines geraden Zweiecks widerspruchsvoll. Kant bestreitet also die mathematische Existenz eines geraden Zweiecks: es ist zwar logisch möglich, weil es widerspruchsfrei ist, es ist aber nicht konstruierbar, es ist nicht anschaulich darstellbar. In derselben Weise muß man sich auch die Auffassung der nichteuklidischen Geometrien überhaupt bei Kant denken. Nichteuklidische Geometrien sind zwar logisch möglich, aber sie sind nicht konstruierbar, und deshalb haben sie für Kant keine mathematische Existenz, sie sind vielmehr bloße Gedankendinge. Dieser Standpunkt Kants, den wir erst von unseren heutigen Kenntnissen genau präzisieren können — auch von Kant gilt, was er selbst von Leibniz sagt, daß die spätere Interpretation den Forscher besser verstehen kann, als er sich selber verstand —, ist vielleicht doch noch nicht kühn genug. Es scheint doch so, daß man in gewisser Weise auch

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nichteuklidisdhe Geometrien konstruieren kann, und die kantische Annahme, daß man nichteuklidische Geometrien niemals in der Physik würde brauchen können, hat sich jedenfalls als zu eng erwiesen. Auf der anderen Seite müßte man das Problem heute dahin formulieren, ob nicht die euklidische Geometrie gegenüber allen anderen Geometrien eine Auszeichnung besitzt, und dies Problem vermögen wir heute noch in keiner Weise zu entscheiden. Wir wissen zwar, daß es euklidische Modelle nichteuklidischer Geometrien gibt. Aber den Zusammenhang zwischen den möglichen Geometrien übersehen wir noch nicht. Ist vielleicht eine Geometrie, und dann vermutlich die euklidische, durch ihre logische Form ausgezeichnet, oder vielleicht dadurch ausgezeichnet, daß sie die anderen Geometrien fundiert, oder vielleicht dadurch ausgezeichnet, daß wir die anderen Geometrien nur auf dem Weg über die euklidischen Geometrien erreichen können? Oder gibt es eine solche Auszeichnung einer bestimmen Geometrie überhaupt nicht? Wir deuten diese Fragen nur an, um die Bedeutung der kantischen These herauszustellen. Wenn Kant also die Bedeutung der Anschauung für die Geometrie hervorhebt, so will er, wenn wir recht sehen, dies sagen, daß viele Geometrien widerspruchsfrei denkbar sind, daß aber aus diesem großen Gebiet des widerspruchsfrei Denkbaren die euklidische Geometrie dadurch hervorgehoben, dadurch ausgezeichnet wird, daß sie konstruierbar ist. Dabei ist es wohl lediglich eine terminologische Frage, ob man das, was über die euklidische Geometrie, aber lediglich als widerspruchsfrei denkbar hinausreicht, noch eine Geometrie nennen soll. Kant würde wohl gezögert haben, solchen, wie er sagt, reinen Gedankendingen noch den Namen einer Geometrie beizulegen; da der Sprachgebrauch sich aber einmal so entwickelt hat, sehe ich keine grundsätzlichen Bedenken, einen solchen Terminus auch bei Kant anzuwenden. Das von uns diskutierte kantische Beispiel eines geraden Zweiecks spricht immerhin dafür, und jede Interpretation muß ja mit weiterentwickelten Begriffen arbeiten, wenn sie nicht eine bloße Wiederholung sein will. Die Anschauung ist also keine zusätzliche Erkenntnisquelle für die Mathematik — an einer solchen These haben sich die Mathematiker mit Recht gestoßen — sondern sie ist dasjenige Moment, das den größeren Bereich der logischen Existenz als des widerspruchsfrei Denkbaren auf den kleineren Bereich der mathematischen Existenz als des Konstruierbaren einschränkt. Die Urteile der Geometrie sind

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also in dieser zweiten Hinsicht synthetische Urteile a priori, weil sie in reiner Anschauung konstruierbar sind. In diesem konstruktiven Charakter der Geometrie wird nun auch ein neues Moment der Spontaneität sichtbar5. Das Denken des Mathematikers ist nicht ein bloßes Denken von reinen Begriffen, es ist zugleich ein Konstruieren, wir würden heute vielleicht noch etwas allgemeiner sagen, es ist ein Operieren. In der oben zitierten Stelle hat Kant auseinandergesetzt, weshalb er die geometrischen Beweise als konstruktive Beweise betrachtet. Wenn der Geometer die Winkelsumme im Dreieck beweisen will, dann beginnt er zweifellos damit, gewisse Linien zu ziehen, das ist einfach eine Beschreibung des Tatbestandes. Aber dasselbe gilt auch in der Arithmetik. Das in der Einleitung zur zweiten Auflage gegebene weitere Beispiel ist vielleicht nicht in jeder Beziehung glücklich. Kant sagt dort: „Der Begriff von Zwölf ist keineswegs dadurch schon gedacht, daß ich mir bloß jene Vereinigung von Sieben und Fünf denke, und, ich mag meinen Begriff von einer solchen möglichen Summe noch solange zergliedern, so werde ich doch darin die Zwölf nicht antreffen. Man muß über diese Begriffe hinausgehen, indem man die Anschauung zu Hilfe nimmt, die einem von beiden korrespondiert, etwa seine fünf Finger, oder (wie Segner in seiner Arithmetik) fünf Punkte, und so nach und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen Fünf zu dem Begriffe der Sieben hinzutut. Denn ich nehme zuerst die Zahl 7, und, indem ich für den Begriff der 5 die Finger meiner Hand als Anschauung zur Hilfe nehme, so tue ich die Einheiten, die ich vorher zusammennahm, um die Zahl 5 auszumachen, nun an jenem meinem Bilde nach und nach zur Zahl 7, und sehe so die Zahl 12 entspringen" (B 15 f.). Es ist begreiflich, daß die Mathematiker an dieser Reduktion der arithmetischen Beweise auf die fünf Finger keinen großen Gefallen gefunden haben, und auch der Hinweis auf das Lehrbuch von Segner hat sie nicht versöhnen können. Es läßt sich aber zeigen, daß eine exakte mathematische Vorstellung hinter diesem Beispiel liegt. Den rein mathematischen Beweis hat sich Kant in folgender Weise gedacht: 7 + 5 = 7 + ( 4 + 1) = 7 + ( l + 4 ) = (7 + 1)+ 4 = 8 + 4 = usw. Der Beweis erfolgt also so, daß nach und nach je eine Einheit von der Fünf in die Sieben herübergeholt wird, so wie Kant in seiner anschaulichen Darstellung dies tatsächlich beschrieben hat8. Den grund-

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sätzlichen Charakter dieses Beweises hat schon Leibniz gesehen und in den Nouveaux Essais dargestellt7. Der konstruktive Charakter dieses Beweises liegt darin begründet, daß ich dauernd umformen muß. Es geht zwar die Fünf per definitionem über in 4 + l. Dann aber muß ich diesen Ausdruck durch Anwendung des kommutativen Gesetzes umformen in l + 4 , und dann wieder muß ich den Ausdruck 7 + (l + 4) durch Anwendung des assoziativen Gesetzes umformen in (7 + 1) + 4 und dann erst kann ich per definitionem von 7 + l zu 8 übergehen. Arithmetische Beweise beruhen auf solchen Umformungen und sind daher konstruktiv8. Einen arithmetischen Beweis aufbauen bedeutet, solche Umformungen tatsächlich herzustellen, sie tatsächlich zu vollziehen, und so ist daher nicht nur jeder geometrische, sondern auch jeder arithmetische Beweis ein operari. Kant hat geglaubt, diesen Sachverhalt besser rein anschaulich über die fünf Finger oder die fünf Punkte entwickeln zu sollen, heute ist die rein arithmetische Darstellung des Problems vielleicht doch überzeugender. Die Herausstellung des konstruktiven Charakters der Geometrie, ja der Mathematik im ganzen bedeutet also eine Herausarbeitung der mathematischen Existenz als Konstruierbarkeit, und bedeutet eine Herausarbeitung des operativen Charakters der Mathematik. Sie bringt zugleich ein neues Moment für den synthetischen Charakter dieser Wissenschaft9.

5 4 Die Apriorität der Geometrie Der Raum, so lautet unser bisheriges Ergebnis, ist notwendig, zwar nicht denknotwendig, sondern nur in einer besonderen Notwendigkeit der mathematischen Existenz, die auf anschauliche Konstruierbarkeit gegründet ist. Genau gesprochen gilt diese Notwendigkeit nur vom euklidischen Raum. Auf diese Notwendigkeit, die für Kant im Problem der Apriorität des Raumes zusammenläuft, gründet sich nun auch die weitere kantische These vom Erscheinungscharakter des Raumes. Diese Bestimmung des Raumes bei Kant hängt auf das engste zusammen mit der Bestimmung, die Leibniz gegeben hat. Wir sahen, daß bei Leibniz eine kategorialanalytische und eine ontologische These zusammengreifen. Von der kategorialanalytischen Betrachtung her erweist sich der Raum als ein bloßes Gefüge von Relationen, und als eine solche

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Relation muß der Raum phänomenal sein, denn Relationen haben kein eignes Sein, sie haben vielmehr ihren Ursprung im Verstande1. Hier hält nun Kant zunächst das kategorialanalytische Ergebnis fest. Der Raum ist auch für Kant lediglich ein Relationsgefüge, „ein Raum", so sagt Kant in der Anmerkung zur Amphibolic der Reflexionsbegriff e A 284, B 340, „der, mit allem, was er enthält, aus lauter formalen, oder auch realen Verhältnissen besteht". Der Raum besteht also nur aus Verhältnissen, deshalb werden in der Gesamtgliederung des Seins in der transzendentalen Ästhetik, von der wir ausgegangen waren, Raum und Zeit von vornherein als Verhältnisse betrachtet. Daß sie Substanzen oder Akzidenzen sein könnten, wird zwar aufgezählt, aber gar nicht mehr ernsthaft diskutiert, und die Frage geht lediglich dahin, ob sie Verhältnisse der Dinge an sich darstellen, oder ob sie Verhältnisse sind, die im erkennenden und anschauenden Gemüt ihren Ursprung haben. Bei den Erweiterungen, die Kant in der zweiten Auflage auch an der transzendentalen Ästhetik vorgenommen hat, hat er auf den Relationscharakter des Raumes und der Zeit ausdrücklich hingewiesen: „Zur Bestätigung dieser Theorie von der Idealität des äußeren sowohl als inneren Sinnes, mithin aller Objekte der Sinne, als bloßer Erscheinungen, kann vorzüglich die Bemerkung dienen: daß alles, was in unserem Erkenntnis zur Anschauung gehört, ... nichts als bloße Verhältnisse enthalte" (B 66). In der ontologischen Bestimmung des Raumes steht Kant in seiner Frühzeit auf dem Boden der leibnizschen Bestimmung. Der Raum ist phänomenal, diese ontologische These wird von Kant ebenso übernommen wie die kategorialanalytische These vom Relationscharakter des Raumes. Daran ändert auch nichts die vorübergehende Hinneigung zu Newton in der kleinen, 1768 geschriebenen Abhandlung: Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume. So hält Kant zwar an der grundsätzlichen Bestimmung von Raum und Zeit als Phänomena fest, es ist aber nicht leicht zu sagen, ob er auch der letzten Konsequenz dieses Ansatzes gefolgt ist, und ob er in abschließender Formulierung mit Leibniz Raum und Zeit als phaenomena Dei bestimmt hat. Kant dürfte in der damit zusammenhängenden These, daß wir alle Dinge in Gott schauen, transzendentaltheologische Schwierigkeiten gefunden haben, aber auch auf die wissenschafts-theoretischen Schwierig-

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keiten eines solchen Ansatzes dürfte er schon früh gestoßen sein. Diese Bestimmung von Raum und Zeit als phaenomena Dei beruht ja auf der Voraussetzung der Einzigkeit des Raumes und der Geometrie. Für diesen Standpunkt ist die dreidimensionale euklidische Geometrie die einzige widerspruchsfrei mögliche Geometrie, und diese Voraussetzung ist für Kant schon früh zweifelhaft geworden. Aber wie die faktische Entwicklung des kantischen Denkens auch gelaufen sein mag, hier ist der Punkt erreicht, an dem sich Kant von Leibniz abwendet. Kant hält fest an der Bestreitung der absoluten Realität des Raumes als Substanz oder als Akzidens, er hält fest am Relationscharakter des Raumes, er hält fest am bloß phänomenalen Sein des Raumes. Die Ablehnung setzt ein bei dem Versuch, die Phänomenalität des Raumes auf die göttliche Vernunft zu beziehen. Hier kommt es zu der entscheidenden Umkippung, das Denken, für das der Raum eine Erscheinung ist, ist jetzt das Denken des Menschen, und so kommt es zu der berühmten These: „Wir können demnach nur aus dem Standpunkte eines Menschen, vom Raum, von ausgedehnten Wesen usw. reden" (A 26, B 42). Für die Begründung dieser These sind die beiden ersten Raumargumente von besonderer Wichtigkeit. Bei dem ersten Raumargument ist zunächst festzuhalten, daß es nahezu wörtlich aus der Dissertation herübergenommen ist. Das erste Argument zielt auf die Apriorität der Raumvorstellung. Es besteht aus drei Sätzen, die zugleich die drei Teile des Argumentes ausmachen. Im ersten Satz: „Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äußeren Erfahrungen abgezogen worden", ist das Ziel des Argumentes angegeben. Der zweite, mit „denn" eingeleitete Satz bringt den eigentlichen Beweis: „Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas außer mich bezogen werden, (d. i. auf etwas in einem anderen Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde), imgleichen damit ich sie als außer- und nebeneinander, mithin nicht bloß verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen". Der dritte Satz schließlich wird mit „demnach" eingeleitet und zieht die Folgerung aus dieser Erwägung des mittleren Satzes: „Demnach kann die Vorstellung des Raumes nicht aus den Verhältnissen der äußeren Erscheinung durch Erfahrung erborgt sein, sondern diese äußere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vostellung allererst möglich" (A 23, B 38).

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Der Kern des Argumentes liegt in dem beweisenden mittleren Satz. Hier spricht Kant von Empfindungen, und es ist die Frage, ob der Begriff der Empfindungen als solcher wesentlich ist. Daß dem nicht so ist, ergibt sich aus der Dissertation, wo Kant nur von concipere spricht: Non enim aliquid ut extra me positum concipere licet... nisi illas collocando in spatii diversis locis2. Wir können also das Argument in folgender Weise rein herausheben, indem wir für Empfindung den allgemeinen Terminus „etwas" einsetzen: damit ich etwas als nebeneinander soll vorstellen können, dazu muß die Vorstellung des Nebeneinander schon zum Grunde liegen. Es fragt sich nun weiter, ob dies Argument ein spezifisches Raumargument darstellt, ob also hier von einer spezifischen Eigenschaft des Raumes Gebrauch gemacht wird. Ist vielleicht das Argument nicht nur auf die Raumvorstellung beschränkt, so daß es sich auch auf andere Vorstellungen müßte ausdehnen lassen? Das Argument will die Apriorität des Raumes begründen und wir müssen daher fragen, ob mit einem solchen Argument lediglich die Apriorität der Raumvorstellung oder ob nicht vielleicht die Apriorität auch anderer Vorstellungen mit ihm begründet werden kann. Handelt es sich vielleicht sogar um ein Argument aus dem ganz allgemein für jeden apriorischen Begriff die Apriorität begründet werden kann? Dies ist in der Tat der Fall. Schon ein Blick auf die Behandlung der Zeit in der transzendentalen Ästhetik zeigt, daß das Argument zum mindesten auch für die Zeitvorstellung gültig ist, denn das erste Zeitargument ist fast wörtlich mit dem ersten Raumargument identisch. Geht man diesem Sachverhalt nach, dann sieht man bald, daß das Argument sehr viel weiter geht, daß es nicht nur die Apriorität der reinen Anschauungen, sondern daß es die Apriorität aller apriorischen Vorstellungen beweist, soweit eine solche Apriorität überhaupt bewiesen werden kann. Es handelt sich in der Tat um das Grundargument Platos, und ich will dies erste Argument daher das platonische Argument nennen. Plato verwendet das Argument ständig zur Begründung der Ideenlehre. In einer besonders klaren und durchsichtigen Weise wird es im Phädon vorgetragen. Plato erläutert dort seine Ansicht am Problem der Gleichheit. Zunädist zwar sind uns gleiche Bretter und gleiche Steine gegeben, aber die gleichen Bretter und die gleichen Steine erschöpfen nicht das Problem der Gleichheit, sondern es gibt darüber

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hinaus noch die Gleichheit als solche, das Gleiche an sich. Aber woher nehmen wir nun die Kenntnis des Gleichen als solchen? Damit wir überhaupt zwei Bretter als gleich erkennen können, müssen wir vielmehr schon wissen, was die Gleichheit ist. Den Begriff des Gleichen als solchen können wir gewiß nicht von den gleichen Brettern und gleichen Steinen genommen haben, denn diese sind niemals wirklich gleich, sondern nur annähernd. Damit wir überhaupt zwei Bretter als gleich erkennen können, müssen wir vielmehr schon wissen, was die Gleichheit ist8. Damit ich zwei Dinge als gleich erkennen kann, muß ich immer schon wissen, was gleich ist, muß ich den Begriff der Gleichheit schon zur Verfügung haben. In demselben Sinne sagt Kant: ich kann zwei Dinge nur dann als nebeneinander erkennen, wenn ich den Begriff des Nebeneinander schon habe, dieser Begriff des Nebeneinander muß schon zum Grunde liegen. Dieser Zusammenhang des ersten Argumentes mit dem fundamentalen Ansatz Platos ist schon früh bemerkt worden. Natorp ist es gewesen, der diesen Zusammenhang wieder aufgedeckt hat4, und später hat dann Hartmann auf die Verwurzelung des kantischen Apriori im platonischen nachdrücklich hingewiesen5. In der Tat ist die historische Bedeutung des Argumentes ebenso groß wie die systematische. Plato will die Apriorität der Ideen beweisen. Die erste thematische Ausführung des Gedankens gelingt Plato für das Mathematische im Meno. Dort wird ein Sklave herbeigerufen. Nur durch die Fragen des Sokrates geleitet, findet der Sklave die Einsicht, daß das Quadrat über der Diagonale eines Quadrates doppelt so groß ist wie das Quadrat selbst, ein Satz, der wegen des Zusammenhanges mit dem pythagoräischen Lehrsatz und dem Irrationalitätsproblem zu Platos Zeiten eine große Rolle in der griechischen Mathematik spielte. Nun hat der Sklave, wie sein Herr versichern kann, niemals vorher Mathematik getrieben, und auch Sokrates hat ihn nicht belehrt, sondern nur gefragt. Daraus zieht Plato den Schluß, daß der Sklave diese geometrische Einsicht aus sich selbst geschöpft hat, und daß wir überhaupt die Mathematik aus uns selbst schöpfen. Plato betrachtet jede Erkenntnis der Ideen, und hier zunächst des Mathematischen als ein Wiedererkennen, als eine Wiedererinnerung. Nun ist es vielleicht nicht ausgeschlossen, daß die Wiedererinnerung für Plato ein Mythus ist, und daß Plato

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einen wesentlich abstrakteren Sachverhalt in der Form dieses Mythus darstellen will. Daß bei alledem Plato einen ursprünglichen und unabweisbaren Sachverhalt erfaßt hat, daran kann kein Zweifel sein. Die Erkenntnisse des Mathematikers werden in einer anderen Weise gewonnen als die Kenntnisse des täglichen Lebens oder als die Erfahrungen der experimentellen Wissenschaften. Dieser Sachverhalt ist unabweisbar, obwohl er vielleicht noch in verschiedener Weise interpretiert werden kann. So sind denn Plato, Aristoteles, Thomas, Leibniz und Kant von diesem Sachverhalt ausgegangen, wenn sie ihn auch in verschiedener Weise interpretiert haben. Gemeinsam bleibt diesen Denkern die Überzeugung von der Apriorität der Mathematik; erst in der Interpretation dieser Apriorität beginnen dann die Differenzen. Es wäre reizvoll, die Problemgeschichte des platonischen Argumentes zu entwickeln. Dabei würde sich immer deutlicher zeigen, daß das Argument über den Bereich des Mathematischen weit hinausgeht, daß es bei Plato, ebenso wie im späteren Verlauf, die Apriorität der reinen Begriffe überhaupt begründet. Das Argument steht schon bei Plato nicht nur für das Problem der Quadratverdoppelung und das Problem der Gleichheit, es steht in gleicher Weise etwa für den Begriff des Wassers. Um etwas als Wasser erkennen zu können, und um etwas als Wasser auch nur bezeichnen zu können, muß ich schon immer wissen, was das Wasser ist. Um etwas unter den Begriff des Wassers subsumieren zu können, muß ich den Begriff des Wassers, platonisch gesprochen, die Idee des Wassers, immer schon haben, und in diesem Sinne wird das Argument auch im Timäus verwendet. Jetzt interessiert uns allein die Bedeutung für das Mathematische, und hier beweist das Argument für Plato ebenso wie für Kant die Apriorität aller mathematischen Begriffe: um etwas als nebeneinander zu erkennen, und um etwas als nebeneinander überhaupt nur vorstellen zu können, muß ich die Vorstellung des Nebeneinander immer schon haben. Befinden wir uns mit dem ersten Argument auf dem Boden der platonischen Ideenlehre, so führt uns das zweite Argument in die aristotelische Ontologie. Ich will daher das zweite Argument das aristotelische nennen. Auch hier wäre eine Problemgeschichte des Argumentes von großem Reiz; wir begnügen uns damit, den Zusammenhang mit derjenigen Form herzustellen, die das Argument bei Kant angenommen hat. Das Argument besteht wieder aus drei Sätzen als den drei Teilen.

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Der erste Satz gibt das Ziel des Argumentes: „Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt". Der zweite Satz bringt auch hier das eigentliche Argument: „Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden". Der dritte Satz faßt schließlich wieder das Ergebnis zusammen: „Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen, und ist eine Vorstellung a priori, die notwendigerweise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt" (A 24, B 38). Der Kern des Argumentes ist wieder der mittlere Satz: Man kann sich zwar einen Raum ohne die Gegenstände vorstellen, aber niemals die Gegenstände ohne den Raum, und daraus folgt die Vorrangstellung des Raumes gegenüber den räumlichen Gegenständen. Mit diesem Grundgedanken des Argumentes ist ein spezielles Raumproblem und ein allgemeines Problem der aristotelischen Ontologie aufgenommen. Aristoteles behandelt das Problem thematisch im vierten Buch der Physik in der großen Abhandlung über Raum und Zeit. Die Abhandlung über den Raum, die die ersten 5 Kapitel einnimmt, behandelt im ersten Kapitel die Geschichte und die Aporetik des Raumproblems. Schon das frühe Denken bestimmt den Raum als eine Wirklichkeit, Aristoteles verweist auf Hesiod. Eine besondere Bedeutung erlangt dann das Raumproblem für die Atomistik. Denn wer das Leere annimmt, wie die Vertreter der Atomtheorie, der muß auch dem Raum ein selbständiges Sein zusprechen, denn ein leerer Raum ist doch wohl ein Raum, aus dem man die Körper hinweggenommen hat, den man der Körper beraubt hat. Eine solche Auffassung des Raumes als eines Seienden, das vor allem anderen Seienden ist, ist nach der Überzeugung des Aristoteles aber noch sehr viel älter. Aristoteles identifiziert das Chaos des Hesiod mit dem Raum. Wenn Hesiod sagt, von allem sei als erstes das Chaos gewesen, so ist der Raum etwas, das vor allen anderen Dingen existiert hat. Wenn dies so wäre, dies gibt allerdings Aristoteles sofort zu bedenken, dann wäre die Natur des Raumes in der Tat wunderbar, dann ginge der Raum allen anderen Dingen voraus. Wenn es nämlich etwas gibt, so setzt jetzt das ontologische Argument des Aristoteles ein, ohne das die anderen nicht sein können, es selbst kann aber

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Kap. 1: Das Sein des Raumes und der Zeit

ohne die anderen sein, dann ist dieses notwendig das Erste und das Ursprüngliche. In der Tat trifft ein solches ontologisches Verhältnis beim Raum zu. Die Dinge im Raum entstehen und vergehen, der Raum selbst aber nimmt an diesem Entstehen und Vergehen nicht teil, er besteht vielmehr unveränderlich weiter6. Dies Argument entspringt der agonalen Grundhaltung der Griechen. Zwei Griechen können nicht Zusammensein, ohne sich miteinander zu messen, wer der Erste ist, und zwei griechische Städte können nicht sein, ohne sofort zu erproben, welcher Stadt der Vorrang gebührt. So werden auch die Dinge sofort auf ihren möglichen Vorrang hin angesehen. Der Raum geht den räumlichen Dingen voraus. Dies Vorrangverhältnis nimmt dann bald im Substanz-Akzidens-Verhältnis eine besondere Form an. Dasselbe Verhältnis findet ja zwischen der Substanz und dem Akzidens statt. Den Zorn des Achill gibt es niemals ohne den Achill, aber sehr wohl gibt es den Achill ohne den Zorn. Ganz allgemein ist dann die Substanz dasjenige, was immer existiert, auch ohne die einzelnen Akzidenzen, während die Akzidenzen ohne die Substanz nicht existieren können. So läuft denn in der Tat die atomistische Bestimmung darauf hinaus, den Raum als eine Substanz zu bestimmen, wir sahen dies ja bereits, und Aristoteles hebt auch die dahin führende Bestimmung ganz scharf heraus: der Raum ist etwas neben den Körpern. Nun braucht dies gegenseitige Verhältnis zwischen dem Raum und den Körpern nicht notwendig auf eine Substantiierung des Raumes hinauszulaufen, es zieht aber stets eine Vorrangstellung des Raumes nach sich. Dies gilt auch dann, wenn das Argument, wie bei Kant, verändert auftritt, wobei die Veränderung schon sehr viel früher vorgenommen worden ist. Kant spricht ja nur davon, daß ich den hier diskutierten Sachverhalt vorstellen kann. Ich kann mir den Raum zwar ohne die Körper, aber nicht die Körper ohne den Raum vorstellen. Aber diese Veränderung des Argumentes verändert am Argument selbst nichts. Sie macht lediglich aus einem tatsächlichen Experiment, dem Hinwegnehmen der Körper aus dem Raum, ein Gedankenexperiment. Vielleicht ist es gar nicht faktisch möglich, die Körper aus dem Raum herauszunehmen, aber dann kann ich dies Experiment doch noch in Gedanken durchführen, und es kommt tatsächlich im Gedankenexperiment zum selben Ergebnis. In der Scholastik, in der die Veränderung des Argumentes zuerst auftritt, erscheint zunächst eine mitt-

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lere Lösung. Es mag zwar immer sein, daß die Körper nicht wirklich aus dem Raum herausgenommen werden können, aber es kann doch gefragt werden, ob nicht Gottes Allmacht sie herausnehmen könnte, ob nicht vielleicht wenigstens durch einen göttlichen Eingriff der Raum ohne die Körper existieren könnte. Wenn der Raum vor der Erschaffung der Welt schon existiert hat, dann hat ja tatsächlich ein Raum ohne Körper existiert. Eine große Bedeutung erlangt dieses aristotelische Argument für Leibniz. Für Leibniz können zwar die Monaden ohne den Raum existieren, aber der Raum kann nicht ohne die Monaden existieren. Wenn die Monaden — etwa durch einen göttlichen Eingriff — vernichtet würden, dann würde auch der Raum vernichtet werden7. Gäbe es keine geschaffenen Dinge, so würde es weder Zeit noch Ort, aber auch keinen wirklichen Raum geben8. Dieses auf das Verhältnis vom Raum zu den räumlichen Dingen gerichtete Argument zieht sich also wie ein roter Faden durch die ganze Raumdiskussion hindurch, so daß es nicht mehr erstaunlich ist, wenn auch Kant dieses Argument verwendet. Es beweist für Kant abschließend, daß der Raum den räumlichen Dingen vorausgeht, weil, zum mindesten im Gedankenexperiment, der Raum ohne die Dinge existieren kann, aber die Dinge nicht ohne den Raum. So greifen die beiden Argumente, das platonische Argument und das aristotelische Argument zusammen, um für Kant endgültig die Vorrangstellung des reinen Raumes und der reinen Zeit zu beweisen. Diese Vorrangstellung formuliert Kant in der These von der Apriorität des Raumes und der Zeit.

$ 5 Geometrie und Naturwissenschaft Wir haben bis jetzt den Raum als ein rein mathematisches Phänomen betrachtet. Die Axiomatik, der konstruktive Charakter des Raumes, die Apriorität des Raumes konnten erwogen werden, ohne den Raum und die Geometrie als etwas anderes denn als ein rein mathematisches Phänomen anzusehen. Aber die Mathematik existiert doch nicht nur als reine Mathematik, sondern sie wird auch auf die Natur angewandt, und wie immer auch der reine Mathematiker dies als eine bloße Anwendung betrachten möge, für die Naturwissenschaft ist dies Verhält-

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nis fundamental. Es fragt sich nun, welche Bedeutung hat diese Anwendung für die Naturwissenschaft auf der einen Seite, für die Mathematik auf der anderen Seite. Die Naturwissenschaft kann ohne Mathematik nicht sinnvoll aufgebaut werden, aber kann die Mathematik sinnvoll aufgebaut werden ohne die Anwendung in der Naturwissenschaft? Kant verneint diese Frage, Mathematik ohne eine mögliche Anwendung ist sinnlos. Man ist geneigt, diese These von vornherein abzuweisen, und doch kann sich Kant auf die Zustimmung fast aller derjenigen berufen, die über den Sinn der Mathematik nachgedacht haben. Man möchte zunächst vermuten, bei Plato eine gänzliche Ablehnung einer solchen These zu finden, und es gibt eine Form der Ideenlehre, in der den Ideen jeder Zusammenhang mit der Welt gleichgültig ist. Aber, wenn wir der Plato-Interpretation von Paul Natorp folgen dürfen, dann wird von Plato immer tiefer erkannt, und in der dialektischen Form der Ideenlehre auch thematisch herausgestellt, daß Ideen nicht für sich existieren, sondern daß die Ideen miteinander und mit der Welt auf das innigste zusammenhängen. Die Ideen bestimmen das Sein dieser Welt, dies scheint uns Natorp herausgestellt zu haben1. Ihre thematische Ausbildung erlangt die These bei Aristoteles. Die mathematischen Gesetze sind für ihn die Gesetze des Seins und damit die Gesetze der Natur, und in einem gewissen Sinne kann man sagen, daß Aristoteles die Mathematik als eine Naturwissenschaft bestimmt. Allerdings handelt die Mathematik von den einfachsten und schlichtesten Sachverhalten, so daß sie doch wieder eine betonte Sonderstellung einnehmen kann2. Bei Leibniz erscheint, wie sooft, eine überraschende Verbindung des platonischen und des aristotelischen Ansatzes. Die Geometrie existiert einerseits als ein ideales Gebilde der möglichen Widerspruchsfreiheit, und andererseits als Struktur der wirklichen ebenso wie jeder möglichen Welt. Die höchste Zusammenfassung erhält dieser Gedanke in dem schon betrachteten Ansatz, daß die Mathematik auf die Vernunft Gottes bezogen wird, daß also die Mathematik primär darin besteht, daß Gott die Welt so sieht. Es mag in diesem Zusammenhang immerhin interessant erscheinen, daß auch Bertrand Russell die Mathematik als eine Naturwissenschaft zu bezeichnen gewagt hat3. Ebenso hat von der Ontologie her Nicolai Hartmann mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß das ideale Sein

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nicht lediglich in sich betrachtet werden darf, sondern daß das ideale Sein als solches einen Zusammenhang mit dem realen Sein hat. Dies steht nicht im Widerspruch damit, daß das ideale Sein über das reale Sein hinausragt. Auch das mathematische Sein ragt daher über die Möglichkeiten des realen Seins hinaus, es behält aber trotzdem den ursprünglichen Bezug auf die reale Welt4. Dieser Bezug der Mathematik auf die reale Welt wird nun von Kant in besonderer Weise herausgehoben. „Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundsätze, so sehr sie auch a priori möglich sein mögen, dennoch auf empirische Anschauungen, d. i. auf data zur möglichen Erfahrung. Ohne dieses haben sie gar keine objektive Gültigkeit, sondern sind ein bloßes Spiel, es sei der Einbildungskraft, oder des Verstandes, respektive mit ihren Vorstellungen. Man nehme nur die Begriffe der Mathematik zum Beispiele, und zwar erstlich in ihren reinen Anschauungen. Der Raum hat drei Abmessungen, zwischen zwei Punkten kann nur eine gerade Linie sein, usw. Obgleich alle diese Grundsätze, und die Vorstellung des Gegenstandes, womit sich jene Wissenschaft beschäftigt, völlig a priori im Gemüt erzeugt werden, so Würden sie doch gar nichts bedeuten, könnten wir nicht immer an Erscheinungen (empirischen Gegenständen) ihre Bedeutung darlegen" (A 239 f., B 298 f.). Diejenigen Begriffe der Mathematik also, die nicht auf empirische Anschauungen bezogen werden können, bleiben leer, sie bleiben bloße Spiele der Einbildungskraft. Konkret bedeutet diese These, daß nichteuklidische Geometrien ungeachtet ihrer widerspruchsfreien Möglichkeit, ohne Sinn bleiben, und daß sie nicht nur nicht als angewandte Mathematik, sondern daß sie auch als reine Mathematik nicht existieren. Die idealen Möglichkeiten der Mathematik gehen also nach Kant nicht grundsätzlich über die Möglichkeiten des realen Seins hinaus, dies wird besonders durch einen Vergleich mit N. Hartmann deutlich. Auf der anderen Seite gelingt es Kant durch diese Einengung, das Problem selbst zu klären. Die Frage ist ja, weshalb die euklidische Geometrie in der newtonschen Physik gilt, obwohl sie eine reine Konstruktion des Denkens ist. Durch die Einengung der Mathematik auf mögliche Konstruierbarkeit stellt sich das Problem nun so, daß der Physiker im Grunde genommen in derselben Weise konstruiert wie der Mathematiker: „Die vorigen zwei Grundsätze, welche ich die mathe-

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manschen nannte, in Betracht dessen, daß sie die Mathematik auf Erscheinungen anzuwenden berechtigten, gingen auf Erscheinungen ihrer bloßen Möglichkeit nach, und lehrten, wie sie sowohl ihrer Anschauung, als dem Realen ihrer Wahrnehmung nach, nach Regeln einer mathematischen Synthesis erzeugt werden könnten; daher sowohl bei der einen, als bei der anderen die Zahlgrößen, und, mit ihnen, die Bestimmung der Erscheinung als Größe, gebraucht werden können. So werde ich z. B. den Grad der Empfindungen des Sonnenlichts aus etwa 200 000 Erleuchtungen durch den Mond zusammensetzen und a priori bestimmt geben, d. i. konstruieren können" (A 178 f., B 221). Dieselbe Grundhandlung, die die Gegenstände der Mathematik in ihrer Konstruktion erzeugt, erzeugt also auch die Gegenstände der Naturwissenschaft, so daß die Gültigkeit der Geometrie in der Physik ohne weiteres gegeben ist. Eine solche Aufdeckung des Zusammenhanges zwischen Mathematik und Naturwissenschaft bedeutet dann aber weiter, daß Kant im Grunde genommen über den Begriff einer angewandten Mathematik weit hinausgeht. Es gibt nicht eine fertige Mathematik, die in der Physik zur Anwendung kommt, sondern es ist dasselbe Grundvermögen des Menschen, das in der Mathematik und in der Physik tätig wird. Es ist kein Anwenden einer fertigen Mathematik, sondern das Hinausgreifen der ursprünglichen Spontaneität in einen weiteren Bereich. Insofern bekommt jetzt der Begriff der Spontaneität und damit der Begriff der Synthesis einen neuen weiteren Sinn. Die Spontaneität des reinen Erkennens erzeugt nicht nur die Gegenstände der Mathematik, sondern sie erzeugt als dieselbe Spontaneität in ihrem Weitergreifen auch die Gegenstände der Naturwissenschaft.

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Die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit

Die Seinsbestimmung des Raumes und der Zeit faßt Kant zusammen in der These von der transzendentalen Idealität und der empirischen Realität des Raumes und der Zeit. So sagt Kant thematisch vom Raum: „Wir behaupten also die empirische Realität des Raumes... ob zwar zugleich die transzendentale Idealität" (A 28, B 44), und im gleichen Sinne von der Zeit: „Unsere Behauptungen lehren demnach empirische

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Realität der Zeit, ... dagegen bestreiten wir der Zeit allen Anspruch auf absolute Realität... Hierin besteht also die transzendentale Idealität" (A 35 f., B 52). Kant bestimmt die Idealität des Raumes und der Zeit als eine transzendentale Idealität. Hier taucht eine Schwierigkeit auf, weil in dem Terminus transzendental eine aus der ontologischen Tradition kommende Bedeutung mit einer neuen und spezifisch kantischen Bedeutung sich verbindet. Daß die aus der ontologischen Tradition kommende Bedeutung auch bei Kant noch lebendig ist, läßt sich deutlich machen. So spricht Kant von einer Transzendentalphilosophie der Alten (B 113). Der Terminus transzendental findet sich in den vorkritischen Schriften, auch in den ganz frühen1. Auf diesen Zusammenhang hat als erster Leisegang2 aufmerksam gemacht, später ist Knittermeyer in seiner Dissertation dem Problem nachgegangen3. Der Zusammenhang wird besonders deutlich, wenn Kant die absolute und transzendentale Realität diskutiert (A 36, B 53). Hier kann es sich gewiß nicht um die spezifisch kantische Bedeutung handeln, denn Kant sagt ausdrücklich, daß die in der Kritik der reinen Vernunft entwickelte Theorie die absolute und transzendentale Realität der Zeit bestreitet, daß sie bestreitet, daß Raum und Zeit wirkliche Dinge an sich sind. Hier muß es sich also um die alte überlieferte Bedeutung handeln. Transzendental bezeichnet hier die allgemeinsten Bestimmungen des Seins, also ens, unum, bonum, verum, sowohl dem Objekt, als auch der Methode nach. Eine transzendentale Untersuchung ist also eine solche, die ihr Objekt nur auf diese allgemeinsten Bestimmungen hin erwägt, und eine transzendentale Theologie etwa ist eine solche Theologie, die nur die allgemeinsten Bestimmungen Gottes zum Thema hat, und beispielsweise nicht auf die trinitarischen oder christologischen Probleme gerichtet ist. Auch Kant verwendet den Terminus transzendentale Theologie in diesem Sinne4. Wenn Kant von einer transzendentalen Idealität oder Realität spricht, so bedeutet das also, daß das in Frage stehende Seiende in bezug auf seinen allgemeinen Seinscharakter betrachtet, ideal oder real ist. Versucht man etwa die ontologische Grundbestimmung Leibnizens in dieser kantischen Terminologie auszudrücken, so würde den Monaden eine transzendentale Realität, Raum und Zeit aber eine transzendentale Idealität zukommen. Die These von der transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit

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bedeutet also: Raum und Zeit sind, wenn sie auf ihr Sein als solches hin betrachtet werden, nicht real, sondern ideal. Erst von dieser Bestimmung her ist die spezifische kantische Bedeutung des Terminus transzendental möglich. Kant definiert in der Einleitung zur ersten Auflage: „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unsern Begriffen a priori von Gegenständen überhaupt beschäftigt" (A 11 f.). In der zweiten Auflage definiert Kant dann noch präziser: „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt" (B 25). Kant behauptet also zunächst die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit, diese These hat er mit Leibniz gemeinsam. Er behauptet aber dann weiter, daß die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit ihren Ursprung in der Erkenntnisart des Menschen hat, in dieser Behauptung trennt sich Kant von Leibniz. Von diesem kantischen Standpunkt jedenfalls muß eine auf die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit gerichtete transzendentale Untersuchung primär auf den Ursprung des Raumes und der Zeit sich richten, das heißt also, vom kantischen Standpunkt aus muß eine transzendentale Untersuchung auf unsere menschliche Erkenntnisart gehen, und so wird denn eine transzendentale Untersuchung zu einer Untersuchung von unserer Erkenntnisart (B 25). Die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit bedeutet also jetzt nicht nur die Leugnung der absoluten Realität, sondern sie bedeutet die weitere These, daß der Ursprung von Raum und Zeit als einem jeweils idealen Sein in der Erkenntnisart des Menschen liegt, und Kant kann seine These dahin zusammenfassen: „Wir haben also sagen wollen: daß alle unsere Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung sei: daß die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie uns erscheinen, und daß, wenn wir unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, ... alle Verhältnisse der Objekte im Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren können" (A 42, B 59).

§6: Die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit

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Dieser Standpunkt ist schon in der Dissertation gewonnen, schon dort bezeichnet Kant die Zeit als eine subiectiva condicio per naturam mentis humanae necessaria5 und den Raum in gleichem Sinne als eine condicio subiectiva. Raum und Zeit sind also jetzt eine humana condicio. Dies Ergebnis hat Kant in der einprägsamen These festgehalten: „Wir können demnach nur aus dem Standpunkte eines Menschen, vom Raum, von ausgedehnten Wesen usw. reden" (A 26, B 42). Fassen wir die Erwägungen der vorhergehenden Paragraphen noch einmal zusammen, so bedeutet der Raum für Kant den euklidischen Raum, insbesondere die euklidische Geometrie. Die objektive Gültigkeit der euklidischen Geometrie wird sowohl von Leibniz wie von Kant behauptet. Für Leibniz gründet diese objektive Gültigkeit der euklidischen Geometrie auf dem Denken Gottes, für Kant gründet sie auf dem Denken des Menschen. Dann bedeutet also die transzendentale Idealität des euklidischen Raumes, daß das Sein des euklidischen Raumes in seinem Gedachtsein besteht, für Leibniz in seinem Gedachtsein durch Gott, für Kant in seinem Gedachtsein durch den Menschen, und dies eben, daß das Sein des euklidischen Raumes in seinem Gedachtsein durch den Menschen besteht, will Kant durch die These von der transzendentalen Idealität des Raumes sagen. Neben diesem Terminus der transzendentalen Idealität verwendet Kant zur ontologischen Charakterisierung des Raumes und der Zeit auch noch den Terminus der Erscheinung; man kann sagen, daß im weiteren Fortgang der Kritik der reinen Vernunft der Terminus der Erscheinung vorwiegend gebraucht wird. Auch diese These vom Erscheinungscharakter des Raumes hat Kant von Leibniz übernommen; Leibniz hatte Raum und Zeit als phaenomena bestimmt8. Ganz im Sinne von Leibniz sagt dann Kant in der Monadologia physica: Quia vero spatium non est substantia, sed est quoddam externae substantiarum relationis phaenomenon7. Auch in der Dissertation wird der phänomenale Charakter des Raumes hervorgehoben: von der Zeit sagt Kant dort „hunc conceptum universalem phaenomenorum formam continere"8 und vom Raum im gleichen Sinne: „tanquam condicione subiectiva omnium phaenomenorum"9. Die thematische Bestimmung der transzendentalen Ästhetik lautet: „Der Raum ist nichts anderes, als nur die Form aller Erscheinungen äußerer Sinne" (A 26, B 42), und entsprechend heißt es von der Zeit:

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Kap. l: Das Sein des Raumes und der Zeit

„Die Zeit ist die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen überhaupt" (A 34, B 50). Diese These ist freilich zugleich eine Doppelthese, denn Raum und Zeit werden sofort bestimmt als Formen unserer Anschauung: Raum und Zeit „sind nämlich beide zusammengenommen reine Formen aller sinnlichen Anschauung" (A 39, B 56). Hier wird zum ersten Male die Identitätsthese wirksam, auf die Nicolai Hartmann so eindringlich hingewiesen hat10. Raum und Zeit sind zugleich Formen der Erscheinung und Formen unserer sinnlichen Anschauung. Man hat oft darüber gestritten, ob die Aufstellungen Kants sich auf die reine oder auf die angewandte Mathematik beziehen, und Vaihinger gibt in seinem KantKommentar einen ausführlichen Bericht über diese Auseinandersetzungen11. Uns scheint, daß dieser Streit in seiner Wurzel verfehlt ist, die kantischen Erwägungen handeln ihrem Sinne nach zugleich von der reinen und von der angewandten Mathematik. Wir dürfen auf die vorangehenden Erörterungen zurückgreifen. Wir haben dargelegt, daß für Kant andere Räume durchaus denkbar sind, daß aber im vollen Sinne der mathematischen Existenz, der für Kant die Konstruierbarkeit einschließt, nur der euklidische Raum existiert. Nur der euklidische Raum ist konstruierbar. Daraus folgt für die reine Mathematik: Jede Geometrie ist euklidisch. Wir haben bereits erwogen, in welchem Sinne die mathematische Entwicklung hier über Kant hinausgegangen ist, und in welchem Sinne gleichwohl das Problem noch völlig offen ist. Aus diesem Ansatz folgt aber auch zugleich der euklidische Charakter des physikalischen Raumes. Wir halten noch einmal fest, daß Kant sowohl den euklidischen Charakter des mathematischen Raumes als auch den euklidischen Charakter des physikalischen Raumes behauptet. Hieraus folgt nun zweierlei. Die These von der objektiven Gültigkeit der euklidischen Geometrie, und die These von der Einschränkung aller räumlichen Bestimmungen auf Erscheinungen. Die These von der objektiven Gültigkeit der euklidischen Geometrie wird von Kant immer wieder ausgesprochen. Für Leibniz bedeutet mathematische Existenz Widerspruchsfreiheit, Leibniz muß daher die Widerspruchsfreiheit der Axiome beweisen. In dem von Kant neu bestimmten Sinne der mathematischen Existenz als Konstruierbarkeit gibt es nach Kant nur den dreidimensionalen euklidischen Raum. So

§6: Die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit

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schlagen zwar Leibniz und Kant verschiedene Wege ein, das Resultat ist gleichwohl dasselbe: nur der dreidimensionale euklidische Raum ist möglich. Aber diese objektive Gültigkeit der Geometrie wird von Kant aus der Identitätsthese abgeleitet, sie kann daher auch nur innerhalb der Identitätsthese gelten. Die objektive Gültigkeit der Geometrie kann aus dem kantischen Beweisgang nur für Erscheinungen und nicht für Dinge an sich bewiesen werden. Leibniz konnte in einem gewissen Sinne dieser Konsequenz noch entgehen, weil das Denken, das für Leibniz Raum und Zeit trägt, das Denken Gottes ist. Kant löst diese Fundierung auf, er bezieht Raum und Zeit nur auf das Denken des Menschen, er muß daher alle räumlichen Bestimmungen endgültig vom Ansichsein abtrennen. Es ist schon oft bemerkt worden, daß hier eine Lücke im kantischen Beweis vorliegt, Vaihinger gibt eine zusammenfassende Darstellung der Diskussion12. Die Lücke liegt jedoch nicht im Beweis, sondern in der Formulierung. Kant hätte eigentlich nicht formulieren dürfen, daß die räumlichen Bestimmungen nur den Erscheinungen und daß sie den Dingen an sich nicht zukommen. Er hätte vielmehr nur formulieren dürfen: daraus, daß die Erscheinungen notwendig euklidischen Charakter haben, folgt nicht, daß die Dinge an sich ebenfalls euklidischen Charakter haben. Kant hätte also eigentlich nur sagen dürfen: daraus, daß die Erscheinungen räumlich und zeitlich sind, braucht nicht zu folgen, daß auch die Dinge an sich räumlich und zeitlich sind. Wir werden sehen, daß Kant in der transzendentalen Analytik die vorsichtigere und präzisere Formulierung wählt, aber das Raum- und Zeitproblem ist mit so viel Ressentiments belastet, daß hier die gefühlsmäßige Einstellung den Sieg über die kühle ontologische Formulierung davonträgt. Versuchen wir im Rahmen des im kantischen Argument Beweisbaren zu bleiben, so können wir sagen: Es läßt sich zeigen die empirische Realität des Raumes und der Zeit, das heißt die objektive Gültigkeit aller räumlichen und zeitlichen Bestimmungen in Mathematik und Physik. Diese empirische Realität schließt aber die transzendentale Idealität in sich; Raum und Zeit sind Formen der menschlichen Anschauung, ihre Gültigkeit kann also nur bewiesen werden von den Dingen, wie sie uns erscheinen, und nicht von den Dingen, wie sie an sich sind13.

KAPITEL II DAS SEIN DER WELT

$ 7 Die geschichtlichen Voraussetzungen der Antinomienlehre Wir weichen vom Gang der Kritik der reinen Vernunft ab, und lassen auf die Erörterungen der transzendentalen Ästhetik die Erörterung der transzendentalen Dialektik folgen, während wir die transzendentale Analytik an dritter Stelle behandeln. Vermutlich haben sich auch für Kant selbst die Probleme in dieser Reihenfolge entwickelt. Die Dissertation zeigt deutlich, daß der Standpunkt der transzendentalen Ästhetik schon im Jahre 1770 so weit erreicht war, daß die Darstellung der Dissertation an wichtigen Stellen fast wörtlich in die Kritik der reinen Vernunft übernommen werden konnte. Auch der Standpunkt der transzendentalen Dialektik ist weitgehend erreicht. Dagegen vertritt, was die Probleme der transzendentalen Analytik anbetrifft, Kant im Jahre 1770 in der Dissertation noch völlig den später von ihm so genannten Dogmatismus; der Standpunkt der transzendentalen Analytik ist also erst in dem Jahrzehnt zwischen 1770 und 1780 erreicht. Wir können dies nicht nur aus dem Vergleich der Dissertation mit der Kritik selbst erschließen, sondern wir haben in dem großen Brief an Marcus Herz vom 21.2.17721 ein unmittelbares Zeugnis. Die Probleme der transzendentalen Dialektik stellen also eine wichtige Stufe in der Entwicklung des kritischen Denkens dar; Benno Erdmann hat gerade auf diese Probleme mit besonderem Nachdruck aufmerksam gemacht. 1936 hat de Vleeschauwer eine thematische Darstellung des Problems gegeben2. Wir beschränken unsere fortlaufende Interpretation auf die Antinomienlehre. Hier kommen fundamentale Fragen der Vernunft zur Sprache: „ob die Welt einen Anfang und irgendeine Grenze ihrer Ausdehnung im Räume habe, ob es irgendwo und vielleicht in meinem

§7: Die geschichtlichen Voraussetzungen der Antinomienlehre

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denkenden Selbst eine unteilbare und unzerstörliche Einheit, oder nichts als das Teilbare und Vergängliche gebe, ob ich in meinen Handlungen frei, oder, wie andere Wesen, an dem Faden der Natur und des Schicksals geleitet sei, ob es endlich eine oberste Weltursache gebe, oder die Naturdinge und deren Ordnung den'letzten Gegenstand ausmachen, bei dem wir in allen unseren Betrachtungen stehenbleiben müssen: das sind Fragen, um deren Auflösung der Mathematiker gerne seine ganze Wissenschaft dahingäbe" (A 463, B 491). Wir beschränken uns weiterhin auf die Diskussion der beiden ersten Antinomien, da schon aus diesen die eigentümliche Verflechtung der geschichtlichen Voraussetzungen, der systematischen Grundlagen und der transzendentalphilosophischen Konsequenzen hinreichend deutlich wird. Die in diesen beiden Antinomien erörterten Fragen haben die Philosophie seit ihrem Beginn unaufhörlich beschäftigt. Die transzendentale Dialektik bringt zwar die Probleme auf ihre reine systematische Form, aber Kant ist sich der geschichtlichen Zusammenhänge wohl bewußt und weist immer wieder darauf hin. Den Lesern des achtzehnten Jahrhunderts waren diese Zusammenhänge vertraut, in der heutigen Lage scheint ein Rückblick auf die geschichtlichen Voraussetzungen geboten. Die erste Antinomie zerfällt in die beiden Teilfragen der räumlichen und der zeitlichen Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt. Was zunächst die erste Teilfrage anbetrifft, ob die Welt dem Raum nach endlich oder unendlich ist, so faßt das mythologische Denken die Welt doch wohl immer als endlich auf. Die Himmelskugel schließt die Welt ab und macht sie im eigentlichen Sinne endlich. Der Gedanke einer in das Unendliche sich erstreckenden oder, wie das mythologische Denken sagen würde, in das Unendliche sich verlierenden Welt wird gar nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Diese Anschauung setzt sich weit in das ausgebildete Denken hinein fort. Aber da eine letzte Grenze vorhanden, ist das Seiende abgeschlossen nach allen Seiten hin, vergleichbar der Masse einer wohlgerundeten Kugel, so sagt Parmenides3. Er denkt hier wohl kaum an einen ausschließlich abstrakten Begriff des Seins, er hat vielmehr das Sein als den Kosmos selbst im Auge. Diese Verbindung von schlichtem Bild und abstraktem Denken, die wir nur so schwer nachvollziehen können, kommt bei Aristoteles zur vollen Aus-

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Kap. 2: Das Sein der Welt

bildung. Nach der aristotelischen Kosmologie ruht die Erde als Kugel im Mittelpunkt der Welt, umgeben von immer neuen Kugelschalen, zunächst vom Wasser, dann von der Luft, dann vom Feuer. Der Äther schließlich als fünftes Element schließt mit dem Fixsternhimmel das Weltall zu einer vollendeten Kugel zusammen, und in dieser Kugel sind die Möglichkeiten zugleich des bewegten Seins entfaltet und beschlossen. So bleibt der Gedanke einer endlichen Welt im griechischen Denken im Vordergrund, jedoch wird die andere Möglichkeit, der Gedanke einer unendlichen Welt, von der nie ermüdenden Beweglichkeit des griechischen Denkens keineswegs ganz übersehen. Den Raum der Atomisten muß man sich wohl als unbegrenzt und als unendlich vorstellen. Audi der Raum, den Plato im Timäus als das dritte Prinzip beschreibt, hat nicht mehr die begrenzte Form der Kugel. Die reifste Form erreicht die Vorstellung einer unendlichen Welt bei den Pythagoräern. Hier werden Peras und Apeiron als die Prinzipien angesetzt4, und hier ist doch wohl kein Zweifel, daß der Raum auf die Seite des Apeiron gehört. Den klarsten Ausdruck bringt das schöne Fragment des Archytas, das uns Eudemos überliefert hat: Wenn ich an den äußersten Rand des Himmels trete, dort, wo er alle Veränderung hinter sich läßt, kann ich dann die Hand oder den Stab ausstrecken in das, was außerhalb seiner ist oder kann ich das nicht6? Hier ist mit sicherem Griff die Aporie einer Weltgrenze herausgehoben. Gäbe es eine Weltgrenze, so könnte ich doch bis zu dieser Weltgrenze gehen und dort noch einmal die Hand ausstrecken. Dann aber muß ich über diese Weltgrenze hinauskommen in das, was jenseits dieser Weltgrenze liegen muß. Ich muß also jede Weltgrenze, wo immer sie auch liegen möge, doch noch einmal überschreiten können, und dies eben ist die unaufhebbare Antinomie einer endlichen Weltgrenze. In der beginnenden Naturwissenschaft tritt der Gedanke einer unendlichen Welt so in den Vordergrund, daß eine endliche Welt nicht einmal mehr als Möglichkeit in Betracht gezogen wird. Für beide Thesen, die sich jetzt entwickeln, bleibt der Raum als solcher unendlich. Newton nimmt eine endliche Welt an, die in dem an sich unendlichen und also sonst leeren Raum sich befindet. Leibniz dagegen hält eine solche endliche Welteninsel in einem unendlichen Raum für unmöglich, nach Leibniz ist der Raum bis ins Unendliche stetig mit Materie er-

S 7: Die geschichtlichen Voraussetzungen der Antinomienlehre

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füllt6. So kommt der Gegensatz im Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke zum Ausdruck, und so dürfte er für Kant wirksam gewesen sein. In dieser eingeschränkten Form übernimmt also Kant das Problem: eine endliche Welt in einem unendlichen Raum, oder eine unendliche Erstreckung der Materie in die Unendlichkeit des Raumes. Die Frage eines zeitlichen Anfangs der Welt hat vielleicht eine noch größere Rolle gespielt. Auch hier beginnt das Denken mit einem endlichen Begriff, mit dem Anfang der Welt vor einer endlichen Zeit. Wohl alle Mythologien beginnen mit einer Schöpfungsgeschichte. Die Welt wird von Gott geschaffen, oder von Göttern, oder von Wesen, die zu diesem Beruf von den Göttern erschaffen sind. In einem solchen Sinne gibt auch Plato im Timäus einen Schöpfungsmythus. Die Welt wird dort zwar nicht von Gott selbst, aber durch einen von Gott geschaffenen Weltenbauer, den Demiurgos, nach dem Vorbild der Ideen erschaffen. Es war schon unter den Schülern Platos streitig, ob dieser Schöpfungsbericht des Timäus einen Bericht über ein wirkliches zeitliches Geschehen, und damit über einen wirklichen zeitlichen Anfang der Welt darstellen soll, oder ob es sich nur um einen Mythus handelt, der keine wörtliche Glaubhaftigkeit verlangt. Nach dem Schöpfungsbericht der Genesis schuf Gott im Anfang Himmel und Erde, aber nicht alle Exegeten sind der Meinung, daß dieses „im Anfang" schlechterdings in einem zeitlichen und endlichen Sinne genommen werden müßte. Bei alledem hat man im allgemeinen sowohl die Darstellung des Timäus als auch den Schöpfungsbericht der Genesis als die Darstellung eines vor einer endlichen Zeit liegenden Vorganges aufgefaßt, und die Übereinstimmung der platonischen Darstellung mit dem Schöpfungsbericht der Genesis ist von großer Bedeutung gewesen. Im Gegensatz zu dieser These von einem Anfang der Welt in einer endlichen Zeit vertritt Aristoteles die Lehre von der unendlichen Dauer der Welt. Er stützt sich in erster Linie auf die Bewegung der Gestirne. Vom geozentrischen Standpunkt aus erscheint als die Fundamentalbewegung die Drehung des Fixsternhimmels, der in 24 Stunden einmal umläuft. Hiervon werden dann die Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Planeten abgeleitet, indem sie aus mehreren Kreisbewegungen zusammengesetzt werden. Dies ganze System bewegt sich ohne Änderung, und hier ist es vor allem der Umschwung des Fixsternhimmels, der von aller Zeit in alle Zeit sich ungeändert vollzieht.

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Kap. 2: Das Sein der Welt

Die unveränderlichen Bewegungen der Himmelskörper sind es also, die für Aristoteles die Unendlichkeit der Zeit ausmachen7. Diese Lehrdifferenz wurde nun zum Problem, als Thomas die große Wendung von Plato zu Aristoteles vollzog. Die platonische Kosmologie steht in Übereinstimmung mit dem Schöpfungsbericht, die aristotelische Kosmologie widerspricht jedenfalls dem Wortlaut der Genesis. Die Frage, wie die Stellung des Aquinaten zu diesem Problem tatsächlich gewesen ist, ist nicht ohne Schwierigkeiten, sie hat manche Auseinandersetzung zwischen den Interpreten zur Folge gehabt und ist vermutlich endgültig nicht zu klären. Die historischen und systematischen Zusammenhänge, in ihrer Gesamtheit betrachtet, führen mich zu einer Darstellung, die zu meiner Freude mit der ausgezeichneten Spezialarbeit von Esser übereinstimmt8. Platon und Aristoteles, dies will meiner Meinung nach Thomas sagen, handeln nicht von der wirklichen Dauer der Welt, sondern nur von den reinen Möglichkeiten. Es kann nur eine Bestimmung des Problems unter dem Gesichtspunkt der reinen Möglichkeit erfolgen, da eine Erfahrung vom Anfang der Welt nicht vorliegt und nicht vorliegen kann. Von einem solchen Standpunkt der reinen Möglichkeit aber sind beide Thesen logisch gleichwertig, konkret gesprochen, Gott hätte die Welt sowohl vor endlicher wie vor unendlicher Zeit schaffen können. Eine Existenz der Welt seit unendlicher Zeit jedenfalls widerspricht nicht ihrem Charakter als Geschaffen-Seiendes, als creatura, und in einer reinen Erkenntnis kann allein dieser Charakter der Welt als geschaffenes Sein erfaßt werden. Daß aber die Welt tatsächlichlich vor einer endlichen Zeit erschaffen wurde, wissen wir aus der Bibel, dieser Sachverhalt ist also eine Offenbarungswahrheit. Die Frage kann demnach mit dem Mitteln der natürlichen Vernunft nicht entschieden werden, sie kann insbesondere nicht von den Philosophen entschieden werden, und der Gegensatz zwischen Platon und Aristoteles wird daher von hier aus durchaus verständlich. Dies Problem des zeitlichen Anfangs der Welt spielt nun auch in dem Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke eine große Rolle und ist also auch zwischen Leibniz und Newton strittig. Newton vertritt die Erschaffung der Welt zu einer endlichen Zeit, wobei die Zeit selbst als unendlich gedacht wird. Leibniz dagegen vertritt eine unendliche Dauer der Welt, er faßt aber auch die Möglichkeit einer endlichen Dauer der Welt ins Auge, und man kann daher sagen, daß auch Leibniz

$7: Die geschichtlichen Voraussetzungen der Antinomienlehre

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in gewissem Sinne mit einem antinomischen Charakter des Problems rechnet9. Wir finden also schon bei Thomas den Gegensatz zwischen Plato und Aristoteles in der Richtung einer dialektischen Lösung verstanden. Unter dem Gesichtspunkt der reinen Möglichkeit betrachtet kann die Welt sowohl endlich wie unendlich sein. Daß dieses Problem als eine Auseinandersetzung zwischen Leibniz und Newton verschärft wieder auftaucht, ist doch sehr merkwürdig. Daß die Naturwissenschaft, die so viele Fragen gelöst hat, dies Problem nicht erledigen konnte, es nicht einmal vom Fleck bringen konnte, hat gewiß auf Kant einen tiefen Eindruck gemacht. Es mag übrigens noch bemerkt werden, daß das Problem in diesen beiden Thesen endliche und unendliche Welt nicht aufgeht. Beide Thesen setzen ja eine unveränderliche Zeit voraus, in deren Unendlichkeit sich entweder ein endlicher oder ein unendlicher Weltenlauf abspielt. Aber es existiert doch noch eine dritte Möglichkeit. Es könnte doch so sein, daß zwar die Welt nur eine endliche Anzahl von Jahren existiert, daß aber die Zeit selbst erst mit diesem Anfang der Welt entstanden ist. Eine solche Lösung scheint Plato im Timäus ins Auge gefaßt zu haben. Dann gäbe es also nicht einen endlichen Weltenlauf in einer unendlichen Zeit, sondern die Zeit selbst wäre endlich. Auf dem Boden der klassischen Physik war uns dieser Gedanke einer endlichen Zeit ganz abhanden gekommen, ebenso abhanden gekommen wie der entsprechende Gedanke eines endlichen Raumes. Kant jedenfalls denkt nur in der eingeschränkten Form, betrachtet also lediglich einen endlichen oder einen unendlichen Weltenlauf in einer unendlichen Zeit. Die Zweite Antinomie behauptet in der Thesis: „Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammengesetzt ist". Die Antithesis dagegen behauptet: „Kein zusammengesetztes Ding in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts Einfaches in derselben" (A 434/5, B 462/3). In dieser Antinomie sind zwei Gedankengänge auf eine ziemlich künstliche Weise verbunden, wenn auch diese Verbindung schon lange vor Kant vorgenommen worden ist. Es dreht sich einerseits um die Atomtheorie und um die entgegengesetzte These einer kontinuierlichen Erfüllung des Raumes durch die Materie, und es dreht sich andererseits um einen Versuch, die Unvergänglichkeit der Seele zu beweisen. Ein

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Kap. 2: Das Sein der Welt

einfaches Ding, so argumentiert dieser Beweis, kann nicht vergehen. Gelingt es daher, die Einfachheit der Seele nachzuweisen, so ist damit zugleich die Unvergänglichkeit bewiesen. Durch das Ubereinanderschachteln dieser beiden Probleme erhält die zweite Antinomie einen recht künstlichen Aufbau, wir nehmen die beiden Probleme wieder auseinander und betrachten nur das erste Problem, also nur die Frage nach der Struktur der Materie. In dieser Frage stehen nun wie bei den Fragen der Weltgrenze und des Weltanfanges zwei Meinungen schon immer einander gegenüber. Die Diskussion wird eingeleitet durch die griechische Atomtheorie, durch Demokrit und durch Leukipp. Nach dieser griechischen Atomtheorie besteht die Materie aus letzten, unteilbaren Körperchen, die sich durch ihre Gestalt unterscheiden, und die eine verschiedene Lage einnehmen können. Alle Verschiedenheiten der materiellen Körper beruhen auf den Verschiedenheiten in der Form und in der Lage der Atome, und alle chemischen Veränderungen beruhen auf der Lageänderung der Atome. Man kann auch den platonischen Timäus als eine Atomtheorie betrachten. Es wird hier von Plato allerdings noch eine Deduktion versucht, indem die Atome der fünf Elemente als Exemplare der fünf regulären Körper betrachtet werden. Auf diese Weise könnte sowohl die Fünfzahl der Elemente als auch das Ineinanderübergehenkönnen der Elemente theoretisch begreiflich gemacht werden, wobei allerdings die versuchte Theorie nicht ganz aufgeht. Eine solche Atomtheorie der Materie wird von Aristoteles abgelehnt. Aristoteles lehrt eine stetige Verteilung der Materie. Es gibt vier sublunarische Elemente, die Erde, das Wasser, die Luft und das Feuer. Die Vierzahl der Elemente wird deduziert aus den primären Qualitäten, die Umwandlung dieser vier Elemente ineinander wird gelehrt, auf eine theoretische Erklärung dieser Prozesse wird verzichtet. Das fünfte Element, der Äther, nimmt an dem Kreislauf dieser Umwandlungen nicht teil. Dieser Gegensatz zwischen der Atomtheorie und der aristotelischen Theorie hat immer als ein fundamentales Problem gegolten10. Für Kant dürfte in erster Linie auch hier wieder der Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke der eigentliche Ausgangspunkt gewesen sein, obwohl ich die Bedeutung der geschichtlichen Darstellung bei Brucker und Bayle11 sowie der systematischen Darstellung bei WolfF in keiner Weise unterschätzen will. Jedenfalls spielt das Problem in der Auseinandersetzung zwischen Leibniz und Newton eine

§7: Die geschichtlichen Voraussetzungen der Antinomienlehre

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gewichtig Rolle. Newton vertritt eine strenge Atomtheorie, er betrachtet also die Materie als zusammengesetzt aus unteilbaren Körperchen, die im leeren Raum ihre gegenseitige Stellung ändern können. Leibniz dagegen vertritt die Theorie einer kontinuierlichen Erfüllung des Raumes durch die Materie; es gibt daher weder unteilbare Körper, noch ein Leeres, vielmehr ist jede Stelle des Raumes mit einer bis ins Unendliche gegliederten Materie erfüllt. Es ist doch bemerkenswert, daß dies Problem der Struktur der Materie mit rein philosophischen Mitteln nicht gelöst werden konnte, es ist aber auch hier gewiß für Kant eine erregende Einsicht gewesen, daß auch die mathematisch fundierte Naturwissenschaft eine Lösung des Problems nicht hatte herbeiführen können. Die Antinomien stellen die systematische Formulierung dieser langen geschichtlichen Entwicklung dar, wobei der besondere Bezug auf die Auseinandersetzung zwischen Leibniz und Newton nicht zu verkennen ist. Die systematischen Beweise der Antinomien laufen darauf hinaus, in der entgegengesetzten Behauptung einen Widerspruch nachweisen zu wollen, sie geben damit ein getreues Bild der geschichtlichen Lage, und sie geben insbesondere ein Bild der Auseinandersetzung zwischen Leibniz und Newton, denn auch die Argumente von Leibniz und Newton beruhen im wesentlichen darauf, in der Behauptung des Gegners einen Widerspruch nachzuweisen. Was zunächst den Beweis der ersten Antinomie in der Antithesis anbetrifft, so will die Antithesis beweisen, daß die Welt keinen Anfang in der Zeit gehabt haben kann. Sie muß dazu in der Thesis, daß die Welt einen Anfang gehabt hat, einen Widerspruch nachweisen. Ein solcher Anfang setzt nämlich den Lauf der Welt in eine bis dahin noch leere Zeit: „Denn man setze: sie habe einen Anfang. Da der Anfang ein Dasein ist, wovor eine Zeit vorhergeht, darin das Ding nicht ist, so muß eine Zeit vorhergegangen sein, darin die Welt nicht war, d. i. eine leere Zeit" (A 427, B 455). In dieser leeren Zeit vor dem Anfang der Welt lief nur die Zeit, aber nicht das Weltgeschehen. Da alle Teile der Zeit aber unterschiedslos gleich sind, so lief die Zeit vor dem Anfang der Welt völlig gleichmäßig, alle Augenblicke sind sich völlig gleich, es fehlt dabei an einer Bestimmung, die einen bestimmten Augenblick dahin auszeichnet, daß gerade in diesem Augenblick die Welt anfängt. Es fehlt also an einem zureichenden Grund dafür, daß die Welt gerade

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Kap. 2: Das Sein der Welt

in diesem Augenblick und nicht in einem anderen anfängt, und die Welt kann also überhaupt nicht anfangen, wenn sie zu einer endlichen Zeit anfangen soll. „Nun ist aber in einer leeren Zeit kein Entstehen irgend eines Dinges möglich; weil kein Teil einer solchen Zeit vor einem anderen irgendeine unterscheidende Bedingung des Daseins, vor der des Nichtseins, an sich hat" (A 427, B 455). Dies ist die Argumentation von Leibniz in der Auseinandersetzung mit Clarke: ,Man kann daher nicht sagen, wie man es hier gemacht hat, daß die Weisheit Gottes gute Gründe gehabt haben wird, um die Welt gerade in diesem besonderen Zeitpunkt zu schaffen, denn ein besonderer Zeitpunkt ohne die Dinge ist eine reine Fiktion und Gründe für eine Wahl können niemals dort gefunden werden, wo alles ununterscheidbar ist'12. In gleicher Weise argumentiert Kant auch gegen eine Weltgrenze. Durch eine endliche Welt würde ein Verhältnis dieser endlichen Welt zum unendlichen Raum entstehen müssen. Ein solches Verhältnis aber ist nichts, weil es gar nicht gegeben werden kann (A 429, B 457). Kant verweist dann noch ausdrücklich auf die unsinnigen Konsequenzen einer solchen Vorstellung einer endlichen Welt in einem unendlichen Raum: „Will man eines dieser zwei Stücke außer dem anderen setzen (Raum außerhalb allen Erscheinungen), so entstehen daraus allerlei leere Bestimmungen der äußeren Anschauung, die doch nicht mögliche Wahrnehmungen sind. Z. B. Bewegung oder Ruhe der Welt im unendlichen leeren Raum" (A 429, B 457 Anm.). Auch hier wird überall Leibniz' Gedanke vom Prinzip des zureichenden Grundes wirksam. Es fehlt an einem zureichenden Grund, der die Größe der Welt, insbesondere ihr Verhältnis zu dem unendlichen Raum bestimmen könnte. Es fehlt an einem zureichenden Grunde dafür, daß die Welt in einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle des unendlichen Raumes sein könnte, denn alle Punkte des Raumes sind einander gleich. Die Welt kann sich schließlich auch nicht bewegen, denn es fehlt an einem zureichenden Grunde dafür, daß die Welt sich in einer bestimmten Richtung und mit einer bestimmten Geschwindigkeit bewegt, denn im unendlichen Raum sind alle Richtungen und alle Geschwindigkeiten unterschiedslos gleich. Dies Argument hat denn auch Leibniz selbst mit Nachdruck geltend gemacht. In diesem Sinne sagt Leibniz: ,Es gibt noch eine andere Begründung, die aus der Notwendigkeit eines zu-

§7: Die geschichtlichen Voraussetzungen der Antinomienlehre

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reichenden Grundes gezogen ist. Es gibt keinen Bestimmungsgrund, der das Verhältnis der Materie zum Raum, des Erfüllten zum Leeren regeln könnte'13. Und ebenso gründet sich der Gedanke der Antithesis, daß eine endliche Welt auf eine völlig sinnlose Bewegung dieser endlichen Welt in einem unterschiedslosen Raum führen müsse, völlig auf Leibniz: „Die Annahme, daß Gott das Universum in gerader oder in anderer Richtung vorrücken lasse, ohne darin sonst die geringste Änderung vorzunehmen, ist wiederum chimärisch. Denn zwei ununterscheidbare Zustände sind ein und derselbe Zustand — dies wäre also eine Änderung, die nichts ändert. Es länge hierin weder Sinn noch Verstand. Gott tut nichts ohne Grund, und hier könnte es unmöglich einen geben"14. Und schließlich macht Leibniz in derselben Weise geltend, daß eine endliche Welt doch irgendwo im unendlichen Raum sein müsse, daß es aber keinen Grund dafür geben kann, daß sie gerade an einem bestimmten Ort ist: „Dies beweise ich folgendermaßen: der Raum ist etwas durchaus Gleichförmiges und sieht man von den Dingen ab, die sich in ihm befinden, so ist jeder seiner Punkte von einem beliebigen anderen Punkt in nichts verschieden. Folglich läßt sich, unter der Voraussetzung, daß der Raum etwas an sich selbst, daß er also mehr als die bloße Ordnung der Körper untereinander ist, unmöglich ein Grund dafür angeben, weshalb Gott die Körper ... gerade an diese bestimmte Raumstelle und nicht an eine andere gesetzt hat"15. Die Thesis der ersten Antinomie behauptet einen Weltanfang und eine Weltgrenze, sie muß dazu die gegenteilige These von einer zeitlich und räumlich unendlichen Welt als in sich widerspruchsvoll nachweisen. Nun ist es aber für die Vertreter der Thesis — wir sahen das schon bei Thomas, es gilt aber auch für Newton und Clarke — im allgemeinen so, daß die Endlichkeit der Welt als ein Faktum hingenommen wird, und daß ein apriorischer Beweis für diese Endlichkeit gar nicht versucht wird. Trotzdem greift der Beweisgang der Thesis nicht nur eine alte philosophische Erwägung auf, dieser Beweisgang legt, wenn ich recht sehe, darüber hinaus noch die eigentliche Begründung sowohl bei Thomas wie bei Newton offen. Der Beweisgang legt ja die Unmöglichkeit einer aktualen Unendlichkeit zugrunde. Es gibt keine aktuale Unendlichkeit, „also ist eine unendliche verflossene Weltreihe unmöglich" (A 426, B 454). Diese Unmöglichkeit einer aktualen Unendlichkeit ruht aber letzten

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K*?· 2: Das Sein der Welt

Endes darauf, daß die Welt von Gott geschaffen ist und als eine von Gott geschaffene eben eine durchgängig endliche ist. Wir sehen also schon bei der ersten Antinomie, wie die kantischen Beweise darauf beruhen, daß die geschichtlich vorliegenden Gedankengange in das rein Systematische gehoben werden; eine Betrachtung der drei anderen Antinomien unter diesem Gesichtspunkt würde diesen Zusammenhang weiterhin deutlich machen.

$ 8 Die systematischen Zusammenhänge Die kantische Antinomienlehre hat in den verschiedenen Zeiten eine recht verschiedene Einschätzung gefunden. Hegel etwa macht starke Bedenken geltend, und auch im Neukantianismus wurden die auf einen systematischen Abschluß hindrängenden Erörterungen der transzendentalen Analytik der erregenden Problematik der transzendentalen Dialektik vorgezogen. Diese Einschätzung hängt naturgemäß von der sachlichen Einschätzung des Antinomienproblems ab. Wer geneigt ist, systematisch das Antinomienproblem anzuerkennen, ihm vielleicht noch eine fundamentale Bedeutung zuzusprechen, der wird den kantischen Erwägungen von vornherein ein großes Gewicht beilegen. Wer aber das Antinomienproblem ablehnt, oder es doch zum mindesten als ein Problem zweiten Ranges zu betrachten geneigt ist, der wird zunächst die formale Richtigkeit der kantischen Argumentationen untersuchen und dort freilich manches auszusetzen haben. Es ist daher verständlich, daß mit dem Wiederauftauchen des Antinomienproblems in der Mathematik und in der Physik auch diese Seite des kantischen Denkens eine neue Beachtung gefunden hat, und eine Darlegung der sachlichen Struktur des Antinomienproblems, soweit wir es heute kennen, ist vielleicht wichtiger als die formale Nachprüfung der einzelnen Argumente. Ich möchte doch glauben, daß dies für jede Dialektik gilt, ob sie nun von Zeno, von Plato, von Kant oder von Hegel entwickelt ist. Die sachlichen Zusammenhänge des Antinomienproblems sind so schwierig^ daß notwendigerweise jede Darstellung unzureichend bleiben muß. Jede Interpretation sollte daher versuchen, nicht die formale Richtigkeit, sondern den echten Sachgrund der Probleme sichtbar zu machen; Wenn wir das Gesamtproblem von den heutigen wissenschafts-

§ 8: Die systematischen Zusammenhänge

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theoretischen Erkenntnissen her richtig übersehen, dann dreht es sich um zwei Ursprungsbereiche der Antinomien, beide liegen der kantischen Antinomienlehre zugrunde. Der eine Ursprung liegt darin, daß man denselben Sachverhalt auf verschiedene Weise, unter Umständen sogar auf einander widersprechende Weise darstellen kann, der andere Ursprung liegt im Begriff der Totalität. Die Frage einer verschiedenen Darstellung trifft sowohl die Antinomie: Endlichkeit — Unendlichkeit, als auch die Antinomie: atomare Struktur der Materie — stetige Struktur der Materie. Ob ein endlicher oder ein unendlicher Bereich vorliegt, scheint in vielen Fällen von der Form der Darstellung abzuhängen. Wirft man etwa die Frage auf, ob die Temperatur nach unten eine endliche Grenze hat, oder ob die Temperatur nach unten ins Unendliche geht, so scheint die Antwort zunächst ohne weiteres gegeben. Die Temperatur hat eindeutig einen unteren Abschluß, einen absoluten Nullpunkt bei —273,2 Grad. Hier scheint kein Zweifel möglich. Eine tiefere Temperatur kann nicht erreicht werden, nicht einmal der absolute Nullpunkt kann erreicht werden. Nun liegt hier gewiß ein unbestreitbarer experimenteller Sachverhalt vor, die Frage ist nur die, ob dieser Sachverhalt nicht auch auf eine andere Weise ausgedrückt werden kann; und in der Tat kann man durch eine einfache, rein mathematische Transformation ein formal ganz anderes Ergebnis erreichen. Gehe ich nämlich zunächst von der normalen Temperatur zur absoluten Temperatur über, und zwar durch die Gleichung T = t + 273,2, so kann ich zur weiteren Transformation T' = InT übergehen. Die Gesamttra'nsformation lautet also T' = In (t + 273,2). Da es sich um rein mathematische Transformationen handelt, die an den experimentellen Ergebnissen nichts ändern können, so kann ich sowohl t wie T wie T' als die „wirkliche Temperatur" betrachten. Für viele Zwecke würde sogar T' viel geeigneter sein; die Unerreichbarkeit des absoluten Nullpunktes etwa wird durch T ja viel besser dargestellt1. Für unsere Erwägung aber ist diese Möglichkeit einer rein mathematischen Transformation von großer Bedeutung. Denn während t und T nach unten endlich sind, ist ja T* nach unten unendlich, das heißt aber, die Frage der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Temperatur hängt von einer willkürlichen mathematischen Transformation ab, sie kann also doch wohl keine absolute Eigenschaft der Temperatur selbst sein. Wir vielmehr sind es, die

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sich die untere Grenze der Temperatur sowohl als endlich wie als unendlich vorstellen können. Nun gilt eine solche Darstellbarkeit in verschiedenen Formen wohl von jedem experimentellen Ergebnis. Wir sind zwar gewohnt, jedes Experiment ohne weiteres in einer Kurve wiederzugeben, aber man muß doch im Auge behalten, daß die experimentellen Daten selbst im allgemeinen keine eindimensionale Kurve, sondern einen Streifen von einer gewissen Breite darstellen. Es liegt gewiß nahe, einen solchen Streifen auf eine Kurve zusammenzuziehen, aber jede mathematische Darstellung, die den Streifen wiedergibt, ist eine mögliche Darstellung des Experimentes. Hier sind natürlich sehr viel verschiedene Darstellungen möglich, insbesondere eine Darstellung durch stetige oder durch unstetige Funktionen. Wenn dies möglich ist, dann kann offenbar aus der Stetigkeit oder Unstetigkeit der darstellenden Funktion in keiner Weise auf die Stetigkeit oder Unstetigkeit des dargestellten Vorganges geschlossen werden. Es fallen also auch hier Stetigkeit und Unstetigkeit unter Umständen auf die Seite des Darstellungsmittels, wir sind es, die einen Vorgang auf stetige oder unstetige Weise darstellen können, und auch hier kann Stetigkeit und Unstetigkeit nicht als Eigenschaft des Vorgangs betrachtet werden, zum mindesten kann aus solchen Eigenschaften der darstellenden Funktionen nicht auf dieselben Eigenschaften der Vorgänge selbst geschlossen werden. Der Zusammenhang mit der zweiten Antinomie liegt auf der Hand, er wird darüber hinaus noch in einem ganz besonderen Problem deutlich. Die newtonsche Physik kann in zwei verschiedenen Formen dargestellt werden, die eine Form ergibt die Mechanik der Punktsysteme, die andere Form die Mechanik der Kontinua. Über die Identität und die Verschiedenheit dieser beiden Formen ist sehr viel gestritten worden, es ist insbesondere darüber gestritten worden, ob und welche dieser beiden Formen die fundamentale sei. Ein Ergebnis in diesem Streit ist nicht erzielt worden und kann, wenn wir die Dinge richtig sehen, auch gar nicht erzielt werden. Die newtonsche Mechanik ist eben unabhängig von der zugrunde gelegten Hypothese über die Struktur der Materie. Man muß freilich eine bestimmte Hypothese zugrunde legen. Legt man die Atomtheorie zugrunde, so erhält man die Mechanik der Punktsysteme, legt man eine stetig verteilte Materie zugrunde, so erhält man die Mechanik der Kontinua2. Die newtonschen Aussagen

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selbst sind invariant gegenüber dieser Differenz. Das heißt also, die klassische Physik enthält keine Entscheidung zwischen der Atomtheorie und der Kontinuumstheorie der Materie, die Auseinandersetzung zwischen Newton und Leibniz über diesen Punkt ist nur das historische Zeugnis für diesen systematischen Sachverhalt. Man kann also auf dem Boden der klassischen Mechanik zwischen diesen beiden Hypothesen noch frei wählen, man kann die Materie sowohl als atomar, als auch als stetig verteilt darstellen. Also auch hier sind Atomstruktur und Stetigkeit nicht absolute Eigenschaften, sondern nur Weisen der Darstellung. Die bis jetzt diskutierten Sachverhalte sind mit Absicht so gewählt, daß sie auf dem Boden der klassischen Physik verifiziert werden können. Eine viel größere Bedeutung hat das Problem in der Quantenphysik erlangt, gerade von hier aus hat die kantische Antinomienlehre das Interesse der modernen Physiker erregt, ich verweise insbesondere auf die Abhandlung von C. F. v. Weizsäcker über das Verhältnis der Quantenphysik zur kantischen Philosophie3. Hier scheint das Antinomienproblem in der dualen Natur der Gegenstände der Quantenphysik noch sehr viel deutlicher zum Ausdruck zu kommen. Auch die sachliche Bedeutung scheint noch tiefer zu greifen. In der klassischen Physik kommt es ja darauf an, daß man dasselbe experimentelle Ergebnis auf verschiedene Weise darstellen kann. In der Quantenphysik kommt aber die duale Natur etwa des Lichts nicht nur in den verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten eines identischen experimentellen Befundes zum Ausdruck, sondern die duale Natur des Lichtes greift in das experimentelle Ergebnis ein. Ob das Licht als Welle oder als Korpuskel auftritt, dies hängt von der Gestaltung des Experimentes ab. Wir sind überzeugt, daß hier Probleme liegen, die einen ursprünglichen Zusammenhang mit der kantischen Antinomien lehre haben, glauben aber, daß es noch einer langen und mühsamen Arbeit der Physiker und der Philosophen bedarf, bis die hier aufgetauchten Probleme wirklich geklärt sind. Für unsere Interpretation scheint uns eine Beschränkung auf die durchsichtigeren Probleme der klassischen Physik empfehlenswert. Wenn auch in der klassischen Physik das Antinomienproblem auf die Darstellungsmittel beschränkt bleibt, wie wir sahen, so ist doch hier der Sachverhalt bis zu einer allgemeinen Anerkennung geklärt, und es ist sicher, daß bei einer Reihe von Eigenschaften der Schluß von der

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Eigenschaft der Darstellungsmittel auf eine entsprechende Eigenschaft der Vorgänge nicht erlaubt ist. Endlichkeit und Unendlichkeit, atomare Struktur und stetige Raumerfüllung sind zunächst Strukturen der Darstellungsmittel, ihre naive Übertragung auf die Vorgänge selbst ist nicht möglich. Den zweiten Bereich des Antinomienproblems bilden die Antinomien der modernen Mathematik. Die von Kant behandelten Antonomien gehören in die Physik oder in die Metaphysik. Kant selbst würde den Gedanken, es könne auch in der Mathematik Antinomien geben, mit großem Befremden aufgenommen haben. In der Tat hat die Entdeckung der mathematischen Antinomien in der Mengenlehre ein berechtigtes Aufsehen erregt. Sie erlangten eine noch größere Bedeutung, als mit den Mitteln der mathematischen Logik eine Gesamtdarstellung der fundamentalen Sätze der Mathematik versucht wurde. Alle diese Bestrebungen laufen zusammen in den Principia Mathematica, und es ist deshalb verständlich, daß Bertrand Russell, der Mitverfasser der Principia Mathematica, entscheidende Beiträge zum Antinomienproblem geliefert hat. Der Zusammenhang mit der kantischen Antinomienlehre ist schon oft bemerkt worden, ich selbst bin Ernst Zermelo zu großem Dank verpflichtet, der in seinen Vorlesungen auf diese Zusammenhänge eindringlich hingewiesen hat4. Das Problem der mathematischen Antinomien ist heute so weit durchgearbeitet, daß man Antinomien planmäßig aufstellen kann. Wir wählen für unsere Erwägung die Menge aller Mengen, deren antinomischer Charakter gezeigt werden kann. Stellt man sich nämlich vor, es gäbe eine solche Menge aller Mengen M = (A, B, C,...), so ist diese Menge aller Mengen doch nicht die Menge aller Mengen. Ich kann nämlich sofort eine Menge angeben, die in dieser Menge aller Mengen nicht enthalten sein kann. Dazu brauche ich aus M nur ein beliebiges Element herauszugreifen, etwa A, und aus diesem Element und der Menge M selbst die neue Menge (M, A) zu bilden. Diese Menge (M, A) kann gewiß nicht in M enthalten sein, da sie ja erst auf Grund der Bildung von M gebildet ist. Die Menge M ist also gewiß nicht die Menge aller Mengen, da sie die Menge (M, A) nicht enthält. Ist aber die Menge (M, A) in der Menge M enthalten, dann ist, wie sich leicht zeigen läßt, auch die Menge M selbst in M enthalten. Lasse ich aber zu, daß eine Menge in sich selbst enthalten ist, dann ergibt sich hieraus

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der Widerspruch. In den Principia Mathematica hat Russell diese Antinomie auf ihre eleganteste Form gebracht5. Man sieht, die beiden Seiten der Antinomie hängen auf das engste zusammen. Sie ruhen beide darauf, daß die Menge aller Mengen, die also die einzelnen Mengen als Elemente hat, ihrerseits wieder als Element einer neuen Mengenbildung aufgefaßt wird. Hierauf beruht die eine Seite der Antinomie, denn hier betrachte ich ja M als Element der neuen Menge (M, A), und hierauf beruht die andere Seite der Antinomie, denn hier betrachte ich allgemein eine Menge als Element von sich selbst. Man sieht, daß es um den Begriff der Totalität geht. Ich betrachte alle Mengen und bilde den Begriff ihrer Totalität, eben die Menge aller Mengen. Dann aber betrachte ich diese Totalität als Element einer neuen Mengenbildung. Von hier aus bilde ich wieder den Begriff der Totalität, um auch diese neue Gesamtheit in einem weiteren Ansatz wieder als Element zu verwenden. Dies Widerspiel zwischen Zusammenfassung und neuem Ansatz, dieser Wechsel jeweils zwischen der Bildung einer Totalität und der Verwendung dieser Totalität als neues Element bildet den eigentlichen Grund der Antinomie, und dieses Widerspiel gibt auch den Zusammenhang mit den kantischen Antinomien. Dies hat Kant ja mit aller Deutlichkeit gesehen, daß die Antinomien auf einem solchen Widerspiel zwischen einem jeweils letzten Abschluß und einem immer wieder neuen Darüberhinausgehen beruhen. Im Grunde genommen hat schon Archytas dies gesehen, wenn er an das Ende der Welt gehen will, um dann noch einmal den Arm auszustrekken. Ebenso beruhen die Antinomien Zenos auf diesem Zusammenhang. Ohne Zweifel muß die Mathematik hier irgendeine Lösung suchen. Es sind bis jetzt drei große Lösungen bekannt, die intuitionistische Theorie der Mathematik von Brouwer, die Theorie von Zermelo und die Typentheorie von Russell. Alle Lösungen laufen darauf hinaus, dies Widerspiel unmöglich zu machen. Sie verbieten, daß eine bestimmte Totalität noch einmal als Element gesetzt wird. Man kann durch ein solches Verbot die Antinomien ausschalten, aber ein solches Verbot enthält zugleich die Streichung fundamentaler Teile der Mathematik oder doch zum mindesten fundamentaler Grundbegriffe. Man wird daher keine der drei Lösungen als die endgültig befriedigende ansehen können.

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Kant würde zweifellos die allergrößten Bedenken gehabt haben, in der Mathematik Antinomien zuzulassen. Gleichwohl kann am Auftreten solcher Antinomien kein Zweifel sein, sie stellen eine Bekräftigung der kantischen Antinomienlehre dar, denn sie zeigen, daß zum mindesten gewisse Totalitäten antinomisdi sind.

5 9 Die transzendentale Idealität der Welt Wir haben die Antinomien von ihrer geschichtlichen Entwicklung und von der heutigen wissenschaftstheoretischen Problematik her verfolgt, es bleibt unsere Aufgabe, die ontologischen Konsequenzen der kantischen Antinomienlehre darzustellen. Kant faßt das ontologische Ergebnis selbst in unübertrefflicher Kürze zusammen: „Man kann aber auch umgekehrt aus dieser Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatischen, aber doch kritischen und doktrinalen Nutzen ziehen: nämlich die transzendentale Idealität der Erscheinungen dadurch indirekt zu beweisen, wenn jemand etwa an dem direkten Beweise in der transzendentalen Ästhetik nicht genug hätte. Der Beweis würde in diesem Dilemma bestehen. Wenn die Welt ein an sich existierendes Ganzes ist: so ist sie entweder endlich, oder unendlich. Nun ist das erstere sowohl als das zweite falsch (laut der oben angeführten Beweise der Antithesis, einer-, und der Thesis andererseits). Also ist es auch falsch, daß die Welt (der Inbegriff aller Erscheinungen) ein an sich existierendes Ganzes sei. Woraus denn folgt, daß Erscheinungen überhaupt außer unseren Vorstellungen nichts sind, welches wir eben durch die transzendentale Idealität derselben sagen wollten" (A 506 f., B 534 f.). Die Antinomien sind ein selbständiger Beweis der kantischen These von der Idealität der Erscheinungen. Sie haben daher bei dem Aufbau des kritischen Idealismus eine wichtige Rolle gespielt, und sie spielen bei der späteren Verteidigung eine grundlegende Rolle. So schlägt zum Beispiel Kant in den Prolegomena vor, die Prüfung der Kritik allein auf die Antinomien zu stützen. „Nun hat er die Freiheit, sich einen von diesen acht Sätzen [den Thesen und Antithesen] nach Wohlgefallen auszusuchen und ihn ohne Beweis ... anzunehmen, ... und alsdann meinen Beweis des Gegensatzes anzugreifen. Kann ich nun diesen gleichwohl retten und auf

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solche Art zeigen, daß nach Grundsätzen, die jede dogmatische Metaphysik nothwendig anerkennen muß, das Gegentheil des von ihm adoptirten Satzes gerade eben so klar bewiesen werden könne, so ist dadurch ausgemacht, daß in der Metaphysik ein Erbfehler liege, der nicht erklärt, viel weniger gehoben werden kann, als wenn man bis zu ihrem Geburtsort, der reinen Vernunft selbst, hinaufsteigt"1. In der Tat sind die Antinomien Beweis des transzendentalen Idealismus, so wie es hier in den Prolegomena formuliert wird. Um den kantischen Gedankengängen nachgehen zu können, greifen wir zunächst an der Definition der Welt an. Die Welt wird in der oben wiedergegebenen Stelle der transzendentalen Dialektik: ,daß die Welt, der Inbegriff aller Erscheinungen... seic, definiert als der Inbegriff aller Erscheinungen. Erscheinung hat bei Kant eine schlichte und eine ontologische Bedeutung. In der schlichten Bedeutung legt die Erscheinung den Umkreis derjenigen Gegenstände fest, die erscheinen. Das ist also die Natur, so wie sie schlicht erfahren wird. So sprechen wir etwa von der Erscheinung eines Kometen. Nun hat dieser Ausdruck, Erscheinung eines Kometen, freilich noch den Akzent des Außergewöhnlichen, des Wunderbaren. Streift man diesen Akzent ab, so kann man sagen, daß jede Sonnenfinsternis eine Erscheinung ist und jede Mondfinsternis; die Sonne erscheint jeden Morgen neu, der Sonnenaufgang ist eine Erscheinung ebenso wie der Sonnenuntergang, ja der ganze Lauf der Sonne, des Mondes, der Sterne und überhaupt der Lauf der Natur im ganzen. Alles dies sind Erscheinungen, sie können nun unter drei Gesichtspunkten betrachtet werden. Sie sind zunächst dadurch charakterisiert, daß sie in Raum und Zeit ablaufen, in der Zeit alle, und im Raum fast alle. Insofern die Erscheinungen unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden, zeigen sich Raum und Zeit als Formen der Erscheinungen. Die Betrachtung kann dann zweitens darauf gehen, ob und wie die Erscheinungen unter sich zusammenhängen. Es ergibt sich, daß die Erscheinungen in einem lückenlosen Kausalzusammenhang und in einem ebenso lückenlosen Wirkungszusammenhang stehen, daß also alle Erscheinungen einen lückenlosen gesetzlichen Zusammenhang haben. Wenn Kant die Erscheinungen unter dem Gesichtspunkt dieses gesetzlichen Zusammenhanges betrachtet, so nennt er sie, wie wir im nächsten Kapitel noch ausführlich erörtern werden, eine Natur. Die Natur ist

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der Zusammenhang der Erscheinungen nach Gesetzen. So sind also Raum und Zeit die Formen der Erscheinungen, während die Natur den inneren Zusammenhang der Erscheinungen ausdrückt, die Tatsache, daß jede Erscheinung mit jeder anderen zusammenhängt. Endlich kann man die Erscheinungen auch daraufhin betrachten, ob sie ein Ganzes bilden, eine Totalität, eine Gesamtheit, und wenn Kant die Erscheinungen unter diesem Gesichtspunkt der Gesamtheit betrachtet, so nennt er sie Welt. Welt meint also die Gesamtheit, den Inbegriff der Erscheinungen, aber wesentlich bezogen auf die Gesamtheit, den Inbegriff als solchen. War nun die erste große Frage der Kritik: Was sind die Formen der Erscheinungen, was sind also Raum und Zeit, so ist die zweite große Frage: Was ist der gesetzmäßige Zusammenhang der Erscheinungen, also, was ist die Natur, und so ist endlich die dritte Frage: Was ist das Ganze der Erscheinungen, was ist der Inbegriff der Erscheinungen, was ist die Welt? Dies wird von Kant, wie wir sahen, thematisch bestimmt, es ergibt sich aber mit besonderer Anschaulichkeit etwa aus der ersten Antinomie. Denn, wenn ich nach dem ersten Anfang der Welt oder nach der letzten Grenze der Welt frage, dann frage ich eben nach dem Ganzen der Welt als solchem. So stellt also die transzendentale Kosmologie die Frage: Was ist die Welt, und dieser Frage korrespondieren die Fragen der transzendentalen Psychologie und der transzendentalen Theologie: Was ist die Seele, was ist Gott? Versucht man für die Frage: Was ist die Welt, einen ersten Ausgang von der Sprache, so korrespondiert das Substantiv „die Welt" durchaus anderen Substantiven, wie die Sonne, der Mond, die Erde. Die Sprache scheint sagen zu wollen, daß die Welt so etwas ist wie die Sonne oder der Mond oder die Erde, und das will die Sprache auch tatsächlich sagen. Für die schlichte Weltauffassung, so wie sie sich in der Sprache niedergeschlagen hat, gibt es in der Tat nur eine Weise des Seins. Ein Mensch, ein Tier, eine Pflanze, ein Haus, ein Schiff, dies alles wird als eine Weise des Seins aufgefaßt, und alles Seiende von hier aus bestimmt, nicht nur die Sonne und der Mond und die Erde, sondern auch die Welt und der Raum und die Seele und Gott. Im griechischen mythologischen Denken gibt es Zeus und Poseidon so wie es Agamemnon und Achill gibt; gewiß sind sie verschieden, aber im Grunde genommen haben sie doch dasselbe Sein. So wird die Welt im

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Grunde genommen als ein in derselben Weise Seiendes aufgefaßt, wie die Sonne und der Mond und die Erde. Damit treffen wir jetzt auf denselben Sachverhalt wie beim Raum. Auch beim Raum, wenn er als Substanz angesetzt wurde, wurde etwas, das doch nur die Gesamtheit aller räumlichen Dinge bezeichnet, als ein neues räumliches Ding neben die anderen räumlichen Dinge gesetzt. Ebenso wird jetzt die Welt, die doch nur das Ganze, der Inbegriff aller innerweltlichen Dinge ist, als ein neues Ding neben die anderen Dinge gesetzt. Diese Bestimmung zieht sich noch weit in das griechische ausgebildete Denken hinein, in dem der Kosmos als ein Lebewesen oder als eine Kugel bestimmt wird. Diese anschauliche Vorstellung der Welt wird zwar in der auf die Mechanik gegründeten neuen Naturwissenschaft zerschlagen, aber was wird nun aus der Welt? Sie ist nicht mehr ein bestimmtes greifbares Seiendes, sondern sie ist das Ganze dieses gesetzlichen Ablaufs. Aber was ist nun dies Ganze? Dies ist die Frage, die Kant thematisch in der transzendentalen Dialektik stellt. Wäre die Welt selbst ein Ding, dann müßte an den disjunktiven Eigenschaften, von denen jedem Ding entweder die eine oder die entgegengesetzte andere zukommen muß, auch die Welt selbst ihren Anteil haben, auch die Welt selbst müßte also entweder endlich oder unendlich sein. Wenn aber die Antinomien gezeigt haben, daß die Welt entweder beides zugleich, oder daß sie keines von beiden ist, dann kann die Welt nicht dasselbe Sein haben wie die Dinge, denen jeweils eine der disjunktiven Eigenschaften zukommen muß. Der Fortgang des philosophischen Gedankens vollzieht sich also bei der Welt ebenso wie beim Raum. Auch dort ging ja die philosophische Bestimmung davon aus, daß der Raum, wenn er selbst als ein Ding bestimmt wird, ein räumliches Ding sein müßte, und daß er dann an den Bestimmungen der räumlichen Dinge, nämlich irgendwo zu sein, teilhaben müßte. So muß die Welt, wenn sie als ein innerweltliches Ding verstanden wird, selbst an diesen Eigenschaften teilhaben, sie müßte entweder endlich oder unendlich sein, und da die Welt dies nicht ist, so muß sie ein anderes Sein haben. Die Welt ist also nicht ein an sich existierendes Ding, die Welt ist vielmehr die Gesamtheit der Dinge. Nun zeigen aber die Antinomien weiterhin, daß eine solche Einheit auf zwei verschiedene Weisen gegeben werden kann. Die Einheit der Welt kann sowohl als ein endliches als auch als ein unendliches Ganzes vor-

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gestellt werden. Da aber die Welt, auch lediglich als Einheit betrachtet, nicht zugleich endlich und unendlich sein kann, so muß diese Einheit von uns herkommen; wir also sind es, die sich die Welt als eine vorstellen, und daß diese Einheit der Welt in zwei verschiedenen Weisen auftritt, das rührt eben daher, daß wir uns eine solche Einheit auf zwei verschiedene Weisen vorstellen können. Endlichkeit und Unendlichkeit, Atome und stetige Materie sind also nur unsere Weisen, die Einheit der Welt uns vorzustellen, und daraus, daß wir uns die Welt als endlich oder unendlich vorstellen können oder müssen, braucht in keiner Weise zu folgen, daß die Welt selbst endlich oder unendlich ist. Wir fassen also von den modernen wissenschafts-theoretischen Erwägungen her die kantische Antinomienlehre in der Richtung auf, daß die verschiedenen Begriffe, Endlichkeit und Unendlichkeit, Atom und stetige Materie nur die Weisen sind, wie wir uns die Welt vorstellen, will man den Ausdruck sachlicher wenden, so kann man auch sagen: die Weisen sind, wie wir die Welt darstellen. Daraus, daß wir die Welt auf verschiedene Weisen darstellen können, folgt dann eben, daß diese keine objektiven Bestimmungen der Welt sind, sondern nur unsere Darstellungen. Diese Doppelheit von Endlichkeit und Unendlichkeit wird von Kant verständlich gemacht durch das Doppelspiel von Verstand und Vernunft, der Verstand setzt immer eine letzte Grenze, einen letzten Abschluß, die Vernunft geht über einen solchen letzten Abschluß immer wieder hinaus (A 529, B 557). Man kann wohl im Zweifel sein, ob diese kantische Erklärung der Antinomien aus der Verschiedenheit der Erkenntnisvermögen, aus der Verschiedenheit von Verstand und Vernunft, bis in die letzte Einzelheit überzeugend ist, daß Kant aber einen echten Sachverhalt getroffen hat, dürfte aus der Einsicht in den Mechanismus der Antinomien, diesem Ergebnis der Mengenlehre und Grundlagenforschung, doch wohl hervorgehen. Für eine solche Auffassung der Antinomien darf ich mich auf die Weiterführung des Problems in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" berufen. Dort taucht in der Frage nach der Struktur der Materie die zweite Antinomie, die Teilfrage, die wir dort allein betrachtet haben, in reiner Form noch einmal auf. Das Ergebnis in den metaphysischen Anfangsgründen scheint mir dies zu sein, daß bei der Materie der Atombegriff und der Kontinuumsbegriff zwei gleichberechtigte Möglichkeiten darstellen. Soweit sich die Naturwissenschaften auf die eine

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Möglichkeit einseitig festgelegt haben, das war zu Kants Zeiten die Atomtheorie, ist es die Aufgabe der Philosophie, sofern sie Wissenschaftstheorie ist, die Naturwissenschaften auch auf die andere Möglichkeit aufmerksam zu machen, es ist also die Aufgabe der Philosophie, die Naturwissenschaften in den vollen Umkreis der begrifflichen Möglichkeiten zu bringen2. Einen solchen Standpunkt verstehen wir heute sehr viel besser, und es erscheint uns daher heute als bedauerlich, daß Kant nicht immer auf der vollen Höhe dieser rein dialektischen These bleibt, wobei wir nicht leugnen wollen, daß ein solcher Standpunkt ebenso abstrakt wie subtil ist. Kant selbst läßt sich in der Tat von seiner persönlichen Zuneigung zu dem Begriff des Unendlichen und der Kontinuumshypothese nicht selten dazu hinreißen, sich selbst lediglich auf den einen möglichen Standpunkt zu stellen (auch in den MAdN), obwohl er seiher eigensten Intention nach dahin gelangen müßte, ständig und ausnahmslos die beiden antinomisch möglichen Standpunkte als völlig gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Die große Wirkung der Antinomienlehre wird weiterhin deutlich an dem Problem, das man die theologische Begründung der Wahrheit nennen könnte. Von den Antinomien her scheint eine Bestimmung der Wahrheit, nämlich der naturwissenschaftlichen Wahrheit, als Gedanken Gottes kaum noch möglich. Freilich schien eine solche Bestimmung der Wahrheit als Gedanken Gottes lange Zeit aus dem Bereich des überhaupt nur Denkbaren gerückt zu sein, und erst die neueste Entwicklung der Physik hat solche Erwägungen wieder lebendig werden lassen. In einer außerordentlich durchsichtigen Form liegen sie im Schriftwechsel zwischen Leibniz und Clarke vor, und in dieser Form dürfte sich Kant auch mit ihnen auseinandergesetzt haben. Leibniz und Newton stehen in der Tat beide fast noch völlig auf einem solchen Standpunkt der Auffassung der Wahrheit als Gedanken Gottes. Wenn etwa in dem Briefwechsel die Frage diskutiert werden soll, ob die Materie aus Atomen besteht, so wendet Leibniz ein, daß dies nicht möglich sein kann. Die Atome werden in einen völlig unterschiedslosen leeren Raum hineingesetzt, es gibt also keinen Anhaltspunkt dafür, welchen Durchmesser die Atome haben sollen, es fehlt an jedem Grund dafür, daß die Atome gerade so groß, und daß sie nicht alle zehnmal größer sind, und Gott hat deshalb auch keine Atome geschaffen, weil Gott nichts ohne Grund tut. Ja, die Atome waren nicht einmal in einem göttlichen Wel-

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tenplan enthalten, da schon in einem solchen Weltenplan, also in den reinen Gedanken Gottes selbst, ein hinreichender Grund für die Größe der Atome fehlte. Die Welt kann also gar nicht aus Atomen bestehen, weil Gott eine solche atomare Welt weder denken noch schaffen konnte. Umgekehrt wendet Newton dagegen ein, daß die Welt aus Atomen besteht, und daß sie endlich in Raum und Zeit ist, das beruht darauf, daß die Welt von Gott so geschaffen ist. Hier wird also für eine rein physikalische Fragestellung, ob die Materie aus Atomen besteht, auf den Willen Gottes zurückgegriffen, und ein solcher Rückgriff auf den Willen Gottes schließt einen weiteren Rückgriff auf das Denken Gottes ein. Die Welt ist so, wie sie ist, weil Gott sie nach seinem göttlichen Schöpfungsplan so geschaffen hat. Ein solcher Ansatz bedeutet nun auch eine bestimmte Entscheidung in der Charakterisierung des naturwissenschaftlichen Denkens. Wenn das naturwissenschaftliche Denken die Welt so erfaßt, wie sie wirklich ist, — zum Beispiel, daß sie aus Atomen besteht, — dann ist eine solche Erfassung zugleich eine Einsicht in den göttlichen Weltenplan. Da Gott seinen Schöpfungsplan beständig denkt, ist eine solche Einsicht in den göttlichen Schöpfungsplan zugleich ein Nachvollzug des göttlichen Denkens. Das Wort von Leibniz: Cum Deus calculat et cogitationem exercet fit mundus8, bekommt die weitere Bedeutung, daß auch das Rechnen unserer Mathematiker und unserer Physiker ein Nachrechnen dieses göttlichen Rechnens und insofern ein Nachvollzug des göttlichen Denkens ist. Leibniz hat hier den Zusammenhang seines Standpunktes mit alten Anschauungen sehr wohl bemerkt, er nimmt mit vollem Bewußtsein die Lehre von Augustin und Malebranche auf, daß wir alle Dinge in Gott schauen4. Diese Bestimmung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens ist in der Tat eine sehr alte Bestimmung, und Plato ist es gewesen, der ihr eine unvergleichliche Form gegeben hat. Gott ist es, der ursprünglich die Ideen weiß und kennt, und auch unsere Seele kennt sie ursprünglich aus ihrer ewigen und zeitlosen Existenz her, nach dem Tode hat sie die Hoffnung, wieder zu einer reinen Schau der Ideen zu gelangen. Soweit sich die Seele auf dieser Erde müht, die Ideen zu schauen, soweit nähert sie sich ihrem früheren Zustand, ja soweit nähert sie sich dem Sein Gottes, und Plato spricht davon, daß die Seele in der Schau der Ideen Gott gleich wird5.

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Für die naturwissenschaftliche Erkenntnis kommt dieser Ansatz noch einmal im Timäus mit aller Deutlichkeit heraus. Die Ideenwelt, das ist der göttliche Weltenplan, nach der diese Welt geschaffen wird, und in der Ideenwelt als dem göttlichen Weltenplan sind die Ideen der Elemente, die Ideen der Erde, des Wassers, der Luft, des Feuers enthalten. Eine Naturwissenschaft, die bis zur Erkenntnis dieser Ideen aufsteigt, steigt damit bis zu dem göttlichen Weltenplan auf. Diese Bestimmung der Wahrheit als Einsicht in den göttlichen Schöpfungsplan, wie sie von Plato, Augustin und Leibniz durchgeführt wird, könnte man die theologische Begründung der Wahrheit nennen. Es ist nicht schwer zu sehen, daß vom christlichen Standpunkt aus eine solche theologische Begründung der Wahrheit in mancher Hinsicht recht verlockend erscheinen muß. Die große Wirkung des Timäus dürfte wesentlich auf diesem Gesichtspunkt beruhen. Augustin vor allem ist es ja gewesen, der einem solchen Zusammenhang der von uns erkennbaren Wahrheit mit dem göttlichen Denken nachgegangen ist. Aber wie entscheidend die Stimme Augustins auch sein möge, so müssen doch vom christlichen Standpunkt aus gegen eine solche Identifizierung des menschlichen Erkennens mit dem göttlichen Denken gewichtige Bedenken geltend gemacht werden. Plato hat wirklich den entscheidenden Punkt herausgehoben. Eine solche Bestimmung der Erkenntnis bedeutet eben, daß der Mensch Gott gleich werden kann, und eine solche Konsequenz ist vom christlichen Standpunkt aus unerträglich. Thomas von Aquin hat einen solchen, in gewisser Weise naiven Ansatz in wichtigen Punkten eingeschränkt, und gerade dieses Problem der Beziehung des menschlichen Denkens zum göttlichen Denken dürfte einer der Gründe gewesen sein, aus denen heraus Thomas Augustin und Plato gegenüber neue Wege suchen mußte. Luther lehnte vollends eine solche Identifizierung des menschlichen Denkens mit dem göttlichen Denken ab. Von hier aus bedeutet die kantische Antinomienlehre eine Ablehnung einer solchen theologischen Begründung der Wahrheit, und zwar aus rein philosophischen Gründen. Wenn es wahr ist, daß die Welt zugleich endlich und unendlich ist, daß sie zugleich aus Atomen besteht und daß zugleich die Materie den Raum stetig erfüllt, dann kann die nie endende Unruhe des Widerspiels der antinomischen Bestimmungen nicht aus dem Denken Gottes stammen. Der antinomische Charakter der Be-

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Stimmungen zeigt, daß sie grundsätzlich aus dem Denken des Menschen stammen müssen. Kant sieht daher schon früh, daß die Bestimmung des Malebranche, daß wir alle Dinge in Gott schauen, für sein von den Antinomien beunruhigtes Denken unmöglich ist. Es war Kant natürlich wohlbekannt, daß Leibniz diese Bestimmung von Malebranche aufgenommen hatte, und Kant setzt sich daher 1770 in der Dissertation ausdrücklich gegen diese Bestimmung ab". Die reife Entwicklung der Antinomien in der transzendentalen Dialektik macht die alte Bestimmung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Wahrheit als einer Einsicht in den göttlichen Weltenplan vollends unmöglich. So erweisen sich die kantischen Antinomien von einer außerordentlichen Kraft. Wenn man sich nicht auf eine formale Nachprüfung der einzelnen Konklusionen versteift, sondern das sachliche Problem unbefangen würdigt, so wird man sich diesen Konsequenzen kaum entziehen können. Gewiß ist nach der Seite der formalen Richtigkeit noch manches zu bessern, aber man muß doch bedenken, wie schwierig die sachlichen Probleme sind. Gewiß hat Kant die Endgültigkeit seiner Lösung überschätzt, wir brauchen ja nur an die Behauptung Kants zu denken, daß es vier und nur vier Antinomien gibt, und daß es nur diese vier geben kann. Auf der anderen Seite müssen wir im Auge behalten, daß auch wir von einer restlosen Klärung der Probleme weit entfernt sind, ja es muß dahingestellt bleiben, ob eine solche restlose Klärung im Antinomienproblem überhaupt möglich ist. Dabei bleibt bestehen, daß das Antinomienproblem stets bei aller Schwierigkeit eine große Kraft entfaltet hat. Dies gilt für die eleatische Dialektik, wie sie Zeno entwickelt hat. Es gilt ganz besonders für die Dialektik, wie sie Plato in den großen dialektischen Dialogen aufgebaut hat. Dagegen scheint sich die hegelsche Dialektik von den Zielen der kantischen Antinomienlehre nicht wenig zu entfernen. Dies zeigt sich ja schon daran, daß Hegel die Bestimmung der Wahrheit als Gedanken Gottes für völlig vereinbar mit der Dialektik hält, daß die Aufgabe der Dialektik „die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist"7. Dagegen haben die Antinomien in der modernen Grundlagenforschung sowohl im mathematischen wie im physikalischen Problem die alte Kraft von neuem gezeigt. Was zunächst die physikalischen Antinomien betrifft, so kann man doch wohl kaum der Konsequenz ausweichen, daß diese Antino-

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mien dazu zwingen, physikalische Theorien als von Menschen hergestellte Modelle aufzufassen. Aber es ist doch wohl zu weit gegangen, wenn manche Schulen der modernen Grundlagenforschung in einen reinen Konventionalismus verfallen sind. Die physikalischen Antinomien beweisen auch ihrerseits, daß die naturwissenschaftlichen Theorien von Menschen aufgebaut sind, daß sie lediglich Modellcharakter haben. Sie beweisen auch ihrerseits, daß in den naturwissenschaftlichen Begriffsbildungen ein bestimmter Anteil der menschlichen Freiheit anheimfällt, daß solche Theorien auch anders hätten aufgebaut werden können. Sie brauchen aber deshalb nicht zu beweisen, daß die gesamte naturwissenschaftliche Begriffsbildung der Willkür des Menschen anheimgegeben ist, sie brauchen nicht zu beweisen, daß die Naturwissenschaften völlig auf Konventionen beruhen. Nicht anders liegt es bei den mathematischen Antinomien. Die mathematischen Antinomien, von denen wir eine bestimmte beispielsweise dargestellt haben, beweisen doch wohl, daß die Gegenstände der Mathematik nicht im naiven Sinne an sich existieren können. In der Tat hat man eine solche oder eine ähnliche Konsequenz auch ganz allgemein gezogen, man hat eingesehen, daß Aussagen über das Sein von Mengen nur mit sehr großer Vorsicht gemacht werden können. Aber auch hier mag es fraglich sein, ob nicht manche Forscher doch zu weit gegangen sind, wenn sie von den Problemen der Axiomatik und der mathematischen Antinomien ausgehend, die Mathematik als ein bloßes Spiel auffassen. Welchen Anteil an diesem Problem die Spontaneität des menschlichen Denkens in der Mathematik auch immer erhalten möge, so ist es doch wohl nicht notwendig, die Mathematik ganz in ein willkürliches Spiel zu verwandeln. Von hier aus kann man vielleicht die Probleme der kantischen Antinomienlehre, so wie wir sie an den beiden ersten Antinomien diskutiert haben, in folgender Weise zusammenfassen. Es dreht sich um bestimmte physikalische Probleme, die räumliche und zeitliche Erstreckung der Welt, die Struktur der Materie. Für die Erfassung solcher Probleme stehen uns jeweils zwei Begriffe zur Verfügung: endlicher und unendlicher Raum, endliche und unendliche Zeit, Atomtheorie und Kontinuumstheorie. Dies ,zur Verfügung stehen' kann man als ein rein logisches auffassen, es gibt rein logisch genommen die beiden Begriffe, diese beiden einander gegenüberstehenden Begriffe sind beide widerspruchsfrei. Man kann dies ,zur

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Verfügung stehen' auf die faktische Struktur des Menschen beziehen, wir Menschen sind eben so eingerichtet, daß wir über solche Begriffe verfügen, und es wäre nicht undenkbar, daß andere Wesen die Grenzen des Raumes und der Zeit oder die Struktur der Materie in anderen Begriffen erfahren könnten. Von hier aus wäre auch eine zeitliche Änderung dieser Ausstattung des Menschen denkbar. Entweder der Mensch als solcher oder der Mensch in einer bestimmten zeitlichen Struktur wäre dann so eingerichtet, daß er gerade über die einander entgegengesetzten Begriffe verfügen kann. Schließlich wäre dies ,zur Verfügung stehen* auch im Sinne einer reinen transzendentalen Logik denkbar, dies würde also bedeuten, daß die theoretischen Systeme der Physik sowohl auf dem einen wie auf dem anderen Begriff aufgebaut werden können. Wie immer man sich hier entscheiden möge, die Antinomik dieser Begriffe bedeutet wissenschaftstheoretisch eine Apriorität, ontologisch eine Einschränkung. Wenn wir Menschen in irgendeiner dieser möglichen Auffassungen nur über diese Begriffe in ihrer Antinomik verfügen, so folgt daraus, daß wir die Probleme stets in einem dieser beiden Begriffe einfangen müssen. Wir werden also die Welt immer entweder als endlich oder als unendlich bestimmen müssen, und wir werden die Materie immer entweder als Atome oder als Kontinuum bestimmen müssen. Dieser Sachverhalt bedeutet aber auch zugleich ontologisch eine Einschränkung. Diese antinomischen Begriffe; sind dann zwar a priori gültig, sie können aber gleichwohl nicht auf die Dinge an sich selbst angewandt werden. Die Dinge selbst können offenbar nicht beides zugleich sein, und es ist wenig wahrscheinlich, daß sie zufälligerweise eine Seite dieser Gegensätze an sich haben. Man kann daher doch wohl keinen anderen Schluß ziehen als den, daß die beiden einander widersprechenden Begriffe nur Modelle sind, in denen wir uns die Dinge vorstellen. Es ist nicht notwendig, daß die Dinge so sind, wie diese Modelle sie darstellen, sie können doch wohl nicht zugleich endlich und unendlich sein, und es ist wenig wahrscheinlich, daß sie nur zufälligerweise eines von beiden sind. In der Tat folgt also aus der Antinomienlehre der Modellcharakter und damit die transzendentale Idealität der Welt.

KAPITEL III DAS SEIN DER NATUR

5 10 Biologie, Theologie, Mechanik als die Wissensziele des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit In der transzendentalen Analytik erreicht die Kritik der reinen Vernunft ihren Höhepunkt. Man kann es wohl verstehen, daß die Kantinterpretationen des deutschen Idealismus und des Neukantianismus fast ausschließlich von der transzendentalen Analytik ausgegangen sind, und auch die Kantinterpretation von Martin Heidegger zielt wesentlich auf eine Interpretation der transzendentalen Analytik. Wir hoffen deutlich gemacht zu haben, welches Gewicht die beiden anderen großen Teile der Kritik der reinen Vernunft haben, die transzendentale Ästhetik und die transzendentale Dialektik; es muß als die Aufgabe einer Kantinterpretation betrachtet werden, diese drei großen Problemkreise Ästhetik, Analytik, Dialektik in ihr Gleichgewicht zu setzen. Dabei laufen in der Tat in der transzendentalen Analytik alle Fäden zusammen. Empirische Psychologie und transzendentale Psychologie, formale Logik und transzendentale Logik, Kategorienlehre und Ontologie, sie alle tragen dazu bei, die kantischen Entwicklungen auf ihren Höhepunkt zu führen. Die transzendentale Analytik bringt nicht nur einen neuen Bereich, sondern sie gibt zugleich die Zusammenfassung des Ganzen. Sie bringt einen neuen Bereich, indem sie das Sein der Natur thematisch diskutiert, sie gibt die Zusammenfassung des Ganzen, indem sie vom Sein der Einheit überhaupt handelt. Nun sind aber sowohl Raum und Zeit wie auch die Weltbegriife Einheiten, und sofern sie Einheiten sind, werden sie in gewissem Sinne in der Analytik noch einmal diskutiert. Dies Problem ist freilich schon lange gesehen worden. Es ist ja nicht so, daß Raum und Zeit in der transzendentalen

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Kap. 3: Das Sein der Natur

Ästhetik zu Ende gebracht wären und die Diskussion sich in der Analytik neuen Problemen zuwenden könnte. Ohne die großen Themen der Analytik, Einheit überhaupt, Gegenstand überhaupt, Subjekt überhaupt, kann auch das Sein des Raumes und der Zeit nicht verstanden werden. In der Erkenntnis dieses Sachverhaltes haben die Marburger, Cohen und Natorp, erwogen, Raum und Zeit aus der Sonderstellung der transzendentalen Ästhetik herauszunehmen, um sie wieder in den Gesamtaufbau der Analytik einzugliedern. Wir wollen hier einen anderen Weg versuchen. Wir behandeln die in gewissem Sinne regionalen Probleme der Natur in diesem Kapitel für sich und ziehen die Probleme von Einheit überhaupt zu einer gesonderten Behandlung im nächsten Kapitel heraus. Wir wenden uns also zunächst dem Problem der Natur zu und müssen uns dafür deutlich machen, daß ,Natur* für Aristoteles, für Thomas und für Kant keineswegs eine völlig identische Bedeutung hat. Aristoteles gliedert die Gesamtheit der Wissenschaften in Logik, Physik und Ethik, die Mathematik wäre in dieser Gesamtgliederung, der aristotelischen Ontologie entsprechend, der Physik beizuordnen. Die Natur nun, von der die aristotelische Physik handelt, ist dasjenige, das den Grund der Bewegung in sich selbst hat, wie Aristoteles im zweiten Buch der Physik definiert1. Prüft man diese Definition nach, dann zeigt sich die Physik des Aristoteles als die Wissenschaft vom Lebendigen, will man einen heutigen, allerdings etwas einengenden Terminus benutzen, dann kann man sagen, die Physik des Aristoteles ist ihrem Gegenstandsbereich nach Biologie. Allerdings reicht für die Griechen der Terminus lebendig weiter als für uns. Für die Griechen sind nicht nur die Menschen, die Tiere und die Pflanzen lebendig, sondern auch die Flüsse, die Quellen, die Gesteine, die Elemente, die Gestirne. Auch wir haben uns ja die Kraft bewahrt, zum mindesten einiges aus diesem weiteren Bereich, die Edelsteine etwa und das Wasser, als ein Lebendiges zu empfinden. Aristoteles jedenfalls denkt das Lebendige stets in diesem weiteren Umkreis und wenn die Lehren von den Elementen, von den Bewegungen, von den Gestirnen zur Physik gehören, so gehören sie gerade deshalb dazu, weil die Elemente, die Bewegungen, die Gestirne lebendig sind. Wenn die alten griechischen Philosophen schlechthin Naturlehrer, Physiologen genannt werden, so ist auch die Philosophie des Aristoteles in einem ihrer wesentlichsten

§ 10: Biologie, Theologie, Mechanik als Wissensziele

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Stücke noch Naturwissenschaft, und als diese Naturwissenschaft ist sie eine Wissenschaft vom Lebendigen. Für das Mittelalter tritt die Theologie an die erste Stelle. Nicht als ob es keine Naturwissenschaft gäbe. Die aristotelische Naturwissenschaft wird mit großer Sorgfalt weitergepflegt, die neue Naturwissenschaft in wichtigen Stücken vorbereitet. Aber bei alledem erscheint in der eigentlichen denkerischen Arbeit der Scholastik die Natur doch zuerst unter theologischem Aspekt als Schöpfungswerk Gottes, als creatura. Eine solche Betrachtung der Natur als creatura Dei hat durchaus keinen abfälligen Sinn; im Gegenteil, gerade als Schöpfungswerk Gottes wird die Natur zu einem in sich Schönen und Vollkommenen, als imago und als vestigium Dei erlangt sie eine selbständige Würde. Die neue Naturwissenschaft bringt einen neuen Aspekt. Dabei halten gerade die großen Entdecker und Forscher der neuen Naturwissenschaft an den alten Bestimmungen noch fest. Kepler, Galilei, Newton, Leibniz, für sie ist die Natur noch das Lebendige und das Schöpfungswerk Gottes. Aber wie immer die großen Forscher in ihrer eigenen Existenz aus den alten Vorstellungen noch leben, die Naturwissenschaft ist im tiefsten Grunde verwandelt, sie ist zur Mechanik geworden. Dies gilt für die größte Leistung der neuen Naturwissenschaft, für die Entdeckung der Gesetze der Himmelsbewegungen. Diese Frage der Himmelsbewegungen ist das primäre Thema der Naturwissenschaft im historischen und im systematischen Sinne. Wieviel Jahrtausende lang haben nicht die besten Köpfe der Menschheit forschend zum Himmel aufgeblickt und den Gesetzen der Himmelsbewegungen nachgegrübelt, und lange, ehe die Gesetze selbst entdeckt waren, war die Gesetzlichkeit der Bewegungen als solche gesehen; das hinter den Gestirnsbewegungen stehende, wenn auch noch nicht aufgefundene Gesetz gab die Grundform für ein Naturgesetz, ja für Gesetz überhaupt. Gewiß stellt die geozentrische Lösung der griechischen Astronomen eine geniale Lösung dar, aber man kann doch nicht verkennen, daß die geozentrische Lösung in vielen Stücken etwas recht Gesuchtes hat. Wir müssen uns immer wieder deutlich machen, welche Bedeutung die Entdeckung und abschließende Darstellung der Bewegungsgesetze gehabt hat, daß sie wohl für alle Zeiten die größte wissenschaftliche Entdeckung sein wird. Aber mit welch abstrakten Mitteln wird dies Ergebnis erreicht! Alle Begriffe des Lebendigen sind hier verschwunden,

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Kap. 3: Das Sein der Natur

eine Berufung auf das göttliche Handeln ist nicht mehr möglich, es ist in der Tat eine entzauberte Welt. Es gibt nur noch Massen, die sich nach mathematischen Gesetzen bewegen, die Naturwissenschaft ist zur Mechanik geworden. Wie sehr auch immer die großen Forscher aus den alten Vorstellungen leben mögen (wir selbst haben ja im vorigen Kapitel eingehend davon gehandelt), die Physik ist zur mathematischen Naturwissenschaft geworden und wird diesen Weg der Entzauberung der Welt unaufhaltsam weitergehen. Dies muß man sich immer vor Augen halten: Wenn Kant nach dem Sein der Natur fragt, so fragt er nicht nach dem Sein des Lebendigen, nicht nach dem Sein der Schöpfung, sondern er fragt nach dem Sein der Natur, so wie sie in der reinen mathematischen Naturwissenschaft, so wie sie in der Mechanik zur Darstellung kommt.

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Die Natur bei Kant als newtonsche Natur

Wir haben gesehen, daß. der Begriff der Natur in der Kritik der reinen Vernunft eine Einschränkung erfahren hat, daß zur Natur, wie sie hier diskutiert wird, nicht das Lebendige rechnet, daß die Natur hier vielmehr nur als das Objekt der Mechanik genommen wird. Wir müssen uns deutlich machen, daß noch einmal eine weitere Einschränkung erfolgt. Der kantische Naturbegriff geht nicht auf die Pflanzen und die Tiere und die Berge, er geht nicht einmal auf die Sonne und den Mond und die Sterne, sondern er geht auf die Gesetzmäßigkeit als solche. Natur definiert Kant „als Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit" (B 165). Wir erhalten damit den dritten Modus der Erscheinungen. Wir erhielten zuerst Raum und Zeit als Formen der Erscheinungen, dann die Welt als das Ganze der Erscheinungen und jetzt die Natur als die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen. Gemäß der im vorigen Paragraphen erörterten Einschränkung dreht es sich nur um die mechanische Gesetzmäßigkeit, und die Natur, nach deren Sein gefragt wird, ist also jetzt die mechanische Gesetzmäßigkeit. Nur nach dieser mechanischen Gesetzmäßigkeit wird gefragt. Die kantische These, die wir uns verständlich machen wollen, daß der Verstand die Natur hervorbringt oder die Pflanzen oder die Berge, sie besagt auch nicht, daß der Verstand die Sonne hervorbringt oder die Sterne, sie besagt allein,

§11: Die Natur bei Kant als newtonsche Natur

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daß der Verstand die mechanische Gesetzmäßigkeit hervorbringt, und zwar nur ihrer Form nach. Zur weiteren Klärung bilden wir den Begriff einer newtonschen Natur. Unter einer newtonschen Natur verstehen wir eine solche Natur, die vollständig durch die newtonschen Gesetze bestimmt ist. Eine solche Natur ist also ein rein mechanisches System, sie soll im Sinne der newtonschen Mechanik ein abgeschlossenes System sein. Durch die Bildung dieses Begriffes können wir Probleme, die gewöhnlich arg durcheinandergehen und die auch in der transzendentalen Analytik recht verschachtelt sind, verhältnismäßig übersichtlich auseinanderziehen. Wir können zunächst die kategorialanalytische Frage stellen nach den Grundbegriffen, die in einer solchen newtonschen Natur gelten, beziehungsweise nach den Grundsätzen, die dort gültig sind. Wir können die weitere Frage stellen, ob die Natur, so wie wir sie erfahren, eine newtonsche Natur ist; dies würde also der Frage korrespondieren, ob der Raum ein euklidischer Raum ist. Wir können schließlich die eigentlich ontologische Frage stellen nach der Seinsweise dieser newtonschen Natur, und auch diese ontologische Frage entspricht der ontologischen Frage nach dem Sein des Raumes, nämlich des euklidischen Raumes. Wir erkennen zunächst, daß die newtonsche Natur unabhängig von der Struktur der Materie ist. Wir haben beim Antinomienproblem schon einmal darauf hingewiesen. Wir können entweder annehmen, daß die Materie aus diskret im Raum verteilten Punkten besteht, die mit einer Masse behaftet sind, oder wir können eigentliche Atome als Körper endlichen Durchmessers im leeren Raum annehmen, oder wir können eine stetig verteilte Materie annehmen. Wir bekommen entweder die Mechanik eines Systems von Massenpunkten oder wir bekommen die Mechanik der Kontinua; wir betrachten diese beiden Formen der Mechanik als äquivalent. Wir betrachten jetzt die Mechanik eines Systems von Massenpunkten und legen Punkte zugrunde, die mit einer Masse behaftet sind. Das einfachste Modell einer newtonschen Welt ist dann ein einziger Massenpunkt, also ein Punkt, der als mit einer bestimmten Masse behaftet gedacht wird. Dieser Punkt wird seine Bewegung durch den Raum mit gleichbleibender Geschwindigkeit und mit gleichbleibender Richtung fortsetzen. Diesen im Grunde genommen einheitlichen Sachverhalt kann man in zwei Grundbegriffe, beziehungsweise in zwei Grundgesetze zerlegen, das Substanzgesetz

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Kap. 3: Das Sein der Natur

und das Kausalgesetz. Das Substanzgesetz kommt darin zum ÄusL drudk, daß in dieser wenn audi etwas ärmlichen Welt grundsätzlich gewisse, faktisch fast alle Bestimmungen konstant bleiben. Es bleibt nicht nur die Masse konstant, sondern auch die Geschwindigkeit, ebenL so die Richtung, der Impuls, die Energie. Die kantische Substanzbestimmung fordert ja lediglich das Konstaritbleiben irgendeiner Größe überhaupt, und es ist schon oft bemerkt worden, daß man als diese konstante Größe ebensogut die Energie ansehen kann. "Wir sehen an unserem einfachsten Modell, daß hier sowohl die Masse, als auch die Geschwindigkeit, als auch gewisse Produkte aus beiden, wie der Impuls oder die Energie, konstant bleiben. Auch das Kausalgesetz findet hier seinen übersichtlichsten Ausdruck. Beim Kausalgesetz muß man sich von jeder anthropomorphen Vorstellung lösen, auch Kant hat das längst getan; wenn man von Ursache und Wirkung spricht, so darf man nicht einen Menschen, der etwas herstellt, als die Ursache betrachten und das von ihm Hergestellte als die Wirkung. Das Kausalgesetz bedeutet vielmehr, daß zwei zeitlich verschiedene Zustände einander eindeutig bestimmen, so daß also jeder frühere Zustand jeden späteren Zustand eindeutig bestimmt, daß aber auch jeder spätere Zustand jeden früheren Zustand in derselben Weise eindeutig bestimmt. Das Kausalgesetz bedeutet also die strenge Gesetzlichkeit des gesamten Ablaufs, und diese Gesetzlichkeit des gesamten Ablaufs ist hier in der anschaulichsten Weise dadurch gegeben, daß die Bewegung dieses einzigen Massenpunktes sich mit unveränderter Richtung und mit unveränderter Geschwindigkeit durch alle Zeiten hindurch fortsetzt, daß also in der Tat hier jeder Zeitpunkt jeden anderen Zeitpunkt bestimmt. Das nächsteinfache Modell einer newtonschen Natur wäre ein Zweikörpersystem, wir wählen aber ein etwas reicheres System, ein Zentralsystem in der Art unseres Sonnensystems, also ein System mit einem Zentralkörper mit einer Masse, die im Verhältnis zu den anderen Massen erheblich ist, und mit (beispielsweise) sieben in einer Ebene umlaufenden „Planeten". Auch hier zeigen sich zunächst wieder die Erhaltungsgesetze. Es bleibt konstant zunächst die Masse. Es bleibt aber auch konstant die Energie, wenigstens dann, wenn man neben dem Begriff der kinetischen Energie noch den Begriff der potentiellen Energie einführt und die Konstanz von der Summe verlangt. Der reine Sinn des Kausalgesetzes wird noch deutlicher, wenn wir von der Zweidimensio-

§11: Die Natur bei Kant als newtonsche Natur

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nalität des Systems Gebrauch machen. Wir können dann die dritte Dimension für die Zeit nehmen, also in einen dreidimensionalen „Raum" übergehen mit zwei Lagekoordinaten und einer Zeitkoordinate. Betrachten wir zunächst jeweils die Bewegung des Zentralpunktes und eines umlaufenden Punktes und sehen von der Bewegung des Gesamtsystems ab, dann beschreiben sowohl der Zentralkörper wie der umlaufende Körper Ellipsen um den Schwerpunkt als den einen Brennpunkt. Diese Ellipsen stellen sich dann in dem dreidimensionalen Raum als Schraubenlinien dar, deren Projektion auf die Systemebene Ellipsen darstellen, und diese Kurven im dreidimensionalen Raum haben eben die besondere Eigenschaft, daß jeder hinreichend gegebene Punkt oder daß jedes beliebig kleine Stück den gesamten Verlauf der Kurve, also den Zustand in jedem früheren und späteren Zeitpunkt eindeutig bestimmt. Damit haben wir einen sehr reinen Ausdruck des Kausalgesetzes erreicht; diese durchgängige Regulärität des Geschehens, die sich auf diesen einfachen mathematischen Ausdruck bringen läßt, ist der eigentliche Sinn des Kausalgesetzes. Nicht die Zweiheit von Täter und Tat, nicht die Zweiheit von Ursache und Wirkung, sondern diese durchgängige Bestimmtheit des Geschehens, die es eben ausmacht, daß das kleinste Teil des Geschehens das Geschehen von aller Zeit in alle Zeit bestimmt, dies eigentlich ist das Kausalgesetz. Dieser eigentliche Sinn der Kausalität wird hier ja auch zugleich anschaulich darin faßbar, daß der Umlauf, wenn er einmal gegeben ist, sich in stets gleicher Weise vollziehen wird. Dies ist ja nur der mathematische Ausdruck dafür, daß die Sonne und die Gestirne in stets gleicher Weise ihre Bahnen ziehen. An diesem ewigen Umlauf setzt die aristotelische Lehre von der ewigen Dauer der Welt an, die wir im Antinomienkapitel antrafen, dies ist die anschauliche Gegebenheit, der sich niemand entziehen kann: „Und ihre vorgeschriebne Reise vollendet sie mit Donnergang". Dies ist also der eigentliche Sinn der Kausalität, nicht die Zweiheit von Ursache und Wirkung, sondern die durchgängige Bestimmtheit des Ablaufs, die beim Einkörperproblem ins Endlose und beim Umlauf zu einer unveränderlichen Wiederholung des Umlaufs führt. In unserem reicheren Modell der Welt, zum ersten Male beim Zweikörpersystem, wird nun auch das dritte Grundgesetz sichtbar, das Gesetz der Wechselwirkung. Der Umlauf beispielsweise der Erde um die

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Sonne ist nicht nur eine Wirkung der Sonne auf die Erde, sondern auch zugleich eine Wirkung der Erde auf die Sonne. Die beiden Körper der Umlaufbewegung stehen in durchgängiger Wechselwirkung. Erst recht gilt dies von unserem reicheren Modell eines Zentralkörpers mit sieben Planeten. Betrachte ich etwa die Bahn eines umlaufenden Punktes, so ist sie nur dann eine Ellipse, wenn ich sie allein gegen die Sonne betrachte. In Wirklichkeit aber wirkt jeder Körper gegen jeden Körper; also gegen den betrachteten umlaufenden Massenpunkt wirkt nicht nur der Zentralkörper, sondern auch jeder der anderen sechs umlaufenden Massenpunkte. Dadurch entsteht eine recht verwickelte Bewegung, die mit den uns bekannten mathematischen Mitteln nicht mehr in geschlossener Form darstellbar ist. Bei den im Sonnensystem vorliegenden Massenverhältnissen sind die Wechselwirkungen gegen die anderen Planeten allerdings so klein, daß sie für die meisten Erwägungen vernachlässigt werden können. Aber schon für feinere Rechnungen ist ihre Berücksichtigung notwendig. Wir erhalten jetzt an unserem Modell die drei Grundgesetze, das Substanzgesetz, das Kausalgesetz, das Wechselwirkungsgesetz. Diese drei Grundgesetze bleiben auch erhalten, wenn ich nun zum allgemeinen Fall übergehe, wenn ich in der Natur eine große Anzahl von Massenpunkten mit sehr verschiedenen Massen und Bewegungskonstanten zulasse. Dann bleibt erhalten das Substanzgesetz, und zwar sowohl in bezug auf die Masse als auch in bezug auf die Energie. Es bleibt erhalten das Kausalgesetz, das sich auch hier darin ausdrückt, daß ein Zustand einer solchen reinen newtonschen Natur in einem bestimmten Zeitpunkt den Gesamtzustand in jedem anderen früheren oder späteren Zeitpunkt eindeutig bestimmt. Es könnte daher ein hinreichend begabter Geist, wie ihn Laplace fingiert hat, den gesamten Ablauf der Welt aus aller Zeit und in alle Zeit ausrechnen, wobei eben nur die Frage zu stellen ist, ob die Welt tatsächlich eine newtonsche Natur ist. Schließlich gilt das Gesetz der Wechselwirkung. Jeder Massenpunkt dieser reinen newtonschen Natur wirkt auf jeden anderen, und um die Bahn eines einzelnen Massenpunktes auszurechnen, müßte jeder andere Massenpunkt in Betracht gezogen werden, und der Laplacesche Dämon müßte in der Tat eine ungewöhnliche Begabung mitbringen. Dies ist also die Welt, die in der reinen mechanischen Weltauffassung mit einer so großen Begeisterung betrachtet worden ist, und dies sind die Gesetze, aus denen man geglaubt hat, so

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grenzenlose weltanschauliche Folgerungen ziehen zu dürfen. Das Ringen um die Bedeutung dieser reinen newtonsdien Natur stellt auch für die Kritik der reinen Vernunft eines der wesentlichen Probleme dar.

$ 12 Die Apriorität der newtonschen Natur Von den drei Grundsätzen, die in der newtonschen Natur gelten, gilt der Grundsatz der Substantialität, sofern man auf die Erhaltung der Energie sieht, fast mit Sicherheit über den Bereich der klassischen Physik hinaus. Dasselbe gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für den Satz der Wechselwirkung, dagegen gilt der Satz der Kausalität in dem Sinne, in dem wir ihn herausgearbeitet haben, nur für die klassische Physik, er ist sogar das eigentliche Charakteristikum der klassischen Physik. Dies hat schon Leibniz erkannt, der den Satz vom zureichenden Grunde als den eigentlichen Grundsatz der Naturwissenschaft proklamiert hat. Daß Leibniz mit diesem Ansatz in einer genialen Sicherheit das eigentliche Kennzeichen der newtonschen Physik gefaßt hat, wissen wir heute mit völliger Klarheit. Diese Sicherheit des ersten Ansatzes ist erstaunlich und doch nur ein Beispiel für den auch sonst zu belegenden Sachverhalt, daß bei den wirklich großen Problemen die fundamentalen Sachverhalte fast immer schon im ersten Griff erreicht werden. Leibniz spricht über das Prinzip vom zureichenden Grund an vielen Stellen, die klarste Stelle findet sich wohl im Briefwechsel mit Clarke: „Die große Grundlage der Mathematik ist das Prinzip des Widerspruchs oder der Identität... Dieses einzige Prinzip genügt, um die Arithmetik und die Geometrie, also alle mathematischen Prinzipien, abzuleiten. Um aber von der Mathematik zur Physik überzugehen, ist noch ein anderes Prinzip erforderlich, wie ich in meiner Theodizee bemerkt habe, nämlich das Prinzip des zureichenden Grundes: daß sich nämlich nichts ereignet, ohne daß es einen Grund gibt, weshalb es eher so als anders geschieht... Einzig durch dieses Prinzip, daß es eines zureichenden Grundes bedarf, weshalb die Dinge sich eher so als anders verhalten, lassen sich die Gottheit und alle übrigen Sätze der Metaphysik oder natürlichen Theologie, ja in gewisser Weise auch die von der Mathema-

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tik unabhängigen physikalisdien Prinzipien, d.h. die dynamischen oder die Kraftprinzipien beweisen"1. Auch die beiden anderen Prinzipien finden sich als fundamentale Ansätze bei Leibniz. Der Substanzbegriff liegt dem Ansatz der Monadologie als solchem zugrunde, und ebenso spielen die Erhaltungsgesetze, soweit sie nicht auf die Materie, sondern auf die Energie bezogen werden, eine große Rolle bei Leibniz. Das Gesetz der Wechselwirkung ist in untrennbarer Weise in den Aufbau der Monadologie hineingewoben, und bildet dort eines der Grundprinzipien. Jede Monade ist das Spiegelbild des ganzen Universums und also auch jeder anderen Monade. Dies schließt dann insbesondere ein, daß die Vorgänge jeder Monade in jeder anderen Monade gespiegelt werden*. Bei all dieser Bedeutung der beiden anderen Grundgesetze hat doch das Prinzip vom zureichenden Grunde bei Leibniz die stärkste thematische Ausbildung erfahren, es schließt das eigentliche Kausalgesetz als seinen wichtigsten Sonderfall ein. Es ist deshalb verständlich, daß unter den Philosophen, Logikern und Naturwissenschaftlern, unter den Freunden Leibniz' ebenso wie unter seinen Gegnern, sofort eine lebhafte Diskussion über den Satz vom zureichenden Grunde einsetzt. Leibniz setzt dieses Prinzip als einen Grundsatz an. Aber mit welchem Recht? Es taucht schon bald die Frage nach der Beweisbarkeit auf. Christian Wolff gibt einen Beweis in der Ontologie, der Beweis geht seinem Grundgedanken nach dann in die Metaphysik von Baumgarten über. Andere Forscher bleiben vorsichtig und zweifeln an der Beweisbarkeit überhaupt, so etwa Crusius8. Auch Kant nimmt in seinen frühen Schriften dieses Problem intensiv auf; in der 1755 geschriebenen Habilitationsschrift „Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio" gibt Kant eine Kritik des Wolffschen Beweises. Kant zeigt dort, daß er im wesentlichen am Aufbau von Leibniz festhält. Zwei große Grundsätze, der Satz der Identität und der Satz vom zureichenden Grunde machen das Fundament der Metaphysik aus. Den Satz vom zureichenden Grunde als solchen verteidigt Kant gegen Crusius, den Wolff-Baumgartenschen Beweis lehnt er aber ab, indem er in einer genauen Analyse zeigt, daß der Satz vom zureichenden Grunde nicht aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden kann4. Kant gibt dann selbst einen neuen Beweis, aber dieser Beweis fällt unter das Verdammungsurteil, das Kant später

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über seine vorkritischen Schriften ausgesprochen hat5. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde bleibt für Kant ein zentrales Problem. Den in der Kritik der reinen Vernunft geführten Beweis der zweiten Analogie kann man als den transzendentalphilosophischen Beweis des Satzes vom zureichenden Grunde ansehen. Die zweite Analogie, der Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität sagt: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung" (B 232). Im Beweisgang selbst bezeichnet Kant die zweite Analogie kurz als Satz vom zureichenden Grunde: „Also ist der Satz vom zureichenden Grunde der Grund möglicher Erfahrung" (A 200 f., B 246). Im Schlußabsatz des Analogienabschnitts kommt Kant noch einmal auf das Problem im ganzen zurück. Er weist mit unüberhörbarem Stolz darauf hin, daß bis dahin alle Beweisversuche vergeblich gewesen sind: „In Ermanglung dieser Methode, und bei dem Wahne, synthetische Sätze, welche der Erfahrungsgebrauch des Verstandes als seine Prinzipien empfiehlt, dogmatisch beweisen zu wollen, ist es denn geschehen, daß von dem Satze des zureichenden Grundes so oft, aber immer vergeblich ein Beweis ist versucht worden" (A 217, B 264 f.). Kant nimmt dann grundsätzlich zu dem Problem Stellung und wirft abschließend die Frage auf, wie überhaupt solche Sätze bewiesen werden können: „Hätten wir diese Analogien dogmatisch, d. i. aus Begriffen, beweisen wollen..., daß jede Begebenheit etwas im vorigen Zustande voraussetze, worauf es nach einer Regel folgt..., so wäre alle Bemühung gänzlich vergeblich gewesen" (A 216 f., B 263 f.). Ein Beweis ist vielmehr nur als ein transzendentaler Beweis möglich, nämlich als ein Beweis aus der Möglichkeit der Erfahrung. Zum Schluß weist Kant kurz darauf hin, daß man immer nur das Kausalgesetz diskutiert habe, ohne an diese beiden anderen Gesetze zu denken: „An die beiden übrigen Analogien hat niemand gedacht, ob man sich ihrer gleich immer stillschweigend bediente, weil der Leitfaden der Kategorien fehlte, der allein jede Lücke des Verstandes, sowohl in Begriffen als Grundsätzen, entdecken und merklich machen kann" (A 217 f., B 265). Soweit sich diese Bemerkung auf die philosophische Diskussion nach Leibniz bezieht, ist sie sicher richtig. Dort steht das Kausalgesetz fast ausschließlich zur Diskussion. Sollte Kant auch an Leibniz selbst gedacht haben, so würde man diese Behauptung, wenn man nicht nur

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die Formulierung, sondern auch den Inhalt bei Leibniz in Erwägung zieht, wohl kaum als begründet bezeichnen können; in diesem Fall hätte der auch sonst nicht immer ganz begreifliche Stolz auf die Entdeckung der Kategorientafel eine wenig gerechte Betrachtung veranlaßt. Die schönste Form einer historisch-systematischen Verknüpfung aber bietet Kant, als er auf dasselbe Problem 1790 zurückkommt. Eberhard, Professor der Philosophie in Halle und erklärter Anhänger der leibnizschen Philosophie, hatte gegen die Kritik der reinen Vernunft den alten Vorwurf geltend gemacht, was neu sei, sei nicht gut, was aber gut sei, sei nicht neu, es stehe vielmehr alles schon bei Leibniz, so daß die leibnizsdie Philosophie alles Wahre der Vernunftkritik, „überdem aber noch mehr in einer gegründeten Erweiterung des Gebietes des Verstandes enthalte"; so zitiert Kant selbst den Angriff von Eberhard*. In der Schrift „Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll", die gewöhnlich als Streitschrift gegen Eberhard zitiert wird, setzt sich Kant mit diesem Angriff auseinander. Im Sinne von Wolff will auch Eberhard den Satz vom zureichenden Grunde beweisen. Kant gibt diesen Beweis im Wortlaut wieder, um ihn dann ausführlich zu analysieren. Er zeigt, daß der neue Beweis aus zwei Teilen besteht. Der erste Teil ist der alte Wolff-Baumgartensche Beweis, der als endgültig widerlegt angesehen wird. Dann folgt im zweiten Teil des Beweises von Eberhard ein neuer Gedankengang. Kant zeigt in ausführlicher Analyse, daß auch dieser neue Gedankengang nicht zum Ziele geführt hat7. Ein solcher Beweisversuch ist eben grundsätzlich verfehlt. Es gibt für Leibniz zwei oberste Prinzipien, den Satz vom Widerspruch (äquivalent mit dem Satz der Identität) und den Satz vom zureichenden Grunde. Versuche ich dann den Satz vom zureichenden Grunde zu beweisen, so kann ich ihn offenbar nur aus dem Satz vom Widerspruch beweisen. Damit verliert aber der Ansatz von Leibniz seinen Sinn. Wir sahen ja, daß Leibniz den Satz vom zureichenden Grunde als ein zweites und neues Prinzip hinzunimmt, weil erst auf Grund dieses neuen Satzes die Sätze der Metaphysik bewiesen werden können, während die Sätze der Mathematik allein aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden können. Kann ich aber den

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Satz vom zureichenden Grunde aus dem Satz vom Widerspruch beweisen, dann fällt diese Unterscheidung in sich zusammen, und ich kann alle wahren Sätze allein aus dem Satz des Widerspruchs beweisen8. Auf diesen Sachverhalt, daß Leibniz den Satz vom zureichenden Grunde als ein zweites und neues Prinzip ansetzt, kommt Kant zum Abschluß noch einmal zurück. Kant charakterisiert die Metaphysik von Leibniz durch drei Eigentümlichkeiten, die erste ist der Satz vom zureichenden Grunde. Was aber wollte Leibniz mit dieser Herausstellung des Satzes vom zureichenden Grunde sagen? Der Satz selber „ist ja so allgemein bekannt und (unter gehörigen Einschränkungen) so augenscheinlich klar, daß auch der schlechteste Kopf damit nicht eine neue Entdeckung gemacht zu haben glauben kann; auch ist er von ihn mißverstehenden Gegnern darüber mit manchem Spotte angelassen worden"9. Die Herausstellung dieses neuen Grundsatzes muß vielmehr ein methodisches Problem bedeuten: „Denn was heißt das: über den Satz des Widerspruchs müssen noch andere Grundsätze hinzukommen"10? Hier wird also der Nachdruck allein darauf gelegt, daß zum Satz des Widerspruchs noch ein neuer Grundsatz hinzutritt: „so... muß noch ein besonderes, vom Satze des Widerspruchs unterschiedenes Princip gesucht werden"11. Dies bedeutet also, daß die Gesamtheit der wahren Sätze nicht allein aus dem Satz des Widerspruchs und den aus ihm ableitbaren Sätzen besteht; es gibt also in kantischer Terminologie gesprochen synthetische Sätze: „Da nun die letztere Art Sätze (jetzt wenigstens) synthetisch heißen, so wollte Leibniz nichts weiter sagen, als: es muß über den Satz des Widerspruchs (als das Princip analytischer Urtheile) noch ein anderes Princip, nämlich das der synthetischen Urtheile, hinzukommen"12. Hier wird also die leibnizsche Unterscheidung zwischen dem Satz des Widerspruchs und dem Satz des zureichenden Grundes dahin interpretiert, daß damit die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen zum ersten Male gefaßt ist, und umgekehrt wird die kantische Lehre vom synthetischen Charakter der Grundsätze der reinen Natur als die echte Durchführung des leibnizschen Anfangs verstanden. Dies ist allerdings eine überaus kühne Interpretation. Es ist sehr selten in der Geschichte der Philosophie, daß ein großer Denker einen so dichten Zusammenhang mit einem Vorgänger herstellt, und diese kühne Interpretation hebt

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sich wohltuend ab von den nicht wenigen Stellen der Kritik der reinen Vernunft, in denen Leibniz oft mit geringem Erfolg kritisiert wird. Dabei möchte ich glauben, daß der hier hergestellte Zusammenhang ein wohlbegründeter ist. Man muß die transzendentale Analytik dahin verstehen, daß nicht alle Grundsätze aus dem Satz des Widerspruchs abgeleitet werden können, daß vielmehr eine ursprüngliche Vielheit von unableitbaren Grundsätzen zugrunde gelegt werden muß, und eine solche Mehrheit von Grundsätzen hat zum mindesten an der zitierten Stelle des Briefwechsels Leibniz doch offenbar fordern wollen. Wir können also die transzendentale Analytik, sofern sie eine Ontologie der Natur ist, als einen Beweis des Kausalgesetzes betrachten. Hier steht das Kausalgesetz dann allerdings als das wohl wichtigste Beispiel der Gesamtheit der Grundsätze der Natur, und Beweis wird hier in einem sehr weiten Sinne genommen und umfaßt sowohl die kategorialanalytische wie die eigentlich ontologische Bestimmung. Die kategorialanalytische Bestimmung bedeutet die Herausarbeitung der Grundsätze selbst und den Nachweis ihrer Apriorität, die ontologische Bestimmung, vom kantischen Standpunkt her vorgenommen, bedeutet die Beschränkung dieser Grundsätze auf Erscheinungen, also die Phänomenalität der Natur. Dazu tritt die sehr wichtige Herausarbeitung des Relationscharakters der Natur. Apriorität, Relationscharakter und Phänomenalität, beziehungsweise transzendentale Idealität, dies sind also die Ziele der transzendentalen Analytik in bezug auf die Natur. Diese Arbeit der transzendentalen Analytik vollzieht sich in einer vierfachen Tafel. Es werden nebeneinander aufgebaut die Tafel der zwölf Urteile, die Tafel der zwölf Kategorien, die Tafel der acht (statt zwölf) Schemata und die Tafel der acht (statt zwölf) Grundsätze. Wenden wir uns der letzten Tafel, der Tafel der Grundsätze zu, so geht Kant zunächst von einem viergliedrigen Schema aus (A 161, B 200): 1. Axiome der Anschauung

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2. Antizipationen der Wahrnehmung 3. Analogien der Erfahrung 4. Postulate des empirischen Denkens überhaupt

Die Analogien und die Postulate gliedern sich in je drei Sätze. Nach der Struktur der beiden ersten Tafeln hätten sich auch die Axiome und die Antizipationen dreifach gliedern sollen, dann hätten der Zwölfzahl der beiden ersten Tafeln auch zwölf Grundsätze entsprochen; glücklicherweise ist das kantische System hier einmal nicht ganz aufgegangen, es gibt nur ein Axiom und eine Antizipation, so daß es im ganzen nur acht Grundsätze gibt. Zunächst werden die Probleme der Quantität und der Qualität diskutiert. Das Prinzip der Axiome der Anschauung lautet: „Alle Anschauungen sind extensive Größen" (B 202). Das Prinzip der Antizipationen der Wahrnehmung lautet: „In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe" (B 207). Die drei Analogien gehen aus dem Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung hervor. Die erste ist der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz: „Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert" (B 224). Die zweite Analogie bringt den Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität und lautet: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung" (B 232). Die dritte Analogie bringt den Grundsatz des Zugleichseins nach dem Gesetz der Wechselwirkung oder Gemeinschaft und lautet: „Alle Substanzen, sofern sie im Räume

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als zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung" (B 256). Die Tafel der Grundsätze schließt mit den drei Postulaten des empirischen Denkens überhaupt: „1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich. 2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich. 3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig (A 218, B 265 f.). Wir folgen einem Gedanken von Cohen und wenden den Blick nicht so sehr auf die einzelnen Tafeln, sondern wir betrachten die vier Tafeln von vornherein in ihrem Zusammenhang. Dabei erweisen sich — ungeachtet der Bedeutung, die Cohen selbst den Antizipationen der Wahrnehmung beimißt — die Analogien der Erfahrung als die wichtigsten. Unsere vorausgeschickte Analyse einer newtonschen Natur hat gezeigt, daß es sich um fundamentale Gesetze der newtonschen Natur handelt. Kant führt einen axiomatischen Aufbau der theoretischen Physik durch. Dieser axiomatische Aufbau der Physik ist geleitet von der Einsicht in die axiomatische Struktur der Geometrie und der Arithmetik. Es handelt sich also in allen drei Systemen, der Arithmetik, der Geometrie und der theoretischen Physik um eine Vielheit von Sätzen, die axiomatisierbar ist, die Gesamtheit der Sätze des Systems kann also aus einem Teil der Sätze deduziert werden. Der für Kant entscheidende Gesichtspunkt ist, daß diese Systeme nicht allein aus dem Satz des Widerspruchs deduziert werden können, sondern daß zu dem Satz des Widerspruchs weitere inhaltliche Bestimmungen gegeben werden müssen. Die Axiomatisierbarkeit des Systems bedeutet dann, daß diese hinzukommenden Bestimmungen sich durch eine geringe Zahl der Sätze des Systems vollständig ausdrücken lassen; diese Sätze können als Axiome angesetzt werden, so daß alle anderen Sätze des Systems aus diesen Axiomen deduziert werden können. Daß die newtonsche Physik axiomatisierbar ist, ist ein Sachverhalt, dem die Physik des 19. Jahrhunderts nur eine geringe Beachtung geschenkt hat, und demzufolge sind auch die Wissenschaftstheorie und die Kantinterpretation an diesem Sachverhalt fast immer vorbeigegangen. Dies ist eigentlich merkwürdig in Anbetracht der Tatsache, daß Newton selbst einen axiomatischen Aufbau zugrunde gelegt hat. Erst die Entwicklung

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der Axiomatik in der Geometrie, Arithmetik und Logik hat den Blick auch wieder auf die physikalische Axiomatik gelenkt; ich darf besonders auf die Arbeiten von Hamel und Hermes verweisen13. Verständlicherweise haben die newtonschen Axiome hier eine neue Beachtung gefunden, aber auch die kantische Axiomatik ist mit großem Interesse studiert worden. Man wird hoffen dürfen, daß in diesem Gebiet in nicht allzulanger Zeit wichtige Ergebnisse sich zeigen werden. Dabei dürften vermutlich zwei Gesichtspunkte in den Vordergrund treten. Zunächst die Variierbarkeit des Axiomensystems, die wir aus der Geometrie her so gut kennen. Welche Sätze des Systems als Axiome zu gelten haben, steht keineswegs absolut fest, hier kann vielmehr noch frei gewählt werden, die Axiomensysteme für dasselbe Satzsystem können also sehr verschiedene Sätze enthalten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß bei den Axiomensystemen der theoretischen Physik derselbe Sachverhalt auftritt wie bei den Axiomensystemen der Logik, daß es nämlich Axiomensysteme gibt, die nur aus einem Satz bestehen. In diesem Fall würde sich also die newtonsche Physik aus nur einem einzigen Satz ableiten. Ein solches Ergebnis würde auf Grund unserer heutigen axiomatischen Einsichten zwar nicht mehr die Bedeutung haben, die man ihm früher beigemessen haben würde, es würde aber immer noch interessant genug sein. Ein solches Ergebnis würde die ohnehin nicht sehr standfeste kantische Systematik weiterhin ihrem formalen Aufbau nach ins Wanken bringen, dagegen wird sich wahrscheinlich ein anderer Grundgedanke von Kant als fruchtbar erweisen. Kant bringt die drei Analogien in Zusammenhang mit den drei Grundcharakteren der Zeit. Hier liegt allem Vermuten nach ein Zusammenhang, der sich als ein sehr fundamentaler erweisen wird; die newtonsche Physik selbst, dies können wir bereits übersehen, hängt offenbar auf das engste zusammen mit dem von Newton verwandten Raum- und Zeitbegriff. Wir können zweierlei festhalten. Diese reinen Grundsätze, die sich uns als die Axiome der Physik erwiesen haben, sind synthetische Sätze und sie sind Sätze a priori. Der synthetische Charakter dieser Sätze ruht ebenso wie in der Geometrie in einem ersten Ansatz darauf, daß die Gesamtheit dieser Sätze nicht aus dem Satz des Widerspruchs allein erwiesen werden kann. Sie enthalten vielmehr neue Voraussetzungen, die zu den Voraussetzungen der Logik, der Arithmetik und der Geo-

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metric erweiternd hinzutreten. Dies gilt insbesondere vom Kausalgesetz, das in diesem Sinne als eine neue Voraussetzung zu den logischmathematischen Voraussetzungen hinzutritt. An diesem Sachverhalt wird sich auch dann nichts ändern, wenn es gelänge, eine rein mathematische Formulierung des Kausalgesetzes zu finden. Diese Einsicht in den Erweiterungscharakter betrachtet Kant als seine eigentliche philosophische Leistung. Wir haben gesehen, daß Kant hier einen ursprünglichen Zusammenhang mit Leibniz sieht, und wir glauben, daß in der Tat auch Leibniz selbst den Satz vom zureichenden Grunde in diesem Sinne aufgefaßt hat. Von hier aus wird man wohl auch die Versuche beurteilen müssen, das Kausalgesetz zu beweisen. Ich möchte glauben, daß die Versuche, das Kausalgesetz zu beweisen, Erfolg und Mißerfolg in demselben Sinne haben werden, wie die Versuche, das Parallelenaxiom zu beweisen. Versteht man unter einem Beweis des Kausalgesetzes einen Beweis allein aus dem Satz des Widerspruchs, so dürfte ein Beweis schwerlich möglich sein. Ein Beweis dürfte auch dann nicht möglich sein, wenn man die gesamten Beweismittel der Logik zuläßt; wir wissen ja heute, daß die Logik, gegen Kants Meinung, sich keineswegs aus dem Satz des Widerspruchs allein ableiten läßt, daß sie vielmehr noch weitere Voraussetzungen enthält. Beweise des Kausalgesetzes sind wohl möglich, sie sind aber immer nur Beweise aus hinreichend starken Voraussetzungen, das heißt also dann, das Kausalgesetz wird aus einem äquivalenten Gesetz bewiesen. Solche Beweise sind nicht nur fruchtbar, sondern in besonderem Maße notwendig, sie berühren aber nicht die Unbeweisbarkeit des Kausalgesetzes, so wie diese Unbeweisbarkeit, bezogen auf den Satz des Widerspruchs, von Leibniz und Kant angenommen wurde. Die Apriorität der reinen Grundsätze, insbesondere des Kausalgesetzes, werden wir noch diskutieren müssen, wir halten hier lediglich fest, daß die Grundsätze von Kant gesehen werden als die Grundsätze möglicher Erfahrung, und daß sie nur als solche bewiesen werden können. Dieser Ansatz läßt sich gut von der modernen Axiomatik her verstehen. Ein Axiomensystem hat nur Sinn in bezug auf ein Satzsystem, und ein „Beweis" eines Axiomensystems ist nur in dem Sinne möglich, daß es als ein Axiomensystem des betreffenden Satzsystems nachgewiesen wird. In derselben Weise sind auch die Grundsätze von Kant aufgefaßt als die Grundsätze der möglichen Erfahrung, ganz konkret

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gesprochen, die Grundsätze sind aufgefaßt als die Axiome der klassischen Physik. Von den vier Tafeln, die Kant aufstellt, ist die zweite Tafel die Tafel der Kategorien. Auch hier wird von Kant wiederum der geschichtliche Zusammenhang aufgenommen; Kant sagt ausdrücklich, daß Aristoteles der erste war, der nach diesen Grundbegriffen gesucht hat: „Es war ein eines scharfsinnigen Mannes würdiger Anschlag des Aristoteles, diese Grundbegriffe aufzusuchen" (A 81, B 107). So ist dann auch die Frage nach der Zahl und nach der Anordnung der Kategorien eines der großen Themen der Philosophie gewesen. Die kantische Kategorientafel enthält 12 Kategorien (A 80, B 106): Tafel der Kategorien 1.

Der Quantität: Einheit Vielheit Allheit. 2.

Der Qualität: Realität Negation Limitation. 3.

Der Relation: I n h ä r e n z undSubsistenz (substantia et accidens) K a u s a l i t ä t undDependenz (Ursache und Wirkung) G e m e i n s c h a f t (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden).

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Kap. 3: Das Sein der Natur

4.

Der Modalität: M ö g l i c h k e i t — Unmöglichkeit D a s e i n — Nichtsein N o t w e n d i g k e i t — Zufälligkeit. Die alte Begründung der Kategorien — und an dieser alten Begründung hält Kant in gewisser Weise fest — geht davon aus, daß die Begriffe, die wir im allgemeinen antreffen, zusammengesetzt sind. Diese Zusammensetzung läßt sich auflösen, dann zerfällt der zusammengesetzte Begriff in seine Teilbegriffe, und jede Definition aus genus und differentia specifica ist eine solche Auflösung. So zerfällt der zusammengesetzte Begriff homo durch die Definition in die beiden Teilbegriffe animal und rationale. Ebenso ist der Begriff Schwerkraft zusammengesetzt, er enthält zum mindesten den Begriff der Kraft als Teilbegriff. Man kann nun fragen, ob eine solche Auflösung der zusammengesetzten Begriffe ins Endlose fortgesetzt werden kann, oder ob sie einen endlichen Abschluß hat. Leibniz antwortet mit Aristoteles, daß nur das letztere sein kann. Dann muß also eine solche Analyse der zusammengesetzten Begriffe nach endlich vielen Schritten auf unauflösbare Grundbegriffe stoßen, und diese sind dann die letzten Elemente, die sich mit den Kategorien decken müssen. Aus der Kombination dieser Elementarbegriffe können dann alle zusammengesetzten Begriffe gefunden werden, und der Aufbau dieser zusammengesetzten Begriffe wird ein rein kombinatorisches Problem. Nun stellt dieser in aller Kürze skizzierte Aufbau zwar den Standpunkt von Leibniz dar, er wirkt aber bei Kant noch fühlbar nach. Zunächst nennt Kant die Kategorien zwar im allgemeinen Stammbegriffe, Kant wendet aber auch die Bezeichnung Elementarbegriffe an (B 109), die vom leibnizschen Standpunkt aus anzuwenden wäre. Aber auch der Gedanke des Aufbaus des Systems der zusammengesetzten Begriffe durch die Kombination der Grundbegriffe bleibt bei Kant noch erhalten: „Die Kategorien mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch untereinander verbunden, geben eine große Menge abgeleiteter Begriffe a priori, die zu bemerken, und wo möglich, bis zur Vollständigkeit zu verzeichnen, eine nützliche und nicht unangenehme, hier aber entbehrliche Be-

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mühung sein würde" (A 82, B 108). Es mag doch zweifelhaft sein, ob dies System der abgeleiteten Begriffe so leicht hergestellt werden kann, daß ein solcher Aufbau als eine leichte und nicht unangenehme Beschäftigung bezeichnet werden kann, es muß aber auf jeden Fall bezweifelt werden, daß dieser Aufbau dadurch vollzogen werden kann, daß man die Kategorien untereinander oder mit den reinen modis der Sinnlichkeit verbindet. Nun ist es zwar richtig, daß man den hier skizzierten Aufbau im wesentlichen als einen leibnizschen Aufbau bezeichnen müßte und daß man ihn statisch nennen könnte. Es ist das Ziel Kants, sich von einer solchen statischen Auffassung zu lösen und zu einer konstruktiven Auffassung des Denkens zu kommen. Er sucht die Kategorien als die Grundhandlungen des reinen Denkens zu verstehen. Die Schwierigkeiten im Verhältnis von Grundbegriffen und abgeleiteten Begriffen werden durch eine solche konstruktive Auffassung aber nur noch vergrößert. Kant spricht davon, daß der Kategorie der Kausalität die Prädikabilien der Kraft, der Handlung und des Leidens unterzuordnen seien (A 82, B 108). Wenn nun auch der Begriff der Kausalität in einem gewissen Sinne als eine Handlung des reinen Denkens verstanden werden kann, wie soll ich aber die abgeleiteten Begriffe der Kraft usw. als Handlungen des Denkens verstehen können? Und wenn man das Verhältnis von Kategorien und Prädikabilien als ein Verhältnis von Grundbegriffen und zusammengesetzten Begriffen noch verstehen kann, wie soll man sich das entsprechende Verhältnis zwischen Grundhandlungen und abgeleiteten Handlungen vorstellen? Daß die hier liegenden Aufgaben unlösbar sind, hat ja das Opus postumum zur Genüge gezeigt. Die Grundschwierigkeit liegt darin, daß hier Zusammensetzungen vorliegen, die sich nach endlich vielen Schritten in nicht mehr zusammengesetzte Grundelemente auflösen sollen. Dieser Gedankengang, daß einem Zusammengesetzten einfache Grundelemente zugrunde liegen müssen, ist gewiß verführerisch, aber gerade Kant ist es ja gewesen, der beim Problem der atomaren Struktur der Materie den dialektischen Schein dieser Vorstellung aufgedeckt hat. Es ist gewiß merkwürdig, daß Kant beim Kategorienproblem demselben Schein in einer Weise verfällt, die nicht leicht zu begreifen ist. Dabei läßt Leibniz doch noch eine letzte Vorsicht gelten. Gewiß fordert Leibniz immer wieder ein solches System der nicht mehr Zusammengesetz-

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ten Grundbegriffe, aber er läßt es eben bei dieser Forderung bewenden, er hütet sich, dies System wirklich zu geben, jedenfalls es zu publizieren. Dagegen gibt Kant nicht nur das System der Grundbegriffe in der Tafel der zwölf Kategorien, er bezeichnet diese Tafel sogar mit besonderem Stolz als seine große Leistung. Es ist kummervoll zu sehen, wie Kant später in der Kritik der praktischen Vernunft, in der Kritik der Urteilskraft, in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften alle Probleme in dies Prokrustesbett der zwölf Kategorien hineinzwängt. Es ist wenig wahrscheinlich, daß diese starre Zwölfzahl aus den eigentlichen kantischen Voraussetzungen fließt, es gibt nur wenige Forscher, die hier einen wirklichen Zusammenhang annehmen, man kann es doch wohl als das gemeinsame Ergebnis der bisherigen Kantinterpretation, insbesondere der Kantinterpretation des deutschen Idealismus und des Neukantianismus ansehen, daß dieser starre Aufbau dynamisch und lebendig gemacht werden muß. Die dritte der Tafeln ist die im sogenannten Schematismuskapitel „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" gegebene Tafel der Schemata. Nun ist zwar das Schematismuskapitel wegen seiner Schwierigkeit und Dunkelheit schon immer verrufen gewesen, und Kant selbst sagt: „Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden" (A 141, B 180 f.). Die sachlichen Schwierigkeiten werden allerdings durch ein wohl unausrottbares wissenschaftliches Vorurteil noch erhöht. Es gilt als ein Zeichen besonderer Wissenschaftlichkeit, in jedem Problem unmittelbar die allgemeinste Lösung zu behandeln, um dann unter Umständen konkrete Fälle verschämterweise gewissermaßen als Beispiele noch nachträglich vorzuführen. Man darf aber nicht vergessen, daß dieses Vorurteil auf gewissen Anschauungen der griechischen Logik über das Verhältnis von allgemeinen und besonderen Begriffen ruht, und daß diese Voraussetzungen nicht unbezweifelbar sind. Die Mathematiker jedenfalls haben gesehen, daß es richtig ist, und daß es nicht einmal möglich ist, mit dem allgemeinen Begriff der Zahl zu beginnen. Man muß vielmehr eine sehr spezielle Klasse von Zahlen, nämlich die natürlichen Zahlen zuerst behandeln, und erst von den natürlichen Zahlen kann man zu allgemeineren Zahl-

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begriffen, wie etwa zu rationalen Zahlen, reellen Zahlen, komplexen Zahlen aufsteigen. Auch im Schematismuskapitel hat Kant den Gedankengang dadurch erschwert, daß er zunächst den allgemeinen Begriff des Schemas gibt, um dann unter den konkreten Schemata auch das Schema der Substanz zu entwickeln. In Wirklichkeit aber geht das Schematismus-Problem, wenn wir recht sehen, vom Schema der Substanz aus. Wir lösen uns daher vom kantischen Aufbau, behandeln zunächst das Schema der Substanz und steigen dann zum allgemeinen Problem auf. Die Kategorie der Substanz ist an raumzeitlichen Dingen gewonnen worden. Substanzen, das sind nach der Bestimmung des Aristoteles die Menschen, die Tiere, die Pflanzen, die Elemente14. Wenn ich also die Frage nach dem Sein Gottes zunächst einmal außer Betracht lasse, dann existieren alle diese Substanzen irgendwann in der Zeit und irgendwo im Raum. An diesen Substanzen lassen sich dann weiterhin die Akzidenzen unterscheiden, und von hier aus ist die Substanz das beharrlich Bleibende gegenüber den wechselnden Akzidenzen. So ist dann Achill eine Substanz und der Zorn ein Akzidens, und im Gegensatz zu dem aufkommenden und verrauchenden Zorn ist Achill der beständig Bleibende. Dies führt in der Formalisierung zum Grundsatz der Beharrlichkeit: Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz. In dieser ersten Hinsicht haben also Substanz und Akzidens einen zeitlichen Modus. Man kann aber diesen zeitlichen Modus noch ablösen und erhält dann die reine Relation zwischen Substanz und Akzidens, die nur aussagt, daß die Substanz der Träger der Akzidenzen ist, und daß die Akzidenzen der Substanz als deren Bestimmungen zukommen. Diese reine Relation ist von seiten der Substanz ein subsistere, von seiten der Akzidenzen ein inesse, und von hier aus bestimmt dann Thomas im Einklang mit Aristoteles: esse accidentis est inesse15. Diese reine Relation zwischen Substanz und Akzidens kann noch in einer doppelten Weise gesehen werden. Man kann sie rein seinsmäßig betrachten, dann ist die Substanz das Substrat und das Akzidens die Modifikation. Man kann aber das Verhältnis auch in seiner logischen Formung betrachten. Dann entspricht dem Verhältnis von Substanz und Akzidens das Verhältnis von Subjekt und Prädikat. Subjekt und Prädikat des Satzes: Achill ist zornig, legen Substanz und Akzidens auseinander. In der ontologischen Betrachtung erscheint also die Substanz als Substrat, in der logischen Betrachtung erscheint sie als

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Subjekt. Da nun Akzidenzen zunächst wieder in anderen Akzidenzen fundiert sein können, beziehungsweise von anderen Akzidenzen ausgesagt werden können, so muß die Substanz als das letzte Substrat beziehungsweise als das letzte Subjekt bestimmt werden. Die Substanz erscheint also in zwei Bestimmungen, sie erscheint einmal als das Beharrliche, und sie erscheint das anderemal als das letzte Substrat beziehungsweise als das letzte Subjekt, und das Verhältnis dieser beiden Bestimmungen macht das Problem des Schematismus aus. Die die Substanz charakterisierende Bestimmung der Beharrlichkeit ist das Schema der Substanz: „Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andere wechselt. (Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, korrespondiert in der Erscheinung das Unwandelbare im Dasein, d. i. die Substanz, und bloß an ihr kann die Folge und das Zugleichsein der Erscheinungen der Zeit nach bestimmt werden)" (A 143, B 183). Neben dieser zeitlichen Bestimmung der Substanz, die bei Kant als das Schema der Substanz auftritt, existiert aber auch die reine Subjektfunktion: „In der Tat bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings, auch nach Absonderung aller sinnlichen Bedingung, eine, aber nur logische Bedeutung der bloßen Einheit der Vorstellungen... So würde z. B. Substanz, wenn man die sinnliche Bestimmung der Beharrlichkeit wegließe, nichts weiter als ein Etwas bedeuten, das als Subjekt (ohne ein Prädikat von etwas anderem zu sein) gedacht werden kann" (A 147, B 186). Hier erscheint also die Substanz als Subjekt, ohne ein Prädikat von etwas anderem zu sein. Als dieses reine Subjekt ist die Substanz die reine Kategorie. Hier zeigt sich an einem überaus anschaulichen Beispiel, in welchem Sinne Kant sagen kann, daß der Kritik der reinen Vernunft nicht ein analytisches, sondern ein synthetisches Verfahren zugrunde liegt18. In einem analytischen Verfahren wird davon ausgegangen, daß die im ersten Ansatz bestimmten Substanzen zeitlich und räumlich bestimmte Dinge sind. Demgemäß erscheint dann als die erste Bestimmung der Substanz die Beharrlichkeit gegenüber den wechselnden Bestimmungen. Die Analyse kann aber diese Bestimmung noch abheben und zu der weiteren Bestimmung der Substanz als des letzten Substra-

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tes, beziehungsweise des letzten Subjektes vordringen. Im synthetischen Verfahren der Kritik der reinen Vernunft geht Kant den umgekehrten Weg. Zunächst wird die reine Kategorie entwickelt, dann im Schematismuskapitel die Bestimmung der Beharrlichkeit hinzugebracht. Es zeigt sich mm, daß diese zeitliche Bestimmung der Beharrlichkeit eine notwendige Bestimmung der Substanz ist. Sofern wir den Begriff der Substanz überhaupt anwenden wollen, müssen wir auf Beharrlichkeit zurückgreifen. Ohne diese zeitliche Bestimmung bleibt der reine Verstandesbegriff der Substanz ohne Gegenstand und ohne Bedeutung. Umgekehrt bedeutet aber dieser zeitliche Modus der Substanz als eines Beharrlichen die Beschränkung des Substanzbegriffes auf zeitlich Bestimmtes. Da der Substanzbegriff für uns nur in der zeitlichen Modifikation irgendeine Bedeutung hat, so können wir diesen Begriff auch nur auf zeitlich Bestimmbares anwenden: „Es fällt aber doch auch in die Augen: daß, obgleich die Schemate der Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren, sie doch selbige gleichwohl auch restringieren, d. i. auf Bedingungen einschränken, die außer dem Verstande liegen (nämlich in der Sinnlichkeit)... Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert" (A 146 f., B 185 ff.). Dieser Zusammenhang zwischen Kategorie und Schema wird bei der Substanz am deutlichsten, er läßt sich dann auch bei den anderen Kategorien und den entsprechenden Schemata aufzeigen und gilt dann allgemein vom Verhältnis zwischen Kategorie und Schema. Die Kategorien treten also, wenn man das analytische Verfahren durchführt, zunächst in einer zeitlichen Modifikation auf, von dieser zeitlichen Modifikation kann aber noch abstrahiert werden, so daß man den reinen Verstandesbegriff erhält. Umgekehrt entwickelt Kant im synthetischen Verfahren zunächst den reinen Verstandesbegriff und fügt dann im Schematismuskapitel die zeitliche Modifikation hinzu, und erst auf Grund dieser zeitlichen Modifikation können die reinen Grundsätze gegeben werden. Dabei möchte man doch wohl glauben, daß dieses Auseinanderlegen in der Analyse und das Hinzufügen in der Synthese kein Hantieren mit Teilen ist, daß es sich vielmehr nur um das Aufzeigen von zusammenhängenden Sachverhalten handelt. Es gibt doch wohl auch für Kant nicht erst die reine Kategorie, zu der dann im Schema etwas hinzukommt, sondern die

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zeitliche Bestimmtheit der Kategorien ist für uns ein ursprünglicher und untrennbarer Sachverhalt, der nur auseinandergelegt wird. Heidegger ist es gewesen, der eindringlich darauf hingewiesen hat, welche Bedeutung an dieser zentralen Stelle das Zeitproblem erlangt17, wir müssen es uns versagen, diesem Gesichtspunkt weiter nachzugehen. Das für uns entscheidende Ergebnis ist dies, daß die Kategorien nur dann eine Bedeutung haben, wenn sie in einer zeitlichen Modifikation auftreten, daß diese zeitliche Modifikation der Kategorien im Schema aber zugleich die Anwendung der Kategorien auf zeitlich Bestimmbares einschränkt. Die Reihe der vier großen Tafeln beginnt mit der Tafel der Urteile, mit der die sachlichen Erörterungen der transzendentalen Analytik einsetzen. Die Urteile als Funktionen des Denkens können in folgender Tafel vorgestellt werden (A 70, B 95):

1. Quantität der Urteile Allgemeine Besondere Einzelne 2. Qualität Bejahende Verneinende Unendliche 3. Relation Kategorische Hypothetische Disjunktive 4. Modalität Problematische Assertorische Apodiktische

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Aus der Zwölfzahl dieser Urteile geht dann die Zwölfzahl der Kategorien hervor, die Endgültigkeit und die Vollständigkeit der Kategorientafel hängt also von der Endgültigkeit und der Vollständigkeit dieser Urteilstafel ab, und die Urteilstafel wird deshalb schon in der Überschrift als der transzendentale Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe bezeichnet (A 67, B 92). Daß Kant den hiermit erhobenen großen methodischen Ansprüchen gerecht geworden sei, wird man schwerlich behaupten können, und auch die mit umfassenden Mitteln unternommene Arbeit von Klaus Reich18 scheint eine allgemein überzeugende Lösung nicht gebracht zu haben. Die Bedenken richten sich gegen zwei Punkte, ob Kant selbst die Vollständigkeit bewiesen habe, und ob auf dem hier eingeschlagenen Wege ein Vollständigkeitsbeweis überhaupt möglich ist. Dies hat mit Klarheit schon Hegel ausgesprochen. Hegel sagt von der Kategorientafel, und seine Feststellung muß auch für die fundierende Urteilstafel gelten: „In der sonst gewöhnlichen Abhandlung der Logik kommen mancherlei Eintheilungen und Arten von Begriffen vor. Es fällt sogleich die Inkonsequenz daran in die Augen, daß die Arten so eingeführt werden: Es giebt der Quantität, Qualität u.s.f nach folgende Begriffe. Es giebt, drückt keine andere Berechtigung aus, als die, daß man solche Arten vorfindet und sie sich nach der Erfahrung zeigen. Man erhält auf diese Weise eine empirische Logik, — eine sonderbare Wissenschaft, eine irrationelle Erkenntniß des Rationellen"19. Daß diese Feststellung von Hegel richtig ist, kann man nicht gut bestreiten, und Kant selbst führt die Urteilstafel mit den lakonischen Worten ein: „so finden wir". Kant selbst jedenfalls hat einen Beweis der Vollständigkeit nicht gegeben, und von einem Vollständigkeitsbeweis wird es immer fraglich bleiben, ob er wirklich im Sinne Kants ist. Aber es muß sogar gefragt werden, ob auf dem von Kant eingeschlagenen Weg ein Vollständigkeitsbeweis überhaupt möglich ist. Kants Gedankengang geht doch dahin, die erste Tafel, die Urteilstafel, mit rein logischen Mitteln aufzubauen, und es liegt dann doch wohl die Vorstellung zugrunde, daß die formale Logik im Unterschied zur Mathematik und zur Metaphysik der Natur eine analytische Wissenschaft ist. Nun ist aber die Kategorientafel wesentlich ein Problem einer unzweifelhaft synthetischen Wissenschaft, es müssen doch also wohl wesentlich Momente hinzutreten, die eben den Synthesis-Charakter

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dieser Wissenschaft ausmachen. Wenn die formale Logik eine rein analytische Wissenschaft darstellen soll, dann sieht man nicht ein, wie der wesentliche Inhalt der transzendentalen Analytik aus dieser rein formalen Logik sollte fließen können. Es wären zwei Möglichkeiten denkbar. Entweder ist die formale Logik keine rein analytische Wissenschaft, oder die Urteilstafel fließt gar nicht aus der rein formalen Logik, sondern aus einer anderen Logik, etwa aus einer transzendentalen Logik. Klaus Reich hat eine Reihe wichtiger Gesichtspunkte zu diesem schwierigen Thema beigetragen, eine endgültige Lösung scheint mir aber nicht erreicht zu sein. Die zweite Lösung, die Urteilstafel nicht aus der formalen Logik, sondern etwa aus einer transzendentalen Logik zu entnehmen, scheint Kant selbst zu erwägen, wenn er etwa sagt: „Ebenso müssen in einer transzendentalen Logik unendliche Urteile von bejahenden noch unterschieden werden, wenn sie gleich in der allgemeinen Logik jenen mit Recht beigezählt sind und kein besonderes Glied der Einteilung ausmachen" (A 71 f., B 97). Aber die Annahme einer solchen transzendentalen Logik stößt doch auf große Schwierigkeiten. Der Titel der transzendentalen Logik ist ja bereits vergeben. Die transzendentale Logik ist der transzendentalen Ästhetik entgegengesetzt und umfaßt die Analytik und die Dialektik. Aber auch von dieser Schwierigkeit abgesehen, findet sich eben bei Kant keine fundierte Handhabe für die Annahme einer solchen besonderen transzendentalen Logik. Ebenso schwierig ist die andere Annahme, daß die formale Logik keine rein analytische Wissenschaft sei. Wenn wir auf den Zusammenhang mit Leibniz zurückgehen, so sind für Leibniz sowohl die Logik wie die Mathematik analytische Wissenschaften im Sinne des kantischen analytischen Urteils, und zwar deshalb, weil alle wahren Sätze der beiden Disziplinen allein aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden können. Wir haben gesehen, daß Kant diese wissenschaftstheoretische Bestimmung der Mathematik nicht für richtig hält, daß er vielmehr die Sätze der Mathematik als synthetische Urteile bestimmt. Gerade von hier aus gesehen wird man wohl sagen dürfen, daß Kant am analytischen Charakter der formalen Logik in diesem Sinne festhält, und dies stimmt mit allem zusammen, was Kant über diesen Punkt sagt. Dies ist auch das Bedenken, das Cohen geltend gemacht hat, und es scheint nicht, als ob Klaus Reich diese von Cohen geltend ge-

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machten Bedenken habe aus dem Wege räumen können. Cohen sagt nämlich: „Die Formen des Denkens können nicht wohl schlechthin aus den Arten des Urteils, die die formale oder allgemeine Logik abteilt, entnommen werden: denn in diesen Urteilsarten figurieren bloße Denkgebilde, die Urteile sind analytisch. Wir suchen dagegen die Formen des Denkens als solche des synthetischen Urteils. Die Einheit des Bewußtseins, deren Mittel das Denken zu sein hat, ist eine synthetische Einheit des Bewußtseins. Mithin können die Formen dieses synthetischen Denkens nicht aus den Arten des analytischen Denkens entnommen werden"20. Daß vielmehr das System der vier Tafeln primär gar nicht aus der formalen Logik gewonnen worden ist, hat Cohen klar erkannt und ebenso klar ausgesprochen: „Newtons Prinzipien aber hat Kant zu seinen synthetischen Grundsätzen ausgearbeitet"21. Wenn auch die genaue und subtile Begründung dieser Einsicht, wie sie aus einer genauen Untersuchung des kantischen Denkens zwischen 1750 und 1780 zu leisten wäre, noch aussteht, so hoffe ich doch, in den vorliegenden Erörterungen den Standpunkt von Cohen vom systematischen Gesichtspunkt her weiterhin glaubhaft gemacht zu haben. Für die Interpretation, wie sie hier versucht wird, ist das uns vorliegende Problem der Ableitung der Kategorientafel aus der Urteilstafel ein Problem zweiten Ranges. Für die ontologischen Gesichtspunkte, auf die wir zielen, kommt es auf die Zahl und die Art der Kategorien im einzelnen gar nicht an; der ontologische Standpunkt des transzendentalen Idealismus hängt nicht davon ab, ob es zwölf oder vierundzwanzig Kategorien gibt. Darüber hinaus hat die Entwicklung der modernen Logik gezeigt, daß der von Kant zugrunde gelegte Unterschied zwischen Mathematik und Logik nicht besteht. Diese Entwicklung bedeutet keinesfalls eine Widerlegung Kants, wir haben ja Ergebnisse der modernen Logik zur Interpretation weitgehend 'herangezogen, die Entwicklung hat vielmehr unseres Erachtens gezeigt, daß Kant noch nicht weit genug gegangen ist. Wenn Kant den synthetischen Charakter der Mathematik erkannt hat, am analytischen Charakter der Logik aber festgehalten hat, so möchte ich heute im Sinne Kants sagen, daß auch die Logik eine synthetische Wissenschaft ist. Damit würde der Gesichtspunkt von

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Cohen, die vier Tafeln als eine innere Einheit zu betrachten, seine Bestätigung gefunden haben. Wir haben das System dieser vier Tafeln, der Tafel der Urteile, der Tafel der Kategorien, der Tafel der Schemata und der Tafel der Grundsätze kurz betrachtet. Inwiefern werden nun durch das System dieser vier Tafeln die Grundgesetze der Natur, inwiefern wird durch dieses System insbesondere das Kausalgesetz bewiesen? Der Beweis, wie Kant ihn führt, hängt im wesentlichen an der Vollständigkeit dieser Tafeln. Die Natur, wie sie von Kant analysiert wird, meint ja nicht die Dinge selbst, sondern sie meint die Gesetzlichkeit als solche, sie meint also die Natur, so wie sie in der hier in erster Linie auftretenden theoretischen Physik dargestellt wird, so wie sie in der theoretischen Physik erkannt wird. Auf der anderen Seite umfassen die vier Tafeln den gesamten Bereich unserer Erkenntnismittel. Daraus folgt ohne weiteres, daß alle Erkenntnisse über die Natur mit den in diesen vier Tafeln vollständig niedergelegten Erkenntnismitteln formuliert werden müssen. Da nun die Gesamtheit dieser Erkenntnismittel für die Erkenntnis zeitlicher Abläufe nur eine einzige Möglichkeit enthält, nämlich das Kausalgesetz, so folgt insbesondere, daß alle gesetzmäßigen zeitlichen Abläufe im Kausalgesetz ihre Darstellung finden müssen. Dies bedeutet also die apriorische Gültigkeit des Kausalgesetzes für die Darstellung aller zeitlichen Abläufe. Die gleiche Erwägung gilt dann allgemein für die Gesamtheit der Grundsätze. Da wir über keine anderen Erkenntnismittel verfügen, so muß die Grundgesetzlichkeit der Natur in diesen Grundsätzen auftreten, diese Grundsätze sind also a priori gültig. Vielleicht noch durchsichtiger wird das Problem, wenn man den eigentlichen kantischen Gedankengang in einer gewissen Weise abschwächt und ihn als ein reines Problem der Darstellung auffaßt. Dann enthält das System der vier Tafeln die Gesamtheit der möglichen Darstellungen, und es ist dann sicher, daß jede Darstellung der Natur aus der Gesamtheit der möglichen Darstellungen hervorgehen muß. Dieser Schluß ist gewiß stringent. Wenn sich die Gesamtheit aller Erkenntnismittel oder die Gesamtheit aller Darstellungsmittel beschreiben läßt, dann läßt sich eine Aussage über jede faktische Erkenntnis und über jede faktische Darstellung machen. Aber man sieht zugleich, welche Beweislast Kant sich hier aufgeladen hat. Wir haben gesehen,

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daß sowohl Aristoteles wie Leibniz dieses System der Grundbegriffe vor Augen gehabt haben. Beide aber haben die Behauptung, ein vollständiges System der Grundbegriffe geben zu können, sorgfältig vermieden. Kant dagegen sagt immer wieder, die Vernunft könne sich vollständig erkennen. In dieser Aussage, mag sie auch auf die Selbsterkenntnis der Vernunft beschränkt bleiben, steckt der Optimismus der Aufklärung, der schwerlich zu rechtfertigen sein wird. Weshalb soll die Vernunft sich selbst vollständig erkennen können? So hat denn auch die Entwicklung den kantischen Gedanken des Apriori in dieser schroffen Formulierung nicht bestätigt. Die kantische Formulierung enthält ja die These, daß das Kausalgesetz das einzig mögliche Gesetz des zeitlichen Ablaufs ist, und sie enthält, auf die Gesamtheit der Grundsätze gesehen, die Behauptung, daß die newtonsche Physik in ihrer Grundgesetzlichkeit gesehen, die einzig mögliche Physik ist. Wenn auch die Frage der Gültigkeit des Kausalgesetzes noch nicht als endgültig geklärt betrachtet werden kann, so enthält doch der kantische Gedanke, aus der Gesamtheit aller möglichen Gesetze eine Aussage a priori über jedes faktische Gesetz, und aus der Gesamtheit aller möglichen Darstellungen eine Aussage a priori über jede mögliche Darstellung zu gewinnen, den entscheidenden Ansatz. Die systematische Arbeit wird gerade diesen Ansatz weiter verfolgen müssen. Aus der Tatsache, daß Kant dem Begriff des Apriori zu viel zugemutet hat, folgt ja nicht, daß der Begriff des Apriori gar nichts bedeutet. Schon die Marburger haben gesehen, daß in der Neufassung des Verhältnisses von a priori und a posteriori die eigentliche systematische Aufgabe liegt. Einen wichtigen Beitrag zu einer solchen Fragestellung stellen die Erkenntnisse von Hugo Dingler22 und C. F. von Weizsäcker23 dar, die auf eine Apriorität der newtonschen Physik gegenüber der Quantenphysik geführt haben. Dingler hat wohl als erster gesehen, daß jede quantenphysikalische Aussage über eine klassische Aussage hin gewonnen werden muß. Wenn sich dies allgemein erweisen ließe, dann wäre allerdings die klassische Physik ein Apriori der Quantenphysik. Die Apriorität wäre dann vielleicht in der Richtung zu suchen, daß die aristotelische Logik alle anderen Logiken fundiert, daß der euklidische Raum alle anderen Räume fundiert, und daß die klassische Physik alle anderen Physiken fundiert.

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Kant dagegen behauptet, vermutlich über das Beweisbare weit hinausgehend, daß die newtonsche Physik in ihrer Grundgesetzlichkeit die einzig mögliche Physik ist, und daraus folgt dann allerdings ohne weiteres die Apriorität dieser Grundgesetzlichkeit, so wie sie in den Kategorien und Grundsätzen formuliert ist.

$ 13 Der Relationscharakter der newtonschen Natur Daß der Raum ein Relationsgefüge ist, daß die Mathematik nur von Relationen handelt, dies hatte sich uns im ersten Kapitel als ein fundamentaler Sachverhalt erwiesen. Von derselben Bedeutung ist der Relationscharakter der Natur. Der Relationscharakter der Natur, also der Relationscharakter der theoretischen Physik, ist eine unmittelbare Folge des Relationscharakters der Mathematik. Die Aussagen der theoretischen Physik können in mathematischer Form dargestellt werden, und damit überträgt sich der Relationscharakter der Mathematik auch auf die Physik. Für Kant ist die Einsicht in den Relationscharakter der Natur von großer Bedeutung, obwohl es Kant nicht gelungen ist, dieses Problem in den systematischen Gedankengang der transzendentalen Analytik völlig einzuschmelzen. Es hat seine Stelle im Anhang gefunden, unter dem Titel: Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe (A 260, B 316). Dort findet das Problem seine Darstellung, teils in diesem Anhang selbst, teils in der diesem Anhang wieder angehängten Auseinandersetzung mit Leibniz. Der Relationscharakter der Natur durchdringt alle zur reinen Natur gehörenden Bestimmungen, selbst den Begriff der Substanz: „Das Innere und Äußere. An einem Gegenstande des reinen Verstandes ist nur dasjenige innerlich, welches gar keine Beziehung (dem Dasein nach) auf irgend etwas von ihm Verschiedenes hat. Dagegen sind die inneren Bestimmungen einer substantia phaenomenon im Räume nichts als Verhältnisse, und sie selbst ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen" (A 265, B 321). Was hier von der Substanz in der Natur gesagt wird, gilt von der Natur im ganzen; auch die Natur selbst ist ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen. Diese Anschauung liegt in der Tat der neuen

§13: Der Relationscharakter der newtonsdien Natur

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Naturwissenschaft zugrunde, bedeutet aber einen tiefen Bruch mit der griechischen Anschauung. Die neue Naturwissenschaft handelt von Relationen; die griechische Naturwissenschaft handelt von dem Wesen und den wesentlichen Eigenschaften des Lebendigen. In diesem Sinne fragt die griechische Naturwissenschaft nach dem Wesen und den wesentlichen Eigenschaften der Tiere und der Pflanzen, nach dem Wesen und den wesentlichen Eigenschaften der Elemente. Nur von hier aus kann eine Deduktion etwa der Elemente versucht werden, wie sie von Plato ebenso wie von Aristoteles, zwar mit demselben Ziel, wenn auch auf verschiedene Weise versucht wird. Daß die griechische Naturwissenschaft dieses Ziel der Erkenntnis des Wesens und der wesentlichen Eigenschaften faktisch nicht erreicht hat, ist schon früh in der Scholastik gesehen worden. Es ist dabei aber auch schon sehr bald, so etwa von Duns Scotus, gesehen worden, daß eine solche Aufgabenbestimmung der Naturwissenschaft ihre prinzipiellen Schwierigkeiten hat. Erkennt der Physiker wirklich das Wesen des Wassers, erkennt er das Wesen des Wassers auch nur in irgendeiner Annäherung? Nicht einmal die Ergebnisse der griechischen Physik sprechen dafür. Die neue Wissenschaft jedenfalls verzichtet bewußt auf die Erkenntnis des Wesens ebensosehr wie auf die Erkenntnis der wesentlichen Eigenschaften, sie ist bewußt eine Wissenschaft lediglich von den Beziehungen. Kant spricht diesen Standpunkt der neuen Naturwissenschaft mit besonderer Klarheit aus. Er greift zunächst noch einmal auf das konkrete Problem der räumlichen Substanz zurück: „Denn da zeigt sich, daß eine beharrliche Erscheinung im Räume (undurchdringliche Ausdehnung) lauter Verhältnisse, und gar nichts schlechthin Innerliches enthalten, und dennoch das erste Substratum aller äußeren Wahrnehmung sein könne" (A 284, B 340). Dieser Verzicht auf die Wesenserkenntnis und die Beschränkung auf die Beziehungen macht das eigentümliche Pathos der modernen Naturwissenschaft aus und hat auch bei Kant einen überzeugenden Ausdruck gefunden: „Wenn die Klagen: Wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, so viel bedeuten sollen, als, wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen; so sind sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge erkennen, mithin anschauen könne, folglich daß wir ein von dem menschlichen nicht bloß dem Grade, sondern sogar der Anschauung und Art nach, gänzlich unter-

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schiedenes Erkenntnisvermögen haben, also nicht Menschen, sondern "Wesen sein sollen, von denen wir selbst nicht angeben können, ob sie einmal möglich, viel weniger, wie sie beschaffen sind. Ins Innere der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und man kann nicht wissen, wie weit dieses mit der Zeit gehen werde" (A 277 f., B 333 f.). Der moderne Naturwissenschaftler empfindet die Beschränkung auf die Beziehungen nicht als Einschränkung, und Kant dürfte daher auf die Klage Hallers1: Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist, Zu glücklich, wem sie noch die äußere Schale weist, durchaus im Sinne des allgemeinen Bewußtseins der Naturwissenschaft geantwortet haben. Dagegen scheint doch die Weiterführung des Themas durch Goethe2: Natur hat weder Kern noch Schale, Alles ist sie mit einemmale in einen weiteren Bereich hinüberzuführen. Nun ist diese These vom Relationscharakter der Natur zwar ebenso wie die gleiche These vom Relationscharakter des Raumes in gewissem Sinne ein rein kategorialanalytisches Ergebnis, sie hängt aber gleichwohl mit der ontologischen Bestimmung auf das engste zusammen, und der Relationscharakter der Natur dürfte für Kant einen der tiefsten Gründe für den Erscheinungscharakter der Natur darstellen. Es würde sich auf diese Weise bei der Natur derselbe Zusammenhang ergeben wie beim Raum. Die Gegenstände der Naturwissenschaft bestehen nicht nur aus lauter Verhältnissen, so merkwürdig das auch klingen mag, sie müssen sogar bloß aus Verhältnissen bestehen, weil sie bloße Erscheinungen sind: „Freilich macht es stutzig, zu hören, daß ein Ding ganz und gar aus Verhältnissen bestehen solle, aber ein solches Ding ist auch bloße Erscheinung..." (A 285, B 341). So zieht denn auch umgekehrt der Relationscharakter der Natur den Erscheinungscharakter der Natur nach sich. 5 14 Die transzendentale Idealität der newtonschen Natur Auf die in gewissem Sinne noch kategorialanalytischen Thesen von der Apriorität der Natur und vom Relationscharakter der Natur folgt die ontologische These vom Erscheinungscharakter der Natur. Diese

§ 14: Die transzendentale Idealität der newtonsdien Natur

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These vom Erscheinungscharakter der Natur macht den Inhalt der transzendentalen Deduktion aus; sie wird von Kant in so vielen Formen und an so vielen Stellen formuliert, daß wir uns mit einigen Hinweisen begnügen können: „Bedenkt man aber, daß diese Natur an sich nichts als ein Inbegriff von Erscheinungen, mithin kein Ding an sich..." ist (A 114). Die einprägsamsten und deshalb auch geschichtlich wirksamsten sind diejenigen Formulierungen gewesen, in denen Kant davon spricht, daß der Verstand der Natur die Gesetze vorschreibt: „Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt" (A 125). Etwas anders formuliert: „So übertrieben, so widersinnig es also auch lautet, zu sagen: der Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur, und mithin der formalen Einheit der Natur, so richtig, und dem Gegenstand, nämlich der Erfahrung angemessen ist gleichwohl eine solche Behauptung" (A 127). Diese Formulierungen stammen aus der ersten Auflage. Die transzendentale Deduktion ist zwar in der zweiten Auflage geändert, und diese Änderung der transzendentalen Deduktion ist der wesentliche Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Unsere fundamentale ontologische These ist hingegen nicht geändert, sondern nur noch klarer herausgearbeitet worden: „Kategorien sind Begriffe", so sagt Kant in der zweiten Auflage, „welche den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriffe aller Erscheinungen (natura materialiter spectata), Gesetze a priori vorschreiben" (B 163). Die große Bedeutung dieser These wird besonders deutlich beim Vergleich mit der 1770 geschriebenen Dissertation: „De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis". Wir sahen bereits, daß Kant 1770 in bezug auf Raum und Zeit durchaus auf dem Standpunkt der Kritik der reinen Vernunft steht, daß er die Phänomenalität und damit die transzendentale Idealität von Raum und Zeit lehrt. Wir sahen, wie hier der Standpunkt von Leibniz weitergeführt ist. Auch in bezug auf die Probleme der Welt wird man sagen können, daß Kant den Standpunkt der Kritik in der Dissertation schon weitgehend erreicht hat. Gesehen ist 1770 das Atinomienproblem, und gesehen sind auch die ontologischen Konsequenzen des Antinomienproblems. Dagegen

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Kap. 3: Das Sein der Natur

vertritt Kant in bezug auf die Kategorien 1770 den der Kritik der reinen Vernunft durchaus entgegengesetzten Standpunkt: „sensitive cogitata esse rerum repraesentationes, uti apparent, intellectualia autem, sicuti sunt"1. Zu den reinen Verstandesbegriffen redinen insbesondere der Kausalbegriff und der Substanzbegriff; der Kausalbegriff und der Substanzbegriff stellen also die Dinge dar, wie sie an sich selbst sind. Mit diesem Standpunkt wird in der Kritik grundsätzlich gebrochen, der Kausalbegriff und der Substanzbegriff stellen die Dinge nicht dar, wie sie an sich sind, sondern auch sie stellen die Dinge nur dar, wie sie uns erscheinen. Zur Interpretation dieser ontologischen Grundthese, daß die Natur nur Erscheinung ist, wollen wir zunächst ein Verständnis von heutigen Vorstellungen her versuchen, wir wollen dann der kantischen Begründung kurz nachgehen, um zuletzt die Bedeutung durch den Vergleich mit anderen möglichen Thesen sichtbar zu machen. Die kantische These vom Erscheinungscharakter der Natur scheint uns verständlich zu werden von der modernen wissenschaftstheoretischen These vom Modellcharakter der Natur aus, genauer gesagt, der naturwissenschaftlichen Vorstellungen. Diese These vom Modellcharakter aller naturwissenschaftlichen, insbesondere aller physikalischen Begriffe, hat mit gutem Recht eine große Bedeutung erlangt. Als die Phänomene der Elektrizität und des Magnetismus experimentell erforscht wurden, trat die Frage nach einer theoretischen Erfassung auf. Dabei lag verständlicherweise die Frage nahe, ob die elektrischen Phänomene sich als ein reines mechanisches Geschehen darstellen lassen. Auch als Maxwell eine selbständige theoretische Darstellung der Phänomene gefunden hatte, hörte diese Frage nicht auf, sie erhielt vielmehr jetzt die Form, ob es möglich sei, die Maxwellschen Gleichungen auf die Mechanik zu reduzieren. Eine solche Darstellung der elektrischen Phänomene mit den reinen Mitteln der Mechanik wäre ein mechanisches Modell gewesen, und es ist von großer Bedeutung, daß ein solches Modell nicht gefunden werden konnte. Eine noch größere Bedeutung erlangte der Modellbegriff im Gebiet der Quantenphysik, als Niels Bohr das sogenannte Bohrsche Atommodell schuf. Das Bohrsche Atommodell betrachtet das Atom als ein mechanisches Zentralsystem, es versteht also das Atom vom Bild der Sonnensysteme her. Dieses Bohrsche Atommodell macht aber auch zugleich die große Be-

§ 14: Die transzendentale Idealität der newtonsdien Natur

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deutung des ModellbegrifFes klar. Wir wissen sicher, daß das Atom kein reines mechanisches System sein kann, wir wissen sicher, daß dies Bild eines Sonnensystems eine inadäquate Darstellung des Atoms ist. Gleichwohl stellt diese inadäquate und unzutreffende Vorstellung das Atom in einer fruchtbaren Weise dar, sie vermittelt eine Fülle von echten Erkenntnissen über das Atom. Besonders von hier aus hat sich die Modellvorstellung allgemein durchgesetzt. Die Naturwissenschaftler haben sich davon überzeugt, daß die naturwissenschaftlichen Vorstellungen die Dinge weder adäquat treffen, noch daß sie sie adäquat treffen können. Alle unsere naturwissenschaftlichen Vorstellungen sind nur Modelle, sie sind nur Darstellungen der Naturvorgänge, und es ist notwendig, daß die Naturvorgänge genau so sind, wie die Modelle dies darstellen2. Wir glauben nun, daß man sich der kantischen These vom Erscheinungscharakter der Natur vom Begriff des Modells her nähern kann. Wir haben dargelegt, daß Kant unter Natur eine newtonsche Natur versteht. Was ist die Natur, insofern sie eine newtonsche Natur ist, insofern sie also nur Massen enthält, die sich nach den newtonschen Gesetzen in strenger Determiniertheit bewegen? Die kantische Antwort, wenn wir sie richtig verstehen, lautet eben: die newtonsche Natur ist nur ein Modell. Daraus, daß wir mit den Begriffen der reinen Mechanik die Naturvorgänge zutreffend darstellen können, folgt nicht, daß diese Vorgänge an sich selbst rein mechanische Vorgänge sind, ebensowenig wie aus der unter vielen Gesichtspunkten zutreffenden Darstellung des Atoms durch das Bohrsche Atommodell folgt, daß das Atom selbst ein System von der Art des Sonnensystems ist. Die Natur also, dies will Kant sagen, erscheint uns als ein rein mechanisches System, wir stellen sie uns als ein rein mechanisches System vor, aber daraus folgt nicht, es braucht wenigstens nicht zu folgen, daß die Natur selbst, jetzt als an sich genommen, wirklich ein mechanisches System ist. Der kantische Beweis vom Erscheinungscharakter der Natur hängt am Erscheinungscharakter von Raum und Zeit und am Erscheinungscharakter der Welt. Das heißt also, die Begründung des transzendentalen Idealismus erfolgt in der transzendentalen Ästhetik und in der transzendentalen Dialektik, während die ontologische Bestimmung der Natur auf die in der Ästhetik und Dialektik erreichten Ergebnisse zurückgreift. Dies ist auch der Grund, weshalb wir, der persönlichen Ent-

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Kap. 3: Das Sein der Natur

wicklung Kants folgend, die Dialektik vor der transzendentalen Analytik diskutiert haben. Der kantische Beweis besteht darin, daß alle Begriffe der reinen Naturwissenschaft räumliche und zeitliche Komponenten enthalten, daß also die newtonsche Natur ein raumzeitliches System ist, und daß also wegen des Erscheinungscharakters von Raum und Zeit auch die Natur im ganzen Erscheinungscharakter trägt. Dieser Nachweis, daß in allen reinen Grundsätzen zeitliche Momente enthalten sind, wird eigentlich an zwei Stellen geführt, das eine Mal im Schematismuskapitel, das andere Mal in der transzendentalen Deduktion. Wir sahen ja bereits, daß im Schematismuskapitel gezeigt wird, daß die reinen Begriffe nur dann anwendbar werden, wenn sie in zeitlichen Bestimmungen schematisiert werden, daß der Begriff der Substanz etwa nur dann anwendbar wird, wenn er zum Begriff des Beharrlichen schematisiert wird. Durch diese zeitliche Bestimmung erhält der Begriff der Substanz seine Anwendungsmöglichkeit, er erhält aber damit auch zugleich seine Einschränkung auf zeitliche Vorgänge: „Also sind die Kategorien, ohne Schemate, nur Funktionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor. Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert" (A 147, B 187). Kausalität und Substantialität sind also beschränkt auf zeitliche Vorgänge, sie werden damit dem Erscheinungscharakter aller zeitlichen Vorgänge unterworfen, und was von diesen beiden wichtigsten Grundbegriffen gilt, gilt dann von der Gesamtheit der Grundbegriffe, die newtonsche Natur handelt von zeitlichen und räumlichen Vorgängen, sie handelt also von Erscheinungen. In demselben Sinne bedeutet auch die transzendentale Deduktion die Herstellung des ursprünglichen Zusammenhanges der reinen Verstandesbegriffe mit den reinen Anschauungen von Raum und Zeit. Kant faßt dies selbst in unüberbietbarer Kürze zusammen: „Kurzer Begriff dieser Deduktion. Sie ist die Darstellung der reinen Verstandesbegriffe, (und mit ihnen aller theoretischen Erkenntnis a priori) als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung, dieser aber, als Bestimmung der Erscheinungen in Raum und Zeit überhaupt, — endlich dieser aus dem Prinzip der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption, als der Form des Verstandes in Beziehung auf Raum und Zeit, als ursprüngliche Formen der Sinnlichkeit" (B 168 f.).

§ 14: Die transzendentale Idealität der newtonsdien Natur

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Es hat Kant große Mühe gekostet, diesen Standpunkt vom Erscheinungscharakter auch der Natur zu erreichen, der Weg von der Dissertation zur transzendentalen Analytik war mühsam und schwer. Dies wird besonders begreiflich, wenn wir bedenken, daß von der Einzigkeit und der Vollständigkeit der Kategorientafel her ein ganz anderer Schluß nahelag. Wir haben gesehen, daß diese Vollständigkeit der Kategorientafel die Behauptung in sich schließt, daß die newtonsdie Natur die einzige mögliche Natur ist. Die im 19. Jahrhundert so gern vertretene Behauptung, alle Physik ist Mechanik, liegt tatsächlich auch bei Kant zugrunde. Von unserer Interpretation her können wir formulieren: Es gibt für eine gesetzmäßige Natur nur ein einziges mögliches Modell, nämlich die newtonsche Natur. Jetzt lag es nahe, weiter zu schließen: Wenn die newtonsche Natur die einzig denkbare Natur ist, dann muß auch die Natur an sich eine newtonsche Natur sein. Beim Raum und bei den Weltbegriffen lag es anders. Beim Raum waren andere Räume, vielleicht sogar sehr viele andere Räume denkbar, und bei den Weltbegriffen waren wenigstens zwei verschiedene Möglichkeiten denkbar: Endlichkeit und Unendlichkeit, Atomtheorie und Kontinuumstheorie. Bei der Natur ist nach Kants — wie wir heute wissen, nicht richtiger — Voraussetzung nur eine Naturgesetzlichkeit denkbar. Trotzdem kommt Kant zu dem richtigen Ergebnis, indem er sich von dem ursprünglichen Zusammenhang der reinen Begriffe mit den reinen Anschauungen leiten läßt. Von hier aus hat dann Kant in dem mühseligen Jahrzehnt von 1770 bis 1780 den Erscheinungscharakter einer rein mechanischen Natur entdeckt. Diese These tritt nun allerdings in einen entschiedenen Gegensatz zu den beiden anderen Auffassungen, der theologisch fundierten Auffassung und der rein materialistischen Auffassung. Die theologisch fundierte Auffassung, wie wir sie nennen möchten, betrachtet die Naturwissenschaft dort, wo sie wirklich wahre Erkenntnisse erreicht, als Einsicht in den Schöpfungsplan Gottes. Sie wird vertreten durch Plato, durch Augustin, durch Leibniz. Wir haben gesehen, welch große Bedenken, insbesondere von den Antinomien her, aber auch von den Problemen des Raumes und der Zeit gegen einen solchen Ansatz geltend zu machen sind. Die materialistische Auffassung verzichtet auf eine solche Fundierung der Wahrheit im Denken Gottes, nimmt aber doch wenigstens an, daß die Natur wirklich so ist, wie sie in der Mechanik auf-

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Kap. 3: Das Sein der Natur

gefaßt wird, daß also die Natur selbst ein rein mechanisches System sei. Demgegenüber hält Kant daran fest, daß die Auffassung der Natur, so wie sie in der reinen Mechanik erfolgt, wesentlich von menschlichen Bedingungen bestimmt ist; es ist unwahrscheinlich, daß auch Gott die Welt in dieser Form der reinen Mechanik sieht, ja es ist nicht einmal gewiß, ob alle denkenden Wesen so denken müssen. Es ist nicht beweisbar, daß die Natur an sich eine newtonsche Natur ist, wir müssen vielmehr damit rechnen, daß die newtonsche Natur nur die Art und Weise ist, wie wir Menschen uns die Natur vorstellen.

KAPITEL IV DAS SEIN VON EINHEIT ÜBERHAUPT $ 1)

Die Seinsbest'tmmung der Einheit bei Plato und Aristoteles

Wir versuchen, die Probleme der transzendentalen Analytik in zwei Bereiche zu gliedern, in die gewissermaßen regionalen Probleme der Natur und in die allgemeinen Probleme von Einheit überhaupt. Wenn die transzendentale Analytik das Problem der Einheit zur Diskussion stellt, so greift sie über die Gliederung der Kritik der reinen Vernunft hinaus. Sowohl die Themen der Ästhetik, also Raum und Zeit, als audi die Themen der Dialektik, besonders die Welt, sind Einheiten. Die Einheit, nach der wir jetzt fragen, ist nicht die Kategorie der Einheit, die in der Kategorientafel als erste Kategorie auftritt. Man sieht dies leicht, wenn man sich überlegt, daß auch die Kategorientafel selbst eine Einheit darstellt. Es muß vielmehr eine oberste Einheit geben, von der aus die reinen Anschauungen der Sinnlichkeit, die reinen Grundbegriffe des Verstandes und die transzendentalen Ideale der Vernunft gleicherweise als Einheiten begriffen werden können, und Kant sagt selbst: „Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich. Diese Einheit, die a priori vor allen Begriffen der Verbindung vorhergeht, ist nicht etwa jene Kategorie der Einheit (§ 10); denn alle Kategorien gründen sich auf logische Funktionen in Urteilen, in diesen aber ist schon Verbindung, mithin Einheit gegebener Begriffe gedacht. Die Kategorie setzt also schon Verbindung voraus. Also müssen wir diese Einheit (als qualitative § 12) noch höher suchen, nämlich in demjenigen, was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche, enthält" (B 131).

Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

In diesem Aufsteigen zu einem obersten Begriff der Einheit erreicht Kant den höchsten Punkt seines Denkens, und in diesem höchsten Punkt erreicht er zugleich den eigentlichen Zusammenhang mit dem großen Gang der Philosophie. Am Beginn stehen die griechischen Physiologen mit ihren großen Thesen, der Chorführer ist Thaies mit der These: „Alles ist Wasser". Hier durchdringen sich naturwissenschaftliche, weltanschauliche und ontologische Bestimmungen auf das innigste. Zunächst bedeutet dieser Satz eine naturwissenschaftliche, in gewissem Sinn eine chemische These, alles besteht aus Wasser. Die weltanschauliche Bestimmung ist uns vielleicht am leichtesten von den Romantikern her verständlich. Alles ist flüssig, alles ist beweglich, das in der leichtesten und lebendigsten Beweglichkeit Befindliche ist das eigentliche Seiende. In der Bestimmung liegt aber zugleich noch eine ontologische These, nämlich die These: Alles ist Eines. Die Welt ist eine, und zwar deshalb, weil sie aus einem Stoff, nämlich aus dem Wasser gemacht ist. Daß in dieser These des Thaies „Alles ist Wasser", schon die allgemeine ontologische These steckt: Alles ist Einheit, hat Aristoteles herausgearbeitet, und Aristoteles faßt daher den ontologischen Inhalt dieser Bestimmungen zusammen, wenn er sagt: „Alle diejenigen nun, die behaupten, daß das All eines ist, und zwar in der Weise, daß sie ihm einen einzigen Stoff als Materie zugrunde legen, wobei sie diesen Stoff als einen Körper und als ausgedehnt bestimmen.. ,"1. In dem Satz des Thaies ist also die These enthalten, die Welt ist eine, der Satz enthält aber auch zugleich eine Aussage über das Wie dieser Einheit, die Einheit der Welt besteht darin, daß sie aus einem Stoff gemacht ist. Man wird den frühen Gang des griechischen Denkens als einen Versuch auffassen können, diese These über die Einheit der Welt und das Wesen dieser Einheit zur Klärung zu bringen. Parmenides dürfte mitten zwischen einer anschaulichen Fassung und einer rein begrifflichen Formulierung stehen. Man darf nicht übersehen, welche anschaulichen Momente das Sein des Parmenides noch enthält. Es ist „abgeschlossen nach allen Seiten hin, vergleichbar der Masse einer wohlgeruhdeten Kugel, von der Mitte nach allen Seiten hin gleich stark"2. Diese anschaulichen Momente sind nicht ein Vergleich, sondern treten immer wieder auf und müssen in ihrer vollen Bedeutung genommen werden. Dann aber erreicht Parmenides die ersten begrifflichen Bestimmungen

§15: Die Seinsbcstimmung der Einheit bei Plato und Aristoteles

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des Seins, und darunter die fundamentale und für uns vor allem wichtige Bestimmung, das Sein ist eines3. Hier erscheint die große Grundthese der Transzendentalphilosophie: Sein ist Einheit, ens et unum convertuntur, zum ersten Male in voller Klarheit. Die wichtigste Stufe der weiteren Entwicklung bildet die Philosophie der Pythagoräer. Aristoteles hat ein besonderes Werk über die Pythagoräer geschrieben. Besäßen wir es noch, oder könnten wir es einigermaßen vollständig wiederherstellen, dann könnten wir unsere Einsicht in den Gang der Philosophie wesentlich vertiefen. So haben wir im Kern nur die Darstellung des Aristoteles im ersten Buch der Metaphysik. Diese Philosophie der Pythagoräer muß man wohl in zwei Stufen verstehen. In der ersten Stufe werden die Zahlen als die Prinzipien alles Seienden angesetzt, in einer zweiten Stufe wird dann gefragt, ob die Zahlen selbst wiederum aus Prinzipien abgeleitet werden können. Als solche Prinzipien der Zahlen werden dann genannt das Gerade und das Ungerade, das Begrenzte und das Unbegrenzte. Die Eins besteht aus beiden und ist daher sowohl gerade wie ungerade. So kann Aristoteles sagen, daß für die Pythagoräer die Zahlen aus der Einheit bestehen, aus den Zahlen aber die ganze Welt4. Dieser Bericht des Aristoteles läßt sich aus den wenigen Fragmenten hinreichend belegen. So bezeichnet Archytas Zahl und Größe als die beiden Urgestalten des Seins5. So rühmt auch Philolaos die Kraft der Zahlen: „Die Wirksamkeit und das Wesen der Zahl muß man nach der Kraft beurteilen, die in der Zehnzahl liegt. Denn sie ist groß, alles vollendend, alles wirkend und Anfang und Führerin des göttlichen, himmlischen und menschlichen Lebens"8. Wird hier die Zahl im allgemeinen und die Zehnzahl im besonderen Arche aller Dinge genannt, so nennt dann Philolaos an einer weiteren Stelle auch die Einheit selbst die Arche*: „Eins ist aller Dinge Anfang"7. So sind also für die Pythagoräer die Zahlen die Prinzipien der Welt, und das Begrenzte, das Unbegrenzte und die Einheit (in einem nicht ganz deutlichen Zusammenhang) wiederum die Prinzipien der Zahlen. In dieser Lehre der Pythagoräer ist die erste Stufe, in der die Zahlen als die Prinzipien des Alls angesetzt werden, noch anschaulich nachzuvollziehen. Die Pythagoräer stießen auf die große Bedeutung der

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

Zahl in der Musik. Nur diejenigen Töne, die zahlenmäßig bestimmt sind, sind Töne. Was außerhalb dieser Intervalle liegt, ist kein Ton. Aber nicht nur die Töne, sondern der gesamte Ablauf der Welt, wie er durdi den Lauf der Sonne, des Mondes und der Sterne gegeben wird, wird durch die Zahlen in seiner Gliederung und in seinem Sein bestimmt. Die tiefe Freude über diese Einsicht treibt die Pythagoräer weit über diese Bereiche hinaus zu dem allgemeinen Ansatz: Alles ist Zahl. Diese alle Grenzen übersteigende These: Alles ist Zahl, behält nun ihren anschaulichen Zusammenhang mit den Thesen der Physiologen; und von der These: „Alles ist Wasser", ist die These: „Alles ist Zahl" wohl noch nicht sehr weit entfernt. So wie für Thaies alle Dinge aus Wasser bestehen, so bestehen für die Pythagoräer jetzt alle Dinge aus Zahlen. Dies bedeutet weiterhin, daß die Zahlen für sich selbst existieren, daß sie, den Dingen vorausgehend, in den Dingen als deren eigentlicher Bestand enthalten sind, und auf dieses Vorausgehen kommt es uns jetzt wesentlich an. Wir kennen zu wenig Texte, um dies im einzelnen genau belegen zu können, aber man muß das uns Bekannte wohl so verstehen, daß die Zahlen in dem Sinne den Dingen vorausgehen, daß die Zahlen auch dann existieren würden, wenn es die Dinge nicht gäbe. Es gibt also nicht ursprünglich die Dinge, und die Zahlen sind dann die Zahlen der Dinge, sondern es gibt zuerst die Zahlen, und aus den Zahlen entspringen dann die Dinge. Dieses Verhältnis der Zahlen als dem Ursprung zu den Dingen als dem Entsprungenen gilt dann noch einmal in vertiefter Weise in bezug auf die Einheit, und zwar sowohl im Verhältnis der Einheit zu den Zahlen, als auch im Verhältnis der Einheit zu den Dingen. Die Einheit ist der Ursprung aller Dinge, dies gilt dann in dem betonten Sinne, daß die Einheit den Dingen vorausgeht, daß die Zahlen und die Dinge erst aus der Einheit entspringen, so daß es die Einheit ohne die Dinge, aber niemals die Dinge ohne die Einheit geben könnte. Diesen fundamentalen ontologischen Ansatz der Pythagoräer versteht Aristoteles dahin, daß die Pythagoräer die Einheit als Substanz betrachtet haben8. Nach dieser Auffassung des Aristoteles ist die Einheit für die Pythagoräer deshalb Substanz, weil sie als Prinzip für sich selbst auch ohne die Dinge existieren könnte. Diese Lehre der Pythagoräer von den Zahlen und von der Einheit ist nach der Darstellung des Aristoteles historisch

§15: Die Seinsbestimmung der Einheit bei Plato und Aristoteles

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und systematisch die Einleitung zur Ideenlehre Platos, und sie ist es auch in der Tat. Was Plato von der Einheit gelehrt hat, ist nicht so ganz leicht zu sagen. Zunächst tritt die Ideenlehre in zwei verschiedenen Formen auf, als transzendente Ideenlehre und als Dialektik. Unter einer transzendenten Ideenlehre verstehen wir eine solche Ideenlehre, in der den Ideen ein eigenes selbständiges Sein, anschaulicherweise an einem überhimmlischen Ort, zugesprochen wird, etwa wie im Phaidon oder im Timäus. Es ist kein Zweifel, daß eine solche transzendente Ideenlehre in den dialektischen Dialogen mit aller Schärfe kritisiert wird, aber dadurch wird das Zusammenstehen der beiden Formen bei Plato selbst nur noch rätselhafter. In der Akademie selbst ist, wohl noch unter Platos Augen, darüber diskutiert worden, wie das Verhältnis des Mathematischen, der Zahlen und der Figuren, zu den Ideen zu denken sei. Einen selbständigen schriftlichen Niederschlag scheinen diese Diskussionen nicht mehr gefunden zu haben; wir kennen sie im wesentlichen aus den Berichten des Aristoteles. Es scheinen sich in der Hauptsache zwei Meinungen herausgebildet zu haben. Wenn wir uns auf die Zahlen beschränken, so betrachtet die eine Meinung die Zahlen schlechthin als Ideen, während die andere Meinung den Zahlen ein mittleres Sein zwischen den Ideen und den Sinnendingen zusprechen will. Erschwert wird das uns interessierende Problem der Einheit noch weiter dadurch, daß die Eins für die Griechen im Grunde genommen noch gar keine Zahl ist, daß vielmehr die Zwei als die kleinste Zahl gilt. Diese Unbestimmtheit der Zahlenlehre ist nur der Ausdruck der Beweglichkeit des platonischen Denkens,, und man muß für jede Interpretation hier irgendwie zusammenfassen. 'Für unseren Gesichtspunkt darf man doch wohl festhalten, daß für Plato das Gute und das Eine die eigentlichen Urbilder der Ideen darstellen, und so bezeichnet es denn Plato im Staat als die große Frage, was das Eine an sich sei9. Die Einheit ist also eine Idee, und es fragt sich nun, was eine solche Bestimmung der Einheit als Idee ontologisch bedeutet. Wir lassen uns von der Auffassung des Aristoteles leiten, dessen Darstellung in Metaphysik A 6 wir in folgender Weise frei wiedergeben dürfen: Plato setzt die Gegenstände der Mathematik, die Zahlen und die Figuren, als einen dritten Seinsbereich neben die Sinnendinge und neben die Ideen. Die Zahlen und die Figuren unterscheiden sich von den Sinnendingen da-

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

durch, daß sie zeitlos und unbeweglich sind. Von den Ideen unterscheiden sie sich aber dadurch, daß es von jeder Zahl viele untereinander gleiche gibt, so wie es in der Gleichung 5 X 5 X 5 = 125 drei Fünfen gibt, die Idee ist aber jeweils nur eine, es gibt nur eine Idee des Guten. Da aber die Ideen die Prinzipien alles anderen Seienden sind, so glaubte Plato, daß die Elemente der Ideen auch die Elemente von allem Seienden sein müßten. Nun nimmt Plato noch letzte Elemente der Ideen an, und zwar als Stoff das Große und das Kleine, und als Substanz die Einheit, denn er will das Sein der Ideen so auffassen, daß sie aus dem Großen und dem Kleinen bestehen vermittels der Teilhabe an dem Einen. Daß die Einheit selbst ein eignes substantiiertes Sein hat, und daß nicht ein in anderer Weise sachhaltig bestimmtes Seiendes Eines genannt wird, in dieser Meinung trifft er mit den Pythagoräern zusammen, ebenso in der Meinung, daß die Zahlen allen anderen Dingen die eigentliche Ursache des Seins sind10. Plato hat also die Einheit als Substanz bestimmt, das ist der eigentliche Kern dieser Interpretation des Aristoteles, und Aristoteles faßt dies in der schon zitierten Stelle zusammen: Die Pythagoräer als erste und später Plato haben die Einheit als Substanz bestimmt11. Es ist viel darüber gestritten worden, ob diese Platointerpretation nicht ein völliges Mißverständnis darstellt. Von unserem Gesichtspunkt aus scheint eine positive Auffassung möglich zu sein. Aristoteles stellt die Frage, was es bedeutet, wenn die Einheit oder wenn das Gute als Idee bestimmt wird. Das Recht, ja die Notwendigkeit einer solchen Frage wird man nicht bestreiten können. Wenn Aristoteles sagt, Plato habe die Einheit als Substanz bestimmt, so will er sagen, Plato habe zwar die Einheit als Idee bestimmt, er habe aber dieser Idee doch nur das Sein der Substanzen zugesprochen. Dieser Gedanke durchzieht wie ein roter Faden die Platokritik der Metaphysik und ist als das Problem der Verdopplung bekannt. Er wird meistens von der inhaltlichen Seite her gesehen. Der Vorwurf der Verdopplung bedeutet etwa, daß neben die einzelnen Menschen noch die Idee des Menschen gesetzt wird, daß diese Idee aber gar nichts Neues darstellt, sondern jeweils den einzelnen Menschen nur noch einmal setzt, ihn lediglich verdoppelt. Man kann diesen Gedanken aber auch von der ganz formal-ontologischen Seite her fassen. Dann will er sagen, daß die Ideen kein anderes Sein haben als die Phänomena, im Sein der Ideen ist das Sein der Phäno-

§15: Die Seinsbestimmung der Einheit bei Plato undAristoteles

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mena nur noch einmal gesetzt; in unserem konkreten Sachverhalt: die Einheit, als Idee genommen, hat gar kein anderes Sein als die sinnenfällige Substanz, auch die Einheit ist letzten Endes nur als Substanz bestimmt. Man nimmt diesen Vorwurf immer rein negativ, aber das ist keineswegs notwendig, man kann vielmehr dieser Platokritik eine sehr positive Seite abgewinnen. Es ist kein Zweifel, daß sowohl von der platonischen Ideenlehre wie von der aristotelischen Ontologie her die Einheit keine Substanz, daß sie kein Ding ist. Dann wird man diesen Grundgedanken der aristotelischen Platokritik dahin auffassen müssen, daß man in der Tat unterscheiden muß zwischen dem Sein der Einheit und dem Sein der Dinge, daß Plato mit der Unterscheidung zwischen der Einheit als Idee und den Dingen als Phänomenen eine solche Unterscheidung auch hat machen wollen und in der Tat auch gemacht hat, und die Kritik würde lediglich darin liegen, daß es Plato nicht gelungen ist, das Sein der Ideen vom Sein der Phänomene in deutlicher und begründeter Weise abzuheben. Der Vorwurf des Aristoteles würde dann gerade nicht darin liegen, daß Plato zwei Weisen des Seins unterschieden hat, sondern, daß es ihm nicht gelungen ist, eine solche Verschiedenheit des Seins wirklich deutlich zu machen, daß er vielmehr lediglich das Sein der Phänomena im Sein der Ideen noch einmal gesetzt hat. In Wirklichkeit ist aber das Sein der Ideen ein anderes als das Sein der Phänomene. Sein ist also, wenn wir uns jetzt des aristotelischen Terminus bedienen, kein univoker Begriff, der Seinsbegriff entfaltet sich vielmehr zu einer Vielfalt, diese Vielfalt ist in der Unterscheidung zwischen Ideen und Phänomenen zum ersten Male gesehen. Mit gutem Recht schließt daher Aristoteles die Platokritik des ersten Buches der Metaphysik mit einem betonten Hinweis auf die Bedeutungsentfaltung des Seinsbegriffes: Wer aber nach den Elementen alles Seins sucht und nicht vorher zu unterscheiden vermag, daß man vom Sein in vielfältiger Bedeutung spricht, der wird niemals zu begründeten Ergebnissen kommen können12. Die Unterscheidung allerdings, die Aristoteles verlangt, führt auf das fundamentale und vielleicht schwierigste Problem der Metaphysik, auf die Bestimmung der verschiedenen Weisen des Seins, im besonderen Fall auf die Abhebung des Seins des Raumes gegen das Sein der räumlichen Dinge und des Seins der Einheit gegen das Sein der einheitlichen Dinge. Wir sehen jetzt, daß in der Frage nach der Einheit alle konkre-

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

ten Probleme zusammenlaufen. Es war abzuheben das Sein des Raumes gegen das Sein der räumlichen Dinge, das Sein der Zeit gegen das Sein der zeitlichen Dinge, das Sein der Welt gegen das Sein der Dinge in der Welt und das Sein der Natur gegen das Sein der natürlichen Dinge, und so ist jetzt das Sein der Einheit abzuheben gegen das Sein der je einheitlichen Dinge. So treffen wir überall auf das gleiche Problem: die ontologische Auslegung geht zunächst in den Spuren der sprachlichen Auslegung, Die ontologische Auslegung geht davon aus, daß die Sprache hier überall mit Substantiven arbeitet, daß die Sprache sagt: der Raum, die Zeit, die Welt, die Natur und die Einheit. Durch diese Substantivierung stellt die Sprache zusammen den Raum, die Zeit, die Welt, die Natur, die Einheit, das Sein, und die Sonne, den Mond, die Buche, den Berg, den Menschen, und die Sprache will dies auch so aufgefaßt haben. Die Ontologie in ihrem ersten Ansatz folgt der Sprache und macht aus der Substantivierung eine Hypostasierung; die Ontologie in diesem ihrem ersten Ansatz nimmt an, daß der Raum, die Zeit, die Welt, die Natur, die Einheit so etwas sind wie die Dinge, die in ihnen geordnet sind. Die erste ontologische Auslegung macht also auch diese Gegenstände, insbesondere den Raum und die Einheit, zu Substanzen. Unter dem aristotelischen Gesichtspunkt bedeutet also die Ideenlehre den Versuch einer Durchbrechung dieses ersten Ansatzes. Wenn die Einheit und das Gute und das Gleiche als Ideen angesetzt werden, so soll damit gesagt werden, daß Einheit und Gleichheit etwas anderes sind als die gleichen Dinge und als die je einen Dinge. Es ist aber Plato nicht gelungen, diese Seinsverschiedenheit zu zeigen, die Ideen sollten gewiß etwas anderes sein als die Dinge, aber wenn man, so sagt Aristoteles, die Bestimmungen nimmt, die Plato tatsächlich gegeben hat, so sind die Ideen doch wiederum nur Dinge, auch wieder nur Substanzen. Unter diesem Gesichtspunkt würde also die Ontologie des Aristoteles als ein Versuch aufzufassen sein, dieses Grundproblem der Ideenlehre anzuerkennen und es weiter zu treiben. Diese Weiterführung schlägt sich dann nieder in der aristotelischen These von der Vielheit der Weisen des Seins. Das Sein ist kein einheitlicher, kein univoker Begriff, das Sein ist vielmehr nur ein analoger Begriff. Diese Vielheit der Weisen des Seins entfaltet sich in verschiedenen Richtungen. Sie entfaltet sich einmal in der Reihe der Kategorien:

§ 16: Die Seinsbestimmung der Einheit in der Scholastik

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Substanz-Sein, Qualität-Sein, Quantität-Sein und Relation-Sein sind jeweils ein Sein in sehr verschiedener Weise. Eine andere Dimension der Entfaltung der Vielheit der Weisen des Seins ist die Entfaltung in Dynamis und Energeia, in Potenz und Akt, eine dritte Dimension der Entfaltung dieser Vielheit ist schließlich die Entfaltung in die transzendentalen Bestimmungen des Seins schlechthin, das Einheit-Sein, des Vollkommen-Seins und des Wahr-Seins. Die von Plato angesetzte Zweiheit des Seins entfaltet sich also in der aristotelischen Ontologie zu einer sehr viel größeren Fülle, hierbei erlangt die Entfaltung in die Vielheit der transzendentalen Bestimmungen eine besondere systematische und historische Bedeutung. Wir stellen die aristotelische Lehre von den Transzendentalien in der Form dar, die sie bei Thomas gefunden hat, und betrachten also die thomistische Ontologie als eine echte Fortführung der aristotelischen Ontologie.

5 16 Die Seinsbestimmung der Einheit in der Scholastik Thomas von Aquin handelt von der Einheit thematisch in der Quaestion 11 des ersten Teiles der Summa theologica; im Problem der Einheit verdient diese Quaestio zu den klassischen Untersuchungen gerechnet zu werden. Sie handelt von der Einheit Gottes, und es ist von fundamentaler Bedeutung, daß es hier um die Einheit Gottes geht und nicht etwa um die Einheit einer Gattung. Die Untersuchung zeigt die Verschiebung der Fragestellung auf das theologische Gebiet, die wir im § 10 schon berührt haben, sie zeigt aber bei allem Wandel des Interesses doch zugleich die Einheit des Problems und die Einheit der Antwort. Die Quaestio sum. theol. I, q. 11 handelt von der Einheit Gottes. Sie gliedert sich in vier Artikel: 1. Utrum unum addat aliquid supra ens, 2. Utrum unum et multa opponantur, 3. Utrum Deus sit unus, 4. Utrum Deus sit maxime unus1. Für unsere Untersuchung sind der erste und der dritte Artikel von besonderer Bedeutung. In den Einwänden des ersten Artikels, von denen der erste und der dritte für uns die wichtigsten sind, rollt Thomas zunächst das sachliche Problem auf. Der erste Einwand hebt darauf ab, daß man die Einheit als kategoriale Bestimmung

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

betrachten kann, und daß demgemäß die Einheit dem Sein etwas hinzubringen muß: ergo unum addit aliquid supra ens. In der Beantwortung des Einwandes weist Thomas darauf hin, daß man zwischen der transzendentalen Einheit und der kategorialen Einheit unterscheiden muß. Rickert hat in diesem Problem die schöne Formulierung gefunden, daß man unterscheiden muß zwischen der Einheit und der Eins2. Wo dieser Unterschied nicht beachtet wird, so sagt Thomas weiter, kommt es zu unrichtigen Interpretationen. So haben Pythagoras und Plato behauptet, die Einheit und die Zahlen seien Substanzen. Diese These stützt sich auf die bereits diskutierte aristotelische Interpretation der Ideenlehre und wird daher von Thomas im Metaphysikkommentar zu den entsprechenden Aristotelesstellen ausführlich dargestellt. So sagt Thomas zu Met. X, 2: „est autem dubitatio, utrum hoc ipsum quod dicitur unum, sit substantia aliqua et per se subsistens, ut dixerunt Pythagorici, et postea Platonici eos sequentes"3. Demgemäß erscheint auch die Frage, ob Ens und Unum wirklich Substanzen sind, oder was sie sonst sind, als eine der fundamentalen Fragen der Metaphysik. So wird das Problem von Aristoteles selbst im großen Aporienbuch, in Metaphysik B gestellt, und so wird es daher auch von Thomas im Kommentar angesetzt: ... „inter omnes alias quaestiones motas una est difficilior ad considerandum ... in qua etiam veritatem cognoscere est maxime necessarium, ... utrum unum et ens sint substantiae rerum ... vel e contrario ... quid sit illud, cui convenit esse unum vel ens"4. Plato und die Pythagoräer lehren, daß unum und ens nicht einem sachhaltig bestimmten Sein zukommen, sie behaupten vielmehr, daß unum und ens die Natur der Dinge selbst sind, als ob Sein und Einheit die Substanz der Dinge selbst wären5. Gegen eine solche Bestimmung der Einheit als Substanz wendet dann Aristoteles und mit ihm Thomas ein, daß der Allgemeinheitscharakter der Einheit eine solche Bestimmung ausschließt; ein Allgemeines kann niemals Substanz sein8. Dabei ist die Frage, ob die Pythagoräer und Plato wirklich so gelehrt haben, eine Frage zweiten Ranges. Es dreht sich zunächst um das rein systematische Problem der möglichen Auslegung der Einheit als einer Substanz. Daß Plato nicht in allen Dialogen, besonders nicht in den dialektischen Dialogen auf einem solchen Standpunkt gestanden hat, ist außer Zweifel, ebenso sicher aber ist auch, daß Plato in anderen Dialo-

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gen sich zum mindesten in dieser Weise ausgedrückt hat, und es ist doch immerhin bemerkenswert, daß Plotin sich in einen ausgesprochenen Gegensatz zur These des Aristoteles setzt und der Einheit ein selbständiges Sein zuspricht. Thomas will mit der geschichtlichen Darstellung in erster Linie das systematische Problem aufzeichnen. Zu dieser ersten Möglichkeit, die Einheit als Substanz zu betrachten, tritt nun eine zweite Möglichkeit, die Einheit als ein Akzidens zu betrachten: so fährt Thomas an unserer Stelle in der Summa weiter fort: „E contrario autem Avicenna ... credidit quod unum quod convertitur cum ente, addat rem aliquam super substantiam entis, sicut album supra hominem"7. Dieser Bericht über Avicenna kann sich auf die wörtliche These von Avicenna stützen8; in der Tat betrachtet Avicenna die Einheit als so etwas wie das Weiß-sein, er betrachtet also die Einheit als ein Akzidens. Auch Avicenna setzt sich daher in einen ausgesprochenen Gegensatz zu Aristoteles, der immer wieder darauf hingewiesen hat, daß die Einheit nicht als Akzidens betrachtet werden darf. Man kommt, wie Thomas diesen Gedanken ausführt, dann auch sofort in einen unendlichen Regreß, denn wenn die Einheit selbst ein Akzidens ist, so wird sofort eine neue Einheit notwendig, die dieses Akzidens mit seiner Substanz zu einer Einheit bindet und so fort9. Überhaupt kann die Einheit weder als Substanz noch als Akzidens bestimmt werden, sie ist grundsätzlich etwas anderes, sie transzendiert alle diese Bestimmungen und Einteilungen des Seins. Wir können es bis zu einer weiteren Untersuchung dahingestellt sein lassen, wie weit schon Plato in den dialektischen Dialogen eine Einsicht in den besonderen Charakter der Begriffe des Seins und der Einheit erlangt hat, für Aristoteles jedenfalls ist dieser im Transzendieren aller Gliederungen und Einteilungen des Seins sich ausprägende Sondercharakter dieser Begriffe der eigentliche Ausgangspunkt, der dann von Thomas in der kommentierenden Stelle mit besonderer Klarheit herausgeholt wird: „... unum consequitur omnia alia praedicamenta, et non est in aliquo uno praedicamento tantum: neque in substantia, neque in quantitate, neque in aliquo alio: sicut se habet et de ente"10. Wie immer also eine Gliederung oder eine Einteilung getroffen werden möge, sei es in Kategorien oder in anderer Weise, jedes Glied rechts und links der Einteilung ist seiend und ist eines, die Begriffe der Einheit und des Seins übersteigen also alle möglichen Gliederungen. Von hier aus wird

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die Einheit als ein transcendens bezeichnet. Es ist von Prantl und anderen behauptet worden, der Terminus transscendens käme bei Thomas nur in einer unechten Schrift vor. Das ist nicht so, der Ausdruck läßt sich an mehreren Stellen nachweisen, richtig ist allerdings, daß Thomas im allgemeinen andere Termini verwendet, und daß der Terminus der Transzendentalien erst bei Duns Scotus fixiert wird11. Wir erhalten also als ersten Charakter der Einheit den transzendentalen Charakter: Einheit ist ein transzendentaler Begriff, weil dieser Begriff alle Gliederungen und Einteilungen des Seins übersteigt. Aus dem transzendentalen Charakter von ens und unum folgt nun sofort die Konvertibilität dieser beiden transzendentalen Begriffe. Allgemein gesprochen sind alle transzendentalen Begriffe — Thomas zählt ens, unum, verum, bonum, res und aliquid auf — miteinander konvertibel. In der Summa findet sich die Entwicklung der Konvertibilität schon in der Quaestio 5 bei dem Thema: De bono in communi. Dort handelt Thomas im Artikel 3 von der Frage: utrumomne ens sit bonum, mit der Bestimmung: „respondeo dicendum quod omne ens, inquantum est ens, est bonum"12. Auch hier dürfte die unser Thema bildende Konvertibilität von ens und unum die wichtigste Bestimmung sein. Ob dieser innige Zusammenhang von Sein und Einheit nicht schon der platonischen Dialektik zugrunde liegt, wäre wohl nur in einer besonderen Untersuchung klarzustellen. Aristoteles jedenfalls lehrt diesen durchgängigen Zusammenhang von Sein und Einheit thematisch. Thomas arbeitet deshalb das Problem im Metaphysikkommentar besonders heraus. Schon in der Terminologie spricht Thomas gern vom unum, quod convertitur cum ente, so etwa an unserer Summastelle13. Im Metaphysikkommentar legt er das Problem bei der Erörterung der entsprechenden Metaphysikkapitel dar, so besonders zu Buch IV Kapitel 2, und zu Buch X Kapitel 3. Von diesem alten und großen Zusammenhang zwischen ens und unum ist dann allerdings nur noch die schulmäßig leere Formel übriggeblieben: ens et unum convertuntur. In der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft weist Kant in den Schlußanmerkungen zur Kategorientafel selbst auf diesen Satz hin, übrigens nicht ganz ohne Ironie: „Es findet sich aber in der Transzendentalphilosophie der Alten noch ein Hauptstück vor, welches reine Verstandesbegriffe enthält... Diese trägt der unter den Scholastikern so berufene Satz vor: quodlibet ens est unum, verum, bonum. Ob nun

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zwar der Gebrauch dieses Prinzips in Absicht auf die Folgerungen (die lauter tautologische Sätze gaben) sehr kümmerlich ausfiel, so, daß man es auch in neueren Zeiten beinahe nur ehrenhalber in der Metaphysik aufzustellen pflegt" (B 113). Leisegang hat in einer SpezialUntersuchung auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht14. Dabei ist die Bedeutung dieses Zusammenhanges sehr umfassend, und man kann in der Tat, wie wir noch sehen werden, auch bei Kant sagen, daß das Sein der Erscheinung, das Kant in erster Linie ontologisch bestimmt, auf der Einheit der transzendentalen Apperzeption beruht, daß also auch für Kant Einheit und Sein (möglicher Erfahrungen) konvertibel sind. Der gemeinsame transzendentale Charakter und die Konvertibilität von ens und unum sind in gewissem Sinne noch kategorialanalytische Bestimmungen, sie führen dann aber sofort auf die erste ontologische Bestimmung, die Thomas im Artikel l der Quaestio 11 thematisch behandelt und die zu der These führt: respondeo dicendum quod unum non addit supra ens rem aliquam, sed tantum negationem divisionis15. Auch hier bringt die theologische Summa die kristallklare Darstellung der im Metaphysikkommentar gewonnenen Ergebnisse. Die entscheidenden Stellen sind Metaphysik IV, 2 und X, 3 mit den entsprechenden Kommentarstellen. Im Kommentar zu IV, 2 sagt Thomas: Unum quod cum ente conveatitur ... non ponit aliquam naturam enti additam16. In Metaphysik X hatte Aristoteles selbst den Sachverhalt schon deutlich umrissen, indem er gesagt hatte, daß „ein Mensch" nicht mehr aussagt als „Mensch", so daß also die Einheit dem Sein gegenüber keinen neuen Seingehalt aussagt". In der Kommentierung dieser Stelle hat Thomas den Sachverhalt mit großer Klarheit herausgearbeitet18, den klarsten Ausdruck aber hat er doch wohl in den am Schluß dieser Kommentierung folgenden sachlichen Erläuterungen gefunden: „Postmodum vero ostendit quod significant naturam eorum de quibus dicuntur, et non aliquid additum sicut accidentia. In hoc enim differunt communia ab accidentibus, quamvis utrisque sit commune non esse hoc aliquid: quia communia significant ipsam naturam suppositorum, non autem accidentia, sed aliquam naturam additam"19. Die communia sind die transzendentalen Bestimmungen, insbesondere also ens und unum. Sie müssen also wesentlich nicht nur gegen die Substanzen, sondern auch gegen die Akzidenzen abgehoben werden, weil sie das Seiende selbst meinen uhd nicht einen neu hinzutretenden Sachverhalt.

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So meint der Zorn des Achill einen Sachverhalt, der hinzutreten und der auch wieder vergehen kann, die Einheit Achills aber meint Achill selbst in einer völlig unaufhebbaren Weise. Die transzendentalen Bestimmungen bezeichnen das Seiende selbst, sie werden damit zu den fundamentalen Bestimmungen des Seins. Aber es erhebt sich sofort die Frage: Wenn die transzendentalen Bestimmungen keinen neu hinzutretenden Sachverhalt bezeichnen, bezeichnen sie dann überhaupt noch etwas? Sind sie dann nicht gänzlich leer? Thomas gibt sich das Problem im dritten Einwand zu Quaestio 11 a. l selbst vor. Wenn der Ausdruck „ein Mensch" nichts Neues aussagt gegenüber dem Ausdruck „Mensch", dann kann doch auch die Prädizierung der Einheit von einem Seienden nicht Neues aussagen. Es wären dann unum und ens dasselbe, so daß man in gänzlich leerer Weise sagen würde: ens ens. Und so würden alle transzendentalen Bestimmungen nur gänzlich leere und sinnlose Aussagen sein20! Nun kann man die transzendentalen Bestimmungen aussagen von Substanzen oder von Akzidenzen, von einem Menschen kann ich das Sein aussagen, aber auch die Einheit, und von einer Farbe kann ich ebenso das Sein aussagen und die Einheit. Damit erhebt sich die Frage, wie sind die transzendentalen Bestimmungen voneinander und von dem sachhaltigen bestimmten Sein der angesprochenen Substanzen und Akzidenzen verschieden? Wie unterscheiden sich das Sein und die Einheit, die ich von diesem Menschen hier aussage, von diesem Menschen selbst, und wie unterscheiden sie sich untereinander? Wie unterscheiden sich Sein und Einheit, die ich von dieser Farbe hier aussage, von der Farbe selbst und diese untereinander? Bei Thomas erhält das Problem seine besondere Schärfe dadurch, daß es sich um das Sein Gottes handelt. So kann ich zwar die bonitas und die unitas von Gott aussagen, aber ich muß doch noch fragen, wie unterscheiden sich diese beiden Bestimmungen der bonitas und der unitas von Gott selbst, und wie unterscheiden sich bonitas Dei und unitas Dei untereinander? Thomas antwortet: Die transzendentalen Bestimmungen unterscheiden sich von ihren Substraten nicht der Sache nach, sondern nur der Ratio nach. Dieser Sachverhalt gilt sowohl bei göttlichem Sein wie beim geschaffenen Sein, und er gilt sowohl beim bonum wie beim unum. Wir entnehmen die These am besten der Quaestio 5, wo Thomas sagt: „Respon-

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deo dicendum, quod bonum, et ens sunt idem secundum rem; — sed diiferunt secundum rationem tantum"21. Das bedeutet also, daß sowohl beim göttlichen wie beim geschaffenen Sein die Einheit und die Vollkommenheit sich nicht der Sache nach, sondern nur der Ratio nach unterscheiden. Hier ist nun der fundamentale Sachverhalt berührt, daß beim Sein der Einheit die Ratio, also der Verstand, in irgendeiner Weise mit ins Spiel kommt. Schon Plato hat, beim Sein der Ideen, die Ratio mit ins Spiel gebracht, wenn wir der Platoauslegung von Natorp in diesem Punkte folgen dürfen; aber dies Problem bei Plato mag einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. Aristoteles jedenfalls hat den Zusammenhang von Einheit und Logos thematisch herausgestellt22. Die entscheidende Darlegung des Aquinaten finden wir daher auch im Kommentar zu dieser Stelle. Thomas gibt dort zunächst die These: Unum autem et ens significant unam naturam secundum diversas rationes23. Thomas legt dazu ausführlich dar, in welcher Weise ens und unum der Sache nach identisch sind, und in welcher Weise und aus welchen Gründen sie sich der Ratio nach unterscheiden. Er kann dann zusammenfassend sagen: „Patet autem ex praedicta ratione, non solum quod sunt unum re, sed quod differunt ratione. Nam si non differrent ratione, essent penitus Synonyma; et sie nugatio esset cum dicitur, ens homo et unus homo ... Unde ista tria, res, ens, unum, significant omnino idem, sed secundum diversas rationes"24. Dieser Bezug der transzendentalen Bestimmungen auf die Ratio wurde dann von Thomas in der Summa an den thematischen Stellen mit aller Sorgfalt und mit großer Klarheit herausgestellt, beim bonum, beim unum und beim verum2j. Er führt zu einer wichtigen Konsequenz, die wir beim unum betrachten wollen. Was bedeutet es, wenn wir von Gott die Einheit aussagen, wenn wir sagen: Deus est unus. Der Bezug des unum auf die Ratio bringt es mit sich, daß der Begriff der Einheit eine Privation enthält, und in der Tat wird die Einheit von Thomas bestimmt als die Ungeteiltheit. Dann wird also, wenn wir von Gott die Einheit aussagen, von Gott eine Privation ausgesagt, und dies ist nicht möglich: „nee unum quod convertitur cum ente, quia importat privationem, et omnis privatio imperfectio est, quae Deo non competit. Non est igitur dicendum, quod Deus sit unus"20. Thomas antwortet auf diesen Einwand, daß, wenn wir Gott als den Einen erkennen, wir ihn gleichwohl

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nur in der Weise unserer Auffassung erkennen: „Et licet in Deo non sit aliqua privatio, tarnen secundum modum apprehensionis nostrae non cognoscitur a nobis nisi per modum privationis et remotiones. Et sie nihil prohibet aliqua privative dicta de Deo praedicari, sicut quod est incorporeus, vel infinitus; et similiter de Deo dicitur, quod sit unus"27. Der Bezug der Einheit auf die Ratio bringt also mit sich den Bezug der Einheit auf unsere Ratio, und daraus folgt, daß unsere Vorstellung von der Einheit Gottes nur eine Vorstellung nach der Art und Weise unserer Erkenntnismöglichkeit ist. In diesem Bezug der Einheit auf den Logos hat Aristoteles einen der fundamentalen Ansätze der Metaphysik erreicht. Daß Thomas diesen Ansatz mit dieser Energie und mit dieser Klarheit aufnimmt, zeigt auch in diesem Punkte, daß die Aufnahme der aristotelischen Metaphysik durch Thomas ein echtes und tiefes Verständnis darstellt. Die Kühnheit, mit der der Aquinate diesen transzendental-philosophischen Ansatz des Stagiriten sogleich für die Probleme der christlichen Dogmatik einsetzt, ist erstaunlich. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß gerade die ontologischen Probleme der Dogmatik einen entscheidenden Beweggrund für die Wendung zur aristotelischen Ontologie darstellen. Es wäre dabei unbillig, darüber zu klagen, daß die Darstellung bei Thomas noch mit vielen Schwierigkeiten belastet ist. Wir stehen im zentralen Problem der Ontologie, beim Bezug des Seins, der Einheit, der Vollkommenheit und der Wahrheit auf den Logos. Wer jemals versucht hat, selbst in diesen Problemen weiter zu denken, und wer gesehen hat, mit welchen Schwierigkeiten Plato, Aristoteles, Leibniz, Kant in demselben Problem gerungen haben, der wird bei Thomas nicht die Schwierigkeiten beklagen, sondern das Erreichte bewundern. Freilich darf man nicht übersehen, daß viele Schüler des Aquinaten die Genialität, die Tiefe, die Beweglichkeit des Meisters bei weitem nicht erreicht haben, so daß in nicht wenigen streng thomistischen Darstellungen gerade die tiefsten Einsichten des Aquinaten wenig behandelt werden, wobei man vielleicht nicht vergessen sollte, daß dies Zurückbleiben der Schüler gegenüber dem Meister überall und gewiß auch bei den Kantianern zu finden ist. Es mag auffallen, daß in dieser Interpretation der Kritik der reinen Vernunft eine so weitgehende Darstellung von Thomas versucht wird. Wir setzen uns allerdings von der Meinung der orthodoxen Kantianer ebensosehr ab wie von der Mei-

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nung der orthodoxen Thomisten. Ein orthodoxer Kantianer ist ebenso eine contradictio in adjecto wie ein orthodoxer Thomist. Wir glauben, daß die Philosophie stets nur eine ist in ihrer geschichtlichen Bindung ebenso wie in ihrem systematischen Zusammenhang, und wir glauben, daß Plato und Aristoteles, Augustin und Thomas, Leibniz und Kant um dieselben großen Fragen gerungen haben: was ist die Einheit?, was ist die Wahrheit?, was ist das Sein? In diesem Sinne sehen wir in dem Bezug der Einheit auf die Ratio, so wie ihn Thomas in Fortführung der aristotelischen Ontologie zu weiterer Klarheit bringt, die Echtheit des ursprünglichen Zusammenhanges der philosophia perennis. Es bleibt uns noch übrig, bei Thomas zwei Spezialfragen kurz zu erwähnen, die für den weiteren Fortgang wichtig geworden sind. Es handelt sich um die Probleme der transzendentalen Zahl und der transzendentalen Relation. Wir sahen, daß Thomas zwischen der transzendentalen und der kategorialen Einheit unterscheidet, daß er unterscheidet zwischen dem unum, quod convertitur cum ente und dem unum, quod est principium numeri. Die kategoriale Einheit bringt ihrem Träger einen neuen Sachverhalt hinzu, sie ist an die Ausdehnung, an die quantitas continua gebunden. Dieselben Bestimmungen gelten dann auch für die Zahlen, die aus der kategorialen Einheit als ihrem Prinzip entspringen. Auch die Zahl ist eine kategoriale Bestimmung und an die Ausdehnung gebunden. Daraus folgt, daß Substanzen, die nicht ausgedehnt sind, auch nicht an der kategorialen Zahl teilhaben können, und die Dreiheit der göttlichen Personen oder eine Dreiheit von Engeln kann daher nicht eine kategoriale Zahl sein. Thomas löst dieses Problem, indem er die Unterscheidung zwischen den zwei Weisen der Einheit weiterführt und zwischen einer transzendentalen und einer kategorialen Zahl unterscheidet. Obwohl Thomas, soweit ich sehen kann, nur von einer transzendentalen Vielheit spricht, sehe ich bei dem sonstigen Zusammenhang keine Bedenken, mich den meisten Bearbeitern wie Suarez, Gredt, Bodewig anzuschließen, die von einer transzendentalen Zahl auch bei Thomas sprechen28. Etwas größere Schwierigkeiten macht das Problem der transzendentalen Relation. Die Relationstheorie des Aquinaten ist einer der schwierigsten Teile seiner Philosophie, und die Frage, ob Thomas wirklich zwischen realen, transzendentalen und rationalen Relationen unterschieden habe, ist nicht leicht zu beantworten. Ich schließe mich der Meinung von Duns Scotus, Ockham

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und Suarez an, daß schon bei Thomas die Lehre von den transzendentalen Relationen zum mindesten f aktisch vorliegt. Die Wendung zu Aristoteles und die darin liegende Wendung zur aristotelischen Ontologie, insbesondere zu den Problemen der Transzendentalien ist die ontologische Grundentscheidung der Scholastik. Thomas, der diese Wendung durchgeführt hat, hat damit die philosophische Arbeit der Scholastik auf eine Höhe geführt, wie sie in dieser Art in der weiteren Arbeit der Scholastik nicht gehalten und auch nicht wieder erreicht wurde. Das gilt selbst von den beiden großen Denkern der späten Scholastik, von Duns Scotus und Wilhelm von Ockham. Ich habe in meiner Untersuchung über Wilhelm von Ockham die Probleme im einzelnen darlegen können. Für unsere jetzige weiter gespannte Betrachtung können wir uns mit einer kurzen Zusammenfassung begnügen. Die Untersuchungen dieser beiden Denker knüpfen an die Unterscheidung an, die Thomas zwischen der transzendentalen Einheit und der kategorialen Einheit getroffen hatte. Daß diese Unterscheidung sich nicht auf die Einheit beschränken würde, hatte sich schon bei Thomas gezeigt. Thomas selbst hatte in gleichem Sinne zwischen der transzendentalen und der kategorialen Zahl unterschieden, und Thomas hatte eine ähnliche Unterscheidung bei der Relation zum mindesten angebahnt. Duns Scotus verfolgt diese Unterscheidung weiter. Ob er bei der Zahl zu einem abschließenden Ergebnis gekommen ist, oder ob er in dieser Frage das Problem nur diskussionsweise erörtert hat, läßt sich nicht leicht sagen. Dagegen hat Duns Scotus bei der Relation in thematischer Ausführlichkeit zwischen realen, rationalen und transzendentalen Relationen unterschieden. Duns Scotus hält also an den Unterscheidungen des Aquinaten fest, er erweitert sie sogar noch. Ockham kommt von demselben Ausgangspunkt zu einem ganz anderen Ergebnis. Auch Ockham geht von der Unterscheidung zwischen transzendentaler und kategorialer Einheit bei Thomas, zwischen transzendentaler und kategorialer Zahl bei Thomas und zwischen transzendentaler und realer Relation bei Duns Scotus aus. Ockham macht nun darauf aufmerksam, daß beide Weisen der Einheit, der Zahl und der Relation in einem weiteren Sinne real sind, und er wirft deshalb die Frage auf, ob es überhaupt notwendig ist, eine solche Unterscheidung zu machen, ob man nicht mit der Realität der Einheit, der Zahl und der Relation im Sinne der transzendentalen Weisen auskommen kann.

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Wenn etwa die Zahl der Engel nur eine transzendentale Zahl sein kann, so muß doch die Frage auftauchen, ob man nicht überhaupt mit dieser transzendentalen Zahl auskommt, so daß jede Zahl als eine transzendentale Zahl zu verstehen ist, so daß auch eine Zahl von Menschen in derselben Weise wie eine Zahl von Engeln als eine transzendentale Zahl anzusehen sei. Im Sinne dieser Fragestellung untersucht nun Ockham sämtliche Kategorien. Er kommt dann zu dem Ergebnis, daß sämtliche Kategorien, mit Ausnahme der Substanz und der Qualität, als ein transzendentales Sein zu verstehen seien. Alle Kategorien, außer der Substanz und der Qualität haben also, dies ist das eigentliche Ergebnis von Ockham, transzendentales Sein, so wie es die transzendentale Einheit, die transzendentale Zahl und die transzendentale Relation haben. So muß zwar Ockham die Realität aller Kategorien — außer den beiden ersten — leugnen, aber diese Leugnung der Realität der Quantität, der Relation usw. hat durchaus keinen anderen Sinn, als die gleiche These bei Thomas in bezug auf die Realität der transzendentalen Einheit. Nur in dem Sinne, in dem Thomas bestreitet, daß die transzendentale Einheit eine res addita sei, in eben demselben Sinne leugnet auch Ockham, daß Quantität und Relation überhaupt als eine res addita angesehen werden können. Diese Leugnung der Realität von Quantität und Relation bei Ockham ist also kein Nominalismus, sondern Transzendentalphilosophie. Unter diesem Gesichtspunkt, in der Weiterbehandlung also der Unterscheidung zwischen transzendentalem und kategorialem Sein, können die ontologischen Bestimmungen von Duns Scotus und Ockham als ein Weiterführen, als ein Weiterdenken der thomistischen Thesen bezeichnet werden. Dies würde also die Frage betreffen, was denn umfangsmäßig als transzendentales Sein anzusprechen sei. Unter diesem Gesichtspunkt hat schon Thomas den Gedanken des transzendentalen Seins in die Kategorien hineingetragen, Duns Scotus hat diesen Gedanken fortgesetzt, und Ockham hat ihn schließlich radikal zu Ende gedacht, indem er alle Kategorien — außer der Substanz und der Qualität, — als transzendentales Sein versteht. In der fundamentalen Frage aber, wie nun das transzendentale Sein selbst zu verstehen sei, dürften die beiden späteren Denker die Höhe der thomistischen Bestimmungen nicht ganz erreicht haben. Wir fanden

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als das fundamentale Ergebnis bei Thomas die Einsidit in den Bezug des transzendentalen Seins auf die Ratio, insbesondere den Bezug der Einheit auf die Ratio. Duns Scotus nimmt diese ontologische Frage nach dem Sein der transzendentalen Bestimmungen thematisch auf und baut dazu den neuen Begriff des formalen Seins auf. Die transzendentalen Bestimmungen haben ein formales Sein. Nun gehört das Problem des formalen Seins zu den größten Schwierigkeiten in der Philosophie des subtilen Denkers, es scheint aber doch so, als sei der Bezug des formalen Seins auf die Ratio und damit der Bezug der transzendentalen Bestimmungen auf die Ratio stark zurückgedrängt. Dann würde die Kühnheit, mit der Thomas den von Aristoteles — vielleicht schon von Plato — gesehenen Zusammenhang zwischen Einheit und Logos zur fundamentalen These gemacht hat, bei Duns Scotus nicht mehr voll wirksam geblieben sein. Dagegen würde man erwarten, daß Ockham, den man so gern als einen Nominalisten bezeichnet, diesen Bezug der transzendentalen Bestimmungen auf den Logos zu einem konsequenten Nominalismus weiterentwickelt hätte, daß also das Sein der transzendentalen Bestimmungen, und daß insbesondere das Sein der Einheit nur in ihrem Gedachtsein besteht. Die von mir durchgeführte spezielle Untersuchung hat jedoch gezeigt, daß dem keineswegs so ist, man muß vielmehr sagen, daß Ockham in dieser fundamentalen Frage der ontologischen Bestimmung des Seins der Transzendentalien zwar eine ganze Reihe von Bestimmungen diskutiert, daß er sich aber für keine ganz entscheidet. Dabei ist es bemerkenswert, daß Ockham die rein nominalistische Lösung gar nicht ernsthaft in Betracht zieht, sie nicht einmal für eine diskussionsweise mögliche Lösung hält. Man wird daher sagen müssen, daß auch Ockham in dieser ontologischen Grundfrage die Höhe und die Kühnheit des Aquinaten nicht erreicht, die Bedeutung von Ockham liegt vielmehr in der konsequenten Durchführung des transzendentalen Gesichtspunktes. Die philosophische Arbeit von Ockham hat also gewissermaßen eine quantitative Bedeutung, sie bezieht sich in erster Linie nicht auf die Frage, was das transzendentale Sein sei, sondern wie weit das transzendentale Sein reiche. Hier hat allerdings Ockham eine so große Bedeutung, daß wir die Probleme im folgenden Paragraphen gesondert darstellen wollen.

135 $ 17 Universalienproblem und Relationsproblem Nicht wenige Freunde der mittelalterlichen Philosophie sind gewohnt, das Problem des Allgemeinen vom Problem der Universalien aus zu betrachten. Unter diesem Gesichtspunkt schränken sich die Probleme der Einheit auf die Probleme der Einheit einer Gattung ein. Nun hat sich das Universalienproblem nicht nur dadurch erschöpft, daß dieses Problem in einer endlosen Diskussion immer wieder hin und her gewandt wurde. Es kam hinzu, daß die auf die Mechanik sich stützende neue Naturwissenschaft für den Begriff der Gattung keine Verwendung mehr hatte. Eine rückschauende Betrachtung zeigt dann, daß der Gattungsbegriff weder in der griechischen noch in der mittelalterlichen Philosophie der einzige und, daß er vielleicht nicht einmal der wichtigste Allgemeinbegriff ist. Aristoteles stellt ausdrücklich fest, daß die Begriffe der Einheit und des Seins zwar allgemeine Begriffe sind, daß sie aber keine Gattungsbegriffe sind1. Alle transzendentalen Begriffe sind zwar allgemeine Begriffe, sie sind aber keine Gattungsbegriffe2. Die fundamentalen Begriffe der Ontologie sind keine Universalien, wenigstens nicht in dem Sinne, in dem das Universalienproblem fast ausschließlich diskutiert wird. Für Thomas kommt hinzu, daß die ontologischen Fragen der Theologie im Vordergrund stehen, daß bei diesem Problem Gattungsbegriffe keine Rolle spielen, so daß dies Problem fast ausschließlich auf die transzendentalen Bestimmungen der Einheit, der Vollkommenheit, der Wahrheit, des Seins Gottes führt. Auch von hier aus gesehen muß daher eine Beschränkung auf die Gattungsbegriffe als die einzigen allgemeinen Begriffe bedenklich erscheinen. Für Kant ist die Mechanik in den Vordergrund getreten. Die kantische Philosophie kann nur verstanden werden, wenn man sich vor Augen hält, daß die von Kant erwogenen Probleme der Einheit nicht auf die Einheit der Gattung gehen. In einer solchen Interpretation werden wir vom systematischen Gesichtspunkt her dadurch ermuntert, daß Husserl in seiner Unterscheidung von Generalisierung und Formalisierung die verschiedenen Möglichkeiten des Allgemeinen endlich wieder klargelegt hat3. Das Allgemeine, um das es in der Mathematik, in der Physik und damit auch in der Kritik der reinen Vernunft geht, ist das Allgemeine der Zahl und das Allgemeine der Relation. Ockham ist es gewesen, der

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diese Probleme als erster systematisch erfaßt hat, und wie so oft, sind auch hier die Probleme in der ersten Erfassung besonders deutlich geworden. In gewissem Sinne hat schon Duns Scotus das Problem gesehen, als er die Frage nach dem Sein der Zahlen stellte. Duns Scotus fragt nach dem Sein der natürlichen Zahlen, also der griechischen Auffassung entsprechend, nach dem Sein der Zahlen 2, 3, 4 ... Zu einem endgültigen Ergebnis scheint Duns Scotus in dieser Frage nicht gekommen zu sein4. Er erreicht aber das wichtige Ergebnis, daß jedenfalls für das Verhältnis der einzelnen Zahlen zum Allgemeinbegriff Zahl — wie wir heute sagen würden, zum Allgemeinbegriff natürliche Zahl — der Begriff der Gattung nicht zutreffen kann. Zahl ist nicht die Gattung zu 2, 3, 4... Man müßte nämlich dann die einzelnen Zahlen als Arten auffassen, und der Übergang von der Gattung zur Art müßte sich durch eine spezifische Differenz vollziehen. Da aber der Begriff Zahl unendlich viele Spezies haben müßte, so müßte es offenbar auch unendlich viele spezifische Differenzen geben, und dies ist, so sagt Duns Scotus mit Recht, im logischen Aufbau von Gattung und Art unmöglich. Daß diese Erwägung richtig ist, dafür spricht mit, daß Plato auf dieselbe Schwierigkeit gestoßen ist. In der Akademie hat man versucht — wir wissen nicht genau, ob Plato selbst oder seine Schüler —, die Zahlen dem dichotomischen Schema von Gattung und Art zu unterwerfen; dieser Versuch hat keinen Erfolg gehabt, und zwar offenbar deshalb nicht, weil das Schema von Gattung und Art hier nicht paßt. Dasselbe Problem taucht noch einmal verstärkt auf im Verhältnis der Zahl zum Gezählten, und dies scheint Ockham als erster gesehen zu haben. Auch die einzelne Zahl ist nämlich ein Allgemeines. Dies zeigt sich besonders deutlich bei größeren Zahlen. Der Begriff siebzehn, wenn er etwa auf siebzehn Menschen angewandt wird, ist ein Allgemeines, und es fragt sich, von welcher Natur diese Allgemeinheit ist. Das ontologische Problem der Seinsbestimmung der Zahl liegt für die Scholastik zunächst im Begriff des Akzidens. Die Zahl wird daher gesehen als eine kategoriale Bestimmung, als eine Unterart der Quantität, und alles kategoriale Sein wird ontologisch bestimmt vom strengen Akzidenscharakter der Qualitäten. In diesem Sinne wird auch die Zwei zunächst als ein Akzidens angesehen. Aber schon Thomas mußte neben die akzidentale Zahl eine transzendentale Vielheit setzen, und Duns Scotus und Ockham haben dann endgültig die Schwierigkeiten gezeigt,

§17: Universalienproblem und Relationsproblem

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die entstehen, wenn man die Zahl als ein Akzidens auffassen will. Nehmen wir etwa die Zwei als eine konkrete Zwei. Worin — dies ist die Frage — ist es begründet, daß diese zwei Steine zwei sind? Versucht man die Zweiheit dieser beiden Steine als ein Akzidens im eigentlichen Sinne aufzufassen, dann gerät man bald in ausweglose Schwierigkeiten. Dies Akzidens Zweisein nämlich ist entweder ganz in jedem der beiden Steine, und das ist offenbar ungereimt, denn dann könnte ja der zweite Stein verschwinden, und der erste Stein hätte immer noch die Eigenschaft des Zweiseins. Oder das Zweisein ist eine Eigenschaft, die gewissermaßen zwischen den beiden Steinen existiert und mit einem Fuß in dem einen Stein, mit dem anderen Fuß in dem anderen Stein steht. Dies widerspricht aber dem Begriff des Akzidens. Oder es ist schließlich ein Teil der Zweiheit in dem einen Stein und der andere Teil der Zweiheit in dem anderen Stein. Damit wäre aber dann die Frage doch nur zurückgeworfen. Wir müßten ja jetzt fragen, wodurch sind die zwei Teile der Zwei eine Bestimmung, wodurch sind sie eine Zwei, und damit wären wir wieder bei der ursprünglichen Frage6. In dieser Diskussion tritt an den Tag, daß sich in der Zwei Einheit und Vielheit in einer ganz eigentümlichen Weise verschlingen, die Zwei ist eben in einer ganz spezifischen Weise Einheit und Vielheit zugleich. Die uns in erster Linie interessierende Frage ist die Frage nach der Einheit. Woher rührt es, daß diese zwei Steine in ihrem Zweisein doch wieder zugleich eine Einheit, wenn auch eine ganz eigentümliche Einheit, darstellen? Es gibt eine sehr alte und zugleich sehr einfache Antwort: Diese beiden Steine sind deshalb und nur deshalb zwei, weil ein betrachtender Verstand, also im allgemeinen ein Mensch, sie zählt. Eine solche Reduktion der Zahl auf den zählenden Menschen würde man wohl allgemein bei den Nominalisten suchen, bei Ockham liegt sie aber nicht vor. Eine solche Reduktion der Zahl auf den zählenden Menschen ist überhaupt in der Scholastik selten, ich wüßte von namhaften Scholastikern eigentlich nur Petrus Aureolus zu nennen. Bei alledem hat die Bemerkung des Aristoteles über den Zusammenhang von Zahl und zählender Seele auf die Scholastiker, und nicht zum wenigsten auf Thomas, einen tiefen Eindruck gemacht. Aristoteles hatte ja schlechthin gesagt: Wenn es unmöglich ist, daß es ein Zählendes gibt, so ist es unmöglich, daß es ein Zählbares gibt, und dann ist offenbar auch eine Zahl unmöglich6. Man wagt diesen Satz des Aristoteles nur sehr langsam so zu nehmen, wie er

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gesagt ist, und doch hatte auch schon Plato im Timäus auf den Zusammenhang der Zeit und der Zahl aufmerksam gemacht7. Noch deutlicher kommen die Probleme bei der Relation heraus, und unsere heutige Einsicht in den Relationscharakter der Zahl hat uns diesen Zusammenhang verständlich gemacht. Auch hier beim Relationsproblem muß die ontologische Diskussion der Scholastik sich wieder mit dem AkzidensbegrifF auseinandersetzen. Die Relation wird zunächst als Kategorie bestimmt und damit ontologisch von der Qualität her als strenges Akzidens gesehen. Dann ist also die Gleichheit dieser beiden Hölzer ein Akzidens. Aber wieder erhebt sich wie bei den zwei Steinen, so jetzt bei den zwei gleichen Hölzern die Frage, wie und wo existiert die Gleichheit. Ist sie ganz in jedem der beiden oder mitten inne schwebend in keinem von beiden, oder ist sie mit einem Stück in dem einen, mit dem anderen Stück in dem anderen? Alle Antworten sind unmöglich, sie zeigen zugleich die Unmöglichkeit des Ansatzes als solchen. Man kann eben die Gleichheit nicht bestimmen als Eigenschaft eines einzigen Dinges, sondern Gleichheit und Ähnlichkeit sind immer Bestimmungen von zwei Dingen. Ockham hat dafür den bündigsten Ausdruck gefunden, wenn er sagt: similitude sunt duo similia8. Hier wird also mit aller Schärfe gesehen, daß eine Relation zwei Dinge zu einer Einheit zusammenbindet, und hier stellt sich jetzt die allgemeine Frage, worauf diese Einheit der Relation beruht. Auch hier tritt die alte und allzu einfache Antwort auf, daß die Beziehung darin besteht, daß ein Verstand zwei Dinge aufeinander bezieht, zwei Dinge miteinander vergleicht. Zwei Dinge sind deshalb gleich, weil ein Verstand die beiden Dinge miteinander vergleicht und sie dann als gleich sich vorstellt. Diese These wird dadurch begünstigt, daß es ganz gewiß Beziehungen gibt, die lediglich darauf beruhen, daß ein Verstand sich diese Beziehungen vorstellt. Solche Beziehungen haben als relationes rationis in der Scholastik stets eine große Rolle gespielt. Es ist aber doch wohl nicht möglich, alle Relationen lediglich auf das Vorgestelltsein zu gründen, alle Relationen als relationes rationis anzusehen. Läßt man aber reale Relationen im eigentlichen Sinne gelten, so fragt sich, worin besteht die Realität der realen Relationen, und dies bedeutet dann: worin besteht die Einheit der realen Relationen?

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5 18 Die Seinsbestimmung der Einheit bei Leibniz Leibniz ist für unser Problem historisch wie systematisch von gleich großer Bedeutung. Historisch lebt Leibniz in einem ungebrochenen Zusammenhang mit der Scholastik, und Kant knüpft unmittelbar an die Probleme an, wie Leibniz sie gestellt hat. Systematisch tritt gerade bei Leibniz mit aller Deutlichkeit hervor, daß es sich um zwei durchaus verschiedene Probleme handelt, die Einheit des Lebendigen und die Einheit des Phänomenalen. Die Einheit des Lebendigen wird von Leibniz bestimmt in der Monade. Monade und Lebewesen sind zwei Begriffe, die sich in ihrem Umfang decken, jedes Lebewesen ist eine Monade und jede Monade ist ein Lebewesen (wenn man von Gott absieht). Dabei hebt der Begriff der Monade gerade das Problem der Einheit heraus. Diese Probleme der Einheit des Lebendigen liegen außerhalb des Rahmens unserer Untersuchung, aber von unseren Gesichtspunkten her könnte man gerade für Leibniz formulieren: Das Wesen des Lebendigen ist seine Einheit. Für unsere Untersuchung kommt nur die Einheit des Phänomenalen in Betracht; sie gipfelt in der Einheit der Natur, die Natur hier betrachtet als ein mechanisches System. Diese Einheit des mechanischen Systems trägt auch für Leibniz durch und durch Relationscharakter; sie ist eine Einheit von Relationen, eine Gesetzlichkeit von Relationen und als solche wieder eine Relation von Relationen. Diese grundsätzliche Reduktion des Phänomenalen auf Relationen ist zunächst ein Verfolgen des von Ockham Erreichten. Für unsere zusammenfassende Betrachtung können wir uns begnügen, darauf hinzuweisen, daß Leibniz die Quantität unter die Relation subsumiert. Dies gilt schon von den Zahlen, und Leibniz kann an des Bosses schreiben: Numeri, unitates, fractiones naturam habent relationum1. In einem schönen Fragment, das Couturat uns mitgeteilt hat, setzt dann Leibniz ausführlich auseinander, daß er anfänglich zwischen der Quantität und der Relation als zwischen zwei verschiedenen Kategorien sorgfältig unterschieden habe. Erst bei der genaueren Durcharbeitung des Problemes — re tarnen accuratius considerata — habe er dann gesehen, daß alle quantitativen Bestimmungen Relationen sind2. Wir haben bereits darauf hingewiesen, mit welcher Entschiedenheit Leibniz

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

hervorhebt, daß die Mathematik Relationstheorie ist. Dann subsumiert sich für Leibniz die Frage: was ist die Natur?, ebenso wie die Frage, was ist der Raum?, was ist die Zeit? unter die allgemeinere Frage: was ist die Relation?; und Ockham ist es gewesen, der diesen allgemeinen Gesichtspunkt zuerst entwickelt hat. Nun deckt sich alles eigentliche Sein mit dem Sein der Monade. Was real ist, ist Monade, und die Relationen können daher im eigentlichen Sinne nicht real sein. Hier stellt sich nun Leibniz auf den extremen Standpunkt, daß alle Relationen als solche dem Denken angehören: relationem ... esse rem mere mentalem3. Die Relation, so muß man wohl übersetzen, ist ein reines Gedankending. Es gibt also nur die Monaden, dazu in einem gewissen Sinne die Qualitäten als Modifikationen der Monaden, und erst das Denken ist es, das die Relationen hinzubringt: „Je crois, que les qualites ne sont que des modifications des substances et l'entendement y ajoute les relations"4. Dies würde freilich einen extremen Nominalismus bedeuten, wenn nicht das Denken, das die Relationen hinzubringt, das Denken Gottes wäre. Wir haben diesen Zusammenhang schon beim Raum gesehen und treffen ihn jetzt in der allgemeinen Form. Die schönste Formulierung hat Leibniz gelegentlich einer Stelle gefunden, die wir nur in einem Entwurf kennen, in dem Entwurf eines Briefes an des Bosses: „Porro Deus non tantum singulas monades et cujuscunque Monadis modificationes spectat, sed etiam earum relationes, et in hoc consistit relationum ac veritatum realitas"5. Die Realität der Relationen besteht darin, daß sie von Gott gedacht werden. Dieser Bezug der Relationen auf das göttliche Denken ist kein Nominalismus, sondern Transzendentalphilosophie. Gegenüber dem ursprünglichen Ansatz des Aristoteles liegen zwei Veränderungen vor. Es ist erkannt, daß Relationen Einheiten sind, und die Frage nach der Einheit wird beschränkt auf diejenigen Einheiten, die Relationen sind. Zugleich wird der Zusammenhang der Einheit mit dem Logos, den Aristoteles herausgestellt hat, zum Thema erhoben. Wir versuchen den Standpunkt von Leibniz zu klären, indem wir die grundsätzlichen Möglichkeiten der Transzendentalphilosophie zu umreißen versuchen. Unter Transzendentalphilosophie verstehen wir denjenigen Teil der Metaphysik, der sich mit den transzendentalen Bestimmungen beschäftigt, der also die Fragen stellt: Was ist die Einheit? Was ist die Voll-

§18: Die Seinsbestimmung der Einheit bei Leibniz

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kommenheit? Was ist die Wahrheit? Was ist das Sein? Die Frage, ob die Transzendentalphilosophie die Metaphysik erschöpft, ob also alle Metaphysik Transzendentalphilosophie ist, kann dahingestellt bleiben. Darüber hinaus orientieren wir uns lediglich an der transzendentalphilosophischen Teilfrage: Was ist die Einheit? und beschränken die Frage auf solche Einheiten, die Relationen sind, sofern nicht etwa alle für uns faßbaren Einheiten Relationen sein sollten. Dann sind drei Stufen, man könnte auch sagen, drei Standpunkte der Transzendentalphilosophie möglich. Der erste Standpunkt hebt zunächst den Unterschied zwischen Einheiten und Dingen heraus, der zweite Standpunkt hebt heraus, daß Einheit es irgendwie mit dem Logos zu tun hat, und der dritte Standpunkt schließlich gründet die Einheit ganz auf den Logos. Die kantische Transzendentalphilosophie ist Transzendentalphilosophie im spezifischen Sinne, und doch wird man ihr nicht gerecht, wenn man sie ausschließlich als eine Transzendentalphilosophie der dritten Stufe ansieht. Die Frage, ob die kantische Philosophie dies wirklich und ausschließlich ist, können wir zunächst dahingestellt sein lassen. Die Kantinterpretation des Neukantianismus und des deutschen Idealismus will alle Einheit allein vom Denken her verstehen, und doch mag es fraglich sein, ob diese Interpretation die kantische Philosophie wirklich ausgeschöpft hat. Wie dem auch immer sei — wir werden noch darauf zurückkommen —, zum Verständnis und zur Rechtfertigung des kantischen Standpunktes ist es von großer Bedeutung, diese drei Stufen in ihrem Aufeinanderfolgen auseinanderzulegen. Die erste Stufe bedeutet die ontologische Behauptung, daß Einheit etwas anderes ist als die Dinge, deren Einheit sie ist. Diese Behauptung trat uns vielfältig in ihren konkreten Formen entgegen. So war zunächst der Raum ein Zusammenhang, ein Ordnungssystem, eine Einheit von Dingen, und als eine solche Einheit von Dingen konnte er nicht selbst wieder ein räumliches Ding sein. Ebenso kann auch die Natur als die Gesetzlichkeit der Dinge nicht selbst wieder ein unter diesen Naturgesetzen stehendes Ding sein. Dieser Sachverhalt mag uns am deutlichsten werden, wenn wir ihn in bezug auf die Naturgesetze aussprechen. Ein Naturgesetz stellt den gesetzlichen Zusammenhang zwischen Dingen dar und kann daher nicht selbst ein Ding sein. Bei Aristoteles und ihm folgend bei Thomas wird das besondere Sein der Ein-

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

heiten abgehoben gegen das Sein der Substanzen und das Sein der Akzidenzen. Die Einheit ist weder eine Substanz noch eine Qualität; diese These fanden wir in aller Deutlichkeit bei Aristoteles, und in der thematischen Aufnahme dieser These durch Thomas fanden wir ein ursprüngliches Verständnis. Stellt man in einer zweiten Stufe die Frage, worin das Sein der Einheit besteht, wenn es weder das Sein einer Substanz noch das Sein einer Qualität sein kann, so finden wir eine thematische Antwort bei Aristoteles nicht mehr. Aristoteles begnügt sich damit, auf die Bedeutung des Logos hinzuweisen. Der Logos ist es, in dem die Verschiedenheit der transzendentalen Bestimmungen gründet. Wenn wir recht sehen, wird dieser Bezug der Einheit auf den Logos, auf die Ratio, von Thomas noch schärfer herausgearbeitet, vermutlich von den ontologischen Problemen der Fundamentaltheologie her. Die Unterscheidung der transzendentalen Bestimmungen gründet in der Ratio; dies wird bei Thomas zur transzendentalphilosophischen Grundthese. Von hier aus ist eine dritte Stufe möglich, wenn die Einheit der Relationen — um diese allein geht es uns jetzt — nicht nur auf die Ratio bezogen wird, sondern wenn sie völlig in der Ratio begründet wird. Dann ist das Sein von Einheit nicht nur auf das Denken bezogen, sondern das Sein von Einheit besteht für diesen dritten transzendental philosophischen Standpunkt nur in seinem Gedachtsein. Dieser Standpunkt hat seinen reifsten Ausdruck vielleicht bei Cohen gefunden, in der Kantinterpretation ebensosehr wie im systematischen Aufbau: Alle Einheit ist Denken, alle Einheit gründet ganz und gar im Denken. Das Sein des Raumes, das Sein der Naturgesetzlichkeit, ja das Sein von Einheit überhaupt besteht ausschließlich in diesem Gedachtsein. Ein tieferes Verständnis der kantischen Philosophie ist wohl nur dann möglich, wenn man den kantischen Standpunkt bewußt mit diesen verschiedenen Möglichkeiten der Transzendentalphilosophie in Verbindung bringt. Ein neuer Unterschied rührt nun daher, daß die Ratio entweder die Ratio Gottes oder die Ratio des Menschen sein kann. Läßt man als die das Sein begründende Ratio die Ratio Gottes zu, dann besteht für Leibniz alle phänomenale Einheit, die Einheit aller Quantitäten, aller Zahlen, aller Relationen in ihrem Gedachtsein, freilich in ihrem durch Gott Gedachtsein.

143 jf 19 Die transzendentale Idealität der Einheit Gehen wir in der Frage der endgültigen ontologisdien Bestimmung der Einheit bei Kant zunächst noch einmal von Leibniz aus, dann liegt die Unterscheidung zwischen substantieller Einheit und phänomenaler Einheit zu Grunde. Die substantielle Einheit ist die Einheit des Lebendigen, sie findet ihren Ausdruck in der Monade; die phänomenale Einheit ist die Einheit der Naturerscheinungen, soweit sie von der mathematisch fundierten Naturwissenschaft behandelt wird. Diese Einheit stammt aus dem Denken, und zwar aus dem Denken Gottes. An dieser Unterscheidung hält Kant fest, und er geht noch darüber hinaus, indem er in der Kritik der reinen Vernunft überhaupt nur die Einheit der Naturerscheinungen diskutiert. Auch daran hält Kant fest, daß die Probleme der phänomenalen Einheit Relationsprobleme sind. So war der Raum von Kant wie von Leibniz bestimmt als ein Gefüge von Relationen, und die Mathematik als Relationstheorie. Die Natur ist bestimmt als durchaus nur aus Verhältnissen bestehend; die Natur ist ein reines Relationsproblem, und die mathematisch-physikalische Naturwissenschaft ist eine Relationstheorie. Die Wendung, die Kant dem Problem gibt, liegt darin, daß die Relationen nun ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Einheit betrachtet werden. Relationen, dies hatte Ockham herausgestellt, sind Einheiten, sie werden jetzt von Kant gänzlich unter dem Gesichtspunkt der Einheit begriffen. Man sieht dies vielleicht am deutlichsten, wenn man die Kausalrelation betrachtet. Die Kausalrelation ist eine Relation, und doch liegt ihre wesentliche Bedeutung darin, daß sie eine Einheit stiftet, zunächst zwischen zwei Dingen, von denen das eine die Ursache, das andere die Wirkung ist; dann aber begründet die Kausalrelation, die die Natur im ganzen durchzieht, gerade die spezifische Einheit der Natur; die Natur ist eine, weil ein Kausalzusammenhang sie bindet. Alle Einheiten, die in der Kritik der reinen Vernunft untersucht werden, sind Relationen, sind Beziehungen. Alle diese Beziehungen aber sind nicht in den Dingen gegeben, sie beruhen vielmehr darauf, daß ein Denken diese Verbindungen herstellt. Eine Beziehung zwischen zwei Dingen beruht nur darauf, daß ein Denken diese beiden Dinge aufeinander bezieht. Kant entwickelt diesen Gedanken in dem zweiten Hauptstück des

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

ersten Buchs der transzendentalen Analytik unter dem Titel: Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (A 84, B 116). „Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt" (A 125). Dieser Satz der transzendentalen Deduktion der ersten Auflage faßt das Problem wie in einem Brennspiegel zusammen. Zunächst wird noch einmal der Begriff der Natur bestimmt. Natur, das sind nicht die Dinge, und schon gar nicht die Lebewesen als solche, sondern Natur, wir wiesen schon darauf hin, ist lediglich die Ordnung und die Regelmäßigkeit, die Gesetzmäßigkeit also solche. Diese Ordnung und diese Regelmäßigkeit besteht in einer solchen Verknüpfung der Erscheinungen, daß diese Erscheinungen einer durchgängigen Einheit unterworfen werden. Verknüpfung und damit die durch die Verknüpfung hergestellte Einheit liegt also nicht in den Dingen selbst, sie werden erst von uns in die Dinge hineingelegt. Ein solches Verknüpfen ist nun keine zufällige und gelegentliche Handlung, sondern Verknüpfen ist die Wesensbestimmung unseres Denkens. Denken heißt zu Ordnung und Regelmäßigkeiten verknüpfen. Kant sieht durchaus die Bedeutung dieser Bestimmungen, denn er sagt im folgenden Absatz der transzendentalen Deduktion: „Wir haben den Verstand oben auf mancherlei Weise erklärt: durch eine Spontaneität der Erkenntnis,... durch ein Vermögen zu denken, oder auch ein Vermögen der Begriffe, oder auch der Urteile... Jetzt können wir ihn als das Vermögen der Regeln charakterisieren. Dieses Kennzeichen ist fruchtbarer und tritt dem Wesen desselben näher" (A 126). Der Verstand wird also jetzt in fruchtbarerer und wesentlicherer Weise charakterisiert als das Vermögen der Regeln. Verstand bedeutet das Vermögen der Regeln. Alle diese Regeln aber sind, da die Natur gänzlich aus Relationen besteht, ebenfalls Relationen, und der Verstand ist jetzt bestimmt als das Vermögen, Relationen zu setzen. Daß also der Verstand Relationen in die Dinge hineinlegt, das ist keine gelegentliche und zufällige Beschäftigung des Verstandes, sondern Relationen in die Dinge hineinlegen macht das eigentliche Wesen des Verstandes aus. Wir haben uns zunächst an die Darstellung der ersten Auflage gehalten, die zweite Auflage nimmt diese Bestimmungen in keiner Weise zurück, sie verschärft sie vielmehr.

§ 19: Die transzendentale Idealität der Einheit

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Die transzendentale Deduktion der zweiten Auflage setzt daher von vornherein mit dieser These ein: „Allein die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt, kann niemals durch Sinne in uns kommen, und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein; denn sie ist ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft, und, da man diese, zum Unterschiede von der Sinnlichkeit, Verstand nennen muß, so ist alle Verbindung, wir mögen uns ihrer bewußt werden oder nicht, es mag eine Verbindung des Mannigfaltigen der Anschauung oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der sinnlichen, oder nicht sinnlichen Anschauung sein, eine Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen Benennung Synthesis belegen würden, um dadurch zugleich bemerklich zu machen, daß wir uns nichts, als im Objekt verbunden, vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen die Verbindung die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Aktus seiner Selbsttätigkeit ist" (B 129 f.). Kant benutzt hier den Terminus Verbindung, weil dieser Terminus in der deutschen Sprache zugleich einen Zustand und eine Handlung ausdrücken kann, und weil dieser Terminus es deshalb Kant in ganz besonderer Weise ermöglicht, den Zustand auf die Handlung zurückzuführen. Verbindung ist eben nur dort, wo wir selbst etwas verbunden haben, Beziehung ist nur dort, wo wir selbst etwas aufeinander bezogen haben. Von hier aus wird nun dieses Verbinden mit neuer Energie als die wesentliche Bestimmung des Verstandes herausgestellt: „Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen, und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu verbinden" (B 134 f.). Diese Bestimmung nun: der Verstand ist das Vermögen, a priori zu verbinden, ist der rote Faden der transzendentalen Deduktion der zweiten Auflage. Die in diesem Brennpunkt der Kritik der reinen Vernunft sich sammelnden Probleme sind daher in den großen Kantinterpretationen schon immer mit Sorgfalt herausgehoben worden. Cohen, Heidegger, Hartmann und Heimsoeth haben dieses Zentralproblem unter den verschiedenen Gesichtspunkten herausgestellt.

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

Cohen betrachtet in seiner Interpretation der Kritik der reinen Vernunft diese, unter dem Titel „Kants Theorie der Erfahrung", als eine Theorie der newtonsdien Physik. Diese Auffassung ist so einseitig nicht, wie sie lange Zeit geschienen haben mag. Die Schwächen der cohenschen Interpretation liegen, wie wir später noch sehen werden, im Problem des Dinges an sich, im Problem der Einheit dagegen erreicht Cohen den eigentlichen Kern des kantischen Denkens. Cohen formuliert das Problem in dem Terminus ,Vereinigung'. Alle Einheit ist Vereinigung: „Die Synthesis soll Einheit herstellen, sie ist also eine Vereinigung". Durch diesen Akt der Vereinigung wird nun das Denken grundsätzlich bestimmt. Denken ist, so sagt Cohen, vereinigen: „Durch diese Aufgabe sind alle Arten des Denkens gekennzeichnet, sie alle bezwecken Vereinigung der Bewußtseinselemente, welche in dem Mannigfaltigen der Anschauung dargeboten werden, wie sehr sie auch eine jede diese Vereinigung spezialisieren"1. Heidegger interpretiert die Kritik der reinen Vernunft unter dem Titel: „Kant und das Problem der Metaphysik". Heidegger übergeht alle wissenschaftstheoretischen Probleme und konzentriert die Interpretation auf die Probleme der Metaphysik. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt werden die Kategorien, die Weisen der Einheit, wesentlich verstanden als Weisen der Einigung. „Die Einheit ist von Hause aus einigend. Darin liegt: Das Vorstellen von Einheit vollzieht sich als ein Einigen, zu dessen Strukturganzheit die Vorhabe von Einheit gefordert ist"2. So wird denn die Mannigfaltigkeit der Kategorien zu einer Mannigfaltigkeit von Weisen der Einigung: „als ein geschlossenes Ganzes eine Mannigfaltigkeit von Weisen der Einigung"3. Einheit stiften und Einigen schließlich wird zur Urhandlung des Verstandes4. Wenn Cohen und Heidegger soweit zusammengehen, mag das eine Ermutigung darstellen, dies Zentralproblem der Kritik in der Auffassung der Einheit als Einigung zu suchen. Kant hat also jetzt eine doppelte Bestimmung erreicht: Die Kategorien sind Weisen der Einigung, und Einigung ist nicht eine zufällige Beschäftigung des Verstandes, sondern Einigen, das ist der Verstand selbst. Von hier aus bekommt nun der allgemeine kantische Terminus der Synthesis eine erfülltere Bedeutung. Synthesis bedeutet jetzt das spontane, das konstruktive, das aktive Moment. Mochte bis jetzt noch immer unentschieden sein, ob Synthesis den Zustand oder die Hand-

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lung bedeutet, so klärt sich die Bedeutungsfrage jetzt zugunsten der Handlung. Synthesis meint jetzt das wirkliche Zusammengreifen von Verschiedenem, und in der Synthesis als diesem Zusammengreifen wird die eigentliche Bestimmung des Denkens gesehen. Von dieser These aus, daß alle Verbindung darin besteht, daß der Verstand verbindet, daß alle Relation darin besteht, daß der Verstand diese Relation stiftet, wird in dem eigentlichen Ziel der transzendentalen Deduktion eine neue, gleich fundamentale These gewonnen. Der Verstand wurde bestimmt als das Vermögen zu verbinden, als das Vermögen, ordnende und regelnde Relationen zu schaffen. Die Natur auf der anderen Seite ist nichts als ein System von Relationen, von Verbindungen. Damit kommen der Verstand und die Natur auf eine ursprüngliche Weise zusammen. Der Verstand ist das Vermögen, Beziehungen zu setzen, die Natur ist eine Gesamtheit von Beziehungen. Dann hängen also die Natur und der Verstand ursprünglich zusammen, und die Natur ist nichts als ein Inkrafttreten der ursprünglichen Möglichkeit des Verstandes. Dieser Zusammenhang wird dadurch erreicht, daß beide, die Natur und der Verstand, reduziert werden auf Relationen. Die Natur ist nichts als ein System von Relationen, der Verstand nichts als das Vermögen, Relationen zu stiften, und aus der Tätigkeit dieses Verstandes muß daher diese Natur hervorgehen. In diesem Relationscharakter hängen Natur und Verstand zusammen, und Kant kann daher sagen: „Wie sollten wir aber wohl a priori eine synthetische Einheit auf die Bahn bringen können, wären nicht in den ursprünglichen Erkenntnisquellen unseres Gemüts subjektive Gründe solcher Einheit a priori enthalten, und wären diese subjektiven Bedingungen nicht zugleich objektiv gültig, indem sie die Gründe der Möglichkeit sind, überhaupt ein Objekt in der Erfahrung zu erkennen" (A 125 f.). „Die Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung übrhaupt", so kann dann Kant weiter formulieren, „sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung" (A 111). Diese Identität der Bedingungen wird herbeigeführt durch den gleichzeitigen Relationscharakter des Denkens und der Gegenstände des Denkens, den gleichzeitigen Relationscharakter des Verstandes und der Natur. Auf die hier vorliegende und die kantische Argumentation im ganzen tragende Identitätsthese hat Nicolai Hartmann in seinen grundsätzlichen Erwägungen zur Kantinterpretation hingewiesen5.

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Kap. 4: Das Sein von Einheit überhaupt

Diese in der transzendentalen Deduktion von Kant entwickelten Gedankengänge sind immer wieder als ein Hymnus auf die Möglichkeiten des Denkens aufgefaßt worden. Alle Einheiten fließen aus dem Denken, alle Einheiten sind Vereinigungen, alles Sein ist Einheit und damit Vereinigung. Wie sehr nun auch immer diese kantischen Gedankengänge in der Tat ein Hymnus auf die Möglichkeiten der Vernunft sind, so sind sie, und dies ist von Cohen gänzlich übersehen worden, zugleich eine Elegie auf die Schranken, auf die Grenzen der menschlichen Vernunft. Alle Einheiten, alle Beziehungen stammen aus dem menschlichen Denken, insofern erscheint das Denken in einer schrankenlosen Spontaneität, aber alles Setzen des Denkens ist immer nur ein Setzen von Beziehungen. Diese Einschränkung hat Heimsoeth* uns eindringlich gezeigt. Alles Erkennen erfaßt eben nicht die Dinge selbst, es erfaßt insbesondere nicht das Wesen der Dinge selbst, sondern alles menschliche Erkennen kann eben doch nur Beziehungen zwischen den Dingen erfassen. Dasjenige also, was die Spontaneität des Denkens begründet, weil es sich in allem Denken um Beziehungen handelt, dasselbe schränkt auch zugleich das Denken ein, weil es sich bei allem Denken immer nur um Beziehungen handelt. So bricht denn auf der einen Seite in den kantischen Bestimmungen der Stolz und der Optimismus der Aufklärung mit Kraft hervor, der Verstand ist es, der der Natur die Gesetze vorschreibt, aber alle diese Gesetze, die der Verstand vorschreibt, sind eben doch nur Relationen, und sie begründen eben damit doch nur ein Gewebe von Relationen, sie begründen nur die Erscheinungen. So fließt die Einheit, nach deren Sein in der Kritik der reinen Vernunft gefragt wird, durchaus und in ihrem ganzen Bestände aus dem Denken, diese vom Denken erzeugte Einheit ist aber doch immer nur die Einheit von Relationen, Einheit von Erscheinungen also, sie ist kein Sein an sich. Die entscheidende These der Kritik der reinen Vernunft, daß das Denken alle Einheiten einigt, ist zugleich eine Hymne auf die Schöpferkraft und eine Elegie auf die Grenzen der Vernunft.

Teil II DAS SEIN

KAPITEL V

DIE WEISEN DES SEINS

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Die drei großen Themen der Metaphysik

Eine Grundthese zieht sich durch alle Werke Kants: Die letzten Ziele der Metaphysik und der menschlichen Vernunft im ganzen sind die drei großen Themen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Dies sind die drei Fragen, von denen die menschliche Natur niemals ablassen kann. Die Kritik der reinen Vernunft hat in einer Anmerkung, die der zweiten Auflage beigefügt wurde, diese These einmal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen: „Die Metaphysik hat zum eigentlichen Zwecke ihrer Nachforschung nur drei Ideen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit" (B 395). So leitet auch die Vorrede der zweiten Auflage auf dieses Thema hin: die unvermeidlichen Aufgaben der reinen Vernunft selbst sind Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Man kann nicht sagen, daß die Kritik der reinen Vernunft diesen Aufgaben rein negativ gegenübersteht. Zunächst wird die Dreiheit dieser Grundaufgaben der Metaphysik systematisch abgeleitet. In dem Abschnitt: System der transzendentalen Ideen zeigt Kant, daß sich alle transzendentalen Ideen unter diese drei Aufgaben bringen lassen. Also ist auch das Entstehen der rationalen transzendentalen Disziplinen, der psychologia rationalis, der cosmologia rationalis, der theologia transscendentalis (A 334, B391), „ein reines und echtes Produkt, oder Problem der reinen Vernunft" (A 335, B 392). Dann aber vollzieht die Kritik der reinen Vernunft bei aller notwendigen Kritik gleichwohl den ersten Schritt zur positiven Lösung. Sie zeigt, daß diese drei Ideen widerspruchsfrei sind, ja sie zeigt, daß aus rein theoretischen Voraussetzungen heraus ein Beweis gegen diese drei Ideen niemals wird geführt werden können. Die Existenz Gottes und die Tatsachen der Un-

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

Sterblichkeit und der Freiheit können zwar aus theoretischen Voraussetzungen heraus nicht bewiesen, sie können aber auch nicht widerlegt werden. Der positive Beweis kann aus praktischen Voraussetzungen geführt werden: „Der Begriff der Freiheit ... macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft aus, und alle andere Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche als bloße Ideen in dieser ohne Haltung bleiben, schließen sich nun an ihn an und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objective Realität"1. So kann für die drei großen Ideen der Metaphysik: für Gott, Freiheit und Unsterblichkeit aus praktischen Voraussetzungen die objektive Realität aufgewiesen werden. Damit stellt sich eines der schwierigsten Probleme des Kantverständnisses, weshalb in der Kritik der reinen Vernunft zu diesen großen Aufgaben der Metaphysik eine negative Haltung eingenommen wird, während die späteren Werke zu einer positiven Lösung gelangen. Kant selbst bezeichnet in der Vorrede der Kritik der praktischen Vernunft diesen Sachverhalt als das eigentliche Rätsel der kritischen Philosophie: „Hier erklärt sich auch allererst das Räthsel der Kritik, wie man dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Speculation objective Realität absprechen und ihnen doch in Ansehung der Objecte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne"2. Friedrich Paulsen war der erste, der dieses Problem aufgegriffen hat. Paulsen rückt diese drei großen Themen in den Mittelpunkt des Kantverständnisses. Der Ausgangspunkt wird jetzt die Unterscheidung zweier Welten, des mundus intelligibilis und des rnundus sensibilis. Damit rückt der Nachweis der objektiven Realität von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit in den Mittelpunkt des kantischen Denkens. Aber Paulsen verfehlt, so möchte ich glauben, das eigentliche Rätsel der Kritik, er verfehlt die Frage, wie mit der Haltung der Kritik der reinen Vernunft die Haltung der späteren Werke (und damit auch die Haltung der vorkritischen Werke) zusammen bestehen kann. Auf dieses Zusammenbestehen kommt es wesentlich an, und Paulsen sieht das Problem nicht, wenn er alles von den späteren und den früheren vorkritischen Werken her sieht. Dies geht so weit, daß im Grunde genommen die Dissertation: De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, zum zentralen Werk Kants wird, während die Kritik der

§20: Die drei großen Themen der Metaphysik

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reinen Vernunft an den Rand rückt. Paulsen sagt ausdrücklich in der Einleitung: „In der Kritik der reinen Vernunft steht die negative Seite, die Bekämpfung einer falschen Begründung im Vordergrund, hier erreicht das kantische Denken die größte Entfernung von seinem Zentrum: in den folgenden Schriften, vor allem den beiden folgenden Kritiken tritt die „intelligible Welt", deren Wirklichkeit doch auch in der Kritik der reinen Vernunft die selbstverständliche Voraussetzung bleibt, als der beherrschende Mittelpunkt wieder aufs bestimmteste hervor"3. Daß in der Kritik der einen Vernunft das kantische Denken seinen größten Abstand von seinem Zentrum erreicht haben soll, ist allerdings eine befremdliche These. Wir wollen es ohne Rückhalt aussprechen. Eine Interpretation, die zu einer solchen Feststellung führt, muß von vornherein falsch sein, welche Gründe auch immer für sie geltend gemacht werden mögen. Die Kritik der reinen Vernunft ist der Mittelpunkt der kantischen Philosophie, daran kann aus äußeren, inneren, biographischen und systematischen Gesichtspunkten kein Zweifel sein. In den von Kant ausdrücklich und mit Recht verworfenen vorkritischen Schriften das Zentrum der kantischen Philosophie zu sehen, ist nicht möglich. Bei aller Anerkennung für Paulsen, der als erster die metaphysischen Probleme wieder aufgegriffen hat, wird man diese Bedenken nicht leicht unterdrücken können. Es sind ähnliche Bedenken, die man gegen die Untersuchung von Max Wundt erheben muß. Max Wundt hat 1924 in einem umfangreichen Werk Kant als Metaphysiker dargestellt. Hier ist der Fehler Paulsens wenigstens in bezug auf die vorkritischen Schriften vermieden worden. Bedenklich mag vielleicht bleiben, daß von den späteren Schriften die unvollendete Beantwortung der Preisaufgabe der Berliner Akademie: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? eine betonte Berücksichtigung erfährt. Diese Beantwortung ist von Kant nicht fertiggestellt, insbesondere auch nicht eingereicht und nicht veröffentlicht worden. Wundts Interpretation beruht wesentlich auf diesem Manuskript, dies scheint uns nicht nur bedenklich, sondern auch gegen Wundts eigene Interpretationsgrundsätze zu verstoßen. Wundt selbst sagt ausdrücklich: „Jede Kant-Auffassung hat sich in erster Linie an den Werken, und besonders natürlich an den Hauptwerken, zu bewähren"4. Wir möchten diesen Grundsatz unterstreichen, insbesondere

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

darf alles, was Kant nicht selbst ediert hat, nur hilfsweise zur Interpretation herangezogen werden. Unsere Bedenken richten sich in erster Linie gegen die hier zugrunde liegende Auf fassung der Metaphysik. Das Problem wird vielleicht in Wundts eigener Formulierung am deutlichsten. „Dieser anschauende Verstand, der schöpferische Verstand Gottes, welcher die Dinge schafft, indem er sie denkt, erblickt alle Wirklichkeit in ihrem notwendigen, durch die Einheit der Idee bestimmten Vernunftzusammenhang. Diesem Zusammenhange nachzusinnen, ist die höchste Aufgabe des menschlichen Denkens, die wahrhafte Aufgabe der Metaphysik. Sie will, soweit es dem menschlichen Verstande möglich ist, die Welt in dem Ideenzusammenhange, unter dem Gesichtspunkt des obersten Zwecks, betrachten, zu dem Gott sie geschaffen hat. Der Offenbarung Gottes in der Welt nachzusinnen, wird so hier wie noch stets das eigentliche Geschäft der Metaphysik"5. Und in einer vielleicht noch schärferen Formulierung: „Der Gottesgedanke und seine Auswirkung in der Welterkenntnis wird so das letzte Ziel wie der Metaphysik überhaupt, so der kantischen Philosophie"8. In dieser Auffassung der kantischen Metaphysik ist Richtiges und Falsches in der gefährlichsten Weise gemischt. Es ist zwar noch eine gewisse Reservation eingeschoben. Die Metaphysik soll die Welt als eine Schöpfung Gottes erkennen, aber nur soweit dies dem menschlichen Verstande möglich ist. Wir wollen dies einmal ganz nüchtern aussprechen, daß es die eigentliche Lehre Kants ist, daß der menschliche Verstand dies nicht kann. Der menschliche Verstand geht in seiner Erkenntnis nur auf Erscheinungen und nicht auf die Werke Gottes. Der Offenbarung Gottes in der Welt nachzusinnen, ist weder das eigentliche Geschäft der Metaphysik noch der kantischen Philosophie. Wundt erhebt den Gottesgedanken zum letzten Ziel der Metaphysik und der kantischen Philosophie und nimmt damit in einer alten Diskussion über die Aufgaben der Metaphysik eine bestimmte Partei ein. Man wird zugeben können, daß die aristotelische Metaphysik im Buch XII mit einer Auffassung beginnt, die im wesentlichen der Auffassung Wundts entspricht und die in der späteren Formulierung als theologia naturalis angesprochen werden kann. Hier ist die Metaphysik die Lehre vom höchsten Seienden und also die Lehre von Gott. Aber die mittleren Bücher der Metaphysik zeigen doch deutlich, daß die Metaphysik auch anders bestimmt werden kann, als Lehre vom

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Seienden als Seienden7. Man kann zeigen, daß diese beiden Auffassungen für das griechische Bewußtsein und für Aristoteles zusammenhängen. Was etwas ist, kann nur am jeweils Besten seiner Art erfahren werden, und so kann das Sein des Seienden auch nur am höchsten Seienden erfahren werden. So entsteht die Doppelung der Aufgabe der Metaphysik, auf der einen Seite als Lehre vom höchsten Seienden, auf der anderen Seite als Lehre vom Seienden als Seienden. Dabei wird man sagen müssen, daß die Aufgabe der Metaphysik schon bei Aristoteles immer mehr in der Lehre vom Seienden als Seienden gesehen worden ist und daß die spätere Entwicklung ganz eindeutig in dieser Richtung geht. So liegt etwa für Thomas von Aquin bei der Bestimmung der Aufgabe der Metaphysik der Nachdruck auf der Lehre vom Seienden als Seienden8. Von hier aus sieht man nun, daß die ausschließliche Bestimmung der Metaphysik als Lehre vom höchsten Seienden, praktisch als theologia naturalis, zu einer Verarmung der Metaphysik führen muß, und diese Verarmung der Metaphysik ist es eben, die die Kantinterpretation von Paulsen und Wundt vom Systematischen her beeinträchtigt hat. Mit der Rückwendung der Philosophie zur Metaphysik ist die Lehre vom Seienden als Seienden wieder als die zentrale Aufgabe der Metaphysik erkannt worden, und so kommt es von der neuen systematischen Arbeit der Metaphysik her zu einer vertieften Auffassung auch der kantischen Metaphysik. Martin Heidegger interpretiert in seinem Werk: Kant und das Problem der Metaphysik9 die Kritik der reinen Vernunft. Er wählt die Methode einer fortlaufenden Interpretation, die bis zum Ende des Schematismuskapitels reicht, vor den Grundsätzen des reinen Verstandes abbricht und damit auch die transzendentale Dialektik nicht mehr umfaßt. Dies hat zur Folge, daß das Sein der Freiheit, das Sein Gottes, das Sein der Dinge an sich nicht mehr zur Interpretation gelangt. Heidegger beschränkt sich auf die Interpretation des Seins der Erscheinungen und des Seins des erkennenden Subjektes, aber gerade in dieser Beschränkung erweist sich die weittragende Bedeutung der rein ontologischen Betrachtung. Nicolai Hartmann hat in einer weit angelegten Untersuchung: „Diesseits von Idealismus und Realismus" im Jahre 1924 zum Problem der kantischen Metaphysik Stellung genommen10. Von den drei großen

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Themen steht hier das Problem der Freiheit im Mittelpunkt und also auch die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich. Hartmann zeigt gerade vom Freiheitsproblem her die Notwendigkeit und die Tragweite dieser kantischen ontologischen Grundunterscheidung. Dabei möchte man glauben, daß diese Konzentration auf das Freiheitsproblem die Gewichte der einzelnen Problemgruppen in gewissen Grenzen verschoben hat. Nun könnte man freilich die Frage stellen, ob eine solche Interpretation ohne eine Verschiebung der Gewichte und Akzente überhaupt möglich ist; eine solche Interpretation bleibt gleichwohl immer ein Ideal. In einer solchen Aufgabe, die kantische Metaphysik zu interpretieren und in dieser Interpretation die kantischen Akzente weitmöglichst beizubehalten, scheint uns Heinz Heimsoeth am weitesten gelangt zu sein. Grundlegend sind die beiden Aufsätze zum Kantjubiläum 1924". Im Eingang der zweiten Untersuchung faßt Heimsoeth seinen Standpunkt zusammen: „Kants kritischer Kampf gegen den ,Dogmatismus' der überkommenen Metaphysik galt eben keineswegs der metaphysischen Problemstellung und Arbeit überhaupt ..., sondern nur jenem naturalistisch eingeengten, auf Naturkategorien durch die methodische Anlage schon eingeschworenen und daher für wirkliches Erfassen der großen geistigen Realitäten wesenhaft unzureichenden Typus von Metaphysik, welchen — im Bunde mit der mathematischen Naturwissenschaft — der konstruktive Rationalismus ausgebildet hatte... Darum sind die Kritiken nur die ,Propädeutikc für das neu aufzurichtende ,Systemc, das ihnen gegenüber nicht etwa nur den Inbegriff von Aprioritäten ... geben soll, sondern eine darauf nun sich gründende Seinslehre — begonnen in dem Postulatenabschnitt der zweiten Vernunftkritik"12. Kant zielt, dies hat Heimsoeth unmittelbar herausgestellt, in letzter Intention auf eine Seinslehre, und es ist vielleicht nicht einmal notwendig, diese Seinslehre erst im Postulatenabschnitt der Kritik der praktischen Vernunft beginnen zu lassen, auch die Kritik der reinen Vernunft ist vielmehr ihrem eigentlichen Sinne nach Seinslehre. Von hier aus wird die Aufgabe der Interpretation deutlich: Wir müssen die kantische Metaphysik nicht nur als eine Lehre vom Sein Gottes betrachten, sondern wir müssen sehen lernen, daß die Bestimmung des Seins des Raumes, des Seins der Zeit, des Seins der Natur,

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des Seins der Erscheinungen ebensosehr eine ontologische Aufgabe darstellt wie die Bestimmung des Seins Gottes. Es ist also die transzendentale Idealität der Erscheinungen und die objektive Realität des intelligiblen Seins gleicherweise das Thema der Metaphysik, und diese Doppelaufgabe zu klären, ist das Ziel unserer Interpretation. Für ein solches Ziel ist es freilich ermutigend zu sehen, daß auch Kant selbst auf sein Hauptwerk zurückblickend, in dieser Doppelaufgabe die eigentliche Schwierigkeit gesehen hat. Einige Reflexionen geben uns den Hinweis: ,Es gibt zwei Cardinalprinzipien der ganzen Metaphysik: die Idealität des Raumes und der Zeit und die Realität des Freiheitsbegriffes' (Refl. 6344). In der nahestehenden Reflexion 6348 bezeichnet Kant wiederum diese beiden Themen als die cardines der kritischen Philosophie. Dies Doppelverhältnis bestimmt dann auch Kant in der schon herangezogenen Vorrede zur Kritik der praktischen Vernunft als das eigentliche Rätsel der kritischen Philosophie13. In diesem Sinne suchen wir den Zusammenhang der beiden ontologischen Grundbestimmungen Kants, den Zusammenhang der These von der transzendentalen Idealität der Erscheinungen mit der These von der objektiven Realität des intelligiblen Seins.

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Die Aporien des Dinges an sich

Die thematische Einführung des Begriffes „Ding an sich" erfolgt in dem Kapitel: Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena (A 235, B 294). In der ersten Auflage lehnt sich Kant noch stark an die Dissertation an. Dort hatte er schlechthin gesagt: die Sinne stellen uns die Dinge dar, wie sie uns erscheinen (sicuti apparent), der Verstand stellt die Dinge dar, wie sie an sich sind (sicuti sunt)1. In der ersten Auflage sagt Kant: „Denn wenn uns die Sinne etwas bloß vorstellen, wie es erscheint, so muß dieses Etwas doch auch an sich selbst ein Ding, und ein Gegenstand einer nicht sinnlichen Anschauung, d. i. des Verstandes sein, d. i. es muß eine Erkenntnis möglich sein, darin keine Sinnlichkeit angetroffen wird, und welche allein schlechthin objektive Realität hat, dadurch uns nämlich Gegenstände vorgestellt werden, wie sie sind, dahingegen im empirischen Gebrauche unseres Verstandes Dinge nur erkannt werden, wie

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sie erscheinen" (A 249 f.). Hier arbeitet Kant also noch mit dem Gegensatz: Gegenstände, wie sie sind und Gegenstände, wie sie uns erscheinen. In der zweiten Auflage dagegen ist die Bestimmung subtiler und vorsichtiger geworden: „Gleichwohl liegt es doch schon in unserem Begriffe, wenn wir gewisse Gegenstände, als Erscheinungen, Sinnenwesen (Phänomena) nennen, indem wir die Art, wie wir sie anschauen, von ihrer Beschaffenheit an sich selbst unterscheiden, daß wir entweder eben dieselbe nach dieser letzteren Beschaffenheit, wenn wir sie gleich in derselben nicht anschauen, oder auch andere mögliche Dinge, die gar nicht Objekte unserer Sinne sind, als Gegenstände bloß durch den Verstand gedacht, jenen gleichsam gegenüberstellen, und sie Verstandeswesen (Noumena) nennen" (B 306). Kant betrachtet diese Unterscheidung zwischen den Phänomena und den Noumena zunächst nur als eine problematische, er sagt „gleichsam gegenüberstellen". Außerdem unterscheidet er, und auch wiederum nur problematisch, zwischen solchen Dingen an sich, die den Erscheinungen zugrunde liegen, und solchen Dingen an sich, die unseren Sinnen überhaupt nicht erscheinen, sondern die nur durch den Verstand gedacht werden können. Dies würde also eine doppelte Begrenzung unserer Erfahrung bedeuten. Die Dinge an sich brauchen nicht so zu sein, wie wir sie erfahren, es ist aber auch nicht notwendig, daß wir alle Dinge, die es gibt, in sinnlicher Anschauung, und sei es auch nur ihrem Erscheinungscharakter nach, erfahren können. Terminologisch verwendet Kant für den Gegensatz Phänomena und Noumena auch den Gegensatz Sinnenwesen und Verstandeswesen sowie den weiteren Gegensatz Erscheinungen und Dinge an sich, wobei wir auf kleinere Bedeutungsabschattungen später noch eingehen werden. Dieser Gegensatz zwischen Erscheinungen und Dingen an sich ist ein Angriffspunkt aller Kantgegner, eine crux aller Kantinterpreten, ein Grundthema, im positiven oder negativen Sinne, aller Kantianer, der deutschen Idealisten ebensosehr wie der Neukantianer geworden. Er ist zum Angelpunkt auch für diejenigen Bemühungen geworden, die die Bedeutung der ontologischen Probleme für Kant herauszustellen versuchen. Als erster griff Jacobi das Problem auf. Er machte schon 1787 in seiner Schrift über Idealismus und Realismus folgendes geltend: Kant verläßt ganz den Geist seines Systems, ,wenn er von den Gegenständen

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sagt, daß sie Eindrücke auf die Sinne machen... und auf diese Weise Vorstellung zuwege bringen: denn nach dem Kantischen Lehrbegriff kann der empirische Gegenstand, der immer nur Erscheinung ist, nicht außer uns vorhanden, und noch etwas anders als eine Vorstellung sein; von dem transzendentalen Gegenstand aber wissen wir nach diesem Lehrbegriff nicht das geringste; und es ist auch nie von ihm die Rede, wenn Gegenstände in Betrachtung kommen; sein Begriff ist höchstens ein problematischer Begriff'2. Wenige Jahre darauf nimmt G. E. Schulze im Aenesidemus diese Kritik wieder auf. Die Auseinandersetzung wird weit klarer, sie richtet sich insbesondere dagegen, daß das Ding an sich als Ursache bezeichnet wird, obwohl Kant den Begriff der Ursache auf die Erscheinungen restringiert hat. Ebensowenig darf dem Ding an sich Wirklichkeit zugesprochen werden, nachdem die Kategorie der Wirklichkeit ebenfalls auf die Erscheinungen eingeschränkt worden ist3. Eine große Wirkung hat in der allgemeinen Auseinandersetzung die sehr einprägsame Formulierung von Jacobi ausgeübt: ,Ich muß gestehen, daß dieser Anstand mich bei dem Studio der Kantischen Philosophie nicht wenig aufgehalten hat, so daß ich verschiedene Jahre hintereinander die Kritik der reinen Vernunft immer wieder von vorne anfangen mußte, weil ich unaufhörlich darüber irre wurde, daß ich ohne jene Voraussetzung in das System nicht hineinkommen, und mit jener Veraussetzung darin nicht bleiben konnte'4. Auf diese Kritik hin setzen sofort Versuche ein, den Begriff des Dinges an sich entweder ganz aus der kantischen Philosophie zu entfernen oder diesen Begriff doch zum wenigsten so umzuinterpretieren, daß der scheinbare Widerspruch mit den Ergebnissen der transzendentalen Analytik aufgehoben wird. In dieser Richtung versucht zunächst Reinhold, den Begriff des Dinges an sich umzuinterpretieren. Es folgen eine Reihe weiterer Versuche, etwa von Beck und Salomon Maimon. Dabei kann man in diesem ersten Stadium der Auseinandersetzung um die kantische Philosophie keineswegs sagen, daß die Anhänger und die Gegner Kants sich gleichmäßig auf zwei Standpunkte aufteilen ließen. Vielmehr hält gerade der engste Schülerkreis Kants am Ding an sich fest; ich nenne hier etwa Kiesewetter und besonders J. Schultz, den autorisierten Kommentator Kants.

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Erst vom deutschen Idealismus wird man sagen können, daß die Ablehnung des Dinges an sich eine allgemeine wird. Dies gilt zunächst für Fichte, der den Begriff des Dinges an sich schlechterdings als den wunden Punkt der kantischen Philosophie betrachtet, es gilt aber auch für Hegel, der das Ding an sich in seiner Unerkennbarkeit niemals gelten lassen kann. Immer wird aber hier die Entfernung dieses Begriffes als eine Klärung und als eine Reinigung der kantischen Philosophie betrachtet. Dies kann man wohl allgemein auch vom Neukantianismus sagen. Auch hier wird eine Herausarbeitung der eigentlichen Grundlagen der kantischen Philosophie nur dann für möglich gehalten, wenn der Begriff des Dinges an sich wegfällt. Dabei kommt es in gewissem Sinne nur zu einer Uminterpretation, indem Cohen zwar an dem Begriff des Dinges an sich terminologisch festhält, aber diesen Begriff durchaus vom Ganzen der Erfahrung her versteht. Natorp ist dann in diesem Problem konsequent und verzichtet überhaupt auf den Begriff des Dinges an sich. Windelband hat in einer allerdings sehr früh entstandenen Arbeit die verschiedenen Phasen der kantischen Lehre vom Ding an sich eingehend untersucht. Die Untersuchung verbindet die systematischen mit den historischen Gesichtspunkten und ist für die Stellung des Neukantianismus charakteristisch. Windelband unterscheidet vier systematische Möglichkeiten, die er zugleich als vier zeitliche Standpunkte betrachtet. Der erste Standpunkt nimmt eine Welt von Substanzen oder Dingen an sich an, die unserer Sinnlichkeit als eine zeitliche und räumliche Erfahrungswelt erscheint. Von dem eigentlichen Sein dieser Welt haben wir eine adäquate Darstellung in unseren Verstandesbegriffen. Dies ist der Standpunkt der Dissertation5. In einer zweiten Phase kommt Kant zu dem negativen Ergebnis, daß der Verstand keine wirkliche, insbesondere keine apriorische Erkenntnis der Dinge an sich erreicht. Hier wird also zwar die Existenz, aber auch zugleich die Unerkennbarkeit der Dinge an sich angenommen. Dies wäre etwa der Standpunkt der ersten Hälfte des stillen Jahrzehnts, das der Fertigstellung der Kritik der reinen Vernunft gewidmet war, also etwa der Jahre 1772—1775. In der dritten Phase wird nicht nur die Erkennbarkeit, sondern auch die Existenz der Dinge an sich geleugnet. Diese Leugnung der

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Dinge an sich stellt nach Windelband die eigentliche Zertrümmerung des Dogmatismus und damit zugleich den Höhepunkt der kritischen Philosophie dar. Dieser extreme Standpunkt, daß außerhalb der Vorstellung nichts ist, um das sich die Wissenschaft zu kümmern hat, ist das Göttergeschenk Kants an die Wissenschaft. Zeitlich wäre dies der Standpunkt der zweiten Hälfte des stillen Jahrzehnts, also etwa 1775—1778. Der vierte Standpunkt schließlich wird in der fertigen Kritik der reinen Vernunft und in allen späteren Werken Kants vertreten. Jetzt wird der Gegensatz Erscheinung und Ding an sich gleichgesetzt mit dem Gegensatz sinnlich und übersinnlich, der Mensch ist als Vernunftwesen Ding an sich, als Sinnenwesen Erscheinung. Diese vom jungen Windelband mit Elan vorgetragene Darstellung leidet aber doch daran, daß die dritte Möglichkeit, die den eigentlichen Kritizismus darstellen soll, nur erschlossen ist, daß sie in keinem der Werke wirklich zur Darstellung kommt. Windelband gibt daher ausdrücklich zu, daß der wahre Kritizismus Kants in keiner seiner Schriften zum vollen Austrag kommt6. Dies ist die Achillesferse der Auseinandersetzungen um das Ding an sich, daß ein „wirklicher" Kant konstruiert wird, der faktisch in den Werken nicht vorliegt. Als letzte idealistische Auffassung des Problems können wir wohl Bruno Bauch ansehen. Bauch verweist in seinem großen Kantbuch selbst auf die vorausgegangene kleinere Darstellung in der Sammlung Göschen. Bauch legt dort noch einmal eindringlich die Widersprüche der kantischen Darstellung dar. Kant wendet Kategorien der Quantität, der Kausalität, der Realität auf die Dinge an sich an und widerspricht damit seiner eigenen Lehre von der Beschränkung der Kategorien auf das Gebiet der möglichen Erfahrung7. Bauch sucht eine Interpretation, die diese offenbaren Widersprüche vermeidet und die dem Begriff des Dinges an sich noch einen Sinn läßt. Er geht dazu aus von der Unterscheidung zwischen „unserem Verstand" und dem „reinen Verstand". Von dieser Unterscheidung her ist das Ding an sich zwar von unserem Verstand unabhängig, aber diese Unabhängigkeit gilt nicht mehr für den reinen Verstand. Hier gilt vielmehr, daß auch das Ding an sich im reinen Verstand begründet ist8. Gegen eine solche Auffassung wird man schwere Bedenken geltend machen müssen, aber

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Bauch räumt selbst ein, daß es sich um eine Weiterführung der kantischen Bestimmungen handelt, eine Weiterführung, die nach Bauchs Überzeugung allerdings ebenso möglich wie notwendig ist. In der Gesamtbewegung des Neukantianismus ist Riehl wohl der einzige gewesen, der an dem kantischen Begriff des Dinges an sich sorgsam festgehalten hat. Eine echte Bedeutung gewinnt dann das Problem in denjenigen Untersuchungen, die auf die ontologische Problematik in der kritischen Philosophie gerichtet sind, die wir im Eingang dieses zweiten Teils bereits kurz umrissen haben. Friedrich Paulsen wendet sich in seinem Werk vorwiegend den inhaltlichen Fragen zu, er richtet sich also vorwiegend auf die Existenz von Dingen an sich als den Dingen der intelligiblen Sphäre, ohne sich den ontologischen Fragen des Problems schon thematisch zuzuwenden. Erich Adickes erörtert dies Problem in einer SpezialUntersuchung von 1924 unter dem Titel: „Kant und das Ding an sich". Adickes legt besonderen Wert auf eine möglichst vollständige Zusammenstellung des Materials. So ist die hier gegebene Fülle des Materials von einer großen Überzeugungskraft; eine Begründung und eine Auseinandersetzung mit den Problemen der Ontologie im ganzen ist von Adickes nicht beabsichtigt. Er begnügt sich vielmehr damit, zur Begründung auf ein inneres Erlebnis Kants zurückzugehen: „In einem derartigen (inneren) Erleben ruhen nun auch die starken Wurzeln des Ding-ansich-Begriff s ... Und jenes Erleben besteht bei Kant eben darin, daß er in dem aposteriorischen Stoff der Erscheinungsgegenstände einen Hauch des Transzendenten spürt, daß er in ihm des letzteren Gegenwart und Macht gleichsam unmittelbar wahrzunehmen meint, daß er ihn erlebt, ,als obc er das Transzendente selbst sei"9. Einen breiteren Standpunkt gewinnt Max Wundt. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß in seinem Werk „Kant als Metaphysiker" die Grenzen zwischen Philosophie und Theologie nicht selten verwischt werden. Sieht man hiervon einmal ab, dann wird die Realität des Dinges an sich mit großer Klarheit herausgearbeitet, mit besonderer Deutlichkeit hebt Wundt heraus, daß die objektive Realität des Ansichseienden ihre ursprünglichen Ansatzpunkte im Moralischen hat. Die bei Wundt vorliegende allzu enge Nachbarschaft von Theologie und Philosophie wird man auch gegen Gerhard Krüger geltend machen müssen,

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der in seinen Untersuchungen zur kantischen Ethik den Problemen des Ansichseins seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat10. Erst in den Untersuchungen von Heidegger, Hartmann, Heimsoeth und Heyse wird das Problem der Realität des Dinges an sich auf den philosophischen Boden zurückgebracht. Heideggers Untersuchung: „Kant und das Problem der Metaphysik" stellt eine fortlaufende Interpretation der Kritik der reinen Vernunft dar, die bis zum System aller Grundsätze reicht. Deshalb treten die Probleme des Dinges an sich nicht thematisch auf, Heidegger gewinnt aber entscheidende Ergebnisse für die Seinsbestimmung des Menschen, besonders für die in dem Zusammen von Spontaneität und Rezeptivität wurzelnde Endlichkeit des Menschen, die für die objektive Realität des intelligiblen Subjekts eine große Bedeutung hat11. Hartmann geht in seiner Untersuchung: „Diesseits von Idealismus und Realismus" thematisch auf die Probleme des Dinges an sich ein. Hartmann betont noch einmal, daß die idealistische Interpretation Kants den Begriff des Dinges an sich entfernen muß. „Das exemplum crucis der Kantianer ist von jeher das Ding an sich gewesen. Der transzendentale Idealismus läßt eigentlich kein Ding an sich zu. Sein Begriff hat keinen Raum in diesem System, er läßt es in Realismus umschlagen. War diese Schwierigkeit bei Kant selbst noch halb versteckt, durch Reinholds Elementarlehre wurde sie offenbar. Seit Salomon Maimon haben die Idealisten das klar eingesehen (vor allem Fichte und Hegel, nicht weniger auch Viele im Neukantianismus) und die einzig mögliche Konsequenz gezogen, das Ding an sich ganz zu eliminieren, es für ein Unding, einen Unbegriff zu erklären"12. Demgegenüber sieht Hartmann gerade darin die eigentliche Bedeutung Kants, daß er trotz aller Schwierigkeiten am Ding an sich festhält. „Das Ding an sich ist das beredteste Zeugnis für das Übergewicht der aporetischen Denkweise in Kant"13. Hartmann sieht das Problem der Dinge an sich im wesentlichen von der Gnoseologie her. Es gibt nicht nur Unerkanntes, sondern auch Unerkennbares, es gibt also Grenzen, die zwar der Erkenntnis, nicht aber dem Gegenstand gezogen sind: „Es gibt also eine Grenze, die wohl der Erkenntnis, nicht aber dem Gegenstande der Erkenntnis vorgezogen ist; und also gibt es einen unerkennbaren Rest des Gegenstandes, der nur intelligibel, nicht sensibel ist, der niemals in den Kreis der „Erscheinung" und des empirisch Realen ein-

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tritt, niemals „Phänomenen" wird, sondern bloßes Noumenon bleibt"14. Damit sieht Hartmann die kantische Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung aus dem Standpunkt der These der partiellen Identität zwischen Erkenntniskategorien und Seinskategorien. „Die Grenze jener Identität der Bedingungen ist also zugleich die Grenze der Erkennbarkeit des Gegenstandes"15. In dieser Interpretation ist das Hineintragen neuer Auffassungen in Kant doch wohl nicht ganz vermieden worden. Erscheinung und Ding an sich sind von hier aus doch wohl zu homogen, phänomenales und noumenales Sein liegen wohl zu sehr auf derselben Ebene, sie sind in gewisser Weise zwei Stücke ein und desselben Seienden. Hartmann selbst macht auf die hier auftretende Schwierigkeit aufmerksam: „Man bedenke: der Erkenntnisgegenstand wird durch die Erkennbarkeitsgrenze in zwei heterogene Stücke zerschnitten, das eine soll bloße Erscheinung, das andere Ding an sich sein"18. Die Schwierigkeiten der von Hartmann angesetzten Interpretation liegen daher in erster Linie darin, daß ein räumliches Bild auf das Verhältnis von Erscheinung und Ding an sich angewandt wird. Das Verhältnis der Erscheinung zu dem Ding an sich wird verstanden aus dem Verhältnis, das zwei Stücke einer Fläche oder das zwei Stücke eines Körpers zueinander haben. Es muß aber doch wohl fraglich bleiben, wie weit das Verhältnis zwischen Erscheinung und Ding an sich von einem solchen räumlichen Bild her interpretiert werden darf. Dieses Problem des vereinfachenden räumlichen Bildes tritt freilich auch bei Kant auf. Kant liebt es, Erscheinung und Ding an sich als die zwei Seiten ein und desselben Gegenstandes zu bezeichnen. Aber wenn dies Bild schon Schwierigkeiten macht, so werden die Schwierigkeiten durch das vereinfachende Bild, das Hartmann anwendet, wohl noch weiter vergrößert. Dieselben Bedenken wird man auch gegen Heyse geltend machen. Zwar verwendet Heyse den etwas allgemeineren Begriff der Sphären und Regionen, so daß er von der phänomenalen Sphäre und deren Regionen sprechen kann17, aber man darf doch nicht vergessen, daß auch Sphäre und Region räumliche Begriffe sind, die vermutlich ihre Bedeutung verlieren, wenn die räumliche Fundierung dieser Begriffe gänzlich abgestreift werden soll. Am weitesten tragen, so wie im allgemeinen Problem der Metaphysik, so auch in der Frage des Dinges an sich, die Untersuchungen

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von Heimsoeth. Die folgenden Erwägungen werden von den Untersuchungen von Heimsoeth oft ausgehen müssen, so daß eine vorhergehende kurze Darstellung sich erübrigt.

5 22 Phaenomena und Noumena in der Kritik der reinen Vernunft Die durch die Unterscheidung zwischen Erscheinungen und Dingen an sich entstehenden Schwierigkeiten sind gewiß nicht gering; wir haben die Aporien eingehend diskutiert. Man hat gegen diese Unterscheidung sowohl vom allgemeinen systematischen Standpunkt, als auch vom besonderen Standpunkt der kantischen Philosophie aus Bedenken erhoben. Bei alledem muß betont werden, daß Kant an dieser Unterscheidung ohne Schwanken festgehalten hat. Er hat zwar in der transzendentalen Analytik den Standpunkt der Dissertation aufgegeben, auch die Verstandesbegriffe, die Kategorien, erfassen nicht die Dinge an sich, sondern nur die Erscheinungen. Kant kommt also zu dem Standpunkt, den Windelband so prägnant herausgearbeitet hat: die Existenz der Dinge an sich verbunden mit ihrer Unerkennbarkeit. In diesem Sinne lehrt die Kritik der reinen Vernunft die Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung gleicherweise in der transzendentalen Ästhetik, in der transzendentalen Analytik und in der transzendentalen Dialektik. Darüber hinaus ist zum Abschluß der Kritik der reinen Vernunft in der transzendentalen Methodenlehre die positive Bedeutung des Dinges an sich, wie sie in der Kritik der praktischen Vernunft thematisch wird, bereits in ihren Grundzügen entwickelt. Schließlich gibt Kant auch in der Kritik der reinen Vernunft eine zusammenfassende thematische Darstellung, und zwar zum Abschluß der transzendentalen Analytik unter dem Titel: Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena (A 235, B 294). Es ist zwar richtig, daß die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit in gewisser Weise entwickelt werden kann, ohne auf den Begriff des Dinges an sich wesentlich zurückzugreifen. Rudolf Lehmann hat darauf aufmerksam gemacht, daß die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit gerade von solchen Forschern gelehrt wird, die einer idealistischen Kantinterpretation zuneigen, und die den Begriff

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eines Dinges an sich ablehnen1. Auch wir selbst haben in unserer Darstellung der kantischen Raum-Zeit-Lehre von dem Begriff der Dinge an sich keinen wesentlichen Gebrauch gemacht. Das besagt höchstens, daß die kantischen Argumente auch für eine unter Umständen rein idealistische Deutung eingesetzt werden können, es besagt aber nicht, daß für Kant selbst die Unterscheidung nicht auch schon für die Probleme der transzendentalen Ästhetik wesentlich gewesen ist. Kant geht vielmehr schon in der Ausgangsfrage sofort vom Ansichsein aus: „Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhältnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch an sich zukommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut würden, oder..." (A 23, B 37). Kant geht also sofort von Relationen aus, die den Dingen auch dann zukommen, wenn sie nicht angeschaut werden, die ihnen also an sich zukommen. Raum und Zeit sind keine Relationen, die den Dingen an sich zukommen, und demgemäß lautet die endgültige Entscheidung: „Der Raum stellt gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich, oder sie in ihrem Verhältnis auf einander vor..." (A 26, B 42). Demgemäß kann dann Kant in der Auseinandersetzung mit Newton und Leibniz betonen, daß Raum und Zeit nicht „Dinge an sich selbst darstellen" (A 39, B 56). Zum Abschluß der Raumabhandlung weist Kant ausdrücklich darauf hin, daß alle räumlichen Gegenstände bloße Vorstellungen unserer Sinnlichkeit sind, „deren wahres Korrelatum aber, d. i. das Ding an sich selbst, dadurch gar nicht erkannt wird, noch erkannt werden kann..." (A 30, B 45). Zum Abschluß der Zeitabhandlung betont Kant noch einmal, daß alle zeitlichen Vorstellungen „den Gegenstand selbst bloß als Erscheinung" (A 36, B 53) ansehen. Zum Abschluß der transzendentalen Ästhetik in der ersten Auflage weist er wiederum darauf hin, daß sich von den Erscheinungen sogar a priori zwar sehr viel sagen läßt, „niemals aber das Mindeste von dem Dinge an sich selbst, das diesen Erscheinungen zum Grunde liegen mag" (A 49, B 66). Die in der zweiten Auflage hinzugekommenen Bemerkungen, von denen die letzte sich auf die natürliche Theologie und den intuitus originarius bezieht, haben die These nicht gemildert, sondern eher noch verschärft. Der transzendentalen Analytik liegt die Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung durchgängig zugrunde. Wir sahen, daß

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im Sdiematismuskapitel die objektive Gültigkeit der Kategorien auf die objektive Gültigkeit der reinen Anschauung, insbesondere der Zeit gegründet wird. Der Bezug von Raum und Zeit auf die Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung muß sich daher unmittelbar auf die schematisierten Kategorien und also weiterhin auch auf die Grundsätze übertragen. Durch die notwendige Schematisierung der Kategorien wird aller Gebrauch der Kategorien auf zeitliche Strukturen beschränkt, obwohl die allgemeine Meinung — und auch Kant selbst in der Dissertation — annimmt, daß die reinen Verstandesbegriff e die Dinge an sich erfassen. Kant wirft diese Fragen zum Schluß des Schematismuskapitels ausdrücklich auf: „so sollten die Kategorien in ihrer reinen Bedeutung, ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit, von Dingen überhaupt gelten, wie sie sind, anstatt, daß ihre Schemate sie nur vorstellen, wie sie erscheinen" (A 147, B 186). Die reinen Kategorien, ohne sinnliche Schemata, haben nur noch eine logische und keine gegenständliche Bedeutung mehr. „Aus dieser Vorstellung kann ich nun nichts machen" (A 147, B 186), und Kategorien haben daher nur dann eine erfüllbare Bedeutung, wenn sie auf Erscheinungen bezogen werden. In der transzendentalen Dialektik schließlich wird die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich zur Grundlage der Untersuchung. Die auftretenden Widersprüche entstehen nur dann, wenn der Unterschied zwischen Ding an sich und Erscheinung nicht gesehen wird, die Widersprüche verschwinden, sobald dieser Unterscheid die gebührende Beachtung erhält. Auf die in der transzendentalen Methodenlehre beginnende positive Bedeutung des Dinges an sich werden wir im nächsten Paragraphen eingehen. Das gesamte Problem wird von Kant thematisch zusammengefaßt zum Abschluß der transzendentalen Analytik, im dritten Hauptstück des zweiten Buches, unter dem Titel: Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena. Wir sahen, daß diese Unterscheidung der Kritik der reinen Vernunft im ganzen zugrunde liegt, es ist deshalb verständlich, daß die thematische Behandlung jetzt als Zusammenfassung auftreten kann: „Obschon wir diese Fragen in dem Lauf der Analytik schon hinreichend beantwortet haben, so kann doch ein summarischer Überschlag ihrer Auflösungen

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die Überzeugung dadurch verstärken, daß er die Momente derselben in einem Punkt vereinigt" (A 236, B 295). Als eine solche Vereinigung in einem Punkte tritt die Lehre von den Phänomena und Noumena auf. Kant faßt daher den Grundgedanken des Schematismuskapitels dahin zusammen, daß ein Gebrauch der Kategorien nur dort stattfinden kann, wo sie auf die Sinnlichkeit bezogen werden (A 236, B 295). In der ersten Auflage führt Kant dann die Unterscheidung durch folgende Bestimmung ein: „Erscheinungen, sofern sie als Gegenstände nach der Einheit der Kategorien gedacht werden, heißen Phaenomena. Wenn ich aber Dinge annehme, die bloß Gegenstände des Verstandes sind, und gleichwohl, als solche, einer Anschauung, obgleich nicht der sinnlichen (als coram intuitu intellectuali), gegeben werden können; so würden dergleichen Dinge Noumena (Intelligibilia) heißen" (A 248 f.). Solche Dinge müssen wir freilich notwendig denken: „Denn wenn uns die Sinne etwas bloß vorstellen, wie es erscheint, so muß dieses Etwas doch auch an sich selbst ein Ding, und ein Gegenstand einer nicht sinnlichen Anschauung, d. i. des Verstandes sein" (A 249). Aber es fragt sich doch, ob wir, „nach der jetzigen Einrichtung unseres Verstandes" (A 250), von einem solchen Ding an sich überhaupt noch etwas wissen können. Der so entspringende Begriff ist nur ein „Begriff von einem Noumenon, der aber gar nicht positiv, und eine bestimmte Erkenntnis von irgendeinem Dinge" (A 252) und also auch keine positive Erkenntnis gewährt, auf die es uns doch allein ankommt. Die Problematik der Definition der ersten Auflage liegt darin, daß zwar das Ding an sich zunächst nur als das Korrelat der Erscheinung bestimmt wird, daß aber sofort ebendasselbe Ding auch als Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung bestimmt wird. Die Richtigkeit eines solchen Schlusses muß doch zweifelhaft bleiben. Die Einführung der Unterscheidung erfolgt daher in der zweiten Auflage vorsichtiger und subtiler: „Gleichwohl liegt es doch schon in unserem Begriffe, wenn wir gewisse Gegenstände, als Erscheinungen, Sinneswesen (Phaenomena) nennen, indem wir die Art, wie wir sie anschauen, von ihrer Beschaffenheit an sich selbst unterscheiden, daß wir entweder eben dieselbe nach dieser letzteren Beschaffenheit, wenn wir sie gleich in derselben nicht anschauen, oder auch andere mögliche Dinge, die gar nicht Objekte unserer Sinne sind, als Gegenstände bloß durch den Verstand gedacht, jenen gleichsam gegenüberstellen, und sie Verstandeswesen (Noumena) nennen"

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(B 306). Kant unterscheidet also jetzt sorgfältig zwei Möglichkeiten: Dinge an sich, sofern sie dem von uns Angeschauten zugrunde liegen oder zugrunde liegen mögen, dann aber auch Dinge an sich, die uns vielleicht niemals als Objekte unserer sinnlichen Anschauungen Erscheinungen werden mögen. Demgemäß wird jetzt auch in der zweiten Auflage thematisch zwischen einem Noumenon im negativen Verstande und einem Noumenon im positiven Verstande unterschieden. Ein Noumenon im negativen Verstande ist ein Ding, „so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist", ein Noumenon im positiven Verstande ist ein „Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung" (B 307). Eine solche nicht sinnliche Anschauung aber ist uns nicht gegeben, es bleibt daher für beide Auflagen bestehen: „was also von uns Noumenon genannt wird, muß als ein solches nur in negativer Bedeutung verstanden werden" (B 309). Trotzdem bleibt der Begriff des Noumenon „nicht allein zulässig, sondern, auch als ein die Sinnlichkeit in Schranken setzender Begriff, unvermeidlich" (A 256, B 311). Demgemäß bleibt der Begriff des Dinges an sich ein problematischer Begriff. Es bleibt denkbar, daß es Dinge an sich gibt, wir können nicht behaupten, daß ein solcher Begriff undenkbar ist, und wir müssen daher auch die Möglichkeit der realen Existenz uns offenhalten. Von hier aus sieht man, daß in allen Teilen der Kritik der reinen Vernunft der Begriff des Dinges an sich als ein bloß problematischer festgehalten wird. Dieser bloß problematische Charakter des Dinges an sich gilt gewiß für die transzendentale Ästhetik und die transzendentale Analytik, er gilt aber auch in der transzendentalen Dialektik, weil dort Freiheit, Unsterblichkeit und Gott nur der Möglichkeit nach gesichert werden. Die Frage geht dahin, ob der bloß problematische Ansatz des Dinges an sich in der Kritik der reinen Vernunft ein methodischer oder auch ein sachlicher Standpunkt ist. Kommen wir mit dem Ding an sich überhaupt nicht über den problematischen Ansatz hinaus, oder ist es nur so, daß wir uns unter den methodischen Voraussetzungen der Kritik der reinen Vernunft auf den bloß problematischen Ansatz beschränken müssen? Da Kant ja in den späteren Werken über den bloß problematischen Ansatz hinausgeht, so läuft die Frage zugleich auf die rein historische Frage hinaus, ob Kant bei der Abfassung der Kritik der reinen Vernunft eine solche Erweiterung des bloß problematischen Ansatzes von

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der praktischen Vernunft her schon gewollt hat. Wir entscheiden uns für das letztere. Wir möchten glauben, daß Kant die ontologischen Thesen der Kritik der praktischen Vernunft beim Aufbau der Kritik der reinen Vernunft schon vor Augen gehabt hat. Wir rinden jedenfalls in keiner der beiden Kritiken eine Stelle, die mit einer solchen Auffassung unvereinbar wäre. Auch in der Kritik der praktischen Vernunft wird ja festgehalten, daß unter rein theoretischen Gesichtspunkten, also allein unter den methodischen Möglichkeiten der reinen Vernunft, der Ansatz des Dinges an sich ein bloß problematischer bleiben muß, und umgekehrt wird in der Kritik der reinen Vernunft die Möglichkeit einer Erweiterung zu einer objektiven Realität des Ansichseins immer offengehalten. Dies gilt von der transzendentalen Methodenlehre, in der meines Erachtens der Standpunkt der Kritik der praktischen Vernunft bereits ohne sachliche Differenz gegeben wird. Aber auch in unserem Kapitel äußert sich Kant zu diesem Problem doch recht positiv: „So ist denn der Begriff reiner bloß intelligibler Gegenstände gänzlich leer von allen Grundsätzen ihrer Anwendung, weil man keine Art ersinnen kann, wie sie gegeben werden sollten, und der problematische Gedanke, der doch einen Platz für sie offen läßt, dient nur, wie ein leerer Raum, die empirischen Grundsätze einzuschränken, ohne doch irgendein anderes Objekt der Erkenntnis, außer der Sphäre der letzteren, in sich zu enthalten und aufzuweisen" (A 259 f., B 315). Hier wird also mit allem Bewußtsein ein leerer Raum offengehalten. Wenn Kant in den späteren Werken diesen leeren Raum, wenn auch mit Einschränkungen (es kommt ja nie zu einer eigentlichen Erkenntnis), besetzen kann, dann hat er doch wohl diese positive Möglichkeit auch in dem stillen Jahrzehnt der Niederschrift der Kritik der reinen Vernunft stets vor Augen gehabt. Dies gilt ganz gewiß von den konkreten Problemen, der Freiheit, der Unsterblichkeit, dem Sein Gottes. Auch hier kommt die Kritik der reinen Vernunft nur zur problematischen Lösung, aber diese problematische Lösung ist eben doch kein sachlicher, sondern nur ein methodischer Standpunkt. Man wird daher allgemein sagen können, daß die Kritik der reinen Vernunft, insbesondere in der thematischen Abhandlung, die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich als eine bloß problematische vornimmt, daß aber die von uns noch zu erweisende objektive Realität des Ansichseins immer schon als Möglichkeit mitgesehen wird.

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23 Pbaenomena und Noumena in den späteren Werken Die Kritik der reinen Vernunft schließt mit einem negativen Ergebnis: Die Dinge an sich bleiben wie ein leerer Raum, der zwar als möglich angenommen werden muß, der aber durch Erfahrungserkenntnis nicht erreicht werden kann. Die Grenzen der reinen Vernunft resultieren aus diesem Unterschied zwischen den Erscheinungen und den Dingen an sich, die reine theoretische Vernunft kann zwar die Erscheinungen erkennen, aber die Grenze zwischen Erscheinungen und Dingen an sich nicht übersteigen. Diese Grenzsetzung der Kritik der reinen Vernunft wird in der Kritik der praktischen Vernunft neu bestimmt, der leere Raum wird ausgefüllt durch die objektive Realität der Freiheit, des Unsterblichkeitsbegriffes, des Gottesbegriffes. Diese Erweiterung wird durchgeführt mit einer subtilen ontologischen Begründung, sie wird aber zugleich getragen von der innigsten Anteilnahme Kants. Aus dieser Anteilnahme heraus kann die Kritik der praktischen Vernunft sagen: „die herrliche Eröffnung, die uns durch reine praktische Vernunft vermittelst des moralischen Gesetzes widerfährt, nämlich die Eröffnung einer intelligibelen Welt durch Realisierung des sonst transscendenten Begriffs der Freiheit"1. Aber wird nicht durch eine solche herrliche Eröffnung der intelligiblen Welt das mühsam errungene Ergebnis der Kritik der reinen Vernunft wieder zunichte gemacht? Hat uns nicht die Kritik der reinen Vernunft immer wieder eingeschärft, daß jede Erkenntnis auf den Bereich möglicher Erfahrung, also auf Erscheinungen beschränkt ist, und daß jedes Darüberhinausgehen ein Übersteigen unserer Möglichkeiten, ein Herumtappen im leeren Raum ist? Nun kann kein Zweifel darüber sein, daß eine solche Erweiterung durch die positive Annahme der objektiven Realität der intelligiblen Welt von Kant nicht nur gewollt wird, sondern daß auch wesentliche philosophische und existentielle Interessen Kants hier wirksam werden. Wenn Kant immer wieder betont, daß Gott, Freiheit und Unsterblichkeit die wesentlichen Fragen der menschlichen Vernunft sind, so kommt die kantische Grundstimmung zum Ausdruck. Es ist verständlich, daß man in der Kritik der praktischen Vernunft den eigentlichen Höhe-

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

punkt der kantischen Philosophie hat sehen wollen, ja, daß die geschichtlichen Wirkungen der kantischen Philosophie gerade von der Kritik der praktischen Vernunft ausgegangen sind. Es ist vielleicht verständlich, wenn in der ontologischen Kantinterpretation diese objektive Realität des intelligiblen Seins zum fast ausschließlichen Thema geworden ist, wenigstens, wenn man an Paulsen und Wundt denkt. Für Kant selbst hat es zwischen diesen beiden Kritiken keine Differenz gegeben. Kant sieht — wir wiesen ja schon darauf hin — in der transzendentalen Idealität der Erscheinungen und in der objektiven Realität der intelligiblen Welt nur zwei Angelpunkte einer einheitlichen Philosophie, und alles kommt darauf an, den Punkt wiederzugewinnen, in dem diese beiden Thesen zusammenhängen; alles kommt darauf an zu erkennen, daß Kant notwendigerweise die transzendentale Idealität der Erscheinungen und die objektive Realität der intelligiblen Welt zusammen behaupten muß. Kant selbst wirft das Problem thematisch in der Kritik der praktischen Vernunft auf. Dort trägt das siebente Hauptstück des zweiten Abschnitts die Überschrift: Wie eine Erweiterung der reinen Vernunft in praktischer Absicht, ohne damit ihre Erkenntnis als spekulativ zugleich zu erweitern, zu denken möglich sei? Kant greift in diesem Abschnitt sofort den Kern der Schwierigkeit auf. In der Kritik der praktischen Vernunft ist für mindestens drei Begriffe, nämlich Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, die objektive Realität bewiesen worden. Kant stellt ausdrücklich noch einmal fest, daß beide Ergebnisse miteinander gelten sollen, sowohl die Ergebnisse der Kritik der reinen Vernunft, als auch die Ergebnisse der Kritik der praktischen Vernunft. Für diese drei Begriffe — dies hatte die Kritik der reinen Vernunft gezeigt — läßt sich „auf dem theoretischen Wege keine objective Realität finden"2. Dagegen zeigt die Kritik der praktischen Vernunft, daß „durchs praktische Gesetz... die Möglichkeit jener Objecte der reinen speculativen Vernunft, die objective Realität, welche diese ihnen nicht sichern konnte, postulirt" wird3. Die Lösung erfolgt dadurch, daß dieses Ergebnis zwar eine Erweiterung ist, aber „keine Erweiterung der Speculation, d. i. um in theoretischer Absicht nunmehr einen positiven Gebrauch davon zu machen"4. Die drei Ideen der spekulativen Vernunft sind zwar Gedanken, aber keine Erkenntnisse. Kant weist daher in einer angehängten Betrachtung noch einmal ausdrücklich darauf hin,

§ 23: Phaenomena und Noumena in den späteren Werken

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daß eine solche Erweiterung durchaus keine Einführung theologischer Begriffe in die Physik bedeutet: „Natureinrichtungen, oder deren Veränderung zu erklären, wenn man da zu Gott als dem Urheber aller Dinge seine Zuflucht nimmt, ist wenigstens keine physische Erklärung und überall ein Geständniß, man sei mit seiner Philosophie zu Ende"5. So kann denn Kant in der abschließenden Betrachtung dieses Abschnittes in der Kritik der praktischen Vernunft ausdrücklich die Ergebnisse der Kritik der reinen Vernunft zusammenfassen und die Notwendigkeit der Einschränkung aller Erkenntnis auf Gegenstände und Bestimmungsgründe möglicher Erfahrung noch einmal hervorheben. Beide Ergebnisse bilden eine Einheit, und für diese Einheit hat Kant selbst den klarsten Ausdruck gefunden: „Speculative Einschränkung der reinen Vernunft und praktische Erweiterung derselben bringen dieselbe allererst in dasjenige Verhältniß der Gleichheit, worin Vernunft überhaupt zweckmäßig gebraucht werden kann, und dieses Beispiel beweist besser als sonst eines, daß der Weg zur Weisheit, wenn er gesichert und nicht ungangbar oder irreleitend werden soll, bei uns Menschen unvermeidlich durch die Wissenschaft durchgehen müsse, wovon man aber, daß diese zu jenem Ziele führe, nur nach Vollendung derselben überzeugt werden kann"6. Die Einschränkung der theoretischen Vernunft und die Erweiterung der praktischen Vernunft können also nicht nur zusammenbestehen, sondern sie müssen sogar zusammenbestehen. Wir stehen daher jetzt vor der Frage, in welchem Sinne diese Erweiterung möglich ist, und wollen zunächst einige terminologische Fragen diskutieren. Wir sahen, daß vom Praktischen her die objektive Realität Gottes und die objektive Realität der endlichen intelligiblen Wesen gesichert werden. Dazu kommen noch die Dinge an sich, die den raumzeitlichen Erscheinungen zugrunde liegen. In einer gewissen Weise kann man jetzt Gott, die endlichen Intelligenzen und die Substrate der Erscheinungen zusammenfassen. Es lassen sich eine ganze Reihe von Stellen angeben, in denen Kant von Gott und den endlichen Intelligenzen als von Dingen an sich oder doch zum mindesten als von Wesen an sich spricht. Gleichwohl wird im allgemeinen der Terminus Dinge an sich auf die Substrate der Erscheinungen beschränkt. Auf diesen Sprachgebrauch Kants hat Heimsoeth schon hingewiesen7. Diesem Sprachgebrauch liegt eine sachliche Erwägung zugrunde, mit der Kant sich in bewußter Weise von Leibniz absetzt. Leibniz nimmt für jedes räum-

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

zeitliche Phänomen, sofern es lebendig ist, eine Monade, also ein denkendes Wesen, als Substrat an. Diese These hält Kant für unbeweisbar, und sie ist wohl auch eine unbeweisbare Verallgemeinerung. Kant hält sich vielmehr beide Möglichkeiten offen. Es kann also so sein, wie Leibniz es annimmt, daß jedes Ding an sich ein intelligibles Wesen ist (wenn auch von einer sehr geringen Intelligenz), es kann aber auch sein, daß manchen Körpern Substrate zugrunde liegen, die nicht intelligible Wesen sind. Von hier aus liegt es nahe, den Terminus Ding an sich auf die Substrate der körperlichen Erscheinungen zu beschränken. Auf der anderen Seite würde eine schematische Anwendung einer solchen Festsetzung den sprachlichen Ausdruck doch recht beengen, so daß man sagen kann, daß auch Kant bei grundsätzlichem Festhalten an dieser Terminologie im einzelnen doch nicht selten davon abweicht. Wir wollen uns dieser etwas freieren Terminologie nicht entziehen und beschränken den Terminus Ding an sich im allgemeinen nicht auf die Substrate der unbeseelten Körper. Dort, wo ein Mißverständnis möglich ist, sprechen wir dann von den Dingen an sich im engeren Sinne, mit denen wir dann stets die Substrate der unbeseelten Körper meinen. Daß Kant nun von dem noumenalen Sein, von Gott, von den Dingen an sich im engeren Verstande eine ganze Reihe Aussagen macht, ist unbestreitbar. Aber man wird im einzelnen hier doch recht vorsichtig und behutsam sein müssen. Wir können dies vielleicht am Satz des Widerspruchs auseinandersetzen. Adickes entschließt sich zu der radikalen These: „Auf der anderen Seite hat Kant nie bezweifelt, daß der Satz des Widerspruchs unbeschränkte Gültigkeit, auch für die Dinge an sich, habe"8. In einer Anmerkung sagt Adickes kurzerhand: „Beim Satz der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten ist es Kant freilich immer selbstverständlich gewesen, daß sie auch für die Dinge an sich Gültigkeit haben"9. Die von Adickes angegebenen Beweisstellen sind für eine so strikte These allerdings recht mager. Dabei ist die These von Adickes im Grunde genommen nicht einmal unrichtig, wenn sie nur mit der notwendigen Einschränkung gegeben wird. Trotzdem wird man bei einem so subtilen Problem über die thematischen Aussagen von Kant möglichst nicht hinausgehen. Diese Frage nach der Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch, angewandt auf Dinge an sich, würde sich ja beispielsweise dahin konkretisieren lassen, ob der Satz vom Widerspruch auch für Gott gilt. Nun liegt allerdings hier keine

§23: Phaenomena und Noumena in den späteren Werken

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völlige Übereinstimmung vor, und es gibt viele Philosophen und Theologen, die annehmen, daß die Allmacht Gottes auch durch den Satz vom Widerspruch nicht eingeschränkt wird. Immerhin neigt die überwiegende Mehrzahl der Forscher doch zu der entgegengesetzten These, daß Gottes Handeln und Gottes Sein von Widersprüchen frei ist. In betonter Weise hat diese Überzeugung ja Leibniz ausgesprochen. Gottes Sein und Denken ist nicht nur von Widersprüchen frei, sondern Gott handelt darüber hinaus nicht ohne zureichenden Grund. Man wird auch Kant diesem Standpunkt zurechnen können, wobei man immer vor Augen behalten muß, daß Kant in dieser Frage eine thematische Entscheidung vermieden hat. Immerhin ruht doch die transzendentale Dialektik auf der Überzeugung, daß die auftretenden Widersprüche unserem Denken zufallen müssen, und wenn man diesen Satz umkehren dürfte, dann würde der Satz vom Widerspruch auch von den Dingen an sich, er würde insbesondere von Gott gelten. Allein hier taucht eine neue Schwierigkeit auf. Der Satz vom Widerspruch setzt ja voraus, daß der Gegensatz, auf den der Satz vom Widerspruch angewandt werden soll, Bestimmungen hat, zwischen denen ein Widerspruch auftreten oder nicht auftreten darf. Ohne solche Bestimmungen läuft der Satz vom Widerspruch gänzlich leer. Man könnte zwar in gewisser Weise sagen, daß der Satz vom Widerspruch für Gottes Sein gilt, und daß er ebenso für Gottes Handeln gilt. Da wir aber weder die Eigenschaften Gottes noch die Ratschlüsse Gottes kennen, so fehlt es völlig an Bestimmungen, zwischen denen ein Widerspruch auftreten oder nicht auftreten könnte. Der Satz vom Widerspruch mag also immerhin von Gott, von den endlichen Intelligenzen, von den Dingen an sich gelten, er ist doch für uns im Intelligiblen völlig leer, völlig ohne jede Bedeutung. Es wäre also doch immerhin möglich, daß der Satz vom Widerspruch nur eine Funktion des diskursiven Denkens darstellt, und man wird also ohne eine ausdrückliche Entscheidung Kants, die eben nicht vorliegt, diese Frage nicht entscheiden wollen. Wir beschränken uns auf diejenigen Bestimmungen, die Kant für die Dinge an sich ausdrücklich getroffen hat. Von diesen Aussagen sind die Begriffe der Wirklichkeit und der objektiven Realität die bei weitem bedeutsamsten, und für uns steht daher im Vordergrund die Frage: In welchem Sinne kann Kant dem intelligiblen Sein Wirklichkeit und objektive Realität zusprechen?

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

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Zeitlichkeit und Räumlichkeit als Seinscharaktere

Wir haben im ersten Teil Kants Lehre von der transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit eingehend erwogen. Man kann diese These rein negativ auffassen: Raum und Zeit sind nur Formen der Erscheinung. Die These enthält aber, ontologisch betrachtet, zugleich eine positive Aussage: Alles, was in Raum und Zeit ist, ist wirklich (im Sinne der Erscheinung). Raum und Zeit werden auch für Kant zu Seinscharakteren, die kantische These ist die Weiterführung eines alten Gedankenganges1. Wir sprechen im folgenden der Kürze halber von raumzeitlichen Strukturen. Strenggenommen gilt ja nur, daß alle Erscheinungen in der Zeit sind, so daß genaugesprochen die Zeit allein der ausschlaggebende Seinscharakter ist. Die Sonderstellung der Zeit, so fundamental sie auch sein mag2, liegt außerhalb des Bereichs unserer Untersuchung; wir halten uns daran, daß fast alle zeitlichen Erscheinungen auch räumliche Strukturen haben, und daß Kant jedenfalls, abgesehen vom Schematismusproblem, Raum und Zeit durchaus parallel behandelt. Alles Wirkliche ist in der Zeit und gegebenenfalls auch im Raum; die Ableitung dieser grundlegenden These erfolgt in den beiden Hauptstücken, die vom Schematismus und von den Grundsätzen handeln. Im ersten Teil haben wir vorwiegend das Kausalproblem und damit die Analogien der Erfahrung betrachtet, für unsere jetzige Betrachtung rücken die Grundsätze der vierten Gruppe ebenso wie die Schemata der vierten Gruppe in den Vordergrund. Es dreht sich also jetzt um die drei Modalkategorien, Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit, die drei modalen Schemata und die entsprechenden drei Grundsätze, die Postulate des empirischen Denkens. Problem und Ergebnis bleiben dasselbe. Der reine Verstandesbegriff der Kausalität erlangt für uns nur dann eine Bedeutung, wenn er in dem Schema einer zeitlichen Folge zum Ausdruck kommt. Sonst bleibt er für uns leer. Es gilt allgemein von allen Kategorien, daß sie erst dann eine reale Bedeutung erlangen, wenn sie auf die Bedingungen der Sinnlichkeit, das heißt aber, wenn sie auf die Bedingungen der Zeit eingeschränkt werden. Auch die Modalkategorien benötigen daher eine Schematisierung durch zeitliche Bestimmungen. Im Schematismuskapitel sagt daher Kant: „Das Schema der Möglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis verschiede-

§24: Zeitlichkeit und Räumlichkeit als Seinscharaktere

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ner Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt..., also die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgendeiner Zeit. Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit. Das Schema der Notwendigkeit ist das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit" (A 144 f., B 184). Wirklichkeit, um den für uns jetzt wichtigsten Begriff herauszunehmen, bedeutet also das Dasein in einer bestimmten Zeit, und ohne ein solches Dasein in einer bestimmten Zeit kann die Kategorie der Wirklichkeit keine objektive Realität beanspruchen. Dies kann man jetzt allgemeiner formulieren: Alles, was in der Zeit ist, ist wirklich, und nur das, was in der Zeit ist, ist wirklich, die Zeit wird zum Kriterium der Wirklichkeit. Diesen Bestimmungen des Schematismuskapitels entsprechen die Bestimmungen des Systems der Grundsätze. Die Postulate des empirischen Denkens lauten: „1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich. 2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich. 3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig" (A 218, B 265 f.). Die Postulate gehen schon sehr weit in die konkreten Probleme hinein, den Zusammenhang mit der Zeit sieht man am deutlichsten im ersten Postulat: Möglich ist nur das, was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung übereinkommt, und diese Bedingungen der Erfahrung werden sogleich näher umschrieben als die Bedingungen der Anschauungen und der Begriffe. Also die Übereinstimmung insbesondere mit den Bedingungen der Anschauung ist im Begriff der Möglichkeit vorausgesetzt, und da, wie wir wissen, die räumliche Anschauung nicht immer notwendig ist, so ist die Übereinstimmung mit den Bedingungen der Zeit als der reinen Anschauung die Voraussetzung der Möglichkeit überhaupt. Nur das ist möglich, was den Bedingungen dieser reinen Anschauung entspricht, nur das ist also möglich, was in einer zeitlichen Anschauung erfahren werden kann. Die Möglichkeit liegt der Wirklichkeit und der Notwendigkeit zugrunde, da nur das wirklich oder notwendig sein kann, was auch möglich ist. Es gilt dies erst recht von

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

der Wirklichkeit, und so ist also nur das wirklich, was zu irgendeiner bestimmten Zeit empfunden wird, oder was mit einem Gegenstand, der zu einer bestimmten Zeit empfunden wird, nach den allgemeinen Bedingungen der Erfahrung zusammenhängt. Sowohl vom Schematismuskapitel wie vom System der Grundsätze aus kommen wir also zur allgemeinen These: Nur was in der Zeit ist, ist wirklich. Mit dieser These greift Kant eine alte Problematik auf, und die Frage, wie diese These genau zu formulieren sei, hat Kant immer wieder beschäftigt. Die erste thematische Darstellung finden wir in der Raumabhandlung des Aristoteles im vierten Buch der Physik. Aristoteles zeigt dort, daß die Alten, also die mythologischen Denker und die frühen Physiologen, Räumlichkeit als Kriterium der Wirklichkeit betrachtet haben. Alles, was im Raum ist, ist wirklich, und nur das, was irgendwo und irgendwann im Raum ist, ist wirklich. Eine Sphinx, sie ist das ständige griechische Beispiel, das auch hier von Aristoteles herangezogen wird, ist deshalb nicht wirklich, weil sie nirgends im Raum und niemals in der Zeit ist. Ob nun tatsächlich Räumlichkeit ein durchgängiger Seinscharakter ist, dies wird allerdings bald in Zweifel gezogen. Plato bestreitet ausdrücklich, daß Räumlichkeit und Zeitlichkeit Merkmale der echten Wirklichkeit darstellen: Gott, die Ideen, die unsterblichen Seelen sind nicht im Raum und nicht in der Zeit, und sind doch wirklich, ja sie sind die eigentliche Wirklichkeit. Alles, was im Raum und in der Zeit ist, hat überhaupt kein Sein oder es hat doch zum mindesten nur das unvollkommene, das vage Sein der Schattenbilder. Vom Standpunkt einer transzendenten Ideenlehre werden also jetzt Räumlichkeit und Zeitlichkeit sogar zu Merkmalen minderen Seins, vielleicht sogar des Nichtseins überhaupt, das eigentliche Sein ist unzeitlich und unräumlich, alles, was in Raum und Zeit ist, ist nur eine vergängliche Erscheinung. Diese Abgrenzung eines eigentlichen Seins von allem räumlichen und zeitlichen Sein erlangt eine besondere Bedeutung für die christliche Dogmatik, die vom Sein Gottes alle räumlichen und zeitlichen Bestimmungen fernhalten muß. Die Diskussion über die Frage, in welchem Sinne Raum und Zeit die Wirklichkeit bestimmen, durchzieht die gesamte Philosophie; sie ist Kant auf Schritt und Tritt begegnet. Viel-

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leicht mag für Kant das Auftauchen dieses Problems in dem Schriftwechsel zwischen Leibniz und Clarke eine besondere Bedeutung gehabt haben. Um die absolute Realität des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit im Sinne Newtons aufrechtzuerhalten, muß Clarke das Sein des Raumes und der Zeit irgendwie mit dem Sein Gottes zusammenbringen. Clarke bestimmt deshalb, wie wir sahen3, Raum und Zeit als Eigenschaften Gottes. Leibniz betont immer wieder die Schwierigkeiten, die aus einer solchen Auffassung notwendigerweise entstehen müssen, er unterstreicht immer wieder, daß man vom göttlichen Sein alle räumlichen und zeitlichen Bestimmungen fernhalten muß. Deshalb sind also Raum und Zeit für Leibniz keine absoluten Realitäten und auch keine Seinscharaktere der Wirklichkeit. Leibniz geht in einer kühnen Konsequenz so weit, Raum und Zeit nicht nur vom absoluten Sein Gottes, sondern auch vom absoluten Sein der endlichen Intelligenzen fernzuhalten, auch die Monaden sind in ihrem absoluten Sein nicht durch räumliche und zeitliche Strukturen bestimmt, und deshalb sind Raum und Zeit auch für endliche Monaden keine Seinscharaktere. Im betonten Gegensatz zu Leibniz erklärt Crusius Raum und Zeit wieder für durchgängige Seinscharaktere. Jedes endliche Seiende ist als solches in Raum und Zeit4. Alles, was ist, ist im Raum. Alles, was ist, ist in der Zeit. Ob und in welchem Sinne diese beiden Sätze richtig sind, diese Frage hat Kant immer wieder thematisch gestellt. Kant kommt schon früh zu der Erkenntnis, daß diese beiden Sätze nicht die Bedingungen der absoluten Realität, sondern nur die Bedingungen der möglichen Erfahrung aussprechen. Diese Einsicht gehört zu denjenigen Bestimmungen der Kritik der reinen Vernunft, die schon in der Dissertation klar gegeben sind. Räumlichkeit und Zeitlichkeit, so sagt auch schon die Dissertation, sind nicht Bedingungen der absoluten Realität, sondern nur Bedingungen unserer Anschauung. Es ist ein Irrtum, sie zu Bedingungen der absoluten Realität zu machen, und dieser ontologische Fehlansatz ist die Quelle zahlloser Schwierigkeiten und Widersprüche5. Mit völliger Klarheit wird das Problem in der transzendentalen Ästhetik behandelt. „Der Satz: Alle Dinge sind nebeneinander im Raum, gilt nur unter der Einschränkung, wenn diese Dinge als Gegenstände unserer sinnlichen Anschauung genommen werden. Füge ich hier die Bedingung zum Begriffe, und sage: Alle Dinge, als äußere Erschei-

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

nungen, sind nebeneinander im Raum, so gilt diese Regel allgemein und ohne Einschränkung" (A 27, B 43). In dem gleichen Sinne sagt Kant dann von der Zeit: „Wir können nicht sagen: alle Dinge sind in der Zeit, weil bei dem Begriff der Dinge überhaupt von aller Art der Anschauung derselben abstrahiert wird, diese aber die eigentliche Bedingung ist, unter der die Zeit in die Vorstellung der Gegenstände gehört. Wird nun die Bedingung zum Begriffe hinzugefügt, und es heißt: alle Dinge, als Erscheinungen (Gegenstände der sinnlichen Anschauung), sind in der Zeit, so hat der Grundsatz seine gute objektive Richtigkeit und Allgemeinheit a priori" (A 35, B 51 f.). Die alte ontologische Bestimmung: Alles Wirkliche ist im Raum und in der Zeit, ist also hier auf die These reduziert worden: Alle Erscheinungen sind im Raum und in der Zeit. Die Bedeutung des Problems für Kant geht auch aus einer Reihe von Reflexionen hervor. So sagt Kant etwa: „Alles ist irgendwo und irgend wann. Ich sage nicht, daß es falsch sey; es schließt nur nicht"6. In der Reflexion 5343 notiert sich Kant ausdrücklich diesen Satz, vermutlich, um in der Vorlesung darauf einzugehen. Auch in der Reflexion 5357 weist Kant noch einmal auf die Wurzel des Irrtums hin. Als schließlich Mendelssohn das Thema noch einmal aufgreift, prüft Kant sofort die Stellungnahme des von ihm so geschätzten Berliner Philosophen nach. Kant schränkt also diesen Satz ein: Alles was ist, ist irgendwo und irgendwann, auf die notwendigen Bedingungen ein, er gibt ihm aber in dieser Einschränkung zugleich seine fundamentale Bedeutung. Der Satz wird auf die Erscheinungen beschränkt, da aber gleichzeitig alle Wirklichkeit auf die Erscheinungen beschränkt wird, so erlangt der Satz jetzt überhaupt erst eine echte Bedeutung. In dieser Beschränkung auf Erscheinungen werden Raum und Zeit die echten Seinscharaktere. Wirklichkeit bedeutet das Sein der Erscheinungen, und deshalb ist Wirklichkeit im Sinne der transzendentalen Analytik endgültig durch Raum und Zeit bestimmt. Am schärfsten hat dies wohl Hegel gesehen, wenn er sagt: „er bleibt innerhalb dieser Vorstellung der Realität und des Seins stehen, daß die Realität darin bestehe, ein sinnliches Dasein zu sein; aus dieser Vorstellung kommt Kant nicht heraus"7. Realität bedeutet für Kant, dies hat Hegel klar erkannt, sinnliches Dasein, und das heißt eben zeitliches Dasein. Nun wird es zwar unsere

§ 25: Das Sein der Erscheinungen

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Aufgabe sein zu zeigen, daß der Begriff der Realität bei Kant über die Realität der Erscheinungen hinausgeht, aber gerade deshalb muß man mit aller Klarheit sehen, daß für die objektive Realität der Erscheinungen die Zeit der fundamentale Seinsdiarakter ist.

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Das Sein der Erscheinungen

Nach den Erwägungen des ersten Teils umfassen die Erscheinungen die in Raum und Zeit gesetzmäßig ablaufende Natur. Zu dieser gesetzmäßig ablaufenden Natur gehören dann insbesondere die Objekte des inneren Sinnes, die Vorstellungen als Gegenstand der Psychologie. Die Frage nach dem Sein der Erscheinungen umfaßt die allgemeine Frage nach dem Sein der Natur und die besonderen Fragen nach dem Sein des Raumes und der Zeit. Wir haben diese Fragen im ersten Teil thematisch behandelt, wir fassen sie jetzt unter rein ontologischen Gesichtspunkten noch einmal zusammen, um Kants Lehre vom Sein der Erscheinungen mit seiner Lehre vom Sein der Dinge an sich konfrontieren zu können. Es wäre zunächst ein völliges Mißverständnis Kants, wenn man die kantische Lehre vom Erscheinungscharakter der Natur, des Raumes und der Zeit so auffassen wollte, daß Natur, Raum und Zeit bloßer Schein wären. Kant wehrt sich ausdrücklich gegen eine solche Auffassung: „Wenn ich sage: im Raum und der Zeit stellt die Anschauung, sowohl der äußeren Objekte, als auch die Selbstanschauung des Gemüts, beides vor, so wie es unsere Sinne affiziert, d. i. wie es erscheint; so will das nicht sagen, daß diese Gegenstände ein bloßer Schein wären" (B 69). Demgemäß gibt Kant auch in der zweiten Auflage eine ausdrückliche Widerlegung des Idealismus. Ob diese Widerlegung völlig geglückt ist, kann hier dahingestellt bleiben. Die Absicht Kants ist jedenfalls unzweifelhaft. Auch in den Prolegomena verwahrt sich Kant noch einmal ausdrücklich gegen jede Interpretation, die den Erscheinungen den Wirklichkeitscharakter nimmt und sie zum bloßen Schein herabsetzt1. Die Kritik der reinen Vernunft lehrt vielmehr die Wirklichkeit der Erscheinungen. Sie verwendet mehrere synonyme Ausdrücke dafür, sie

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

spricht von dem Sein der Erscheinungen, vom Dasein der Erscheinungen, von der objektiven Realität der Erscheinungen. Daß den Erscheinungen Sein zukommt, braucht nicht erst belegt zu werden. Unsere Auseinandersetzung richtet sich ja wesentlich gegen die idealistische Kantinterpretation, die den Standpunkt vertritt, daß Sein nur den Erscheinungen und nichts anderem zugesprochen werden darf. Daß den Erscheinungen Wirklichkeit zukommt, haben wir eben in den Postulaten des empirischen Denkens gesehen. Darüber hinaus wird an dieser Stelle Wirklichkeit gerade durch den Gesamtzusammenhang der Erscheinungen definiert. Dies ist ja eine der wesentlichen Stellen, auf Grund deren die idealistische Kantinterpretation alles Sein und alle Wirklichkeit auf die Erscheinungen beschränken will. Der dritte Begriff, der für uns der wichtigste werden wird, ist der Begriff der objektiven Realität. Genau gesprochen wird der Begriff der objektiven Realität von Kant nur auf Begriffe angewandt. Im ganz präzisen Sinne kann man daher nur von der objektiven Realität des Gottesbegriffes sprechen und nicht von der objektiven Realität Gottes. Aber an vielen Stellen verwendet Kant doch den allgemeinen, wenn auch sorglosen Sprachgebrauch, und auch wir werden ihn daher anwenden. Objektive Realität wird zunächst ausgesagt von den Kategorien als den Grundstrukturen der Natur: „... so kann der Verstand ... synthetische Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung a priori denken ..., dadurch denn die Kategorien, als bloße Gedankenformen, objektive Realität, d. i. Anwendung auf Gegenstände, die uns in der Anschauung gegeben werden können, aber nur als Erscheinungen bekommen" (B 150 f.). In demselben Sinne sagt Kant dann zum Beginn der Lehre von den Grundsätzen: „Die Möglichkeit der Erfahrung ist also das, was allen unseren Erkenntnissen a priori objektive Realität gibt" (A 156, B 195). In der transzendentalen Ästhetik zieht Kant den Terminus objektive Gültigkeit vor: „Unsere Behauptungen lehren demnach empirische Realität der Zeit, d. i. objektive Gültigkeit in Ansehung aller Gegenstände, die jemals unseren Sinnen gegeben werden mögen" (A 35, B 52). Kant wählt hier in der transzendentalen Ästhetik den Terminus empirische Realität und behauptet also die empirische Realität zugleich mit der transzendentalen Idealität der Zeit. Der empirischen Realität

§ 25: Das Sein der Erscheinungen

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wird dann entgegengesetzt die absolute oder transzendentale Realität, das heißt also eine solche Realität, die den Dingen auch an sich zukommt, ohne Hinsicht auf mögliche oder wirkliche Anschauung (A 36, B 53). Raum und Zeit haben also zwar empirische Realität, aber nicht absolute oder transzendentale Realität. Hier entspricht der Terminus empirische Realität dem Terminus der objektiven Realität, wie er in der transzendentalen Analytik gebraucht wurde. Dagegen wird der Terminus objektive Realität an einer Stelle der zweiten Auflage (B 70) im Sinne der absoluten Realität gebraucht. Dies terminologische Schwanken mag bedauerlich sein, sachlich sind die einzelnen Stellen unmißverständlich. Wir verwenden den Terminus objektive Realität von der transzendentalen Analytik ausgehend für den Gesamtbereich der Erscheinungen. Wir ersetzen also dann den Terminus der empirischen Realität, wie er in der Ästhetik gebraucht wird, durch den allgemeineren Terminus der objektiven Realität und sprechen allgemein sowohl von der objektiven Realität der Kategorien wie der reinen Anschauungen, dann aber auch von der objektiven Realität der Natur und des Raumes und der Zeit. Worin besteht nun das Sein, die Wirklichkeit, die objektive Realität der Erscheinungen? Die kantische These ist leicht zu geben: Dies Sein ist transzendentale Idealität. Nicht ganz so leicht ist der genaue ontologische Sinn dieser These zu fassen. Hier ist nun kein Zweifel, daß eine große Zahl von Stellen angegeben werden kann, in denen Kant ausdrücklich sagt, daß die Erscheinungen nur unsere Vorstellungen sind, oder noch schärf er, daß die Erscheinungen niemals außer uns, sondern nur in uns existieren. So sagt Kant zum Abschluß der Ästhetik: „Wir haben also sagen wollen:... daß, wenn wir unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit, alle Verhältnisse der Objekte im Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren können" (A 42, B 59). In der Deduktion sagt Kant: „Denn als Erscheinungen machen sie einen Gegenstand aus, der bloß in uns ist" (A 129). Man kann diese Thesen rein nominalistisch verstehen, also in dem Sinne, daß die Erscheinungen nur existieren, wenn sie vorgestellt werden; man kann sich noch eine extrem nominalistische Auffassung vor-

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

stellen, daß die Erscheinungen, die Natur, der Raum, die Zeit nur dann existieren, wenn sie von einem einzelnen Subjekt faktisch vorgestellt werden. Aber es muß doch fraglich bleiben, ob eine solche nominalistische Auffassung den Sinn Kants trifft. Wir werden später noch sehen, daß man vom Standpunkt der praktischen Vernunft aus gegen eine solche Auffassung wird Bedenken erheben müssen. Aber auch vom rein theoretischen Standpunkt aus muß eine solche Interpretation doch wohl zweifelhaft erscheinen. Zunächst sind ja „in uns" und „außer uns" räumliche Begriffe. Dann kann ich aber doch das Sein des Raumes selbst nicht wieder mit einfachen räumlichen Begriffen interpretieren, zum mindesten darf dann das „in uns" und „außer uns" nicht räumlich aufgefaßt werden. Das Problem führt auf die alte und viel diskutierte Frage, welches denn das Subjekt ist, für das die Erscheinungen Vorstellungen sind. Sind das die einzelnen faktischen Subjekte, oder ist es eine allgemeine Menschenvernunft, oder ist es ein transzendentales Subjekt in einem vielleicht sogar rein logischen Sinne? Dann wäre also alle Spontaneität der Vernunft und alles „der Natur die Gesetze vorschreiben" keine wirkliche Spontaneität und kein wirkliches Vorschreiben, sondern nur eine bildkräftige Darstellung rein logischer Abhängigkeiten. Diese Frage, die uns schon im ersten Teil begegnete, kehrt also jetzt unter dem rein ontologischen Gesichtspunkt mit neuer Dringlichkeit zurück. Man muß auf die fundamentalen Probleme zurückgehen. Goethe hat hier einen sehr klaren Ausdruck gefunden, daß die Frage gestellt wird, wieviel unser Selbst und wieviel die Außenwelt zu unserem geistigen Dasein beitrage2. Daß unser Subjekt, oder anders ausgedrückt, daß der Verstand, die Ratio, einen Anteil an der Erkenntnis hat, hierin stimmen Plato, Aristoteles, Thomas und Kant überein. Eine glatte Lösung des Problems ist keinem der großen Meister gelungen. Die sachlichen Schwierigkeiten des Problems sind wohl niemals völlig zu überwinden, vielleicht wird das Problem immer aporetisch bleiben. Man wird daher die ungelösten Schwierigkeiten auch der kantischen These hervorheben müssen, aber man wird diese Schwierigkeiten kaum als eine Widerlegung der Kritik der reinen Vernunft betrachten dürfen. Wenn wir uns also damit bescheiden müssen, daß eine restlose Klärung des Wirklichkeitscharakters der Erscheinungen auch von Kant nicht erreicht worden ist, so bleibt doch festzuhalten, daß den Erschei-

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nungen, also der Natur, dem Raum und der Zeit, Sein, Wirklichkeit und objektive Realität zukommen. Wir werden noch einen Schritt weiter gehen können, wenn wir jetzt die Frage nach dem Sein der Dinge an sich aufwerfen. Wir diskutieren dazu zunächst im einzelnen das Sein Gottes, das Sein der endlichen Intelligenzen und das Sein der Dinge an sich im engeren Sinne als der Substrate der unbeseelten Körper, um dann im letzten Kapitel die Seinsfrage noch einmal im ganzen zu stellen.

5 26 Das Sein Gottes Die transzendentale Analytik hat gezeigt, daß die Kategorien nur auf Gegenstände möglicher Erfahrung angewandt werden dürfen. Dies gilt auch von den Modalkategorien; die Kategorien der Möglichkeit, des Daseins und der Notwendigkeit dürfen also auf Gott nicht angewandt werden. Gott ist kein Gegenstand der auf den raumzeitlichen Kausalablauf bezogenenen mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Auf der anderen Seite lehrt die transzendentale Dialektik die Möglichkeit Gottes. Die Wirklichkeit und die Notwendigkeit Gottes werden in der Kritik der praktischen Vernunft erwiesen, da die Voraussetzungen dieses Beweises über die Gegebenheiten der reinen theoretischen Vernunft hinausgehen. Kant wendet also entgegen den Ergebnissen der transzendentalen Analytik die Begriffe der Möglichkeit, der Wirklichkeit und der Notwendigkeit auf das Sein Gottes an. Wir erhalten die alte Aporie des Dinges an sich in einer konkreten Form, bezogen auf das Sein Gottes. Die Konkretisierung des Problems auf das Sein Gottes und auf das Sein des handelnden Subjekts ist auch unser nächstes Ziel. Es muß einen Sinn der Kategorien geben, in dem sie über den Bereich der Erscheinungen hinausgehen, und die Klärung dieses Sinnes erwarten wir von der Konkretisierung der Fragestellung. Man sieht zunächst, daß außer den Modalkategorien auch noch andere Kategorien und weitere wichtige Grundbegriffe auf Gott angewandt werden können. Dies gilt zunächst vom Begriff der Ursache. Es

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war ja das Ergebnis der vierten dynamischen Antinomie, daß sowohl Thesis wie Antithesis wahr sind, und demgemäß ist die Thesis der vierten Antinomie wahr: „Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist" (A 452, B 480). Auch der Begriff der Einheit kann auf Gott angewandt werden, genauer gesagt, der Begriff der Einzigkeit. An dem monotheistischen Standpunkt Kants kann niemals ein Zweifel sein, und dieser Standpunkt bedeutet eben die Anwendung des Begriffes der Einheit auf das göttliche Sein. Zu den fundamentalen Begriffen, von denen es besonders bedeutsam ist, daß sie von Gott ausgesagt werden, gehören schließlich noch Verstand und Wille. Es fragt sich also, mit welchem Recht Kant diese Begriffe der Möglichkeit, der Wirklichkeit, der Notwendigkeit, der Ursache, der Einheit, des Verstandes und des Willens auf das Sein Gottes anwendet. Wir haben hier tatsächlich die Aporie des Dinges an sich in ihrer konkretesten und durchsichtigsten Form vor uns, und Kant selbst bezeichnet mit aller Deutlichkeit dieses Problem in der Vorrede zur Kritik der praktischen Vernunft als das eigentliche Rätsel: „Hier erklärt sich auch allererst das Räthsel der Kritik, wie man dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Speculation objective Realität absprechen und ihnen doch in Ansehung der Objecte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne"1. Es wird aber in diesem konkreten Problem des göttlichen Seins besonders deutlich, daß die auftretenden Schwierigkeiten nicht aus den besonderen Ansätzen der Transzendentalphilosophie Kants entspringen, sondern daß es sich um fundamentale sachliche Schwierigkeiten handelt. Den glücklichsten Ausdruck hat Kant vielleicht in der Reflexion 6282 gefunden, wo er den Begriff des unbedingt notwendigen Wesens als den »unvermeidlichsten und doch unerreichbarsten' Begriff der menschlichen spekulativen Vernunft bezeichnet. Das sorgsame Eingehen auf die Gesamtheit der alten Schwierigkeiten des Problems macht den besonderen Sinn der kantischen Stellung aus. Deshalb kann Kant immer wieder darauf hinweisen, daß die Begriffe Gott, Freiheit, Unsterblichkeit den notwendigen Abschluß der menschlichen Vernunft ausmachen, aber er kann ebenso immer wieder darauf hinweisen, daß die

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menschliche Vernunft diese ihre letzten Zwecke niemals adäquat erreichen kann. Man wird die Grundstimmung der kantischen Untersuchungen aus der Gegenstellung zur rationalistischen Theologie der Aufklärung verstehen müssen. Die Theologie und die Philosophie der protestantischen Aufklärung haben doch die hier liegenden ontologischen Schwierigkeiten in einem allzu sorglosen Optimismus bei weitem unterschätzt; erst Kant stellt in seinen subtilen Untersuchungen die fundamentalen Aporien wieder heraus. Diesen allzugroßen Optimismus wird man schon bei Leibniz feststellen müssen. Leibniz hat die Möglichkeit einer natürlichen Theologie bei weitem überschätzt. Dieser weitgehende Optimismus macht sich etwa schon in dem konkreten Problem des Verhältnisses der christlichen Konfessionen bemerkbar. Leibniz mag geglaubt haben, daß die Kirchentrennung durch diplomatische Verhandlungen zu beenden sei. Sein Optimismus macht sich geltend in einem der schwersten Probleme der christlichen Theologie, in der Frage der Theodizee: Wie kann Gott das Böse zulassen? Leibniz hält dieses Problem nicht nur für lösbar, sondern er hält es durch seinen eigenen Ansatz für völlig gelöst, ja, er hält diese Lösung für so durchsichtig und so endgültig, daß er die Darstellung der Lösung in einer populären Schrift unternimmt. Das so schwer zu durchschauende Verhältnis der intelligiblen Welt zur Erscheinungswelt hält Leibniz durch den Begriff der prästabilierten Harmonie für gelöst, und doch ist es verständlich, daß gerade diese allzu einfache Lehre auf allgemeine Kritik gestoßen ist. Dieser Optimismus macht sich dann auch in den ontologischen Problemen des göttlichen Seins und den Fragen der Gottesbeweise immer wieder in einer allzuleichten Führung der Untersuchung geltend. Die einzige Schranke, die bei Leibniz noch bestehen bleibt, ist die Unterscheidung zwischen einem endlichen und einem unendlichen Verstand. Bei den Problemen, die durch diesen Unterschied nicht berührt werden, ist eine endgültige Erfassung möglich, bei allen anderen Problemen führt ein unendlicher Fortschritt immer näher an das Ziel. So kann denn in den Problemen der fundamentalen Eigenschaften Gottes und in allen Wahrheiten, die durch einen endlichen Beweisgang erreicht werden können, eine endgültige und eine adäquate Lösung gefunden werden.

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Bei Leibniz selbst wird dieser nicht unbedenkliche Optimismus durch die geniale Intuition des großen Forschers immer wieder in gewisser Weise ausgewogen. Bei den Nachfolgern tritt die Kahlheit und Dürftigkeit dieses Optimismus mit einer harten Deutlichkeit hervor. Dies gilt schon von Christian Wolff, dessen systematische Darstellung der leibnizschen Philosophie den grundsätzlichen Schwierigkeiten des Seins und der Erkenntnis Gottes in keiner Weise Rechnung trägt. Dies gilt besonders von den beiden Darstellungen der leibnizschen Philosophie, die Kant als Grundlage für seine Vorlesungen benutzt hat, die Metaphysik von Baumgarten und die Vorbereitung zur natürlichen Theologie von J. A. Eberhard. Baumgarten begnügt sich in § 862 der Metaphysik mit der Unterscheidung zwischen conceptibilis und comprehensibilis. Gott ist zwar incomprehensibilis, aber er ist gleichwohl in se conceptibilis, und Baumgarten kann daher sagen: „multis modis recte, immo realiter, definiri potest"2. Hier ist die Möglichkeit einer rein rationalen Bestimmung Gottes doch wohl bei weitem überschätzt; es wird nicht viele Forscher geben, die eine Realdefinition Gottes für möglich halten. Baumgarten geht daher zu weit, wenn er die vorsichtigere Haltung, die nur die Existenz Gottes, aber nicht die Essenz Gottes für erkennbar hält, von vornherein als Deismus und damit als Irrtum bezeichnet. Es muß ernstlich bezweifelt werden, ob Gott in diesem von Baumgarten bestimmten Sinne in seinem Wesen erkannt werden kann. Die gleiche Unterschätzung der grundsätzlichen Schwierigkeiten wird man wohl auch bei Eberhard feststellen müssen. Hier ist es allerdings eine bittere Ironie, daß Eberhard für eine mögliche rationale Erkenntnis Gottes auf eine frühe Schrift von Kant selbst zurückgreifen kann. Eberhard sagt: „1. Es können daher aus jeder Eigenschaft Gottes alle übrigen hergeleitet werden ... 2. Eine jede Eigenschaft Gottes kann in einem Lehrgebäude der natürlichen Theologie zum Grunde gelegt werden"3. Hier wird zunächst Wolff genannt, der vom Begriff des allervollkommensten Wesens ausgeht, dann Sulzer, der vom ewigen Wesen ausgeht, dann folgt Baumgarten, der den Begriff des vollkommensten Wesens zugrunde legt und schließlich an vierter Stelle Kant, der vom notwendigen Wesen ausgeht. So erscheint denn Kants Schrift: Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, mit Recht in diesem Zusammenhang der rationalen Theologie der Auf-

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klärung. Gerade hier wird aber deutlich, wie weit Kant sich von seiner frühen Schrift entfernt hat, und wie weit er den sachlichen Schwierigkeiten des Problems immer mehr gerecht geworden ist. Seinen Abstand zu Eberhard gerade in dieser Frage werden wir im folgenden noch einmal sehen. Stellt man die Frage, welche ontologischen Bestimmungen des Seins Gottes Kant in der kritischen Philosophie zuläßt, so ist die erste Antwort eine negative These: Räumliche und zeitliche Bestimmungen kommen dem Sein Gottes nicht zu. Diese Frage der Beziehung des Raumes und der Zeit zum göttlichen Sein ist wieder eine der alten Fragen der Ontologie ebensosehr wie der Theologie. Sie tritt mit dem Beginn der Neuzeit dadurch in ein neues Stadium, daß die Unendlichkeit als eine wesentliche und unablösbare Bestimmung des Raumes ebenso wie der Zeit angesehen wird. Daß Aristoteles den Raum als endlich angesehen hat, und daß Plato die Zeit als endlich angesehen hat, wurde vergessen. Das Unendlichkeitspathos der beginnenden Neuzeit legt es sogar nahe, diese Unendlichkeit des Raumes und der Zeit in einer ganz besonderen Weise mit dem Sein Gottes zusammenzubringen. Diese wichtigen Zusammenhänge sind von Heimsoeth zum ersten Male im Zusammenhang herausgestellt worden4. Der für Kant wohl wichtigste Ausdruck dieses Unendlichkeitsgedankens findet sich bei Newton. Wir haben wiederholt gesehen, daß von dem newtonschen Ansatz der absoluten Realität des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit ein Bezug des Raumes und der Zeit auf das göttliche Sein fast kaum zu umgehen ist, und so wird dieser Bezug denn auch von Newton selbst, und in Newtons Sinne von Clarke im Schriftwechsel mit Leibniz, vertreten, wenn auch nicht immer in derselben Form. Aber gerade in diesem Schriftwechsel weist Leibniz immer wieder darauf hin, daß ein solcher Bezug des Raumes und der Zeit auf das göttliche Sein auf unüberwindbare Schwierigkeiten stößt. Die Bedeutung dieser Erwägungen für das Seinsproblem des Raumes und der Zeit haben wir im ersten Teil ausführlich erörtert. Leibniz lehrt deshalb die Phänomenalität des Raumes und der Zeit, so daß auch für Leibniz Raum und Zeit nicht als Bestimmungen Gottes auftreten können. In der Kritik der reinen Vernunft löst die Lehre von der transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit zugleich das ontotheologische Problem. Raum und Zeit sind nicht Bestimmungen der Dinge

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an sich, sondern Formen der Erscheinung und daraus folgt sofort, daß sie nicht Bestimmungen des göttlichen Seins darstellen können. Daß die These von der transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit zugleich das ontotheologische Problem entscheidet, darauf weist Kant wiederholt hin, wie etwa in der transzendentalen Ästhetik in den Zusätzen der zweiten Auflage: „In der natürlichen Theologie... ist man sorgfältig darauf bedacht, von aller seiner Anschauung... die Bedingungen der Zeit und des Raumes wegzuschaffen. Aber mit welchem Rechte kann man dieses tun, wenn man beide vorher zu Formen der Dinge an sich selbst gemacht hat...: denn, als Bedingungen alles Daseins überhaupt, müßten sie es auch vom Dasein Gottes sein" (B 71). Für das göttliche Sein ergibt sich also als erste Bestimmung die negative These: Dem göttlichen Sein kommen weder räumliche noch zeitliche Bestimmungen zu. Drei fundamentale Bestimmungen des Seins Gottes, nämlich Verstand, Wille und Urheberschaft, sind zusammengefaßt in der Bestimmung der Kritik der praktischen Vernunft: „Also ist die oberste Ursache der Natur, so fern sie zum höchsten Gute vorausgesetzt werden muß, ein Wesen, das durch Verstand und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Natur ist, d. i. Gott"5. Die erste dieser Bestimmungen lautet also: Gott ist Verstand, Gott ist Intelligenz. In dieser Bestimmung gehen die griechische Philosophie und die christliche Theologie zusammen, und diese Bestimmung gilt auch für Kant. Der in der Kritik der reinen Vernunft bloß problematisch eingeführte Begriff eines ursprünglichen göttlichen Verstandes hat in der Kritik der praktischen Vernunft seine objektive Realität erhalten, und die bloß problematischen Bestimmungen einer reinen theoretischen Vernunft können daher jetzt als objektive Bestimmungen ausgesprochen werden: Gott erkennt das innerste Wesen der Dinge, er erkennt die Dinge an sich, er ist nicht an die Sinnlichkeit gebunden, er erschafft die Dinge dadurch, daß er sie denkt. Der göttliche Verstand ist nicht diskursiv, er ist nicht darauf angewiesen, das zu Denkende Schritt für Schritt durchzudenken, er ist intuitiv, er schaut alles mit einem Male. Ist der göttliche Verstand ein Verstand in einem so ausgezeichneten Sinne, dann erhebt sich die Frage, ob der göttliche Verstand und der menschliche Verstand überhaupt noch in demselben Sinne Verstand ge-

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nannt werden können, und in welchem Sinne dies möglich ist, wenn es möglich ist. Die Unterschiede übersteigen freilich alle Grenzen. Der menschliche Verstand ist diskursiv, er ist auf die Sinnlichkeit angewiesen, er erschafft seine Gegenstände nicht schlechthin, sondern ist darauf angewiesen, daß ihm etwas gegeben wird. Alle diese Schranken fallen weg für den göttlichen Verstand, der göttliche Verstand ist ein reiner Verstand ohne alle Schranken, frei von jeder Diskursivität, frei von jeder Sinnlichkeit, frei von jeder Rezeptivität. Aber können wir uns von einem solchen Verstande denn überhaupt noch eine Vorstellung machen? Was Verstand bedeuten mag, wissen wir ja nur von unserem Verstand, und so ist die Aussage von einem göttlichen Verstand keine Aussage in einem eigentlichen Sinne, sondern nur eine Analogiebehauptung. Wenn wir Gott als Intelligenz verstehen, so verstehen wir ihn nach der Analogie mit unserem eigenen Sein als einem verständigen Wesen. Wir können uns Gott nicht anders vorstellen denn als ein Wesen, das Verstand hat, aber dieser Verstand muß von den Schranken unseres Verstandes so völlig befreit werden, daß wir ihn nur noch nach der Analogie mit unserem Verstande vorstellen können. Den grenzenlosen Abstand zwischen unserem Verstand und dem göttlichen Verstand hebt Kant immer wieder hervor. Um aber überhaupt von einem göttlichen Verstande, und sei es nur in der Weise der Analogie, sprechen zu können, muß aber doch irgendein Zusammenhang zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Verstand aufrechterhalten bleiben, weil sonst nicht einmal per analogiam geschlossen werden könnte. Dies kommt einmal mit besonderer Klarheit in einer Randbemerkung Kants zu seinem Vorlesungsexemplar von Eberhards Einleitung zur natürlichen Theologie heraus. Eberhard sagt dort: „So stellt der endliche Verstand nicht Alles, nicht zugleich, und nicht aufs deutlichste vor; der Verstand hingegen, der keine Grenzen hat, Alles mögliche und zugleich und aufs deutlichste. Ein endlicher und ein unendlicher Verstand sind also unter sich ungleichartige Grossen, die nicht einerlei Einheit haben; und dergleichen sind überhaupt endliche und unendliche Realitäten"8. Kant bemerkt sofort dazu: „Wäre das, so würden wir den Begrif von unserem Verstande nicht durch die Erhebung zur Vollständigkeit brauchen können, um den Göttlichen uns Vorzustellen"7. Ein Analogieschluß vom menschlichen Verstand auf

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den göttlichen Verstand ist nur möglich, wenn irgendein Zusammenhang zwischen beiden gewahrt bleibt. So tauchen schon bei der ersten Bestimmung die fundamentalen Schwierigkeiten auf. Dies ändert gleichwohl nichts daran, daß Kant stets an der Bestimmung festhält: Gott ist Intelligenz. Die zweite Grundbestimmung des göttlichen Seins: Gott ist Wille, ist erst in der christlichen Theologie hervorgetreten. Vielleicht kann man bei Plato im Schöpfungsmythus des Timäus schon einen gewissen Ausdruck eines göttlichen Willens finden. Dieser Wille Gottes kann ja nur zum Ausdruck kommen in einem Handeln Gottes zur Welt, zum mindesten in dem Akt der Schöpfung, darüber hinaus in einem Handeln auf den einzelnen Menschen hin. So erlangt der Begriff des göttlichen Willens erst im christlichen Bewußtsein seine Bedeutung. Augustin hat dann die Prägung dieses Begriffes im theologischen und philosophischen Sinn vollzogen. Jetzt werden Verstand und Wille zu den beiden Grundbestimmungen des göttlichen Seins, und das Abwägen zwischen diesen beiden Bestimmungen wird zu einer der großen Aufgaben der Theologie und der Philosophie des Abendlandes. Man wird Kant wohl zu denjenigen rechnen müssen, die im menschlichen Sein ebenso wie im göttlichen Sein die Bedeutung des Willens nicht vernachlässigt sehen wollen. Auch hier erhebt sich wieder die Frage, ob in demselben Sinne vom Willen des Menschen und vom Willen Gottes gesprochen werden kann. Der Wille Gottes ist ohne Schranken und ohne Grenzen, es gibt nichts, was den Willen Gottes von außen bestimmen könnte, nicht einmal Gesetze oder Maximen. Dagegen ist der Wille des Menschen stets bestimmt, der empirische Wille durch sinnliche Antriebe, der reine Wille durch das Gesetz. In einer ursprünglichen Erfahrung aber kennen wir nur den Willen des Menschen, nur auf dem Wege der Analogie können wir daher vom Willen Gottes sprechen. Gerade im Problem des Willens betont dabei Kant mit besonderem Nachdruck den Seinsabstand zwischen dem menschlichen Willen und dem göttlichen Willen. Aus diesem Seinsabstand resultiert dann die Unerforschbarkeit und die Unerkennbarkeit des göttlichen Willens. Der göttliche Wille ist schlechterdings unbegreiflich und unerforschlich8. Es ist eine „Vermessenheit, unsere Verknüpfung im Wollen der Gottheit unterzulegen. Unerforschlich sind seine wege"8.

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Durch Verstand und Willen — so hatte es die Kritik der praktischen Vernunft gesagt — ist Gott der Urheber der Welt. Wir haben gesehen, mit welcher Subtilität Kant die Untersuchung aufbaut. In der transzendentalen Dialektik wird eine durch einen göttlichen Urheber geschaffene Welt (die Thesis der vierten Antinomie) zunächst als eine rein theoretische, als eine problematische Möglichkeit gewonnen. Die praktische Vernunft erst kann dann die objektive Realität dieses Begriffes erweisen. Auch hier im Schöpfungsgedanken geht wieder die griechische Philosophie mit dem christlichen Bewußtsein zusammen. Bei Aristoteles tritt zwar wegen der dort gelehrten unendlichen Dauer der Welt der Schöpfungsgedanke in seiner anschaulichen Form zurück, er beschränkt sich hier auf den Gedanken des ersten Bewegers. Um so stärker ist der Schöpfungsgedanke bei Plato. In einem der spätesten und reifsten Dialoge, im Timäus, hat Plato die Lehre von der Schöpfung der Welt noch einmal ausführlich vorgetragen. Das Problem hat uns ja bei der Frage des Weltenanfangs schon einmal beschäftigt. Jetzt interessiert es uns unter dem Gesichtspunkt der vierten Antinomie, von der Frage her, ob und in welchem Sinne man Gott als den Urheber der Welt bezeichnen kann. Die vierte Antinomie hatte jedenfalls die widerspruchsfreie Möglichkeit eines solchen Begriffes erwiesen. Diese problematische Behandlung des Problems in der transzendentalen Dialektik ist aber nur eine Frage der Methode. Sachlich hat Kant den Satz, daß Gott der Urheber der Welt ist, niemals in Zweifel gezogen. So sagt die Kritik der praktischen Vernunft: „so bald man annimmt, Gott als allgemeines Urwesen sei die Ursache auch der Existenz der Substanz (ein Satz, der niemals aufgegeben werden darf, ohne den Begriff von Gott als Wesen aller Wesen und hiemit seine Allgenugsamkeit, auf die alles in der Theologie ankommt, zugleich mit aufzugeben)"10. Auch die Kritik der Urteilskraft untersucht den Begriff Gottes als des Urhebers der Welt im positiven Sinne. Wir können diese positive Stellungnahme Kants gerade deshalb unbefangen herausstellen, weil wir uns eine sorgfältige Unterscheidung von Theologie und Philosophie zur Pflicht gemacht haben. Die Bedeutung, die diese Frage für Kant hat, geht besonders aus der thematischen Untersuchung hervor, die er in der Kritik der praktischen Vernunft durchführt unter dem Titel: Kritische Beleuchtung der Analytik der reinen praktischen Vernunft. Dort wirft Kant die Frage

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auf, wie Gott die Ursache der Substanz sein kann. Die Lösung geht dahin, daß eine solche Behauptung nur durch die kritische Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung möglich wird. Gott ist nicht der Schöpfer der Erscheinungen, sondern der Schöpfer der Dinge an sich: „So ist die Schöpfung dieser Wesen eine Schöpfung der Dinge an sich selbst... folglich, wenn ich von Wesen in der Sinnen weit sage: sie sind erschaffen, so betrachte ich sie so fern als Noumenen. So wie es also ein Widerspruch wäre, zu sagen, Gott sei ein Schöpfer von Erscheinungen, so ist es auch ein Widerspruch, zu sagen, er sei als Schöpfer Ursache der Handlungen in der Sinnenwelt, mithin als Erscheinungen, wenn er gleich Ursache des Daseins der handelnden Wesen (als Noumenen) ist"11. Kant weist ausdrücklich darauf hin, daß erst „die in der Kritik der reinen speculativen Vernunft verrichtete Absonderung der Zeit (so wie des Raums) von der Existenz der Dinge an sich selbst"12 diese Lösung möglich macht. Aber in welchem Sinne können wir nun Gott als den Urheber und als den Schöpfer der Welt bezeichnen? Fragen wir nämlich nach der Bedeutung von Urheber und Schöpfer, so können wir diesen Begriffen eine Bedeutung nur beilegen aus unserem Verhältnis zu den Dingen, das heißt aber aus unserem Verhältnis zu den Erscheinungen. Unsere Vorstellung von Urheber bedeutet eben immer und kann nur bedeuten, daß ein Mensch ein Ding hergestellt hat. Daß Gott aber die Welt geschaffen hat, ist eine ganz andere Weise des Schaffens als unser Herstellen von endlichen Gegenständen. Deshalb wird die Schöpfung interpretiert als eine creatio ex nihilo. Eine creatio ex nihilo ist aber für uns im Grunde unvorstellbar, weil unser Herstellen jedesmal ein Herstellen aus etwas ist. Die Bestimmung Gottes als Schöpfer und Urheber der Welt bedeutet daher auch nur eine Analogie. Eine solche Auffassung dieser Bestimmung als eine analoge Bestimmung findet sich in einer ganzen Reihe von Reflexionen. Sie ist anschaulich vorgetragen in der Vorlesung zur Religionsphilosophie18. Diese Vorstellung, daß eine solche Bestimmung nur eine analoge Bestimmung darstellt, ist aber auch in den drei Kritiken immer wieder benutzt. Eine genauere Untersuchung, die auch die geschichtlichen Zusammenhänge herausstellen müßte, ist wünschenswert. Ich kann mich auf die ideengeschichtliche Behandlung beschränken und verweise lediglich auf die thematische Erwägung in der

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Kritik der Urteilskraft. Dort erörtert Kant in § 90 noch einmal die grundsätzlichen Möglichkeiten der Gottesbeweise. Er zählt dort als zweite Möglichkeit den Schluß nach der Analogie auf. „Eben so dürfen wir wohl die Causalität des Urwesens in Ansehung der Dinge der Welt, als Naturzwecke, nach der Analogie eines Verstandes, als Grundes der Formen gewisser Producte, die wir Kunstwerke nennen, denken"14. In einer ausführlichen Anmerkung erörtert Kant auch den Begriff der Analogie als solchen. Auch hier sagt er wieder: „Eben so kann ich die Causalität der obersten Weltursache in der Vergleichung der zweckmäßigen Producte derselben in der Welt mit den Kunstwerken des Menschen nach der Analogie eines Verstandes denken, aber nicht auf diese Eigenschaften in demselben nach der Analogie schließen"15. Wir kennen also nur das Verhältnis des Menschen zu den vom Menschen hergestellten Werken. Wir wissen auch, daß diese Herstellung auf dem Verstand des Menschen beruht. Deshalb können wir nun das Verhältnis Gottes als des Schöpfers zur Welt als der Schöpfung in Analogie zu dem Verhältnis des Menschen zu seinen Werken denken. Aber diese Vorstellung ist damit belastet, daß sie nur eine Analogie ist, daß das Verhältnis des Schöpfers zur Welt eben doch ein anderes ist als das Verhältnis des Menschen zu den Dingen der Kunst und der Technik. Dabei wird man wohl sagen können, daß Kant die im Begriff der Analogie liegenden Schwierigkeiten mit besonderer Sorgfalt beachtet. Die bis jetzt erörterten Grundbestimmungen des göttlichen Seins, Verstand, Wille, Urheberschaft, hängen zusammen in einer neuen Grundbestimmung, der Spontaneität. Das Sein Gottes ist weiterhin charakterisiert durch Spontaneität. Wie in allen Grundbestimmungen, so trifft auch hier wieder die griechische Bestimmung mit dem christlichen Bewußtsein zusammen. Aristoteles hat es herausgearbeitet, daß Gott reine Spontaneität, reine Energeia ist; die christliche Theologie hat immer wieder formuliert, daß das göttliche Sein reine Aktualität ist, und daß dem göttlichen Sein keinerlei Potentialität zukommt16. Auch für Kant wird reine Spontaneität eine Grundbestimmung des göttlichen Seins. Sie ergibt sich unmittelbar aus der reinen Spontaneität des göttlichen Denkens, aus der reinen Spontaneität des göttlichen Wollens und aus der reinen Spontaneität der göttlichen Schöpfung. Daher ist also die Spontaneität Gottes eine völlig reine Spontaneität, die durch keinerlei Potentialität, durch keinerlei Rezeptivität, getrübt ist.

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Alle diese Bestimmungen laufen zusammen in der kantischen Lehre vom Dasein Gottes. Wir haben gesehen, daß unter rein theoretischen Gesichtspunkten allein die Möglichkeit Gottes bewiesen werden kann, und daß erst die Kritik der praktischen Vernunft in der objektiven Realität des GottesbegrifFes die Wirklichkeit und die Notwendigkeit des göttlichen Seins nachweisen kann. Jetzt dreht es sich also um das ontologische Problem, ob und in welchem Sinne dem göttlichen Sein die modalen Prädikate zukommen: Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit, Dasein, Existenz und objektive Realität. Beschränken wir uns auf die Prädikate der Wirklichkeit und der objektiven Realität, so gilt auch hier, daß diese Begriffe eine sinnvolle Bedeutung zunächst nur im Bereich der Erscheinungen haben. Was Wirklichkeit ist, und was objektive Realität ist, kann ich zunächst nur an Erscheinungen aufzeigen. Das Problem wird nun allerdings, wie wir im folgenden noch sehen werden, dadurch komplex, daß im Selbstbewußtsein des spontanen Subjekts ein Dasein und eine Realität erfaßt wird, die über den Bereich der Erscheinungen hinausgeht. Sehen wir von diesem Problem zunächst einmal ab, so werden wir auch hier sagen müssen, daß Wirklichkeit und objektive Realität ursprünglich von den Erscheinungen ausgesagt werden und daß sie dann nur per analogiam auf das göttliche Sein übertragen werden. Es besteht also zwischen den Bestimmungen des göttlichen Seins und den Bestimmungen des endlichen Seins nur ein analoger Zusammenhang, und daraus folgt nun sofort die wesentliche Unerkennbarkeit Gottes. Fragt man, wie überhaupt noch irgendeine Erkenntnis des seinsverschiedenen göttlichen Seins möglich ist, dann zeigt sich ein überraschend enger Zusammenhang mit den überlieferten Bestimmungen der natürlichen Theologie. Als Ausgangspunkt wählen wir zunächst eine Reflexion. In seinem Vorlesungsexemplar von Eberhards Einleitung in die natürliche Theologie bemerkt Kant: ,Der Deist legt dem enti summo nur alle Realität in abstracto bei, aber keine in concreto. Wie soll nun der Theist verfahren, um sie in concreto Gott beizulegen? Wir verfahren mit der Wahl der Realitäten via tarn negationis quam eminentiae, aber in der Art, wie wir dem höchsten Wesen die Realitäten in concreto beilegen, secundum analogiam. per analogiam'17. Realitäten lassen sich nicht in concreto durch bloßen Verstand den-

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ken, sondern sie sind immer mit Bedingungen der Sinnlichkeit affiziert: ,2uerst also werde ich via reductionis die Realität von dem, was ihr als phaenomenon zukommt (adhaerentibus sensitivis), nach Möglichkeit befreien, denn sonst kommen Anthropomorphismen heraus. Darauf aber sie als realitas noumenon (sollten auch alle besonderen Bestimmungen in concrete wegfallen) per eminentiam unendlich erhöhen. (Vor der Reduktion muß der Weg der eminentia nicht genommen werden; denn auch menschliche Vollkommenheit könnte ins Unendliche wachsen, ohne der Spezies nach verschieden zu sein.) Weil aber die Aufhebung alles Sensitiven auch den Begriff in concreto aufhebt, welches allen Theism in einen bloßen Deism verwandeln würde, so bleibt der Weg der Anwendung nach der Analogie übrig, nach welcher ich gestehe nicht zu wissen, wie die göttlichen Eigenschaften an sich beschaffen sind, sondern nur, daß sie eben so im Verhältnis zur Welt gedacht werden, wie menschliche Eigenschaften zu ihren Produkten'18. Es wäre eine besondere Aufgabe zu zeigen, wie eng sich diese Reflexion an die Tradition anschließt. Man könnte hier höchstens geltend machen, daß es sich nur um eine Reflexion handelt, in der man sich freilich immer die Möglichkeit offenhalten muß, daß Kant die niedergeschriebene These nur problematisch diskutiert, ohne sie positiv zu setzen. Aber in dem Problem der Analogie muß man doch diese Reflexion als den Ausdruck des kantischen eignen Standpunktes verstehen. Man muß bedenken, daß Kant tatsächlich eine ganze Reihe von Bestimmungen auf das göttliche Sein anwendet — wir haben ja Verstand, Wille, Urheberschaft, Spontaneität, Wirklichkeit und objektive Realität diskutiert —, und daß sich doch notwendig die Frage stellen muß, in welchem Sinne denn Kant solche Begriffe auf das göttliche Sein anwenden darf. Wir lesen daher die häufige Anwendung des Begriffs der Analogie in der Kritik der reinen Vernunft und in der Kritik der praktischen Vernunft in dem Sinne dieser Reflexion und finden die Entscheidung in dem eben diskutierten § 90 der Kritik der Urteilskraft. Kant hält an den drei von der Tradition herausgearbeiteten Wegen auch seinerseits fest, als via negationis, via eminentiae, via analogiae. Es müssen zunächst alle Einschränkungen der sinnlichen Bedingungen, zum Beispiel die zeitlichen und räumlichen Bestimmungen, durch Negierung, via negationis, beseitigt werden. Die so erhaltenen reinen Bestimmungen müssen nun via eminentiae zu einer unendlichen Realität

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gesteigert werden. Die in dieser Weise erreichten Bestimmungen des göttlichen Seins können dem göttlichen Sein gleichwohl nur in der Weise der Analogie beigelegt werden, denn wir können von den Eigenschaften der unendlichen Realität niemals wissen, wie sie an sich beschaffen sind. Es ist nicht uninteressant, die Abweichung Kants von seinem Vorlesungslehrbuch zu bemerken. Eberhard zählt drei Wege auf: Via negationis, via eminentiae, via causalitatis. Hier ersetzt also Kant bewußt (man vergleiche dazu die Anmerkung des Herausgebers) den Begriff der Kausalität durch den Begriff der Analogie, so daß Kant sich auch in dieser Einzelheit bestimmter an die Tradition anschließt19. Das eine muß man doch wohl unbefangen sehen lernen, daß Kant hier das Gedankengut der griechischen und der mittelalterlichen Philosophie ohne Bruch weiterführt. Es lassen sich Grundbestimmungen des göttlichen Seins geben, aber diese Bestimmungen kommen dem göttlichen Sein nur in der Weise der Analogie zu. Man muß dabei im Auge behalten, daß die Änderung des Standpunktes in der Frage des Ursprungs der Begriffe auch das Problem der Analogie verändert. Aristoteles und Thomas sehen den Ursprung der Begriffe in der raumzeitlichen Welt, die hier durch Abstraktion gewonnenen Begriffe können dann durch Analogie auch auf anderes Sein, etwa das göttliche Sein, angewandt werden. Kant dagegen sieht den Ursprung der Begriffe in der reinen Spontaneität des Verstandes, und die rein entsprungenen Begriffe können erst nach ihrer Schematisierung auf die raumzeitlichen Erscheinungen angewandt werden. Von hier aus ergibt sich noch eine zweite Lösungsmöglichkeit des Problems der göttlichen Attribute. Die Kategorien sind nicht als solche, sondern nur in ihren Schematen auf die Erscheinungen beschränkt. Von hier aus kann man sich also vorstellen, daß die reinen Kategorien auf das göttliche Sein angewandt werden können. Dann könnte man durch diese reinen Kategorien das göttliche Sein zwar denken, aber nicht erkennen. Es ist kein Zweifel, daß Kant an vielen Stellen auch auf diese Möglichkeit hinweist, und Paulsen und Wundt haben diese Lösung als die eigentliche Lösung angesetzt. Aber ich möchte doch glauben, daß der hier entwickelte Begriff der Analogie auch für die kantische Lösung eine fundamentale Bedeutung hat. Es bleibt immer die Frage, ob in den reinen Kategorien eine Anwendung möglich ist, ohne ein Schema wenigstens im Umriß zugrunde zu legen. Dazu kommt, daß es sich bei unserem

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Problem ja keineswegs nur um reine Kategorien handelt, wie Einheit, Kausalität, Wirklichkeit, sondern auch um komplexere Begriffe, wie Verstand, Wille und objektive Realität, und wenigstens bei den drei letzten Begriffen scheint eine Lösung des Problems ohne den Begriff der Analogie nicht möglich zu sein. Wir erhalten also das Ergebnis, daß das Sein Gottes durch Grundbestimmungen charakterisiert werden kann: Einheit, Kausalität, Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit, Verstand, Wille, Spontaneität, objektive Realität, und daß diese Bestimmungen wegen der Seinsverschiedenheit des göttlichen und des menschlichen Seins nur in gewissermaßen indirekter Weise, sei es in leerer Anwendung der reinen Kategorie, oder sei es auf dem Wege der Analogie, auf das göttliche Sein angewandt werden können.

$ 27 Das Sein des handelnden Subjekts Die Kritik der reinen Vernunft stellt die Frage: Wie ist Freiheit möglich? Die kantische Lösung beruht auf der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich. Als Erscheinung ist der Mensch dem kausalen Ablauf des raumzeitlichen Naturgeschehens unterworfen, als intelligibles Wesen ist er frei. Er kann aus der freien Entscheidung seines intelligiblen Charakters in den Zusammenhang des kausalen Naturgeschehens im Sinne eines ursprünglich setzenden Anfangs eingreifen und hat also eine Kausalität aus Freiheit. Wir betrachten jetzt das Problem unter dem ontologischen Gesichtspunkt, wir stellen also die Frage, welche ontologischen Voraussetzungen schließt diese Lösung des Freiheitsproblems in sich. Wir nehmen in diesem Punkt die Fragestellung von Heinz Heimsoeth auf, die Frage: Welche Seinslehre liegt dieser Freiheitslehre zugrunde1? Wir bezeichnen den Träger der moralischen Entscheidungen im Anschluß an A 539, B 567 als handelndes Subjekt. Dieser Terminus eignet sich für unsere Fragestellung, während Kant den Terminus handelndes Wesen bevorzugt. Wir können also unsere Frage jetzt so stellen: Was für ein Sein hat das handelnde Subjekt? Der Mensch ist zunächst Erscheinung. Er hat einen Leib, der in den räumlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang der Natur gestellt ist.

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Aber auch der Ablauf der Vorstellungen, wie er in der Psychologie behandelt werden kann, gehört nach der Überzeugung Kants zum Kausalzusammenhang der Natur. Der Mensch jedoch, dies ist Kants unwandelbare Überzeugung, ist nicht nur Erscheinung, der Mensch hat auch eine im moralischen Phänomen aufleuchtende intelligible Existenz. Dürfen wir sofort an die Stelle erinnern, die diese kantische Grundbestimmung mit dem reinsten Glanz und mit der tiefsten Wirkung zum Ausdruck bringt: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir... Das zweite fängt von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, an und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich nicht wie dort in blos zufälliger, sondern allgemeiner und nothwendiger Verknüpfung erkenne"2. Hier im moralischen Gesetz tritt mit unmittelbarer Gewißheit ein neues Sein vor uns, unser unsichtbares Selbst, unsere Persönlichkeit. Wenn wir die Frage nach dem Sein dieses unsichtbaren Selbst, nach dem Sein der Persönlichkeit stellen, so verändern wir in gewisser Weise den Gesichtspunkt. Kants Erwägungen zielen unmittelbar auf die Tatsache der Freiheit; die kantische Philosophie hat in dieser Richtung (jedenfalls auf ihre unmittelbare geschichtliche Wirkung gesehen) ihre größte Kraft entfaltet. Wir aber reflektieren jetzt auf die dieser kantischen Freiheitslehre zugrunde liegende ontologische Lehre und verlassen damit das große und ursprüngliche Pathos der direkten kantischen Erwägung zugunsten einer nüchternen ontologischen Reflexion. Aber wir sind überzeugt, daß erst die ontologische Reflexion den eigentlichen Aufriß auch der kantischen Freiheitslehre sichtbar machen kann. Heinz Heimsoeth hat als erster die Notwendigkeit einer solchen Erwägung erkannt. Seine Untersuchungen sind zunächst ausgegangen von den Reflexionen; die Reflexionen bringen ein überaus umfangreiches Material für diese Fragestellung. Aber schon hier ist das Problem mit großer Genauigkeit in die Werke hineinverfolgt, besonders in die Kritik der praktischen Vernunft und in die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Max Wundt hat dann darauf hingewiesen, daß diese Unter-

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suchung in die eigentlichen zentralen Werke hinein fortgesetzt werden kann3; auch Heimsoeth hatte zeigen können, daß im sachlichen Problem die Werke in keiner Weise von den Reflexionen abweichen. Die vorliegenden Erwägungen bemühen sich, die Untersuchung bis in die Kritik der reinen Vernunft selbst vorzutragen und die Kritik der reinen Vernunft auch für das Freiheitsproblem als das eigentliche zentrale kantische Werk anzusehen. Zwei Thesen bilden die Grundlagen der kantischen Untersuchungen: Das handelnde Subjekt ist erstens nicht Erscheinung, sondern es hat ein intelligibles Sein. Das handelnde Subjekt ist sich zweitens dieser seiner intelligiblen Existenz bewußt. Fast unübersehbar sind die Stellen, an denen Kant die intelligible Existenz des handelnden Subjekts lehrt, und die Terminologie zeigt infolgedessen einen großen Reichtum. Die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich macht in der Kritik der reinen Vernunft die Lösung des Freiheitsproblems überhaupt erst möglich. Dabei wird in der Kritik der reinen Vernunft diese Unterscheidung in bezug auf das Freiheitsproblem nur als eine problematische vorgetragen. Es ist möglich, dies ist der Standpunkt der rein theoretischen Erwägung, Kausalität und Freiheit zugleich zu retten, wenn man diese Unterscheidung zugrunde legt. Die objektive Realität des so als möglich erwiesenen Begriffes aber wird erst in der Kritik der praktischen Vernunft gesichert. Aber diese Auseinanderlegung des Problems ist doch nur eine methodische, sie bedeutet in keiner Weise eine Standpunktsänderung zwischen der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der praktischen Vernunft, die Gesamtheit der ontologischen Voraussetzungen der Kritik der praktischen Vernunft, wird in der Kritik der reinen Vernunft schon gegeben. Die Grundvoraussetzung, die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich, finden wir in immer neuen Wendungen und Ausdrücken. Sie entspricht der Unterscheidung zwischen phänomenalem und noumenalem Sein. Kant spricht von einem noumenalen, von einem intelligiblen, von einem übersinnlichen Dasein und von einer ebensolchen Existenz und Wirklichkeit. Eine ausführliche Zusammenstellung der Ausdrücke und Stellen findet man bei Erich Adickes; ich darf mich hier auf diese Arbeit beziehen4. Mit dieser Grundunterscheidung zwischen Ding an sich und Erschei-

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nung taucht aber jetzt auch die Grundaporie des Dinges an sich beim Problem des handelnden Subjekts auf. Wie kann Kant vom handelnden Subjekt Existenz, Wirklichkeit, Dasein aussagen, wenn das handelnde Subjekt keine Erscheinung ist, während doch die transzendentale Analytik allen diesen Bestimmungen eine Bedeutung nur für die Erscheinungen zugesprochen hat? Aber wir müssen uns zunächst noch deutlich machen, daß das handelnde Subjekt nicht nur eine noumenale Wirklichkeit hat, sondern daß es sich dieser noumenalen Existenz auch bewußt ist. Das handelnde Subjekt ist sich seiner intelligiblen Existenz bewußt. Diese These scheint zunächst im Widerspruch zu stehen mit der anderen These, daß im inneren Sinn der Mensch sich selbst nur als Erscheinung erfährt. Aber der Widerspruch ist nur ein scheinbarer, die beiden Thesen sind durchaus miteinander zu vereinen. Die intelligible Existenz des handelnden Subjekts wird zunächst auf ontologischem Wege erschlossen. Nur unter dieser Voraussetzung ist nach Kant eine Rettung der Freiheit möglich. Die Freiheitsantinomie kann nur gelöst werden, wenn man den Unterschied zwischen Ding an sich und Erscheinung zugrunde legt. Dieser Standpunkt wird unverändert durch alle drei Kritiken durchgehalten. Die Kritik der praktischen Vernunft kann daher von einem Bericht über die transzendentale Dialektik ausgehen und sagen, daß die Postulate der praktischen Vernunft zu Begriffen führen, die die reine spekulative Vernunft zwar als Aufgaben vortragen, aber nicht auflösen kann. Demgemäß führt sie in den Antinomien „zu dem, wovon die speculative Vernunft nichts als Antinomie enthielt, deren Auflösung sie nur auf einem problematisch zwar denkbaren, aber seiner objectiven Realität nach für sie nicht erweislichen und bestimmbaren Begriffe gründen konnte, nämlich die kosmologische Idee einer intelligibelen Welt und das Bewußtsein unseres Daseins in derselben, vermittelst des Postulats der Freiheit (deren Realität sie durch das moralische Gesetz darlegt und mit ihm zugleich das Gesetz einer intelligibelen Welt, worauf die speculative nur hinweisen, ihren Begriff aber nicht bestimmen konnte)"5. Die Kritik der reinen Vernunft kann also die Idee einer intelligiblen Welt nur als möglich erweisen, erst die praktische Vernunft kann „das Bewußtsein unseres Daseins" in derselben verwirklichen. Die praktische Vernunft kommt daher über die ontologische Problematik hinaus

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zu einem unmittelbaren Bewußtsein unserer intelligiblen Existenz. Deshalb kann das Schlußwort der Kritik der praktischen Vernunft nicht nur von dem gestirnten Himmel über mir, sondern auch von dem moralischen Gesetz in mir sagen: „ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz"6. Mein intelligibles Sein ist mir also derart gegeben, daß ich es gewissermaßen vor mir sehe, und mit diesem Sehen ist das Bewußtsein meiner Existenz unmittelbar verknüpft. Ich erfahre mich daher zugleich als Erscheinung vor dem inneren Sinn und als intelligibles Wesen vor dem unmittelbaren Selbstbewußtsein: „da ein und dasselbe handelnde Wesen als Erscheinung (selbst vor seinem eignen inneren Sinne) eine Causalität in der Sinnenwelt hat, die jederzeit dem Naturmechanism gemäß ist, in Ansehung derselben Begebenheit aber, so fern sich die handelnde Person zugleich als Noumenon betrachtet (als reine Intelligenz, in seinem nicht der Zeit nach bestimmbaren Dasein), einen Bestimmungsgrund jener Causalität nach Naturgesetzen, der selbst von allem Naturgesetze frei ist, enthalten könne"7. Die handelnde Person kann sich also als Noumenon betrachten, und zwar gründet die mögliche Betrachtung als Noumenon im Spontaneitätsbewußtsein. Das Selbstbewußtsein in der handelnden Person ist Spontaneitätsbewußtsein. Das Bewußtsein der freien Spontaneität, das Bewußtsein, daß ich nach freiem Entschluß handeln kann, dies Spontaneitätsbewußtsein ist es, in dem die intelligible Existenz meines unsichtbaren Selbst aufleuchtet. Dieses Spontaneitätsbewußtsein ist für Kant eine unmittelbare Tatsache und aus vielen Stellen, besonders aus zahlreichen Reflexionen zu belegen. Es ist aber ein Bewußtsein sui generis, keine eigentliche Erkenntnis. Die Darstellung des Problems in den Hauptwerken wird stets sofort mit den aus diesem Sachverhalt fließenden Einschränkungen belastet. „Wenn wir nämlich noch eines ändern Blicks (der uns aber freilich gar nicht verliehen ist, sondern an dessen Statt wir nur den VernunftbegrifF haben), nämlich einer intellectuellen Anschauung desselben Subjects, fähig wären, so würden wir doch inne werden, daß diese ganze Kette von Erscheinungen in Ansehung dessen, was nur immer das moralische Gesetz angehen kann, von der Spontaneität des Subjects als Dinges an sich selbst abhängt, von deren Bestimmung sich gar

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keine physische Erklärung geben läßt. In Ermangelung dieser Anschauung versichert uns das moralische Gesetz diesen Unterschied der Beziehung unserer Handlungen als Erscheinungen auf das Sinnenwesen unseres Subjects von derjenigen, dadurch dieses Sinnenwesen selbst auf das intelligibele Substrat in uns bezogen wird"8. Sehen wir von der Frage einer möglichen Erfassung zunächst einmal ab und fragen nur nach dem Sein selbst, so ist der kantische Standpunkt in dieser Stelle der Kritik der praktischen Vernunft mit unmißverständlicher Klarheit ausgedrückt. Dem Subjekt als Sinnenwesen liegt ein intelligibles Substrat zugrunde, und das Subjekt als Erscheinung wird daher schlechterdings dem Subjekt als Ding an sich entgegengesetzt. Das Sein des Subjekts als eines Dinges an sich wird dann durch Spontaneität charakterisiert. Diese Spontaneität des sittlichen Handelns ist für Kant das leuchtende Grundphänomen alles sittlichen Geschehens, und dies Grundphänomen der Spontaneität ist unabhängig von allen Standpunkten, die in der Ethik eingenommen werden können, auch vom kantischen Standpunkt einer rein formalen Ethik. Die Neigungen, die Vorteile, die Begierden mögen unsere sittlichen Entscheidungen in welchem Grade auch immer beeinflussen, allen diesen Bestimmungen kann die Freiheit der sittlichen Entscheidung entgegengesetzt werden, allen diesen Antrieben kann immer wieder der feste Entschluß entgegengesetzt werden: Ich will das Rechte tun. In dieser Spontaneität des handelnden Subjekts wird das eigentliche Sein des Menschen offenbar, und dieses eigentliche Sein wird jetzt von Kant als ein Ansichsein, als ein noumenales Sein bestimmt. Dieser Spontaneität des handelnden Subjekts sind wir uns in einer unmittelbaren Selbsterfahrung gewiß, ein unmittelbares Selbstbewußtsein sagt uns: Ich bin es, der handelt. Werfen wir nun die Frage auf, wie dieses intelligible Sein des handelnden Subjekts erfahren werden kann, dann ergeben sich allerdings große Schwierigkeiten. Wenn das eigentliche Sein Spontanietät ist, dann muß die Frage, ob nicht Spontaneität, wenn sie erfaßt werden soll, aus einem Handeln und Erfassen sogleich ein Erfaßtes werden muß, sofort große Schwierigkeiten bringen. Wir werden im nächsten Paragraphen diese Frage noch einmal aufnehmen. Die Tatsache der Spontaneität und die weitere Tatsache ihrer Selbsterfahrung wird von Kant immer wieder betont. ,Transzendentale Frei-

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heit ist absolute Spontaneität zu handeln'9, ja Kant sagt sogar weiter: praktische Freiheit ist das Bewußtsein der absoluten Selbsttätigkeit'10. Diese Wirklichkeit der Freiheit erfahren wir allerdings nicht im inneren Sinn. Auf der anderen Seite lehnt Kant eine Erfassung unseres intelligiblen Seins in einer intellektuellen Anschauung in den zentralen Werken stets ab. Die wiedergegebene Stelle der Kritik der praktischen Vernunft zum Beispiel sagt das ja ganz deutlich. In den tastenden Formulierungen der Reflexionen erwägt Kant gelegentlich allerdings auch eine intellektuelle Anschauung: ,Die Wirklichkeit der Freiheit können wir nicht aus der Erfahrung schließen. Aber wir haben doch nur einen Begriff von ihr durch unser intellektuelles inneres Anschauen (nicht den inneren Sinn) unserer Tätigkeit, welche durch motiva intellectualia bewegt werden kann'11. Von dieser Spontaneität des sitttlichen Handelns strahlt dann die Spontaneität auf alles Handeln aus: ,Ich tue dieses, heißt nicht: ein anderer wirkt dieses; und selbst, wenn ich sage: ich leide dieses, so bedeutet es doch die Anschauung eines Subjekts, was vor sich selbst ist und leidet'12. Die in dieser Frage liegenden Schwierigkeiten kommen in der kantischen These zum Ausdruck, daß wir zwar die Möglichkeit der Freiheit im Sinne der Widerspruchsfreiheit nicht bestreiten können — das war ja das Ergebnis der dritten Antinomie —, daß wir auch im Selbstbewußtsein der objektiven Realität der Freiheit gewiß sein können, daß wir aber trotzdem nicht erkennen können, wie Freiheit im eigentlich realen Sinne möglich ist. Hier stoßen wir an die Grenzen der Erkenntnis. Wenn alles Erkennen und alles Verstehen an räumliche und zeitliche Strukturen gebunden ist, dann ist es freilich selbstverständlich, daß die nicht an die Zeit gebundene objektive Realität der Freiheit und die nicht an Raum und Zeit gebundene objektive Realität der intelligiblen Existenz in einem solchen raumzeitlichen Sinne nicht verstanden werden kann. So würden die Ergebnisse der transzendentalen Analytik gültig bleiben, wir wissen zwar, daß die Freiheit möglich ist, aber wir wissen nicht, wie sie möglich ist. Auf der anderen Seite wird es nun verständlich, daß für Kant alle Gottesbeweise vom moralischen Phänomen ausgehen müssen, und daß sie nicht von der Natur ausgehen können. Die Natur hat nur das Sein der Erscheinungen, und von der transzendentalen Idealität der Erscheinungen ist uns ein Schluß auf die objektive Realität Gottes nicht

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

möglich. Dagegen erfassen wir im Selbstbewußtsein der Spontaneität und der intelligiblen Existenz ein absolutes Sein, und von diesem absoluten Sein des handelnden Subjekts ist dann ein Zugang zum absoluten Sein Gottes möglich. Stellen wir noch einmal kurz zusammen, welche Begriffe auf das handelnde Subjekt angewandt werden, so ergibt sich doch eine verhältnißmäßig große Zahl: Das handelnde Subjekt ist zunächst immer eines. Es gibt darüber hinaus eine Vielheit von handelnden Subjekten. Diese Vielheit der handelnden Subjekte bildet eine Gemeinschaft untereinander und mit Gott als ihrem Oberhaupt. Das handelnde Subjekt besitzt Kausalität. Darüber hinaus ist das handelnde Subjekt möglich, dies zeigte die Kritik der reinen Vernunft, und wirklich, dies zeigte die Kritik der praktischen Vernunft. Es können also von den Kategorien auf das handelnde Subjekt angewandt werden: Einheit, Vielheit, Substanz, Kausalität, Gemeinschaft, Möglichkeit und Wirklichkeit. Dazu tritt noch eine Reihe teils speziellerer, teils allgemeinerer Bestimmungen: als die spezielleren Verstand und Wille, als die allgemeineren Ansichsein, intelligible Existenz und objektive Realität.

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Das Sein des denkenden Subjekts

Wir wollen zu zeigen versuchen, daß die Spontaneität des erkennenden Subjekts sich mit der Spontaneität des handelnden Subjekts deckt, und daß demgemäß dem erkennenden Subjekt die intelligible Existenz des handelnden Subjekts zukommt. Wir sehen sehr wohl, daß wir damit eine der schwierigsten Fragen der Kantinterpretation aufwerfen. Dabei würde für den Fortgang unserer eigenen Untersuchung das bisherige Ergebnis genügen. Die intelligible Existenz des Subjekts steht vom Praktischen her fest, und auf diese intelligible Existenz als solche kommt es uns für unsere Untersuchungen allein an. Aber wir wollen der sich unabweisbar aufdrängenden Frage nach dem Sein auch des erkennenden Subjekts nicht ausweichen. Man könnte sie vom handelnden Subjekt aus lösen. Das erkennende und das handelnde Subjekt sind ja nicht zwei Subjekte, sondern sie sind doch gewiß ein und dasselbe Subjekt, schon deshalb, weil jedes sittliche

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Handeln ein Erkennen in sich schließt, weil es keine Freiheit gibt ohne die Erkenntnis und ohne das Selbstbewußtsein der Freiheit. Von hier aus muß sich also die ontologische Bestimmung des handelnden Subjekts auf das erkennende Subjekt übertragen. Aber man kann doch die Frage nach dem Sein des Subjekts des reinen theoretischen Erkennens stellen. Es bleibt hierbei immer schwierig, daß Kant zwar die Frage nach dem Sein des handelnden Subjekts in der Kritik der praktischen Vernunft thematisch gestellt und beantwortet hat, daß aber die entsprechende Fragestellung und die entsprechende Antwort in bezug auf das erkennende Subjekt fehlen. Wir müssen also in diesem Punkt über das von Kant thematisch Gegebene hinausgehen. Eine wesentliche Ermunterung zu dieser den Text überschreitenden Interpretation gibt uns die Untersuchung von Heimsoeth. Auch Heimsoeth stützt die These, daß im Persönlichkeitsbewußtsein die intelligible Existenz erfahren wird, zunächst auf das erkennende Subjekt und dann erst auf das handelnde Subjekt1. Demgemäß geht auch unsere Frage jetzt nach dem Subjekt, auf das die Kritik der reinen Vernunft ihre Bestimmungen gründet. Was ist dies für ein Subjekt, und was für ein Sein hat es? Drei Antworten sind im wesentlichen gegeben worden: Dies Subjekt ist das empirische Subjekt, dies Subjekt ist die allgemeine Menschenvernunft, dies Subjekt ist rein logisch zu verstehen als ein transzendentales Subjekt, beziehungsweise als ein transzendentales Bewußtsein. Die zweite Möglichkeit hat keine wesentliche Bedeutung erlangt, die erste Antwort stammt von J. F. Fries und seiner Schule, die dritte Antwort wurde im Neukantianismus gegeben. Versucht man wie Fries das Subjekt des reinen Erkennens als das empirische Subjekt zu fassen, so sind die Schwierigkeiten groß. Die rein logische Auffassung der Marburger Schule dagegen kann gute Gründe beibringen. Für sie ist alle Verbindung nur ein logischer Zusammenhang, jede Rede von Erzeugen ist nur ein Bild für rein logische Fundierungszusammenhänge, und auch der Begriff des Ursprungs, der in der Marburger Interpretation in den Vordergrund getreten ist, darf nicht als ein zeitlicher Ursprung, sondern nur als ein Ausdruck für die rein logischen Fundierungszusammenhänge aufgefaßt werden. Ohne Zweifel gelingt es dieser Interpretation, den Zug zur Objektivität, der für die Kritik der reinen Vernunft wesentlich ist, zu einem klaren Ausdruck zu bringen, und man wird niemals wieder ver-

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gessen dürfen, daß Kant jedesmal dann, wenn er von Synthesis, von Zusammenhang, von Verbindung spricht, diesen logischen Zusammenhang des Systems in jedem Falle mit meint. Aber zu der ausschließlich logischen Deutung ist man doch nur gezwungen, wenn man den Begriff des Dinges an sich aufgegeben hat. Hat man sich aber vom Praktischen her überzeugt, daß der Begriff des Dinges an sich und der Begriff der intelligiblen Existenz für Kant ein genuiner Grundbegriff ist, dann ergibt sich die Möglichkeit, diesen Begriff der intelligiblen Existenz auch zum Verständnis des reinen theoretischen Erkennens mit heranzuziehen. Wir wollen versuchen, als das Subjekt des Erkennens das individuelle, aber reine, also intelligible Subjekt zu verstehen. Wir sehen dabei das reine theoretische Selbstbewußtsein des Ich denke vom praktischen Selbstbewußtsein der Freiheit her. Der Grundbegriff des reinen Selbstbewußtseins als der transzendentalen Apperzeption wird von Kant in der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe entwickelt: „Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine Verknüpfung und Einheit derselben untereinander, ohne diejenige Einheit des Bewußtseins, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht, und, worauf in Beziehung, alle Vorstellung von Gegenständen allein möglich ist. Dieses reine ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen... Eben diese transzendentale Einheit der Apperzeption macht aber aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen sein können, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen" (A 107 f.). Diese Vorstellung ist die Vorstellung des Ich: „Es ist aber nicht aus der Acht zu lassen, daß die bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle anderen (deren kollektive Einheit sie möglich macht) das transzendentale Bewußtsein sei" (A 117 Anm.). In der zweiten Auflage findet dann Kant die durchschlagende Formulierung: „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was garnicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein" (B 131 f.). Dieses „Ich denke" bedeutet zugleich eine ursprüngliche Spontaneität. Alle Verbindung ist ein Verbinden, alle Einheit eine Einigung. Die Tatsache dieser Spontaneität und das Bewußtsein dieser Spontaneität

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liegt den Entwicklungen der Kritik der reinen Vernunft durchgängig zugrunde. Wir können uns damit begnügen, eine Formulierung heranzuziehen, daß „... unter allen Vorstellungen die Verbindung die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann" (B 130). Heidegger hat diesen Einigungscharakter aller Einheit mit besonderer Klarheit herausgearbeitet, und wir sind ja im ersten Teil auf dieses Problem aller Einheit als Einigung ausführlich eingegangen. Jetzt fragen wir nicht nach der Einigung als solcher, sondern nach dem Subjekt der Einigung, nach dem Subjekt der Spontaneität. Wer ist spontan? Wer einigt? Wir suchen in der Spontaneität den Zusammenhang der praktischen und der reinen theoretischen Vernunft. Man wird nicht verkennen können, daß die Bezeichnung der reinen Vernunft als „ursprünglich gesetzgebend"2 sich zwar auf das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft bezieht, daß aber hier der Zusammenhang mit der Idee und der Formulierung der Kritik der reinen Vernunft bewußt aufgenommen ist. Die Vernunft als gesetzgebend zu erkennen, war das Ziel der Kritik der reinen Vernunft. Dieses gesetzgebende spontane Subjekt kann aber nicht das empirische Subjekt sein. Dies hat Kant in der transzendentalen Deduktion ausdrücklich abgelehnt. Dennoch erscheint es uns nicht nötig, der Marburger Interpretation zu folgen und das spontane Subjekt sofort in ein nur noch rein logisch zu verstehendes Subjekt zu verwandeln. Man kann vielmehr auf das reine intelligible Subjekt zurückgreifen. Auch hier lassen wir uns zunächst wieder von einer Reflexion leiten: ,Die Seele ist in der transzendentalen Apperzeption substantia noumenon; daher keine Beharrlichkeit derselben in der Zeit; und diese kann nur an Gegenständen im Räume sein'3. Es sind besonders drei Gedankengänge, die eine solche Auffassung nahelegen. Die erste Erwägung haben wir bereits eingangs entwickelt. Das Subjekt in seiner intelligiblen Existenz ist der Träger der praktischen Spontaneität, und es ist daher gegeben, es auch zum Träger der reinen theoretischen Spontaneität zu machen. Der zweite Gedankengang würde davon ausgehen können, daß auf diese Weise der Zusammenhang mit Descartes (und dann darüber hinaus mit Augustin) hergestellt würde. Das Cogito ergo sum des Descar-

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tes will ja eben dieses sagen, daß im Bewußtsein des Ich denke ich mich selbst in meiner Substantialität erfahre, und es ist deshalb auch mit Recht in den Ausdruck umgeformt worden: Sum res cogitans und könnte vielleicht noch schärfer auch noch lauten: Sum substantia cogitans. Wenn wir daher annehmen, daß in der transzendentalen Apperzeption des „Ich denke" die noumenale Existenz des erkennenden Subjekts erfahren wird, so würde dies den Gedankengang von Descartes in gerader Richtung weiter führen. In einem dritten Gedankengang würde man schließlich geltend machen können, daß dann hier derselbe Zusammenhang mit dem göttlichen Sein auftreten würde, der uns schon im Praktischen begegnet ist. Es handelt sich um die Frage, in welchem Sinne man Verstand und Willen als Eigenschaften Gottes bezeichnen kann. Wir sahen im vorigen Paragraphen, daß dies beim Willen deshalb möglich ist, weil im Selbstbewußtsein der Freiheit der reine Wille als eine absolute Realität erfahren wird, und daß deshalb von der absoluten Realität in unserem Sein auf die absolute Realität im göttlichen Sein geschlossen werden darf. Man muß nun diesen Zusammenhang auch für den Verstand zugrunde legen, und dies ist nur dann möglich, wenn auch im reinen Verstand die absolute Realität unseres intelligiblen Seins aufleuchtet. Kant selbst hat diesen Gedankengang in einer Reflexion ausführlich durchgeführt: ,Es ist eine notwendige hypothesis des theoretischen und praktischen Gebrauchs der Vernunft im ganzen unserer Erkenntnis, folglich in Beziehung auf alle Zwecke und eine intelligible Welt, anzunehmen, daß eine intelligible Welt der sensiblen zugrunde liege, wovon die Seele als Intelligenz das subjektive Urbild, eine ursprüngliche Intelligenz aber die Ursache sei; d. i. so wie das noumenon in uns zu den Erscheinungen, so verhalte sich die oberste Intelligenz in Ansehung des mundi intelligibilis'4. Es ist kein Einwand, sondern eine Bestätigung einer solchen Interpretation, daß nach der endgültigen Lehre Kants wir uns vor dem inneren Sinn nicht als Ding an sich, sondern nur als Erscheinung erfassen. Heimsoeth hat diese Frage bereits ausführlich und entscheidend behandelt. Gerade deshalb, weil das erkennende Subjekt in seinem eigentlichen Sein Spontaneität ist, kann es sich nicht selbst in diesem spezifischen Sein erkennen. Reine Spontaneität kann sich nicht selbst als reine Spontaneität erfassen. Erfaßt sie sich selbst, so ist sie schon keine

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reine Spontaneität mehr, sondern ein Erfaßtes. Wir sind in der Selbstbeobachtung zugleich Beobachter und Beobachtetes, und dies schließt aus, daß die reine Spontaneität des Beobachters selbst als diese reine Spontaneität jemals beobachtet werden kann5. Diese notwendige Einschränkung des Selbstbewußtseins des Ich denke ist gewissermaßen nur noch das Selbstbewußtsein eines Punktes, es ist keine eigentliche Erkenntnis mehr. Es kann keine eigentliche Erkenntnis sein, weil in einer solchen Erkenntnis die reine Spontaneität des Erkennens selber zum Erkannten werden müßte. Dies ist nun der Punkt, an dem Kant den Anschluß an die kritische Einschränkung aller Erkenntnis wieder gewinnen kann. Die transzendentale Analytik hatte alle Erkenntnis auf die Erscheinungen eingeschränkt. Damit stimmt es nun durchaus überein, daß die einzige Stelle, an der wir über den Bereich der Erscheinungen hinauskommen, das Selbstbewußtsein der Freiheit und des Ich denke ist, daß es auch in diesem Punkte eine eigentliche Erkenntnis nicht gibt und auch nicht geben kann. Die genaue Darstellung dieser Einschränkung ist nicht leicht. Auf der einenSeite können wir das intelligible Sein des erkennenden und des handelnden Subjekts nicht erkennen, auf der anderen Seite ist diese intelligible Existenz eine Tatsache, und wir erfahren diese Tatsache in einem unmittelbaren Selbstbewußtsein. Meistens versucht Kant die Schwierigkeit durch die Unterscheidung zwischen Erkennen und Denken zu beheben. Wir können dann die intelligible Existenz zwar denken, aber nicht erkennen. Dies kann man dann dahin weiter auffassen, daß die Kategorien zwar in einem reinen Denken auf dieses übersinnliche Sein angewandt werden können, daß aber diese Kategorien in diesem reinen Denken wegen des Fehlens der Schematisierung in einer reinen Anschauung keine eigentliche Erkenntnis liefern. Wir müssen nur noch einmal nachdrücklich darauf hinweisen, daß diese unüberbrückbaren Schwierigkeiten der Selbsterfahrung für Kant auch die Erkenntnis Gottes belasten. Die Existenz Gottes wird ja über die moralischen Tatsachen hin ergriffen, und wenn das moralische und das theoretische Selbstbewußtsein keine Erkenntnis darstellt, dann ist eine Erkenntnis vom göttlichen Sein im strengen Sinn ebenfalls nicht möglich. Wir können nicht einmal die echte Realität unseres eigenen Verstandes und unseres eigenen Willens in wirklicher Erkenntnis erfassen, um

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wieviel weniger können wir das Sein Gottes, das sich uns primär als Verstand und Wille Gottes darstellt, wirklich erkennen. Gerade hier müssen wir noch einmal betonen, daß man Kant nicht zum Theologen machen darf. Die Schranken, die hier wirksam werden, sind für den kantischen Grundansatz unaufhebbar, und sie sind doch wohl auch für jedes besonnene Denken unaufhebbar. Wer diese Schranken aufhebt, der zieht nicht Konsequenzen, der vollendet nicht das kantische Denken, sondern der zerstört das kantische Denken in seinen Grundansätzen. Wir wollen nicht leugnen, die kantische Lösung ist äußerst subtil, ja sie ist vielleicht auf eine Nadelspitze gestellt, aber wer möchte glauben, daß in diesem Problem eine Lösung gefunden werden könnte, die nicht durch ihre Subtilität erschreckt? Wer könnte die echte Realität und wer könnte gar die absolute Realität Gottes nennen und aussprechen, ohne zum mindesten von der äußersten Subtilität Gebrauch zu machen? Wieviel Probleme gibt es nicht, in denen die schrecklichen Simplifikateure, wie Nietzsche sagt, Unheil über Unheil anrichten, in welchem Problem aber könnten sie mehr Unheil anrichten als in diesen kaum noch zugänglichen Grundfragen der absoluten Realität? Trotzdem ist es nicht so, daß hier überhaupt keine Aussagen möglich sind. Man kann das erkennende Subjekt vom handelnden Subjekt her verstehen, es ist ein und dasselbe Subjekt, das aus Spontaneität handelt und das aus Spontaneität denkt, und dieses Subjekt ist keine in Raum und Zeit aufgehende Erscheinung, sondern dies Subjekt hat auch als Intelligenz ein intelligibles Sein. Dabei darf ich noch einmal ausdrücklich betonen, daß die Entwicklungen dieses Paragraphen über die intelligible Existenz des denkenden Subjektes für unseren Grundansatz nicht entscheidend sind. Uns kommt es nur auf die intelligible Existenz als solche an, die intelligible Existenz aber des handelnden Subjekts steht außer allem Zweifel.

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Das Sein der Dinge an sich

Was immer auch von der idealistischen Kantinterpretation gegen die Dinge an sich eingewandt worden sein mag, so kann doch nicht bezweifelt werden, daß Kant selbst von den Dingen an sich spricht.

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Vielleicht ist es doch nicht überflüssig, noch einige Stellen im Original heranzuziehen. So sagt Kant in der Kritik der reinen Vernunft im Kapitel über die Phänomena und Noumena in der ersten Auflage: „es folgt auch natürlicherweise aus dem Begriffe einer Erscheinung überhaupt: daß ihr etwas entsprechen müsse, was an sich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts für sich selbst, und außer unserer Vorstellungsart sein kann, mithin, wo nicht ein beständiger Zirkel herauskommen soll, das Wort Erscheinung schon eine Beziehung auf etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber an sich selbst, auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit, (worauf sich die Form unserer Anschauung gründet), Etwas, d. i. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muß" (A 251 f.). Ob Kant diesen Standpunkt im Opus postumum geändert hat, wagen wir nicht zu entscheiden. Wie die Feststellungen und die Formulierungen dieses Werkes gelautet haben würden, wenn Kant es hätte fertigstellen können, vermag niemand zu sagen. Wir haben es uns zur Richtschnur genommen, nur das anzuerkennen, was in den von Kant selbst edierten Werken zum Ausdruck gekommen ist, und alles andere nur als Hilfsmittel der Interpretation zu benutzen. Wir haben diesen Standpunkt noch dahin verschärft, daß wir der Kritik der reinen Vernunft die fundamentale und ausschlaggebende Bedeutung beimessen. In dem Problem, das wir jetzt diskutieren, wäre das nicht einmal notwendig gewesen. An den Dingen an sich wird von Kant in allen Werken der kritischen Zeit ohne wesentlichen Unterschied gleichmäßig festgehalten. So sagt Kant in den Prolegomena: „In der That, wenn wir die Gegenstände der Sinne wie billig als bloße Erscheinungen ansehen, so gestehen wir hiedurch doch zugleich, daß ihnen ein Ding an sich selbst zum Grunde liege, ob wir dasselbe gleich nicht, wie es an sich beschaffen sei, sondern nur seine Erscheinung, d. i. die Art, wie unsre Sinnen von diesem unbekannten Etwas afficirt werden, kennen. Der Verstand also, eben dadurch daß er Erscheinungen annimmt, gesteht auch das Dasein von Dingen an sich selbst zu, und so fern können wir sagen, daß die Vorstellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zum Grunde liegen, mithin bloßer Verstandeswesen nicht allein zulässig, sondern auch unvermeidlich sei"1. Auch in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten „folgt von selbst, daß man hinter den Erscheinungen doch noch etwas anderes,

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was nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge an sich, einräumen und annehmen müsse"2. Die zweite Auflage der Kritik der reinen Vernunft verändert den alten Standpunkt in der Frage der Dinge an sich nicht grundsätzlich, sie macht ihn vielleicht noch deutlicher: Schon in der Vorrede sagt dort Kant: „Gleichwohl wird, welches wohl gemerkt werden muß, doch dabei immer vorbehalten, daß wir eben dieselben Gegenstände auch als Dinge an sich selbst, wenn gleich nicht erkennen, doch wenigstens müssen denken können. Denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß Erscheinung ohne etwas wäre, was da erscheint" (BXXVI f.). Dieser Standpunkt wird in den späteren Werken durchgehalten, in der Kritik der praktischen Vernunft, in der Kritik der Urteilskraft, in der Streitschrift gegen Eberhard, wie auch in der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, um nur die für dieses Problem wichtigsten Schriften zu nennen. So erscheinen denn in diesen späteren Werken die Erwägungen über die Dinge an sich fast immer als eine Zusammenfassung oder als ein Bericht des in der Kritik der reinen Vernunft Festgestellten. Für diese Behandlung mag als eine charakteristische die Stelle aus der Kritik der praktischen Vernunft stehen: „Aus meinen Untersuchungen aber ergab es sich, daß die Gegenstände, mit denen wir es in der Erfahrung zu thun haben, keineswegs Dinge an sich selbst, sondern blos Erscheinungen sind"3. Erich Adickes hat diese Stellen in großer Zahl zusammengestellt4, ohne Vollständigkeit auch nur erreichen zu wollen. Im Grunde genommen bestreiten die idealistischen Kantausleger auch nicht, daß Kant die Existenz der Dinge an sich gelehrt habe; sie betrachten aber die faktisch vorhandene Lehre als einen dogmatischen Überrest, von dem die Transzendentalphilosophie gereinigt werden muß. Für diese Auslegung führt der Begriff des Dinges an sich auf einen Widerspruch, und nur durch die Beseitigung dieses Widerspruchs kann das kritische System in reiner Konsequenz vollendet werden. Diese Auslegung übersieht, daß die eigentümliche Zweigleisigkeit des kritischen Denkens ein Spezifikum des kantischen Denkens (und nicht nur des kantischen Denkens) ist. Die kantische Philosophie hängt in der Tat an zwei Angeln, an der transzendentalen Idealität von Raum, Zeit und Natur, und an der objektiven Realität von Freiheit, Gott und Unsterblichkeit. Diese Zweigleisigkeit des kantischen Denkens kommt in den Aporien des Dinges

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an sich zum Ausdruck, sie ist der eigentümliche Grundansatz Kants, so wie er von den Problemen selbst gefordert wird. Deshalb konnte Kant im Eingang der Kritik der praktischen Vernunft darauf hinweisen, daß dies die eigentliche Schwierigkeit und das eigentliche Rätsel der kritischen Philosophie ist5. Von diesen Dingen an sich werden nun Bestimmungen ausgesagt, die nach den Ergebnissen der transzendentalen Analytik nur von den Erscheinungen ausgesagt werden dürfen. Adickes hat das Material in einem erstaunlichen Umfang zusammengetragen, so daß wir uns mit einem zusammenfassenden Hinweis begnügen können. Die Dinge an sich, das hören wir immer wieder, sind die Ursachen der Erscheinungen, sie liegen den Erscheinungen zugrunde, sie affizieren unsere Sinnlichkeit. Von diesen Begriffen ist vielleicht der schwierigste der Begriff des Affizierens, und es ist bisher nicht gelungen, die in diesem für Kant so fundamentalen Begriff liegenden Schwierigkeiten aufzulösen. Daß Kant diese These vertritt, daran kann kein Zweifel sein, und wir sahen ja in der eben herangezogenen Stelle der Prolegomena die Formulierung: Die Art, wie unsere Sinne von diesem unbekannten Etwas affiziert werden. Weiter wird von den Dingen an sich die Wirklichkeit ausgesagt; die Dinge an sich haben Dasein, sie haben Existenz, sie haben Wirklichkeit. Auch diese These steht ja im Widerspruch zur transzendentalen Analytik, wo Wirklichkeit und Dasein als elfte Kategorie nur auf die Erscheinungen bezogen werden dürfen. Adickes meint, daß von den Dingen an sich auch die Einheit und die Vielheit ausgesagt wirde. Dies gilt wohl nur dann, wenn man den Begriff des Dinges an sich in der weiteren Bedeutung nimmt. Dann wird von Gott und von jeder endlichen Intelligenz die Einheit ausgesagt, und von den endlichen Intelligenzen in ihrer Gesamtheit, Vielheit und Gemeinschaft. Dagegen möchte ich glauben, daß Kant in bezug auf die Dinge an sich im engeren Verstande mit den Begriffen der Einheit und der Vielheit recht zurückhaltend verfährt. Aber dies wäre dann ja eine spezielle Frage, die das allgemeine ontologische Problem der Dinge an sich nicht entscheidend berührt. Zu diesen auch in der Kategorientafel auftretenden Grundbegriffen kommen weitere Begriffe, von denen der Begriff des Korrespondierens beziehungsweise der Begriff des Entsprechens der wichtigste ist. Den

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Sinnenwesen korrespondieren zwar freilich Verstandeswesen, sagt die zweite Auflage in B 308 f. An anderen Stellen benutzt Kant den Terminus des Entsprechens. Den Erscheinungen entsprechen Dinge an sich selbst. Die Bedeutung dieser Korrespondenz von den Erscheinungen her hat uns ja bereits im ersten Teil unserer Untersuchungen beschäftigt. Die Dinge an sich brauchen nicht so zu sein, wie die Erscheinungen sie darstellen. Jetzt erlangt dies Korrespondieren, dies Entsprechen für die ontologische Bestimmung der Dinge an sich eine neue Bedeutung. Alle diese kantischen Untersuchungen darf man zusammenfassen in der These von der objektiven Realität auch der Dinge an sich im engeren Verstande. Die objektive Realität ist freilich zunächst nur für die intelligiblen Substrate gesichert, zunächst in der Tatsache der Freiheit für das handelnde Subjekt, dann als notwendige Vorbedingung der Freiheit auch für das göttliche Sein. Von hier aus kann dann die These der objektiven Realität auf alle Dinge an sich, und also insbesondere auf die Dinge an sich im engeren Sinne ausgedehnt werden. Hier geht dann das erkenntnistheoretische Moment, daß den Erscheinungen ein Ansichsein zugrunde liegen muß, zusammen mit dem unmittelbaren Selbstbewußtsein des Ansichseins im Praktischen. Sucht man nach der Bedeutung der objektiven Realität in bezug auf die Dinge an sich im engeren Verstande, so wird man vier Momente herausstellen können. Die objektive Realität der Dinge an sich bedeutet zunächst die Unabhängigkeit von unserer Sinnlichkeit. Die Dinge an sich sind real, weil sie von dem faktischen Erfaßtwerden durch unsere Sinnlichkeit, also auch von der allgemeinen Form unserer Sinnlichkeit unabhängig sind. Diese Unabhängigkeit der Dinge an sich vom Erfaßtwerden ist diejenige ontologische Bestimmung Kants, die in den Werken, besonders in der Kritik der reinen Vernunft immer wieder betont wird. Auf die ontologische Bedeutung dieser Unabhängigkeit hat dann Hartmann mit ganz besonderem Nachdruck hingewiesen7. Als ein zweites Moment der objektiven Realität der Dinge an sich darf man es wohl betrachten, daß sie unsere Sinne affizieren. Dies Affizieren soll jetzt nicht nur unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten erklären, wie wir zu empirischen Erkenntnissen gelangen. Es wird vielmehr auch unter ontologischen Gesichtspunkten wichtig, daß die Dinge an sich uns affizieren, daß sie als ansichseiende Substanzen

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mit uns als ansidiseienden Substanzen in einen an sich gegebenen Wirkungszusammenhang eintreten. Der Erkenntniszusammenhang, insbesondere der Empfindungszusammenhang ist zugleich ein Wirkungszusammenhang. Die Dinge an sich affizieren in diesem Wirkungszusammenhang die erkennenden Intelligenzen und machen dadurch ihrerseits die Erkenntnis möglich. Diesen Wirkungszusammenhang hat besonders Heimsoeth untersucht8. Dieses Affizieren stellt sich dar als die Ausübung einer gewissen Spontaneität, und insofern nehmen auch die Dinge an sich im engeren Verstande teil an der allgemeinen Bestimmung des Ansichseins, an der Spontaneität. Als drittes Moment darf man die Ordnungsfähigkeit der Dinge an sich bezeichnen. Dieses Moment liegt allerdings wohl schon an der Grenze der ontologischen Bestimmungsmöglichkeit. Man muß der hier auftretenden Schwierigkeiten ungeachtet gleichwohl daran festhalten, daß die Tatsache, daß die Gesamtheit der Erscheinungen ein geordnetes Ganzes bildet, auch einen gewissen Rückschluß auf die Dinge an sich möglich machen muß. Die Dinge an sich müssen, wie man sich kurz ausdrücken könnte, ordnungsfähig sein. Die Kategorien stellen eine Gesamtheit von Ordnungsmöglichkeiten dar. Aber es könnte gleichwohl so sein, daß dieser ganze Apparat von Ordnungsmöglichkeiten uns nicht nützt, daß die Dinge an sich so tumultuarisch wären, daß sie schlechterdings von uns nicht geordnet werden könnten. Jeder Versuch einer Formulierung bleibt hier natürlich mit den Grundaporien des Dinges an sich belastet, weil eben jede Aussage von den Erscheinungen her genommen werden muß. Unter dieser Einschränkung wird man aber doch von einer Ordnungsfähigkeit der Dinge an sich reden dürfen. Noch mehr an den Grenzen der ontologischen Möglichkeiten, vielleicht schon über diese Grenzen hinaus liegt schließlich ein viertes Moment: Die Dinge an sich sind Werke Gottes. Hier liegt mir allerdings daran, nicht mißverstanden zu werden. Diese Bestimmung der Dinge an sich als Werke Gottes ist mit den Aporien des Dinges an sich belastet, sie wird völlig mißverstanden, wenn sie als eine theologische Aussage aufgefaßt wird, sie ist eine rein ontologische, das heißt also, eine rein philosophische Aussage. Mit der schlichten Aussage der Genesis: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, kann und will die mit allen Subtilitäten der Ontologie belastete Aussage Kants auf keinen Fall in Wettbewerb treten.

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

Hält man sidi die hier gebotene Vorsicht stets vor Augen, dann kann man die kantische These zunächst indirekt daraus erschließen, daß die Dinge an sich nicht von uns gemacht sind. Die Dinge an sich sind von uns unabhängig, ihr Sein fließt nicht aus der Spontaneität des Menschen, weder aus dem Denken, noch aus dem Wollen. Sind die Dinge an sich also nicht vom Menschen geschaffen, so muß ihr Sein auf Gott als den Urheber und Schöpfer der Welt zurückgehen. Wir lassen uns, wie so oft, von einer Reflexion leiten und finden die These in der Reflexion 4135 ausgedrückt: „Das Phänomenen von einem Dinge ist ein Product unserer Sinnlichkeit. Gott ist Urheber der Dinge an sich". Auf die Bedeutung dieser Reflexion hat Heimsoeth9 schon hingewiesen. In der Reflexion 5981 sagt dann Kant: „man soll eigentlich nicht sagen: Gott hat die Erscheinungen erschaffen, sondern: Dinge, die wir nicht kennen, denen aber eine Sinnlichkeit in uns correspondirend angeordnet" ist. Hier berührt Kant sofort die Schwierigkeit, die dieser ontologischen Bestimmung entgegensteht. Das, was wir kennen, nämlich die Erscheinungen, hat Gott nicht geschaffen, und was Gott geschaffen hat, nämlich die Dinge an sich, das kennen wir nicht. Hält man sich den aporetischen Charakter und damit die Unausräumbarkeit der Schwierigkeiten des Problems ständig vor Augen, dann wird man die These: Die Dinge an sich sind die Werke Gottes, auch in den drei Kritiken wiederfinden. Zunächst bedeutet die Antinomienlehre in der dritten und vierten Antinomie den wenigstens problematischen Ansatz der These. In den dynamischen Antinomien sind sowohl die Thesis wie die Antithesis wahr, und das bedeutet die Wahrheit auch der These, daß die Welt eine oberste Ursache hat. Man muß zweierlei im Auge behalten. Zunächst ist die Thesis nur möglich auf Grund der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich. Dann wird, entsprechend dem Grundansatz der Kritik der reinen Vernunft, die Thesis als eine bloß problematische, als eine bloß mögliche gegeben. Die Thesis: Gott hat die Welt geschaffen, ist widerspruchsfrei möglich, sie kann nicht widerlegt werden. Entsprechend dem Gesamtaufbau der drei Kritiken wird dann in den beiden späteren Kritiken die These bewiesen. Kann also die Kritik der reinen Vernunft die These nur problematisch diskutieren, so kann die Kritik der praktischen Vernunft sie

§ 29: Das Sein der Dinge an sich

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bejahend aussprechen: „Folglich, wenn ich von Wesen in der Sinnenwelt sage: sie sind erschaffen, so betrachte ich sie so fern als Noumenen. So wie es also ein Widerspruch wäre, zu sagen, Gott sei ein Schöpfer von Erscheinungen, so ist es auch ein Widerspruch, zu sagen, er sei als Schöpfer Ursache der Handlungen in der Sinnenwelt, mithin als Erscheinungen, wenn er gleich Ursache des Daseins der handelnden Wesen (als Noumenen) ist"10. Kant kann daher die These, daß Gott die Ursache auch der Existenz der Substanz ist11, bejahend aufnehmen, aber freilich nur unter der Voraussetzung der Unterscheidung zwischen Dingen an sich und Erscheinungen. Gott ist der Schöpfer nicht der Erscheinungen, sondern der Dinge an sich. In der Kritik der Urteilskraft ist die Entwicklung dieses Gedankens so weit fortgeschritten, daß der Begriff der Schöpfung sogar in einer Überschrift auftauchen kann, der § 84 trägt die Überschrift: Von dem Endzwecke des Daseins einer Welt, d. i. der Schöpfung selbst. Aber auch in dieser neuen Form beachtet Kant die sachlich notwendigen Beschränkungen auf das sorgsamste, der Begriff der Schöpfung wird niemals konstitutiv, er bleibt immer nur regulativ. Unter sorgsamer Beachtung der notwendigen Einschränkungen kann also die These: Die Dinge an sich sind Werke Gottes, doch noch gewagt werden. Dabei möchte ich glauben, daß Wundt und Krüger diese Einschränkungen nicht genügend beachtet haben. Wir geben die These als eine ontologische These zu, dringen aber darauf, daß man den ontologischen und den theologischen Sinn des Satzes sorgfältig auseinanderhält. Es dreht sich hier wohl um eine Verschiedenheit der Standpunkte, über die eine Diskussion nicht mehr möglich ist. Wir glauben, daß die Philosophie eine selbständige Wissenschaft ist, und wir glauben, daß alles verdorben wird, wenn man die Grenzen zwischen Theologie und Philosophie verwischt. Wundt läßt dagegen die kritische Philosophie in der Theologie gipfeln, und er kann demgemäß sagen: „Der Offenbarung Gottes in der Welt nachzusinnen, wird so hier wie noch stets das eigentliche Geschäft der Metaphysik"12. In einem ähnlichen Sinne sagt Krüger, vielleicht noch schärfer: Metaphysik ist „ein autonomes Verstehen des Ganzen alles Seienden als der faktischen Schöpfung Gottes"13, und kurz darauf: „Nur durch die gehorsame, unbedingte Frage nach moralischer Weisheit, wie sie das Sittengesetz gebietet, wird die Welt in

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Kap. 5: Die Weisen des Seins

ihrem von Gott gewollten Ansichsein wirklich erkennbar"14. Auf diese These Krügers gibt es von unserem Standpunkt aus nur die entschiedene Gegenthese: Das von Gott gewollte Ansichsein ist uns unerkennbar. Wir können Gottes Willen nicht erkennen, und wir können die Dinge an sich, die Schöpfungen Gottes nicht erkennen. Es ist immer dieselbe Schwierigkeit. Für die Interpretation von Paulsen, von Wundt und von Krüger ist die Kritik der reinen Vernunft im Grunde genommen doch nur ein Bedauerlicher Zwischenfall', von dem aus dann Kant erfreulicherweise wieder zur Wahrheit zurückgefunden hat. Wir haben dies bei Paulsen ja bereits gesehen. Krüger sagt in ganz ähnlichem Sinne: „Die Lehre Kants wurde gerade da erneuert, wo sie am sterblichsten war: in ihrem Verhältnis zum ,Faktum der Wissenschaft'"15, Das Verhältnis zum Faktum der Wissenschaft ist nicht die sterblichste Stelle, sondern die eigentliche Kraftquelle der kantischen Philosophie. Wir hoffen, daß dies Herausstellen der Verschiedenheit der Standpunkte auch ein Mißverstehen der jetzt zur Erörterung stehenden These vermeiden hilft. Bei alledem ist kein Zweifel, daß der Begriff des Dinges an sich von Kant zunächst problematisch eingeführt wird, daß er dann unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten notwendig wird, und daß er schließlich in den beiden späteren Kritiken endgültig seine objektive Realität erhält. Es lassen sich, wenn auch an den Grenzen der ontologischen Möglichkeiten, noch vier Momente dieser Realität der Dinge an sich fassen: Die Dinge an sich sind vom Menschen unabhängig, die Dinge an sich affizieren uns spontan, die Dinge an sich sind ordnungsfähig und die Dinge an sich sind Werke Gottes.

KAPITEL VI

DAS SEIN IM GANZEN $ 30

Der Mensch als Erscheinung und als Ding an sich

Wir haben im Ansidisein verschiedene Bereiche abheben können: Das Sein Gottes, das Sein der endlichen Intelligenzen und das Sein der Dinge an sich im engeren Sinne als der Substrate der unbeseelten Körper. Zu diesen drei Weisen des Seins als Ansichsein tritt nun das Sein, das den Erscheinungen zukommt. Wir stehen damit vor der abschließenden Frage: Wie verhalten sich diese verschiedenen Weisen des Seins zueinander? In welchem Sinne kann das Sein von diesen verschiedenen Weisen ausgesagt werden? Auf Grund der allgemeinen Gliederung der Seinsbereiche gliedert sich die allgemeine ontologische Frage ebenfalls in zwei Teilfragen: Wie verhält sich das Sein der Dinge an sich zum Sein der Erscheinungen? Wie verhalten sich die verschiedenen Weisen des Ansichseins zueinander? Wie verhält sich das Sein Gottes zum Sein der endlichen Intelligenzen und zum Sein der Substrate? Wenn wir zunächst die erste Teilfrage aufnehmen, so hat diese Frage eine besondere Dringlichkeit beim Menschen. Der Mensch ist zugleich Erscheinung und Ding an sich, er ist zugleich Phänomenon und Noumenon, er hat zugleich sinnliche und intelligible Existenz. Es ist daher eine Frage von besonderer Dringlichkeit, wie im Menschen diese beiden Weisen des Seins sich zueinander verhalten. In dieser kantischen Problemstellung tauchen alle Fragen und Schwierigkeiten auf, die das Leib-Seele-Problem belasten. Von der These, daß der Mensch ein rein materielles Wesen sei, zu der These, daß im Menschen zwei Substanzen nebeneinander- oder beieinanderliegen, bis zu der These, die die leibliche Existenz des Menschen in einen bloßen Schein verwandeln will, sind alle Standpunkte vertreten worden, ohne

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Kap. 6: Das Sein im ganzen

daß es einem dieser Standpunkte gelungen wäre, alle Schwierigkeiten oder auch nur alle wesentlichen Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Man wird schwerlich sagen können, daß Kant das Problem endgültig gelöst habe, und wir wollen es dahingestellt sein lassen, ob das Problem überhaupt ohne Rest zu lösen ist. Alle wesentlichen philosophischen Lösungen finden sich bei Kant vertreten, wir finden eine Lösung, die man als die platonische bezeichnen könnte, wir finden eine weitere Lösung, die man in einem gewissen Sinne als die aristotelische bezeichnen könnte, und diese aristotelische Lösung wiederum scheint an manchen Stellen zu einer rein nominalistischen Lösung auszuarten. Man kann diesen Sachverhalt verschieden beurteilen, man kann ihn Kant zum Ruhme anrechnen, man kann ihn Kant zum Vorwurf machen, uns möchte scheinen, daß eine solche Weite der Lösung nicht in jeder Beziehung tadelnswert sein dürfte. Die platonische Lösung faßt das Verhältnis von Phänomenen und Noumenon, und im konkreten Fall das Verhältnis von Leib und Seele als ein Verhältnis zweier Welten auf. Vielleicht ist eine solche Zweiweltentheorie nicht die endgültige Meinung Platos, vielleicht müßte man sie eigentlich als Platonismus bezeichnen; diese Zweiweltentheorie hat aber, von den frühen Dialogen Platos ausgehend, durch verwandte christliche Gedanken aufgenommen, eine unabsehbare Wirkung erlangt. Audi Leibniz selbst, wie sehr er auch eine Vereinigung von Plato und Aristoteles erstreben mag, steht in seiner Grundunterscheidung eines Reiches der Natur von einem Reich der Gnade und der darauf gestützten prästabilierten Harmonie im wesentlichen auf dem Standpunkt einer Zweiweltentheorie. Kant empfindet schon im Beginn seiner philosophischen Arbeit durchaus das Problematische dieser Unterscheidung zweier Welten, er hält aber gleichwohl an der Unterscheidung selbst fest. In der Dissertation des Jahres 1770 wird der Unterschied der beiden Welten schon im Titel thematisch ausgesprochen: De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. Wir sahen, daß Kant in diesem Werke für die beiden Welten verschiedene Formen und Prinzipien ansetzt. Die Sinne erkennen die Dinge, wie sie uns erscheinen, also die Sinnenwelt, der Verstand dagegen erkennt die Dinge, wie sie an sich sind, also die intelligible Welt. Die Schwierigkeiten etwa in dem Satz: Alles, was ist, ist im Raum und in der Zeit, rühren daher, daß dieser Satz, der in der Sinnenwelt gilt, fälschlicherweise auf die Ver-

§ 30: Der Mensch als Erscheinung und als Ding an sich

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standesweit bezogen wird1. Diese beiden Begriffe des mundus sensibilis und des mundus intelligibilis laufen dann als Sinnenwelt und als Verstandeswelt verdeutscht durch das gesamte Werk Kants, nicht nur durch die späteren Schriften, sondern auch durch die Kritik der reinen Vernunft. Unsere Frage geht also jetzt dahin, wie der Mensch sich zu diesen beiden Welten verhält. Der Mensch gehört beiden an; dieser Sachverhalt wird von Kant nicht selten im Sinne einer ausgesprochenen Zweiweltentheorie formuliert, und dies betrachten wir als die platonische Auffassung des Verhältnisses von Ding an sich und Erscheinung bei Kant. So sagt etwa die Kritik der praktischen Vernunft: „... da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung nicht anders als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß"2. An dieser Stelle wird deutlich, daß Kants platonische Auffassung der zwei Welten ebenso wie Platos eigene Auffassung selbst ihren Ursprung in der Frage nach dem Guten hat. Diese Unterscheidung der Sinnenwelt und der Verstandeswelt als zweier Welten ist nicht nur ein besonders bildkräftiger Ausdruck, die Sinnenwelt wird hier nicht nur rein theoretisch als Raum-Zeit-Gefüge verstanden, die Sinnenwelt ist vielmehr hier vom Ethischen her die Welt der Sinnlichkeit. Kants großer Kampf für ein Handeln aus reiner Sittlichkeit, dieser Kampf, der mit einer solchen Schärfe gegen jedes Handeln aus sinnlichen Antrieben geführt wird, wird nur verständlich, wenn die Welt der Sinnlichkeit eine eigene Macht hat, die erst in einem langen Kampf überwunden werden muß und vielleicht niemals ganz überwunden werden kann. Ist die Sinnenwelt, der mundus sensibilis, nur die Art und Weise, wie wir uns etwas vorstellen, dann wird dieser Kampf mit der Sinnlichkeit ein Kampf mit bloßen Schatten. Auf der anderen Seite kann doch kein Zweifel daran sein, daß Kant das Ganze der Welt nicht in zwei Welten als in zwei Teile zerreißen will, als ob es zwei Welten wären3, und daß Kant insbesondere den Menschen nicht in zwei Teile zerreißen will. Kant schärft uns immer wieder ein, daß es derselbe Mensch ist, der beiden Welten angehört, ja daß es dieselbe Handlung ist, die als dieselbe Handlung sowohl der Sinnenweit als auch der Verstandeswelt angehört. Kant kommt auf diese Schwierigkeiten im letzten Abschnitt der Analytik der prakti-

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Kap. 6: Das Sein im ganzen

sehen Vernunft zu sprechen. Er hält noch einmal ausdrücklich fest, daß das Dasein nach dem Gesetz der Naturnotwendigkeit bloß der Erscheinung zukommt, daß aber ebendemselben Wesen als Ding an sich die Freiheit beizulegen ist: „... allein in der Anwendung, wenn man sie als in einer und derselben Handlung vereinigt und also diese Vereinigung selbst erklären will, thun sich doch große Schwierigkeiten hervor, die eine solche Vereinigung unthunlich zu machen scheinen"4. Im Fortgang der Erwägung betont Kant noch einmal thematisch die Schwierigkeiten: „Aber noch steht eine Schwierigkeit der Freiheit bevor, so fern sie mit dem Naturmechanism in einem Wesen, das zur Sinnen weit gehört, vereinigt werden soll; eine Schwierigkeit, die, selbst nachdem alles bisherige eingewilligt worden, der Freiheit dennoch mit ihrem gänzlichen Untergange droht"5. Prüft man nun die Gesamterwägung dieses Abschnittes nach, dann sieht man, daß Kant die Schwierigkeiten der Vereinigung dieser beiden Welten wohl mit großer Klarheit gesehen hat, daß er aber im Grunde genommen auch keine Lösung angeben kann. Das Problem des Chorismos, des Auseinanderklaffens der beiden Welten, ist im Platonismus niemals überwunden worden, und wenn dies Problem von Aristoteles, ja von Plato selbst in den dialektischen Dialogen angegriffen wurde, dann mußte die transzendente Ideenlehre aufgegeben werden. Kant macht jedenfalls geltend, daß ein philosophisches System, das die Unterscheidung zwischen Sinnenwelt und Verstandeswelt nicht anerkennen will, überhaupt nicht zu einer Lösung des Freiheitsproblems kommen kann, weil ohne eine solche Unterscheidung die durchgängige Gültigkeit des Naturmechanismus die Möglichkeit der Freiheit verhindert. Wie allerdings das Ineinandergreifen der beiden Welten zu verstehen ist, mit anderen Worten, wie die Freiheit wirklich möglich ist, dies geht nach der Auffassung Kants über unsere Einsicht hinaus. Wir können nur einsehen, daß die Freiheit als solche keinen Widerspruch in sich enthält, die reale Möglichkeit der Freiheit selbst ist uns nicht mehr einsichtig. Kant kann daher sagen, daß die ungelöste, vielleicht unlösbare Schwierigkeit jeden anderen philosophischen Ansatz in noch stärkerem Maße drücken würde6. Diese Stellungnahme Kants braucht doch wohl nicht nur ein leichtfertiges Abschieben der Schwierigkeiten zu bedeuten, sie ist ein sachlicher Hinweis darauf, daß die Schwierigkeiten nicht endgültig auszuräumen sind, daß vielmehr der aporetische Charakter jeder Lösung

§ 30: Der Mensch als Erscheinung und als Ding an sich

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und damit auch der kantischen Lösung im Problem selbst verwurzelt ist. Dieser in gewissem Sinne platonischen Lösung steht eine Lösung gegenüber, die man als die aristotelische Lösung bezeichnen könnte. Diese Lösung würde besagen, daß ein und derselbe Mensch unter einer gewissen Hinsicht als ein intelligibles Sein, unter einer anderen Hinsicht als ein phänomenales Sein sich darstellt. Man wird sie deshalb als die aristotelische Lösung bezeichnen können, weil für Aristoteles die Gattungsbegriffe kein besonderes Sein im Sinne einer eigenen übersinnlichen Welt haben; auch für Aristoteles besteht die Sonderexistenz der Gattungsbegriffe nur in ihrem für sich Gedachtsein. Hier würde also für Kant die Seinsverschiedenheit von sensibler und intelligibler Welt nur darin bestehen, daß ein und derselbe Mensch unter einer verschiedenen Betrachtung, unter einer verschiedenen Hinsicht, von einem verschiedenen Standpunkt aus das eine Mal als Verstandeswesen, das andere Mal als Sinnenwesen sich darstellt. So sagt denn Kant in einer von uns schon herangezogenen Stelle: „Folglich, wenn ich von Wesen in der Sinnen weit sage: sie sind erschaffen, so betrachte ich sie so fern als Noumenen"7. Und ebenso ist es auch ein und dieselbe Handlung, die nur unter verschiedenen Betrachtungsweisen, unter verschiedener Hinsicht, von verschiedenen Standpunkten aus das eine Mal als Naturnotwendigkeit, das andere Mal als absolute Spontaneität sich darstellt8. Aber man wird gegen eine solche aristotelische Auffassung des Unterschieds zwischen sensibler und intelligibler Welt doch große Bedenken geltend machen müssen. Wie soll die Sittlichkeit noch verstanden werden können, wenn die Auseinandersetzung zwischen Sinnlichkeit und reiner Sittlichkeit nur zwischen zwei Betrachtungsweisen sich abspielt? Man vermag nicht einzusehen, wie diese ontologische Interpretation dem Phänomen der sittlichen Entscheidung gerecht werden könnte. Es kommt noch ein zweites Moment hinzu. Die beiden Welten sind nicht in jeder Hinsicht gleichbedeutend, vielmehr liegt ein betontes Fundierungsverhältnis vor; die Verstandeswelt liegt der Sinnenwelt zugrunde. Auch dies zweite Phänomen, das Zugrundeliegen der Verstandeswelt also, kann nur von einer platonischen und nicht von einer aristotelischen Auffassung her verstanden werden.

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Kap. 6: Das Sein im ganzen

Noch unbefriedigender wird das Gesamtproblem, wenn man den Unterschied zwischen Sinnenwelt und Verstandeswelt auf eine bloße Betrachtungsweise reduziert, und wenn man dann diese Betrachtungsweise in einem rein nominalistischen Sinne auffaßt. Von einer nominalistischen Auffassung würde ich dann sprechen, wenn das Sein eines Gegenstandes nur in seinem Vorgestelltsein besteht, eine extrem nominalistische Auffassung würde dann behaupten, daß das Sein nur in einem faktischen Vorgestelltsein besteht. Bei Kant findet sich eine ganze Reihe von Stellen, die sich nur in dieser Richtung verstehen lassen. Es findet sich eine ganze Reihe von Stellen, nach denen die Erscheinungen, also Raum, Zeit und Natur, nur in unserer Vorstellung existieren. Eine solche Auffassung ist allerdings nur bei einer rein theoretischen Erwägung möglich, geht man mit dieser Auffassung an die Kritik der praktischen Vernunft heran, dann löst sich die Sinnenwelt in eine bloße Vorstellung auf, und man sieht nicht, wie von der Antithetik des Sittlichen überhaupt noch etwas übrigbleiben könnte. Prüft man das Verhältnis dieser drei möglichen Lösungen, so möchte man doch wohl sagen, daß die nominalistisch klingenden Ausdrücke im ganzen keine große Rolle spielen, die tragende Auffassung dürfte vielmehr die aristotelische Auffassung sein, die besonders in der Kritik der reinen Vernunft die vorherrschende ist. Dagegen tritt die platonische Auffassung in der Kritik der praktischen Vernunft stärker in den Vordergrund, während man die Kritik der Urteilskraft wieder vorwiegend der aristotelischen Auffassung zurechnen möchte. So würde freilich diese fundamentale Frage in der kantischen Philosophie eine lediglich aporetische Lösung finden, und es mag viele geben, die darin einen Vorwurf gegen die kantische Philosophie sehen werden. Uns erscheint diese, die wesentlichen geschichtlichen Lösungen heranziehende, aporetische Lösung nicht als ein Mangel, sondern als ein entschiedener Vorzug. §31 Der Analogiecharakter des Seinsbegri ff es Für die abschließende Zusammenfassung der kantischen Ontologie bedürfen wir noch einer Erwägung über die logische Struktur des SeinsbegrifTes.

$ 31: Der Analogiediarakter des Seinsbegriffes

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Den Ausgangspunkt für die begriffliche Entwicklung bildet auch hier wieder Platon. Die platonische Unterscheidung zwischen der Ideenwelt und der Sinnenwelt liegt allen Unterscheidungen, die wir diskutiert haben, zwischen dem Intelligiblen und dem Sensiblen, zwischen dem Noumenon und dem Phänomenen, zwischen den Dingen an sich und den Erscheinungen zugrunde. Man kann nun bei Platon Stellen finden, in denen den Ideen allein ein Sein zugesprochen wird. Hier würde also Platon den Standpunkt von Parmenides einnehmen, daß allein das Seiende ist, daß aber das Nichtseiende nicht ist. Bruno Liebrucks hat diesen Gedankengang unter dem Begriff des Eleatismus zusammengefaßt und gezeigt, daß der erste Ansatz der Ideenlehre im Phaidon und im Staat einem solchen eleatischen Standpunkt nahesteht. Liebrucks hat dann gezeigt, daß die weitere Entwicklung Platons eine ständige Auseinandersetzung mit diesem eleatischen Moment der extremen Ideenlehre darstellt. Es ist die Aufgabe der Dialektik, diesen Standpunkt zu durchbrechen, und auf dem Höhepunkt der dialektischen Arbeit, im Parmenides und Sophistes gelingt es dann Platon, über den einseitigen Eleatismus der extremen Ideenlehre hinauszukommen1. In diesen dialektischen Dialogen arbeitet Platon heraus, daß das Sein und das Nichtsein ursprünglich zusammenhängen, daß jedes Seiende zugleich ein Nichtseiendes ist, und daß jedes Nichtseiende zugleich ein Seiendes ist. Von hier aus fällt ein neues Licht auf die eigentliche Ideenlehre. Es mögen immerhin die Ideen als das eigentlich Seiende und die Phänomene als das eigentlich Nichtseiende bestimmt werden, so kann doch damit den Phänomenen als dem Nichtseienden nicht jedes Sein abgesprochen werden. Irgendwie müssen auch die Phänomene sein. Von hier aus kann man eine gewisse Vorbereitung dieses dialektischen Standpunktes schon in der eigentlichen Ideenlehre finden. Es mag immerhin sein, daß die Phänomene nur Schatten sind, aber auch Schatten sind doch eben nicht ein pures Nichts, sondern selbst Schatten sind irgend etwas. Es mag immerhin sein, daß auf die Phänomene kein Wissen, sondern nur eine bloße Meinung geht, aber auch diese Meinung, wenn sie gleich keine Wissenschaft ist, so ist sie doch irgend etwas. Daß auch den Phänomenen in irgendeiner Weise ein Sein zukommen

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Kap. 6: Das Sein im ganzen

muß, das gilt gewiß von der späten Form der Ideenlehre, wie wir sie im Timäus finden2. Dort gibt es die Idee der Elemente, etwa die Idee des Wassers. Dann gibt es, vom Weltenschöpfer nach dieser Idee des Wassers geschaffen, das faktische Wasser. Nun mag es immerhin sein, daß dieses faktische Wasser nie ein reines und klares Wasser ist, so wie es die Idee des Wassers verlangt, daß das faktische Wasser immer in irgendeiner Weise trübe und mit anderen Elementen vermischt ist, daß es gewissermaßen immer dazu neigt, zu verdampfen und zu erstarren, bei alledem ist doch das faktische Wasser immerhin Etwas und nicht Nichts. Wenn dies allgemein zugestanden ist, wenn es also nicht möglich ist zu sagen, daß den Ideen das Sein schlechthin zukommt, und den Phänomenen das Sein schlechthin nicht zukommt, dann kommt also auch den Phänomenen in irgendeiner Weise das Sein zu, und es erhebt sich jetzt die Frage, in welcher Weise kommt das Sein den Ideen zu, und in welcher Weise kommt das Sein den Phänomenen zu? Ist es dasselbe Sein, das wir von den Ideen und den Phänomenen aussagen, oder wie verhält es sich? Die Ideenlehre stößt also auf eine grundsätzliche Seinsfrage, und in diese Situation tritt die philosophische Arbeit des Aristoteles ein. Man ist gewohnt, die Auseinandersetzung, die Aristoteles mit der platonischen Ideenlehre geführt hat, als ein völliges Mißverständnis Platos anzusehen. In scharfer Weise hat Paul Natorp diesen Standpunkt formuliert3. Aber ein solches Mißverständnis würde doch den Zusammenhang des abendländischen Denkens aufheben, der Standpunkt Natorps ist keineswegs notwendig. Man kann vielmehr die Philosophie des Aristoteles als die Weiterentwicklung der platonischen Grundansätze ansehen, und ich hoffe, diese Möglichkeit in einer späteren Untersuchung im einzelnen begründen zu können. Wir wollen jetzt nur ein Moment erwägen. Es ist richtig, daß Aristoteles an der Ideenlehre beständige und scharfe Kritik übt. Aber diese Kritik geht nicht gegen den Ansatz von Ideen als solchen, sondern sie geht gegen die ontologische Interpretation der Ideenlehre, wenn das Sein der Ideen im Sinne einer transzendenten Ideenlehre formuliert wird, wenn also die Ideen als eine zweite Welt in einem überhimmlischen Ort hypostasiert werden. Wenn Aristoteles an dieser transzendenten Ideenlehre eine heftige Kritik übt, so will er damit nur sagen, daß eine solche Hypostasierung

5 3l: Der Analogiediarakter des Seinsbegriffes

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der Ideen gegen den eigentlichen Sinn der Ideenlehre verstößt. Aristoteles schließt sich nur der Kritik an, die Plato selbst im Parmenides an der Hypostasierung der Ideen geübt hat. Wir haben gesehen, daß die Ideenlehre die Frage in sich schließt, in welchem Sinne den Ideen und den Phänomenen Sein zukommt. Indem Aristoteles die Frage von hier aus aufnimmt, sieht er, daß die Hypostasierung der Ideen zu einer überhimmlischen Ideenwelt mit einem zu einfachen Seinsbegriff arbeitet, daß in einer solchen Ideenlehre den Ideen im Grunde genommen doch nur das Sein der sinnenfälligen Dinge zugesprochen wird. Während also, so lautet der eigentliche Einwand des Aristoteles, die Ideenlehre ihrer eigentlichen Intention nach ein neues Sein, eben das Sein der Ideen aufzeigen wollte, so hat sie jedenfalls in der Form der transzendenten Ideenlehre diese Absicht nicht erreicht, die Ideen haben im Grunde genommen doch nur das Sein der sinnenfälligen Substanzen. Nicht also, daß Plato Ideen angenommen hat, ist der eigentliche Ansatzpunkt der Kritik, sondern daß es Plato nicht gelungen ist, für diese neuen Ideen ein neues Sein aufzuzeigen. In den Ideen zeigt sich eben gerade die Vielfalt des Seinsbegriffes, und deshalb kann Aristoteles die Kritik der Ideenlehre mit gutem Recht durch einen Hinweis auf die Vielfalt des Seinsbegriffes schließen4. In der platonischen Unterscheidung zwischen Idee und Phänomen ist eine Unterscheidung des Seins angesetzt, und die aristotelische Metaphysik in ihrer Grundthese von der Vielfalt des Seinsbegriffes ist deshalb die echte Fortsetzung Platos. Sein ist nach Aristoteles weder ein univoker noch ein äquivoker, sondern ein analoger Begriff. Ein univoker Begriff liegt dann vor, wenn der Begriff in allen Anwendungen in demselben Sinne gebraucht wird. Eine Äquivokation liegt dann vor, wenn ein Begriff bei verschiedener Anwendung in völlig verschiedenem Sinne gebraucht wird. Ein deutsches Beispiel für eine Äquivokation gibt das Wort Ton, das von dem Ton in der Musik und in der Töpferei gebraucht wird. Der Seinsbegriff ist zwar nicht univok, aber er ist auch nicht äquivok, er ist vielmehr analog. Als ständiges Beispiel für einen analogen Begriff gibt Aristoteles den Begriff gesund. Gesund ist ursprünglich ein Mensch, aber von daher bezeichnet man als gesund auch alles, was gesund macht oder gesund erhält, etwa ein Bad oder eine Speise oder eine Medizin. Das Sein ist für Aristoteles nicht nur überhaupt gegliedert, sondern,

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Kap. 6: Das Sein im ganzen

so könnte man sagen, es ist in verschiedenen Dimensionen gegliedert. Da ist zunächst die Gliederung in der Dimension der zehn Kategorien, dann die Gliederung in der Dimension der Transzendentalien, dann die Gliederung in der Dimension actus und potentia, und schließlich die Gliederung in der Dimension des Wahrseins und des Falschseins. Am deutlichsten wird das Analogieproblem bei der Zehnzahl der Kategorien. Hier kommt zunächst den Substanzen das eigentliche Sein zu. Aber auch den Kategorien, insbesondere den Quantitäten und den Qualitäten kommt ein Sein zu, und hier bedeuten insbesondere die Qualitäten ein besonderes reales Sein, das zu dem realen Sein der Substanz hinzukommt. Trotz dieser eigenständigen Realität der Qualitäten aber kommt den Qualitäten das Sein doch nicht in demselben Sinne zu wie den Substanzen. Die Qualitäten haben zwar auch ein Sein, aber dieses Sein der Qualitäten ist dem Sein der Substanzen doch nur analog. Zu dem gleichen Ergebnis kommt Aristoteles bei der Unterscheidung zwischen Dynamis und Energeia. Das Möglich-Seiende ist nicht in demselben Sinne Seiendes wie das Wirklich-Seiende, und hier hat nur das Wirklich-Seiende ein eigenes Sein, von dem aus über die Analogie hin auch dem Möglich-Seienden ein Sein zugesprochen werden kann. Sein hat also für Aristoteles eine reiche Gliederung, und in dieser aristotelischen Gliederung des Seins wird die platonische Gliederung — lediglich in Idee und Phänomen — zu einem großen Reichtum entfaltet, zum ontologischen Grundproblem erhoben und mit dem begrifflichen Mittel der Analogie interpretiert. Diese aristotelische These vom Reichtum der Seinsweisen und der analogen Struktur des Seinsbegriffes wird von Thomas aufgenommen; die ontologische Grundeinstellung des Aristoteles dürfte für die große Wende von Plato zu Aristoteles, wie sie der Aquinate vollzogen hat, der eigentliche Ansatzpunkt gewesen sein. Diese These von der Vielfalt des Seins und der Analogiestruktur des Seinsbegriffes erweist sich für das eigentliche philosophische Anliegen des Thomas, für die ontologische Bestimmung des Seins Gottes, von einer großen Fruchtbarkeit. Das völlige Durchdenken der theologischen Fundamentalaufgaben zeigt nämlich, daß die Grundthesen der Ideenlehre sich nur mit Mühe auf das Sein Gottes anwenden lassen. Dagegen lassen sich die beiden Grundthesen des Aristoteles, das Transzendentalienproblem und die Analogiestruktur des Seinsbegriffes, für die Probleme der Fundamen-

§32: Realität, Wirklichkeit und Sein

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taltheologie mit großem Nutzen heranziehen. Hier ist es zunächst die Unterscheidung von göttlichem und kreatürlichem Sein, die einer Ideenlehre immer Schwierigkeiten macht, die aber einer aristotelischen These von der Vielfalt der Seinsmöglichkeiten sich mühelos einfügt. Von der allgemeinen Vielfalt der Seinsweisen her wird die Unterschiedenheit des göttlichen und des menschlichen Seins wenigstens in seiner Möglichkeit begreiflich, und die Analogiestruktur des Seinsbegriffes erlaubt auf der anderen Seite die notwendige Differenzierung des göttlichen und des endlichen Seins. In dem fundamentaltheologischen Thema der Einheit der Attribute Gottes vereinigen sich dann die transzendentalphilosophischen Gesichtspunkte mit der These der Analogie auf das glücklichste. Im Vordergrund stehen die Einheit, die Güte, die Wahrheit Gottes, sowie der Verstand und der Wille Gottes. Von der Transzendentalphilosophie her kann Thomas die Vielheit der göttlichen Attribute entwickeln, ohne eine reale Vielheit in das göttliche Sein hineintragen zu müssen; der Analogiebegriff macht einen Zusammenhang zwischen den göttlichen Eigenschaften und denen des endlichen Wesens möglich, ohne den Abstand aufzuheben. Die konkrete Durchführung ist für unsere Betrachtung am wichtigsten bei dem Verstand und Willen Gottes, intellectus und voluntas Dei. Beide Bestimmungen tragen zunädist keine reale Vielfalt in das göttliche Sein. Als göttliche Bestimmungen hängen sie mit den entsprechenden Bestimmungen des Menschen, dem Verstand und dem Willen des Menschen, nur in analoger Weise zusammen; für uns ist faßbar nur der Verstand und der Wille des Menschen, die Bestimmungen Gottes müssen von uns über den analogen Zusammenhang erfaßt werden. Wenn wir daher von einem Verstand und einem Willen Gottes sprechen können, so müssen diese Bestimmungen von unserem eigenen Sein ausgehen, solche Bestimmungen müssen, wie Thomas sagen kann, allein ex creaturis gesagt werden: „non enim possumus nominare Deum, nisi ex creaturis "s. $ 32 Realität, Wirklichkeit und Sein Wir kehren zurück zu dem entscheidenden Doppelansatz der kantischen Philosophie: Die transzendentale Idealität von Raum und Zeit verbunden mit der objektiven Realität der Freiheit. In dieser von Kant

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Kap. 6: Das Sein im ganzen

selbst gegebenen Formulierung sind die prägnantesten Probleme zusammengefaßt. Die transzendentale Idealität betrifft nicht nur Raum und Zeit, sondern auch die Natur im ganzen. Die Natur ist freilich, wie wir gesehen haben, hier nur die physikalisch bestimmbare Natur, während die Welt des Lebendigen mit ihren Kategorien ein Sonderproblem bleibt. Auf der anderen Seite wird die objektive Realität nicht nur von der Freiheit ausgesagt, sondern auch vom Gottesbegriff, vom Unsterblichkeitsbegriff und von den Dingen an sich im engeren Sinne als den Substraten der unbeseelten Körper. Wenn Kant hier den Begriff der objektiven Realität und damit die Kategorie der Wirklichkeit auf die Dinge an sich im engeren wie im weiteren Verstande anwendet, so erhebt sich damit wieder die alte Grundaporie des Dinges an sich. Nach den Ergebnissen der transzendentalen Analytik dürfen die Kategorien nur auf Erscheinungen angewandt werden, im Gegensatz zu diesem Ergebnis wendet Kant aber eine Reihe von Kategorien auch auf die Dinge an sich (im weiteren Verstande) an. Wir wollen zunächst noch einmal zusammenfassen, welche Kategorien Kant auf die Dinge an sich anwendet, um dann abschließend die Frage zu stellen, in welchem Sinne ein solcher Gebrauch der Kategorien möglich ist, ohne mit den Ergebnissen der transzendentalen Analytik in Widerspruch zu geraten. Dies führt auf die abschließende Frage, in welchem Sinne die ontologische Grundunterscheidung Kants, die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich, überhaupt möglich ist. Man kann wohl sagen, daß fast alle Kategorien von Kant auch auf die Dinge an sich angewandt werden, insbesondere die Kategorien der Einheit, der Vielheit, der Kausalität, der Gemeinschaft, der Möglichkeit, der Wirklichkeit und der Notwendigkeit. Einheit wird ausgesagt von Gott und den endlichen Intelligenzen. Der Monotheismus Kants schließt es in sich, daß auf Gott die Kategorie der Einheit angewandt wird. Einheit gilt aber auch von den endlichen Intelligenzen. Ich selbst bin als denkendes und handelndes Wesen eine Einheit und bin mir dieser Einheit bewußt, solange ich denke und handele. Ob Kant dagegen auf die Dinge an sich im engeren Verstande, also auf die Substrate der unbeseelten Körper den Begriff der Einheit angewandt hat, bleibt uns fraglich. Vielheit wird ausgesagt von den

$32: Realität, Wirklichkeit und Sein

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endlichen Intelligenzen. Es gibt eine Vielheit von denkenden und handelnden Subjekten. Bei den Dingen an sich im engeren Verstande blieb die Frage der Vielheit ebenso offen wie die Frage der Einheit. Man kann zwar eine Reihe von Stellen dafür beibringen, aber ich möchte doch zweifeln, daß sich bei Kant ein entschiedener Gebrauch nachweisen läßt. Die theoretische Möglichkeit, daß der Natur im physikalischen Sinne nur ein einziges Ding an sich zugrunde liegt, kann vielleicht nicht ganz ausgeschaltet werden. Kausalität aus Freiheit schließlich ist ein Grundbegriff des kantischen Denkens. Die Kritik der reinen Vernunft bietet alle Mittel auf, um die theoretische Möglichkeit dieses Begriffs zu erweisen, die Kritik der praktischen Vernunft hat dann die Wirklichkeit und die objektive Realität der Freiheit gesichert. Von hier aus wird man den stets wiederholten Ausdruck, daß die Dinge an sich die Ursache der Erscheinungen sind, auch auf die Dinge an sich im engeren Verstande beziehen dürfen und ihn als einen echten kantischen Begriff festhalten können. Zu diesem allgemeinen Begriff der Kausalität der Dinge an sich wären dann die Begriffe des Zugrundeliegens und des Affizierens als speziellere Begriffe zu rechnen. Gemeinschaft wird zunächst ausgesagt von den endlichen Subjekten, die in ihrer intelligiblen Gemeinschaft den alten Begriff des Reiches Gottes verkörpern. Insofern Gott das Oberhaupt dieses intelligiblen Reiches ist, stehen die endlichen Subjekte auch in einer Gemeinschaft mit Gott. Ob die Dinge an sich im engeren Verstande unter sich in einer Gemeinschaft stehen, muß wohl offenbleiben. Schließlich kann auch der auf das Affizieren gegründete Erkenntniszusammenhang als eine Gemeinschaft zwischen dem erkennenden Subjekt und dem Ding an sich im engeren Verstande aufgefaßt werden, sofern eine Erkenntnis nicht auf andere Intelligenzen, sondern auf unbeseelte Körper gerichtet ist. Die Möglichkeit wird ausgesagt von Gott, von der Freiheit und von der Unsterblichkeit. Es war das große Anliegen der Kritik der reinen Vernunft, in der transzendentalen Dialektik zu beweisen, daß diese drei Begriffe widerspruchsfrei möglich sind. Die Kritik der praktischen Vernunft bringt die Begriffe der Wirklichkeit und der objektiven Realität hinzu, ausgehend von der objektiven Realität der Freiheit, die unmittelbar erfahren werden kann, während die objektive Realität

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Kap. 6: Das Sein im ganzen

Gottes und der unsterblichen Seele als mit der objektiven Realität der Freiheit notwendig zusammenhängend erkannt werden. Darüber hinaus wird man sagen können, daß Kant an der Notwendigkeit des GottesbegrifTes festhält. Der für uns zentrale Begriff ist der Begriff der Wirklichkeit, für den Kant eine Reihe von Synonyme verwendet, von denen die wichtigsten sein mögen: Dasein, Existenz und Realität. Gerade bei der Kategorie der Wirklichkeit tritt ja die Grundaporie des Dinges an sich noch einmal mit besonderer Härte auf: Wirklichkeit als 11. Kategorie darf nur von den Erscheinungen ausgesagt werden, Wirklichkeit wird aber gleichwohl auch von den Dingen an sich ausgesagt. Wir haben dies im einzelnen verfolgt und dürfen zusammenfassend noch einmal an die Formulierung der Kritik der reinen Vernunft erinnern: „wenn wir uns einmal die Erlaubnis genommen haben, außer dem Feld der gesamten Sinnlichkeit eine für sich bestehende Wirklichkeit anzunehmen" (A 566, B 594). Wirklichkeit wird, wie wir im einzelnen gesehen haben, ausgesagt von Gott, von den endlichen Intelligenzen, von den Dingen an sich im engeren Verstande. An vielen Stellen treffen wir auf den Terminus der Realität, meistens verstärkt zu dem Terminus objektive Realität. Realität bedeutet hier nicht die Kategorie der Realität, sondern Realität in diesem Sinne bedeutet den allgemeinsten ontologischen Terminus. In einem solchen Sinne der Realität wird in der transzendentalen Ästhetik als der kantische Standpunkt die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit dem Standpunkt der transzendentalen Realität, oder, wie es auch heißt, der absoluten Realität des Raumes und der Zeit entgegengesetzt. Dieser Terminus der objektiven Realität führt den alten ontologischen Terminus der realitas objectiva weiter. Wir betrachten ihn als den allgemeinsten kantischen Begriff für Wirklichkeit im rein ontologischen Sinn, dieser allgemeine Terminus der objektiven Realität verdeutlicht in der kantischen Philosophie den allgemeinen Begriff des Seins. Dieser Terminus der objektiven Realität umfaßt daher in seiner allgemeinsten Bedeutung sämtliche Seinsweisen; objektive Realität wird ausgesagt sowohl von den Dingen an sich als auch von den Erscheinungen. Demgemäß ist objektive Realität zugleich der Oberbegriff sowohl zum Sein der Erscheinungen, also zur transzendentalen Idealität des

§ 32: Realität, Wirklichkeit und Sein

235

Raumes, der Zeit, der Natur, als auch zur objektiven Realität Gottes, der endlichen Intelligenzen und der Dinge an sich im engeren Verstande. Dabei tritt der Terminus transzendentale Realität, beziehungsweise absolute Realität im allgemeinen nur auf, wenn Kant bei den Erscheinungen den gegnerischen Standpunkt bekämpft, während Kant, um die Realität der Dinge an sich zu kennzeichnen, im allgemeinen den Terminus objektive Realität verwendet. In diesem allgemeinsten ontologischen Terminus der objektiven Realität, der die transzendentale Idealität der Erscheinungen und die absolute Realität der Dinge an sich umspannt, erlangt unser Problem die letzte Zuspitzung. Jetzt können wir fragen, in welchem Sinne objektive Realität über alle Seinsweisen hin erstreckt werden kann, in welchem Sinne also objektive Realität sowohl von den Erscheinungen, wie von den Dingen an sich ausgesagt werden kann, in welchem Sinne objektive Realität sowohl vom phänomenalen wie vorn noumenalen Sein ausgesagt werden kann. Wie ist dies überhaupt möglich, und wie kann dies mit den Ergebnissen der transzendentalen Analytik vereinigt werden? In dieser Frage treffen wir freilich nicht nur auf die fast unübersehbaren systematischen Schwierigkeiten dieses fundamentalen ontologischen Problems, sondern dazu noch auf besondere methodische Schwierigkeiten der kantischen Philosophie. Kant selbst hat zwar den Terminus objektive Realität sowohl auf Erscheinungen als auch auf die Dinge an sich angewandt, er hat aber über die Möglichkeit einer solchen Anwendung nicht mehr reflektiert. Drücken wir diesen Sachverhalt einmal rein kantisch aus, so können wir sagen, daß Kant zwar zwischen Erscheinungen und Dingen an sich unterschieden hat, daß er aber über die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung nicht mehr reflektiert hat. So muß man wohl sagen, daß Kant hier nicht mehr die letzte Subtilität der ontologischen Fragestellung erreicht hat, wie sie bei Aristoteles und seinen philosophischen Nachfolgern vorliegt. Dies ist in gewissem Sinne verständlich, weil das Problem der verschiedenen Seinsweisen für Aristoteles wie für Thomas sehr viel brennender gewesen ist, bei Aristoteles als Unterschied von Idee und Phänomenen, bei Thomas als Unterschied von göttlichem und endlichem Sein. Gleichwohl hat auch bei Kant die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich eine fundamentale Bedeutung, und wenn wir die Möglichkeit

236

Kap. 6: Das Sein im ganzen

einer solchen Unterscheidung klären wollen, so müssen wir über die von Kant selbst gegebenen Formulierungen hinausgehen. Wenn hierfür das Recht einmal eingeräumt wird, dann wird man sagen können, daß der Terminus objektive Realität und damit das Sein selbst die verschiedenen Seinsweisen auch bei Kant nur in analoger Weise umfaßt, daß jedenfalls der Analogiecharakter des Seinsbegriifes auch für Kant eine wesentliche Bedeutung hat. Wir haben den Gang der vorliegenden Untersuchung so aufgebaut, daß wir diese allgemeine Entscheidung in den konkreten Problemen möglichst vorbereitet haben. Das durchsichtigste Ausgangsproblem ist wohl die Frage, in welchem Sinne Kant Verstand und Willen sowohl vom Menschen als auch von Gott aussagen kann. Wir haben gesehen, daß Kant in diesem Problem die in der Ontologie ausgebildete Vorstellung beibehält, daß Verstand und Wille nur in analoger Weise zugleich von Gott und den Menschen ausgesagt werden können. Dies gilt dann auch von einer Reihe anderer Begriffe, etwa von dem Begriff des Schöpfers. Wenn wir Gott als den Schöpfer der Welt bezeichnen, dann wenden wir einen Begriff an, der nur für uns und nur in der Sinnenwelt erfüllbare Bedeutung hat. Machen und Schaffen ist uns allein verständlich als Machen und Schaffen des Menschen in der Sinnenwelt. Wenn wir also Gott als den Schöpfer der Welt bezeichnen, dann wenden wir diesen Begriff, der für uns nur Bedeutung hat als Herstellung eines Dinges der Sinnenwelt durch den Menschen, auch auf das Verhältnis Gottes zur Welt an. Aber diese Anwendung kann doch nur auf eine analoge Art erfolgen, weil eben die Erschaffung der Welt durch Gott eine ganz andere und für uns nicht mehr einsichtige Art des Verhältnisses darstellt. Wir sahen ja, daß der Analogiecharakter einer solchen Übertragung gerade bei Problemen des Verstandes und des Willens herausgearbeitet wird, bei Thomas von Aquin ebenso wie bei Kant. Von hier aus werden nach Thomas auch alle anderen Begriffe nur in analoger Weise vom geschaffenen Sein auf das göttliche Sein übertragen, und man wird einen solchen Ansatz auch bei Kant als allgemeine Grundlage annehmen dürfen. Dies gilt zunächst von dem fundamentalen Begriff der Einheit. Gerade beim Begriff der Einheit läßt sich der Analogiecharakter der Übertragung ziemlich scharf herausheben. Alle Einheit, die wir kennen, ist für Thomas die Einheit in creaturis, für Kant die Einheit in der Erscheinung, sie ist immer Einheit

§ 32: Realität, Wirklichkeit und Sein

237

eines Zusammengesetzten, und wir können von daher allgemein sagen: Für uns ist Einheit immer Einheit eines Zusammengesetzten, und ein anderer Begriff einer Einheit ist für uns unverständlich. Die Einheit Gottes aber ist niemals die Einheit eines Zusammengesetzten, sie ist für Thomas wie für Kant eine Einheit, der keine Vielheit zugrunde liegt. Wenn wir trotzdem den Begriff der Einheit auch auf das göttliche Sein anwenden, dann ist dies eben nicht mehr die Einheit, die wir kennen, sondern die Einheit des göttlichen Seins ist nur der uns allein bekannten Einheit eines Zusammengesetzten analog. Dieser Analogiecharakter der Übertragung gilt dann auch noch von dem allgemeinsten Begriff, dem Begriff des Seins als solchem. Diese These wird von Thomas in extenso ausgesprochen, man wird sie aber auch bei Kant zugrunde legen müssen. Sie bedeutet dann, daß uns Sein nur in den Erscheinungen, nur in creaturis faßbar ist, und daß, wenn wir diesen Begriff des Seins auf Gott anwenden, wir uns nur noch auf den Analogiezusammenhang stützen können. Verallgemeinert man dieses Problem, dann würde man sagen können, daß Einheit, Kausalität, objektive Realität und Sein nur in analoger Weise zugleich von den Erscheinungen und den Dingen an sich ausgesagt werden können. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sich die These in dieser Allgemeinheit bei Kant nicht findet, uns scheint aber, daß man diese These in dem konkreten Problem findet, daß man von hier aus die allgemeine These bilden kann, und daß von dieser allgemeinen These her die in der Grundaporie des Dinges an sich liegende Schwierigkeit verständlich wird, daß man von hier aus verstehen kann, daß Kant die beiden allgemeinsten Termini der objektiven Realität und des Seins zugleich auf die Erscheinungen und die Dinge an sich anwenden kann. Dabei wollen wir keineswegs verkennen, daß für Kant eine in wesentlichen Zügen gegenüber Aristoteles andere Sachlage vorliegt, und zwar rührt diese andere Sachlage aus der verschiedenen Auffassung der reinen Begriffe her. Die reinen Begriffe sind nach Aristoteles durch Abstraktion gewonnen, im allgemeinen also aus der Natur gewonnen. Für Kant dagegen sind die reinen Begriffe im reinen Verstande erzeugt, erst über ihre Schematisierung hin erfolgt ihre Anwendung in der Natur. Für die wirkliche Anwendung in der Natur fallen die beiden Theorien kaum auseinander, für Kant ist aber im Gegensatz zu Aristo-

238

Kap. 6: Das Sein im ganzen

teles auf Grund des reinen Entspringens der reinen Begriffe ein reiner Gebrauch wenigstens denkbar, eine Möglichkeit, die für Aristoteles nicht gegeben ist. Von hier aus taucht für Kant eine andere Lösungsmöglichkeit auf. Kant kann nämlich die Anwendung der Begriffe Einheit, Kausalität und demzufolge auch Sein und objektive Realität als ein Denken in reinen Begriffen auffassen. Dann würde die Anwendung des Begriffes der Einheit auf das göttliche Sein bedeuten, daß Gott als Einheit nur gedacht, aber nicht erkannt wird. Die hier entspringende These, daß die Dinge an sich in reinen Begriffen zwar gedacht, aber nicht erkannt werden können, ist von Paulsen als die eigentlich kantische Lösung betrachtet worden1. Ich will die Bedeutung dieser Auffassung auch bei Kant selbst in keiner Weise verkennen, aber man muß doch wohl beide Vorstellungen verbinden, um die kantische Lösung in ihrer ganzen Weite zu erfassen, also sowohl den Analogiecharakter aller dieser Anwendungen, als auch den Unterschied zwischen Denken und Erkennen. Noch ein zweites Problem gibt einen nicht unbeträchtlichen Unterschied. Es gibt einen Punkt, in dem für Kant das absolute Sein in irgendeiner Weise selbst gefaßt werden kann. Wir sahen ja, wie in dem Selbstbewußtsein des erkennenden und des handelnden Subjekts die Grundgedanken von Augustin und Descartes weitergeführt werden. Aber gerade dies Erfassen der absoluten Existenz im Selbstbewußtsein der Spontaneität ist doch mit allen Schwierigkeiten der möglichen Erfassung des absoluten Seins behaftet, und man darf nicht aus den Augen lassen, daß für Kant trotz aller weiterführenden Reichweite des Selbstbewußtseins eine Erkenntnis doch nur von den Erscheinungen möglich ist. Erst dann, wenn man alle diese Schwierigkeiten sorgfältig im Auge behält, kann man den Versuch machen, den allgemeinen kantischen Sinn von Sein zu bestimmen und damit die ontologische Interpretation der kantischen Philosophie bis zum fundamentalsten Problem zu treiben. Das Sein Gottes wird von Kant bestimmt als reine Spontaneität. Reine Spontaneität gilt schon von den Bestimmungen Gottes, vom Verstand und vom Willen Gottes. Der Verstand Gottes ist reine Spontaneität, weil er das, was er denkt, zugleich erschafft, der Verstand Gottes ist nicht darauf angewiesen, daß ihm das zu Denkende gegeben wird.

§32: Realität, Wirklichkeit und Sein

239

Der Wille Gottes ist reine Spontaneität, weil er aus reinem Antrieb handelt. Der Wille Gottes ist nicht auf sinnliche Bestimmungen, aber auch nicht auf Gesetze angewiesen. In der Verallgemeinerung dieses Ansatzes wird das Sein Gottes als reine Spontaneität bestimmt. Das Sein Gottes, die objektive Realität Gottes bedeuten für Kant reine Spontaneität. In einem solchen Sein Gottes treten dann alle Schwierigkeiten auf, die uns bisher begegnet sind. Reine Spontaneität, sie mag auftreten als allgemeine Bestimmung des Seins oder als konkrete Bestimmung von Verstand und Willen, ist uns als reine Spontaneität unfaßbar. Es werden dann in diesem Problem beide Lösungsmöglichkeiten wirksam, wir haben ja beide gerade an diesem Problem entwickelt. Wir können den Verstand, den Willen und das Sein Gottes in ihrer reinen Spontaneität nur denken, aber nicht erkennen, und wir können den Verstand, den Willen und das Sein Gottes nur auf dem Wege der Analogie vorstellen. Dies trifft insbesondere auf die fundamentale Bestimmung Gottes als des Schöpfers der Welt zu. Wir sahen, daß für Kant dieser Begriff Gottes als des Schöpfers der Welt unabdingbar ist. Nun ist aber die Erschaffung der Welt eine Erschaffung aus reiner Spontaneität durch Verstand und Willen, und ein solches Erschaffen aus reiner Spontaneität ist uns in eigentlicher Erkenntnis nicht mehr vorstellbar. Deshalb bestimmt die christliche Tradition die Erschaffung der Welt als eine creatio ex nihilo, aber eine creatio ex nihilo ist uns im anschaulichen Sinne nicht vorstellbar. Man wird vielleicht sagen können, daß Kant den schon immer gesehenen Schwierigkeiten ein besonderes Gewicht beigelegt hat. Die kantische Bestimmung des Seins Gottes als reine Spontaneität setzt durchaus die alten Bestimmungen des abendländischen Denkens fort. Reine Spontaneität, reine Energeia ist das göttliche Sein schon für die griechische Philosophie, und reine Spontaneität, reiner actus ist das göttliche Sein für die Patristik wie für die Scholastik. So kann denn auch Kant, freilich unter sorgsamster Betonung der begrifflichen Schwierigkeiten, daran festhalten, daß das Sein Gottes reine Spontaneität ist. Das Sein des Menschen wird bestimmt durch ein Zusammen von Spontaneität und Rezeptivität. Auch dem Menschen kommt Spontaneität zu, sofern jeder Verstand und jeder Wille auf Spontaneität gegründet ist. Aber der Mensch als absolutes Sein findet sich mit anderem

240

Kap. 6: Das Sein im ganzen

absoluten Sein zusammen vor, und sein Denken wie sein Wollen ist daher notwendig eine Auseinandersetzung mit anderem schon existierendem Sein. Der Mensch muß dieses andere Seiende anerkennen, der Mensch ist daher notwendig nicht nur spontan, sondern auch rezeptiv. Das göttliche Sein ist reine Spontaneität, weil dem göttlichen Sein nichts gegenübersteht, das Sein des Menschen ist auch rezeptiv, weil dem einzelnen Menschen stets ein anderes Sein gegenübersteht2. Man kann diesen Zusammenhang auch so ausdrücken, daß Gott der Schöpfer der Dinge an sich und daß der Mensch der Schöpfer der Erscheinungen ist. Der Mensch kann zwar schaffen, aber er kann nur Erscheinungen schaffen. Daß Gott die Dinge an sich schafft, darin zeigt sich, daß dies Schaffen Gottes das eigentliche Schaffen ist. Man kann dies in einer anderen Wendung auch so ausdrücken, daß Gott der Schöpfer, aber der reine und ungeschaffene Schöpfer ist, während der Mensch zugleich Schöpfer und Geschaffenes ist. Wenn man diesen Zusammenhang dadurch ausdrückt, daß man von der Endlichkeit des Menschen spricht, so muß man jedenfalls dafür Sorge tragen, daß in dieser Endlichkeit nicht nur die Rezeptivität zur Geltung kommt, sondern daß auch die Spontaneität ihre Bedeutung behält. Dieser Spontaneitätscharakter des menschlichen Seins wird im reinen Selbstbewußtsein des Ich denke und des Ich will in einer eigentümlichen Weise erfahren. Spontaneität kann, wie wir sahen, niemals in eigentlichem Sinne erkannt werden, sie kann nur rein erfahren werden. Aber dies Spontaneitätsbewußtsein des reinen Selbstbewußtseins trägt all unsere Vorstellung von reinem Sein und reiner Spontaneität. Das Sein des Menschen und allgemein aller endlichen Intelligenzen besteht also in dem Zusammen von Spontaneität und Rezeptivität, man könnte auch sagen, der Mensch ist zugleich Schöpfer und Geschaffenes, zugleich creator und creatura. Das Sein der Dinge an sich im engeren Verstande, der Substrate der unbeseelten Körper, wenn es ein solches überhaupt gibt, ist am weitesten von uns entfernt, es liegt für uns in der größten Dunkelheit. Nur darin, daß die Dinge an sich uns affizieren, taucht für uns ein leiser Schimmer von Spontaneität auf. Darüber hinaus sind sie für uns als von Gott Geschaffenes eben noch sichtbar, so daß auch im Sein der Dinge an sich ein Zusammensein von Spontaneität und Geschaffensein gerade eben noch sichtbar wird.

§32: Realität, Wirklichkeit und Sein

241

Wenn wir hier die endlichen Intelligenzen und die Dinge an sich als Geschöpfe Gottes bestimmen, so müssen wir uns noch einmal eindringlich gegen jede Auffassung wenden, die die Grenzen zwischen Philosophie und Theologie verwischen will. Die philosophische Erkenntnis bleibt immer mit den unüberwindbaren Aporien belastet. Gerade dann, wenn wir dem kantischen Denken bis an diesen äußersten Punkt folgen, gerade dann müssen wir betonen, daß für Kant die wissenschaftliche Erkenntnis aus reiner Vernunft hier ein Ende hat. Dies gilt nicht nur für Kant, wir sind vielmehr überzeugt, daß die hier von Kant gesetzte Beschränkung eine sachliche Notwendigkeit bedeutet. In kantischer Terminologie läßt sich das Problem zur folgenden Aporie zuspitzen. Die Dinge an sich, die die Werke Gottes sind, kennen wir nicht und die Erscheinungen, die wir kennen, sind nicht die Werke Gottes. Es ist sicher verführerisch, hier noch einen Schritt weiter zu tun, zu sagen, hier müsse von Kant aus noch weiter gedacht werden, oder Kant selbst habe schon weitergedacht. Der deutsche Idealismus hat freilich diesen Schritt mit Bewußtsein vollzogen, und Hegel vor allem ist sich darüber klargewesen, daß eine positive Bestimmung der Welt als eine Schöpfung Gottes ein Hinausgehen über Kant bedeutet, und Hegel hat dies Hinausgehen über Kant bewußt vollzogen. Wir wollen nicht mit Hegel streiten, und doch ist dies die eigentliche Grundeinsicht Kants, daß unser Denken, das gerade in diesem Punkte weitergehen möchte, an Schranken stößt, die für unser Denken nicht mehr überschreitbar sind. Wer diese Schranken überschreitet, geht über das kantische Denken hinaus. Der vierte Seinsbereich, die Erscheinungen, ist ausschließlich bestimmt durch Rezeptivität und Geschaifensein, und dies Geschaffensein der Erscheinungen ist dazu noch ein Geschaffensein nur durch den Menschen. Dieser geringste Seinsgrad der Erscheinungen führt es aber gleichwohl mit sich, daß wir gerade die Erscheinungen kennen, weil wir nur das erkennen können, was wir geschaffen haben. So bestimmt sich denn allgemein das Sein Gottes als reine Spontaneität, das Sein der endlichen Intelligenzen und der Dinge an sich im engeren Verstande als ein Zusammen von Spontaneität und Rezeptivität, das Sein der Erscheinungen als reine Rezeptivität. Man kann, wenn man die Grenzen der Erkenntnis beachtet, die drei Seinsweisen auch durch das Begriffspaar Schöpfer und Geschaffenes ausdrücken: Dann

242

Kap. 6: Das Sein im ganzen

ist Gott reiner Sch pfer, die endlichen Intelligenzen und die Dinge an sich sind Sch pfer und Geschaffenes zugleich, die Erscheinungen sind nur Geschaffenes. Es gibt also keinen einheitlichen Sinn von Sein, sondern das Sein zerf llt in drei Weisen, deren Zusammenhang in gewisser Weise noch bestimmt werden kann. Wir wollen nicht verkennen, da wir mit diesen Bestimmungen die Grenzen des systematischen und historischen Denkens erreicht haben. Auch unsere Untersuchung mu daher an ihr Ende das Wort des Aristoteles setzen3: Και δη και το πάλαι τε και νυν και αεί ζητούμενον και αεί άπορούμενον, τι το δν, τοΰτό εστίν τις ή ουσία.

TEIL III UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER LEHRE VOM ANALYTISCHEN UND SYNTHETISCHEN URTEIL

KAPITEL VII

BEDEUTUNGSANALYSEN

5 33 Der Wortschatz Auf Grund des Allgemeinen Kantindex1 soll zunächst mit Hilfe von drei verschiedenen Tabellen ein Einblick in den hier im Interesse stehenden Wortschatz gegeben werden, um einen ersten Zugang zum Problem der Entstehungsgeschichte zu ermöglichen. Dabei sind die im Wortindex zusammengezogenen Bände l und 2 der Akademieausgabe auf Grund des Stellenindex wieder auseinandergenommen worden. Da die ersten neun Bände der Akademieausgabe chronologisch geordnet sind, gibt die Häufigkeitsverteilung in diesen Bänden zugleich einen ersten Hinweis auf die Entstehung der Terminologie. Die erste Tabelle gibt zunächst den Wortstamm ,Analysis* in allen Wort- und Flexionsformen2. Sodann sind in der zweiten Tabelle zuerst alle Flexionsformen von ,Analysis', sodann diejenigen von ,analytisch' zusammengezogen, und abschließend die Häufigkeiten der Worte Analysis, Analyse und analytisch noch einmal zusammengezählt. An zweiter Stelle dieser Tabellen ist dann in gleicher Weise der Wortstamm ,Synthesis' behandelt3. Schließlich habe ich an dritter Stelle in analoger Aufgliederung noch den Wortschatz von ,Zergliederung' aufgeführt*, weil dieses Wort die in damaliger Zeit gebräuchliche Übersetzung von Analysis war und Kant selbst sich dieses Ausdrucks im Wechsel bedient hat. Die dritte und letzte Tabelle soll nur noch einmal einem Gesamtüberblick dienen. Wenden wir uns also zunächst einmal den Tabellen selbst zu.

246

Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Akademieausgabe Band: 1 2

— — 3 — 6 — — 5 — — — l — —

3

4a

4b

5a

— — — l 14 l 37 26 — — 19 15 10 3

5b

6

7/8

9

Sa

Analyse analysi analysin analysiren Analysis Analyst Analytik analytisch Analytisch-Allgemeinen analytisch-praktischer analytische analytischen analytischer analytisches

l l l — — — — — — — — l — —

— — — l 10 l 27 14 — — 10 11 3 l

— — — — 4 — 2 18 — l 14 8 10 l

— — — — — — 22 9 — — — l l —

l — — — l — 12 l l — — — — —

— — — — — — l 6 — — l — 2 —

— — l — l — l 13 — — 4 14 7 —

5 — — — 9 — 7 3 — — 12 7 l —

7 l 5 2 45 2 109 95 l l 60 58 34 5

synthesin Synthesis synthetisch Synthetisch-Allgemeinen synthetisch-praktischer synthetische synthetischem synthetischen synthetischer synthetisches

— 4 — — — 7 267 175 — 7 45 28 — — — — — — — — — l 84 50 — — l — — l 75 60 — — 31 10 — — 2 l

— 3 16 — l 36 l 28 16 l

— 7 8 — — 2 — 3 3 —

— l 3 l — 4 — 4 — —

— — 4 l — l — 2 5 —

3 15 — — 30 l 35 16 6

13 5 — — 13 — 7 3 —

476 131 2 l 221 3 215 84 10

Zergliederer Zergliederers zergliedern zergliedernde zergliederst zergliedert zergliederten Zergliederung Zergliederungen

— — 2 — — — — 2 —

1 — — — 4 2 — — l — l — l — 18 3 3 —

1 — — — 1 — — — — — — — — —· 4 — 3 —

1 l 1 l — — — 8 —

— — 4 — — — — 6 —

6 2 3 1 l l 2 l 95 12

1 l 4 — — l — 24 l

2 — — — 9 4 — — — — — — — — 20 10 3 2

§33: Der Wortschatz

247

Akademieausgabe Band: 1 2

3

4a

4b

5a

5b

Analysis 3 9 14 10 4 — 2 (einschl.: Analyse, analysis, analysi, analysin) analytisch l 6 73 39 51 11 l (einschl.: analytische, analytischen, analytischer, analytisches) Gesamtbestand: Analysis/analytisch

4

15

87

49

55

11

3

6

7/8

9

Sa



2

14

58

9

38

23

252

9

40

37

310

Synthesis — 11 267 175 3 7 l — 3 14 481 (einschl.: synthesis, synthesin) synthetisch — 9 238 149 98 16 11 12 103 28 664 (einschl.: synthetische, synthetischem, synthetischen, synthetischer, synthetisches) Gesamtbestand: Synthesis/synthetisch



20 505 324 101

23

12

12 106

42

1145



8

2

4

3 6

8

6

107

12

10

151

9 40 12 106 — 12

37 42 10

310 1145 151

Zergliederer — 2 2 — 1 — 1 — (einschl. Zergliederers) zergliedern 2 5 9 4 7 2 1 — (einschl.: zergliedernde, zergliederst, zergliedert, zergliederten) Zergliederung 2 25 23 12 21 3 7 — (einschl.: Zergliederungen) Gesamtbestand: Zergliederer/zergliedern/Zergliederung 4 32 34

16

29

5

9

Übersicht über den Gesamtbestand: Analysis 4 15 87 49 55 Synthesis — 20 505 324 101 Zergliederung 4 32 34 16 29

11 23 5

3 12 9



2

Die Betrachtung der statistischen Verteilung des Wortschatzes bringt bereits ein erstes Ergebnis. Synthesis, Analysis und Zergliederung zeigen ihr eigentliches und dichtes Vorkommen im Band 3, also in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Sehr häufig sind sie in 4a und 4b. Bei 4a handelt es sich um die erste Auflage der Kritik der reinen Vernunft, bei 4b handelt es sich, wie sich aus dem Stellenindex ergibt, um die Prolegomena. Die Kritik der reinen Vernunft,

248

Kap. 7: Bedeutungsanalysen

erste Auflage, die Prolegomena und die Kritik der reinen Vernunft, zweite Auflage, bringen also die weitaus meisten Stellen von Synthesis und Analysis. Hier bestätigt die statistische Darstellung freilich nur eine Tatsache, die jedem Leser der kantischen Schriften bekannt ist. Dann kommen die Termini mit einer gewissen durchschnittlichen Regelmäßigkeit vor, sie sind also Bestandteil einer festen Terminologie geworden. Die Termini häufen sich noch zweimal, einmal in 7/8, dabei handelt es sich um die Streitschrift gegen Eberhard, das andere Mal in Band 9, dort handelt es sich um die Logikvorlesung. In den ersten beiden Bänden dagegen sind die drei Wortstämme selten. Im Band l, der die Publikationen von 1747 bis 1756 umfaßt, sind sie sogar sehr selten. In diesen nahezu zehn Jahren findet sich der Wortstamm Analysis dreimal, der Wortstamm Zergliederung zweimal. Der Wortstamm Synthesis dagegen findet sich in diesen zehn Jahren nicht ein einziges Mal. Aber auch im Band 2, der die Schriften von 1757 bis 1777 umfaßt, sind alle drei Wortstämme noch recht selten. Eine Aufgliederung zeigt, daß fast alle Stellen sich in zwei Schriften finden, in der 1764 publizierten ,Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral' und der 1770 publizierten Dissertation ,De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis'. Nun handelt es sich bei Synthesis und Analysis um Termini, die Kant aus der Tradition übernommen hat, und denen er eine neue Bedeutung gegeben hat. Bei einem solchen Sachverhalt ist es in der Regel so, daß die übernommene Bedeutung, beziehungsweise wenn es sich um mehrere handelt, die übernommenen Bedeutungen keineswegs ganz verschwinden, sondern daß sie neben der neu gebildeten Bedeutung weiterlaufen. Dies legt die Vermutung nahe, daß dies auch bei Kant so ist. Das spärliche Vorkommen von Synthesis und Analysis in den ersten 30 Jahren von 1747 bis 1777 legt die weitere Vermutung nahe, daß es sich hier noch gar nicht um die neue kantische Bedeutung handelt, daß Synthesis und Analysis an diesen wenigen Stellen vielmehr in den übernommenen Bedeutungen vorkommen. Damit wird es notwendig, die Bedeutungen zu prüfen. Es wird sich in der Tat zeigen, daß die Termini Synthesis und Analysis in den Schriften der 30 Jahre von 1747 bis 1777 niemals in der spezifisch kantischen Bedeutung der kritischen Transzendentalphilosophie

§34: Die analytische und die synthetische Methode

249

vorkommen. Es lassen sich vielmehr zunächst drei traditionelle Bedeutungen abheben. Dann treten zwei vorkritische Bedeutungen auf, die eine in der Untersuchung des Jahres 1764, die anderen in der Dissertation des Jahres 1770. Aber diese beiden vorkritischen Bedeutungen hängen noch eng mit den traditionellen Bedeutungen zusammen. Es lassen sich dann zwei kritische Bedeutungen abheben, die eine in den Termini,synthetisches Urteil' und ,analytisches Urteil', die andere im Terminus ,transzendentale Synthesis'. Beide Bedeutungen treten zuerst in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft auf. Mit diesen Feststellungen scheint die entstehungsgeschichtliche Frage, soweit sie aus den von Kant publizierten Schriften untersucht werden kann, bereits endgültig geklärt. Es wird sich aber zeigen, daß die Dinge nicht so einfach liegen. Eine Reihe von Sachverhalten, die in der Kritik der reinen Vernunft in der Terminologie des synthetischen und analytischen Urteils vorgetragen werden, werden vielmehr bereits in den Schriften von 1762 an vorgetragen, nur in anderer terminologischer Form. Dies wird am deutlichsten am Existenzialurteil. So muß der zweite Teil unserer Untersuchung weit über das Terminologische hinausgehen und in die Sachen selbst eindringen. §34

Die analytische und die synthetische Methode

Kant sagt im Vorwort der Prolegomena, daß die Prolegomena „nach analytischer Methode angelegt" sind, während die Kritik der reinen Vernunft selbst „durchaus nach synthetischer Lehrart abgefaßt sein mußte" \ Kant entwickelt dann im § 2 der Prolegomena die Lehre von den analytischen und synthetischen Urteilen. Da er mit Recht befürchten muß, daß die verschiedenen Bedeutungen, die hier vorliegen, verwechselt werden können, geht er in einer Anmerkung zum § 5 ausführlich auf die Verschiedenheit der Bedeutungen ein. „Es ist unmöglich zu verhüten, daß, wenn die Erkenntniß nach und nach weiter fortrückt, nicht gewisse schon classisch gewordne Ausdrücke, die noch von dem Kindheitsalter der Wissenschaft her sind, in der Folge sollten unzureichend und übel anpassend gefunden werden, und ein gewisser neuer und mehr angemessener Gebrauch mit dem alten in einige Gefahr der Verwechselung gerathen sollte. Analytische Me-

250

Kap. 7: Bedeutungsanalysen

thode, sofern sie der synthetischen entgegengesetzt ist, ist ganz was anderes als ein Inbegriff analytischer Sätze: sie bedeutet nur, daß man von dem, was gesucht wird, als ob es gegeben sei, ausgeht und zu den Bedingungen aufsteigt, unter denen es allein möglich"2. Man wird übrigens, wenn man einmal darauf aufmerksam geworden ist, bei Kant viele Stellen finden, an denen er sich ausdrücklich mit der Bedeutungsvielheit oder mit dem Bedeutungswandel eines bestimmten Terminus auseinandersetzt. Hier sagt er mit Recht, daß die Unterscheidung zwischen der analytischen und der synthetischen Methode schon von dem Kindheitsalter der Menschheit her ist, daß sie also schon von den Griechen her ist. Er sagt ferner, daß die Unterscheidung der beiden Methoden inzwischen klassisch geworden ist, und das heißt für Kant, daß sie in besonderem Maße bei Leibniz vorkommt. In der Unterscheidung zwischen analytischem und synthetischem Urteil liegt eine andere Bedeutung von analytisch und synthetisch vor als in der Unterscheidung zwischen der analytischen und der synthetischen Methode, und man muß sich daher vor der Gefahr der Verwechslung hüten. Nach der Meinung von Kant ist die in den Termini analytisches und synthetisches Urteil vorliegende Bedeutung die eigentlich angemessene, und im Fortgang der Anmerkung schlägt er daher vor, statt analytische und synthetische Lehrart künftig regressive und progressive Lehrart zu sagen3. Kant ist freilich mit diesem Vorschlag nicht durchgedrungen, und er selbst hat sich keineswegs an seinen eigenen Vorschlag gehalten. So laufen denn analytisches und synthetisches Urteil einerseits und analytische und synthetische Methode andererseits als verschiedene Bedeutungen von analytisch und synthetisch auch bei Kant selbst nebeneinander her. Die Unterscheidung zwischen der analytischen und der synthetischen Methode definiert Euklid ausdrücklich in den Elementen „Analysis est assertio ejus, quod quaeritur, ut concessi, qua per consequentias ad aliquid pervenitur, quod verum esse conceditur. Synthesis est assertio concessi, qua per consequentias ad aliquid pervenitur, quod verum esse conceditur" *. In seinem Kommentar zu Euklids Elementen geht Proklus5 ausführlich auf diesen Unterschied ein. Eine noch ausführlichere Erörterung findet sich bei Pappus8, eine kurze Darstellung bei Diogenes

§ 34: Die analytische und die synthetische Methode

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Laertius7. Nach diesen Darstellungen geht die Unterscheidung auf Platon zurück. Eine solche Unterscheidung zweier mathematischer Methoden findet sich allerdings nicht in den Dialogen, und das ist übrigens auch in den Berichten gar nicht behauptet worden. Erwägt man aber die Bedeutung des Synthesis-Analysis-Problems bei Platon und dann auch bei Aristoteles, dann wird man diesen Bericht für glaubhaft halten. Die Unterscheidung Euklids war immer bekannt, es war auch immer bekannt, daß im Sinne dieser Unterscheidung die Methode Euklids in den Elementen als eine synthetische betrachtet werden muß. Leibniz spricht in den Nouveaux Essais ausdrücklich davon8, in den selben Abhandlungen spricht er übrigens auch zweimal von Pappus8. Auch Wolff kennt, wie wir gleich belegen werden, die synthetische Methode Euklids. Leibniz unterscheidet zwischen der analytischen und der synthetischen Methode sowohl im allgemeinen philosophischen als auch im speziellen mathematischen Sinne. Gerhardt hat aus den Manuskripten eine besondere Abhandlung unter dem Titel: De Synthesi et Analysi universali seu Arte inveniendi et judicandi veröffentlicht. Dort sagt Leibniz: „Porro ex istis apparet quoque, quäle sit discrimen syntheseos et analyseos. Synthesis est, cum a principiis inchoando et ordine veritates percurrendo progressiones quasdam deprehendimus et velut Tabulas vel etiam interdum formulas generates condimus, in quibus postea oblata inveniri possint. Analysis vero solius oblati problematis causa ad principia regreditur, perinde ac si nihil antea inventum jam a nobis vel aliis haberetur"10. Diese Bestimmung des Unterschieds zwischen Synthesis und Analysis ist offenbar eine Erweiterung der euklidischen Definition vom spezifisch leibnizschen Standpunkt aus. Eine ausführliche Bestimmung gibt Leibniz in den Nouveaux Essais: „Ich finde alsdann zwei Hauptanordnungen aller wissenschaftlichen Wahrheiten, deren jede ihren Vorzug hat und die man miteinander verbinden sollte. Die eine wäre synthetisch und theoretisch, indem sie, wie in der Mathematik, die Wahrheiten nach der Ordnung der Beweise aneinanderreihen würde, so daß jeder Satz hinter diejenigen, von denen er abhängt, zu stehen käme. Die andere Anordnung wäre analytisch und praktisch, indem sie mit dem Zweck, den die Menschen sich setzen, d. h. mit den

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Gütern, deren oberstes die Glückseligkeit ist, begönne und der Reihe nach die Mittel aufsuchte, welche dazu dienen, diese Güter zu erlangen oder die entgegengesetzten Übel zu vermeiden. Diese beiden Methoden sind in der allgemeinen Enzyklopädie in Gebrauch, wie auch einige sie in den besonderen Wissenschaften angewendet haben" u. Bei Christian Wolff finden wir sowohl die analytische als auch die synthetische Methode angewandt, wir finden bei ihm aber auch die bewußte methodische Reflexion auf die beiden Methoden. Was zunächst den Zusammenhang mit Euklid anbetrifft, so weist Wolff bei der Erörterung der beiden Methoden ausdrücklich auf die synthetische Methode Euklids hin12. In einem Anhang der Elementa Matheseos gibt Wolff einen Überblick über das mathematische Schrifttum. Dabei trägt das Kapitel IV die Überschrift: De Scriptis Analy ticis. Wolff geht von der Unterscheidung der Alten zwischen der analytischen und der synthetischen Methode aus und verweist dabei auf die Darstellung durch Pappus. Er bemerkt aber auch sofort, daß die Analysis der Alten von der Analysis der Neueren verschieden ist13. In der Logik betrachtet Wolff die analytische und die synthetische Methode ganz allgemein als wissenschaftliche Methoden: „Ordo, quo utimur in tradendis dogmatis, dicitur methodus. Appellatur autem methodus analytica, qua veritates ita proponuntur, prout vel inventae fuerunt, vel minimum inveniri potuerunt. Methodus e contrario synthetica appellatur, qua veritates ita proponuntur, prout una ex altera facilius intelligi et demonstrari potest" u. In einer längeren Anmerkung zu diesem Paragraphen weist Wolff ausdrücklich auf die synthetische Methode Euklids hin; wir sagten dies bereits soeben. Die Methode Euklids ist ja das klassische Beispiel für die synthetische Methode. Die neueren Mathematiker dagegen, so sagt Wolff, bevorzugen die analytische Methode. Er selbst habe in den Elementa Matheseos in der Arithmetik und in der Geometrie die synthetische Methode, in den übrigen Teilen aber die analytische Methode bevorzugt. Im allgemeinen habe er aber in den lateinischen Schriften sowohl in der Mathematik als auch in der Philosophie der synthetischen, in den deutschen Schriften dagegen der analytischen Methode den Vorzug gegeben.

§ 34: Die analytische und die synthetische Methode

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Kant, der seinen Euklid gut kennt, weiß selbstverständlich um die Unterscheidung der analytischen und der synthetischen Methode in der Mathematik, und in der Streitschrift gegen Eberhard rät er ausdrücklich dazu, „über der so erfindungsreichen analytischen Methode die synthetische der Alten nicht so ganz zu verabsäumen" 15. Dann betrachtet Kant im Anschluß an Leibniz und Wolff die analytische ebenso wie die synthetische Methode ganz allgemein als mögliche Methoden zur Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse, und die eingangs gegebene Stelle der Prolegomena weist ja ausdrücklich darauf hin, daß die Prolegomena die analytische Methode befolgen, während die Kritik der reinen Vernunft die synthetische Methode benutzt. Daß in der Unterscheidung zwischen der analytischen und der synthetischen Methode eine durch die Tradition gegebene Bedeutung vorliegt, darauf hat Heimsoeth bereits aufmerksam gemacht18. In einer Anmerkung, die Kant in der zweiten Auflage dem Abschnitt über das System der transzendentalen Ideen hinzugefügt hat, reflektiert er über die Verschiedenheit der synthetischen und der analytischen Anordnung der drei Ideen17. In der Einleitung sagt Kant dann ganz allgemein, daß das vollständige System der Philosophie, und er meint damit sein eigenes, sowohl analytisch als auch synthetisch dargestellt werden kann: ... nach welchem „dereinst das vollständige System der Philosophie der reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder bloßer Begrenzung ihrer Erkenntnis bestehen, sowohl analytisch als synthetisch dargestellt werden könnte"18. Die Gefahr der Verwechslung, vor der Kant selbst so eindringlich gewarnt hatte, ist wohl nicht immer vermieden worden. Allerdings handelt es sich um einen Sachverhalt, der stets auftritt, wenn ein Philosoph und wenn ein Wissenschaftler überhaupt neue Ergebnisse vorlegen will. Er muß dann entweder ganz neue Worte prägen, wie dies insbesondere die Chemie bewußt und methodisch tut, oder er muß alten Worten neue Bedeutungen aufprägen. Der Philosoph wird in aller Regel — und dies tut auch Kant — einem schon bekannten Wort eine neue Bedeutung geben, es sei dies nun ein Wort der Umgangssprache oder es sei dies bereits ein philosophischer Terminus. Dann werden in aller Regel die beiden Bedeutungen — in vielen Fäl-

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

len sogar mehrere Bedeutungen — nebeneinanderlaufen. Das bekannteste Beispiel ist Platons Gebrauch des Terminus Ousia. Als Platon einen Terminus für das Sein der Ideen brauchte, wählte er aus der Umgangssprache den Terminus Ousia, wenigstens haben wir keine sichere Kenntnis davon, daß Ousia schon vorher in philosophischem Sinne benutzt worden sei. Nun bedeutet Ousia in der griechischen Umgangssprache das Vermögen, insbesondere das feste Vermögen, und es laufen dann in der Tat bei Platon diese beiden Bedeutungen nebeneinanderher: die umgangssprachliche als Vermögen und die philosophische als Sein der Ideen. Die Gefahr der Verwechslung ist sehr gering, und niemand wird von den Philosophen erwarten, daß sie neue Worte „schmieden"1£>. Man wird daher Kants Methode der gleichzeitigen Benutzung zweier verschiedener Bedeutungen und, wie sich zeigen wird, mehrerer verschiedener Bedeutungen als berechtigt anerkennen müssen.

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Analysis infinitorum

Zu Beginn der Neuzeit hat sich mit der Entdeckung der Differential- und Integralrechnung der Terminus Analysis infinitorum eingebürgert, und in einem etwas vagen Sinne ist der Terminus Analysis für diejenigen Teile der Mathematik, deren Kern die Differentialund Integralrechnung bildet, bis heute in Gebrauch geblieben. Wir sagten schon, daß Wolff in einem Anhang zu den Elementa Matheseos eine Bibliographie der mathematischen Literatur gibt, und daß dort der Abschnitt IV die Überschrift trägt: De scriptis analyticis. Die charakteristischsten Titel sind wohl: de l'Hospital: Tractatus analyticus de sectionibus und Josephus Raphson: Analysis aequationum universalis1. Für Leibniz ist Analysis infinitorum zu einem festen Terminus geworden. Er verwendet ihn beispielsweise im Titel der Abhandlung, in der er 1686 in seiner zweiten auf die Infinitesimalrechnung bezüglichen Publikation in den Acta Eruditorum weitere wichtige Ergebnisse bekanntgab: „De Geometria recondita et analysi indivisibilium atque infinitorum" 2.

§35: Analysis infinitorum

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So finden wir den Terminus „analyse infinitesimale" auch wiederholt in den Nouveaux Essais3. Für die Verbindung von Mathematik und Philosophie ist eine Bemerkung interessant, die Couturat aus den Manuskripten herausgegeben hat: „atque analysis infinitorum hanc mihi lucem accendere ..., etiam notiones in infinitum resolubiles esse"4. Im mathematischen Lexikon gibt Wolff folgende Bestimmung: ,Analysis oder Auflösungskunst ist eine Wissenschaft, die verborgenen Fragen aufzulösen, oder aus einigen erkannten Wahrheiten andere noch unbekannte zu erfinden. Da man nun heutzutage meistens die Buchstabenrechenkunst, die Algebra und die Differenzialrechnung des Herrn von Leibniz dazu braucht, pflegt man diese Erfindungskünste zusammen die Analysin zu nennen. Daher habe auch ich den Teil meiner Elementorum Matheseos universae, darin ich die Künste abgehandelt, Elementa Analyseos genannt*. Im Lexikon behandelt Wolff dann weiter die Analysis Diophantea, die Analysis finitorum, die Analysis infinitorum, die Analysis potentiarum, die Analysis transcendens und die Analysis curvae faciei hominis, also eine doch recht bunte Zusammenstellung5. In der Tat findet sich in den Elementa Matheseos eine umfangreiche Abteilung unter dem Titel Analysis. Sie gliedert sich in zwei Teile: die Analysis finitorum, die auf den Seiten 245—451 als ihren wesentlichen Kern die analytische Geometrie enthält, und die Analysis infinitorum, die auf den Seiten 452—535 im wesentlichen die Differential- und Integralrechnung behandelt. In den deutschen Anfangsgründen erscheinen diese Teile der damaligen Mathematik unter dem Titel der Algebra, die auch die Differential- und Integralrechnung enthält. Die Bibliographie in den deutschen Anfangsgründen benutzt wieder den Terminus Analysis. In dem Auszug, den Kant seinen mathematischen Vorlesungen zugrundegelegt hatte, ist die Differential- und Integralrechnung nicht enthalten, sondern nur ein sehr gedrängter Auszug aus der Algebra6. Kant hat etwa zehn Jahre lang eine zweisemestrige Vorlesung über Mathematik nach dem Auszug von Wolff gelesen. Für den Anfang dieser Vorlesung haben wir eine Nachschrift von Herder. Es besteht kein Anzeichen dafür, daß Kant in dieser Vorlesung auch die Diffe-

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

rential- und Integralrechnung vorgetragen hat. Dafür hätte er über den der Vorlesung zugrundeliegenden Auszug weit hinausgehen müssen. Zu Beginn seiner Vorlesung hat Kant eine Gliederung der Mathematik vorgetragen und dabei seine Studenten auch über die darin übliche Bedeutung von Analysis informiert. ,Die Analysis, das Unbekannte aus Vergleichung mit dem Bekannten zu finden. Daher entstand die Algebra von Gleichungen. Man hat sie auf krumme Linien, Exempel auf Kegelschnitte, angewandt und darauf die Rechnung des Unendlichen gebaut. Die ist a. Differential-, b. Integralrechnung'7. In den Schriften findet sich der von Leibniz und Wolff her gebräuchliche Terminus „Analysis des Unendlichen", beziehungsweise „mathematische Analysis" wiederholt, beispielsweise in der von uns schon herangezogenen Anmerkung der Prolegomena8. In einem gewissen Zusammenhang mit dem Terminus „Analysis infinitorum" steht der Terminus „Analysis situs". Es handelt sich um einen groß angelegten Plan von Leibniz, der erst später verwirklicht worden ist. Die Problemlage bei Leibniz selbst stellt am besten Couturat dar9. Kant erwähnt die Analysis situs zu Beginn der kurzen Untersuchung: Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume. Kant sagt aber dort sehr skeptisch: „Zum wenigsten hat es den Anschein, daß eine gewisse mathematische Disciplin, welche er zum voraus Analysin situs betitelte und deren Verlust unter anderen Büffon bei Erwägung der Zusammenfaltungen der Natur in den Keimen bedauert hat, wohl niemals etwas mehr als ein Gedankending gewesen sei"10.

§ 36 Analysis veritatum et notionum Die für uns weitaus wichtigste Bedeutung von Analysis ist verständlicherweise diejenige im Sinne der logischen Analysis. Der Terminus „Analysis logica"findet sich bei Wolff 1 und bei Leibniz 2·3. G. F. Meier sagt in dem von Kant seinen Logikvorlesungen zugrunde gelegten Lehrbuch: „Die Handlung, wodurch ein gewisser Grad der Deutlichkeit in unserer Erkenntniss hervorgebracht wird, heisst

§36: Analysis veritatum et notionum

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die Zergliederung der Erkenntniss (resolutio, analysis, anatomia cognitionis)" 4. Dies ist nun freilich eine sehr allgemeine, in einem gewissen Sinne sogar recht vage Bestimmung. Wir sehen aber hier zunächst in aller Form die Übersetzung des Terminus „Analysis" durch „Zergliederung", und wir haben in der statistischen Darstellung des Wortschatzes gesehen, wie intensiv Kant diesen deutschen Terminus „Zergliederung" benutzt. Die beiden ändern von Baumgarten angegebenen lateinischen Termini finden sich seltener. Resolutio findet sich gelegentlich, auch bei Kant 5 , dagegen habe ich den Terminus „anatomia cognitionis" an anderen Stellen bei Leibniz, Wolff oder Kant nicht gesehen. Kant stellt die Analysis in den Zusammenhang der leibnizschen Lehre von der deutlichen Erkenntnis. Eine Reihe von Reflexionen zeigen das Interesse Kants an diesem Thema, insbesondere die Reflexionen 2389 bis 2402 zum § 139 von Baumgartens Logik. Das gleiche Interesse zeigen die Logik und die Logiknachschriften; ich beschränke mich aber in dieser Untersuchung auf die von Kant selbst publizierten Werke. Beim Problem der logischen Analyse ist es zweckmäßig, zunächst von Wolff auszugehen und dann auf Leibniz zurückzugreifen. Nun ist die Analyse eine allgemeine logische Methode, und gemäß der allgemeinen Gliederung der Logik muß man daher erwarten, daß sie sich gliedert in eine Analyse der Begriffe, in eine Analyse der Urteile und in eine Analyse der Schlüsse. In der Tat gliedert sich bei Wolff die Analysis logica in die Analysis notionum, in die analysis propositionum und in die analysis demonstrationum. Die Analysis propositionum bei Wolff können wir für unsere Untersuchung außer Betracht lassen. Es handelt sich dabei um eine dezidiert nominalistische These Wolffs, nach der jedes allgemeine Urteil in Wirklichkeit in Urteile über Individuen zerfällt 6 . Die Analysis demonstrationum ist bei Wolff als das immer wieder geübte Verfahren bezeichnet, einen vorgelegten oder gesuchten Beweis in die einzelnen Beweisschritte zu zerlegen: „Si quis demonstrationis datae analysin logicam ... dare valet, is judicare potest, utrum demonstratio data sit completa, num incompleta; utrum ordinata, an inordinata; utrum consummata, an inconsummata" T. Dies Verfahren ist in

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

der logischen Tradition oft geübt worden. Mit besonderer Vorliebe hat man die Beweise von Euklid in die einzelnen Beweisschritte zerlegt. Die genaue Durchführung gibt Wolff in den §§ 551 ff. der Logik. Als Beispiel gibt er die Analyse zweier mathematischer und eines logischen Satzes: „In parallelogrammo ABCD anguli diarnetraliter oppositi o et sunt inter se aequales" 8. „Modi definitionem ingredi nequeant" 9. „Si recta CD ex centre C ducta arcum AB bisecat in D, chordam quoque cognominem bisecat"10. Schließlich gibt Wolff auch die Analyse eines indirekten Beweises, nämlich für den Satz: „Duo circuli se intus tangentes non habent idem centrum" u. Einige Beweisanalysen finden sich bei Wolff auch in der Mathematik. In den Elementa Matheseos beweist er den Satz: „Totum est majus qualibet sua parte", und er sagt ausdrücklich dazu: „En exemplum Analyseos perfectae! Continetur enim demonstratio syllogismo, cujus altera praemissa est definitio, altera vero propositio identica. Id vero Analyseos perfectae indicium est" 12. Die Analysis demonstrationum führt nun für Wolff, dies war in der eben zitierten Stelle schon gesagt, auf eine Beweistheorie, und zwar auf eine analytische Beweistheorie, in der Wolff völlig den Lehren von Leibniz folgt. Jeder Beweis führt, wenn er vollständig analysiert wird, auf nichts anderes als auf Definitionen und identische Sätze. Wolff sagt ausdrücklich: „Quoniam in demonstratione non utimur praemissis, nisi definitionibus, experientiis indubitatis, axiomatis et propositionibus jam demonstratis"18. Dies gilt insbesondere für die Mathematik. Es müssen also beispielsweise alle Sätze über die Ähnlichkeit aus der Definition der Ähnlichkeit, und alle Sätze über das Dreieck aus der Definition des Dreiecks bewiesen werden. In der Abhandlung „De Methodo Mathematica", mit der die Elementa beginnen, sagt Wolff: „Sunt autem Definitiones primae rerum notiones, quarum ope inter se distinguuntur et unde, quae de ipsis concipiuntur, reliqua deducuntur"14. Diese Bestimmung ist wörtlich in die beiden deutschen Lehrbücher übernommen worden. Das bedeutet dann weiter, daß keine Axiome auftreten dürfen; es müssen vielmehr alle Axiome im Sinne dieser analytischen Beweistheorie beweisbar sein. Dabei muß man beachten, daß Wolff in seinen deutschen mathematischen Lehrbüchern Axiome gibt, die in den latei-

§36: Analysis veritatum et notionum

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nischen Elementa matheseos als bewiesene Lehrsätze auftreten. Aber dies dürfte wohl aus pädagogischen Gründen geschehen sein. Wenn die verschiedenen Auflagen der Elementa matheseos sich in den konkreten Fragen der Axiome, beziehungsweise ihrer Beweise unterscheiden, so dürfte der Grund darin liegen, daß Wolff in den späteren Auflagen eine immer striktere Durchführung der analytischen Beweistheorie erstrebt hat. Es ist zweckmäßig, jetzt zunächst die Analysis logica bei Leibniz zu untersuchen und sich dann erst der Analysis notionum bei WolfT zuzuwenden. Man wird Couturat Recht geben müssen, wenn er bei Leibniz zwei Formen der Analyse unterscheidet, die Analyse der Wahrheiten (Analyse des verites, analysis veritatum)15, die wir bei Wolff als Analysis propositionum bezeichnet haben, und die Analyse der Begriffe (Analyse des notions, analysis notionum)1 , die wir bei WolfT ebenfalls als Analysis notionum bezeichnet haben. Über die Analysis veritatum besitzen wir zwei größere Abhandlungen, die beide aus den Manuskripten herausgegeben sind. Die erste hat Gerhardt herausgegeben unter dem Titel: „De Synthesi et Analysi universal! seu Arte inveniendi et judicandi" 1T. Die zweite hat Couturat herausgegeben: „Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum" M. Es scheint allerdings nicht, als ob Leibniz der formellen Zergliederung vorliegender Beweise besondere Aufmerksamkeit gewidmet hätte, sofern sich solche Aufgliederungen nicht noch in seinen bis jetzt ungedruckten Manuskripten befinden. Die Methode der Beweisanalyse kennt er natürlich. In der Studie über die „Scientia generalis", die Couturat veröffentlicht hat, fordert Leibniz eine Analysis „omnis argumentationis logicae, qua demonstrari possit ejus bonitas" 19. Auch in den zu Kants Zeiten vorliegenden Werken geht Leibniz auf diese Aufgabe ein: „Dies alles macht wohl begreiflich, daß man auf dem Papier strikte Beweisführungen haben kann und in der Tat auch ohne Zweifel unendlich viele besitzt. Wenn man sich indessen nicht erinnert, hierbei eine vollkommene Strenge gebraucht zu haben, so kann man in seinem Innern diese Gewißheit nicht haben. Diese Strenge besteht in einem ordnungsmäßigen Verfahren, dessen Beobachtung bei jedem Teil eine Gewähr für das Ganze ist, wie man sich der Güte einer

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Kette dadurch versichert, daß man sie Ring für Ring prüft ..." M. Kurz darauf verweist Leibniz auf Herlinus: „Und ein anderer, Herlinus, hat eben diese Beweise in Syllogismen und Prosyllogismen aufgelöst" 21. Man hat aus dieser kurzen Bemerkung nicht den Eindruck, daß Leibniz einer solchen Analyse der euklidischen Beweise eine große Bedeutung beimißt. Das, worauf es Leibniz offensichtlich ankommt, ist die in dieser Analysis enthaltene Beweistheorie, die wir die analytische Beweistheorie genannt haben. Couturat ist wohl der erste gewesen, der diese Beweistheorie klar erkannt hat. In der Inhaltsübersicht faßt er die beiden davon handelnden Abschnitte VI,5 und VI,6 zusammen: „La demonstration repose sur les definitions et sur les axiomes identiques"2Z. Die kürzeste Bestimmung findet sich wohl in dem Brief an Conring, die schon Couturat zitiert hat: „Patet denique omnes veritates resolvi in definitiones, propositiones identicas et experimental" **. Dies führt für die Mathematik dazu, daß alle mathematischen Beweise keine anderen Voraussetzungen haben dürfen als Definitionen, identische Sätze und den Satz des Widerspruchs, und dies wiederum impliziert die These, daß alle Axiome lediglich aus solchen Voraussetzungen beweisbar sein müssen. Diese These von Leibniz gilt dann nicht nur für die Mathematik, sondern auch für die Logik. Man kann sagen, daß Leibniz im vierten Buch der Nouveaux Essais, das von der Erkenntnis handelt, in besonderer Weise die analytische Beweistheorie entwickelt hat. So weist denn auch Couturat ausdrücklich auf eine Stelle des vierten Buches hin . Leibniz sagt in den Nouveaux Essais zusammenfassend: „Wollen Sie aber, daß diese Verknüpfung der Ideen deutlich eingesehen und ausgedrückt werde, so werden Sie genötigt sein, wie ich es verlange, auf die Definitionen und identischen Grundsätze zurückzugehen ..."25. Um seine Beweistheorie zu erläutern, gibt Leibniz den Beweis des Satzes: 2 + 2 = 4. Der Beweis reduziert sich auf drei Definitionen und ein Axiom. Es sind dies die drei Definitionen der Zwei, der Drei und der Vier und ein Substitutionsaxiom26. Führt man hier noch die Forderung durch, daß alle Axiome bewiesen werden müssen, dann enthält in der Tat der Beweis des Satzes 2 + 2 = 4 nur Definitionen und identische Sätze.

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Axiome zu benutzen — und Leibniz benutzt ebenso wie Euklid Axiome —, ist nur eine pragmatische Frage. Leibniz sagt dies sehr deutlich und setzt damit die eben zitierte Stelle fort: „ ... und mitunter werden Sie sich auch, wie Euklid und Archimedes, mit einigen weniger ursprünglichen Grundsätzen begnügen müssen, wenn es schwer sein wird, zu einer vollständigen Analyse zu gelangen, — und daran werden Sie besser tun, als manche schöne Entdeckung, die Sie auf diesem Wege bereits finden können, zu vernachlässigen oder hinauszuschieben. In der Tat glaube ich — wie ich Ihnen bereits früher einmal bemerkt habe —, daß wir keine Geometrie (ich verstehe darunter keine demonstrative Wissenschaft) hätten, wenn die Alten keinen Schritt vorwärts hätten tun wollen, ehe sie nicht die Axiome, die sie anwenden mußten, bewiesen hätten"3T. Wenn Leibniz im Sinne der analytischen Beweistheorie sagt, daß alle Beweise auf Definitionen, identische Sätze und den Satz des Widerspruchs zurückgehen, so enthält sie insofern eine Lücke, als die Definition ihrerseits einen Existenzbeweis, unter den Voraussetzungen von Leibniz einen Beweis der Widerspruchsfreiheit, erfordern28. In den Nouveaux Essais gibt Leibniz als Beispiel den regulären Dekaeder, der zwar zunächst definiert werden könnte, der sich aber als widerspruchsvoll erweist: „Es sei denn, daß man unter nominalen Wesenheiten falsche und unmögliche verstanden habe, die Wesenheiten zu sein scheinen, es aber nicht sind, wie dies z. B. für das reguläre Dekaeder, d.h. einen von 10 Flächen umschlossenen regelmäßigen Körper gelten würde" w. Da also für die Definition ihrerseits ein Beweis notwendig ist, müßte man prüfen, welche Voraussetzungen diese Widerspruchsfreiheitsbeweise haben. Für eine ideale analytische Beweistheorie dürften auch hier keine Axiome auftreten, und es gäbe dann wohl als Beweisvoraussetzungen nur identische Sätze und den Satz des Widerspruchs. Freilich ist dies Problem mit den logischen und mathematischen Mitteln, die Leibniz zur Verfügung gehabt hat, unlösbar. Der Kern der Analysis logica ist für Leibniz die Analysis notionum. Die entscheidende Publikation sind die 1684 in den Acta Eruditorum erschienenen „Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis" . In den Nouveaux Essais weist Leibniz selbst auf diese Abhandlung hin .

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Wolff benutzt sie mehrmals32, und Kant hat sie ohne Zweifel gekannt. Die Analysis notionum führt auf die Urteilstheorie, die Leibniz in der These zusammengefaßt hat: „praedicatum inest subjecto" , und die Couturat mit Recht die analytische Urteilstheorie34 genannt hat. Diese analytische Urteils- und BegrifTstheorie, wir nennen sie kurz die analytische Urteilstheorie, findet sich mehr oder minder klar in fast allen Werken von Leibniz und in vielen Fragmenten. Aus den Nouveaux Essais werden wir sofort noch einige Belege geben. Die Fragmente hat Couturat in großer Zahl publiziert35. Für unsere Untersuchung können wir davon ausgehen, daß alle Ideen für Leibniz entweder einfach oder zusammengesetzt sind, und daß die uns vorkommenden Ideen in aller Regel zusammengesetzt sind. Dann wird es die Aufgabe der Analysis notionum, die zusammengesetzten Ideen in diejenigen Ideen, aus denen sie zusammengesetzt sind, zu zerlegen. Dabei erhält man die Definition des zusammengesetzten Begriffes. Das häufig gegebene Beispiel ist die Idee „Mensch", die als zusammengesetzte Idee die beiden Ideen „animal" und „rationale" enthält. Sie gibt damit die Definition: „homo est animal rationale", aber auch die beiden analytischen Urteile: „homo est animal" und: „homo est rationale". Setzt man in diese beiden Sätze die Definition von homo ein, dann wird zum Beispiel aus dem zweiten Satz: „animal rationale est rationale", und damit wird die analytische These: „praedicatum inest subjecto" offensichtlich. Im Ideal würde eine solche Analysis notionum auf unauflösliche Grundbegriffe kommen. Ob die Analyse freilich so weit kommen kann, muß fraglich bleiben, und schon in den Meditationes sagt Leibniz: „Cum vero id omne quod notitiam distinctam ingreditur, rursus distincte cognitum est, seu cum analysis ad finem usque producta habetur, cognitio est adaequata, cujus exemplum perfectum nescio an homines dare possint; valde tarnen ad earn accedit notitia numerorum" M. Diese Analysis notionum spielt eine wichtige Rolle in den Nouveaux Essais. Gleich zu Beginn des Werkes spricht Leibniz davon: „Outre cette nouvelle analyse des choses, j'ai mieux compris celle des notions ou idees et des verites" 37. Im zweiten Buch handelt Leibniz, Locke folgend, von den Ideen und dabei zunächst von den einfachen und später von den zusammengesetzten Ideen. Es ist verständlich,

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daß im vierten Buche, das von der Erkenntnis handelt, Analyse und Synthese, und hier insbesondere die Analyse der Begriffe, immer wieder auftreten. Die Stellung Wolffs zur analytischen Begriffs- und Urteilstheorie muß noch eingehend untersucht werden. So viel wird bald sichtbar, daß Wolff die dezidierte Position von Leibniz nicht mehr beibehalten hat. Dies zeigt sich zunächst darin, daß Wolff einfache und zusammengesetzte Begriffe anders definiert als Leibniz38, und daß er mit dieser anderen Definition der analytischen Begriffstheorie den Boden entzogen hat. Es ist nur konsequent, daß Wolff dann auch die analytische Urteilstheorie mit ihrer Grundthese: „praedicatum inest subjecto" nicht mehr in dieser Dezidiertheit aufrechterhält, sondern im allgemeinen durch die sehr viel allgemeinere These der „convenientia" zwischen Prädikat und Subjekt ersetzt39. Für diese wichtigen Fragen darf eine eingehende Untersuchung erwartet werden. Für unseren Gesichtspunkt können wir die veränderte Stellung von Wolff außer Betracht lassen, weil der vorkritische Kant von der analytischen Urteilstheorie im dezidierten Sinne von Leibniz ausgegangen ist. Untersucht man Kants Stellung zur logischen Analysis, so findet man, daß Kant sich gegen die verschiedenen Formen sehr verschieden gestellt hat. Betrachten wir als erste die Analysis propositionum, der Wolff so große Aufmerksamkeit geschenkt hat, also der Zerlegung eines Beweises in die elementaren Beweisschritte. Schon Leibniz hatte — wenigstens soweit aus den uns vorliegenden Unterlagen hervorgeht — wenig Interesse dafür gezeigt. Kant hat ihr, soweit man sehen kann, gar kein Interesse entgegengebracht. Ich kenne wenigstens keine Stelle, an der Kant einen Beweis bis auf die letzten Syllogismen und Prosyllogismen zerlegt. Die frühe vorkritische Schrift „Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen", die mit dieser frühen Schrift zusammenhängenden Bemerkungen der kritischen Schriften, die von Jäsche herausgegebene Logik, die soeben von G. Lehmann herausgegebenen Logikvorlesungen, sie alle geben keinen Grund zu glauben, daß Kant die syllogistische Analyse als eine wichtige Aufgabe betrachtet habe. Sehr viel anders liegt es dagegen mit den beiden anderen Formen

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

der Analysis, die sdion für Leibniz im Vordergrund standen. Die Analysis veritatum ac notionum sowohl als analytische Beweistheorie als auch als analytische Urteilstheorie ist durchaus der Standpunkt des jungen Kant. Der kritische Kant kann in wesentlichen Punkten von einer Auseinandersetzung mit dieser Analysis veritatum her verstanden werden. Die leibnizsche Auffassung bleibt als analytisches Urteil erhalten, die spezifisch kritische Auffassung zeigt sich im synthetischen Urteil, und die Abgrenzung zwischen dem analytischen Urteil und dem synthetischen Urteil, und die Frage, in welche Klasse ein bestimmtes Urteil gehöre, wird eines der Hauptprobleme der kritischen Philosophie. Vielleicht ist dies alles noch stärker bei der Analysis notionum. Man kann keineswegs sagen, daß Leibniz auf einem rein analytischen Standpunkt stehe. Vielmehr sieht auch Leibniz schon die Synthesis als eine wichtige philosophische Aufgabe an. Man kann einräumen, daß Kant das relative Gewicht zwischen Analysis und Synthesis verschiebt, daß die Synthesis für Kant zur wesentlichen Aufgabe wird; gleichwohl bleibt auch für Kant die Analysis eine wichtige und unumgängliche philosophische Aufgabe. Die beginnende Abgrenzung zwischen Synthesis und Analysis werden wir im nächsten Paragraphen, und die kritische Abgrenzung zwischen analytischem und synthetischem Urteil werden wir im Paragraphen 39 diskutieren. In allen vorkritischen Schriften ist die Methode der Philosophie wesentlich die analytische, und sie beruht wesentlich auf der Analysis notionum. Die ,Untersuchung über die Deutlichkeit* des Jahres 1764, in der dies in aller Form gesagt wird, werden wir im nächsten Paragraphen diskutieren. Für den analytischen Standpunkt des jungen Kant nehmen wir als Beispiel die Publikation des Jahres 1755: „Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio". Sie ist durchaus im Geist der leibniz-wolff sehen Methode geschrieben. Die sectio I handelt kurz vom principium contradictionis, die längere sectio II handelt vom pricipium rationis determinantis, vulgo sufficientis. Schließlich trägt Kant in der sectio III zwei neue von ihm entdeckte metaphysische Prinzipien vor: „Postremo pedem aliquante ulterius promoturus, duo nova statuam non contemnendi, ut mihi quidem videtur, momenti

S 36: Analysis veritatum et notionum

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cognitionis metaphysicae principia"40, sagt Kant von diesem dritten Teil in der Vorrede. Gilt dies vom Inhalt, daß die nova dilucidatio auf dem Boden der leibniz-wolffschen Philosophie steht, so gilt dies ganz und gar von der Methode, die sich besonders deutlich in der sectio II zeigt. Die sectio beginnt in der propositio IV mit Definitionen und bringt dabei die Definition von „determinare" und „ratio"41. In der Anmerkung wird gezeigt, daß es sich um Realdefinitionen handelt. Kant nimmt ferner in Anspruch, daß seine neue Definition von „ratio" besser ist als die von Wolff gegebene. In der propositio V wird bewiesen, daß nichts wahr sein kann ohne bestimmenden Grund. Die propositio VI bringt einen Gottesbeweis, dessen Wichtigkeit Kant ausdrücklich hervorhebt. Die propositio VII beweist schließlich, daß kein kontingent Existierendes ohne vorgängig determinierenden Grund existieren kann. Der hier vorgetragene Beweis des Satzes vom Grunde geht davon aus, daß der von Wolff gegebene Beweis unzureichend ist. Kant setzt sich auch bereits mit den Einwänden auseinander, die Crusius gegen den wolffschen Beweis erhoben hatte, und er will diese Einwände durch einen zweiten Beweis beheben. Wenn Kant in dieser frühen Schrift in den Thesen und in der Methode durchaus auf dem Boden der leibniz-wolffschen Philosophie steht, so ist es wohl kaum ein Zufall, daß auch die charakteristische Terminologie in aller Form erscheint: „Haec si demonstratio propter profundiorem notionum analysin cuiquam subobscura esse videatur, praecedentibus contentus esse poterit"42. Daß hier der Terminus „analysis notionum" von Kant selbst zur Charakterisierung seiner Methode benutzt wird, macht die Gleichheit der Thesen und der Methoden vollendet deutlich. Ich darf drei kurze Bemerkungen anfügen: Die erste ist die, daß der Wortstamm „analysis" von Kant mit Recht zur Bezeichnung der wolffschen Schule benutzt wird. So sagt Kant in einer Anmerkung zur transzendentalen Ästhetik: „Der vortreffliche Analyst Baumgarten"43. In der Erstlingsschrift spricht Kant in bezug auf Wolff von „der analytischen Neigung, die sich daselbst hervorthut" ". In den Prolegomena und in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, wohin die Stelle der Prolegomena übernommen ist, benutzt Kant den

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

deutschen Ausdruck: „Mathematische Urtheile sind insgesammt synthetisch. Dieser Satz scheint den Bemerkungen der Zergliederer der menschlichen Vernunft bisher ganz entgangen, ja allen ihren Vermutungen gerade entgegengesetzt zu sein" *5. Als einer der Zergliederer der menschlichen Vernunft ist hier gewiß Wolff gemeint, man möchte aber glauben, daß auch Leibniz hier gemeint ist. Damals war es durchaus üblich, wenn ich eine zweite Bemerkung anschließen darf, von einer Analysis der Begriffe zu sprechen. Ich begnüge mich mit einem Hinweis auf Moses Mendelssohn, der in seiner „Abhandlung über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften" von der Analysis der Begriffe spricht **. Schließlich darf ich in einer dritten Bemerkung darauf hinweisen, daß in einem lockeren Zusammenhang mit den von uns untersuchten Begriffen „Analysis" und „analytisch" auch der Begriff „Analytik" steht, den Kant zur Gliederung seiner kritischen Werke benutzt hat. Kant sagt in einer Anmerkung der Prolegomena, von der wir ausgegangen waren: „Noch kommt der Name Analytik auch als Haupttheil der Logik vor, und da ist es die Logik der Wahrheit und wird der Dialektik entgegengesetzt, ohne eigentlich darauf zu sehen, ob die zu jener gehörige Erkenntnisse analytisch oder synthetisch seien"4T. Für die geschichtlichen Voraussetzungen dieser Bedeutung von Analytik darf ich auf die Untersuchung von G. Tonelli verweisen .

§37

Analysis und Synthesis in der „Untersuchung" von 1764

Wir haben bis jetzt drei Bedeutungen von Analysis gefunden: 1. die euklidische Bedeutung, 2. die Bedeutung von Analysis infinitorum, 3. die Bedeutung von Analysis logica, insbesondere die Bedeutung von Analysis veritatum et notionum. Kant findet diese drei Bedeutungen vor, in besonderem Maße bei Leibniz und Wolff. Wir konnten zeigen, daß Kant diese drei Bedeutungen kennt und weiter gebraucht, wie dies in aller Regel geschieht, wenn zu einer überkommenen Bedeutung eines Wortes eine neue hinzutritt. Wir wenden uns jetzt den von Kant veränderten oder neu geprägten Bedeutungen zu und zwar zunächst den vorkritischen Bedeutungen, wie sie in der

§ 37: Analysis und Synthesis in der „Untersuchung" von 1764

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„Untersuchung" des Jahres 1764 und in der Dissertation des Jahres 1770 auftreten. Es ist eine in den entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen zur kantischen Philosophie allgemein anerkannte Tatsache, daß sich in den drei Jahren von 1762 bis 1764 Publikationen von besonderer Wichtigkeit häufen. Den Anfang macht 1762 „Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen", 1763 folgen: „Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" und der „Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen". 1764 schließlich bringt die beiden Abhandlungen: „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" und die „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral". Die „Untersuchungen" sind für uns von großer Wichtigkeit, sowohl in diesem ersten Kapitel der Bedeutungsanalysen als auch im zweiten Kapitel der eigentlich entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung. Es ist darüber gestritten worden, ob die Folge der Publikation dieser Abhandlungen mit der Folge ihrer Abfassung übereinstimmt. Ich vermag diesem Streit keine Bedeutung beizumessen, da ja die Abfassungszeit, selbst wenn sie mit der Publikationszeit nicht übereinstimmt, keineswegs mit der Folge übereinstimmen muß, in der Kant die vorgetragenen Erkenntnisse entdeckt hat. So ist es verständlich, daß der Streit ergebnislos geblieben ist. Auch über die Bedeutung dieser drei Jahre für Kants philosophische Entwicklung liegen bisher keine schlüssigen Ergebnisse vor. Wenn solche Ergebnisse überhaupt gewonnen werden können, dann setzen sie jedenfalls sehr viel intensivere Einzeluntersuchungen voraus, als sie bis jetzt durchgeführt worden sind. Für unsere Betrachtung ist die „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral" von besonderer Bedeutung. In der ersten Betrachtung erstrebt Kant eine Unterscheidung zwischen den Methoden der Mathematik und der Philosophie. Im ersten Paragraphen wird der synthetische Charakter der Mathematik von dem analytischen Charakter der Philosophie unterschieden. Der zweite Paragraph betrachtet das verschiedene Verhältnis der beiden Wissenschaften zum Allgemeinen überhaupt. Im dritten Paragraphen sagt Kant, daß es in der Mathematik nur wenige unauf-

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

lösliche Begriffe und unerweisliche Sätze gibt, in der Philosophie aber unzählige. Im vierten Paragraphen schließlich untersucht Kant die Verschiedenheit der Objekte der Mathematik und der Philosophie1. Uns kommt es besonders auf den ersten Paragraphen an, dessen Ziel sogleich durch die Überschrift deutlich gemacht wird: „Die Mathematik gelangt zu allen ihren Definitionen synthetisch, die Philosophie aber analytisch" 2. Der erste Satz gibt dann die Definitionen der beiden Begriffe. „Synthetisch" wird definiert als „willkürliche Verbindung der Begriffe", und „analytisch" wird definiert als „Absonderung von demjenigen Erkenntnisse, welches durch Zergliederung ist deutlich gemacht worden" 8. Als Beispiel für die synthetische Definition der Mathematik verweist Kant auf das Trapez und den Kegel, als Beispiel für die analytische Definition der Philosophie auf die Zeit. Wenn der Philosoph synthetisch definiert — Kant verweist auf Leibnizens Monade —, dann handelt es sich um die Nominaldefinition eines willkürlich gebildeten Begriffes. Wenn andererseits der Mathematiker analytisch definiert — Kant verweist auf Wolffs Definition der Ähnlichkeit in den Elementa Matheseos —, dann handelt es sich um eine Verwischung der Grenzen der beiden Wissenschaften. Die Definition der Ähnlichkeit gehört nicht in die Mathematik, sondern in die Philosophie 4. Betrachtet man diese Bestimmungen über „analytisch" und „synthetisch", dann wird man zu der Überzeugung kommen, daß sie ebenso weit von der leibniz-wolffischen Bedeutung wie von der kritischen Bedeutung Kants abstehen. Man wird sie daher zweckmäßig als eine eigene vorkritische Bedeutung betrachten. Der Unterschied zu Leibniz und Wolff liegt darin, daß Kant hier durch „synthetisch" und „analytisch" Mathematik und Philosophie unterscheidet, während sowohl für Leibniz als auch für Wolff beide Methoden sowohl für die Mathematik als auch für die Philosophie in gleicher Weise gültig sind. Dabei findet sich die inhaltliche Bestimmung sowohl für „synthetisch" als auch für „analytisch" bereits bei Leibniz wie bei Wolff. Dies gilt zunächst beim Begriff des Synthetischen für den Charakter der Willkürlichkeit. Man kann bei Leibniz eine Reihe von Stellen angeben, an denen er den Willkürcharakter der Synthesis betont. Ich begnüge mich damit, eine Stelle aus den

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Nouveaux Essais anzuführen: „Der Geist verhält sich auch hinsichtlich der einfachen Ideen tätig, indem er sie voneinander absondert, um sie getrennt in Betracht zu ziehen, was ebenso Sache der freien Willkür ist, wie die Verbindung mehrerer Ideen" 5. Leibniz bemerkt allerdings im nächsten Kapitel, daß diese Willkür nicht völlig unbegrenzt ist, denn sonst könnte man unvereinbare Ideen miteinander verbinden8. Wir verwiesen schon auf die Unmöglichkeit des Dekaeders. Hier gibt Leibniz das Beispiel von parallelen Parabeln, die ebenfalls unmöglich sindT. Wolff unterscheidet in der Logik drei Weisen, Begriffe zu bilden. Da die dritte Weise sich ihrerseits wieder gliedert, handelt es sich der Sache nach um vier Bildungsweisen: „Triplex adeo modus est formandi notiones: reflexio, abstractio et arbitraria determinatio, quae duplici modo peragitur" 8. Demgemäß unterscheidet Wolff auch in der den mathematischen Werken vorausgeschickten Abhandlung über die Methode vier Weisen der Begriffsbildung. Im deutschen Auszug nennt Wolff in § 21 ausdrücklich „die willkührlich angenommenen Umstände" 9. In den Elementa Matheseos sagt er: „Alia vero definitionum per methodum tertiam et quartam inventarum est ratio. Utrobique enim arbitrium regnat, sive juxta tertiam determinationes datas in alias similes convertas, sive juxta quartam datis alias superaddas: nostrum autem arbitrium nullam rebus existendi necessitatem imponit" 10. Es erscheint auf den ersten Blick merkwürdig, daß Kant in der „Untersuchung" keine Andeutung über die Grenzen der Willkür macht. Die Erklärung liegt wohl darin, daß für Leibniz und Wolff ein durch Willkür gebildeter widerspruchsvoller Begriff überhaupt nicht existiert, während man wohl annehmen kann, daß für Kant auch widerspruchsvolle Begriffe existieren. Es folgt nur nichts aus ihnen. Bei dieser starken Betonung des Begriffs des Willkürlichen ist es verständlich, daß auch G. F. Meier ihn in seine Logik übernommen hat: „Ein Begriff wird durch die gelehrte willkürliche Verbindung gemacht (combinatio conceptuum arbitraria ...) u . So läßt sich also zeigen, daß die Bedeutung von Synthesis als einer willkürlichen Verbindung bereits vorgegeben ist, wenn Kant ihn auch wesentlich dadurch verändert, daß er ihn auf die Mathematik einschränkt.

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Versucht man, sich über das Verhältnis dieser Bedeutung von Synthesis aus dem Jahre 1764 zur kritischen Bedeutung klar zu werden, so zeigt sich zunächst, daß Kant gewisse Erwägungen des Jahres 1764 beibehalten hat. Mit der Untersuchung des Jahres 1764 hängt in besonderer Weise diejenige Untersuchung zusammen, die Kant über den Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie in der Kritik der reinen Vernunft und zwar in der Methodenlehre gegeben hat. Hier finden sich Bestimmungen, die fast genau aus der Untersuchung des Jahres 1764 übernommen sind. Insbesondere ist der Begriff der willkürlichen Synthesis übernommen. Zunächst sagt Kant: „Da also weder empirisch, noch a priori gegebene Begriffe definiert werden können, so bleiben keine anderen als willkürlich gedachte übrig, an denen man dieses Kunststück versuchen kann". Kurz darauf präzisiert er diese Bestimmung in bezug auf die Mathematik: „Also bleiben keine anderen Begriffe übrig, die zum Definieren taugen, als solche, die eine willkürliche Synthesis enthalten, welche a priori konstruiert werden kann, mithin hat nur die Mathematik Definitionen" 12. Aber Kant ist in der kritischen Untersuchung der Synthesis weit über den Begriff der willkürlichen Synthesis hinausgekommen. Jetzt sind insbesondere die Axiome synthetische Urteile a priori, zum Beispiel der Grundsatz, daß die gerade Linie die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist13. Natürlich ist dieser Satz wie alle mathematischen Sätze ein Satz a priori, und natürlich hat er wie alle apriorischen Sätze Notwendigkeit bei sich. Durch diese Notwendigkeit ist die Synthesis in ihrer kritischen Bedeutung von der willkürlichen Synthesis des Jahres 1764 durchaus unterschieden. Dieser Unterschied führt auch zu einer tieferen Bestimmung des Unterschiedes zwischen Mathematik und Philosophie in der Kritik: „Die philosophische Erkenntnis ist die Vernunfterkenntnis aus Begriffen, die mathematische aus der Konstruktion der Begriffe"14. Es ist also jetzt der konstruktive Charakter der Mathematik, der den Unterschied zur Philosophie ausmacht und der auch den synthetischen Charakter der Mathematik zu seinem Teil begründet. Ist so die Bedeutung von Synthesis in der Kritik der reinen Vernunft wesentlich verändert, so erfährt auch die Bedeutung von Analysis zwar nicht ganz so große, aber doch merkbare Veränderungen.

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Betrachtet man zunächst den Zusammenhang mit den historischen Voraussetzungen, so fällt der direkte Anschluß an die Bestimmungen von Leibniz und Wolff in die Augen. Wenn Kant schreibt: „Es ist das Geschäfte der Weltweisheit, Begriffe, die als verworren gegeben sind, zu zergliedern, ausführlich und bestimmt zu machen ..."15, so könnte dieser Teil des Satzes ebensowohl bei Leibniz wie bei Wolff stehen. Wenn Kant dann fortfahrend im nächsten Paragraphen sagt: „Allein man sieht gleich zum voraus, daß es unvermeidlich sei, in der Zergliederung auf unauflösliche Begriffe zu kommen, die es entweder an und für sich selbst oder für uns sein werden ..." 1 , so handelt es sich nicht mehr um Wolff, der in dieser Frage ganz andere Bestimmungen gibt. Mit dieser Annahme, daß die Zergliederung auf unauflösliche Begriffe stoßen muß, geht Kant vielmehr, vielleicht angeregt durch Crusius, unmittelbar auf Leibniz zurück. Die Zergliederung der Begriffe, die Analysis notionum, bleibt nun für Kant ständig eine wichtige Aufgabe der Philosophie. So spricht Kant von der Erkenntnis, „die zwar anfänglich noch roh und verworren sein kann, und also der Analysis bedarf ..." ". So sagt er denn auch in der Einleitung: „Daß diese Kritik nicht schon selbst Transzendental-Philosophie heißt, beruht lediglich darauf, daß sie, um ein vollständiges System zu sein, auch eine ausführliche Analysis der ganzen menschlichen Erkenntnis a priori enthalten müßte"18. Sieht man sich allerdings in der Philosophie Kants nach Stellen um, an denen er wirklich eine Zergliederung der Begriffe, eine Analysis notionum, vorgelegt hat, so bedarf es sorgfältiger Untersuchungen, um Beispiele zu finden. Die entsprechenden Stellen der transzendentalen Ästhetik, an die man denken möchte, werden von Kant jedenfalls ausdrücklich als „Erörterung" bezeichnet1 . Daß es sich nicht um einen Zufall handelt, ergibt sich daraus, daß Kant zu Beginn der metaphysischen Erörterung des Raumes ausdrücklich über den Begriff der Erörterung reflektiert20. Ob die Kategorien überhaupt Begriffe sind, die zergliedert werden können, bleibt fraglich. Könnten sie zergliedert werden, dann könnte von ihnen auch eine Definition gegeben werden. Sowohl über die Möglichkeit der Analysierbarkeit als auch über die Möglichkeit der Defmierbarkeit der Kategorien gibt es aber bei Kant recht verschiedene Aussagen. Eine gewisse Zergliederung der Begriffe kann man noch in der trän-

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

szendentalen Dialektik finden, wo sich einige Zergliederungen der Begriffe „Gott", „Seele" und „Freiheit" finden. Ich kann daher nicht glauben, daß die Analysis der Begriffe für Kant wirklich die Bedeutung hat, die er ihr an manchen Stellen zubilligt. Es wird daher verständlich, daß er einerseits eine neue allgemeine Bedeutung von Analysis bildet und daß er andererseits die primär synthetische Aufgabe der Philosophie mit allem Nachdruck betont. Diese Erweiterung der Bedeutung von Analysis gibt Kant zu Beginn der transzendentalen Analytik: „Ich verstehe unter der Analytik der Begriffe nicht die Analysis derselben, oder das gewöhnliche Verfahren in philosophischen Untersuchungen, Begriffe, die sich darbieten, ihrem Inhalte nach zu zergliedern und zur Deutlichkeit zu bringen, sondern die noch wenig versuchte Zergliederung des Verstandesvermögens selbst, um die Möglichkeit der Begriffe a priori dadurch zu erforschen, daß wir sie im Verstande allein, als ihrem Geburtsorte, aufsuchen und dessen reinen Gebrauch überhaupt analysieren; denn dieses ist das eigentümliche Geschäft einer Transzendental-Philosophie; das übrige ist die logische Behandlung der Begriffe in der Philosophie überhaupt"21. Die Analysis der Begriffe, die Kant hier als das gewöhnliche Verfahren in philosophischen Untersuchungen bezeichnet, ist die Analysis notionum der leibniz-wolffschen Schule, wie sie der junge Kant geübt hat und wie sie Kant übrigens stets, wenn auch als „die logische Behandlung der Begriffe in der Philosophie" beibehält. In der jetzt geforderten Zergliederung des Verstandesvermögens selbst fügt er aber bewußt eine neue Bedeutung von Analysis und Zergliederung hinzu. Dies geht an dieser Stelle so weit, daß „das eigentümliche Geschäft der Transzendentalphilosophie" als ein Analysieren verstanden wird. So sehr nun auch Kant die grundsätzlich analytische Methode von Wolff und die starke Hinneigung von Leibniz zur analytischen Methode beibehält und weiterführt, mit der neuen Einsicht in die Bedeutung der Synthesis treten deren Probleme für Kant in den Vordergrund. Kant hat sich darüber in der Einleitung zweimal deutlich erklärt. Am Ende des Abschnitts IV sagt er: „Nun beruht auf solchen synthetischen d. i. Erweiterungs-Grundsätzen die ganze Endabsicht unserer spekulativen Erkenntnis a priori; denn die analytischen sind zwar höchst wichtig und nötig, aber nur um

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zu derjenigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer sicheren und ausgebreiteten Synthesis, als zu einem wirklich neuen Erwerb, erforderlich ist" **. Hier verbindet Kant mit der Anerkennung der Wichtigkeit und der Notwendigkeit der analytischen Arbeit doch die grundsätzliche Forderung nach der Synthesis. In dem Abschnitt VII der Einleitung, der mit der grundsätzlichen Forderung die Einleitung abschließt, sagt Kant dann noch einmal: „Ein System solcher Begriffe würde Transzendental-Philosophie heißen. Diese ist aber wiederum für den Anfang noch zuviel. Denn weil eine solche Wissenschaft sowohl die analytische Erkenntnis, als die synthetische a priori vollständig enthalten müßte, so ist sie, soweit es unsere Absicht betrifft, von zu weitem Umfange, indem wir die Analysis nur so weit treiben dürfen, als sie unentbehrlich notwendig ist, um die Prinzipien der Synthesis a priori, als warum es uns nur zu tun ist, in ihrem ganzen Umfange einzusehen" 2S. Das hier von Kant Gesagte würden wir freilich besser verstehen, wenn wir die kantischen Thesen nicht nur vorwiegend inhaltlich betrachten würden. Es ist vielmehr notwendig, auch den Methoden, mit denen Kant seine inhaltlichen Thesen gewonnen hat, eine spezifische Aufmerksamkeit zuzuwenden, und ich sehe mit Freude, daß solche Untersuchungen an mehreren Stellen begonnen worden sind.

5 38 Analysis und Synthesis in der Dissertation von 1770 In einer zweiten zwar schon kantischen, aber doch noch wesentlich mit der Tradition zusammenhängenden Bedeutung erscheinen Analysis und Synthesis in der Dissertation des Jahres 1770 „De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis". Die Dissertation steht der Ästhetik in der Kritik der reinen Vernunft bereits so nahe, daß Kant eine Reihe von Bestimmungen über den Raum und die Zeit fast wörtlich in die Kritik übernehmen konnte. In der Bestimmung der Kategorien dagegen ist sie vom kritischen Standpunkt noch grundsätzlich unterschieden. In der sectio I handelt Kant über den allgemeinen Begriff der Welt, im ersten Paragraphen über die Begriffe des Ganzen und des Teiles, da sie in den Begriff der Welt ein-

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

gehen. Deshalb beginnt Kant mit der Definition: „In compositio substantial!, quemadmodum analysis non terminator nisi parte quae non est totum, h. e. Simplici, ita synthesis nonnisi toto quod non est pars, i. e. Mundo" \ Da die Begriffe der Synthesis und Analysis in die Definition der Welt eingehen, hält es Kant mit Recht für angebracht, in einer Anmerkung auf diese beiden Begriffe einzugehen: „Vocibus analysis et synthesis duplex significatus communiter tribuitur. Nempe synthesis est vel qualitativa, progressus in serie subordinatorum a ratione ad rationatum, vel quantitativa, progressus in serie coordinatorum a parte data per illius complementa ad totum. Pari modo analysis, priori sensu sumpta, est regressus a rationato ad rationem, posteriori autem significatu regressu a toto ad partes ipsius possibiles, s. mediatas, h. e. partium partes, adeoque non est divisio, sed subdivisio compositi dati. Tarn synthesin quam analysin posteriori tantum significatu hie sumimus" 2. Kant bezieht sich hier ausdrücklich auf die gewöhnliche Bedeutung, wie er selbst sagt: „duplex significatus communiter tribuitur". Es ist mir aber nicht gelungen, die Stellen, die Kant hier im Auge haben muß, mit genügender Sicherheit aufzufinden. Ebensowenig habe ich die Weiterwirkung der hier gegebenen Bestimmung in den kritischen Schriften mit genügender Deutlichkeit klären können. Die Aufgabe selbst scheint mir nicht unlösbar zu sein. Man müßte dabei wohl im Auge behalten, daß Kant das, was er hier als regressive Analysis bezeichnet, an manchen Stellen der Kritik der reinen Vernunft regressive Synthesis nennt8.

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Das analytische und das synthetische Urteil

Im § 2 der vorangegangenen Untersuchung habe ich auf den Seiten 21 ff. Kants Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil dargestellt. Kant definiert zunächst das analytische Urteil und zwar auf zwei verschiedene Weisen. In der eigentlichen Definition sagt er: „Entweder das Prädikat B gehört zum Subjekt A als etwas, was in diesem Begriffe A (versteckterweise) enthalten ist"1. Die analytischen Urteile haben aber zu ihrem ausschließlichen Prinzip den Satz des Widerspruchs, und diese Grundbestimmung kann ebenfalls als Definition

§ 39: Das analytische und das synthetische Urteil

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betrachtet werden. So sagt Kant in den Prolegomena in der Überschrift zum Paragraphen 2b: „Das gemeinschaftliche Prinzip aller analytischen Urtheile ist der Satz des Widerspruchs"2. In der Kritik der reinen Vernunft lautet die Überschrift zum ersten Abschnitt des Systems aller Grundsätze des reinen Verstandes: „Von dem obersten Grundsatze aller analytischen Urteile" 3. Im Text dieses Abschnittes sagt Kant dann: „Denn, wenn das Urteil analytisch ist, es mag nun verneinend oder bejahend sein, so muß dessen Wahrheit jederzeit nach dem Satze des Widerspruchs hinreichend können erkannt werden" 4. Auf Grund dieser Bestimmungen definiert Kant nun das synthetische Urteil negativ: „ ... oder B liegt ganz außer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in Verknüpfung steht" 5. Demgemäß sagt Kant auch in den Prolegomena in der Überschrift zum Paragraphen 2c: „Synthetische Urtheile bedürfen ein anderes Prinzip als den Satz des Widerspruchs"e. Demgemäß sagt Kant im Text des Abschnitts: „ ... synthetische Urtheile ... kommen aber darin überein, daß sie nach dem Grundsatze der Analysis, nämlich dem Satze des Widerspruchs, allein nimmermehr entspringen können; sie erfordern noch ein ganz anderes Prinzip ..." 7 . Dementsprechend lautet die Überschrift im zweiten Abschnitt des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes: „Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile" 8. Im Abschnitt selbst sagt Kant dann: „Das oberste Principium aller synthetischen Urteile ist also: ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung" e. Bei diesen Definitionen des analytischen und des synthetischen Urteils ist schon immer aufgefallen, daß primär das analytische Urteil definiert wird. Als eine große Schwierigkeit des analytischen Urteils hat man es immer empfunden, daß man eigentlich nur Beispiele von der Form A ist A, beziehungsweise der Mensch ist ein Mensch, für möglich gehalten hat. Dann wären alle analytischen Urteile absolut leere Urteile. Man sieht dann nicht ein, welchen Wert diese absolut leeren Urteile haben können, und man sieht nicht ein, warum Kant aus diesen absolut leeren Urteilen eine besondere Urteilsklasse, eben die analytischen Urteile, gebildet hat. Ich habe in meiner Dissertation zeigen können, daß analytische Urteile keineswegs nur absolut leere

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Urteile sind, und ich habe dabei die Bestimmung über die analytischen Grundsätze zum Mittelpunkt der Interpretation gemacht: „Einige andere Grundsätze, welche die Geometer voraussetzen, sind zwar wirklich analytisch und beruhen auf dem Satze des Widerspruchs; sie dienen aber nur, wie identische Sätze, zur Kette der Methode und nicht als Principien, z. B. a = a, das Ganze ist sich selber gleich, oder (a + b) > a, d. i. das Ganze ist größer als sein Theil"10. Darüberhinaus habe ich zeigen können, daß das analytische Urteil Kants die analytische Urteilstheorie von Leibniz weiterführt". Es scheint mir nun möglich, die Ergebnisse meiner Dissertation auszubauen und zu vertiefen. Die in dem Terminus „analytisches und synthetisches Urteil" vorliegenden Bedeutungen von „analytisch" und „synthetisch" können nur dann völlig erfaßt werden, wenn man sieht, daß das analytische Urteil für Kant keineswegs ein bedeutungsloses, leeres Urteil darstellt. Wir treffen hier das gleiche Problem an, wie beim Begriff der Analysis. Dort konnten wir sehen, daß Kant den Begriff der Analysis keineswegs völlig beiseite schiebt. So sehr die Synthesis für ihn in den Vordergrund tritt, die Analysis behält stets eine nicht aufhebbare Bedeutung. Ebenso steht es im Verhältnis zwischen dem analytischen und dem synthetischen Urteil. Wie sehr auch immer Kant die eigentliche Aufgabe seiner Philosophie in den synthetischen Urteilen sieht, so behalten doch die analytischen ihre eigene Bedeutung. Kant hat dies thematisch in den Prolegomena auseinandergesetzt. Dort stellt er im Paragraphen 4 die Frage: „Ist überall Metaphysik möglich?", und im Text dieses Paragraphen geht er ausdrücklich auf das Verhältnis des synthetischen Urteils zum analytischen Urteil ein: „Eigentlich metaphysische Urtheile sind insgesammt synthetisch. Man muß zur Metaphysik gehörige von eigentlich metaphysischen Urtheilen unterscheiden. Unter jenen sind sehr viele analytisch, aber sie machen nur die Mittel zu metaphysischen Urtheilen aus, auf die der Zweck der Wissenschaft ganz und gar gerichtet ist, und die allemal synthetisch sind" 12. Kant faßt dann noch einmal ausdrücklich zusammen: „Der Schluß dieses Paragraphs ist also: daß Metaphysik es eigentlich mit synthetischen Sätzen a priori zu thun habe, und diese allein ihren Zweck ausmachen, zu welchem sie zwar allerdings mancher Zerglie-

§39: Das analytische und das synthetische Urteil

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derungen ihrer Begriffe, mithin analytischer Urtheile bedarf.. ,"13. Wir kommen also hier zum gleichen Ergebnis: Für Kant ist die Synthesis und das synthetische Urteil die eigentliche Aufgabe der Transzendentalphilosophie, gleichwohl bleiben die Analysis und das analytische Urteil unentbehrlich. Man kann zunächst zeigen, daß die analytischen Sätze schon in der Mathematik über die analytischen Grundsätze hinausgehen. Besonders instruktiv ist der Satz, daß ein Dreieck, das drei Seiten hat, auch drei Winkel hat. Versteht man unter einem Dreieck eine Figur, die drei Winkel hat, und unter einem Dreiseit eine Figur, die drei Seiten hat, so ergeben sich also zwei Sätze: Ein Dreieck ist ein Dreiseit, und: Ein Dreiseit ist ein Dreiedv. Daß diese beiden Sätze logisch interessant sind, darauf hat schon Leibniz aufmerksam gemacht: „Wenn man endlich sagt, daß ein Dreiedi drei Seiten hat, so ist das nidit so identisch, als es scheint, denn es bedarf einiger Aufmerksamkeit, um einzusehen, daß ein Polygon ebensoviel Winkel als Seiten haben muß: auch würde eine Seite mehr erforderlich sein, wenn das Polygon nicht als geschlossen vorausgesetzt würde"14. Es ist verständlich, daß dieser Satz sich gut dazu eignet, eine analytische Urteilstheorie plausibel zu machen, und so wird er denn auch von Wolff in der Logik als Beispiel an vielen Stellen benutzt. Ich habe allein dreizehn Stellen gezählt, ohne Vollständigkeit erstrebt zu haben15. Für Kant ist der Satz ein analytischer Satz. Deshalb kann er ihn, wenn er in der Methodenlehre über den Unterschied des Mathematikers und Philosophen handelt, als Beispiel benutzen: „Man gebe einem Philosophen den Begriff eines Triangels, und lasse ihn nach seiner Art ausfindig machen, wie sich wohl die Summe seiner Winkel zum rechten verhalten möge. Er hat nun nichts als den Begriff von einer Figur, die in drei geraden Linien eingeschlossen ist, und an ihr den Begriff von ebensoviel Winkeln. Nun mag er diesem Begriffe nachdenken, so lange er will, er wird nichts Neues herausbringen"16. Daß eine Figur, die drei Seiten hat, auch drei Winkel hat, das liegt schon im Begriffe dieser Figur. Es ist also ein analytischer Satz und kann deshalb mit einer reinen Begriffsanalyse bewiesen werden. Dagegen liegt die Winkelsumme nicht im Begriff des Dreiecks. Dies ist deshalb ein

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

synthetischer Satz, der nur durch die mathematische konstruktive Methode bewiesen werden kann. Auf den Zusammenhang zwischen den drei Seiten und den drei Winkeln des Dreiecks hatte Kant schon im ,einzig möglichen Beweis* hingewiesen: „Wenn ein Triangel ist, so sind drei Seiten, ein beschlossener Raum, drei Winkel u.s.w." ". Auch dies heißt also in der Formulierung der Kritik der reinen Vernunft, daß der Satz: ,Ein Dreieck hat, insofern es drei Seiten hat, auch drei Winkel', ein analytischer Satz ist. Wenn dies richtig ist, so müßte es freilich auch schon in der Mathematik eine ganze Reihe von analytischen Sätzen geben, nämlich alle diejenigen Sätze, die lediglich die Definition entfalten. Leibniz hatte bereits darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Satz als solcher nicht nur vom Dreieck, sondern von jedem Polygon überhaupt gilt18. Weitere Beispiele findet man im Bereich der Metaphysik. Im Paragraphen 4 der Prolegomena, von dem wir uns jetzt leiten lassen, sagt Kant, daß unter den zur Metaphysik gehörigen Sätzen sehr viele analytisch sind. Er gibt zugleich einen Hinweis auf solche Sätze: „Denn wenn Begriffe zur Metaphysik gehören, z. B. der von Substanz, so gehören die Urtheile, die aus der bloßen Zergliederung derselben entspringen, auch nothwendig zur Metaphysik, z. B. Substanz ist dasjenige, was nur als Subject existirt etc., und vermittelst mehrerer dergleichen analytischen Urtheile suchen wir der Definition der Begriffe nahe zu kommen"1 . In der Tat ist der Satz: „Substantia est ultimum subjectum", ein alter und auch von Kant oft erwähnter Satz der Metaphysik. Leider gibt Kant hier nur dies einzige Beispiel. Es mögen sich in der Kritik der reinen Vernunft wohl noch eine ganze Reihe solcher Sätze finden, aber für unsere Untersuchung können wir sie nur heranziehen, wenn ausdrücklich gesagt ist, daß es sich um einen analytischen Satz handelt. Dies ist nun glücklicherweise in den Paralogismen der reinen Vernunft wenigstens in der zweiten Auflage in aller Form der Fall, wenn auch Kant in der ersten Auflage sachlich das gleiche gesagt hatte. In der zweiten Auflage sagt Kant: „Daß aber Ich, der ich denke, im Denken immer als Subjekt, und als etwas, was nicht bloß wie ein Prädikat dem Denken anhängend, betrachtet werden kann, gelten müsse, ist ein apodiktischer und selbst identischer Satz"20. Das gleiche gilt vom zweiten Paralogismus: „Daß das

§ 39: Das analytische und das synthetische Urteil

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Ich der Apperzeption ... ein logisch einfaches Subjekt bezeichne, ... ist folglich ein analytischer Satz" w. Ebenso ist im dritten Paralogismus der Satz der Identität meiner selbst ein analytischer Satz22. Schließlich gilt auch im vierten Paralogismus: „Ich unterscheide meine eigene Existenz, als eines denkenden Wesens, von anderen Dingen außer mir (wozu auch mein Körper gehört), ist ebensowohl ein analytischer Satz"23. Von hier aus würde man geneigt sein anzunehmen, daß die Beweise in den Antinomien jeweils zur Thesis und zur Antithesis aus analytischen Sätzen bestehen. Ich habe aber bei Kant keine ausdrückliche Erklärung darüber gefunden. Schließlich dürfte es auch in der transzendentalen Theologie eine Reihe von analytischen Sätzen geben. Man darf hier wohl annehmen, daß die Sätze der traditionellen Metaphysik, soweit sie nach der Überzeugung von Kant richtig sind, für ihn analytische Sätze sind. Freilich könnten nur genauere Untersuchungen zur Methode des kantischen Philosophierens, die ich schon zum Begriff der Analyse als wünschenswert bezeichnet habe, uns auch zum Problem des analytischen Urteils bei Kant bessere Aufschlüsse geben. Analytische Sätze gehen aber bis in das Zentrum der kantischen Philosophie. In dem wichtigen Paragraph 16, in dem Kant von der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption handelt, sagt Kant: „Dieser Grundsatz, der notwendigen Einheit der Apperzeption, ist nun zwar selbst identisch, mithin ein analytischer Satz, erklärt aber doch eine Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig, ohne welche jene durchgängige Identität des Selbstbewußtseins nicht gedacht werden kann" K. Im nächsten Paragraphen wiederholt Kant noch einmal: „Dieser ... Satz ist, wie gesagt, selbst analytisch"25. Man muß diese Aussage wohl dahin verstehen, daß die Identität des Selbstbewußtseins schon immer erkannt worden ist, weil die Behauptung der Identität an sich ein analytischer Satz ist. Das, was Kant hinzubringt, ist eine These über die Art und Weise dieser Identität. Nach der Überzeugung Kants besteht diese Identität, diese Einheit der Apperzeption, in einer Synthesis. Man braucht nur an Leibniz zu denken, der ja die Identität des Selbstbewußtseins immer wieder betont hat, und an Leibniz hat Kant wohl auch hier gedacht.

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Analytische Urteile finden sich aber auch in der Kritik der praktischen Vernunft. Dies betrifft zunächst gewisse allgemeine Aussagen: In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten sagt Kant: „Wer den Zweck will, will (so fern die Vernunft auf seine Handlungen entscheidenden Einfluß hat) auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist. Dieser Satz ist, was das Wollen betrifft, analytisch" M. Es handelt sich hier offenbar darum, daß Kant den alten Satz: „Wer den Zweck will, muß auch die Mittel wollen", etwas präzisiert hat. Die wichtigen analytischen Probleme liegen aber im Verhältnis von Freiheit und Sittlichkeit. Die Möglichkeit der Freiheit selbst ist ein analytischer Satz: „Daher war die Idee der Freiheit als eines Vermögens absoluter Spontaneität nicht ein Bedürfniß, sondern, was deren Möglichkeit betrifft, ein analytischer Grundsatz der reinen speculativen Vernunft" ". Der kategorische Imperativ selbst ist ein synthetischer Satz a priori28. Dagegen ist der Zusammenhang zwischen Freiheit und Sittlichkeit ein analytischer. Dies folgt schon daraus, daß Freiheit und Sittlichkeit Wechselbegriffe sind. In der Konsequenz dessen sagt Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ausdrücklich: „ ... also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei. Wenn also Freiheit des Willens vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit sammt ihrem Princip daraus durch bloße Zergliederung ihres Begriffs"2 . Ich kann mich hier mit Rücksicht auf das Ziel dieser Untersuchung mit diesen Hinweisen begnügen. Den wirklichen Umfang der analytischen Sätze bei Kant festzustellen, wäre das Ziel höchst erwünschter Untersuchungen über die Methoden des kantischen Philosophierens. Jedenfalls wird aus diesen Hinweisen bereits der Zusammenhang des kantischen analytischen Satzes mit der analytischen Urteilstheorie von Leibniz vollends sichtbar. Solange man annimmt, daß es sich bei den analytischen Urteilen Kants nur um absolut leere Urteile handelt, fällt es schwer, einen echten Zusammenhang anzunehmen. Wenn man aber den wirklichen Umfang der analytischen Urteile übersieht, so wird der Zusammenhang begreiflich. Es wird besonders begreiflich, weil zwei große Gruppen von Sätzen, die Leibniz besonders am Herzen lagen, unter den analytischen Sätzen verblieben sind. Die erste Gruppe bilden die Sätze der allgemeinen Größenlehre, die zweite die

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leibnizschen Sätze der Methaphysik und der Ethik. Soweit sie für Kant richtig sind, gelten sie ihm — soweit ich sehen kann nur mit der einen Ausnahme des Satzes vom zureichenden Grund — als analytische Sätze. Der Zusammenhang der kantischen analytischen Sätze mit der leibnizschen analytischen Urteilstheorie wird vollends verständlich. Wenn ich trotzdem glaube, daß man im Terminus des analytischen Urteils eine neue Bedeutung von analytisch annehmen muß, so gehe ich davon aus, daß das analytische Urteil nur als ein komplementärer Begriff zum synthetischen Urteil verstanden werden kann, und daß man im analytischen Urteil sofort die Existenz des synthetischen Urteils im Auge behalten muß. Das synthetische Urteil ist das eigentlich Neue bei Kant und der eigentliche Gegensatz zu Leibniz. Die Entwicklung dieses Gegensatzes wird in unserer Darstellung der Entwicklung der Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil eine wichtige Rolle spielen. Ich kann mich jetzt damit begnügen, ein Beispiel anzuführen: Das Axiom: „Die gerade Linie ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten", ist für Kant ein synthetischer Satz a priori30. Dies beruht für Kant darauf, daß der Begriff der kürzesten Verbindung zwischen zwei Punkten nicht im Begriff der Geraden enthalten ist, und also auch im Sinne der analytischen Urteilstheorie nicht aus dem Begriff der Geraden herausgezogen werden kann. Vielmehr liegt hier eine echte Synthesis vor, die den Begriff der kürzesten Verbindung mit dem Begriff der Geraden zusammenbringt. Für Kant sind nun die Urteile der Mathematik, die Urteile der Naturwissenschaft, die Urteile der Metaphysik synthetische Urteile, wobei man immer die von uns dargelegten Ausnahmen im Auge behalten muß. So kann denn Kant zunächst in den Prolegomena, dann in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft und in den späteren Schriften die Aufgabe der kritischen Philosophie in der Frage formulieren: „Wie sind synthetische Sätze a priori möglich?" S1. Man könnte nun geneigt sein, das synthetische Urteil mit der synthetischen Begriffsbildung in der „Untersuchung" des Jahres 1764 zusammenzubringen. Ohne Zweifel bestehen hier gewisse Zusammenhänge, auf die besonders Beth hingewiesen hatS2. Man darf aber dabei die tiefgehenden Unterschiede nicht übersehen. Die synthetische

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Begriffsbildung in der Mathematik nach der „Untersuchung" des Jahres 1764 — und ihr folgen weitgehend die späteren Schriften — ist wesentlich willkürlich; das synthetische Urteil a priori aber ist, wie jedes apriorische Urteil, notwendig. Man braucht, um sich diese Notwendigkeit deutlich zu machen, nur auf das soeben als Beispiel gegebene Axiom zurückzusehen, dessen Notwendigkeit für Kant eine Selbstverständlichkeit war. Dieser Unterschied von Willkürlichkeit und Notwendigkeit spricht dafür, daß man bei der synthetischen Begriffsbildung des Jahres 1764 und beim synthetischen Urteil a priori der kritischen Schriften zwei verschiedene Bedeutungen von synthetisch unterscheiden sollte.

§40 Die transzendentale Synthesis Über die Bedeutung von Synthesis, die im Begriffe des synthetischen Urteils vorliegt, steigt Kant noch zu einer allgemeineren Bedeutung von Synthesis auf, die er die transzendentale Synthesis nennt1. Sie ist wohl am reinsten in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft dargestellt und dort in eine dreifache Synthesis gegliedert: in die Synthesis der Apprehension in der Anschauung, in die Synthesis der Reproduktion in der Einbildung und in die Synthesis der Rekognition im Begriff 2 . Nun ist dieser Abschnitt für die zweite Auflage völlig neu geschrieben worden, und dabei wird diese dreifache Gliederung der Synthesis nicht beibehalten. Gleichwohl wird man nicht sagen können, daß die Bedeutung der transzendentalen Synthesis in der zweiten Auflage sich vermindert hat. Sie hat sich wohl doch noch verstärkt. Die beiden Bedeutungen hängen eng zusammen, sofern sie jedesmal ein Zusammengreifen, ein Vereinigen meinen. Der Unterschied liegt darin, daß das synthetische Urteil in erster Linie Einheit des Urteils meint, die transzendentale Synthesis dagegen die Einheit eines Begriffes. Das synthetische Urteil vereinigt das Subjekt und das Prädikat eines Urteils miteinander, obwohl sie nicht wie im analytischen Urteil durch Identität verbunden sind. Dagegen meint die transzendentale Synthesis eine sehr viel ursprünglichere Einheit. Vielleicht wird sie am deutlichsten in der Geometrie. In dem Axiom: „Die Ge-

§40: Die transzendentale Synthesis

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rade ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten", vereinigt das synthetische Urteil das Prädikat: „die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten" mit dem Subjekt: „die Gerade"s. Aber eine Gerade ist selbst eine Synthesis, und gerade hierauf bezieht sich die transzendentale Synthesis. Um eine Gerade denken zu können, muß ich sie ziehen, sagt Kant immer wieder *, würde ich aber jedes Stück, das ich gezogen habe, wieder aus den Augen, oder vielmehr hier, aus dem Sinn verlieren, und würde ich nicht alle Stücke, die ich im Ziehen durchlaufen habe, zu einer Einheit zusammennehmen, so käme ich niemals zum Begriff der Geraden. So konstituiert also die transzendentale Synthesis die Gerade selbst, also den Subjektbegriff unseres synthetischen Urteils. Nicht anders liegt es in der Arithmetik. Kant wählt als Beispiel für ein synthetisches Urteil in der Arithmetik das Urteil: 7 + 5 = 125. Hier bringt das synthetische Urteil die Summe zweier Zahlen, der Zahlen 7 und 5, mit einer dritten Zahl, der Zahl 12, zusammen. Aber die Zahlen, über die dieses Urteil etwas aussagt, sind selbst das Ergebnis einer Synthesis, eben der transzendentalen Synthesis. Dafür muß man freilich davon ausgehen, daß die Zahlen nicht Ideen im platonischen Sinne sind, sondern daß die Zahlen im Zählen konstituiert werden. Dann ist schon die 5 selbst das Ergebnis einer transzendentalen Synthesis. Analog dem Ziehen einer Linie muß ich hier eine Vielheit von 5 Elementen zur Einheit der Fünf zusammenfassen. Dafür muß ich zunächst irgendein Element für sich erfassen, ich muß dann im Zählen zum nächsten Element weitergehen, wobei ich das erste Element im Sinn behalten muß, und schließlich muß ich dies jedesmalige Erfassen und dies jedesmalige Weitergehen zur Gesamtheit der Fünf zusammenfassene. Aber auch der Begriff der Natur beruht auf einer transzendentalen Synthesis. Hier wird eine Vielheit von materiellen Körpern zu einer Einheit zusammengefaßt und zwar wesentlich durch die Naturgesetze, für Kant wiederum wesentlich verkörpert in den newtonschen Gesetzen. Diese Einheit der Erfahrung 7 ist für Kant das Produkt der transzendentalen Synthesis, und diese Einheit der Erfahrung ermöglicht ihrerseits wiederum Urteile, die, soweit sie bedeutsam sind, in aller Regel synthetische Urteile darstellen, sie mögen nun Urteile a priori oder a posteriori sein.

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Kap. 7: Bedeutungsanalysen

Faßt man zusammen, so soll nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Ich habe im wesentlichen diejenigen Bedeutungen von analytisch und synthetisch zusammengefaßt, die für die Begriffe des analytischen und synthetischen Urteils wichtig sind. Dann kommt man auf sieben Bedeutungen: drei vorkantische Bedeutungen, zwei vorkritische Bedeutungen und zwei kritische Bedeutungen. Bei den vorkantischen Bedeutungen handelt es sich um die analytische und synthetische Methode Euklids, um die analysis infinitorum und um die analysis und synthesis veritatum et notionum im Sinne von Leibniz. Bei den vorkritischen Bedeutungen handelt es sich um die Unterscheidung zwischen Mathematik und Philosophie durch die synthetische und die analytische Begriifsbildung in der „Untersuchung" des Jahres 1764 und um die Synthesis und die Analysis in der Dissertation des Jahres 1770. Bei den beiden kritischen Bedeutungen handelt es sich schließlich um das synthetische und das analytische Urteil und um die transzendentale Synthesis.

KAPITEL VIII

DIE ENTSTEHUNG DER LEHRE VOM ANALYTISCHEN UND SYNTHETISCHEN URTEIL 5 4l

Keine Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil in den Publikationen vor 1781

Wenn wir zur Darstellung des Wortschatzes im § 33 zurückkehren, so sehen wir, daß der Wortstamm »Synthesis', der zur terminologisch fixierten Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil notwendig ist, im Band l der Akademieausgabe, also in den Schriften von 1747 bis 1756, sich nicht ein einziges Mal findet. Wir werden zeigen können, daß dies mit dem philosophischen Standpunkt von Kant übereinstimmt; in diesem ersten Jahrzehnt steht Kant durchaus auf dem Boden der analytischen Urteils- und Beweistheorie. Der Wortstamm ,Analysisc kommt zwar vor, aber selten, insgesamt nur viermal. Im zweiten Band der Akademieausgabe, der die zwanzig Jahre von 1757 bis 1777 umfaßt, ändert sich dies Bild etwas. Der Wortstamm »Synthesis' findet sich an 20 Stellen, der Wortstamm ,Analysis' an 15 Stellen. Untersucht man diese Stellen, dann sieht man, daß es sich praktisch nur um die beiden von uns analysierten Schriften, die „Untersuchung" des Jahres 1764 und die Dissertation des Jahres 1770, handelt. ,Synthetisch' findet sich einmal in der kleinen Schrift „Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen", die 1762 erschienen ist. Dort sagt Kant: „Diese Regel gründet sich auf die synthetische Ordnung, nach welcher zuerst das entfernte und dann das nähere Merkmal mit dem Subjecte verglichen wird" *. Die Regel, von der Kant hier spricht, ordnet also die verschiedenen Merkmale eines Subjekts in verschiedener Weise. Es handelt sich offenbar um eine Regel, die sich in einer Logik, vielleicht auch in mehreren Logiken, die Kant benutzt hat, vorfindet. Ich habe aber nicht finden kön-

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

nen, um welche Logik es sich handelt. Ein Zusammenhang mit dem synthetischen Urteil besteht, soweit man sehen kann, nicht. Die Stellen von Analysis und Synthesis in den Schriften von 1764 und 1770 haben wir analysiert. Es handelt sich jeweils um Bedeutungen, die eng mit den tradierten Bedeutungen, besonders denen von Leibniz und Wolff, zusammenhängen. Allerdings glaubten wir uns auf Grund der Unterschiede, besonders in der „Untersuchung" von 1764, berechtigt, von besonderen kantischen, vorkritischen Bedeutungen zu sprechen. Der spezifische Terminus Analytisches Urteil' beziehungsweise synthetisches Urteil' dagegen findet sich in den Schriften vor 1781 nicht. Sie finden sich in den publizierten Werken zum ersten Mal in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. In den Prolegomena wird die Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil intensiviert. Hier bringt Kant das Anliegen der kritischen Philosophie auf die Frage: „Wie sind synthetische Sätze a priori möglich?" 2. Diese Intensivierung der Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil wird dann auch in die zweite Auflage der Kritik der reinen Vernunft herübergenommen, und macht einen wesentlichen Teil der dort vorgenommenen Änderungen aus. Wir erhalten also als Ergebnis, daß sich die terminologisch fixierte Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil in den vorkritischen Schriften nicht findet, daß sie vielmehr zum ersten Mal in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft auftritt. 5 42 Das Existenzialurteil Man kann festhalten, daß die Termini ,analytisches Urteil* und Synthetisches Urteil* zuerst in der Kritik der reinen Vernunft vorkommen, und daß an den wenigen Stellen, an denen die Wortstämme »Synthesis' oder »Analysis' in den vorkritischen Schriften auftreten, es sich nicht um diese Bedeutung handelt. Dies Ergebnis läßt sich vollkommen sichern, und dennoch bedeutet es keineswegs alles. Es ist vielmehr durchaus möglich, daß Kant für eine bestimmte Aussage, die er durch den Terminus synthetisches Urteil* formuliert, vorher eine andere Formulierung benutzt hatte. Wenn dies zutreffen sollte, dann müßte man die Möglichkeit ins Auge

§42: Das Existenzialurteil

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fassen, daß Kant eine ganze Reihe von Aussagen gewonnen hatte, daß er sie aber terminologisch in verschiedener Weise formuliert hatte, und daß er sie erst später in der Formulierung des analytischen und synthetischen Urteils zusammenfaßt. Dies trifft in der Tat zu. Wir werden also unsere Untersuchung nach der Entstehung der Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil zu führen haben, ohne uns durchgängig der Leitung durch die Terminologie des analytischen und synthetischen Urteils bedienen zu können. Wir beginnen mit der Frage des Existenzialurteils. Ein großes Ziel, aber auch eine große Schwierigkeit ist hier das auf die Existenz Gottes bezogenes Existenzialurteil. Augustin hatte mit Erwägungen darüber begonnen, Anselm von Canterbury hatte einen förmlichen Gottesbeweis entwickelt. Die Scholastik hatte diesen Gottesbeweis im allgemeinen recht skeptisch beurteilt. Descartes hatte den anseimischen Beweis wieder aufgenommen, Leibniz hatte die Form, die Descartes dem Beweis gegeben hatte, kritisiert, den Beweis als solchen aber grundsätzlich für möglich gehalten. Der Grundgedanke des Beweises beruht darauf, daß Gott als das allervollkommenste Wesen definiert wird, das heißt also, als ein Wesen, das alle Vollkommenheiten hat. Nun ist die Existenz eine Vollkommenheit, und also muß Gott als das allervollkommenste Wesen auch die Existenz haben. Leibniz ficht nun keineswegs diesen Grundgedanken an. In den 1684 erschienenen Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis macht er vielmehr geltend, daß der cartesianische Beweis eine Lücke enthält, weil nicht bewiesen ist, daß der hier zugrunde gelegte Begriff eines allervollkommensten Wesens widerspruchsfrei ist. Es handelt sich um einen Maximalbegriff, und viele Maximalbegriffe, zum Beispiel der Begriff der größten Zahl oder der der größten Geschwindigkeit, sind widerspruchsvoll. Der Begriff des allervollkommensten Wesens ist zwar nach der Überzeugung von Leibniz widerspruchsfrei, aber solange diese Widerspruchsfreiheit nicht bewiesen ist, kann der cartesianische Beweis nicht als ein Beweis im eigentlichen Sinne betrachtet werden1. Daß in diesem Gottesbeweis ein Existenzialurteil enthalten ist, hatte Leibniz in den Nouveaux Essais in aller Form zum Ausdruck gebracht. Leibniz faßt zunächst die Meinung von Locke folgendermaßen zusammen: „Endlich gibt es noch ein wirkliches Dasein außer dem Geiste, wie wenn man sagt: Gott ist"2. Leibniz antwortet dar-

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

auf: „Sagt man indes, daß ein Ding da sei, oder daß es wirkliches Dasein habe, so ist dies Dasein selbst das Prädikat, d. h. der Begriff des Daseins ist mit der Idee, um die es sich handelt, verbunden, und es findet eine Verknüpfung zwischen diesen beiden Begriifen statt"s. Mit Recht verweist Cassirer in einer Anmerkung auf den Zusammenhang dieser Stelle mit den kantischen Erwägungen zum ontologischen Gottesbeweis 4. Kant betrachtet den ontologischen Gottesbeweis als den Kern aller Gottesbeweise. Er lehnt ihn mit Entschiedenheit ab, und seine Ablehnung aller theoretischen Gottesbeweise beruht auf dieser Ablehnung des ontologischen Gottesbeweises. Kants Kritik beruht nicht, wie die von Leibniz, auf beweistheoretischen Erwägungen, Kants Erwägungen sind vielmehr modaltheoretischer Natur; sie betreffen die besondere Struktur der Modalitäten — Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit — und die besondere Struktur der auf Modalitäten bezogenen Aussagen. Wir gehen von dem Abschnitt der Kritik der reinen Vernunft aus, der die Überschrift trägt: Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes. Dort formuliert Kant seine Kritik zunächst vom synthetischen Urteil her: „Ich frage euch, ist der Satz: dieses oder jenes Ding (welches ich euch als möglich einräume, es mag sein, welches es wolle,) existiert, ist, sage ich, dieser Satz ein analytischer oder synthetischer Satz?" 5. Kant diskutiert die Möglichkeit des analytischen Satzes und zeigt, daß dies nicht sein kann. Er fährt dann fort: „Gesteht ihr dagegen, wie es billigermaßen jeder Vernünftige gestehen muß, daß ein jeder Existenzialsatz synthetisch sei, ..." 6. In dieser Form, daß jeder Existenzialsatz ein synthetischer Satz ist, erscheint die kantische These in der Regel in den späteren Werken7. Die gleiche These erscheint aber in demselben Abschnitt der Kritik der reinen Vernunft in einer zweiten Form. Kant sagt nämlich kurz darauf: „Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne"8. Um zu dieser These zu kommen, vergleicht Kant die Möglichkeit eines Gegenstandes mit seiner Wirklichkeit und stellt die Frage, ob die Wirklichkeit zur Möglichkeit ein reales Prädikat hinzubringt. Kant verneint die Frage und bringt das berühmte Beispiel der hundert

§ 42: Das Existenzialurteil

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Taler. „Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche"9. Kant will gewiß nicht leugnen, daß mein Vermögenszustand bei hundert wirklichen Talern sehr viel angenehmer ist, als bei hundert möglichen, aber darauf kommt es hier nicht an. Die Frage geht vielmehr nach der Struktur des Begriffes von hundert Talern, und darüber sagt Kant abschließend: „Denn der Gegenstand ist bei der Wirklichkeit nicht bloß in meinem Begriffe analytisch enthalten, sondern kommt zu meinem Begriffe (der eine Bestimmung meines Zustandes ist) synthetisch hinzu, ohne daß durch dieses Sein außerhalb meinem Begriffe diese gedachten hundert Taler selbst im mindesten vermehrt werden" 10. Der Aufbau der Untersuchung zeigt, daß Kant die Formulierung durch die These: ein jeder Existenzialsatz ist ein synthetischer Satz, als die eigentliche betrachtet. Durch die unmittelbare Nebeneinanderstellung macht Kant aber deutlich, daß seine These aber auch durch die Formulierung wiedergegeben werden kann: Sein ist kein reales Prädikat. Damit wird es für unsere Frage nach der Entstehung der Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil notwendig, zu fragen, ob die durch die Formulierung: der Existenzialsatz ist ein synthetisches Urteil, wiedergegebene These, die in dieser Formulierung nicht vor 1781 auftritt, nicht schon früher in der anderen Formulierung: das Sein ist kein reales Prädikat, aufgetreten ist; und dies ist tatsächlich der Fall. Die These in dieser Formulierung erscheint 1763 in der Schrift: Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Diese frühe Schrift bringt einen Gottesbeweis, der davon ausgeht, daß jede Möglichkeit eine Wirklichkeit voraussetzt. Dieser Grundgedanke des Beweises veranlaßt Kant zu modaltheoretischen Erwägungen über das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit. Freilich fällt auch dieser vorkritische Gottesbeweis unter die Ablehnung aller theoretischen Gottesbeweise durch die Kritik der reinen Vernunft. Dieser vorkritische Gottesbeweis wird in der ersten Abteilung der Untersuchung gegeben. Hier handelt wieder die erste Betrachtung vom Dasein überhaupt und hier wiederum bringt der erste Abschnitt die These sofort als Überschrift: „Das Dasein ist gar kein Prädicat oder Determination von irgend einem Dinge" n. Zum Beweis muß

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Kap. 8: Analytisches und synthetisdies Urteil

Kant auf die These von Leibniz zurückgehen, daß alle Dinge von Gott gedacht werden, und zwar nicht nur alle Dinge der wirklichen Welt, sondern auch alle Dinge jeder möglichen Welt. Da nun Gott jedes von ihm Erkannte vollständig erkennt, so kann er bei der Erkenntnis eines Dinges der wirklichen Welt nicht mehr erkennen als bei der Erkenntnis eines Dinges einer möglichen Welt, und Kant kann also schließen: „Wer kann in Abrede ziehen, ... daß in der Vorstellung, die das höchste Wesen von ihnen hat, nicht eine einzige Bestimmung ermangele, obgleich das Dasein nicht mit darunter ist, denn es erkennt sie nur als mögliche Dinge"12. In der Tat tritt also die These: jeder Existenzialsatz ist ein synthetischer Satz, in der äquivalenten Form: das Dasein ist kein reales Prädikat, schon 1763 auf. Stellt man die weitere Frage, zu welchem Zeitpunkt Kant zu der These in dieser Formulierung gekommen ist, so finde ich die These in dieser Formulierung in keiner der vorangegangenen Schriften. Dabei macht die Behandlung der These im einzig möglichen Beweisgrund einen völlig ausgereiften Eindruck. Kant selbst sagt: „Die Betrachtungen, die ich darlege, sind die Folge eines langen Nachdenkens"1S. Man wird daher davon ausgehen müssen, daß Kants Beschäftigung mit dem Problem und vielleicht sogar schon seine Entscheidung in die Jahre vor 1763 hineinreicht. Wenn man überhaupt eine zeitliche Bestimmung versuchen will, so könnte man die Beschäftigung mit diesem Problem etwa mit dem Jahre 1760 beginnen lassen. Daraus ergibt sich also, daß die Formulierung des Problems mit den terminologischen Mitteln der Kritik der reinen Vernunft erst sehr viel später erfolgt ist, und es stellt sich also die Frage, ob derselbe Sachverhalt auch bei anderen Problemen vorliegt. Wir werden zeigen können, daß dies in der Tat der Fall ist. 5 43 Die analytische Logik von Leibniz und Wolff Bereits in meiner Dissertation, dann in der vorangehenden Interpretation habe ich die Vermutung ausgesprochen, daß Kants Lehre vom analytischen Urteil die analytische Urteilstheorie von Leibniz fortsetzt. Im § 39 habe ich diesen Gedanken weiter ausgeführt. Ist

§ 43: Die analytische Logik von Leibniz und Wolff

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diese Vorstellung richtig, dann muß das synthetische Urteil von Kant als eine Auseinandersetzung mit der analytischen Urteilstheorie aufgefaßt werden. Wir haben bereits geklärt, daß der Terminus synthetisches Urteil* zum ersten Mal in der Kritik der reinen Vernunft auftritt. Wir sahen aber, daß im Problem des Existenzialsatzes die sachliche These schon sehr viel früher gewonnen wird- Es stellt sich also die Frage, ob die Auseinandersetzung mit der analytischen Logik sich bei Kant schon in der vorkritischen Periode findet, mag sie dort nicht in der Formulierung des synthetischen, sondern in anderen Formulierungen ausgesprochen sein. Die analytische Auffassung des Existenzialsatzes, daß auch die Existenz als ein Teilbegriff im Subjektbegriff enthalten ist, und also durch Analyse dieses Begriffs aus ihm herausgezogen werden kann, ist eine wichtige These der analytischen Logik. Wenn Kant die analytische Auffassung des Existenzialsatzes ablehnt, so ist zu vermuten, daß er auch an der analytischen Auffassung anderer Sätze zweifelt. Dafür scheint es zweckmäßig, die analytische Auffassung in denjenigen Punkten, auf die es hier ankommt, noch einmal kurz zusammenzufassen. Das hier auftretende historische Problem ist freilich bis heute keineswegs befriedigend gelöst, es soll auch durch diese Untersuchung keineswegs vollständig gelöst werden. Die Einsicht in den analytischen Charakter der Logik von Leibniz, besonders die Einsicht in die analytische Urteilstheorie verdanken wir Couturat. Er hat sie zunächst in seiner großen Darstellung: La Logique de Leibniz im Jahre 1901 vorgetragen, und er hat sie dann vertieft, indem er im Jahre 1903 wichtige, auf die Logik bezügliche Fragmente unter dem Titel: Opuscules et fragments ine"dits de Leibniz, ediert hat. Allein Couturat ging es nur um eine systematische Darstellung, und er hat sich mit Recht auf dieses Ziel konzentriert. Für unsere historische Untersuchung aber müßten wir wissen, ob und wie Kant die analytische Logik von Leibniz kennen lernen konnte, besser natürlich noch, ob und wie er sie kennengelernt hat. Dafür müßten wir wissen, ob und wieweit die analytische Logik in denjenigen Schriften von Leibniz, die zu Kants Zeiten publiziert waren, zum Ausdruck gekommen ist. Schließlich müßte man wissen, wieweit die analytische Logik von Leibniz in die Logik des achtzehnten Jahrhunderts eingegangen ist, so daß Kant sie hätte aus zweiter Hand kennenlernen können. Dabei

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

stellt sich insbesondere die Frage, wie weit in der Logik von Wolff die analytische Logik von Leibniz zum Ausdruck kommt. Vertritt Wolff in seiner Logik genau den Standpunkt von Leibniz oder liegen hier schon Änderungen vor? Wenn Änderungen vorliegen, hat sich dann der junge Kant an Leibniz selbst oder hat er sich an Wolff oder an einen anderen Logiker des achtzehnten Jahrhunderts angeschlossen? Alle diese Fragen sind noch ungeklärt, weithin fehlen noch die Unterlagen, aber man darf hoffen, daß neue Arbeiten auch Jüngerer diese Lücke schließen werden. Kehren wir vom historischen Zusammenhang wieder zum ideengeschichtlichen Zusammenhang zurück, so kommt es für Kant wesentlich auf die analytische Urteilstheorie und die analytische Beweistheorie an. Die analytische Urteilstheorie läuft in der These zusammen: praedicatum inest subjecto, die analytische Beweistheorie in der These, es gibt keine Axiome, sondern alle Beweisvoraussetzungen bestehen vielmehr im Satz des Widerspruchs, in Definitionen und in identischen Sätzen, soweit apriorische Urteile in Frage kommen. Leibniz vertritt beide Thesen in dezidierter Weise, die wir noch einmal kurz zusammenfassen. Die These der analytischen Urteilstheorie: praedicatum inest subjecto, ist unzweifelhaft die These von Leibniz, und es ist ebenso unzweifelhaft, daß die Darstellung von Couturat hier richtig ist. Dennoch können erst künftige genauere Untersuchungen zeigen, ob sich die These in ihrer strikten Form in den zu Kants Zeiten publizierten Schriften oder Briefen von Leibniz auch nur einmal findet. Anders liegt es mit der analytischen Beweistheorie. Sie sagt, daß ein Beweis a priori, also ein Beweis der Logik, der Mathematik, der scientia universalis nur den Satz des Widerspruchs, Definitionen und identische Sätze zur Voraussetzung hat. Dies bedeutet, in anderer Form ausgedrückt: es gibt keine Axiome, sondern alle Axiome, insbesondere die Axiome der Geometrie müssen sich mit dem Satz des Widerspruchs aus Definitionen und identischen Sätzen beweisen lassen. Dies sagt nun Leibniz an vielen Stellen, insbesondere ausdrücklich und thematisch im vierten Buch der Nouveaux Essais. Dies Werk hat Leibniz zwar nicht mehr selbst publiziert, Kant hatte es aber in der Gesamtausgabe von Raspe aus dem Jahre 1765 zur Verfügung1.

§43: Die analytisdie Logik von Leibniz und Wolff

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Dort sagt Leibniz zusammenfassend: „Wollen Sie aber, daß diese Verknüpfung der Ideen deutlich eingesehen und ausgedrückt werde, so werden Sie genötigt sein, wie ich es verlange, auf die Definitionen und identischen Grundsätze zurückzugehen"2. Auch in früher publizierten Werken konnte Kant die analytische Beweistheorie finden. In der Durchführung seiner Beweistheorie fordert Leibniz den Beweis aller Axiome: „ ... ist es für mich eine maßgebende Maxime, daß die Beweise auch der Axiome aufzusuchen wichtig ist. Ich erinnere mich, daß, als man sich zu Paris über den seligen Roberval, der damals schon alt war, lustig machte, weil er nach dem Beispiele des Apollonius und des Proklus die Grundsätze des Euklides beweisen wollte, ich den Nutzen dieser Untersuchung zeigte"3. Ein besonders instruktives Beispiel ist der Beweis des Satzes 2 + 2 = 4. Leibniz gibt ihn im Kapitel VII des vierten Buches der Nouveaux Essais, das die Überschrift trägt: Von den Sätzen, welche man Maximen oder Axiome nennt *. Die Stellung von Wolff zur analytischen Urteilstheorie ist noch ungeklärt. Stellen an denen Wolff die Formel: praedicatum inest subjecto vorträgt, habe ich nicht gefunden. Wolff scheint vielmehr die Forderung der Identität zwischen Prädikat und Subjekt durch die viel geringere Forderung der convenientia zwischen Prädikat und Subjekt ersetzt zu haben. Das würde bedeuten, daß Wolff sich von der strikten analytischen Urteilstheorie nicht unwesentlich entfernt hätte. Genauere Untersuchungen sind wünschenswert und dürfen erwartet werden. Dagegen vertritt Wolff eindeutig die analytische Beweistheorie, und zwar sowohl in der allgemeinen logischen Forderung als auch in der konkreten mathematischen Durchführung. In den Elementa Matheseos sagt Wolff: „Sunt autem Definitiones primae rerum notiones, quarum ope inter se distinguuntur et unde, quae de ipsis concipiuntur, reliqua deducuntur"c. Diese Aussage übernimmt er fast wörtlich in die beiden deutschen Lehrbücher: „Die Erklärungen (Definitiones) sind deutliche Begriffe, dadurch die Sachen von einander unterschieden werden, und daraus man das übrige herleitet, was man von ihnen erkennet" e. Im Sinne der analytischen Beweistheorie sind dann die Lehrbücher von Wolff aufgebaut.

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Kap· 8: Analytisches und synthetisches Urteil

Fragt man nach der Stellung von Kant zu dieser analytischen Logik, so wird man zunächst sagen können, daß Kant in seinen Anfängen in dezidierter Weise auf dem Boden der analytischen Urteilstheorie steht. Ich habe in der zweiten Auflage meines Buches über Leibniz zeigen können, daß Kant hier der leibnizschen Urteilstheorie sehr viel näher steht als der wolffischen7. Dagegen findet man in der Frage der analytischen Beweistheorie keine allgemeine Festlegung des jungen Kant. Immerhin muß man sich vor Augen halten, daß die beiden Schriften des Jahres 1755 völlig im Sinne der analytischen Beweistheorie aufgebaut sind. Dies gilt insbesondere von der ,Nova dilucidatio', die wir bereits diskutiert haben. Dort wird für das principium rationis determinantis vulgo sufficientis im zweiten Abschnitt ein Beweis gegeben, der auf den Definitionen und dem Satz des Widerspruchs beruht8. Die Auseinandersetzung mit der analytischen Beweistheorie, die Kant allerdings nun bald aufnimmt, und die wir in einigen Einzelfragen verfolgen wollen, konzentriert sich auf zwei Grundthesen. Die erste ist die, daß jeder Beweis von Definitionen ausgehen muß. Dann erhebt sich die Frage, ob für wichtige philosophische Gegenstände, beispielsweise den Raum und die Zeit, echte Definitionen überhaupt existieren. Die zweite nachprüfbare Grundthese der leibniz-wolffischen analytischen Logik ist die, daß es keine Axiome gibt. 5 44 Die Zeit Wir haben das analytische Urteil Kants wesentlich als eine Fortsetzung der analytischen Urteilstheorie von Leibniz verstanden, das synthetische Urteil wesentlich als einen Gegensatz zu ihr. Wir wollen jetzt versuchen, dies im einzelnen zu verfolgen. Wenn wir beim Raum und der Zeit ansetzen, so ist hier das Verhältnis von Kant zu Leibniz recht kompliziert. In der ontologischen Bestimmung, also in der Lehre vom phänomenalen Charakter des Raumes und der Zeit, setzt Kant offenbar an Leibniz an, so groß die Unterschiede auch sein mögen. Dagegen tritt in den logischen Problemen des Raumes und der Zeit Kant in einen entschiedenen Gegensatz zu Leibniz und Wolff.

S 44: Die Zeit

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Bei den Aussagen über die Zeit handelt es sich vorwiegend um zwei Thesen: Die Zeit ist ein quantum continuum1. Die Zeit hat nur eine Dimension 2. Beide Aussagen finden sich bei Kant, ebenso wie im gesamten Verlauf der Philosophie von Platon und Aristoteles bis zu Husserl und Heidegger. Auf welche Weise aber kann die logische Struktur dieser und anderer Sätze über die Zeit verstanden werden und wie sind sie zu beweisen? Von Leibniz her gibt es nur eine Möglichkeit. Das Prädikat dieser Sätze muß im Subjekt enthalten sein, und muß also aus der Definition herausgezogen werden können. Dann muß also im Begriff der Zeit der Begriff der Stetigkeit und der Begriff der Eindimensionalität der Zeit enthalten sein, und wenn dies möglich sein soll, muß es einen Begriff und also auch eine Definition der Zeit geben. Dies ist die Meinung von Leibniz, und genau in diesem Sinne hat Wolff in der Ontologie die Lehre von der Zeit aufgebaut. In der Tat gibt Leibniz eine Definition der Zeit. Im Briefwechsel mit Clarke sagt er: „comme le Temps est un ordre de Successiones"3. Im gleichen Sinne sagt er im Brief an Remond: „Tempus est ordo existendi, sed non simul" *. Beide Bestimmungen waren zu Kants Zeiten publiziert, und werden von Wolff in der Ontologie angeführt 5 In Konsequenz dieser Definitionen von Leibniz definiert dann Wolff in der Ontologie: „Tempus adeo est ordo successivorum in serie continua"6. Nach der analytischen Beweistheorie müssen sich dann die Stetigkeit und die Eindimensionalität aus diesen Definitionen der Zeit analytisch herausziehen lassen, und dies ist es was Kant bestreitet. Die Zeit ist überhaupt kein Begriff: „Die Zeit ist kein diskursiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung"7. Von allen Sätzen gilt, was Kant von einem bestimmten sagt: Dieser „Satz ist synthetisch, und kann aus Begriffen allein nicht entspringen" 8. Soweit die Sätze fundamental sind, sind es Grundsätze oder Axiome8. Auf diese Bestimmungen zurückblickend sagt Kant in der Streitschrift gegen Eberhard, und er meint damit zugleich Leibniz und Wolff: „ ... wie will er die diesem zum Grunde liegende Bedingung, die Zeit, als Größe, aber nur von einer Abmessung, und als stetige Größe ... aus seinen einfachen Theilen ... heraus vernünfteln ..." 10.

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

Kehren wir wieder zu unserer historischen Fragestellung zurück, dann ist also die Frage: Wie ist Kant zu dieser Gegenstellung gegen Leibniz und Wolff gekommen? Nun trifft es sich hier günstig, daß die Abhandlung von der Zeit in der Dissertation des Jahres 1770 sachlich und in zahlreichen Bestimmungen fast wörtlich übersetzt mit der Kritik übereinstimmt: „Idea itaque temporis est intutius ..." u; „Tempus est quantum continuum" ". Außerdem finden wir in der Dissertation den Grundeinwand Kants gegen die Definitionen von Leibniz und Wolff: Diese Definitionen sind Zirkeldefinitionen und also überhaupt keine Definitionen: „Ideoque temporis notio, veluti per experientiam acquisita, pessime definitur per seriem actualium post se invicem exsistentium. Nam, quid significet vocula post, non intelligo, nisi praevio iam temporis conceptu. Sunt enim post se invicem, quae exsistunt temporibus diversis, quemadmodum simul sunt, quae exsistunt tempore eodem"1S. Dabei finden wir hier denselben Sachverhalt, den wir schon beim Existenzialurteil beobachtet haben. Es handelt sich um Aussagen, die in der Kritik als synthetische Sätze a priori bezeichnet werden, aber 1770 findet sich dieser Terminus noch nicht. Versucht man weiter zurückzugehen, so ist eine Bestimmung in der Untersuchung des Jahres 1764 wichtig. In der zweiten Betrachtung über die Methode, die höchstmögliche Gewißheit in der Metaphysik zu erlangen, bestreitet Kant, daß bis dahin eine echte Definition der Zeit gefunden sei. Kant geht von dem bekannten Wort Augustins aus: „Ich weiß wohl, was die Zeit sei, aber wenn mich jemand fragt, weiß ichs nicht"14. Wahrscheinlich hat Kant dieses Zitat aus Wolff übernommen; es findet sich in der Ontologie in der Abhandlung von der Zeit15. Kant sagt anschließend: „ . . . und ich getraue mir zu sagen: daß, obgleich man viel Wahres und Scharfsinniges von der Zeit gesagt hat, dennoch die Realerklärung derselben niemals gegeben worden ..."1 . Nun kann die behauptete analytische Herleitung der Sätze über die Zeit natürlich nur aus einer Realdefinition erfolgen, aus einer bloßen Nominaldefinition kann nichts bewiesen werden. Wie stark die Bedenken von Kant gegen die analytische Begriffstheorie schon damals waren, zeigt die Schlußbemerkung: „Hätte man so viele richtige Definitionen, als in Büchern unter diesem Namen vor-

§45: Der Raum

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kommen, mit welcher Sicherheit würde man nicht schließen und Folgerungen daraus ableiten können! Allein die Erfahrung lehrt das Gegentheil" ". Man wird nicht zweifeln können, daß hier der Keim der kritisch-transzendentalen Lehre über die Zeit vorliegt, wie weit Kant auch noch von der Entschiedenheit der späteren Jahre und ganz und gar von der Formulierung durch das synthetische Urteil a priori entfernt ist. $ 45 Der Raum Für unsere Untersuchungen sind die Probleme des Raumes denen der Zeit eng verwandt. Im Vordergrund stehen zwei analoge Sätze: Der Raum ist ein quantum continuum1; der Raum ist dreidimensional 2. Auch dies sind wieder sehr alte Sätze, insbesondere hat Aristoteles eingehend über die Stetigkeit des Raumes gehandelt. Für die klassische Physik ist der dreidimensionale stetige Raum eine Grundvoraussetzung. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach der logischen Struktur dieser Sätze nach begriffstheoretischen und beweistheoretischen Gesichtspunkten. Vom Standpunkt der analytischen Logik von Leibniz und Wolff ist auch hier die Antwort klar. Es muß einen Begriff des Raumes geben, und in ihm als dem Subjektbegriff müssen die Prädikatbegriffe der Stetigkeit und der Dreidimensionalität enthalten sein. Dieser Begriff muß sich in einer Definition darstellen lassen, und aus dieser Definition müssen auf analytischem Wege die Beweise fließen. In der Tat hat Leibniz eine Definition des Raumes gegeben. Er sagt im Briefwechsel mit Clarke: „l'Espace ... pour un ordre des Coexistences" und im Brief an Remond: „Spatium nihil aliud est praecise quam ordo coexistendi" 3. Mit geringfügigen Änderungen hat Wolff diese Definition übernommen: „Spatium est ordo simultaneorum, quatenus scilicet coexistunt" *. Aus dieser Definition des Raumes beweist dann Wolff in der Ontologie die Stetigkeit5. Es ist diese Auffassung des Raumes im Sinne der analytischen Logik der leibniz-wolffischen Schule, die Kant entschieden bestreitet. Der Raum ist gar kein Begriff: „Also ist die ursprüngliche Vorstellung vom Räume Anschauung a priori, und nicht Begriff" 6. „Der

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

Raum ist kein diskursiver oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt, sondern eine reine Anschauung" T. Insbesondere können die Vorstellungen des Außereinander und des Nebeneinander nicht dazu benutzt werden, den Raum zu definieren, sondern für diese Vorstellungen „muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen" 8. Es können also auch alle geometrischen Grundsätze nicht analytisch aus seiner Definition bewiesen werden9. Auch in der Auseinandersetzung mit Eberhard nimmt Kant auf diesen Sachverhalt Bezug: „ ... wie und durch welche Schlüsse will er nun die Vorstellung des Raums: daß er als vollständiger Raum drei Abmessungen habe, imgleichen von seinen dreierlei Grenzen, davon zwei selbst noch Räume, der dritte, nämlich der Punkt, die Grenze aller Grenze ist, aus seinen Begriffen von Monaden und der Verbindung derselben durch Kräfte herausbekommen?"10. Stellt man wiederum die Frage, wann Kant zu dieser Auffassung gekommen ist, so zeigt sich auch hier, daß diese Einsichten bereits 1770 vorlagen. Auch hier ist die Abhandlung vom Raum im § 15 weitgehend wörtlich in die Kritik übersetzt. Auch hier stellt Kant fest: „Conceptus spatii itaque est intuitus purus" u. Es kann also auch der Satz: Non dari enim in spatio plures quam tres dimensiones"ia nicht aus einer Definition des Raumes bewiesen werden. Auch die Definition des Raumes erweist sich als eine Zirkeldefinition: „Non enim aliquid ut extra me positum concipere licet, nisi illud repraesentando tanquam in loco, ab eo, in quo ipse sum, diverso, neque res extra se invicem, nisi illas collocando in spatii diversis locis"1S. Diese Thesen des Jahres 1770 lassen sich nun in die Schriften der Jahre 1763/64 verfolgen. Im ,einzig möglichen Beweisgrund' sagt Kant: „Ich zweifle, daß einer jemals richtig erklärt habe, was der Raum sei"14. Auch in der ,Untersuchung' sagt Kant dasselbe. Der Begriff vom Raum ist ebenso wie der der Zeit nur zum Teil auflösbar15. Von der Dreidimensionalität des Raumes sagt er kurz darauf: „Dergleichen Sätze lassen sich wohl erläutern, indem man sie in concrete betrachtet, um sie anschauend zu erkennen; allein sie lassen sich niemals beweisen" 1 . Es gibt eine merkwürdige Stelle in der Erstlingsschrift des jungen Kant, in der er die Frage der Dreidimensionalität berührt. Er sagt

§46: Die Geometrie

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dort, daß der von Leibniz in der Theodizee gegebene Beweis der Dreidimensionalität nicht richtig sei". Allein die kühne Vision des Dreiundzwanzigjährigen, daß die Geometrie beliebig-dimensionaler Räume die eigentliche Geometrie sei, ist später nicht zur Auswirkung gekommen, so daß man für unser Problem keine Schlüsse ziehen kann. Im ganzen kommen wir also beim Raum zum selben Ergebnis wie bei der Zeit. Die kantische These, die sich in der Behauptung von den synthetischen Sätzen a priori ausdrückt, ist schon sehr viel früher gewonnen, ohne daß dabei die Terminologie des synthetischen Satzes benutzt würde. Sie liegt 1770 völlig ausgereift vor, und sie ist auch bereits in den Schriften der Jahre 1763/64 vertreten.

5 46 Die Geometrie Die Frage, ob die Geometrie Axiome habe, ist einer der großen Kampfplätze zwischen der analytischen Auffassung von Leibniz und der synthetischen von Kant. Leibniz hat klar gesehen, daß die analytische Beweistheorie zur Voraussetzung hat, daß man die Axiome beweisen kann, und für Kant ist das geometrische Axiom der eigentliche Prototyp eines synthetischen Urteils a priori. Die Elemente von Euklid, das Grundbuch der Geometrie, sind axiomatisch aufgebaut. Die philosophischen Voraussetzungen dafür sind noch nicht geklärt. Ob und in welcher Weise Euklid von Platon oder von Aristoteles abhängt, wissen wir noch nicht. Bei diesem axiomatischen Aufbau mußte sofort die Frage auftaudien, ob die euklidischen Axiome echte Axiome sind, das heißt also, ob sie wirklich unbeweisbar sind, oder ob es sich nur um Sätze handelt, die an sich beweisbar sind, deren Beweis aber Euklid noch nicht kannte, und die er deshalb vorläufig als Axiome voranstellte. Die Beweisversuche sind alt. Wir haben bereits die Stelle aus den Nouveaux Essais zitiert, an der Leibniz darauf hinweist, daß schon Apollonius und Proklus Beweise der euklidischen Axiome gesucht haben1. Leibniz hat die Aufgabe in voller Klarheit erkannt, und sehr viel Mühe auf solche Beweise verwandt. Den vollen Umfang wird man erst übersehen können, wenn die hierher gehörenden mathematischen Stücke des Nach-

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

lasses ediert sind. Bis jetzt haben wir die Abhandlung von Leibniz zum ersten Buch der Elemente2 und zahlreiche Hinweise in Schriften und Briefen, von denen die in den Nouveaux Essais von besonderer Bedeutung sind. Der beweistheoretischen Forderung von Leibniz folgt Wolff in vollem Umfang. Er sagt ausdrücklich: „Notandum nimirum, eo minorem fieri axiomatum numerum, quo sufficientius notiones evolvuntur. Immo si verum fateri fas est, vera axiomata non sunt nisi propositiones identicae" s. In diesem Sinn sind auch die mathematischen Lehrbücher von Wolff aufgebaut. Im Auszug aus den Anfangsgründen, dem eigentlichen studentischen Lehrbuch, das auch Kant seinen mathematischen Vorlesungen zugrunde gelegt hatte, gibt Wolff acht Axiome4. Die Anfangsgründe selbst gaben noch neun Axiome. Der Unterschied rührt daher, daß das vierte Axiom der Anfangsgründe im Auszug zu einem Zusatz zum dritten Axiom, also zu einem beweisbaren Satz geworden ist5. Die Elementa Matheseos stellen die lateinische und wesentlich verbesserte Form der Anfangsgründe dar. In der ersten Auflage von 1713 finden sich zwei Axiome und zwei Postulate der Geometrie6. In der Ausgabe von 1743 finden sich nur noch die beiden Postulate. Die beiden Axiome sind Corrolarien zu Definitionen, also beweisbare Sätze geworden7. In bewußtem Gegensatz zu Leibniz und Wolff vertritt Kant den Standpunkt, daß die Geometrie echte Axiome hat. In diesem Sinne wird in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft das dritte Raumargument durch den Satz eingeleitet: „Auf diese Notwendigkeit a priori gründet sich die apodiktische Gewißheit aller geometrischen Grundsätze, und die Möglichkeit ihrer Konstruktionen a priori"8. Dies dritte Raumargument ist in der zweiten Auflage zu einem besonderen Paragraphen: ,Transzendentale Erörterung des Begriffs vom Räume', ausgearbeitet. Hier wird grundsätzlich gesagt: „Also macht allein unsere Erklärung die Möglichkeit der Geometrie als einer synthetischen Erkenntnis a priori begreiflich" 9. Diese Veränderung der zweiten Auflage zeigt, wie sehr sich für Kant das Gewicht des synthetischen Charakters der Geometrie verstärkt hat. Nun hat zwar auch die Einleitung der ersten Auflage einen besonderen Abschnitt: Von dem Unterschiede analytischer und syn-

§46: Die Geometrie

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thetisdier Urteile. Hier zieht Kant aber keine mathematischen Urteile heran, als Beispiel für ein synthetisches Urteil bringt er lediglich den Satz: „Alles, was geschieht, hat seine Ursache"10. Erst in den Prolegomena geht Kant ausführlich auf die mathematischen Urteile ein, um dann diesen Abschnitt fast wörtlich in die zweite Auflage der Kritik zu übernehmen. Kant sagt sofort ganz allgemein: „Mathematische Urteile sind insgesamt synthetisch"11. Wenn Kant dann sagt: „Dieser Satz scheint den Bemerkungen der Zergliederer der menschlichen Vernunft bisher entgangen ...", so sind damit gewiß Leibniz und Wolff gemeint. Sie sind ebenfalls gemeint, wenn Kant kurz darauf sagt: „so überredete man sich, daß auch die Grundsätze aus dem Satze des Widerspruchs erkannt würden, worin sie sich sehr irrten" ". Hier ist die leibnizwolffsche Forderung des Beweises der Axiome unmißverständlich bezeichnet. Kant sagt dann ausdrücklich noch: „Ebensowenig ist irgendein Grundsatz der reinen Geometrie analytisch" 1S. Er gibt sofort als Beispiel das Axiom: „Daß die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei, ist ein synthetischer Satz". Die Auseinandersetzung mit der analytischen Beweistheorie setzt noch an einem zweiten Punkt an. Die analytische Beweistheorie behauptet, daß alle Beweise aus Definitionen und identischen Sätzen geführt werden müssen. Dann müssen die auf die Gerade und auf die Ebene bezüglichen geometrischen Axiome aus Definitionen der Geraden und der Ebene bewiesen werden. Ob es aber überhaupt eine Definition der Geraden und der Ebene gibt, das ist schon immer strittig gewesen. Euklid gibt zwar zu Beginn seiner Elemente eine Reihe von Definitionen und darunter eine Definition der Geraden und der Ebene; die Definition der Geraden lautet: „Recta linea est, quaecunque ex aequo punctis in ea sitis iacet" ". Aber es ist schon früh aufgefallen, daß Euklid in seinen Beweisen diese Definition gar nicht benutzt. Diese Schwierigkeit ist oft gesehen worden, und auch Leibniz hat die Notwendigkeit einer neuen Definition der Geraden erkannt. Er hat unter anderen folgende Definition vorgeschlagen: „Recta est linea, cujus pars quaevis est similis toti" 15. Auf diese Schwierigkeiten hat er insbesondere in den Nouveaux Essais hinge wiesen: „Daher mußte Euklid, da er keine distinkt ausgedrückte Idee, d. h. keine Definition der Geraden besaß (denn die, die er vorläufig aufstellt, ist dunkel und hilft

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

ihm bei seinen Beweisen nicht) ..." ". Leibniz sagt anschließend, daß Archimedes die Gerade als die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten definiert habe, daß aber auch diese Definition nicht befriedigend sei17. Die Frage, ob es eine echte Definition der Geraden gibt, muß nach der, wie ich glaube, richtigen Überzeugung von Kant verneint werden. Bereits Aristoteles hat es ausgesprochen: Man kann nicht alles beweisen, und man kann nicht alles definieren. Dies ist unzweifelhaft, wenn man die aristotelischen Begriffe von Definieren und Beweisen zugrunde legt. In einem gewissen Umfang gilt es auch für Leibniz. Die Definition beruht nach Leibniz auf der Zerlegung eines zusammengesetzten Begriffes in seine Teilbegriffe. Daraus folgt, daß ein einfacher, nicht mehr auflösbarer Grundbegriff nicht definiert werden kann. So einleuchtend diese Regel von Leibniz ist, so wenig bringt sie praktisch. Von keinem Begriff, den wir kennen, läßt sich mit Sicherheit feststellen, daß er ein unauflösbarer Grundbegriff ist, vielmehr sind in aller Regel die uns vorkommenden Begriffe zusammengesetzt und also definierbar. Dies hat Leibniz durchzuführen versucht, und auf diesem Grundgedanken von Leibniz baut auch Wolff auf. Die Gerade gehört jedenfalls sowohl für Leibniz wie für Wolff zu den definierbaren Begriffen. Die Bedenken gegen diesen Umfang der Definierbarkeit setzt Kant in der Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft auseinander. Dort unterscheidet er die Mathematik dadurch von der Philosophie, daß nur die Mathematik im eigentlichen Sinne definieren kann: „mithin hat nur die Mathematik Definitionen"18. Die Abhandlung über die Methode, wie sie in der Kritik der reinen Vernunft gegeben wird, ist offensichtlich eine Weiterführung des in der ,Untersuchung' von 1764 gegebenen Methodenbegriffes. Auch hier sind Definitionen im eigentlichen Sinne auf die Mathematik beschränkt. Aber nicht einmal die Mathematik kann alles definieren, wenn sie auch beispielsweise den Kreis definieren kann19: „Der Begriff der Größe überhaupt, der Einheit, der Menge, des Raums u.s.w. sind zum mindesten in der Mathematik unauflöslich, nämlich ihre Zergliederung und Erklärung gehört gar nicht für diese Wissenschaft"20. Man wird annehmen können, daß unter die durch das ,u.s.w.' gemeinten Begriffe auch der Begriff der Geraden gehört.

§46: Die Geometrie

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Unter dieser Voraussetzung werden die kantischen Bestimmungen verständlich. Kant weist immer wieder darauf hin, daß die geometrischen Sätze nicht aus den Definitionen der in ihnen enthaltenen Begriffe analytisch bewiesen werden können. So sagt er von dem Satz, daß die Winkelsumme im Dreieck zwei Rechte beträgt: „Er kann den Begriff der geraden Linie, oder eines Winkels, oder der Zahl drei zergliedern und deutlich machen, aber nicht auf andere Eigenschaften kommen, die in diesen Begriffen gar nicht liegen"21. Dasselbe sagt er in der Ästhetik: „So werden auch alle geometrischen Grundsätze, z. E. daß in einem Triangel zwei Seiten zusammen größer sind, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel ... abgeleitet" . Schließlich kann auch in dem Satz, daß die gerade Linie die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist, das Prädikat nicht aus dem Subjektbegriff der Geraden analytisch gewonnen werden23. Die Auffassung der Geometrie durch Kant kann in zwei Thesen zusammengefaßt werden: Die Geometrie hat echte Axiome; die Sätze der Geometrie können nicht aus Definitionen analytisch gewonnen werden. Dies sind zwei wichtige Fundamente für die Lehre vom synthetischen Urteil a priori. Fragen wir wieder nach der Entwicklung dieser Auffassung, so können wir auch hier davon ausgehen, daß vor 1781 diese Auffassung nicht in der Terminologie des synthetischen Urteils a priori ausgedrückt wird. Der Sache nach aber findet sie sich auch hier schon früher. Auch hier bildet wieder die Dissertation des Jahres 1770 einen klaren Abschnitt: „Hüne vero intuitum purum in axiomatibus geometriae et qualibet constructione postulatorum s. etiam problematum mentali animadvertere proclive est" **. Hier spricht Kant also ausdrücklich von den Axiomen und Postulaten der Geometrie, und er setzt seine Meinung durch die Beispiele außer Zweifel: Der Raum hat drei Dimensionen; zwischen zwei Punkten gibt es nur eine Gerade; um jeden Punkt läßt sich mit jeder Geraden ein Kreis beschreiben. In der späteren Terminologie sind alle diese Sätze synthetische Urteile a priori. Diese Anschauung vom axiomatischen Charakter der Geometrie findet sich auch schon in den Schriften von 1762/63. Die kleine Schrift

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

über die falsche Spitzfindigkeit schließt Kant mit den Sätzen: „Diejenige Weltweise irren, die so verfahren, als wenn es gar keine unerweisliche Grundwahrheiten außer einer gebe. Diejenigen irren eben so sehr, die ohne genügsame Gewährleistung zu freigebig sind, verschiedene ihrer Sätze dieses Vorzugs zu würdigen" 25. Mit den ersteren sind natürlich Leibniz und Wolff gemeint, die nur den Satz vom Widerspruch als unerweisliche Grundwahrheit anerkennen. Unter den letzteren ist gewiß in besonderer Weise Crusius zu verstehen, dessen Logik in dieser Schrift schon zu einer früheren Frage herangezogen wird 26 , und dessen Lehre von den unerweislichen Grundwahrheiten in der ,Untersuchung über die Deutlichkeit* kritisch besprochen wird 2T . Es kann wohl kein Zweifel sein, daß unter diese unerweislichen Grundwahrheiten auch die Axiome der Geometrie gehören. Der axiomatische Charakter der Geometrie wird auch an anderen Stellen der vorkritischen Schriften ausgesprochen28. Ich habe mich in dieser Darstellung auf die Axiome der Geometrie beschränkt. Was die Axiome der Arithmetik betrifft, so halte ich an der Darstellung meiner Dissertation fest. Kant betrachtet auch die arithematischen Urteile als synthetische Urteile a priori, in den uns vorliegenden Schriften begründet er dies aber immer nur mit dem konstruktiven und niemals mit dem axiomatischen Charakter der Arithmetik. Dabei ist es merkwürdig, daß mehrere direkte Kantschüler Lehrbücher der Mathematik geschrieben haben, und daß in diesen Lehrbüchern auch die Arithmetik axiomatisch aufgebaut ist. Geht man diesem Zusammenhang nach, dann sieht man, daß die Axiome der Arithmetik, soweit bis jetzt bekannt ist, zum ersten Mal von Joh. Schultz, dem Freund und Kollegen Kants, publiziert sind ^, Forscht man ihm weiter nach, dann stößt man im Briefwechsel zwischen Kant und Schultz auf einen merkwürdigen Sachverhalt. Schultz hatte das Manuskript seines Kommentars zur Kritik Kant zur Durchsicht vorgelegt. In diesem Manuskript war nur die Geometrie als eine synthetische, die Arithmetik aber als eine analytische Wissenschaft behandelt worden. Kant äußerte Bedenken und bat Schultz um eine Unterredung. In dieser Unterredung muß Kant Schultz vom Gegenteil überzeugt haben, denn im Druck ist auch die Arithmetik als eine synthetische Wissenschaft bezeichnet, und zwar mit besonderem Bezug auf die Axiome der Arithmetik. Dann muß also der axiomatische

§ 4/: Die Kausalität

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Charakter der Arithmetik, also die beiden Axiome der Arithmetik, entweder von Schultz oder von Kant entdeckt worden sein. So lange nicht bisher unbekannte Unterlagen auftauchen, ist eine sichere Entscheidung der Frage nicht möglich. Bei Erwägung aller Umstände scheint es mir nach wie vor richtig, nicht Schultz sondern Kant als den Entdecker der Axiome der Arithmetik zu betrachten. In den vorkritischen Schriften finden sich keine dezidierten Aussagen über den Charakter der Arithmetik, so daß diese Frage für die historische Betrachtung bedeutungslos bleibt. Das gleiche gilt von den Grundsätzen der allgemeinen Größenlehre. Nach der Darstellung der Prolegomena, wie sie auch in die zweite Auflage der Kritik übernommen worden ist, sind die Sätze der allgemeinen Größenlehre analytische Urteile. Das bedeutet, daß in der logischen Auffassung der Sätze der allgemeinen Größenlehre Kant an der analytischen Auffassung von Leibniz und Wolff festhält. Einen Bezug auf diese Sätze habe ich in den vorkritischen Schriften nicht finden können. Es ist sehr bedauerlich, daß uns von Herders Nachschrift der kantischen Mathematikvorlesung nur wenige Blätter vorliegen30. Es wäre sicherlich sehr interessant zu sehen, auf welcher Auffassung der Mathematik diese Vorlesungen beruht haben. Bei Herder selbst möchte ich glauben, daß nicht die weiteren Blätter verlorengegangen sind, vielmehr dürfte der junge Herder nur allzubald das Interesse an der Mathematikvorlesung verloren haben. 5 47 Die Kausalität Das Kausalgesetz erscheint bei Kant in verschiedenen Formen. Als die eigentlich kritische Form muß man die zweite Analogie betrachten, die allerdings in den beiden Auflagen verschieden formuliert ist. Die erste Auflage sagt: „Alles, was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt"1. Die zweite Auflage verbessert: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung von Ursache und Wirkung"2. An mehreren Stellen setzt Kant den Satz vom zureichenden Grunde, das principium rationis sufficientis, mit jenem gleich, obwohl dieser Satz an sich weiter reicht.

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

In den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft erscheint eine noch konkretere Form im zweiten Gesetz der Mechanik: „Alle Veränderung der Materie hat eine äußere Ursache"s. Es wird deutlich, daß dieses kantische zweite mechanische Gesetz dem zweiten newtonschen Axiom entspricht, Kant macht aber auch deutlich, daß diesem zweiten mechanischen Gesetz die zweite Analogie zugrunde liegt. Für uns ist der Unterschied der verschiedenen Formen ohne Bedeutung, sicher ist nur, daß für Kant das Kausalgesetz ein synthetisches Urteil a priori ist. Kant bestreitet also den analytischen Charakter des Kausalgesetzes. Die Frage nach der Entstehung dieser Lehre, die eng mit der Frage nach dem Verhältnis Kants zu Hume zusammenhängt, ist das Ziel zahlreicher Untersuchungen gewesen, und ist in fast allen allgemeinen Kantdarstellungen behandelt. Wir können uns hier damit begnügen, die beiden Punkte zu fixieren, die feststehen. In den Schriften der Jahre 1762 bis 1764 bezweifelt Kant bereits den analytischen Charakter des Kausalgesetzes, in der ,Dilucidatio' dagegen steht er durchaus auf dem Boden der analytischen Auffassung. Die vielleicht prägnanteste Stelle ist der ,Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen*. In diesem Versuch des Jahres 1763 hängt Kant an den Schluß eine allgemeine Anmerkung und nimmt dabei zum Kausalproblem Stellung: „Was nun diesen Realgrund und dessen Beziehung auf die Folge anlangt, so stellt sich meine Frage in dieser einfachen Gestalt dar: wie soll ich es verstehen, daß, weil Etwas ist, etwas anderes sei?" *. Er sagt dann gegen Schluß der Anmerkung in einer freilich noch etwas dunklen Weise: „Ich habe über die Natur unseres Erkenntnisses in Ansehung unserer Urtheile von Gründen und Folgen nachgedacht, und ich werde das Resultat dieser Betrachtungen dereinst ausführlich darlegen"B. Es kann kein Zweifel sein, daß die Kritik der reinen Vernunft als die Einlösung dieses Versprechens zu betrachten ist, mag auch zwischen 1763 und 1781 eine geraume Zeit liegen. Die Nova Dilucidatio steht, wir sagten dies schon im vorigen Kapitel, völlig auf dem analytischen Standpunkt der leibniz-wolffischen Schule. Dies gilt nun besonders davon, daß diese Schrift einen analytischen Beweis des Satzes vom zureichenden Grunde enthält, und

§48: Verschiedene Begriffe

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daß die von Kant neu gegebenen und bewiesenen Sätze als Corollarium zum principium rationis sufficientise, beziehungsweise als „bina principia ... e principio rationis determinantis fluentia"7 bezeichnet werden. Der in der Sectio II gegebene Beweis8 steht durchaus auf dem Boden der analytischen Logik. Er beginnt mit Definitionen und wird dann mit Hilfe des Satzes vom Widerspruch durchgeführt. So ist denn auch dieser vorkritische kantische Beweis unter die spätere kritische Ablehnung zu rechnen: „In Ermanglung dieser Methode, und bei dem Wahne, synthetische Sätze, welche der Erfahrungsgebrauch des Verstandes als seine Prinzipien empfiehlt, dogmatisch beweisen zu wollen, ist es denn geschehen, daß von dem Satze des zureichenden Grundes so oft, aber immer vergeblich ein Beweis ist versucht worden" 9. Wir erhalten also auch beim Kausalproblem dasselbe Ergebnis. Die kantische These wird endgültig in der Formulierung des synthetischen Urteils ausgedrückt, sie ist aber schon sehr viel früher gewonnen, mindestens in der Zeit von 1762 bis 1764, aber in dieser Zeit wird der Terminus des synthetischen Urteils noch nicht benutzt. 48

Verschiedene

Begriffe

Das synthetische Urteil beschränkt sich nun nicht auf diejenigen Begriffe, die wir im Gang der bisherigen Untersuchung analysiert haben, man wird vielmehr sagen können, daß in aller Regel jeder Begriff, sofern überhaupt Erkenntnis möglich ist, sowohl analytische als auch synthetische Urteile nach sich zieht. Daraus würde dann folgen, daß in einer Untersuchung über die Entstehung der Unterscheidung im Grunde genommen jeder Begriff auftauchen kann, und dies ist nun in einem gewissen Sinne auch der Fall. Dies zeigt sich deutlich an einer Stelle der , Untersuchung' von 1764, die wir schon herangezogen haben: „Allein man sieht gleich zum voraus, daß es unvermeidlich sei, in der Zergliederung auf unauflösliche Begriffe zu kommen ... Daher viele beinahe gar nicht aufgelöset werden können, z. E. der Begriff einer Vorstellung, das Neben einanderoder Nach einander sein, andere nur zum Theil, wie der Begriff vom Räume, von der Zeit, von dem mancherlei Gefühle der mensch-

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

liehen Seele, dem Gefühl des Erhabenen, des Schönen, des Ekelhaften u.s.w...."*. Hier handelt es sich also außer den Begriffen, die wir bereits betrachtet haben, besonders um die Begriffe des Schönen und Erhabenen. Soweit sie aufgelöst werden können, ziehen sie analytische Urteile nach sich, soweit sie unauflöslich sind, müssen sich synthetische Urteile ergeben. Kurz vorher, am Anfang des § 3, hat Kant das Problem speziell auf die Mathematik bezogen: „Der Begriff der Größe überhaupt, der Einheit, der Menge, des Raumes u.s.w. sind zum mindesten in der Mathematik unauflöslich, nämlich ihre Zergliederung und Erklärung gehört gar nicht für diese Wissenschaft"2. Welche Schwierigkeiten die Definition so elementarer Begriffe mit sich bringt, können wir heute noch besser übersehen, als damals Kant. Allerdings waren die Schwierigkeiten in einem gewissen Sinne schon immer bekannt. Der Begriff der Größe muß ja auf das engste mit der Kategorie der Quantität zusammenhängen, und also in alle Schwierigkeiten der Definition einer so allgemeinen Kategorie verflöchten sein. Welche Schwierigkeiten die Definition des allgemeinen Begriffs der Menge mit sich bringt, das ist erst in unserem Jahrhundert wirklich deutlich geworden. Es müssen für alle diese Begriffe sowohl synthetische als auch analytische Urteile existieren, und auf jeden Fall beweist die Nennung so verschiedener Begriffe in der ,Untersuchung' des Jahres 1764, wie weit Kant schon damals das Problem gesehen hat. Hierher gehört auch der Begriff der Ähnlichkeit. Leibniz hat sich um diesen Begriff sehr bemüht, und schließlich folgende Definition gegeben: „si duo sint simila, ea per se sigillatim discerni non possunt"3. Wolff nimmt in Anspruch, diese Definition noch verbessert zu haben: „Simila sunt, quae non possunt distingui nisi per compraesentiam" *. Kant bleibt auch hier skeptisch: „So hat Wolff die Ähnlichkeit in der Geometrie mit philosophischem Auge erwogen, um unter dem allgemeinen Begriffe derselben auch die in der Geometrie vorkommende zu befassen. Er hätte es immer können uriterwegens lassen ..." 5. Kant macht dann eine Bemerkung, die ein sehr tiefliegendes Problem berührt: „Dem Geometra ist an der allgemeinen Definition der Ähnlichkeit überhaupt gar nichts gelegen. Es ist ein Glück für die Mathematik, daß, wenn bisweilen durch eine übelverstandene Obliegenheit der Meßkünstler sich mit solchen analytischen Erklärungen

§48: Verschiedene Begriffe

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einläßt, doch in der That bei ihm nichts daraus gefolgert wird, oder auch seine nächste Folgerungen im Grunde die mathematische Definition ausmachen" e. Wenn Kant hier sagt, daß aus gewissen geometrischen Definitionen nichts gefolgert wird, so hat er wahrscheinlich die euklidische Definition der Geraden im Auge. Wenn er sagt, daß die nächsten Folgerungen im Grunde die mathematische Definition ausmachen, so kann er nur die implizite Definition durch Axiome gemeint haben. In unserer Zeit hat David Hubert diesen Weg grundsätzlich eingeschlagen, ohne allerdings eine völlig befriedigende Lösung erreicht zu haben. Zu interessanten Bemerkungen Kants kommt es im Zusammenhang mit Herder. Kant notiert sich: „Von meinem ältesten mit Papier durchschossenen Baumgartenschen Handbuch der Philosophie da Herder mein Zuhörer war. Raum, Zeit und Kraft. Lange vor der Kritik" 7. Das Exemplar selbst ist nicht erhalten. Was gemeint ist, ergibt sich aus dem losen Blatt 29: „Alle ideen der metaphysik sind analytisch ausser von Raum, Zeit und Kraft" 8. Aus Herders Vorlesungsnachschriften, den einzigen, die wir aus dieser frühen Zeit besitzen, läßt sich wiederum erschließen, wie Kant dies gemeint hat. Kant hat im Anfang seiner Mathematikvorlesung eine systematische Gliederung der verschiedenen Disziplinen der Mathematik gegeben, so wie sie bei Wolff einfach hintereinander aufgeführt sind. Kant gliedert *: Raum: Geometrie, Aerometrie Zeit: Gnomonik, Chronologie Kraft: Phoronomie, Mechanik, Astronomie, Geographie, Akustik, Optik, Katoptrik, Dioptrik, Hydraulik, Statik, Hydrostatik Hier werden also unter Kraft die physikalischen Disziplinen, wie sie in Wolffs mathematischen Lehrbüchern abgehandelt werden, zusammengefaßt. Dem entspricht auch eine Gliederung in der Metaphysiknachschrift 10: Unauflösliche Begriffe: A) Das Seyn, das man durch nichts Sein hat erklären wollen. Das, was ist, ist Etwas, und anderes, was da ist, ohn' es nicht dasselbe ist

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

B) a) neben einander b) nach einander c) durch einander Hier bezeichnet das neben einander offenbar den Raum, das nach einander die Zeit, und das durch einander die Kraft. In dieser Gliederung bezieht sich also die Kraft auf die Physik. Dann bedeutet der synthetische Charakter von Raum, Zeit und Kraft der soeben wiedergegebenen Bemerkung, daß die durch die Kraft bezeichnete Physik im Sinne von Wolff zur Mathematik zu rechnen ist. Es hat also die Physik an dem synthetischen Charakter der Begriffsbildung der Mathematik im Sinne der ,Untersuchung' des Jahres 1764 teil, das heißt also, die Begriffe der Physik werden durch synthetische Begriffsbildung im Sinne der willkürlichen Begriffsbildung gewonnen. Synthesis hat also in der Zeit, da Herder der Zuhörer Kants war, noch nicht den späteren spezifisch kritischen Sinn dieses Terminus. Vielmehr heißt synthetisch in bezug auf die Kraft, daß die Physik ebenso wie die Arithmetik und die Geometrie synthetisch zu willkürlichen Definitionen kommt, im Gegensatz zu den analytischen Definitionen der Philosophie. $ 49 Zusammenfassung der entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung Unsere Untersuchung hatte das erste Ergebnis dahin erzielt, daß die Lehre vom analytischen und synthetischen Urteil in dieser terminologisch dezidierten Form zum ersten Mal in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft 1781 auftritt. Die darauf bezüglichen Erörterungen sind in der Prolegomena wesentlich verstärkt, und in dieser intensivierten Form in die zweite Auflage übernommen. Die terminologische Ausbildung der Lehre fällt also in das Jahrzehnt der siebziger Jahre. Aus der Intensivierung in der Prolegomena darf man wohl schließen, daß die terminologische Ausbildung eher an das Ende als an den Anfang dieses Jahrzehnts zu setzen ist. Es zeigte sich aber, daß Kants Lehre vom Existenzialurteil zwar in der Terminologie des synthetischen Urteils ausgedrückt werden kann, daß aber auch noch eine andere Darstellung möglich ist, nämlich durch

§ 49: Zusammenfassung

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die These: Dasein ist kein reales Prädikat. In dieser Form gibt der ,einzig mögliche Beweisgrund' die These schon im Jahre 1763. In ähnlicher Weise sind eine Reihe von Aussagen über den Raum und die Zeit, die in der Kritik durch das synthetische Urteil ausgedrückt werden, in der Dissertation des Jahres 1770 getroffen, ohne daß der Terminus des synthetischen Urteils gebraucht wird. Dies legt auch hier die Untersuchung nahe, ob das, was in der Kritik durch die Unterscheidung des analytischen und synthetischen Urteils ausgesagt wird, nicht auch schon früher in den vorkritischen Schriften gesagt wird, selbst wenn die Terminologie des synthetischen Urteils nicht gebraucht wird. Es ergab sich, daß fast alle sachlichen Fragen schon früher in den vorkritischen Schriften behandelt werden. Schon früh gewinnt Kant seine Gegenstellung gegen die analytische Logik von Leibniz und Wolff. Das Problem wird freilich dadurch subtil, daß Kant die analytische Logik keineswegs ganz aufgibt, sondern daß er sie im Begriff des analytischen Urteils weiterführt. Dann muß freilich das analytische Urteil eine größere Bedeutung haben, als man bisher angenommen hat, und dies läßt sich in der Tat zeigen; es findet sich nicht nur in der formalen Logik und in der allgemeinen Größenlehre, sondern auch in der Arithmetik, in der Geometrie, in der Metaphysik, in der Transzendentalphilosophie, in der Moralphilosophie. Von hier aus gesehen, bedeutet Kants Stellung keineswegs eine völlige Ablehnung von Leibniz. Kant will nur sagen, daß keineswegs alle Urteile im Sinne der analytischen Logik verstanden werden könne, nämlich gerade die wichtigsten nicht. Es ist also dann zu fragen, welche Urteile analytische Urteile im Sinne der leibniz-wolffischen Logik bleiben. Das beste Beispiel ist wohl der Satz vom zureichenden Grunde. Dieser große, von Leibniz entdeckte und von Wolff zur wesentlichen Grundlage der Ontologie erhobene Satz ist und bleibt für Kant ein wahrer Satz. Kant bestreitet lediglich seine analytische Interpretation. Der Satz vom zureichenden Grunde kann weder im Sinne der analytischen Urteilstheorie dahin aufgefaßt werden, daß das Prädikat im Subjekt enthalten sei, noch kann er im Sinne der analytischen Beweistheorie allein aus Definitionen und dem Satze des Widerspruchs bewiesen werden. Es beleuchtet die Sachlage, daß im Jahre 1755 Kant selbst einen analytischen Beweis gegeben hat. Kann der Satz vom zureichenden Grunde nicht analytisch bewiesen werden, dann stellt sich

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Kap. 8: Analytisches und synthetisches Urteil

freilich die eigentlich kritische Frage, auf welchem anderen Wege er bewiesen werden kann. Hier werden auch die Grenzen der Position der Jahre 1762-64 deutlich. Von allen wesentlichen Sachverhalten hat Kant bereits erkannt, daß sie nicht analytisch bewiesen werden können. Von dem transzendentalen Beweis aber der synthetischen Sätze ist Kant noch weit entfernt. In den Jahren 1762-64 findet sich nicht nur kein transzendentaler Beweis, nicht einmal die Aufgabe ist klar gesehen. Daß von den fundamentalen synthetischen Sätzen transzendentale Beweise gegeben werden können, und dann auch faktisch gegeben werden, das ist die eigentliche Leistung des kritischen Denkens. Betrachtet man dies als die eigentliche Leistung der Lehre vom synthetischen Urteil, so findet sich nichts davon in diesen vorkritischen Schriften. Aber der erste Schritt dazu, daß dies nicht analytische Sätze sein können, der findet sich freilich in den Publikationen der Jahre 1762-64, und die Erwägungen Kants zu diesem Problem dürften aller Wahrscheinlichkeit nach bereits einige Jahre vor 1762 begonnen haben. Es läßt sich aber mit Sicherheit zeigen, daß die vorkritischen Schriften den kritischen Grundgedanken noch nicht haben.

QUELLENVERZEICHNIS Einleitung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Leibniz WW VI, 598. VI, 607 Leibniz WW VI, 618 Leibniz WW VI, 618 Leibniz WW VI, 609 Vgl. Hegel WW 19,461 Hegel WW 19, 464 Eduard Dillmann, Eine neue Darstellung der Leibnizischen Monadenlehre auf Grund der Quellen, Leipzig 1891, s. 480 Leibniz WW II, 486 Leibniz WW V, 132 Leibniz WW VII, 401 Leibniz WW II, 438 Leibniz WW II, 435 Leibniz WW VI, 621 ff. Leibniz WW VI, 622 Hegel WW 19,454 Kam WW VIII, 250

1. Kant WW II, vom Raum s. 403, von der Zeit s. 400 2. Refl. 3785, 3902, 5297, 5404, 5650 und Hans Vaihinger, Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Bd. II, Stuttgart 1892, s. 130 ff. 3. Platon Timäus 49 A 4. Aristoteles Physik IV, l: 209 a 23 f. 5. Leibniz WW VII, 373 6. Leibniz WW VII, 383 7. H. Vaihinger, Comm. II, 133 8. Leibniz WW VII, 363; VII, 373 9. G. Martin, W. v. Ockham. Berlin 1949, s. 99 ff.

10. Leibniz WW II, 304 11. Suarez, Disp. Met. D. 47, WW XXVI, 781 f. 12. G.Martin, W. v. Ockham, s. 99 ff. 13. Leibniz WWII, 517 14. Leibniz WWII, 515 15. Vgl. Leibniz WW II, 486 16. Leibniz WW II, 438

$2

1. Leibniz WW VII, 355 2. An vielen Stellen, etwa Leibniz, Mathematische Schriften, hrsg. v. C.J.Gerhardt. Berlin 1849 ff., Bd. V, s. 183 ff. 3. G. Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus. Mailand 1733 4. F. Engel und P. Stäckel, Die Theorie der Parallellinien von Euklid bis auf Gauss. Leipzig 1895 5. Leibniz WW VI, 323 6. Kant WW 1,23 f. 7. A 732 B 760 8. Leonard Nelson, Bemerkungen über die Nicht-Euklidische Geometrie und den Ursprung der mathematischen Gewißheit. Abhandlungen der Fries'schen Schule. Neue Folge, Bd. I, 1906, s. 373—430. Wilhelm Meinecke, Die Bedeutung der Nicht-Euklidischen Geometrie in ihrem Verhältnis zu Kants Theorie der mathematischen Erkenntnis. Kantstudien 11, 1906, s. 209—232. Paul Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften (Wissenschaft und

Quellenverzeichnis

314

9.

10. 11. 12.

Hypothese, XII.), 2. Aufl., Leipzig 1921, s. 309 f. Oskar Becker, Mathematische Existenz. Untersuchungen zur Logik und Ontologie mathematischer Phänomene. Jahrbudi für Philosophie und phänomenologisdie Forschung, VIII 1927, s. 737. Herbert James Paton, Kant's Metaphysic of Experience. A Commentary on the First Half of the Kritik der reinen Vernunft. London 1936 (2. Aufl. 1951), Bd. I, s. 160 f. G. Martin, Arithmetik und Kombinatorik bei Kant. Itzehoe 1938, s. 45 f. Zum synthetischen Charakter des Schlusses von n auf n-1: Henri Poincaro, Wissenschaft und Hypothese. Deutsche Ausgabe, 2. Aufl., Leipzig 1906, s. 13 Vgl. die Spezialliteratur bei H. Vaihinger, Comm. I, 253—292 G. Martin, Arithmetik und Kombinatorik bei Kant, s. 24 ff. David Hubert, Grundlagen der Geometrie (Wissenschaft und Hypothese, VII.), 5. Aufl. Leipzig 1922, s. 2 und s. 238

S3 1. Kant WW VIII, 191 A 2. Kant WW VIII, 192 3. Zum Zusammenhang des Intuitionismus mit Kant und den Neukantianern: A. Heyting, Die intuitionistisdie Grundlegung der Mathematik. Erkenntis II, 1931, s. 106 und O.Becker, a.a.O. s. 738. 4. Zur Bedeutung der Anschauung vgl. besonders die Arbeiten der Intuitionisten, von anderer Seite etwa O. Becker, a.a.O. besonders s. 668 ff., und Georg Hamel, Über die philos. Bedeutung der Mathematik, s. 11 ff. 5. Zum Problem der Spontaneität vgl. besonders O. Becker, a.a.O. passim. D. Hubert, Grundlagen der

6. 7. 8.

9.

Geometrie, Leipzig, 5. Aufl. 1911. G. Hamel, Über die philos. Bedeutung der Math. s. 7. P. Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, 2. Aufl., Leipzig 1921. Richard Dedekind, Was sind und was sollen die Zahlen?, 6. Aufl., Braunschweig 1930, s. III. Aristoteles, Physik IV, 14: 223 a 22. Hermann Weyl, Die heutige Erkenntnislage in der Mathematik. Symposion I, 1927, s. 23. Die Beachtung der Spontaneität will den Gegebenheitscharakter der Mathematik, wie er besonders von Plato betont worden ist, nicht aufheben. Die Möglichkeit einer Lösung muß wohl in der Dialektik gesucht werden. G. Martin, Arith. und Komb. bei Kant, s. 45 ff. Leibniz WW V, 394 Zum konstruktiven Charakter der Arithmetik vgl. besonders O. Becker, Mathematische Existenz, etwa s. 621 ff. Auch die formale Logik kann nach unseren heutigen Einsichten nicht allein aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden, sie ist vielmehr axiomatisch und konstruktiv. Sie muß daher nach der kantischen Definition als eine synthetische Wissenschaft bezeichnet werden. Ich stimme hier Ernst Cassirer, Kant und die moderne Mathematik, Kantstudien 12, 1907, s. 37 und den dort angegebenen Stellen von Bertrand Russell, The principles of mathematics, 1903, § 434 und A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, 1900 (5. Aufl. 1958), § 11 und 12, völlig zu. Wittgenstein und ihm folgend viele Neuere, unter ihnen besonders Carnap und Behmann, sind zu einem anderen Ergebnis gekommen, weil sie eine andere Definition des Begriffs .analytisch' zugrunde legen.

315

Quellen Verzeichnis $4

1. 2. 3. 4. 5.

6. 7. 8.

Leibniz WW II, 517 Kant WWII, 402 Platon Phaedon 74 E P. Natorp, Platos Ideenlehre, 2. Aufl. Leipzig 1921, s. 34 ff. Nicolai Hartmann, Diesseits von Idealismus und Realismus. Kantstudien 29, 1924, s. 189. Jetzt auch in: N. Hartmann, Kleinere Schriften, Bd. II, Abhandlungen zur Philosophie-Geschichte. Berlin 1957, s. 278—322. Aristoteles Physik IV, 1: 208 a 27. Leibniz WW II, 510 Leibniz WW VII, 415

1. P. Natorp, Platos Ideenlehre. 2. Aristoteles Met. XIII, 2: 1077 b 12. 3. B. Russell, Introduction to mathematical Philosophy. l.Aufl., London 1919, s. 169 (In den späteren Auflagen gestrichen). H. Weyl, Die heutige Erkenntnislage. Symposion I, 1927, s. 31 4. N. Hartmann, Zur Grundlegung der Ontologie. Berlin 1935, s. 242 ff.

4.

5. 6. 7. 8. 9. 10.

11. 12. 13.

kritischen Transzendentalphilosophie. Kantstudien 45, 1953/54, s. 113—131. A 580, B 608. Vgl. auch Immanuel Kants Verlesungen über die philosophische Religionslehre, hrsg. v. Pölitz, 2. Aufl. 1830, s. 12 Kant WWII, 400 Leibniz WW II, 438 Kant WW 1,480 Kant WWII, 401 Kant WWII, 404 N. Hartmann, Diesseits von Idealismus und Realismus. Kantstudien 29, 1924, s. 186; Wiederabdruck, Berlin 1957; vgl. § 4, Anm. 5 H. Vaihinger, Comm. II, 275 f. H. Vaihinger, Comm. II, 290 ff. Zu den besten Darstellungen, besonders der transzendentalen Ästhetik gehören immer noch die unter Kants Augen entstandenen: Johann Schulze, Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Critik der reinen Vernunft. Königsberg 1785 und 1791 (neu wieder herausgegeben von R. C. Hafferberg 1897), sowie desen Prüfung der Kantischen Kritik der reinen Vernunft. Königsberg 1789-92; vgl. § 46, Anm. 30

$6

S?

1. etwa: philosophia transscendentalis: WWI, 475 2. Hans Leisegang, Über die Behandlung des scholastischen Satzes: „Quodlibet ens est unum, verum, bonum seu perfectum", und seine Bedeutung in Kants Kritik der reinen Vernunft. Kantstudien 20, 1915, s. 403—421. Vgl. a. das in § 16, Anm. 14 Gesagte. 3. Hinrich Knittermeyer, Der Terminus transszendental in seiner historischen Entwickelung bis zu Kant. Phil.Diss. Marburg, 1920, 213 S. Vgl. ders.: Von der klassischen zur

1. Kant WWX, 129 ff. 2. H. J. de Vleeschauwer, Les Antinomies Kantiennes. Mind 1938, s. 303 ff. Benno Erdmann, Einleitung zu den Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie. Leipzig 1882. Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft. Leipzig 1876. Bd. I, s. 355. Alfred Menzel, Die Stellung der Mathematik in Kants vorkritischer Philosophie. Kantstudien 16, 1911, s. 159. Paul Bernays, Über den transzendenta-

316

3. 4. 5. 6. 7. 8.

9. 10. 11.

12. 13. 14. 15.

Quellenverzeidinis Jen Idealismus. Abh. der Fries'sdien Schule, Neue Folge Bd. IV, 1918, s. 365—394. Michael Kowalewski, Über die Antinomienlehre als Begründung des transzendentalen Idealismus. Abh. der Fries'schen Schule, Neue Folge Bd. IV, 1918, s. 693—764 Parmenides. B 8 Aristoteles Met. I, 5: 986 a 17 Archytas. A 24 Leibniz WW VII, 369; VII, 374 Platon Timäus 37 C ff. Aristoteles Physik IV, 6—9: 213 a 12 ff. Thomas von Aquin, comm. in Ar. physicam VIII, 2. Th. Esser, Die Lehre des Thomas bezüglich der Möglichkeit einer ewigen Weltschöpfung. Jahrbuch für Philos. u. spek.Theol., 1891, s. 176 ff. Leibniz WW VII, 405 Platon Timäus 53 D ff. Aristoteles Physik VIII, 250 b 11 ff. Johann Jakob Brucker, Historia critica philosophiae, 5 Bde., Leipzig 1742-44. Pierre Bayle, Dictionnaire historique et critique, 4 Bde., Amsterdam und Leyden 1740; deutsch v. J. C. Gottsched, 4 Bde., Leipzig 1741-44. Vgl. den Artikel Zeno in Bd. IV, s. 545 ff. Leibniz WW VII, 405 Leibniz WW VII, 378 Leibniz WW VII, 373 Leibniz WW VII, 364

1. G. Joos, Lehrbuch der theoretischen Physik. 6. Aufl., Leipzig 1945, s. 490 2. Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwickelung hist.-krit. dargestellt. Leipzig 1883. Georg Hamel, Theoretische Mechanik. Berlin 1949, s. 51 ff., s. 507 ff. 3. Carl Friedrich v. Weizsäcker, Das Verhältnis der Quantenmechanik zur Philosophie Kants. Die Tat-

welt 17, 1941, s. 86. Wiederabgedruckt in: Zum Weltbild der Physik. Leipzig 1947 4. Gerhard Hessenberg, Grundbegriffe der Mengenlehre. Abh. der Fries'schen Schule. Neue Folge Bd. I, 1906, s. 633. Abraham A. Fraenkel, Einleitung in die Mengenlehre. Berlin 1919, s. 133 5. Bertrand Russell und Alfred North Whitehead, Principia Mathematica. 3. u. 4. Abdruck (der 2. Aufl. v. 1925), Cambridge 1935 und 1950, Bd. I, s. 77

59 1. Kant WW IV, 379 2. Kant WW IV, 524 3. Leibniz Opera philosophica, hrsg. v. J. E. Erdmann. Berlin 1840 (fotomechan. Nachdruck 1959), s. 77 4. Leibniz WW VI, 574 f. 5. Platon Theaet. 176 B; Leg. 716 D 6. Kant WWII, 410 7. Hegel WW IV, 45 f. $10 1. Aristoteles Physik II, 1: 192 b 13

512 1. Leibniz WW VII, 355 f. 2. Leibniz WW VI, 616 3. Christian Wolff, Philosophia prima sive Ontologia. Reprograf. Nachdruck (der 2. Aufl. von Frankfurt u. Leipzig 1736) Hildesheim oder Darmstadt 1962, § 70. Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica, Halle 1757. Außer dem reprogr. Nachdr. (der 7. Aufl., Halle 1779) Hildesheim 1963, s.a. Kant WW XVII, 31. Christian August Crusius, Weg zur Wahrheit und Zuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis. Leipzig 1747, § 290

Quellenverzeichnis 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

23.

Kant WW I, 396—398 Kant WW XII, 208 Kant WW VIII, 187 Kant WW VIII, 195 Kant WW VIII, 247 Kant WW VIII, 247 f. Kant WW VIII, 248 Kant WW VIII, 248 Kant WW VIII, 248 G. Hamel, Die Axiome der Mechanik, Handbuch der Physik, hrsg. v. H. Geiger und K. Schelle, Bd. V, Berlin 1927. G. Hamel, Theoretische Mechanik. Berlin 1949. Hans Hermes, Eine Axiomatisierung der allgemeinen Mechanik. Forschungen zur Logik. Neue Folge H. 3. Leipzig 1938 Aristoteles Met. IV, 8: 1017 b 10 Thomas, com. in met. 894 Kant WW IV, 263 M. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik. Bonn 1929 (2. Aufl., Frankfurt 1951), §§33-34 K.Reich, Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Berlin 1932 (2. Aufl., Berlin: R. Schoetz 1948) Hegel WW V, 52 H. Cohen, Kants Theorie der Erfahrung. 3. Aufl., Berlin 1918, s. 314. H. Cohen, a.a.O. s. 318 Hugo Dingler, Das Experiment. Leipzig 1928. Vgl. auch Alf Nyman, Das Experiment, seine Voraussetzungen und Grenzen. Zeitschrift für philosophische Forschung Bd. 4, 1949, s. 80—96 C. F. v. Weizsäcker, Das Verhältnis der Quantenmechanik ..., siehe § 8, Anm. 3

S 13 1. A. v. Haller, Die Falschheit menschlicher Tugenden 289/290. Gedichte ed. Hirzel, Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, Bd. II, Frauenfeld 1882 2. Goethe WW I Bd. 3,105

317 S 14

1. Kant WWII, 392 2. R. Seeliger, Analogien und Modelle in der Physik. Studium generate I, 1948, s. 125 ff. S

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Aristoteles Met. I, 8: 988 b 22 Parmenides B 8, 42—44 Parmenides B 8, 6 Aristoteles Met. I, 5: 986 a 15—21 Archytas B l PhilolaosBll PhilolaosBll Aristoteles Met. X,2: 1053 b 12 Platon Staat 524 E Aristoteles Met. 1,6: 987 b 22 Aristoteles Met. , 2: 1053 b 11 Aristoteles Met. I, 9: 992 b 18

$16 1. Thomas s. th. 1,11 2. H. Rickert, Das Eine, die Einheit und die Eins. Logos II, 1911 3. Thomas com. in met. Arist. Turin 1915 (ebd. 1950): 1962 4. Thomas com. in met. 488 5. Thomas com. in met. 489 6. Aristoteles Met. VII, 16: 1040 b 23 u. X, 2: 1053 b 16. Thomas com. in met. 1637—1640 u. 1963—1966 7. Thomas s. th. 1,11, l 8. Avicenna, Metaphysik ed. Horten. New York 1907, s. 171 9. Thomas s. th. 1,11, l 10. Thomas com. in met. 1975 11. H. Knittermeyer, Der Terminus transszendental in seiner historischen Entwickelung bis zu Kant. Diss. Marburg 1920, 213 S. 12. Thomas s. th. I, 5, 3 13. Thomas com. in met. 1981 14. Hans Leisegang lehnt in Philosophische Studien II, Berlin 1950, s. 212, den hier ins Auge gefaßten Zusammenhang ab und bezeichnet

318

15. 16. 17. 18.

Quellenverzeidinis den Brückenbau über den unausfüllbaren Abgrund zwischen der alten Ontologie und der Transzendentalphilosophie Kants als unmöglich. Leisegang bezieht sich dazu auf seinen Aufsatz: „Über die Behandlung des scholastischen Satzes: ,Quodlibet ens est unum, verum, bonum seu perfectum', und seine Bedeutung in Kants Kritik der reinen Vernunft", in den Kantstudien 20,1915, s. 402 f. In diesem Aufsatz wird gezeigt, daß Kant die Probleme der Transzendentalphilosophie im engeren Sinne in der Form vor sich hatte, die sie bei Wolff und Baumgarten angenommen hat, und daß diese Form der Transzendentalphilosophie von Kant als unfruchtbar beiseite geschoben worden ist. Mit den Feststellungen dieses Aufsatzes gehe ich durchaus einig. Es fragt sich aber, ob diese dürren Ontologien die einzige Form sind, in der die aristotelisch-thomistische Transzendentalphilosophie lebendig wirksam geblieben ist. Dem scheint nicht so zu sein. Neuere Untersuchungen, insbesondere von H. Knittermeyer, G. Söhngen, O. Becker und anderen haben uns vielmehr neue Ausblicke in fundamentalere Zusammenhänge eröffnet, und meine eigenen Untersuchungen zu W. von Ockham haben diese Forschungen bestätigen können. Ich muß mir eine besondere Stellungnahme vorbehalten, da diese Frage auf der einen Seite tief in ein überaus umfangreiches Tatsachenmaterial hineinführt, auf der anderen Seite aber von einer grundsätzlich anderen Auffassung der Geschichte der Philosophie abhängt. Thomas s. th. 1,11, l Thomas com. in met. 560 Aristoteles Met. X,2: 1054 a 16 Thomas com. in met. 1976

19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.

Thomas com. in met. 1980 Thomas s. th. 1,11, l Thomas s. th. I, 5, l Aristoteles Met. IV, 2: 1003 b 22 Thomas com. in met. 549 Thomas com in met. 553 Thomas s. th. I, 5, l Thomas s. th. 1,11,3 Thomas s. th. 1,11,3 J. Gredt, Elementa philosophiae aristotelico-thomisticae, 2 Bde., 7. Aufl., Freiburg i. Br. 1937. Suarez, Met. disp. II, Mainz 1605. E. Bodewig, Zahl und Kontinuum in der Philosophie des hl. Thomas, Divus Thomas 13, 1935

S 17 1. Aristoteles Met. III, 3: 998 b 22 2. Thomas com. in met. 433. Summa theol. I, 3, 5 3. Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Halle 1913 (Husserliana Bd. 3., Haag 1950), § 13 4. Duns Scotus rep. per. I q. 24 5. G.Martin, W. v. Ockham s. 44 6. Aristoteles Physik IV, 14: 223 a 22 7. PlatonTimäus 37 D 8. Ockham in I sent D 30 q 3 K. Lugduni 1495

S IS 1. Leibniz WW II, 304 2. Leibniz Opuscules et fragments i^dits, ed. par L. Couturat, Paris 1903, s. 9 3. Leibniz WW II, 486 4. Leibniz WW V, 132 5. Leibniz WW II, 438

f 19 1. H. Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, 3. Aufl., Berlin 1918, s 326

Quellenverzeichnis 2. M. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, Bonn 1929, s. 74 (2. Aufl. 1951, s. 78) 3. M. Heidegger, a.a.O. s. 68 (2. Aufl. 1951, s. 73) 4. M. Heidegger, a.a.O. s. 68 (2. Aufl. 1951, s. 73) 5. N. Hartmann, Diesseits von Idealismus u. Realismus; s. § 4, Anm. 5 6. H. Heimsoeth, Metaphysische Motive ..., Kantstudien 29, 1924, s. 132ff.; s.a. §20 Anm. 11

S 20 1. Kant WW V, 3 2. Kant WW V, 5 3. Fr. Paulsen, Immanuel Kant. 7. Aufl., Stuttgart 1924 (Frommanns Klassiker der Philosophie 7), s. XX 4. M. Wundt, Kant als Metaphysiker. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Philosophie im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1924, s. 9 Anm. 5. M. Wundt, a.a.O. s. 427 6. M. Wundt, a.a.O. s. 389 7. Aristoteles Met. IV, 1: 1003 a 21 8. Thomas, com. in met. 391—392, 384, 389, 593 9. M. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik. Bonn 1929 (2. Aufl. Frankfurt 1951) 10. N. Hartmann, Diesseits von Idealismus und Realismus. Kantstudien 29, 1924, s. 160—206; wiederabgedruckt in: N. Hartmann, Kleinere Schriften, Bd. 2, s. 278—322 11. H. Heimsoeth, Metaphysische Motive in der Ausbildung des kritischen Idealismus. Kantstudien 29, 1924, s. 121—159. Persönlichkeitsbewußtsein und Ding an sich in der Kantischen Philosophie: I. Kant. Festschrift herausgegeben von der Albertus-Universität Königsberg, Leipzig 1924, s. 41—80; beides wiederabgedruckt in: H. Heimsoeth: Studien zur Philosophie Immanuel Kants. Metaphysische Ur-

319

sprünge und Ontologische Grundlagen. Köln 1956 (Kantstudien, Ergänzungsheft 71) 12. H. Heimsoeth, a.a.O. s. 229—230 13. Kant WW V, 5

S 21 l. Kant WW II, 392 2. Jakobi WWII, 301 3. Gottlob Ernst Schulze, Aenesidemus oder über die Fundamente der von ... Reinhold ... gelieferten Elementar-Philosophie. Hrsg. von A. Liebert. Berlin 1911, s. 223 f. Neudrucke seltener philosophischer Werke. Hrsg. von der Kantgesellschaft. Bd. 1) 4. Jakobi WW II, 304 5. Wilhelm Windelband, Ober die verschiedenen Phasen der Kantischen Lehre vom Ding an sich. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie Bd. l, 1877, s. 224—266 6. W. Windelband, a.a.O. s. 261 7. Bruno Bauch, Immanuel Kant. 2. Aufl. Berlin u. Leipzig 1921 (Geschichte der Philosophie, Bd. 7), s. 163 A. Kant, Sammlung Göschen. 2. Aufl., Berlin 1916, s. 110 8. B.Bauch, Kant. Sammlung Göschen, s. 112 9. Erich Adickes, Kant und das Ding an sich. Berlin 1924, s. 14 10. Gerhard Krüger, Philosophie und Moral in der Kantischen Kritik. Tübingen 1931, VI, 236 S. 11. M. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, 1929 u. 1951. 12. N. Hartmann, Diesseits von Idealismus und Realismus. Kantstudien 29,1924, s. 190; s. a. § 20 Anm. 10 13. N. Hartmann, a.a.O. s. 190 14. N. Hartmann, a.a.O. s. 191 15. N. Hartmann, a.a.O. s. 193 16. N. Hartmann, a.a.O. s. 194 17. H. Heyse, Der Begriff der Ganzheit und die kantische Philosophie. München 1927, § 45—85

Quellenverzeidmis

320 522

1. Rudolf Lehmann, Kant's Lehre vom Ding an sich. Ein Beitrag zur Kantphilologie. Berlin 1878, s. 5 (Phil. Diss.)

3.

$23 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kant WW V, 94 Kant WW V, 134 Kant WW V, 134 Kant WW V, 134 Kant WW V, 138 Kant WW V, 141 H. Heimsoeth, Persönlichkeitsbewußtsein, s. 47; s. a. § 20, Anm. 11 8. E. Adickes, Kant und das Ding an sich, s. 59 9. E. Adickes, a.a.O. s. 119 A

S 24 1. Aristoteles Physik IV, l: 208 a 29 2. M. Heidegger, Sein und Zeit. 3. Aufl. Halle 1931 (10. Aufl. Tübingen 1963), § 5, s. 18 3. Leibniz WW VII, 368 4. Christian August Crusius, Entwurf der notwendigen Vernunftwahrheiten, wiefern sie den zufälligen entgegengesetzt werden. 2. Aufl., Leipzig 1753 (Reprogr. Nachdr., Darmstadt 1963), §48 5. Kant WWII, 413 6. Kant Refl. 4673: WW XVII, 638 7. Hegel WW XIX, 578

4.

5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

14. 15. 16.

17. 18. 19.

1779, Hildesheim 1963), § 862; s. a. Kant WW XVII, 168 Vgl. die Bemerkungen Kants in seinem Handexemplar von Johann August Eberhard, Vorbereitung zur natürlichen Theologie zum Gebrauch akademischer Vorlesungen, Halle 1781, in Kant WW XVIII, 538—540 H. Heimsoeth, Der Kampf um den Raum in der Metaphysik der Neuzeit. Philosophischer Anzeiger, hrsg. v. H. Plessner, 1. Halbband, Bonn 1925, s. 5—42; wiederabgedruckt in H. Heimsoeth: Studien zur Philosophie Immanuel Kants, s. 93—124; vgl. § 20, Anm. 11 Kant WW V, 125 Kant WW XVIII, 534 Refl. 6260: Kant WW XVIII, 534 Refl. 6084: Kant WW XVIII, 445 Refl. 6081: Kant WW XVIII, 444 Kant WW V, 100 Kant WW V, 102 Kant WW V, 102 f. Immanuel Kants Vorlesungen über die philosophische Religionslehre, hrsg. v. Poelitz. 2. Aufl. 1830, s. 53 f. und s. 177 ff. Kant WW V, 465 Kant WW V. 464 A Aristeoteles Met. XII, 6: 1071 b 20 und XII, 7: 1072 a 25, 1072 b 8. Thomas com. in met. 2494 f., 2517 f., 2524. s. th. I, 25,1 Refl. 6286: Kant WW XVIII, 554 Kant WW XVIII, 554 f. Kant WW XVIII, 554

$25 1. Kant WW IV, 314 2. Goethe WW II, Bd. 11, s. 47 f.

S 26 1. Kant WW V, 5 2. Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica. 3. Aufl., Halle 1757 (Reprogr. Nachdr. d. 7. Aufl., Halle

i 27

1. H. Heimsoeth, Persönlichkeitsbewußtsein und Ding an sich ..., Festschrift s. 44; vgl. § 20, Anm. 11 2. Kant WW V, 161 3. M. Wundt, Kant als Metaphysiker, s. 9 Anm. 4. E. Adickes, Kant und das Ding an sich. Berlin 1924, VII, 161 S.

Quellenverzeidinis 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

KantWWV, 133 Kant WW V, 162 Kant WW V, 114 Kant WW V, 99 Refl. 6077: Kant WW XVIII, 443 Refl. 6000: Kant WW XVIII, 420 Refl. 4336: Kant WW XVII, 509 Refl. 4338: Kant WW XVII, 511

321

10. KantWWV, 102 11. KantWWV, 100 12. M. Wundt, Kant als Metaphysiker. Stuttgart 1924, s. 427 13. G. Krüger, Philosophie und Moral in der Kantischen Kritik. Tübingen 1931, s. 227 14. G.Krüger, a.a.O. s. 230 15. G.Krüger, a.a.O. s. 234

S 28

1. H. Heimsoeth, Persönlichkeitsbewußtsein und Ding an sich ..., Festschrift (vgl. § 20, Anm. 11). Das erkennende Subjekt s. 6—30. Das handelnde Subjekt s. 23 ff. 2. Kant WW V, 31 3. Refl. 6001: Kant WW XVIII, 420 f. 4. Refl. 5109: Kant WW XVIII, 91 5. Zum Problem des Ich vergleiche besonders: H. J. de Vleeschauwer, La D£duction transcendentale dans l'oeuvre de Kant. 3 Bde. Antwerpen 1934-37, II, s. 584 ff., III, s. 216 ff. Fichte, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, Kap. 6, WW III, 52 ff. Herbert James Paton, Kant's Metaphysic of Experience. London 1936 (2. Aufl. 1951), Bd. II, s. 404 ff.: The Existence of Self. S 29

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8. 9.

Kant WW IV, 314 f. Kant WW IV, 451 Kant WW V, 53 E. Adickes, Kant und das Ding an sich. Berlin 1924, s. 160 f. KantWWV, 5 E. Adickes, a.a.O. s. 38 N. Hartmann, Diesseits von Idealismus und Realismus, Kantstudien, 29, 1924, s. 190 ff; vgl. § 20, Anm. 10 H. Heimsoeth, Metaphysische Motive ..., Kantstudien, 29, 1924, s. 24 und s. 135; vgl. § 20, Anm. 11 H. Heimsoeth, Metaphysische Motive ..., Kantstudien, 29, 1924, s. 131; vgl. § 20, Anm. 11

$ 30 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Kant WWII, 413 Kant WWV, 87 Kant WWV, 176 Kant WWV, 95 Kant WWV, 100 Kant WWV. 103 Kant W W V, 1 02 Kant WWV, 99

1. Bruno Liebrucks, Platons Entwicklung zur Dialektik. Untersuchungen zum Problem des Eleatismus. Frankfurt 1949. s. 20, s. 79 ff. und s. 169 f. 2. Platon Timäus 49 D 3. P. Natorp, Platos Ideenlehre. 11. Kap., bes. s. 389; vgl. a. § 4, Anm. 4 4. Aristoteles Met. I, 9: 992 b 18 5. Thomas s. th. I, 13, 5 S 32

1. Friedrich Paulsen, Kants Verhältnis zur Metaphysik. Kantstudien 4, 1900, bes. s. 416 2. H. Heimsoeth, Metaphysische Motive . . . , Kantstudien, 29, 1924, s. 1 22 f.; vgl. § 20, Anm. 1 1 3. Aristoteles Met. VII, l : 1028 b 2

$33 1. Allgemeiner Kantindex zu Kants gesammelten Schriften, hrsg. v. G.

322

Quellenverzeichnis

Martin. 2. Abt., Bd. 16—17 (Wortindex zu Band 1—9), Berlin 1967 2. ebd. Bd. 16s. 52 3. ebd. Bd. 17s. 871 4. ebd. Bd. 17s. 1067

S 34 1. 2. 3. 4. 5.

6. 7.

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

17. 18. 19.

Kant WWIV, 263 Kant WW IV, 276 Anm. Kant WW IV, 276 Anm. Euklid Elementa, hrsg. v. Heiberg. Leipzig 1883, XXX App. l, t. IV, p. 365 Procli Diadochi in primum Euclidis elementorum librum commentarii, hrsg. v. God. Friedlein, Leipzig 1873. Vgl. a. die Ausgabe von Max Steck (in Übersetzung und mit Anmerkungen von Schonberger), Halle 1945, s. 167 Pappi Alexandrini collectionis Reliquae, hrsg. v. F. Hultsch. Vol. II, Berlin 1877, s. 634 f. Diogenes Laertius, De vitis, dogmatibus et apophthegmatibus clarorum philosophorum (III, 24); in der Ausgabe von H. G. Hübner, Leipzig 1828, p. 210. Vgl. a. die Ausgabe von H. S. Long, Oxford 1964, sowie die deutsche Übersetzung v. O.Apelt, Leipzig 1921 Leibniz Cass 643 Leibniz E 381; Ak VI, 6 450 Leibniz E 397 b; Ak VI, 6 484 Leibniz GPh VII, 296 f. Leibniz Cass 643 Wolff Log § 885 not. Wolif El Math II, 1027 f. Wolff Log §885 Kant WW VIII, 192 H. Heimsoeth, Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. 1. Teil (von 3 erscheinenden), Berlin 1966 s. 176 B 395 Anm. A 12, B 26 A 312, B. 368 f.

S 35 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8. 9. 10.

Wolff El Math II, 1027 ff. Leibniz GMV.226 Vgl. Leibniz Cass 457, 581 Leibniz Couturat Ined 18 Wolff Lex Math 51 ff. Wolff El Math I, 245; Anfgl549ff.; Ausz 698 ff. Immanuel Kant. Aus den Vorlesungen der Jahre 1762 bis 1764. Auf Grund der Nachschriften J. G. Herders. Hrsg. v. H. D. Irmscher (Ergänzungsheft der Kantstudien 88). Köln 1964, s. 18 Kant WW IV, 276 Anm. Couturat Log Cap. IX p. 383 ff. Kant WWII, 377 §36

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.

Wolff Log §§1150, 1182, 1208 Leibniz Ak VI, 6 73 Leibniz Couturat Ined 200 G. F. Meiers Auszug aus der Vernunftlehre, Halle 1752; vgl. Kant WWXVI, 340 KantWWI, 88 Wolff Log § 314 Wolff Log § 1150 Wolff Log §551 not. Wolff Log §551 not. Wolff Log § 552 not. Wolff Log § 553 not. Wolff El Math I, 29 Wolff Log §562 Wolff El Math I, 6 Couturat Log 102 ff. Couturat Log 200 ff. Leibniz GPh VII, 292—298 Leibniz Couturat Ined 356—399 Leibniz Couturat Ined 221 Leibniz Cass 418 Leibniz Cass 419 Couturat Log 603 Couturat Log 186 not. l Couturat Log 187 not. 3 Leibniz Cass 544 Leibniz Cass 490

323

Quellenverzeidinis 27. Leibniz Cass 544 28. G. Martin, Leibniz. Logik und Metaphysik. Köln 1960, 2., erw. Aufl. Berlin 1967, § 17 29. Leibniz Cass 323 30. Vgl. Leibniz E 79 f.; GPh IV, 422 f. 31. Leibniz Cass 323 32. Wolff Log §77 33. Couturat Log 208 mit Anm. l 34. Vgl. Couturat Log. 210 35. Leibniz Coutura Ined 160, 215, 221, 346, 348, 557—562 36. Leibniz E 79 b; GPh IV, 423 37. Leibniz E 205 b; Cass 35 38. Wolff Log § 105 39. Wolff Log 219 40. Kant WW 1,387 41. Kant WW 1,391 42. Kant WW 1,397 43. A 21, B 35 44. Kant WW 1,113 45. Kant WW IV, 268 u. B 14 46. Vgl. M. Mendelssohn, Ges. Schriften, Leipzig 1843 f., hrsg. v. G. B. Mendelssohn. Leipzig 1843 f., Bd. II, s. 6 47. Kant WW IV, 276 48. G. Tonelli, Der historische Ursprung der kantischen Termini ,Analytik' und ,Dialektik'. Archiv für Begriffsgeschichte VIII.

14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

S 37

12. 13. 14. 15.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Kant WW II, 276 ff. Kant WWII, 276 Kant WWII, 276 Kant WWII, 276 Leibniz Cass 284 Leibniz Cass 289 Leibniz Cass 325 Wolff Log §716 not. WolffAnfgrl2 Wolff El Mäht I, 8 G.F.Meiers Auszug aus der Vernunftlehere, Halle 1752, § 266; vgl. Kant WW XVI, 568 12. A 729, B 757 13. B16

A 713, B741 Kant WWII, 278 Kant WWII, 280 A 77, B 103 A 13, B27 B 37, B 40, B 46, B 48 B38 A 65 f., B 9 0 f . A 9 f., B 1 3 f . A 12, B 25 f.

$ 38 1. Kant WWII, 387 2. Kant WWII, 388 Anm. 1 3. A 411, B438

$39 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

A 6, B I O Kant WW IV, 267 A 150, B189 A 151, B190 A 6, B I O Kant WW IV, 267 Kant WW IV, 267 A 154, B 193 A 158, B 197 Kant IV, 269 u. B 16 G.Martin, Arithmetik und Kombinatorik bei Kant. Itzehoe 1938 Kant IV, 273 Kant IV, 274 Leibniz Cass 514 Wolff Log §§39, 40, 41, 61, 65, 198, 261, 267, 447, 505, 509 A 716, B 744 Kant WWII, 75 Leibniz Cass 514 Kant WW IV, 273 B 407 B 407 B 408 B 409 B 135 B 138; vgl. B 135 Kant WW IV, 417 Kant WW V, 48

324 28. 29. 30. 31. 32.

Quellenverzeichnis Kant WW IV, 420 Kant WW IV, 447 Vgl.B16 Kant WW IV, 276 E. W. Beth, Über Lockes .Allgemeines Dreieck', Kantstudien, Bd. 48, Köln 1956/57, bes. s. 374 ff. $40

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

B 151; A 719, B 747 A 98 ff. Vgl.B16 B 138; B 154; A 162, B 203 BIS; A 164, B 205 A 102; A 103 AHO S 41

1. Kant WW II, 54 Anm. 2. Kant WW IV, 276 S 42

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

E 80 a; GPh IV, 424 Cass 414 Cass 415 Cass 415 Anm. 5 A 597, B 625 A 598, B 626 Vgl. z.B. KantWWV, 139 A 598, B 626 A 599, B 627 A 599, B 627 Kant WWII, 72 Kant WWII, 72 Kant WWII, 66

§43 1. Zur Bibliographie vgl. a. Leibniz Cass V Anm. l 2. Leibniz Cass 544 3. Leibniz Cass 80 4. Leibniz Cass 480 ff., bes. 490 5. Wolff El Math I, 6

6. Wolff Anfgr. s. 5; Ausz s. 2 7. G. Martin, Leibniz. 2., erw. Aufl. Berlin 1967, s. 211 ff. 8. Kant WW 1,391 ff. S 44

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Kant WW II, 399; A 169, B 211 A 31, B 47 E 752 a; GPh VII, 363 E 703 a; GPh III, 612 Wolff Ont. § 572 not. Wolff Ont §572 A 31, B 47 A 32, B 47 A 31, B 46 Kant WW VIII, 220 Kant WWII, 399 Kant WWII, 399 Kant WWII, 399 Kant WWII, 283. Zur Quelle vgl. Augustinus Confessiones, Lib. XI, Cap. XIV 15. Wolff Ont §586 16. Kant WWII, 284 17. Kant WWII, 284

$45 1. A 169, B 211 2. A 239, B 299 3. E 752 a; GPh VII, 363 E 703 a; GPh III, 612. Erdmann liest: ordo existendi 4. Wolff Ont §589 5. Wolff Ont §592 6. B 40 7. A 24 f., B 39 8. A 23, B 38 9. A 25, B 39 10. Kant WW VIII, 220 11. Kant WWII, 402 12. Kant WWII, 402 13. Kant WWII, 402 14. Kant WWII, 71 15. Vgl. Kant WWII, 279; 11,280 16. Kant WWII, 281 17. Kant WW 1,23; 1,24

325

Quellenverzeidinis

$46 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30.

Leibniz Cass 80 Leibniz GMV, 183-211 Wolff El Math 1,10 Wolff Ausz s. 71-73 WolffAnfgr s. 129-132 Wolff El Math 1,98; 1,104 Wolff El Math2 p. 98, p. 103 A 24 B 41 A 9, B 13 B 14; Kant WW IV, 268 B 14; Kant WW I V, 268 B 16; Kant WW IV, 269 Euklid Elementa ed. Heiberg, Leipzig 1883, p. 3 Leibniz GMV, 185 Leibniz Cass 542 Leibniz Cass 542 A 729, B 757 A 731 f., B 759 f. Kant WWII, 279 A 716, B 744 A 25, B 39 B 16 Kant WWII, 402 Kant WWII, 61 Kant WW II, 54 Anm. Kant WWII, 293 Kant WW 1,139; 11,285 Johann Schultz, Anfangsgründe der reinen Mathesis. Königsberg 1790, s. 32, 40, 41 Johann Schultz, Prüfung der Kantischen Critik der reinen Vernunft. 2 Tie., Königsberg 1789-1792 (unber. Nachdr., Frankfurt u. Leipzig 1791-1794). Zur Bibliographie vgl. d. Erl. zum Brief Nr. 340 in Kant

WW XIII, 225 und die KantBibliographie von E. Adickes, Nr. 563 u. 734. Kants Brief an Joh. Schultz vom 25. 11. 1788, K a n t W W X , 555 G. Martin, Arithmetik und Kombinatorik bei Kant. Itzehoe 1938, s. 45 ff. 31. Immanuel Kant. Aus den Vorlesungen der Jahre 1762 bis 1764, hrsg. v. H. D. Irmscher, s. 29 ff.; vgl. § 35, Anm. 7

S 47 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

A 189 B 232 Kant WW IV, 543 Kant WWII, 202 Kant WW II, 203 f. KantWWI, 408 KantWWI,410 Kant WW I, 391 ff. A 217, B 264 f.

S 48 1. Vgl. Kant WW II, 280 2. Kant WWII. 279 3. Leibniz GM VII, 276; Couturat Log 411 mit Anm. 5 Wolff El Math I, 22 5. Kant WWII, 277 6. Kant WWII, 277 7. Kant WW XVII, 257 Erl. 8. Kant WW XVII, 257 9. Vgl. H. D. Irmscher, 1. c. s. 18; vgl. § 35 Anm. 7 10. Vgl. ebd. s. 52

VERZEICHNIS DER BENUTZTEN AUSGABEN

Aristotelis Opera, Gesamtausgabe der Schriften von der Berliner Akademie der Wissenschaften in 5 Bänden, hrsg. v. Imm. Bekker, Berlin 1831—1870; einschließlich des Index Aristotelicus, hrsg. v. H. Bonitz. Joh. Dunsii Scoti Opera Omnia in 12 Bänden, hrsg. v. Lucas Wadding, Lugd. 1639. Abdruck dieser Ausgabe als Editio nova in 26 Bänden, Paris (Vives) 1891—1895. J. G. Fichte, Ausgewählte Werke in 6 Bänden, hrsg. v. F. Medicus. Leipzig 1910— 1912 (reprogr. Nachdr., Darmstadt 1962). Goethes Werke, herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Abt. I—IV, 133 (in 143) Bänden. Weimar 1887—1919. G. W. F. Hegel, Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 20 Bänden, hrsg. von H. Glöckner. Stuttgart 1927—1940 (3. u. 4. Aufl., Stuttgart 1949—1964). F. H. Jacobi, Werke in 6 Bänden, hrsg. von F. Roth und F. Koppen. Stuttgart 1812—1825. I. Kant's gesammelte Schriften in 23 Bänden, herausgegeben von der (königlich) Preußischen Akademie der Wissenschaften (später von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin). Berlin (und Leipzig) 1900—1955. [Zitiert: Kant WW] Die Kritik der reinen Vernunft ist zitiert nach der 1. u. 2. Original-Ausgabe, hrsg. v. R. Schmidt in der Philosophischen Bibliothek (Bd. 37a), zuletzt Hamburg 1967. Ich verweise auch auf die Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft, hrsg. von I. Heidemann im Verlag von Philipp Reclam jun. (Univers.-Bibl. Nr. 6461—70/70a/b), Stuttgart 1966. G. W. Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe in 7 Reihen, herausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften und von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Darmstadt 1923—1938 u. Berlin 1950 ff. [Zitiert: Leibniz Ak] God. Guil. Leibnitii Opera Philosophien quae exstant Latina, Gallica, Germanica omnia, hrsg. v. J. E. Erdmann, erw. u. erg. durch R. Vollbrecht. Berlin 1840 (reprogr. Nachdr., Aalen 1959). [Zitiert: Leibniz E] G. W. Leibniz, Die Philosophischen Schriften in 7 Bänden, hrsg. v. C. I. Gerhardt. Berlin 1875—1890 (unveränd. Nachdr., Hildesheim 1960—1961 u. 1965). [Zitiert: Leibniz GPh] Die deutschen Übertragungen sind den Text-Ausgaben in der Philosophischen Bibliothek von Felix Meiner, Leipzig bzw. Hamburg entnommen. Leibnizens mathematische Schriften in 7 Bänden, hrsg. v. C. I. Gerhardt (als Leibnizens gesammelte Werke aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek zu

Benutzte Ausgaben

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Hannover, hrsg. v. G. H. Pertz, 3. Folge). Berlin und Halle 1849—1863 (unveränd. Nachdr., Hildesheim 1961). [Zitiert: Leibniz GM] Opuscules et fragments in^dits de Leibniz. Extraits des manuscrits de la Bibliotheque royale de Hanovre, par L. Couturat. Paris 1903 (unveränd. reprogr. Nachdr., Hildesheim 1961 u. 1966). [Zitiert: Leibniz Coutura Ined] L. Couturat, La Logique des Leibniz d'apres des documents inedits. Paris 1901 (unveränd. Nachdr., Hildesheim 1961). [Zitiert: Coutura Log] G. W. Leibniz, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, übers, u. hrsg. v. E. Cassirer in der Philosophischen Bibliothek (Bd. 69, als Bd. 3 der Philosophischen Werke). 4. Aufl., Leipzig 1926. Ich verweise auch auf die zweisprachigen Ausgaben (als Bd. 3 in 2 Teilen der Philosophischen Schriften), hrsg. v. W. v. Engelhardt und H. H. Holz. Darmstadt 1959—1961 u. Frankfurt 1961. [Zitiert: Leibniz Cass] Platonis Opera in 5 Bänden, hrsg. von J. Burnet. Oxford 1900—1907, zuletzt 1957—1962. Franz Suarez, Gesamtausgabe der Werke in 28 Bänden, hrsg. v. D. M. Andri, Paris 1856—1861 S. Thomae Aquinatis, Summa Theologica in 6 Bänden. Paris (Vives) 1895 [Zitiert: Thomas s. th.] Thomae Aquinatis in XII libros Metaphysicorum Aristotelis expositio, hrsg. v. M. R. Cathala et R. M. Spiazzi. Taurini-Romae: Marietti 1964. [Zitiert: Thomas com. in met.] Christiani Wolffii Philosophia prima sive Ontologia. Photomech. Nachdr. der 2. Aufl., Frankfurt u. Leipzig 1736, hrsg. v. J. Ecole, Darmstadt 1962; und reprogr. Nachdr. der gleichen Ausgabe (als Bd. 3 der 2. Abt. der Gesammelten Werke, hrsg. v. J. Ecole und H. W. Arndt), Hildesheim 1962. [Zitiert: Wolff Ont] C. Wolff, Philosophia rationalis sive logica. Frankfurt u. Leipzig 1728; 3. Aufl., ebd. 1740. [Zitiert: Wolff Log] C. Wolff, Elementa matheseos universae. 2 Bände, Halle 1713—1715; editio novissima, Genf 1743. [Zitiert: Wolff El Math] C. Wolff, Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wissenschaften. 4 Teile in 2 Bänden. Halle 1710; neue verb. u. verm. Aufl., Frankfurt u. Leipzig 1744. [Zitiert: Wolff Anfgr] C. Wolff, Auszug aus den Anfangs-Gründen aller Mathematischen Wissenschaften. Halle 1717; neue verb. Aufl., Halle 1772. [Zitiert: Wolff Ausz] C. Wolff, Mathematisches Lexicon. Reprogr. Nachdr. der Ausgabe von Leipzig 1716 (als Bd. 11 der 1. Abt. der Gesammelten Werke), hrsg. v. J. E. Hof mann. Hildesheim 1965. [Zitiert: Wolff Lex Math] Die Fragmente der Vorsokratiker in 2 Bänden und einem Registerband, hrsg. v. H. Diels, später von W. Kranz. 4. Aufl., Berlin 1922; 10. Aufl., Berlin 1960—1961.

NAMENREGISTER Alle Zitate sind in die Register mit aufgenommen, so daß sie über diese wieder auffindbar sind. Personennamen und Sadibegriffe der Textanmerkungen sind in den Registern nur insoweit berücksichtigt, als sie den Rahmen bloßer Literatur- und Quellenangaben übersteigen. Mehr als zwei aufeinanderfolgende Seiten werden durch einen Bindestrich zusammengefaßt. Achill 38, 66, 97, 128 Adickes, E. 162, 174, 201, 214, 215 Agamemnon 66 Anselm von Canterbury 287 Apollonius 293, 299 Archimedes 261, 302 Ardiytas 50, 63, 117 Aristoteles, aristotelisch V, 4, 14, 15, 17, 36—40, 49—54, 76, 77, 81, 93, 94, 97, 105, 107, 115—125, 129— 132, 134, 135, 137, 140, 142, 154, 155, 178, 184, 189, 193, 195, 198, 222, 224—226, 228—231, 235, 237, 238, 242, 251, 295, 297, 299, 302, 318 Augustinus 7, 18, 70, 71, 113, 131, 192, 209, 238, 287, 296 Avicenna 125 Bach, J. S. V Bauch, B. 161, 162 Baumgarten, A. G. 84, 86, 188, 257, 265, 309, 318 Bayle, P. 54 Beck, J. S. 159 Behmann.H. 314 Beth, E. W. 281 Bodewig, E. 131 Bohr, N. 110 Bolyai, J. 23 Brouwer, E. J. 26, 63 Brucker, J. J. 54 Buffon, G. L. L. 256

Carnap, R. 314 Cassirer, E. 288, 314 Clarke, S. 15, 16, 51, 52, 54, 56, 57, 69, 83, 88, 179, 189, 295, 297 Cohen, H. V, 76, 90, 102—104, 142, 145, 146, 148, 160 Conring, H. 260 Couturat,L. 139, 255, 256, 259, 260, 262, 291, 292 Crusius,C. A. 84, 265, 271, 304 Demokrit 14, 54 des Bosses, B. 2, 17, 139, 140 Descartes, R. 209, 210, 238, 287 Dillmann, E. 2 Dingler, H. 105 Diogenes Laertius 250, 251 Duns Scotus, J. 17,107,126,131—136 Eberhard, J. A. 26, 86, 188, 189, 191, 196, 198, 214, 248, 253, 295, 298 Epikur 14 Erdmann, B. 48 Esser, T. 52 Eudemos 50 Euklid, euklidisch 6, 7, 19,26,31,45— 47, 79, 250—253, 258, 260, 261, 266, 284, 293, 299, 301, 309 Fichte,J. G. 160, 163 Fries, J. F. 207

Namenregister Galilei, G. 77 Gauss, C. F. V, 27 Gerhardt, C. I. 251,259 Goethe, J. W. v. V, 108, 184 Gredt, J. 131 Haller, A. v. 108 Hamel.G. 91 Hartmann, N. 35, 40, 41, 46, 145, 147, 155, 156, 163, 164, 216 Hegel, G. W. F. 2,8,58,72,101,160, 163, 180, 241 Heidegger, M. 75, 100, 145, 146, 155, 163, 209, 295 Heimsoeth.H. 145, 148, 156, 163, 165, 173, 189, 199—201, 207, 210, 217, 218, 253 Herder, J. G. 255, 305, 309, 310 Herlinus 260 Hermes, H. 91 Herz, M. 48 Hesiod 37 Heyse.H. 163, 164 Hilbert, D. 19, 23, 24, 309 Homer V del'Hospital 254 Hume, D. 306 Husserl,E. 135,295 Jacobi.F.H. 158, 159 Jäsche, G. B. 263 Kepler, J. 77 Kiesewetter, J. G. K. C. 159 Knittermeyer, H. 43 Krüger, G. 162, 219, 220 Lambert, J. H. 21, 28 Laplace, P. S. 82 Lehmann, G. 263 Lehmann, R. 165 Leibniz, G. W. 1—4, 7—9, 14—22, 28, 31—33, 36, 39, 43—47, 50—57, 61, 69—72, 77, 83—88, 92, 94, 95, 102, 105, 106, 109, 113, 130, 131, 139, 140, 142, 143, 153, 166, 173—175, 179, 187—189, 222, 250, 251, 253, 255—266, 268, 269, 271, 272, 276— 281, 284, 286—288, 290—297, 299 —302, 304—306, 308, 311

329

Leisegang, H. 43, 127, 317, 318 Leukippos 14,54 Liebrucks, B. 227 Lobatschewsky, N. J. 23 Locke, J. 262, 287 Lukrez, T. L. C. 14 Luther, M. 71 Maimon, S. 159, 163 Malebranche, N. 7, 70, 72 Maxwell.J. C. 110 Meinecke, W. 21 Mendelssohn, M. 180, 266 Meyer, G. F. 256 Natorp.P. 21, 35, 40, 76, 129, 160, 228 Nelson, L. 21 Newton, I. 15, 16, 19, 32, 41, 50, 52—55, 57, 60, 61, 69, 70, 77—80, 90, 91, 103, 111—114, 146, 166, 179, 189, 283 Nietzsche, F. W. 212 Ockham.W. v. 4, 17, 131—140, 143 Pappus 250—252 Parmenides 49, 116, 227 Paulsen, F. 152, 153, 155, 162, 172, 198, 220, 238 Petrus Aureolus 137 Philolaos 117 Plato, platonisch V, 4, 7, 14, 18, 34— 36, 39, 40, 51—54, 58, 70—72, 107, 113, 115, 118, 120—126, 129—131, 134, 136, 138, 178, 184, 189, 192, 193, 222—230, 251, 254, 295, 299, 314 Plotin 7, 125 Poseidon 66 Prantl, K. v. 126 Proklus 250, 293, 299 Pythagoras 124 Raphson, J. 254 Raspe, R. E. 292 Reich, K. 101, 102 Reinhold, L. 159, 163 Remond 295, 297 Ricken, H. 124

Namenregister

330 Riehl, A. 162 Riemann, B. 23, 28 Roberval 293 Russell, B. 40, 62, 63, 314 Saccdieri, G. 20 Schultz,). 159, 304, 305 Schulze, G. E. 159 Segner, J. A. 30 Sokrates 35 Suarez,F. 17, 131, 132 Sulzer, J. G. 188

Thaies 116, 118 Thomas von Aquin V, 36, 52, 53, 57, 71, 76, 97, 123—137, 141, 142, 155, 184, 198, 230, 231, 235—237, 318 Tonelli, G. 266

die Alten 43, 126, 252, 253 platonische Akademie 136 Atomistik 14, 15, 37, 38, 50, 54 Aufklärung 105, 148, 187—189 christliche Tradition 239 die Eleaten

72

Friessche Schule 207 die Griechen, griechisch 38, 49, 50, 54, 66, 67, 76, 77, 96, 107, 116, 136, 155, 190, 193, 195, 198, 239, 250

Vaihinger,H. 46, 47 de Vleeschauwer, H. J. 48 Voltaire 8 Weizsäcker, C. F. v. 61, 105 Windelband, W. 160, 161, 165 Wittgenstein, L. 314 Wolff, C. 54, 84, 86, 153, 188, 251— 259, 263—266, 268, 269, 271, 272, 277, 286, 290, 292—297, 300—302, 304—306, 308, 310, 311, 318 Wundt,M. 153—155, 162, 172, 198, 200, 219, 220 Zenon 15, 16, 58, 63, 72 Zermelo, E. 62, 63 Zeus 66

Mittelalter 77, 198 die mythologischen Denker

die Neueren 252 die Neukantianer, Neukantianismus V, 58, 75, 96, 141, 158, 160, 162, 163, 207 Neuzeit 189, 254 die Nominalisten 137 Patristik 239 die griechischen Physiologen 116, 118, 178 die Pythagoräer 50, 117, 118, 120, 124 die Romantiker

deutscher Idealismus 75, 96, 141, 158, 160, 241 die Kantianer 163 die Marburger, Marburger Schule 76, 105, 207, 209

178

116

Scholastik, scholastisch 3, 4, 17, 38, 77, 107, 123, 126, 132, 136—139, 239, 287 die Skeptiker 3 die Sophisten 3 die Thomisten

131

SACHREGISTER Achtung 223 s. a. moralisches Gesetz Anschauung 24, 25, 27—30, 42, 44, Ähnlichkeit 3, 138, 258, 268, 308 89, 90, 107, 166, 168, 169, 177, 180 äquivalent 20, 79, 92 —182, 190, 239, 279, 282, 298 äußeres 106 äußere 37, 56 Affektion 181,213,215,217,220,233, innere, Selbstanschauung 181,. 203 240 s. a. Ding an sich s. a. Bewußtsein Akt und Potenz 123, 195, 230, 239 Axiome der Anschauung 88, 89 Akzidens 3, 4, 13,14,16,17,23, 24, 32, empirische, sinnliche 41, 145, 157, 33, 38, 97, 98, 125, 127, 128, 136— 158, 169, 177, 179, 180, 182, 213 138, 142, 197 s. a. Eigenschaft, Bedas Mannigfaltige 115, 145, griff 146, 182, 208, 275, 279 Algebra, algebraisch 25, 26, 255, 256 Rezeptivität 163, 191, 195, Analogie 195, 197—199,210,226,230, 239—241 231, 236—239 s.a. Denken, Begriff, Formen 46, 47, 145, 179, 213, Schluß, Sein 216, 295 s. a. Raum und Zeit Analogien der Erfahrung s. Erfahrung reine, reine a priori 30, 34, 41, 112, Analysis, analytisch 26, 98, 99, 102, 113, 115, 145, 177, 182, 211, 297, 103, 245—248, 250, 251, 255—261, 298 s. a. Raum und Zeit 263—268, 270—277, 279, 284—286, korrespondierende 24 289, 291, 295—299, 303, 304, 308, objektive Gültigkeit 167, 183 309, 311, 314 s. a. Urteil, Satz, Menicht sinnliche und nichtsinnliche thode, Kategorie, Zergliederung 168, 169, 203, 205 s. a. Noumenon Bedeutungsverschiedenheit 284 Anthropomorphismus 80, 197 mathematische 256 Antinomie, antinonlisch, Antinomienanalysis fmitorum 255, 266 lehre 48—50, 53, 58, 61, 68, 69, analysis infmitorum 254—256, 266, 71, 73, 74, 79 284 physikalische 59, 60, 72, 73 s.a. analysis situs 256 Physik analysis logica 256, 257, 259, 261, mathematische 62—64, 72, 73 s. a. 263, 266 Mathematik analysis notionum 257, 259, dynamische 218 261—266, 271, 272, 277, 284 Freiheitsantinomie 202 s. a. Freiheit analysis propositionum 257, Antizipationen der Wahrnehmung 259, 263 s. Wahrnehmung analysis demonstrationum 257, Aporie, aporetisch 37, 50, 157, 163, 258, 260, 263 184, 185, 187, 202, 224, 226, 241 analysis veritatum 259—262, s. a. Ding an sich 264, 266, 284 Apperzeption 279 s. a. Einheit, Beregressive 274 wußtsein Analytik 266

332

Sachregister

synthetische, transzendentale 112, 127, 182, 208, 210, 279 appetitus l, 2 Apriorität 33—36, 42, 74, 83, 88, 92, 105, 106, 108, 145, 147, 156, 160, 166, 180, 182, 270, 276, 292, 300 s. a. Urteil, Satz Arithmetik 19, 23, 30, 83, 90, 252, 283, 304, 305, 311 analytischer Charakter 304 synthetischer Charakter 283, 304, 310 axiomatischer Charakter 21, 90, 91, 304, 305 konstruktiver Charakter 304 Atom, Atomismus, Atomtheorie 14, 15, 37, 53—55, 59—62, 68—71, 73 79, 110, 111, 113 Bohrsches Atommodell 110, 111 Ausdehnung 3, 5, 13, 45, 48, 107, 131 Axiom, Axiome 19—21, 23, 46, 90, 91, 258—261, 270, 281, 282, 292—294, 299, 300, 305 Axiome der Anschauung s. Anschauung Auswahlaxiom 26 Substitutionsaxiom 260 geometrische 299, 301, 303, 304 Parallelenaxiom 20, 92 newtonsche 91, 93, 306 Beweisbarkeit 92, 260, 261, 292, 293, 299, 300, 301 Axiomatik 23, 39, 73, 90—92 Begierde und Neigung 204 Begrenztes und Unbegrenztes 117 Begriff 3, 4, 21, 22, 25, 27, 28, 30, 34, 36, 41, 85, 90, 96, 101, 109, 112, 144, 145, 177, 197, 257, 259, 261, 263 266, 269—273, 277, 278, 282, 288, 289, 291, 295, 309 undenkbarer 163, 169 widerspruchsvoller 28, 261, 269, 287 s.a. Widerspruch widerspruchsfreier, logisch möglicher 27, 73, 193, 233, 287 deutlicher und verworrener 257, 271—273, 293 leerer 41, 128, 170, 176 univoker 121, 229

äquivoker 229 analoger 122, 229 s.a. Analogie, Denken komplimentärer 281 Wechselbegriffe 280 antinomischer 74 Elementarbegriffe 94—96,105, 262, 263, 267—269, 271, 302, 307—309 Allgemeinbegriffe 135, 136, 267, 287, 295, 298, 303 s. a. Einheit, Transzendentalien zusammengesetzter 94, 95, 262, 263, 268, 269, 302 s. a. Synthesis abgeleiteter 94, 95 abstrakter 49 komplexer 199 transzendentaler 3, 123—135, s. a. Transzendentalien Ursprung der Begriffe 198, 281, 282, 284 durch Reflexion 269 durch Abstraktion 198, 237, 269 durch Willkür 268, 269, 282, 310 empirischer 33, 270 reiner 28, 30, 36, 112, 113, 237, 238 s.a. Kategorie apriorischer 34, 41, 44, 94, 270, 272 diskursiver 295, 298 konstitutiver und regulativer 219 Analytik der Begriffe 272 analytische Begriffstheorie 262, 263, 296, 297 s.a. Analysis Beharrlichkeit 112 s.a. Substanz Bewegung 5, 76, 80, 81 s. a. System der Gestirne 51, 77, 81, 82, 118 unbeweglich 119, 120 Beweis, Beweisbarkeit 25, 31, 64, 84— 88, 92, 251, 257—261, 265, 283, 292—294, 297—301, 306 direkter 64 indirekter 258 unbeweisbar 268 mathematischer 260, 292 arithmetischer 30, 31 geometrischer 30, 31, 298, 299, 301—303 dogmatischer 85, 307

Sachregister apriorischer 57 analytische Beweistheorie 258—261, 263, 264, 285, 292—295, 297, 299, 301, 311 transzendentaler, transzendentalphilosophischer 85, 312 Bewußtsein, Bewußtsein seiner selbst 203—207, 211, 216, 238, 279 s. a. Denken, Erfahrung theoretisches des Ich denke 203— 208, 210, 211, 240, 278, 279, s. a. Apperzeption praktisches der Freiheit 208, 210, 211 s. a. Freiheit Biologie 75—77 Böse 8, 9, 187 bonum 43 s. a. Transzendentalien Chaos 37 Chemie, chemisch 54, 116, 253 Christentum, christlich 16, 71, 130, 178, 187, 222 Christologie 43 Dämon 82 Dasein s. Existenz Dauer 3, 5, 51, 52, 81 Deduktion 107, 112 Definition, Definierbarkeit 19, 20, 22, 25, 258, 260, 261, 268, 270, 271, 274, 278, 292—298, 301—303, 307, 308, 311 aus genus und differentia specifica 94 Realdefinition 296 Nominaldefinition 268, 296 Beweis der Widerspruchsfreiheit 261 Zirkeldefinition 298 implizite 309 analytische 310 willkürliche 310 mathematische 270, 309 geometrische 309 Deismus, Deist 188, 196, 197 Denken 23, 41, 45, 47, 69, 95, 103, 114, 129—131, 133, 134, 140—143, 146—148, 174, 202, 208, 211, 214, 238, 239, 278 s.a. Verstand, Vernunft

333

analoges 191, 192, 194, 195 Gottes 45, 47, 69—72, 113, 140, 142, 143, 154, 166, 190—192, 195, 236, 238 s. a. Gott des Menschen 33, 45, 47, 71—73, 142, 144, 148, 154, 175, 190—192, 211, 232, 236, 239—241 empirisches, Postulate 89, 90, 176, 177, 182 konstruktiver Charakter 95 Formen 103 s.a. Kategorien Diskursivität 175, 190, 191 Spontaneität 23, 30, 42, 73, 144— 146, 148, 163, 184, 195, 196, 198, 199, 203, 206, 208—212, 217, 218, 225, 238—241, 314 das denkende Selbst 49, 105, 184, 196, 200, 203, 210, 278, 279 s. a. Bewußtsein, Erfahrung bloßes Denken, Gedankending, Gedankenspiel 27—29, 73, 140, 256 Dialektik, dialektisch 58, 69, 95, 266 Aufgabe 72, 227, 314 eleatische 72 hegelsche 72 Differential- und Integralrechnung 254—256 Ding 13—18, 32, 35, 37—39, 44, 55— 57, 72, 74, 83, 98, 104, 107, 108, 118, 121, 122, 124, 141, 143, 144, 157, 168, 173, 177, 179, 180, 185, 194, 195, 218, 262, 279, 288—290 s. a. Gegenstand Prinzip, Ursprung 117, 118 mögliche Dinge 28, 158, 288, 290 bloßes Gedankending 27—29, 140, 256 s. a. Begriff Unding 14, 163 Dinge überhaupt 167, 180, 298 Ding an sich 32, 43, 44, 47, 74, 107, 109, 110, 146, 148, 155—171, 173— 175, 181, 183, 185, 189, 190, 194, 199, 201—203, 208, 210, 212—224, 227, 232—235, 237, 238, 240—242 Existenz 159, 162, 165, 194, 213—215 problematischer Charakter 169, 170 Substratcharakter 173, 174,185, 204, 221, 232, 240

334

Sachregister

Aporie 184—186, 214, 215, 217, 232, 234, 237 Spontaneitätscharakter 203,204, 217, 241 s.a. Handeln, Mensch intelligibler Charakter 62, 63, 65, 73, 74, 203, 213, 216 Affektionseigenschaft 215, 217, 220, 233, 240, s. a. Affektion Ordnungsfähigkeit 217, 220 als Werk Gottes 217—220, 240, 241 objektive Realität 163, 170, 173, 183, 216, 220, 232, 234, 235 Ding in der Erscheinung, sinnliches, räumlich-zeitliches, phänomenales 32, 67, 79, 107, 110, 119—122, 141, 155—170, 179, 180, 194, 213, 214, 216, 218, 219, 222, 223, 227, 229, 232, 234, 235 s. a. Erscheinung Naturdinge 49 einfaches und zusammengesetztes 53, 54 als Werk des Menschen 240, 241 Distinktion, reale 17 Dogmatik, christliche 130, 178 Dogmatismus, dogmatisch 48, 64, 65, 161, 214 Dreidimensionalität 7 s. a. Raum Dynamis und Energeia 123, 195, 230, 239 Eigenschaft s. Akzidens absolute 59, 61 wesentliche 107 disjunktive 67 Einbildung, Einbildungskraft 41, 282 Einfache s. einfache Substanz Einheit l, 49, 75, 76, 98, 115—119, 121—135, 137—144, 146, 148, 191, 199, 209, 215, 232, 233, 236, 237, 282, 308 Ansichsein 125, 141, 142, s. a. Sein Gottes 123, 186, 215, 231, 232, 237, 238 s. a. transzendentale Bestimmungen Gottes der göttlichen Attribute 231 s. a. Gott privativer Charakter 129 der Gattungen 123, 135, 136, 225 s. a. Allgemeinbegriff

der Zahlen, principium numeri 118, 131, 142 der Dinge 118, 121, 122, 139, 141 —143 formale 109 rationale 141, 142, 282 transzendentale 124—128, 131— 133, 135, 140, 141 s. a. Transzendentalien synthetische 112, 147, 182, 208, 209, 275, 279, 282, 283 Apriorität 115, 147 kollektive 208 als Idee 119—121, 154 als Substanz 118, 120—122, 124, 125, 127, 142, 143 als Akzidens 125, 127 als Relation 138, 140—143 als Kategorie 115, 123, 124, 131, 132, 199, 206, 215, 232, 237, 238 quantitative 142, 302 qualitative 142 des Bewußtseins s. Bewußtsein, Apperzeption transzendentale Idealität 143—148 Ekelhafte 308 Eleatismus 227 Elektrizität 110 Elemente, Lehre von den Elementen 54, 97, 107, 120, 121, 228 s. a. Idee Empfindung 33, 34, 89, 90, 177, 178, 217 Grad der Empfindung 42, 89 Endlichkeit 7, 49, 59, 60, 62, 64 s. a. Mensch Energie 80, 82—84 kinetische und potentielle 80 ens s. Sein, Transzendentalien Entelechie l Erfahrung V, 28, 65, 85, 109, 146, 147, 158, 160, 171, 177, 178, 205, 208, 210, 214, 233, 283 s.a. Erscheinung äußere 33 mögliche 41, 52, 85, 89, 112, 127, 147, 161, 173, 179, 182, 185, 275 formale Bedingung 90, 177, 178 materiale Bedingung 90, 177 Analogien 89—91, 176, 305, 306

Sachregister Erfahrung seiner selbst 204, 211, 240 Erhabene 308 Erkennen, Erkenntnis, Erkenntnisvermögen 71, 104, 107, 108, 144, 157, 163, 164, 170—173, 203, 207, 208, 211, 214, 216, 217, 233, 234, 238, 239, 241, 249, 253, 256, 257, 260, 261, 263, 266, 268, 290, 298, 306, 307 s. a. Denken philosophische 270 mathematische 270 intuitives und diskursives 175, 190, 191 s. a. göttliches Denken und Anschauen deutliche und verworrene 257, 271 Erkenntnisart des Menschen 44, 68, 71, 104, 129, 130, 144, 148, 154, 158, 161, 173, 190, 191, 194, 208, 210, 213, 217, 220, 239—241, 271 s. a. Affektion theoretisches 207, 208 empirische 216 reine, reine a priori 42, 112, 160, 182, 208, 270—272, 300 transzendentale 44 Grenzen 171, 173, 184, 191, 205 Unerkennbares 163, 165, 192 Erkenntnistheorie 216, 220 Erörterung 271 s. a. Analysis, Zergliederung Erscheinung 33, 41, 42, 44, 45, 47, 56, 64—66, 89, 108, 112, 127, 144, 148, 155, 157—159, 161—171, 173, 174, 176, 183—185, 187, 190, 194, 196, 199, 201—204, 208, 210, 211, 213—219, 221, 223, 224, 226, 227, 232, 234, 235, 237, 238, 241, 242 s. a. Ding in der Erscheinung Ursache 233 außer uns und in uns 183, 184 Bedingungen der Möglichkeit 37, 46 Form 45, 46, 66 räumlich-zeitlicher Charakter 47, 78, 107, 154, 158, 166, 173, 176, 180, 181, 198, 212, 213, 234 objektive Realität 181, 183—185, 196, 234, 235

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transzendentale Idealität 64, 157, 172, 183, 205, 214, 235 euklidischer Charakter 47, 78 s. a. Natur Wechsel, Wandelbarkeit 89, 97, 98 Gesetzmäßigkeit 78 Inbegriff 64—67, 78, 182, 217, s. a. Natur, Welt, Totalität Ethik 6, 76, 204, 223, 281 formale, kantische 163, 204 Etwas und Nichts 98, 227, 228 ewig 16 s. a. unendlich Existenz 6,15, 26, 27, 38,44, 56, 73, 77, 90, 97, 106, 118, 138, 159, 160, 162, 169, 175—180, 182—186, 190, 193, 196, 199, 201—203, 206, 215, 219, 220, 222, 224, 226, 230, 231, 233, 240, 261, 265, 278, 279, 287—291, 295, 311 absolute 238 logische 29, 269, 281 mathematische 26—29, 31, 46, 118 leibliche, körperliche 221, 279 s. a. Körper räumlich-zeitliche 179, 180, 221 als Kategorie 159, 177, 196, 199, 206, 215, 232, 234, 288 s.a. Kategorie Schema 177 intelligible 201—203, 205—212, 221, 226 s. a. Mensch nichtwirkliche 178 Existenzialurteil 286—291, 296, 310 Experiment 61 Darstellbarkeit 60—62 Form 54 logische 29 bloße 96 formal 32 Freiheit 6, 151, 152, 155—157, 169— 172, 186, 199—202, 205, 206, 208, 216, 224, 280 s.a. Idee bei Kant transzendentale 204, 205 Möglichkeit 205, 224, 280 Wirklichkeit 205, 233 Zeitunabhängigkeit 205 objektive Realität s. Idee bei Kant 231—234 Kausalität aus Freiheit s. Kausalität Freiheitsantinomie s. Antinomie

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Sachregister

Ganzes und Teil 258, 273, 274, 276 Gattungsbegriff s. Einheit Gefühl 307, 308 Gegenstand 44, 112, 147, 158, 163, 164, 168, 177, 178, 180, 191, 208, 209, 213, 214, 226, 288, 289 s. a. Ding Gegenstände überhaupt 44, 76, 157 mathematischer 26, 41 konstruierbarer 27 empirischer 41, 65, 145, 147, 159, 162, 166, 173, 177, 182, 275 sensibler Bestandteil 163, 214 s. a. Phänomenon intelligibler Bestandteil 158, 163, 168, 170, 184, 214, 226 s.a. Noumenon Gegenstände außer uns 159, 213, 279 transzendentaler 159 Gemeinschaft 206, 215, 232, 233 s.a. Mensch, Kategorie Gemüt 32, 181, 200 Geometrie 4, 7, 16, 21, 23, 25, 27, 29, 30, 33, 39, 83, 90—92, 119, 252, 254, 261, 276, 282, 292, 299—304, 308, 309, 311 zeitlos und unbeweglich 119, 120 euklidische 22, 23, 27—29, 33, 41, 45, 46, 299 nichteuklidische 20, 21, 27—29, 41, 299 bolyai-lobatschewskysche 23 riemannsche 23, 28 analytische 255 widerspruchsfreie 40, 41 Gültigkeit 42, 45—47 axiomatischer Charakter 19—24, 90, 91, 261, 292, 299, 300, 303, 304 nichtaxiomatischer Charakter 20, 21 Apriorität 31 analytischer Charakter 299, 303 synthetischer Charakter 91, 299, 300, 304, 310 konstruktiver Charakter 24, 25, 29 —31, 300 Gerade und Ungerade 117 Geschwindigkeit 80 Gesetz, Gesetzmäßigkeit 65—67, 77,

78, 82, 90, 104—106, 109, 141, 144, 181, 239, 305 s. a. Prinzip kommutatives 31 assoziatives 31 Gesetze des Seins 40 Gesetze der Natur 40, 65, 66, 78, 109 s. a. Natur Gesetzlichkeit der Dinge 141 mathematisches 40, 78 mechanisches 79, 306 apriorisches 109 moralisches Sittengesetz 171, 172, 192, 200, 202—204, 219, 223, 280 Gestalt 52 Gleichheit 3, 138 Glückseligkeit 252 Gott, göttlich 2, 5—7, 16, 32, 57, 66, 70—72, 83, 114, 128, 129, 139, 151, 152, 154, 155, 171, 173, 174, 178, 182, 185—188, 190—193, 195, 210, 220, 234—239, 287, 290 s.a. Idee bei Kant Trinität 43, 131 Offenbarung 154, 219 Reich 233 als Oberhaupt 206, 233 Attribute 231 allgemeinste Bestimmungen 16, 43, 123, 128—130, 135, 186, 188, 198, 199, 215, 231, 237, 287 s. a. Transzendentalien Sein 97, 128, 135, 156, 157, 170, 175, 178, 179, 185—190, 192, 195—199, 206, 210—212, 216, 221, 230, 231, 235—241 s. a. Sein Einheit s. Einheit Wahrheit 231 Güte 231 Weisheit 56 Allgenugsamkeit 193 Ewigkeit 188 Akzidenzen 175, 179, 187, 188, 197, 210, 238 Denken, Verstand, Vernunft 4—8, 18, 40, 69, 70, 113, 154, 166, 175, 186, 187, 190—192, 195, 197, 210, 212, 231, 236, 238, 290

Sachregister Spontaneität 195, 197, 238— 241 Wille 70, 186, 190, 192, 195, 197, 210, 212, 220, 231, 238, 239 Allmacht 39, 175 Handeln 78, 175, 192, 239 erster Beweger 193 Schöpfer 6, 15, 39, 51, 52, 58, 69—72, 77, 78, 113, 154, 173, 190, 192—195, 197, 217—220, 228, 236, 238—242 Werke 154, 217, 220, 241 s.a. Ding an sich Denkmöglichkeit 185, 188 privative Bestimmung 129 Realdefinition 188 transzendentale Idee 169, 171, 172, 186, 232 s. a. Idee bei Kant Notwendigkeit 185, 188, 234 Existenz 151, 185, 188, 190, 196, 211, 234, 287, 288 Erkennbarkeit 188, 211 via negationis 196—198 via eminentiae 196—198 via analogiae 196, 197 via causalitatis 198 räumlich-zeitliche Bestimmungen 189, 190 Gottesbeweis 6, 187, 195, 205, 265, 287—289 ontologischer 288 Gottesstaat 5 Größen 117 extensive und intensive 89 Größenlehre 22, 280, 305, 311 Große und Kleine 120 Grund, zureichender s. Prinzip Grundlagenforschung 26, 68, 72, 73 Grundsätze 41, 83, 85, 87—89, 91, 99, 105, 106, 112, 167, 176—178, 261, 275, 276, 295 s. a. Prinzip mathematische 41, 42, 260, 261, 270, 293, 301, 305 geometrische 298, 300, 303 identische 260, 279, 293 analytische 276, 277, 279, 280 synthetischer Charakter 87, 103 Apriorität 92, 104

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Restriktionseigenschaft 88, 92, 167, 170 Gültigkeit 105 s. a. Realität absolute 174 apriorische 104 objektive 41, 45—47, 147, 167, 182 Gut, Güter 252 höchstes Gut 190 handeln, Handlung 219, 223, 225, 232 s. a. Subjekt, Sittlichkeit, Gott freies und gebundenes 49 Spontaneität 203—206, 212, 218 aus sinnlichem Antrieb 223 sittliches 223 s. a. Sittlichkeit Harmonie, prästabilierte 5, 6, 187, 222 Himmel, gestirnter 200, 203 Hypostasierung 122, 228 s. a. Idee bei Plato Ich denke s. Bewußtsein Ideal, transzendentales 115 Idealismus, idealistisch 158, 161, 163, 165, 166, 181, 182, 212, 214 transzendentaler, kritischer 64, 65, 103, 111, 163 Idealität 3, 32, 43, 44, 157 transzendentale 42—45, 47, 64, 65, 74, 88, 108, 172, 214, 231, 232, 234 s. a. Erscheinung, Raum und Zeit Idee 18, 119, 120 transzendente Idee bei Plato, platonische Ideenlehre 34—36, 40, 51, 70, 71, 118, 119, 121, 122, 124, 129, 178, 224, 227—231, 235, 254, 283 Ansichsein 119, 227—229 Apriorität 35 Elemente 120 Prinzipiencharakter 120 Dialektik 40, 119, 227 ontologische Interpretation 228 Transzendenz 119, 224, 229 Hypostasierung 228, 229 Verdoppelung s. Zweiweltentheorie Aristoteleskritik 121, 122, 224, 225, 228, 229 Ideen der Elemente 228 s. a. Elemente Idee des Wassers 228 s.a.

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Sachregister

Wasser Idee des Einen 119—122 s. a. Einheit Idee des Gleichen 34—36, 122 s. a. Gleichheit Idee des Guten 119, 120, 122, 223 einfache und zusammengesetzte Idee bei Locke und Leibniz 260—263, 269, 288, 293 transzendentale Idee bei Kant 151, 152, 202, 203 Idee von Gott 151, 152, 155, 169, 171, 172, 182, 186, 214, 232—235, 272 s. a. Gott Idee der Freiheit 151, 152, 155, 169, 172, 186, 204, 214, 231— 234, 272, 280 s. a. Freiheit Idee der Unsterblichkeit 151, 152, 169, 172, 186, 214, 232— 234, 272 Widerspruchsfreiheit 151 objektive Realität 171—173, 182, 186, 196, 197, 205, 214, 231—235, 239 s. a. Realität Beweisbarkeit 151, 152 Identität und Verbindung 293 s. a. Satz, Urteil, analytisch, synthetisch Identitätsthese 46, 47, 147, 164 Imperativ, kategorischer 280 Impuls 80 Individualismus 2 Infinitesimalrechnung 8 s. a. Differential- und Integralrechnung inneres 106—108 Intelligenzen s. Gott, Mensch, Denken intelligibel s. Gegenstand Intuitionismus 26, 27 intuitus originarius 154, 166 s. a. Gott Kategorialanalyse, kategorialanalytisch 4, 17, 31, 32, 88, 98, 99, 108, 127 Kategorien 85, 93—96, 98—101, 103, 105, 106, 109, 110, 112, 115, 122, 125, 133, 138, 139, 144, 146, 160, 161, 165, 167, 168, 182, 185, 198, 199, 206, 211, 230, 232, 237, 238, 271—273 der Quantität 89, 93, 139, 161, 230, 308 s. a. Quantität

der Qualität 89, 93, 230 s. a. Qualität der Relation 93, 138, 139 s. a. Relation der Modalität 94, 176, 185, 196, 288, 289 Begründung 94 Analysierbarkeit 271 Definierbarkeit 271 Realität 133, 176, 186, 230 des Seins 164 des Erkennens 164 Verhältnis zum Schema 99, 100, 167, 176, 198, 211, 237 leerer Gebrauch 199 transzendenter Gebrauch 152, 161, 185, 186, 211, 232 reiner Gebrauch 238, 272 empirischer Gebrauch 161, 167, 168, 185, 232, 234, 237 logische Bedeutung 167 Ordnungsfunktion 217 objektive Gültigkeit 41, 147, 167, 176, 182, 183, 185, 196, 198 Kategorienlehre 75 Kausalität, Kausalgesetz, kausal 3, 6, 65, 80, 81, 112, 143, 176, 185, 195, 199, 203, 206, 217, 237, 301, 305— 307 s. a. Prinzip apriorische Gültigkeit 104 Relationscharakter 143 s. a. Einheit als Kategorie 95, 110, 161, 176, 199, 206, 232, 238 Kausalität der Natur 6, 199—201, 224 s. a. Natur Kausalität aus Freiheit 199, 201, 224, 233 s. a. Freiheit analytischer Charakter 306 synthetischer Charakter 306, 307 Körper 3—5, 57 mathematischer 54, 261 s. a. Mathematik ausgedehnter 37—39, 79, 116 materieller 54, 283 organischer, Leib 199, 222, 279 unbeseelter 174, 185, 221, 232, 233, 240 s. a. Ding, Gegenstand Kontinuum 26, 53, 68, 69, 73, 113 s. a. Materie, Raum und Zeit korrespondieren 215, 216, 218

Sachregister Kosmologie, kosmologisdi 49, 50, 202 platonische 52 aristotelische 49, 50, 52 rationale 151 transzendentale 66 Kosmos 49, 67 s. a. Welt Kraft 309, 310 synthetischer Charakter 309, 310 Kritizismus s. kritische Philosophie Kants Kunst, Kunstwerk s. Werk Lage 54 Lebendige 76—78, 107, 139, 143, 144, 174, 232 Lehrart, regressive und progressive 250 Leib-Seele-Problem 221, 222 Logik, Logiker 19, 24, 76, 84, 92, 96, 97, 101—103, 136, 208, 257—261, 266, 269, 277, 285, 286, 292, 293 formale 75, 101—103,105, 311, 314 mathematische 62 empirische 101 transzendentale 74, 75, 102 axiomatischer Charakter 91, 314 analytischer Charakter 101—103, 266, 290—292, 294, 297, 307, 311 synthetischer, konstruktiver Charakter 314 Magnetismus 110 Mannigfaltige s. Anschauung Masse 78—80, 111 Massenpunkt 80 Bewegung 79—82 System 79—81 s. a. System Materie 13, 54, 55, 68, 73, 74, 79, 84, 116, 120, 221, 306 atomare Struktur 55, 59—61, 68, 70, 71, 73, 74, 95, 113 stetige Struktur 50, 51, 53—55, 59 —61, 68, 71, 73, 74, 79, 113 Mathematik, Mathematiker, mathematisch V, 6—8, 17, 19—21, 24, 25, 28—30, 35, 36, 39—42, 47, 49, 60, 62, 63, 70, 72, 73, 76, 78, 83, 84, 86, 92, 96,101—103, 106, 119, 135, 143, 156, 185, 251—256, 258, 260, 261, 267—270, 277, 282, 284, 292, 293,

339

302, 305, 308—310, 314 reine 39, 41, 46 angewandte 41, 42, 46 Relationscharakter 106, 140, 143 konstruktiver Charakter 26—28, 31, 41, 46, 270, 278 Apriorität 36, 270 analytischer Charakter 268 synthetischer Charakter 31, 101— 103, 251, 267, 268, 270, 281, 282, 301, 310 definitorischer Charakter 270 antinomischer Charakter 58, 62— 64, 72, 73 Darstellung 60, 81, 82, 253 Flächen und Körper 54, 256, 261, 268, 269, 277, 278, 301, 302 Gleichungen 256 Lehrsätze 259, 270 Beweise 260, 292 Maxime 192, 293 Mechanik, physikalische 67, 75, 77— 79, 82, 110, 111, 113, 114, 135, 139, 306 s. a. Materie der Punktsysteme 60, 79 s. a. System der Kontinua 60, 79 Gesetze der Mechanik 306 Mengenlehre 62, 63, 68, 73, 308 antinomischer Charakter 62, 63,73, intuitionistische Theorie 63 Typentheorie 63 Mensch, Menschheit 7, 42, 44, 45, 47, 71—74, 97, 108, 114, 127, 128, 137, 154, 163, 173, 192, 194, 195, 197, 199, 200, 202, 204, 210, 217, 220, 221, 223, 229, 231, 236, 239—241, 251, 262, 271, 275, 308 Endlichkeit 163, 164, 173, 175,179, 185, 199, 215, 232—235, 240—242 als materielles Wesen 221 als Sinnenwesen 161, 199, 203, 204, 207, 209, 216, 219, 221, 223—225 s. a. Erscheinung, Phänomenen als Verstandeswesen 16 s. a. Denken, Erkennen, Verstand als intelligibles, Vernunftwesen 161, 163, 173—175, 179, 184, 185, 199— 201, 203, 204, 206—211, 215, 219,

340

Sachregister

221, 223—225, 232—235, 241, 242 s. a. Vernunft, Ding an sich, Noumenon erkennendes, denkendes, handelndes Subjekt s. Subjekt, Sittlichkeit Gemeinschaft handelnder Subjekte 206, 233 als Schöpfer 240, 242 als Person 200, 207 absolutes Sein 239, 240 Metaphysik, Metaphysiker, metaphysisch 5, 8, 62, 65, 83, 84, 86, 121, 124, 130, 140, 141, 146, 151—157, 162, 164, 219, 266, 276, 278, 292, 296, 309, 311 s.a. Ontologie der Natur 101 aristotelische 130, 154, 155, 229 leibnizsche 87 dogmatische 65, 127, 156, 279 kantische 146, 155, 156, 162, 163, 281 Methode 279, 280, 296, 302 s. a. Lehrart wissenschaftliche 252 analytische 249—253, 276, 284, 307 synthetische 249—253, 284 mathematische 251, 278 logische 257 Modell 73, 74, 110, 111, 113 Möglichkeit, möglich 42, 90, 177, 193, 196, 199, 206, 230, 231, 288, 289 logische, widerspruchsfreie 27, 28, 218, 233 reale 224 reine 52, 53 begriffliche 69 als Kategorie 176, 185, 186, 196, 199, 206, 232, 233, 288 Schema 176 denkmöglich 185, 198, 205 Monade, Monadenlehre l—6, 18, 39, 43, 84, 139, 140, 143, 174, 179, 268, 298 Modifikation 3, 5, 18, 140, 298 Monotheismus Kants 232 Moralität, moralisch 5, 162, 199, 200, 211, 219, s.a. Mensch, Gesetz Moralphilosophie 311

Musik V, 118 Mythologie, mythisch

49, 51, 66

Natur 39, 49, 65, 66, 72, 76—79, 87— 89, 96, 101,104,106,108,109,113— 115, 122, 139, 140, 143, 144, 147, 156, 181—184, 190, 200, 205, 226, 237, 256, 283 s. a. Welt Ursache 190, 195, 215 Naturganzes 66, 109, 139, 219, 232 physikalische, newtonsche 78—83, 90, 106, 108, 111—114, 232, 233 theologische Fundierung 113 materialistische Fundierung 113 Ontologie der Natur 88 Grundsätze 88 Apriorität 108 Relationscharakter 88, 108, 143, 144, 147 Erscheinungscharakter 88, 108— 113, 144, 181, 199, 205 Modellcharakter 110, 111 s.a. Modell formale Einheit 109 objektive Realität 183, 185 transzendentale Idealität 108, 214, 232, 235 Naturdinge, Naturerscheinungen 49, 143 Naturgeschehen 111 Naturlehre 76, 77 Naturmechanismus, Gesetzmäßigkeit der Natur 5, 65, 66, 77, 78, 104, 109, 113, 141, 142, 148, 181, 184, 200, 203, 224, 225, 283 Naturwissenschaft, Naturwissenschaftler, naturwissenschaftlich V, 6, 19, 39, 40, 42, 50, 53, 55, 67—71, 73, 76— 78, 83, 84, 107, 108, 111—113, 116, 135, 143, 156, 185, 281 griechische 107 Nebeneinander und Nacheinander 307 s. a. Raum und Zeit Neigung 204 Nominalismus 3, 133, 134, 137, 140, 183, 184, 222, 226, 257 Notwendigkeit, notwendig 31, 90, 177, 196, 199, 224, 234, 270, 282, 288, 300

Sachregister als Kategorie 176, 185, 186, 196, 199, 232, 288 Schema 177 denknotwendig 31 Noumenon 157, 158, 164, 165, 167— 169, 171, 174, 175, 184, 194, 197, 203, 209, 210, 219, 221, 222, 225, 227, 287 s. a. Gegenstand, Ding an sich im positiven Verstande 169 im negativen Verstande 169 Objekt 44 s. a. Ding, Gegenstand Ontologie, ontologisch V, 3, 6, 8, 13— 16, 18, 31, 32, 38, 45, 47, 64, 65, 74, 75, 79, 88, 97, 103, 108, 110, 111, 116, 118—120, 122, 127, 130, 132—136, 138, 141—143, 155—158, 162, 170—172, 176, 179—181, 183, 184, 187, 189, 190, 196, 199—202, 207, 215—221, 225, 228, 230, 232, 234—236, 238, 295, 311, 318 Ort 39 Ousia 254 s. a. Idee, Sein Paradoxie 15, 16 perceptio l, 2 Person, Persönlichkeit s. Mensch Phänomenalität 18, 32, 39 Phaenomenon 4, 5, 32, 45, 106, 120, 121, 157, 158, 164, 165, 167, 168, 171, 197, 218, 221, 222, 227—230, 235 Relationscharakter des Phänomenalen 139 phaenomenon Dei 5, 18, 32, 33 Philosophie, philosophisch 71, 84, 162, 175, 178, 187, 188, 190, 192, 193, 219, 228, 241, 255, 267, 268, 270, 277, 284, 302 Thema 93, 155, 286, 294 Aufgabe 69, 264, 271, 272, 276, 277, 281 Geschichte 87, 116, 117, 318 kritische Philosophie Kants 157, 159—162, 165, 172, 189, 200, 214, 219, 220, 226, 231, 234, 235, 238, 253, 264, 267, 271, 279—281, 285, 286, 312 s. a. Transzendentalphilosophie

341

analytischer Charakter 267, 268, 273, 310 synthetischer Charakter 268, 272, 273 Physik, Physiker, physikalisch V, 6—8, 16, 42, 46, 47, 61, 62, 69, 70, 72— 74, 76, 78, 83, 91, 107, 113, 135, 173, 309, 310 griechische 107 klassische, newtonsche 41, 53, 60, 61, 82, 83, 90, 91, 93, 105, 106, 146, 297 theoretische 90, 91, 104, 106 Quantenphysik 61, 105 Darstellbarkeit 60, 61 konstruktiver Charakter 41, 42 antinomischer Charakter 58—60, 72, 73 axiomatischer Charakter 90, 91 synthetischer Charakter 91, 310 Relationscharakter 106, 143 Modellcharakter 110 s.a. Modell physisch 5 s. Reich der Natur Platonismus 222, 224 Pluralismus 2 Postulate 19, 303 des empirischen Denkens 89, 176, 177 der praktischen Vernunft 202 Potenz und Akt s. Akt Prädikabilien 95 Prädikamente s. Kategorien Prädikat 21—23, 97, 98, 262, 263, 274, 278, 282, 283, 289, 292, 293, 295, 303, 311 reales 288—290, 297, 311 Prinzip 87, 112, 117, 118, 120, 131, 264, 265, 275, 276, 307 s.a. Kategorie, Ursprung der Dinge, Grundsätze der Identität 83, 84, 86, 174, 279 des Widerspruchs 20—23, 83, SoSS, 90—92, 102, 174, 175, 260, 261, 264, 274—276, 292, 294, 301, 304, 307, 311, 314 des ausgeschlossenen Dritten 174 des zureichenden Grundes 56, 57, 69, 70, 83—87, 92, 175, 264, 265, 281, 294, 305—307, 311

342

Sachregister

der Substanz 79, 80, 82, 83 s.a. Substanz der Kausalität 80—83, 85, 88, 89, 92, 95, 104, 105 s. a. Kausalität der Wechselwirkung 81—84, 89, 90 der Sittlichkeit 280 s. a. Sittlichkeit Privation 129, 130 Proportionenlehre 19 Psychologie 181, 200 empirische 75 rationale 151 transzendentale 181, 200 Qualität 89, 101, 123, 133, 138, 142, 230 primäre Qualität 54 als Akzidens 138 als Kategorie 133, 230 s.a. Kategorie als Modifikation der Monade 140 s. a. Monade Quantität 101, 123, 133, 136, 139, 142, 230 als Kategorie 139, 230, 308 s. a. Kategorie als Relation 139 Quantum 89, 302, 308 Raum, räumlich 3—6, 13—19, 23, 28, 31—34, 37—39, 42—50, 56, 57, 65 —67, 70, 73—76, 79, 81, 89, 91, 97, 106, 108, 109,112,113,115,122,140, 141, 166, 167, 176—178, 180, 181, 183, 184, 189, 190, 197, 198, 205, 209, 212, 222, 223, 226, 273, 294, 297—299, 307—311 Ursprung 44 Seinsbestimmung 13—18, 42—47, 121, 122, 142, 156, 166, 181, 183, 189 Definierbarkeit 297, 298 mathematischer 46, 278, 302 s. a. Mathematik physikalischer s. a. Physik endlicher und unendlicher 51, 53, 56, 57, 73, 179, 189 leerer 14, 37, 55—57, 69, 79 stetig erfüllter, Kontinuumcharakter 53—55, 57, 69, 71, 297 reiner 39

dreidimensionaler, euklidischer 21, 31, 41, 45—47, 79, 81, 105, 297— 299, 303 vierdimensionaler 21 beliebig-dimensionaler 299 Substanzcharakter 13—18, 32, 33, 38, 57, 67, 122 Akzidenscharakter 13, 14, 16, 17, 32, 33, 38, 166, 179 Relationsdiarakter 13, 14, 17, 18, 31, 32, 106, 108, 143, 166 Ersdieinungscharakter 18, 31—33, 45, 46, 78, 109, 111, 112, 173, 176, 181, 183, 189, 294, 298 Formcharakter 47, 65, 66, 78, 176, 178, 190 Apriorität 31, 33, 34, 37—39, 41, 297 synthetischer Charakter 309, 310 konstruktiver Charakter 39 Gültigkeit 47 objektive Realität 183, 185 empirische Realität 42, 47, 183 transzendentale Idealität 42—45, 109, 157, 165, 176, 189, 190, 214, 231, 232, 234, 235 absolute Realität 43, 44, 179, 183, 189, 234 transzendentale Realität 43, 183, 234 als Kriterium der Wirklichkeit 176, 178, 180 Aporetik des Raumproblems bei Aristoteles 37, 189 real, das Reale, realisieren 32, 42—44, 89, 98, 112, 140, 216, 230, 231, 288 Realismus 158, 163 Realität 2—4, 17, 132, 133, 138, 157, 162, 163, 180—183, 196, 197, 202, 211, 212, 230, 231 s.a. Gültigkeit endliche und unendliche 191, 197, 198 absolute 14, 16, 33, 43, 44, 72, 179, 183, 189, 210, 212, 234, 235 objektive 25, 28, 152, 157, 162, 163, 170—173, 175, 177, 180, 181, 183, 185, 186, 190, 193, 196, 197, 199, 201, 202, 205, 206, 214, 216, 220, 231—239 empirische 42, 47, 163, 180—183

Sachregister transzendentale 43, 183, 234, 235 als Kategorie 161 Regreß, unendlicher 125 Reich 5, 222, 233 der Natur 5, 222 der Gnade 5, 222 der Geister 5, 233 Gottes 233 Relation 3, 4, 7, 17, 31, 32, 97, 106— 108, 123, 131—133, 135, 138—140, 142—144, 147, 148, 198 subjektive 13 objektive 13 reale 14, 17, 131, 132, 138, 140 rationale 17, 18, 131, 132, 138, 140 transzendentale 4, 14, 17, 131—133 als Kategorie 138, 139 s.a. Kategorie Restriktion 112, 179, 180, 197, 219 s. a. Schema Rezeptivität s. Anschauung Satz 87, 293 s.a. Urteil logischer 258 mathematischer 258 geometrischer 303 Satzsystem 92 leerer 175 identischer 258, 260, 261, 276—278, 282, 292, 293, 301 tautologischer 127 analytischer 87, 277—281, 288, 312 synthetischer, synthetischer a priori 85, 87, 91, 250, 270, 276, 278, 280, 281, 286, 288—290, 295, 296, 299, 301, 307, 312 wahrer 87, 102, 311 apodiktischer 278 unbeweisbarer 268 Existenzialsatz s. Existenz Lehrsatz s. Mathematik, Physik, Geometrie Satz des Widerspruchs, der Identität und des zureichenden Grundes s. Prinzip Schein 181, 221, dialektischer 95 Schema, Schematismus 96—98, 112, 167, 176, 178 s.a. Tafel und die

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einzelnen Kategorien Restriktionseigenschaft 99, 112, 167 Schluß 25, 257, 258, 260, 263, 298 Analogieschluß 191, 194—196, s.a. Analogie Schöne 308 Seele 66, 70, 96, 209, 210, 222, 308 s. a. Leib-Seele-Problem Einfachheit 54 Unvergänglichkeit 53, 54, 70, 178, 234, 272 s. a. Idee bei Kant Seiendes 37, 49, 52, 66, 67, 116, 117, 120, 127—129, 162, 219, 227, s. a. Ding, Sein Elemente 120 höchstes 154, 155 s. a. Gott Nichtseiendes 227 Sein 2—8, 14—16, 32, 37, 40, 42—45, 48, 49, 66, 67, 75, 76, 78, 97, 115— 117, 120—131, 135, 136, 139—142, 148, 151, 155—157, 164, 176, 180— 182, 185, 187, 189, 192, 196, 198— 200, 204, 206, 207, 210, 212, 221, 225—231, 234, 237—242, 254, 288, 289, 309 s.a. Ontologie Ansichsein 162, 163, 170, 204, 216, 217, 220, 221 allgemeinste Bestimmungen 43, 115 —123, 199, 221, 225, 229—231, 234, 235, 238—242 transzendentale Bestimmungen 117, 123—129, 133, 134, 141 s.a. Transzendentalien absolutes 179, 206, 238—240 formales 134 objektives 18, 185 ideales 3, 4, 40, 41, 44 reales 3, 5, 6, 18, 41, 230 rationales, mentales 3, 5—7, 134, 142, 225, 226 s. a. Denken phänomenales 5, 33, 164, 182, 201, 235, 241 s. a. Phänomenen, Ding noumenales, imelligibles 157, 164, 172, 174, 175, 201, 203—205, 210, 212, 235 s. a. Noumenon, Ding kategoriale Bestimmung 133, 136 logische Struktur 226 Substanzeigenschaft 124, 127 Prädikatcharakter 288 Analogiecharakter 226, 229—231,

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Sachregister

236 s. a. Analogie räumlich-zeitlicher Charakter 176, 178—180 göttliches 70, 135, 178, 179, 185— 187, 190, 191, 196—199, 210—212, 216, 221, 230, 231, 235—241 s. a. Gott mathematisches 41, 73 geschaffenes 52, 154, 231, 235, 236, 239—241 unvollkommenes 178 Nichtsein, ohne eigentliches Sein 56, 178, 227 Selbst s.Denken, Erfahrung sensibel s. Gegenstand Sinn 107, 145, 157—159, 168, 213, 222, 283 s.a. Sinnlichkeit, Erscheinung äußerer 32, 45 innerer 32, 181 202, 203, 205, 210, 283 subjektive Beschaffenheit 44, 183 Sinnendinge s. Phänomena Sinnenwesen s. Mensch, Phänomenen sinnlich und übersinnlich 161, 201 Sinnlichkeit 98, 99, 112, 115, 145, 157, 160, 166—169, 176, 180, 190, 191, 197, 213, 215, 216, 218, 223, 225, 234 s. a. Sinn, Erscheinung reine 94 räumlich-zeitlicher Charakter 160, 166 s. a. Erfahrung, Raum und Zeit Schemata 99 Sittengesetz s. moralisches Gesetz sittlich, Sittlichkeit 225, 226, 280 s.a. Subjekt, moralisches Gesetz Entscheidung 204, 205 Handeln 206, 207, 223 Spontaneität 204—206, 209, 280 Sphinx 178 Spontaneität s. a. Mensch, Ding an sich des erkennenden Subjekts s. Denken des handelnden Subjekts s. Handeln des sittlich handelnden Subjekts s. Sittlichkeit Sprache 122, 253 Stetigkeit 59—62, 68 s. a. Materie Stoff s. Materie Subjekt 76, 184

logisches 21, 23, 97, 98, 162, 163, 174, 178, 179, 182, 183, 185, 291— 293, 295, 297, 303, 311 s.a. Substanz empirisches 207, 209 transzendentales 184, 207 erkennendes 206, 207, 210—212, 217, 233, 238 s. a. Erkenntnis denkendes 206, 210, 232, 233 s.a. Denken handelndes 199, 201, 203—207, 211, 212, 216, 219, 232, 233, 238 s. a. Handeln individuelles 44, 184, 206, 207, 209 s. a. Mensch, Sittlichkeit intelligibles 209 endliches s. Mensch subsistieren 14, 93 Substantialität s. Prinzip der Substanz Substantivierung 122 Substanz, substantiell 2—4, 13—17, 32, 33, 38, 44, 89, 97—99, 106, 107,112, 118, 120, 121, 123, 125, 127, 128, 131, 133, 142, 160, 193, 209, 210, 216, 217, 219, 221, 229, 230, 274 s. a. Subjekt einfache und zusammengesetzte 53 Substratcharakter 97—99 Subjektfunktion 98, 99, 278 als Kategorie 97—99, 110, 206 s. a. Kategorie Schema 89, 97—99, 107, 112, 209 Substanzgesetz s. Prinzip der Substanz Substrat 107, 128, 216, 221 s. a. Ding an sich, Substanz Subsumtion, subsumieren 36 Synthesis, synthetisch 23, 24, 42, 99, 101, 103, 145—147, 176, 208, 209, 245—248, 250, 251, 259, 263, 264, 266—268, 270, 272—274, 276, 277, 279, 281, 283—286, 289, 291, 299, 300, 304, 309, 310 s.a. Satz, Urteil, Methode mathematische 42, 270 transzendentale 249, 282—284 der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition 282 qualitative und quantitative 274 regressive 274 Aprioritätscharakter 270, 272, 273

Sachregister Willkürcharakter 268—270 System, räumlich-zeitliches 112 s. a. Raum und Zeit mechanisches, Zentralsystem 110, 111, 114 Sonnensystem 110, 111 s.a. Bewegung Tafel der Urteile 88, 89, 100—104 der Kategorien 86, 88, 89, 93, 96, 101, 103, 104, 113, 115, 126, 215 der Schemata 88, 96, 103, 104 der Grundsätze 88—90, 103, 104 Tautologie 22, 127 Technik s. hergestelltes Werk Teilbarkeit, das Teilbare 49 Teilhabe 120 Temperatur 59, 60 Theismus, Theist 196, 197 Theodizee 8, 21, 187 Theologie, theologisch 6, 8, 32, 43, 69, 71, 75, 77, 113, 123, 135, 162, 173, 175, 187, 189, 190, 192, 193, 212, 217, 219, 230, 241 Fundamental theologie 142, 230, 231 christliche 187, 190, 195 natürliche 6, 83, 154, 155, 166, 187, 190, 196 rationale 187, 188 transzendentale 43, 66, 151, 279 Totalität 59, 63, 64, 66, 67, 287 transzendent, das Transzendente, transzendieren 124—128, 162, 178, 225, 228, 229 transzendental 32, 43, 44 s. a. Erkenntnis Untersuchung 44 s. a. Erörterung Leitfaden 101 Transzendentalien, transzendentale Bestimmungen 4, 123—134, 140— 142, 230 Konvertibilität 126, 127 Transzendentalphilosophie, transzendentalphilosophisch 49, 117, 130, 133, 140—142, 214, 231, 311, 318 s. a. Philosophie der Alten 43, 126, 318 kritische Kants 141, 186, 248, 271

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—273, 277, 297 Tun und Leiden 205 Übel 252 Undurchdringlichkeit 107 unendlich, das Unendliche, Unendlichkeit 6—8, 15, 16, 49—52, 57, 59, 60, 62, 64, 69, 189, 256 s.a. Raum und Zeit Universalien 135 s. Allgemeinbegriffe Universum 57, 84, 116, 117, s.a. Welt Unsterblichkeit 151, 152, 169—172, 186 s.a. Idee bei Kant Untersuchung, transzendentale 44 unum 4, 43, 117, 124—128 s.a. Einheit, Transzendentalien Ursache 159, 185, 186, 193, 195, 215, 219, 301 s. a. Natur, Welt, Gott mechanische 306 Ursache und Wirkung s. Kausalität, Prinzip Urteil 4, 22, 23, 101—103, 144, 257, 264, 282, 292, 306, 311 s. a. Satz mathematisches 22, 266, 281, 283, 301 geometrisches 23, 24, 282 arithmetisches 304 logische Funktion 115 allgemeines 257 bejahendes 102 unendliches 102 leeres 275, 276, 280 der Quantität, der Qualität, der Relation 100 der Modalität 100, 196 analytisches 21, 22, 87, 102, 103, 249, 250, 262, 264, 274—282, 284— 287, 289, 290, 294, 300, 305, 307, 308, 310, 311 s.a. Analysis, Methode oberster Grundsatz 275 synthetisches 21, 22, 24, 30, 87, 102, 103, 249, 250, 264, 265, 270, 274—276, 281—289, 291, 294, 300, 301, 307, 308, 310—312 s.a. Synthesis, Methode oberster Grundsatz 275 a priori 283, 297, 299, 303— 305 a posteriori 283 metaphysisches 276

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Sachregister

Existenzialurteil s. Existenz analytische Urteilstheorie 262—264, 276, 277, 280, 281, 285, 290—294, 311 Verbindung s. Synthesis Vergängliche 49 Vernunft 48, 68, 105, 115, 129, 148, 171, 173, 184, 265, 269, 280 s.a. Denken göttliche 52 menschliche 151, 171,184,186, 187, 207, 266, 301 natürliche 52 Selbsterkenntnis 105 s. a. Bewußtsein reine spekulative 65, 151, 152, 170 —173, 184—186, 190, 202, 209, 210, 241, 270, 280 reine praktische 152, 171—173,183, 185, 186, 202, 209, 210 Vernunftbegriff s. Idee bei Kant Verschiedenheit 3 Verstand 32, 41, 68, 78, 79, 85, 86, 99, 106, 109, 112, 115, 128—130, 137, 138, 144—148, 154, 157, 158, 160, 168, 182, 190—193, 195, 198—200, 206, 211, 213, 222, 236, 239, 269, 272 s. a. Kategorien, Denken, Erkennen endlicher 187, 191, 192, 195, 231 s. a. Mensch unendlicher 6, 7, 187, 190—192, 231 s.a. Gott anschauender 154, 166, 190, 199 reiner 106, 107, 161, 191, 196, 237, 275 logischer Gebrauch 115 empirischer Gebrauch 85, 137, 138, 157, 160, 161, 184, 205, 237, 307 s. a. Kategorien Schematismus 96, 112, 237 als Vermögen 144, 145, 147 Verstandesbegriffe, reine s. Kategorien Verstandeswesen s. Gott, Mensch, Noumenon verum 43 s. a. Wahrheit, Transzendentalien Vielheit 137, 215, 232, 233 transzendentale 131, 136

als Kategorie 206, 215, 232 der göttlichen Attribute 231 s. a. Gott Vollkommenheit 123, 135, 140, 141, 287 s. a. Transzendentalien Vorstellung 3, 7, 18, 34, 41, 44, 64, 68, 98, 114, 115, 159, 161, 166, 177, 180, 181, 183, 184, 200, 208, 209, 213, 223, 226, 239, 290, 297, 307 s. a. Erkennen gedadite 33 apriorische 34, 37, 166 Wahrheit 72, 123, 131, 251, 260—262, 265, 266, 275, 304 Offenbarungswahrheit 52 theologische Begründung 69, 71, 135 transzendentale Bestimmung 123, 126, 129, 141 s. a. Transzendentalien für uns erkennbare 71 mathematisch-naturwissenschaftliche 69, 72 Wahrheit und Falschheit 230 s.a. Urteil, Satz wissenschaftliche 251 bekannte und unbekannte 255, 256 Wahrnehmung 42, 145 mögliche 56 äußere 107 Antizipationen 89, 90 Wasser 116, 118 s.a. Idee, Prinzip Welt 7, 39, 40, 48, 50, 64, 66—68, 73—75, 82, 109, 113—116, 118, 122, 160, 186, 192, 197, 198, 219, 232, 236, 273, 274 s. a. Natur Ursache 49, 195, 218 geschaffene 51, 52, 69—72, 154, 192, 193, 195, 218, 236, 239, 241 s. a. Gott Zahlcharakter 117 Existenz 52, 64, 219 Endlichkeit und Unendlichkeit 49 —51, 53, 56—58, 67, 68, 71, 74, 113, 200 Grenze 48, 50, 54, 56, 57, 63, 66 Anfang und Ende 48, 51, 52, 54— 57, 66, 73, 81, 82, 193 Ruhe und Bewegung 56, 57 Einheit, Ganzes 67, 68, 154, 223

Sachregister s. a. Totalität wirkliche 5, 7, 8, 40, 41, 290 mögliche 6—8, 40, 290 moralische 5 Außenwelt 184 Erscheinungscharakter 111 Modellcharakter, transzendentale Idealität 74 sensible 152, 187, 194, 200, 203, 210, 219, 222, 223 s. a. Anschauung, Ding, Gegenstand, Erscheinung, Phänomenon intelligible 152, 153, 171, 172, 200, 202, 210, 219, 222—227 s. a. Anschauung, Ding, Gegenstand, Noumenon objektive Realität 171, 172 s. a. Realität Werk Gottes 195 s. Gott als Schöpfer des Menschen, hergestelltes 195 Kunstwerk 195 Wesen 17 s. Substanz, Sein, Noumenon Wesenheiten, nominale 261 Widerspruch, widersprüchlich 28, 55, 57, 59, 63—65, 71, 74, 179, 194, 214, 219, 224, 261, 269, 287 Widerspruchsfreiheit 26, 27, 29, 33, 40, 46, 175, 205, 261 s. a. Prinzip Wiedererinnerung bei Plato 35 s. a. Idee bei Plato Wille 192, 193, 199, 239, 280 Gottes 192, 199, 212, 231, 236, 238 s. a. Gott des Menschen 192, 206, 211, 231, 236, 240 s. a. Mensch empirischer 192 reiner 192, 210 freier 280 s. a. handeln, Sittlichkeit Willkür 73, 269, 282 Wirklichkeit, wirklich, das Wirkliche 15, 90, 178, 230 s. Existenz Wissen und Meinen 227 Wissenschaft 107, 219, 220, 227, 241, 249, 252, 253, 255, 259, 266, 268, 273, 276, 292 Einteilung 76 experimentelle 36 demonstrative 261

347

analytischer und synthetischer Charakter s. die Wissenschaften im einzelnen Wissenschaftstheorie V, 8, 18, 32, 59, 64, 68, 69, 74, 90, 102, 110, 146 Wohlordnung, Satz von der Wohlordnungsfähigkeit 26 Zahl 3, 5, 6, 96, 97, 117—120, 131— 133, 135, 136, 138, 139, 283 Zahlklassen 96, 97 natürliche 96, 136 rationale 97 reelle 26, 97 komplexe 97 Zahlgrößen 42 Prinzipiencharakter 117—120 Substanzcharakter 124, 283 zeitlos und unbeweglich 119, 120 die Zahl Eins 117, 119, 124 die Zahl Zwei 119, 136, 137, 260 die Zehnzahl 117 Akzidenscharakter 136, 137 Relationscharakter 138 transzendentaler Charakter 131— 133 kategorialer Charakter 131, 132, 135 synthetischer Charakter 283 Zeit 3, 5, 13—19, 33, 34, 37, 39, 42— 44, 46, 47, 49, 51—53, 56, 57, 65, 66, 70, 73—76, 81, 82, 91, 97—100, 109, 112, 113, 115, 122, 138, 140, 166, 167, 176—178, 180, 181, 183, 184, 189, 190, 194, 197, 198, 205, 207, 209, 212, 222, 223, 226, 268, 273, 294—299, 307, 309—311 Ursprung 44 Seinsbestimmung 14—18, 42—47, 122, 156, 181, 184, 189 Definierbarkeit 295—296 unveränderliche 53, 98 endliche und unendliche 51—53, 73, 179, 189 Anfang und Ende 55 Zeitfolge 85, 89, 104, 105, 176 Teile 55 leere 55, 56

348

Sachregister

außer der Zeit, zeitlos 119, 120, 203 Eindimensionalität 295 reine 39 Substanzcharakter 14—18, 32 Akzidenscharakter 16, 17, 32, 166, 179 Relationscharakter 18, 32, 166 Erscheinungscharakter 18, 32, 33, 46, 78, 109, 111, 112, 173, 174, 176, 181, 183, 189, 294 Kontinuumcharakter 295 Formcharakter 47, 65, 66, 78, 176 —178, 190, 295 Apriorität 34, 39, 46 synthetischer Charakter 309, 310 Gültigkeit 47, 167, 177 objektive Realität 183, 185 empirische Realität 42, 43, 47, 182, 183

transzendentale Idealität 42—44, 109, 157, 165, 176, 182, 189, 190, 214, 231, 232, 234, 235 absolute Realität 43, 44, 179, 183, 189, 234 transzendentale Realität 43, 183, 234 Kriterium der Wirklichkeit 176— 181 Zergliederung 245—248, 257, 259, 263, 266, 268, 272, 276—278, 280, 301, 302, 307, 308 s. a. Analysis Zweck 210, 251 Naturzweck 195 s. a. Natur Endzweck der Weh 154, 219 s.a. Welt Zweck und Mittel 280 Zweiweltentheorie 120, 123, 222—224, 227, 228 s. a. Idee

SCHRIFTENVERZEICHNIS Vorkritische Schriften: 43, 85, 152, 153, 263, 264, 285, 286, 303—306, 311, 312 Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1747): 21, 265, 298 Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio (1755): 84, 264, 265, 294, 306, 311 Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen (1762): 263, 267, 285, 304, 306, 312 Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763): 188, 189, 267, 278, 289, 290, 298, 299, 306, 311, 312 Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (1763): 267, 306, 312 Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764): 267 Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (1764): 248, 249, 264, 266, 267, 269, 270, 281, 282, 284—286, 296, 298, 299, 302, 304, 306—308, 310, 312 Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume (1768): 32, 256 De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (1770): 13, 33, 34, 45, 48, 72, 109, 113, 152, 157, 160, 165, 167, 179, 222, 248, 249, 267, 273, 284—286; 296, 298, 299, 303, 311 Kritische Schriften:

153, 203, 213, 266, 274, 282, 288

Kritik der reinen Vernunft (1781 und 1787): V, 9, 48, 66, 75, 78, 85, 86, 88, 98, 99, 109, 110, 115, 126, 130, 135, 143, 145, 146, 148, 151—153, 155—157, 159—161, 163, 165, 167, 169—173, 179, 181, 184, 186, 189, 190, 194, 197, 199, 201—203, 205—207, 209, 213, 214, 216, 218, 220, 223, 226, 233, 234, 247, 249, 253, 265, 266, 270, 273—275, 278, 281, 286, 288, 290, 291, 296, 298, 300—302, 304—306, 309—311 Vorrede 151, 214 Einleitung 44, 253, 271—273, 300 Die transzendentale Ästhetik 13, 19, 32—34, 45, 48, 64, 75, 76, 102, 111, 115, 165, 166, 169, 179, 182, 183, 190, 234, 265, 271, 273, 300, 303 Die transzendentale Analytik 47, 48, 58, 75, 76, 100, 102, 106, 112, 113, 115,

350

Schriftenverzeichnis

159, 165—167, 169, 180, 183—185, 202, 205, 209, 215, 232, 235, 272 Die Analytik der Begriffe Zur Deduktion der reinen Verstandesbegriffe 109, 112, 144, 145, 147, 148, 183, 208, 209, 279, 282 Die Analytik der Grundsätze Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe 96, 97, 99, 112, 155, 167, 168, 176—178 System aller Grundsätze des reinen Verstandes 155, 163, 176, 177, 182 Axiome der Anschauung 88 Antizipationen der Wahrnehmung 89 Analogien der Erfahrung 85, 89, 176, 305 Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt 89, 176, 177, 182 Widerlegung des Idealismus 181 Von dem Grund der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phänomena und Noumena 25, 157, 158, 165, 167, 213 Von der Amphibolic der Reflexionsbegriffe 32, 106 Die transzendentale Dialektik 48, 49, 58, 65, 67, 72, 75, 102, 111, 112, 115, 155, 165, 167, 175, 185, 193, 202, 233, 272 System der transzendentalen Ideen 151, 253 Von den Paralogismen der reinen Vernunft 278, 279 Die Antinomien der reinen Vernunft 49, 53—55, 57—60, 63—69, 71—73, 109, 186, 193, 205, 218, 279 Über die Beweise vom Dasein Gottes 289 Transzendentale Methodenlehre 165, 167, 170, 270, 277, 302 Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (1783): 64, 65, 181, 213, 215, 247, 249, 253, 256, 265, 266, 275, 276, 278, 281, 286, 301, 305, 310 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785): 200, 213, 280 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786): 68, 96, 306 Kritik der praktischen Vernunft (1788): 96, 152, 153, 165, 170—172, 184, 185, 190, 193, 194, 196, 197, 200—207, 213—215, 218, 220, 223, 226, 233, 280 Vorrede 157, 186 Die Analytik der praktischen Vernunft 193, 223, 224, Kritische Beleuchtung der Analytik 193 Über die Postulate der praktischen Vernunft 156, 202 Über die Erweiterung der reinen Vernunft in praktischer Absicht 172, 173 Beschluß 203 Kritik der Urteilskraft (1790): 218—220, 226

96, 153, 193—195, 197, 202, 203, 213, 214,

Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll [Die Streitschrift gegen Eberhard] (1790): 26, 214 Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793): 214

Schriftenverzeichnis

351

Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibniz'ens und Wolff's Zeiten in Deutschland gemacht hat? (1804): 153 Vorlesungen über Mathematik

255, 256, 300, 305, 309

Vorlesungen über Logik 248, 256, 257, 263 Vorlesungen über Metaphysik

188

Vorlesungen über natürliche Theologie 188, 191, 196, 198 Vorlesungen über Religionsphilosophie 194 Opus postumum 95, 213 Reflexionen 2389—2402: 4135: 5343, 5357: 5981: 6282: 6344, 6348:

257 218 180 218 186 157

Kants Werke Akademie-Textausgabe. 9 Bände. Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften. Oktav. Kunststoff kaschiert. Rund 4370 Seiten. 1968. Pro Band DM 9,80; alle Bände DM 88,20

Sachindex zu Kants Kritik der reinen Vernunft Herausgegeben von GOTTFRIED MARTIN. Bearbeitet von DIETER-JÜRGEN LÖWISCH. Oktav. VIII, 353 Seiten. 1967. Ganzleinen DM 38,—

Allgemeiner Kantindex zu Kants gesammelten Schriften. In Zusammenarbeit mit INGEBORG HEIDEMANN, HUGO MOSER, GEROLD UNGEHEUER, HEINZ UNGER, LEO WEISSGERBER. Herausgegeben von GOTTFRIED MARTIN. Etwa 21 Bände. Groß-Oktav. Band 16/17: Zweite Abteilung: Wortindex zu Kants gesammelten Schriften, Band 1/2: Wortindex zu Bd. 1—9, A—K, L—Z. Bearbeitet von DIETER KRALLMANN und HANS ADOLF MARTIN. IV, 1110 Seiten. 1967. Ganzleinen zus. DM 200,—

Der Kategorische Imperativ Eine Untersuchung über Kants Moralphilosophie. Von H. J. PATON. Groß-Oktav. XVI, 335 Seiten. 1962. Ganzleinen DM 28,—

Kants Metaphysik der Natur Von LOTHAR SCHÄFER. Groß-Oktav. VIII, 200 Seiten. 1966. Ganzleinen DM 38,— (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie IX)

Allgemeine Metaphysik Ihre Probleme und ihre Methode. Von GOTTFRIED MARTIN. Groß-Oktav. VIII, 358 Seiten. 1965. Ganzleinen DM 48,—

Leibniz Logik und Metaphysik. Von GOTTFRIED MARTIN. 2., durchgesehene und vermehrte Auflage. Groß-Oktav. VIII, 263 Seiten. 1967. Ganzleinen DM 38,—. (Die 1. Auflage erschien 1960 im Kölner Universitätsverlag)

Transzendentale Dialektik Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Von HEINZ HEIMSOETH. 3 Teile. Groß-Oktav. I.Teil: Ideenlehre und Paragolismen. XII, 198 Seiten. 1966. DM 18,—; 2. Teil: Vierfache Vernunftantinomie. Natur und Freiheit; intelligibler und empirischer Charakter. VI, Seiten 199—408. 1967. DM 18,—. 3. Teil: Das Ideal der Vernunft; die spekulativen Beweisarten vom Dasein Gottes; dialektischer Schein und Leitideen der Forschung. In Vorbereitung.

Walter de Gruyter 8n Co · Berlin 30