223 92 8MB
German Pages 609 [626] Year 2018
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von
Konrad Schmid (Zürich) · Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen) · Andrew Teeter (Harvard)
121
Matthias Ederer
Identitätsstiftende Begegnung Die theologische Deutung des regelmäßigen Kultes Israels in der Tora
Mohr Siebeck
Matthias Ederer, geboren 1977; Studium der Kath. Theologie und der Judaistik; 2010 Promotion; 2017 Habilitation; derzeit Akademischer Oberrat a. Z. am Lehrstuhl für Exegese und Hermeneutik des Alten Testaments in Regensburg.
ISBN 978-3-16-155413-1 / eISBN 978-3-16-155414-8 DOI 10.1628/ 978-3-16-155414-8 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
für Rebekka
Vorwort „Ich habe bereits festgelegt für sie [= das Volk Israel] die Ordnung der Opfergaben – und zu der Zeit, da sie darin lesen ()קרא, rechne ich ihnen an, als ob sie sie [= die Opfergaben] vor mir dargebracht hätten und ich vergebe ihnen ihre Sünden.“ (bTaan 27b)
Mit dieser Zusage antwortet Gott in der rabbinischen Aggada auf den besorgten Einwand des Abraham, der sich um den Fortbestand seiner Nachkommenschaft in denjenigen Zeiten sorgt, in denen ihnen – mangels Tempel – keine Möglichkeit einer kultischen Sühne gegeben sein wird. Aufmerksam gelesen verdeutlicht das Zitat, dass – aus Sicht der Rabbinen – nicht die Lesung der Opfervorschriften der Tora ein „Notbehelf“ ist, ein (defizitäres) Substitut, das etwas Ähnliches wie die Erfüllung von Geboten erlaubt, die ohne Tempel und legitimes Kultpersonal im Grunde unerfüllbar sind. Im Gegenteil: Die „Ordnung der Opfergaben“, d.h. die zahlreichen Kultvorschriften der Tora, sind ausdrücklich für die tempellose Zeit vorgesehen und von Gott, der natürlich bereits weiß, dass Abrahams Kinder einen großen Teil ihrer Geschichte ohne Kult und Tempel auskommen werden müssen, für diese festgesetzt worden. Sie, die Texte selbst, sind also das Äquivalent für einen real vollzogenen Tempelkult. Entsprechend sind sie in erster Linie auch nicht als Handlungsanweisungen (an Priester und Kultteilnehmer) zu verstehen – ungeachtet der Tatsache, dass sie auch solche enthalten. Ihr primärer Zweck besteht vielmehr darin, gelesen ()קרא, d.h. im Lehrhaus studiert und im Gottesdienst liturgisch vorgetragen zu werden. Es sind Texte, die zu theologischem Nachdenken herausfordern und zugleich zu den verbindlichen Grundlagen jüdischer Identitäten beitragen, die im Rahmen der liturgischen Schriftlesung vergegenwärtigt werden. Kurzum: Es sind Texte, die ihren Lesenden / Hörenden Zukunft eröffnen, so dass sich Abrahams Sorge in der oben anzitierten Aggada tatsächlich als unbegründet erweist. Wie umfassend die skizzierte „Idee“ aus bTaan 27b zu Zweck und Intention der Opfertexte eben diesen gerecht wird und wie genau sie beschreibt, was diese Texte ausmacht, ist mir in der Auseinandersetzung mit einigen (wichtigen) Opfertexten der Tora immer wieder und an den unterschiedlichsten Stellen (oft mit Staunen) bewusst geworden. So sei bTaan 27b als einem wichtigen „Gesprächspartner“ dieser Studie auch das erste Wort in dieser eingeräumt – ebenso wie der Stelle auch das letzte Wort gebühren wird. Die vorliegende Studie ist im SoSe 2016 an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg als Habilitationsschrift eingereicht und
VIII nach Abschluss des Habilitationsverfahrens im WS 2016/17 für die Drucklegung geringfügig überarbeitet worden. An dieser Stelle möchte ich zunächst allen herzlich danken, die in das Habilitationsverfahren involviert waren und zu seinem erfolgreichen Ausgang beigetragen haben: An erster Stelle ist hier Prof. Dr. Christoph Dohmen zu nennen, der als Betreuer, als Mitglied im Fachmentorat und als einer der Gutachter einen wichtigen Anteil im Verfahren hatte. Ihm danke ich für alle Mühen in diesen Rollen, den fachlichen Austausch und die vielen Freiräume, v.a. aber für die große Unterstützung und Förderung weit über die Habilitation hinaus! Prof. Dr. Barbara Schmitz und Prof. Dr. Erwin Dirscherl haben als weitere Mitglieder des Fachmentorats das Werden der Arbeit hilfreich begleitet; die Mühen der Begutachtung haben Prof. Dr. Bernd Janowski und Prof. Dr. Thomas Hieke auf sich genommen. Auch ihnen danke ich von Herzen. Ebenso danke ich dem Präsidenten der Universität Regensburg, Prof. Dr. Udo Hebel, für die nachhaltige und effektive Förderung, die ich in der Habilitationsphase über das „Academic Research Sabbatical-Programm“ (ARSP) der Universität in Anspruch nehmen konnte. Prof. Dr. Konrad Schmid, Prof. Dr. Mark S. Smith und Prof. Dr. Hermann Spieckermann danke ich für die Aufnahme der Studie in die Reihe „Forschung zum Alten Testament und den Mitarbeitern des Verlags Mohr Siebeck, v.a. Frau Susanne Mang und Frau Katharina Gutekunst, für die hervorragende Betreuung der Veröffentlichung. Um die kritische Lektüre der ursprünglichen Habilitationsschrift bzw. der Druckvorlage und um das Auffinden vieler Fehler haben sich Herr Hubertus Kerscher und Herr Martin Seiberl, studentische Hilfskräfte in Regensburg, sowie meine Frau, Martina Ederer, gemüht. Es waren große Mühen – und umso mehr bin ich für ihren Beitrag dankbar. Ein besonderer Dank – weit über das kritische Lesen der Manuskripte hinaus – gilt schließlich meiner Frau Martina und unseren Kindern, Josua, Rebekka und Jonathan, für ihren großen Rückhalt beim Habilitieren ebenso, wie für das bunte Leben auch jenseits des „Tamid“. Gewidmet sei die Arbeit meiner Tochter Rebekka, die mitten in meiner Habilitationsphase geboren wurde, die so diese Zeit stark mit geprägt hat und seither mit ihrer Lebendigkeit, Neugierde und Beharrlichkeit Welten erkundet. Regensburg, den 01. Juli 2018 / 17. Tammuz 5778
Matthias Ederer
Inhalt Vorwort ..................................................................................................... VII 1 A
Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... 1XVI A
Kap. 1: Einleitung................................................................................ 1 A. Fragestellung und Herangehensweise ....................................................... 1 I. II. III. IV.
Hinführung....................................................................................... 1 Das Bedeutungsspektrum von תמיד................................................... 3 Fragestellung ................................................................................... 4 Herangehensweise ............................................................................ 7
B. Begriffsklärungen ...................................................................................... 8 I. Hermeneutische Reflexion ............................................................... 8 II. Ritual ............................................................................................. 10 III. Opfer.............................................................................................. 12 C. Eingrenzen des Gegenstands ................................................................... 13
Kap. 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31) ................ 15 A. Hinführung .............................................................................................. 15 I. Herstellungsanweisungen (Ex 25,2–27,19) .................................... 16 II. Das Tamid am Tisch (Ex 25,30) ..................................................... 25 III. Ausblick auf Ex 27,20–30,10 ......................................................... 28 B. Aaron und der Kult im „Heiligen“ (Ex 27,20–28,43) .............................. 30 I.
Der regelmäßige Kult an der Menora (Ex 27,20–21) ...................... 31 1. Kollekte (Ex 27,20ab) ................................................................ 31 2. Kulthandlungen und Akteure...................................................... 35 3. Aaron und seine Söhne ............................................................... 43
X
Inhalt
4. Die adverbialen Bestimmungen in Ex 27,20bI.21a ..................... 46 5. Von Abend bis Morgen .............................................................. 51 6. Die qualifizierenden Wendungen in Ex 27,21b .......................... 60 7. Resümee..................................................................................... 63 II. Die Gewänder der Priester – Ex 28,1–43 im Überblick .................. 65 1. Struktur und Gliederung von Ex 28,1–43 ................................... 65 2. Ex 28,1–5.41 als deutender „Rahmen“ ....................................... 67 III. Bedeutung und Funktion der Gewänder Aarons (Ex 28,6–40) ........ 76 1. Hermeneutische Vorüberlegungen ............................................. 79 2. ’efod und ḥošæn ......................................................................... 80 a) Herstellungsanweisungen ........................................................ 80 b) Beschriftete Steine .................................................................. 83 c) Die Deutesätze in Ex 28,12.29–30 ........................................... 93 3. Der meʽīl................................................................................... 111 4. Der ṣīṣ ...................................................................................... 116 5. (Unter-)Hosen .......................................................................... 125 IV. Aarons Dienst in Ex 28,1–43 und Ex 27,20–21 ............................ 128 C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37).................................................. 132 I. II.
Ex 29,1–37 im Überblick ............................................................. 132 Das Heiligen der Priester (Ex 29,1–35) ........................................ 135 1. Vorbereitungen (Ex 29,1b–4a) ................................................. 135 2. Einführende Riten (Ex 29,4b–9) ............................................... 137 3. Entsündigungs- und Brandopfer (Ex 29,10–14.15–18) ............. 141 4. Der „zweite Widder“ (Ex 29,19–28) ........................................ 144 5. Zwischenresümee ..................................................................... 153 6. Abschlussbestimmungen (Ex 29,29–35)................................... 154 III. Die Altarweihe (Ex 29,36–37) ..................................................... 161 IV. Ausblick auf Lev 8,1–36 .............................................................. 177
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46) ......................................... 180 I.
II.
Gliederung und Struktur ............................................................... 181 1. Überblick ................................................................................. 181 2. Ex 29,38–42 ............................................................................. 182 3. Ex 29,43–46 ............................................................................. 184 Die Anweisungen zum Brandopfer-Tamid (Ex 29,38–42) ............ 185 1. Themenangabe (Ex 29,38a–aR)................................................ 185 2. Vollzüge und Akteure .............................................................. 186 3. Opfergaben .............................................................................. 189 4. Zeiten ....................................................................................... 190 5. Qualifizierungen (Ex 29,41c–42a)............................................ 195
Inhalt
XI
III. Raumkonzepte (Ex 29,42) ............................................................ 200 1. Vorüberlegungen: Was ist ‚Raum‘?.......................................... 201 a) Der spatial turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften ...... 201 b) Die „Raumsoziologie“ von Martina Löw .............................. 208 c) Georg Simmel ....................................................................... 212 d) Räume als Texte – Räume in Texten ..................................... 213 2. Konkretisierung: Raumkonzepte in Ex 25–27 .......................... 218 a) Lade und Kapporet (Ex 25,10–22)......................................... 218 b) Raumkonzepte in Ex 26,31–37 .............................................. 226 3. Der „Eingang des Zelts der Begegnung“ in Ex 29,42 ............... 237 a) „Konturen“ des „Eingangs“ in Ex 29 ..................................... 237 b) Institutionen .......................................................................... 245 c) Der Eingang des Zelts und die Kapporet ............................... 247 IV. Theologische Verortungen und Kontextualisierungen .................. 249 1. Heiligkeit (Ex 29,43–44) .......................................................... 250 a) ( נקדשEx 29,43b) ................................................................... 250 b) JHWH heiligt (Ex 29,44) ...................................................... 259 2. Das „Wohnen“ JHWHs (Ex 29,45–46) ..................................... 260 a) „Wohnen“ inmitten der Söhne Israels (Ex 29,45a) ................ 262 b) Das „Wohnen“ JHWHs und der Bund (Ex 29,45b) ............... 268 c) Das „Wohnen“ JHWHs und der Exodus (Ex 29,46) .............. 275 3. Tamid und Manna? ................................................................. 279 a) Überblick über Ex 16,1–12 .................................................... 280 b) Ausblick auf Ex 16,13–36 ..................................................... 286 c) Tamid und Mannagabe .......................................................... 289 d) Tamid und Shabbat ............................................................... 292 4. Abschluss (Ex 29,46c) ............................................................. 295 E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10) ........................................................... 296 I. Ort und Funktion von Ex 30,1–10 ................................................ 297 II. Herstellungsanweisung (Ex 30,1–5) ............................................. 300 III. Raumkonzepte (Ex 30,6) .............................................................. 302 1. spacing ..................................................................................... 302 2. Ausblick auf Ex 27,21 .............................................................. 309 3. JHWHs Begegnen am Altar? ................................................... 310 4. Der Standort des Altars ............................................................ 312 IV. Kultvollzüge (Ex 30,7–10) ........................................................... 313 1. Räuchern (Ex 30,7–8) .............................................................. 314 2. Verbote (Ex 30,9)..................................................................... 321 3. Versöhnung (Ex 30,10) ............................................................ 324
XII
Inhalt
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17) ............................................. 328 I.
Heiligkeit und Heiligung .............................................................. 331 1. Der Schutz der Heiligkeit ......................................................... 331 2. Das „Herstellen“ von Heiligkeit ............................................... 334 3. Die Heiligkeit des Shabbat ....................................................... 335 II. Die Partizipation der Israeliten ..................................................... 336 1. „Lösegeld“ (Ex 30,11–16) ........................................................ 337 2. Handwerker (Ex 31,1–11) ........................................................ 343 III. Resümee und Ausblick ................................................................. 346
Kap. 3: Tamid und Kultinaugration ................................................. 348 A. Der Auftrag JHWHs zum Aufbau des miškān (Ex 40,1–15) ................... 349 I.
II.
Die Beauftragung des Mose ......................................................... 349 1. Das Aufrichten des miškān (Ex 40,2–8) ................................... 350 2. Salbungen (Ex 40,9–15) ........................................................... 353 Ex 40,1–15 und die Berichte in Ex 40; Lev 8–10; Num 7 ............ 356
B. Das Tamid und der Aufbau des Heiligtums (Ex 40,16–33) .................... 360 C. Das Tamid und der erste Gottesdienst Israels am Sinai (Lev 9) ............ 367 I. II. II. IV.
Der Ablauf der Feier .................................................................... 367 Ein „versteckter“ Tamid-Dienst im „Heiligen“? (Lev 9,22–23).... 373 Resümee ...................................................................................... 378 Ausblick auf Lev 10 ..................................................................... 378
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4) ......................... 381 I. II.
Kommen und Reden (Num 7,89).................................................. 381 Der Dienst Aarons am Leuchter (Num 8,1–4) .............................. 385 1. Struktur .................................................................................... 386 2. Funktion und Herstellung des Leuchters .................................. 387 a) Der Dienst Aarons am Leuchter (Num 8,1–3) ....................... 388 b) „Gegenüber“?........................................................................ 391 c) Herstellung (Num 8,4) ........................................................... 395
E. Resümee ................................................................................................ 398
Inhalt
XIII
Kap. 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung ......... 403 A. Vorüberlegung: Die rechtssystematische Einordnung der Tamid-Texte 404 I. II.
Rechtssystematik ......................................................................... 404 Kulttōrōt im Numeribuch ............................................................. 411 1. Num 15,1–41 ........................................................................... 412 2. Num 18–19 .............................................................................. 415 3. Num 28–30 .............................................................................. 416
B. Der regelmäßige Kult an Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9) ................... 418 I.
Überblick über Text und Kontext von Lev 24,1–9........................ 419 1. Text.......................................................................................... 419 2. Kontext .................................................................................... 419 II. Der regelmäßige Kult am Leuchter (Lev 24,2–4) ......................... 422 1. Das Verhältnis von Lev 24,2–4 und Ex 27,20–21..................... 423 2. Auswertung der Bezüge zwischen Ex 27,20–21 und Lev 2,2–4 427 3. Lev 24,4 ................................................................................... 428 III. Der regelmäßige Gottesdienst am Tisch (Lev 24,5–9) .................. 432 1. Aufriss und Struktur ................................................................. 433 2. Die Brote (Lev 24,5) ................................................................ 434 3. Kulthandlungen (V.6–9)........................................................... 440 a) Das Auflegen der ḥallōt (Lev 24,6) ....................................... 441 b) Das Auflegen von Weihrauch (Lev 24,7) .............................. 443 c) Jeden Shabbat (Lev 24,8) ...................................................... 445 d) Das Anordnen der ḥallōt (Lev 24,8) ...................................... 448 e) Lev 24,5–9 und Ex 25,30 ...................................................... 450 f) Resümee ................................................................................ 452 4. Das Verhältnis zwischen Lev 24,6.8 und Lev 24,4 ................... 453 IV. Interpretation von Lev 24,1–9 im Kontext.................................... 455 1. Lev 23,1–44 im Überblick........................................................ 455 2. Lev 23,2.4 als „Überschrift“ des Festkalenders ........................ 459 3. Shabbat (Lev 23,3) ................................................................... 463 4. Der Rahmenschluss Lev 23,37–38 ........................................... 468 5. Israels Zeit(en) in Lev 24,1–9 und Lev 23,1–44 ....................... 472 C. Das Tamid und die Festtagsopfer (Num 28,3–8) ................................... 477 I.
Aufriss von Num 28–29 und Bezüge zu Lev 23 ........................... 478 1. Einleitung und Schluss (Num 28,2; 29,39) ............................... 478 2. Das Verhältnis zum Festkalender in Lev 23 ............................. 486 3. Der Opferkalender im Überblick .............................................. 488 4. Regelmäßige Kultvollzüge ....................................................... 494
XIV
Inhalt
II.
Das regelmäßige Brandopfer in Num 28,3–8................................ 495 1. Num 28,3b–bR als Einleitung .................................................. 498 2. Qualifizierende Wendungen (Num 28,6.8c) ............................. 500 3. Das Trankopfer (Num 28,7) ..................................................... 505 4. Die Trankopfer in Num 28,9–29,38.......................................... 510 III. Ausblick ....................................................................................... 513 IV. Resümee ...................................................................................... 516 D. Regelmäßige Kultvollzüge in der Opfertora (Lev 1–7) .......................... 518 I. II.
Die Opfertora (Lev 1–7) im Überblick ......................................... 519 Das „regelmäßige Feuer“ (Lev 6,1–6) .......................................... 524 1. Gliederung und Struktur ........................................................... 525 2. Altar – Feuer – Opfer ............................................................... 527 a) Altar und Brandstelle ............................................................ 528 b) Das Reinigen des Altars ........................................................ 530 c) Hölzer und Opfer................................................................... 532 III. Die „Weisung zum Speiseopfer“ (Lev 6,7–16) ............................. 539 1. Gliederung und Struktur ........................................................... 539 2. Die Darbringung der minḥā und die Priesteranteile .................. 540 3. Die minḥā des Gesalbten Priesters ........................................... 544 4. Fazit ......................................................................................... 549
Kap. 5: Zusammenschau und Systematisierung ............................... 551 A. Literarische Kontexte in der Tora ......................................................... 551 B. Kultvollzüge und theologische Deutung(en) .......................................... 552 I.
Der Dienst im „Heiligen“ ............................................................. 552 1. Charakteristika ......................................................................... 553 a) Aaron .................................................................................... 553 b) Orte und Räume .................................................................... 555 2. Das Entzünden des Leuchters ................................................... 556 a) Ex 27,20–21 .......................................................................... 556 b) Lev 24,2–4 ............................................................................ 558 3. Das tägliche Weihrauchopfer ................................................... 559 4. Das Auflegen der zwölf ḥallōt.................................................. 559 5. Resümee................................................................................... 560 II. Regelmäßige Kultvollzüge am Brandopferaltar ............................... 561 1. Akteure .................................................................................... 561 2. Das tägliche Brandopfer ........................................................... 562 a) Grundlegende Deutung .......................................................... 562
Inhalt
XV
b) Weiterführende Interpretationen in Ex 29,38–46 ................... 563 c) Weiterführende Interpretationen in Num 28,3–8 ................... 567 3. Das Altarfeuer .......................................................................... 568 4. Das Opfer des Gesalbten Priesters ............................................ 569 C. Kultinauguration................................................................................... 569 D. Zusammenfassende Deutung ................................................................ 570
Literaturverzeichnis ................................................................................... 575 Stellenregister............................................................................................ 591 Sachregister ............................................................................................... 605 Autorenregister .......................................................................................... 605
Hinweis: Das Kapitel 5 („Zusammenschau und Systematisierung“) ist relativ ausführlich angelegt und bietet eine kompakte Zusammenfassung aller wichtigen Thesen und Erträge der Studie. So soll sie einen schnellen Überblick erleichtern. Über die in Klammern gesetzten Seitenangaben wird auf die ausführlichere Darstellung und Begründung der entsprechenden Inhalte in den Kapiteln 1–4 verwiesen.
Verzeichnis der Abkürzungen Die in der Studie verwendeten Abkürzungen folgen dem Verzeichnis in: SCHWERTNER, S. M., IATG2. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin / New York 21992. Weitere Abkürzungen AK D. ePP f. G. H. hi. ho. Inf. m.
Afformativkonjugation („Perfekt“) Dopplungsstamm enklitisches Personalpronomen feminin Grundstamm Kausativstamm hif‛il hof‛al Infinitiv maskulin
ni. Perf. pi. PK Pl. pu. q. Sg. V.
nif‛al Perfekt pi‛‛el Präformativkonjugation („Imperfekt”) Plural pu‛‛al qal Singular Vers
Satzeinteilung der Bibelverse Um eine größere Eindeutigkeit zu erreichen, werden Bibelstellen in der vorliegenden Studie in Satzeinteilung angegeben, d.h. die einzelnen, syntaktisch als Satz bestimmbaren Einheiten eines Verses werden fortlaufend mit kleinen lateinischen Buchstaben bezeichnet. Abhängige Satzeinheiten, wie Infinitivoder Relativsätze, sowie Pendenskonstruktionen werden dabei mit den Großbuchstaben I (Infinitivsatz), R (Relativsatz) und P (Pendens) ausgewiesen und demjenigen Satz zugeordnet, von dem sie grammatikalisch abhängig sind. Vgl. dazu: W. RICHTER, Biblia Hebraica transcripta (BHt). Das ist das ganze Alte Testament transkribiert, mit Satzeinteilung versehen und durch die Version tiberischmasoretischer Autoritäten bereichert, auf der sie gründet. Band 1: Genesis (ATS.AT 33.1), St. Ottilien 1991, 2-4; 10.
Soweit in den Übersetzungen in der Studie nicht anders vermerkt, folgt die Satzgliederung der Biblia hebraica transcripta Forschungsdatenbank 3.0 (www.bht.gwi.uni-muenchen.de).
KAPITEL 1
Einleitung A. Fragestellung und Herangehensweise A. Fragestellung und Herangehensweise
I. Hinführung Es herrscht Krieg zwischen den Königreichen Israel und Juda und ihren Herrschern, Jerobeam und Abija. Die beiden Heere – 400.000 Judäer gegen 800.000 Israeliten – treffen auf dem efraimitischen Bergland, mitten in Israel, aufeinander. Noch bevor die Schlacht beginnt, steigt Abija, der König von Juda, auf den Gipfel des Berges Zemarajim (vgl. 2Chr 13,2–4) – offenbar in Sicht- und Hörweite der angetretenen Armeen – und richtet eine lange, durch und durch theologische Rede an seine Kontrahenten, den König Jerobeam von Israel und dessen Heer (vgl. 2Chr 13,4–12), um die Abkehr der Israeliten vom davidischen Königtum und v.a. von JHWH zu kritisieren: „(…) 9Habt ihr nicht die Priester JHWHs zurückgestoßen, die Söhne Aarons und die Leviten, und euch Priester gemacht wie die Völker der Länder: Jeder, der kam, um seine Hand zu füllen mit einem Stier von den Rindern und sieben Widdern, der wurde Priester für „Nicht-Gott“. 10Wir aber, JHWH ist unser Gott, wir haben ihn nicht verlassen und als Priester dienen JHWH die Söhne Aarons – und die Leviten erfüllen ihre Aufgabe: 11Sie (= die Söhne Aarons) lassen für JHWH Brandopfer in Rauch aufgehen Morgen für Morgen und Abend für Abend sowie das Räucherwerk der Duftkräuter; die Anordnung des Brotes auf dem reinen Tisch und die goldene Menora und ihre Lampen, sie zu entzünden Abend für Abend; ja, wir bewahren die Verwahrung JHWHs, unseres Gottes, ihr aber habt ihn verlassen“ (2Chr 13,9–11).
Der zentrale Gedanke Abijas in diesem Textabschnitt ist es, die geforderte Treue zu JHWH, die Juda bewahrt, Israel hingegen – durch Jerobeam in die Irre geführt – aufgegeben hat, mit kultischer Orthopraxie gleichzusetzen. Diese aber manifestiert sich einerseits im (exklusiven) Zugang der Söhne Aarons zum Priestertum (vgl. 2Chr 13,9–10) und andererseits in der Ausführung eines „Kanons“ von Kulthandlungen, der in 2Chr 13,11 zusammengestellt und als „Verwahrung ( )משמרתJHWHs, unseres Gottes“ qualifiziert ist. Konkret sind vier Vollzüge genannt, die einen JHWH wohlgefälligen Kult repräsentieren: die Brandopfer an jedem Morgen und Abend, das Darbringen von Räucherwerk zu denselben Tageszeiten, das Aufschichten bzw. Anordnen von Brot auf dem „reinen Tisch“ sowie das allabendliche Entzünden der Lampen auf der Menora.
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Kapitel 1: Einleitung
Es ist naheliegend, dass die Chronik hier – und auch in Texten wie 1Chr 16,40; 2Chr 2,3, in denen sich inhaltlich und formal vergleichbare Zusammenstellungen von Kultvollzügen finden – wesentliche Elemente der Jerusalemer Kultpraxis ihrer eigenen (Abfassungs-)Zeit, d.h. der späten persischen oder frühen hellenistischen Epoche, in die frühe Königszeit, das Jerusalem Abijas (bzw. Davids [vgl. 1Chr 16,40] oder Salomos [vgl. 2Chr 2,3]), zurückprojiziert. Vor allem aber – und dies ist mit noch größerer Sicherheit festzuhalten – wird in den Auflistungen von Kultvollzügen, die die am Jerusalemer Tempel gewahrte kultische Orthopraxie dokumentieren sollen, Torarezeption greifbar. Die Chronik nimmt – wie in 1Chr 16,40 sogar explizit gemacht wird ( לכל – )הכתוב בתורת יהוהauf Vorschriften Bezug, die anhand der Bezeichnungen und Umschreibungen, die für die jeweiligen Kultvollzüge gewählt sind, leicht identifiziert werden können. So verweist die Rede von den „Brandopfern, Morgen für Morgen und Abend für Abend“ ( )עלות בבקר־בבקר ובערב־בערבauf Ex 29,38–42(.43–46) bzw. Num 28,3–8, die Darbringung eines קטרת סמים (‚Räucherwerk der Duftkräuter‘) wird in Ex 30,7–8 angeordnet, die „Anordnung von Brot auf dem reinen Tisch“ ( )מערכת לחם על־השלחן הטהורist von Ex 25,30; Lev 24,5–9 her zu verstehen und zuletzt wird das Anzünden der Menora bzw. ihrer Lampen auch in Ex 27,20–21; (30,7–8); Lev 24,2–4 (vgl. auch Num 8,1–4) thematisiert. Die spezielle Leistung der Chronik besteht also in der Synthese, d.h. im Zusammenstellen dieser über die Tora „verstreut“, in mehreren Texten thematisierten Vollzüge zu einer Art „Kanon“ elementarer Kulthandlungen. Doch auch diese Synthese ist bereits in der Tora vorbereitet. Immerhin werden alle vier in 1Chr 13,11 erwähnten Vollzüge erstmals innerhalb der Heiligtumstora (Ex 25–31), also innerhalb eines übergreifenden literarischen Kontexts thematisiert und in diesem über auffällige Stichwortbezüge eng aufeinander bezogen. Darüber hinaus legen es auch die in den präskriptiven Texten der Tora belegten Zeitangaben, die z.T. auch in 2Chr 13,11 aufgenommen sind bzw. nachklingen, nahe, das jeden Morgen und Abend dargebrachte Brandopfer, das zu denselben Tageszeiten vollzogene Weihrauchopfer und zuletzt das allabendliche Entzünden des Leuchters miteinander zu verbinden. Allein das Auflegen der Brote, das Lev 24,8 zufolge an jedem Shabbat, also wöchentlich und nicht täglich, stattfindet, steht hier abseits. Vor allem aber weisen diese Zeitangaben auf das Spezifikum hin, das allen genannten Vollzügen gemeinsam ist, die (kleintaktige) Regelmäßigkeit ihrer Ausführung – (zweimal) täglich bzw. wöchentlich. Dies unterscheidet sie von freiwilligen, okkasionellen (und damit „einmaligen“) Opfern einerseits und spezifischen Kulthandlungen zu Festtagen oder besonderen Anlässen andererseits. In den Texten der Tora wird die charakteristische Regelmäßigkeit mit Hilfe des Stichworts תמידausgedrückt, das bereits innerhalb des TaNa“K zu einer Bezeichnung für die regelmäßigen Kulthandlungen – im Speziellen aber für das regelmäßige
A. Fragestellung und Herangehensweise
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Brandopfer – avanciert1 und bis heute auch in der exegetischen und judaistischen Fachterminologie in diesem Sinne verwendet wird. In der folgenden Studie aber soll „Tamid“ – weiter gefasst als üblich – auch für die übrigen, in den Texten der Tora als regelmäßig qualifizierten Kultvollzüge, also das Weihrauchopfer, das Auflegen der Brote auf den Tisch und das Anzünden des Leuchters, verwendet werden. II. Das Bedeutungsspektrum von תמיד Das Stichwort תמידist 103 Mal im TaNa“K belegt, wobei neben einem Gebrauch als „Adjektiv“ bzw. Nomen2 auch eine adverbiale Verwendung nachzuweisen ist. Von seiner Semantik her bringt es grundlegend eine Kontinuität und Fortdauer zum Ausdruck, die allerdings in den meisten Fällen nicht im Sinne einer durchgehenden („statischen“) Permanenz von Zuständen und Gegebenheiten, sondern eher im Sinne eines „Immer-wieder-neu-Aktuierens“ gefasst ist.3 Dies ist zuerst in dem im Folgenden zu untersuchenden Kulttexten greifbar, in denen über das Stichwort תמידKultvollzüge qualifiziert werden, die in kleinschrittiger Taktung (täglich bzw. wöchentlich) auszuführen sind, so dass eine Übersetzung mit ‚regelmäßig‘ den Sachverhalt am besten trifft.4 Ähnliches ist auch an anderen Belegstellen greifbar. So erhalten z.B. in 2Sam 9,7–13; 2Kön 25,29–30 Merib–Baal und Jechonja als Vertreter abgesetzter Dynastien von den Herrschern, die in deren Gewalt sie sich befinden, d.h. von David bzw. dem König von Babel, eine als תמידqualifizierte Versorgung garantiert, wobei hier das charakteristische „Immer-Wieder“ insofern realisiert ist, als ihnen verlässlich bzw. regelmäßig ihr Lebensunterhalt zur Verfügung gestellt wird (sie aber nicht durchgehend essen und trinken).5 In 2Kön 4,9 wird berichtet, dass Elischa sich immer wieder (verlässlich) im Haus der Schunemitin einfindet (ohne dauerhaft dort zu wohnen).6 Das stete ( )תמידBefolgen der 1 Vgl. ‚( התמידdas Tamid‘) in Dan 8,11–13; 11,31; 12,11 für das tägliche Brandopfer bzw. die Formulierung עלת התמידin Ex 29,42; Num 28,6.10.15.23.24.31; 29,6.11.16.19.22.25.28.31.34.38; Ez 46,14–15. Daneben finden sich aber auch die Formulierungen קטרת תמידin Ex 30,8, לחם התמידin Num 4,7 מנחת התמידin Num 4,16; נר תמידin Ex 27,20; Lev 24,2 sowie אש תמידin Lev 6,6. 2 Ein nominaler Gebrauch liegt z.B. in Texten wie Dan 8,11–13; 11,31; 12,11 vor, wo das regelmäßige Brandopfer als ‚( התמידdas Tamid‘) bezeichnet wird. Daneben jedoch finden sich Formulierungen wie ( עלת )ה(תמידEx 29,42; Num 28,6.10.15.23.24.31; 29,6.11.16.19.22.25.28.31.34.38; Ez 46,14–15; Esr 3,5), ( קטרת תמידEx 30,8), לחם )ה(תמיד (Num 4,7; 2Kön 25,29), ( מנחת )ה(תמידLev 6,13; Num 4,16; Neh 10,34), ( מערכת תמיד2Chr 2,3), ( אש תמידLev 6,6), … , in denen תמידin einer Konstruktusverbindung belegt und im Sinne eines genetivus qualitatis gebraucht wird. Vgl. BEYSE, ( תמידThWAT), 680–682. 3 Vgl. dazu auch HARAN, Temples, 207; LEVINE, Numbers 21–36, 371–372. 4 Vgl. BEYSE, ( תמידThWAT), 681–682; HARAN, Temples, 207; MILGROM, Leviticus 23–27, 2088. 5 Vgl. BEYSE, ( תמידThWAT), 682. 6 Vgl. BEYSE, ( תמידThWAT), 682.
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Kapitel 1: Einleitung
väterlichen Weisungen aber realisiert sich in einer Folge einzelner Handlungen, die die geforderte Haltung dokumentieren (vgl. Spr 6,20–21), u.v.m. (vgl. auch Hos 12,7; Obd 16; Nah 3,19; Hab 1,17).
Neben diesen Texten, in denen תמידmit ‚regelmäßig‘ wiederzugeben ist, finden sich allerdings auch einige (wenige) Belege, in denen der Terminus eher eine (ungebrochene) Fortdauer und weniger das soeben nachgezeichnete „Immer-Wieder“ ausdrückt. So erweist sich an Stellen wie Jes 21,8; 51,13; 60,11; 62,6; Ps 34,2; Spr 5,19, wo תמידmit Wendungen wie ‚( כל היוםden ganzen Tag‘) bzw. ‚( כל עתdie ganze Zeit‘) parallelisiert ist, ‚fortwährend‘ als die beste Übersetzung. Unter den Tamid-Texten der Tora aber fällt – wie zu zeigen ist – in diese Kategorie allein Lev 24,8. Dieser Text thematisiert ein (fast!) ununterbrochenes Aufliegen von zwölf Broten auf dem Tisch vor JHWH im Heiligtum und könnte somit stärker den Aspekt einer Kontinuität als den eines „Immer-Wieders“ betonen. Primär fokussiert jedoch wird auch in Lev 24,8 nicht das permanente Aufliegen der Brote, sondern der Vorgang des Austauschens bzw. des Neu-Auflegens – und damit ein regelmäßig wiederholter bzw. auf Dauer hin zu wiederholender Vollzug. III. Fragestellung Zusammenstellungen wie 2Chr 13,11 – und auch auffällige Elemente in der Tora selbst, wie z.B. die betonte Regelmäßigkeit – deuten somit eine Sonderstellung an, die den regelmäßigen Kultvollzügen im Gesamtgefüge des rituellen Systems der Tora zukommt. Das Anliegen der vorliegenden Studie aber ist es, dieser „Sonderstellung“ genauer nachzugehen und dazu diejenigen Texte der Tora eingehender zu untersuchen, in denen regelmäßige Kultvollzüge thematisiert werden. Damit kommen zunächst die oben bereits aufgezählten präskriptiven Texte in den Blick, neben die narrative Texte treten, die von der Ausführung regelmäßiger Kulthandlungen berichten bzw. sie zumindest andeuten. Das Ziel ist es, die Tamid-Vollzüge eingehender zu analysieren und dazu vor allem auch die Bedeutung, die ihnen in den Texten der Tora zugesprochen wird, zu erheben und präzise zu beschreiben. Dieses Vorhaben, die Interpretation der jeweiligen Rituale durch die biblischen Texten herauszuarbeiten, kann dabei insofern als erfolgversprechend erscheinen, als in praktisch allen relevanten Perikopen der eigentliche Fokus auf der Deutung der Kultvollzüge liegt, während umgekehrt die (präskriptive) Beschreibung konkreter Handlungsschritte äußerst knapp und vielfach auch unvollständig bzw. rudimentär gehalten ist. So kommen die präskriptiven und auch die narrativen Tamid-Texte mit einer überschaubaren Zahl an Verben aus, die zudem in den meisten Fällen semantisch sehr offen sind und sich folglich kaum dazu eignen, einzelne, aufeinander folgende Handlungsschritte präzise zu benennen. Vielmehr bezeichnen sie „pauschal“ den Vollzug eines in seinen Einzelschritten und Teilelementen nicht aufgeschlüsselten „Gesamtritu-
A. Fragestellung und Herangehensweise
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als“ – gegebenenfalls anhand einer typischen oder essenziellen Einzelhandlung. So findet sich in den Vorschriften zum Brandopfer-Tamid (Ex 29,38– 42; Num 28,3–8) das Verb ‚( עשהmachen, tun‘), beim täglichen Weihrauchopfer (Ex 30,7–8) das nur wenig spezifischere קטר-hi. (‚in Rauch aufgehen lassen‘; Ex 30,7–8; 40,27), beim Dienst am Leuchter das polyvalente עלה-hi. (Ex 27,20; 40,25; Lev 24,2; Num 8,2–3) bzw. ‚( ערךplatzieren, anordnen‘; Ex 27,21; Lev 24,3–4) und beim Auflegen der Brote auf den Goldenen Tisch ‚( נתןgeben; Ex 25,30; Lev 24,7), ‚( שיםlegen‘; Lev 24,6) und ערך (‚platzieren, anordnen‘; Ex 40,23; Lev 24,8). Die präskriptiven Tamid-Texte heben sich damit von der überwiegenden Mehrheit präskriptiver Kulttexte der Tora, wie z.B. den Texten der Opfertora (Lev 1–7) oder auch den Ritualvorschriften in Ex 29,1–35.36–37 ab, in denen ein Ritualstil dominiert, der einzelne Handlungen benennt, diese zu Handlungssequenzen verbindet und so auf das Agieren der Teilnehmenden am Kultgeschehen fokussiert, während interpretierende Sätze deutlich in den Hintergrund treten.7 Im Gesamt der Kulttexte der Tora ist somit die starke Gewichtung deutender Passagen – in erster Linie handelt es sich um formelhafte Wendungen, also klassifizierende und qualifizierende Formulierungen, daneben aber auch um ausführlichere Textpassagen, die eine vertiefte theologische Reflexion bieten und den Tamid-Vollzug mit zentralen Themen und Konzepten der Tora korrelieren (vgl. z.B. Ex 29,42.43–46) – überaus auffällig. Angesichts der angedeuteten Eigenheiten der zu untersuchenden Texte ist es für die vorliegende Studie wesentlich, zunächst eine präzise literaturwissenschaftliche Analyse der relevanten Perikopen vorzunehmen, die die (syntaktische) Gestaltung und die spezifischen Eigenheiten der Texte wahrnehmen und das Zueinander der einzelnen Aussagen exakt bestimmen kann. Zudem sind auch die kompositionelle Einbindung in die jeweiligen literarischen Kontexte (bzw. in das Gesamt der Tora) sowie die über die deutenden (formelhaften) Sätze generierten Bezüge zu anderen (Kult-)Texten der Tora von Interesse. Aus diesen unterschiedlichen, aber ineinandergreifenden Beobachtungen ist ein „Gesamtbild“ der Tamid-Vollzüge zu gewinnen, das freilich kaum durch eine homogene Einheitlichkeit geprägt sein wird, da die verschiedenen Texte auch mit Blick auf dasselbe Ritual z.T. unterschiedliche Facetten, alternative Deutungen und divergierende Schwerpunktsetzungen erkennen lassen. In der Studie ausdrücklich nicht angezielt ist jedoch die (historische) Rekonstruktion eines tatsächlich im Zweiten Jerusalemer Tempel bzw. in nachexilischer Zeit vollzogenen Rituals. Dass es ein solches gab, ist mit großer Plausibilität anzunehmen – und ebenso, dass die im Folgenden genauer zu untersuchenden präskriptiven Texte der Tora als dessen legitimierende 7
Vgl. dazu HIEKE, Levitikus 1–15, 154–155; RENDTORFF, Studien, 18–19; u.a.
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Kapitel 1: Einleitung
Grundlage gelten können. Dies bezeugen Texte wie die oben zitierte Passage aus 2Chr 13, die auf die frühe hellenistische Zeit hin transparent ist, ebenso, wie die etwas jüngeren Texte aus dem Danielbuch (vgl. Dan 8,11–13; 11,31; 12,11), die sich mit dem Abbruch eines torakonformen Kults (und damit auch der gemäß der Weisungen aus Ex 29,38–46; Num 28,3–8 ausgeführten regelmäßigen Brandopfer) in Folge der Kultpolitik des Antiochos IV. bzw. der hellenistischen Reformer in Jerusalem auseinandersetzen.8 Außerbiblisch bezeugt z.B. JOSEPHUS FLAVIUS in seinem „Jüdischen Krieg“ die Praxis des Brandopfer-Tamids im Herodianischen Tempel, wenn er u.a. das Ende des regelmäßigen Vollzugs im belagerten Jerusalem ausführlich zum Thema macht (Bel. VI 2,1).9 Eine detaillierte Rekapitulation des (Morgen-)Tamids (in einem umfassenden, über das Brandopfer hinaus auch die übrigen Vollzüge mit einbeziehenden Sinne) im längst zerstörten Herodianischen Tempel durch die Rabbinen des 2. Jhs. bietet schließlich der Mischna-Traktat Tamid (mTam), bei dem freilich unklar bleibt, ob sich die Ausführungen aus der tradierten Erinnerung an konkret vollzogene Rituale speisen oder ob hier biblische Texte aus der Perspektive rabbinischer Halacha ausgelegt bzw. auf die räumlichen Gegebenheiten des – als reales Bauwerk ebenfalls nicht mehr existenten – Herodianischen Tempels hin appliziert werden. All diese (beispielhaften) – und sehr disparaten – Belege für eine Praxis des Tamid aber gehören letztendlich zur Rezeptionsgeschichte der im Folgenden zu untersuchenden Texte, die in dieser Studie nicht aufgearbeitet werden soll. Zudem bleibt in der Tora – wie bereits angemerkt – das für eine praktische Ausführung interessante „Wie“ der Rituale vage und letztlich kaum greifbar: Das Anliegen der Texte liegt offenbar gerade nicht darin, dieses zu fixieren, wenn sie die konkret-praktische Gestalt des Rituals hinter der in den Vordergrund tretenden Deutung fast verschwinden lassen. Zudem setzen sie insofern ein distanzierendes und „entfremdendes“ Element, als sie als den Ort der Ausführung der Tamid-Vorschriften nicht den Jerusalemer Tempel, sondern das Zeltheiligtum der Wüstenzeit im Blick haben, in dem Mose und Aaron als Akteure der Rituale auftreten. Folglich bleibt in der Tora das Tamid untrennbar mit der Gründungsgeschichte Israels verbunden und ist daher nur mit Brechungen in die („historischen“) liturgische Praxis des Zweiten Temples „hineinzuspiegeln“. Für die vorliegende Studie jedenfalls liegen „liturgische“ bzw. „liturgiegeschichtliche“ Problemstellungen außerhalb ihres Fragehorizonts. Es soll vorrangig um das gehen, was auch die biblischen Texte als das für sie Interessante und Wesentliche markieren: die theologische Interpretation der Tamid-Vollzüge. 8
Vgl. z.B. MILGROM, Numbers, 487; SARNA, Exodus, 192. JOSEPHUS datiert dieses wichtige Ereignis auf den 17. Tag des Monats Panemos (Tammuz) und nennt damit dasselbe Datum, wie später auch die rabbinische Tradition (vgl. z.B. mTaanit 4.6). 9
A. Fragestellung und Herangehensweise
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Da eine in dieser Weise angelegte exegetische Studie, die auf die TamidTexte der Tora fokussiert, in monographischer Form bislang nicht vorgelegt wurde, ist hier ein Desiderat gegeben, das es wert ist, bearbeitet zu werden. Zwar werden einzelne Tamid-Texte bzw. -Rituale in Kommentaren zu den Büchern Ex-Num bzw. in Monographien, die das Themenfeld Opfer/Kult behandeln, angesprochen bzw. ausgelegt und dabei oft auch als „Sonderfälle“ von Kultvollzügen wahrgenommen, eine eingehendere systematische Darstellung in monographischer Form jedoch fehlt bislang.10 Im Bereich der Aufsätze liegen – obgleich die Kulttexte des TaNa“K bzw. Fragen des Kultes in alttestamentlicher Zeit ein wichtiges und durchgehend bearbeitetes Feld der alttestamentlichen Exegese darstellen – ebenfalls nur sehr wenige Beiträge vor, die sich explizit auf Tamid-Texte und / oder -Vollzüge konzentrieren. Zwei Beispiele hierfür sind die hebräisch erschienene Studie von SH. BARON (GESUNDHEIT) mit dem Titel תולדות קרבן־התמיד ומעמדו בלוח הקרבנות הכהני/ The Development of the Tamid Offering and Its Place in the Priestly Calendar of Offerings11, die sich mit dem (literargeschichtlichen) Verhältnis von Num 28,3–8 zu Ex 29,38–42 und der Einbindung der Tamid-Perikope Num 28,3–8 in den Opferkalender (Num 28,1–30,1) auseinandersetzt, sowie der Beitrag von R. GANE (‘Bread of Presence‘ and Creator in Residence)12, der die regelmäßigen Kultvollzüge am Goldenen Tisch untersucht. IV. Herangehensweise Die aus dem ersten Überblick über die Tamid-Perikopen der Tora und ihre Eigenheiten abgeleitete hermeneutische Vorentscheidung, diese als Literatur wahrzunehmen bzw. auszulegen und dabei weniger nach dem Verhältnis zu außertextlichen Realitäten (in der Zeit ihrer Abfassung), sondern vor allem nach den in den Texten selbst entfalteten Sinnpotenzialen zu fragen, legt es mit Blick auf die Methodik nahe, einen literaturwissenschaftlichen Zugang zugrunde zu legen. Die vorliegende Studie unternimmt eine „synchrone“ Lektüre der für die Thematik relevanten Texte der Tora (in ihren jeweiligen Kontexten und in ihrer kanonisch gewordenen Endgestalt). Ziel ist es dabei zuerst, die TamidPerikopen – der jeweils primär untersuchte Text wird als Hypertext bezeichnet – in ihrem „So-Sein“ und ihren Eigenart zu beschreiben. Hierfür ist ein genauer Blick auf die syntaktische Gestaltung ebenso von Bedeutung, wie die 10 Ausführlichere Darstellungen finden sich z.B. bei HARAN, Temples, 205–246; HUNDLEY, Keeping, 95–117. 11 BAR–ON, SH., תולדות קרבן־התמיד ומעמדו בלוח הקרבנות הכהני/ The Development of the Tamid Offering and Its Place in the Priestly Calendar of Offerings, in: Proceedings of the World Congress of Jewish Studies. Division A: The Bible and Its World, Jerusalem 1997, 143–153. 12 GANE, R., ‘Bread of Presence’ and Creator in Residence, in: VT 42 (1992) 179–203.
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Kapitel 1: Einleitung
genaue Analyse von Textstrukturen und Verweiszusammenhängen innerhalb des Hypertextes. Dabei sind besonders diejenigen Textpassagen zu untersuchen, die Funktion und Intention der angeordneten Kultvollzüge erklären und so einen Beitrag zur Deutung der Tamid-Vollzüge leisten. Auffällig ist, dass gerade diese deutenden Elemente innerhalb der Texte – vielfach handelt es sich um klassifizierende und qualifizierende Wendungen – auf vielfache Weise zentrale Stichworte, Themen und Inhalte und z.T. auch wortwörtlich ganze Textstücke aus anderen Tamid-Perikopen und auch aus anderen theologisch zentralen Texten der Tora aufnehmen. Als konstitutive Eigenart der Hypertexte erweist sich also eine ausgeprägte Intertextualität, die folglich auch in der Analyse zu berücksichtigen ist. So gilt es, die Art und Weise der Bezugnahme der Hypertexte auf ihre jeweiligen Hypotexte zu beschreiben, um auch auf diesem Wege den theologischen Akzentsetzungen des Hypertextes (auch im Gegenüber zu seinen Hypotexten) näher zu kommen. Aufgrund der oben begründeten Vorentscheidung, die Untersuchung auf die Texte der Tora zu beschränken, wird die Tora (in ihrer kanonischen Gestalt) als privilegierter Kontext behandelt.
B. Begriffsklärungen B. Begriffsklärungen
I. Hermeneutische Reflexion Wenn die vorliegenden Studie das Ziel verfolgt, sich mit Kultvollzügen (bzw. den Vorschriften zu diesen) auseinanderzusetzen, spielen beinahe zwangsläufig zwei eng zusammenhängende Begriffe eine Rolle, die je für sich nicht unproblematisch sind, nämlich ‚Ritual‘ (bzw. ‚Ritus‘) und ‚Opfer‘. Zu beiden Begriffen und den durch diese bezeichneten Phänomenen finden sich in der Exegese und der Judaistik – den Disziplinen also, die sich primär mit biblischen Opfertexten beschäftigen – darüber hinaus aber auch in den übrigen Disziplinen der Theologie und den (mehr oder weniger) verwandten Wissenschaftszweigen, den Gesellschafts-, Sozial- und Kulturwissenschaften, unterschiedlichste Theoriebildungen, die versuchen, Wesen und Anliegen von ‚Opfer‘ und ‚Ritual‘ zu bestimmen.13 Ein Versuch, diese darzustellen, zueinander ins Verhältnis zu setzen und zu diskutieren, wäre für sich selbst Gegenstand einer (vermutlich ausufernd langen) Monographie und soll daher im Rahmen dieser Hinführung nicht geleistet werden. Wie sich zeigen wird, ist dieses Unterfangen aber auch gar nicht nötig, wenn es – wie in der oben skizzierten Zielsetzung dieser Studie vorgegeben – darum gehen soll, die Tamid13 Einige Beispiele aus dem Bereich der Exegese sind u.a. EBERHARD, Studien (v.a. 187–381); GORMAN, Ritual, 13–60; HUNDLEY, Keeping, 17–38; KLINGBEIL, Bridging (v.a. 127–224); MALINA, Rituale (v.a. 33–36; 42–53); SMITH, Take Place; WILLI–PLEIN, Opfer, 27–28; u.v.m.
B. Begriffsklärungen
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Texte der Tora zu analysieren und dabei zu erheben, welche Bedeutung und Funktion diese denjenigen regelmäßigen Kulthandlungen zusprechen, die sie thematisieren. Zunächst nämlich bieten die zu untersuchenden Texte in der überwiegenden Mehrzahl keine Beschreibung von konkreten Kultvollzügen bzw. Ritualen, sondern die Anweisung, solche auszuführen – und zwar in einer Weise, die eher auf den Gesamtvollzug, denn auf eine kleinschrittige Handlungsfolge Wert legt. Ebenso kommt auch das „ob“ und „wie“ einer konkreten, historischen Praxis außerhalb der Textwelt nicht explizit in den Blick.14 Die TamidTexte eröffnen somit keinen Zugang zu einem Ritual „an sich“, das – gleichsam aus dem Text herausgelöst – mit Hilfe von neuzeitlichen Opfer- oder Ritualtheorien analysiert und interpretiert werden könnte. Stattdessen verbinden sie eine auf die wesentlichsten Punkte reduzierte Handlungsanweisung mit einer vielschichtigen Deutung. Sie präsentieren die Tamid-Vollzüge also als ein in den Text, seine Kontexte und Intertexte fest eingewobenes Sinngefüge. Ähnliches gilt auch für die Anweisungen zum Bau des Heiligtums in Ex 25,10–27,19; Ex 40,1–15, die zu den wesentlichsten Kontexten der TamidVorschriften gehören und auf die im ersten Hauptteil der Studie mit einzugehen ist. Auch diese sind nicht als „verkleidete Deskription“ von außerhalb der Textwelt existierender Architektur oder als „Bauanleitung“ zu lesen, sondern erweisen sich als Literatur, die einen idealen Raum kreiert, der in der Textwelt verbleibt und dort v.a. als theologisches Sinngefüge funktioniert.15 Vor diesem Hintergrund kann es kaum zielführend sein, eine abseits der Texte entwickelte, neuzeitliche (Meta-)Theorie zu ‚Opfer‘ und / oder ‚Ritual‘ in die Texte, z.T. passend und stimmig und z.T. eher sperrig und widerständig, einzutragen bzw. sie den Texten „aufzuzwingen“ – und damit fast zwangsläufig wesentliche Punkte in diesen aus dem Auge zu verlieren. Kurzum: Was Wesen, Anliegen, Funktion und (intendierte) Wirkung der jeweiligen Tamid-Vollzüge ist, „definieren“ die entsprechenden Texte der Tora selbst – und allein diese im Text entwickelte „Ritual-“ bzw. „Opfertheorien“ gilt es wahr- und ernst zu nehmen bzw. nachzuzeichnen. Weiterhin ist wesentlich, dass die biblischen Texten selbst kein Äquivalent für den Terminus ‚Ritual‘ bzw. ‚Ritus‘ kennen – und damit offenbar auch keine abstrahierende Ebene voraussetzen, auf der verschiedene, in ihren Grundzügen vergleichbare Formen symbolischen Handelns unter einem Überbegriff zusammengeführt werden können. Ähnliches gilt grundsätzlich auch für den Terminus ‚Opfer‘, wobei in diesem Fall immerhin auf den semantisch sehr allgemeinen und auf eine Vielzahl unterschiedlicher Hand-
14
Vgl. dazu HIEKE, Levitikus 1–15, 80 (mit weiterführender Literatur). Vgl. BARK, Heiligtum, 83–94; DOHMEN, Exodus 19–40, 240–243; JACOB, Exodus, 757–759; LISS, Kanon. Vgl. auch: UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 64–70. 15
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Kapitel 1: Einleitung
lungsfolgen, Rituale und Kultvollzüge anwendbaren Terminus ‚( קרבןGabe‘)16 bzw. auf das dazugehörige Verb קרב-hi. (‚nahebringen, [in kultischem Kontext] darbringen, „opfern“‘)17 zu verweisen ist.18 Ein weiterer Terminus, der beinahe wie ein „Überbegriff“ funktionieren kann, ist ‚( אשהFeuergabe‘),19 auch wenn dieser semantisch deutlich weniger weit gesteckt ist, als קרבן. Vor allem jedoch findet sich in den Kulttexten der Tora eine Vielzahl von Begriffen für spezifische Opfer- bzw. Kultvollzüge mit je eigenem Ritual, mit charakteristischen Anlässen, Orten und Zeiten der Ausführung usw.20 Diese in den Texten manifeste Vielzahl der Begriffe und Konzepte unterstreicht, dass die Bibel die sozialen Phänomene und Vorgänge, die in der theologischen bzw. religions- oder kulturwissenschaftlichen Reflexion mit dem (einen,) generalisierenden Terminus ‚Opfer‘ umschrieben werden, letztlich nicht auf den einen Begriff zu bringen vermag und ausdrücklich auf Differenzierungen und Unterscheidungen Wert legt, die in einer generalisierenden MetaPerspektive unterzugehen drohen.21 Auf dem Hintergrund dieser Beobachtungen erscheint es für die vorliegende Studie als naheliegend und geboten, bewusst keine moderne Theorie zu Wesen und Funktion des Opfers vorzugeben, um die biblischen Texte auf diese hin zu lesen. Stattdessen ist umgekehrt das, was die konkreten Opfervollzüge aus der Perspektive der biblischen Texte heraus auszeichnet, in einer Lektüre dieser Texte nachzuvollziehen.22 So ist es im Folgenden allein entscheidend, eine verantwortete „Begriffsdefinition“ grundzulegen, um die Termini ‚Opfer‘ und ‚Ritual‘ (bzw. ‚Ritus‘), für die weiteren Ausführungen operabel zu machen, zugleich aber ein – bewusstes oder unbewusstes – Eintragen moderner Theoriebildungen und Konzepte zu vermeiden. II. Ritual Unter ‚Ritual‘ wird grundlegend eine (strukturierte) Form symbolischen Handelns23 – und damit eine (selbstständige) menschliche Ausdrucksform – verstanden,24 der wesentlich eine soziale Dimension zukommt.25 Ein Ritual ist gemeinschaftliches Handeln und somit eine Form der Interaktion und Kom16
Vgl. FABRY, ( קרבןThWAT), 167–170. Vgl. zur Semantik GANE/MILGROM, ( קרבThWAT), 153–156; RENDTORFF, Studien, 90–92. 18 Vgl. EBERHARD, Sacrifice, 23–24; HIEKE, Levitikus 1–15, 84–85; WILLI–PLEIN, Opfer, 25. 19 Vgl. EBERHARD, Sacrifice, 28–29; HIEKE, Levitikus 1–15, 92–94. 20 Vgl. JENSON, Graded, 154–155. 21 Vgl. WILLI–PLEIN, Opfer, 25–26. 22 Vgl. dazu auch WILLI–PLEIN, Opfer, 28. 23 Vgl. z.B. GORMAN, Ritual, 19; 20–25. 24 Vgl. GRUENWALD, Rituals, 1–2. 25 Vgl. GORMAN, Ritual, 28–30. 17
B. Begriffsklärungen
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munikation mit eigenen Regeln, die – ähnlich wie auch andere Formen von Interaktion und Kommunikation – als Sequenz von Einzelhandlungen (Teilelementen) und damit als eine komposite Größe in Erscheinung tritt. Die Einzelhandlungen werden als ‚Ritus‘ bezeichnet. Um aber als Handlungssequenz überhaupt verstehbar und nachvollziehbar zu sein, muss ein Ritual in einem Mindestmaß strukturiert sein. Dies bedeutet, dass die einzelnen Handlungsschritte (Riten) für sich genommen erkennbar, unterscheidbar und in ihrer Abfolge als sinnvolle Sequenz wahrnehmbar sind.26 Nur die Nachvollziehbarkeit nämlich ermöglicht aktive Partizipation am Ritual im Handeln oder Betrachten.27 Darüber hinaus zeichnen sich Rituale als menschliche (soziale) Ausdrucksform durch ein kulturell bedingtes Repertoire an symbolischen Zeichen sowie durch eine „Syntax“ bzw. „Grammatik“ aus, durch ein „Reglement“ also, das sinnvolle Kombinationen und Zuordnungen der Zeichen „definiert“. Charakteristisch für Rituale ist dabei, dass sie feste, geprägte Formen annehmen (Formalität), die – einmal gefunden – bewahrt werden, so dass das Ritual immer wieder in gleicher Weise (konventionalisiert) zu einem bestimmten, ihm zugeordneten Anlass ablaufen kann. Formalität und Konventionalität erweisen sich dabei ebenfalls als förderlich für die Verstehbarkeit der im Ritual vollzogenen (sozialen) Kommunikation.28 Zuletzt schließlich ist Ritualen – als Ausdrucksform – auch eine Pragmatik bzw. Funktion zu eigen, die – wie auch bei anderen Formen menschlicher Kommunikation – polyvalent bzw. uneindeutig sein kann und in manchen Fällen schlichtweg auch nicht zu erheben ist.29 In der Forschungsliteratur werden vielfach Grundfunktionen von Ritualen zusammengestellt, die TH. HIEKE wie folgt zusammenfasst: Ihm zufolge können Rituale „… zur Stabilisierung einer als stützend erfahrenen Ordnung von Zeit und Raum (regelmäßige Opfer, Feste), sei es zur »Normalisierung« und Integration von außergewöhnlichen Ereignissen (z. B. Geburt, Heilung) und Empfindungen (z. B. Schuldbewusstsein, Dankbarkeit) oder sei es zur Wiedergewinnung des Normalzustands nach regelmäßigen oder unregelmäßigen Störungen des physiologischen Ablaufs (Reinigungsriten)“30 dienen. Für die vorliegende Studie ist jedoch festzuhalten, dass Anliegen und Funktion der regelmäßigen Kultvollzüge, die allesamt als Rituale beschreibbar sind, allein aus den Texten selbst zu erheben ist. Immerhin bieten diese ausführliche Deutungen für die thematisierten Rituale an, die nachzuzeichnen und auszulegen sind. Ausdrücklich nicht ausgeschlossen ist dabei aber die 26
Vgl. GRUENWALD, Rituals, 11; KLINGBEIL, Art. Ritus/Ritual, 3.2.2. Vgl. TAMBIAH, Theorie, 227–228. 28 Vgl. JENSON, Graded, 152; TAMBIAH, Theorie, 231–234. 29 Vgl. GRUENWALD, Rituals, 17–19 (u.a.). 30 HIEKE, Levitikus 1–15, 79. Vgl. auch: KLINGBEIL, Art. Ritus/Ritual, 3.3 mit weiteren Beispielen. 27
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Kapitel 1: Einleitung
Möglichkeit, dass die beschriebenen Handlungssequenzen für sich genommen nicht auch in ganz anderer Weise interpretierbar wären. Wesentlich für biblische Texte ist zudem, dass die Rituale ausdrücklich als Inhalt und Gegenstand göttlichen Befehlens ausgewiesen sind. Von daher ist die grundlegende Aussage, ein Ritual sei eine Form des menschlichen Ausdrucks bzw. menschlicher Kommunikation, teilweise zu modifizieren: In den biblischen Texten werden Rituale als angeordnete Vollzüge dargestellt, bei denen Art und Weise der Ausführung, aber auch die Deutung und Funktionsbeschreibung durch JHWH vorgegeben werden. Israel aber hat die göttlichen Vorgaben in solcher Weise umzusetzen, dass die kultischen Handlungen einer Kommunikation zwischen JHWH und Israel, aber auch einer sozialen Kommunikation innerhalb Israels dienen können. III. Opfer Der deutsche Begriff ‚Opfer‘ ist vom lateinischen Verb operari (‚tätig sein‘) abgeleitet,31 so dass ein Opfer – seiner (deutschen bzw. lateinischen) Wortbedeutung nach – zunächst als eine Handlung („medialer Qualität“32) zu bestimmen ist. Im Hebräischen hingegen weisen die beiden am Ehesten als Überbegriffe verstehbaren Opfertermini, ‚( קרבןGabe‘) und ‚( אשהFeuergabe‘), einen etwas anderen Aspekt als wesentlich aus, wenngleich auch sie einen Handlungsvollzug in den Vordergrund stellen. So deutet – קרבןabgeleitet von der Verbwurzel ( קרבhi.: ‚nahebringen, [über]geben,…‘) – auf ein Geben hin, das mit einer Bewegung des Gebenden auf den Empfänger hin verbunden ist.33 Der Terminus אשהhingegen fokussiert auf den Modus der Übereignung der Gabe, die im Altarfeuer in emporsteigenden Rauch transformiert wird.34 In Anlehnung an diese biblische Redeweise soll im Folgenden als ‚Opfer‘ derjenige Vollzug bezeichnet werden, bei dem opferbare Materie herbeigebracht wird, um am Altar rituell Verwendung zu finden und Gott übereignet zu werden.35 Unter den Tamid-Vollzügen können damit das regelmäßige Brandopfer (mit seinen Begleitgaben) sowie die Weihrauchgabe im engeren Sinne als Opfervollzug gelten. Das Kultgeschehen rund um die Brote auf dem Tisch hingegen wird einem Opfer insofern angeglichen, als zu den Broten 31
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 82; WILLI–PLEIN, Opfer, 25. DAHM, Art. Opfer, 1. Vgl. auch HIEKE, Levitikus 1–15, 82. 33 Vgl. EBERHARD, Studien, 23; DERS., Sacrifice, 23–24; FABRY, ( קרבןThWAT), 165; GANE/MILGROM, ( קרבThWAT), 148–149; 153–156; HIEKE, Levitikus 1–15, 85; MARX, Theology, 111–112. 34 Vgl. EBERHARD, Sacrifice, 28–29; HIEKE, Levitikus 1–15, 85; 92–94. 35 Diese symbolische Übereignung findet sich letztlich bei allen Opferformen, selbst bei der ḥaṭṭā’t, für die eigentlich der Blutritus elementar ist. Doch werden auch hier zumindest Teile des Opfertiers auf dem Altar für JHWH dargebracht. Vgl. dazu auch EBERHARD, Sacrifice, 30–34. 32
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C. Eingrenzen des Gegenstands
Weihrauch gegeben und nach dem Abnehmen der Brote vom Tisch als „Feuergabe“ ( )אשהverbrannt wird (Lev 24,7). Das eigentlich fokussierte Auflegen der Brote selbst ist allerdings kein Opfervollzug (wohl aber ein Ritual), ebenso wie das Entzünden des Leuchters. In diesem Vollzug ist zwar eine Materie (Öl) involviert, die im Heiligtum verbrannt wird, doch ist diese primär als Brennstoff für die Lampen der Menora und nicht als Gabe an JHWH gedacht, wie die Zweckbestimmung ‚( למאורfür die Beleuchtung‘) in Ex 27,20; Lev 24,2 deutlich macht. Es geht also ausdrücklich nicht darum, das Öl symbolisch (und in transformierter Weise) an JHWH zu übereignen. Was aber die Funktionen und Intentionen der zu behandelnden Opfer anbelangt, so sind diese nicht aus einer Meta-Theorie abzuleiten, sondern aus den konkreten Texten zu erheben.
C. Eingrenzen des Gegenstands C. Eingrenzen des Gegenstands
Zum Abschluss der Hinführung ist zuletzt noch der Untersuchungsgegenstand der Studie einzugrenzen und zu konkretisieren, wobei die wesentlichen Festlegungen bereits angedeutet wurden. So sind zunächst jene Texte der Tora genauer zu betrachten, in denen einer der vier, u.a. auch in 2Chr 13,11 genannten Vollzüge angeordnet oder beschrieben wird, wobei neben den präskriptiven Texten, die deutlich in der Mehrheit sind, auch narrative Perikopen einzubeziehen sind. regelmäßiges Brandopfer Weihrauchopfer Entzünden des Leuchters Auflegen der Brote
präskriptiv Ex 29,38–42(.43–46); Num 28,3–8 Ex 30,(1–6.)7–8.(9–10) Ex 27,20–21; (30,7–8); Lev 24,2–4; Num 8,2 Ex 25,30; Lev 24,5–9
narrativ Ex 40,29; Lev 9,17 Ex 40,27; (Lev 9,23?) Ex 40,25; Num 8,3; (Lev 9,23?) Ex 40,23
Diese Texte sind innerhalb ihrer jeweiligen literarischen Kontexte zu analysieren, wobei an erster Stelle der Heiligtumstora (Ex 25–31) Bedeutung zukommt. In dieser (v.a. in Ex 27,20–30,10) finden sich einerseits Anweisungen zu allen vier Kultvollzügen, andererseits aber auch Vorgaben zu den Priestergewändern (Ex 28,1–43) und Anweisungen zur Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37), die in die Studie mit einzubeziehen sind. So werden in Ex 28,1–43 – im Zusammenhang mit der Deutung der Priestergewänder – regelmäßige Kultvollzüge, v.a. das Hineingehen Aarons ins „Heilige“ (um die Kulthandlungen an Tisch, Leuchter und Räucheraltar auszuführen), näher beleuchtet und Ex 29,1–37 hilft dabei, Ex 29,38–46 besser zu verstehen. Über die Heiligtumstora (und v.a. den Abschnitt Ex 27,20–30,10) hinaus kommt mit dem
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Kapitel 1: Einleitung
Tamid-Text Num 28,3–8 der Opferkalender Num 28,1–30,1 in den Blick, während Lev 24,1–9 im Kontext von Lev 23–25 auszulegen und hier in erster Linie mit dem Festkalender in Lev 23,1–44 zu korrelieren ist. Zuletzt aber sind im Bereich der präskriptiven Texte zwei Perikopen zu betrachten, die in der oben stehenden Liste nicht auftauchen, (zumindest vordergründig) also keines der vier in 2Chr 13,11 angesprochenen Rituale behandeln, Lev 6,1–6 und Lev 6,12–16. Im erstgenannten Text, Lev 6,1–6, ist das tägliche Reinigen und „Gebrauchsfertig-Halten“ des Brandopferaltars das Thema, wobei bei genauerer Lektüre deutlich wird, dass in diesem Text auch das regelmäßige Brandopfer eine Rolle spielt. In Lev 6,12–16 hingegen wird ein tägliches Speiseopfer des Gesalbten Priesters angeordnet und gleichsam als ein fünftes Tamid-Ritual etabliert, das allerdings nur an dieser einen Stelle behandelt wird und in vielen Zügen rätselhaft bleibt. Für den Bereich der narrativen Texte sind die Perikopen Ex 40,1–15.16– 33; Lev 8–10 und Num 7,1–8,4 zu untersuchen, die die Inauguration des Kultes – d.h. das Aufrichten und „In-Betrieb-Nehmen“ des Heiligtums (und der Altäre) sowie die Weihe der Priester – thematisieren und im Zusammenhang damit auch auf (erste) Ausführungen der Tamid-Vollzüge hinweisen. Zwei weitere Verse, Num 4,7.16, die sich im Kontext der „Levitengesetzgebung“ von Lev 3–4 finden und Rekurse auf Tamid-Handlungen bieten, werden hingegen nicht „für sich“ analysiert, sondern im Zusammenhang mit anderen Texten „mitbesprochen“. In Num 4,7 finden sich Vorschriften zum Transport des Tisches, in deren Zusammenhang auch auf die auf dem Tisch abgelegten Brote eingegangen wird, während Num 4,16 die Aufgaben Eleazars zusammenfasst, zu denen u.a. auch die Verwaltung der Materie gehört, die für Tamid-Vollzüge benötigt wird (Öl für den Leuchter, Mehl des täglichen Speiseopfers und Räucherwerk).
Zum Einstieg in die Untersuchung werden im Folgenden – in einem ersten Hauptteil der Studie – zunächst die Tamid-Texte innerhalb der Heiligtumstora (Ex 25–31) analysiert, in denen die Grundlagen einer theologischen Deutung der Tamid-Vollzüge gelegt werden, auf die alle folgenden Texte – narrativ wie präskriptiv – zurückgreifen können. So bietet Ex 25–31 gewissermaßen eine „Grundlegung“ des Tamids, die eng mit den Vorschriften zum Aufbau des Heiligtums (Lev 25,10–27,19), zum Herstellen der Priestergewänder bzw. zur Weihe von Priestern und Altar (Ex 28,1–29,37) und zuletzt zum Shabbat (Ex 31,12–17) verbunden ist.
Kapitel 2
Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25–31) A. Hinführung A. Hinführung
Die Heiligtumstora, Ex 25,1–31,17, ist als Rede JHWHs an Mose gestaltet, die während dessen ersten Aufenthalts auf dem Berg Sinai nach dem in Ex 24,1–8 vollzogenen Bundesschluss ergeht. Vorbereitet und erzählerisch eingebunden wird sie im Textabschnitt Ex 24,12–18, der den Aufstieg des Mose auf das Geheiß JHWHs hin (Ex 24,12) thematisiert (vgl. Ex 24,13–18b) und zugleich in V.18c den zeitlichen Rahmen des Bergaufenthalts – 40 Tage und Nächte – absteckt.1 In Ex 31,18 schließlich setzt der Erzählfaden mit der in Ex 24,12 angekündigten Übergabe der Tafeln der ʽedūt an Mose auf dem Berg, erneut ein, so dass durch Ex 24,12–18 [25,1]; 31,18 ein narrativer Rahmen um die Heiligtumstora (Ex 25,1–31,17) gelegt wird.2 Ex 25,1-31,17 selbst jedoch ist durch (fast) gleichlautende Eröffnungsformulierungen in Ex 25,1; 30,11.17.22.34a; 31,1.12 in sieben Reden untergliedert:3 Ex 25,1 Ex 30,11 Ex 30,17 Ex 30,22 Ex 30,34a Ex 31,1 Ex 31,12
→ → → → → → →
1. Gottesrede (Ex 25,2–30,10) 2. Gottesrede (Ex 30,12–16) 3. Gottesrede (Ex 30,18–21) 4. Gottesrede (Ex 30,23–33) 5. Gottesrede (Ex 30,34b–38) 6. Gottesrede (Ex 31,2–11) 7. Gottesrede (Ex 31,13–17)
Allein aufgrund ihres Umfangs kommt der ersten Rede (Ex 25,2–30,10) das größte Gewicht zu – und auch die für die Fragestellung dieser Studie relevanten Tamid-Texte finden sich mit Ausnahme des Verses Ex 30,36 in dieser. Daher wird v.a. Ex 25,2–30,10 im Folgenden genauer untersucht werden, wobei eine Zweiteilung der Rede vorausgesetzt ist: Ex 25,10–27,19 als erster Hauptteil stellt den Bau des Heiligtums ins Zentrum und bietet v.a. Anweisungen zur Herstellung der einzelnen architektonischen Elemente des miškān sowie der Kultgeräte. Dem gegenüber legt Ex 27,20–30,10 als ein zweiter 1
Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 19–21; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 106; 145–148. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 221; 242; 281; MARKL, Dekalog, 159–160; HOUTMAN, Exodus 3, 297–299; STEINS, Heiligtum, 147–148. 3 Vgl. z.B. DOHMEN, Exodus 19–40, 243–244; KLEIN, Future, 265–266. Eine alternative Gliederung bietet z.B. STEINS, Heiligtum, 149–159. 2
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Hauptteil das Augenmerk vorrangig auf Kultvollzüge, doch finden sich auch hier – z.B. in Ex 28 (Priestergewänder) und Ex 30,1–5 (Rauchopferaltar) – Herstellungsanweisungen, wie sie für den ersten Hauptteil der ersten Gottesrede (Ex 25,2–27,19) charakteristisch sind.4 Die Herstellungsanweisungen in Ex 25,10–27,19; Ex 28; 30,1–5 zielen auf eine einmalige Umsetzung ab, die der Fabel der Tora zufolge in Ex 35–40 realisiert wird.5 In Ex 27,20–30,10 hingegen sind einmalige (z.B. Altarweihe; Ex 29,36–37) und regelmäßig zu wiederholende (vgl. das Brandopfer-Tamid; Ex 29,38–46) Kulthandlungen spannungsvoll miteinander verbunden,6 wobei für die vorliegende Studie v.a. letztere von Interesse sind. Da diese aber ihrerseits nur aus ihrer Einbettung in den Kontext der Heiligtumstora verständlich werden können, soll im Folgenden der gesamte zweite Hauptteil der ersten Gottesrede, Ex 27,20–30,10, einer genaueren Analyse unterzogen werden. Zuvor jedoch ist – zumindest überblickshaft – auch auf Ex 25,2–27,19 einzugehen. I. Herstellungsanweisungen (Ex 25,2–27,19) Im Anschluss an die Redeeinleitung in Ex 25,1 wird die erste Gottesrede der Heiligtumstora durch Ex 25,2–9 eröffnet, einen Textabschnitt, der – über Ex 25,2–30,10 hinausgreifend – als „Einleitung“ für die gesamte Heiligtumstora (Ex 25,2–31,17) interpretiert werden kann. In Ex 25,2 wird eine „Kollekte“ angeordnet, um die in Ex 25,3–7 aufgelisteten Materialien bereitzustellen, deren „Verwendungszweck“ in Ex 25,8 deutlich wird: JHWH ordnet an, aus den von den Israeliten zu beschaffenden Werkstoffen ein Heiligtum ( )מקדשzu machen (V.8a), in dem JHWH in der Mitte Israels Wohnung nehmen ( )שכן בתוךkann (V.8b). Diese beiden zusammenhängenden Aspekte, das „Machen“ und das „Wohnen“, bestimmen – wie zu zeigen sein wird – grundlegend die Heiligtumstora als Ganze.7 Ex 25,9 schließlich präzisiert den Herstellungsauftrag von Ex 25,8a durch die Vorgabe, das Heiligtum und seine Geräte entsprechend dem ‚( תבניתModell, Plan‘)8 zu errichten, den JHWH dem Mose auf dem Berg gezeigt (ראהhi.) habe. Damit wird in der Rede (!) eine auf optischem Wege – über das Sehen bzw. Gezeigt-Bekommen – an Mose übermittelte Information vorausgesetzt und angedeutet, die das in der Rede selbst (akustisch) Mitgeteilte ergänzt oder komplettiert. Worin aber die zusätzliche, über den Inhalt der 4
Vgl. z.B. DOHMEN, Exodus 19–40, 241–244; KNIERIM, Aspects, 120. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 241–242; OTTO, Gesetz, 51. 6 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 241–243; OTTO, Gesetz, 51. 7 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 289; KNIERIM, Aspects, 120–122. 8 Zur Diskussion um die Bedeutung von תבניתvgl. z.B. BARK, Heiligtum, 46–49; JANOWSKI, Sühne, 311 (Anm. 210); 317; OWCZAREK, Wohnen, 254–263; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 211–212. 5
A. Hinführung
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Gottesrede hinausgehende Information liegt, die dem Mose über das Sehen des ‚( תבניתModell, Plan‘) übermittelt wird, bleibt in Ex 25,9 ebenso unklar, wie in den Versen Ex 25,40; 26,30; 27,8, die unter Rückbezug auf Ex 25,9 das „Gezeigt-Bekommen“ des תבניתweitere Male thematisieren.9 Der Text macht – weder in der Erzählstimme noch in der Gottesrede – zum Thema, was Mose sieht, er spezifiziert nicht einmal den Charakter und die Beschaffenheit des תבניתselbst und gestaltet diesen damit als ein Element, das bei der Offenbarung der Heiligtumstora an Mose zwar eine zentrale Rolle spielt, das für die Lesenden jedoch, denen ausschließlich das von JHWH zu Mose Gesprochene in Gestalt des Textes zur Verfügung steht, „unzugänglich“ bleibt.10 Immerhin aber kann der Hinweis auf einen ‚( תבניתModell, Plan‘) – im Sinne eines „Gesamtkonzepts“ des zu erstellenden Heiligtums verstanden11 – die Lesenden dazu anregen, die im Folgenden (Ex 25,10–27,19) gebotenen, detaillierten Beschreibungen einzelner Geräte und architektonischer Elemente zu einem „Großen Ganzen“ zusammenzufügen, also gleichsam den תבנית, den Mose sieht, im Leseprozess zu „rekonstruieren“ und so das Heiligtum mental – als fiktionalen Raum – zu „machen“.12 Der Auftrag, zu „machen“, der mit den zwei Belegen von עשהin Ex 25,8a.9 die Einleitung der Gottesrede prägt, eröffnet in Ex 25,10a schließlich auch pointiert den Abschnitt Ex 25,10– 27,19, der durch Herstellungsanweisungen bestimmt ist. Ausgehend von inhaltlichen und formalen Kriterien kann dieser in mehrere Teilabschnitte untergliedert werden. In Ex 25,10–40 werden drei (bzw. vier) wichtige Kultgeräte des Heiligtums genauer beschrieben, die Lade mit der Kapporet (Ex 25,10–22), der Tisch (Ex 25,23–30) und der Leuchter (Ex 25,31–39). Ihnen allen ist gemeinsam, dass Gold ( ;זהבvgl. Ex 25,11.12.13.18.24.25.26.28) – bzw. ‚reines Gold‘ ( ;זהב טהורvgl. Ex 25,11.17.24.29.31.36.38.39) – als der prominente Werkstoff erscheint.13 Aus massivem Gold sind Kapporet und Leuchter gefertigt, wobei in den Herstellungsanweisungen jeweils der Terminus ‚( מקשהgetriebene Arbeit‘; Ex 25,18b.31b.36b)14 eine zentrale Rolle spielt, der auf eine dreidimensional-plastische Ausführung der Gegenstände oder zumindest wichtiger Elemente derselben hinweist.15 So umschreibt er mit Blick auf die Kapporet die Machart der Keruben, die aus den beiden Seiten (vgl. Ex 25,19) der zunächst als dünne Goldplatte ausgeführten Kap9
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 247; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 211. Vgl. BARK, Heiligtum, 47; DOHMEN, Exodus 19–40, 247–248; PROPP, Exodus 19– 40, 376–377. 11 Vgl. BARK, Heiligtum, 47–49; HOUTMAN, Exodus 3, 345–346 („master plan“); OWCZAREK, Wohnen, 260–261 („Modell“). 12 Vgl. ausführlich BARK, Heiligtum, 83–94. Vgl. auch DOHMEN, Exodus 19–40, 247– 248. 13 Vgl. HARAN, Temples, 163–164. 14 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 388–389. 15 Zur Diskussion vgl. auch HOUTMAN, Exodus 3, 403. 10
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
poret herausgearbeitet sind und mit ihren Flügeln die Platte überspannen (Ex 25,20).16 Die Menora hingegen ist in ihrer Gesamtheit als מקשהgefertigt (Ex 25,31). Dabei wird in Ex 25,31–39 das Augenmerk der Lesenden zunächst auf die sechs Arme ( )קניםgelenkt, die seitlich aus der Menora hervortreten (vgl. Ex 25,32) und mit floralen Elementen, d.h. „mandelblütenförmigen Kelchen“ ()גבעים משקדים, „Knospen“ ( )כפתרund „Blüten“ ()פרח, verziert sind (Ex 25,33).17 Erst in einem zweiten Schritt wird dann auch die „Mittelachse“, von der die Arme ausgehen (vgl. Ex 25,33.35), mit ihren Verzierungen, die sich jeweils an den Austrittspunkten der Arme befinden (vgl. Ex 25,34–35), genauer in den Blick genommen. Auffällig ist dabei, dass der Terminus ‚Menora‘ in Ex 25,31–36 zunächst weniger die „Gesamtkonstruktion“ des siebenarmigen Leuchters bezeichnet, sondern allein die „Mittelachse“. Immerhin ist durchgehend davon die Rede, dass die Arme von den Seiten der Menora ausgehen (Ex 25,32.33.35) bzw. die Menora an den Austrittspunkten der Arme mit „Knospen“ verziert ist (Ex 25,34–35).18 Erst mit Ex 25,37 verändert sich dieser Befund ein Stück weit, wenn hier – nachdem das „Gestell“ des Leuchters beschrieben ist (vgl. V.31– 36) – die Herstellung von sieben Lampen angeordnet wird, die oben auf die Arme zu setzen sind. Diese werden in V.37ab als „ihre [= der Menora] Lampen“ ( )נרתיהeingeführt, was angesichts der Anzahl der herzustellenden Lampen voraussetzt, dass mit ‚Menora‘ nun (erstmals) auch die „Gesamtkonstruktion“ des Leuchters mit 1+(2x3) Armen gemeint ist.19
Vor diesem Hintergrund wird zuerst eine auffällige Gemeinsamkeit der beiden aus massivem Gold hergestellten und als מקשהgefertigten Kultgegenstände, Kapporet und Menora, deutlich,20 da sie beide jeweils symmetrisch zu beiden Seiten austretende, plastische Elemente – die Keruben bzw. die Leuchterarme – aufweisen, die zugleich auf eine Mitte hin bezogen und ausgerichtet sind bzw. von dieser her ausgehen und so wesentlich dazu beitragen, diese Mitte zu „definieren“. Der Unterschied zwischen beiden Gegenständen besteht jedoch darin, dass diese Mitte im Fall der Kapporet der von den nach oben hin ausgebreiteten Flügeln der Keruben (vgl. Ex 25,20) überspannte, leere Raum ist, der durch die „Blicke“ der einander zugewandten Figuren auf die Fläche der Kapporet „zwischen“(!) den beiden Keruben zusätzlich „inszeniert“ wird. In Ex 25,22 wird dieser „leere Raum“ als derjenige Ort bestimmt, an dem JHWH dem Mose begegnen (Ex 25,22a) und von dem aus er zu Mose sprechen will (Ex 25,22b).21
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Vgl. JACOB, Exodus, 773–774. Vgl. JACOB, Exodus, 778–790; MEYERS, Menorah, 18–26. 18 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 405; JACOB, Exodus, 780; PROPP, Exodus 19–40, 403; VOß, Menora, 25–34. 19 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 405. 20 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 254. 21 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 257. 17
A. Hinführung
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Bei der Menora hingegen setzen die drei Arm-Paare zu beiden Seiten einen siebten „Arm“ in der Mitte in Szene, der durch die Art und Weise, in der der Text den Lesenden die „Konstruktion“ der Menora imaginiert, besonders herausgehoben wird. „Gefüllte“ und „leere“ Mitte stehen damit gegeneinander und deuten auf eine Verbindung zwischen Kapporet und Menora hin, nach der unten noch eigehender zu fragen sein wird. Ähnlich wie bei Kapporet und Menora sind auch zwischen Ladenkasten (Ex 25,10–16) und Tisch (Ex 25,23–30), die beide aus šiṭṭīm-Holz gefertigt und mit reinem Gold überzogen sind, zahlreiche Gemeinsamkeiten erkennbar. Diese manifestieren sich in einem vergleichbaren Aufriss der Texte und vielen gemeinsamen Elementen, wie einer umlaufenden Leiste ( )זרund den „Tragekonstruktionen“. Ex 25,30 schließlich, der Abschlusssatz der Einheit zum Tisch (Ex 25,23– 30), der eine kurze Funktionsbeschreibung für diesen Kultgegenstand bietet, ist für die vorliegende Studie insofern interessant, als hier erstmals in der Heiligtumstora ein regelmäßiger ( )תמידKultvollzug angedeutet wird. Daher soll im Anschluss an den knappen Durchgang durch Ex 25,10–27,19 ein erster genauerer Blick auf Ex 25,30 geworfen werden, wobei in diesem Zusammenhang auch auf die soeben angedeuteten Bezüge zwischen Ex 25,10–16 und Ex 25,23–30 einzugehen ist. Im Zusammenhang mit Tisch und Leuchter werden in Ex 25,29.38(–39) zuletzt weitere Gerätschaften – ebenfalls aus reinem Gold – erwähnt, die für den „Betrieb“ der Kultgegenstände benötigt, im Text allerdings nicht genauer beschrieben werden. Der invertierte Verbalsatz Ex 26,1a markiert auf syntaktischer Ebene den Auftakt eines neuen Textabschnitts (Ex 26,1–30), der thematisch auf den miškān fokussiert. Dabei bezeichnet der Terminus miškān in Ex 26,1–6 zunächst ein Zelttuch, das sich zugleich als das zentrale und (theologisch) wesentliche Element der Zeltkonstruktion erweist.22 Es besteht Ex 26,1a zufolge aus zehn identisch gefertigten Decken ()יריעת, von denen je fünf zusammengenäht sind (Ex 26,3). Die beiden auf diese Weise entstandenen, größeren Stoffbahnen werden mit Hilfe von 50 goldenen Ringen ( )קרסיםverbunden, die durch eine entsprechende Anzahl von Schlaufen ( )ללאתan beiden Stoffbahnen geführt werden (vgl. Ex 26,5–6b). Das Ziel aber ist, dass der miškān – obwohl in mehrfacher Weise komposit – als Einheit erscheint (vgl. Ex 26,6c).23 Das Material, aus dem der miškān gefertigt ist, sind die in Ex 26,1a genannten Stoffe, gezwirntes Leinen ( )שש משזרsowie mit Blaupurpur ()תכלת,
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Vgl. GÖRG, Zelt, 15; HOUTMAN, Exodus 3, 416–417; PROPP, Exodus 19–40, 405; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 128. 23 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 258; GÖRG, Zelt, 10–11; JACOB, Exodus, 783–784.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Rotpurpur ( )ארגמןund Karmesin ( )תלעת שניeingefärbte Wolle,24 die jeweils als „kunsthandwerkliche Arbeit“ ()מעשה חשב25 verfertigt sind (Ex 26,1b). Darüber hinaus ordnet Ex 26,1b an, die einzelnen Tücher „als / mit Keruben“ ( )כרובים ]…[ תעשה אתםzu machen, was einerseits darauf hinweisen kann, dass in den Stoff figürliche Darstellungen – die Keruben – einzuarbeiten sind,26 andererseits aber auch als Funktionsangabe verstehbar ist: Die Tücher selbst sollen „als Keruben“ fungieren, d.h. die Gegenwart JHWHs abschirmen und jeden unberechtigten, die Ordnung des Heiligtums störenden Zutritt zum Heiligen verhindern.27 Bei genauerem Hinsehen aber sind beide Interpretationsmöglichkeiten letztendlich kaum als gegensätzlich oder einander ausschließend zu begreifen. Eine figürliche Darstellung von Keruben im Kontext des Heiligtums nämlich kann kaum bloße Verzierung und „Wandschmuck“ sein, sondern ist immer auch (und in erster Linie) als Hinweis auf die Bedeutung und Funktion derjenigen Gegenstände zu verstehen, die mit den Kerubenfiguren versehen sind.
Im nächsten Teilabschnitt von Ex 26,1–30, den Versen Ex 26,7–14, werden weitere Zeltdecken aus verschiedenen Tierhäuten beschrieben, die in mehreren Schichten über die in Ex 26,1–6 eingeführten Tücher des miškān zu legen sind. So thematisiert Ex 26,7–13 zunächst ein ‚( אהל על המשכןZelt über dem miškān‘; V.7a), das ähnlich wie der miškān selbst aus mehreren gleichförmigen Einzeldecken besteht – in diesem Fall elf (V.7b) – von denen fünf bzw. sechs zuerst zu zwei größeren Stücken vernäht (V.9) und dann mit Schlaufen und Kupferringen zu einer Einheit verbunden werden (V.10–11).28 Zwei weitere Decken, deren Machart allerdings nicht genauer beschrieben wird, sind schließlich gemäß Ex 26,14 noch über das in V.7–13 vorgestellte („Über-“) Zelt zu legen.29 Getragen aber werden die übereinander gelegten Zelte durch eine Holzkonstruktion, die in Ex 26,15–29 beschrieben wird. Sie besteht aus mit Gold überzogenen Holzbrettern, die auf Postamenten aus Silber stehen und durch vergoldete Holzriegel zu kompakten Wänden verbunden werden.30 Den Abschluss der Sinneinheit Ex 26,1–30 markiert V.30 mit der Anordnung, den miškān gemäß seinem ‚( משפטGesetz, Anordnung‘), d.h. in der vorausgehend beschriebenen Weise, aufzurichten, wobei in Erweiterung der
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Vgl. zu den Materialien u.a. BENDER, Sprache, 56–61; JACOB, Exodus, 763–763; 868–870. 25 Vgl. BENDER, Sprache, 64–65. 26 Vgl. BENDER, Sprache, 65; HOUTMAN, Exodus 3, 421. 27 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 257–258; JANOWSKI, Sühne, 287. 28 Vgl. JACOB, Exodus, 784–785. 29 Vgl. HARAN, Temples, 152; JACOB, Exodus, 785; 869–870. 30 Vgl. JACOB, Exodus, 788–792.
A. Hinführung
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in Ex 26,1–6 gebräuchlichen Terminologie der Begriff miškān nun die Gesamtkonstruktion aus Holzwänden, Zelttuch und „Überzelten“ bezeichnet.31 Zwei weitere „Tücher“, die eng mit dem miškān verbunden sind, werden schließlich in der kurzen Einheit Ex 26,31–37 eingeführt, die Parochet (;פרכת Ex 26,31–35) und der „Vorhang“ ( ;מסךEx 26,36–37). Die Parochet ist als ‚( מעשה חשבkunsthandwerkliche Arbeit‘)32 aus den vier Wollstoffen und als bzw. mit Keruben zu fertigen (vgl. Ex 26,31)33 und entspricht daher in Material und Machart den Tüchern des miškān (vgl. Ex 26,1–6). Sie wird durch vier vergoldete Holzsäulen ( ;עמדיםEx 26,32) aus šiṭṭīm-Holz getragen, die wie die Holzelemente der Wände auf silbernen Sockeln stehen, und fungiert – im Inneren des Zelts angebracht – als „Raumteiler“ (Ex 26,33–35).34 Dabei ist sie Ex 26,33a zufolge exakt unterhalb der goldenen Verbindungsringe zu positionieren, durch die die beiden Hälften des miškān zusammengefügt sind. Da aber das hintere Teilstück des miškān nicht nur die (Innen)Decke der Zeltkonstruktion bildet, sondern in der Hälfte ihrer Länge auch die Rückwand der Holzwände abdeckt, wird der Innenraum durch die Parochet exakt im Verhältnis 2:1 in einen kleineren hinteren und einen doppelt so großen vorderen Raum geteilt, die in Ex 26,33c als das „Heilige“ (der größere Raum) und das „Hochheilige“ (der kleinere Raum) qualifiziert werden. In diesen werden die in Ex 25,10–40 beschriebenen Kultgegenstände, Lade mit Kapporet (und ʽedūt), Tisch und Leuchter deponiert, wobei auf der Separation und der theologischen Qualifizierung der Räume sowie den Platzierungen der eigentliche Schwerpunkt des Textes liegt.35 Der zweite Vorhang hingegen, der in Ex 26,36–37 beschriebene מסך, der den Eingang des Zeltes markiert (vgl. ;לפתח האהלEx 26,36), ist einerseits aus denselben Stoffen wie die Parochet (und der miškān) gefertigt, als „Buntweber-Machart“ ( ;מעשה רקםvgl. Ex 26,36)36 aber von anderer („geringwertigerer“) Machart als diese.37 So ist eine Abstufung gegenüber der Parochet (und dem miškān) angezeigt, die auch bei der Stützkonstruktion des Vorhangs erkennbar wird.38 So besteht diese zwar – wie jene der Parochet – aus vergoldeten šiṭṭīm-Holz-Säulen (V.37a–c), die allerdings nicht auf Postamenten 31 Vgl. GÖRG, Zelt, 30; HENDRIX, Use, 4; JACOB, Exodus, 873; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 128–129. 32 Vgl. BENDER, Sprache, 64–65. 33 Vgl. JACOB, Exodus, 793. 34 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 260; HARAN, Temples, 152–153; HOUTMAN, Exodus 3, 438; JACOB, Exodus, 794; PROPP, Exodus 19–40, 418–419. 35 Vgl. z.B. DOHMEN, Exodus 19–40, 246; HARAN, Temples, 152–153; HOUTMAN, Exodus 3, 417; 439. 36 Vgl. BENDER, Sprache, 65–66. 37 Vgl. JACOB, Exodus, 794. Zur Abstufung der Textilien entsprechend ihrer Machart vgl. auch HARAN, Temples, 160. 38 Vgl. HARAN, Temples, 162.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
aus Silber, sondern auf Kupfersockeln stehen. Kupfer als Werkstoff wurde bislang nur in Ex 26,11 erwähnt, wo die Verbindungsringe für das Überzelt aus Ziegenhäuten angesprochen sind. In den folgenden Abschnitten (Ex 27,1– 8.9–19) aber wird es zu dem bestimmenden Metall werden.39 Ex 27,1–8 beschreibt – nach den Geräten in Ex 25,10–40 – mit dem Altar ( ;המזבחEx 27,1a) einen weiteren Kultgegenstand, der ähnlich wie Ladenkasten und Tisch (vgl. Ex 25,10–16.23–30) zunächst aus šiṭṭīm-Holz gefertigt und anschließend mit Metall überzogen wird. Dazu wird in diesem Fall allerdings nicht (reines) Gold, wie bei Lade und Tisch, verwendet, sondern das erstmals in Ex 26,35 genannte Kupfer ()נחשת. Aus diesem Metall sind auch der am Altar angebrachte, netzartige ( מכברEx 27,4a), die an diesem befestigen Ringe für die Tragestangen (Ex 27,4b) und schließlich auch die zum Altar gehörenden Geräte (Ex 27,3) gefertigt. Und auch die hölzernen Tragestangen sind – wie der Altar selbst – mit Kupfer überzogen.40 Interessanterweise fehlen in Ex 27,1–8 dezidierte Angaben zur Funktion des Altars (vgl. ähnlich wie in 25,16.21–22.30.37) und auch sein genauer Standort wird nicht präzisiert.41 Der letzte Abschnitt des ersten Hauptteils der ersten Gottesrede der Heiligtumstora, Ex 27,9–19, behandelt schließlich die Hofbegrenzung des Heiligtums (vgl. V.9a). Diese besteht aus Stoffbahnen, die durch Säulen getragen werden, die ihrerseits – wie die Säulen des ( מסךvgl. Ex 26,37) – auf Sockeln aus Kupfer stehen. Als herausragendes Element aber wird das Tor zum Hof (vgl. Ex 27,16) präsentiert, das in gleicher Machart wie der מסךvor dem Zelt gefertigt ist und sich von diesem allein dadurch unterscheidet, dass es auf vier (anstelle von fünf) Säulen steht.42 Ex 27,19 als Abschlusssatz der Einheit unterstreicht schließlich, dass alle Geräte des Hofs – damit können nur der Altar mit seinen Geräten (Ex 27,1–8) sowie die Sockel der Säulen der Hofbegrenzung gemeint sein – aus Kupfer hergestellt sind. Kupfer ist somit das Metall des Vorhofs, so dass es folglich dem (reinen) Gold als dem Metall des „Heiligen“ und „Hochheiligen“ im Inneren des Zeltes gegenübersteht.43 Diese klare Zuordnung soll allerdings – mit B. JACOB – weniger eine bewertende Hierarchisierung anzeigen, der zufolge das Gold (und damit der Innenraum des miškān) dem Kupfer des Vorhofs vorgeordnet wird, sondern allein die spatiale Differenzierung und Separation von Zelt und Hof untermauern, die auch durch die Vorhänge und sonstige Begrenzungen angezeigt wird. Ansonsten aber können – wie unten noch deutlich werden wird – beide „Leitmetalle“, Kupfer und Gold, mit Heiligkeit 39
Vgl. HARAN, Temples, 153; JACOB, Exodus, 794–795. Für eine detaillierte Analyse von Ex 27,1-8 vgl. HEGER, Altar Laws, 171–206. 41 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 420–421. 42 Vgl. HARAN, Temples, 153–154; JACOB, Exodus, 801–804. 43 Vgl. JACOB, Exodus, 797; 876; JENSON, Graded, 101–102. 40
A. Hinführung
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bzw. Heiligung verbunden werden. Allein das Silber, der dritte metallische Werkstoff des Heiligtums, steht hier abseits.44 In dem soeben unternommenen Durchgang durch Ex 25,10–27,19 wurden die Perikopen zu den Kultgeräten in Ex 25,10–40 und diejenigen zur Konstruktion des miškān in Ex 26,1–30 bereits zu zwei Blöcken zusammengefasst. Auffällig ist, dass in den letzten Versen dieser Blöcke, Ex 25,40 und Ex 26,30 jeweils ein deutlicher Rückbezug auf Ex 25,9 auszumachen ist. Zugleich jedoch ist in Ex 25,40 gegenüber Ex 25,9 neu, dass JHWH Mose ausdrücklich dazu auffordert, zu sehen (vgl. ;וראהV.40a), womit die in Ex 25,9 vorausgesetzte, im Text selbst jedoch nicht eingeholte Übermittlung optisch zugänglicher Informationen zum Heiligtum nochmals explizit herausgehoben wird. Ex 25,40a scheint vorauszusetzen, dass Mose einen „Plan“ gezeigt bekommt, der ihm – während er auf dem Berg die in Ex 25–31 wiedergegebene JHWH-Rede hört – das Gesamtkonzept des Heiligtums „vor Augen“ hält. Entsprechend soll die göttliche Willenskundgabe auf dem Sinai ein Machen der Geräte „gemäß ihrem Plan“ ( ;כתבניתםEx 25,40b) anstoßen und ermöglichen.45 In Ex 26,30 hingegen findet sich der ähnlich lautende Auftrag, den miškān „gemäß seiner Ordnung“ ( ;כמשפטוEx 26,30a) aufzustellen, wobei über den Terminus miškān – wie oben bereits angedeutet – die Verbindung der in Ex 26,1–29 beschriebenen Einzelelemente des Zelts im Blick ist. Die für deren Zusammenfügen maßgebliche „Ordnung“ ()משפט46 aber wird über den Relativsatz Ex 26,30a – ähnlich wie der ‚( תבניתModell, Plan‘) in Ex 25,40 – mit einem „Gezeigt-Bekommen“ (ראה-hi.) auf dem Berg ( ;בהרvgl. auch Ex 25,40bR!) verbunden.47 Deutliche Parallelen zu Ex 25,9.40; 26,30 sind zuletzt auch in Ex 27,8 greifbar. In diesem Vers wird – nachdem die einzelnen Bestandteile des Altars und seiner Tragevorrichtung dargestellt sind – nochmals auf die Machart des (gesamten) Altars eingegangen, der hohl ( )נבובund aus Tafeln bzw. Platten ( )לחתanzufertigen ist (V.8a). Daran anschließend rekurriert V.8b mit den beiden zentralen Stichworten ראה-hi. (‚zeigen‘) und ‚( בהרauf dem Berg‘) ein weiteres (und in Ex 25–27 letztes) Mal auf das Mose – ergänzend zu den Weisungen der Gottesrede – zugänglich gemachte „Konzept“ des Heiligtums.48 Dieses soll nun mit Ex 27,8bc auch den Israeliten als Grundlage dienen, wenn sie das Heiligtum bauen. Immerhin nämlich sollen sie dieses so machen 44
Vgl. JACOB, Exodus, 867; JENSON, Graded, 103. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 415. 46 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 259; JACOB, Exodus, 864; OWCZAREK, Wohnen, 68– 69; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 211–212. 47 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 258–259; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 212. 48 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 261; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 212. 45
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
( ;כן יעשוV.8c),49 wie es Mose auf dem Berg gezeigt wurde (;כאשר הראה אתך V.8b). Da Mose jedoch den auf dem Berg eingesehenen „Plan“ weder mitnimmt noch abzeichnet und den Israeliten allein die Reden JHWHs weitergibt (vgl. z.B. Ex 35,1.4), scheint nicht der ( תבניתvom Sinai) für sich das Wesentliche zu sein und auch keine zusätzliche, nicht auch aus den Redeinhalten ableitbare Information zu enthalten. Essenziell ist vielmehr das Gesamtkonzept des Heiligtums, das sich in dem zu errichtenden Bauwerk niederschlagen soll,50 das aber auch aus der Gottesrede selbst zu erheben sein muss, die damit für die Lesenden, denen über den Text hinaus ohnehin keine andere „Informationsquelle“ zur Verfügung steht, zur Grundlage ihrer „Rekonstruktion“ und Imagination werden kann und soll.51 Neben ihrer hermeneutischen Funktion erweist sich die Funktion von Ex 25,40; 26,30; 27,8 auch im Hinblick auf die Komposition von Ex 25,10– 27,19 als interessant. Immerhin markieren die angesprochenen Verse jeweils den Abschluss übergreifender Sinneinheiten und lassen dabei – über die Rekurse auf einen integrierenden „(Gesamt-)Plan“ des Heiligtums – die zuvor einzeln bzw. in ihren Teilelementen besprochenen Geräte und Bauelemente nochmals (resümierend) als integrale Teile eines Ganzen in den Blick kommen. So verweist Ex 27,8 auf den in Ex 27,1–7 mit Blick auf seine Bestandteile umschriebenen Altar in seiner Ganzheit, Ex 26,30 auf den aus den zuvor beschriebenen Teilen zusammengesetzten „Gesamt-miškān“ und Ex 25,40 auf die drei bzw. vier in Ex 25,10–39 behandelten Kultgeräte, die – wie sich zeigen wird – in engem Zusammenhang miteinander stehen. Damit sind in Ex 25,10–27,19 zunächst drei Blöcke markiert, Ex 25,10–40 (Kultgeräte), Ex 26,1–30 (miškān) und Ex 27,1–8 (Altar), während zwei weitere Textabschnitte, Ex 26,31–36 und Ex 27,9–19 bislang noch nicht eingeordnet sind. Diesen ist gemeinsam, dass sie mit der Parochet, den Vorhängen am Zelteingang und am Hoftor, sowie der Hofbegrenzung jeweils „Trennelemente“ oder „Abgrenzungen“ in den Blick nehmen. Vor allem in Ex 26,33–35 ist dabei gut erkennbar, dass hier das „Definieren“ von Räumen bedeutsam ist, das durch das Begrenzen ebenso geschieht, wie durch das in Ex 26,33–35 thematisierte Platzieren der Kultgegenstände. Ex 26,31–37 zeigt somit auf, wie die in 25,10–40 und 26,1–30 beschriebenen Teilelemente zusammenzufügen sind, macht so Relationen und Zusammenhänge deutlich und weist schließlich den einzelnen Geräten ihren je spezifischen Ort im Heiligtum zu.52
49
Diese Aufforderung an eine 2. Pers. Pl. greift auf Ex 25,8a.9b.10a[.19] zurück. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 345–346; 415. 51 Vgl. BARK, Heiligtum, 48–49. Vgl. ähnlich auch JACOB, Exodus, 761–762; PROPP, Exodus 19–40, 377; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 143. 52 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 262–263; FISCHER/MARKL, Exodus, 290. 50
A. Hinführung
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Eine in mehrfacher Hinsicht besondere Stellung kommt zuletzt dem Altar zu, für den mit Ex 27,1–8 ein eigener Abschnitt reserviert ist und der somit nicht unter den in Ex 25,10–40 beschriebenen Kultgeräten verhandelt wird (obwohl er de facto ein solches ist). Im Gegensatz zu den übrigen Geräten wird für ihn weder eine Platzierung im Heiligtum angegeben noch wird seine (räumliche) Relation zum miškān (und den übrigen Geräten) explizit deutlich. Implizit aber ist sein Ort wohl aus seiner Positionierung im Text der Heiligtumstora zu erheben, in der er zwischen dem Zelteingang (Ex 26,36–37) und der Vorhofumgrenzung mit ihrem Tor (Ex 27,9–19) angeordnet ist. Er gehört also – wie auch das an ihm sichtbare Kupfer andeutet – in den Vorhof, sein exakter Standort dort ist jedoch aus keinem Text der Tora präzise zu erheben.53 Durch die Gesamtkomposition von Ex 25,10–27,19 hervorgehoben, kommt dem Altar freilich eine gewisse Aufmerksamkeit zu, die zugleich Fragen aufwirft, die v.a. in Ex 27,20–30,10 beantwortet werden, etwa die Frage nach seiner genauen Funktion und Bedeutung, seinem Verhältnis zum Zelt und den übrigen Geräten sowie nach dem kultischen Status des Hofs bzw. des Altars. II. Das Tamid am Tisch (Ex 25,30) Und du sollst auf den Tisch Brot des Angesichts geben vor JHWH – regelmäßig ()תמיד. (Ex 25,30)
Nach dem ersten Durchgang durch Ex 25,10–27,19 ist nun auf den Vers Ex 25,30 einzugehen, in dem – erstmals in der Heiligtumstora – eine regelmäßige ( )תמידKulthandlung an einem der Geräte des Heiligtums thematisiert wird. Damit nimmt Ex 25,30 eine zentrale Thematik der zweiten Hälfte der ersten Gottesrede (Ex 27,20–30,10) vorweg und weist so auf diesen Textabschnitt voraus. In seinem engeren literarischen Kontext markiert der Vers Ex 25,30 den Abschluss des Abschnitts zum Goldenen Tisch (Ex 25,23–30) und deutet – nachdem in V.23–29 schrittweise die Herstellung des Tisches (V.23–25), seiner Tragevorrichtung (V.26–28) und seiner Geräte (V.29) behandelt wird – die Bedeutung dieses Kultgegenstandes an.54 Dabei führt das Stichwort שלחן (‚Tisch‘) in V.30 die zuvor gebotene Beschreibung von Einzelbestandteilen zusammen und verbindet diese zu einer konzeptionellen Einheit. Seiner Funktion nach aber soll der Tisch die Möglichkeit eröffnen, regelmäßig ()תמיד „Brot des Angesichts“ ( )לחם פניםvor JHWH ( )לפני יהוהzu geben ()נתן. Die zentrale Handlung ist damit ein „Geben“, das sich „vor“ bzw. im Hinblick auf JHWH vollzieht und folglich als Akt des Interagierens bzw. Kommunizierens 53 54
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 261. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 252–253.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
mit JHWH zu deuten ist.55 Der Tisch selbst verleiht diesem „Vor-JHWHGeben“ einen konkreten Ort und macht es damit realisierbar.56 Gleichzeitig wirft die Weisung in Ex 25,30 Fragen auf, die aus dem Vers selbst und auch aus Ex 25,23–29 heraus nicht zu beantworten sind. So bleiben zunächst Beschaffenheit, Zubereitung und Menge des Brotes ungeklärt – und auch die Bedeutung der Wendung ‚Brot des Angesichts‘ ( )לחם פניםselbst bleibt im Vagen. Hier allerdings lässt der Zusammenhang vermuten, dass an das Angesicht ( )פניםJHWHs zu denken ist, vor dem (vgl. )לפניdas Brot abgelegt wird. Die Benennung verweist also letztendlich auf das Wesentliche des Ritus bzw. Kultvollzugs, in den das Brot und der Tisch eingebunden sind.57 Unbestimmt bleibt in Ex 25,30 allerdings der Ausführende der Kulthandlung – und auch wie die im Adverb תמידangedeutete Regelmäßigkeit zu realisieren ist, in welchen Rhythmen und Zeitabständen also das Auflegen des Brotes wiederholt wird. Diese Fragen werden (wenn überhaupt) erst in Lev 24,5–9 beantwortet, einem Text, in dem das Ritual des „Brot-Auflegens“ auf den Goldenen Tisch detaillierter vorgestellt wird.58 Auch wenn die Funktionsbeschreibung in Ex 25,30 zunächst also mehr Fragen aufwirft, als sie Antworten bietet, sind über die Art und Weise der Einbindung in den engeren literarischen Kontext doch weiterführende Überlegungen angelegt. Zunächst nämlich wird in Ex 25,23–30 deutlich, dass die (einmalige) Herstellung des Tisches, die in V.23–29 angeordnet wird, letztendlich die Grundlage für einen regelmäßigen, d.h. wiederholbaren und darin auf Dauer angelegten Vollzug (Israels) schafft. Am Tisch wird erkennbar, dass die Geräte des Heiligtums als Kultgeräte entstehen, die Möglichkeiten bereitstellen, mit JHWH in Interaktion zu treten.59 Diese in Ex 25,30 eingebrachte Idee ist analog auch auf die übrigen Teile des Heiligtums zu übertragen. Auffällig nämlich ist, dass beim Leuchter (vgl. Ex 25,31–39) und auch beim Altar (vgl. Ex 27,1–8) zunächst jeder Hinweis auf Kultvollzüge fehlt und erst in Ex 27,20–30,10 „nachgetragen“ wird. Ex 25,30 weist somit – im Zusammenhang mit dem ersten, in den regelmäßigen Kult involvierten Kultgerät – „von Anfang an“ auf Ex 27,20–30,10 voraus und deutet so den engen Zusammenhang der beiden Hauptteile der ersten Gottesrede an. Daneben fällt auf, dass Ex 25,30 von den Formulierungen her deutlich parallel zu Ex 25,21 angelegt ist. 55
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 397. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 253. 57 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 253; GANE, Bread, 180–182; HOUTMAN, Exodus 3, 391; HUNDLEY, Keeping, 99; PROPP, Exodus 19–40, 397. Eine andere Deutung bietet JACOB, Pentateuch, 259–263; DERS., Exodus, 895. JACOB stellt die zwölf Brote auf dem Tisch (im „Heiligen“) als „inneres Brot“ ( )לחם פניםdem „äußeren Brot“, d.h. den Opfergaben am Brandopferaltar im Vorhof, gegenüber. 58 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 253. 59 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 252–253. 56
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A. Hinführung Ex 25,30 30
Ex 25,21
ונתת על השלחן לחם פנים לפני תמיד
ונתת את הכפרת על הארן מלמעלה ואל הארן תתן את העדת אשר אתן אליך
21a 21b 21bR
In beiden Versen wird eine Platzierung auf ( )עלLade bzw. Tisch, thematisiert, mit der jeweils die Deutung und Funktionsbeschreibung des jeweiligen Gegenstands (V.21–22.30) eingeleitet wird. Diese Parallelität von Ex 25,21 und Ex 25,30 setzt sich schließlich insoweit fort, als auch die Herstellungsanweisung für Ladenkasten (Ex 25,10–15) und Tisch (Ex 25,23–29) deutlich parallel zueinander angelegt sind und vielfach ähnliche bzw. identische Formulierungen aufweisen: Lade (Ex 25,10–15) 1. Das Kultgerät „machen“ ()עשה šiṭṭīm-Holz Maße Goldüberzug
aus
V.10a
Tisch (Ex 25,23–29) V.23a
ועשו ארון עצי שטים V.10b–d V.11ab
ועשית שלחן עצי שטים V.23b–d V.24a
( וצפית אתו זהב טהורV.11a)
וצפית אתו זהב טהור
Goldene Leiste ()זר
V.11c
V.24b
Einfassung ()מסגרת
---
V.25
2. Die Tragevorrichtung Goldringe Stangen aus šiṭṭīm-Holz
V.12 V.13a
V.26–27 V.28a
Goldüberzug
V.13b
ועשית עליו זר זהב סביב
ועשית לו זר זהב סביב
ועשית בדי עצי שטים
ועשית את־הבדים עצי שטים V.28b
וצפית אתם זהב Tragen
V.14
וצפית אתם זהב V.[27aI]28c
לשאת את־הארון בהם Verbleib der Stangen
V.15
( לשאת את־השלחןV.27aI) ---
Damit ist ein Zusammenhang zwischen den beiden einander in vielen Punkten sehr ähnlichen Kultgegenständen Lade und Tisch angedeutet,60 der letzt60
Dieser Zusammenhang wird auch in Num 4,5–14 deutlich: In diesem Text wird das „Transportfertig–Machen“ der Geräte des Heiligtums beschrieben, wobei auffällt, dass allein die Lade und der Tisch mit drei übereinandergelegten Tüchern bedeckt und damit in Relation zueinander gesetzt werden, während für die restlichen Geräte (Leuchter, Goldener Altar und Brandopferaltar) jeweils nur zwei Tücher (eines aus blau– bzw. rotpurpurfarbener Wolle und eines aus Tachaschhaut) vorgesehen sind. Unterschiedlich allerdings ist die
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
endlich darauf hin angelegt ist, auf die Verbindung zwischen denjenigen Gegenständen hinzuweisen, die Ex 25,21.30 zufolge jeweils auf Tisch bzw. Lade gegeben ( )נתןwerden sollen, der Kapporet und dem „Brot des Angesichts“.61 Erstere wird in Ex 25,22 als Ort des Begegnens und des Redens JHWHs zu Mose vorgestellt, während zweiteres „vor JHWH“ auf den Tisch gegeben wird. In diesem Platzieren wird ein Raum geschaffen, der durch das Gegenüber von JHWH (vgl. )לפניund dem auf den Tisch abgelegten Brot – und damit implizit durch das Gegenüber von JHWH und den Ausführenden der Tamid-Handlung – bestimmt ist und der darin dem im Gegenüber von JHWH und Mose an der Kapporet konstituierten Raum (vgl. Ex 25,21–22) „nachgebildet“ zu sein scheint. Mit dieser Ausrichtung auf die Lade hin, dem Begegnen und Interagieren mit JHWH als zentralem Ziel des Kults und dem Konstituieren von Räumen aber nimmt Ex 25,30 – obwohl die Zusammenhänge zunächst noch vage bleiben – viele Konzepte vorweg, die in Ex 27,20–21; 30,6–10 und v.a. in Ex 29,38–46 wieder aufgenommen und ausführlicher dargestellt werden. So erweist sich der Vers als „Vorschau“ auf die Tamid-Thematik in Ex 27,20– 30,10, die zugleich deren Rückbindung an Ex 25,10–27,19 in Erinnerung ruft und die Lesenden dazu animiert, diejenigen Fragen zu stellen, um die dann die Texte in Ex 27,20–30,10 kreisen werden. III. Ausblick auf Ex 27,20–30,10 Der zweite Hauptteil der ersten Gottesrede der Heiligtumstora, Ex 27,20– 30,10, der im Folgenden genauer analysiert wird, kann in sechs Teilabschnitte (Ex 27,20–21; 28,1–43; 29,1–35; 29,36–37; 29,38–46; 30,1–10) untergliedert werden. Diese nehmen einerseits regelmäßige ( )תמידKultvollzüge im Heiligtum in den Blick (vgl. Ex 27,20–21; 29,38–46; 30,7–10; vgl. auch Ex 28,12.29–30.35.38.42–43), behandeln daneben aber auch Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–35.36–37) als einmalige Vollzüge sowie die Herstellung der Priestergewänder (vgl. Ex 28) und des Goldenen Altars (Ex 30,1–5.6). Eingeleitet wird der zweite Hauptteil durch den kurzen Textabschnitt Ex 27,20–21, der mit dem Dienst am Leuchter eine regelmäßige Kulthandlung behandelt und damit die in Ex 27,20–30,10 bestimmende Thematik eröffnet. Anordnung der je drei Tücher, da die Lade zunächst mit der parochet eingehüllt wird und über diese anschließen Tachaschhaut und ein Tuch aus Blaupurpurwolle gelegt werden. Letztere ist also bei der Lade – im Gegensatz zu allen anderen Geräten – die äußerste und damit die sichtbare Stofflage, was erneut die Bedeutung der Lade betont und sie wohl auch in „verpacktem Zustand“ vom ähnlich dimensionierten Tisch unterscheidbar machen soll. Bei diesem nämlich befindet sich das Tuch aus Blaupurpurwolle zuunterst, während darüber ein Tuch aus karmesinfarberer Wolle und zuletzt eine Decke aus Tachaschhäuten gelegt wird. Vgl. HARAN, Temples, 158–159; HIEKE, Levitikus 16–27, 948; MILGROM, Leviticus 23–27, 2097; SEEBASS, Numeri 1–10, 102–103. 61 Vgl. dazu auch JACOB, Exodus, 895.
A. Hinführung
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Daran schließt der deutlich umfangreichere Abschnitt Ex 28,1–43 an, der – bei aller Ausführlichkeit in der die anzufertigenden Priestergewänder bzw. v.a. die Gewänder Aarons beschrieben werden – den eigentlichen Schwerpunkt auf die Deutung der einzelnen Kleidungsstücke legt, wobei die entsprechenden Verse (vgl. 28,12.29–30.35.38.42–43) zusammen mit den rahmenden Passagen Ex 28,1–5.41 ein Amtsprofil Aarons und seiner Söhne entwerfen. Diese werden in Ex 27,21 (eher unvermittelt) als Akteure des Dienstes am Leuchter im „Heiligen“ eingeführt, so dass Ex 28 deren Bedeutung und Funktion erklären und so auch das in Ex 27,20–21 Beschriebene in einen größeren Kontext einordnen kann. Auf den damit gegebenen engen Zusammenhang zwischen Ex 27,20–21 und Ex 28 weist darüber hinaus der Umstand hin, dass die theologisch gehaltvollen, in ihrer genauen Proposition aber „erklärungsbedürftigen“ Stichworte und Wendungen ‚( תמידregelmäßig; Ex 27,20bI) und ‚( לפני יהוהvor JHWH‘; Ex 27,21a2) in Ex 28,12.29– 30.35.38.42–43 im Zusammenhang mit der Deutung der Gewänder Aarons und seiner Söhne wiederkehren. Darüber hinaus ist Ex 28,1–43 auch mit Ex 29,1–35.36–37 eng verbunden. Immerhin nämlich blicken bereits die einleitenden Verse Ex 28,1–5, aber auch der Vers Ex 28,41, der am Ende des Kapitels nochmal die Einleitung aufnimmt und so den Rahmen um die Herstellungsanweisungen in Ex 28,6–40(.42–43) schließt, auf die Amtseinsetzung und Weihe der Priester voraus, die dann in Ex 29,1–35 eingehender behandelt wird. Der einleitende Vers dieser Ritualanweisung wiederum, Ex 29,1, nimmt zentrale Stichworte aus Ex 28,3.41 auf, so dass es nahe liegt, Ex 29,1–35 von Ex 28(,1–5.41) her zu lesen, das Augenmerk also zunächst auf die Amtseinführung der Priester zu legen und die einzelnen Ritualvollzüge, die in diesem Kapitel beschrieben werden, als Teilschritte der Priesterweihe zu interpretieren. Bei fortschreitender Lektüre wird jedoch deutlich, dass dies nicht die einzige Perspektive ist, unter der Ex 29 rezipierbar ist. Vielmehr tritt neben die Heiligung der Priester als dem einen Ziel der Rituale die Weihe und Heiligung des Altars als ein korrespondierendes zweites Ziel. Dieses wird v.a. in Ex 29,36–37 herausgestellt, wobei dieser kurze Textabschnitt – wie unten zu zeigen ist – die Lesenden dazu anhält, Einzelschritte des in Ex 29,1–35 beschriebenen Gesamtrituals, die bei der ersten Lektüre zunächst als Element des Weiherituals für die Priester aufgefasst wurden, nochmals neu einzuordnen und (auch) auf die Altarweihe hin zu interpretieren. Auf diese Weise wird einerseits eine enge Verbindung zwischen Priestern und Altar betont. Andererseits kann Ex 29,36–37 aber auch als literarische Überleitung zum Abschnitt Ex 29,38–46 fungieren, der den regelmäßigen Dienst am Brandopferaltar in den Mittelpunkt stellt. Dies wiederum bedeutet, dass Ex 28,1–29,37 als ein „Verbindungsstück“ zwischen den beiden Abschnitten Ex 27,20–21 und Ex 29,38–46 gelesen werden kann, die jeweils regelmäßige Kulthandlungen im „Heiligen“ bzw. am Altar thematisieren, und als solches Grundlagen und Voraussetzungen beleuchtet, die für ein adäquates Verstehen der „Tamid-
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Texte“ hilfreich sind. Daher sind im Folgenden auch die Texte Ex 28,1–43; 29,1–37 genauer zu analysieren. Der letzte Sinnabschnitt in Ex 27,20–30,10 ist schließlich Ex 30,1–10. Hier wird einerseits mit dem regelmäßigen Rauchopfer ein weiterer TamidVollzug behandelt, andererseits aber fungiert die Textpassage in mehrfacher Hinsicht als ein Abschlusstext. So bietet Ex 30,1–10 zunächst insofern eine Ergänzung zu den Abschnitten Ex 29,36–37.38–46, die das Augenmerk auf den Brandopferaltar richten, als sie neben diesen in Ex 30,1–10 einen weiteren Altar stellt. Das Verhältnis beider Altäre wird in Ex 30,9 eingehender behandelt, während Ex 30,10 v.a. auf Ex 29,36–37 Bezug nimmt, um auf diese Weise zusammen mit diesen Versen einen Rahmen um die Altar-Texte in Ex 29,36–37.38–46; 30,1–10 zu legen und diese als zusammengehörige Einheit auszuweisen. Darüber hinaus deutet Ex 30,7–8 einen engen Zusammenhang zwischen dem Tamid am Leuchter und demjenigen am Rauchopferaltar an und nimmt so nochmals auf den Anfang von Ex 27,20–30,10 Bezug. Zuletzt jedoch rekapituliert Ex 30,1–10 in seiner Gesamtheit mit der Abfolge von Herstellungsanweisung (V.1–5), Platzierung (V.6) und Kultvorschriften (V.7–10) den Aufriss der gesamten ersten Gottesrede und erfüllt auch darin eine abschließende bzw. resümierende Funktion. Damit verbunden fällt auf, dass der vorausgehende Text Ex 27,20–29,46 von seinem Aufriss her (in etwa!) der Abfolge der drei jeweils durch einen Rekurs auf den ( תבניתvgl. Ex 25,40; 26,30; 27,8) abgeschlossenen Blöcke von Ex 25,10–27,19 (Ex 25,10– 40; 26,1–30; 27,1–8) folgt. So steht Ex 27,20–21, der Abschnitt zum Dienst am Leuchter, der Texteinheit Ex 25,10–40 gegenüber, die in Ex 25,31–39 durch die Herstellungsanweisungen zum Leuchter abgeschlossen wird. Ex 28,1–43 hingegen lässt Bezüge zu Ex 26,1–30 erkennen, die v.a. darin gegeben sind, dass für die Gewänder Aarons und den miškān dieselben Textilien verwendet werden, die zudem in gleicher Weise zu verarbeiten sind. Zuletzt aber bietet Ex 29,1–35.36–37.38–46 insofern eine Ergänzung zu Ex 27,1–8, als hier die Weihe und Funktion des Altars eingehend beschrieben werden, auf die Ex 27,1–8 nicht eingeht. Der erste knappe Überblick über den im Folgenden genauer auszulegenden Text Ex 27,20–30,10 zeigt somit bereits, dass die einzelnen Teilabschnitte vielfach aufeinander bezogen sind und eng zusammenhängen, wobei die Bezüge im Folgenden noch genauer zu fassen sind.
B. Aaron und der Kult im „Heiligen“ (Ex 27,20–28,43) B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
Die beiden Perikopen Ex 27,20–21 und Ex 28,1–43 beleuchten – mit je eigener Perspektive – Aarons Dienst im „Heiligen“ und werden daher im Folgenden mit- bzw. nacheinander analysiert.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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I. Der regelmäßige Kult an der Menora (Ex 27,20–21) 20a 20b 20bI 21a 21aR 21a 21b
Du aber sollst den Söhnen Israels befehlen, dass sie nehmen // erheben ( )לקחfür dich Olivenöl, feines, ausgedrücktes, für die Leuchte ()למאור, regelmäßig ein Licht ( )נרemporzuheben (עלה-hi.) // eine Lampe ( )נרzu entzünden (עלה-hi.). Im Zelt der Begegnung, außerhalb der Parochet, die über dem Zeugnis ( )עדותist, soll Aaron – und seine Söhne – es ( נר, V.20bI) anordnen ()ערך von Abend bis Morgen vor JHWH Zeitlose Satzung ( )חקת עולםist es für ihre Generationen von den Söhnen Israels. (Ex 27,20–21)
1. Kollekte (Ex 27,20ab) Der kurze Abschnitt zum Dienst am Leuchter, Ex 27,20–21, setzt in Ex 27,20a mit der Formulierung ‚( ואתה תצוה את־בני ישראלdu aber sollst den Söhnen Israels befehlen‘) ein, die syntaktisch als ein Injunktiv (we=x-jiqṭol) zu bestimmen ist. Von diesem ist der Konsekutivsatz Ex 27,20b (we=jiqṭol)62 abhängig, der den konkreten Inhalt des Befehls (vgl. )צוהwiedergibt, den Mose an die Israeliten zu übermitteln hat: Diese sollen Öl „für die Leuchte“ ( )למאורzu Mose bringen. Eine erste Auffälligkeit in diesen beiden zusammenhängenden Sätzen ist das betonte ‚( ואתהdu aber‘) zum Auftakt des Satzes Ex 27,20a. Dieses markiert zunächst einen gewissen Neueinsatz gegenüber Ex 27,19,63 setzt allerdings keine so deutliche Zäsur, dass es als wesentliches Indiz für die vielfach angenommene Zweiteilung der Gottesrede Ex 25,2–30,10 in die Abschnitte Ex 25,2–27,19 und Ex 27,20–30,10 fungieren könnte.64 Eher im Gegenteil: Zunächst nämlich verweist das – ואתהindem es dezidiert die Anrede an Mose hervorhebt – auf die in der Heiligtumstora (Ex 25,1–31,17) vorausgesetzte Redesituation einer an den Offenbarungsmittler Mose adressierten Gottesrede (auf dem Berg Sinai) und ruft so die Einleitung der Heiligtumstora in Ex 25,1, aber auch die dieser vorausgehende Erzählpassage Ex 24,12–18 in Erinnerung, in denen diese Redesituation festgeschrieben wird. So scheint die Pragmatik des ואתהzunächst weniger darin zu liegen, eine klare Abgrenzung des zweiten Teils der Gottesrede (Ex 27,20–30,10) von der vorausgehenden ersten Hälfte (Ex 25,2–27,19) anzuzeigen, als vielmehr darin, nochmals auf den narrativen Rahmen und den Beginn der Heiligtumstora Bezug zu nehmen und – gleichsam vom selben „Ausgangspunkt“ aus – einen erneuten „Durchgang“ (mit anderer Schwerpunktsetzung) durch das in Ex 25,2–27,19 bereits 62
Vgl. GESENIUS §166. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 263. 64 Vgl. dazu die vergleichbaren Formulierungen in Ex 28,1.3 (s.u.). 63
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
beschriebene Heiligtum zu eröffnen. So dient – mit B. JACOB gesprochen – das „ ואתהzur Einführung einer notwendigen Ergänzung“65 des in Ex 25,1– 27,19 Entfalteten, „wofür ein neuer Ansatz zu machen ist“66. Unterstützt wird dies durch die Beobachtung, dass auch der Übermittlungsauftrag an Mose in Ex 27,20ab deutlich auf den Beginn der ersten Gottesrede, v.a. auf Ex 25,2, zurückgreift.67 Ex 25,2 2a 2b 2c 2cR 2c
Ex 27,20ab
דבר אל בני ישראל ויקחו לי תרומה מאת כל איש אשר ידבנו לבו תקחו את תרומתי
ואתה תצוה את בני ישראל ויקחו אליך שמן זית זך כתית למאור
20a 20b
Beide Texte setzen mit einem – je unterschiedlich formulierten – Auftrag an Mose ein, sich an die Söhne Israels zu wenden (vgl. Ex 25,2a; 27,20a). Dabei findet sich in Ex 25,2a die in der Tora vielfach belegte „Weitergabeformel“68 (‚ ;דבר אל בני ישראלsprich zu den Söhnen Israels‘), während Ex 27,20a eine Formulierung wählt, die in ihrem Wortlaut im TaNa“K nur an dieser Stelle belegt ist69 und von der „klassischen“ Weitergabeformel sowohl hinsichtlich der Satzformation (we=x-jiqṭol statt Imperativ) als auch hinsichtlich des verwendeten Verbs ( צוה+ dir. Obj. statt )דבר אלabweicht. Die vom Wortlaut her engste Parallele zwischen den Versen ist in den Konsekutivsätzen Ex 25,2b; 27,20b gegeben. In diesen findet sich jeweils die Verbform ( ויקחוwörtl.: ‚…dass sie nehmen/erheben…‘), die in beiden Fällen die Forderung JHWHs nach einer Abgabe der Israeliten artikuliert. Gleichzeitig jedoch ist festzuhalten, dass das ויקחוin den beiden Texten je unterschiedlich konstruiert ist. So steht dem …‚( ויקחו ליdass sie nehmen/erheben für mich‘) von Ex 25,2b in Ex 27,20b die Wendung …‚( ויקחו אליךdass sie nehmen/erheben für dich…‘) gegenüber. Ex 25,2 betont also über den Rekurs auf JHWH als eigentlichem Empfänger der angeordneten Abgabe (vgl. ;תרומתי ‚meine [= JHWHs] Abgabe‘; Ex 25,2c) stärker deren theologische Bedeutung,70 während Ex 27,20b eher auf praktische oder „verfahrenstechnische“ Aspekte zu fokussieren scheint. Immerhin ist das geforderte Öl zu Mose zu bringen, obgleich es – wie im Folgenden deutlich wird – für den Leuchter zu 65
JACOB, Exodus, 805. Vgl. auch DERS., Pentateuch, 269. Vgl. JACOB, Pentateuch, 268–269; DERS., Exodus, 805. 67 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 290. 68 Zur Terminologie vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 140. 69 Am nächsten kommt ihr die imperativische Formulierung צו את בני ישראלin Lev 24,2; Num 5,2; 28,2; 34,2. 70 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 246; DURHAM, Exodus, 354; FISCHER/MARKL, Exodus, 288; JACOB, Exodus, 763. 66
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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verwenden ist (vgl. V.20bI), den Aaron und seine Söhne – und nicht Mose – „bedienen“ (vgl. V.21a). Mose rückt somit (vorerst)71 in die Rolle eines „Verwalters“ ein, der für die im Kult benötigten Substanzen, also z.B. das Öl, zuständig ist. Interessant ist also, dass beide Verse die ihnen gemeinsame Verbform ויקחו mit einer je eigenen Perspektive auf die geforderte Kollekte verbinden und so den deutlichen Bezug aufeinander mit dem Anliegen einer wechselseitigen Ergänzung (und Interpretation) verbinden. Letzteres wird auch bei einem Blick auf die in Ex 27,20 bzw. Ex 25,2(–7) geforderten Abgaben selbst deutlich, die – obgleich sie zunächst sehr unterschiedlich angelegt scheinen – doch zueinander in Beziehung gesetzt werden können: So wird in Ex 25,2–7 eine sehr umfassende Erhebung angeordnet, die – wie Ex 25,8a deutlich macht – dazu dienen soll, alle für den Bau des Heiligtums benötigten Materialien bereitzustellen. Diese werden in einer umfangreichen Liste (Ex 25,3–7) aufgezählt, die kompositorisch das Zentrum der Perikope Ex 25,2–9 bildet. Das bestimmende Charakteristikum der geforderten Abgabe ist, dass sie von den „Söhnen Israels“, also letztendlich vom ganzen Volk, zu erbringen ist, um auf diese Weise die gleichberechtigte Teilhabe aller Israeliten bzw. jedes Einzelnen (vgl. ;כל־אישV.2c) an dem entstehenden Heiligtum zu garantieren.72 Ebenso elementar wie die allgemeine Teilhabe sind Freiwilligkeit und Freigiebigkeit – beide Bedeutungsfacetten stecken in dem Verb ( נדבvgl. אשר ;ידבנו לבוV.2cR) –, so dass sich die geforderte Erhebung eindeutig von einer taxierten „Zwangsabgabe“ unterscheidet.73 Stellt man dem in Ex 25,2–7 entfalteten Konzept nun die in Ex 27,20 thematisierte Öl-Kollekte gegenüber, so erweist sich diese zunächst im Hinblick auf die geforderten Materialien als wesentlich eingeschränkter: Die Israeliten sollen lediglich ‚( שמן למאורÖl für die Leuchte‘; Ex 27,20b) bringen; eine Gabe also, die schon in der umfangreichen „Bedarfsliste“ von Ex 25,3–7 auftaucht (vgl. Ex 25,6).74 Es wird somit nicht nur deutlich „weniger“, sondern im Vergleich zur Abgabe von Ex 25,2–7 auch nichts im eigentlichen Sinne Neues gefordert. Wohl aber leistet Ex 27,20b insofern eine Präzisierung, als zuerst die Beschaffenheit des herbeizubringenden Öls genauer bestimmt wird: Es soll sich um Olivenöl ( )שמן זיתhandeln, das sich durch zwei besondere Qualitätskriterien auszeichnet – es ist ‚( זךfein‘), d.h. frei von im Öl schwebenden Fruchtresten oder Eintrübungen, und ‚( כתיתausgedrückt‘), also nicht „gewaltsam“ aus der Frucht gepresst, sondern unter leichtem Druck 71
In Num 4,16 wird diese Aufgabe dem Aaron–Sohn Eleazar übertragen. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 246; HAUGE, Descent, 125–127; HIEKE, Levitikus 16– 27, 944; MILGROM, Leviticus 23–27, 2085; SARNA, Exodus, 156–157. 73 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 246; DURHAM, Exodus, 354; FISCHER/MARKL, Exodus, 289; GEORGE, Tabernacle, 164–167; HOUTMAN, Exodus 3, 340–341; JACOB, Exodus, 763; 857; PROPP, Exodus 19–40, 372; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 160–164. 74 Vgl. SARNA, Exodus, 175. 72
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
aus einer vollreifen Frucht „ausgelaufen“75. Gesucht ist somit der in jeder Hinsicht hochwertigste Brennstoff für die Leuchte.76 Wesentlicher als die beschriebene Präzisierung hinsichtlich Qualität und Beschaffenheit des Öls aber ist, dass sich die Abgabe von Ex 27,20 auch in ihrer Konzeption von der aus Ex 25,2–7 unterscheidet. So ist die Ölabgabe als eine regelmäßig zu wiederholende gedacht, was zwar im Text nicht explizit festgehalten, aber doch aus den Zusammenhängen klar abzuleiten ist.77 Sie verfolgt das Anliegen, Öl für das allabendliche (vgl. Ex 27,21a) Entzünden der Leuchte bereitzustellen, „Verbrauchsmaterial“ also, dass immer wieder neu zu beschaffen ist. Für Ex 25,2–7 hingegen ist aus dem in Ex 25,8a thematisierten „Verwendungszweck“ zu folgern, dass zunächst eine einmalige Abgabe im Blick ist, deren Ziel sich darin erschöpft, den Bedarf für die Herstellung des Heiligtums zu decken (vgl. dazu Ex 36,5–7).78 Umgekehrt ist interessant, dass bereits in Ex 25,6 mit dem Öl für den Leuchter und den besamīm (‚Gewürze, Duftstoffe‘) für Salböl und Weihrauch zwei Stoffe genannt sind, die verbraucht werden und daher in einer einzigen, einmaligen Kollekte kaum (auf Dauer hin) „bedarfsdeckend“ zu beschaffen sind. Somit ist die in Ex 27,20 geforderte (regelmäßige) Abgabe des auch in Ex 25,6 erwähnten Leuchteröls bereits in der einmaligen Kollekte für den Heiligtumsbau angelegt bzw. erscheint als konsequente Fortführung derselben. Zugleich gibt sie auch dem hinter der einmaligen Kollekte von Ex 25,2–7 stehenden Anliegen, eine gleichberechtigte Teilhabe ganz Israels am zu errichtenden Heiligtum dadurch zu erreichen, dass das benötigte Baumaterial letztendlich von allen Israeliten (gemeinsam) bereitgestellt wird, eine neue Gestalt: Nun nämlich wird eine stets neu aktuierte und realisierte Teilhabe über das regelmäßige Bereitstellen der im Kult benötigten – und dabei immer wieder verbrauchten – Materie gewährleistet. Ex 27,20ab überführt also ein einmaliges Geschehen, die Kollekte ganz Israels für den Bau des Begegnungszeltes, in einen regelmäßigen Vollzug, der gleichsam das „Anfangsereignis“ des Heiligtumbaus durch die Zeiten hindurch „wieder-holt“.79 Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Freiwilligkeit/Freigiebigkeit ()נדב, die in Ex 25,2c als bestimmendes Charakteristikum der einmaligen bzw. erstmaligen Abgabe betont wird,80 in Ex 27,20–21 deut75
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 945; MILGROM, Levitikus 1–16, 180; DERS., Levitikus 23–27, 2086–2087; SARNA, Exodus, 175–176. Vgl. auch die Beschreibung in mMen 8.4–5. 76 Vgl. CASSUTO, Exodus, 369–370; HUNDLEY, Keeping, 104; PROPP, Exodus 19–40, 427. 77 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 296. 78 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 335–336. 79 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 462. 80 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 246; DURHAM, Exodus, 354; FISCHER/MARKL, Exodus, 289; HOUTMAN, Exodus 3, 340–341; JACOB, Exodus, 763; 857; PROPP, Exodus 19– 40, 372; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 160–164.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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lich zurücktritt. So findet sich weder das in Ex 25,2cR belegte Verb נדבnoch die Fokussierung auf die Teilhabe jedes Einzelnen, die in Ex 25,2c durch die Wendung ‚( כל־אישjeder Einzelne‘) zum Ausdruck gebracht wird. Stattdessen ist in Ex 27,20a ebenso wie in Ex 27,21b stets das Kollektiv der „Söhne Israels“ im Blick, das „als Ganzes“ mit dem Bereitstellen des Öls betraut wird, ohne dass genaue Modalitäten der Abgabe angedeutet werden. Die in Ex 25,2 betonte „Freiwilligkeit“ hingegen ist dadurch „überlagert“, dass – aufgrund des eigentümlichen Wortlauts des Übermittlungsauftrags in Ex 27,20a ( ואתה ‚ ;תצוה את־בני ישראלDu aber sollst den Söhnen Israels befehlen, …‘) – die Abgabe buchstäblich zu einer מצוה, einem verbindlichen Befehl/Gebot wird,81 dessen Eindringlichkeit durch die in V.20a gewählte Formulierung (Injunktiv) zusätzlich verstärkt wird. Diese Eindringlichkeit ist als ein Hinweis auf die große Bedeutung des Gebotenen zu verstehen: Die über das Bereitstellen der Materie für den Kult erreichte dauerhafte Partizipation der Söhne Israels am Kultgeschehen – als Fortführung ihrer Rolle als „Sponsoren“ des Heiligtumsbaus – erweist sich als die zentrale und unverzichtbare Grundlage des Gottesdienstes im Begegnungszelt, dessen wesentliche Vollzüge – beginnend mit Ex 27,20bI–21 – in Ex 27,20–30,10 vorgestellt werden.82 So muss sie auf jeden Fall gewährleistet sein. Unmittelbar zu Beginn des zweiten Abschnitts der ersten Gottesrede platziert, kann dieser Kerngedanke gleichsam als Lesehilfe für das in Ex 27,20–30,10 Folgende dienen. 2. Kulthandlungen und Akteure Den Verwendungszweck des von den Israeliten herbeigebrachten Öls verdeutlichen die Sätze Ex 27,20bI.21a, die einen grundlegenden Vollzug im Heiligtum in den Blick nehmen. So deutet der von Ex 27,20b abhängige Infinitivsatz V.20bI zunächst an, dass das Öl für ein regelmäßiges „Emporheben“ (vgl. )להעלתeines Lichtes bzw. einer Lampe ( )נרbenötigt werde (zu einer detaillierteren Auslegung des Satzes s.u.). Der dabei erwähnte ‚( נרLicht, Lampe‘) steht schließlich insofern auch im Zentrum des sehr ausladend formulierten Satzes Ex 27,21a, als er in der Formulierung …‚( יערך אתו אהרן ובניו sollen ihn anordnen Aaron und seine Söhne…‘) nochmals pronominalisiert (vgl. ‚ ;אתוihn‘) aufgenommen wird. Der Hinweis auf Aaron und seine Söhne (und nicht die Israeliten) als Ausführende des „Anordnens“ ( )ערךverdeutlicht, dass V.21 nicht als Teil des gemäß Ex 27,20a von Mose an die Israeliten zu übermittelnden Befehls zu interpretieren ist. Dessen Inhalt umfasst somit lediglich Ex 27,20b–bI, während Ex 27,21a als Injunktiv (x-jiqṭol) auf einer Ebene neben den Auftrag an Mose in Ex 27,20a tritt und letztendlich den in Ex 27,20bI angedeuteten Vollzug des „Emporhebens“ weiter entfaltet. Ex 27,21 ist geprägt durch zahl81 82
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 462. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 944; MILGROM, Leviticus 23–27, 2085.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
reiche adverbiale Bestimmungen – die ausführliche „Ortsangabe“ in Ex 27,21a1–aR, die Zeitangabe ‚( מערב עד־בקרvon Abend bis Morgen‘) und die Wendung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) in Ex 27,21a2 –, die den „Kern“ des Satzes umschließen und das dort beschriebene Handeln Aarons und seiner Söhne näher bestimmen. Diese sind in einem separaten Abschnitt eigens auszulegen; zunächst jedoch soll das Augenmerk auf den Handlungsvollzügen und ihren jeweiligen Akteuren liegen. Dazu ist beim Infinitivsatz Ex 27,20bI anzusetzen, der – wie bereits ausgeführt – den Zweck der geforderten Ölabgabe in der Formulierung להעלת נר תמידumschreibt, die sich als semantisch sehr offen und unbestimmt erweist. So sind sowohl für den Infinitiv להעלתselbst, als auch für das Nomen נרmehrere Bedeutungsalternativen gegeben. Die Infinitivform להעלת, die von der Verbwurzel עלה-hi. abgeleitet ist, kann ihrer lexikalischen Grundbedeutung nach zunächst ein ‚Emporheben, Hinaufbringen, Aufsteigen lassen, …‘ zum Ausdruck bringen. Es geht also darum, – konkret im Raum oder in einem übertragenen Sinne – eine Bewegung nach oben zu veranlassen. Vor diesem Hintergrund ist es zunächst denkbar, dass Ex 27,20bI ein nicht näher konkretisiertes Emporheben eines ‚( נרLampe, Licht‘) umschreibt, das mit der Intention verbunden ist, den – נרso verstanden eher die Lampe, als das Licht selbst – oben auf die in V.20b angesprochene Leuchte zu setzen.83 Eine alternative Interpretationsmöglichkeit ergibt sich aus der Beobachtung, dass עלה-hi. in kultischen Kontexten gleichsam als „Fachterminus“ gebraucht werden kann, der das Darbringen von Opfern, speziell von Brandopfern (vgl. )עולה, bezeichnet.84 Setzt man diese spezifische Bedeutung auch in Ex 27,20bI an, so nimmt der Infinitivsatz eine kultische Darbringung in den Blick, was zur Folge hat, dass der Terminus נרdann nicht die ‚Lampe‘, sondern eher das ‚Licht‘ bezeichnet, also v.a. auf das in der Lampe brennende Olivenöl als die eigentliche Gabe verweist. Für diese Deutung des Leuchterdienstes als „Olivenöl-Opfer“ plädiert TH. HIEKE in seiner Auslegung von Lev 24,2, einem Vers, der im Wortlaut weitgehend mit Ex 27,20 identisch ist. HIEKES Argumentation baut dabei v.a. darauf auf, den Leuchter in Analogie zu den übrigen Kultgeräten im Heiligtum, also den beiden Altären und dem Tisch zu setzen und ihn so als „eine Art »Altar«, eben zur Darbringung des Olivenöl-Opfers,“85 zu profilieren.86
Eine dritte Möglichkeit besteht schließlich darin, die Formulierung להעלת נר als eine idiomatische Wendung zu interpretieren, die das Anzünden des Lichtes bzw. der Lampe – נרkann hier beides meinen – umschreibt.87 In diesem 83
Vgl. dazu auch HARAN, Temples, 208; MILGROM, Leviticus 23–27, 2088. Vgl. z.B.: Gen 8,20; 22,2.13; Ex 24,5; 30,19; 32,6; 40,29; Lev 14,20; 17,8; u.a. 85 HIEKE, Levitikus 16–27, 943 86 Vgl. zu dieser Deutung mit zahlreichen Argumenten HIEKE, Levitikus 16–27, 942– 943. Vgl. auch JACOB, Pentateuch, 266–269; DERS., Exodus, 896–898. 87 Vgl. MILGROM, Leviticus 23–27, 2087–2088; PROPP, Exodus 19–40, 404; 428. 84
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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Sinne verstanden, formuliert Ex 27,20b–bI sehr pragmatisch, dass die Israeliten Öl für den Leuchter herbeibringen sollen, so dass regelmäßig die Lampe bzw. ein Licht ( )נרentzündet werden kann.88 Interessant ist nun, dass bei einem ersten Hinsehen jede der drei Deutungen des Infinitivsatzes Ex 27,20bI im Kontext von Ex 27,20–21 als plausibel und damit auch als grundsätzlich möglich erscheint. Daher sind eine eingehendere Analyse der angedeuteten Möglichkeiten und – einhergehend damit – eine kritische Prüfung ihrer Plausibilität angeraten. Dazu aber ist über Ex 27,20bI hinauszugreifen, wobei es sich zunächst anbietet, mit Ex 25,37 einen Vers aus der Heiligtumstora einzuspielen, in dem die Wendung –עלה נרhi. ebenfalls belegt ist (vgl. Ex 25,37b) und der daher in einem engen Bezug zu Ex 27,20bI steht. Ex 25,37 ist Teil der Perikope Ex 25,31–39, in der die Herstellung der Menora angeordnet wird, und folgt dort auf die Beschreibung der Machart des Leuchters in Ex 25,31–36. An diese schließt Ex 25,37a mit der Anweisung an, „ihre [d.h. der Menora] Lampen“ zu „machen“ (ועשית את־ )נרתיה. Dieser Vorgabe ist als zweites direktes Objekt89 das Zahlwort שבעה (‚sieben‘) beigegeben, mit dem nicht nur die Anzahl der herzustellenden Lampen, sondern zugleich erstmals in Ex 25,31–39 die konkrete Summenzahl der Arme der Menora benannt wird, nachdem bislang stets von „der Menora“ (vgl. V.32.34.36) – gemeint ist damit die „Mittelachse“ des Leuchters90 – und ihren sechs (2x3) Armen (vgl. V.32–33.35) die Rede war. Ex 25,37a nimmt also den in V.31–36 in seinen Teilelementen (Mittelachse, Arme und Verzierungen) beschriebenen Leuchter erstmals in seiner Gesamtheit in den Blick und verdeutlicht zugleich, dass er als eine Art „Ständer“ konzipiert ist, der auf seinen in V.32–36 so ausführlich „ins Bild gesetzten“ Armen je einen der „eigentlichen“ ‚( נרתLichter / Lampen‘) tragen soll, deren Herstellung in Ex 25,37a angeordnet ist.91 In Ex 25,37bc folgen zwei weitere Vorschriften, die weiterführend den Gebrauch der zuvor eingeführten נרתbetreffen und dabei für die Auslegung von Ex 27,20bI von zentraler Bedeutung sind. Zunächst allerdings erweisen sich beide Sätze auf syntaktischer Ebene als bemerkenswert, da sie im Unterschied zu V.37a (und dem vorangehenden Kontext) nicht in der 2. Pers. Sg., sondern in der 3. Pers. Sg. formuliert sind.92 So verweisen sie auf ein im Kontext von Ex 25,31–39 zunächst unbestimmt bleibendes Subjekt,93 das jedenfalls nicht mit Mose identisch ist, der – als Adressat der Gottesrede – in der 88
In diesem Fall liegt ein kollektiver Gebrauch von נרvor. Vgl dazu HARAN, Temples, 208; HOUTMAN, Exodus 3, 463. 89 Vgl. dazu JOÜON/MURAOKA §125v; HOUTMAN, Exodus 3, 413. 90 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 403. 91 Vgl. JACOB, Exodus, 780–781. 92 Die 3. Pers. Sg. wird bis Ex 37,39 fortgeführt. Vgl. dazu HOUTMAN, Exodus 3, 413; JACOB, Pentateuch, 181–182; SARNA, Exodus, 166. 93 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 326; 404.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
2. Pers. angesprochen wird. Die Aufgabe der (noch) nicht näher bestimmten Person besteht darin, die in Ex 25,37a eingeführten Lampen der Menora emporzuheben / darzubringen / anzuzünden ( ;והעלה את־נרתיהEx 25,37b), um sie „über das Gegenüber ihres Angesichts/ihrer Vorderseite hin leuchten zu lassen“ ()והאיר על־עבר פניה.94 Fragt man nun nach der Bedeutung der Wendung עלה נר-hi. (Ex 25,37b) in diesem Kontext, so ist – ähnlich wie in Ex 27,20bI – eine gewisse Vieldeutigkeit zu konstatieren. Einerseits nämlich erscheint es möglich, dass Ex 25,37b – den Herstellungsauftrag von V.37a weiterführend – das Platzieren der sieben Lampen auf den Armen der Menora in den Blick nimmt. Dabei wird dieses interessanterweise nicht mit einer Bewegung von oben nach unten verbunden, also als ein „Aufsetzen“ beschrieben (hebr. נתןoder )שים95, sondern als eine Aufwärtsbewegung imaginiert (עלה-hi.), die zugleich nicht vom angezielten Resultat – die Lampen befinden sich oben auf dem Leuchter – her formuliert, sondern „für sich“ als Handlungsvollzug in den Blick genommen wird. Alternativ aber kann – v.a. von Ex 25,37c her – auch eine Wiedergabe der Wendung עלה נר-hi. mit ‚ein Licht entzünden‘ als plausibel erscheinen. Interpretiert man nämlich die Anweisung in V.37c dahingehend, dass die Lichter entsprechend ausgerichtet werden sollen, um das vor der Menora Liegende zu beleuchten, kann es naheliegend erscheinen, dass zuvor ein Anzünden der Lampen / Lichter thematisiert ist. Zwingend ist dies freilich nicht, da das Anzünden auch in dem Verb ‚( האירleuchten lassen‘) in V.37c mit impliziert sein kann. Im Kontext von Ex 25,37 eher problematisch scheint hingegen die Möglichkeit, עלה-hi. als „Darbringungsterminus“ zu interpretieren. So sind in Ex 25,37c als direktes Objekt „ihre “נרתgenannt, womit – wie die nochmalige Aufnahme der Formulierung את־נרתיהaus Ex 25,37a deutlich macht –, nur die Öllampen gemeint sein können. Diese selbst aber sind im Gegensatz zum Öl oder dem ‚Licht‘ (als Umschreibung für das entzündete Olivenöl) kaum als Opfergabe vorzustellen, so dass auch TH. HIEKE, der mit Blick auf Lev 24,2 (Ex 27,20) dafür plädiert, die Wendung להעלת נרmit ‚ein Licht darbringen‘ zu übersetzen, zugesteht, dass in Ex 25,37 (und interessanterweise auch in Ex 30,8) an „das bloße »Bringen« oder das »Daraufsetzen« von Lampen auf den Leuchter“96 gedacht sein muss.
94 Das Subjekt zum Verb ( והאיר3. Pers. m. Sg.) in Ex 25,37c kann wiederum nur der (noch) unidentifizierte Akteur sein, der bereits in V.37b vorausgesetzt ist, da aus Gründen der grammatikalischen Kongruenz sowohl die Lampen ( ;נרתm. Pl.) als auch die Menora (f. Sg.) ausscheiden. Vgl. JACOB, Exodus, 781. 95 Vgl. dazu PROPP (Exodus 19–40, 404), der daraus ein Argument für seine These gewinnt, in Ex 25,37 sei v.a. das Anzünden der Lampen im Blick. 96 HIEKE, Levitikus 16–27, 942–943.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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Angesichts des Stichwortbezugs zwischen Ex 25,37b und Ex 27,20bI kann Ex 27,20–21 als eine Entfaltung und Fortführung von Ex 25,37 und v.a. von Ex 25,37bc gelesen werden. So wird in Ex 27,20bI zunächst der Auftrag aus Ex 25,37b aufgenommen, die Lampen der Menora emporzuheben (?) oder anzuzünden (?) (עלה-hi.), und mit der in Ex 27,20ab dekretierten Ölkollekte verbunden, die der Beschaffung des benötigten Brennmaterials dient. Darüber hinaus erscheint Ex 27,20–21 auch insofern als notwenige Ergänzung zu Ex 25,37bc, als erst dieser Text die in Ex 25,37bc zu konstatierende Unbestimmtheit des Akteurs auflöst, wenn Ex 27,21 Aaron als denjenigen benennt, der am Leuchter Dienst tut. Ausgehend davon liegt es nahe, dass Aaron – obgleich in Ex 25,37bc nicht genannt – derjenige ist, der die Lampen / Lichter emporhebt / anzündet (Ex 25,37b), um sie auf dem Leuchter entsprechend auszurichten (vgl. Ex 25,37c).97 Umgekehrt kann das Wahrnehmen des gegenseitigen Bezugs von Ex 27,20–21 und Ex 25,37 auch eine – zumeist „übersehene“ und doch vorhandene – „Lücke“ in Ex 27,20–21 schließen, da letztendlich der dargestellte Rückverweis auf Ex 25,37 das stärkste Argument für die zumeist unhinterfragt akzeptierte These ist, dass in Ex 27,20–21 tatsächlich der Dienst an dem in Ex 25,31–39 „in Auftrag gegebenen“ Leuchter thematisiert wird. Interessanterweise nämlich fehlt in Ex 27,20–21 der Terminus מנורה, mit dem der Leuchter in Ex 25,31–39 durchgehend bezeichnet wird, während umgekehrt der Begriff ‚( מאורLeuchte‘; vgl. Ex 27,20b) in Ex 25,31–39 nicht zu finden ist.98 Dass aber die beiden, je auf einen der Texte beschränkten Begriffe מנורה und מאורletztendlich denselben Gegenstand bezeichnen, wird erst über das Wahrnehmen der Bezüge zwischen Ex 27,20–21 (v.a. Ex 27,20cI) und Ex 25,37b(c) deutlich, bestätigt sich letztendlich aber auch in der in Ex 35,14 belegten Formulierung ‚( מנורת המאורLeuchter der Leuchte‘; vgl. dazu auch Num 4,9), die schließlich beide Termini verbindet. Was nun die Interpretation des Verbs עלה-hi. anbelangt, so ist angesichts des engen Bezuges der beiden Texte zunächst davon auszugehen, dass in Ex 25,37b und in Ex 27,20bI letztendlich dasselbe Geschehen bzw. derselbe Handlungsvollzug im Blick ist. Damit geht allerdings noch kein „Auflösen“ der oben festgestellten Vieldeutigkeit der Formulierung להעלת נרin Ex 27,20bI einher, da Ex 25,37b sowohl eine Deutung dieser Wendung im Sinne eines ‚Emporhebens‘ als auch eines ‚Anzündens‘ zulässt, einer Interpretation als „Darbringungsterminus“ allerdings eher widerspricht. Doch ist zugleich auch festzuhalten, dass das wesentliche Argument, das in Ex 25,37b gegen die zuletzt genannte Deutung spricht, dass nämlich kaum sinnvoll von einer kultischen Darbringung metallener Öllämpchen gesprochen werden kann, in Ex 27,20bI im Wesentlichen wegfällt. Immerhin ist in diesem Satz anstelle 97 98
Vgl. ähnlich auch UTZSCHNEIDER , Heiligtum, 204–205. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 462.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
des Plurals ‚( נרתיהihre Lampen‘; vgl. Ex 25,37ab) von „einem“ נרdie Rede. Diese singularische Formulierung kann einerseits im Sinne eines Kollektivums zu verstehen sein,99 andererseits aber ist auch die Möglichkeit gegeben, dass mit dem Wechsel vom Plural zum Singular eine semantische Verschiebung (und Erweiterung) einhergeht, da נרnun nicht mehr zwingend die ‚Lampe‘ bezeichnen muss, sondern auch ‚Licht‘ bedeuten und so in einem weiteren Sinne auf das brennende Öl verweisen kann. Als ein erstes Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass das Einbeziehen des Hypotexts Ex 25,37b zwar dazu beiträgt, den in Ex 27,20–21 beschriebenen Dienst am Leuchter im literarischen Kontext der Heiligtumstora zu profilieren, eine eindeutige Festlegung auf eine der möglichen Interpretationen der Wendung להעלת נרin Ex 27,20bI aber ausdrücklich nicht ermöglicht. Angesichts dieses Befunds ist somit in einem zweiten Schritt die Frage zu prüfen, ob in Ex 27,21, d.h. im engeren literarischen Kontext von Ex 27,20bI, eine Eindeutigkeit hergestellt wird, die in der Formulierung selbst nicht gegeben ist. Dabei kann v.a. dem Satz Ex 27,21a eine gewisse Relevanz zukommen, da dieser – wie oben bereits festgestellt – als Explikation und Entfaltung von Ex 27,20bI angelegt ist und in der Wendung … יערך אתו אהרן ובניו (‚…sollen es anordnen Aaron und seine Söhne…‘) eine weitergehende Beschreibung des Dienstes am Leuchter bietet. Das direkte Objekt אתוvertritt dabei den in V.20bI genannten נר. Erneut geht es also um ein Handeln an bzw. mit diesem, so dass gefolgert werden kann, dass das in V.21a thematisierte ‚herrichten, anordnen‘ ( )ערךdas להעלת נרaus V.20bI verdeutlichen bzw. erklären soll. Das Verb ערךkann in einer großen Zahl seiner Belegstellen im TaNa“K100 – mit Schwerpunkt in narrativen Texten und v.a. in den Geschichtsbüchern / Vorderen Propheten – das Aufstellen einer Armee bzw. das Ordnen der Schlachtreihen bezeichnen, wobei es in diesen Kontexten häufig in der idiomatischen Wendung ( ערך מלחמהwörtl. ‚ einen Krieg ordnen‘) belegt ist.101 Daneben umschreibt es in Kulttexten das Anordnen der Hölzer (vgl. Gen 22,9; Lev 1,7) bzw. der einzelnen Teile eines Opfertieres auf dem Altar (Lev 1,8.12) oder es wird – wie in Ex 27,21 – für den Dienst an Leuchter und Tisch im Heiligtum verwendet (vgl. z.B. Ex 40,4.23; 24,4.8). In all diesen (kultischen) Kontexten bringt ערךzunächst einen praktischkonkreten Zug ein: Jeweils werden Gegenstände an den Ort gebracht bzw. an dem Ort positioniert, an dem sie gebraucht werden oder für den sie vorgesehen sind. Die Grundbedeutung ist hier also – je nach Vorgang – ‚ausbreiten, positionieren, anordnen, aufschich99 Vgl. HARAN, Temples, 208; HOUTMAN, Exodus 3, 463. In ähnlicher Weise wertet auch die rabbinische Auslegung den Wechsel vom Plural zum Singular als Hinweis darauf, dass unter den sieben Lampen einer, der ‚( נר מערביתwestliche Lampe‘), eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. z.B. mTam 3.9; 6.1). 100 Vgl. z.B. Gen 14,9; Ri 20,20.22.30.33; 1Sam 4,2; 17,2.8.21; 2Sam 10,8–10.17; 1Chr 12,9.34.36.37; 19,10.11.17; 2Chr 13,3; 14,9. 101 Vgl. FIRMAGE/MILGROM, ( ערךThWAT), 381.
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ten, aufreihen, …‘102 Daneben aber liegt es vielfach nahe, zusätzlich einen „ästhetischen“ Aspekt anzunehmen, der auch durch die Verwendung des Verbs als Fachterminus im militärischen Bereich gestützt wird: Jeweils geht es um ein ästhetisch „ansprechendes“, „harmonisches“ Anordnen – im Kontext des Heiligen, das ja stets auch eine Sache der Ästhetik ist, ebenso, wie im Zusammenhang mit der militärischen Schlachtformation, die ebenfalls nicht nur durch taktische Überlegungen determiniert ist, sondern auch durch ihre „Optik“ wirken soll.
Vor dem Hintergrund des Bedeutungsspektrums von ערךscheint in Ex 27,21a zunächst das Platzieren und Positionieren, Ausrichten und (ästhetisch ansprechende) Anordnen des Lichts bzw. der Öllämpchen auf der Menora im Blick zu sein. Somit kann der Vers mit der Anweisung aus Ex 25,37c korreliert werden, dass „er“, d.h. Aaron, das Licht der Lampen auf das der Menora gegenüber Liegende leuchten lassen solle. Trotz der relativ präzise fassbaren Bedeutung des Verbs ערךin V.21a bleiben mit Blick auf die Frage, welcher Vollzug genau mit עלה-hi. in V.20bI bezeichnet wird, die bereits herausgearbeiteten Bedeutungsalternativen offen: Geht es um ein Emporheben der ölgefüllten Lampen auf den Leuchter, das in V.21a mit einem (ästhetisch ansprechenden) Anordnen oder Ausrichten verbunden ist? Thematisiert V.20bI das Entzünden des Öls in den Lampen, die dann gemäß V.21a auf dem Leuchter positioniert werden? Beschreibt V.21a einen konkreten Vorgang, das Anordnen von Lampen, der mit V.20bI vorauslaufend als „Darbringung“ oder „Opferritus“ interpretiert wird? Es ist somit zu resümieren, dass es weder durch den engeren Kontext (V.21) noch durch das Hinzuziehen eines wichtigen Intertextes gelingt, die Polyvalenz des Infinitivsatzes Ex 27,20bI zu der einen „richtigen“ Deutung hin aufzuheben, so dass die „unaufhebbare“ Polyvalenz letztendlich als zentrale Eigenheit und Funktion des Text zu werten ist. Und tatsächlich ist der Satz Ex 27,20bI so formuliert, dass er auf einen komplexeren Vollzug verweist, von diesem aber nur einen einzelnen Handlungsschritt beleuchtet, der sich selbst wiederum in der weiten Semantik des Verbs עלה-hi. „verliert“ und so im Vagen bleibt. Eindeutig greifbar hingegen ist letztlich nur eine „Richtung“, ein wie auch immer konkretisiertes „Nach-oben“ (vgl. עלה-hi.). Das zugeordnete ערךin V.21a aber nimmt zwar deutlich präziser einen „greifbaren“ Vorgang, das Anordnen der Lampen, in den Blick, bleibt dafür aber hinsichtlich seiner genauen Zuordnung zu dem in V.20bI umschriebenen Kultvollzug unbestimmt. Dies hat zur Folge, dass die Kulthandlung am Leuchter literarisch als eine Leerstelle inszeniert ist, was im Lektüreprozess (mindestens) zwei Wirkungen zeitigt: (1.) Zum einen werden die Lesenden dazu motiviert, eine Hypothese zu dem in V.20bI lediglich angedeuteten Handlungsschritt zu entwerfen und ausgehend von dieser (kreativ) eine Handlungsfolge zu (re)konstruieren, um so die 102
Vgl. FIRMAGE/MILGROM, ( ערךThWAT), 381.
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Leerstelle(n) des Textes aufzufüllen. Die relativ konkrete Vorschrift in V.21a kann dabei als ein „Orientierungspunkt“ dienen. Als Beispiele für solche „Füllungen“ können u.a. die oben vorgeschlagenen Interpretationsmöglichkeiten gelten, die allesamt eine (mögliche) Deutung der Formulierung להעלת נרannehmen, ausgehend von dieser aber – implizit oder explizit – eine komplexere Handlungsabfolge voraussetzen, in die das העלה נרeingebunden ist und die im Text ausdrücklich nicht thematisiert wird. Soll also z.B. das להעלת נרein ‚Emporheben einer Lampe‘ umschreiben, ist zunächst von V.20b her zu schließen, dass diese mit Öl gefüllt und anschließend – so ist zu implizieren – entzündet wird, um sie letztendlich oben auf die in V.20b genannte Leuchte ( )מאורzu setzen und – V.21a (vgl. Ex 25,37c) zufolge – ästhetisch ansprechend auszurichten. In einem alternativen Deuteansatz hingegen – wenn להעלת נרals Umschreibung des ‚Anzündens des Lichtes‘ interpretiert wird – erscheint der im ersten Modell implizit angesetzte Handlungsschritt als explizit, während umgekehrt das vorausgehende Präparieren und das nachfolgende Emporheben und Platzieren der entzündeten Lampe ergänzend „mit zu denken“ sind und der Vorgang wiederum in das in V.21a thematisierte Ausrichten mündet. Unabhängig davon aber, wie man den Infinitiv להעלתinterpretiert und entsprechend die in Ex 27,20bI.21a angedeutete Handlung (re-)konstruiert, kann das angezielte Resultat des Vollzugs aus Ex 25,37c eingespielt werden: Wenn Aaron den Dienst an der Leuchte vollzieht, lässt er auf das Gegenüber zum „Angesicht“ ( )פניםder Menora leuchten. Die von Ex 25,37 kaum favorisierte Möglichkeit, להעלת נרals „Darbringungsterminus“ zu verstehen, legt schließlich nahe, diese Wendung selbst als einen verkürzten Ausdruck zu deuten, der eher einen Gesamtvollzug interpretiert, als einen einzelnen Vorgang bezeichnet. Dargebracht (עלה-hi.!) nämlich wird kaum die Lampe selbst und auch nicht das Licht, sondern das in Ex 27,20b erwähnte Öl. Somit sind im Wortlaut der Wendung להעלת נרletztendlich ein konkreter Vollzug, nämlich das Anzünden des zuvor mit dem Öl befüllten ( נרund evtl. das Platzieren desselben auf dem Leuchter) sowie eine Interpretation dieses Vollzugs als kultische Darbringung (עלה-hi.) nebeneinander an-gedeutet. Ist nun aber das Anliegen der Wendung להעלת נרweniger darin zu suchen, eine konkrete Handlung eindeutig zu benennen, sondern vielmehr darin, die Lesenden dazu zu animieren, eine Handlungsfolge zu rekonstruieren, so erübrigt sich auch die Suche nach der einen „richtigen“ Deutung, während umgekehrt die oben aufgezeigte Polyvalenz nicht als „Problem“ sondern letztendlich als die „Lösung“ zu betrachten ist. Und tatsächlich benennen sowohl die Vorschläge, das להעלת נרmit ‚emporheben‘ oder mit ‚anzünden‘ zu übersetzen, konkrete Handlungsschritte, auf die V.20bI auch verweist und die somit in der durch die Formulierung des Infinitivsatzes eröffneten Ambiguität inte-
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griert sind. Die Interpretation als „Darbringungsterminus“ 103 aber kann insofern einen richtigen Aspekt treffen, als in der Tat ein Kultvollzug beschrieben wird, der mit der Kommunikation zwischen Israel und JHWH zu tun hat (s.u.) und eine Intention der in Ex 27,20bI belegten Wortwahl darin liegen kann, die Lesenden dazu zu animieren, das angedeutete Geschehen mit anderen Kultvollzügen zu korrelieren. (2.) Selbst wenn die beiden Verben עלה-hi. und ערךin V.20bI.21a als Umschreibung aufeinanderfolgender Aktionen interpretiert werden – was möglich, aber nicht zwingend ist – kann Ex 27,20–21 nicht als Ritualbeschreibung verstanden werden. Anders als in Ritualtexten wie z.B. Lev 1,1–17 wird keine Abfolge von einzelnen, relativ präzise benannten Handlungsschritten vorgeben, die als ein geschlossener Handlungsvollzug inszeniert sind, dem aus sich heraus Sinn und Bedeutung zukommt.104 Der Text legt den Fokus eindeutig nicht darauf, festzuhalten, was (der Reihe nach) zu tun sei. Dies auf unterschiedlichste Weise zu (re)konstruieren überlässt er, wie oben ausgeführt, den Lesenden und macht damit den konkreten Handlungsverlauf ausdrücklich nicht zum Inhalt der (normierenden) Willenskundgabe JHWHs. Vielmehr geht es darum, herauszuheben, was Sinn und Bedeutung desjenigen Geschehens im Heiligtum ist, das in groben Strichen skizziert wird. Diese Deutung jedoch, auf der folglich der Hauptakzent des Textes liegt, leisten u.a. auch die zahlreichen adverbialen Wendungen in V.20bI ( )תמידund in V.21a. Bevor diese eingehender behandelt werden, ist zunächst allerdings noch auf die in V.21a genannten Akteure, Aaron und seine Söhne, einzugehen. 3. Aaron und seine Söhne Indem Ex 27,21a Aaron und seine Söhne als Subjekt zum Verb ערךeinführt und damit als die für den Dienst an der „Leuchte“ ( )מאורVerantwortlichen benennt, wird zunächst eine Leerstelle gefüllt, die in Ex 27,20bI (noch) gegeben ist, letztlich aber bereits in Ex 25,37bc „eröffnet“ und „umspielt“ wird. Immerhin wird ja in dem zuletzt genannten Text, Ex 25,37bc, sowohl das Emporheben bzw. Anzünden (עלה-hi.; V.37b) der Lampen als auch das „Leuchten-Lassen“ (אור-hi; V.37c) mit einem im engeren Kontext ungenannten Subjekt (3. Pers. m. Sg.) verbunden, das auch im Infinitivsatz Ex 27,20bI, der Ex 25,37b wieder aufnimmt, (noch) nicht expliziert wird. Auffällig ist dabei zunächst, dass die Nennung von Aaron und seinen Söhnen auch in Ex 27,21 mit einer grammatikalischen Inkongruenz einhergeht, da das pluralische Subjekt „Aaron und seine Söhne“ mit einem Verb in der 3. Pers. Sg. ( )ערךverbunden ist. Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Inkongruenz dabei weder als sprachliche „Ungenauigkeit“ noch als Hinweis 103 104
Vgl. dazu HIEKE, Levitikus 16–27, 942–943. Vgl. dazu HIEKE, Levitikus 1–15, 154–155; RENDTORFF, Studien, 8–9.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
auf eine handwerklich ungeschickt eingebrachte Glosse105, die das singularische Subjekt Aaron um „seine Söhne“ erweitert, es aber „versäumt“, das Prädikat entsprechend anzupassen. Stattdessen gelingt es durch die gewählte Formulierung, in sehr knapper Weise mehrere wesentliche Aspekte zumindest anzudeuten. Zunächst nämlich betont die Verbform יערךin der 3. Pers. m. Sg., dass der Dienst am Leuchter kein „Gemeinschaftswerk“ ist, das von mehreren ausgeführt werden müsste. Entsprechend wird durch den Singular in der Verbform Aaron (Sg.!) gegenüber seinen Söhnen hervorgehoben und als der eigentliche Akteur des ‚Anordnens‘ in den Vordergrund gestellt106. Mit den Söhnen wiederum kommt eine „Diachronie“ ins Spiel, die v.a. mit Ex 27,21b noch deutlicher hervortritt, wenn dort über die Wendung ‚( לדרתםin ihren/für ihre Generationen‘) ein generationsübergreifender Vollzug des in V.20bI.21a umschriebenen „Leuchterdienstes“ angeordnet wird. Aarons Söhne sind folglich nicht seine „Gehilfen“, die „gleichzeitig“ mit ihm die Lampen der Leuchte „präparieren“, sondern seine Nachfolger, die diese Aufgabe nach ihm107 und an seiner Stelle – „in ihren Generationen“ – übernehmen. Damit eröffnet die Formulierung ‚( ובניוund seine Söhne‘) – vorerst noch im Modus einer vagen Andeutung – einen Ausblick auf eine Sukzession, deren genauer Charakter aus Ex 27,20–21 alleine nicht zu bestimmen ist und eng verbunden ist mit der Rolle und Funktion, die Aaron und seinen Söhnen zukommt (vgl. dazu Ex 28,1–43; 29,1–35).108 Lesenden, die aus einer genauen Kenntnis der gesamten Tora heraus Ex 27,20–21 „wieder lesen“, wird dabei, wenn Aaron und seine Söhne genannt werden, bewusst sein, dass hier die Priester Israels angesprochen sind, dass das „Bedienen“ der Leuchte im Heiligtum also als ein den Priestern bzw. genauer Aaron als dem Gesalbten Priester vorbehaltener Vollzug qualifiziert ist. Ganz anders jedoch stellt sich dieser Sachverhalt unter einer Leseperspektive dar, die jedes Vorwissen, das in späteren Texten erworben ist, ausblendet, um Ex 27,20–21 im Zuge einer bei Gen 1,1 beginnenden, „entdeckenden“ Lektüre entlang des Textes „erstmals“ zu lesen. Unter diesem Blickwinkel nämlich erscheint es als eher erstaunlich und daher erklärungsbedürftig, wenn Aaron und seinen Söhnen unvermittelt eine Aufgabe im Heiligtum zugesprochen wird und sie damit in eine priesterliche Funktion wahrnehmen, in der sie bislang in der Tora noch nicht in Erscheinung getreten sind.109
105 HARAN (Temples, 209 [Anm. 6]) spricht von einer „erroneous insection“. Vgl. auch HARAN, Temples, 227. 106 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 428. Vgl. dazu die Parallele in Lev 24,3 (s.u.). 107 Zur Rolle der „Söhne Aarons“ als Nachfolger und Stellvertreter ihres Vaters vgl. auch Ex 29,29. 108 Vgl. SARNA, Exodus, 176. 109 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 462.
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So wird Aaron in Ex 4,14–16 als Bruder des Mose vorgestellt, der von JHWH dazu beauftragt wird, an Stelle des Mose vor dem Volk Israel (vgl. Ex 4,16) – und später auch gegenüber dem Pharao (vgl. Ex 7,1–2) – zu sprechen. Damit ist er Mose zwar deutlich untergeordnet – vgl. das Bild von Aaron als „Propheten“, dem gegenüber Mose die Rolle eines אלהיםeinnimmt (Ex 7,1–2) – aber dennoch neben (und nach) Mose als wichtige Führungsfigur in der Exoduserzählung präsent.110 Die Levi-Genealogie in Ex 6,16–25 hingegen fokussiert insofern auf Aaron (und interessanterweise nicht auf Mose), als sie ihn einerseits in die Stammreihe Levi-Kehat-Amram hineinstellt, die – u.a. über die jeweilige Angabe der Lebenszeit in Ex 6,16.18.20 – als „Hauptlinie“ des Stammes Levi präsentiert wird, und andererseits Aarons Nachkommenschaft noch zwei Generationen lang über seinen Sohn Eleazar zu Aarons Enkel Pinhas nachvollzieht.111 Dabei wird in Ex 6,16–25 die herausgehobene Generationenfolge Levi → Kehat → Amram → Aaron → Eleazar → Pinhas an keiner Stelle als „Priestergenealogie“ ausgewiesen, auch wenn sie sich von späteren Texten (vgl. z.B. Num 3,1–4) her gelesen, als genau das erweisen wird.112 Im Kontext von Ex 6 jedoch dient sie Ex 6,26–27 zufolge v.a. dazu, Aaron und Mose, die von JHWH beauftragt sind, Israel aus Ägypten herauszuführen (vgl. Ex 6,26) und daher vor den Pharao zu treten (vgl. Ex 6,27), vorzustellen, sie (genealogisch) in Israel zu verorten und so letztendlich zu legitimieren.113 Ein weiterer Kontext, in dem Aaron (zusammen mit seinen Söhnen) eine zentrale Rolle spielt, ist die Szenerie des Bundesschlusses in Ex 24. In Ex 24,1 fordert JHWH Mose dazu auf, mit Aaron, dessen Söhnen Nadab und Abihu sowie 70 Ältesten des Volkes auf den Berg zu steigen. Umgesetzt wird dieser Auftrag im Gefolge des in Ex 24,3–8 vollzogenen Bundesschlusses in Ex 24,9–11, wenn die Genannten als Repräsentanten des Volkes in der Gegenwart Gottes auf dem Berg essen und trinken und so die im Bundesschluss grundgelegte Gottesnähe Israels paradigmatisch realisieren. Auch in diesem Text werden Aaron und seine Söhne nicht explizit als Priester bezeichnet, faktisch jedoch füllen sie eine priesterliche Rolle aus, wenn sie in der in Ex 24,9–11 beschriebenen Szene das gesamte Volk vor JHWH vertreten – freilich nicht exklusiv sie alleine, sondern im Verbund mit den 70 Ältesten, von denen sie allerdings dadurch ein Stück weit abgehoben sind, dass sie im Text nicht unter diesen subsummiert, sondern separat und mit Namen genannt sind.114 Im Vers Ex 19,24 hingegen, in dem erstmals der in Ex 24,1.9 verhandelte Aufstieg auf den Berg angesprochen wird, fordert JHWH, dass Mose zusammen mit Aaron auf den Berg kommen solle, die Priester aber für die Dauer der Theophanie den Berg nicht betreten dürften. Die Identität der Priester, die in Ex 19,24 und zuvor bereits in Ex 19,22 unvermittelt auftauchen, bleibt dabei vorerst unbestimmt, doch scheint es zunächst so, als ob Aaron gerade nicht zu ihnen zu zählen ist, da er ja zusammen mit Mose den Berg betreten darf, während dies den Priestern und dem Volk ausdrücklich untersagt bleibt.115 Am ehesten priesterliche Züge trägt Aaron schließlich in der anachronistischen Textpassage Ex 16,33–34, wenn er von Mose aufgefordert wird, ein Gefäß mit Manna zu füllen und dieses als ‚( זכרוןErinnerung‘) vor der ʽedūt zu deponieren. Anachronistisch ist der 110
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 171–172; 211. Vgl. Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 209–210; FISCHER/MARKL, Exodus, 93–97; HIEKE, Genealogien, 219–220. 112 Vgl. HIEKE, Genealogien, 219–220; 224–226. 113 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 209–210; FISCHER/MARKL, Exodus, 93–97; HIEKE, Genealogien, 214–217. 114 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 205–206; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 99. 115 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 75. 111
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Text dabei insofern, als er bereits (vor dem Sinai) ein bestehendes Heiligtum voraussetzt und weiter impliziert, dass Aaron in diesem eine besondere Funktion einnimmt, die allerdings wiederum nicht begrifflich konkretisiert wird.116
Da Aaron und seine Söhne also vor Ex 27,20–21 an keiner Stelle als Priester eingeführt wurden, erscheint es umso erstaunlicher, dass sie in Ex 27,21a in genau dieser Funktion bereits vorausgesetzt sind. Ex 27,20–21 bereitet damit die nachfolgenden Abschnitte Ex 28,1–43; 29,1–35 vor, in denen das Priestertum Aarons, die Herstellung der Priestergewänder und das Ritual der Investitur ausführlich thematisiert werden. Ex 27,21a erweist sich somit als eine Art Prolepse: Indem der Text die Frage nach der Rolle Aarons (und seiner Söhne) aufwirft, verweist er einerseits auf den nachfolgenden Kontext bzw. leitet zu diesem über, andererseits aber deutet er an, dass er diesen nachfolgenden Kontext zugleich auch voraussetzt bzw. (u.a.) auch von diesem her zu verstehen ist. 4. Die adverbialen Bestimmungen in Ex 27,20bI.21a Wie bereits ausgeführt, bietet Ex 27,20–21 keine detaillierte Ritualbeschreibung, die den Aaron aufgetragenen Dienst am Leuchter als präzise vorgegebene Handlungsfolge nachvollziehbar macht. Im Gegenteil: Die konkreten Vollzüge bleiben weitgehend im Vagen. Umso ausführlicher aber wird der Text, wenn es um die theologische Deutung des Rituals geht, die v.a. über die adverbialen Bestimmungen in Ex 27,20bI.21a geleistet wird. Dabei ist zunächst auf das für die vorliegende Studie zentrale Stichwort תמידin Ex 27,20bI einzugehen, das nach einem ersten Beleg in Ex 25,30 in Ex 27,20–30,10 an insgesamt sechs Stellen zu finden ist (neben Ex 27,20bI auch in Ex 28,29.30.38; 29,38.42; 30,8) und so eines der Leitwörter in der zweiten Hälfte der ersten Gottesrede darstellt. In Ex 27,20bI ist es mit der oben eingehender besprochenen Wendung להעלת נרverbunden und definiert so den umschriebenen Vollzug an der Leuchte ( )מאורals einen regelmäßig zu wiederholenden. Damit ist – wie oben bereits ausgeführt – zugleich auch eine wiederholte Regelmäßigkeit der in Ex 27,20ab angeordneten „Ölkollekte“ impliziert, in der die immer wieder verbrauchte Materie für den Dienst am Leuchter (nach-)geliefert wird. תמידqualifiziert somit letztendlich den gesamten, in Ex 27,20–21 angedeuteten Handlungszusammenhang von der Ölkollekte über das „Emporheben“ / “Anzünden“ (עלה-hi.) bis zum „Anordnen“ ( )ערךder Lampen, wird seinerseits aber in V.21 auf zweifache Weise präzisiert. So weist die Erwähnung der Zeitspanne „von Abend bis Morgen“ ( מערב )עד־בקרin Ex 27,21a auf einen täglichen Vollzug hin. Die im Stichwort תמיד 116
Zu den Problemen des Textes vgl. auch DOHMEN, Exodus 1–18, 397–398; SARNA, Exodus, 91–92.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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ausgesagte Regelmäßigkeit konkretisiert sich also in einer täglich wiederholten Handlung bzw. Handlungsfolge. Dies jedoch wird in Ex 27,21b insofern weiter entfaltet, als die Vorschriften aus Ex 27,20–21a als חקת עולם לדרתם (‚zeitlose Satzung in ihren / für ihre Generationen‘) qualifiziert werden, d.h. generationsübergreifend zu vollziehen sind. Was aber den genauen syntaktischen Bezug des תמידin Ex 27,20bI anbelangt, so ist – wie auch bei vielen anderen Wendungen in Ex 27,20–21 – eine gewisse Uneindeutigkeit auszumachen, die in diesem Fall freilich keine gravierend unterschiedlichen Verstehensalternativen eröffnet. תמידnämlich kann entweder als Adverb den Infinitiv להעלתnäher bestimmen oder als Adjektiv auf das Nomen נרbezogen sein. Entsprechend geht es entweder darum, regelmäßig eine Lampe emporzuheben/anzuzünden,117 oder es ist – im Sinne eines „Fachterminus“ verwendet – ein „regelmäßiges Licht“ im Blick. Der „Zeitangabe“ תמידsteht in Ex 27,21a eine ausführlich gehaltene Ortsangabe, ‚( באהל מועד מחוץ לפרכת אשר על־העדתim Zelt der Begegnung, außerhalb der Parochet, die über der ʽedūt ist…‘; Ex 27,21a1–aR), gegenüber, die betont den Satz eröffnet und sich vor allem dadurch als interessant erweist, dass sie nicht einfach die Menora als „Ort“ des beschriebenen Kultvollzuges benennt, sondern eine komplexere, theologisch aufgeladene Ortsbestimmung vornimmt. So wird das „Anordnen“ ( )ערךdes נרzunächst im ‚( אהל מועדZelt der Begegnung) lokalisiert. Dieser Terminus ist deshalb interessant, da er an dieser Stelle zum ersten Mal belegt ist, für den verbleibenden Rest der Heiligtumstora aber als die (einzige) Bezeichnung für das Zeltheiligtum fungiert.118 Damit löst er die beiden in Ex 25,2–27,19 in einer etwas differenzierteren Begrifflichkeit nebeneinander verwendeten Termini ‚( משכןWohnstätte‘) und ‚( אהלZelt‘) ab.119 Der Begriff miškān bezeichnet in Ex 26,1–6 zunächst die aus den gefärbten Wollstoffen hergestellte Zeltdecke (als zentrales Element der „Zeltarchitektur“), kann an anderer Stelle aber auch für die Architektur des Heiligtums in ihrer Gesamtheit (Zelttücher und Holzwände) stehen (vgl. z.B. Ex 26,30).120 Daneben findet sich in Ex 26 mehrfach der Terminus ‚( אהלZelt‘), der sich zunächst ebenfalls auf ein einzelnes Element der Gesamtkonstruktion, das aus Tierhäuten gefertigte „Überzelt“ des miškān, bezieht (vgl. Ex 26,9–14) und lediglich in Ex 26,36, wo ein māsakh für den „Eingang des Zeltes“ ( )פתח האהלin Auftrag gegeben wird, weiter gefasst das Zeltheiligtum als Ganzes bezeichnen kann.121
Ex 27,21 markiert somit einen markanten Wechsel in der Begrifflichkeit, der mit der oben bereits mehrfach angesprochenen Aufteilung der ersten Gottesrede (Ex 25,2–30,10) in zwei Hälften mit unterschiedlicher thematischer 117
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 263–264. Vgl. Ex 28,43; 29,4.10.30.32.42.44; 30,16.18.20.26.36; 31,7. Vgl. dazu GÖRG, Zelt, 36–38; HOUTMAN, Exodus 3, 318. 119 Vgl. GÖRG, Zelt, 36–38; OWCZAREK, Wohnen, 276–277. 120 Vgl. OWCZAREK, Wohnen, 277. 121 Vgl. OWCZAREK, Wohnen, 277–278. 118
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Schwerpunktsetzung zusammenfällt und diese zugleich – als eines von vielen Indizien – untermauert. So finden sich im ersten Teil der Gottesrede (Ex 25,2–27,19), der ja v.a. auf die Herstellung der einzelnen Bestandteile des Heiligtums rekurriert, die Begriffe ‚( משכןWohnstätte‘) und ‚( אהלZelt‘), die einzelne Teilelemente der Zeltkonstruktion bezeichnen oder in einer weiter gefassten Bedeutung das Zelt als eine über ihre konkrete Funktion bestimmte „Architektur“ in den Blick nehmen.122 Dem gegenüber legt der zweite Teil der Gottesrede (Ex 27,20–30,10) – zusammen mit den daran anschließenden Abschnitten in Ex 30,11–31,17 – den Schwerpunkt auf kultische Vollzüge im Heiligtum sowie auf deren Voraussetzungen und Rahmenbedingungen und verbindet damit eine Bezeichnung des Heiligtums, die v.a. auf dessen (theologische) Qualität abhebt. Genau diese nämlich bringt das Stichwort מועדzum Ausdruck, das den zunächst „architektonisch“ akzentuierten Terminus אהל näher bestimmt. Semantisch ist es als Derivat der in Ex 25,22; 29,42.43; 30,6.36 belegten Wurzel ‚( יעדbegegnen‘) zu bestimmen,123 die an den genannten Stellen – im Detail unterschiedlich konzeptionierte – Interaktionen JHWHs mit Mose bzw. dem gesamten Volk im Rahmen des Kultes thematisiert. Wesentlich am אהל מועדist somit, dass es als „Kult- und Begegnungsraum“ fungiert.124 Was dies genau bedeutet, ist freilich weniger über den semantischen Gehalt der einzelnen Lexeme definierbar, sondern letztendlich aus der Analyse derjenigen Kultvollzüge zu erheben, die im Zelt der Begegnung stattfinden – und dieses so überhaupt erst zu einem solchen werden lassen. Der Hinweis auf das „Zelt der Begegnung ( )אהל מועדin Ex 27,21 wird schließlich in der Wendung ‚( מחוץ לפרכת אשר על־העדתaußerhalb der Parochet, die über der ʽedūt ist‘) präzisiert. Auch in dieser wird zwar die Menora als eigentlicher „Ort“ des in V.21a beschriebenen Kultvollzugs nicht genannt, wohl aber spielt die Formulierung deutlich auf Ex 26,35 an, auf einen Vers also, der im Kontext von Ex 26,31–36 die Platzierung von Menora und Tisch im Inneren des Heiligtums anordnet. Ausgangspunkt ist dabei die Parochet, deren Herstellung und Befestigung in Ex 26,31–32 thematisiert wird.125 Ihre wesentliche Funktion besteht Ex 26,33 zufolge darin, das Innere des miškān in zwei Räume unterschiedlicher Qualität zu teilen, in das „Heilige“ ()קדש und das „Hochheilige“ bzw. „Allerheiligste“ ()קדש הקדשים.126 Ex 26,35a hält fest, dass der Tisch ‚( מחוץ לפרכתaußerhalb der Parochet‘), d.h. im größeren, vorderen Raum des miškān, dem „Heiligen“, zu platzieren sei. Ihm gegenüber– und damit ebenfalls „außerhalb der Parochet“ – befindet 122
Vgl. HENDRIX, Use, 4; 6–7; JACOB, Exodus, 873. Vgl. GÖRG, Zelt, 168–169; HENDRIX, Use, 4; 6–7; OWCZAREK, Wohnen, 279. 124 Vgl. HENDRIX, Use, 4; 6–7; JACOB, Exodus, 873–874. 125 Vgl. dazu z.B. Vgl. HARAN, Temples, 151; JACOB, Pentateuch, 196; PROPP, Exodus 19–40, 505; SARNA, Exodus, 171. 126 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 82; JACOB, Exodus, 885–887. 123
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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sich Ex 26,35b zufolge die Menora.127 Somit erweist es sich der Sache nach als durchaus stimmig, wenn Ex 27,21a die „Ortsangabe“ ‚( מחוץ לפרכתaußerhalb der Parochet‘), die in Ex 26,35a zunächst auf den Tisch angewandt wird, aufnimmt und auf den Leuchter – bzw. genauer auf den Dienst am Leuchter ( – )ערךbezieht. Die in Ex 27,21a1 angesprochene Parochet selbst aber wird durch den Relativsatz Ex 27,21aR in einen direkten Bezug zur ʽedūt gesetzt. Ex 25,21–22; 26,34 zufolge befindet sich letztere im Inneren der Lade, die selbst wiederum „hinter“ der Parochet, d.h. im „Hochheiligen“, platziert ist. Auf den ersten Blick scheint Ex 27,21a somit durch die unmittelbare Korrelation von ʽedūt und Parochet die Lade mitsamt Kapporet, die sich ja eigentlich „zwischen“ Parochet und ʽedūt befinden müsste, „auszublenden“. Bei genauerem Hinsehen aber fällt auf, dass die auf die Parochet bezogene Formulierung ‚( על־העדתüber der ʽedūt‘) in Ex 27,21aR auf Texte anspielt, die den Ort der Kapporet definieren. So ordnet JHWH in Ex 25,21 an, die Kapporet „auf der Lade“ ( ;על־הארןEx 25,21a) zu platzieren, die ʽedūt aber in derselben zu deponieren. Die damit durch die Lade als gemeinsamem Korrelat geschaffene Verbindung zwischen Kapporet und ʽedūt wird in Ex 25,22bR nochmals auf den Punkt gebracht, wenn die Kapporet durch die „Ortsangabe“ ‚( על ארן העדתüber der Lade der ʽedūt‘) näher bestimmt wird, die sowohl den Standort der Kapporet auf dem Ladenkasten (vgl. Ex 25,21a) als auch deren Relation zur ʽedūt mit einfängt (vgl. auch Ex 26,34). Im Zusammenhang damit fokussiert Ex 25,22b besonders auf die Keruben auf der Kapporet bzw. auf den durch diese inszenierten „leeren“ Raum ‚( על הכפרת מבין שני הכרוביםüber der Kapporet zwischen den zwei Keruben‘; Ex 25,22b; vgl. Ex 25,18–20), vom dem aus JHWH dem Mose begegnet ( ;יעדEx 25,22a). So wird über die „Ver-Ortung“ der Kapporet „über der ʽedūt“ letztendlich auch ein Bezug zwischen der in der Lade verwahrten ʽedūt als „Bezeugung“ der Offenbarung auf der einen und dem Ort, von dem aus JHWH (weiterhin) zu Mose redet auf der anderen Seite – und damit zwischen ergangener Willenskundgabe und fortdauernder Gottesbegegnung des Mose – hergestellt. In Ex 26,34 aber wird dieser Zusammenhang nochmals (knapp) – und unter annähernd wörtlicher Aufnahme von Ex 25,22bR – über die Anweisung in Erinnerung gerufen, die Kapporet im Allerheiligsten „über der Lade der ʽedūt“ ( )על ארון העדתzu deponieren. Auf die Ex 25,22bR; 26,34 gemeinsame Formulierung על ארון העדתgreift schließlich auch Ex 27,21aR in der Wendung ‚( על־העדתüber der ʽedūt/dem Zeugnis‘) zurück, die auf die für die Kapporet eigentümliche Relation zur ʽedūt rekurriert, diese aber auf die Parochet überträgt. Ex 27,21a fasst somit die Parochet de facto als funktionsäquivalent zur Kapporet: Wie diese ist ihr Platz „über der ʽedūt“, die sie „verhüllt“ und abschirmt, auf die hin sie zugleich aber auch verweist. Ein ‚( מחוץ לפרכת אשר על־העדתaußerhalb der Paro127
Vgl. JACOB, Pentateuch, 265–266; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 232–234.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
chet, die über der ʽedūt ist‘) praktizierter Dienst am Leuchter ist somit durch eine spannende Ambivalenz bestimmt: Er ist מחוץ, ‚außerhalb‘, d.h. klar vom „Hochheiligen“ geschieden und dennoch unmittelbar auf die „Bezeugung“ der Offenbarung, d.h. auf den „Kern“ des Heiligtums, bezogen. Die de facto-Fusion von Parochet und Kapporet wird zuletzt auch dadurch unterstrichen, dass beide in der Heiligtumstora mit Keruben in Zusammenhang gebracht werden. So befinden sich auf der Kapporet Ex 25,18–20 zufolge zwei plastisch ausgeführte Darstellungen von Keruben, während sich in Ex 26,31b – im Zusammenhang mit den Vorgaben zur Machart der Parochet – die Anweisung findet, dass diese „als Keruben“128 zu fertigen sei.129
Somit kann festgehalten werden, dass die ausführliche Ortsangabe in Ex 27,21a1 weniger das Anliegen verfolgt, den thematisierten Kultvollzug konkret zu lokalisieren. Dafür nämlich hätte ein knapper Hinweis auf die in Ex 26,35 bereits „platzierte“ Menora genügt. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf einer theologischen „Standortbestimmung“, die letztendlich impliziert, dass Aaron seinen Dienst am Leuchter – in Raumkategorien gedacht – unmittelbar „vor“ der ʽedūt bzw. mit Bezug auf diese hin vollzieht, auch wenn die ʽedūt selbst in dem Geschehen nur in vermittelter Form („hinter der Parochet“) „präsent“ ist. Mit den „Ortsangaben“ in Ex 27,21a1, die den Satz eröffnen, korrespondiert schließlich die Wendung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘), die den Abschluss des Satzes bildet. Vor allem über die Adverbiale ‚( לפניvor‘) deutet auch sie eine „Ver-Ortung“ des in Ex 27,(20bI.)21a umschriebenen Kultvollzugs an. Im Unterschied zur einleitenden Ortsangabe setzt sie dazu nicht etwa bei konkreten Räumen (z.B. dem Zelt der Begegnung, dem Raum „außerhalb der Parochet“, …) an; ihr Ausgangspunkt ist vielmehr ein – in Raumkategorien (vgl. „ )לפניverbildlichter“ – Bezug zu JHWH selbst.130 Kaum eindeutig zu klären ist dabei die Frage, ob das לפני יהוהstärker lokal auf eine (konkrete) Stelle im Heiligtum verweist und diese über ihre (räumliche) Relation (vgl. )לפניzu JHWH, genauer aber wohl zu dem Ort der Gegenwart JHWHs, definiert, oder ob es relational darum geht, ein Handeln (Aarons) in Bezug zu JHWH (als „Person“) zu setzen und diesen damit als „Adressaten“ eines als Kommunikationsgeschehen interpretierten Kultvollzugs auszuweisen. Unter den zahlreichen Belegen der Formulierung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) lassen sich dabei für beide Bedeutungsnuancen treffende Beispiele finden, was exemplarisch an zwei Texten aus dem Exodusbuch aufgezeigt werden kann: Der erste ist Ex 6,12.30. Diese Verse thematisieren jeweils ein Reden des Mose ‚( לפני יהוהvor JHWH‘), wobei aus dem (engeren) Kontext abzuleiten ist, dass die Wendung hier keinerlei lokalen Bezug ausdrückt. Mose redet nicht an einem bestimmten, durch die Angabe לפני יהוהqualifizierten Ort zu JHWH, entscheidend ist vielmehr die Kommunikation mit JHWH selbst, wobei das distanzierende ‚( דבר לפניreden vor jdn.‘) anstelle des gebräuchlicheren דבר אל 128
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 237. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 257–258; JACOB, Exodus, 888. 130 Vgl. dazu HUNDLEY, Before, 23–24; SIMIAN–YOFRE, ( פניםThWAT), 652–653. 129
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(‚reden zu jdn.‘) die Szenerie eines Gesprächs mit einem Höhergestellten andeutet, vor dem gesprochen wird, um eine direkte Ansprache und damit zugleich den falschen Anschein von „Augenhöhe“ zu vermeiden. Die Wendung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) verweist hier somit auf eine Interaktion mit JHWH, ohne dass ein Interesse an einer genauen Bestimmung eines konkreten Ortes erkennbar wäre. Anders ist der Sachverhalt im zweiten Textbeispiel, Ex 16,33b, gelagert. In diesem Satz findet sich der Auftrag des Mose an Aaron, etwas Manna in ein Gefäß zu füllen und dieses לפני יהוהabzulegen (נוח-hi.). Im Bericht über die Umsetzung dieses Auftrags in Ex 16,34b wird nun das לפני יהוהdurch die im vorliegenden Kontext als weitgehend synonym zu interpretierende Wendung ‚( לפני העדותvor der ʽedūt‘) ersetzt, die – wenngleich doch unklar bleibt, wohin genau Aaron das Mannagefäß letztendlich stellt – eindeutig als Ortsangabe zu verstehen ist. Das ( לפני יהוהEx 16,33d) verweist somit auf einen Ort „vor JHWH“ bzw. genauer auf einen Platz im Heiligtum, der durch seine räumliche Relation zu dem Ort der Gegenwart JHWHs definiert ist. Der wesentliche Unterschied dieses Sprachspiels zu dem mit Verweis auf Ex 6,12.30 Vorgestellten liegt dabei nun ausdrücklich nicht darin, dass in Ex 16,33–34 die oben zentrale „Beziehungsdimension“ gänzlich aufgelöst wäre, sondern eher darin, dass das Stichwort „JHWH“ in einem Fall stärker auf die interagierende „Person“ verweist, im anderen Fall aber als verkürzte „Ortsangabe“ verwendet wird und letztendlich auf den Ort der Gottesgegenwart im Heiligtum bezogen ist.131
Unabhängig davon jedoch, ob man den lokalen oder den relationalen Aspekt stärker betont sehen will, weist die Wendung לפני יהוהauf ein – „räumlich“ und / oder relational gefasstes – „Gegenüber“ von Aaron und JHWH im Kultvollzug hin, was im Umkehrschluss nahe legt, das in Ex 27,20–21 beschriebene Ritual als Interaktion bzw. Kommunikation mit JHWH zu deuten.132 Im Kontext von Ex 27,21 erscheint es damit als geboten, die Wendung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) nicht nur als weitere, ergänzende oder präzisierende „Ortsangabe“, sondern als eine weiterführende Bestimmung mit eigenem Gewicht zu lesen, die über die Lokalisierung „im Zelt der Begegnung außerhalb der Parochet“ ( ;באהל־מועד מחץ לפרכתV.21a) und die „Zeitangabe“ ( מערב )עד־בקרhinausgreifend als ergänzenden Aspekt die Vorstellung einer Interaktion Aarons mit JHWH im Kultvollzug einbringt. 5. Von Abend bis Morgen Abschließend ist auf die Zeitangabe ‚( מערב עד־בקרvon Abend bis Morgen‘) einzugehen, die unmittelbar auf den „Kern“ des Satzes ()יערך אתו אהרן ובניו folgt. Sie ist insofern auffällig als sie – wörtlich genommen – insinuiert, dass der unmittelbar zuvor thematisierte Dienst am Leuchter „von Abend bis Morgen“, d.h. die gesamte Nacht über andauert. Dies jedoch ist in Ex 27,21a wohl kaum gemeint, denn wie auch immer die in Ex 27,20bI.21a benannten bzw. angedeuteten Vollzüge genau zu fassen sind, geht es doch um eine Handlungsfolge, die im Wesentlichen das Befüllen, Entzünden, Platzieren 131 132
Vgl. SARNA, Exodus, 92. Vgl. JACOB, Exodus, 864; PROPP, Exodus 19–40, 429.
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und Anordnen bzw. Ausrichten der Öllampen auf der Menora umfasst und damit um eine zeitlich begrenzte Aktion, die weder eine ganze Nacht in Anspruch nimmt, noch in deren Verlauf öfter wiederholt werden müsste. Stattdessen weist die Zeitangabe מערב עד־בקרganz offensichtlich darauf hin, dass der Leuchter von Abend bis Morgen brennen soll und legt damit zugleich nahe, dass die in Ex 27,21a(.20bI) in den beiden Verben עלה-hi. (V.20bI) und ( ערךV.21a) umschriebenen Handlungen Aarons so auszuführen sind, dass dies auch gewährleistet sein kann.133 Somit deutet sie – anstatt den in Ex 27,21a2 ( )ערךthematisierten Vollzug selbst näher zu bestimmen – eher dessen beabsichtigte Folgewirkung an. Letztere wird in Ex 27,20–21 selbst nicht ausdrücklich thematisiert, kann aber aus dem Vers Ex 25,37c eingespielt werden, in dem angeordnet wird, die Lampen auf der Menora leuchten zu lassen (אור-hi.). Damit wird auf der einen Seite erneut der enge Bezug zwischen Ex 27,20–21 und Ex 25,37 deutlich. Auf der anderen Seite aber verstärkt die Beobachtung, dass auch die adverbiale Bestimmung מערב עד־בקר nur dann adäquat verstehbar ist, wenn die Lesenden Handlungsschritte, die im Text nicht ausdrücklich formuliert sind, ergänzen bzw. aus Hypotexten einspielen, die ebenfalls bereits beschriebene Wahrnehmung, dass der eigentliche, in Ex 27,21a (und Ex 27,20bI) thematisierte Handlungsvollzug am Leuchter im Text sehr absichtsvoll als Leerstelle inszeniert ist. Zuletzt aber bringt die Formulierung מערב עד־בקרweitergehende Konnotationen und Bezüge ein, die für die Auslegung von Ex 27,20–21 von Interesse sein können. So ist sie in dem in Ex 27,21a belegten Wortlaut in der Tora nur noch in der sehr weitgehend zu Ex 27,20–21 parallelen Perikope Lev 24,1–4 (vgl. Lev 24,3) sowie in Num 9,12 belegt, während Dtn 16,4 die sehr ähnliche Formulierung ‚( מערב לבקרvom Abend zum Morgen‘) bietet, die auf die Pesachschlachtung bezogen ist, deren Fleisch nicht bis zum Morgen übrig bleiben darf. Wesentlich häufiger als die Wendung מערב עד־בקרfindet sich eine „Fristsetzung“ „bis zum [nächsten] Morgen“ ()עד־בקר, also gleichsam die „zweite Hälfte“ der in Ex 27,21a belegten Formulierung. Die meisten Belege entfallen dabei auf kultische Kontexte. Ex 29,34; Lev 7,15; 22,30 formuliert jeweils das Verbot, Opferfleisch – in Lev 7,15; 22,30 handelt es sich um Dankopfer ()זבח תודה, in Ex 29,34 um den „Einsetzungswidder“ der Priesterweihe – „bis zum Morgen“ übrig zu lassen. Gegebenenfalls Übriggebliebenes ist zu verbrennen. Der Verzehr des Fleisches ist somit nur am Tag der Schlachtung und in der darauffolgenden Nacht möglich, während der nächste Morgen eine klare Zäsur markiert. Zumindest in Ex 29,34 erscheint dies insofern einsichtig, als die Schlachtung eines ‚( איל המלאיםEinsetzungswidder‘) an sieben aufeinanderfolgenden Tagen erfolgen soll (vgl. Ex 29,35), so dass das Aufbewahren von Opferfleisch über den je nächsten Morgen hinaus eine klare Trennung der aufeinanderfolgenden, separaten, im Grunde aber je gleich verlaufenden Riten aufheben würde. Analog soll beim Dankopfer (Lev 7,15; 22,30) sichergestellt sein, dass das in 133
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 464.
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Gemeinschaft zu verzehrende Opferfleisch als wesentliches Element der Feier auch in deren (zeitlichen) Kontext konsumiert wird und somit verschwunden ist, wenn mit dem Beginn des nächsten Tages auch der Kultbetrieb am Altar neu aufgenommen wird (vgl. Lev 6,1–6).134 Sachlich noch etwas näher an der Wendung ‚( מערב עד־בקרvon Abend bis Morgen‘) liegen schließlich die Belegstellen in Ex 12,10; 23,18; 34,25; Num 9,12, die – analog zu Dtn 16,4 – das (zu vermeidende) Übriglassen des Pesachlammes „bis zum Morgen“ thematisieren. Da die Lämmer in den Abendstunden ( ;בין הערביםvgl. Ex 12,5) zu schlachten sind, ist in diesem Fall tatsächlich – wie in Ex 27,21; Lev 24,3 – die Zeitspanne genau einer Nacht gegeben. Innerhalb dieser muss das Fleisch der Lämmer entweder verzehrt oder ggf. vor dem Morgen verbrannt werden. Eng verbunden damit formuliert Ex 12,22 das – nur für das erste Pesach in Ägypten geltende – Verbot, für die Dauer dieser Nacht die mit den Blutapplikationen an den Türstürzen markierten Häuser zu verlassen, wobei nach Ablauf dieser Frist – in der Situation des „ägyptischen Pesach“ – der Aufbruch Israels von Raamses aus (vgl. Ex 12,37) erfolgt. Die in den Häusern vollzogene Feier findet also mit dem Auftakt des „eigentlichen“ Exodus einen „automatischen“ Abschluss. Die damit – im „ägyptischen Pesach“ – gegebene, klare Eingrenzung der Feier nimmt nun offensichtlich auch das „jährliche Pesach“ als konstitutiv auf und sichert sie durch das Verbot ab, das Fleisch des Lammes als wesentliches Element des Feier- und Memorialvollzugs über diesen Zeitrahmen hinaus zu verwahren und damit „Definitheit“ und „Integrität“ der Feier selbst zu zerstören.135 In Ex 16,19–20.23–24 schließlich ist – außerhalb eines im engeren Sinne kultischen Kontextes – vom Übriglassen des an einem Tag gesammelten Mannas bis zum nächsten Morgen die Rede, wobei dennoch ein ganz ähnlicher Zusammenhang wie in den angesprochenen Kulttexten gegeben ist: Auch das Manna eines Tages kann nicht über die folgende Nacht hinaus in den nächsten Morgen hinaus aufbewahrt werden; es verdirbt bevor am Morgen das neue Manna fällt – und „verwischt“ auf diese Weise ebenfalls nicht die klare Zuordnung der jeweiligen Tagesration zu demjenigen Tag, für den sie bestimmt ist. In allen Fällen hat somit das Verbot eines Aufbewahrens „bis zum Morgen“ mit einer eindeutigen Zuordnung einer bestimmten Materie (Opferfleisch, Pesachlamm oder Manna) zu einer u.a. durch diese Materie und die auf diese bezogenen Vollzüge „definierten“ Zeitspanne zu tun, wobei der Morgen stets v.a. deshalb als zeitliche Begrenzung gesetzt ist, da mit ihm jeweils eine „neue“, durch andere Vollzüge bestimmte Zeitspanne beginnt. Entsprechend stützt das ausgesprochene Verbot eines Aufbewahrens zum Morgen eine klare und eindeutige Strukturierung und (Unter-)Scheidung von Zeit(en).
Korreliert man nun die in Ex 27,21a (und Lev 24,3) im Zusammenhang mit dem Dienst am Leuchter belegte Wendung מערב עד־בקרmit den soeben knapp diskutierten Texten, so ist zuerst auf einen wesentlichen Unterschied hinzuweisen. Ex 27,21a nämlich formuliert kein ausdrückliches Verbot, (kultische) Materie über „ihre Zeit“ hinaus aufzubewahren, sondern setzt zunächst fest, dass die Menora die ganze Nacht über – vom Abend als Anfangs- bis zum Morgen als Endpunkt – zu leuchten habe. Damit aber ist anstelle von „Materie“ primär ein Vollzug bzw. ein Geschehen im Blickpunkt des Textes. For134
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 318–319; MILGROM, Leviticus 1–16, 418–419. Vgl. auch DOHMEN, Exodus 19–40, 250. 135 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 250.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
muliert man den in Ex 27,21 gegebenen Sachverhalt jedoch etwas zugespitzter, so werden auch Gemeinsamkeiten deutlich: Das Leuchten der Menora nämlich hat dem Text zufolge seine distinkte und definierte Zeit(spanne), die Nacht, die mit dem Abend beginnt und mit dem Morgen ihr Ende findet. So liegt für die Lesenden, die in der Wendung מערב עד־בקרin Ex 27,21a das in den oben kurz vorgestellten (Kult-)Texten belegte ( עד־בקרund dessen Verwendung) „mithören“, die Annahme nahe, dass auch beim Leuchter-Tamid die „Begrenzung“ des Kultvollzugs durch den Morgen mit einer Strukturierung von Zeit und der Definition von Zeitspannen zu tun hat, als deren „Grundgerüst“ zumindest die durch Abend und Morgen indizierte Unterscheidung von Tag und Nacht erkennbar wird. Eine präzisere Bestimmung der damit angedeuteten „Strukturierung von Zeit“ aber kann mit Hilfe eines weiteren Hypotexts gelingen. So sind die beiden Schlagworte ‚( ערבAbend‘) und ‚( בקרMorgen‘) in dieser Reihen- und Abfolge auch in Gen 1,1–2,3 belegt. Erstmals finden sie sich in Gen 1,5cd im Zusammenhang mit dem ersten Beleg der sog. „Tagesformel“, … ויהי ערב ויהי ‚( בקרes wurde Abend und es wurde Morgen, …‘), die jeweils zum Abschluss der ersten sechs Schöpfungstage wiederkehrt (vgl. Gen 1,5.8.13.19.23.31), in Gen 1,5c–e aber insofern eine Besonderheit darstellt, als hier nicht einfach der Tag gezählt,136 sondern – grundlegender – die Zeiteinheit des Tages überhaupt erst „definiert“ wird:137 Zentrales Thema in Gen 1,3–5 ist die Erschaffung des Lichtes (vgl. Gen 1,3) bzw. die Scheidung des von Gott geschaffenen Lichts und der bereits vor Beginn der Schöpfung als ein Element des primordialen „Chaos“ (vgl. Gen 1,2) vorhandenen Finsternis (vgl. Gen 1,4c).138 Gen 1,5 aber verbindet die beiden antagonistischen Größen Licht und Finsternis mit der Kategorie der Zeit, wenn zunächst in Gen 1,5ab das Licht als ‚Tag‘ bzw. die Finsternis als ‚Nacht‘ benannt (Gen 1,5ab) und schließlich in Gen 1,5cd ein strukturierter und geordneter Fluss der Zeit dadurch erkennbar gemacht wird, dass es Abend und Morgen wird: Die aufgrund ihrer konstitutiven Gegebenheiten – Finsternis und Licht – klar unterscheidbaren Tageszeiten folgen aufeinander und wechseln einander ab.139 Neuralgische Bedeutung kommt dabei Abend und Morgen als Übergängen zwischen Licht und Finsternis, Tag und Nacht zu. Immerhin realisieren sie einerseits die von Gott gesetzte Scheidung (vgl. Gen 1,4c).140 Andererseits aber gewährleisten sie – wie das in Gen 1,5cd belegte fientische ויהיunterstreicht, das ein immer neues „Werden“ von Abend und Morgen betont – eine kontinuierliche Abfolge der geschiedenen Größen, die wiederum die eigentli136
In Gen 1,5 findet sich nicht die Ordinalzahl ‚( ראשוןerster‘) sondern die Kardinalzahl ‚( אחדeins‘). Vgl. dazu z.B. GRUND, Entstehung, 211–212. 137 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 398. 138 Vgl. GRUND, Entstehung, 208; SEEBASS, Urgeschichte, 67. 139 Vgl. GRUND, Entstehung, 208–209. 140 Vgl. JACOB, Genesis, 33–34.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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che Grundlage für die Wahrnehmbarkeit und damit auch für eine „Messbarkeit“ und Einteilbarkeit von „Zeit“ bildet.141 Gen 1,5e betont dies dadurch, dass „ein Tag“ ( )יום אחדals Abfolge von einem Abend und einem Morgen (inklusive der dazwischen liegenden Tageszeiten) definiert und zugleich als grundlegender „Rhythmus“ der Schöpfung bestimmt wird.142 Erneut aufgenommen wird die Thematik der Zeit im Zusammenhang mit dem Gegeneinander von Licht und Finsternis in Gen 1,14–19, dem Abschnitt zum vierten Schöpfungstag. In dieser Passage sind über die in der sog. „Tagesformel“ (vgl. Gen 1,19ab) belegten Schlagworte ‚Abend‘ und ‚Morgen‘ hinaus noch weitere Stichwortbezüge zu Ex 27,20–21 auszumachen. So findet sich in Gen 1,14b.15a.16abc – als eines der Leitworte des Abschnitts – der Begriff ‚( מאורLeuchte‘), der auch in Ex 27,20bI „anstelle“ der in Ex 25,31– 39 gebräuchlichen Bezeichnung מנורהverwendet wird. Darüber hinaus ist das Verb אור-hi. (vgl. Gen 1,15aI.17aI) zwar nicht in Ex 27,20–21, dafür aber in dem Hypotext Ex 25,37c belegt.143 Diese markanten Bezüge zwischen Ex 27,20–21 und Gen 1,14–19 können als Hinweis darauf gewertet werden, dass die regelmäßig von Abend bis Morgen im Heiligtum brennende Menora, die in Ex 27,20bI markant als „Leuchte“ ( )מאורapostrophiert wird, mit den in Gen 1,14–19 eingeführten מאורתzu korrelieren ist.144 Um allerdings diesen Zusammenhang genauer beschreiben zu können, ist zunächst ein Blick auf Gen 1,14–19 und die dort den ‚( מאורתLeuchten‘) zugesprochene Bedeutung zu werfen. Dabei sind in der Anordnung Gottes in Gen 1,14–15aI drei zentrale Funktionen benannt: (1.) Gen 1,14b–bI hält zunächst fest, dass die „Leuchten“ am Himmelsgewölbe sein sollen, um zwischen Tag und Nacht zu scheiden. Der Text nimmt also das Motiv der Scheidung von Licht und Finsternis aus Gen 1,4c auf und verbindet es zugleich mit der in Gen 1,5 vollzogenen, konkreten Umsetzung dieser Scheidung im Grundrhythmus eines „Tages“ als Abfolge von Tag und Nacht, Abend und Morgen.145 (2.) Des Weiteren sind die מאורתmit Gen 1,14c Hinweiszeichen ( )אתתfür Festzeiten ()מועדים, (besondere) Tage ( )ימיםund Jahre ()שנים, geben zum Einen also durch ihren Lauf „natürliche“ Rhythmen, wie z.B. die „Jahre“ vor, bilden andererseits aber auch die Grundlage für (verschiedene) „kulturbe-
141
Vgl. GRUND, Entstehung, 209–210; JACOB, Genesis, 35–37. Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 395; GRUND, Entstehung, 210–211; JACOB, Genesis, 35–37; ZENGER, Bogen, 68–69 (Anm. 61). 143 Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 324–325; VOß, Menora, 49. 144 Vgl. MILGROM, Leviticus 23–27, 2087; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 326; TREVASKIS, Purpose, 300. 145 Vgl. GRUND, Entstehung, 214; 215–216; SEEBASS, Urgeschichte, 72. 142
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
dingte“ Ordnungen, Strukturen und Gewichtungen von Zeit(en), indem sie Feste und besonderen Tage datier- und berechenbar machen.146 (3.) Zuletzt schließlich sollen die – מאורתwie Gen 1,15a zunächst scheinbar tautologisch formuliert – zu מאורתam Himmelsgewölbe werden, deren Aufgabe darin besteht, über die Erde hin zu leuchten (V.15aI).147 Der „Tatbericht“ Gen 1,16–18, der zweite Abschnitt von Gen 1,14–19, ist durch die beiden Narrativformen ‚( ויעשund er machte‘; V.16a) und ‚( ויתןund er gab, setzte…‘; V.17a) strukturiert, die eine Zweiteilung nahelegen. Gen 1,16 thematisiert das „Machen“ ( )עשהder Leuchten, wobei zwischen der „großen Leuchte“ für den Tag (V.16b) und der „kleinen Leuchte“ (mitsamt Sternen) für die Nacht (vgl. V.16cd) differenziert wird. Interessant ist dabei, dass die Aufteilung der Leuchten auf die Tageszeiten mit dem Stichwort „Herrschaft“ ( ;ממשלהvgl. V.16bc) korreliert ist. Gen 1,17a beschreibt die Platzierung der für ihre jeweiligen „Herrschaftsbereiche“ geschaffenen Lichter am Himmelsgewölbe (vgl. dazu auch Gen 1,14b.15a) und verbindet damit nochmals eine Funktionsbestimmung der מאורת, die in den drei aufeinanderfolgenden, syntaktisch von Gen 1,17a abhängigen Infinitivsätzen Gen 1,17aI– 18vI2 erfolgt. Auffällig ist, dass dabei – mit einigen markanten „Abweichungen“ und Variationen – die in Gen 1,14b–15aI entfalteten „Funktionsbestimmungen“ in umgekehrter Reihenfolge wiederkehren.148 So nimmt V.17aI die Formulierung להאיר על־הארץaus V.15aI wörtlich auf und verweist somit auf die in V.15a–aI grundgelegte Rolle der מאורתals Lichtspender. Ähnliches gilt auch für V.18vI2, den dritten Infinitivsatz der Reihung, להבדיל בין האור ובין ‚( החשךund zwischen dem Licht und der Finsternis zu scheiden‘), der auf die erste Zweckbestimmung in Gen 1,14bI zurückverweist, nun allerdings ‚Tag‘ und ‚Nacht‘ mit ‚Licht‘ und ‚Finsternis‘ alterniert und so zugleich den exakten Wortlaut von Gen 1,4c aufnimmt. Keine Entsprechung aber ist auf den ersten Blick zwischen Gen 1,14c und Gen 1,18vI1 – also beim jeweils mittleren Satz der beiden Reihen – auszumachen. Während nämlich Gen 1,14c auf die Funktion der Leuchten als „Zeichen für Zeit(einheit)en“ abhebt, greift V.18vI1 in der Formulierung למשל ביום ‚( ובלילהum zu herrschen über den Tag und über die Nacht‘) auf die Rede von der „Herrschaft“ ( )ממשלהder Gestirne in V.16bc zurück, wodurch dieses Motiv als zentral für den „Tatbericht“ in V.16–18 herausgehoben wird. Der Sache nach meint „Herrschaft“ dabei wohl ein „Institutionalisieren“ und einhergehend damit ein „Stabilisieren“ der bereits am ersten Schöpfungstag 146
Vgl. GRUND, Entstehung, 214; 217–220; JACOB, Genesis, 50; SEEBASS, Urgeschichte, 73–74; TREVASKIS, Purpose, 300; ZENGER, Bogen, 76. 147 Vgl. GRUND, Entstehung, 214; 221; SEEBASS, Urgeschichte, 72. 148 Vgl. GRUND, Entstehung, 214; SEEBASS, Urgeschichte, 72; STECK, Schöpfungsbericht, 95–118.
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grundgelegten Scheidung von Licht und Finsternis, die nun durch den festgelegten Lauf der Himmelskörper und deren „Leuchten“ getragen und zugleich abgesichert wird.149 Vor diesem Hintergrund aber können die beiden Infinitivsätze in V.18aI1 und V.18aI2, die auf die Herrschaft über Tag und Nacht und die Scheidung von Licht und Finsternis abheben, tatsächlich als eng aufeinander bezogene und sich gegenseitig interpretierende Sätze gelesen werden. Ähnliches gilt auch für V.14bI und V.14c: In V.14bI nämlich ist von der Scheidung von Tag und Nacht (nicht von Licht und Finsternis!) die Rede, wodurch der Fokus auf die aus der Scheidung von Licht und Finsternis erwachsenden Zeitrhythmen rückt und damit das Thema ‚Zeit‘ anklingt, das V.14c weiter entfaltet. Angesichts der Tatsache aber, dass die beiden Sätze V.14c und V.18aI1, zwischen denen zunächst keine thematische Entsprechung festgestellt werden konnte, jeweils auf die miteinander korrespondierenden Infinitivsätze V.14bI.18vI2 Bezug nehmen und diese weiter entfalten, muss der oben formulierte Augenschein ein Stück weit korrigiert werden. Faktisch nämlich ist tatsächlich ein Zusammenhang zwischen ihnen erkennbar, selbst wenn sich dieser nicht in einem offenkundigen thematischen Bezug realisiert.150 Soll nun die oben aufgewiesene Intertextualität zwischen Gen 1,14–19 und Ex 27,20–21 für die Auslegung des Hypertextes fruchtbar gemacht werden, so ist – angesichts der vielfältigen Funktionen, die den מאורתdes Himmelsgewölbes im Schöpfungsbericht zugesprochen werden – zunächst zu bestimmen, welche Rolle der Menora als מאורim Heiligtum zukommt. Am plausibelsten scheint es dabei, sie analog zu den מאורתder Schöpfung als „Lichtspender“ (vgl. Gen 1,15aI.17aI) zu interpretieren.151 Gestützt wird diese Überlegung v.a. durch den Satz Ex 25,37c, der oben bereits als wichtiger Hypotext zu Ex 27,20–21 eingeführt wurde. Er nämlich hält fest, dass „er [Aaron] auf das Gegenüber ihres [d.h. der Menora] Angesicht leuchten lassen“ ( )והאיר על־עבר פניהsolle und nimmt dabei die in Gen 1,15aI.17aI ( להאיר )על־הארץbelegte Fügung »אור על-hi.« (‚leuchten [lassen] über…‘) auf. In Ex 27,20–21 selbst allerdings tritt die Funktion der Menora als „Raumbeleuchtung“ kaum in den Vordergrund. So thematisieren die Sätze Ex 27,20b– bI.21a diejenigen Vollzüge, die im weitesten Sinne mit dem Entzünden der נרתauf der Menora in Zusammenhang stehen. Als Subjekt fungieren dabei 149 Vgl. GRUND, Entstehung, 221–223; JACOB, Genesis, 49; 51–52; SEEBASS, Urgeschichte, 74–75. 150 Vgl. ähnlich GRUND, Entstehung, 214; STECK, Schöpfungsbericht, 104–106. 151 Gegen TREVASKIS (Purpose, 301–302), der die sieben Lampen als symbolische Abbildung der sieben Himmelskörper, d.h. von Sonne und Mond sowie der fünf mit bloßem Auge sichtbaren Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn), interpretiert, die den Kalender Israels bestimmen. Nicht plausibel wird allerdings, welche Rolle die fünf Planeten dabei spielen sollen, zumal diese in Gen 1,14 offenbar unter die „Sterne“ ( )ככביםsubsumiert sind, jedenfalls aber nicht als eigenständige Größe wahrgenommen werden.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Aaron und seine Söhne (Ex 27,20bI.21a) sowie die Söhne Israels (Ex 27,20b), was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich die Aufmerksamkeit des Textes primär auf deren Handeln richtet, und nicht auf das Leuchten der Menora bzw. das Brennen ihrer Lampen selbst. Zuletzt aber kommt dem Erhellen des Heiligtums (durch die Menora) insofern keine praktische Bedeutung zu, als in dem vom Licht des Leuchters erfassten Raum, dem „Heiligen“, „von Abend bis Morgen“ keine Kultvollzüge stattfinden, eine aus pragmatischen Gründen aufgestellte „Beleuchtung“ also schlichtweg nicht nötig ist.152 So ist es wohl kaum die zentrale Funktion des מאור, als Lichtquelle zu fungieren, v.a. dann nicht, wenn das „Licht-Geben“ primär unter pragmatischpraktischer Perspektive im Sinne eines Ausleuchtens eines nächtlich-dunklen Raums gesehen wird. Wesentlicher für die Qualifizierung der Menora als מאורscheint daher ihre Rolle als „Taktgeber“ – in Analogie zu den מאורתder Schöpfung – zu sein.153 Darauf weist nicht zuletzt die Zeitangabe מערב עד־בקר (‚von Abend bis Morgen‘) hin, die – zusammen mit dem Stichwort מאורin Ex 27,20bI – den intertextuellen Bezug zwischen Ex 27,20–21 und Gen 1,3– 5.14–19 deutlich macht. Sie hebt vor allem auf die Zeitspanne ab, während der der Leuchter brennen soll, die Nacht, die allerdings nicht ausdrücklich als solche benannt, sondern allein über ihre „Eckpunkte“, Abend und Morgen, definiert wird. Diese wiederum sind – wie in Gen 1,5 grundgelegt – als Übergänge und „Scheide-Marken“ zwischen Tag und Nacht vorausgesetzt. So vollzieht die Menora zunächst – wenn sie täglich „von Abend bis Morgen“ entzündet wird – die durch die „Tageswenden“ angezeigte und zugleich bewerkstelligte „Taktung“ von Tag und Nacht mit und „untermauert“ auf diese Weise den in Gen 1,5 vorgegebenen „Grundrhythmus“ der Zeit.154 Zugleich übernimmt sie – indem sie die gesamte Nacht „von Abend bis Morgen“ leuchtet – für den in Ex 27,21a1 umrissenen Raum im Inneren des Begegnungszeltes „außerhalb der Parochet“ die Funktion einer („alternativen“) מאור ‚( לממשלת הלילהLeuchte zur Herrschaft über die Nacht‘; vgl. Gen 1,16c). Als solche bewirkt sie, dass in diesem Raum – anders als in der Schöpfung vorgegeben – nicht die Finsternis, sondern das regelmäßige (vgl. )תמידLeuchten der Öllampen als Proprium der Nacht erscheint. Die Zeitgröße „Tag“ wird somit im „Heiligen“ des Begegnungszeltes durch den rhythmisierten Wechsel von Licht (des Tages) und Licht (der Menora) generiert und erkennbar gemacht, während die Finsternis als Element des primordialen „Chaos“ keinen Platz mehr findet.155
152
Vgl. JACOB, Exodus, 896. Gegen z.B. HOUTMAN, Exodus 3, 407; PROPP, Exodus 19–40, 512. 153 Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 324–325. 154 Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 325. 155 Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 356; MILGROM, Leviticus 23–27, 2088.
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Des Weiteren erscheint als wesentliches Charakteristikum der Menora als מאור, dass sie in Ex 27,20–21 – im Gegensatz zu den Gestirnen, die „aus sich heraus“ leuchten (Gen 1,15aI.17aI) – ausdrücklich als künstliche Lichtquelle eingeführt wird. So thematisiert der Text einerseits die Ölabgabe der Israeliten, die „Brennstoff“ für den Leuchter bereitstellt (Ex 27,20ab), und andererseits das Tätigsein Aarons (V.20bI.21a), das letztendlich um den Vorgang des Entzündens der Lampen kreist, und nimmt damit die von Israel bzw. Aaron zu schaffenden Voraussetzungen für das „Funktionieren“ der Menora in den Blick. Allein zielgerichtetes, regelmäßig wiederholtes, menschliches Handeln, das seinerseits – wie Ex 27,20a.21b deutlich macht – durch den Befehl JHWHs normiert ist, ermöglicht es somit, dass die Menora überhaupt als מאור funktionieren kann.156 Zusätzliche Evidenz aber gewinnt der artifizielle Charakter des מאורdurch die ihm eigentümliche „Gegenläufigkeit“: Wenn nämlich JHWH in Ex 27,21 anordnet, die Menora ausdrücklich für die Zeitspanne von Abend bis Morgen zu entzünden, so wird nicht nur die der Nacht zugeordnete Finsternis im Raum des Heiligtums durch eine antagonistische Größe, das künstlich erzeugte Licht des Leuchters (vgl. ;נרEx 27,20bI), ersetzt; es wird zudem auch das „natürliche“ Licht der Schöpfung, das mit dem Tag verbunden ist, von dem artifiziellen Licht der Menora (in der Nacht) differenziert. Auf diese Weise wird über das künstliche Licht der Lampen die durch den מאורangezeigte und bewirkte Taktung der Zeit einerseits als bewusst gestaltete Setzung („visuell“) kenntlich gemacht. Andererseits aber wird der grundlegende Rhythmus von Tag und Nacht – und damit der Fluss der Zeit selbst – auch im Heiligtum durch den Wechsel zweier klar differenzierter Größen angezeigt. Immerhin wechseln hier einander אור, das in Gen 1,3 geschaffene, für den Tag charakteristische Licht der Schöpfung und נר, das künstlich erzeugte Licht der Öllämpchen auf der Menora, einander ab. Es ist also festzuhalten, dass durch die Menora als מאורim Heiligtum kein „neuer“; gänzlich anders strukturierter Zeitrhythmus angezeigt wird. Im Gegenteil: Der in der Schöpfung grundgelegte Tag-Nacht-Rhythmus bleibt die Grundlage aller Vollzüge und auch die „Tageswenden“ Abend und Morgen werden in ihrer trennenden Funktion „bestätigt“. Neu sind nicht die grundlegende Struktur und Taktung, sondern die Kennzeichen, durch die diese Struktur und Taktung im Heiligtum angezeigt werden. Indem es aber die Zeit und ihre Rhythmen in veränderter Weise wahrnehmbar macht, beeinflusst das Leuchten des מאורauch die Qualität und Bedeutung, die den Zeitintervallen zukommt. Als maßgeblich hierfür erweist sich v.a. das (regelmäßige) „Emporheben“ (עלהhi.; V.20bI) und „Anordnen“ ( ;ערךV.21a) des נרdurch Aaron, d.h. der Dienst am Leuchter, der ja in erster Linie nicht pragmatisch als „Licht anzünden“ eingeführt, sondern v.a. als kultischer Akt bestimmt wird: Er wird „vor JHWH“ (vgl. Ex 27,21a) vollzogen und ist somit primär als – durch JHWH 156
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 410.
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selbst angeordnete und normierte – Interaktion und Kommunikation mit JHWH zu verstehen. Daneben ist er ausdrücklich mit den in der Schöpfung vorgegebenen „Tagwenden“ „koordiniert“: Er wird am Abend vollzogen und markiert zugleich den Beginn der Nacht, die ja – wie herausgestellt – (im Heiligtum) durch den נרdes Leuchters „definiert“ ist. Andererseits aber wirkt die im Leuchterdienst Aarons vollzogene Gottesbegegnung im Brennen der Lampen „bis zum Morgen“ nach und nimmt so nicht nur den zeitlichen Abschluss der Nacht in den Blick, sondern „imprägniert“ letztendlich die gesamte Zeitspanne zwischen Abend und Morgen. So ist zunächst zu konstatieren, dass die Menora als מאורim Raum des „Heiligen“ eine Ordnung von Zeit abbildet, die durch die Setzungen der Schöpfung strukturiert ist, aber dank der klaren Differenzierung zwischen אור und נר, zwischen „natürlichem“ und „künstlichem“ Licht eine eindeutige Unterscheidung der Tageszeiten ohne die Finsternis als Element des primordialen „Chaos“ bewerkstelligen kann und die im Wesentlichen durch die Interaktion Aarons (Israels) mit JHWH (im Kult) bestimmt ist. Zudem wird der in Ex 27,21 besonders anvisierten Zeitspanne der Nacht eine besondere Qualität zugesprochen, wenn sie als ein Zeitraum bestimmt wird, der – von seinem Anfangspunkt (Abend) her – durch ein „vor JHWH“-Handeln Aarons (und Israels?) sowie durch die in der „Ortsangabe“ von V.21a zum Ausdruck kommende Ausrichtung auf die „ʽedūt“ bestimmt ist. Es sind somit Spezifika der Identität Israels, die enge Bindung an JHWH, sowie die Ausrichtung auf die durch die „ʽedūt“ repräsentierte Weisung JHWHs, die gleichsam die durch den Vollzug im Heiligtum mitvollzogenen Rhythmen prägen und so – mit den regelmäßigen Vollzügen Aarons im „Heiligen“ als „Taktgeber“ – eine „Zeit Israels“ implementieren.157 Da Ex 27,20–21 dazu ausschließlich auf die Nacht ( )מערב עד־בקרfokussiert und somit ausdrücklich kein vollständiges Bild zeichnet, fordert der Text eine „Fortsetzung“ der aufgeworfenen Thematik ein, die die in Ex 27,20–21 angedeutete Konzeption auch für den „Tag“ zur Anwendung bringt. Eine solche Fortsetzung – verbunden mit neuen Akzentsetzungen – findet sich v.a. in den Abschnitten zum Tamid am Brandopferaltar (Ex 29,38–46) und zum Dienst am Goldenen Altar (Ex 30,6–10), von denen aus auch Ex 27,20–21 nochmals neu zu durchdenken sein wird. 6. Die qualifizierenden Wendungen in Ex 27,21b Eine theologische Deutung des regelmäßigen Kultes am Leuchter leisten zuletzt auch die qualifizierenden Wendungen in Ex 27,21b, die den Abschluss von Ex 27,20–21 markieren. Sie sind daher im Folgenden näher in den Blick zu nehmen, bevor ein erstes Fazit zu Ex 27,20–21 gezogen werden kann. 157
Vgl. ähnlich auch GEORGE, Tabernacle, 85–87.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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Konkret ist dabei auf die beiden Formulierungen ‚( חקת עולם לדרתםzeitlose Satzung für ihre Generationen‘) und ‚( מאת בני ישראלvon den Söhnen Israels‘) einzugehen, die auf je unterschiedliche Aspekte des Leuchter-Tamids verweisen und daher zunächst separat zu behandeln sind. Das zentrale Stichwort der ersten Wendung ist das Nomen חקה, das wie das weitgehend bedeutungsgleiche חקvon der Verbwurzel ‚( חקקeinritzen, schreiben, bestimmen, festsetzen‘) abzuleiten ist158 und einer großen Zahl von Belegstellen eine (rechtliche) Satzung oder verbindliche Vorgabe, bisweilen aber auch ein festes Maß (Gen 47,22), eine vorgegebene Ordnung (Hi 38,10; Ps 148,6) oder einen (verbindlich gesetzten) Anspruch auf etwas (vgl. Lev 7,36) bezeichnen kann.159 Als allgemeinerer „Rechtsterminus“ verwendet, kann חקה/ חקin Verbindung mit und annähernd synonym zu Begriffen wie ‚( משפטRecht‘) oder ‚( תורהWeisung‘) gebraucht werden (vgl. z.B. Gen 26,5; Dtn 5,1; 11,32; Jos 24,25; u.v.m.). Die Termini חקה/ חקimplizieren dabei stets eine deutliche Hierarchie, da jeweils eine von einer übergeordneten Instanz (oft von Gott) implementierte (rechtlich gefasste) Ordnung im Blick ist.160 Vor diesem Hintergrund ist die Vorschrift zum Entzünden des Leuchters in Ex 27,20–21 zunächst als eine verbindliche Setzung JHWHs qualifiziert. Diese „begründet“ einen als חקהeinzuhaltenden Vollzug im Heiligtum, der seinerseits durch das mit dem Nomen חקהverbundene Stichwort עולםals ‚ewig, dauerhaft, zeitlos‘ bestimmt wird. In der Tora ist die Wendung חקת עולם (‚zeitlose Satzung‘) – Ex 27,21 mit eingerechnet – an 22 Stellen belegt161, die allesamt auf – in einem weiteren Sinne – kultische Kontexte entfallen. Inhaltlich sind dabei auf der einen Seite elementare „Grundregeln“ des Kultes im Blick, deren Übertretung einen regelgerechten Kult verunmöglichen würde und die daher als „tabu“ ausgewiesen sind.162 Beispiele hierfür sind das Verbot des Blut- und Fettgenusses (Lev 3,17), das Verbot von nicht für JHWH dargebrachten Schlachtungen (Lev 17,7) oder spezielle Vorschriften für den Dienst der Priester, wie z.B. das Alkoholverbot in Lev 10,9 oder die Anweisung, beim Dienst am Altar spezielle „(Unter-)Hosen“ ( )מכנסיםzu tragen (vgl. Ex 28,43).
Daneben werden auch spezielle Vorschriften für Feste und in regelmäßigen Abständen zu begehende kultische Vollzüge als חקת עולםqualifiziert (vgl. Ex 12,14.17; Lev 16,29.31.34; 23,14.21.31.41; 19,10.21). Der Terminus עולם bringt damit entweder – im Zusammenhang mit den „tabus“ – die Konnotation eines „Niemals“, oder aber – in den zuletzt genannten Texten zu speziellen 158
Vgl. RINGGREN, ( חקקThWAT), 149–150. Vgl. RINGGREN, ( חקקThWAT), 150–153. 160 Vgl. RINGGREN, ( חקקThWAT), 150–153. 161 Vgl. Ex 12,14.17; 27,21; 28,43; 29,9; Lev 3,17; 7,36; 10,9; 16,29.31.34; 17,7; 23,14.21.31.41; 24,3; Num 10,8; 15,15; 18,23; 19,10.21. 162 Vgl. dazu RINGGREN, ( חקקThWAT), 153. 159
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Festvorschriften – die eines „Immer[-Wieder]“ ein (so in Ex 27,21; Lev 24,3) und unterstreicht so eine „Zeitlosigkeit“, die den Satzungen zukommen soll.163 Damit aber korrespondiert v.a. die Wendung )חקת( עולםmit dem Stichwort ‚( תמידregelmäßig‘) in Ex 27,20bI: Die als „zeitlos“ ( )עולםdefinierte (göttliche) Setzung realisiert und konkretisiert sich „in der Zeit“ in Form eines regelmäßigen ( )תמידKultvollzugs. Wie an noch 14 weiteren (von 22) Belegstellen der Wendung חקת עולםist diese schließlich auch in Ex 27,21b mit der sog. „Generationenformel“ (x-)לדרת164 verbunden, die eine zusätzliche Bedeutungsebene einbringt. Dabei findet sich in Ex 27,21b die Formulierung ‚( לדרתםin ihren/gemäß ihrer Generationen‘), wobei das ePP ם- (‚ihre‘) hier auf die in Ex 27,21a genannten Akteure des Dienstes am Leuchter, Aaron und seine Söhne, zu beziehen ist, und wohl kaum auf die in Ex 27,20a genannten Söhne Israels.165 Wie das Stichwort ‚( תמידregelmäßig; vgl. Ex 27,20bI) weist auch die sog. „Generationenformel“ auf eine Fortdauer bzw. Regelmäßigkeit hin, deutet jedoch zugleich eine etwas andere Schwerpunkt- und Akzentsetzung an als dieses. So ist nun v.a. eine Abfolge von Generationen, d.h. von mit derselben Aufgabe betrauten Funktionsträgern im Blick, was zur Folge hat, dass der Dienst am Leuchter grundsätzlich als Gegenstand einer Tradition profiliert ist, als deren Träger und Bewahrer Aaron und seine Söhne erscheinen, die in V.21a als Verantwortliche für das Anordnen der נרתder Menora benannt werden. Die zweite qualifizierende Wendung in V.21b, ‚( מאת בני ישראלvon den Söhnen Israels‘) schließlich ist nicht als unmittelbare Fortführung der Formulierung חקת עולם לדרתם, sondern eher als zweite, separate Näherbestimmung zu lesen, die das Entzünden des Leuchters unter einem anderen, ergänzenden Aspekt beleuchtet. Sie verweist über das Stichwort ‚( בני ישראלSöhne Israels‘) zunächst auf den Anfang der kurzen Sinneinheit Ex 27,20–21, konkret auf die „Kollektenanweisung“ in V.20ab, zurück und hebt so nochmals den Anteil der „Söhne Israels“ an dem thematisierten Kultvollzug heraus. Das מאת בני ‚( ישראלvon den Söhnen Israels‘) unterstreicht, dass die für das Entzünden des Leuchters benötigte und in ihm immer wieder verbrauchte Materie, das Olivenöl, vom Volk (in seiner Gesamtheit) bereitgestellt wird, so dass der Kult in der Tat ‚( מאת בני ישראלausgehend von den Söhnen Israels‘) stattfindet.166 Im Gegenüber zur ersten, über den Hinweis auf „ihre Generationen“ auf Aaron und seine Söhne bezogenen Qualifizierungswendung, richtet die zweite Formulierung in Ex 27,21b das Augenmerk also auf die Israeliten und 163
Vgl. UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 213. Die Formulierung ‚( לדרתיכםfür eure Generationen‘) findet sich in Ex 12,14.17; Lev 3,17; 10,9; 23,14.21.31.41; 24,3; Num 10,8; 1,1; 18,23, die Wendung ‚( לדרתםfür ihre Generationen‘) in Lev 7,36; 17,7. 165 Gegen HOUTMAN, Exodus 3, 464. 166 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 944; MILGROM, Leviticus 23–27, 2090; PROPP, Exodus 19–40, 49. 164
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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deren Partizipation am Leuchterdienst. In der Gesamtschau wird damit eine in Ex 27,20–21a bereits angedeutete Differenzierung zwischen den Söhnen Israels auf der einen und Aaron und seinen Söhnen auf der anderen Seite weiter zugespitzt, wodurch zwangsläufig auch die Frage nach dem genauen Verhältnis der beiden Gruppen aufgeworfen ist; eine Frage, die in Ex 27,20– 21 selbst nicht mehr weiter vertieft wird, dafür aber als eines der bestimmenden Themen des folgenden Textabschnitts Ex 28,1–29,37 erscheint und dort eingehender behandelt wird. 7. Resümee Erstmals in der Heiligtumstora Ex 25,1–31,17 werden in dem kurzen Abschnitt Ex 27,20–21 nicht einzelne Geräte oder Bestandteile des Heiligtums, ihre Beschaffenheit, die Art und Weise ihrer Herstellung oder ihre Anordnung behandelt, sondern ein Kultvollzug im zu errichtenden Heiligtum thematisiert. Allerdings bietet Ex 27,20–21 ausdrücklich keine Ritualbeschreibung, die klar definierte Handlungsschritte in einer festgelegten Reihenfolge vorgibt. Im Zusammenhang mit dem Dienst am Leuchter nämlich sind nur zwei Verben, עלה-hi. (V.20abI) und ( ערךV.21a2) zu finden, die zwar einen komplexeren Handlungsablauf andeuten, es letztendlich aber den Lesenden überlassen, eine (mögliche) Handlungsfolge zu rekonstruieren. So kommt über das Verb ( ערךV.21a2) v.a. das „Resultat“ des Dienstes am Leuchter in den Blick, während die Vollzüge auf dem Weg dorthin über das nicht auf eine Bedeutung festlegbare עלה-hi. (V.20abI) in solcher Weise angedeutet werden, dass einerseits wesentliche Aspekte des Handlungsvollzugs zu erahnen sind, andererseits aber auch eine ins Auge stechende Polyvalenz gewahrt bleibt. Dieser auffällige Befund kann u.a. als Indiz dafür gedeutet werden, dass der eigentliche Fokus des Textes nicht auf der Darstellung von (normierten) Handlungssequenzen liegt, die als Ritual beschreibbar (und ggf. auch vollziehbar) wären, sondern ausdrücklich auf der Deutung eines Kultgeschehens. Für die Deutung erweisen sich die zahlreichen adverbialen Wendungen in Ex 27,21 als wesentlich, die v.a. die folgenden Sinnlinien profilieren: (1.) Ex 27,20–21 ist durch Sätze umrahmt, die unterstreichen, dass die von (allen) Israeliten geforderte Ölabgabe unverzichtbare Grundlage und Voraussetzung für das Entzünden des Leuchters bildet (vgl. V.20ab.21b). Damit aber liefert Israel nicht nur die materiellen Voraussetzungen für das Kultgeschehen, es partizipiert über den vom gesamten Volk bereitgestellten Brennstoff für die Lampen unmittelbar am angeordneten Kultvollzug, der von Aaron (und seinen Söhnen) ausgeführt wird. (2.) Die Ortsangaben in V.21a–aR nehmen einerseits auf Texte wie z.B. Ex 26,31–35; (25,21–22) Bezug und spielen die dort dargelegten Raumkonzeptionen ein. Gleichzeitig werden letztere in wesentlichen Punkten modifiziert,
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
so dass gleichsam der Eindruck entsteht, dass mit dem Ritual eine veränderte Wahrnehmung des Raumes einhergeht, in der der Ort des Kultvollzugs (d.h. der Leuchter im „Heiligen“) und die ʽedūt in Beziehung zueinander gesetzt werden. Der Dienst am Leuchter ist somit durch eine Ausrichtung auf die ʽedūt, die Bezeugung der Offenbarung vom Sinai, hin charakterisiert. Diese verbindet sich schließlich mit einer Interpretation des Dienstes am Leuchter als Kommunikation bzw. Interaktion mit JHWH, die v.a. durch die Wendung ( לפני יהוהV.21a2) eingebracht wird. (3.) Über den Hinweis auf die praktische Ausführung des Kultvollzugs hinaus, die Lampen so zu präparieren und zu entzünden, dass sie die ganze Nacht über leuchten können, transportiert die Zeitangabe ‚( מערב עד־בקרvon Abend bis Morgen‘) über ihren Bezug auf Gen 1,3–5.14–19 eine Deutung der „Leuchte“ ( )מאורals „Taktgeber“ im Heiligtum. Als solcher generiert die Menora keine grundsätzlich anderen Zeitrhythmen, als sie in der Schöpfung grundgelegt sind; Abend und Morgen bleiben in ihrer Funktion als Übergänge und Scheidemarken von Tag und Nacht bestehen. Wohl aber wird die Nacht nicht durch die Finsternis, sondern durch das artifizielle Licht des Leuchters „definiert“. Dies bedeutet, dass das Agieren „vor JHWH“ letztendlich die Qualität – nicht aber die Begrenzung oder Abfolge – der Zeitrhythmen im Heiligtum und damit inmitten Israels (mit) bestimmt. (4.) Weitere „Zeitdimensionen“ des Kultvollzugs scheinen in den Formulierungen ‚( תמידregelmäßig‘), ‚( חקת עולםzeitlose Satzung‘) und ‚( רלדרתםfür ihre Generationen‘) auf. So wird der in der Weisung JHWHs gründende Kultvollzug als חקת עולם, d.h. als zeitlos gültige Satzung definiert, wobei diese grundlegende Zeitlosigkeit sich „in der Zeit“ einerseits im täglichregelmäßigen ( )תמידVollzug desselben Rituals konkretisiert, andererseits aber auch an das generationsübergreifende Traditions- und Sukzessionskontinuum der Söhne Aarons gebunden ist. Zugleich ist festzuhalten, dass – über die angesprochene Polyvalenz der Verben עלה-hi. und ערךhinaus – viele Punkte im Text offen und in einem positiven Sinne „fragwürdig“ bleiben: So wirft z.B. der unvermittelte Hinweis auf Aaron und seine Söhne als Ausführende des Dienstes am Leuchter (V.21a) die Frage nach ihrer genauen Funktion, aber auch nach ihrem Verhältnis zu den in V.20ab.21b genannten Söhnen Israels auf. Aber auch hinsichtlich des Dienstes am Leuchter selbst bleiben Aspekte offen, die besonders über den Bezug auf Ex 25,37 eingebracht werden. So ist weder aus Ex 27,20–21 noch aus Ex 25,37 präzise zu erheben, was mit dem in Ex 25,37 angesprochenen „Leuchten über das Gegenüber ihres [= der Menora] Angesichts“ genau gemeint ist und auch eine mögliche Symbolik des Leuchters selbst und der Siebenzahl seiner Arme und Lämpchen wird in den Texten nicht aufgegriffen. All diese Punkte machen deutlich, dass der Text Ex 27,20–21 „sein
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Thema“, den Dienst am Leuchter, keineswegs umfassend und abschließend behandelt, sondern – indem er zu weiterem Nachfragen anregt und dazu motiviert, Offengebliebenes genauer zu bestimmen – in nachfolgende Kontexte einführt, in denen die Lesenden auf weitere Antworten hoffen können. Er fungiert somit als ein „Einleitungstext“, erfüllt als solcher aber auch insofern lektürelenkende Funktion, als er Themenfelder andeutet und für Fragestellungen sensibilisiert, die in Ex 27,20–30,10 zentral sein werden. II. Die Gewänder der Priester – Ex 28,1–43 im Überblick 1. Struktur und Gliederung von Ex 28,1–43 Aaron und seine Söhne – bzw. genauer das Priestertum Aarons, das in Ex 27,21a erstmals angedeutet ist, wenn dieser mit dem Dienst am Leuchter betraut wird – stehen im Zentrum der beiden eng miteinander verbundenen Textabschnitte Ex 28,1–43; 29,1–37. Beinahe wie eine gemeinsame Einleitung für beide Perikopen kann dabei Ex 28,1 gelesen werden. In diesem Vers beauftragt JHWH Mose damit, Aaron (mit seinen Söhnen) aus der Mitte der Söhne Israels ( )מתוך בני ישראלherannahen zu lassen (קרב-hi.), dass dieser für JHWH zum Priester werde ()לכהן־לי. Damit wird die grundlegende Thematik – Aarons Priestertum – eingeführt, zugleich aber auch die bereits in Ex 27,20–21 aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis zwischen Aaron (als Priester) und den Israeliten erneut aufgenommen.167 Im Anschluss daran leitet der Vers Ex 28,2 zu einem ersten „Unterthema“ über, das in Ex 28 im Mittelpunkt stehen wird, indem er an die Aufforderung JHWHs aus V.1, Aaron (mit seinen Söhnen) als künftige Priester „heranzunahen“ (קרב-hi.), den Auftrag anschließt, „Gewänder der Heiligkeit“ ( )בגדי־קדשfür Aaron herzustellen. Die nachfolgenden Verse Ex 28,3–5 wiederum präzisieren diese Anordnung insofern, als sie die mit der Herstellung betrauten Handwerker in den Blick nehmen (Ex 28,3) bzw. die anzufertigenden Gewänder selbst (Ex 28,4), sowie die benötigen Materialien (Ex 28,5) auflisten.168 In Ex 28,6–40 aber folgen als Hauptteil der Perikope – z.T. sehr ausführliche und detailreiche – Anweisungen zur Herstellung der einzelnen, in Ex 28,4 genannten Gewänder. Somit kann Ex 28,1.2–5 als eine Einleitung der Perikope bestimmt werden, der Ex 28,41 als Abschluss gegenübersteht. Ex 28,41 erweist sich als „janusköpfger“ Vers, der in direktiven Sprechakten, d.h. in Form von Aufforderungen an die Adresse des Mose, zunächst eine Handlungsfolge mit den Schritten Ankleiden Aarons und seiner Söhne (V.41a), salben (V.41b), „Hand füllen“ (V.41c) und heiligen (V.41d) entfaltet, die als Resultat zeitigen soll, dass Aaron und seine Söhne JHWH als Priester dienen können (vgl. ;וכהנו לי V.41e). Damit zeichnet Ex 28,41 die wesentlichen Schritte des in Ex 29,1–37 167 168
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 266. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 471.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
ausgeführten Weiherituals vor und kann folglich als eine Überleitung zur nachfolgenden Perikope interpretiert werden,169 der die Funktion zukommt, die beiden auch sachlich eng zusammengehörigen Texte Ex 28,1–43 und Ex 29,1–37 zu verklammern. Andererseits aber finden sich auch deutliche Rückbezüge zur Einleitung in Ex 28,1.2–5, die v.a. über die Aufnahme zentraler Stichworte realisiert sind. So sind die Verben קדש-pi. (‚heiligen‘) und כהן-pi. (‚Priester sein/werden‘) nebeneinander in V.41de, aber auch in V.3bI.bII zu finden (vgl. auch Ex 29,1!), wobei jeweils das „Heiligen“ als sachliche Voraussetzung dafür profiliert wird, dass Aaron seinen Dienst als Priester aufnehmen kann. Zudem fungiert die in V.41e belegte Fügung כהן־לי-pi. (‚Priester sein/werden für mich‘) in Ex 28,1–5 als eine Art „Leitwort“, das insgesamt drei Mal (vgl. V.1aI.3bII.4bI) belegt ist. Die in Ex 28,41a (im Zusammenhang mit dem Ankleiden der Gewänder) belegte Wendung את־אהרן אחיך ‚( ואת־בניו אתוAaron, deinen Bruder, und seine Söhne mit ihm‘) aber entspricht wörtlich der in Ex 28,1a (im Kontext der Designation der künftigen Priester) gewählten Formulierung. Die angesprochene „Janusköpfigkeit“ von Ex 28,41 besteht somit darin, dass der Vers einerseits auf Ex 28,1–5 zurückgreift und zusammen mit diesem Abschnitt einen Rahmen um die Herstellungsanweisungen in Ex 28,6–40 legt, andererseits aber auch eine Brücke zu Ex 29,1–37 schlägt und auf diese Weise einen engen Zusammenhang zwischen beiden Perikopen anzeigt. In Ex 28,6–40 werden vier Kleidungsstücke eingehender vorgestellt, das ’efod (V.6–14), der ḥošæn [ha-mišpāṭ] (V.15–30), der meʽīl [ha-’efod] (V.31–35) sowie der ṣīṣ (V.36–38), die allesamt ausschließlich Aaron vorbehalten sind.170 Es fällt auf, dass nur die ersten drei – ’efod, ḥošæn und meʽīl – in der Liste der herzustellenden Gewänder in Ex 28,4 genannt sind, wobei dort ’efod und ḥošæn in umgekehrter Reihenfolge angeführt werden. Der ṣīṣ hingegen fehlt, doch nennt Ex 28,4 eine als miṣnæfæt bezeichnete Kopfbedeckung, an die Ex 28,37b zufolge der ṣīṣ, ein graviertes Goldblech, anzubringen ist. Zum miṣnæfæt selbst sowie zu den beiden letzten, in Ex 28,4 genannten Gewändern, kuttonæt (tašbeṣ)171 und ’abneṭ, finden sich keine detaillierten Anweisungen; sie werden in Ex 28,39 lediglich „kursorisch“ bzw. mit knappen Hinweisen zur Art der Herstellung (vgl. das Verb שבץ, ‚weben‘ in V.39a oder die Wendung מעשה רקם, ‚Buntweber-Machart‘, V.39c) in Auftrag gegeben. Dem gegenüber finden sich bei den vier in Ex 28,6–38 behandelten Gewändern ’efod, ḥošæn [ha-mišpāṭ], meʽīl [ha-’efod] und ṣīṣ nicht nur vergleichsweise ausführliche Beschreibungen, sondern v.a. auch „deutende“ Wendungen bzw. Sätze (vgl. Ex 28,10b.12.21.29–30.35.38), die in der Regel den Abschluss der Abschnitte zu den einzelnen Gewändern markieren und 169
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 522–523. Vgl. HARAN, Temples 166; HOUTMAN, Exodus 3, 466. 171 Das ( כתנת תשבץEx 28,4) wird in Ex 28,39a als כתנת ששgeführt. 170
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deren Funktion und Bedeutung benennen, dabei implizit aber auch das Priestertum des Aaron näher qualifizieren. Von daher ist in der folgenden Auslegung v.a. auf diese Textpassagen eingehender einzugehen, während die Herstellungsanweisungen nur insoweit zu berücksichtigen sind, wie sie für das Verständnis der deutenden Sätze von Bedeutung sind. Nachdem in Ex 28,6–38.39 diejenigen Gewänder vorgestellt werden, die Aaron vorbehalten sind, nennt Ex 28,40 sehr knapp die Gewänder der Söhne Aarons, die wohl weitgehend mit den drei in Ex 28,39 genannten, aber nicht näher ausgeführten Stücken identisch sind. So sind für Aarons Söhne kuttonōt, d.h. Hemdgewänder (V.40a; vgl. die kuttonæt Aarons, V.39a), ’abneṭīm (V.40b; vgl. den ’abneṭ Aarons, V.39c) und migba‘ōt (V.40c) herzustellen,172 wobei die zuletzt Genannten als Kopfbedeckung zu interpretieren sind und von daher ein Äquivalent zur miṣnæfæt Aarons (vgl. V.39b) darstellen.173 So sind die auch von Aarons Söhnen getragenen Gewänder als „Grundelemente“ der priesterlichen Gewandung zu verstehen, während die vier in Ex 28,6–38 ausführlicher vorgestellten Gewandstücke Aaron als Gesalbtem Priester vorbehalten sind und ihn (in seinem Amt) in besonderer Weise auszeichnen.174 In Ex 28,42–43 schließlich – und damit erst nach dem Vers Ex 28,41, der zusammen mit Ex 28,1–5 einen Rahmen um die Herstellungsanweisungen schließt – findet sich die Anweisung, ‚( מכנסי־בדbād-[Unter-]Hosen‘) herzustellen. Wie die drei in Ex 28,39–40 genannten Kleidungsstücke, sind sie sowohl von Aaron als auch von dessen Söhnen zu tragen (vgl. Ex 28,43a), werden aber weder in Ex 29,5–6.8–9, d.h. im Zusammenhang mit der Anordnung JHWHs an Mose, Aaron und seine Söhne in die hergestellten Gewänder zu kleiden, noch in Lev 8,7–9.13, d.h. im Bericht über die Umsetzung dieser Anordnung, genannt.175 Diese Beobachtung unterstreicht die in Ex 28 bereits über die kompositorische Anordnung des Abschnitts zu den מכנסיםdeutlich zum Ausdruck gebrachte Abhebung der „(Unter-)Hosen“ von den restlichen Priestergewändern, die in der nachfolgenden Auslegung noch näher in den Blick zu nehmen ist. Zuvor aber sind der „Rahmen“ um die Herstellungsanweisung (Ex 28,1.2–5.41) und schließlich die Abschnitte zu den „besonderen“ Gewändern Aarons (Ex 28,6–38) zu analysieren. 2. Ex 28,1–5.41 als deutender „Rahmen“ 1a 1aI 172
Du aber sollst herannahen (קרב-hi.) zu dir Aaron, deinen Bruder, und seine Söhne mit ihm aus der Mitte der Söhne Israels, damit er mir zum Priester werde:
Zu den Gewändern vgl. BENDER, Sprache, 220–222; HARAN, Temples, 169–170. Vgl. HARAN, Temples, 170. 174 Vgl. HARAN, Temples, 169–170; HOUTMAN, Exodus 3, 522. 175 Wohl aber spielen sie in Lev 6,3–4; 16,4 eine Rolle. Vgl. BENDER, Sprache, 207. 173
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
1a 2 3a 3aR 3b 3bI 3bII 4a 4aR 4a 4b 4bI 5
41a 41b 41c 41d 41e
Aaron, Nadab und Abihu, Eleazar und Itamar, die Söhne Aarons. Du sollst Gewänder der Heiligkeit ( )בגדי קדשmachen für Aaron, deinen Bruder, zur Würde ( )כבודund zur Herrlichkeit ()תפארת. Du aber sprich zu allen Weisen im Herzen, das (→ Herz, V.3a) ich angefüllt habe mit dem Geist der Weisheit, dass sie die Gewänder Aarons machen, um ihn zu heiligen, damit er mir zum Priester werde. Das aber sind die Gewänder, die sie machen sollen: ḥošæn und ’efod und meʽīl und ein gewebtes Hemdgewand ()כתנת, einen Kopfbund ( )מצנפתund eine Schärpe ()אבנט. Sie sollen die Gewänder der Heiligkeit für Aaron, deinen Bruder, und für seine Söhne machen, damit er mir zum Priester werde. Sie sollen das Gold und die violette Purpur[wolle] ()תכלת und die rote Purpur[wolle] ( )ארגמןund die Karmesin[wolle] ()תולעת שני und das Feinleinen ( )ששnehmen. (Ex 28,1–5) Bekleide mit ihnen (= den Gewändern) Aaron, deinen Bruder, und seine Söhne mit ihm und salbe sie und fülle ihre Hand und heilige sie, dass sie mir zu Priestern werden. (Ex 28,41)
Ex 28,1–5 wird in V.1a mit einem Auftrag an Mose eröffnet, der hinsichtlich der gewählten Formulierung deutlich an den Beginn des vorangehenden Textabschnitts Ex 27,20–21 (vgl. V.20a) erinnert. Auch in Ex 28,1a findet sich ein betont vorangestelltes ‚( ואתהdu aber‘), das erneut Mose als Adressaten der Gottesrede betont hervorhebt,176 im Unterschied zu Ex 27,20a allerdings nicht durch eine jiqṭol-Form (Injunktiv), sondern durch einen Imperativ ( )הקרבfortgeführt wird. Der annähernd parallel konstruierte Auftakt deutet dabei zunächst einen engen Anschluss an die vorausgehende Texteinheit an, der auch daran erkennbar wird, dass Ex 28,1 (erneut) auf Aaron und seine Söhne rekurriert, die in Ex 27,21a als Akteure für das Entzünden des Leuchters genannt sind. In diesem Zusammenhang werden auch die „Problemstellungen“, die mit diesen in Ex 27,20–21 verbunden sind – der Umstand, dass sie unvermittelt in einer priesterlichen Funktion auftreten, sowie die Frage nach dem Verhältnis zwischen Aaron und seinen Söhnen auf der einen und den Söhnen Israels auf der anderen Seite – in Erinnerung gerufen und zu-
176
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 472.
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gleich explizit thematisiert.177 So findet sich im Infinitivsatz Ex 28,1aI erstmals im TaNa“K die Wurzel ‚( כהןPriester sein/werden‘) in Zusammenhang mit Aaron: Mose soll ihn und seine Söhne aus der Mitte der Söhne Israels herannahen lassen (קרב-hi.), damit er für JHWH zum Priester werde bzw. JHWH als Priester diene (vgl. ;לכהן־ליEx 28,1aI). Interessant an der Infinitivform לכהנוin V.1aI ist dabei zunächst die auffällige Inkongruenz des ePP ו(3. Pers. Sg.), das nicht Aaron und seine Söhne (vgl. V.1a) vertritt, sondern allein auf Aaron fokussiert und damit deutlich an die ähnlich gelagerte syntaktische Inkongruenz im Satz Ex 27,21a erinnert, in dem ja dem pluralischen Subjekt אהרן ובניוdie Verbform ( יערך3. Pers. Sg.) zugeordnet ist. Im Mittelpunkt steht somit zunächst das Priestertum Aarons. Dessen Söhne jedoch kommen nur im Verbund mit ihm – und ihm deutlich nachgeordnet – in den Blick. Gleichzeitig weist der Infinitivsatz Ex 28,1aI betont auch auf Aarons Priestertum hin, wobei auffällt, dass die Wendung לכהנו־ליin Ex 28,2–43; 29,1–37 noch mehrfach an kompositorisch herausgehobener Stelle wieder aufgenommen wird. Sie ist zunächst (in gleichem Wortlaut wie in Ex 28,1aI) an zwei weiteren Stellen innerhalb der Einleitung Ex 28,1–5 (vgl. Ex 28,3bII.4bI) belegt und dient somit für diesen Textabschnitt als eine Art „Refrain“. Ein weiteres Mal wird sie in Ex 28,41e durch die flektierte Verbform ‚( וכהנו ליund sie werden/sollen mir als Priester dienen‘) wieder aufgenommen, die einerseits zusammen mit den insgesamt drei Belegen in Ex 28,1–5 einen Rahmen um Ex 28,6–40 legt und so das zentrale Thema des „umschlossenen“ Textabschnitts heraushebt, andererseits aber auch auf die Beschreibung des Weiherituals in Ex 29,1–37 ausblickt, dessen Ablauf in Ex 28,41 in groben Zügen skizziert wird. Zuletzt korrespondiert mit Ex 28,41e auch die Formulierung ‚( לכהן־ליmir zum Priester zu werden‘) in Ex 29,1aRII. Diese ist Teil der „Überschrift“ zu Ex 29,1–37 (vgl. Ex 29,1) und bringt in diesem Kontext das anvisierte Ziel des nachfolgend geschilderten Rituals auf den Punkt.
Das in Ex 27,21a bereits vorausgesetzte „Priester-Werden“ bzw. „PriesterSein“ (כהן-pi.) Aarons wird somit in Ex 28,1 ausdrücklich als eines der Leitthemen von Ex 28,1–43 und 29,1–37 eingeführt. Darüber hinaus greift Ex 28,1 auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Priester Aaron und den Söhnen Israels auf, die in Ex 27,20–21 über das profilierte Nebeneinander beider Größen bzw. Personen(gruppen) eingebracht wurde. So fordert JHWH Mose auf, Aaron und dessen Söhne „aus der Mitte der Söhne Israels“ ( )מתוך בני ישראלzu sich „herannahen“ (קרב-hi) zu lassen und deutet auf diese Weise insofern ein komplexes Verhältnis zwischen den (künftigen) Priestern und dem Volk an, als einerseits deutlich wird, dass erstere eindeutig ein Teil Israels sind und ihren Platz in dessen Mitte ( )תוךfinden, andererseits aber aus dieser Mitte ( )מתוךherauszuheben sind, damit sie Priester werden können.
177
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 266.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Eine (genealogische) Verankerung in Israel und eine gegenüber Israel hervorgehobene Position greifen somit ineinander.178 Das „Herausheben“ Aarons, d.h. die Differenzierung zwischen den „Söhnen Israels“ und den (künftigen) Priestern, wird über den Imperativ הקרב אליך (‚lass herannahen zu dir‘) ausgedrückt. Diese Formulierung ist zunächst insofern interessant, als sie über die präpositionale Wendung ‚( אליךzu dir‘) eine ähnliche „Bewegung“ imaginiert, wie Ex 27,20b. Wird dort das Volk aufgefordert, das Öl für den Leuchter zu Mose ( )אליךzu bringen, so sollen nun Aaron und seine Söhne – ebenfalls aus der Mitte des Volkes heraus – zu Mose hin („ )אליךtransferiert“ werden. Damit jedoch enden die Gemeinsamkeiten, denn anders als beim Öl veranlasst dieses Mal nicht das Volk selbst das „Herannahen“ der designierten Priester, sondern Mose, der selbst wiederum in Stellvertretung JHWHs handelt, wenn er im „Herannahen-Lassen“ die in Ex 28,1aI formulierte Erwählung Aarons zum Priester für JHWH ()לכהנו־לי konkret werden lässt. Ähnlich wie die Formulierung לכהנו־ליkehrt auch das Stichwort קרב-hi. im nachfolgenden Kontext nochmals wieder. Es findet sich ein weiteres Mal in Ex 29,4a, wo es allerdings nicht die grundsätzliche „Absonderung“ Aarons (und seiner Söhne) von den Söhnen Israels ausdrückt, sondern – wesentlich konkreter – das „Herannahen“ Aarons zum Eingang des Zeltes der Begegnung als Auftakt des Rituals der Priesterweihe profiliert. Der unterschiedlichen Bedeutung zum Trotz setzt Ex 28,1 auf diese Weise (auch) einen Vorverweis auf Ex 29,1–37, was ein weiteres Mal unterstreicht, dass dieser Vers letztendlich als eine (gemeinsame) Einleitung für die beiden Perikopen Ex 28,2–43 und Ex 29,1–37 fungiert, die durch das gemeinsame Thema des Priestertums Aarons verbunden sind. Komplettiert wird diese „gemeinsame Einleitung“ durch die kurze „Liste“ der designierten Priester in Ex 28,1, in der – über Aaron hinaus – auch seine Söhne namentlich genannt werden. Die Funktion der „Liste“ liegt dabei zunächst sicherlich darin, die Genannten – v.a. die sonst nur kursorisch als „Söhne Aarons“ Bezeichneten – namentlich zu identifizieren.179 Zugleich fällt auf, dass diese durch den Wechsel von Syndese und Asyndese in zwei Gruppen – Nadab und Abihu, Eleazar und Itamar – aufgeteilt werden. Dies korrespondiert mit dem Umstand, dass Aarons Söhne in der Tora tatsächlich fast durchgehend in den auch in Ex 28,1b angedeuteten „Zweiergruppen“ auftreten und nimmt zugleich spätere Entwicklungen vorweg. So sterben Nadab und Abihu unmittelbar nach ihrer Weihe in Folge eines irregulären Kultvollzugs im Heiligtum (vgl. Lev 10,1–3), was zur Konsequenz hat, dass Eleazar und Itamar als diejenigen „Söhne Aarons“ erscheinen, die faktisch am Heiligtum Dienst tun und aus deren Nachkommenschaft sich die künftigen Priester Israels rekrutieren. Andererseits sind Nadab und Abihu (ohne ihre beiden jüngeren Brüder) in Ex 24,9–11 als Teil derjenigen „Delegation“ herausgehobener Repräsentanten 178 179
Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 297; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 98–99. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 266.
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Israels genannt, die auf dem Berg in der Gegenwart JHWHs isst und trinkt und so die im Bundesschluss eingetretene Gottesnähe Israels stellvertretend vollzieht.
Über diese Vor- und Rückverweise hinaus wird durch die Nennung der vier Söhne aber auch Ex 6,23 als Hypotext aufgerufen.180 In diesem Vers werden erstmals im TaNa“K und das einzige Mal vor Ex 28,1b alle vier Aaronsöhne nebeneinander – und mit derselben Verteilung von Syndesen und Asyndesen wie in Ex 28,1b – genannt. Ex 6,23 ist Teil der Levigenealogie Ex 6,16–25, die zunächst die Nachfahren des Jakobsohnes Levi als einen Stamm der Söhne Israels – neben Ruben (vgl. Ex 6,14) und Simeon (Ex 6,15) – vorstellt. Die Geburtsnotizen (vgl. Ex 6,20.23.25) und Angaben der Lebensalter (vgl. Ex 6,16.18.20) führen dabei die Genealogien der Genesis fort und weisen so den mit Levi einsetzenden Stammbaum zunächst als Fortsetzung der Ahnenreihe [Terach –] Abraham – Isaak – Jakob [– Levi] aus.181 Gleichzeitig heben sie innerhalb des wesentlich größeren Stammes Levi eine Abstammungslinie besonders heraus, die von Levi (Ex 6,16) über Kehat (Ex 6,18) und Amram (Ex 6,20) zu Aaron (Ex 6,23) und schließlich über Aarons Sohn Eleazar zu dessen Sohn Pinchas führt (Ex 6,25).182 Somit ist eine deutliche Fokussierung auf Aaron zu erkennen, die u.a. auch auf die Verse Ex 6,26–27 hin abzielt, die als ein „Verbindungsstück“ zwischen der Genealogie und demjenigen literarischen Kontext dienen, in den diese eingebettet ist. Sie skizzieren den Auftrag von Aaron und Mose (bzw. Mose und Aaron) im Exodusplan JHWHs, der beginnend mit der Gottesrede in Ex 6,2–8 in Ex 6,2–7,7 entfaltet wird. Die beiden Brüder erscheinen dabei als Mittlergestalten, die über den Stammbaum genealogisch fest in Israel verankert sind und sich über diese Herkunft aus Israel legitimieren. Vor diesem Hintergrund jedoch ist es umso bemerkenswerter, dass der Stammbaum nicht Mose in den Mittelpunkt stellt, dem doch im Exodusplan die wesentlich wichtigere Rolle zukommt, sondern stattdessen auf Aaron fokussiert.183 Der eigentliche Sinn dieser scheinbar gegen den Duktus von Ex 6,2–7,7 laufenden Voranstellung wird erst mit Ex 28,1 deutlich, wenn nun die in Ex 6 privilegierte Aaron-Linie mit dem Priestertum betraut wird, so dass die Levi-Genealogie in der Rückschau von Ex 28,1 (auch) als „Priesterstammbaum“ gelesen werden kann – wenngleich sie selbst sich als ein solcher ausdrücklich nicht zu erkennen gibt.184 Zugleich kann der Rückbezug auf Ex 6,14–25 auch dazu dienen, das מתוך בני ישראל (‚aus der Mitte der Söhne Israels‘) genauer zu fassen. Immerhin präsentiert die Genealogie die (spätere) „Priesterlinie“ ausdrücklich als integralen Be180
Vgl. SARNA, Exodus, 177. Zur Levi–Genealogie und ihrer „aaronidischen Zuspitzung“ vgl. z.B. HIEKE, Genealogien, 214–226. 181 Vgl. HIEKE, Genealogien, 200. 182 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 209; FISCHER/MARKL, Exodus, 93–97. 183 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 208–210. 184 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 209; UTZSCHNEIDER/OSWALD, Exodus 1–15, 176.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
standteil Israels, der über Levi mit dem gemeinsamen Stammvater JakobIsrael verbunden ist. Andererseits legt die Fokussierung auf die Aaron-Linie bereits in Ex 6 den Grund für die in Ex 28,1 angeordnete „Aussonderung“ Aarons und seiner Söhne, so dass die Erwählung JHWHs letztendlich als das „Aktivieren“ einer in der genealogischen Entfaltung des Stammes bereits angelegten „Ressource“ interpretiert werden kann. Ex 28,1 gestaltet also die Aufforderung JHWHs, Aaron und seine Söhne „herannahen“ zu lassen (קרב-hi.), als Einstieg in das zentrale Thema von Ex 28,1–29,37, das Priestertum Aarons. Mit dem darauf folgenden Vers Ex 28,2 jedoch kommen zunächst nicht die im Imperativ הקרבanklingenden Modalitäten der Investitur der designierten Priester in ihr neues Amt zur Sprache – diese sind in Ex 29,1–35 Thema –, sondern zunächst die Gewänder Aarons, die in Ex 28,2–43 ausführlich thematisiert werden. So findet sich in Ex 28,2 die an die „Herstellungsanweisungen“ in Ex 25,10–27,19 erinnernde Anordnung an Mose, „Gewänder der Heiligkeit“ ( )בגדי־קדשfür Aaron zu machen ()ועשית. In der Formulierung בגדי־קדשkommt dabei zunächst ein Bezug zum Heiligtum bzw. dem „Heiligen“ ( )קדשzur Sprache, der deutlich macht, dass im Folgenden Amtsgewänder für Aarons Dienst im Heiligtum, d.h. weder „Alltagskleidung“ noch (profane) Repräsentationsgewandung, vorgestellt werden.185 Des Weiteren hält der Vers fest, dass die herzustellenden Gewänder (für Aaron) לכבוד ולתפארתsein sollen. Beide Begriffe, כבודund תפארת, haben recht weite semantische Felder, die sich z.T. auch überschneiden, wobei durch die Korrelation beider Termini wohl gerade dieser „Überschneidungsbereich“ als das Gemeinte markiert wird. So kann sowohl dem כבוד (‚Gewicht, Schwere, Ehre, Würde, Herrlichkeit, Glanz‘, …) als auch der ‚( תפארתRuhm, Glanz, Herrlichkeit, Stolz bzw. Arroganz, …) ein optisch wahrnehmbarer, „ästhetischer“ Zug zu eigen sein, da beide Begriffe ‚(sichtbaren) Glanz‘ bzw. ‚(sichtbare) Herrlichkeit‘ bezeichnen können, die jeweils auf die besondere Würde und Bedeutung ihrer „Träger“ hinweisen.186 Beide Termini nebeneinander sind u.a. auch in Est 1,4 belegt, wo sich die im Deutschen kaum adäquat wiedergebbaren Konstruktusverbindungen עשר כבוד־ ‚( מלכותוReichtum der kāvōd seines Königtums‘) und יקר תפארת גדולתו (‚„Wertvollheit“ der tif’æræt seiner Größe‘) gegenüber stehen. Beides sind Größen, die der König Achaschwerosch in seinem 180 Tage dauernden, opulenten Gastmahl zur Schau stellen will. כבודund תפארתbilden in diesem Zusammenhang jeweils das zweite Glied der in sich je dreiteiligen Konstuktusverbindungen und stehen somit einander als korrespondierende Elemente gegenüber. Als jeweils erstes Glied findet sich bei beiden Wendungen ein Terminus, der (materiellen) Reichtum ausdrückt ( עשרbzw. )יקר, während das je letzte Glied auf ein Abstraktum, nämlich Macht bzw. Herrschaft des Kö185 186
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 266; HOUTMAN, Exodus 3, 473. Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 430–431.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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nigs ( מלכותbzw. )גדולה, verweist. Somit stehen כבודund תפארתjeweils für eine „strahlende“ – beeindruckende bis überwältigende – „Außenseite“, die sich im Gastmahl in materiell-konkreter Form manifestiert (vgl. עשרbzw. )יקר, die letztlich aber auf den wahren Gehalt der Macht und Größe des Königs hinweisen soll. In analoger Weise spricht Ex 28,2 wohl auch den Gewändern Aarons – insofern sie לכבוד ולתפארתhergestellt werden – die Funktion zu, eine besondere Würde und „Herrlichkeit“ Aarons bzw. des ihm übertragenen Priestertums sinnenfällig zum Ausdruck zu bringen und somit auch die Funktion und die Aufgaben ihres Trägers zu „visualisieren“.187 Die Formulierung לכבוד ולתפארתkehrt nochmals in Ex 28,40c und als unmittelbarer Abschluss der durch Ex 28,1.2–5.41 gerahmten Texteinheit Ex 28,6–40 wieder, ist dort allerdings auf die Gewänder der Söhne Aarons bezogen, die in Ex 28,40 angesprochen sind. So fangen die beiden Belege zunächst das Nebeneinander von Aaron und seinen Söhnen ein. Gleichzeitig aber generieren sie auch einen Rahmen, der den Abschnitt zu den einzelnen Priestergewändern (Ex 28,6–40) umschließt und auch insofern als hermeneutischer Schlüssel zu diesem Text erscheint, als er das Augenmerk v.a. auf die Frage richtet, inwiefern die einzelnen Gewandstücke die Bedeutung, Rolle und Funktion ihres Trägers (und seines Amtes) sinnenfällig machen.188 Bevor ab Ex 28,6 die einzelnen Gewänder selbst eingehender vorgestellt werden, beleuchten die Verse Ex 28,3–5 zunächst die grundlegenden Modalitäten ihrer Herstellung. Ex 28,3 präzisiert den in Ex 28,2 formulierten Auftrag (an Mose), die einzelnen Gewänder zu machen ( )ועשיתdahingehend, dass Mose nun aufgefordert wird, alle geeigneten und von JHWH dazu befähigten „Weisen“ ( )כל־חכמי־לבanzuleiten und zu beauftragen (V.3a), so dass diese die Gewänder herstellen können (vgl. ;ועשוV.3b). Die im engeren Sinne handwerklichen Tätigkeiten werden damit an die mit den nötigen Kompetenzen und Talenten ausgestatteten Handwerker delegiert,189 die auch in den folgenden Hauptsätzen Ex 28,4c (… )ועשוund Ex 28,5 (… )והם יקחוals Subjekt fungieren. Das „Machen“ des Mose (vgl. ;ועשיתV.2) realisiert sich also v.a. in dem in V.3a thematisierten „Reden“, das zugleich eine Weitergabe der in Ex 28,6–40.42–43 an Mose übermittelten „Detailangaben“ sowie eine Art „Gesamtverantwortung“ für eine toragemäße Umsetzung impliziert.190 Auffällig ist zudem, dass Ex 28,3 – noch deutlicher als Ex 28,1 – parallel zu Ex 27,20 formuliert ist.191
187
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 266; FISCHER/MARKL, Exodus, 298–299; HOUTMAN, Exodus 3, 473; PROPP, Exodus 19–40, 430; 522. 188 Vgl. ähnlich HIEKE, Levitikus 1–15, 344; MILGROM, Leviticus 1–16, 498. 189 Vgl. KEEL, Brusttasche, 380; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 163–165. 190 Vgl. JACOB, Exodus, 806. 191 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 472–473.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31) Ex 27,20
20a 20b 20bI
ואתה תצוה את בני ישראל ויקחו אליך שמן זית זך כתית למאור להעלת נר תמיד
Ex 28,3
ואתה תדבר אל כל חכמי לב אשר מלאתיו רוח חכמה ועשו את בגדי אהרן
3a 3aR 3b
(…)
In beiden Versen findet sich das betont vorangestellte ואתה, auf das jeweils eine jiqṭol-Form ( ;תצוהEx 27,20a bzw. ;תדברEx 28,3a) folgt.192 In beiden Texten wird Mose somit ausdrücklich und exklusiv beauftragt, zu reden bzw. zu befehlen, wobei der konkrete Inhalt jeweils in einem Konsekutivsatz mit der Formation we=qaṭal (Ex 27,20b; 28,3b)193 umschrieben wird.194 Ex 28,3b erinnert zudem stark an Ex 28,2, da die Wendung ועשית בגדי־קדש ‚( לאהרן אחיךDu sollst Gewänder der Heiligkeit machen für Aaron, deinen Bruder…‘; V.2) in der Formulierung …‚( ועשו את־בגדי אהרןdass sie die Gewänder Aarons machen…‘; V.3b) nachklingt. Zugleich aber setzt V.3b auch eigene Akzente, was v.a. daran erkennbar wird, dass in diesem Satz – anders als in V.2 – nicht von den „Gewändern der Heiligkeit“ ()בגדי־קדש, sondern den „Gewändern Aarons“ ( )בגדי אהרןdie Rede ist. Folglich ist nun also in erster Linie die Zuordnung zu Aaron als designiertem Priester – und damit impliziert eine Verbindung von Amt und Person – entscheidend und weniger die theologische Qualität der Gewänder, auf die V.2 rekurriert. Das Motiv der Heiligkeit bringt allerdings schon die nächste syntaktische Einheit, der von Ex 28,3b abhängige Infinitivsatz Ex 28,3bI, ein, der einen Zusammenhang zwischen dem Machen der Gewänder (V.3b) und dem Heiligen ( ;לקדשוV.3bI) andeutet. Kongruent zu der soeben zu Ex 28,3b festgehaltenen Beobachtung ist freilich auch hier wiederum die Heiligkeit oder genauer die Heiligung Aarons und nicht die Qualität seiner Gewänder im Blick. Dabei präzisiert die Rede von der Heiligung Aarons, d.h. von seiner besonderen Zueignung zu JHWH, zunächst die in Ex 28,1a eingebrachte Vorstellung vom „Herannahen“ der künftigen Priester aus der Mitte des Volkes. Wie genau in diesem Zusammenhang freilich der Konnex zwischen dem Herstellen der Gewänder und der Heiligung zu denken ist, bleibt in Ex 28,3 im Unklaren, und wird erst im „Rahmenschluss“ Ex 28,41 deutlich(er) gemacht, der in Ex 28,41de die beiden Infinitivsätze Ex 28,3bI–bII wieder aufnimmt. Dabei leitet V.41d die Heiligung Aarons aus dem in V.41a–c knapp umrissenen Ritual ab, zu dem neben einer Salbung (V.41b) und dem „Füllen der Hände“ (V.41c) auch das rituelle Ankleiden mit den herzustellenden Gewändern (vgl. V.41a) gehört. Die Gewänder „heiligen“ zunächst also insofern, als sie für das Ritual der Amtseinführung von Bedeutung sind, andererseits aber wohl auch deshalb, weil sie Aarons besondere Rolle und Funktion anzeigen und ihn so aus der 192
Vgl. JACOB, Exodus, 806. Vgl. JOÜON/MURAOKA §119e. 194 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 473. 193
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Mitte Israels abheben, um ihn (zu JHWH) „herannahen zu lassen“.195 Aufbauend auf dieser Zweckbestimmung in Ex 28,3b–bII bietet Ex 28,4 schließlich eine Aufzählung der herzustellenden Gewänder, die innerhalb der Einleitung Ex 28,1.2–5 zunächst mit der „Liste“ der Priester in Ex 28,1b, dann aber auch mit der Zusammenstellung der benötigten Materialien in V.5 korrespondiert.196 An die Liste schließen sodann die Sätze Ex 28,4b–bI an, die auf V.3b–bII (und auch auf V.2) zurückgreifen. So ist der Imperativ ( ועשוV.4b) auch in V.3b belegt, während das dazugehörige Objekt, ‚( בגדי־קדש לאהרן אחיךGewänder der Heiligkeit für Aaron, deinen Bruder‘), wortgleich die Formulierung aus V.2 aufnimmt, diese aber durch den Hinweis auf Aarons Söhne ()ולבניו „komplettiert“. In V.4bI schließlich findet sich zum dritten – und innerhalb von Ex 28,1–5 letzten – Mal die Wendung ( לכהנו־ליvgl. V.1aI.3bII), wobei der in V.4b–bI angedeutete Zusammenhang zwischen dem Machen ( )עשהder Gewänder und dem „Priester-Werden“ (כהן-pi.) Aarons in ähnlicher Weise auch in V.3c–cII gegeben ist.197 Angesichts dieser deutlichen Rückbezüge auf V.2–3 (und letztlich auch auf V.1aI) erscheint Ex 28,4b–bI wie eine „Zusammenfassung“ dessen, was in den vorausgehenden Sätzen zur Bedeutung und Funktion der Gewänder angedeutet wurde. Die Gewänder sind – wie in V.2 – als בגדי־קדשder Sphäre des „Heiligen“ ( )קדשzugeordnet, d.h. ausschließlich für den Dienst Aarons im Heiligtum konzipiert. Zugleich aber – so ist mit V.3b–bI zu ergänzen, wo das Motiv der Heiligkeit mit Aaron verbunden ist – stehen sie in Zusammenhang mit der „Heiligkeit“ ihres Trägers, die wiederum in der in V.1 grundgelegten „Absonderung“ aus der Mitte der Söhne Israels zum Priesterdienst für JHWH grundgelegt ist. Dies fortführend hält zuletzt der Infinitivsatz V.4bI ( – )לכהנו ליkorrespondierend mit V.3cII – fest, dass die Gewänder selbst die Voraussetzung dafür liefern, dass Aaron als Priester für JHWH dienen kann. Etwas zugespitzt könnte man formulieren, dass die Gewänder als die (materielle) Manifestation desjenigen Amtes profiliert werden, das Aaron übertragen bekommen soll.198 Diese de facto-Gleichsetzung von Amt und Priestergewandung ist auch in der Erzählung vom Tod Aarons in Num 20,22–29 greifbar. In dieser steigt Mose zusammen mit Aaron und dessen Sohn und designierten Nachfolger Eleazar auf den Berg Hor (vgl. Num 195 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 300; PROPP, Exodus 19–40, 431; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 172. 196 Die Aufzählung der Gewänder in Ex 28,4b kann wie eine „Inhaltsangabe“ für Ex 28,6–40 erscheinen, steht jedoch insofern auch in einem spannungsreichen Verhältnis zum nachfolgenden Hauptteil der Perikope, als hier der in Ex 28,36–38 beschriebene ṣīṣ fehlt und ḥošæn und ’efod in ihrer Reihenfolge vertauscht sind. 197 Vgl. UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 172. 198 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 298–300.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
20,25.27). Auf dem Berg entkleidet Mose – dem Befehl JHWHs folgend (vgl. Num 20,26) – seinen Bruder, der offensichtlich seine Dienstgewänder trägt, und legt diese dem Eleazar an (Num 20,28ab), woraufhin Aaron sofort stirbt (Num 20,28c). In dem auf dem Berg – außerhalb des Lagers – vollzogenen „Kleidertausch“ vollzieht sich die Übergabe des Amtes von Aaron auf seinen Sohn, wobei die Mitwirkung des Mose, der Aaron ent- und Eleazar bekleidet, letztendlich das Gelingen der Sukzession garantiert.199 Aaron selbst aber ist offensichtlich so weit in seinem Amt aufgegangen, dass nach der geregelten Sukzession bzw. der Übergabe der Gewänder nichts von ihm übrigbleibt; er ist zum „Hohenpriesteramt“ geworden, das von nun an von Eleazar ausgeübt wird.200
Für die Lektüre der Herstellungsanweisungen in Ex 28,6–40 ist aus dieser Konzeptionierung der Priestergewänder als hermeneutische Vorgabe abzuleiten, dass weniger die Beschreibung der Beschaffenheit und Machart einzelner Kleidungsstücke das zentrale Anliegen des Textes ist, sondern dass vor allem die Funktionen und Aufgaben des Priesteramtes umrissen werden, die in der Machart, Beschaffenheit und Ausgestaltung der Gewänder zum Ausdruck kommen. Als Überleitung zu Ex 28,6–40 fungiert schließlich der Vers Ex 28,5, in dem der Auftrag ergeht, dass sich die Handwerker mit allen für die Herstellung der Gewänder benötigten Materialien eindecken sollen. Konkret genannt werden dabei Gold und die vier (eingefärbten) Stoffe, ‚( תכלתBlaupurpur[wolle]‘), ‚( ארגמןRotpurpur[wolle]‘), ‚( תלעת שניKarmesin[wolle]‘) und ‚( ששFeinleinen‘), die bereits in der „Materialliste“ von Ex 25,3–7 auftauchen201, wodurch angedeutet ist, dass die Werkstoffe für die Gewänder – ebenso wie diejenigen für das Heiligtum selbst und seine Geräte – über die in Ex 25,1–7 angeordnete „Kollekte“ zum Bau des Heiligtums bereitgestellt werden202. III. Bedeutung und Funktion der Gewänder Aarons (Ex 28,6–40) In Ex 28,6–40 werden die vier, ausschließlich für Aaron reservierten Gewänder, ’efod (V.6–14), ḥošæn [ha-mišpāṭ] (V.15–30), meʽīl [ha-’efod] (V.31– 35) und ṣīṣ (V.36–38), eingehender beschrieben, die zugleich die oberste und damit nach außen hin sichtbare „Lage“ seiner Gewandung bilden. Darunter ist Aaron mit einem durch eine „Schärpe“ (’abneṭ; V.39b) fixierten „Hemdgewand“ (kuttonæt V.39a) bekleidet, das in gleicher Weise auch von Aarons Söhnen (als deren einziges Gewand) getragen wird (vgl. Ex 28,40ab). Zudem soll für Aaron eine als miṣnæfæt bezeichnete Kopfbedeckung hergestellt werden (Ex 28,39c), an der der ṣīṣ mit Hilfe eines Fadens aus Blaupurpurwolle 199
Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 330–331; ASHLEY, Numbers, 396; SEEBASS, Numeri 10–22, 300; WEIMAR, Priesterschrift, 355–357. 200 Vgl. EDERER, Aufbrüche, 149–151; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 172–173. 201 Vgl. das Gold in Ex 25,3b und die Stoffe in Ex 25,4. 202 Vgl. HARAN, Temples, 169.
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( )תכלתbefestigt werden kann.203 Aarons Söhne hingegen tragen als Kopfbedeckung migba‘ōt ohne ṣīṣ (vgl. Ex 28,40c). Was die verwendeten Materialien sowie die Machart anbelangt, hält Ex 28,39–40 für die nicht eingehender beschriebenen, „normalen“ Priestergewänder fest, dass das Hemdgewand Aarons und seine Kopfbedeckung aus, d.h. aus naturfarbenem (nicht eingefärbtem) Feinleinen ()שש,204 herzustellen sind (Ex 28,39ab), während für die Schärpe in V.39c allein deren Machart angegeben ist: Sie ist als ‚( מעשה רקםBuntweber-Machart‘205) anzufertigen, womit impliziert ist, dass sie – ähnlich wie die Vorhänge am Eingang des Zelts der Begegnung (Ex 26,36) und am Tor des Vorhofs (Ex 27,16), die in derselben Machart zu produzieren sind – aus mehreren, unterschiedlich gefärbten Fäden angefertigt wird, die zu einem mehrfarbigen (gemusterten?) Stoff verwoben sind.206 Ausdrücklich bestätigt wird dies in Ex 39,29, wenn im Zusammenhang mit dem Bericht über die Herstellung der Priestergewänder auch die für die Schärpe verwendeten Stoffe – ‚( שש משזרgezwirntes Feinleinen‘), ‚( תכלתBlaupurpur[wolle]‘), ‚( ארגמןRotpurpur[wolle]‘) und תלעת שני (‚Karmesin[wolle]‘)207 – aufgezählt werden, die in Ex 28,39 nicht genannt sind. Da Ex 28,40 für die (gleichartigen) Gewänder der Söhne Aarons keine zusätzlichen Angaben zu Material und Machart bietet, ist anzunehmen, dass diese den entsprechenden Kleidungsstücken Aarons gleichen; eine Annahme, die wiederum durch den Ausführungsbericht in Ex 39,1–31 bestätigt wird (vgl. Ex 39,27–28). Als einziges mehrfarbig ausgeführtes Kleidungsstück hebt sich die Schärpe von den übrigen Gewändern der Söhne Aarons markant ab und erscheint folglich als deren spezifisches „Amtskennzeichen“.208 Umgekehrt aber steht sie den allein für Aaron reservierten Gewändern ’efod, ḥošæn und meʽīl gegenüber, die die Besonderheiten von Aarons Amt, dem des Gesalbten Priesters, anzeigen. Interessant ist nun, dass diese Differenzierung auch durch die Angaben zu Machart und Materialien unterstrichen wird. So sind zwar ’efod und ḥošæn – wie offensichtlich auch die Schärpe – aus תכלת (‚Blaupurpur[wolle]‘), ‚( ארגמןRotpurpur[wolle]‘), ‚( תלעת שניKarmesin[wolle]‘) und ‚( שש משזרgezwirntes Feinleinen‘) hergestellt, unterscheiden sich aber insofern von letzterer, als in ihnen zusätzlich ‚( זהבGold[faden?]‘) verarbeitet ist (vgl. Ex 28,8.15). Zudem sind sie als ‚( מעשה חשבkunsthandwerkliche Arbeit‘) und nicht als מעשה רקםverfertigt.209 Der meʽīl hingegen besteht zu Gänze aus in blauem Purpur eingefärbter Wolle ( ;תכלתvgl. Ex 28,31) und trägt an seinem Saum Glöckchen und Granatäpfel aus den drei 203
Vgl. JACOB, Exodus, 817–818; PROPP, Exodus 19–40, 522. Vgl. BENDER, Sprache, 58–59. 205 Vgl. dazu BENDER, Sprache, 65. 206 Vgl. BENDER, Sprache, 65–66; JACOB, Exodus, 818. 207 Zu den Farbbezeichnungen und Farbstoffen vgl. BENDER, Sprache, 59–61. 208 Vgl. BENDER, Sprache, 224; HARAN, Temples, 170; JACOB, Exodus, 819. 209 Vgl. HARAN, Temples, 170; KEEL, Brusttasche, 381. 204
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farbigen Wollstoffen (vgl. Ex 28,33). Zur Machart des meʽīl selbst trifft Ex 28,31–34 keine Aussagen;210 lediglich der verstärkte und damit gegen ein Einreißen gesicherte Kragen211 wird in V.32 als מעשה ארג212 qualifiziert. Im Bericht über die Herstellung der Gewänder in Ex 39,1–31 ist allerdings vorausgesetzt, dass der gesamte meʽīl, nicht nur der Kragen, als מעשה ארגverfertigt ist (vgl. Ex 39,22), während für die Granatäpfel zusätzlich zu den drei in Ex 28,33 genannten, eingefärbten Wollstoffen auch gezwirntes Feinleinen ( )שש משזרVerwendung findet (vgl. Ex 39,24), womit Ex 39 zufolge auch im meʽīl die vier für ’efod und ḥošæn gebrauchten Stoffe verarbeitet sind.
Interessant ist dabei, dass die Angaben zu den Materialien und v.a. zur Machart zum einen die Differenzierung innerhalb der Gewänder zwischen den Aaron vorbehaltenen Gewändern und der „normalen“ Priesterbekleidung unterstreichen, die auch durch die literarische Gestaltung des Textes und seine Schwerpunktsetzung herausgestellt wird. Zum anderen aber deuten sie Verbindungen zu textilen Elementen im Zelt der Begegnung an, die aus den gleichen Materialien bzw. in derselben Machart gefertigt sind. So ähneln ’efod und ḥošæn hinsichtlich ihrer „Materialeigenschaften“ dem miškān (vgl. Ex 26,1) und der Parochet (vgl. Ex 26,31), die ebenfalls als ‚( מעשה חשבkunsthandwerkliche Arbeit‘) und aus denselben Stoffen hergestellt sind. Der einzige Unterschied besteht darin, dass bei den beiden Gewandteilen zusätzlich noch Goldfäden (vgl. )זהבzu verwenden sind, die bei den Zelttüchern fehlen.213 Die Schärpe als hervorgehobenes Kleidungsstück der Söhne Aarons hingegen ähnelt – wie oben bereits angedeutet – den Vorhängen am Eingang des Offenbarungszeltes (Ex 26,36) und am Tor des Vorhofs (Ex 27,16), die aus denselben Materialien und ebenfalls als מעשה רקם verfertigt sind. Von Bedeutung ist dies insofern, als die Angaben zu Material und Machart auch eine Zuordnung der jeweiligen Träger der Gewänder zu Räumen im Heiligtum anzudeuten scheinen, die durch Textilien mit vergleichbaren Eigenschaften geprägt sind. So ist der Innenraum des Zelts der Begegnung, das „Heilige“, durch das Zelttuch des miškān und die Parochet bestimmt, da ersteres zumindest an der Decke sichtbar ist und zweitere die Scheidung zwischen „Hochheiligem“ und „Heiligem“ bewerkstelligt und so den Raum des „Heiligen“ begrenzt und definiert. Wenn nun Aaron mit ’efod und ḥošæn Gewänder trägt, die hinsichtlich Material und Machart den für das „Heilige“ maßgeblichen Textilien deutlich entsprechen, wird er erkennbar diesem Raum zugeordnet214 – und tatsächlich wird bereits in Ex 27,20–21 deutlich, dass er für Kultvollzüge im „Heiligen“ zuständig ist, was nachfol210
Vgl. dazu BENDER, Sprache, 230–231. Vgl. BENDER, Sprache, 231. 212 Vgl. dazu BENDER, Sprache, 66. 213 Vgl. HARAN, Temples, 169. 214 Vgl. JÜRGENS, Heiligkeit, 218–221; KEEL, Brusttasche, 381. 211
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gende Texte (vgl. z.B. Ex 30,8–10) noch vertiefen werden. Dem gegenüber sind Aarons Söhne (aber auch Aaron selbst) als Träger der als מעשה רקםqualifizierten Schärpe mit dem Vorhof des Heiligtums verbunden, der durch die beiden Vorhänge vergleichbarer Machart „eingegrenzt“ und definiert wird: durch den Eingang des Zeltes, der den Vorhof und das „Heilige“ trennt und den Vorhang am Tor des Hofes, der den Bereich des Heiligtums vom (profanen) Lager Israels separiert. Im Text von Ex 26–27 „steht“ zudem genau zwischen diesen beiden Vorhängen der Brandopferaltar (vgl. Ex 27,1–8), so dass an dieser Stelle zumindest angedeutet ist, was im weiteren Verlauf des Textes deutlicher werden wird, dass nämlich eine Verbindung auch zwischen dem Altar und den Trägern der Schärpe besteht. In den bisherigen Überlegungen unberücksichtigt blieb der ṣīṣ, der nur aus einer gravierten Metallplatte besteht, die mit Hilfe eines Fadens aus Blaupurpurwolle ( )תכלתan der Kopfbedeckung Aarons befestigt wird. Dieser Unterschied hinsichtlich des Materials deutet bereits eine Sonderstellung des ṣīṣ unter den vier eingehender vorgestellten Kleidungsstücken bzw. „Accessoires“ an, die in der nachfolgenden Auslegung der Textabschnitte noch deutlicher zu Tage treten wird. Umgekehrt ist im Text ein enger Zusammenhang zwischen den drei ersten Gewändern Aarons, ’efod, ḥošæn und meʽīl, angezeigt, der es nahelegt, sie als „komposite Einheit“ wahrzunehmen. 1. Hermeneutische Vorüberlegungen Eine genaue Lektüre der Beschreibungen der einzelnen Gewänder und Gewandteile in Ex 28,6–40.42–43 lässt schnell einen ähnlichen Befund zu Tage treten, wie er auch aus den hinsichtlich Sprache, Stil und Wortwahl sehr ähnlichen Anweisungen im ersten Teil der Heiligtumstora (Ex 25,10–27,19) zu erheben ist: Es ist festzuhalten, dass der Text weder als eine Beschreibung tatsächlich existierender Gegenstände angelegt ist, die über die literarische Fiktion einer „Herstellungsanordnung“ zugleich deren Herkunft und „Ursprungssituation“ ergründen will, noch eine „Bauanleitung“ darstellt, die auf eine konkrete Umsetzung, d.h. auf eine den Vorschriften möglichst genau entsprechende Herstellung der beschriebenen Gewänder in der Welt der Lesenden (!) abzielt. Darauf weist zunächst die oben bereits beschriebene Beobachtung hin, dass die Angaben zu Material und Machart – an sich wesentliche Elemente sowohl einer „Bauanleitung“ als auch einer „Gegenstandsbeschreibung“ – kaum daraufhin angelegt sind, konkrete „Materialeigenschaften“ der Gewänder festzuhalten, da alle „technischen“ Fragen, wie z.B. eine genaue Definition der hinter den kategorisierenden Machartbezeichnungen stehenden Webetechniken oder die Verteilung der verschiedenfarbigen Wollfäden in den Textilien (Muster und Farbverläufe etc.) vollständig ungeklärt bleiben. So kommt den Angaben offensichtlich in v.a. eine literarische Funktion zu: Sie
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
stellen Zusammenhänge zwischen einzelnen Kleidungsstücken und deren jeweiligen Trägern sowie Räumen im Heiligtum her, die durch Textilien vergleichbarer Machart bestimmt sind. Auf diese Weise korrelieren sie textinterne Größen und nehmen eine lektürelenkende Funktion wahr, indem sie Bezüge und Zusammenhänge im Text anzeigen bzw. konstituieren. Darüber hinaus fällt auf, dass zwar jedes der eingehender beschriebenen Gewandstücke Aarons im Text als ein vollständiges Ganzes vorausgesetzt ist, dass der Text die konkrete Beschreibung diese „Ganzheit“ aber nie einholt und es gewissermaßen der „Rekonstruktionsleistung“ der Lesenden überlässt, sie herzustellen. Tatsächlich beschrieben werden stets nur einzelne Teile der Gewänder, wobei eine Analyse der Texte zeigen kann, dass diese Einzelelemente jeweils um einer Funktion oder Bedeutung willen thematisiert werden, die sie ausfüllen bzw. die ihnen zukommt, so dass auch die ausführlichere Beschreibung von Details weniger auf ein Bild des Gegenstandes selbst abzielt, sondern stets mit der Funktion verbunden ist, die Bedeutung desselben zu erhellen. Ablesbar ist dies auch daran, dass jede der vier Herstellungsanweisungen in einem kurzen Textabschnitt (vgl. Ex 28,12.29–30.35.38) kulminiert, der letztendlich eine theologische Deutung vornimmt – und dazu jeweils auf die zuvor eingehender beschriebenen „Teilelemente“ des jeweiligen Gewandes rekurriert. Alles darüber Hinausgehende aber ist für die Pragmatik des Textes sekundär. Für die nachfolgende Auslegung von Ex 28,6–40.42–43 ist aus diesen Vorüberlegungen abzuleiten, dass der Fokus zunächst darauf liegen muss, die Schwerpunktsetzung des Textes nachzuvollziehen, also präzise zu bestimmen, welche „Einzelteile“ der jeweiligen Gewänder in den Mittelpunkt gerückt werden, um aufbauend darauf, deren Bedeutung und Funktion analysieren zu können. Leitidee ist dabei die in Ex 28,1–5 entwickelte hermeneutische Vorgabe des Textes, wonach die beschriebenen Gewänder sinnenfälliger Ausdruck des Amtes sind, das Aaron und seinen Söhnen „in den Gewändern“ übertragen werden soll. 2. ’efod und ḥošæn An erster Stelle sind – dem Text folgend – der ’efod, sowie der eng mit diesem verbundene ḥošæn vorzustellen, deren Beschreibung in Ex 28,6–14.15– 30 alleine über zwei Drittel der „Herstellungsanweisungen“ in Ex 28,6–40 einnimmt. a) Herstellungsanweisungen Den Anfang macht der ’efod, der in Ex 28,6–14 als erstes der „besonderen“ Kleidungsstücke Aarons zur Sprache kommt und zugleich die oben angesprochene Beobachtung bestätigt, dass die vorgestellten Gewänder zu großen Teilen eben nicht beschrieben werden. So gibt der Text – über die Angaben
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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zur Materialbeschaffenheit (vgl. Ex 28,6) hinaus – keinerlei Informationen zum Aussehen des ’efod selbst.215 Eingehender thematisiert werden nämlich nur zwei „Bestandteile“ des ’efod, die zunächst wie „Anhängsel“ zum eigentlichen Kleidungsstück wirken und dennoch in der Beschreibung von Ex 28 die wesentlichen Elemente desselben darstellen: Dies sind an erster Stelle zwei „Schultern“ bzw. „Schulterstücke“ ()כתפת, die von beiden Seiten bzw. Ecken ( )קצותdes ’efod ausgehen (Ex 28,7a) und – je nachdem wie die Formulierung ‚( וחברund verbunden‘; Ex 28,7b) zu interpretieren ist – untereinander oder mit dem ’efod selbst verbunden sind.216 Da letzteres wohl bereits durch das auf die כתפתbezogene Adjektiv חברתin V.7a ausgesagt ist, erscheint ersteres plausibler.217 Daneben ist als zweites Element ein ‚( חשבBinde‘) erwähnt (Ex 28,8a1), das am ’efod angebracht (vgl. V.8aR), von selber Machart bzw. aus denselben Materialien gefertigt ist (V.8a2) und zudem vom ’efod ausgeht (V.8a2), also wie die Schulterstücke mit ihm eine Einheit bildet. Der Infinitiv אפדתו, in dem ein eigenes Verb für das Anlegen des ’efod nachklingt, deutet an, dass die Binde dem Anlegen oder Befestigen des ’efod dient.218 Ausgehend von diesen Vorgaben wird der ’efod zumeist als eine Art „Schürze“ vorgestellt, die auf der Rückenseite getragen die Lenden sowie einen Teil des Rückens bedeckt und auf der Bauchseite über den Hüften mit Hilfe der ‚Binde‘ fixiert wird. Zugleich gehen von ihm „Bänder“ oder „Riemen“, die in V.7 angesprochenen כתפת, aus, die untereinander verbunden sind und bis zu den Schultern reichen.219 Eine solche „Rekonstruktion“ ergibt sich allerdings nicht allein aus den Informationen, die der Text von Ex 28 selbst zur Verfügung stellt.
Neben der äußerst knappen und nur schwer nachvollziehbaren Beschreibung in Ex 28,6–8, die nur das für die weitere Darstellung Wesentlichste andeutet, fokussiert der Text schließlich auf zwei שהם-Steine (vgl. Ex 28,9–11), die in Goldfassungen (vgl. V.11b) auf den in V.7 eingeführten „Schulterstücken“ anzubringen sind, wobei die Schulterstücke selbst ganz offenkundig v.a.220 deshalb in Ex 28,7 angesprochen werden, weil sie für die Beschreibung der 215
Vgl. JACOB, Exodus, 808. Vgl. HARAN, Temples, 166; JACOB, Exodus, 808; PROPP, Exodus 19–40, 435–436. Ausführliche Spekulationen zum Aussehen (und zur Textgeschichte) bietet ELLIGER, Ephod, 20–24. 217 Vgl. BENDER, Sprache, 235–236; HOUTMAN, Exodus 3, 486. 218 Vgl. BENDER, Sprache, 235–236; HOUTMAN, Exodus 3, 486–487; JACOB, Exodus, 808; PROPP, Exodus 19–40, 436. 219 Vgl. BENDER, Sprache, 236–237; HARAN, Temples, 166–168; HOUTMAN, Exodus 3, 485. 220 Eine zweite – über ihre Funktion als „Befestigungsort“ für die Steine hinausgehende – Rolle der Schulterstücke wird in Ex 28,22–28 deutlich, da dieser Text unterstreicht, dass die „Schultern“ ( )כתפתund die „Binde“ ( )חשבdes ’efod auch der Befestigung des ḥošæn dienen. 216
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Steine, auf denen der Hauptakzent des Textabschnitts liegt, „benötigt“ werden.221 Die wesentlichste Funktion der Steine besteht dabei darin, als „Schriftträger“ zu fungieren, da in sie die Namen der Söhne Israels zu gravieren sind (vgl. Ex 28,9–10). Ex 28,12 aber bietet darauf aufbauend eine ausführliche Deutung und Funktionsbestimmung der Steine, auf die unten ausführlicher einzugehen ist.222 Ex 28,13–14 beschreibt schließlich goldene Kordeln, die an Goldfassungen zu befestigen sind. Die Funktion dieser Elemente bleibt (vorerst) ebenso unklar, wie der genaue Ort ihrer Anbringung, ausgehend von Ex 28,23–28 ist jedoch zu vermuten, dass sie – neben anderen, erst in Ex 28,23–28 eingeführten Elementen – dazu benötigt werden, den ḥošæn am ’efod zu befestigen und zu diesem Zweck wohl an den Schulterstücken (vgl. Ex 28,24–25) anzubringen sind. Vor diesem Hintergrund liegt die literarische Funktion von Ex 28,13–14 in erster Linie darin, von der Beschreibung des ’efod zum Textabschnitt Ex 28,15–30 überzuleiten, in dem der ḥošæn genauer vorgestellt wird.223 Dieser ist – wie Ex 28,15b ausdrücklich vermerkt – in exakt gleicher Machart wie der ’efod herzustellen, d.h. aus den gleichen Stoffen (vgl. Ex 28,15c) und ebenfalls als ‚( מעשה חשבkunsthandwerkliche Arbeit‘),224 wodurch bereits von Anfang an ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Gewandstücken deutlich – und durch den Text auch explizit gemacht (vgl. V.15b) – wird. Ex 28,16 beschreibt schließlich sehr knapp das Aussehen des ḥošæn, das in V.16a im Wesentlichen durch zwei Stichworte angedeutet wird, ‚( רבועviereckig‘225) und ‚( כפולzusammengefaltet‘), die es nahelegen, sich den ḥošæn als eine kleine, quadratische „Stofftasche“ vorzustellen.226 Nachdem damit in Ex 28,15–16 die grundsätzliche Machart eher grob skizziert als präzise beschrieben ist, fokussiert der Text deutlich ausführlicher auf zwei Details, die offenbar das Wesentliche am ḥošæn ausmachen: Dies sind einerseits zwölf Steine, die geometrisch angeordnet am ḥošæn anzubringen sind und als Gravur je einen der Namen der Söhne Israels tragen (vgl. Ex 28,17–21[.29–30]). Mit gleicher Ausführlichkeit wie diese wird aber auch die Verbindung zwischen ḥošæn und ’efod thematisiert.227 Die – in ihrer Detailliertheit bisweilen nur schwer nachvollziehbare – Beschreibung in Ex 28,22– 28 gibt dabei vor, wie der ḥošæn an seiner Oberseite an den Schulterstücken 221
Vgl. BENDER, Sprache, 236. Vgl. JACOB, Exodus, 810. 223 Vgl. BENDER, Sprache, 238–239; ELLIGER, Ephod, 25; HOUTMAN, Exodus 3, 488; JACOB, Exodus, 809–810. 224 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 492. 225 Die Maßangaben in V.16bc deuten präzisierend an, dass der ḥošæn mit je einer Handspanne ( )זרתSeitenlänge für Höhe und Breite quadratisch auszuführen ist. 226 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 492; PROPP, Exodus 19–40, 438–439. 227 Vgl. JACOB, Pentateuch, 214(–218). 222
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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( )כתפתdes ’efod (vgl. Ex 28,7), mit seiner Unterseite aber an dessen Binde ( ;חשבvgl. Ex 28,8) zu befestigen ist, so dass er letztendlich über dem Oberkörper Aarons seinen Platz findet. Die eigentlich zentrale Idee des Abschnitts Ex 28,22–28 formuliert dessen Abschlusssatz Ex 28,28b, der unterstreicht, dass ’efod und ḥošæn einmal verbunden, eine dauerhafte und untrennbare Einheit bilden sollen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Verlauf auch die genaue Bedeutung und Funktion der in Ex 28,7–8 genauer beschriebenen „Anhänge“ des ’efod, d.h. der Schulterteile ( )כתפתund der Binde ( )חשבdeutlich(er) wird, da beide – je über „Verbindungsstücke“ wie Goldringe und Schnüre aus Blaupurpurwolle ( – )תכלתals Befestigungspunkte für den ḥošæn dienen. Für die in Ex 28,29–30 entfaltete Funktionsbeschreibung aber erweisen sich v.a. die Steine des ḥošæn als zentral, die ihrerseits in den Steinen des ’efod ein direktes Korrelat finden. Dazu kommen – als „rätselhaftes“ Element – die in Ex 28,30a erwähnten ʼūrīm und tummīm. Da die Beschreibung von ’efod und ḥošæn v.a. auf die deutenden Verse Ex 28,12.29–30 ausgerichtet ist, wird auf diesen der Fokus der nachfolgenden Analyse liegen. Mit zu berücksichtigen sind allerdings auch die Verse Ex 28,9–11.17–21, in denen die jeweiligen Steine eingeführt werden. b) Beschriftete Steine Den Steinen von ’efod und ḥošæn ist zunächst gemeinsam, dass sie als Schriftträger fungieren: In sie sind jeweils die Namen der Söhne Israels ( שמות ;בני ישראלvgl. Ex 28,9b.[10.]11a.[12b.]21.29a) graviert (פתח-pi). Dies bedeutet, dass sie abgesehen von der unterschiedlichen Anordnung – zwei Steine mit je sechs Namen (vgl. Ex 28,9–10) oder zwölf Steine mit je einem Namen (Ex 28,17–21) – anscheinend denselben Text enthalten, der damit zwei Mal auf den beiden letztlich zu einer Einheit verbundenen (vgl. Ex 28,28b) Gewändern präsent wäre. Dieser Befund aber – die (vermeintliche) Verdopplung derselben Inschrift mit einer gleichzeitigen Veränderung des Arrangements – bedarf einer näheren Erklärung, die ihrerseits einen genaueren Blick auf Ex 28,9–11.17–21 voraussetzt. 9a 9b 10a 10b 11a
11b
Nimm die zwei šoham-Steine und graviere ( )פתחauf sie die Namen der Söhne Israels: Sechs von ihren Namen auf den einen Stein und die sechs übrigen Namen auf den zweiten Stein – gemäß ihrer Abstammungen // Zeugungen ()כתולדותם. Als Steinschneidearbeit, als Siegelgravur sollst du die zwei Steine gravieren ()פתח entsprechend ( )עלden Namen der Söhne Israels. Eingelegt in Fassungen aus Gold sollst du sie machen. (Ex 28,9–11)
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
17a 17b 17c 17d 18 19 20a 20b 21a 21b 21c
Du sollst ihn (= den ḥošæn) mit gefasstem Stein besetzen, vier Reihen Stein. Eine Reihe: ’odæm, piṭdā und bāræqæt; die eine Reihe. Und die zweite Reihe: nofækh, sappīr und jāhălom. Und die dritte Reihe: læšæm, ševō und ’aḥlāmā. Und die vierte Reihe: taršīš und šoham und jåšefe. Eingefasst in Gold seien sie in ihren Fassungen Und die Steine seinen entsprechend ( )עלden Namen der Söhne Israels, zwölf, entsprechend ( )עלihren Namen, in Siegelgravur, jeder entsprechend ( )עלseinem Namen, seien sie für die zwölf Stämme. (Ex 28,17–21)
Die Beschreibung der Schultersteine des ’efod setzt in Ex 28,9a mit der Aufforderung ein, die zwei šoham-Steine ( )את שתי אבני שהםzu nehmen. Auffällig in dieser Formulierung ist zunächst der Objektmarker את, der eine Determination des nachfolgenden Objekts (שתי אבני שהם, ‚[die] zwei šoham-Steine‘) voraussetzt.228 Diese ist grammatikalisch durch den Eigennamen שהםgegeben, sie insinuiert – durch das אתhervorgehoben – zugleich aber auch, dass die beiden Steine als eine bereits bekannte Größe vorausgesetzt sind, die letztlich nur noch zur Hand genommen werden muss (vgl. ;ולקחתV.9a). Bekannt aber können sie nur durch die „Kollekten-Liste“ Ex 25,3–7 sein, in der ausdrücklich šoham- und millu’īm-Steine für ’efod und ḥošæn genannt sind (Ex 25,7), doch ist zugleich festzuhalten, dass Ex 25,7 zwar einen Plural, nicht jedoch die in Ex 28,9a vorausgesetzte Zweizahl vorgibt, so dass Ex 28,9a zugleich eine Präzisierung einbringt. Andererseits aber wird allein schon durch den Rückverweis auf den Vers Ex 25,7, in dem die Steine des ’efod und des ḥošæn nebeneinander eingeführt werden, ein innerer Zusammenhang der beiden Schriftträger angedeutet. Ex 28,9b ordnet schließlich an, auf die beiden Steine die Namen der Söhne Israels zu gravieren (פתח על-pi; Ex 28,9b), was in Ex 28,10 durch zusätzliche Angaben präzisiert wird. So sollen sechs „von ihren Namen“ ( ;משמותםV.10a) auf dem einen, und die „verbleibenden“ ( ;נותריםV.10b) sechs auf dem anderen Stein platziert werden. Interessanterweise jedoch wird die Gesamtzahl von „zwölf“ Namen selbst nicht ausdrücklich genannt, sondern zunächst lediglich als Summe von sechs und sechs präsentiert. Zugleich unterstreichen sowohl die Präposition מןin V.10a als auch das Adjektiv ‚( נותריםübrige‘) in V.10b, dass die (zwölf) „Namen der Söhne Israels“ als eine Einheit zu begreifen sind, aus der die sechs Namen auf dem ersten Stein lediglich eine Auswahl darstellen (‚ ;ששה משמותםsechs von ihren Namen‘), die eine Komplettierung durch „die verbleibenden sechs“( )הששה הנותריםauf dem zweiten Stein 228
Vgl. GESENIUS §117d. Vgl. auch HOUTMAN, Exodus 3, 487.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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zwingend erfordert. Die auf die šoham-Steine gravierte Inschrift ist somit ausdrücklich als ein (zusammengehöriger) Text ausgewiesen, der aus ästhetischen oder pragmatischen Gründen auf zwei – an sich aber wieder gleichartige – Schriftträger verteilt wird.229 Einen weiteren Hinweis auf Inhalt und Anordnung des Textes gibt schließlich auch die adverbiale Wendung ‚( כתולדתםgemäß ihrer Abstammungen / Zeugungen‘). Diese legt es zunächst nahe, dass in Ex 28,9a die Wendung בני ‚( ישראלSöhne / Kinder Israels‘) – abweichend von dem im Exodusbuch und auch in der Heiligtumstora üblichen Sprachgebrauch (vgl. Ex 25,2.22; 27,20– 21; 28,1) – nicht das Volk Israel oder näherhin die Exodusgeneration, sondern im Speziellen die zwölf leiblichen Söhne Jakob-Israels bezeichnet.230 Dies wird auch durch die Beobachtung gestützt, dass die Formulierung שמות בני ישראל, die in Ex 28,9a den „Inhalt“ der Inschrift angibt, – über die weiteren Belege in Ex 28 hinaus – in der Tora nur noch an zwei weiteren Textstellen zu finden ist, in Gen 46,8; Ex 1,1. In diesen beiden Versen findet sich das in Ex 28 (mehrfach) aufgenommene Stichwort שמות בני ישראלjeweils in der Wendung ‚( ואלה שמות בני ישראל הבאים מצרימהDies aber sind die Namen der Söhne Israels, die nach Ägypten kamen…‘).231 Diese leitet in Gen 46 eine Genealogie der Jakobsfamilie ein (Gen 46,8–27), die innerhalb der Josefgeschichte an der Stelle platziert ist, an der Jakob-Israel zusammen mit seinem „Haus“ das Land Kanaan verlässt und nach Ägypten zieht (vgl. Gen 46,1–7). Als Gesamtdarstellung des nach Ägypten übersiedelnden „Hauses Jakobs“ bietet Gen 46,8–27 dabei deutlich mehr als die zwölf in Ex 28,9–10 in den Blick genommenen Namen der Jakobsöhne – der Abschlussformulierung in Gen 46,27 zufolge sind es 70 Namen, wobei es nicht ohne weiteres möglich ist, diese Summe durch das Abzählen der im Text genannten Namen tatsächlich auch zu erreichen.232 Allerdings – und hier liegt die Brücke zu Ex 28,9– 10 – entfaltet Gen 46,8–27 die Nachkommenschaft Jakob-Israels (im Wesentlichen) entlang der zwölf Söhne, wobei dieses „Gliederungsprinzip“ insofern durch ein weiteres überlagert ist, das sich gegenüber der Zwölfteilung sogar noch in den Vordergrund schiebt, als die zwölf Stammväter (mit ihren Familien) nach ihren jeweiligen Müttern angeordnet sind. Dies hat zur Folge, dass die Genealogie letztendlich in vier größere Abschnitte unterteilt ist, die jeweils durch separate Summenangaben abgeschlossen werden, während durch 229 230
Vgl. JACOB, Exodus, 910. Vgl. JACOB, Pentateuch, 314–315; DERS., Exodus, 810; PROPP, Exodus 19–40, 436–
437. 231
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 91; HIEKE, Genealogien, 196; JACOB, Exodus, 3. Zu den verschiedenen Lösungsansätzen für diese „Inkongruenz“ und den dahinterstehenden hermeneutischen Problemen vgl. die ausführlichen Erörterungen bei EBACH, Genesis 37–50, 438–445; 456; 460–463. Vgl. auch DOHMEN, Ex 1–18, 97–99; HIEKE, Genealogien, 197–200; JACOB, Pentateuch, 83–91; DERS., Genesis, 832–835; SARNA, Exodus, 4. 232
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die jeweiligen Söhne die Feingliederung der Abschnitte vorgegeben ist.233 So beschäftigen sich die Verse Gen 46,9–15 mit Lea und ihren sechs Söhnen, Gen 46,10–18 mit Leas Magd Silpa und ihren zwei Söhnen, Gen 46,19–22 mit Rahel und ihren zwei Söhnen und schließlich Gen 46,23–25 mit Rahels Magd Bilha und ihren ebenfalls zwei Söhnen.234 Die zweite Belegstelle, Ex 1,1, hingegen setzt durch die wörtliche Aufnahme von Gen 46,8a, der Eröffnung der ausführlichen Genealogie in Gen 46,8–27, einen ausdrücklichen Rückbezug auf diesen Text, der in Ex 1,5a durch die Aufnahme der Zahl 70 aus Gen 46,27 noch zusätzlich intensiviert wird.235 Die Zahl 70 steht dabei für die Gesamtzahl der aus den Lenden Jakobs Gekommenen (vgl. Ex 1,5a), die den 70 nach Ägypten gekommenen Personen des „Hauses Jakob“ (vgl. Gen 46,27) entsprechen sollen. Anders als in Gen 46 sind die (annähernd) 70 Namen in Ex 1,1–5 nicht mehr genannt.236 Stattdessen findet sich – eingeschoben zwischen die Sätze Ex 1,1 und Ex 1,5a, die zentrale Stichworte und Formulierungen von Beginn und Abschluss von Gen 46 aufnehmen – eine Aufzählung der Söhne Jakob-Israels, die auf eine ausdrückliche Nennung ihrer Mütter ebenso verzichtet, wie auf die Auflistung ihrer eigenen Nachfahren. An letztere erinnert lediglich Ex 1,1b in dem pauschalen Hinweis darauf, dass ein jeder der Söhne Israels mit seinem Haus (vgl. )איש וביתוnach Ägypten kam. So kann Ex 1,1–5 als eine „Kurzfassung“ von Gen 46 gelesen werden,237 die in wesentlichen Details allerdings auch von der ihr vorausgehenden „Langfassung“ abweicht. So bietet Ex 1,2–4 zunächst nur elf Namen, da Josef, dessen „logischer“ Platz innerhalb der Liste in V.3 zwischen Sebulon und Benjamin wäre, zunächst fehlt. „Nachgetragen“ wird er in Ex 1,5b – und damit nach dem Hinweis auf die Gesamtzahl von 70 Personen, die bereits den Abschluss der Aufzählung markiert. Wenn er dabei als derjenige vorgestellt wird, der (schon zuvor) in Ägypten war, scheint er einerseits tatsächlich nicht zu denen zu passen, die – wie Ex 1,1 formuliert – „mit Jakob nach Ägypten kamen“ ()הבאים את יעקב מצרימה, obwohl er als בן ( ישראלvgl. V.1a) dennoch zu ihnen gehört.238 So ist eine Sonderrolle des Josef markiert239, die allerdings bereits in Gen 46 auszumachen ist und dort v.a. anhand der Josef-Söhne Efraim und Manasse reflektiert wird.240 Diese nämlich werden als in Ägypten Geborene zusammen mit ihrem ebenfalls in Ägypten befindlichen Vater zunächst unter den Söhnen bzw. Nachfahren 233
Vgl. HIEKE, Genealogien, 197–198. Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 94–95; HIEKE, Genealogien, 197. 235 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 94; DURHAM, Exodus, 3–4; HIEKE, Genealogien, 196– 197; JACOB, Exodus, 3; PROPP, Exodus 1–18, 127. 236 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 94. 237 Vgl. PROPP, Exodus 1–18, 127. 238 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 91–92; JACOB, Exodus, 5–6. 239 Vgl. ausführlicher DOHMEN, Exodus 1–18, 92–93. 240 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 92–93; EBACH, Genesis 37–50, 453. 234
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Rahels genannt (Gen 46,20), womit die Vollständigkeit der Genealogie sichergestellt ist. Dann aber werden sie in Gen 46,26–27 zu den 66 faktisch nach Ägypten gekommenen Personen des Hauses Jakob – wieder zusammen mit Josef – nochmals hinzugezählt, um so das in Gen 46,27 vorgegebene Endresultat von 70 Personen (trotzdem nicht) zu erreichen.241 Ein zweiter Unterschied zwischen Ex 1 und Gen 46 ist schließlich durch die Anordnung und Reihenfolge der (verbliebenen) Namen gegeben. So ist zwar das in Gen 46 vorherrschende Prinzip, die Söhne nach ihren Müttern zu gruppieren, auch in Ex 1,1–5 beibehalten, obwohl die Mütter selbst gar nicht genannt sind. Doch folgen nun auf die sechs Lea-Söhne (Ruben, Simeon, Levi, Jehuda, Issachar und Sebulon; V.2–3) nicht – wie in Gen 46 – die Söhne der Lea-Magd Silpa, sondern zunächst der Rahel-Sohn Benjamin (V.3), der syndetisch an die beiden vor ihm genannten Leasöhne Issachar und Sebulon angeschlossen ist und daher zusammen mit diesen eine „Gruppe“ zu bilden scheint.242 Die Söhne der Mägde hingegen beschließen in Ex 1,4 die Liste, wobei sie über die Verteilung von Syndese und Asyndese je als (Voll-) Bruder-Paare markiert werden. Dabei sind die Söhne von Rahels Magd Bilha (Dan und Naftali) vor denen der Lea-Magd Silpa (Gad und Ascher) genannt.243 Mit dieser Anordnung folgt Ex 1,1–5 exakt der Systematik von Gen 35,23–26.244 Dort nämlich sind die zwölf Brüder – mit ausdrücklicher Nennung ihrer jeweiligen Mütter – so angeordnet, dass die sechs Leasöhne am Anfang (Gen 35,23) zusammen mit den zwei (Lea zugerechneten) Söhnen Silpas am Schluss (Gen 35,26) einen Rahmen um die Söhne Rahels (Josef und Benjamin; Gen 35,24) und die ihrer Magd Bilha (Gen 35,25) legen.245 Wenn es nun darum geht, die über die Wendung ‚( שמות בני ישראלNamen der Söhne Israels‘) hergestellten Bezüge zu Gen 46,8–27; Ex 1,1–5 für die Interpretation von Ex 28,9–10 auszuwerten, so kann ein Blick auf diese genealogischen Passagen zunächst dabei helfen, die adverbiale Wendung כתולדתם (‚gemäß ihrer Abstammungen / Zeugungen‘) in Ex 28,10b genauer zu fassen. Diese weist ja nicht nur auf den „Inhalt“ des Textes auf den Steinen des ’efod hin – die Namen der zwölf Jakob-Söhne –, sondern deutet zugleich eine bestimmte Anordnung des Textes an,246 wobei sich mit Blick auf Gen 46; Ex 1 im Wesentlichen zwei Möglichkeiten ergeben: So kann das כתולדתםeinerseits – gleichsam nur mit Blick auf den allen zwölf Ahnherren gemeinsamen Vater, Israel-Jakob – auf die Abfolge ihrer 241
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 97–99; EBACH, Genesis 37–50, 438–445; 456; 460– 463; JACOB, Pentateuch, 83–91. 242 Vgl. HOUTMAN, Exodus 1, 227–228. 243 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 94–95; HOUTMAN, Exodus 1, 227. 244 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 95–96; JACOB, Exodus, 2; SARNA, Exodus, 3. 245 Vgl. HIEKE, Genealogien, 156–157; JACOB, Exodus, 2–3; PROPP, Exodus 1–18, 127–128. 246 Vgl. dazu auch JACOB, Pentateuch, 314–315.
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Zeugungen verweisen, die aus der Erzählung von der Geburt der Jakob-Söhne in Gen 29,1–30,24[; 35,16–20] abzuleiten ist. Die Namen selbst aber sind in der durch diese vorgegebenen Reihenfolge anzuordnen und aus Gründen der Symmetrie gleichmäßig (sechs zu sechs) auf die beiden Schultersteine verteilt, d.h. die Namen der sechs älteren Brüder auf dem einen und die der sechs jüngeren auf dem anderen Stein.247 Diese Interpretation wird u.a. in der jüdischen Tradition favorisiert, wobei RASCHI (zu Ex 28,10)248 darauf hinweist, dass – unter der Voraussetzung, dass der Name Benjamin מלא (‚voll‘), d.h. mit Pleneschreibung in der letzten Silbe ()בנימין, geschrieben wird – auf beiden Steinen je 25 Buchstaben platziert sind.249 Folglich ist für ihn – über die in der biblischen Erzählung vorgegebene Geburtsreihenfolge hinaus – v.a. die exakte Symmetrie der beiden Steine und somit letztendlich ein ästhetisches Moment das bestimmende Kriterium der Textanordnung.
Wenn damit die Aufteilung auf zwei Schriftträger grundsätzlich pragmatischen und / oder ästhetischen Gründen entspringt, nicht aber im verschrifteten Text selbst begründet ist, weist auch eine in diesem Sinne כתולדתםangeordnete Inschrift mit den Namen der Söhne Israels auf die Zusammengehörigkeit und gegenseitige Verwiesenheit der Steine hin, die – wie oben dargestellt – auch Ex 28,9 unterstreicht.250 Alternativ aber wäre es – angesichts des Rückbezugs auf Gen 46,8–27; Ex 1,1–5 – ebenfalls möglich, das in diesen beiden Texten grundgelegte Gliederungsprinzip auch für die Inschrift auf den šoham-Steinen anzunehmen,251 was bedeuten würde, dass die adverbiale Wendung כתולדתםin V.10b auf die Abstammung von beiden Elternteilen, d.h. auf die Zeugung durch den Vater Jakob-Israel und auf die Geburt durch eine der vier Frauen Jakobs, verweist, woraus folgt, dass die zwölf Namen nicht nur nach dem Alter der Jakobsöhne, sondern auch nach ihren jeweiligen Müttern geordnet sind. In diesem Fall könnte die zunächst ästhetisch-pragmatisch begründete Aufteilung der zwölf Namen auf zwei Hälften zu je sechs Namen auch mit einer „sachlichen Begründung“ gestützt werden. Immerhin hat ja Lea alleine sechs Söhne, denen die je zwei Söhne Rahels und der beiden Mägde – also ebenfalls sechs Namen – gegenüberstehen. Gegen eine solche – sehr einfache – Aufteilung spricht allerdings, dass die Söhne der Mägde Bilha und Silpa eigentlich mit der jeweiligen (Haupt-)Frau Jakobs zu verbinden sind. Dies bedeutet, dass eine Aufteilung von acht (sechs Leasöhne und zwei Söhne Silpas) zu vier (je zwei Söhne von Rahel und Bilha) – mit Blick auf den „Inhalt“ des Textes – 247
Vgl. JACOB, Exodus, 811; 910. Vgl. RASCHI nimmt dabei wohl auf bSota 36a Bezug. 249 Vgl. JACOB, Pentateuch, 314; DERS., Exodus, 811; HOUTMAN, Exodus 3, 487; PROPP, Exodus 19–40, 437. 250 Vgl. JACOB, Exodus, 910. 251 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 487; SARNA, Exodus, 179. 248
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als wesentlich sachgemäßer erschiene. Doch kann gerade Gen 46 auch die von der Symmetrie geforderte, gleichmäßige Aufteilung (6:6) zumindest zum Teil auch sachlich untermauern.252 Immerhin vermerkt die Summenangabe in Gen 46,15, dass die gemeinsamen Nachfahren von Jakob-Israel und Lea insgesamt 33 Personen umfassen – und damit exakt die Hälfte der insgesamt 66 Personen, die Gen 46,26 zufolge mit Jakob von Kanaan nach Ägypten ziehen. So liegt eine Zweiteilung in „Lea-Nachfahren“ und „Übrige“ nicht fern. In Ex 1,2–4 hingegen verwischen die „Ausgliederung“ Josefs aus der Liste der nunmehr nur noch elf Jakobsöhne (s.o.) sowie die enge syntaktische Anbindung des Rahel-Sohns Benjamin an die Söhne Leas (vgl. Ex 1,3!) die in der an sich sehr ähnlich gestalteten Liste von Gen 35,23–26 grundgelegte Struktur (Söhne Leas – Söhne Rahels – Söhne der Rahelmagd Bilha – Söhne der Leamagd Sipla, d.h. Lea – Rahel – „Rahel“ – „Lea“), die eher eine 8:4Aufteilung nahelegt,253 so weitgehend, dass auch Ex 1,1–5 einer Aufteilung von 6:6 nicht entgegensteht. Wenngleich also die gleichmäßige Aufteilung der Namen im Verhältnis 6:6 durch Gen 46; Ex 1 keineswegs mit Vehemenz eingefordert und als notwendig qualifiziert wird, kann der zweite Deutungsansatz doch die gleichmäßige Aufteilung der Namen auf zwei Steine um eine sachliche Grundlage erweitern – obgleich doch deutlich festgehalten werden muss, dass auch hier das eigentliche mit der 6:6-Aufteilung verbundene Ziel darin besteht, eine möglichst weitgehende Symmetrie der Steine herzustellen und so die enge Verwiesenheit derselben aufeinander augenscheinlich zu machen. Interessant ist somit, dass die Angaben zu Inhalt und Anordnung des Textes auf den beiden Schultersteinen des ’efod – gerade wegen des Bezugs zu Gen 46; Ex 1 – mehrere Möglichkeiten der Textanordnung zulassen und somit keine eindeutige, unmittelbar „nachzubauende“ „Herstellungsanleitung“ ergeben. Das zentrale Anliegen des Textes liegt somit offenbar nicht darin, das genaue Aussehen der Steine zu beschreiben bzw. vorzugeben, sondern eher darin, die Frage nach ihrer Bedeutung und Funktion aufzuwerfen. Diesem Zweck aber dienen auch die nachgezeichneten Bezüge zu Gen 46; Ex 1, über die letztendlich die hinter den Namen stehenden Personen in den Blick kommen, deren „Besonderheit(en)“ für eine Auslegung der Deutung der Steine in Ex 28,12 zu berücksichtigen ist,254 zu der Ex 28,11 mit seinen Angaben zur handwerklichen Ausführung der Gravur sowie zur Befestigung der Steine in Goldfassungen überleitet. Bevor jedoch dieser zentrale Vers eingehender analysiert wird, ist zunächst noch auf die Steine des ḥošæn einzugehen , die – wie Ex 28,21ac unter Wie252 Zu den Problemen rund um die Summenzahl 33 in Gen 36,15 vgl. EBACH, Genesis 37–50, 449. 253 Vgl. dazu HIEKE, Genealogien, 200–201. 254 Vgl. dazu EBACH, Genesis 37–50, 464.
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deraufnahme zentraler Formulierungen aus Ex 28,11 unterstreicht – von grundsätzlich gleicher Machart sind, wie die Steine des ’efod. Anders als beim ’efod sind nun aber nicht zwei gleiche Steine (šoham) vorgesehen, die zusammen letztendlich als ein (zusammengehöriger) Schriftträger inszeniert werden, sondern zwölf unterschiedliche Edelsteine, die auf dem ḥošæn in vier Reihen zu je drei Steinen zu gruppieren sind (Vgl. Ex 28,17–20). Da somit – wie Ex 28,21b ausdrücklich festhält – die Gesamtzahl der Steine der Anzahl der (Namen der) Söhne Israels entspricht, ist für jeden Namen ein eigener Stein reserviert (vgl. Ex 28,21c). Auf diese Weise wird einerseits die „Eigenständigkeit“ jedes einzelnen Namens deutlich stärker betont, als dies durch das „Arrangement“ der Namen auf den Schultersteinen der Fall ist, so dass die Gemeinschaft der „Söhne Israels“ als in sich vielfältig und vielgestaltig profiliert wird. Gleichzeitig unterstreichen sowohl der Hinweis auf die Anordnung der Steine in vier Dreier-Blöcken (vgl. V.17–20) als auch die Angabe der Gesamtzahl von Steinen bzw. Namen (vgl. das Zahlwort ;שתים עשרה ‚zwölf‘; V.21b), dass (innere) Vielgestaltigkeit nicht mit einem Zerfall in Verschiedenheit zu verwechseln ist, der die Einheit der „Söhne Israels“ aufheben oder sprengen würde. Ein besonderes Gewicht kommt schließlich der Formulierung לשני עשר שבט (‚für die zwölf Stämme‘) in Ex 28,21c zu, die eine weiterführende Angabe zum Inhalt der Inschrift(en) auf den zwölf Steinen liefert und damit im Abschnitt zum ḥošæn (Ex 28,15–30) eine ähnliche Funktion wahrnimmt, wie die adverbiale Wendung ‚( כתולדתםgemäß ihrer Abstammungen / Zeugungen‘; Ex 28,10b) in der Beschreibung des ’efod.255 Sie erweist sich zunächst dadurch interessant, dass sie (annähernd) wörtlich auch in Ex 24,4 zu finden ist. Ex 24,4c 4c
ויבן מזבח תחת ההר ושתים עשרה מצבה לשנים עשר שבטי ישראל
Ex 28,21
והאבנים תהיין על שמת בני ישראל שתים עשרה על שמתם פתוחי חותם איש על שמו תהיין לשני עשר שבט
21a 21b 21c
In beiden Texten Ex 28,21 und Ex 24,4 fällt auf, dass das Zahlwort ‚zwölf‘ ( )שתים עשרהim engeren Kontext bereits einmal belegt ist, bevor es in der beiden Versen gemeinsamen Formulierung שבטי ישראל/ לשני עשר שבטein zweites Mal aufgenommen wird. Dies hat zur Folge, dass die zwölf Stämme (Israels) jeweils mit den zuvor genannten Objekten, deren Gesamtzahl sich ebenfalls auf zwölf beläuft, korreliert werden.256 So wird ersichtlich, dass diese Objekte – es sind jeweils Steine, in Ex 24,4 Mazzeben, aus denen Mose 255 256
Vgl. JACOB, Exodus, 812; 907. Vgl. MARKL, Dekalog, 141 (Anm. 531).
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den Altar errichtet,257 und in Ex 28,21 die Steine des ḥošæn – für die Stämme Israels stehen bzw. diese repräsentieren. Dabei wird in Ex 24,4 die Verbindung zwischen den Stämmen und den Steinen zunächst allein über die Anzahl der Mazzeben angezeigt,258 im Blutritus des Bundesschlusses (Ex 24,6.8) aber auch liturgisch vollzogen. So nimmt Mose von dem Blut der dargebrachten Opfertiere (vgl. Ex 24,5) und besprengt zunächst mit der einen Hälfte den aus den zwölf Mazzeben erbauten Altar (Ex 24,6), mit der zweiten Hälfte aber – nach der Verlesung des Bundesbuches und der Selbstverpflichtung Israels auf das Gehörte (vgl. Ex 24,7) – auch das Volk. In dieser „Gleichbehandlung“ von Volk und Altar – beide für sich als zwölfteilige Einheit gedacht – wird deutlich, dass Israel im Bundesschluss, d.h. in der in Ex 24,7 vollzogenen Selbstverpflichtung auf das Tun und Hören dessen, was JHWH gesagt hat, zu dem wird, was der Idee nach auch der Altar ist: ein durch die Präsenz JHWHs qualifizierter „Ort“.259 Durch die Aufnahme der sonst nur noch in Ex 24,4 belegten Formulierung לשני עשר שבטsetzt Ex 28,21 zunächst einen deutlichen Rückbezug auf die Bundesschluss-Szene in Ex 24,3–8, auf den unten im Zusammenhang mit Auslegung von Ex 28,29–30 nochmals einzugehen ist. Zugleich wird die Idee einer symbolischen Repräsentation der zwölf Stämme durch zwölf Steine aufgegriffen, wobei die Verbindung zwischen den Steinen und den Stämmen in diesem Fall auf deutlich andere Weise angezeigt wird, als in Ex 24,4. So stellen – über die für Steine und Stämme gleichermaßen konstatierte Summenzahl „zwölf“ (vgl. Ex 28,21bc) hinaus – sowohl die in Ex 28,17–20 beschriebene Anordnung der Steine auf dem ḥošæn als auch die in Ex 28,21 thematisierte Beschriftung einen Zusammenhang zwischen den Steinen und den Stämmen her. Was die Anordnung der Steine anbelangt, so wird durch die Anweisung, die zwölf Steine in vier Dreier-Reihen zu gruppieren (vgl. Ex 28,17–20), ein Bezug zu Num 2 hergestellt. Dieses Kapitel beschreibt die Organisation der Lagerordnung Israels am Sinai, in deren Verlauf die Stämme in solcher Weise rund um das Heiligtum verteilt werden, dass in jeder der vier Himmelsrichtungen je drei Stämme lagern, die zu einem ‚( מחנהLager‘) unter Führung eines Stammes zusammengeschlossen sind und die auch in der Marschordnung während der Wanderschaft als Einheit auftreten (vgl. Num 2). Diese Anordnung der Stämme im Lager Israels, Ausdruck ihrer Hinordnung auf das in der Mitte befindliche Heiligtum, spiegelt sich nun gleichsam in der Anordnung der Steine (und Namen) auf dem ḥošæn wieder.260 257
Zum Altar aus Mazzeben vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 201–202; JACOB, Exodus, 746–747. 258 Anders als beim ḥošæn sind die Steine des Altars nicht mit den Namen der Stämme Israels beschriftet. 259 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 203–204; JACOB, Exodus, 746–747; 749–750. 260 Vgl. JACOB, Exodus, 907.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Zuletzt sind die Steine des ḥošæn im Gegensatz zu den Mazzeben des Altars am Sinai mit den Namen der Stämme Israels beschriftet. Dies deutet der Satz Ex 28,21c an, der die Anordnung, die Steine zu gravieren, mit der Bezugnahme auf die zwölf Stämme verbindet. Daraus wiederum folgt, dass die beiden auf engstem Raum platzierten und eng aufeinander verweisenden Inschriften auf den Steinen des ’efod und des ḥošæn trotz der zunächst gleichen „Inhaltsangabe“ ( ;שמות בני ישראלEx 28,9–10.21) nicht den (exakt) selben Text bieten. Zu den „Söhnen Israels / Jakobs“ nämlich gehören u.a. auch Levi und Josef, deren Namen folglich auf den Schultersteinen des ’efod zu finden sind, auf den Steinen des ḥošæn jedoch fehlen, da ja ein Stamm Josef nicht existiert und die Nachfahren des Jakobsohnes Josef die Stämme Efraim und Manasse konstituieren.261 Die Nachfahren Levis hingegen bilden zwar einen Stamm, doch kommt ihnen zugleich eine markante Sonderrolle zu, so dass sie bei den Zählungen und Musterungen der zwölf Stämme in Num 1–2; 26 jeweils separat von den zwölf Stämmen behandelt werden. Wenn also die Steine des ḥošæn die Namen der zwölf Stämme tragen, so finden sich auf ihnen u.a. die Worte „Efraim“ und „Manasse“, während „Josef“ und „Levi“ fehlen. Auf den Steinen des ’efod hingegen tauchen die zuletzt Genannten als „Söhne Israels / Jakobs“ auf – im Gegensatz zu den Namen der Jakob / IsraelEnkel Efraim und Manasse, nach denen die Stämme der Nachfahren Josefs benannt sind. Der größte Vorzug dieser Interpretation liegt darin, dass sie das enge Nebeneinander von zwei handwerklich vergleichbar angelegten Inschriften am Gewand Aarons sehr gut plausibel machen kann. Immerhin steht auf den Steinen des ’efod und des ḥošæn eben nicht exakt dasselbe; es finden sich stattdessen zwei Inschriften, die ungeachtet der Tatsache, dass sie in engem Zusammenhang stehen und nur miteinander adäquat gedeutet werden können, doch eine je eigene Pragmatik und Proposition erkennen lassen. Gegen diese Deutung könnte nun eingewendet werden, dass sie voraussetzt, dass die Formulierung בני ישראלin Ex 28,9–10 und in Ex 28,21 (vgl. )שמות בני ישראלauf jeweils unterschiedliche Referenzobjekte verweist, in Ex 28,9–10 auf die (leiblichen) „Söhne Israels“ (= Jakobs), und in Ex 28,21 auf die von diesen hergeleiteten Stämme. Da aber in Ex 28,1.30c dieselbe Formulierung, בני ישראל, in einer nochmals anderen, wiederum leicht veränderten Bedeutung belegt ist und hier – ohne Stämme oder Stammväter besonders in den Blick zu nehmen – das Volk in seiner Gesamtheit (bzw. genauer die Exodusgeneration) bezeichnet, kann der je leicht unterschiedliche Gebrauch der Formulierung בני ישראלin Ex 28 auch als ein Spielen mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen interpretiert werden. Dieses fordert von den Lesenden einerseits die Kompetenz ein, das jeweils Gemeinte identifizieren 261
Zu Verhältnis zwischen Josef auf der einen und Efraim und Manasse auf der anderen Seite vgl. ausführlich EBACH, Genesis 37–50, 526–563.
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zu können, deutet ihnen zugleich aber auch an, dass eine exakte Verhältnisbestimmung zwischen den zwölf (leiblichen) Söhnen Israels, den von diesen abstammenden zwölf Stämmen und der als „Söhne Israels“ apostrophierten Exodusgeneration für die Interpretation des Kapitels von wesentlicher Bedeutung ist. c) Die Deutesätze in Ex 28,12.29–30 Die Herstellungsanweisungen von ’efod (Ex 28,6–14) und ḥošæn (Ex 28,15– 30) kulminieren jeweils in einer kurzen Sinneinheit, in der die Funktion und Bedeutung der beiden „Gewänder“ und v.a. der an beiden angebrachten Steine eingehend reflektiert wird. 12a 12b
29a 29aI 29a 30a 30b 30bI 30c
Du sollst die zwei Steine auf die Schultern des ’efod setzen als Steine der Erinnerung ( )אבני זכרוןfür die Söhne Israels Aaron aber soll ihre Namen vor JHWH tragen auf seinen beiden Schultern zur Erinnerung. (Ex 28,12) Aaron soll die Namen der Söhne Israels am ḥošæn des Rechts ()חשן המשפט über seinem Herzen ( )על לבוtragen bei seinem Kommen in das „Heilige“, zur Erinnerung vor JHWH, regelmäßig ()תמיד. Und gib in den ḥošæn die ʼūrīm und die tummīm und sie seien über dem Herzen Aarons ()על־לב אהרן bei seinem Kommen vor JHWH und Aaron soll das Recht ( )משפטder Söhne Israels auf seinem Herzen ( )על לבוtragen vor JHWH, regelmäßig ()תמיד. (Ex 28,29–30)
Im Abschnitt Ex 28,6–14 mündet die Textpassage V.11b–12a, die die Anbringung der šoham-Steine auf den Schulterstücken des ’efod thematisiert, in die qualifizierende Wendung ‚( אבני זכרן לבני ישראלSteine der Erinnerung für die Söhne Israels‘) ein. Diese markiert zunächst den Abschluss der Herstellungsanweisung (Ex 28,6–12a) und leitet zugleich zum Satz Ex 28,12b über, in dem die Bedeutung der Steine, dem im Text als wesentlich fokussierten Teil des ’efod, umschrieben wird. Als zentraler Begriff erweist sich in diesem Zusammenhang das Nomen ‚( זכרןErinnerung, Vergegenwärtigung‘), das in V.12a – auch grammatikalisch – unmittelbar mit den Steinen verbunden ist (vgl. )אבני זכרןund deren grundlegende Funktion benennt, darüber hinaus aber auch in Ex 28,12b(.29a2) in der Wendung ‚( לזכרןzur Erinnerung / Vergegenwärtigung‘) wiederkehrt. Interessant und zugleich problematisch erscheint dabei in V.12a die Präposition - לin der Formulierung )אבני( זכרן לבני ישראל, da diese im Zusammenhang mit dem Nomen זכרןzumeist auf das Subjekt des Erinnerns hinweist
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(vgl. z.B. Ex 12,14; Num 17,5), was im vorliegenden Kontext aber kaum sinnvoll erscheint. Immerhin ist davon auszugehen, dass die Wendung בני ישראלin V.12a – ebenso wie in Ex 28,9–11a – die (leiblichen) Söhne Israels/Jakobs meint, deren Namen in die Steine graviert sind und die somit – durch die Inschrift – eher zum Objekt bzw. Gegenstand der Erinnerung gemacht werden: Die Steine sollen an die Söhne Israels erinnern bzw. diese gegenwärtig machen (vgl. ähnlich Ex 30,16; Num 10,10; 31,54).262 Ex 28,12b schließlich beschreibt, wie diese in V.12a angedeutete, grundlegende Funktion und Qualität der Steine faktisch realisiert werden kann, wie also die gravierten šoham-Steine auf den Schulterstücken des ’efod zu אבני זכרן, „Steinen der Erinnerung“, werden können. Eine zentrale Rolle kommt dabei Aaron zu, der in V.12b erstmals in der Herstellungsanweisung genannt wird. Er soll „ihre Namen“ ( – )את־שמותםd.h. die auf die šoham-Steine gravierten Namen der Söhne Israels/Jakobs (vgl. Ex 28,9–11a) – auf seinen Schultern vor JHWH ( )לפני יהוהtragen ()נשא. Das Verb נשאkann dabei – zusammen mit der Präposition ( לפניvgl. לפני – )יהוהletztendlich zwischen zwei Bedeutungsnuancen changieren, die sich gegenseitig allerdings keineswegs ausschließen, sondern einander eher interpretieren: So kann einerseits ein „Emporheben“ vor JHWH, d.h. ein „Präsentieren“ der Namen, andererseits aber auch eine Richtungsbewegung „vor JHWH (hin)“ ausgesagt sein. Letzteres macht eine enge Formulierungsparallele in Ex 28,29 plausibel, wo das „Tragen“ ( )נשאder Namen der Söhne Israels mit einem Kommen ins „Heilige“, d.h. mit einer Bewegung im Raum, verbunden wird, die Aaron „vor JHWH“ hin führt. Unabhängig davon jedoch, welche der beiden Bedeutungsnuancen deutlicher gehört wird, kommt in Ex 28,12b ein durch Aaron aktiv vollzogenes „Gegenwärtig-Machen“ zur Sprache, für das die Steine auf den Schultern Aarons bzw. den Schulterstücken des ’efod – beides kann in der Wendung על־שתי כתפיוgemeint sein – das zentrale Requisit bilden. Mit dem letzten Wort des Satzes Ex 28,12b aber wird dieser Vorgang als לזכרןqualifiziert, d.h. es wird unterstrichen, dass er demjenigen Erinnerungsvollzug dient, auf den hin die אבני זכרןangelegt sind. Viele der in Ex 28,12b belegten Wendungen und Formulierungen finden sich schließlich auch im Vers Ex 28,29, der die erste Hälfte der Funktionsbeschreibung des ḥošæn (bzw. der auf diesem angebrachten Steine) bildet. Ex 28,12b 12b
Ex 28,29
ונשא אהרן את שמותם לפני יהוה על שתי כתפיו לזכרן
262
ונשא אהרן את שמות בני ישראל בחשן המשפט על לבו בבאו אל הקדש לזכרן לפני יהוה תמיד
29a 29aI 29a
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 437–438; SARNA, Exodus, 179–180; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 169.
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Ex 28,29a nimmt die Formulierung ונשא אהרן את־שמותםaus Ex 28,12b in der annähernd gleichlautenden Wendung ונשא אהרן את־שמות בני ישראלwieder auf und bestimmt so – analog zu Ex 28,12b – das von Aaron ausgeführte „Tragen“ ( )נשאder Namen als zentralen Vollzug, der schließlich durch zahlreiche adverbiale Wendungen näher qualifiziert wird. Es findet sich zunächst eine doppelte „Ortsangabe“, ‚( בחשן המשפטauf dem ḥošæn ha-mišpāṭ‘) und על־לבו (‚auf / über seinem Herzen‘), die letztendlich die von Aaron getragenen Namen genauer „lokalisiert“. Die erste Formulierung, בחשן המשפט, resümiert dabei die vorausgehende Herstellungsanweisung, die ja in Ex 28,17–20 ausführlich die Platzierung der Steine auf dem ḥošæn thematisiert. Die adverbiale Wendung ‚( על־לבוauf / über seinem Herzen‘) aber kann einerseits ebenfalls auf die „Bauanleitung“ zurückverweisen, aus der u.a. hervorgeht, dass der ḥošæn über dem Oberkörper Aarons (d.h. „über seinem Herzen“) am ’efod befestigt wird (vgl. Ex 28,22–28). Darüber hinaus stellt sie einen expliziten Bezug zu Aaron selbst her bzw. verbindet die Funktion – ähnlich wie übrigens Ex 28,12b im Rekurs auf die Schultern Aarons ( – )כתפיוmit einem Körperteil Aarons (mehr dazu s.u. zu Ex 28,30bc). Der Infinitivsatz Ex 28,29aI hingegen „kontextualisiert“ das Tragen der Namen und verbindet es mit dem „Kommen ins Heilige“ (vgl. )בבאו אל הקדש. Der Terminus ‚( קדשHeiliges‘) bezeichnet dabei den in Ex 26,31–36 definierten und begrenzten Raum innerhalb des miškān und außerhalb der Parochet, den Aaron nur betritt (und betreten kann), um dort Kulthandlungen, wie z.B. den in Ex 27,20–21 thematisierten Dienst an der Menora auszuführen. Ex 28,29aI korreliert somit das von Aaron geleistete „Gegenwärtig-Machen“ der Namen der Söhne Israels mit seinem Agieren als Priester bzw. mit dem von ihm ausgeführten Kultvollzügen und qualifiziert es so letztlich selbst als einen zentralen Teilaspekt des kultischen Geschehens. Den Abschluss des Verses bilden drei weitere adverbiale Bestimmungen in Ex 28,29a2, von denen zwei, ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) und ‚( לזכרןzur Erinnerung / Vergegenwärtigung‘), auch in Ex 28,12b belegt sind. Allerdings ist die Wendung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) in diesem Fall nicht adverbial auf das Verb נשאbezogen (wie in Ex 28,12b), sondern mit der Wendung ‚( לזכרןzur Erinnerung / Vergegenwärtigung‘) verbunden. Dies hat zur Folge, dass nicht etwa eine Bewegung „vor JHWH (hin)“ in den Blick kommt (wie in Ex 28,12b), sondern vielmehr JHWH ausdrücklich als Subjekt des Erinnerns markiert wird – eines Erinnerns, das dadurch „angestoßen“ wird, dass Aaron die Namen der Söhne Israels trägt, wenn er ins „Heilige“ kommt. Stärker als in Ex 28,12b wird somit das „Tragen“ der Namen als ein Vollzug qualifiziert, der auf eine „Reaktion“ JHWHs hin zielt und darin „kommunikativen“ Charakter hat. Unklar in seiner Referenz ist zuletzt das Adverb תמיד, das sowohl auf die Wendung לזכרןbezogen sein kann, als auch auf das Verb נשא, wobei zwischen beiden Alternativen kein schwerwiegender Bedeutungsunterschied
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auszumachen ist. Letztlich nämlich wird der gesamte in V.29 thematisierte und gedeutete Vorgang des „Tragens“ der Namen auf dem ḥošæn, sowie die in diesem angezielte Erinnerung „vor JHWH“ als ein regelmäßiger bzw. regelmäßig zu vollziehender bestimmt. Zugleich aber konstituiert das Adverb – תמידund hier liegt wohl seine eigentliche Pragmatik – zusammen mit der Wendung לפני יהוהeinen deutlichen Stichwortbezug zu Ex 27,21. Die wesentliche Funktion der Steine des ’efod und des ḥošæn bzw. genauer der auf diesen angebrachten Inschriften liegt somit Ex 28,12.29 zufolge darin, dass sie – indem sie von Aaron „vor JHWH“ bzw. in das „Heilige“ hinein getragen werden – Erinnerung (JHWHs) an diejenigen bewirken sollen, deren Namen in die Steine eingegraben sind. Wenn es nun darum gehen soll, die angezielte Erinnerung theologisch genauer zu fassen und zu beschreiben, ist zunächst von den Objekten dieser Erinnerung auszugehen, die in Ex 28,12.29 jeweils mit der Formulierung בני ישראלumschrieben und im konkreten „Erinnerungsvollzug“ durch die Inschriften auf den Steinen „vertreten“ werden. Wie oben im Zuge der Analyse von Ex 28,9–11.21 herausgearbeitet, verweist allerdings dieselbe Bezeichnung – – בני ישראלbei den Steinen des ’efod einerseits und denen des ḥošæn andererseits nicht auf (exakt) dasselbe Referenzobjekt. So legt es die Wendung ‚( כתולדתםgemäß ihrer Abstammungen / Zeugungen‘) in V.10b nahe, den Terminus ‚Söhne Israels‘ auf die (leiblichen) Söhne Israels/Jakobs beziehen und die in Ex 28,9b erstmals gebrauchte Formulierung ‚( שמות בני ישראלNamen der Söhne Israels‘) als Verweis auf die in Gen 46,8; Ex 1,1 gleichlautend belegte Formulierung ואלה שמות בני ישראל הבאים ‚( מצרימהdies aber sind die Namen der Söhne Israels, die nach Ägypten kamen‘) zu interpretieren. Diese Formulierung, die jeweils eng aufeinander bezogene „Auflistungen“ der Israelsöhne einleitet, verbindet mit diesen zunächst die Übersiedlung nach Ägypten und „lokalisiert“ sie so an einer Scharnierstelle der in der Tora entfalteten Gründungsgeschichte Israels.263 Sie vermitteln zwischen der Zeit der Väter Abraham, Isaak und Jakob, die mit dem Verlassen Kanaans und der Übersiedlung nach Ägypten ihrem Abschluss zustrebt (und mit dem Tod der Protagonisten Jakob und Josef in Gen 49–50 ihr tatsächliches Ende finden wird) und der Geschichte des Volkes Israel, die nach dem Tod des Josef und seiner Brüder (vgl. Ex 1,6) in Ägypten beginnt. Dabei beleuchten beide Texte – Gen 46,8–27 und Ex 1,1–5 – diese Scharnierstelle aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Gen 46,8–28 nämlich rekapituliert u.a. Erzählungen der Jakobs- (und Josefs-)Geschichte der Genesis, in denen die „Söhne Israels/Jakobs“ im Mittelpunkt stehen. So werden z.B. über die Anlage der Genealogie, die ja die Jakobsnachfahren nach den Müttern der zwölf Brüder ordnet, die Geburtserzählungen aus Gen 29–30 in Erinnerung gerufen, während 263
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 96–97.
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der Rekus auf die Sonderrolle Josefs und seiner Söhne in Gen 46,20 an die Grundlinien der Josefsgeschichte denken lässt.264 Zugleich wird in dem aufgezeigten „Nebeneinander“ der „Söhne Israels“ deutlich, dass – ungeachtet der Tatsache, dass es in den Erzählungen durchaus „bevorzugte“ Jakobsöhne, wie Juda und Josef, und auch „zurückgestellte“, wie z.B. Ruben, gibt – alle zwölf Brüder (mit ihren jeweiligen Nachfahren) „gleichberechtigt“ das „Haus Jakob“ (vgl. Gen 46,27) konstituieren. In diesem Zug unterscheiden sie sich deutlich von den vorangehenden Generationen, in denen die Differenzierung zwischen „bevorzugten“ und „zurückgestellten“ Söhnen (Isaak gegen Ismael; Jakob gegen Esau) letztlich zu einer genealogischen Linie „Abraham – Isaak – Jakob“ führt, die untrennbar mit den Themen Segen und Verheißung verbunden ist, aus der aber Ismael und Esau (mit ihren Nachfahren) herausfallen.265 Diese in den Erzelternerzählungen profilierte Abstammungslinie findet schließlich in dem in Gen 46,8–28 präsentierten „Haus Jakob“ ihre Fortsetzung, so dass letztlich alle „Söhne Israels“ (mitsamt ihren jeweiligen Nachfahren) als Erben der Väter erscheinen, denen Segen und Verheißung gilt.266 Diese Thematik klingt u.a. auch in der Perikope Gen 46,1–7 an, die der Genealogie in Gen 46,8–27 unmittelbar vorangeht und von einer Gottesbegegnung Jakobs in Beerscheba berichtet. Letztere findet ihren Höhepunkt in der Gottesrede von Gen 46,3–4, in der Jakob zunächst die ausdrückliche Erlaubnis erhält, nach Ägypten überzusiedeln (Gen 46,3).267 Mit dem Abstieg ( )ירדnach Ägypten aber ist die Zusage verbunden, dass Gott Jakob dort zu einem „großen Volk“ ( )גוי גדולmachen werde. Dabei wird die an Abraham ergangene Mehrungsverheißung (vgl. Gen 12,2; 17,20; 18,18; 21,18; 26,3–4) aufgenommen und auf Jakob-Israel gemünzt wiederholt.268 Zuletzt jedoch steht der Aufforderung, nach Ägypten hinabzusteigen ( )ירדin V.3, die Ankündigung einer Heraufführung (עלה-hi.) gegenüber (V.4), in der – wenngleich auch nicht explizit ausgesprochen – die Rückkehr nach Kanaan und damit die Einlösung der Landverheißung anklingt. Von Gen 46,3–4 her kommend, erscheinen damit die in Gen 46,8–27 vorgestellten „Söhne Jakobs, die nach Ägypten kamen“, gleichsam als „Grundstein“ des in V.3 angesprochenen „großen Volkes“; sie sind Erben der Nachkommenschaftsverheißung, die sich zugleich an ihnen in Ägypten realisieren wird. Andererseits aber gilt ihnen – und nicht mehr Jakob – auch die auf die Einlösung der Landverheißung anzielende Ankündigung der Heraufführung, wenngleich diese formal an Jakob gerichtet ist; dieser jedoch wird – wie der letzte Satz der Gottesrede andeutet (Gen 46,4) – in Ägypten sterben.269 264
Vgl. EBACH, Genesis 37–50, 453. Vgl. EBACH, Genesis 37–50, 550–552. 266 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 93–94; 96–98. 267 Vgl. EBACH, Genesis 37–50, 424–425. 268 Vgl. EBACH, Genesis 37–50, 430. 269 Vgl. EBACH, Genesis 37–50, 430–432; JACOB, Genesis, 828–829. 265
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Zusammenfassend rekapituliert Gen 46,8–27 – allein über die Namen – also nicht nur die Geschichte der Entstehung des „Hauses Jakob“, d.h. die Jakobs- und Josefserzählungen, sie profiliert die „Söhne Israels“ auch als Fortführung der Linie „Abraham – Isaak – Jakob“. An diese Vorgabe kann nun auch die genealogische Einheit Ex 1,1–5 anknüpfen, wenn sie über die Nennung der Namen der zwölf „Söhne Israels“ nochmals die in Gen 46 wesentlich breiter entfaltete Genealogie des „Hauses Jakob“ einspielt, ihrerseits aber auf Ex 1,7 hin zielt und damit auf die Zukunft ausblickt. In Ex 1,7 nämlich klingt die Ankündigung der Volkwerdung aus Gen 46,3 nach, wenn berichtet wird, dass nach dem Tod Josefs und seiner Brüder (vgl. Ex 1,6), deren Nachfahren, die zum Teil ja bereits aus Gen 46 bekannt sind, überaus zahlreich werden und das ganze Land (Ägypten) anfüllen, so dass sich an ihnen nicht nur die Nachkommenschaftsverheißung an die Väter, sondern in paradigmatischer Weise auch der Schöpfungssegen (vgl. Gen 1,28) realisiert.270 Zugleich erscheint in Ex 1,7 erstmals die Formulierung ‚( בני ישראלSöhne Israels‘) in einem weiter gefassten Sinne als Bezeichnung für die zahlreich gewordene Nachkommenschaft Jakobs – nachdem sie in Ex 1,1 noch im engeren Sinne für die zwölf Söhne Jakob-Israels gebraucht wurde. Ein drittes Mal findet sie sich nur zwei Verse später, in Ex 1,9, im Munde des neuen Pharao, der Josef nicht mehr kannte. Er spricht von einem „Volk der Söhne Israels“ ( עם בני ;ישראלEx 1,9b), das er als von seinem eigenen Volk (vgl. ;עמוEx 1,9a) unterschieden wahrnimmt und deshalb als bedrohlich empfindet, bezeugt auf diese Weise aber auch – gleichsam als „Außenstehender“ – dass sich die Mehrungsverheißung an den „Söhnen Israels“ erfüllt hat und diese – wie in Gen 46,3 angekündigt – tatsächlich zu einem Volk geworden sind.271 Somit profilieren die beiden in Ex 28,9–10 eingespielten Texte Gen 46,8– 27; Ex 1,1–5(.6–7) die „Söhne Israels/Jakobs, die nach Ägypten kamen“ als ein Scharnier zwischen den Vätern und dem in Ägypten entstehenden Volk der „Söhne Israels“. Als ein solches repräsentieren sie eine Verbindung zwischen Segen und Verheißung, die den Vätern zugesagt sind, und Mehrung und Fülle, die das in Ägypten herangewachsene „Volk der Söhne Israels“ auszeichnen, und garantieren so zugleich auch eine für Israels Selbstverständnis konstitutive Kontinuität zwischen dem Volk und seinen Vätern.272 Wenn nun die šoham-Steine Aarons als Inschrift die „Namen der [zwölf] Söhne Israels“ tragen, dann ist auf ihnen ein Text festgehalten, der vom Wortlaut her der „Aufzählung“ der Israelsöhne in Ex 1,2–4 sehr nahe kommt.273 Aber auch in ihrer Pragmatik liegen die Texte sehr eng beieinander. Immerhin werden die Jakobsöhne über die Gravur ihrer Namen als das in 270
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 97; HOUTMAN, Exodus 1, 231–233. Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 100. 272 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 94; 97; JACOB, Exodus, 5–7. 273 Vgl. DURHAM, Exodus, 386. 271
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Erinnerung gerufen, was sie Ex 1,1–5.6–7, aber auch Gen 46,8–27 zufolge sind, nämlich die „Grundsteine“ des Volkes Israel, die dieses zugleich „in eine Linie“ mit den Vätern, den Empfängern von Segen und Verheißung, stellen und so das Selbstbild Israels als Segensträger und Erbe der Verheißungen Gottes legitimieren.274 Sie sind also nicht nur in biologischer wie genealogischer Hinsicht Ahnherren des Volkes Israel, sondern auch ein grundlegender „Haftpunkt“ einer verbindenden israelitischen Identität.275 Bemerkenswert ist damit, dass Aaron, wenn er – wie in Ex 28,12b vorgegeben – die Namen der Söhne Israels „vor JHWH“ trägt bzw. dort „zur Erinnerung“ „präsentiert“, mit Hilfe der Schrift auf den Steinen nicht (unmittelbar) dasjenige Israel vergegenwärtigt, aus dessen Mitte er heraustritt (vgl. Ex 28,1), um im Heiligtum Dienst zu tun, d.h. zunächst das Israel der erzählten Gegenwart des Textes. Stattdessen sind die „Söhne Israels/Jakobs“ eine Größe, deren Relation zum Israel der (erzählten) Gegenwart nicht nur durch diejenige Kontinuität und Identität bestimmt ist, auf die oben bereits hingewiesen wurde, wenn die Jakobsöhne als „Grundsteine“ des Volkes Israel und als „Haftpunkte“ israelitischer Identität definiert wurden; sie schließt auch Elemente der Divergenz und Differenz mit ein. Dazu gehört grundlegend, dass die Israelsöhne, deren Namen auf den Steinen stehen, eindeutig eine Größe der Vergangenheit sind und als solche bereits in Ex 1,6–7 ausgewiesen werden, wenn dieser Text zunächst den Tod von Josef und seinen Brüdern konstatiert (V.6) und erst als nächsten Schritt die Vermehrung und Volkwerdung ihrer Nachkommen beschreibt (V.7). Darüber hinaus ist für die (erzählte) Gegenwart des Textes, d.h. die Zeit Israels am Sinai, ein Zwölf-StämmeIsrael vorausgesetzt, das sich zwar auf die zwölf Israelsöhne zurückführen kann, dessen innere Struktur aber keineswegs vollständig durch das in der Inschrift auf den šoham-Steinen gegebene Nebeneinander derselben abbildbar ist. So entsprechen dem Namen ‚Josef‘ auf den Steinen die Stämme Efraim und Manasse,276 während die Nachfahren Levis – wie u.a. an Aaron selbst ablesbar – unter den Stämmen eine Sonderrolle einnehmen, die in der Inschrift auf den Steinen insofern nicht ablesbar ist, als Levi hier „nur“ als einer von zwölf Jakobsöhnen inmitten seiner Brüder aufgeführt ist. Mit Hilfe des Mediums der Schrift auf den šoham-Steine werden somit die „Söhne Israels“ als Identität begründende Größe der Vergangenheit – mit Kontinuität und zugleich Differenz zum Israel der erzählten Gegenwart – „vor JHWH“ („ )לפני יהוהzur Erinnerung“ ( )לזכרןgebracht. Dies zielt auf ein gleichsam „zeitloses“ Präsent-Sein der Väter, die selbst wiederum für eine 274
Vgl. ähnlich DURHAM, Exodus, 386; ELLIGER, Ephod, 35. Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 94–95; EBACH, Genesis 37–50, 464–465; HOUTMAN, Exodus 3, 488. 276 Zum Verhältnis zwischen Josef auf der einen und Efraim und Manasse auf der anderen Seite vgl. EBACH, Genesis 37–50, 526–563. 275
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verbindende Grundlage israelitischer Identität stehen, in der Gegenwart JHWHs ab, und somit auf ein Gegenüber von „Israel“ und JHWH, dessen gleichsam „zeitlose“ Fortdauer inszeniert wird. Erst darin aber legt die Vergegenwärtigung der „Söhne Israels“ vor JHWH die Grundlage für die Gottesbegegnung im Heiligtum, die ein Israel späterer Zeiten vollzieht, das sich selbst auf die zwölf Israelsöhne zurückführt, seine Identität von diesen herleitet und über seine „Identifikation“ mit den Vätern an deren symbolisch dargestellter Präsenz vor JHWH partizipiert. Vollends manifest aber wird diese Spannung zwischen dem auf den šoham-Steinen erinnerten „Ursprung“ Israels und dem für die (erzählte) Gegenwart am Sinai vorausgesetzten Zwölf-Stämme-Israel über die Inschrift auf den Steinen des ḥošæn, die ja – wie Ex 28,21c deutlich macht – die Namen der Stämme Israels enthält. Die beiden Inschriften sind nun – wie die „Herstellungsanweisung“ (vgl. v.a. Ex 28,22–28) andeutet – allein schon dadurch aufeinander bezogen, dass ’efod und ḥošæn mit Hilfe der in Ex 28,22–28 (vgl. auch V.13–14) ausführlich beschriebenen Verbindungselemente letztendlich zu einem festen Ensemble verbunden sind. In diesem wird der ḥošæn mit seinen zwölf Steinen – mittig über dem Oberkörper Aarons getragen – von den beiden Steinen des ’efod auf den Schultern gleichsam „flankiert“ und „eingerahmt“: Der eine Text steht somit buchstäblich zwischen den aufeinander verwiesenen und als untrennbare Einheit bestimmten Hälften des anderen – oder etwas anders prononciert: mitten „in“ ihm. In dieser Weise einander zugeordnet verdeutlichen die beiden Inschriften mit ihren Übereinstimmungen und Differenzen in Wortlaut und Gestaltung letztendlich genau das oben bereits herausgestellte Ineinander von Kontinuität und Differenz. Gleichzeitig aber machen sie damit eine Entwicklung bzw. eine geschichtliche Dynamik transparent, die von den zwölf „Söhnen Israels“, die für die „Grundlagen“ einer verbindenden israelitischen Identität stehen, zu dem Zwölf-StämmeIsrael der (erzählten) Gegenwart führt, das in stilisierter und idealisierter Weise auf dem ḥošæn abgebildet ist. „Mittig eingeschrieben“ und zugleich durch die Wahl eines anderen Schriftträgers abgesetzt, wird dieses als eine Konkretion der verbindenden und grundlegenden Identität Israels ausgewiesen, die in den Steinen des ’efod aufscheint – und zwar zunächst als eine (mögliche) Konkretion, insofern das „Arrangement“ andeutet, dass auch andere Realisierungen der durch die Inschrift auf den šoham-Steinen symbolisierten „Ursprungsidentität“ Israels, die sich im Laufe der Geschichte ergeben, in das durch die Steine ermöglichte Repräsentationsgeschehen einbezogen sein können. Zugleich aber wird das auf den Steinen des ḥošæn dargestellte „Bild“, das ja auf das Israel der (erzählten) Gegenwart, die Generation des Exodus und des Bundesschlusses, verweist, als die (paradigmatische) Konkretion der in den Namen der zwölf Jakobsöhne angedeuteten „Grundlegung“ präsentiert. Dies wird allein schon durch den Umstand deutlich, dass die Inschrift des
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ḥošæn als ein „zweiter“, ähnlich gestalteter Text ausdrücklich neben den „ersten“ auf den šoham-Steinen tritt bzw. – durch die Anordnung der Gewänder – „mittig“ in diesen „eingeschrieben“ wird. Gleichzeitig aber verweist die Inschrift des ḥošæn auf maßgebliche Bezugspunkte israelitischer Identität(en), die ausdrücklich mit dem „Zwölf-Stämme-Israel“ der Exodusgeneration (nicht aber mit den zwölf Söhnen Jakobs) verbunden sind und zugleich die „Grundlage“ ergänzen, auf die die Namen der Jakobsöhne auf den šohamSteinen verweisen. Ein Beispiel hierfür sind Bund bzw. Bundesschluss, die Ex 28,21 über den oben bereits angesprochenen Rekurs auf Ex 24,4 einspielt. So werden die „für die zwölf Stämme“ ( )לשני עשר שבטstehenden Edelsteine des ḥošæn mit den zwölf Mazzeben des Altars am Sinai korreliert, die ebenfalls die Stämme Israels repräsentieren und zugleich als zentrales „Requisit“ im Ritual des Bundesschlusses dienen. Mit dieser Deutung ist zuletzt auch der Ansatz von O. KEEL stimmig zu verbinden, der die Namensgravuren auf den Steinen des ḥošæn als eine Stifterinschrift deutet, die auf den (paritätischen) Anteil des in den zwölf Namen repräsentierten Gesamt-Israel am Heiligtum veranschaulicht.277
Weiter entfaltet wird dies in Ex 28,30, der zweiten Hälfte der „Funktionsbeschreibung“ des ḥošæn, die bislang noch nicht angesprochen wurde, im Folgenden aber genauer zu analysieren ist. Ex 28,30a formuliert – anknüpfend an die „Herstellungsbeschreibungen“ in Ex 28,15–28 – den Auftrag, die ʼūrīm und tummīm in den fertiggestellten ḥošæn ha-mišpāṭ zu legen. Dabei werden diese – obwohl von ihnen bislang noch nie die Rede war – als „altbekannt“ vorausgesetzt (vgl. die Determination). Sie müssen weder vom Volk herbeigebracht oder beschafft, noch nach einer eingehenden Beschreibung hergestellt werden.278 Stattdessen sind sie mit großer Selbstverständlichkeit „da“ und sollen nun – so ordnet V.30a an – ihren festen Platz in der „Brusttasche“ des Priestergewandes erhalten.279 Der Umstand, dass sie im Text nicht beschrieben und erklärt werden, setzt dabei einen Anreiz für die Lesenden, die Identität und Funktion der Gegenstände aus den spärlichen Informationen zu erheben, die die wenigen Belegstellen im TaNa“K bieten. In großen Teilen der exegetischen Forschung – aber auch schon in der rabbinischen Literatur und bei den auf diese Bezug nehmenden jüdischen Exegeten des Mittelalters – werden sie als Lose bzw. Orakelgegenstände interpretiert. Die Textgrundlage für diese „Mainstream-Hypothese“ ist allerdings sehr dürftig – und es finden sich (gewichtige) Gegenpositionen. So setzt z.B. B. JACOB die ʼūrīm und tummīm in Beziehung zur ʽedūt, d.h. zu der 277
Vgl. KEEL, Brusttasche, 385–386; DERS., Geschichte, 936. Vgl. auch DOHMEN, Exodus 19–40, 268; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 169–171. 278 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 268; HOUTMAN, Exodus 3, 496; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 272–276. 279 Vgl. HOUTMAN, Urim, 230.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
in der Lade deponierten „Bezeugung“ der Offenbarung JHWHs (vgl. Ex 25,16.21–22), und qualifiziert sie so im Grunde als ein „Tora-Symbol“.280 Konkret schlägt JACOB vor, die ʼūrīm und tummīm mit den mosaischen Autographen von Bundesbuch (Ex 20,22–23,33) und „Privilegrecht“ (Ex 34,10– 27) zu identifizieren, die – wie die ʽedūt, die Steintafeln mit der von Gott selbst angefertigten Abschrift des Dekalogs – an würdiger Stelle deponiert werden und so dauerhaft an die Offenbarung der Tora erinnern.281 Der ḥošæn selbst aber wird – als Aufbewahrungsort von „Offenbarungsurkunden“ – „vollkommen das Gegenstück“282 zur Lade. Während für die Identifikation der ʼūrīm und tummīm mit den „Originalen“ der von Mose verschrifteten Gesetzeskorpora kein hinreichender Anhalt im Text zu finden ist, so dass in diesem Punkt die These kaum haltbar scheint, ist JACOB doch in der grundsätzlichen Beobachtung Recht zu geben, dass in der Heiligtumstora die ʼūrīm und tummīm einerseits und die ʽedūt andererseits auf sehr ähnliche Weise eingeführt werden und hinsichtlich ihrer bestimmenden Charakteristika übereinstimmen. So ist für beide Gegenstände der einzige, in den Texten explizit benannte „Gebrauch“ das „Hineingeben“ (vgl. נתן ;אלEx 25,16a.21b; 40,20 zur ʽedūt; bzw. Ex 28,30a; Lev 8,8 zu den ʼūrīm und tummīm); sie sind jeweils in Behältnissen zu deponieren, die eigens zu diesem Zweck angefertigt wurden, wobei ein erneutes Herausholen oder der ein wiederholtes Herausnehmen und Zurücklegen ausdrücklich nicht vorgesehen sind.283 Im Blick ist somit jeweils eine dauerhafte Aufbewahrung „unter Verschluss“, die zur Folge hat, dass beide nicht als konkreter (Gebrauchs)Gegenstand in Erscheinung treten (können) und so in ihrem „unzugänglich Präsent-Sein“ auf die Funktion eines Hinweiszeichens bzw. „Symbols“ festgelegt sind.284 Andererseits aber zeichnen sich beide auch durch ihr „Gegeben-Sein“ aus, das – wie oben bereits angesprochen – bei den ʼūrīm und tummīm implizit vorausgesetzt, im Fall der ʽedūt aber ausdrücklich festgehalten wird. So wird diese in den Relativsätzen Ex 25,16.21 mit den Worten ‚( אשר אתן אליךdie ich dir geben werde‘) näher bestimmt, die dabei das „Übergeben-Sein“ gleichsam als definierendes Charakteristikum ausweisen.285 Zugleich können die Relativsätze als Vorverweis auf Ex 31,18 gelesen werden. In diesem Vers nämlich wird – unter Verwendung derselben Wendung נתן אל, die auch in Ex 25,16.21 belegt ist – die Übergabe der „zwei Tafeln der ʽedūt“ ( )שני לחת העדותan Mose berichtet. Dieser Vorgang ist unmittelbar mit dem Abschluss der an Mose 280
Vgl. JACOB, Pentateuch, 318–319. Vgl. JACOB, Pentateuch, 319; DERS., Exodus, 908–909. Vgl. auch DOHMEN, Exodus 19–40, 268. 282 JACOB, Exodus, 909. 283 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 496. 284 Vgl. ähnlich DOHMEN, Exodus 19–40, 268. 285 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 268; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 272–276. 281
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gerichteten Gottesrede auf dem Berg Sinai ( )ככלתו לדבר אתו בהר סיניverbunden, so dass die Übermittlung der Heiligtumstora und die Übereignung der ʽedūt ausdrücklich in derselben (Rede-)Situation auf dem Berg Sinai „verortet“ und so direkt miteinander korreliert werden. Auffällig ist, dass die beiden (gemeinsamen) Spezifika der ʼūrīm und tummīm sowie der ʽedūt, der Umstand, dass sie in ihre jeweiligen Behältnisse hineinzulegen sind sowie ihr „Gegeben-Sein“ stets mit derselben Wendung, נתן אל, formuliert ist, die im Hebräischen einen inneren Zusammenhang beider Aspekte heraushebt, der in einer übersetzungssprachlichen Wiedergabe des Bibeltextes nicht ohne weiteres aufscheinen kann. So wird letztendlich eine „Kette“ von Übergaben imaginiert – JHWH gibt an Mose (Ex 25,16.21); Mose aber gibt die ʽedūt in die Lade bzw. die ʼūrīm und tummīm in den ḥošæn.
Ergänzend dazu kann auch die Bezeichnung ʼūrīm und tummīm selbst auf den skizzierten Zusammenhang verweisen. Der Terminus אוריםnämlich ist am Ehesten von der Verbwurzel ‚( אורLicht geben, leuchten‘) abzuleiten, während תמיםmit ‚( תמםlauter, vollständig sein‘) zu verbinden ist. Ausgehend davon bezeichnet ʼūrīm also etwas „Leuchtendes“ bzw. „Erhellendes“ und tummīm etwas „Vollständiges“ und / oder „Lauteres“ („Aufrichtiges“),286 womit – angesichts der oben angedeuteten Verbindungen zwischen den ʼūrīm und tummīm und der ʽedūt – durchaus die Tora als „erhellende“ und zugleich vollkommene Weisung gemeint sein kann. In diesem Sinne geben auch die antiken Übersetzungen die beiden Stichworte wieder: Die LXX nämlich gibt (sehr präzise) אוריםmit δήλωσις (‚Manifestation, Erklärung‘) und תמים mit ἀλήθεια (‚Wahrheit, Wahrhaftigkeit‘) wieder, während die Vulgata – nahe an der LXX – mit doctrina (‚Lehre‘) und veritas (‚Wahrheit‘) übersetzt.287
Ergänzend dazu ist der Umstand zu berücksichtigen, „dass die Begriffe mit dem ersten und dem letzten Buchstaben des Alephbets beginnen – das kann sowohl auf etwas Schriftliches verweisen als auch auf etwas Allumfassendes“288, womit ebenfalls ein Bezug zur (verschrifteten) Weisung JHWHs naheliegt. Somit kann festgehalten werden, dass die ʼūrīm und tummīm, über deren Aussehen, Gestalt und ggf. auch Inhalt im Text nichts zu erfahren ist – sie sind also für die Lesenden genauso im Text von Ex 28,30 „verborgen“ wie sie es in der Textwelt im ḥošæn sind – tatsächlich am sachgemäßesten mit B. JACOB als „Korrelat der edut“289 zu bestimmen sind. Dies kann auch an den 286
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 345; HOUTMAN, Exodus 3, 493–494; JACOB, Exodus, 909; PROPP, Exodus 19–40, 442; MILGROM, Leviticus 1–16, 508; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 272–273; SARNA, Exodus, 182. 287 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 345; HOUTMAN, Exodus 3, 493; SARNA, Exodus, 182. 288 HIEKE, Levitikus 1–15, 345. Vgl. ähnlich JÜRGENS, Heiligkeit, 212; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 273. 289 JACOB, Exodus, 909. Vgl. auch DOHMEN, Exodus 19–40, 268; HIEKE, Levitikus 1– 15, 346; JACOB, Pentateuch, 218–219.
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(wenigen) weiteren Belegstellen im TaNa“K (Num 27,21; Dtn 33,8; 1Sam 28,6; Esr 2,63; Neh 7,65) verifiziert werden, an denen der Terminus belegt ist: Num 27,21 ist Teil der Perikope Num 27,12–23, in der JHWH Josua als Nachfolger des Mose (V.18) designiert und ein Ritual der Beauftragung anordnet (V.18–20), dessen Ausführung in V.22–23 (im Narrativ) konstatiert wird. Zwischen V.18–20 (Anordnung) und V.22–23 (Ausführung) aber findet sich der Vers Num 27,21, der v.a. eine künftige Kompetenzverteilung zwischen Josua als „politischem“ und „militärischem“ Anführer und dem Priester Eleazar andeutet, wobei die Satzformationen [we=]x-jiqṭol (V.21a.cd) sowie we=qaṭal (als Konsekutivtempus; V.21b) vor allem den Aspekt des Iterativen betonen.290 Im Blick ist damit – anders als in V.18–20 – kein einmaliger Vorgang, sondern ein „Immer-Wieder“. Inhaltlich aber verdeutlicht V.21 einerseits, dass Josua genau die von Mose erbetene (vgl. Num 27,15–17) Führungspersönlichkeit sein wird, die vor dem Volk ausund einzieht (V.21cd; vgl. V.17). Andererseits wird Josua Eleazar zu- und letztendlich untergeordnet: Er soll (immer wieder) – wie am Tag seiner Amtseinsetzung (vgl.V.19a.22c) – vor ihm stehen (V.21a) und Eleazar ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) nach dem ‚( משפט האוריםRecht der ʼūrīm‘) befragen291 (V.21b). Wie in Ex 28,30 wird damit zunächst ein Zusammenhang zwischen den ʼūrīm und dem משפטerkennbar, der im vorliegenden Kontext wohl auf eine dauerhafte und immer wieder neu zu aktuierende Bindung des Josua an ein – durch den Bescheid des Priesters Eleazar übermitteltes bzw. interpretiertes – (göttliches) Recht hinweist.292 Es geht also nicht darum, dass Eleazar für Josua ein Losorakel o.ä. betätigt. Vielmehr erteilt er eine priesterliche Tora – wohl als situationsgerechte Auslegung der Weisung vom Sinai –, an die Josua gebunden ist, wenn er sein Amt angemessen ausfüllen will.293 Der zweite Beleg, Dtn 33,8, findet sich im Levispruch des Mosesegens (Dtn 33,8–11), in dem zunächst die Übergabe der tummīm und ʼūrīm – sie sind hier in umgekehrter Reihenfolge genannt – an Levi thematisiert (V.8b) wird. Diese findet ihren Grund darin, dass Levi sich als ‚( איש חסידךMann der Treue zu dir [= JHWH]‘) erwiesen hat. Diese Beurteilung Levis begründen und illustrieren die Sätze Dtn 33,8bR–9, die auf die Erprobung in Massa und Meriba rekurrieren, in deren Verlauf die Bundestreue Levis manifest geworden sei. Dtn 33,10 schließlich lenkt den Blick von der Vergangenheit hin zu Gegenwart und Zukunft und benennt die Aufgaben, die für Levi aus dem „Besitz“ der tummīm und ʼūrīm JHWHs erwachsen, wobei die Leviten – neben ihren kultischen Aufgaben (vgl. V.10cd) – v.a. als Lehrer Israels profiliert werden, die dem Volk ‚( משפטיךdeine Rechtssatzungen‘; V.10a) bzw. ‚( תורתךdeine Tora‘; V.10b) vermitteln ( )ירהsollen. Ähnlich wie Ex 28,30; Num 27,21 deutet damit auch Dtn 33,8b.10ab eine Verbindung zwischen den tummīm und ʼūrīm und dem ( משפטJHWHs) – und weitergehend auch der Tora selbst – an, wobei ähn290
Vgl. JOÜON/MURAOKA §113e–f; 119v; RICHTER, Grundlagen III, 219. Die Formulierung ist hier im Hebräischen Text insofern mehrdeutig, als sowohl Josua als auch Eleazar als Subjekt zu –‚( שאל לbefragen‘) denkbar sind. Am Plausibelsten erscheint es allerdings, Josua als Subjekt (d.h. Fragenden) und Eleazar als Objekt (d.h. als „Befragten“) anzusetzen. Vgl. dazu JACOB, Pentateuch, 316–317; KNIERIM/COATS, Numbers, 277; SEEBASS, Numeri 22–36, 215–216. Gegen NOORT, Ende, 114–115; u.a. 292 Vgl. NOORT, Ende, 115. 293 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 496–497; JACOB, Exodus, 908–909; NIHAN, Priestly Torah, 606–607; PROPP, Exodus 19–40, 525. Ähnlich HOUTMAN, Urim, 230–231; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 273. 291
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lich wie in Num 27,21b die Übermittlung priesterlicher Tora (diesmal an Israel) als zentral erscheint, die wohl in der aktualisierenden Auslegung der Tora vom Sinai konkret wird. Neben diese (wenigen) Belege innerhalb der Tora tritt schließlich ein Vers aus den Vorderen Propheten, 1Sam 28,6, in dem ʼūrīm erwähnt werden: Im Kontext wird Sauls Notlage vor seiner letzten Schlacht gegen die Philister beschrieben, in der es ihm – von JHWH verworfen – nicht mehr gelingt, ein Gotteswort einzuholen, das ihm in seiner nicht nur militärisch ausweglosen Lage (vgl. 1Sam 28,1–5) handlungsleitende Orientierung geben könnte. Um Sauls verzweifelte Suche anschaulich zu machen, listet 1Sam 28,6 auf, welche „Medien“ der JHWH-Befragung nacheinander „versagen“ und nennt der Reihe nach Träume, die ʼūrīm und schließlich Propheten, wobei die beiden letzten wohl auf den priesterlichen Bescheid – ähnlich wie beim Heerführer Josua (vgl. Num 27,21) – sowie auf das prophetische Orakel verweisen. Abschließend sind die beiden – gleichlautenden – Verse Esr 2,63; Neh 7,65 zu nennen, die – im Kontext von Listen der aus dem Exil heimkehrenden (Esr 2,36–63) bzw. in Jerusalem siedelnden (Neh 7,39–65) Priester auf Familien rekurrieren, deren legitime Abkunft von Aaron nicht einwandfrei erwiesen werden kann. Diese werden so lange von priesterlichen Aufgaben und Privilegien suspendiert, bis ein „Priester für die ʼūrīm und tummīm“ aufsteht – und damit ein autoritativer Entscheid möglich wird, der den genauen „halachischen“ Status der betreffenden Familien zu klären vermag. Auch hier scheint damit weniger ein Orakel im Blick, sondern eine priesterliche Weisung, die – wie in Lev 10,10 vorgegeben – mit der nötigen Verbindlichkeit zwischen heilig und profan zu scheiden vermag.
Es wird deutlich, dass keiner der Texte einen konkret-„gegenständlichen“ Gebrauch der ʼūrīm und tummīm voraussetzt, der die Vermutung stützen könnte, dass hier Orakel-Lose o.ä. im Blick sind:294 Sie werden weder aus dem ḥošæn geholt (oder zurückgelegt) noch „geworfen“ oder sonst in irgendeiner Weise „betätigt“. Stattdessen erweisen sich letztlich alle Belegstellen als kompatibel mit der anhand von Ex 28,30 entwickelten Hypothese, wonach die ʼūrīm und tummīm v.a. als Hinweiszeichen auf die von JHWH offenbarte Weisung fungieren, was insofern weiter entfaltet wird, als sie in Num 27,21; Dtn 33,8; Esr 2,63; Neh 7,65 (und eher in Andeutungen auch in 1Sam 28,6) zugleich mit der priesterlichen Aufgabe der Tora-Erteilung bzw. -auslegung (vgl. Lev 10,11) verbunden sind:295 Josua erfragt bei Eleazar das „Recht der ʼūrīm“ und zieht daraufhin vor dem Volk aus (Num 27,21), die Leviten belehren Israel mit Recht ( )משפטund Tora (Dtn 33,10), ein künftig aufstehender Priester soll verbindlich und mit der erforderlichen Autorität den halachischen Status der zweifelhaften Priesterfamilien definieren und darin ebenfalls „Tora“ erteilen und Saul erhofft sich (vergeblich) eine ähnliche „Beratung“, wie sie dem Josua Num 27,21 zufolge durchgehend zur Verfügung steht. Umgekehrt lassen die wenigen (weiteren) Belegstellen im TaNa“K Fragen 294
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 268; HOUTMAN, Exodus 3, 495; MILGROM, Leviticus 1–16, 509. 295 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 496–497; JACOB, Exodus, 908–909; NIHAN, Priestly Torah, 606–607; PROPP, Exodus 19–40, 525. Ähnlich HOUTMAN, Urim, 230–231; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 273.
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offen, die auch in Ex 28,30 nicht zu klären sind, z.B. die nach dem Aussehen, der Gestalt oder dem (Text-?)Inhalt der ʼūrīm und tummīm. Interpretiert man nun die ʼūrīm und tummīm als „Erinnerung“ an die Offenbarung bzw. als Hinweiszeichen auf die Weisung JHWHs (das zudem mit der priesterlichen Toraerteilung in Zusammenhang steht),296 so kann dies – mit Blick auf Ex 28,30 – hilfreich sein, die Funktion des ḥošæn und der an diesem angebrachten Steine genauer zu fassen. Dazu aber ist zunächst das Verhältnis zwischen diesen und den ʼūrīm und tummīm zu bestimmen, wofür sich v.a. Ex 28,30b–bI als hilfreich erweist. So ordnet JHWH in Ex 28,30b an, dass die ʼūrīm und tummīm ‚( על־לב אהרןauf / über dem Herzen Aarons‘) sein sollen, was auf markante Weise mit dem Satz Ex 28,29a korrespondiert, der festhält, dass Aaron an buchstäblich derselben Stelle, „über seinem Herzen“ ()על־לבו, die in die Steine des ḥošæn gravierten Namen der Söhne Israels trägt. Die Namen und die ʼūrīm und tummīm werden also mit genau demselben „Ort“ verbunden, zu dessen Umschreibung der Text interessanterweise nicht auf Gestaltung und Machart des ḥošæn rekurriert – dann nämlich wäre zwangsläufig zwischen dem „Ort“ der Steine (und Namen) auf der Außenund dem der ʼūrīm und tummīm auf der Innenseite zu differenzieren –, sondern auf den Körper Aarons. Auf diese Weise wird zweierlei zugleich deutlich: (1.) Zunächst bezieht der Text die Namen und die ʼūrīm und tummīm – indem er ihnen ausdrücklich denselben „Ort“ gibt – aufs Engste aufeinander, wodurch das in den Namen repräsentierte Zwölf-Stämme-Israel (d.h. das Bundesvolk JHWHs) unmittelbar mit der in den ʼūrīm und tummīm abgebildeten Offenbarung JHWHs korreliert wird. Bezug zur Tora bzw. Torabindung erscheint so als ein bestimmendes Charakteristikum Israels bzw. als eine der konstitutiven Grundlagen israelitischer Identität. Bezieht man die Beobachtung mit ein, dass die Anordnung der Steine auf dem ḥošæn die in Num 2 festgelegte Lagerordnung Israels wiederspiegelt, die ihrerseits konkrete Umsetzung der in der Tora manifesten Lebensordnung Israels als Bundesvolk JHWHs ist, so ist dieser Torabezug letztendlich sogar in der äußeren Gestaltung des ḥošæn ablesbar, der damit eine gewisse „Transparenz“ auf die in der „Tasche“ des ḥošæn (dauerhaft) verborgenen ʼūrīm und tummīm hin zu eigen ist. (2.) Darüber hinaus ist auch die Person Aarons von Bedeutung. Immerhin ist der „gemeinsame Ort“ von Namen und ʼūrīm und tummīm „über seinem Herzen“ (vgl. V.29a.30bc) lokalisiert. Die in Ex 28,29–30 insgesamt drei Mal belegte Formulierung [ – על־לב]בbzw. die Wendung [‚( היה על־לב]בüber dem Herzen sein‘; vgl. V.30b) – ist in der Tora nur noch in Dtn 6,6; 11,18 zu fin-
296
Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 272–276.
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den.297 An beiden Stellen ist davon die Rede, dass „diese Worte“ – aus dem Kontext heraus sind die Mosereden in Moab gemeint – „auf dem Herzen“ der von Mose Angesprochenen, also des Israels der zweiten Generation, sein sollen. Dabei bezeichnet der Terminus [‚( על־לב]בHerz‘) zunächst den „Personenkern“ bzw. die Person selbst, die demnach von der Tora bestimmt und durch diese geprägt, d.h. gleichsam der „Herrschaft“ des „über dem Herzen“ stehenden Gotteswillens unterworfen sein soll. Andererseits aber ist das Herz auch das Organ der „(praktischen) Vernunft“ und bestimmt als solches das Reden und Handeln des Menschen, das somit ebenfalls durch die Tora „imprägniert“ ist.298 Dies illustriert auch der engere literarische Kontext beider Verse (vgl. Dtn 6,4–9; 11,18–21), in dem anschaulich wird, wie das Bestimmt-Sein durch „diese Worte“, die „auf dem Herzen“ sind, letztlich alle Lebensvollzüge durchdringen soll.299 In Ex 28,29–30 hingegen scheint der zuletzt genannte Zug insofern ein Stück weit zurückzutreten, als die beiden Sätze Ex 28,29a.30b, die die Namen bzw. die ʼūrīm und tummīm über dem Herzen Aarons „lokalisieren“ durch die Infinitivsätze Ex 28,29aI.30bI fortgeführt werden, die das „auf dem Herzen“Sein je mit einer speziellen Situation verbinden, dem „Kommen ins Heilige“ ( ;בבאו אל הקדשV.29aI) bzw. dem „Kommen vor JHWH“ (;בבוא לפני יהוה V.30bI). Beide Texte rekurrieren also auf denselben Raum im Heiligtum, der auf zweifache (komplementäre) Weise bestimmt wird – einmal unter Bezugnahme auf die Raumkonzeption in Ex 26,31–36, die die theologische Qualität der Räume von ihren Begrenzungen und „Scheidungen“ her definiert, das zweite Mal aber relational über den (in räumliche Metaphorik gekleideten) Verweis auf die Präsenz JHWHs. Im Blick ist somit ausdrücklich nicht die Gesamtheit aller Lebensvollzüge Aarons, sondern konkret sein Dienst im Heiligtum, den er in seinem Hineinkommen (vgl. ;בבאוV.29aI.30bI) aufbzw. wahrnimmt.300 Solange er aber Dienst tut – und die Priestergewänder trägt – geht er in der Funktion auf, „über seinem Herzen“ – im Kern seiner Person – das „Idealbild“ eines untrennbar mit der Tora verbundenen Israel vor JHWH zur Darstellung zu bringen. Weitergeführt wird dieser Gedanke schließlich im Satz Ex 28,30c, der in der Formulierung … ‚( ונשא אהרןund Aaron soll tragen…‘) zunächst die ersten Worte von Ex 28,29a (vgl. auch Ex 28,12b) wieder aufnimmt. Ist allerdings in Ex 28,29a von einem (Hinein-)Tragen der Namen der Söhne Israels die Rede, findet sich in V.30c als Objekt der ‚( משפט בני ישראלRecht / Ordnung der Söhne Israels‘), der von Aaron – ebenso wie die Namen (vgl. V.29a) 297
Vgl. JACOB, Exodus, 907. Vgl. GEIGER, Gottesräume, 151–152; 245; HOUTMAN, Exodus 3, 497; OTTO, Deuteronomium 4–11, 805–806. 299 Vgl. GEIGER, Gottesräume, 151–152; OTTO, Deuteronomium 4–11, 805–806. 300 Vgl. JACOB, Exodus, 907. 298
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oder die ʼūrīm und tummīm (V.30b) – „auf / über seinem Herzen“ ()על־לבו getragen wird. Das ‚( משפט בני ישראלRecht / Ordnung der Söhne Israels‘) kann dabei in zweierlei Weise gedeutet werden: (1.) Der Terminus משפטkann als „Gesetzesterminus“ (‚Recht‘) interpretiert werden, der gleichsam den materialen Gehalt dessen bezeichnet, das die ʼūrīm und tummīm als „Korrelat der ʽedūt“301 repräsentieren. So verstanden umschreibt V.30c letztendlich denselben Vorgang, den auch V.30b–bI ins Auge fasst, und der nun als Hineintragen (des Rechts bzw. der ʼūrīm und tummīm) „auf dem Herzen“ Aarons beschrieben wird. Gleichzeitig wird der oben aufgezeigte enge Zusammenhang zwischen Israel und der durch die ʼūrīm und tummīm „verkörperten“ Tora nochmals in der Konstruktusverbindung ‚( משפט בני ישראלRecht der Söhne Israels‘) unterstrichen. (2.) In einem weiter gefassten Sinne kann משפטauch die ‚Ordnung / Verfasstheit / Beschaffenheit‘ – in diesem Fall der Söhne Israels – bezeichnen.302 Setzt man für V.30c diese Bedeutung an, so wird weniger das in V.30b–bI Gesagte in anderen Worten und mit veränderter Perspektive und Akzentsetzung wiederholt, sondern letztendlich eine resümierende Deutung des in V.29–30 Entfalteten vorgenommen. Immerhin erscheint die ‚Ordnung der Söhne Israels‘ ( ;משפט בני ישראלV.30c) dann gleichsam als die Summe dessen, was Aaron Ex 28,29–30 zufolge „auf dem Herzen“ hat. An diesem Ort, dem Herzen Aarons, verbinden sich die Inschrift auf den Steinen mit ihren zahlreichen durch Textinhalt und -anordnung generierten Bezügen und die ʼūrīm und tummīm zu einem komplexen „Kompendium“, in dem zentrale Elemente und Grundlagen israelitischer Identität zur Abbildung kommen.303 Ausgangspunkt ist dabei das durch die Steine des ḥošæn repräsentierte „ZwölfStämme-Israel“, das zunächst durch die Art und Weise seiner Präsentation mit der Exodus- bzw. Sinaigeneration korreliert wird. Immerhin stellt ja die in Ex 28,17–20 vorgegebene Anordnung der Steine in vier Dreier-Reihen einen Bezug zu der am Sinai implementierten Lagerordnung her (vgl. Num 2), durch den zugleich die in Num 2 (räumlich) umgesetzte Hinordnung Israels auf den in seiner Mitte gegenwärtigen Gott als ein wesentlicher Zug israe301
JACOB, Exodus, 909. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 268. 303 Vor diesem Hintergrund wird dann auch die in V.15a.30a – also zu Beginn und zum Abschluss des Abschnitts zum ḥošæn – belegte Bezeichnung ‚( חשן המשפטḥošæn des Rechts / der Ordnung‘) verständlich, die darauf verweist, dass das Gewandstück letztendlich als Abbild einer ‚Ordnung‘ bzw. ‚Verfasstheit‘ Israels gestaltet ist und so dazu dienen soll, diese „vor JHWH (hin)“ zu tragen und dort zur Darstellung zu bringen. Einen ähnlichen Ansatz bietet O. KEEL, der allerdings die Formulierung „ משפט בני ישראלexklusiv“ mit den ʼūrīm und tummīm verbindet. So sind diese Repräsentation „der richtigen, gottgewollten Ordnung“ (KEEL, Brusttasche, 383), die durch Aaron im Kult vor der Gottheit „dargebracht“ wird (vgl. KEEL, Brusttasche, 382–384). 302
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litischer Identität markiert wird. Darüber hinaus verbindet das Einspielen von Ex 24,4 in Ex 28,21bc die Steine des ḥošæn mit den zwölf Steinen, aus denen der am Sinai errichtete Altar erbaut ist und die dort ebenfalls die zwölf Stämme repräsentieren. Über diesen Bezug wird einerseits der an diesem Altar am Sinai geschlossene Bund mit in das durch die Steine des ḥošæn gezeichnete Gesamtbild einbezogen und als konstitutiv für das abgebildete Selbstverständnis Israels ausgewiesen, andererseits aber wird auch die in Ex 24,4–9 (auch liturgisch vollzogene) Identifikation zwischen Israel und dem Altar aufgenommen, durch die Israel als „Ort“ der Gottespräsenz qualifiziert wird. Diese Sinai-Bezüge komplettieren schließlich auch die im ḥošæn deponierten ʼūrīm und tummīm als „Tora-Symbol“, die wie die Namen der Söhne Israels „über dem Herzen Aarons“ getragen werden und so nicht nur „räumlich“ eng mit diesen verbunden sind. Vervollständigt wird das Gesamtbild durch die Steine des ’efod, die auf den Schultern Aarons angebracht, den ḥošæn mit seinem Symbolprogramm gleichsam „einrahmen“ und das dort abgebildete „Zwölf-Stämme-Israel“ als Bundesvolk JHWHs mit den Vätern korrelieren, in denen Israel seinen (genealogischen) Ursprung findet, die zugleich aber auch mit den theologisch zentralen Themen ‚Verheißung‘ und ‚Segen‘ verbunden sind und so für die Grundlegung israelitischer Identität stehen. Diesen hier nochmals zusammengefassten Teilaspekten, die in dem „Programm“ der Steine auf Aarons Gewändern eingeschlossen sind, ist gemeinsam, dass sie allesamt um Facetten der Beziehung zwischen JHWH und Israel kreisen, die folglich den eigentlichen Kern der dargestellten Identität Israels bildet. Aarons Aufgabe mit Blick auf das durch ’efod und ḥošæn konstituierte „Kompendium“ wird im Text stets mit dem Verb ‚( נשאtragen‘; vgl. Ex 28,12a.29a.30c) ausgedrückt; er hat diese „Ordnung der Söhne Israels“ (vgl. ;משפט בני ישראלV.30) in den Raum des „Heiligen“ hinein zu tragen und so vor JHWH (vgl. ;לפני יהוהvgl. Ex 28,29–30) präsent zu machen. So ereignet sich – regelmäßig ( ;תמידEx 28,29a2.30c) – eine Begegnung zwischen JHWH und „Israel“, die mit dem theologisch sehr aufgeladenen Terminus זכרן (V.12ab.29a2) umschrieben wird, der zugleich ein Gegenwärtig-Sein des Vergangenen einschließt. Dies wird wesentlich über die Inschriften als Medien der Erinnerung bewerkstelligt. Das zu erinnernde „Vergangene“ sind dabei in V.12 die Namen der Söhne Israels [Jakobs], mit denen der Text die Grundlegungen israelitischer Identität verbindet, aber auch das Zwölf-StämmeIsrael, das eng mit dem Thema des Bundes(schlusses) verbunden ist (vgl. V.29). Beides wird im Erinnern aufeinander bezogen und kann so zur bleibenden Basis einer „Ordnung der Söhne Israels“ werden, die auf Aarons ḥošæn abgebildet ist.
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Aaron fungiert somit nicht einfach als Repräsentant Israels – und v.a. nicht als Repräsentant des zu ihm selbst „zeitgenössischen“ Israel – sondern eher als ein „Träger“, der das durch ’efod und ḥošæn konstituierte „Israel-Symbol“ in die Gegenwart JHWHs hinein bringt. So sind die (einzelnen) Israeliten weniger durch Aaron selbst vertreten, sondern haben an dem durch ihn initiierten Präsentations- und Erinnerungsgeschehen dadurch Anteil, dass auf den Gewändern Aarons Kernelemente ihrer eigenen (israelitischen) Identität vor JHWH getragen werden und sie an dem ‚( משפט בני ישראלOrdnung der Söhne Israels) partizipieren, den die Gewänder abbilden. In diesem Zusammenhang wird nochmals die bereits mehrfach angesprochene Verschiebung in der Proposition der Formulierung ‚( בני ישראלSöhne Israels‘) interessant. Immerhin bezeichnet letztere in V.9–12 die (leiblichen) Söhne Israels/Jakobs, in V.21.29 die Stämme (vgl. V.21.29) und zuletzt in V.30a in der Wendung משפט בני ישראלwieder – wie z.B. auch in Ex 27,20a.21b; 28,1a – das Volk Israel (als Ganzes) ohne eine Eingrenzung auf eine spezielle Generation zu implizieren. Zwar sind in der Textwelt die in V.30 angesprochenen „Söhne Israels“, deren Ordnung Aaron vor JHWH tragen soll, noch identisch mit der Sinaigeneration, die nach der „Inbetriebnahme“ des Heiligtums tatsächlich auf die beschriebene Weise durch Aaron vor JHWH „in Erinnerung gebracht“ wird. Zugleich jedoch ist die Wendung auch auf spätere Generationen hin offen und damit auch auf Lesende, für die das „Zwölf-Stämme-Israel“ ebenso eine Größe der Gründungsgeschichte Israels ist, wie es die zwölf Söhne Jakobs sind. Auch diese „Späteren“ finden in den in Ex 28,6–14.15–30 beschriebenen Gewändern, Steinen und Inschriften die Grundlegungen ihrer eigenen (israelitischen) Identität abgebildet, die sie – im Text (!) – in einen Repräsentationsvorgang eingebunden sehen, der diese Grundlegungen mit JHWH in Beziehung setzt und das regelmäßige „InErinnerung-Bringen“ ihrer eigenen Identität vor JHWH als wesentliche kultische Aufgabe Aarons profiliert. Den Abschluss der Funktionsbeschreibung des ḥošæn (Ex 28,29–30) markieren schließlich die beiden Formulierungen תמידund לפני יהוה. Zugleich greifen beide auch das Ende von V.29 auf, wo sie – in gleicher Reihenfolge und ebenfalls als Abschluss der Sinneinheit – belegt sind. So verklammern sie zunächst die beiden Verse, qualifizieren das Hineintragen der „Ordnung Israels“ aber auch als einen regelmäßigen Vollzug ()תמיד, der zugleich in einem Geschehen der Begegnung mit JHWH kontextualisiert ist und insofern ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) geschieht. Zuletzt aber kommt ihnen – wie bereits im Zusammenhang mit Ex 28,29 ausgeführt – im Kontext der Heiligtumstora die Funktion zu, einen für die Auslegung des Textes zentralen Rückbezug zu Ex 27,20–21 anzuzeigen, dem unten nachgegangen werden soll. Zuvor jedoch sind noch die verbleibenden Gewänder anzusprechen, um sie in das sich abzeichnende Gesamtbild mit einbeziehen zu können.
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3. Der meʽīl Nach ’efod und ḥošæn wird in Ex 28,31–35 mit dem (’[‚( מעיל )האפודefod-] Mantel‘) ein drittes Kleidungsstück Aarons eingeführt, das unter den beiden zuerst genannten getragen wird und mit diesen in einem engen sachlichen Zusammenhang steht. Seine Machart wird in Ex 28,31–34 genauer umschrieben, während Ex 28,35 eine Deutung und Funktionsbeschreibung des Gewandes bietet. Ex 28,31 betont zunächst, dass der meʽīl gänzlich ( )כלילaus ‚( תכלתBlaupurpurwolle‘) herzustellen ist, im Gegensatz zu den zuvor besprochenen Gewändern also nur aus einer Sorte Stoff besteht.304 Nach dieser grundlegenden Materialangabe fokussiert die Beschreibung im Wesentlichen auf zwei Elemente, die Kopföffnung ( ;פי ראשוEx 28,32) und den Gewandsaum mit seinen „Verzierungen“ ( ;שוליםEx 28,33–34), d.h. auf den oberen und den unteren „Rand“ des meʽīl. Implizit ist damit natürlich auch ein Gewand „dazwischen“ vorausgesetzt, von dem anzunehmen ist, dass es – ähnlich einem Hemdgewand – den gesamten Körper bedeckt. Weitere Angaben zum Aussehen und zur Machart aber, etwa ob der meʽīl rundherum geschlossen, ponchoartig oder vorne offen auszuführen ist305, ob er Ärmel hat oder nicht, bietet der Text nicht – offensichtlich deshalb, weil sie für seine eigentliche Pragmatik unerheblich sind. Die spezifische Funktion des meʽīl muss somit aus den beiden genauer thematisierten Elementen zu erheben sein. Was das erste, die Kopföffnung, anbelangt, ordnet V.32b an, diese mit einem Rand ( )שפהzu versehen, der in „Weberarbeit“ ( )מעשה ארגauszuführen ist.306 Gemeint ist damit wohl, dass die Kopföffnung gleich beim Weben des Gewandes frei gelassen werden soll,307 wodurch ein nachträgliches Aufschneiden des fertigen Gewandes, das in die Struktur des Stoffes eingreifen und sie schwächen würde, unnötig wird.308 Somit dient die Herstellungsweise dem in V.32c formulierten Ziel: ‚( לא יקרעes soll nicht eingerissen werden‘). Wesentlich für den meʽīl scheint somit zu sein, dass er äußerlich intakt bleibt 304
Vgl. HARAN, Temples, 168–169; HOUTMAN, Exodus 3, 508; PROPP, Exodus 19–40, 443–444. 305 Zur Diskussion vgl. BENDER, Sprache, 230–233; HOUTMAN, Exodus 3, 507–508; MILGROM, Leviticus 1–16, 504. 306 Im Herstellungsbericht Ex 39,22–26 ist die Machartangabe מעשה ארגnicht auf die Kopföffnung, sondern das gesamte Gewand bezogen, das ja einfarbig ausgeführt wird und von daher keine farbigen Muster oder Ornamente trägt (vgl. מעשה רקםbzw. ;)מעשה חשבvgl. BENDER, Sprache, 66. 307 Der meʽīl ist somit als sog. tunica inconsutiles auszuführen (für diesen Hinweis danke ich Frau M. FLURY–LEMBERG, Bern). Zu spekulieren wäre, ob der Terminus תחראin Ex 28,32, dessen Bedeutung in der Literatur durchgehend als nicht bestimmbar angegeben ist (vgl. z.B. BENDER, Sprache, 231; HOUTMAN, Exodus 3, 508), auf diesen Typ von Gewand verweist? 308 Vgl. JACOB, Exodus, 812.
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und keine Risse bzw. „Strukturschäden“ bekommt, was pointiert im Zusammenhang mit der am stärksten belasteten und daher potentiell schadanfälligsten Stelle des Gewandes, eben der Kopföffnung, verhandelt wird.309 In V.33–34 schließlich richtet sich der Fokus auf den Gewandsaum ()שולים, genauer auf dessen „Verzierung“: So sind an diesem je abwechselnd Granatäpfel, die aus den gefärbten Wollstoffen ( ;תכלת וארגמן ותלעת שניV.33a) angefertigt sind,310 und goldene Glocken anzubringen, auf die auch in der Funktionsbeschreibung in V.35 eingehender eingegangen wird. Auffällig ist weiterhin, dass das Stichwort ‚( סביבrundherum‘) mehrfach – in den vier Versen immerhin vier Mal – auftaucht und so wie ein Leitwort des Abschnitts erscheint. Es findet sich in V.32 im Zusammenhang mit der Kopföffnung und schließlich drei Mal in V.33–34, wo es jeweils unterstreicht, dass die Granatäpfel (V.33a), die Glocken (V.33b) – bzw. beide zusammen (V.34) – rings um den Saum des meʽīl anzubringen sind. 35a 35aI 35b 35bI1 35bI2 35c
Und er (= der meʽīl) sei über Aaron, um zu dienen, und seine Stimme sei hörbar bei seinem Kommen ins „Heilige“, vor JHWH, und bei seinem Hinausgehen, damit er nicht sterbe. (Ex 28,35)
Die Funktionsbeschreibung des meʽīl in V.35 setzt mit der Anordnung והיה על ( אהרןwörtl.: ‚und er sei über Aaron‘) ein. Diese Formulierung erinnert einerseits deutlich an V.30b (‚ ;והיו על־לב אהרןund sie sollen über dem Herzen Aarons sein‘), aber auch an Wendungen wie ‚( על־שתי כתפיוüber seinen beiden Schultern‘; V.12b) oder ‚( על־לבוüber seinem Herzen‘; V.29a.30c), die diejenigen „Orte“ benennen, an denen Aaron die Namen der Söhne Israels bzw. die ʼūrīm und tummīm trägt, unterscheidet sich jedoch zugleich darin von ihnen, dass sie nicht ein bestimmtes „Körperteil“ (‚Herz‘, ‚Schulter‘,…) benennt, sondern auf Aaron („als Ganzen“) verweist. Der meʽīl soll „auf Aaron“ sein und ihn gewissermaßen „zur Gänze“ einhüllen.311 Dies korrespondiert insofern gut mit der Herstellungsbeschreibung, als diese in V.32–34 in erster Linie auf die „Begrenzungen“ des meʽīl, die Kopföffnung, als oberen und den Saum als unteren Rand, abhebt und diese durch die eingehende Beschreibung, aber auch durch ihre besondere Ausgestaltung (vgl. Glocken und Granatäpfel) besonders betont. Auf diese Weise definiert sie das „Dazwischen“ gleichsam als vom meʽīl bedeckt und trägt zugleich Sorge dafür, einem Einreißen des 309 Vgl. BENDER, Sprache, 231–232; HOUTMAN, Exodus 3, 509. Vgl. ähnlich JACOB, Pentateuch, 220. 310 Vgl. genauer BENDER, Sprache, 233. 311 Vgl. JACOB, Pentateuch, 322.
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Gewandstücks entgegenzuwirken, das die angezielte „Abgrenzung“ aufheben könnte. Dass diese „Abgrenzung“ Aarons primär als eine symbolische angelegt ist, wird freilich daran deutlich, dass Kopf, Füße, Hände und evtl. auch Arme Aarons – allein schon aus pragmatischen Gründen – außerhalb des meʽīl verbleiben. Von Ex 28,35a ist schließlich der Infinitiv ‚( לשרתum zu dienen‘; V.35aI) abhängig, der zumeist auf Aaron bezogen und so letztlich als Umstandsangabe interpretiert wird: Der meʽīl soll an Aaron sein „zum Dienst tun“, d.h. wenn Aaron Dienst tut. Mit dieser Interpretation ist freilich die Annahme einer unpräzisen Ausdrucksweise des Textes verbunden, denn immerhin fungiert Aaron in V.35a nicht als Subjekt, wäre aber in dem von Ex 28,35a abhängigen Infinitivsatz als solches vorauszusetzen. Angesichts dieser Inkongruenz schlägt B. JACOB vor, den Infinitiv לשרתsyntaktisch korrekt auf das Subjekt von V.35a zu beziehen, den meʽīl. Er untermauert dies mit dem Hinweis darauf, dass im Unterschied zu denjenigen Belegstellen des Verbs שרת bzw. der Infinitivform לשרת, an denen tatsächlich ein „Dienst tun“ Aarons im Blick ist (vgl. Ex 28,43; 29,30; 35,19; 39,1.41; …), die Wendung ‚( בקדשim „Heiligen“‘) fehlt. So ist gerade nicht davon die Rede, dass Aaron im „Heiligen“, seinen Dienst ausführt, sondern dass der meʽīl selbst „tätig“ wird bzw. eine Aufgabe erfüllt – z.B. indem er „über Aaron“ ist und ihn so (symbolisch) abschirmt, aber auch indem – wie V.35b betont – seine Stimme hörbar ( ונשמע )קולוwird.312 Dieses Hörbar-Werden der Stimme ist auf den Klang der Glöckchen am Saum des Gewandes (vgl. V.33–34) zu beziehen, die – wie die beiden von V.35b abhängigen Infinitivsätze V.35bI1–I2 herausstellen – klingen, wenn Aaron in das Heiligtum eintritt ( )בואund wenn er es wieder verlässt ()יצא. Als interessant erweist sich dabei zunächst V.35I1, der deutlich auf die Infinitivsätze V.29aI.30bI Bezug nimmt und so einen Zusammenhang zwischen dem „Dienst“ des meʽīl bzw. dem Klingen der Glöckchen und der Aufgabe Aarons herstellt, die Namen der Söhne Israels ( ;שמות בני ישראלV.29a) bzw. die ʼūrīm und tummīm „vor JHWH“ zu tragen. Das eigentliche Anliegen des „Dienstes“ des meʽīl deutet der Finalsatz Ex 28,35c an, der betont, dass Aaron ohne den meʽīl unausweichlich dem Tod geweiht wäre. Die damit konstatierte „Lebensgefahr“ steht in Zusammenhang mit der Heiligkeit, mit der besonderen Qualität desjenigen Ortes also, an dem Aaron sich bewegt (vgl. V.35bI1).313 Dies kann auch ein Blick auf die weiteren Belege der Formulierung [ ]ו[לא ימות]וin der Tora untermauern314, die auf Kulttexte (im engeren Sinne) beschränkt sind. Thematisiert werden dabei jeweils Vorkehrungen, die Heiliges bzw. Hochheiliges vor dem Kontakt mit 312 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 511; JACOB, Pentateuch, 322–323; DERS., Exodus, 913– 914. Vgl. auch BENDER, Sprache, 234. 313 Vgl. BENDER, Sprache, 234–235. 314 Vgl. Ex 30,20–21; Lev 15,31; 16,2; 22,9; Num 4,15.19–20; 18,3.32.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Profanem oder Unreinem schützen, wobei genau aus diesem zutiefst problematischen Kontakt die Lebensgefahr für denjenigen resultiert, der ihn – gewollt oder ungewollt – herstellt. Der Tod ist somit die Folge eines unstatthaften und „ungeregelten“ Übertretens oder Aufhebens von klaren Abgrenzungen, die – wenn überhaupt – nur in einem normierten, rituellen Vollzug „überwindbar“ sind. So erscheint der Tod in Lev 16,2 als Konsequenz einer möglichen Übertretung des Verbots, das Allerheiligste zu betreten (das für den Versöhnungstag aufgehoben bzw. modifiziert wird). In Num 4,15.19–20 hingegen wird der Schutz der Leviten vor der Heiligkeit derjenigen Geräte thematisiert, die sie tragen und daher zwangsläufig berühren müssen (vgl. dazu auch Num 18,3.32, wo im Grunde dieselbe Thematik mit Blick auf den Dienst der Leviten am Heiligtum verhandelt wird). Die Verse Lev 15,31; 22,9 warnen schließlich davor, Heiliges in Kontakt mit Unreinem zu bringen (טמא-pi.; Lev 15,31) oder zu profanieren ( ;חללLev 22,9), während die Vorschrift an die Priester, sich vor Dienstantritt im „Waschbecken“ ( )כיורdes Heiligtums Hände und Füße – also diejenigen Körperteile, die mit dem Heiligtum und dessen Geräten bzw. den Opfergaben in Berührung kommen – zu waschen (vgl. Ex 30,20–21), letztendlich einen „Schutz“ gegen das (unbewusste) „Eintragen“ von Unreinheit in den Bereich des Heiligen (Altar und Zelt der Begegnung) konstituiert.
Vor diesem Hintergrund erscheint der meʽīl als eine nach zwei Richtungen hin funktionierende „Schutzvorrichtung“, die durch ihren „Dienst“ auf der einen Seite das „Heilige“ vor einer möglichen Profanierung bewahrt, auf der anderen Seite aber auch Aaron vor der Heiligkeit „abschirmt“, der er sich aussetzt, wenn er in das Heiligtum hineinkommt (vgl. V.35bI1). Diese Aufgabe wird zunächst durch den meʽīl selbst gewährleistet, der ja – wie oben bereits ausgeführt – tatsächlich als ein Gewand präsentiert wird, das oben und unten „abschließt“, Aaron so (symbolisch!) „komplett“ einhüllt und auf keinen Fall durch ein „Einreißen“ (vgl. V. 32d), das die Abgrenzung aufheben würde, in dieser Funktion beeinträchtigt werden darf. Das zentrale „Leitwort“, das dieses „hermetische Abgeschlossen-Sein“ betont, ist „( סביבringsum“), das insofern einen für den hier vorliegenden Sachverhalt interessanten Bezug anzeigt, als es auch in Ex 19,12 belegt ist. Dort wird Mose angewiesen, in Vorbereitung auf das bevorstehende Herabsteigen JHWHs auf den Sinai (vgl. Ex 19,11), das Volk ringsum („ )סביבeinzugrenzen“ (גבל-hi.). So soll verhindert werden, dass jemand den Berg berührt, der für die Dauer von JHWHs Herabsteigen an dessen Heiligkeit teilhat, und in Folge dessen stirbt. In beiden Fällen ist also eine „ringsum“ ( )סביבlaufende „Grenze“ im Blick, die Heiligkeit vor Menschen bzw. Menschen vor Heiligkeit schützt.315 Da Ex 28,35b–bI2 – unmittelbar vor dem Satz V.35c, der den Schutz vor der „tödlichen“ Heiligkeit als Funktion des meʽīl bestimmt – ausführlich auf die Glöckchen verweist, liegt die Vermutung nahe, dass Abgrenzung und Schutz nicht nur allgemein mit dem Gewand selbst, sondern im Speziellen 315
Vgl. dazu auch BENDER, Sprache, 234–235.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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auch mit den Glöckchen und ihrem Klingen zusammenhängen. Sollen diese also Aaron vor JHWH gleichsam akustisch „anmelden“ und so gefahrlosen Zutritt ermöglichen?316 Warum jedoch läuten sie dann auch, wenn Aaron das „Heilige“ wieder verlässt (vgl. V.35bI2)? Oder kommt dem Klang der Glocken eine apotropäische Funktion zu?317 Wer jedoch – außer JHWH selbst (?) – könnte (in der Textwelt!) durch das Läuten abgewehrt oder vertrieben werden, zumal die Todesgefahr ja eindeutig nicht von dämonischen Wesen, sondern von der Heiligkeit JHWHs (bzw. konkret von einem unsachgemäßen Umgang mit dieser) ausgeht.318 Den beiden nicht zu Gänze zufriedenstellenden Ansätzen, denen gemeinsam ist, dass sie JHWH als (sachliches) Subjekt der passivischen Verbform ‚( ונשמעund es werde gehört‘) in V.35b annehmen, stellt B. JACOB eine alternative Erklärung entgegen, die Aaron als Subjekt voraussetzt: Aaron hört auf seinem Weg ins „Heilige“ den Klang der Glöckchen und wird so – im Sinne eines ‚( דע לפני מי אתה עומדSei dir bewusst, vor wem du stehst!‘)319 – an die speziellen Anforderungen, Gefahren oder Herausforderungen seines Dienstes erinnert.320 Reizvoll scheint diese Interpretation deshalb, weil ihr der Text nicht wiederspricht und sie mit sehr wenigen „Zusatzannahmen“ auskommt, die über den Text hinausgehen. Möglicherweise jedoch haben die Glöckchen bzw. ihr Läuten noch auf eine andere Weise mit „lebensrettender“ Abgrenzung zu tun: Auffällig nämlich ist, dass der Ort, an den Aaron sich unter dem Klang der Glöckchen begibt, in V.35aI1 mit den beiden adverbialen Bestimmungen aus den ähnlich formulierten Infinitivsätzen Ex 28,29aI.30bI – ‚( אל־הקדשin das Heilige‘; vgl. V.29aI) und ‚( לפני יהוהvor JHWH‘; vgl. V.30bI) – umschrieben wird. Auf diese Weise wird nicht nur ein deutlicher Bezug zur Funktionsbeschreibung des ḥošæn in Ex 28,29–30 hergestellt, Aarons Hineingehen wird auch in zweifacher Weise theologisch näher bestimmt. So hebt das ‚( אל־הקדשin das „Heilige“‘) die theologische Qualität des Ortes heraus, mit der die im meʽīl angelegte „Schutzfunktion“ korrespondiert. Das ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) hingegen verweist darauf, dass das Hineingehen ins Heiligtum letztendlich auf die Begegnung mit JHWH hin zielt – so wie auch der Schutz vor dem „tödlichen Potenzial“ der Heiligkeit JHWHs nicht etwa Distanz bewirken, sondern gelingenden Kontakt und Nähe zwischen JHWH und Israel bzw. Aaron ermöglichen soll. Somit ist der meʽīl in solcher Weise konzipiert, dass er – in316
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 511. Vgl. z.B. KEEL, Geschichte, 938–939. 318 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 511–512; JACOB, Exodus, 913; MILGROM, Leviticus 1– 16, 504. 319 Diese Aufforderung ist vielfach – ausgeschrieben oder als Akronym ( – )דלמא״עin (ashkenasischen) Synagogen am Toraschrein selbst oder an der Wand darüber bzw. daneben als Inschrift zu lesen. 320 Vgl. HOUTMAN, Pomegranates, 225; DERS., Exodus 3, 511; JACOB, Pentateuch, 322; DERS., Exodus, 914. 317
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
dem er abschirmt und Abgrenzungen „inszeniert“ – Raum für Begegnung schafft und diese ermöglicht. Spannend ist nun, dass dies der Text von V.35 selbst wiederspiegelt, wenn er festhält, dass Aaron in das Heiligtum hinein kommt ( ;בואV.35bI1) und hinaus geht ( ;יצאV.35bI2), so aber das eigentlich wesentliche Geschehen „vor JHWH“ als ein „Dazwischen“ andeutet, das nicht expliziert, sondern lediglich von seinen „Begrenzungen“ her greifbar wird. Unterstrichen wird dies auch durch die Glocken, die – wie V.35bI1–bI2 betont – klingen, wenn Aaron kommt und geht, d.h. in Bewegung ist, und die so diese Bewegung auch akustisch nachvollziehbar machen.321 Auf diese Weise tragen sie dazu bei, einen – abgrenzenden – Raum zu inszenieren, der von Aaron (wahrnehmbar!) durchschritten wird, wenn er sich von seinem Ausgangspunkt (im Hof des Heiligtums?) zu dem Ort „vor JHWH“ bewegt bzw. von dort her wieder zurückkommt.322 „Dazwischen“ hingegen, wenn Aaron weder kommt, noch geht, herrscht – im Text wiederum nur angedeutete und nicht explizierte – Stille. In dieser aber – zwischen den Zeilen des Textes bzw. den Bewegungen und wahrnehmbar allein über den Kontrast zum hörbaren Läuten auf dem Weg hinein und hinaus – befindet sich Aaron „vor JHWH“323 und „präsentiert“ dabei (mit V.12.29–30) das komplexe Symbolprogramm der Steine auf ’efod und ḥošæn. Dabei wird er durch den ringsum („ )סביבabschirmenden“ meʽīl vor der Heiligkeit JHWHs geschützt und so am Leben gehalten. Im Gegenüber zu ’efod und ḥošæn, die ein „Idealbild“ Israels zur Darstellung bringen, formuliert der meʽīl somit letztlich eine „Antwort“ auf die Heiligkeit JHWHs und wirkt so beinahe wie ein „Negativabdruck“, in den sich die bestimmende Qualität desjenigen Gegenübers einprägt, dem Aaron im Kult begegnet. Auf diese Weise stellt er zugleich die grundlegenden Konditionen einer gelingenden Gottesbegegnung (im Heiligtum) vor Augen, die sich auf die Formel „Nähe durch bewusstes Bewahren und Inszenieren der Distanz“ bringen lassen. 4. Der ṣīṣ 36a 36b 36c 37a 37b 37c 38a 38b 38bR 321
Du sollst ein ṣīṣ aus reinem Gold machen und darauf in Siegelgravur gravieren „Heiliges // Heiligkeit für JHWH“ ()קדש ליהוה. Gib es an einen Faden aus Blaupurpur[wolle] und es sei über dem Kopfbund (;)מצנפת zur Vorderseite des „Angesichts“ des Kopfbunds sei es. Und es sei auf der Stirn Aarons und Aaron trage die Verantwortlichkeit ( )נשא עוןder heiligen Gaben ()קדשים, die die Söhne Israels heiligen,
Vgl. HARAN, Temples, 214; HOUTMAN, Pomegranates, 225; KEEL, Geschichte, 939. Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 446. 323 Vgl. HOUTMAN, Pomegranates, 225. 322
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43) 38b 38c
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für alle Geschenke ihrer heiligen Gaben. Es sei auf seiner Stirn, regelmäßig ()תמיד, zum Wohlgefallen für sie vor JHWH. (Ex 28,36–38)
Als ein viertes Gewandstück wird in Ex 28,36–38 der ṣīṣ eingehender besprochen, der sich sowohl hinsichtlich seiner Beschaffenheit als auch hinsichtlich der mit ihm verbundenen Symbolik deutlich von den drei enger zusammengehörigen Kleidungsstücken ’efod, ḥošæn und meʽīl abhebt. Diese „Sonderstellung“ wird auch daran deutlich, dass der ṣīṣ in der Liste der herzustellenden Gewänder in Ex 28,4 nicht erwähnt wird. In Ex 29,6 hingegen wird er – im Zusammenhang mit der Anweisung, Aaron mit den hergestellten Gewändern zu bekleiden – als ‚( נזר הקדשnæzær der Heiligkeit‘) bezeichnet, während in Ex 39,39; Lev 8,9 beide Benennungen miteinander kombiniert sind. Ex 28,36–38 beginnt – wie die vorausgehenden Abschnitte – mit Anweisungen zu Machart und Herstellung (vgl. V.36a–37a). So definiert V.36a zunächst den Werkstoff: Es wird festgehalten, dass der ṣīṣ aus reinem Gold ( )זהב טהורherzustellen ist. Im Gegensatz zu ’efod, ḥošæn und meʽīl ist er somit ein Gegenstand aus Metall, zu dessen Form und Aussehen der Text allerdings keine Aussagen trifft. Informationen dazu können – wenn überhaupt – nur indirekt aus seiner Bezeichnung abgeleitet werden. Der Terminus ציץ nämlich bezeichnet eine ‚Blüte‘ oder ‚Blume‘, woraus möglicherweise zu folgern ist, dass der ṣīṣ des Priestergewandes als Metallplatte in Blüten- oder Blattform gestaltet ist. Für den Text selbst allerdings sind nicht die Form und das Aussehen von Interesse, sondern allein die in Ex 28,36b beschriebene Inschrift ‚( קדש ליהוהHeiliges / Heiligkeit für JHWH‘), die in „Siegelgravur“ ( )פתוחי חתםauf den ṣīṣ zu gravieren ist und darin den Inschriften auf den Steinen des ’efod und des ḥošæn (vgl. Ex 28,11a.21c) ähnelt. Ex 28,37a schließlich ordnet an, den ṣīṣ an einem Faden aus Blaupurpurwolle ( )תכלתzu geben, mit dessen Hilfe er – wie V.37bc deutlich macht – an der Kopfbedeckung Aarons ( ;מצנפתvgl. V.39b) befestigt werden kann. Ex 28,37b ist dabei der erste von insgesamt drei Sätzen, die jeweils mit והיה (‚und er [= der ṣīṣ] soll sein…‘) einsetzen und die Stelle, an der der ṣīṣ anzubringen ist, je unterschiedlich umschreiben (vgl. V.37b.38a.38c). Diese Beobachtung legt eine Einteilung des Textes Ex 28,37b–38c in drei Abschnitte, V.37bc; V.38a–bR.V.38c, nahe, die jeweils ausgehend vom Ort der Anbringung die Funktion(en) des ṣīṣ beleuchten und so auch die Bedeutung der in Ex 28,36b erwähnten Inschrift auf dem ṣīṣ erhellen. Die erste Einheit, Ex 28,37bc, kreist v.a. darum, die Stelle, an der der ṣīṣ zu befestigen ist, möglichst genau zu definieren. So hält V.37b fest, dass der ṣīṣ über dem Kopfbund ( )על־המצנפתliegen soll. Diese Vorgabe wird im invertierten Verbalsatz (x-jiqṭol) V.37c, der chiastisch zu V.37b gestaltet ist, nochmals aufgenommen und durch die Anweisung konkretisiert, dass der ṣīṣ
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
zum „Gesicht“, d.h. zur Vorderseite ( )פניםdes Kopfbundes hin anzubringen ist. Er zeigt somit nach vorne und ist folglich für jeden lesbar, der Aaron gegenübersteht. Der zweite Teilabschnitt, Ex 28,38a–bR hingegen bestimmt – eröffnet durch den והיה-Satz V.38a – den in V.37bc bereits beschriebenen Ort der Anbringung des ṣīṣ insofern auf andere Weise, als der ṣīṣ nun zu Aaron selbst und nicht zu seinen Gewandstücken in Beziehung gesetzt wird. So soll er auf der Stirn ( )מצחAarons liegen.324 Diese ausdrückliche Bezugnahme auf Aaron erweist sich insofern als wesentlich, als V.38b–bR tatsächlich auf eine Funktion bzw. Aufgabe Aarons rekurriert, die durch das ṣīṣ angedeutet bzw. zum Ausdruck gebracht wird. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Wurzel קדש (‚heilig sein‘), die in V.38b–bR insgesamt drei Mal belegt ist – zweimal in Gestalt des Nomens ‚( קדשיםheilige Dinge‘, ‚Heiligtümer‘) und ein weiteres Mal in dem Verb קדש-hi. (‚heiligen, weihen‘). Diese Beobachtung legt die Vermutung nahe, dass in V.38b–bR letztendlich die in V.36b erwähnte Inschrift des ṣīṣ (‚ ;קדש ליהוהHeiliges / Heiligkeit für JHWH‘) erläutert bzw. entfaltet werden soll. Ex 28,38b setzt mit den Worten ‚( ונשא אהרןund Aaron soll tragen…‘) ein und kann so an Ex 28,12b.29a.30c erinnern. Anders jedoch als in den zuletzt genannten Stellen, an denen es tatsächlich um ein (Hinein–) Tragen der Namen bzw. des משפטder Söhne Israels (auf ’efod und ḥošæn) geht, findet sich in V.38b die idiomatische Wendung ( נשא עוןwörtl. ‚Übertretung / Schuld tragen‘). Diese kann in der Tora auf zwei unterschiedliche Weisen verwendet werden. So kann einmal ein ‚Schuld [weg-]tragen‘ gemeint sein, das – abhängig vom Subjekt entweder auf ein Vergeben von Schuld verweist (mit JHWH als Subjekt; vgl. Ex 34,7; Num 14,18–19) oder ‚Vergebung erwirken‘ bedeutet (vgl. Lev 10,17 mit den Priestern, oder Lev 16,22 mit dem „Sündenbock“ des Jom Kippur als Subjekt). Daneben aber finden sich zahlreiche Belege der Wendung נשא עוןmit dem Nomen עוןim st. csr. (+ ePP), die das „Tragen“ einer mit einer Person bzw. einem Gegenstand verbundenen „Schuld“ thematisieren. So wird in Texten wie Gen 4,13; Lev 5,1.17; 7,18; 17,16; 19,8; 20,17.19; Num 5,31; 14,34; 30,16 jeweils die Verantwortlichkeit eines oder mehrerer Schuldiger für ein bestimmtes Vergehen aufgezeigt und gleichzeitig auf eine Folge (oft eine konkrete Sanktion) verwiesen, die aus der Schuld erwächst.325 In ähnlicher Weise wird auch die Wendung ( נשא חטאvgl. Lev 22,9; 24,15; Num 9,13; 18,22;) verwendet, die ebenfalls eine schuldhafte Übertretung bezeichnet und zugleich impliziert, dass der Schuldige Verantwortung für sein Tun übernehmen bzw. die daraus resultierenden Folgen tragen muss.326
324
Vgl. JACOB, Exodus, 816. Vgl. SCHWARTZ, Bearing, 11–15; 17. 326 Vgl. FREEDMAN u.a., ( נשאThWAT), 633–635. 325
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Die engste Parallele zum Satz Ex 28,38b, in dem ja der עוןnicht mit einer bzw. mehreren Personen verbunden ist, sondern mit Gegenständen, den קדשים, findet sich in Num 18,1(.23). In diesem Vers ist davon die Rede, dass Priester den עוןdes Heiligtums ( )מקדשund ihres Priestertums ( )כהנהtragen. Im Blick ist damit zunächst kein konkretes Vergehen, sondern eine generelle Verantwortlichkeit, die – und auch dies ist in der Wendung mitzuhören – freilich mit einschließt, dass den Priestern als Verantwortlichen jede schuldhafte Störung der Ordnung anzulasten ist und sie ggf. die Folgen zu tragen haben.327 Vor dem Hintergrund der erwähnten Parallelstellen ist in Ex 28,38b somit wohl eine Verantwortung Aarons für die Weihegaben ( )קדשיםim Blick, die V.38bR (beinahe tautologisch, weil unter erneuter Verwendung der Wurzel )קדשnäher als diejenigen Weihegaben bestimmt, die die Söhne Israels „heilig machen“ (קדש-hi.), d.h. dem Heiligtum bzw. JHWH selbst übergeben.328 Die engste Parallele zu dieser Formulierung findet sich in Lev 22,3. Darüber hinaus aber ist im gesamten Abschnitt Lev 22,1–16 mehrfach – wie in Ex 28,38b–bR – von den ‚( קדשיםWeihegaben‘; vgl. Lev 22,3.4.7.10.12) bzw. von ‚( קדשיהםihre [→ Söhne Israels] Weihegaben‘; Lev 22,16) oder den קדשי ‚( בני ישראלWeihegaben der Söhne Israels‘; Lev 22,2329.15) die Rede. Das bestimmende Thema in Lev 22,1–16 ist der korrekte Umgang mit den קדשים bzw. konkret der Verzehr derselben. Was dabei genau unter den קדשיםzu verstehen ist, kann wiederum von Num 18,8–19 her deutlich werden, einem Text, der in Num 18,8.19 durch Belege der Wendung ‚( קדשי בני ישראלWeihegaben der Söhne Israels‘) gerahmt ist, und die Abgaben ( )תרומהan die Priester (sowie deren korrekte Verwendung) behandelt. Zu diesen Abgaben gehören zunächst ein Anteil vom Speiseopfer, sowie die Fleischstücke von Heilsgemeinschafts-, Entsündigungs- und Entschuldigungsopfern, die nicht auf dem Altar verbrannt, sondern den (ausführenden) Priestern zugestanden werden (vgl. Num 18,9). Dazu kommt die Erhebungsgabe ()תרומה, die dem (ausführenden) Priester als privilegierter Anteil am Heilsgemeinschaftsopfer zu übergeben ist (vgl. Num 18,11) sowie die Erstlingsgaben ( )בכריםaller agrarischen Erzeugnisse (Num 18,12–19). In enger Anbindung daran thematisiert Num 18,25–31 schließlich eine Abgabe der Leviten an die Priester, die jene wiederum von dem ihnen zustehenden Zehnten der Söhne Israels entrichten, 327 Vgl. FREEDMAN u.a., ( נשאThWAT), 634; JACOB, Exodus, 916–918; PROPP, Exodus 19–40, 448–449. 328 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40; HIEKE, Levitikus 1–15, 347; SARNA, Exodus, 184. 329 Von Lev 22,2 her kann auch die in Ex 29,6 erstmals belegte und in Ex 39,30; Lev 8,9 wiederkehrende Bezeichnung des ṣīṣ als נזר הקדשerklärt werden. So kann der Terminus נזרmit dem Verb ‚( נזרsich enthalten, respektvoll behandeln‘; vgl. dazu HIEKE, Levitikus 16–27, 845) in Lev 22,2b in Verbindung gebracht werden und ist vor diesem Hintergrund derjenige Gegenstand, der ein respektvolles Behandeln des Heiligen ()נזר הקדש anmahnt. Vgl. auch JACOB, Exodus, 916–919; OWCZAREK, Wohnen, 79–80.
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wobei sich zum Abschluss dieser Passage ein weiteres Mal das Stichwort ‚( קדשי בני ישראלWeihegaben der Söhne Israels‘) findet. Darüber hinaus scheint auch die Wendung ‚( לכל מתנת קדשיהםhinsichtlich aller Geschenke ihrer Weihegaben‘) auf Num 18,29 Bezug zu nehmen. So findet sich in diesem Vers ebenfalls das Stichwort מתנה, das hier die (freiwilligen) Gaben der Israeliten an die Leviten bezeichnet, von denen diese wiederum eine „Abgabe für JHWH“ ( )תרומת יהוהan die Priester entrichten sollen.
Somit sind in Lev 22,1–16; Num 18,8–19.25–31 Anteile an Opfergaben und Abgaben im Blick, die als קדשים, d.h. als „heilige Gaben“ der Israeliten an JHWH gelten, faktisch aber den Priestern übergeben werden und wesentlich auch deren Lebensunterhalt sicher stellen, umgekehrt jedoch von den Priestern in angemessener Weise zu behandeln sind.330 Folgerichtig verweist Num 18,8–19.25–31 mehrfach auf das Essen der ( קדשיםvgl. Num 18,10–11.13). Ausführlicher und systematischer wird diese Thematik in Lev 22,1–16 verhandelt, wenn dort zunächst der Kreis derer, die von den קדשיםessen dürfen, festgelegt (V.3–13) und schließlich der Fall einer unbeabsichtigten Verfehlung thematisiert wird, in dem ein Unbefugter etwas von den Weihegaben zu sich genommen hat. Anliegen des Textes ist es, einen respektvollen, dem kultischen Status der קדשיםadäquaten Umgang mit diesen anzuordnen, der v.a. deren Heiligkeit gerecht wird. Grundlegend dafür ist, dass die קדשיםals Gaben Israels an JHWH gelten, denen die Besonderheit eigen ist, dass sie nicht auf dem Altar verbrannt und so „direkt“ an JHWH übereignet werden, sondern einer dritten Größe, den Priestern (als Lebensunterhalt bzw. privilegierter Anteil) übergeben sind. Dies hat zur Folge, dass der Umgang der Priester (als dritter Größe) mit den Gaben auch auf die sich im Heiligen der Gaben (קדש-hi.; vgl. Ex 28,38bR) vollziehende Interaktion zwischen Israel und JHWH zurückwirkt, so dass den Priestern eine besondere Verpflichtung und Verantwortung (vgl. ;נשא עוןEx 28,38b) zukommt, die קדשיםangemessen zu gebrauchen.331 Wenn nun Ex 28,38b–bR auf genau diese Zusammenhänge verweist, worauf die deutlichen Stichwortbezüge zu Lev 22,1–16; Num 18,8–19 hindeuten, so kann vor diesem Hintergrund auch die Inschrift ‚( קדש ליהוהHeiligkeit / Heiliges für JHWH‘; vgl. Ex 28,36b) auf dem ṣīṣ erklärt werden. Diese verweist dann weniger auf die persönliche Heiligkeit Aarons (oder die seines Priesteramtes), sondern in erster Linie auf die in V.38b–bR (mit Bezug auf Lev 22; Num 18) beschriebene Verantwortlichkeit für den rechten Umgang mit den קדשים, den „heiligen Gaben“ der Israeliten.332
330
Vgl. SARNA, Exodus, 184. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 855–856; JACOB, Exodus, 917–918. 332 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 239; HIEKE, Levitikus 1–15, 347; SARNA, Exodus, 184. 331
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In diese Richtung deuten auch die übrigen Belege der Formulierung קדש ליהוה, die im Wesentlichen auf zwei Kontexte bzw. Zusammenhänge beschränkt sind und nahezu immer wie eine deklaratorische Formel gebraucht werden. So wird zunächst in Ex 16,23; 31,15; [35,2] der Shabbat als „Heiliges für JHWH“ definiert. Die restlichen Belege finden sich in Lev 27 (vgl. Lev 27,[9].14.16.21.23.30.32), einem Kapitel, das als Thema die Gelübde der Israeliten behandelt. Reguliert werden die Übereignung von Personen (V.2–8), Vieh (V.9–13), Immobilien (V.14–15) oder Grundstücken (V.16–24) an JHWH, wobei jeweils – anstelle der Person bzw. des Gegenstands, der JHWH übergeben wird, eine entsprechend taxierte Geldsumme an das Heiligtum geht. Auf dieser Bemessung von Gegenwerten aufbauend kann schließlich auch die (in einigen Fällen mögliche, in anderen ausgeschlossene) Auslösung von geweihtem Gut oder der Austausch ( )תמורהvon Tieren, die zwar als Opfertiere bestimmt wurden und somit geweiht, aufgrund eines Fehlers aber nicht opferbar sind, festgelegt werden.333 In diesem Kontext findet sich die Wendung קדש ליהוהim Zusammenhang mit der Übereignung von Weihegaben aus dem Umfeld des Hauses (V.14) bzw. des Ackers (V.16.21.23) an JHWH und bestimmt dabei stets (deklarativ) die grundsätzliche Qualität der entsprechenden Gegenstände und Liegenschaften, die in Folge des geleisteten Gelübdes gegeben ist. Darüber hinaus werden in Lev 27,30.32 auch die Zehntabgaben von den Feld- und Baumfrüchten (V.30) sowie vom Vieh (V.32) als „Heiliges für JHWH“ deklariert, wobei im weiteren Kontext die Problematik der (nur eingeschränkt möglichen) Auslösung des Zehnten verhandelt wird.334 Wie in Ex 28,36(.38) und den oben angesprochenen Intertexten Lev 22,1– 16; Num 18,8–19.25–31 sind damit auch in Lev 27 Abgaben der Israeliten im Blick – und zwar freiwillige (vgl. Lev 27,9.14.16.21.23) ebenso, wie der verpflichtende Zehnt (Lev 27,30.32) – wobei anders als in Ex 28,36(.38); Lev 22 und Num 18 nun weniger die Verantwortung Aarons für den korrekten Umgang mit den JHWH übereigneten Gaben im Zentrum steht, sondern eher die Problematik einer präziseren Taxierung geweihter Gegenstände, die es ermöglicht, anstelle konkreter Dinge gleichwertige Geldleistungen abzuführen oder sogar bereits an das Heiligtum übergebene Güter auszulösen bzw. auszutauschen. Die Wendung קדש ליהוהdient dabei v.a. in Lev 27,[9.]14.16. 21.23, d.h. bei den freiwilligen Gelübden, dazu, das eigentliche Anliegen des jeweiligen Israeliten zum Ausdruck zu bringen, für JHWH eine Gabe „zu heiligen“ (קדש-hi.). Genau dieses Anliegen aber findet er – wenn er Aaron gegenübertritt – auf dessen ṣīṣ „wiedergespiegelt“. Aaron wird somit im Vorgang der „Heiligung“ der קדשיםgleichsam als „Moderator“ ausgewiesen, der Verantwortung dafür trägt, dass das Geben der Israeliten torakonform ver333 334
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 1108–1116. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 1130–1132.
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läuft, die (freiwilligen wie verpflichtenden) Abgaben gemäß ihrem Status sachgemäß behandelt werden und der so ein Gelingen der sich im Geben vollziehenden Interaktion mit JHWH sicherstellt.335 Somit verweist der ṣīṣ in erster Linie auf die Interaktion Aarons mit Israel womit korrespondiert, dass in V.36–38 ein „Kommen vor JHWH“ bzw. ein „Kommen ins Heilige“ (vgl. Ex 28,29aI.30bI.35bI1) nicht thematisiert werden. Dadurch ist einerseits eine klare Abhebung von den drei vorangehend näher vorgestellten Gewändern ’efod, ḥošæn und meʽīl gegeben, denen ja vor allem für Erinnerungs- und Repräsentationsvollzüge im „Heiligen“ Bedeutung zukommt. Ein verbindendes Moment – v.a. mit dem meʽīl – ist allerdings durch die Thematik der „Heiligkeit“ gegeben, die freilich unter je unterschiedlichen Perspektiven verhandelt wird, die sich aber auch gegenseitig ergänzen. So beleuchtet der ṣīṣ Aarons Mitwirkung daran, dass die Israeliten Profanes „heiligen“, d.h. JHWH übergeben und auf diese Weise (an der „Außenseite“ des Heiligtums) mit ihm in Kontakt kommen, während der meʽīl Aaron ermöglicht, im Inneren des „Heiligen“ die Namen der Söhne Israels vor JHWH zu tragen. Im Gefolge von J. MILGROM ist bisweilen auch die – letztlich auf die rabbinische Literatur zurückgehende (vgl. z.B. tPes 6.5; mPes 7.7) – These zu finden, der ṣīṣ würde (möglicherweise) an den Gaben haftende Übertretungen „auf sich ziehen“ bzw. – wie V.38b formuliert – die „Übertretung“ ( )עוןwegnehmen. Die Folge davon aber sei, dass die Gaben so für JHWH akzeptabel werden bzw. dass herbeigeführt werde, worauf die Inschrift des ṣīṣ verweist, nämlich eine „Heiligkeit für JHWH“.336 Dieser Deutungsansatz geht einerseits an den sehr offenkundigen Bezügen zu Lev 22,1–16; Num 18,8–19 (und Lev 27) vorbei, die eher die oben vorgestellte Interpretation nahelegen. Andererseits aber entwerfen die rabbinischen Texte, auf die MILGROM verweist (tPes 6.5; mPes 7.7) – obgleich sie deutlichen Bezug auf Ex 28,36–38 nehmen – eine ganz eigenständige Konzeption des ṣīṣ, die nicht ohne weiteres auf den Bibeltext selbst übertragen werden kann. So behandelt tPes 6.5; mPes 7.7 die Thematik der (unentdeckt bleibenden, sekundären) Unreinheit ()טמאה des Pesachlammes337, die der ṣīṣ bei der Schlachtung saniert, womit – auch wenn man die Wendung נשא עוןin Ex 28,38b im Sinne von ‚Schuld wegnehmen‘ verstehen möchte – ein deutlich anderer Sachverhalt gegeben ist, als im Bibeltext. Immerhin sind (unentdeckte, sekundäre!) Unreinheit und (intentionale) Übertretung ( )עוןin der rabbinischen Halacha ebenso wie in der Systematik der Tora klar zu unterscheiden. Zudem ist die dem Pesachtier in den 335
Vgl. JACOB, Exodus, 918–919; PROPP, Exodus 19–40, 448–449. Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 149–150. 337 Anders als MILGROM (Leviticus 1–16, 512) in seiner Paraphrase nahelegt, beseitigt der ṣīṣ auch in tPes 6.5 nicht die Unreinheit der Opfernden, sondern eine (verborgene) Unreinheit, die das Pesachtier selbst durch den Kontakt mit einer menschlichen Leiche bzw. einem (nicht koscher geschlachteten) toten Tier (ṭumʼat ha–gūf) oder einem unreinen Menschen (ṭumʼat ha–ʼadam) erworben hat. 336
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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beiden Texten zugeschriebene Unreinheit eine sekundäre ()שני, und damit einer Kategorie zuzuordnen, die letztlich erst mit der rabbinischen Halacha zur biblischen Gesetzgebung hinzutritt. Allein nach biblischen Regeln jedenfalls wäre die Schlachtung des Tiers in den in tPes 6.5; mPes 7.7 beschriebenen Fällen völlig unproblematisch.338 Wenn tPes 6.5; mPes 7.7 (und in ihrem Gefolge MILGROM) annehmen, dass der ṣīṣ „wohlgefällig machen“ ()מרצה soll / kann, so ist in dem Partizip ( מרצהvon רצה-pi.; ‚wohlgefällig machen‘) eine deutliche Anspielung auch auf Ex 28,38c gegeben. Dieser Satz nimmt zunächst in der Formulierung ‚( והיה על־מצחוund er soll auf seiner [Aarons] Stirn sein…‘) beinahe wörtlich V.38a auf, und verbindet damit den Hinweis auf das Ziel bzw. den Sinn dieser „Platzierung“, die in der Wendung לרצון להם ‚( לפני יהוהzum Wohlgefallen für sie vor JHWH‘) zum Ausdruck kommt. Es besteht somit ein Zusammenhang zwischen dem Tragen des ṣīṣ und einer wohlgefälligen Annahme ()רצון, die den Israeliten ( )להםzuteil wird, wenn diese ihre Gaben „heiligen“ (vgl. V.38b–bR). Dieser Zusammenhang aber kann wiederum am besten ausgehend von einem Überblick über diejenigen Texte interpretiert werden, in denen die Formulierung לרצוןebenfalls belegt ist. Hier ist zuerst an die Anweisung in Lev 1,3 zu denken, das Brandopfer so darzubringen, dass es ‚( לרצוןzum Wohlgefallen‘) ist, ohne dass aus dem Kontext eindeutig klar werden würde, wodurch das „Wohlgefallen“ verhindert werden könnte. Ganz ähnlich wie Lev 1,3 formuliert schließlich auch Lev 19,5 – diesmal bezogen auf das Heilsgemeinschaftsopfer – wobei hier die nachfolgenden Verse erklären, wovon der רצוןabhängt. Dabei wird deutlich, dass dieser v.a. mit dem Verzehr des anfallenden Opferfleisches zusammenhängt339. So muss dieses am Tag der Schlachtung und am darauffolgenden Tag gegessen werden, Reste aber, die ggf. bis zum dritten Tag übrig bleiben, sind zu verbrennen. Ein Verstoß gegen diese Regel würde dazu führen, dass 338
Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt auch in mMen 3.3 vor, einer Stelle, auf die MILGROM in seiner Argumentation nicht eingeht. Hier lehrt der Tanna, dass für den Fall, dass ein qomez, d.h. die von einem Speiseopfer als Gedächtnisanteil abgehobene und für den Altar bestimmte Materie, durch Kontakt mit Unreinem selbst (sekundär bzw. tertiär) unbemerkt unrein geworden und in der Folge auf den Altar gelangt sei, der ṣīṣ Wohlgefallen schaffe ()מרצה. Gleichzeitig wird hier die Wirkung des ṣīṣ auf Fälle von unerkannt gebliebener Unreinheit beschränkt. Beim Vorliegen eines joze nämlich, d.h. wenn Opfermaterie nach ihrer Heiligung vorsätzlich (und unerlaubterweise) aus dem Vorhof getragen, dann zurückgebracht und auf den Altar gelegt wird, kann der ṣīṣ kein Wohlgefallen schaffen (vgl. ;ואינו מרצה על היוצאmMen 3.3). Auch die Kategorie des joze ist in der biblischen Gesetzgebung noch unbekannt. Deutlich ist jedenfalls, dass in mMen 3.3 – ebenso wie in tPes 6.5; mPes 7.7 nicht die (verborgene) Unreinheit des Opfernden, sondern die der Opfergabe im Blick ist. 339 Somit ist eine direkte Übertragung von Lev 19,6–8 auf den Sachverhalt in Lev 1,3 ausgeschlossen, da bei dem dort beschriebenen Brandopfer kein verzehrbares Fleisch übrigbleibt.
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das Opfer keine wohlgefällige Annahme findet ( ;לא ירצהLev 19,7) und der Essende die Verantwortung für sein Tun zu tragen hat ( ;עונו ישאLev 19,8; vgl. Ex 28,38b!).340 Weitere Belege der Wendung ‚( לרצוןzum Wohlgefallen‘) finden sich schließlich in Lev 22,17–33 (vgl. V.19.20.21.29). In Lev 22,19–21 ist dabei v.a. die grundsätzliche Eignung von Tieren als Opfergabe im Blick,341 die im Wesentlichen gegeben ist, wenn das Tier unversehrt ( )תמיםund frei von offen sichtbaren körperlichen Fehlern ()מום, wie Verletzungen, Narben, Deformationen oder fehlenden Gliedmaßen, ist. In Lev 22,29(–30) hingegen finden sich Anweisungen für das Dankopfer ()תודה, die denen aus Lev 19,5–8 zum Heilsgemeinschaftsopfer insofern vergleichbar sind, als sie den angezielten Wohlgefallen ( )רצוןmit einem sachgemäßen Umgang mit dem Opferfleisch verbinden, allerdings strenger ausfallen, da das Fleisch der תודהnur am Tag der Schlachtung (und bis zum nächsten Morgen) gegessen werden darf.342 Mit Blick auf Ex 28,38c aber ist zu konstatieren, dass hier wohl kaum an die in Lev 22,19–21 verhandelte Fehlerfreiheit der Opfertiere gedacht ist, zumal es nicht um eine verborgene Unreinheit (wie tPes 6.5; mPes 7.7 sie annehmen) oder eine „anhaftende Schuld“ (die biblische Gesetzgebung in dieser Form gar nicht kennt) geht, sondern um einen offenkundigen, am Tier sichtbaren körperlichen Makel, der auch durch das ṣīṣ nicht „ausgleichbar“ ist und das Tier von vornherein als Opfergabe disqualifiziert. Interessanter sind zudem die Belege in Lev 19,5(.6–8); [7,18;] 22,29–30, in denen erneut der Umgang mit heiliger Materie im Blick ist, wodurch ein weiteres Mal die in Ex 28,36b.38b–bR bereits herausgearbeitete Vorstellung aufscheint, dass die Priester durch ihren Umgang mit den geweihten Gaben (mit) dafür verantwortlich sind, dass die Kommunikation Israels mit JHWH gelingen kann und das Volk „wohlgefällige Annahme“ vor JHWH findet.343 Der ṣīṣ verweist auf diese Aufgabe und markiert sie als zentralen Bestandteil des „Stellenprofils“ des Amtes Aarons, formuliert zugleich aber auch eine Zusicherung an den Aaron gegenüber Stehenden, dass dieser seiner Verpflichtung nachkommt und das Miteinander von JHWH und Israel gelingen kann. Zuletzt aber ist festzuhalten, dass Ex 28,38c die Platzierung des ṣīṣ auf Aarons Stirn mit dem Stichwort תמידverbindet, das damit – wie bereits in Ex 28,29a2.30c – erneut in engem Zusammenhang mit der Wendung לפני יהוה (‚vor JHWH‘) zu finden ist.
340
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 716–717; JACOB, Exodus, 917. Daran ist möglicherweise auch in Lev 1,3 gedacht, da im gleichen Vers die Beschaffenheit des Tieres erklärt wird. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 164–165. 342 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 858–860. 343 Vgl. ähnlich FREEDMAN u.a., ( נשאThWAT), 634. 341
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5. (Unter-)Hosen 42a 42aI 42b 43a 43aI1 43aI2 43aII 43b 43c 43d
Und mach ihnen bād-Hosen ()מכנסי־בד, das Fleisch der Blöße zu bedecken. Von den Hüften bis zu den Schenkeln sollen sie reichen und sie sollen an Aaron und an seinen Söhnen sei, bei ihrem Kommen ins Zelt der Begegnung oder bei ihrem Herantreten zum Altar, um im „Heiligen“ Dienst zu tun ()שרת, damit sie keine Schuld tragen ()נשא עון und sterben. Zeitlose Satzung ( )חקת עולםist es für ihn und seinen Samen nach ihm. (Ex 28,42–43)
Erst im Anschluss an den Vers Ex 28,41, der auf Ex 28,1–5 zurückverweist und zusammen mit diesem Abschnitt einen Rahmen um die Beschreibung der Priestergewänder in Ex 28,6–38.39–40 bildet, werden in Ex 28,42–43 weitere Gewandstücke vorgestellt, die V.42a als ‚( מכנסי־בדbād-[Unter-]Hosen‘) einführt. Durch die beschriebene kompositorische Einordnung werden diese von den „Gewändern der Heiligkeit“ (vgl. V.1.4) in V.6–40 abgehoben und als ein eigenständiger Typ von Bekleidung mit besonderer Funktion markiert. Was den Aufriss des Abschnitts anbelangt, so ist auch hier die grundsätzliche Zweiteilung in eine Herstellungsanordnung einerseits (vgl. V.42) und eine theologische Deutung bzw. Funktionsbeschreibung andererseits (vgl. V.43) realisiert. Ex 28,42a setzt mit der Anweisung ein, „ מכנסי־בדfür sie“ (mit V.43a: Aaron und seine Söhne) herzustellen. Der Begriff ( בדbād) aber ist in diesem Zusammenhang wohl kaum als eine „Material-“ oder Machartangabe zu verstehen, ist also keine Bezeichnung für eine bestimmte Art von Stoff, sondern – mit C. HOUTMAN,344 C. BENDER,345 u.a. – eine Funktionsbeschreibung: So sind über die in Ex 28,42–43 erwähnten (Unter-)Hosen hinaus auch die Gewänder, die Aaron am Versöhnungstag trägt (vgl. Lev 16,4) oder die Bekleidung des Priesters, der allmorgendlich den Brandopferaltar von Ascheresten säubert (Lev 6,3), als bād-Gewänder qualifiziert. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in Situationen Verwendung finden, in denen entweder eine gefährliche Nähe zur Heiligkeit und damit eine übergroße Gefahr einer bedrohlichen Verunreinigung gegeben ist (so in Lev 16) oder ein gefährliches Nebeneinander von Heiligkeit und Profanität bzw. Unreinheit auftreten kann, wie z.B. beim Reinigen des Altars (Lev 6,3–4).346 Dazu passt gut, dass die מכנסי־בד Ex 28,41aI zufolge das „Fleisch der Blöße“ ( )בשר ערוהbedecken sollen. Der 344
Vgl. HOUTMAN, Exodus 1, 161. Vgl. BENDER, Sprache, 200–202. 346 Vgl. Vgl. BENDER, Sprache, 199–201. Zu bād–Gewändern als Engelbekleidung (vgl. Ez 9,2; Dan 10,5) vgl. besonders die Ausführungen bei BENDER, Sprache, 201–202. 345
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Gegenbegriff dazu wäre das Aufdecken der Blöße ()גלה ערוה, das z.B. im Altargesetz des Bundesbuchs (Ex 20,24–26) angesprochen ist. Dort findet sich in Ex 20,26 das Verbot, Stufen für den Altar anzulegen, da beim Hinaufsteigen, die Blöße aufgedeckt werden könnte. Darüber hinaus aber dient die Wendung ‚( גלה ערוהBlöße aufdecken‘) vielfach als Umschreibung für ‚Geschlechtsverkehr haben‘.347 So steht die ‚( ערוהBlöße‘) für den Bereich der Sexualität, die wiederum wegen ihrer Affinität zur (kultischen) Unreinheit (vgl. Lev 15) mit dem Geschehen im Heiligtum nur schwer vereinbar ist. Entsprechend dienen die מכנסי־בדals eine „Spezialbekleidung“, die „von den Hüften bis zu den Lenden“ (vgl. V.42b) reicht, also wie eine „Stoffwindel“ oder eine Art „Unterhose“ gestaltet ist und damit die „problematische“ Körperregion separiert.348 Festzuhalten ist aber, dass die (Unter-)Hosen dabei nicht eine akut vorliegende Unreinheit beheben – ein Priester, der nach Geschlechtsverkehr, ungewolltem Samenerguss oder in Folge einer Geschlechtskrankheit (vgl. Lev 15) unrein ist, kann am Kult ohnehin nicht teilnehmen – sondern lediglich die potentielle Quelle dieser Unreinheit „abgrenzen“ und so aus dem Kultgeschehen „fern halten“. Dass ( בדbād) in V.41a tatsächlich im dargestellten Sinne als Funktionsbeschreibung zu interpretieren ist, wird schließlich auch im Bericht über die Herstellung der Gewänder in Ex 39, konkret in Ex 39,28, deutlich, da dort festgehalten ist, dass die מכנסי־בד, ebenso wie die Kopfbedeckungen der Priester (vgl. Ex 39,28) aber auch die Hemdgewänder ( ;כתנתvgl. Ex 39,27), aus ‚( ששLeinen‘) bzw. ‚( שש משזרgezwirntes Leinen‘) hergestellt werden. Somit ist zu folgern, dass ( בדbād) weder als Synonym zu ‚( ששLeinen‘) noch als eine zusätzliche Materialangabe verstanden werden kann.349
Die Funktionsbeschreibung in Ex 28,43 verweist in V.43a–aII auf die Situation, in der Aaron und seine Söhne die (Unter-)Hosen tragen sollen und bestimmt diese doppelt in V.43aI1–aI2 durch das Kommen ins Zelt der Begegnung (V.43aI1) und das Nähertreten zum Altar (V.43aI2). Dabei erinnert die Formulierung in Ex 28,43aI1 an Ex 28,29aI.30bI.35bI2, mit dem Unterschied freilich, dass das „Ziel“ des Kommens Aarons bzw. der Priester nicht über seine theologische Qualität als das „Heilige“ ( )קדשbezeichnet oder zu JHWH in Beziehung gesetzt (vgl. )לפני יהוה, sondern zunächst als konkrete „architektonische“ Größe eingeführt wird. Neben diese tritt in V.43aI2 mit dem (Brandopfer-)Altar ein zweiter Funktionsort, der in Ex 28 (bzw. in Ex 27,2–28,43) bislang nicht im Blick war. Beide zusammen – Altar und Zelt der Begegnung – sind die wesentlichen Orte priesterlicher Tätigkeit, wobei der Dienst im Zelt der Begegnung für Aaron (als Träger der „besonderen“ Gewänder) reserviert bleibt, während am Altar neben Aaron auch seine Söhne tätig werden können. Entsprechend wird in V.43aII das 347
Zu dieser Wiedergabe vgl. besonders HIEKE, Levitikus 16–27, 653. Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 452–454. 349 Vgl. BENDER, Sprache, 200. 348
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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Kommen ins Zelt der Begegnung und das Nahetreten zum Altar als ein „Dienen im Heiligen / Heiligtum“ ( )שרת בקדשinterpretiert, was insofern interessant ist, als die Qualifizierung als ‚( קדשHeiliges‘) auf das Zelt der Begegnung bzw. dessen Innenraum (vgl. auch V.29.35) ebenso angewandt wird, wie auf den Altar. Beide Funktionsorte gleichen sich also hinsichtlich ihrer theologischen Qualität. Darauf aufbauend verweist Ex 28,43bc auf die Funktion der (Unter-)Hosen: Sie sollen verhindern, dass der Priester „Schuld trägt“ ()נשא עון. Anders als bei der sehr ähnlichen Formulierung in V.38b liegt hier der Akzent allerdings weniger auf der Verantwortung (auch in einem positiven Sinne), die Aaron trägt, sondern eher auf einer Verantwortlichkeit, die sich darin manifestiert, dass Aaron ggf. die Konsequenzen eines Schuldigwerdens tragen muss, das daraus resultiert, dass er die bād-Bekleidung nicht getragen hat. Diese Konsequenz aber ist – so betont V.43c – der Tod (als Folge eines Kontakts von ערוהund )קדש. Ex 28,43d schließlich kann als ein Schlusssatz interpretiert werden, der das vorangehend Vorgegebene als zeitlose Satzung ( )חקת עולםfür Aaron (vgl. )לו qualifiziert, Aarons Söhne hingegen lediglich als ‚( זרעSame, Nachkommenschaft‘) anfügt, der nach ( )אחריוAaron in dessen Verpflichtungen eintritt. Die darin gegebene Verhältnisbestimmung zwischen Aaron einerseits und seinen Söhnen andererseits steht nun in deutlicher Spannung zu der Beobachtung, dass Aaron und seine Söhne in V.42a–43c durchgehend „gleichberechtigt“ und „synchron“ nebeneinander gestellt werden (vgl. neben der ausdrücklichen Referenz auf „Aaron und seine Söhne“ in V.43a die pluralischen Personalpronomen in V.42a [ ;]להםV.43aI1 [ ;]בבאםV.43aI2 [ ]בגשתםbzw. die pluralischen Verbformen ;ישאוV.43b; ;מתוV.43c), was mit dem Umstand korrespondiert, dass das Tragen der bād-(Unter-)Hosen ja tatsächlich allen Priestern in gleicher Weise aufgetragen ist. Andererseits aber passt die in V.43d vorgenommene Heraushebung Aarons sehr gut zum Duktus des restlichen Kapitels Ex 28, in dem ja die Söhne Aarons an den wenigen Stellen, an denen überhaupt auf sie verwiesen wird (vgl. V.1.4c.40), ihrem Vater jeweils klar nachgeordnet sind, während umgekehrt Aarons („exklusive“) Bekleidung im Zentrum des Interesses steht. Aus dieser Beobachtung ist zu folgern, dass Ex 28,43d als „Schlusssatz“ wohl nicht nur den Abschnitt Ex 28,42–43 resümiert, sondern – in erster Linie – auf das gesamte Kapitel Ex 28 bezogen ist. Entsprechend ist in dem Satz v.a. das Priesteramt des Aaron im Blick, das in Ex 28 über die Beschreibung seiner Amtsgewänder näher charakterisiert und schließlich mit Ex 28,43d als eine dauerhafte Setzung qualifiziert wird, die wiederum durch die Generationen hindurch in Aarons Nachkommenschaft weiterzugeben ist.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
IV. Aarons Dienst in Ex 28,1–43 und Ex 27,20–21 Ex 28,43d resümiert allerdings nicht nur – wie soeben dargestellt – das Kapitel Ex 28,1–43, der Vers stellt zugleich auch einen deutlichen Bezug zu Ex 27,21b, dem Abschluss der vorausgehenden Sinneinheit Ex 27,20–21, her. Dieser wird zunächst darin greifbar, dass die qualifizierende Wendung חקת עולםbeiden Sätzen ebenso gemeinsam ist, wie die – im Wortlaut unterschiedlich formulierte – Idee einer generationsübergreifenden Beauftragung der Söhne Aarons mit dem Dienst im „Heiligen“ (vgl. לדרתם, Ex 27,21b; לו ולזרעו אחריו, Ex 28,43d). Ein ähnlich deutlicher Zusammenhang wie zwischen den je letzten Sätzen der beiden Perikopen Ex 27,20–21; Ex 28,1–43 ist auch bei ihrem jeweiligen Anfang auszumachen. So kehrt der markante Einsatz mit ואתהaus Ex 27,20a sowohl in Ex 28,1a als auch in Ex 28,3a wieder – ein Bezug, der durch die Formulierungsparallelen in den beiden Konsekutivsätzen Ex 27,20b bzw. Ex 28,1b zusätzlich untermauert wird. Zuletzt aber wird auch die Wendung „Aaron und seine Söhne“ (vgl. Ex 27,21a2) gleich zu Beginn des Kapitels Ex 28 (vgl. V.1a) wieder (vgl. auch Ex 28,4.43) aufgenommen, wenn Aarons Priestertum als zentrales Thema eingeführt wird. Zusammenfassend ergibt sich somit der interessante Befund, dass jeweils die Eröffnung und der Abschluss von Ex 27,20–21; 28,1–43 ausdrücklich aufeinander bezogen sind. Zusätzlich ausgestaltet wird diese Verbindung schließlich über diejenigen Bezüge, die durch Stichworte bzw. Wendungen wie ‚( תמידregelmäßig‘), לפני ‚( יהוהvor JHWH‘) oder auch ‚( בני ישראלSöhne Israels‘) hergestellt werden, die in Ex 28,1–43 fast ausschließlich in den Funktionsbeschreibungen und Deutungen der einzelnen Gewänder Aarons (vgl. Ex 28,12b.29–30.35.38) zu finden sind 350 und dabei die Funktion von „Leitworten“ einnehmen, andererseits aber auch in Ex 27,20–21 belegt sind. Die wohl größte Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Formulierung לפני יהוהzu, die zuerst in Ex 27,21a2 auftaucht. Dabei ist – wie oben aufgezeigt – im Kontext von Ex 27,21a nicht eindeutig zu bestimmen, ob die Wendung mit der ausführlichen „Ortsangabe“ in Ex 27,21a1 zu verbinden ist und somit den in dieser umschriebenen „Ort“ des Dienstes am Leuchter zusätzlich (theologisch) qualifiziert, oder eher den in Ex 27,21a2 thematisierten Vollzug Aarons, das Anordnen der Lampe(n) ()ערך, als eine Handlung interpretiert, die im Hinblick auf JHWH bzw. mit Bezug zu JHWH stattfindet. In Ex 28,1–43 wiederum ist die Wendung insgesamt sechs Mal (vgl. Ex 28,12b.29a2.30bI.30c.35bI1.38c) – also in jeder der Funktionsbeschreibungen bzw. Deutungen zu den vier „besonderen“ Gewändern Aarons mindestens ein Mal – zu finden, wobei sie in unterschiedlichen Sprachspielen verwendet wird: 350
Allein das Stichwort „Söhne Israels“ ist auch in den Herstellungsanweisungen zu den gravierten Steinen auf Aarons Gewändern belegt (vgl. Ex 28,9.11.21).
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Den Aspekt der Kommunikation und Interaktion mit JHWH betonen dabei die Belege in Ex 28,29a2.38c. So findet sich in Ex 28,29a2 zunächst die Formulierung ‚( לזכרן לפני יהוהzur Erinnerung/Vergegenwärtigung vor JHWH‘), die die Funktion des ḥošæn zum Ausdruck bringt, während des Kommens ins „Heilige“, die Namen der Söhne Israels „vor JHWH“ in Erinnerung zu rufen, während die Formulierung ‚( לרצון להם לפני יהוהzum Wohlgefallen für sie vor JHWH‘) in Ex 28,38c auf die durch den ṣīṣ symbolisierte Verantwortung Aarons für die heiligen Gaben der Israeliten hinweist. Ein anderes Sprachspiel hingegen liegt an den übrigen vier Belegstellen vor: Dabei betonen zunächst die einander sehr ähnlichen Sätze Ex 28,12b. 30c, dass Aaron einerseits die Namen der Söhne Israels auf seinen Schultern (V.12b), andererseits aber die „Ordnung der Söhne Israels“ (;משפט בני ישראל V.30c) auf seinem Herzen „vor JHWH“ trägt ()נשא. Wie oben dargestellt, ist es hier am Naheliegendsten, die Formulierung לפני יהוהim Sinne einer Ortsoder Richtungsangabe zu verstehen, die entweder ein Tragen „vor JHWH“ (hin) in den Blick nimmt, also ein „Hineintragen“ ins „Heilige“ mit dem Ziel die Namen bzw. die „Ordnung“ dort in Erinnerung zu bringen, oder aber das thematisierte „Tragen“ im Sinne eines „Emporhebens“ bzw. „Präsentierens“ „vor JHWH“ deutet. Dabei wird der „Ort“ „vor JHWH“ weder in Ex 28,12b noch in Ex 28,30c mit Hilfe konkreter „architektonischer“ Angaben präzisiert, sondern allein über seine in der Wendung לפני יהוהumschriebene theologische Qualität bestimmt. Was allerdings Ex 28,30c anbelangt, so bieten hier im engsten Kontext die beiden zusätzlichen Belege der Formulierung in Ex 28,29a2.30bI, in denen andere Sprachspiele als in Ex 28,12b.30c vorliegen, (u.a.) eine präzisere „Lokalisierung“ des „Ortes“ „vor JHWH“: In Ex 28,30bI nämlich findet sich die Wendung לפני יהוהin einer Situationsangabe. Ex 28,30b hält fest, dass sich die ʼūrīm und tummīm (im ḥošæn) auf dem Herzen Aarons befinden sollen, wenn dieser – und dies unterstreicht die Situationsangabe in V.30bI – „vor JHWH“ kommt. Da aber der Infinitivsatz V.30bI seinerseits parallel zu V.29aI formuliert ist und mit dem לפני יהוהdie dort belegte Richtungsangabe ‚( אל־הקדשin das „Heilige“ [hinein]‘) alterniert, liegt es nahe, die entsprechenden „Ortsangaben“ der beiden Sätze miteinander zu korrelieren Im Blick ist somit – in Ex 28,29–30 ebenso wie in Ex 28,12b – ein Hineinkommen (vgl. ;בואV.30bI) ins „Heilige“, das letztendlich als eine Richtungsbewegung zu begreifen ist. Da darüber hinaus auch die beiden Infinitivsätze Ex 28,29aI ( )בבאו אל־הקדשund Ex 28,30bI ( )בבאו לפני יהוהdeutlich parallel zueinander angelegt sind, wird zudem deutlich, dass der theologisch durch sein „‚( לפני יהוהvor JHWH‘)-Sein“ qualifizierte Ort mit dem „Heiligen“ ()קדש, d.h. mit dem Innenraum des Zelts der Begegnung, zu identifizieren ist, in dem sich die Menora und der Goldene Tisch befinden. Unmittelbar verbunden aber sind die beiden miteinander korrespondierenden Richtungsangaben ‚( אל־הקדשin das „Heilige“‘) und ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) in Ex 28,35bI1. Während also die vier Belege in Ex 28,12b.30bI.30c.35bI1 לפני
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
יהוהals Richtungsangabe verwenden und daher u.a. mit der Formulierung אל־ ‚( הקדשin das „Heilige“‘) verbinden können, ist sie in Ex 27,21a2 als eine Ortsangabe zu interpretieren. Immerhin kommt dort der durch das Verb ערך umschriebene Dienst am Leuchter in den Blick, der über das „ לפני יהוהlokalisiert“ wird, aber ausdrücklich keine Bewegung Aarons (im Raum) „auf JHWH hin“ impliziert. Doch trotz – oder gerade wegen – dieses geringfügigen Bedeutungsunterschieds können interessante Zusammenhänge zwischen den Belegen in Ex 28 und Ex 27,20–21 ausgemacht werden. So wird von Ex 28,30bI (zusammen mit Ex 28,29aI) und Ex 28,35 her das Tragen ( )נשאbzw. Kommen („ )בואvor JHWH“ hin ( )לפני יהוהals „Bewegung“ in das „Heilige“ ( )קדשhinein interpretiert. Dieses „Heilige“ aber, das Innere des Zeltes, ist letztlich mit dem Raum identisch, der in Ex 27,21a1–aR als „Schauplatz“ des Entzündens der Menora ausführlich umschrieben und schließlich in Ex 27,21a2 als Ort „vor JHWH“ qualifiziert wird. Damit aber kann die in Ex 28,12b.30bI.30c.35bI1 thematisierte Bewegung Aarons, die in V.12.30 zunächst mit dem (Hinein-)Tragen der Namen der Söhne Israels zur Vergegenwärtigung „vor JHWH“ verbunden ist, zugleich auch mit dem Entzünden der Menora korreliert werden.351 Immerhin erscheint der Ort ()לפני יהוה, an dem Aaron dieses vollzieht, gleichsam als das Ziel seiner Bewegung in das „Heilige“ hinein. Zusätzlich gestützt wird diese Vermutung durch diejenigen Bezüge zwischen Ex 27,20–21 und Ex 28, die durch das Stichwort ‚( תמידregelmäßig‘) hergestellt werden. Dieses ist in Ex 28,1–43 drei Mal (Ex 28,29a2.30c.38c) belegt und an all diesen Stellen unmittelbar mit der Wendung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) verbunden. Der über das Stichwort als regelmäßig qualifizierte Vollzug ist in Ex 28,29a2.30c das Tragen der Namen (V.29) bzw. des mišpāṭ (V.30) der Söhne Israels auf dem ḥošæn bzw. über dem Herzen, wobei Ex 28,29 diesen Vorgang ausdrücklich mit dem Kommen ins „Heilige“ verbindet, das somit ebenfalls regelmäßig stattfinden muss. Diesen Aussagen steht in Ex 27,20bI die Anweisung gegenüber, regelmäßig das Licht (am Leuchter) „emporzuheben“, wobei es erneut als naheliegend erscheint, die in den jeweiligen Versen über das Stichwort תמידnäher bestimmten Handlungen Aarons miteinander zu korrelieren. Der in Ex 27,20–21 beschriebene Dienst am Leuchter erweist sich somit von Ex 28,12.29–30.35 her als der situative Kontext, in dem die in diesen Versen skizzierten „speziellen“ priesterlichen Aufgaben konkret zu realisieren sind. Besonders interessant ist dies mit Blick auf Ex 28,35, da das in diesem Vers angedeutete „Dazwischen“ zwischen dem Hineingehen ( ;בואV.35aI1) in das „Heilige“ und dem Herausgehen ( ;יצאV.35bI2), in dem die Glöckchen am Saum des meʽīl nicht hörbar sind, Aaron sich – durch den meʽīl „abgeschirmt“ vor dem gefährlichen Potential der Heiligkeit – „vor JHWH“ befindet und 351
Vgl. auch HARAN, Temples, 213–215.
B. Kult im „Heiligen“ (Ex 27,30–28,43)
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dabei „Israel“ in Erinnerung ruft, über den Bezug zu Ex 27,21 durch einen ergänzenden Aspekt gefüllt werden kann: Ist nämlich der Ort des Leuchterdienstes, also letztlich die Menora, der Zielpunkt der Bewegung Aarons in das „Heilige“ hinein, so ist letztendlich eine Koinzidenz des Entzündens des Leuchters, der Präsenz Aarons im Gegenüber zur Heiligkeit JHWHs und des durch die gravierten Steine ermöglichten (Re-)Präsentationsvollzugs gegeben. Dabei bildet – wie oben herausgestellt – der Dienst am Leuchter als Kommunikation mit JHWH, als aktives Vollziehen einer Ausrichtung auf die ʽedūt hin und als Generieren einer „israelspezifischen“ Strukturierung der Zeit wesentliche Facetten der Identität Israels als Volk JHWHs ab, die sich in Ex 28 mit der „Israel-Darstellung“ auf den Steinen der Gewänder Aarons zu einem komplexen Gesamtbild addieren. Es ist somit die primäre Funktion des Kults im „Heiligen“ zu sein, „vor JHWH“ regelmäßig ( )תמידein Idealbild des Gottesvolkes zu generieren, d.h. zur Abbildung zu bringen, was Israel durch den Bundesschluss am Sinai geworden ist und sein soll, und so (regelmäßig) symbolisch herzustellen, was der eigentliche Inhalt des Bundes ist, nämlich die enge Gemeinschaft zwischen JHWH und seinem Volk.352 Ein eigenes Gewicht schließlich kommt Ex 28,38 zu, wo ebenfalls die zentralen Wendungen ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) und ‚( תמידregelmäßig‘) nebeneinander zu finden sind. Allerdings ist an dieser Stelle nicht in erster Linie das Hineingehen Aarons ins „Heilige“ im Blick, sondern das regelmäßige Tragen des ṣīṣ (als Teil der Bekleidung mit der Aaron regelmäßig ins „Heilige“ kommt). Im Fokus ist somit weniger das Abbilden bzw. Repräsentieren Israels selbst, sondern eher das Darstellen der damit (und generell mit den Kultvollzügen der Priester) verbundenen Verantwortung Aarons und seiner Söhne für eine gelingende Kommunikation mit JHWH. Das Kapitel Ex 28 kann somit – indem es über die Funktionsbeschreibungen der vorgestellten Gewänder v.a. die Konturen des priesterlichen Amtes Aarons und seiner Söhne nachzeichnet – unmittelbar an Ex 27,20–21 anschließen und hilft dabei, den dort beschriebenen regelmäßigen Kultvollzug Aarons und seiner Söhne am Leuchter genauer zu fassen. Andererseits aber erfährt das in Ex 28,1–43 Dargelegte mit Ex 29,1–36.36–37 insofern eine Fortführung, als in diesen Versen die in Ex 28,1–5.41 bereits angesprochene Heiligung der designierten Priester (auf die hin ja auch die Gewänder hergestellt werden sollen) ausführlich zur Darstellung kommt.
352
Vgl. ähnlich auch GEORGE, Tabernacle, 85–87.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37) C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
Der Eingang des Zelts der Begegnung ( )פתח אהל מועדund v.a. der dort lokalisierte Brandopferaltar spielen in den beiden Perikopen Ex 29,1–37 und Ex 29,38–46 eine zentrale Rolle. Dabei bietet Ex 29,1–37 Anweisungen für den Vollzug der Priesterweihe, thematisiert also die Amtseinsetzung der Priester und ist damit auch als Fortführung des Abschnitts Ex 28,2–43 zu lesen, in dem im Zusammenhang mit den Herstellungsanweisungen für die Priestergewänder vor allem die wesentlichen Konturen des Priesteramtes Aarons behandelt werden. Daneben aber spielt auch die Weihe des Altars eine wesentliche Rolle (vgl. v.a. Ex 29,36–37), bevor in Ex 29,38–46 der regelmäßige Kult am Altar zur Sprache kommt. I. Ex 29,1–37 im Überblick Als „Einleitung“ der Perikope Ex 29,1–37 fungieren die Sätze Ex 29,1a–aRII, wobei der Nominalsatz Ex 29,1a auf das nachfolgend beschriebene Ritual verweist, das mit V.1aR als diejenige „Sache, Angelegenheit“ ( ;דברV.1a) bestimmt wird, die Mose an ihnen ( – )להםgemeint sind Aaron und seine Söhne als künftige Priester – tun soll.353 Wesentlich ist dabei zunächst, dass Mose als das angesprochene „Du“ gleich zu Beginn als der zentrale Akteur des im Folgenden beschriebenen Rituals ausgewiesen wird. Und tatsächlich sind (nahezu) alle nachfolgend angeordneten Riten und Vollzüge von Mose auszuführen, während Aaron und seine Söhne nur an wenigen Stellen als aktiv Handelnde in Erscheinung treten354, in der Hauptsache aber – wie auch in V.1aR – „Objekte“ bleiben, an denen gehandelt wird. Ex 29,1a–aR gibt somit bereits die im Folgenden durchgehaltene Rollenverteilung vor.355 Zugleich ist bemerkenswert, dass Ex 29,1 auf Aaron und seine Söhne ausschließlich pronominalisiert (vgl. להם, V.1aR; אתם, V.1aRI) Bezug nimmt und damit – obgleich als Einleitung eines neuen Textabschnitts gestaltet – zugleich ausdrücklich als Fortführung eines Kontexts markiert ist, in dem die pronominalisierten Objekte explizit genannt sind. Dies ist einmal im direkt vorangehenden Vers Ex 28,43 der Fall, so dass Ex 29,1(ff.) einerseits unmittelbar an den vorauslaufenden Text anschließt und dabei zwar einen thematischen Neuansatz markiert, dem Setzen einer deutlichen Zäsur im Textverlauf aber eher „entgegenarbeitet“. Andererseits jedoch kann Ex 29,1a–aR auch als Rückbezug auf Ex 28,1 gelesen werden, auf denjenigen Vers also, der – wie oben aufgezeigt – als gemeinsame „Überschrift“ für Ex 28,2–43 und für Ex 29,1– 37 fungiert. In diesem sind Aaron und seine Söhne explizit genannt, wobei 353
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 271. Vgl. v.a. das Handaufstemmen bei den drei Opfervollzügen (vgl. V.10b.15b.19b). 355 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 271; GORMAN, Ideology, 163–164; HOUTMAN, Exodus 3, 526–527. 354
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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letztere in der knappen Genealogie von Ex 28,1b mit Namen aufgeführt sind. Darüber hinaus wirkt auch die Aufforderung aus Ex 29,1a–aR, an „ihnen“, d.h. an Aaron und seinen Söhnen, die nachfolgend beschriebene „Angelegenheit“ zu vollziehen, wie ein Anknüpfen an den Auftrag aus Ex 28,1a, Aaron und seine Söhne aus der Mitte Israels herantreten zu lassen (קרב-hi.),356 zumal beides jeweils mit demselben – gleichlautend formulierten – Ziel verbunden ist: Aaron und seine Söhne sollen für JHWH zu Priestern werden (vgl. Ex 28,1aI; 29,1aRII). Auf Ex 28 verweisen somit auch die beiden Infinitivsätze Ex 29,1aRI–aRII, die innerhalb von Ex 29,1 die „Ziele“ der in V.1a angesprochenen „Sache, Angelegenheit“ ()דבר, d.h. des nachfolgend angeordneten Rituals, andeuten: Aaron und seine Söhne sollen geheiligt werden (V.1aRI), um für JHWH (vgl. ;ליV.1aRII) Priester sein bzw. werden zu können. Darüber hinaus deuten schließlich die Stichworte קדש-pi. (‚heiligen‘; V.1aRI) und כהן-pi. (‚Priester sein / werden‘; V.1aRII) einen Bezug zu den Versen Ex 28,3.41 an, die beide zu dem aus Ex 28,2–5.41 bestehenden, deutenden „Rahmen“ gehören, der innerhalb von Ex 28,2–43 um die Herstellungsanweisungen in Ex 28,6–40 gelegt ist. Dabei benennt Ex 28,3bI–bII als die hinter dem Herstellen der Gewänder stehende Intention das Heiligen (קדש-pi.) Aarons, der damit befähigt wird, als Priester zu dienen (כהן-pi.). Eine vergleichbare Zielvorgabe formuliert auch Ex 28,41e im Hinblick auf das Ritual der Priesterweihe, das in Ex 28,41a–c in den drei, im Wesentlichen auch in Ex 29 nachvollziehbaren Schritten Ankleiden ( ;לבשEx 28,41a), Salben ( ;משחEx 28,41b) und „Handfüllen“ ( ;מלא ידEx 28,41c) zusammengefasst ist.357 Bereits innerhalb der beiden korrespondierenden „Hälften“ des um Ex 28,6–40 gelegten „Rahmens“ (vgl. Ex 28,2–5.41) sind somit das Herstellen der Gewänder, als das bestimmende Thema von Ex 28, und das Weiheritual, als der zentrale Inhalt von Ex 29, mit derselben Zielangabe verbunden und auf diese Weise eng aufeinander bezogen. Ex 29,1aRI–aRII wiederum knüpft über die Aufnahme der entscheidenden Stichworte, קדש-pi. (‚heiligen‘) und כהן-pi. (‚Priester sein / werden‘), an den Rahmen Ex 28,2–5.41 an,358 unterstreicht also ein weiteres Mal die enge Verbindung zwischen Ex 28 und Ex 29, stellt zugleich aber die bereits in Ex 28,41de(.3bI–bII) formulierten Zielvorgaben der in Ex 29,1b einsetzenden Ritualbeschreibung pointiert als Lesehilfe voran. Der eigentliche Zweck des Rituals besteht demnach im Heiligen Aarons und seiner Söhne. Erreicht wird dieses Ziel in Ex 29,21c, der nächsten Belegstelle der Wurzel קדשin Ex 29. Dieser Satz hält fest, dass nach dem Besprengen mit einem Gemisch aus Opferblut vom Altar und Salböl, die von dieser Handlung betroffenen „Objekte“ – also sowohl die (künftigen) 356 Zur Semantik von –קרבhi. in diesem Kontext vgl. GANE/MILGROM, ( קרבThWAT), 155–156. 357 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 526–527. 358 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 454.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Priester selbst, als auch ihre Gewänder – geheiligt sind (vgl. ;וקדש הואV.21c). Dieser Stichwortbezug zwischen Ex 29,1.21 legt somit einerseits die Lesestrategie nahe, die einzelnen, ab Ex 29,1b thematisierten Handlungen und Vollzüge in einem linearen Fortgang als aufeinander aufbauende Einzelschritte auf dem Weg zu dem in Ex 29,1aRI–aRII formulierten und in Ex 29,21 erreichten Ziel zu interpretieren, sie fordert andererseits aber auch ein, die Funktion der nach dem Erreichen des in V.1 vorgegebenen Ziels noch folgenden Riten (vgl. Ex 29,22–28) genauer zu bestimmen. Somit erfüllt die „Einleitung“ Ex 29,1a–aRII eine komplexe Doppelfunktion: Einerseits stellt sie über zahlreiche Textbezüge eine Verknüpfung mit der vorangehenden Perikope Ex 28,2–43 sowie mit der beiden Kapiteln gemeinsamen Überschrift in Ex 28,1 her. Andererseits aber dient sie als „Themenangabe“ für Ex 29,1b– 35.36–37, die zur Ritualbeschreibung hinführt und – indem sie die Aufmerksamkeit der Lesenden auf bestimmte Themen und Zusammenhänge lenkt (z.B. das Heiligen als Ziel des Rituals) – als „Lesebrille“ für diese Perikope fungiert. Die Ritualbeschreibung in Ex 29,2b–35.36–37 selbst kann – zunächst inhaltlich bestimmt, bei genauerer Lektüre aber auch gestützt durch eine Vielzahl von Textsignalen (s.u.) – in die folgenden Abschnitte untergliedert werden: Ex 29,1b–4a thematisiert vorbereitende Schritte, die dem eigentlichen Weiheritual vorausgehen. Daran schließt Ex 29,4b–9 mit der Beschreibung von einführenden Riten (Waschung, Einkleidung, Salbung) an. Den Höhepunkt des Geschehens bildet der in Ex 29,10–28 beschriebene Opfergottesdienst, der – entsprechend der Zahl der Opfertiere – nochmals in drei Unterabschnitte gegliedert werden kann: Ex 29,10–14 umschreibt ein Entsündigungsopfer ( )חטאתmit einem Stier, Ex 29,15–18 das Brandopfer ( )עולהeines Widders und Ex 29,19–28 insgesamt vier, aufeinander aufbauende Rituale, die mit dem Blut (vgl. V.20.21) bzw. den Fleisch- und Fettstücken (vgl. V.22–25.26) eines zweiten Widders vollzogen werden. In Ex 29,29–35 schließlich finden sich Abschlussbestimmungen zum Ritual der Weihe.359 Eine besondere Funktion kommt zuletzt den beiden Versen, Ex 29,36–37, zu, die zunächst eng an die Schlussbestimmungen in Ex 29,29–35 anschließen, mit der Weihe des Altars aber eine Thematik behandeln, die in den Ritualbeschreibungen in Ex 29,1–35 vordergründig keine Rolle spielt und auch durch die „Einleitung“ in Ex 29,1a–aRII nicht vorbereitet ist. Zwar wird der Altar – der Sache nach naheliegend – in den Anweisungen zu den Opfervollzügen in Ex 29,20–28 als Ort der Blutapplikationen (vgl. V.12bc.16c.20d; vgl. auch V.21aR) und der kultischen Verbrennung von Opfer(teile)n (vgl. V.13b.18a.25b) genannt, als „eigenständiges Objekt“ jedoch rückt er erst mit Ex 29,36–37 in den Fokus. Interessant ist allerdings, dass Ex 29,36–37 es nahelegt, einzelne Ritualelemente (v.a. die in Ex 29,10–28 beschriebenen 359
Vgl. dazu z.B. HOUTMAN, Exodus 3, 525.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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Opfer), die im Zusammenhang von Ex 29,1–35 zunächst als Teilvollzüge der Priesterweihe erscheinen, neu zu lesen und (auch) mit der Altarweihe zu verbinden, so dass sich letztendlich in Ex 29,2–35 eine spannende Verschränkung von zwei zentralen Themen, „Heiligen der Priester“ und „Heiligen des Altars“, ergibt, die komplementär einmal durch die „Einleitung“ in Ex 29,1 (‚Heiligen der Priester‘) und einmal durch den Abschluss in Ex 29,36–37 (‚Heiligen des Altars‘) fokussiert werden. Dieser Anlage des Kapitels entsprechend ist im Folgenden zunächst das Ritual zur Priesterweihe eingehender zu beleuchten, bevor daran anschließend Ex 29,36–37 und die durch diese Verse angestoßene „relecture“ von Ex 29,1–35 zu behandeln ist. II. Das Heiligen der Priester (Ex 29,1–35) 1. Vorbereitungen (Ex 29,1b–4a) 1a 1aR 1aRI 1aRII 1b
2v 2a 3a 3b 4a
Das aber ist das, was du tun sollst an ihnen, um sie zu heiligen, dass sie mir zu Priestern werden (können): Du sollst einen Jungstier ()פר, ein Stück Rindvieh, nehmen und zwei Widder – unversehrte – und ungesäuertes Brot und ungesäuerte Kuchen ()חלת, mit Öl vermischt, und ungesäuerte Brotfladen ()רקיקים, mit Öl bestrichen; aus Weizenfeinmehl sollst du sie machen. Du sollst sie in einen Korb geben und sie herannahen (קרב-hi.) im Korb – und (auch) den Jungstier und die zwei Widder. Auch Aaron und seine Söhne sollst du herannahen (קרב-hi.) zum Eingang des Zelts der Begegnung. (Ex 29,1–4)
Der erste Abschnitt, Ex 29,1b–4a, kreist thematisch um das Bereitstellen der für das eigentliche Ritual benötigten Opfergaben, die in V.1b–3 aufgezählt und zugleich hinsichtlich ihrer unabdingbaren Eigenschaften näher bestimmt werden. So sind in V.1b zunächst drei Opfertiere genannt, ein Stier und zwei Widder, die fehlerfrei ( )תמיםzu sein haben, also die grundlegende Anforderungen an Opfertiere (vgl. Lev 22,19–20) erfüllen müssen. Zusätzlich zu diesen sind drei Sorten von ungesäuerten Broten aus Weizenmehl (vgl. V.2) bereitzustellen. Hinsichtlich der Vorbereitungen selbst differenziert der Text zwei wesentliche Schritte, das grundlegende Auswählen bzw. Vorbereiten der entsprechenden Opfergaben, das mit dem Verb ‚( לקחnehmen‘; V.1b) umschrieben wird (vgl. V.1b–2v), sowie das Herbeibringen zum Heiligtum (קרב-hi.). Letzteres ist in V.3b thematisiert, wobei nochmals alle bereits genannten Gaben – chiastisch angeordnet, d.h. zuerst die Brote (vgl. V.2v) und dann die Tiere (vgl. V.1b) – aufgezählt werden. Zu den Broten aber wird ergänzend festge-
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
halten, dass sie in einen Korb ( )סלzu legen sind. Mit dem Herannahen (קרבhi.) der Opfergaben korrespondiert in V.4a schließlich das Herannahen (קרבhi.) Aarons und seiner Söhne.360 Die in V.4a gewählte Formulierung ‚( ואת אהרן ואת־בניו תקריבAuch Aaron und seine Söhne sollst du herannahen‘) nimmt dabei deutlich auf Ex 28,1, die gemeinsame Überschrift von Ex 28,2–43 und Ex 29,1–37, Bezug (vgl. הקרב ‚ ;אליך את־אהרן אחיך ואת־בניו אתוnahe heran zu dir Aaron, deinen Bruder, und seine Söhne mit ihm‘). Die in Ex 28,1 implizierte grundlegende Designation Aarons und seiner Söhne soll also in dem in Ex 29,4a angeordneten Herantreten der von JHWH bestimmten Kandidaten für das Priesteramt konkret werden.361 Zugleich korrespondiert die in Ex 28,1 belegte „Herkunftsangabe“ ‚( מתוך בני ישראלaus der Mitte der Söhne Israels‘) mit einer „Richtungsangabe“ in Ex 29,4a, ‚( אל פתח אהל מועדzum Eingang des Zeltes der Begegnung‘). Beide Formulierungen zeichnen in ihrem „Zusammenklang“ diejenige Bewegung nach, die sich faktisch im Ritual der Weihe vollzieht. Darüber hinaus verweist das Stichwort ‚( פתח אהל מועדEingang des Zeltes der Begegnung‘) auf den Schauplatz des im Folgenden angeordneten Rituals (vgl. [V.10a.]11.32a2), der zugleich auch der künftige „Dienstort“ der Priester sein wird. Der Eingang zum Zelt der Begegnung ( )פתח אהל מועדwird in der Heiligtumstora erstmals in Ex 26,36–37 erwähnt (dort: פתח האהל, ‚Eingang des Zeltes‘), wobei dort der Vorhang im Blick ist, der den miškān zum Vorhof hin abgrenzt, ein konkreter Gegenstand also, dessen Machart in Ex 26,36–37 beschrieben wird. In Ex 29 hingegen ist der „Eingang“ eher als Raum „vor dem Zelt“ profiliert, der den Altar mit einschließt (vgl. v.a. Ex 29,11!) und in dem sich letztendlich das gesamte in Ex 29 beschriebene Weiheritual vollzieht.362 Ex 29,1b–4a nennt somit die benötigten Opfergaben, die beteiligten Personen – neben Aaron und seinen Söhnen als „Objekten“ des Weiherituals ist dies v.a. Mose, an den alle Anweisungen der Gottesrede gerichtet sind – und den Schauplatz des Geschehens und leistet auf diese Weise eine grundlegende Hinführung zur eigentlichen Ritualbeschreibung, die mit Ex 29,4b einsetzt.
360
Vgl. hierzu die chiastische Anordnung von V.3b und V.4a, die den engen Zusammenhang zwischen dem Herbeibringen der für das Ritual benötigten Gaben und der in dem Ritual zu weihenden Priester(kandidaten) anschaulich macht. Vgl. UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 178–179. 361 Vgl. GANE/MILGROM, ( קרבThWAT), 155–156. 362 Vgl. HARAN, Temples, 184; HOUTMAN, Exodus 3, 527; HUNDLEY, Before, 15–17; MILGROM, Leviticus 1–16, 148; PROPP, Exodus 19–40, 456; 459; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 27–30.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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2. Einführende Riten (Ex 29,4b–9) 4b 5a 5b 5d 6a 6b 7a 7b 7c 8a 8b 9a 9b 9c 9d
… und du sollst sie mit Wasser waschen. Du sollst die Gewänder nehmen und Aaron einkleiden mit dem Hemdgewand ( )כתנתund dem meʽīl des ’efod und dem ’efod und dem ḥošæn. Du sollst ihm den ’efod anlegen mit der Binde des ’efod. Und gib den Kopfbund ( )מצנפתauf seinen Kopf und gib den næzær der Heiligkeit auf den Kopfbund. Du sollst das Salböl nehmen und es über seinem Kopf ausgießen und ihn [so]salben. Und seine Söhne sollst du herannahen (קרב-hi.) und sie mit Hemdgewändern ( )כתנתbekleiden Und du sollst sie mit der Schärpe ( )אבנטgürten – Aaron und seine Söhne – und ihnen Kopfbünde ( )מגבעותumbinden und es sei ihnen das Priestertum als zeitlose Satzung ()חקת עולם. Du sollst die Hand Aarons und die Hand seiner Söhne füllen: (Ex 29,4–9)
Der Abschnitt Ex 29,4b–9 thematisiert einführende Riten und ist dabei deutlich in chiastischen Strukturen komponiert, über die allerdings auch ein lineares Fortschreiten aufeinander aufbauender Vollzüge gelegt ist. Letzteres aber ist im Grunde bereits in dem knappen Abriss des Weiherituals in Ex 28,41a–c vorgegeben. Alle drei Schritte nämlich, in denen dieser Text die Initiation der Priester zusammenfasst – Ankleiden ( ;לבשEx 28,41a), Salben ( ;משחEx 28,41b) und „Hand füllen“ ( ;מלא ידEx 28,41c) – finden sich mit denselben Verben formuliert auch in Ex 29,4b–9. So behandeln die Verse Ex 29,5b.8b das Ankleiden ( )לבשAarons (V.5b) bzw. das seiner Söhne (V.8b), Ex 29,7b thematisiert die Salbung Aarons ( )משחund Ex 29,9d blickt auf das „HandFüllen“ ( )מלא ידvoraus, das selbst allerdings erst im folgenden Abschnitt (Ex 29,10–28) besprochen wird. Interessant an der Anlage des Textes ist, dass das Anlegen der Kleider Aarons und seiner Söhne je separat (vgl. V.5–6.8b–9b) verhandelt wird. So ordnet Ex 29,5b–6 zunächst an, Aaron mit den für ihn bestimmten, von Ex 28 her bereits bekannten Gewändern zu bekleiden, die im Text in der sachlich logischen Reihenfolge angeführt werden. Es wird also zunächst das Hemdgewand ( )כתנתals zuunterst getragenes Kleidungsstück genannt, über das der ’ēfod-meʽīl ( ;מעיל האפודEx 28,31–35) und das ’ēfod (vgl. Ex 28,6–14) mit ḥošæn (vgl. Ex 28,15–30) gezogen werden (vgl. V.5b), wobei das Zubinden ( )אפדdes ’ēfod mit der Binde ( )חשבin V.5c eigens thematisiert und auf diese Weise wohl als letzter Schritt beim Anlegen der Obergewänder profiliert wird. Ex 29,6 schließlich richtet das Augenmerk auf die Kopfbedeckung, zu der neben der miṣnæfæt (V.6a) auch der über dieser befestigte ṣīṣ (vgl. Ex
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
28,36–38) gehört, der in V.6b allerdings – in Variation der Begrifflichkeit aus Ex 28,36–38 – als נזר הקדש363 bezeichnet wird. Auffälligerweise fehlen damit in V.5b–6 zwei Kleidungsstücke, die von Ex 28 her zu erwarten gewesen wären, die in Ex 28,42–43 beschriebenen bād-(Unter-)Hosen ( )מכנסי בדund die über dem Leibrock getragene Schärpe ( ;אבנטvgl. Ex 28,40b). Die bād-(Unter-)Hosen werden in Ex 29 überhaupt nicht erwähnt, fehlen in gleicher Weise also auch in den Versen Ex 29,8b–9b, die das Bekleiden der Söhne Aarons zum Thema haben. Dabei korrespondiert ihre Nicht-Erwähnung durchaus stimmig mit der Sonderrolle, die ihnen in Ex 28 als „Spezialbekleidung“ im Gegenüber zu der in Ex 28,6–40 beschriebenen Amtsbekleidung zukommt. So liegt die Vermutung nahe, dass das Anlegen der „(Unter-)Hosen“ nicht zum eigentlichen Einführungsritual gehört und Aaron und seine Söhne diese bereits tragen, wenn sie zum Heiligtum herangeführt werden (vgl. Ex 28,43a–aI1).364 Ein anderer Sachverhalt hingegen ist bei der Schärpe ( )אבנטgegeben, da zwar in Ex 29,5b–6 das Anlegen derselben (durch Aaron) nicht berichtet, dafür aber in Ex 29,9a im Zusammenhang mit dem Bekleiden der Söhne Aarons – auch für Aaron – „nachgetragen“ wird, wenn Mose den Auftrag erhält, Aaron und seine Söhne mit der Schärpe zu umgürten, was umso mehr ins Auge sticht, als in Ex 29,8b.9b ausdrücklich nur das Bekleiden der Söhne Aarons mit den in Ex 28,40 genannten Gewandstücken behandelt wird und Ex 29,8a – unter nochmaliger Aufnahme von Ex 29,4a – (ausschließlich) auf das Herannahen (קרב-hi.) der Aaronsöhne rekurriert. Diese so auffällige – und zunächst „deplatziert“ wirkende – Erwähnung Aarons deutet an, dass die Anordnung der Anweisungen im Text von Ex 29,4b–9 nicht unmittelbar in ein sachliches und chronologisches Nacheinander von Riten zu übersetzen ist – und tatsächlich erscheint die Annahme wenig sinnvoll, dass nach dem Waschen aller Priesteranwärter in Ex 29,4b zunächst Aaron angekleidet (V.5–6) und gesalbt (V.7) wird, Aarons Söhne jedoch so lange warten, bis all diese Handlungen abgeschlossen sind, um dann (endlich) selbst mit ihrer Amtstracht ausgestattet zu werden, Aaron dabei aber noch ein weiteres Gewandstück erhält, das er dann unter den („besonderen“) Dienstgewändern, die er bereits trägt, anzulegen hat.365 Stattdessen weist V.9a auf eine Gleichzeitigkeit der in V.5–6.8–9 beschriebenen Ankleidevollzüge hin,366 wobei interessant ist, dass diese Synchronität gerade im Zusammenhang mit der Schärpe aufgezeigt wird, demjenigen Kleidungsstück also, das als einziges der von allen Priestern getragenen Gewänder in farbigen Stoffen ausgeführt ist und so als 363
Sinngemäß, aber frei übersetzt: ‚[Erinnerung an den] rechten Umgang mit Heiligkeit‘. Vgl. auch JACOB, Exodus, 916–919; OWCZAREK, Wohnen, 79–80. 364 Vgl. BENDER, Sprache, 210–211; PROPP, Exodus 19–40, 522. 365 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 343. 366 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 270.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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das hervorgehobene Gewandstück der „normalen“ Priester fungiert, das auf die besondere Funktion und Würde seiner Träger hinweist.367 Wenn Ex 29,9a also eine Differenzierung zwischen der Anordnung der einzelnen Anweisungen im Text und der Reihenfolge der gebotenen Handlungsschritte im Ritualvollzug nahelegt, wird letztlich auch die (literarische) Funktion der Aufteilung der Vorschriften zum Ankleiden der Priester in zwei separate Abschnitte (V.5–6.8–9) deutlich. Immerhin erscheinen beide so als ein bewusst gestalteter Rahmen um Ex 29,7, der die dort thematisierte Salbung Aarons in besonderer Weise hervorheben soll. Ex 29,7bc zufolge wird die Salbung ausschließlich an Aaron vollzogen, nicht aber an seinen Söhnen. Der in dem „Kurzabriss“ des Weiherituals in Ex 28,41(b) belegte Plural – ‚( ומשחתם אותםund du sollst sie salben‘) – wird somit in Ex 29 ausdrücklich nicht eingeholt, da Aarons Söhne mit dem Salböl lediglich insofern in Kontakt kommen, als sie in Ex 29,21 mit Opferblut vom Altar und Salböl besprengt (und dadurch zusammen mit Aaron geheiligt werden), eine separate Salbung aber nicht erfahren. Umgekehrt bleibt die „besondere“ Salbung Aarons – im Unterschied zum Besprengen aller künftigen Priester mit Blut und Salböl (V.21) – in der Darstellung von Ex 29 ein Stück weit unbestimmt, da die (eigenständige) Funktion des Vollzugs im Gesamt des angeordneten Rituals und v.a. gegenüber dem in V.21 thematisierten Besprengen mit Opferblut und Salböl nicht explizit benannt wird. Im „Ausführungsbericht“ von Lev 8, der die Umsetzung der Vorschriften aus Ex 29 beschreibt, ist dies anders. Hier nämlich sind in Lev 8,10–12 – ohne Entsprechung in Ex 29,4–9 – drei aufeinanderfolgende368 Salbungsakte im Blick, die als Umsetzung entsprechender Anweisungen aus Ex 40,9–11 zu identifizieren sind.369 So salbt Mose zunächst mit Salböl den miškān und dessen Geräte (Lev 8,10). Anschließend wird der Brandopferaltar zuerst sieben Mal mit dem Öl besprengt und schließlich ebenfalls gesalbt (Lev 8,11), bevor in Lev 8,12 – wie in Ex 29,7; 40,13 angeordnet – auch an Aaron die Salbung vollzogen wird. Allen drei Salbungen wird dabei explizit die Wirkung zugesprochen, die jeweils betroffenen Gegenstände bzw. Personen zu heiligen370. Dahinter steht wohl die – bereits in Ex 40,9–13 grundgelegte – Logik, dass durch das Salben des Heiligtums und des Altars ein als „heilig“ qualifizierter Raum geschaffen wird, dem schließlich Aaron als ein ebenfalls im Salbungsakt
367
Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 270. Vgl. die syntaktische Gestaltung des Abschnitts als Narrativreihung. 369 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 112; HIEKE, Levitikus 1–15, 340–341; 346–348; JÜRGENS, Heiligkeit, 195; MILGROM, Levitikus 1–16, 513–516; 545; NIHAN, Priestly Torah, 127–128; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 277. 370 Vgl. ויקדש אתם, Lev 8,10c; לקדשם, Lev 8,11bI; לקדשו, Lev 8,12bI. Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 100; GORMAN, Ideology, 109. 368
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Geheiligter zugeordnet werden kann. Folgerichtig gehen die Salbung von Altar und Heiligtum derjenigen des Aaron voraus.371 Der Ritualanweisung von Ex 29 hingegen liegt in diesem Punkt offenkundig eine andere Konzeption zugrunde, die erst im Kontrast zu Lev 8,10–12 wirklich greifbar wird und deren Spezifika darin liegen, dass der Text ausschließlich auf die Salbung Aarons fokussiert, eine Salbung des Heiligtums aber überhaupt nicht thematisiert und diejenige des Altars in einen gänzlich anderen Sach- und Sinnzusammenhang stellt (vgl. Ex 29,36c–cI). Zudem ist die Salbung Aarons – in Kontrast zu Lev 8,12 – ausdrücklich nicht mit der Heiligung Aarons verknüpft. Letztere nämlich tritt in Ex 29 erst mit dem Vollzug der Besprengung in Ex 29,21 ein (zusammen mit der Heiligung der Söhne Aarons). Dies wiederum hat zur Folge, dass die Salbung Aarons im Gesamt des in Ex 29 beschriebenen Rituals als ein zwar durch die Anordnung und Gestaltung des Textes betonter, aber dennoch „nur“ vorbereitender Akt erscheint, als ein Schritt auf dem Weg zu dem in Ex 29,1aRI formulierten Ziel des Rituals, Aaron und seine Söhne zu heiligen, und der allein die Funktion erfüllt, die Vorordnung Aarons als dem Gesalbten Priester vor seinen (nicht gesalbten) Söhnen anzuzeigen.372 Um die Verse Ex 29,5–8, die mit dem Einkleiden (aller Priester) und der Salbung Aarons die zentralen Vollzüge umschreiben, ist ein weiterer Rahmen gelegt, der durch die Sätze Ex 29,4b.9cd gebildet wird. Diese zeichnen sich zunächst dadurch aus, dass in ihnen die in V.5–9b (mit Ausnahme von V.9a) bestimmende Differenzierung zwischen Handlungen an Aaron und solchen an Aarons Söhnen ausdrücklich nicht gegeben ist. So ordnet JHWH in Ex 29,4b an, zu Beginn des Weiherituals Aaron und seine Söhne (in gleicher Weise) mit Wasser zu waschen. Diese Handlung dient dem Herstellen (bzw. genauer einem rückversichernden Garantieren) kultischer Reinheit, die ihrerseits wiederum die unabdingbare Voraussetzung dafür darstellt, dass Aaron und seine Söhne am nachfolgenden Kultvollzug teilnehmen und in dessen Verlauf geheiligt werden können.373 Gleichzeitig setzt Ex 29,4b die Existenz einer „Waschvorrichtung“ im Heiligtum voraus, die in der Heiligtumstora allerdings erst an späterer Stelle (vgl. Ex 30,17–21) ausdrücklich thematisiert wird.374
Im Gegenüber zu Ex 29,4b kommen schließlich auch die Sätze Ex 29,9cd am Abschluss der Einheit Ex 29,4b–9 auf Aaron und seine Söhne (zugleich) zu sprechen. Ex 29,9c fasst in der Feststellung, dass ihnen ()להם, d.h. Aaron und 371
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 346–348; HUNDLEY, Keeping, 61; JÜRGENS, Heiligkeit, 199; MILGROM, Leviticus 1–16, 545–546; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 277–278. 372 Vgl. ähnlich HOUTMAN, Exodus 3, 531–532. 373 Vgl. HUNDLEY, Keeping, 70–71; GORMAN, Ideology, 116–117; PROPP, Exodus 19– 40, 456. 374 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 532
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seinen Söhnen, das Priestertum als „zeitlose Satzung“ ( )חקת עולםzugeordnet sein soll, die bisherigen Vollzüge zusammen, impliziert damit aber zugleich eine Deutung der Handlungsfolge „Waschen – Ankleiden – Salben (Aarons)“ als einen Investiturakt, in dem die in Ex 28,1 artikulierte „Erwählung“ Aarons und seiner Söhne rituell-liturgisch vollzogen wird. Als zentraler Vorgang der Investitur erscheint das Anlegen der Gewänder bzw. die darin ausgedrückte Übergabe der priesterlichen Aufgaben und Funktionen, die ihrerseits ja in den Gewändern zur „Abbildung“ kommen (vgl. Ex 28,6–40).375 Begleitet wird die Übereignung der Amtskleidung durch die im Zentrum des Abschnitts platzierte Salbung Aarons, die dessen – auch durch seine „besonderen“ Gewänder (vgl. V.5–6) ausgewiesene – Sonderrolle als „Gesalbter Priester“ zusätzlich unterstreicht. Mit der Interpretation der Handlungsfolge „Waschen – Ankleiden – Salben“ als Investitur ins Priesteramt markiert Ex 29,9c den Abschluss der Sinneinheit Ex 29,4b–9, während Ex 29,9d darauf aufbauend in der Anweisung, die Hand Aarons und seiner Söhne zu füllen ()מלא יד, auf die nun folgenden Vollzüge vorausblickt.376 Die Wendung ( מלא ידwörtl. ‚Hand füllen‘) wird in der Tora ohne jemals eingehender definiert zu werden als feststehender Ausdruck für die rituelle Einführung ins Priesteramt bzw. in den Dienst als Priester verwendet.377 Dabei spielt die Formulierung möglicherweise auf den in Ex 29,22–24 (s.u.) beschriebenen Ritus an, die Hand der künftigen Priester mit Opfergaben zu füllen und dann die tenūfā (‚Elevation‘) zu vollziehen. Zwar wird der entsprechende Vollzug in Ex 29,24a gerade nicht mit der in Ex 29,9d belegten Wendung ‚( מלא ידdie Hand füllen‘), sondern mit der Formulierung ‚( שם על כףauf die Handfläche legen‘) umschrieben,378 doch kann umgekehrt für diese Annahme sprechen, dass das Verb ‚( מלאfüllen‘; V.9b) im Stichwort איל מלאיםnachklingt, mit dem in V.22b derjenige Widder bezeichnet wird, dessen rechter (Hinter)Schenkel – zusammen mit den Fettstücken – für die in Ex 29,22–26 beschriebene tenūfā herangezogen wird. So liegt die Annahme nahe, dass Ex 29,9d in erster Linie die Riten um den „zweiten Widder“ (vgl. V.19–28), den ( איל מלאיםvgl. V.22b), im Blick hat. Zuvor jedoch werden in Ex 29,10–14.1–18 zwei weitere Opfervollzüge vorgeschrieben, deren Funktion im Gesamt des Weiherituals zu klären ist. 3. Entsündigungs- und Brandopfer (Ex 29,10–14.15–18) 10a 10b 375
Du sollst herannahen (קרב-hi.) den Jungstier ()פר vor das Zelt der Begegnung und es soll stützen Aaron und seine Söhne ihre Hände
Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 305. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 532. 377 Vgl. SNIJDERS/FABRY, ( מלאThWAT), 881–882. 378 Vgl. SNIJDERS/FABRY, ( מלאThWAT), 882. 376
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11 12a 12b 12c 13a 13aR 13b 14a 14b 15a 15b 16a 16b 16c 17a 17b 17c 18a 18b 18c
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31) auf den Kopf des Jungstiers und (du) sollst den Jungstier schlachten vor JHWH am Eingang des Zelts der Begegnung. Und du sollst vom Blut des Jungstiers nehmen und es auf die Hörner des Altars geben mit deinem Finger. Das ganze (restliche) Blut aber schütte an die Basis des Altars. Und du sollt das ganze Fett nehmen, das die Innereien bedeckt, und den Lappen an der Leber und die zwei Nieren und das Fett, das über ihnen ist, und es in Rauch aufgehen lassen (קטר-hi.) zum Altar hin. Das Fleisch des Jungstieres aber und seine Haut und seinen Mageninhalt verbrenne im Feuer außerhalb des Lagers. Ein Entsündigungsopfer ( )חטאתist es. Den einen Widder aber sollst du nehmen und es sollen stützen Aaron und seine Söhne ihre Hände auf den Kopf des Widders und (du) sollst den Widder schlachten und sein Blut nehmen und (es) aussprengen am Altar ringsum. Den Widder aber sollst du in seine Stücke zerlegen und seine Innereien und seine Beine waschen und (sie) auf seine Stücke und seinen Kopf geben und den ganzen Widder in Rauch aufgehen lassen (קטר-hi.) zum Altar hin. Ein Brandopfer ( )עולהist es für JHWH. Beruhigender Duft ()ריח ניחח, eine Feuergabe ( )אשהfür JHWH ist es. (Ex 29,10–19)
Beide Abschnitte, Ex 29,10–14 wie Ex 29,15–18, ordnen die Darbringung von zwei der insgesamt drei zu Beginn bereitgestellten Opfertiere (vgl. Ex 29,1b), des Stiers und eines der beiden Widder, an. Dazu geben sie jeweils eine komplexere Handlungsfolge vor, die von Mose als (nahezu) alleinigem Akteur auszuführen ist. Aaron und seine Söhne jedoch vollziehen nur das bei beiden Opfern vorgesehene Handaufstemmen ( ;סמך ידvgl. V.10b.15b). Syntaktisch sind beide Abschnitte – ähnlich wie vergleichbare Ritualanweisungen (vgl. z.B. Lev 1–7) – durch Abfolgen von we=qaṭal-Sätzen geprägt, die an einigen Stellen durch (syntaktisch äquivalente379) we=x-jiqṭolSätze (vgl. Ex 29,12c.14a.1a.17a) alterniert werden. Es liegt somit – mit RENDTORFF gesprochen – ein Ritualstil vor.380 Den Abschluss markieren in beiden Fällen klassifizierende Sätze (vgl. Ex 29,14b.18bc), die auf die jeweilige Ritualanweisung als Ganze bezogen sind. So definiert V.14b das in Ex 29,10–14a angeordnete Ritual als ḥaṭṭā’t (‚Entsündigungsopfer‘), bestimmt es also als Vollzug einer bestimmten Opferart, die hier erstmals in der Tora 379
Vgl. dazu JOÜON/MURAOKA §113m; 119x. Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 18–19. Vgl. auch EBERHARD, Studien, 64–65; HIEKE, Levtikus 1–15, 154–155. 380
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erwähnt und in ihrem Ablauf festgelegt wird, die dann aber in Lev 4,1–5,13; 6,17–23 eingehender behandelt wird. Das zweite, in Ex 29,15–18 thematisierte Opfer hingegen wird in V.18b in einer V.14b zunächst durchaus vergleichbaren Klassifikationsformel als ‚( עולהBrandopfer‘) definiert. Es repräsentiert somit einen Opfertyp, der bereits mehrfach in der Tora angesprochen und bereits von Noah, Abraham und Mose vollzogen wurde (vgl. Gen 8,20; 22,2.7.13; Ex 24,5), dessen einzelne Riten aber erstmals in Ex 29,15–18 dargelegt werden. Die Abschlussformel zur Ritualbeschreibung der ʽōlā in Ex 29,18bc fällt dabei ausführlicher aus als ihr Pendant in V.14b, da zunächst die zu V.14b parallele Klassifikationsformel in V.18b um die Formulierung ליהוה (‚für JHWH‘) erweitert ist und schließlich in Ex 29,18c ein weiterer, parallel zu V.18b konstruierter Satz anschließt, in dem die ʽōlā als ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘) bzw. als ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) qualifiziert wird. Auffällig ist nun, dass über die – im Fall der ḥaṭṭā’t zudem äußerst knappen – Abschlussformulierungen in V.14b.18bc hinaus in Ex 29,10–14.15–18 keine Aussagen zu den Intentionen und Zielen – sei es einzelner Elemente oder des Rituals als Ganzem – zu finden sind. Vielmehr beschränken sich beide Abschnitte (ausschließlich) auf das reine Beschreiben von Handlungen bzw. Handlungsfolgen, so dass auch die Funktion beider Opfervollzüge im Gesamt des Weiherituals allein aus Ex 29,10–14.15–18 heraus kaum zu erhellen ist. Die einzige greifbare Verbindung zur Initiation der Priester scheint dabei zunächst über denjenigen Ritualschritt gegeben zu sein, den diese sowohl bei der ḥaṭṭā’t als auch bei der ʽōlā selbst ausführen, über das Handaufstemmen (vgl. Ex 29,10b.15b). Die genaue Bedeutung dieses Vollzugs ist in der Forschung umstritten. Allerdings kann von den drei wichtigsten Hypothesen381 – (1)
(2) (3)
das Handaufstemmen drückt eine symbolische Übertragung von Sünden auf das Opfertier aus, die dann in der Tötung des Tieres „liquidiert“ werden; das Handaufstemmen zeigt eine Identifikation des Opfernden mit seiner Opfergabe an, die dann stellvertretend für ihn getötet wird; das Handaufstemmen veranschaulicht die Zuordnung von Gabe und Geber, dient also letztlich der „Besitzanzeige“ –382
im Kontext von Ex 29,10–18 nur die zuletzt Genannte als sinnvoll erscheinen. Denn weder ist der Anlass der ḥaṭṭā’t in V.10–14 eine konkrete Schuld, die symbolisch auf das Tier übertragen und mit ihm „aus der Welt geschafft“ 381
Vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen bei EBERHARD, Studien, 261; HIEKE, Levitikus 1–15, 166–168; JANOWSKI, Sühne, 199–221; JÜRGENS, Heiligkeit, 229–230; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 40. Für weitere Literatur vgl. JÜRGENS, Heiligkeit, 229–230 (Anm. 260; 276; 278). 382 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung und Diskussion bei RENDTORFF, Levitikus 1– 10, 32–47. Vgl. auch PROPP, Exodus 19–40, 457–458.
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werden müsste, noch spielt die Idee einer Stellvertretung im Ritual eine Rolle. Entsprechend erscheint es am Plausibelsten, dass durch das Handaufstemmen die beiden Opfertiere den zu initiierenden Priestern zugeordnet und damit als eine von diesen bzw. für diese dargebrachte Gabe markiert werden sollen.383 Für weiterführende Überlegungen aber bietet der Text zunächst keine tragfähige Basis; im Zuge der Auslegung von Ex 29,36–37 jedoch wird an dieser Stelle nochmals anzuknüpfen sein. 4. Der „zweite Widder“ (Ex 29,19–28) Zuvor jedoch ist auf den dritten Abschnitt der Opferanweisungen näher einzugehen. Dieser behandelt die Darbringung des zweiten Widders und fällt deutlich ausführlicher aus als die beiden vorangegangenen Textpassagen Ex 29,10–14.15–18, da hier ein ganzes „Bündel“ von Riten beschrieben wird, die v.a. deshalb eine Einheit bilden, weil sie auf dasselbe Opfertier bezogen sind. Dieses wird in Ex 29,22b als ‚( איל מלאיםEinsetzungswidder‘; wörtl. ‚Handfüllungswidder‘) bezeichnet, was nahelegt, dass die in Ex 29,9d bereits angekündigte rituelle Amtseinführung, das „Hand-Füllen“, im Zuge der verschiedenen Riten rund um dieses Opfertier vollzogen wird bzw. zu ihrem eigentlichen Ziel kommt.384 19a 19b 20a 20b 20c 20d 20e 20f 21a 21aR 21a 21b 21c 22a
22aR 22a
383 384
Du sollst den zweiten Widder nehmen und Aaron soll stützen – und seine Söhne – ihre Hände auf den Kopf des Widders und (du) sollst den Widder schlachten und von seinem Blut nehmen und es auf das Ohrläppchen Aarons geben und das Ohrläppchen seiner Söhne, das rechte, und auf den Daumen ihrer rechten Hand und auf ihre große Zehe ihrer rechten Füße und du sollst das Blut aussprengen am Altar ringsum. Und du sollst von dem Blut nehmen, das am Altar ist, und vom Salböl und es über Aaron und seine Gewänder sprenkeln und über seine Söhne und über die Gewänder seiner Söhne mit ihm, dass heilig werde er und seine Gewänder und seine Söhne und die Gewänder seiner Söhne mit ihm. Und du sollst von dem Widder nehmen das Fett und den Fettschwanz und das Fett, das die Innereien bedeckt, und den Lappen der Leber und die zwei Nieren und das Fett, das auf ihnen ist, und die rechte Keule,
Vgl. dazu auch RENDTORFF, Levitikus 1–10, 43–45. Vgl. GORMAN, Ideology, 128–131; SNIJDERS/FABRY, ( מלאThWAT), 882–883.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37) 22b 23v 23vR 24a 24b 25a 25b 25c 26a 26aR 26b 26c 27a 27aR1 27aR2 27aR2R1 27aR2R2 28a 28b 28c 28d
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– denn ein Einsetzungswidder ist es – und einen Laib Brot und einen Ölbrotkuchen und einen Fladen aus dem Korb der ungesäuerten Brote, der vor JHWH ist. Und du sollst alles auf die Handflächen Aarons geben und auf die Handflächen seiner Söhne und sie erheben (נוף-hi.) als tenūfā vor JHWH und sie aus ihrer Hand nehmen und sie in Rauch aufgehen lassen zum Altar hin auf dem Brandopfer zum beruhigenden Duft ( )ריח ניחחvor JHWH. Eine Feuergabe ( )אשהist es für JHWH. Und du sollst das Bruststück vom Einsetzungswidder nehmen, der Aaron zugeordnet ist, und es erheben (נוף-hi.) als tenūfā vor JHWH und es sei dir als Anteil. Du sollst heiligen das Bruststück der tenūfā und die Keule der Abgabe ()תרומה, das erhoben (נוף-ho.) und die abgehoben (רום-ho.) wurde vom Einsetzungswidder, der Aaron zugeordnet ist und der seinen Söhnen zugeordnet ist. Es sei Aaron und seinen Söhnen zur zeitlosen Satzung ()חק עולם von den Söhnen Israels, ja, eine Abgabe ( )תרומהist es und eine Abgabe ( )תרומהsoll es sein von den Söhnen Israels von ihren Heilsgemeinschaftsopfern, ihre Abgabe ( )תרומהfür JHWH. (Ex 29,19–28)
Den Auftakt der Ritualbeschreibung bilden in Ex 29,19a–20a drei eng zusammengehörige Handlungen, die in gleicher Weise auch bei den beiden vorangehenden Opfern vorgenommen werden. An erster Stelle steht das Bereitstellen des Opfertieres ( ;לקחEx 29,19a; vgl. V.[10a.]15a), das in diesem Zusammenhang als „der zweite Widder“ ( )האיל השניbezeichnet wird, wodurch ein klarer Rekurs auf die Ritualanweisung zur ʽōlā, dem „ersten Widder“, gegeben ist. Darauf folgen das Handaufstemmen (vgl. Ex 29,19b), das – analog zu ḥaṭṭā’t und ʽōlā (vgl. Ex 29,10b.15b) – von Aaron und seinen Söhnen vollzogen wird, und schließlich die Schlachtung des Tieres (;שחט Ex 29,20a; vgl. Ex 29,11.16a). Letztere wiederum bildet den Ausgangspunkt für vier unterschiedliche Riten (Ex 29,20b–d.21.22–25.26), die ihrerseits zu zwei Zweiergruppen zusammengefasst werden können. So finden sich in Ex 29,20b–d.21 zunächst zwei Vollzüge, in denen das Blut des Widders von zentraler Bedeutung ist und die entsprechend durch die (annähernd) gleichlautend formulierte Aufforderung eingeleitet werden, vom Blut zu nehmen (vgl. ולקחת את־דמו, Ex 29,20b; ולקחת מן־הדם, Ex 29,21a). Ein vergleichbares Aufnehmen ( )לקחdes Blutes ist auch bei der ḥaṭṭā’t (vgl. Ex 29,12a) und der
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ʽōlā (vgl. Ex 29,16) vorgesehen, die jeweilige Verwendung des aufgenommenen Blutes aber ist – letztendlich bei allen vier „Aufnahmen“ – deutlich unterschiedlich. So erhält Mose in Ex 29,20b–d den Auftrag, etwas von dem Blut des zweiten Widders an das rechte Ohrläppchen, den rechten Daumen und die rechte (große) Zehe Aarons und seiner Söhne zu applizieren (V.20c).385 Das dafür nicht benötigte Blut jedoch, d.h. de facto die gesamte bei der Schlachtung angefallene Menge abzüglich weniger Tropfen, soll rings um den Altar gesprengt werden (V.20d). Es findet somit ein kombinierter Blutritus statt, in den die künftigen Priester ebenso involviert sind, wie der Altar und der zudem deutliche Verbindungen zu den beiden vorangegangenen Opferriten und den dort mit dem Blut vorgenommenen Vollzügen erkennen lässt. Dabei erinnert die Anweisung aus Ex 29,20c, das Blut des Widders an Ohrläppchen, Daumen und Große Zehe zu applizieren, an die Vorschrift aus Ex 29,12b, das Blut des ḥaṭṭā’t-Stiers an die Hörner des Altars zu geben. Beide Vollzüge nämlich sind an genau derselben Stelle innerhalb des jeweiligen Rituals platziert – sie folgen auf die Schlachtung des Opfertiers ( ;שחטV.11.20a) und das Aufnehmen des Blutes (vgl. ;ולקחת מדם הפרV.12a; ;ולקחת מן־הדםV.20b) – und werden zudem mit demselben Verb (‚ ;נתן עלgeben auf…‘) umschrieben.386 Vertieft wird die Analogie zwischen beiden Blutriten dadurch, dass Ex 29,20c das Bestreichen des Ohrläppchens bei Aaron und bei seinen Söhnen separat thematisiert, bei den Blutapplikationen auf Daumen und Große Zehe aber Aaron und seine Söhne zusammenfasst, so dass bei nur drei betroffenen Körperstellen (Ohr, Daumen, Große Zehe) vier Blutgaben angeordnet werden. Diese im Text „künstlich“ generierte Vier-Zahl parallelisiert die in V.20 beschriebenen Blutapplikationen mit dem Bestreichen der vier Hörner des Altars im Ritual der ḥaṭṭā’t (Ex 29,12) – eine Analogie, die im „real vollzogenen“ Ritus, bei dem die herausgestellte Vier-Zahl der Blutapplikationen an den Priestern nicht evident wird, kaum nachvollziehbar wäre, im Text dafür aber umso deutlicher hervortritt. Neben den in Ex 29,20c generierten Bezug zum ḥaṭṭā’t-Ritual tritt schließlich mit der zweiten Hälfte des Blutritus in Ex 29,20d ein ebenso deutlich gestalteter Rückverweis auf die in Ex 29,15–18 beschriebene ʽōlā. Bei dieser nämlich folgt auf das Schlachten des Widders ( ;שחטV.16a) und des Aufnehmen des Blutes ( ;לקחV.16b) das Sprengen des (gesamten?) Blutes an die Wände des Altars „ringsum“ (V.16c). Denselben Vollzug ordnet – mit derselben Formulierung ( – )וזרקת ]את־הדם[ על־המזבח סביבauch V.20d an. Vor diesem Hintergrund erscheint der Blutritus des „zweiten Widders“ in V.20cd 385 Zur Deutung des Rituals vgl. z.B. GERSTENBERGER, Levitikus, 101; HIEKE, Levitikus 1–15, 351–352; JÜRGENS, Heiligkeit, 235; MILGROM, Leviticus 1–16, 528–529; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 282; u.a. 386 Vgl. JÜRGENS, Heiligkeit, 235.
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wie eine Kombination der je unterschiedlichen Blutriten der beiden vorangegangenen Opferrituale. Literarisch ist damit eine doppelte Funktion verbunden. Einerseits nämlich wird auf diese Weise die Darbringung des Einsetzungswidders eng an die vorauslaufenden Opfervollzüge der ḥaṭṭā’t und der ʽōlā angebunden und als eine Fortführung ausgewiesen, die nicht nur auf ein beliebiges „Nacheinander“, sondern vielmehr auf einem inneren (sachlichen) Zusammenhang zwischen den einzelnen Ritualen hinweist. Andererseits aber sind in Ex 29,20cd nicht unterschiedliche Teile des Altars, also die Hörner und die Seitenwände, von den verschiedenen Blutriten betroffen, sondern einmal Aaron und seine Söhne – bzw. genauer deren äußerste „Extremitäten“ (als Gegenstücke zu den Hörnern387 als „Extremitäten“ des Altars?)388 – und das andere Mal der Altar, wodurch eine enge Verbindung zwischen beiden Größen, den Priestern und dem Altar, angezeigt wird, die im weiteren Verlauf des Textes noch weiter entfaltet werden wird.389 Die Beschreibung des zweiten der mit dem „Einsetzungswidder“ verbundenen Blutriten in Ex 29,21 setzt – parallel zu Ex 29,20b–d – mit dem Aufnehmen von Blut (vgl. Ex 29,21a) ein. In diesem Fall jedoch wird nicht direkt das bei der Schlachtung des Widders angefallene Blut verwendet (wie z.B. in V.20b), sondern das bereits am Altar befindliche. Im Blick ist damit zunächst das gemäß Ex 29,20d ringsum an den Altar gesprengte Blut des zweiten Widders, darüber hinaus aber wohl auch das in gleicher Weise an den Altar gebrachte Blut des ʽōlā-Widders (vgl. Ex 20,16c) und auch das am Sockel des Altars ausgeschüttete ( )שפךBlut des ḥaṭṭā’t-Stiers (vgl. Ex 29,12c). Zuletzt wird mit dem Blut als ein zweites Element das in V.7 im Zusammenhang mit der Salbung Aarons bereits erwähnte Salböl verbunden. Beide Flüssigkeiten zusammen – das Opferblut, das bereits an den Altar gebracht, d.h. symbolisch Gott übereignet wurde und daher heilig ist, und das Salböl, das ebenfalls als heilig gilt, bzw. dem die Funktion zugesprochen wird, zu heiligen (vgl. Ex 30,26–30) – werden nun über Aaron und seine Söhne sowie über deren Gewänder gespritzt (נזה-hi; V.21b). Dies wiederum hat zur Folge, dass diese – also die Priester ebenso wie ihre Gewänder – geheiligt werden, womit das in Ex 29,1aRI (vgl. Ex 28,41de) formulierte Ziel des Rituals erreicht ist. Die Priester haben einen Status erlangt, der es ihnen ermöglicht, im Heiligtum Dienst zu tun, während gleichzeitig auch die Dienstgewänder (als „Kultgeräte“) „einsatzfähig“ gemacht sind.390 Weitere Facetten dieses zentralen Blutritus, die von Ex 29,36–37 her zu Tage treten, sind nachfolgend in Zusammenhang mit der Auslegung dieser Verse anzusprechen.391 387
Zu den Hörnern und ihrer (möglichen) Symbolik vgl. HEGER, Altar Laws, 207–232. Vgl. JÜRGENS, Heiligkeit, 235; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 282. 389 Vgl. HUNDLEY, Keeping, 60–62. 390 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 355; PROPP, Exodus 19–40, 462–463. 391 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 285. 388
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Mit dem Erreichen des eingangs formulierten Ziels, der Heiligung der Priester, ist die Ritualbeschreibung allerdings noch nicht abgeschlossen. Vielmehr folgen in Ex 29,22–25.26 zwei weitere – noch immer auf den zweiten Widder bezogene – Rituale, in denen nun nicht dessen Blut, sondern v.a. Teile des Opferfleisches, besonders der rechte (Hinter-)Schenkel und die Brust, im Zentrum stehen. Das verbindende Element ist hier ein als tenūfā ()תנופה, ‚Emporheben, Elevation‘, bezeichneter Ritus, der in beiden Abschnitten, V.22–25.26 in je leicht verschiedener Weise zur Ausführung kommt. Der Terminus תנופהist vom Verb נוף-hi. (‚schwingen, emporheben‘) abgeleitet,392 das z.B. in Ex 29,24b.26b – jeweils in der Wendung ‚( הניף משהו תנופהetw. als tenūfā emporheben / schwingen – belegt ist, und bezeichnet jeweils einen besonderen Darbringungsgestus. Bei diesem werden die Opfergaben emporgehoben (vgl. נוף-hi.) – die genaue Art der Bewegung ist in den Texten nicht präzise zu erheben393– und auf diese Weise „vor JHWH“ präsentiert394 bzw. symbolisch JHWH übereignet.395 Zugleich aber ist mit dieser symbolischen Übereignung verbunden, dass zumindest ein Teil der als tenūfā dargebrachten Gaben (von JHWH) an den ausführenden Priester zurückgegeben wird und von diesem als heiliges Gut verwendet werden kann (z.B. als Priesteranteil am Opferfleisch; vgl. Lev 7,30.34; aber auch Ex 29,26).396 Einen Sonderfall stellen dabei die Leviten dar, die im Zuge ihrer Weihe (vgl. Num 8,5–26) ebenfalls als tenūfā dargebracht werden, wobei hier kaum an ein Hochheben bzw. Hin- und Herschwingen gedacht sein kann, sondern ein anderer Gestus gewählt sein muss, der ebenfalls die symbolische Übereignung an JHWH zum Ausdruck bringen kann. In allen weiteren Punkten aber beschreibt die tenūfā sehr genau das in Num 8 vollzogene Geschehen, bei dem die Leviten als Auslöse für die eigentlich JHWH gehörenden Erstgeborenen Israels symbolisch an JHWH übereignet und gleichzeitig den Priestern (zurück) gegeben werden, um diese bei ihrem Dienst am Heiligtum zu unterstützen.397
392
Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 256–257; RINGGREN, ( נוףThWAT), 319. Die Rabbinen gehen davon aus, dass der Priester die Gabe nach oben und unten sowie in alle Himmelsrichtungen „schwingt“ und so symbolisch Gott übereignet, auf dessen genauen Aufenthaltsort man sich – mit der Vorsicht eines guten Theologen – nicht präzise festlegen möchte (vgl. mMen 5.6; bMen 61b–62a). Vgl. auch HIEKE, Levitikus 1– 15, 107–109; JÜRGENS, Heiligkeit, 237–240; MILGROM, Wave–Offering, 134–135; DERS., Hattĕnûpâ, 156–158; DERS., Leviticus 1–16, 469–473; RINGGREN, ( נוףThWAT), 320–321; SARNA, Exodus, 189. 394 Vgl. die an nahezu allen Belegstellen des Nomens תנופהmit diesem verbundene Wendung ( לפני יהוהvgl. auch Ex 29,24.26). Vgl. MILGROM, Wave–Offering, 134; DERS., Hattĕnûpâ, 140. 395 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 108–109; MILGROM, Hattĕnûpâ, 144–145; DERS., Leviticus 1–16, (462–) 464; RINGGREN, ( נוףThWAT), 320–321. 396 Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 102, HIEKE, Levitikus 1–15, 109, MILGROM, Leviticus 1–16, 532. 397 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 109; MILGROM, Hattĕnûpâ, 146. 393
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
149
Die beiden in Ex 29,24.26 angeordneten Vollzüge einer tenūfā sind die ersten, die in der Tora erwähnt werden und zugleich mit einigen Besonderheiten verbunden: Im ersten Ritus (Ex 29,22–25) setzt sich die „vor JHWH“ (vgl. V.24b) emporgehobene (נוף-hi.) Gabe aus mehreren Teilkomponenten zusammen, die in V.22–23 genannt sind. Hier stehen an erster Stelle die auf dem Altar zu verbrennenden Fettstücke des Widders, deren Auflistung in V.22a–aR weitgehend der Aufzählung der Fettteile des ḥaṭṭā’t-Stiers entspricht, die V.13a zufolge zum Altar gebracht werden sollen.398 Der einzige Unterschied zwischen beiden Textpassagen ist der in V.22 genannte ‚Fettschwanz‘ ()אליה, der als anatomische Besonderheit von Schafen beim Einsetzungswidder vorhanden ist und daher mit dargebracht wird, beim Stier aber nicht existiert und folglich auch in der Liste fehlt.
Erneut ist damit innerhalb von Ex 29 eine Verbindung zwischen dem „Einsetzungswidder“, dem für die eigentliche Weihe der Priester wesentlichen Opfertier, und den beiden vorausgehenden Opferriten – hier v.a. der ḥaṭṭā’t – herausgestellt. Zu den grundsätzlich für den Altar bestimmten Teilen des Opfertiers kommt als für die in Ex 29,22–25 vollzogene tenūfā eigentümliches Stück der rechte (Hinter-)Schenkel des Widders (vgl. V.22a2), dessen Heranziehung in V.22b ausdrücklich durch den Umstand begründet wird, dass es sich bei dem dargebrachten Tier um den „Einsetzungswidder“ handelt, mit dem das in V.9d bereits angekündigte „Handfüllen“ ( )מלא ידfaktisch vollzogen wird. Komplettiert wird die tenūfā-Gabe durch je ein Stück der drei verschiedenen Brotsorten aus dem bereitgestellten Korb (vgl. Ex 29,2–3). In Ex 29,24 schließlich ordnet JHWH an, dass Mose all diese Gaben auf die Hände Aarons und seiner Söhne geben ( )שיםund sodann die tenūfā vollziehen soll. Somit sind – im Unterschied zur „späteren“, „normalen“ tenūfā – in diesem Fall zwei Akteure an der Kulthandlung beteiligt, der jeweilige Priester, auf dessen Händen die Gaben liegen, und Mose, der die tenūfā mit den auf den Händen der Priester liegenden Gaben vollzieht. Mose führt also offensichtlich die Hand Aarons und seiner Söhne und leitet damit diejenige Bewegung an, die die Priester künftig – nach ihrer Weihe – eigenständig ausführen werden.399 Der erste tenūfā-Ritus ist also gleichsam als „praktische Einführung“ in einen der zentralen priesterlichen Kultvollzüge gestaltet.400 Neben diese Eigentümlichkeit tritt als eine zweite Besonderheit, dass – ebenfalls im Unterschied zu den „späteren“, „normalen“ tenūfā-Vollzügen – alle
398 Ebenso werden die genannten Fettstücke auch in Lev 3,7–10 als für den Altar bestimmte Teile des Heilsgemeinschaftsopfers ( )זבח שלמיםvom Schaf angeführt. 399 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 353. 400 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 464.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
„vor JHWH“ emporgehobenen Gaben im Anschluss an den Vollzug auf dem Altar verbrannt werden (vgl. Ex 29,25b).401 Der bei der „regulären“ tenūfā übliche Ablauf findet sich (exemplarisch) in Lev 7,30–31. Dort wird – mit Blick auf den Vollzug des Heilsgemeinschaftsopfers – festgehalten, dass der Opferherr von seinem geschlachteten Tier die JHWH zustehenden Fettstücke sowie die Brust des Tieres dem Priester übergibt. Letztere wird als tenūfā emporgehoben und so JHWH übereignet, steht dann aber den Priestern („Aaron und seinen Söhnen“) als Teil ihrer Versorgung zu, sie wird also ausdrücklich nicht auf dem Altar verbrannt. Für diesen Zweck nämlich sind allein die (auch in Ex 29,22 genannten) Fettstücke bestimmt, die zusammen mit der Brust übergeben wurden.402
Zuletzt ist bemerkenswert, dass Ex 29,25b zufolge die tenūfā-Gaben „auf dem Brandopfer“ ()על־העולה, d.h. zusammen mit dem ersten Widder (vgl. V.15– 18), zu verbrennen sind. Damit kongruiert zunächst, dass die im Zusammenhang mit der ʽōlā (vgl. V.18c) bereits eingeführte Qualifizierung als ריח ניחח (‚( )לפני יהוהberuhigender Duft [vor JHWH]‘; V.18c.25b) sowie die Klassifizierung als ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘; V.18c.25c) in gleicher Weise auch auf die tenūfā-Gaben Anwendung finden. Zugleich wird auf diese Weise – nachdem über die Auflistung der Fettstücke des Widders in V.22 bereits ein Bezug zum Ritual der ḥaṭṭā’t (V.10–14) hergestellt wurde, eine Verbindung auch zum zweiten Opferritual, der ʽōlā, angezeigt, wodurch ein weiteres Mal die innere Zusammengehörigkeit der drei aufeinander folgenden Opfervollzüge deutlich wird. Der zweite tenūfā-Ritus in Ex 29,26, der unmittelbar an den in Ex 29,22– 25 beschriebenen anschließt und eng mit diesem verbunden ist, unterscheidet sich von diesem zunächst insofern, als nun Aaron und seine Söhne nicht involviert sind. Die tenūfā wird also allein von Mose ausgeführt. Er soll das Bruststück ( )חזהdes Einsetzungswidders „vor JHWH“ als tenūfā emporheben (vgl. V.26b), bevor ihm dieses als sein legitimer Anteil ( )מנהam Opferfleisch zufällt.403 Im Unterschied zu der in Ex 29,22–25 beschriebenen tenūfā folgt diejenige aus Ex 29,26 somit weitgehend dem „regulären“ Vollzug des Ritus, der beispielhaft in Lev 7,30–31 beschrieben ist. In beiden Fällen nämlich wird das Bruststück ( )חזהdes Opfertiers vom zuständigen Priester – in der in Ex 29 vorausgesetzten Situation, in der überhaupt erst einmal Priester in ihr Amt einzuführen sind und daher (noch) keine „einsatzfähigen“ Amtsträger existieren, übernimmt „irregulär“ Mose diese Rolle – als tenūfā dargebracht.404
Ein Resümee aus den beiden tenūfā-Riten in Ex 29,22–25.26, das zugleich auch eine vertiefende Deutung mit umfasst, findet sich schließlich in Ex 29,27–28. Dieses setzt in V.27a mit einem Rückverweis auf die beiden je401
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 354; PROPP, Exodus 19–40, 464. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 326–327; MILGROM, Leviticus 1–16, 478. 403 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 464. 404 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 326. 402
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
151
weils herausgehobenen Gaben der tenūfā-Riten, das in Ex 29,26 erwähnte Bruststück ( )חזהdes Einsetzungswidders und den in V.22a genannten rechten Hinterschenkel ( )שוקein, die nun – in Abweichung von der in V.22–25 gebräuchlichen Terminologie – als ‚( חזה התנופהBruststück der tenūfā‘) und שוק ‚( התרומהSchenkel der Erhebung/Abgabe‘) firmieren. Die in den unterschiedlichen Begriffen – תנופהbzw. – תרומהangelegte Differenzierung,405 die durch die beiden Relativsätze Ex 29,27aR1.aR2 zusätzlich hervorgehoben wird, kann dabei als vertiefende Fortführung einer Unterscheidung beider Stücke verstanden werden, die bereits in deren ungleicher Behandlung in den jeweiligen Ritusvollzügen angelegt ist. Immerhin wird ja der Hinterschenkel nach der tenūfā auf dem Altar verbrannt – also gleichsam „doppelt“ an JHWH übergeben –, während das Bruststück als Anteil an Mose fällt. Tatsächlich verständlich aber wird die in V.27 angedeutete Unterscheidung (und auch die in V.22–26 greifbare Ungleichbehandlung) vor dem Hintergrund der oben bereits mehrfach herangezogenen Vorschriften zum Heilsgemeinschaftsopfer in Lev 7,30–36.406 Diesen zufolge wird – wie bereits festgehalten – allein mit dem Bruststück des Opfertiers, das zusammen mit den für den Altar bestimmten Fetteilen dem Priester übergeben wird (vgl. Lev 7,30), die tenūfā vollzogen. Nur dieses Stück wird also symbolisch JHWH übereignet und zugleich den Priestern, überlassen, während die Fettteile auf dem Altar verbrannt werden (Lev 7,31a).407 Ergänzend dazu hat der Opferherr Lev 7,32 zufolge mit dem rechten Schenkel des Tieres ein besonders wertvolles Fleischstück als ‚( תרומהErhebung, Abgabe‘) an den ausführenden Priester („persönlich“) zu übergeben. Abgesondert ist der Schenkel dabei von dem Fleisch, das – nach der Darbringung der für JHWH bestimmten Teile, d.h. der auf dem Altar verbrannten Fettstücke und des als tenūfā übereigneten Bruststücks – Eigentum des Opfernden ist und von diesem im Rahmen eines Festmahls im Heiligtum verzehrt werden kann. Schenkel und Bruststück kommt somit ein je unterschiedlicher rechtlicher Status zu: Ersterer nämlich ist eine Abgabe des Opferherrn von dem ihm selbst zustehenden Fleisch des Tieres an den Priester, während zweiterer ein JHWH übergebenes und (von diesem) den Priestern überlassenes Stück des Opfertieres darstellt.408 Diese Differenzierung findet auch in der in Ex 29,27 verwendeten Begrifflichkeit ihren Niederschlag. Lev 7,35 hingegen hält fest, dass beide Stücke mit ihrem je unterschiedlichen rechtlichen Status Aaron und seinen Söhnen seit dem Tag als „Salbungsanteil“ ( )משחהzustehen, an dem sie „herangenaht wurden, um für JHWH als Priester zu dienen“ ( ;ביום הקריב אתם לכהן ליהוהLev 7,35; vgl. 405
Vgl. dazu auch MILGROM, Hattĕnûpâ (v.a. 140–141); DERS., šôq hattĕrûmâ, 161–
163. 406
Vgl. dazu NIHAN, Priestly Torah, 121. Vgl. RENDTORFF, Studien, 159–160. 408 Vgl. MILGROM, Hattĕnûpâ, 143–144; DERS., šôq hattĕrûmâ, 163–166; RENDTORFF, Studien, 159–160. 407
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
auch V.36). Damit setzt Lev 7,35–36 einen deutlichen Rückverweis auf Ex 29 – und speziell auf Ex 29,27a –, aus dem heraus deutlich wird, dass in diesem Vers (Ex 29,27a) die erstmals begrifflich klar differenzierten Priesteranteile tatsächlich aus den beiden zuvor festgeschriebenen tenūfā-Riten der Priesterweihe abzuleiten sind bzw. aus diesen heraus ihre „Be-Gründung“ erfahren.409 Vor diesem Hintergrund werden auch die oben vermerkten Besonderheiten der ersten tenūfā (V.22–25) verständlich. So ist diese zunächst insofern außergewöhnlich, als die Übergabe des Schenkels an den Priester „normalerweise“ – wie Lev 7,34 deutlich macht – überhaupt nicht von einer tenūfā begleitet wird. Eine solche wäre auch insofern „deplatziert“, als der Schenkel ausdrücklich als תרומהqualifiziert ist, also als eine Abgabe, die der Opferherr dem Priester aus den ihm selbst zustehenden Teilen des Opfertiers – gleichsam als „Bezahlung“ – leistet. Eine Übergabe an JHWH jedoch findet hier – im Gegensatz zum Bruststück des Opfertiers, das zusammen mit den Fettteilen JHWH gehört (vgl. Lev 7,31) – nicht statt. Auch der Umstand, dass der Schenkel in Ex 29,25 verbrannt – und nicht wie in Lev 7 vorgesehen – vom Priester gegessen wird, kann sich aus der in Ex 29 gegebenen „Sondersituation“ erklären, in der (noch) kein „regulärer“ Priester existiert, dem die תרומה als Anteil zufallen könnte, so dass das Verbrennen – im vorliegenden Sonderfall – als sinnvollste Lösung erscheint.410 Die seltsame „handgeführte“ tenūfā hingegen, in der Mose die auf den Händen Aarons und seiner Söhne liegenden Gaben emporhebt (vgl. Ex 29,24), ist angesichts der aus Ex 29 und Lev 7,30–36 entwickelten Zusammenhänge mit Ex 29,28 (auch) als symbolische Übereignung des rechten Schenkels an die Priester zu verstehen, der diesen als satzungsgemäßer Anteil an den Opfergaben der Israeliten buchstäblich „in die Hände gelegt“ wird. Übereignet wird hier also v.a. nicht ein konkretes Stück Fleisch, sondern in erster Linie ein fortwährender Rechtsanspruch (vgl. ;חק־עולםEx 29,28a). Ex 29,28c hebt ergänzend hervor, dass sich diese Anrechte der Priester ausschließlich auf diejenigen Opfer beziehen, bei denen verzehrbare Fleischanteile anfallen, über die die Opfernden verfügen können – also nur auf die in V.28c genannten Heilsgemeinschaftsopfer, die auch in Lev 7,30–36 behandelt werden. Interessant ist dabei, dass Ex 29,28 zahlreiche Stichwortbezüge zu Lev 7,34 aufweist und so ganz ausdrücklich auf den Textzusammenhang von Lev 7,30–36 anspielt, der sich seinerseits auf Ex 29,27–28 zurückbezieht und von dem her Ex 29,22–28 überhaupt erst verständlich wird.
409
Vgl. MILGROM, Hattĕnûpâ, 144–145. Vgl. ähnlich HIEKE, Levitikus 1–15, 326–327; PROPP, Exodus 19–40, 465. 410 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 464.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37) Lev 7,34 34a
34b
כי את חזה התנופה ואת שוק התרומה לקחתי מאת בני ישראל מזבחי שלמיהם ואתן אתם לאהרן הכהן ולבניו לחק עולם מאת בני ישראל
153
Ex 29,28
והיה לאהרן ולבניו לחק עולם מאת בני ישראל כי תרומה הוא ותרומה יהיה מאת בני ישראל מזבחי שלמיהם תרומתם ליהוה
28a 28b 28c
5. Zwischenresümee Die beiden aufeinander verweisenden Textabschnitte Ex 29,27–28 und Lev 7,30–36 legen somit nahe, die tenūfā-Riten in Ex 29,22–25.26 als Grundlegung dauerhafter Anrechte der Priester auf die Anteile an den Opfergaben der Israeliten zu interpretieren, wobei die erste tenūfā als symbolische Übereignung der den Priestern zustehenden Abgabe ( )תרומהvom Opferfleisch der Heilsgemeinschaftsopfer gestaltet ist, während in der zweiten tenūfā der künftig den Priestern zufallende Anteil an den Gaben für JHWH „irregulär“ an Mose fällt. Zugleich ist vor allem die erste tenūfā auch als praktisches Einüben exemplarischer priesterlicher Vollzüge („mit Handführung“) und damit als Initiationsgeschehen zu verstehen. Im Gesamt der Ritualanweisungen in Ex 29,1–37 schließlich können die tenūfā-Riten mit diesen Bedeutungspotenzialen sinnvoll an die beiden in Ex 29,20–21 beschriebenen Blutriten anschließen, die die im (Gesamt-)Ritual angezielte Heiligung der Priester zur Folge haben (vgl. Ex 29,21c): In allen (vier) Ritualen, die auf den Einsetzungswidder bezogen sind, d.h. in den beiden Blutriten und den „tenūfōt“ in ihrer Gesamtheit vollzieht sich das in V.9d zum Abschluss des Abschnitts zur Investitur der Priester (Ex 29,4b–9) in Aussicht gestellte „Hand-Füllen“ ()מלא יד. In der bisherigen Lektüre von Ex 29,1–28, die die Ritualanweisungen – der in Ex 29,1a–aRII vorgegebenen Perspektive folgend – als Vorschriften für die Weihe und Amtseinführung der Priester wahrnimmt, treten somit zwei, eng aufeinander bezogene Schwerpunkte des Rituals zu Tage, die in V.4b–9 thematisierte Investitur mit dem Ankleiden der Priester, sowie das in V.19–28 mit dem Einsetzungswidder verbundene „Handfüllen“. Die beiden, dem Einsetzungswidder vorausgehenden Opfer jedoch, die ḥaṭṭā’t in V.10–14 und die ʽōlā in V.15–18, erscheinen unter diesem Blickwinkel in erster Linie als „Hinführung“ zu den in Ex 29,19–28 dargestellten Vollzügen. Dies legen die zahlreichen Bezugnahmen von Ex 29,19–28 auf Ex 29,10–14.15–18 ebenso nahe, wie der Umstand, dass beide Opferrituale zwar in ihrem Ablauf beschrieben werden, dabei aber keine Interpretation (v.a. mit Blick auf ihre Funktion für das Gesamtritual) erfahren. Darüber hinaus sind die drei Opfer auch insofern eng miteinander verknüpft, als für das in Ex 29,21 angeordnete Besprengen Aarons und seiner Söhne mit dem Blut vom Altar das Blut aller Opfertiere aufgenommen wird und so die zur Heiligung der Priester führende Handlung letztlich als Resultat aller drei Darbringungen erscheint.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Zuletzt aber wird in Ex 29 an mehreren Stellen ein markanter Zusammenhang zwischen den Priestern und dem Altar herausgearbeitet, mit dem zugleich eine neue Thematik eröffnet wird. Vom Brandopferaltar nämlich war in der Heiligtumstora – von der Herstellungsanweisung in Ex 27,1–8 sowie der knappen Erwähnung in Ex 28,43aI2 abgesehen – bislang keine Rede. In Ex 29 jedoch rückt er beginnend mit den Anordnungen zu den Opfern, d.h. ab Ex 29,10, immer deutlicher in den Vordergrund. So wird er in den Vorschriften zur ḥaṭṭā’t und zur ʽōlā zunächst als kultischer Funktionsort eingeführt, an den das Blut der Opfertiere gebracht bzw. auf dem deren Teile verbrannt werden sollen. In den Blutriten des zweiten Widders (vgl. Ex 29,20–21) hingegen wird der auf diese Weise eingeführte Altar in mehrfacher Hinsicht mit den Priestern korreliert und so in einen Bezug zu den „Protagonisten“ des Abschnitts gesetzt. So ist in Ex 29,20 eine enge Verbindung zwischen den Priestern und dem Altar grundlegend dadurch angezeigt, dass beide (nacheinander) mit dem Blut des(selben) Widders in Kontakt gebracht werden. Immerhin wird dieses zunächst an die Ohren, Daumen und Großen Zehen der Priester appliziert (V.20c) und dann gegen den Altar gesprengt. Intensiviert aber wird die Korrelation insofern, als V.20bc einen Vollzug anordnet, der erkennbar parallel zum Blutritus der ḥaṭṭā’t gestaltet ist, anstelle der „Extremitäten“ des Altars aber diejenigen der Priester als Applikationsort vorsieht und auf diese Weise Altar und Priester beinahe als „austauschbare Größen“ gestaltet. Im zweiten Blutritus (Ex 29,21) hingegen wird aufbauend darauf bereits an den Altar gebrachtes, d.h. an JHWH zurückgegebenes Blut nochmals aufgenommen, um die Priester mit diesem, sowie mit Salböl zu besprenkeln und so zu heiligen. Somit geht die in Ex 29,21 konstatierte Heiligkeit der Priester letztlich vom Altar aus bzw. findet dort ihren eigentlichen „Ursprung“.411 Dies setzt voraus, dass der Altar selbst ebenfalls heilig ist, wobei in Ex 29 (bislang noch) nicht geklärt wurde, wie er diesen Status erlangt hat. Ausdrücklich aufgegriffen wird diese Thematik ganz zum Abschluss der Perikope in den Versen Ex 29,36–37, die den Altar ins Zentrum stellen und im Rückblick auf die vorausgehenden Anweisungen z.T. auch eine „Reinterpretation“ einzelner Ritualschritte in Ex 29,1–35 nahe legen bzw. ergänzende Perspektiven auf den beschriebenen Vollzug der Weihe eröffnen. Vor der Analyse von Ex 29,36–37 aber ist noch knapp auf den Abschnitt Ex 29,29–35 einzugehen, der Abschlussbestimmungen zu dem in Ex 29,1–28 angeordneten Ritual der Weihe enthält. 6. Abschlussbestimmungen (Ex 29,29–35) 29a 29aR 29a2 411
Die Gewänder der Heiligkeit, die Aaron gehören, sollen für seine Söhne sein nach ihm,
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 355.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37) 29aI1 29aI2 30a 30aR 30aRI 31a 31b 32a 32aR 32a 33a 33aR 33aRI1 33aRI2 33b 33c 34a 34b 34c 34d 35a 35aR 35b
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zur Salbung in ihnen, und um zu füllen ihre Hand in ihnen. Sieben Tage soll sie anziehen der Priester an seiner Stelle, aus seinen Söhnen, der ins Zelt der Begegnung kommt, um im „Heiligen“ Dienst zu tun ()שרת. Den Einsetzungswidder aber sollst du nehmen und sein Fleisch zubereiten an einem heiligen Ort. Und es soll essen Aaron – und seine Söhne – das Fleisch des Widders und das Brot, das im Korb ist, am Eingang des Zelts der Begegnung. Sie sollen sie (= die Gaben) essen, da Versöhnung erwirkt wurde durch sie, ihre Hand zu füllen, sie zu heiligen. Ein Fremder aber soll nicht essen, denn Heiliges sind sie. Und wenn übrig bleibt vom Fleisch der millu’īm und vom Brot bis zum Morgen, dann sollst du das Übriggebliebene im Feuer verbrennen; es werde nicht gegessen, denn Heiliges ist es. So sollst du an Aaron und an seinen Söhnen tun, gemäß allem, was ich dir befohlen habe. Sieben Tage sollst du ihre Hand füllen. (Ex 29,29–35)
Der Abschnitt Ex 29,29–35 ist – ähnlich wie bereits Ex 29,4b–9 – chiastisch aufgebaut: Die Verse Ex 29,29–30 bzw. Ex 29,35, die durch die zentralen Stichworte ‚( שבעת ימיםsieben Tage‘; V.30a.35b) und ‚( מלא ידdie Hand füllen‘; V.29aI2.35b) aufeinander bezogen, thematisch aber in gewisser Weise komplementär zueinander angelegt sind, umschließen ein Zentrum, das durch die Verse Ex 29,31–34 gebildet ist. Ex 29,29 verweist zu Beginn des Abschnitts betont auf die בגדי הקדש (‚Gewänder der Heiligkeit‘) Aarons und greift damit einerseits auf die Anordnung aus Ex 29,5 zurück, Aaron mit den für ihn gefertigten Gewändern einzukleiden. Andererseits wird auf diese Weise eine klare Zäsur zum vorausgehenden Sinnabschnitt Ex 29,27–28 markiert, der die Priesteranteile an den Opfern der Israeliten behandelt. Das eigentliche Thema jedoch, das im Zusammenhang mit den Gewändern Aarons behandelt wird, ist die Sukzession im Priesteramt. Anstelle des „synchronen“ Nebeneinanders von Aaron und seinen Söhnen nämlich, das in den Ritualanweisungen von Ex 29,1–28 bestimmend ist, wird nun mit Ex 29,29 eine „diachrone“ Perspektive eingebracht, der zufolge Aarons Söhne (als „Erben“ und Nachfolger) „nach ihm“
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
( ;אחריוV.29a2) dessen Dienstgewänder und damit auch das Amt des Aaron übernehmen sollen. Das Verhältnis der beiden Größen „Aaron“ und „Aarons Söhne“ ist also in Ex 29 durch eine vergleichbare Spannung von „Nebeneinander“ und „Nacheinander“ geprägt, wie sie auch in Ex 28 gegeben ist, wenn dort einerseits in Ex 28,6–39.40 Aaron und seine Söhne nebeneinander gestellt sind und sich allein durch die „besonderen“ Dienstgewänder Aarons unterscheiden, andererseits aber mit Ex 28,43 auch ein Nacheinander (vgl. ;אחריוEx 28,43d) thematisiert wird (vgl. dazu auch Ex 27,21).
Um an seine Stelle treten zu können, müssen Aarons Söhne – wie Ex 29,29aI1–aI2 betont – auch dasselbe Weiheritual durchlaufen, wie Aaron vor ihnen. Dieses ist in den beiden Infinitivsätzen mit den Stichworten „salben“ ( ;משחV.29aI1) und „Hand füllen“ ( ;מלא ידV.29aI2) umschrieben, die einerseits auf die in Ex 29,4b–9 geschilderte Investitur verweisen, indem sie mit der Salbung exemplarisch das Proprium Aarons herausheben und andererseits an den „Kern“ des in Ex 29,10–28 reglementierten Opfergottesdienstes erinnern.412 Ex 29,29 interpretiert somit die in Ex 29,1–28 angeordnete Weihe Aarons und seiner Söhne als ein erstmaliges Geschehen, das in analoger Weise auch künftig zur Weihe neuer Priester wiederholbar ist – mit dem in Ex 29,29 nicht eigens vermerkten, aber doch naheliegenden Unterschied, dass es künftig nicht Mose sein wird, der die Einführung der Priester anleitet, sondern einer der bereits geweihten Priester diese Aufgabe übernimmt. Ex 29,30a hingegen hält fest, dass eine künftige Wiederholung der erstmaligen Priesterweihe sieben Tagen dauern soll, während derer der künftige Priester die Gewänder Aarons trägt bzw. in sie gekleidet wird. In ähnlicher Weise thematisiert auch Ex 29,35 die Sieben-Tages-Frist (vgl. V.35b), wobei in diesem Fall ausdrücklich die erste Priesterweihe, d.h. in Amtseinführung Aarons und seiner Söhne (vgl. V.35a), in den Blick kommt, bei der das „Hand-Füllen“ sieben Tage lang (täglich) zu wiederholen ist. Die beiden Verse Ex 29,30a.35b sind somit in mehrfacher Weise komplementär zu einander angelegt. Einerseits nämlich werden die künftigen Wiederholungen (vgl. V.30a) und der erstmalige Vollzug des Rituals (vgl. V.35b) aufeinander bezogen. Andererseits aber verweisen die zwei zentralen Stichworte – ‚( לבשankleiden‘) in V.30a (vgl. auch Ex 29,5b) und ‚( מלא ידdie Hand füllen‘) in V.35b (vgl. auch Ex 29,9d) – auf die beiden wesentlichen Schwerpunkte des in Ex 29,1–28 beschriebenen Rituals, auf die Investitur (vgl. Ex 29,4b–9) mit dem Ankleiden als zentralem Element, sowie auf den Opfergottesdienst, der in den Vollzügen rund um den Einsetzungswidder (vgl. Ex 29,19–28) kulminiert. Offen allerdings bleibt dabei, ob Ex 29,30 dahingehend zu verstehen ist, dass die Priester an jedem der sieben Tage je neu mit den Gewändern Aarons eingekleidet werden, was unter Einbeziehung von Ex 29,35b bedeuten würde, dass das gesamte in Ex 29,1–28 angeordnete Ritual an sieben aufei412
Vgl. SNIJDERS/FABRY, ( מלאThWAT), 882–883.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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nanderfolgenden Tagen zu wiederholen ist413 oder aber ob sie – einmal eingekleidet – die Gewänder durchgehend (sieben Tage lang) tragen und so gleichsam eine unauflösbare „Aneignung“ des im Anlegen der Gewänder übertragenen Amtes vollziehen.414 In diesem Fall würde die Investitur (vgl. Ex 29,4b–9) nur am ersten Tag, d.h. einmal, stattfinden und allein der in Ex 29,20–28 beschriebene Opfergottesdienst wiederholt werden.415 Bei beiden Interpretationsmöglichkeiten jedoch sind die sieben Tage als eine „liminale Zeit“ zu verstehen, die zwischen dem „ursprünglichen“ Status als „profane Israeliten“ und dem Status als „geheiligte Priester für JHWH“ steht und den Übergang zwischen beiden vermittelt.416 Die beiden Sätze Ex 29,30a.35b, die auf die Sieben-Tages-Frist rekurrieren, sind in V.30aR–aRI.V.35a–aR jeweils um zusätzliche Aussagen zum Weiheritual erweitert. So definieren die beiden von Ex 29,30a abhängigen Sätze Ex 29,30aR–aRI den neu zu weihenden Priester an Aarons Stelle als denjenigen, der in das Zelt der Begegnung kommt, um im „Heiligen“ Dienst zu tun. Diese Angabe erinnert an die Funktionsbeschreibungen der Dienstgewänder Aarons in Ex 28,6–39, in denen das Hineinkommen ins „Heilige“ (vgl. Ex 28,29aI.30bI.35bI1.43aI1) und das damit verbundene „Hineintragen“ der Namen der Söhne Israels vor JHWH als zentrale Aufgaben Aarons herausgehoben werden. Ex 29,30aR–aRI setzt also zunächst einen dezidierten Rückverweis auf Ex 28 und das dort dargelegte Amtsprofil Aarons. Besonders markant ist die Bezugnahme auf die Sätze Ex 28,43a–aII, wobei Ex 29,30aR–aRI aus der dort gebotenen Umschreibung der Aufgaben der Priester nur diejenigen Aspekte aufnimmt, die tatsächlich auch „exklusiv“ auf Aaron zutreffen, das Kommen ins Zelt der Begegnung ( ;בוא אל אהל מועדEx 28,43aI1; 29,30aR), um im „Heiligen“ Dienst zu tun ( ;לשרת בקדשEx 28,43aII; 29,30aRI). Auffällig ist damit dass Ex 29,29–30 – mit dem Verweis auf Ex 28,43a–aII in Ex 29,30 und dem Rekurs auf Ex 28,43d in Ex 29,29 – ganz ausdrücklich auf den Abschluss von Ex 28 (vgl. Ex 28,43) Bezug nimmt. Auf diese Weise wird (nochmals) die Zusammengehörigkeit von Ex 28,1–43 und Ex 29,1–35 deutlich, wobei auffällig ist, dass beide Texte jeweils zum Abschluss der Perikopen das Priestertum der Aaroniden als eine generationenübergreifende Institution herausstellen (vgl. auch Ex 27,21) und so die schwerpunktmäßig in den Texten fokussierte „Ursprungssituation“ am Sinai, d.h. das Herstellen der Gewänder und die Weihe Aarons und seiner (leibli-
413
Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 538. Vgl. GORMAN, Ideology, 111–113. 415 Vgl. LEVINE, Leviticus, 54; SNIJDERS/FABRY, ( מלאThWAT), 883; WENHAM, Leviticus, 114. 416 Der Weihevollzug ist somit – in Anlehnung an VAN GENNEP (Übergangsriten) – als Übergangsritus zu beschreiben. Vgl. dazu auch (u.a.) JENSON, Graded, 65–66; KLINGBEIL, Time (v.a. 510–511); STAUBLI, Levitikus/Numeri, 82. 414
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
chen) Söhne unter Mitwirkung des Mose, auf die Gegenwart der Lesenden hin öffnen. In Ex 29,35 jedoch kehrt der Text ausdrücklich wieder in diese Ursprungssituation am Sinai zurück, womit korrespondiert, dass auch Aaron und seine Söhne (vgl. Ex 29,35a) wieder „synchron“ „nebeneinander“ treten. Zentral in V.35a–aR ist die Anordnung, die Rituale exakt gemäß den Anweisungen JHWHs (vgl. Ex 29,1–37) auszuführen. In dieser Vorschrift wird die eigentliche „Essenz“ der beschriebenen Vollzüge deutlich: Sie sind offenbarter Gotteswille und „funktionieren“, weil sie dem Willen JHWH entsprechen. Dies ist in Lev 8 insofern eingeholt, als dort die Gebotsformel ‚( כאשר צוה יהוהwie JHWH befohlen hat‘; vgl. Lev 8,[5.]9.13.17.21.29.[35.]36), die Ex 29,35a–aR aufnimmt, den Bericht über die Ausführung der Vorschriften aus Ex 29 beinahe wie ein Refrain durchzieht und zugleich den Text strukturiert.417 Wie oben herausgestellt, umrahmen die Verse Ex 29,29–30.35 den Abschnitt Ex 29,31–34, der den Umgang mit den nicht auf dem Altar verbrannten Teilen des Einsetzungswidders sowie mit den übriggebliebenen Broten behandelt. Diese Gaben sind in einer Opfermahlzeit zu verzehren, die in V.31–34 reglementiert wird. Ein wesentliches Leitwort des Abschnitts ist folgerichtig das Verb ‚( אכלessen‘), das in Ex 29,32a.33a.33b.34c belegt ist. Der Umstand, dass die beiden ersten Belege affirmiert, die beiden letzten aber negiert sind, deutet dabei eine grundlegende Zweiteilung der Textpassage an. So befassen sich die Vv.31–33aRI2 – rund um die beiden affirmierten Belege von ( אכלvgl. V.32a.33a) – mit dem „Wie“ und „Wer“ des Essens, während die Vv.33b–34 mit den beiden verneinten Belegen (vgl. V.33b.34c) „tabus“ formulieren. Den Auftakt des Abschnitts bildet die Anweisung in Ex 29,31, das Fleisch des Einsetzungswidders zu kochen und damit verzehrfertig zu machen, so dass dieses – wie V.32 betont – zusammen mit den übriggebliebenen Broten zum Bestandteil einer Opfermahlzeit werden kann. Das Kochen soll „an einem heiligen Ort“ ( )במקום קדשerfolgen (vgl. Ex 29,31b), was zunächst als Hinweis darauf zu werten ist, dass auch das zu kochende Fleisch selbst nach der Darbringung der für den Altar bestimmten Teile des Widders als heilig gilt. In Ex 29,33c.34d wird dies explizit festgehalten. Daraus aber ist zu folgern, dass auch die zum Verzehr der Opfermahlzeit Berechtigten, d.h. Aaron und seine Söhne (vgl. Ex 29,32a), sowie der Ort, an dem diese stattfindet, der Eingang zum Zelt der Begegnung (vgl. Ex 29,32a), heilig sein müssen. Was den Ort anbelangt, so wird dessen Status im vorausgehenden Text (und auch in Ex 29,31–34) an keiner Stelle explizit festgestellt, ist aber insofern vorauszusetzen, als Ex 29,4a.(10.)11a zufolge sowohl die Investitur (mit Ankleiden und ggf. Salben der Priester; vgl. Ex 29,4b–9) als auch der Opfer417
Mehr dazu vgl. u.a. HIEKE, Levitikus 1–15, 338–341; JÜRGENS, Heiligkeit, 192–199; MILGROM, Leviticus 1–16, 544; WATTS, Ritual, 103–104.
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gottesdienst (vgl. Ex 29,10–28) am Eingang des Zelts der Begegnung stattfinden. Darüber hinaus wird durch den Hinweis auf den Eingang des Zeltes in Ex 29,32a2 deutlich, dass die Opfermahlzeit als integraler Bestandteil des Gesamtrituals anzusehen ist, da sie dieses nicht nur unmittelbar fortsetzt bzw. das angefallene Opferfleisch einem sachgemäßen Gebrauch zuführt, sondern darüber hinaus auch noch an genau demselben Ort stattfindet. Die Heiligkeit Aarons und seiner Söhne hingegen wird in Ex 29,21c ausdrücklich festgestellt und mit der Ausführung des in Ex 29,21ab beschriebenen Besprenkelns mit Blut und Salböl verbunden. Vor diesem Hintergrund unterstreicht die in Ex 29,32a formulierte Anordnung, dass das Opferfleisch von den künftigen Priestern zu verzehren ist, zunächst den „Erfolg“ des zuvor vollzogenen Rituals, auf den schließlich auch V.33a–aRI2 rekurriert. Dieser Abschnitt nämlich verbindet den Verzehr des Opferfleisches und der Brote durch Aaron und seine Söhne mit dem Umstand, dass durch diese Gaben für sie Versöhnung erwirkt (כפר-pu.; V.33aR); dass ihre Hände gefüllt (;מלא יד V.33aRI1) und sie dadurch geheiligt wurden (קדש-pi; V.33aRI2). In dieser bemerkenswerten Formulierung rekapituliert der erste Infinitivsatz, Ex 29,33aRI1, ein weiteres Mal die Riten rund um den Einsetzungswidder, während Ex 29,33aRI2 auf die aus diesen resultierende Heiligung verweist. Ganz ausdrücklich wird damit die bereits in V.31–32 greifbare Verbindung zwischen der hier angeordneten Opfermahlzeit und dem zuvor beschriebenen Ritual deutlich gemacht. Auffällig in diesem Zusammenhang ist Ex 29,33aR, da dieser Satz mit dem Verb (כפר-D) eine Vokabel (neu) einführt, die das in den Infinitivsätzen Ex 29,33aRI1–aRI2 zusammengefasste Weiheritual als „Versöhnung erwirken“ interpretiert. Da dieselbe Wurzel – כפר-D – in Ex 29,36–37 insgesamt drei Mal belegt ist und damit als eines der Leitworte des kurzen Textabschnitts erscheint, kann der Beleg in V.33aR als ein Vorverweis auf Ex 29,36–37 interpretiert werden, der die dort angeordnete Altarweihe, in deren Verlauf dem „Erwirken von Versöhnung“ (כפר-D) für den Altar eine zentrale Bedeutung zukommt, dadurch auf die Priesterweihe bezieht, dass er auch jener dieselbe Funktion zuspricht. Zuletzt noch zu Ex 29,33b–34: In diesem Abschnitt ist – im Gegenüber zu V.31–33a – das „Nicht-Essen“ ( )לא אכלvom Opferfleisch (vgl. V.33b.34c) das bestimmende Thema, das wiederum in zwei Richtungen weiter entfaltet wird. So werden in Ex 29,33bc zunächst Aaron und seine Söhne, die als geheiligte Priester das Fleisch des Einsetzungswidders essen dürfen (vgl. Ex 29,32a), dem „Fremden“ ( )זרgegenübergestellt, dem dies ausdrücklich versagt bleibt. Im vorliegenden Kontext bezeichnet der Terminus זרdabei weniger den Nichtisraeliten, sondern den Nicht-Priester und schließt somit auch die überwiegende Mehrheit der Israeliten mit ein. Entsprechend untermauert das Formulieren des „tabus“ die im Ritual hergestellte Distinktion zwischen
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den Priestern als für den Dienst im Heiligtum und am Altar Geheiligte und dem Volk, das über diese Disposition nicht verfügt.418 Ex 29,34 verweist – im Gegenüber zu V.32, in dem der Eingang des Zelts der Begegnung als Ort des Verzehrs bestimmt wird – auf die Zeitspanne, innerhalb derer das geforderte Essen vom Opferfleisch möglich ist: Alles, was von den Gaben bis zum Morgen ( )עד הבקרübrig ist, soll im Feuer verbrannt werden. Der Verzehr ist somit ausschließlich am Tag des Opfers selbst und in der darauffolgenden Nacht erlaubt, vom Anbruch des darauffolgenden Tages an aber verboten, so dass möglicherweise übriggebliebene Reste mit dem Erreichen dieser Grenze sofort (vollständig) zu vernichten sind. Begründet wird diese Forderung in V.34d – ebenso wie diejenige in Ex 29,33b – mit dem Hinweis auf die Heiligkeit des Opferfleisches. Diese nämlich würde – so impliziert der Text – durch ein Aufbewahren von Resten bis in den Tag nach dem Opfer hinein verletzt. Diese Eingrenzung kann nun einerseits damit zusammenhängen, dass der Verzehr des Fleisches als integraler Bestandteil des Rituals in unmittelbarem räumlichen (vgl. die Anweisung aus Ex 29,32a, das Fleisch am Eingang des Begegnungszeltes zu verzehren) und zeitlichen Zusammenhang mit dem Opfervorgang selbst stehen soll, um dadurch die „Integrität“ des Gesamtvollzugs nicht zu gefährden. Ein ähnliches Anliegen liegt wohl auch den analogen Vorschriften zum Pesach (vgl. Ex 12,10) und zum Dankopfer ( ;תודהLev 7,15) zugrunde, die beide ebenfalls nur bis zum jeweils nächsten Morgen verzehrt werden dürfen, während beim Heilsgemeinschaftsopfer eine Frist von zwei vollen Tagen ( ;עד היום השלשיvgl. Lev 7,17) vorgesehen ist. Den je unterschiedlichen Zeitspannen – „bis zum (nächsten) Morgen“ bzw. „bis zum dritten Tag“ scheint dabei – was den Einsetzungswidder, das Dankopfer und das Heilsgemeinschaftsopfer anbelangt – eine Abstufung der Heiligkeit zugrunde zu liegen, in der das Heilsgemeinschaftsopfer den beiden anderen Vollzügen nachgeordnet ist, während beim Pesach die Befristung eher in der Struktur der Memorialvollzüge der Feier begründet ist. Zudem kann im Fall des Einsetzungswidders die Eingrenzung des Verzehrs auf den Tag des Opfers und die darauffolgende Nacht auch mit dem Umstand zusammenhängen, dass das Ritual – wie Ex 29,35c betont – an sieben aufeinanderfolgenden Tagen in gleicher Weise zu vollziehen ist. Damit aber würde ein Aufbewahren über den nächsten Morgen hinaus die klare Zuordnung des Opferfleisches zu einem konkreten Opfervollzug verwischen und somit auch die klare Distinktion der einzelnen Vollzüge aufheben. Entsprechend soll das Ritual entweder bis zum Morgen durch den vollständigen Verzehr des Fleisches abgeschlossen sein oder durch das Verbrennen der Reste beschlossen werden, bevor der nächste gleichartige Vollzug einsetzen kann.
418
Vgl. GORMAN, Ideology, 111–113.
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Das zentrale Thema in Ex 29,31–34 ist somit Heiligkeit – und zwar die Heiligkeit Aarons und seiner Söhne ebenso wie diejenige des Opferfleisches und des Ortes, an dem dieses zu verzehren ist. III. Die Altarweihe (Ex 29,36–37) 36a 36b 36bI 36c 36cI 37a 37b 37c 37d
Und einen Jungstier des Entsündigungsopfers ( )פר חטאתsollst du machen für den Tag zum Erwirken von Versöhnung (;)על הכפרים du sollst reinigen (חטא-pi.) den Altar indem du Versöhnung für ihn erwirkst (כפר-pi.), und ihn salben, ihn zu heiligen. Sieben Tage sollst du Versöhnung erwirken (כפר-pi.) für den Altar und ihn heiligen und der Altar sei Hochheiliges. Alles Rührende an den Altar wird heilig. (Ex 29,35–36)
Da die Aufforderung JHWHs an Mose, an Aaron und seinen Söhnen „gemäß all“ ( )ככלdem zuvor Befohlenen zu handeln (vgl. Ex 29,35a–aR), impliziert, dass die Vorschriften zur Amtseinführung der Priester nun vollständig und anwendbar vorliegen, erscheint es zunächst naheliegend, Ex 29,36a als Auftakt einer neuen Sinneinheit zu interpretieren, die nun an Stelle der Priester den Altar (vgl. V.36b.37a.c–d) in den Mittelpunkt rückt. Andererseits nehmen bereits die beiden ersten Worte des neuen Abschnitts, die Konstruktusverbindung ‚( פר החטאתJungstier der ḥaṭṭā’t‘), unverkennbar Bezug auf das in Ex 29,10–14 beschriebenen Ritual, das mit Ex 29,14b als ḥaṭṭā’t klassifiziert wird und für das als Opfertier ein Stier ( ;פרvgl. Ex 29,10) vorgesehen ist.419 Das Stichwort ‚( ליוםfür den Tag, pro Tag‘; V.36a) hingegen verweist auf die in Ex 29,30a.35c festgesetzte Dauer des Weiherituals und unterstreicht, dass während der sieben Tage der Amtseinführung der Priester täglich auch der „Jungstier der ḥaṭṭā’t“ zu machen (vgl. ;עשהV.36a) ist. Da allerdings die tägliche Wiederholung der ḥaṭṭā’t während der siebentägigen liminalen Phase der Priesterweihe im Grunde bereits aus der Vorschrift ableitbar ist, die Hand Aarons und seiner Söhne sieben Tage lang zu füllen (vgl. Ex 29,35c), d.h. die drei letztlich als Einheit profilierten Opfer in Ex 29,10–28 zu vollziehen, kommt der Wendung ‚( ליוםfür den Tag, pro Tag‘) wohl kaum die Funktion zu, eine grundlegend neue Information einzubringen. Vielmehr unterstreicht sie – ebenso wie der Rekurs auf den ḥaṭṭā’tStier aus Ex 29,10–14 – den Anschluss an Ex 29,1–35 und markiert auf diese Weise Ex 29,36–37 als „Nachtrag“ zu Ex 29,1–35, der freilich aufgrund seiner Fokussierung auf den Altar (anstatt auf die Priester) eigene Akzente setzt und ergänzende Perspektiven einbringt. Dies wird bereits im Zusammenhang 419
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 469.
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mit der Formulierung ‚( על־הכפריםzum Versöhnung-Erwirken‘) deutlich, die die Funktion und „Wirkung“ des „ḥaṭṭā’t-Stiers“ bzw. des mit ihm verbundenen Rituals andeutet und damit insofern eine Ergänzung zu Ex 29,10–14 einbringt, als in diesem Abschnitt lediglich der Ablauf des Rituals bzw. dessen einzelne Handlungsschritte vorgestellt werden, abgesehen von der Klassifikation als ḥaṭṭā’t in V.14b aber keine Deutung – weder für das Ritual als Ganzes noch für einen einzelnen Vollzug – gegeben wird. In der Nominalbildung כפריםnimmt Ex 29,36a erneut die Wurzel כפר-D. auf, die bereits in Ex 29,33aR (כפר-pu.) belegt ist, in Ex 29,36–37 jedoch mit insgesamt drei Belegen – neben dem Nomen כפריםin V.36a noch כפר-pi. in V.36bI.37a – als Leitwort erscheint. Zudem dient das Verb כפר-D auch in den Anweisungen zur ḥaṭṭā’t in Lev 4,1–5,26; 6,17–23; Num 15,22–31 als Reflexionsbegriff, der die angezielte Wirkung der ḥaṭṭā’t-Riten zum Ausdruck bringt:420 Indem der Priester die Riten (toragemäß) ausführt, erwirkt er Versöhnung (כפר-pi.), d.h. er beseitigt das „distanzierende Potential“ derjenigen Umstände, die die ḥaṭṭā’t überhaupt nötig gemacht haben. Zu diesen gehören (unbeabsichtigte) Übertretungen von Verboten (Lev 4,2) bzw. das unbewusste Missachten von Geboten der Tora (Num 15,22) oder das Bewusstwerden problematischer Umstände und Gegebenheiten, wie z.B. das Hören eines Fluchs, das unbewusste „Weitertragen“ von Unreinheiten, die Mitwisserschaft bei Verbrechen oder unbesonnenes Schwören (Lev 5,1–6). Ohne das Vorliegen eines dieser konkreten Anlässe gehört eine ḥaṭṭā’t schließlich auch zu den „Zusatzopfern“ von Neumondtagen und Festen (vgl. Num 28–29) und spielt v.a. beim Ritual des Jom Kippur eine zentrale Rolle (vgl. Lev 16). Zuletzt aber wird sie im Rahmen der rituellen Wiedereingliederung von (ehemals) Unreinen (vgl. Lev 12,6–8; 14,19; 15,14–15.20–30) vollzogen.421 Das zentrale Rituselement der ḥaṭṭā’t in all diesen Fällen ist – mit Ausnahme einer Sonderregelung für Arme, bei der anstelle eines Tieres Mehl als Opfergabe dargebracht wird (vgl. Lev 5,11–13) – ein Blutritus, der unmittelbar auf die Schlachtung des jeweiligen Opfertieres folgt. Dieser wird – je nachdem für wen bzw. aus welchem Anlass die ḥaṭṭā’t dargebracht wird – entweder am Goldenen Altar im „Heiligen“ – so bei Vergehen des Hohenpriesters (Lev 4,3–12) oder der (gesamten) Gemeinde (Lev 4,13–21) – oder am Brandopferaltar – so im Fall der Sünde eines Fürsten (Lev 4,22–26) bzw. eines einzelnen Israeliten (Lev 4,27–35) – vollzogen. Dabei wird beim sog. „Großen Blutritus“ (am Altar im „Heiligen“) das Blut zunächst sieben Mal gegen die Parochet gesprengt (vgl. Lev 4,5–6.16–17) und schließlich auf die Hörner des Altars appliziert (vgl. Lev 4,7.18). Der Rest des Blutes hingegen wird am
420
Vgl. EBERHARD, Studien, 167–168; HIEKE, Levitikus 1–15, 133–136; JANOWSKI, Sühne, 189–197; KÖRTING, Schofar, 166; PROPP, Exodus 19–40, 469. 421 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 134–136; 243.
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Sockel des Brandopferaltars ausgeschüttet (vgl. Lev 4,7.18).422 Beim sog. „Kleinen Blutritus“ hingegen findet kein Besprengen der Parochet statt. Hier wird das Blut lediglich an die Hörner des Brandopferaltars gestrichen und der Rest an dessen Sockel ausgeschüttet (vgl. Lev 4,25.30).423 Für die Blutriten sind verschiedene – z.T. in sehr unterschiedliche Richtungen gehende – Deutungen vorgeschlagen worden, die sich v.a. darin unterscheiden, dass sie die Blutapplikationen und verbunden damit die Symbolbedeutung des verwendeten Blutes, aber auch die der Schlachtung der ḥaṭṭā’t stets vorausgehende Handaufstemmung je anders interpretieren.424 Trotz Unterschieden im Detail – und z.T. auch in ganz wesentlichen Punkten – ist dabei in neueren Publikationen eine deutliche Tendenz erkennbar, die Blutapplikation auf den Hörnern des Altars als einen reinigenden Ritus zu verstehen,425 der nun interessanterweise nicht an demjenigen vollzogen wird, der Schuld auf sich geladen hat, sondern – je nach Fall – an einem der Altäre. Hintergrund dieses Vorgehens ist offenbar die in den Texten nie ausdrücklich formulierte Annahme, dass menschliche Verfehlungen, insofern sie stets auch die Beziehung zwischen Gott und Mensch betreffen, Auswirkungen auf das Heiligtum bzw. konkret die Altäre haben und deren Funktion als „Kontaktstelle“ zwischen irdischer und transzendenter Wirklichkeit beeinträchtigen. Dem auf die Altarhörner gestrichenen Blut kommt somit die Rolle und Funktion eines „kultischen Waschmittels“ zu, das die infolge der Übertretungen der Israeliten an den Altären „anhaftende“ Störung zu beseitigen vermag.426 Warum aber gerade dem Blut diese Potenz zukommen kann, erläutert grundlegend Lev 17,11, ein Vers, der mit B. JANOWSKI als „Summe der kultischen Sühnetheologie“427 gelten kann. 11a 11b 11bI 11c
Ja, die Lebenskraft ( )נפשdes Fleisches, im Blut ist sie. Ich aber habe es (= das Blut) auf den Altar gegeben Versöhnung zu erwirken für euer Leben // eure Lebenskraft ()נפש, denn das Blut; durch die Lebenskraft ( )נפשerwirkt es Versöhnung (Lev 17,11)
422
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 352–354. Vgl. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 262–266. Ausführlich zu den Blutriten der ḥaṭṭā’t vgl. auch JANOWSKI, Sühne 222–242. 424 Vgl. z.B. den ausführlichen Überblick bei EBERHARD, Studien, 230–257; JÜRGENS, Heiligkeit, 229–230. 425 So z.B. EBERHARD, Studien, 167–169; 257–259; GORMAN, Ideology, 77–78, 87; HARTENSTEIN, Bedeutung, 130; HIEKE, Levitikus 1–15, 90; 253; HUNDLEY, Keeping, 63; MARX, Opferlogik, 144; MILGROM, Sanctuary, 76; PROPP, Exodus 19–40, 469–470; u.a. 426 Vgl. EBERHARD, Studien, 257–259; HIEKE, Levitikus 1–15; 90; 253; KÖRTING, Schofar, 168–171; MARX, Opferlogik, 144; MILGROM, Sanctuary, 79–82; DERS., Leviticus 1–16, 254–258; NIHAN, Priestly Torah, 174–176; RENDTORFF, Opfertora, 187; SCHWARTZ, Bearing, 20–21. 427 JANOWSKI, Sühne, 242. 423
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Zentral in diesem Vers ist zunächst der Konnex zwischen dem Blut und der ‚( נפשLeben, Lebenskraft‘), auf den V.11a verweist:428 Im Blut sitzt die נפש des Fleisches, was im engeren Kontext zunächst das Verbot des Blutgenusses in Lev 17,10 (vgl. auch Gen 9,4; Lev 3,17; 7,26–27; Dtn 12,16.23–25; 15,23) begründet.429 Darauf aufbauend verbindet Lev 17,11b diesen Konnex zwischen dem Blut und der Lebenskraft zudem mit der Möglichkeit, das Blut am Altar ( )על־המזבחzum Einsatz zu bringen, um dort für die ‚( נפשLeben, Lebenskraft‘) der Israeliten Vergebung zu erwirken (כפר-pi.). Den entscheidenden Zusammenhang fasst Lev 17,11c pointiert zusammen: Blut erwirkt durch bzw. aufgrund (-)ב430 der ‚( נפשLeben, Lebenskraft‘) Versöhnung (כפר-pi.). Der eigentliche Grund dafür aber, dass das Blut im beschriebenen Sinne „funktionieren“ kann, liegt freilich nicht in dessen besonderen Eigenschaften, sondern ausdrücklich darin, dass JHWH – wie Lev 17,11b formuliert – das Blut für den Altar gegeben hat, also – indem er entsprechende Vollzüge vorgibt und anordnet – Israel einen Modus anbietet, sich (immer wieder) mit JHWH zu versöhnen.431 Jenseits dieser grundlegenden Voraussetzung für das „Funktionieren“ des „Versöhnung-Erwirkens“ stellt sich allerdings die Frage nach der „Wirkweise“ des Blutes. Wie also kann dieses – in seiner Eigenschaft als „Träger“ der – נפשim kultischen Vollzug „Hemmnisse“ beseitigen und den Kontakt zwischen JHWH und Israel neu ermöglichen?432 J. MILGROM geht davon aus, dass das Blut die am Altar „anhaftenden“ Verfehlungen aufnimmt und diesen auf diese Weise reinigt.433 Die Verfehlung selbst aber geht auf den Körper des Tieres über, dessen Blut an den Altar gebracht wurde und wird dann im weiteren Verlauf des Rituals zusammen mit diesem eliminiert, wenn das Fleisch entweder verzehrt oder aber verbrannt wird. Jenseits aller Probleme, die mit diesem Ansatz verbunden sind,434 etwa dem Umstand, dass das Fleisch des ḥaṭṭā’t-Tiers an keiner Stelle als unrein bezeichnet wird und die Verbrennung des Körpers bzw. der Verzehr des Fleisches für sich genommen nie als ein Akt qualifiziert wird, der Vergehen aus der Welt schafft435, erweist es sich u.a. auch als problematisch, dass der 428
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 255–256; JANOWSKI, Sühne, 245–246. Vgl. JANOWSKI, Sühne, 243–244; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 168–169. 430 Zur instrumentalen Deutung von – בund Kritik an konkurrierenden Interpretationsvorschlägen vgl. JANOWSKI, Sühne, 244–245; KIUCHI, Putification Offering, 106; KÖRTING, Schofar, 167 (Anm. 91); RENDTORFF, Studien, 231; u.a. 431 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 256; 632–633; JANOWSKI, Sühne, 245–248; KÖRTING, Schofar, 167; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 169. 432 Vgl. auch den Überblick bei LANG, ( כפרThWAT), 308–310. 433 Konsequenterweise übersetzt MILGROM das Verb כפר, das die Wirkung der ḥaṭṭā’t umschreibt, in der Regel mit ‚to purify‘ bzw. ‚to purge‘. Vgl. dazu z.B. MILGROM, Leviticus 1–16, 254–264. 434 Vgl. dazu ausführlich EBERHARD, Studien, 240–249; HIEKE, Levitikus 1–15, 634– 635. 435 Zu weiteren Kritikpunkten vgl. EBERHARD, Studien, 240–243. 429
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Schlüsselbegriff von Lev 17,11, נפש, für diese Interpretation keine Rolle spielt. CH. EBERHARD schlägt vor, die „Wirkung“ des Blutritus (vgl. כפר-pi.) mit einer Übertragung von Heiligkeit zu verbinden. So leitet er v.a. aus Lev 6,20– 23 ab, dass das Blut der ḥaṭṭā’t selbst – als „Träger“ der – נפשheilig ist und diese Qualität im Blutritus auch auf den Altar zu übertragen vermag, so dass dessen „ursprünglicher Status“ wieder hergestellt wird.436 Problematisch an dieser Annahme scheint allerdings, dass eine Heiligkeit des ḥaṭṭā’t-Blutes in den Texten nicht greifbar ist und v.a. auch in Lev 17,11 nicht thematisiert wird. Das Stichwort בקדשin Lev 6,23 hingegen, auf das EBERHARD ausführlich rekurriert, um seine These zu untermauern, dass die ḥaṭṭā’t „durch die Heiligkeit“ ( )בקדשdes Blutes Versöhnung erwirke (כפר-pi.),437 dient in seinem literarischen Zusammenhang ausschließlich der Differenzierung zwischen den beiden „Grundformen“ der ḥaṭṭā’t, derjenigen mit „Kleinem Blutritus“ am Brandopferaltar und derjenigen mit „Großem Blutritus“ „im Heiligen“ ( )בקדשim Hinblick auf den je unterschiedlichen Umgang mit dem Fleisch des Tieres. Es ist somit ausschließlich der Ort, das „Heilige“ ()קדש, im Blick und nicht etwa die dem Blut eigene Heiligkeit ()קדש, die auf den Altar transferiert wird und so die Wirksamkeit des Ritus garantiert. Entsprechend kann Lev 6,23 die ihm aufgebürdete „Beweislast“ nicht tragen. B. JANOWSKI deutet die Schlachtung des Opfertiers als stellvertretende Lebensgabe, der das Handaufstemmen als Akt der Identifikation des Opfernden mit seiner Gabe vorausgeht. In den Blutriten der ḥaṭṭā’t aber wird das Blut als Symbol des Lebens (des Opfertieres bzw. des Opfernden, den dieses vertritt,) mit dem Heiligen in Kontakt gebracht.438 JANOWSKI selbst stellt allerdings zugleich fest, dass sein Ansatz kaum auf die im Folgenden näher zu untersuchenden Texten aus Ex 29 anwendbar ist, da hier keine Sühne für Personen in den Blick kommt,439 so dass dieser im Folgenden nicht weiter zu berücksichtigen ist. Von einer eher symbolisch-zeichenhaften Funktion des Blutritus geht schließlich TH. HIEKE aus: „Kein anderes »Material« kann »Leben« im Sinne von Vitalität und Bedürftigkeit, Dynamik und Angewiesenheit (auf die Schöpfung und den Schöpfer) so repräsentieren wie Blut – es gibt kein plausibleres materielles Zeichen, das geeigneter wäre, die Wiederherstellung der heilvollen Beziehung zum lebendigen Gott symbolisch-greifbar vor Augen zu führen.“440 HIEKE verzichtet – im Unterschied etwa zu MILGROM oder EBERHARD – darauf, einen expliziten „(quasi-)kausalen“ Zusammenhang zwischen 436
Vgl. EBERHARD, Studien, 257–258. Vgl. EBERHARD, Studien, 257–261. 438 Vgl. JANOWSKI, Sühne, 198–248. 439 Vgl. JANOWSKI, Sühne, 230–232. 440 HIEKE, Levitikus 1–15, 257. 437
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dem Blutritus und dem Erwirken von Versöhnung anzunehmen und betont stattdessen (mit Lev 17,11b), dass der maßgebliche Grund für das „Funktionieren“ des Ritus in der ihn begründenden göttlichen Setzung liegt: In der ḥaṭṭā’t kann Versöhnung erwirkt werden, weil JHWH sie vorgeschrieben hat und bereit ist, seine Beziehung zu Israel bzw. dem einzelnen Israeliten zu erneuern, wenn der Ritus den Weisungen JHWHs entsprechend ausgeführt wird.441 Aufbauend auf diesen Überlegungen aber können die Blutriten, in denen ja das Blut – und damit auch die mit dem Blut verbundene – נפשauf die Hörner des Altars gebracht wird, gleichsam als ein „Wiederbeleben“ der durch die Vergehen Israels in ihrer Funktion geminderten („getöteten“) „Kontaktstelle“ zwischen JHWH und Israel, zwischen transzendenter und immanenter Wirklichkeit interpretiert werden.442 Der Vollzug der ḥaṭṭā’t zielt somit auf die Restitution einer heilvollen Beziehung zwischen dem Opfernden (bzw. ganz Israel) und JHWH, was in Lev 4,1–5,26 auch darin zum Ausdruck kommt, dass der Hinweis auf das durch den Priester vollzogene „Erwirken von Versöhnung“ (כפר-pi.) (nahezu) durchgehend mit der Wendung להם/ ונסלח לו (‚und es wird ihm / ihnen vergeben werden‘; vgl. Lev 4,20.26.31.35; 5,10.13.16.18. 26; vgl. auch Num 15,25.26.28) verbunden ist. Diese umschreibt die Folge des im Verb כפר-pi. umschriebenen Tuns des Priesters im passivum divinum: JHWH vergibt und stellt Gemeinschaft wieder her, da bzw. nachdem im Vollzug des von JHWH selbst für diesen Fall (an)gebotenen Rituals Versöhnung erwirkt wurde.443 Vor diesem Hintergrund kann das im Ritual konstitutive Handaufstemmen ( ;סמךvgl. Lev 4,4.15.24.29.33) kaum als Identifikation des Opfernden mit dem Tier (im Sinne einer Stellvertretung) oder als Akt der Sündenübertragung bewertet werden. Stattdessen zeigt es vor dem Vollzug der Schlachtung nochmals symbolisch die Zugehörigkeit des entsprechenden Tieres zum jeweiligen Opfernden an und markiert damit, zu wessen Gunsten und in wessen Namen das Ritual vollzogen wird – und weist damit zumindest implizit auch auf den Anlass hin, aus dem heraus die ḥaṭṭā’t gebracht wurde.444 Das nicht für das Bestreichen der Altarhörner benötigte Blut aber – d.h. mit Ausnahme weniger Tropfen die gesamte bei der Schlachtung anfallende Menge – wird am Sockel des Altars ausgeschüttet. Darin kommt einerseits ein symbolisches Zurückgeben der mit dem Blut verbundenen נפשan JHWH zum Ausdruck, andererseits aber wird eine „sensible“ Materie, die im Ritual 441 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 256–257; 632–636. Vgl. auch JANOWSKI, Sühne, 246– 248; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 176–180. 442 Vgl. MARX, Opferlogik, 144; MILGROM, Sanctuary, 394–397. 443 Vgl. EBERHARD, Studien, 171–172; 262; HIEKE, Levitikus 1–15, 134; HAUSMANN, ( סלחThWAT), 862; JANOWSKI, Sühne, 250–254; MARX, Opferlogik, 142–144; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 176; 179–180; DERS., Opfertora, 186. 444 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 32–47 (v.a. 43ff.).
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anfällt, für dessen weiteren Verlauf in dieser Menge jedoch nicht mehr benötigt wird, auf adäquate Weise „beseitigt“ und damit auch jeder weiteren (möglichen) Handlung entzogen, was eine exklusive Zuordnung des Opfertiers zu einem Ritus sicherstellt.445 Im Hinblick auf die Auslegung von Ex 29 ist nun zu klären, ob und inwiefern die ausgehend von Texten wie Lev 4,1–5,26; 6,17–23; Num 15,22–31 erhobene Deutung der ḥaṭṭā’t auch auf Ex 29,10–14.36–37 anwendbar ist. Anstoß zu dieser Frage gibt die Beobachtung, dass sich die hier thematisierte Stier-ḥaṭṭā’t in diversen Zügen markant von den in Lev 4,1–5,26; Num 15,22–31 reglementierten ḥaṭṭā’t-Vollzügen unterscheidet. So fällt zunächst auf, dass das in Ex 29,10–14.36–37 beschriebene Ritual seinen Anlass ausdrücklich nicht im Vergehen (oder dem Bewusst-Werden eines Vergehens) Einzelner oder des gesamten Volkes findet. Das zentrale Anliegen ist somit nicht der Umgang mit bzw. die Bewältigung von Schuld, so dass die oben erhobene Deutung der ḥaṭṭā’t auf Ex 29,10–14.36–37 zunächst schwer übertragbar erscheint.446 Dies legen auch die Sätze Ex 29,36b–cI nahe, die das „Machen“ ( )עשהdes ḥaṭṭā’t-Stiers (vgl. V.36a) mit weiteren Vollzügen verbinden und ein in sich zweiteiliges Geschehen der Kultinitiation nachzeichnen, wobei zunächst v.a. der erste Schritt, das in Ex 29,36b thematisierte „Entsündigen“ bzw. „Reinigen“ (חטא-pi.) des Altars bedeutsam ist, zumal in V.36bI das „Reinigen“ (חטא-pi.; vgl. V.36b) unmittelbar mit dem „Versöhnung-Erwirken“ (כפר-pi.) korreliert wird. Der Infinitivsatz V.36bI – eingeleitet durch die Präposition -ב – ist dabei als funktionsäquivalent zu einem (temporalen) Nebensatz (ZLV: Gleichzeitigkeit) zu interpretieren, so dass zunächst eine Koinzidenz von „Reinigen“ (חטא-pi.) und „Versöhnung-Erwirken“ (כפר-pi.) angedeutet zu sein scheint, was zugleich dazu animiert, das Verhältnis der beiden Verben im vorliegenden Kontext noch genauer zu fassen. Dafür kann sich ein Ausblick auf die insgesamt sehr wenigen Belegstellen des Verbs חטא-pi. im TaNa“K447 als hilfreich erweisen, der zunächst zwei grundlegende Auffälligkeiten zu Tage treten lässt: (1.) Das in Ex 29,36 beobachtete Nebeneinander von חטא-pi. und כפר-pi. ist in vergleichbarer Weise auch an den meisten anderen Belegstellen von חטא-pi. nachzuweisen. So findet sich das Verb כפר-pi. im engeren Kontext von Lev 8,15 (ebd.); Lev 14,49.52 (vgl. Lev 14,53); Ez 43,20.22–23 (vgl. Ez 43,20.26); Ez 45,18 (vgl. Ez 45,20); 2Chr 29,24 (ebd.).
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Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 537; RENDTORFF, Studien, 146; 220; DERS., Leviticus 1– 10, 52ff. 446 Vgl. GORMAN, Ideology, 121–124; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 279. 447 Vgl. Gen 31,39; Ex 29,36; Lev 8,15; 9,15; 14,49.52; Num 19,19; Ez 43,20.22.23; 45,18; Ps 51,9; 2Chr 29,24.
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(2.) Andererseits taucht חטא-pi. – abgesehen von Lev 6,19 als einzige Ausnahme – niemals in den Ritualanweisungen zur „normalen“ ḥaṭṭā’t (Lev 4,1– 5,26; 6,17–23; Num 15,22–31; [Lev 16]) auf und beschreibt somit ausdrücklich keinen Teilvollzug derselben. Letzteres gilt auch für die Verse Lev 6,19; 9,15, in denen חטא-pi. als „Fachterminus“448 für den Vollzug der ḥaṭṭā’t (als „Gesamtritual“)449 gebraucht wird und ebenfalls keinen ihrer „Einzelschritte“ bezeichnet. Die übrigen Belegstellen – nach Abzug von Lev 6,19; 9,15 – lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: In Lev 14,49.52; Num 19,19 (und auch Ps 51,8) steht חטא-pi. im Zusammenhang mit einer Reinigung von (kultischer) Unreinheit, wobei in keinem der Texte eine ḥaṭṭā’t stattfindet. In Lev 14,49–53 wird ein Ritual der Reintegration eines vormals von Aussatz befallenen Hauses beschrieben, der nach dem definitiven Verschwinden aller Aussatz-„Symptome“ vorzunehmen ist. Dazu wird das Haus mit einem Gemisch aus Quellwasser und dem Blut eines Vogels besprengt, in das zuvor auch ein Stück Zedernholz, Scharlach und Ysop gelegt wurden (vgl. Lev 14,50–51). In Lev 14,49.52 wird die mit dem Besprengen intendierte Wirkung durch das Verb חטא-pi. umschrieben, das hier am sachgemäßesten mit ‚(kultisch) reinigen‘ zu übersetzen ist, da das Wegnehmen von moralischer Schuld im vorliegenden Fall sicher nicht im Blick ist.450 Eine zusätzliche Bestätigung hierfür aber liefert die Schlussbemerkung der Ritualbeschreibung in Lev 14,53, die den (gesamten) Ritualvollzug, zu dem neben der Besprengung (V.49–52) auch das Entlassen eines zweiten, lebendigen Vogels gehört (vgl. V.53a), in der Formulierung ‚( וכפר על־הביתund er erwirke Versöhnung für das Haus‘; V.53b) zusammenfasst. In der Konsequenz des „VersöhnungErwirkens“ aber wird das Haus (kultisch) rein ( ;וטהרV.53c) und wieder bewohnbar.451 Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt auch in Num 19,19 vor. Hier wird mit חטא-pi. die Wirkung eines toragemäßen Gebrauchs des aus der Asche der „Roten Kuh“ hergestellten Reinigungswassers ausgedrückt: Ein Israelit, der infolge eines Kontakts mit einer menschlichen Leiche unrein geworden ist, muss am dritten und siebten Tag nach dem Eintreten der Unreinheit mit dem Wasser besprengt werden und erlangt so am siebten Tag den Zustand der Reinheit wieder – er wird (kultisch) gereinigt (חטא-pi.). In Ps 51,8 schließlich bittet der Beter JHWH darum, ihn mit Ysop zu reinigen (חטא-pi.) und erhofft in Folge dessen ebenfalls (kultisch) rein zu werden ()טהר.452
Eine zweite Gruppe wird durch Texte wie Ez 43,20.22–23; 45,18; 2Chr 29,24 konstituiert, in denen das Verb חטא-pi. im Zusammenhang mit ḥaṭṭā’tVollzügen gebraucht wird, wobei im engeren Kontext stets auch כפר-pi. belegt ist. Die drei Belegstellen von חטא-pi. in Ez 43,20.22.23 sind Teil des Textabschnitts Ez 43,18– 27, der Anweisungen zur Weihe des Brandopferaltars im künftigen Heiligtum enthält. 448
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 302; ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 1102. Vgl. ähnlich HARTLEY, Leviticus, 55; JANOWSKI, Sühne, 230. 450 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 279. 451 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 517–518. 452 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 55. 449
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Ganz ähnlich wie in Ex 29,10–14.36–37 ist dabei zunächst die Darbringung eines Stieres ( ;פר בן־בקרEz 43,19) als ḥaṭṭā’t vorgesehen, dessen Blut – analog zu Ex 29,12 – an die vier Hörner des Altars, darüber hinaus aber auch an die vier Ecken der ‚( עזרהEinfassung‘) sowie an den ‚( גבולUmgrenzung‘) des Altars453 zu geben ist (vgl. Ez 43,20ab).454 Die Durchführung bzw. die Wirkung dieser Blutapplikationen wird in Ez 43,20 mit den beiden Verben חטא-pi. (V.20c) und כפר-pi. (V.20d) umschrieben, die unmittelbar aufeinander folgen und letztlich denselben Vorgang aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.455 Ähnlich wie in Ex 29,36–37 ist auch in Ez 43,18–27 für die Altarweihe ein Zeitraum von sieben Tagen vorgesehen, doch liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Weiheritualen darin, dass Ez 43 zufolge nur am ersten Tag ein Stier als ḥaṭṭā’t dargebracht wird, an den darauffolgenden Tagen aber ein Ziegenbock ( ;שעיר־עזיםvgl. Ez 43,22), der allerdings – ebenso wie der Stier des ersten Tages – der ‚Reinigung‘ (חטא-pi.) des Altars dient.456 Im Anschluss (vgl. ;בכלותך מחטאEz 43,23) an die reinigende ḥaṭṭā’t sind schließlich an den Tagen zwei bis sieben – zusätzlich zum ḥaṭṭā’t-Ziegenbock – ein Stier und ein Widder als Brandopfer vorgesehen (Ez 43,23–25). Abschließend spricht Ez 43,26 dem Gesamtvollzug der sieben Tage zu, für den Altar Versöhnung zu wirken (כפר-pi.; V.26a.), ihn zu reinigen ( ;טהרV.26b), sowie seine „Hand“ zu füllen, d.h. ihn in seine „Tätigkeit“ einzuführen ( ;מלא ידV.26c). In Ez 43,26 ist somit – alternierend zu V.22, in dem allein חטא-pi. verwendet wurde – das Verb כפר-pi. belegt, ohne dass im Kontext ein Bedeutungsunterschied zwischen beiden Verben zu erheben wäre. In der zweiten relevanten Textstelle in der „Heiligtumstora“ des Ezechiel, in Ez 45,18 (–20), finden sich Anweisungen für eine kultische Reinigung des Heiligtums am ersten und siebten Tag des ersten Monats. Erneut wird dazu ein Stier als ḥaṭṭā’t dargebracht, dessen Blut an die Türpfosten des Tempelgebäudes, an die vier Ecken der עזרהdes Altars und an die Türpfosten der Tore zum inneren Hof (vgl. Ez 45,19) gestrichen wird. Die Folge dieser Vollzüge wird in Ez 45,18c in der Formulierung ‚( וחטאת את המקדשund du sollst reinigen/entsündigen das Heiligtum‘), in Ez 45,20b aber in der Wendung ‚( וכפרתם את־הביתund ihr sollt für das Haus [d.h. den Tempel] Versöhnung erwirken‘) umschrieben.457 Wie auch in Ez 43,20–26 korrespondieren damit כפר-pi. und חטא-pi. bzw. sind de facto als Synonyme gebraucht458.
Ein erster wichtiger Ertrag aus dem knappen Durchgang durch die Belegstellen von חטא-pi. besteht darin, dass sich die oben bereits geäußerte Vermutung, dass in Ex 29,36b–bI kein signifikanter Bedeutungsunterschied zwischen חטא-pi. und כפר-pi. gegeben ist und beide Verben folglich wie Synonyme gebraucht werden,459 insofern erhärtet, als ein ganz ähnlicher Befund
453 Zur Rekonstruktion des Altars vgl. BLOCK, Ezekiel 25–48, 597–600; ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 1091–1095. 454 Vgl. BLOCK, Ezekiel 25–48, 608–609; ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 1102. 455 Vgl. LANG, ( כפרThWAT), 311; HARTLEY, Leviticus, 55. Ähnlich BLOCK, Ezekiel, 609. 456 Vgl. BLOCK, Ezekiel 25–48, 610–611; ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 1103–1104. 457 Vgl. BLOCK, Ezekiel 25–48, 661–663; ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 1160–1161. 458 Vgl. LANG, ( כפרThWAT), 311; HARTLEY, Leviticus, 55. 459 Vgl. LANG, ( כפרThWAT), 311; NIHAN, Priestly Torah, 177–178.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
auch in allen anderen Texten, in denen beide Verben mit- und nebeneinander belegt sind, zu erheben ist.460 Eine alternative Interpretation schlägt C. BENDER vor. Sie regt an, חטא-pi. im Sinne eines „Darstellens von Sünde“ zu interpretieren und deutet ausgehend davon das Nebeneinander von חטא-pi. und כפר-pi. als Abbilden eines zweistufigen Geschehens, bei dem das trennende Moment zunächst symbolisch zur Darstellung gebracht (חטא-pi.), d.h. von dem „betroffenen“ Gegenstand „abgehoben“ wird, um schließlich endgültig eliminiert werden zu können (כפר-pi.).461 Theoretisch möglich erscheint eine solche Interpretation in der Tat in Lev 14,49–53 und auch in Lev 8,15. So ist in Lev 14 das Verb חטא-pi. ausschließlich mit dem Besprengen des Hauses verbunden – es findet sich in den Versen Lev 14,49.52, die denjenigen Abschnitt rahmen, der diesen Vorgang beschreibt –, während in V.53a mit dem Entlassen des lebendigen Vogels eine weitere Handlung hinzutritt, auf die das Stichwort כפר-pi. (V.53a) folgt. Dient also das Besprengen dem „Anlösen“ der „Schuld“ und das Entlassen des Vogels dem endgültigen „Abwaschen“? Plausibel ist diese Deutung nur, wenn man Lev 14,53bc allein auf V.53a bezieht und nicht als Resümee der gesamten Ritualbeschreibung (V.49–53) liest. Letzteres aber erscheint insofern naheliegender, als V.53c tatsächlich das Anliegen des Gesamtrituals auf den Punkt bringt – das Haus soll wieder rein werden – und V.53b als Wiederaufnahme von Lev 14,49aI zu verstehen ist, die einen Rahmen um den Abschnitt legt und zugleich כפר-pi. (V.53b) und חטא-pi. (V.49aI) unmittelbar korreliert. Ebenso wäre es auch in Lev 8,15 möglich, die beiden Verben mit einer je eigenen Bedeutung zu belegen, wobei der zweistufige Reinigungsvorgang, den BENDER andeutet, hier kaum greifbar scheint, da כפר-pi. (Lev 8,15fI) der Narrativreihung der Sätze V.15a–f keine neue, separate Aktion hinzufügt, sondern als Infinitivsatz – je nach Interpretation – das mit der nachgezeichneten Handlungsfolge oder einer Einzelhandlung verbundene Anliegen verbalisiert. Berücksichtigt man allerdings, dass Lev 8,15 auf die Vorschriften aus Ex 29,11–12.36b–bI zurückgreift, erscheint die von BENDER vorgeschlagene Deutung wenig plausibel, da Ex 29,36 in seiner Zuordnung der Verben ja ausdrücklich ein „Zugleich“ von כפר-pi. und חטא-pi. nahelegt und damit einer Unterscheidung von zwei separaten Vollzügen widerspricht.462
Weiterhin ist auffällig, dass in allen hier relevanten Texten, in denen sich beide Verben nebeneinander finden, stets Rituale in den Blick kommen, die auf Architektur bezogen sind – auf den Altar (Ex 29,36; Lev 8,15; Ez 43,18– 27), das Heiligtum (Ez 45,18–20) oder das vormals aussatzbehaftete Haus (Lev 14,49–53) – und auf ein (wieder) „Brauchbar-Machen“ dieser Bauwerke abzielen. Dieser Vorgang wird in allen genannten Texten zunächst mit dem Verb חטא-pi. umschrieben, das dann jeweils unmittelbar mit כפר-pi. verbunden wird. חטא-pi. scheint somit (u.a.!)463 als „Fachterminus“ für die rituelle (Wieder-)Eingliederung von Bauwerken zu fungieren.464 In dieser Verwendung ist es stets mit dem Verb כפר-pi. korreliert, wobei beide Verben – aufei460
Vgl. EBERHARD, Studien, 168. Vgl. BENDER, Darstellung, 43–55. 462 Vgl. dazu auch RENDTORFF, Leviticus 1–10, 279. 463 Auf die Belege in Lev 6,19; 9,15; Num 19,19 passt diese Bedeutung nicht! 464 Vgl. ähnlich ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 1102. 461
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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nander bezogen und einander verstärkend – ein rituelles Ablösen von allem fokussieren, das so weit trennend wirken könnte, dass es einer Einbindung des jeweiligen Bauwerks in seinen „angestammten“ Kontext entgegensteht.465 Im Fall des (vormals) aussätzigen Hauses ist dies die durch den Aussatz bedingte (kultische) Unreinheit, die auf alle Gegenstände und Personen übergeht, die sich in ihm befinden (vgl. Lev 14,36.46) und ein Bewohnen des Hauses unmöglich macht. In den Texten zum Brandopferaltar hingegen (vgl. Ex 29,36; Ez 43,18–27) ist es das eigentliche Anliegen der Ritualvollzüge, den Altar in solcher Weise zu disponieren, dass er künftig als „Kommunikationsort“ zwischen Gott und Mensch fungieren kann. Dazu jeweils eine siebentägige Kultinitiation vorgesehen, zu der das Beseitigen alles Trennenden, das der künftigen Funktion des Altars entgegenstehen könnte – in keinem der Texte wird es näher spezifiziert –, ebenso gehört, wie eine erstmalige „Inbetriebnahme“.466 Besonders augenfällig wird dies in Ez 43,26, wo das in Ez 43,18–25 beschriebene Ritual der Altarweihe in den drei, sich gegenseitig interpretierenden Schlagworten כפר-pi., טהר-pi. (‚reinigen‘) und ‚( מלא ידdie Hand füllen‘) umschrieben wird, wobei die beiden zuletzt genannten das Bedeutungsspektrum abstecken, in das sich in diesem Kontext auch das Verb כפר-pi. einfügt: Es geht um das Herstellen einer grundsätzlichen Kultfähigkeit, verbunden mit einer einführenden „Betätigung“ des Altars.
Ex 29,(10–14.)36b–bI beschreibt somit – ebenso wie Ez 43,18–27 – mit den Verben חטא-pi. und כפר-pi. einen einmaligen Vorgang, bei dem der Altar in das Heiligtum integriert und seine „Einsatzfähigkeit“ hergestellt wird.467 Damit ist zugleich derjenige Status erreicht, der in den wiederholten, anlassbezogenen ḥaṭṭā’t-Vollzügen (vgl. Lev 4,1–5,26; Num 15,17–23), v.a. aber im Ritual des Jom-Kippur (vgl. Lev 16) regelmäßig restituiert werden muss, um die im Laufe der Zeit durch menschliches Fehlen eintretenden Störungen wieder zu beseitigen,468 wobei der Umstand, dass in der Beschreibung dieser Vollzüge das Stichwort כפר-pi. – allerdings mit etwas anderer Bedeutung – wiederkehrt, den inneren Zusammenhang zwischen der „ersten ḥaṭṭā’t“ in Ex 29,10–14.36–37 und den auf diese bezogenen, wiederholten und wiederholbaren ḥaṭṭā’t-Vollzügen unterstreicht.469 In vergleichbarer Weise findet dieser Konnex auch in dem in Ex 29,10–14 beschriebenen Ritual selbst seinen Niederschlag, das hinsichtlich seiner 465 Vgl. GORMAN, Ideology, 122–123; HIEKE, Levitikus 1–15, 349; HOUTMAN, Exodus 3, 548. 466 Vgl. EBERHARD, Studien, 167–169; GANE, Cult, 194 (u.a.); GORMAN, Ideology, 122–124; HIEKE, Levitikus 1–15, 135; HUNDLEY, Keeping, 84; WILLI–PLEIN, Opfer, 98. 467 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 278–279; PROPP, Exodus 19–40, 470; RENDTORFF, Opfertora, 187–188. 468 Vgl. GORMAN, Ideology, 129; HIEKE, Levitikus 1–15, 350; JÜRGENS, Heiligkeit, 110–111. 469 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 470.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
grundsätzlichen Struktur und der Abfolge der wesentlichen Schritte den wiederholbaren ḥaṭṭā’t-Vollzügen (vgl. Lev 4,1–5,13) entspricht,470 in wesentlichen Details aber auch „Besonderheiten“ erkennen lässt, die seinen Charakter als einmaliges Initiations- bzw. Integrationsgeschehen unterstreichen. Diese Spezifika der Weihe-ḥaṭṭā’t sind v.a. im Zusammenhang mit dem Handaufstemmen (vgl. Ex 29,10b) und dem Umgang mit dem Fleisch des Opfertiers (vgl. Ex 29,14a) erkennbar. Das für die ḥaṭṭā’t zentrale Handaufstemmen, das hier ebenso wie bei der „normalen“ ḥaṭṭā’t nur als eine im Ritus visualisierte Zuordnung des Opfertiers zum Opfernden interpretiert werden kann, wird Ex 29,10b zufolge von Aaron und seinen Söhnen vollzogen. Dies ist insofern bemerkenswert, als Ex 29,36–37 nahelegt, dass die ḥaṭṭā’t gar nicht für die Priester dargebracht wird, d.h. nicht dazu dient, für deren Sünden Vergebung zu erwirken, sondern die Integration des Altars in das Heiligtum befördern soll. Somit leihen die Priester gleichsam dem Altar ihre Hände und vollziehen den Gestus an dessen Stelle, wodurch ein weiteres Mal die bereits mehrfach in Ex 29 aufgewiesene enge Verbindung von Altar und Priestern manifest wird.471 Andererseits ist bemerkenswert, dass ein für die wiederholbaren ḥaṭṭā’t-Riten wesentliches Element, das über die Zuordnung des Opfers zur Person des / der Opfernden implizit auch den „auslösenden“ Anlass der Darbringung andeutet, in diesem Fall, in dem es für sich genommen kaum sinnvoll und praktikabel ist, nicht einfach weggelassen, sondern sinnvoll abgeändert wird. Innerhalb des literarischen Zusammenhangs der Tora aber kann dies als Signal für den inneren Zusammenhang zwischen der einmaligen ḥaṭṭā’t der Altarweihe (Ex 29) und den wiederholbaren ḥaṭṭā’t-Riten gewertet werden. Die zweite Besonderheit der Stier-ḥaṭṭā’t aus Ex 29, die diesem Ritus gegenüber den wiederholbaren ḥaṭṭā’t-Vollzügen eine gewisse „Einmaligkeit“ (als Gründungsgeschehen) verleiht, ist schließlich im Umgang mit dem Fleisch und in der Auswahl des Opfertiers gegeben. So ist ein Stier als Opfertier später nur bei der ḥaṭṭā’t für den Gesalbten Priester (vgl. Lev 4,3–12) oder für die ganze Gemeinde (vgl. Lev 4,13–21) vorgesehen. In diesen Fällen wird der sog. „Große Blutritus“ vollzogen, bei dem das Blut des Tieres ins „Heilige“ gebracht und dort zunächst gegen die Parochet gespritzt und dann an die Hörner des Goldenen Altars appliziert wird (vgl. Lev 4,5–7.16–18). Das Fleisch des Stieres aber wird außerhalb des Lagers verbrannt (Lev 4,12.21).472 Umgekehrt wird bei der ḥaṭṭā’t für den Fürsten (vgl. Lev 4,22– 26) bzw. für einen Israeliten (vgl. Lev 4,27–31.32–35), bei der die Blutapplikation am Brandopferaltar vollzogen wird (vgl. Lev 4,25.30.34), ausdrücklich kein Stier, sondern eine Ziege bzw. ein Schaf verwendet (vgl. Lev 470
Vgl. dazu HIEKE, Levitikus 1–15, 266–267. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 349. 472 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 536. 471
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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4,23.28.32), deren Fleisch von den Priestern verzehrt werden kann (vgl. Lev 6,19.22–23). Vor dem Hintergrund der Vorschriften aus Lev 4,1–5,25; 6,17– 23 erscheint somit sowohl eine Stier-ḥaṭṭā’t, deren Blut auf die Hörner des Brandopferaltars appliziert wird (so Ex 29,12), als auch eine ḥaṭṭā’t mit „Kleinem Blutritus“ (Applikation am Brandopferaltar), deren Fleisch verbrannt werden soll, als „irregulär“, was die Einmaligkeit der Weihe-ḥaṭṭā’t unterstreicht.473 Auf die mit חטא-pi. und כפר-pi. umschriebene Reinigung bzw. Integration des Altars (V.36b–bI) folgt schließlich als zweiter Schritt seine Salbung (;משח V.36c), eine Handlung also, die – im Unterschied zur Stier-ḥaṭṭā’t – in Ex 29,1–35 in Bezug auf den Altar (!) noch nicht thematisiert wurde. Gesalbt nämlich wurde bislang nur Aaron (vgl. Ex 29,7), wobei auffällt, dass die beiden Salbungen allein schon dadurch eng aufeinander bezogen sind, dass die Sätze V.7c und V.36c exakt gleichlautend formuliert sind ()ומשחת אתו.474 Den angezielten Effekt der zweistufigen Altarweihe, der mit der Salbung eintreten kann, benennt der Infinitivsatz V.36cI: ‚( לקדשוihn zu heiligen‘), der unverkennbar auf Ex 29,1aRI, die Zielvorgabe des in Ex 29,1–35 vorgestellten Weiherituals für die Priester ( )קדש אתםrekurriert. Daran anschließend resümieren und präzisieren die beiden Sätze Ex 29,37ab im Wesentlichen das in V.36 bereits Dargelegte. In der Anweisung, sieben Tage lang für den Altar Versöhnung zu wirken ()כפר על המזבח, klingen die wesentlichen Aussagen von V.36a.b–bI nach, während V.37b mit der Aufforderung, den Altar zu heiligen ()וקדשתו אתו, nochmals auf V.36cI zurückgreift. Darauf aufbauend nimmt Ex 29,37cd die Wirkungen der Altarweihe noch präziser als V.36bI in den Blick, wenn V.37c zunächst betont, dass der Altar hochheilig ( )קדש הקדשיםwird und damit einen Status erlangt, der seine Funktion als unmittelbare „Kontaktstelle“ zwischen Immanenz und Transzendenz widerspiegelt und V.37d ergänzend festhält, dass das gesteigerte Maß der Heiligkeit des Altars auch zur Folge hat, dass dieser alles (und jeden) zu heiligen vermag, das (der) ihn berührt. Vor allem in Ex 29,36c–cI fällt auf, dass über das Parallelisieren von Priester- und Altarweihe – ein weiteres Mal – der enge Zusammenhang zwischen den Priestern und dem Altar herausgehoben wird. Andererseits gelten alle in V.36b–c.37ab genannten Vollzüge, das Reinigen und VersöhnungErwirken ebenso wie das Salben und Heiligen dezidiert dem Altar (vgl. על־ המזבח, V.36b.37a; עליו, V.36bI; אתו, V.36c.37b; לקדשו, V.36cI). Dies ist besonders mit Blick auf die Stier-ḥaṭṭā’t interessant, da diese von V.36a–bI.37a her – zusammen mit der in V.36c eingeführten Salbung – als zentrales Element der siebentägigen Altarweihe erscheint, die zeitgleich mit der in Ex 29,1–35 beschriebenen siebentägigen Priesterweihe vollzogen wird. Dieser 473 474
Vgl. GORMAN, Ideology, 123–124; HIEKE, Levitikus 1–15, 350–351. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 349–350.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Deutung aber steht die Darstellung von Ex 29,1–35 entgegen, der zufolge die in Ex 29,10–14 beschriebene ḥaṭṭā’t – zusammen mit der an sie anschließenden ʽōlā (V.15–18) – ein integraler Bestandteil der Priesterweihe ist, der auf die Riten rund um den Einsetzungswidder (vgl. V.19–28) hin angelegt ist und diese vorbereitet. Der Text bietet also zwei gegensätzliche Perspektiven – v.a. auf Ex 29,10–14, damit verbunden aber auch auf Ex 29,15–18.19–28 –, die einerseits die eigentümliche Verschränkung von Priester- und Altarweihe intensivieren, da zumindest die ḥaṭṭā’t – je nach Blickwinkel – in beide Vollzüge eingebunden scheint. Andererseits fordert Ex 29,36–37 im Lektürevorgang eine weitreichende (retrospektive) Neubewertung des in Ex 29,10–14 bereits beschriebenen Rituals ein, die auch für die ʽōlā und den Einsetzungswidder in V.15–28 Zusammenhänge zu Tage treten lässt, die unter der in Ex 29,1–35 vorgegebenen Perspektive zunächst verdeckt waren. So ermöglicht die durch Ex 29,36–37 eröffnete Deutung der ḥaṭṭā’t zunächst, das Nacheinander von ḥaṭṭā’t und ʽōlā in V.10–14.15–18 präziser zu bestimmen. Interpretiert man nämlich mit Ex 29,36–37 die ḥaṭṭā’t als den zentralen Vollzug der Altarweihe, durch den der Altar in das Heiligtum „integriert“ und in der jedes trennende Potenzial, das seine Funktion beeinträchtigen könnte, entfernt wird, so kann die an die ḥaṭṭā’t anschließende ʽōlā gleichsam als ein initialer „Probelauf“ gewertet werden, in dem sich „bestätigt“, dass der „gebrauchsfertig“ gemachte Altar tatsächlich seiner vorgesehenen Aufgabe nachkommen kann, eine gelingende Kommunikation zwischen JHWH und Israel zu ermöglichen.475 Besonders augenfällig wird dies in den Sätzen Ex 29,18bc, die formal betrachtet ein Pendant zu Ex 29,14b, dem Abschluss der Ritualbeschreibung der ḥaṭṭā’t, bilden. Analog zu V.14b findet sich dabei in V.18b zunächst eine Klassifikationsformel, die den zuvor angeordneten Vollzug als ʽōlā ausweist ()עולה הוא, zusätzlich aber um die Wendung ‚( ליהוהfür JHWH‘) erweitert ist, die in V.14b nicht zu finden ist. Diese deutet eine Ausrichtung des Opfervollzuges auf JHWH hin an und hebt so einen „kommunikativen Charakter“ der Handlung heraus. Damit bereitet die Wendung ‚( ליהוהfür JHWH‘) auch den Satz Ex 29,18c vor, der der Klassifikationsformel in V.18b nachgestaltet ist und die zuvor beschriebene ʽōlā einerseits als ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘), andererseits aber als אשה ליהוה (‚Feuergabe für JHWH‘) qualifiziert. Beide Stichworte ריח ניחחund אשהsind vielfach – und z.T. auch in anderer (sachlicher und syntaktischer) Zuordnung – nebeneinander belegt und bringen zwei miteinander korrespondierende Aspekte zum Ausdruck. So antizipiert die Wendung ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘) zunächst die (positive) Reaktion JHWHs auf die ʽōlā: JHWH nimmt die im Opfer vollzogene „Anrede“ Israels wahr, akzeptiert die Gabe und beantwortet den regelgerechten (torakonformen) Vollzug mit Wohlgefallen
475
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 351; MILGROM, Leviticus 1–16, 290–291.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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bzw. Ruhe / Beruhigung.476 Dem stellt das Stichwort ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) den menschlichen Akt des (Über-)Gebens entgegen,477 so dass letztendlich die Zweiseitigkeit des Geschehens bzw. die in diesem stattfindende Interaktion ebenso zum Ausdruck kommt, wie der Aspekt des Gelingens der im rituellen Vollzug stattfindenden Kommunikation. Ist dies alles aber im Vollzug der ʽōlā tatsächlich gegeben, so demonstriert das Ritual letztendlich das korrekte „Funktionieren“ des Altars und bestätigt damit auch den „Erfolg“ der vorauslaufend vollzogenen ḥaṭṭā’t.478 Auf die ʽōlā in Ex 29,15–18 folgt in Ex 29,19–28 die Darbringung des „zweiten Widders“, die insofern den Höhepunkt des Opfergottesdienstes in Ex 29,10–28 bildet, als hier sowohl die in Ex 29,1aRI als Ziel des Gesamtrituals vorgegebene Heiligung der Priester erreicht (vgl. V.21), als auch das in Ex 29,9d antizipierte „Hand-Füllen“ (vgl. Ex 29,22–26) vollzogen wird. Im Zuge der oben unternommenen Analyse von Ex 29,19–28 sind bereits eine Vielzahl von Textbezügen zu den Ritualbeschreibungen der ḥaṭṭā’t (V.10–14) und der ʽōlā (V.15–18) zu Tage getreten, die auf vielfältige Zusammenhänge zwischen den Vollzügen des Einsetzungswidders einerseits und der ḥaṭṭā’t bzw. der ʽōlā andererseits hinweisen, die nun weitergehend interpretiert werden können. Dabei kommt ein besonderes Interesse den beiden Blutriten in Ex 29,(19–)20.21 zu. So entspricht beim ersten Blutritus (Ex 29,19–20) die Handlungsfolge „Handaufstemmen ( ;סמךV.19b) – Schlachten des Opfertiers ( ;שחטV.20a) – Aufnehmen des Blutes ( ;לקחV.20b) – Blutapplikation (;נתן V.20c)“ genau der Abfolge der ḥaṭṭā’t (vgl. V.10b–12b), wobei die einander entsprechenden Vollzüge jeweils auch mit demselben Verb umschrieben werden. Zusätzlich intensiviert wird die Parallelität dadurch, dass in der Beschreibung des Blutritus der Priesterweihe in Ex 29,20c vier Blutapplikationen aufgelistet sind – und damit ebenso viele, wie während der ḥaṭṭā’t an den Hörnern des Altars vollzogen werden. Die deutlich herausgehobene Analogie der beiden Vollzüge lässt hingegen vermuten, dass das Bestreichen der „äußersten Extremitäten“ der Priester (Ohrläppchen, Daumen und Große Zehe) – ähnlich wie die Blutapplikationen der Altarweihe-ḥaṭṭā’t – einer kultischen „Reinigung“ dienen soll, die Trennendes eliminiert und so die Priester grundsätzlich in die Lage versetzt, am Heiligtum Dienst zu tun.479 Gestützt wird diese Annahme durch einen Ausblick auf die Textstelle Lev 14,10–20, in der – in einem etwas anderen Kontext – ein vergleichbares Ritual beschrieben wird. Lev 14,1– 32 behandelt die kultische Reintegration eines geheilten Aussätzigen, die insgesamt acht Tage dauert. Lev 14,10–20 reglementiert dabei den Abschluss des Geschehens am achten 476
Vgl. EBERHARD, Studien, 52, HIEKE, Levitikus 1–15, 106; RENDTORFF, Leviticus 1– 10, 68–69. 477 Vgl. EBERHARD, Studien, 361–365. 478 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 351. 479 Vgl. GANE, Cult, 131–133; GORMAN, Ideology, 103; 131–132; HIEKE, Levitikus 1– 15, 352; HOUTMAN, Exodus 3, 541; MILGROM, Leviticus 1–16, 279; 529.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Tag, der – im Gegensatz zu vorausgehenden Vollzügen (vgl. Lev 14,2–9) – bereits im Tempel stattfindet: Neben anderen Opfergaben (vgl. Lev 14,10–11) soll auch ein Lamm als Entschuldigungsopfer ( )אשםsowie ein Gefäß mit Öl gebracht werden, die zunächst als tenūfā emporgehoben werden (vgl. Lev 14,12). Sodann wird das Lamm geschlachtet und „regulär“ als Entschuldigungsopfer dargebracht (Lev 14,13), bevor – als Spezifikum dieses Rituals – etwas von dem Blut des Lammes an genau dieselben Körperteile des Geheilten gebracht wird, wie auch in Ex 29,20 (rechtes Ohrläppchen, rechter Daumen und rechte Große Zehe) (vgl. Lev 14,14). Im Anschluss an diese Blutapplikation besprengt der Priester den Geheilten sieben Mal mit dem bereitgestellten Öl und streicht schließlich auch dieses an die drei zuvor von der Blutapplikation betroffenen Stellen (Lev 14,15–17). Interessant ist nun, dass Lev 14,18b den „Effekt“ dieser Vollzüge mit dem Verb כפר-pi. als ‚Versöhnung erwirken‘ umschreibt, wobei – ähnlich wie oben für Ex 29,36 herausgearbeitet – כפר-pi. in diesem Zusammenhang kaum das Wegnehmen (moralischer) Schuld bezeichnen kann. Vielmehr geht es – der Weihe-ḥaṭṭā’t durchaus vergleichbar – darum, nach Abklingen der körperlichen Symptome die in Folge des Aussatzes eingetretene Unreinheit als trennendes Moment zu eliminieren und somit den Geheilten wieder in seinen „angestammten Kontext“, die Gemeinde Israels, einzugliedern. Vor diesem Hintergrund liegt die Schlussfolgerung nahe, dass auch der sehr ähnlich angelegte Vollzug in Ex 29,20 einer Integration der künftigen Priester in den ihnen zugedachten „Kontext“, den Dienst für JHWH im Heiligtum, dient.480
An den ersten Blutritus (Ex 29,20), der somit die Priester – ähnlich wie die ḥaṭṭā’t in V.10–14 den Altar – grundlegend für ihren Dienst im Heiligtum disponiert, knüpft schließlich ein zweiter Blutritus an, bei dem Aaron und seine Söhne (mitsamt ihren Gewändern) mit Opferblut vom Altar und mit Salböl besprengt und in dessen Folge sie geheiligt werden. Ähnlich wie in Ex 29,36–37 ist damit ein zweistufiger Vollzug gegeben, in dem an die Reinigung bzw. Integration (V.20) ein weiterer Akt anschließt, in dessen Folge das Ritual sein eigentliches Ziel erreicht. Diese von Ex 29,36–37 her beim „Nochmal-Lesen“ aufscheinende, grundlegende Parallelität der Weihevollzüge ist zunächst insofern wesentlich, als sie die bereits mehrfach herausgestellte Korrelation von Priestern und Altar zusätzlich untermauert. Andererseits aber ist in Ex 29,21 über das in beiden Fällen eingesetzte Salböl hinaus auch noch Blut vom Altar involviert, das in Ex 29,36c (naheliegender Weise) nicht herangezogen wird. Entsprechend ist die zu Tage tretende Parallelität zwischen Priester- und Altarweihe zwar eine wesentliche Facette des in Ex 29,21 geschilderten Vollzugs, kann ihn alleine aber nicht vollständig erklären. Zentral nämlich ist das Blut, mit dem Ex 29,21 in Satz V.21a einsetzt. Wesentlich ist dabei, dass dieses vom Altar genommen wird. Was diesen anbelangt ist – nachdem ja die ḥaṭṭā’t und mit ihr wohl auch die in Ex 29,36c erwähnte Salbung bereits vollzogen ist – anzunehmen, dass er den in Ex 29,37c antizipierten Status der gesteigerten Heiligkeit ( )קדש הקדשיםbereits erreicht hat und in Folge dessen alles zu heiligen vermag, was an ihn rührt (vgl. Ex 29,37d). Vor diesem Hintergrund dient das vom Altar aufgenommene Blut (vgl. V.21a–aR) 480
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 352; 504–508.
C. Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37)
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gleichsam als ein „Transportmittel“, das die Heiligkeit des Altars, die es über den Kontakt mit diesem „aufgenommen“ hat, auf die Priester und ihre Gewänder transferiert. Die in Ex 29,21c konstatierte Heiligkeit der Priester setzt somit die des Altars voraus und rührt von dieser her, was auch zu erklären vermag, weshalb der Darbringung des Einsetzungswidders ḥaṭṭā’t und ʽōlā – Weihe und „Inbetriebnahme“ des Altars – vorausgehen und der Logik nach auch vorausgehen müssen. Umgekehrt aber ist der Umstand, dass die Heiligkeit der Priester in der Heiligkeit des Altars gründet, von dieser herrührt und damit auch auf diese hin bezogen ist, die eigentliche Grundlage der im Text durchgehend inszenierten Verwiesenheit von Altar und Priestern aufeinander.481 Mit Blick auf die durch den Text gesteuerten Lektürevorgänge aber ist festzuhalten, dass sich erst von Ex 29,36–37 her, der Sinn und die Bedeutung der in Ex 29,19–28 an vielen Stellen greifbaren Bezugnahmen auf Ex 29,10– 18 erhellt, die auf einen engen Zusammenhang zwischen ḥaṭṭā’t bzw. ʽōlā auf der einen und dem Einsetzungswidder auf der anderen Seite hinweisen. IV. Ausblick auf Lev 8,1–36 An den Durchgang durch Ex 29,1–37 soll zuletzt noch ein Ausblick auf Lev 8,1–36 anschließen. In dieser Perikope wird von der Weihe der Priester berichtet und somit die Umsetzung der Anweisungen aus Ex 29,1–37 thematisiert. Dabei läuft Lev 8 über weite Strecken – bis in den Wortlaut der Formulierungen hinein – parallel zu Ex 29, mit dem Unterschied freilich, dass dem Berichtstil des Textes entsprechend Reihungen von Narrativsätzen (wa=jiqṭol) sowie einzelne (syntaktisch annähernd äquivalente482) we=x-qaṭal -Sätze anstelle der für den „Ritualstil“ typischen we=qaṭal- bzw. we=x-jiqṭolSätze dominieren. Die enge Anlehnung an Ex 29 untermauern zudem die beinahe wie ein „Refrain“ gesetzten sieben Belege der Gebotsformel כאשר צוה ‚( יהוהso, wie JHWH geboten hat‘; vgl. Ex 29,4b.9c.13e.17b.21e.29d.36a), die den gesamten Text durchziehen und ihn strukturieren.483 Sie konstatieren eine exakte Entsprechung zwischen dem gesamten Ritualvollzug und den Befehlen JHWHs, verweisen somit im Lektüreprozess auf Ex 29 zurück und „antworten“ insbesondere auf die Aufforderung aus Ex 29,35a–aR, an Aaron und seinen Söhnen exakt so zu handeln, wie JHWH befohlen hat ( ככל אשר צויתי )אתכה.484 Da aber die Übereinstimmung zwischen Befehl und Ausführung – 481
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 541–542. Vgl. dazu JOÜON/MURAOKA §118d. 483 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 338–339; JÜRGENS, Heiligkeit, 192–199; MILGROM, Leviticus 1–16, 544; WATTS, Ritual, 103–104. 484 Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 91; HIEKE, Levitikus 1–15, 339–341; JÜRGENS, Heiligkeit, 192–194; MILGROM, Leviticus 1–16, 542–543; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 269. 482
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
insbesondere über die Gebotsformeln – beinahe zum „Programm“ des Ausführungsberichts in Lev 8 erhoben wird, fallen „Abweichungen“ von der göttlichen Anordnung bzw. Differenzen zwischen Ex 29 und Lev 8 in besonderer Weise ins Auge. Sie erweisen sich zugleich insofern als interessant, als sie den Blick für die je spezifischen kompositorischen und theologischen Eigenheiten beider Perikopen schärfen können. Die für die vorliegende Untersuchung und ihre Schwerpunktsetzung wohl wesentlichste Differenz zwischen Ex 29 und Lev 8 liegt dabei darin, dass Ex 29,36–37 keine unmittelbare Entsprechung in Lev 8 findet. Wohl aber sind zentrale Punkte aus Ex 29,36–37 an jeweils „passender Stelle“ in den Ausführungsbericht integriert, so dass die Weihe des Altars – der Konzeption von Ex 29 durchaus entsprechend – nicht als ein separates Geschehen neben der Priesterweihe thematisiert, sondern unmittelbar mit dieser verbunden wird. Eine erste Textpassage, die in diesem Zusammenhang von Interesse sein kann, sind die Verse Lev 8,10–12, auf die oben bereits eingegangen wurde. Abweichend von der Vorschrift aus Ex 29,7 erscheint die Salbung Aarons hier als letzter Schritt eines insgesamt dreischrittigen Vollzugs, bei dem zuerst das Zelt der Begegnung, und alles, was in diesem ist (vgl. Lev 8,10b– bR), dann der Altar, seine Geräte und das „Waschbecken“ (( )כיורvgl. Lev 8,11b) und zuletzt Aaron (vgl. Lev 8,12ab) gesalbt und dadurch geheiligt werden.485 Was den Altar anbelangt, so kann die in V.11 beschriebene Salbung des Altars (seiner Geräte und des )כיורals Umsetzung der Anweisung aus Ex 29,36c–cI, den Altar zu salben, um ihn zu heiligen, interpretiert werden.486 Zugleich präzisiert Lev 8,11ab den Ablauf der Salbung, wenn Lev 8,11a zunächst ein siebenmaliges Besprengen des Altars mit Salböl beschreibt, das an das siebenmalige Besprengen der Parochet mit Blut beim sog. „Großen Blutritus“ der ḥaṭṭā’t bzw. im Ritual des Jom Kippur erinnert und dem eigentlichen Salbungsakt, dem Bestreichen des Altars mit dem Öl (vgl. Lev 8,11b), vorausgeht.487 Ein zweites, im Zusammenhang mit dem Altar wesentliches Element ist schließlich die Stier-ḥaṭṭā’t, deren Vollzug in Lev 8,14–17 thematisiert ist, wobei die Darstellung – bis in den Wortlaut der Formulierungen hinein – eng an Ex 29,10–14 anschließt und nur an zwei Stellen (vgl. Lev 8,15d.f–fI), die damit umso deutlicher ins Auge fallen, ergänzende Formulierungen einbringt. Beide finden sich im Zusammenhang mit den Blutritualen der ḥaṭṭā’t und nehmen wiederum auf Ex 29,36–37 Bezug. So schließt an die Beschreibung der Blutapplikation an die Hörner des Altars (Lev 8,15c; vgl. Ex 29,12b) zunächst die Feststellung ‚( ויחטא את־המזבחund er reinigte den Altar‘; Lev 485
Vgl. GORMAN, Ideology, 118–120; HIEKE, Levitikus 1–15, 340–341. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 347. 487 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 278. 486
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8,15d) an, die unverkennbar Ex 29,36b aufnimmt. Auf diese Weise verbindet der Text – sachlich zutreffend – die in Ex 29,36b angekündigte „Wirkung“ der ḥaṭṭā’t mit der Blutapplikation an die Altarhörner und bestätigt so zugleich die in Ex 29,36–37 eingeforderte „Re-lecture“ des in Ex 29,10–14 beschriebenen ḥaṭṭā’t-Rituals. Auf den definitiven Abschluss der Blutriten aber, der durch das Ausschütten des restlichen Blutes am Sockel des Altars markiert wird (vgl. Lev 8,15e), folgt in Lev 8,15f–fI die resümierende Feststellung ‚( ויקדשהו לכפר עליוund er heiligte ihn [= den Altar], indem er für ihn Versöhnung erwirkte‘), die einerseits Ex 29,36cI.37b ( )קדשaufnimmt (vgl. Lev 8,15f), andererseits aber auch den Infinitivsatz Ex 29,36bI ( בכפרך )עליוnachklingen lässt (vgl. Lev 8,15fI). Mit Letzterem ist damit auch in Lev 8,15 das in Ex 29,36 bereits beschriebene Nebeneinander von חטא-pi. und כפר-pi. greifbar. Das Stichwort קדש-pi. (‚heiligen‘; V.15f) hingegen ist in diesem Zusammenhang insofern interessant, als die Heiligung des Altars in Ex 29,36–37 mit der Salbung bzw. genauer mit einem Gesamtvollzug bestehend aus ḥaṭṭā’t und Salbung verbunden ist, nicht aber mit der ḥaṭṭā’t allein.488 In Lev 8 hingegen wird das Heiligen des Altars in Lev 8,15f bereits zum zweiten Mal (nach Lev 8,11) konstatiert, wobei diese „Dopplung“ wohl zunächst – ganz im Sinne der Anweisungen in Ex 29,36–37 – unterstreicht, dass die Weihe des Altars letztendlich beide Akte voraussetzt, die ḥaṭṭā’t (vgl. Lev 8,15), die den Altar für seinen „Dienst“ disponiert und die Salbung (vgl. Lev 8,11), die als symbolisch-rituelle Übertragung von Heiligkeit gedeutet werden kann (vgl. dazu auch Ex 30,26–29).489 Andererseits erwächst aus der in Lev 8 greifbaren Konzeption, die Salbung Aarons (V.12) mit der Salbung des Heiligtums und des Altars (V.10–11) zu korrelieren, das „Problem“, dass so die Salbung des Altars – entgegen der in Ex 29,36 vorgegebenen und der Sache nach sinnvollen Abfolge »ḥaṭṭā’t → Salbung« – der ḥaṭṭā’t vorangestellt wird; ein Problem, das durch die angesprochene „Dopplung“, die ḥaṭṭā’t und Salbung ausdrücklich aufeinander bezieht, ein Stück weit abgefedert werden kann.490 Trotz der festgestellten Unterschiede zwischen Ex 29 und Lev 8 hinsichtlich Konzeption und Aufriss bestätigt der knappe Ausblick auf Lev 8 die oben angestellten Überlegungen zu einer von Ex 29,36–37 angestoßenen Neubewertung der Opfervollzüge in Ex 29,10–28 (und speziell der ḥaṭṭā’t in Ex 29,10–14), da in der Tat auch in Lev 8 Altar- und Priesterweihe unmittelbar verbunden sind, wobei in Lev 8 der Fokus eher auf den Priestern liegt. Umgekehrt aber tritt – gerade angesichts der Tatsache, dass Lev 8 die wesentlichen Aspekte aus Ex 29,36–37 „an passender Stelle“ in den Ritualbericht 488 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 349–350; JÜRGENS, Heiligkeit, 232–233; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 279–280. 489 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 349; JÜRGENS, Heiligkeit, 232. 490 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 349.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
einfügt – die Eigentümlichkeit der literarischen Gestaltung von Ex 29,1– 35.36–37 zu Tage: Immerhin wird hier – beinahe „analytisch“ – eine thematische Zweiteilung vollzogen, da der Fokus zunächst (ausschließlich) auf der Weihe der Priester liegt (Ex 29,1–35), der Altar aber erst mit Ex 29,36–37 zu einem eigenständigen Thema avanciert und die Lesenden dazu angehalten werden, Ex 29,1–35 unter der Perspektive dieses Themas noch einmal neu zu durchdenken. Das literarisch gestaltete Gegenüber von Priestern und Altar, das damit in Ex 29 greifbar wird, kann zugleich eine grundlegende Struktur des gesamten Abschnitts Ex 27,20–30,10 abbilden, da auch diese Einheit – nach Ex 27,20–21 als „Einleitung“ – zunächst das Thema „Priestertum“ (vgl. Ex 28,1–19,35) behandelt, daran anschließend aber auf den Altar bzw. genauer auf die Altäre (Ex 29,36–30,10) rekurriert. Vor diesem Hintergrund erscheint es als eine mögliche Perspektive, Ex 29,36–37 – bzw. das von Ex 29,36–37 aus „neu gelesene“ Kapitel Ex 29 als Ganzes – als eine „Hinführung“ zu Ex 29,38–46; 30,1–10 zu interpretieren, die zugleich wesentliche Informationen zum Altar bietet, die aus dem vorauslaufenden Text nicht zu entnehmen sind, in Ex 29,38–46 aber vorausgesetzt werden. So wird der Altar (vor Ex 29) ausschließlich in der Passage Ex 27,1–8 erwähnt, die ausführlich dessen Machart beschreibt, aber keine Angaben zu seiner Funktion oder seinem Standort im Heiligtum bietet. Dies wird in Ex 29 insofern nachgeholt, als in Ex 29,10–11 zunächst der „Eingang des Zelts der Begegnung“ ( פתח אהל )מועדals Schauplatz der Opfervollzüge und damit implizit auch als Standort des Altars markiert wird. In Ex 29,37 aber wird der „Status“ des Altars als „hochheilig“ bestimmt, womit der Abschnitt Ex 29,38–46 vorbereitet ist, der klären wird, was auf dem Altar zu tun sei (vgl. Ex 29,38) und so gleichsam als „Funktionsbeschreibung“ für diesen fungieren kann.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46) D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
Auf den Textabschnitt Ex 29,1–35.36–37, der das Ritual der Priester- und Altarweihe beschreibt und v.a. in den Versen Ex 29,36–37 auf den Altar fokussiert, folgt die Perikope Ex 29,38–46, in der ebenfalls der Altar bzw. genauer der regelmäßige Kultvollzug auf diesem von Bedeutung ist und die von daher als sinnvolle Fortführung von Ex 29,1–35.36–37 zu lesen ist.491 38a 38aR 38b 39a 39b
491
Und das ist, was du machen sollst auf dem Altar: Lämmer, einjährig, zwei für den Tag, regelmäßig ()תמיד. Das eine Lamm sollst du machen am Morgen und das zweite Lamm sollst du machen „zwischen den Abenden“ ()בין הערבים
Vgl. HUNDLEY, Keeping, 97.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46) 40a 40b 41a 41b
41c 42a 42aR 42aRI 43a 43b 44a 44b 44bI 45a 45b 46a 46b 46bR 46bRI 46c
181
und ein Zehntel Feinmehl, mit ausgedrücktem Öl vermischt, ein Viertel Hin, und als Trankopfer ein Viertel Hin Wein für das eine Schaf. Und das zweite Schaf sollst du machen „zwischen den Abenden“ (;)בין הערבים wie die Speiseopfergabe des Morgens und sein Trankopfer sollst du für es machen zum beruhigenden Duft ()לריח ניחח. Eine Feuergabe (( )אשהist es) für JHWH, ein regelmäßiges Brandopfer ( )עלת תמידfür eure Generationen am Eingang des Zelts der Begegnung vor JHWH, da ich euch dorthin begegne (יעד-ni.), um mit dir dort zu sprechen. Ich begegne (יעד-ni.) dorthin den Söhnen Israels und er wird als heilig erwiesen (קדש-ni.) durch meine Herrlichkeit. Ich heilige das Zelt der Begegnung und den Altar und Aaron und seine Söhne will ich heiligen, mir zu Priestern zu werden // sein. Und ich wohne in der Mitte der Söhne Israels und ich werde ihnen zum Gott und sie werden erkennen, dass ich JHWH, ihr Gott, bin, der ich sie herausgeführt habe aus dem Land Ägypten, zu meinem Wohnen in ihrer Mitte. Ich bin JHWH, ihr Gott. (Ex 29,38–46)
I. Gliederung und Struktur 1. Überblick Hinsichtlich ihres formalen Aufbaus, aber auch hinsichtlich ihrer Inhalte, erweisen sich die Verse Ex 29,38–46 als vielschichtig und komplex, so dass es als sinnvoll erscheint, zunächst die Struktur und Gliederung des Textes genauer in den Blick zu nehmen, um ausgehend davon zu einer klareren Zuordnung der einzelnen Aussagen und zu einem präziseren Beschreiben der Zusammenhänge zu gelangen. Den Ausgangspunkt hierfür bietet die Annahme einer Zweiteilung der Perikope in die Verse Ex 29,38–42 einerseits und die Verse Ex 29,43–46 andererseits. Im ersten Teilabschnitt (V.38–42) finden sich v.a. Anweisungen zum Brandopfer-Tamid, während die Vv.43–46 eine weiterführende Reflexion und theologische Verortung des Tamid bieten. Diese Unterteilung wird durch folgende Beobachtungen gestützt: (1.) Während für den ersten Teilabschnitt, Ex 29,38–42, die Anrede an eine 2. Pers. Sg. bestimmend ist, fehlt eine solche in der zweiten Hälfte des Textes (Ex 29,43–46) völlig.492 In V.38–41 findet sich insgesamt fünf Mal (V.38aR.39ab.41ab) – als einziges Verb in diesem Abschnitt – die Verbform 492
Vgl. MARX, Opferlogik, 139.
182
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
‚( תעשהdu sollst machen‘), die jeweils die Anrede an eine 2. Pers. Sg. (Mose) hervorhebt. In Ex 29,42aR jedoch wird diese durch eine Anrede an eine 2. Pers. Pl. (Israel) alterniert (vgl. aber אליך, ‚zu dir‘ in V.42aRI). Zudem ist in V.42 JHWH als handelndes Subjekt vorausgesetzt: JHWH begegnet Israel (V.42aR) und spricht zu Mose (V.42aRI). Für eine Zuordnung von Ex 29,42 zu Ex 29,38–41 – trotz dieser Verschiebungen – spricht allerdings, dass ab Ex 29,43 überhaupt keine Anrede an eine 2. Pers. mehr gegeben ist, wie sie sich in V.38–42 ungeachtet des Wechsels von der 2. Pers. Sg. zur 2. Pers. Pl. durchgehend findet. (2.) Im Gegenüber zu Ex 29,38–42 bietet Ex 29,43–46 keine Anweisungen zur Ausführung des Tamid. Stattdessen wird hier das Agieren JHWHs beschrieben und reflektiert, was darin seinen Niederschlag findet, dass in beinahe allen Sätzen (vgl. V.43a.44ab.45ab.46b–c) JHWH das Subjekt ist.493 Abweichend davon sind in der Erkenntnisaussage in V.46a die Israeliten, sowie in V.44bI die Priester Subjekt. Das Subjekt von V.43b jedoch ist unten noch eingehender zu diskutieren. Damit korrespondiert, dass in V.43–46 Israel durchgehend in der 3. Pers. Pl. besprochen wird (vgl. „Söhne Israels“ in V.43a.45a sowie die [enklitischen] Personalpronomen der 3. Pers. Pl. in V.45b–46c). (3.) Zuletzt wird die angesetzte Zweiteilung in die Abschnitte Ex 29,38–42 und Ex 29,43–46 auch syntaktisch unterstrichen, da in V.38–42 – neben Nominal- (V.38a.b.40.41c) und Infinitivsätzen (V.42aRI) – Sätze des Typs (we=)x-qaṭal (V.38aR.39ab.41ab.42aR) dominieren. Dafür fehlen in V.38–42 we=qaṭal-Sätze, die das syntaktische „Gerüst“ des Abschnitts V. 43–46 (vgl. 43ab.44a.45ab.46a) bilden.494 So steht zusammenfassend den Anweisungen in V.38–42 eine Ankündigung bzw. Beschreibung des Agierens JHWHs in V.43–46 gegenüber. Verbunden jedoch sind die beiden Teilabschnitte zunächst dadurch, dass bereits in V.42aR–aRI – in Abhebung von den Anweisungen in V.38–41 – JHWH als Handelnder in den Blick kommt (wie dann auch in V.43–46) und schließlich V.42aR in V.43a nochmals aufgenommen wird. Ausgehend von der damit vorauszusetzenden Zweiteilung der Perikope sollen nun die beiden Teilabschnitte V.38–42 und V.43–46 auf ihre Feingliederung hin untersucht werden. 2. Ex 29,38–42 Der Abschnitt zum Brandopfer-Tamid setzt in Ex 29,38a–aR mit einer „Themenangabe“ ein, die in einem engeren Sinn zunächst auf V.38–42 bezogen 493 494
Vgl. FREVEL, Blick, 100; MARX, Opferlogik, 139. Vgl. FREVEL, Blick, 99; POLA, Priesterschrift, 235; STRUPPE, Herrlichkeit, 39–40.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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ist, letztlich aber (auch) als „Überschrift“ für die gesamte Perikope Ex 29,38– 46 verstanden werden kann. Dabei weist die Deixis in V.38a (וזה, ‚dies aber [ist]‘) zuerst kataphorisch auf das voraus, was auf dem Altar zu tun sei (vgl. V.38aR). Dieses wird zunächst im elliptischen Satz V.38b benannt, in dem zwei Lämmer pro Tag ( )ליוםals Gabe für einen Kultvollzug festgesetzt werden, der „regelmäßig“ ( )תמידstattzufinden hat. Vor allem die beiden Angaben ‚( ליוםpro Tag‘) und ‚( תמידregelmäßig‘) fordern dabei hinsichtlich des Zeitpunkts für den Vollzug eine Präzisierung ein, die in V.39 geboten wird. Dieser Vers unterstreicht, dass die beiden für einen Tag bestimmten Lämmer für zwei getrennte, aber aufeinander bezogene Opfervollzüge am Morgen (;בבקר V.39a) und „zwischen den Abenden“ ( ;בין הערביםV.39b) heranzuziehen sind. Die in diesem Zusammenhang eingebrachte Differenzierung zwischen dem „einen Lamm“ ( ;הכבש האחדV.39a) für den Morgen und dem „zweiten Lamm“ ( ;הכבש השניV.39b) für den Abend wird auch in den folgenden Versen (vgl. V.40–41b) fortgeführt, in denen Begleitopfer für die beiden Lämmer festgelegt werden: eine Speiseopfergabe (V.41b), bestehend aus Feinmehl und Öl, sowie Wein für ein Trankopfer. Dabei finden sich in V.40 zunächst die entsprechenden Mengenangaben für das „eine Lamm“ ( – )הכבש האחדdieses Stichwort verweist auf das in V.39a festgesetzte Opfer für den Morgen –, während V.41ab auf das Opfer für den Abend eingeht, dabei nochmals den Wortlaut von V.39b wiederholt (vgl. V.41a) und schließlich festlegt, dass die Begleitopfer des Abend-Tamids denen der Darbringung am Morgen entsprechen sollen (V.41b). Den Abschluss des Verses markiert die Wendung לריח ‚( ניחחals beruhigender Duft‘), die einen Perspektivwechsel weg von den Ritualanweisungen bzw. dem Festsetzen der darzubringenden Gaben hin zu einer Deutung der beschriebenen Vollzüge einleitet. Insofern ist die Wendung – obgleich sie syntaktisch allein auf die Begleitopfer des Abend-Tamids bezogen ist – der Sache nach mit allen in V.38–41 angeordneten Darbringungen zu verbinden. Fortgeführt wird die Deutung in V.41c in der Formulierung ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘), an die wiederum die klassifizierende Wendung ‚( עלת תמיד לדרתיכםBrandopfer der Regelmäßigkeit für eure Generationen‘) in V.42a anschließt. Syntaktisch nur lose mit dem vorausgehenden Text verknüpft und somit von den qualifizierenden und klassifizierenden Wendungen abgehoben ist schließlich die Ortsangabe ‚( פתח אהל מועדEingang des Zelts der Begegnung‘), die wie ein elliptisches Element wirkt und durch die Formulierung לפני יהוה (‚vor JHWH‘) sowie durch Ex 29,42aR–aRI näher bestimmt wird. Ex 29,41c– 42 legt also den Schwerpunkt darauf, einmal den Vollzug selbst (V.41[b.]c– 42a), dann aber auch den Ort der Darbringung (V.42a–aRI) theologisch näher zu qualifizieren. Auf diese Weise markieren die Sätze den Abschluss der Ritualanweisungen in V.38–41 und fundieren zugleich die Ausführungen von
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Ex 29,43–46, so dass sie wie ein „Brückenelement“ wirken, das beide „Hälften“ der Perikope Ex 29,38–46 verbindet.495 3. Ex 29,43–46 Ex 29,43–46 nimmt im ersten Satz (V.43a) nochmals betont den Abschluss des ersten Teilabschnitts (vgl. V.42aR) auf, wobei der Wechsel von der 2. Pers. Pl. ( )לכםzur 3. Pers. Pl. ( )לבני ישראלzugleich die Zäsur zwischen V.38–42 und V.43–46 andeutet.496 Syntaktisch finden sich in V.43a–44a und V.45a–46a zwei Reihungen von je drei x-qaṭal-Sätzen, an die in V.44b–bI bzw. V.46b–c jeweils [we=]xjiqṭol- (V.44b.46bR), [Nominal- (V.46b.c)] bzw. Infinitivsätze (V.44bI. 46bRI) anschließen. Rein formal betrachtet liegt somit die Vermutung nahe, dass in V.43–46 zwei analog aufgebaute und parallel zueinander komponierte Sequenzen (V.43–44.45–46) vorliegen; eine Vermutung, die auch dadurch bestätigt wird, dass V.45a als Auftakt der zweiten Sequenz nicht nur syntaktisch deutlich parallel zu V.43a gestaltet ist, sondern auch das Stichwort בני ‚( ישראלSöhne Israels‘) von dort nochmals aufnimmt. Zuletzt aber kann eine inhaltliche Analyse zeigen, dass zwischen dem in V.43a ausgesagten „Begegnen“ JHWHs (יעד-ni.; V.43a) und dem in V.45a thematisierten „Wohnen inmitten“ ( )שכן בתוךdeutliche Zusammenhänge bestehen.497 Thematisch steht in V.43–44 das Motiv der Heiligkeit bzw. des Heiligens (vgl. קדש-ni., V.43b; קדש-pi., V.44ab) im Zentrum, während V.45–46 das Wohnen ( )שכןJHWHs inmitten ( )בתוךIsraels (vgl. V.45a.46bRI) mit dem durch die Bundesformel in V.45b eingebrachten „Gott-Sein / -Werden“ JHWHs für Israel verbindet, das in V.46 in der Erkenntnisformel (vgl. V.46b.c) weitergeführt wird. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die folgende Gliederung von Ex 29,38–46, die auch der Auslegung dieses Abschnitts zugrunde liegt: Ex 29,38–42
495
Anweisungen zum täglichen Brandopfer
V.38a–aR
Themenangabe
V.38b–41b V.38b–39 V.40 V.41ab
Opfergaben Lämmer [für den Morgen] Begleitgaben Abend-Tamid
V41(b)c–42
Deutung
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 551; NIHAN, Priestly Torah, 37. Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 33. 497 Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 39–40. 496
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
Ex 29,43–46
185
Theologische Verortungen und Kontextualisierungen
V.43–44
„Begegnen“ und Heiligkeit
V.45–46
„Wohnen“, Bund und Exodus
II. Die Anweisungen zum Brandopfer-Tamid (Ex 29,38–42) Der vorgestellten Gliederung folgend, ist zunächst Ex 29,38–42 als erster Abschnitt der Perikope eingehender zu betrachten. 1. Themenangabe (Ex 29,38a–aR) Ex 29,38a–aR als Auftakt der Tamid-Perikope Ex 29,38–46 nimmt von der Formulierung her deutlich Ex 29,1a–aR, den Anfang der vorangehenden Perikope Ex 29,1–35.36–37, auf. Ex 29,38a–aR 38a 38aR
וזה אשר תעשה על המזבח
Ex 29,1a–aR
וזה הדבר אשר תעשה להם
1a 1aR
Ex 29,38a–aR zeigt so auf der einen Seite einen – zu Ex 29,1 parallelen – Neueinsatz an, weist zugleich aber auch auf einen engen Zusammenhang der beiden aufeinander folgenden Texte hin. Dieser wird nicht zuletzt darin deutlich, dass – über den Rückbezug auf Ex 29,1 hinaus – auch ein Anknüpfen an den Abschluss der Perikope zu Priester- und Altarweihe in Ex 29,36–37 festzustellen ist. So kehrt die in V.36b.37a zweimal belegte Wendung על־המזבח (‚auf dem Altar‘) in V.38aR wieder, wobei nun neben die in V.36–37 thematisierten (einmaligen) Weihevollzüge (חטא, V.36b; כפר, V.37b) das regelmäßige Tun (vgl. עשהin V.38aR) auf dem Altar ( )על־המזבחtritt. Wie oben bereits angedeutet, erscheint Ex 29,38–46 von der Themenangabe in V.38a–aR her gelesen zunächst wie eine „Funktionsbeschreibung“ des Altars. So ist die kataphorische Deixis ‚( וזהdies aber [ist]‘) in V.38a zunächst (in einem engeren Sinne) auf V.38b bezogen, wo mit den zwei einjährigen Lämmern eine Opfergabe benannt wird, die V.38aR zufolge zu „machen“ (vgl. )תעשהist, wobei die beiden Zeitadverbialen ‚( תמידregelmäßig‘) und ‚( ליוםpro Tag‘) das „Machen“ der Lämmer präzisieren. Der Parallelität zwischen Ex 29,38a–aR und Ex 29,1a–aR zum Trotz funktioniert damit die „Einleitungsformulierung“ in V.38a–aR etwas anders als ihr „Gegenstück“ in Ex 29,1a– aR. Dort nämlich ist mit dem Verb ‚( עשהmachen‘) das gesamte Ritual der Priesterweihe im Blick, das in Ex 29,1–35(.36–37) beschrieben wird und das dem in Ex 29,1aRI–aRII definierten Ziel dient, die Priester zu heiligen und zur Ausübung ihres Dienstes zu befähigen. In V.38a–aR hingegen ist das Verb ‚( עשהmachen‘) in einem wesentlich engeren
186
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Sinne als Darbringungsterminus gebraucht; es geht um das „Machen“ der Lämmer, das im Mittelpunkt der folgenden Verse steht.
Ex 29,38a–b deutet somit mehrere Fragestellungen bzw. Problemfelder an, die in V.39–42 (in unterschiedlicher Ausführlichkeit) behandelt werden: (1.) Das – semantisch sehr offene und unspezifische – Verb ‚( תעשהdu sollst machen‘) wirft die Frage nach den Vollzügen, aber auch nach dem Adressaten der Anweisungen und damit nach dem Akteur der Kulthandlungen auf. (2.) Ex 29,38b lenkt die Aufmerksamkeit der Lesenden auf die Opfertiere und deren Beschaffenheit. (3.) Die Adverbialen ‚( תמידregelmäßig‘) und ‚( ליוםpro Tag‘) in Ex 29,38b animieren dazu, nach den genauen Zeiten der Darbringung zu fragen. (4.) Das Stichwort ‚( על־המזבחauf dem Altar‘) in Ex 29,38aR lenkt das Augenmerk auf den Ort des Opfervollzugs. 2. Vollzüge und Akteure Wie Ex 29,38a–aR andeutet, sind Kulthandlungen auf dem Altar das zentrale Thema der Texteinheit Ex 29,38–46. Diese werden erstmals in V.38aR in dem eher unspezifischen Verb ‚( עשהtun, machen‘) ins Auge gefasst. Auffällig ist allerdings, dass die allgemeine – und damit eigentlich auf eine begriffliche Präzisierung und eine differenziertere Beschreibung einzelner Handlungsschritte im nachfolgenden Text hin angelegte – Redeweise der „Überschrift“ (Ex 29,38a–aR) auch in den in V.38b–41 folgenden Anweisungen zum Brandopfer-Tamid durchgehalten wird. So wird das Verb עשהbzw. exakt die in V.38aR belegte Form ‚( תעשהdu sollst machen‘) in V.39ab–41ab wieder aufgenommen und ist damit das einzige (flektierte) Verb in Ex 29,38–41. Dies hat zur Folge, dass der Text keine präzise Beschreibung von Einzelvollzügen und von durch diese konstituierten Handlungsfolgen leisten kann, wie sie sich in Ritualtexten wie etwa Ex 29,10–14.15–18 finden. Im Gegenteil: Das Verb ‚( עשהmachen, tun‘) verweist stets auf einen Gesamtvollzug – sei es das Darbringen der Lämmer selbst (vgl. V.39ab.41a) oder das „Machen“ der Begleitopfer (V.41b) –, dessen Ablauf bzw. dessen Teilschritte (wenn überhaupt) nur aus anderen Texten hergeleitet werden können. So legt z.B. Ex 29,42a über das Klassifizieren des Rituals als ʽōlā (vgl. )עלת תמיד, die Annahme nahe, dass die einzelnen Handlungsschritte des Tamid-Rituals denjenigen der Widder-ʽōlā der Priester- und Altarweihe (vgl. Ex 29,15–18) entsprechen, wenngleich der Text dies nicht explizit konstatiert. Das primäre Anliegen von Ex 29,38–42 ist folglich nicht Deskription oder Präskription, also das (autoritative) Beschreiben und – einhergehend damit – das Normie-
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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ren konkreter Handlungsabläufe,498 sondern die Interpretation von rituellen Vollzügen auf dem Altar. Gerade deshalb aber fällt umso deutlicher das Fehlen der in anderen Opfertexten gebräuchlichen „Fachterminologie“ (vgl. קרבhi., עלה-hi., קטר-hi., …) für den Akt der Darbringung selbst auf, die – im Gegensatz zu dem allgemeinen עשהvon V.38.39.41 – auch eine theologische Deutung des Vollzugs einbringen kann. Das bewusst offene Formulieren des Textes bzw. der durchgehende Gebrauch des Verbs תעשהin V.38–41, der einen markanten Unterschied zwischen Ex 29,38–42 und anderen Ritualanweisungen (wie z.B. Ex 29,10–14. 15–18) zu Tage treten lassen, verlangt somit nach einer plausiblen Erklärung, wobei sich ein möglicher Ansatz über einen Ausblick auf den Akteur (bzw. die Akteure) des Tamid-Vollzugs eröffnet. Diesen zu bestimmen, erweist sich insofern als schwierig, als an keiner der Belegstellen von עשהin Ex 29,38.39.41 explizit gemacht wird, wer die Opfergaben darzubringen hat. Von der vorausgesetzten Redesituation her liegt es zunächst nahe, Mose, den Adressaten der Gottesrede, als das angeredete „Du“ und somit auch als das Subjekt zum Verb תעשהin V.38.39.41 anzusetzen. Ist somit Mose auch für das tägliche Brandopfer zuständig – so wie ihm das in Ex 29,1–37 beschriebene Weiheritual aufgetragen ist? Klar jedenfalls scheint, dass das gesuchte Subjekt zum Verb תעשהvom sachlichen Zusammenhang her kaum Aaron sein kann. Damit markiert der Text zunächst einen deutlichen Unterschied zwischen dem täglichen Brandopfer und dem regelmäßigen Entzünden des Leuchters (Ex 27,20–21), da letzterer in Ex 27,21 ausdrücklich Aaron und seinen Söhnen übertragen und von diesen – durch ihre Generationen hindurch (vgl. Ex 27,21b) – wahrgenommen wird. Genau dieser beim Entzünden des Leuchters durch die Erb- und Generationenfolge der Söhne Aarons ermöglichte, generationenübergreifende Vollzug aber kann bei einem durch Mose ausgeführten Brandopfer-Tamid zum Problem werden. Immerhin nämlich weisen auch hier die Vorgaben im Text über die Lebenszeit des Mose hinaus, ohne dass für Mose eine institutionalisierte Erbfolge (wie bei den Priestern) existieren würde. Dies kann die in Ex 29,42a in der Wendung ‚( לדרתיכםfür eure Generationen‘) angedeutete, generationenübergreifend fortgeführte Praxis des Brandopfer-Tamids auf den ersten Blick als fragwürdig erscheinen lassen. Auf den zweiten Blick jedoch impliziert das ‚( לדרתיכםfür eure Generationen‘) zugleich auch eine Lösung für dieses Problem, da sie im Duktus von Ex 29,38–46 ein Aufbrechen der Redesituation der Gottesrede (als Anrede JHWHs an Mose) herbeiführt, da nun – ebenso wie auch im nachfolgenden 498
Mit Blick auf die Rezeptionsgeschichte des Textes ist dieser Befund insofern interessant, als der Mischnatraktat „Tamid“ (mTam) – aufbauend auf Ex 29,38–42; Num 28,2– 8 – den Vollzug und Ablauf des Rituals des (Morgen–)Tamid im (Zweiten) Tempel überaus detailreich beschreibt und dabei gerade das ‚wie‘ in den Blick nimmt, das in Ex 29; Num 28 deutlich zurücktritt. mTam füllt somit gleichsam die „Lücke“ auf, die die Bibeltexte offen lassen.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Satz Ex 29,42aR – eine 2. Pers. Pl. angesprochen ist. Über den in den Plural mit inkludierten Mose hinaus kommt ganz Israel in den Blick: Eine Verantwortung des gesamten Volkes – eine Einengung der Anrede der 2. Pers. Pl. auf bestimmte Gruppen innerhalb des Volkes, z.B. die Priester, legt der Text ausdrücklich nicht nahe – für das „Machen“ der beiden Lämmer ist betont, die in Ex 29,38–46 allerdings nicht weiter präzisiert wird. Immerhin aber birgt die in Ex 29,42a angedeutete Rückbindung des Tamid-Vollzugs an ganz Israel zunächst das Potenzial für dessen generationenübergreifende Ausführung in sich. In den Vorschriften für das Brandopfer-Tamid in Ex 29,38–46 fungiert Mose, das in V.38–42 angesprochene „Du“, somit als „Platzhalter“ für ganz Israel. Umgekehrt aber bringt das Israel späterer Generationen das Tamid in der Nachfolge des Mose dar, was nicht nur die „Torakonformität“ des Vollzugs unterstreicht, sondern dem Ritual auch eine besondere Dignität verleiht. Zuletzt jedoch ist festzuhalten, dass ein „Machen“ ( )עשהdes BrandopferTamids durch (ganz) Israel in den Generationen nach Mose, wie es in Ex 29,42a vorausgesetzt ist, weniger den faktischen Vollzug des Opferrituals (mit Schlachten, Blutritus, Zerteilen des Tiers, Darbringen auf dem Altar etc.) im Blick hat – dies ist Aufgabe der Priester –, sondern auf den Umstand verweist, dass das Brandopfer-Tamid wie alle anderen öffentlichen (kommunalen) Opfergaben (vgl. Num 28–29) von ganz Israel finanziert und getragen ist und im Namen ganz Israels dargebracht wird.499 Damit ist in diesem Punkt durchaus eine grundsätzliche Konvergenz mit dem Entzünden des Leuchters in Ex 27,20–21 gegeben, da auch dieser Vollzug durch eine Abgabe ganz Israels ermöglicht wird. Umgekehrt jedoch ist in Ex 27,20–21 eine wesentlich striktere Differenzierung zwischen den Zuständigkeiten des Volkes – dieses stellt das Öl bereit – und denen des Aaron – er führt den Dienst am Leuchter aus, trägt dabei die Namen der Söhne Israels vor JHWH und ruft auf diese Weise Israel vor JHWH in Erinnerung – gegeben, als beim BrandopferTamid, in dessen Kontext die Priester überhaupt nicht erwähnt werden und die im Verb עשהmit eingeschlossene Dimension des kultischen Darbringens ausdrücklich mit Mose verbunden ist. In dem unspezifischen ‚( עשהmachen‘) in Ex 29,38–42 sind somit mehrere Ebenen zusammengeführt, die gerade aufgrund der semantischen Offenheit des Verbs zugleich anklingen – möglicherweise ein Grund, weshalb der Text dieses einer spezifischeren „Fachterminologie“ vorzieht: So kann das „Machen“ einmal auf den konkreten Kultvollzug, d.h. die Darbringung der Lämmer selbst verweisen, andererseits aber auch eine grundlegende Verantwortlichkeit für den Vollzug einfangen, also v.a. das Ermöglichen der Kulthandlung (durch Israel), z.B. im Bereitstellen und Finanzieren der Opfergaben.
499
Vgl. SEEBASS, Numeri 22–36, 240.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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3. Opfergaben Dasjenige ( ;וזהEx 29,38a), das auf dem Altar zu machen ist (vgl. Ex 29,38aR), wird in Ex 29,38b.40 aufgezählt und zugleich – v.a. durch die Zeitangaben in V.(38b.)39.41a – hinsichtlich seiner Darbringung präzisiert. So werden in V.38b zunächst zwei einjährige Schafe bzw. Lämmer (כבשים בני־ )שנהgefordert, die V.39 zufolge als Grundlage für zwei zeitlich getrennte, aber aufeinander bezogene und einander komplettierende Opfervollzüge dienen, wenn je eines der („gemeinsam“ eingeführten) Lämmer am Morgen und eines „zwischen den Abenden“ gemacht wird.500 Ergänzend zu dem in V.38b–39 Vorgegebenen führen die Vv.40–41 schließlich noch Begleitopfer ein, die mit der Darbringung der Lämmer verbunden sind. Das erste, in V.41b als ‚( מנחהSpeiseopfer‘) bezeichnet, besteht aus „einem „Zehntel Weizenfeinmehl“ ( ;עשרן סלתvgl. V.40), also aus einem mehrfach gesiebten, besonders hochwertigen Mehl.501 Der Mengenangabe ‚( עשרןZehntel‘) liegt– wie die Parallele in Num 28,5 bestätigt – das „Standart-Trockenmaß“ des ’ēfā zugrunde. Die מנחהbesteht somit aus ⅟₁₀ ’ēfā Weizenmehl.502 Dieses wird zusätzlich mit ¼ hin ausgedrücktem (Oliven-)Öl ( )שמן כתיתvermengt ()בלל. In Lev 2,1–3 ist eine gleichartige minḥā aus Weizenfeinmehl ( )סלתund Öl ( )שמןals eine Form einer selbständigen Speiseopfergabe belegt. Darüber hinaus kennt Lev 2 weitere Varianten, bei der stets die gleichen Zutaten (Weizenfeinmehl und Öl) auf unterschiedliche Weise zubereitet dargebracht werden: als im Ofen Gebackenes (Lev 2,4), als in der Pfanne Gebratenes (Lev 2,5–6) oder als im Topf Zubereitetes (Lev 2,7). Allerdings fehlen in Lev 2 Mengenangaben, was einerseits damit zusammenhängt, dass im Falle eines freiwilligen Opfers (wie es in Lev 2 thematisiert wird) die Menge allein im Ermessen des Opfernden liegt. Andererseits bleiben damit auch die Mischungsverhältnisse zwischen Mehl und Öl unklar, die innerhalb der Tora somit nur von Ex 29,40 her ersichtlich werden. Zudem ist in Lev 2 vorgesehen, auf das mit Öl vermengte Mehl – gleichsam als dritte Zutat – etwas Weihrauch zu geben, was bei dem in Ex 29,40 angeordneten Begleitopfer nicht vorgesehen ist (vgl. auch Num 15,2–12). Umgekehrt wird letzteres – zusammen mit den Teilen des Opfertiers – offenbar vollständig auf dem Altar verbrannt, während bei der eigenständigen minḥā das Abheben einer ‚( אזכרהGedächtnisanteil‘) vorgesehen ist. Dazu nimmt der ausführende Priester von der herbeigebrachten Gabe eine Hand voll des Teiggemisches zusammen mit dem gesamten Weihrauch und bringt dieses auf dem Altar dar. Der verbleibende Rest der minḥā aber fällt dem Priester als hochheiliger Anteil zu.503
500
Zum Schaf bzw. Lamm als Opfertier und den ökonomischen Hintergründen der Darbringung von (männlichen) Lämmern vgl. DOHMEN, ( כבסThWAT), 45–54; HIEKE, Levitikus 1–15, 179. 501 Zu einer genauen Bestimmung vgl. EBERHARD, Studien, 79–80; HIEKE, Levitikus 1– 15, 201–202; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 90–95. Vgl. auch MILGROM, Leviticus 1–16, 179. 502 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 471. 503 Vgl. dazu z.B. HIEKE, Levitikus 1–15, 200–215.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Interessant ist, dass das Öl in Ex 29,40 als ‚( שמן כתיתausgedrücktes Öl‘) spezifiziert wird. Diese Angabe, die v.a. auf die Hochwertigkeit des verwendeten Öls hinweist, findet sich – abgesehen von Ex 29,40 und Num 28,5 – nie im Zusammenhang mit der minḥā, dafür aber beschreibt sie in Ex 27,20; Lev 24,2 das für den Dienst am Leuchter bereitgestellte Olivenöl. Für beide Tamid-Vollzüge wird somit – obgleich je unterschiedlich eingesetzt – eine Gabe gleicher Beschaffenheit als (ein) Spezifikum des jeweiligen Vollzugs verwendet. Als ein zweites Begleitopfer neben der minḥā ist in Ex 29,40 schließlich ein næsækh (‚Trankopfer‘) vorgesehen, für das mit ¼ hīn Wein dieselbe Flüssigkeitsmenge angesetzt ist, wie beim Öl für die minḥā. Anders als die minḥā ist ein næsækh in der Tora allerdings nie als eigenständiges Opfer vorgesehen, spielt also – wenn überhaupt – nur als Begleitopfer eine Rolle (vgl. Num 15,2–12). Dabei ist festzuhalten, dass minḥā und næsækh als Begleitopfer unter den am Sinai (!) offenbarten Weisungen ausschließlich in Ex 29,40–41 erwähnt werden. Sie fehlen also u.a. auch in der Opfertora von Lev 1–7 und stellen damit zunächst ein Proprium des Brandopfer-Tamids dar, durch das sich dieses von allen anderen (am Sinai angeordneten) Opfervollzügen abhebt. Erst in Num 15,2–12 – und damit in einer weitere Entfaltung der am Sinai geoffenbarten Kultordnung durch eine in der Wüste ergehende Gottesrede504 – werden die Begleitopfer ausführlich thematisiert und als feste Institution allen Brand- und Heilsgemeinschaftsopfern – seien sie freiwillig oder als Teil der kommunalen Festopfer dargebracht – beigegeben (vgl. Num 15,3). Num 15,4–10 setzt dabei feste Mengen abhängig vom dargebrachten Opfertier fest, wobei der in Ex 29,40–41 vorgegebene „Tarif“ von ⅟₁₀ ’ēfā Feinmehl zusammen mit ¼ hīn Öl als minḥā sowie ¼ hīn Wein als næsækh für ein Lamm als Berechnungsgrundlage dient (vgl. Num 15,4–5), von der ausgehend die Begleitgaben für die übrigen Tierarten festgelegt werden. Aufbauend auf der damit in Num 15 etablierten „Tarifierung“ erscheinen die Begleitopfer in Num 28–29 bereits als fester Bestandteil der angeordneten Festtagsopfer, wobei die über Ex 29,40–41 gegebene anfängliche Rückbindung an das Brandopfer-Tamid auch in Num 28–29 noch greifbar ist.
4. Zeiten Wie oben bereits angedeutet, werden die in Ex 29,38b.40 aufgelisteten Opfergaben v.a. durch die Zeitangaben in Ex 29,39.41 näher spezifiziert, die eine (gleichmäßige) Aufteilung der Gaben auf zwei Darbringungen am Morgen und „zwischen den Abenden“ nahelegen. Noch zuvor aber finden sich bereits in Ex 29,38b – verbunden mit der Nennung der Opfertiere – die zwei Zeitadverbialen ‚( ליוםfür den Tag, pro Tag‘) und ‚( תמידregelmäßig‘). Dabei fällt auf, dass die erste der beiden, ליום, auch in V.36a – im Zusammenhang mit der Anweisung, für jeden der sieben Tage des Weiherituals eine 504
Zur rechtshermeneutischen und rechtssystematischen Einordnung von Kulttexten wie Num 15; 18–19; 28–29 s.u.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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Stier-ḥaṭṭā’t zu machen ( – )!עשהbelegt ist. Diese Beobachtung legt dabei weniger die Schlussfolgerung nahe, dass Ex 29,38–46 als eine zu Ex 29,36– 37 parallele Anweisung zu verstehen ist und folglich die einjährigen Lämmer zunächst für die sieben Tage der Altarweihe vorgesehen sind.505 Zwar könnte dem gegen diese Annahme zu erhebenden Einwand, dass – im Gegensatz zur Darbringung der Stier-ḥaṭṭā’t – ein Brandopfer von zwei Lämmern in Ex 29,1–35 nicht vorgesehen ist, noch die Hypothese entgegengehalten werden, dass die zwei Lämmer ab dem zweiten Tag den in Ex 29,15–18 erwähnten „ersten Widder“, der ja ebenfalls als ʽōlā dargebracht wird, ersetzen. Das Zueinander der beiden unmittelbar verbundenen Adverbialen ‚( ליוםfür den Tag, pro Tag‘) und ‚( תמידregelmäßig‘) aber wäre in diesem Fall nur schwer zu erklären. Immerhin weist תמידauf eine Regelmäßigkeit des Vollzugs hin, die über die einmalige Kultinauguration hinausweist, in der z.B. die „besondere“ Form der Stier-ḥaṭṭā’t, die Ex 29,10–14.36-37 beschreibt ihren Platz hat. So erscheint der Vorschlag von B. JÜRGENS, Ex 29,38–46 (primär) als Anweisung für den zweiten bis siebten Tag der Priesterweihe zu interpretieren,506 für sich genommen als wenig plausibel. In der Tat nämlich ist in Ex 29,38–46 ein regelmäßiger Vollzug am Altar im Blick, der an jedem Tag stattzufinden hat. Ex 29,38b ist also nur dann adäquat zu verstehen, wenn beide Adverbialen sich gegenseitig interpretieren – und dennoch kann der über die Adverbiale ‚( ליוםpro Tag‘), aber auch über die Verbform ‚( תעשהdu sollst machen‘) hergestellte Rückbezug von Ex 29,38a–aR auf Ex 29,36a für die Auslegung fruchtbar gemacht werden. Tatsächlich nämlich wird ein Zusammenhang zwischen dem Brandopfer-Tamid und dem Weiheritual angedeutet, der allerdings am besten als ein „Nacheinander“ zu fassen ist: Der Vollzug des Tamid schließt an die Altarweihe an bzw. stellt die tägliche Praxis am Altar dar, die mit dem Abschluss der Altarweihe möglich geworden ist und seither stattfindet. Dabei ist die Darbringung der Lämmer als ʽōlā wohl in besonderer Weise mit der in Ex 29,15–18 angeordneten Widder-ʽōlā des Weiherituals verbunden und gleichsam als eine tagtägliche Fortführung derselben zu verstehen, wobei im Wechsel der Opfergaben und in den veränderten Zeitrhythmen – aus einem Widder pro Tag werden zwei Lämmer, von denen eines am Morgen und eines am Abend dargebracht wird – zugleich eine „Brechung“ gegeben ist, die eine Unterscheidung zwischen der Einmaligkeit der Kultinitiation und der Regelmäßigkeit der nach dieser geübten, alltäglichen Praxis markiert. Mit Ex 29,39 schließlich tritt eine Zuordnung der beiden Lämmer zu den Tageszeiten in den Vordergrund, in der zugleich auch das ‚( ליוםpro Tag‘) eine weitergehende Spezifizierung erfährt. So ist von den beiden für einen Tag vorgesehenen Lämmern eines am Morgen ( )בבקרund das zweite „zwi505 506
Vgl. dazu z.B. JÜRGENS, Heiligkeit, 244. Vgl. JÜRGENS, Heiligkeit, 244.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
schen den Abenden“ ( )בין הערביםdarzubringen. Wie beim Leuchter-Tamid (Ex 27,20–21) kommen damit auch hier die Tageswenden als Zeiten für die angeordneten Kultvollzüge in den Blick, mit dem Unterschied freilich, dass beim Brandopfer-Tamid von zwei grundsätzlich gleichen (und gleichwertigen) Ritualen (vgl. Ex 29,39–41) auszugehen ist, die aufeinander verweisen und einander komplettieren, während beim Leuchter-Tamid bislang kein Vollzug für den Morgen eingeführt ist, der dem „Präparieren“ ( )ערךdes Leuchters am Abend (vgl. Ex 27,21) entspricht. Zudem findet sich – anders als in Ex 27,20–21 – in Ex 29,39b.41b nicht einfach die Zeitangabe ‚( בערבam Abend‘), sondern die durch den seltsamen Dual wesentlich auffälligere und in der Tora an nur wenigen Stellen belegte Zeitangabe בין הערבים. Diese kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden, wobei die verschiedenen Deutungen sich v.a. darin unterscheiden, wieviel (eigenständiges) Gewicht sie dem Dual beimessen. Die rabbinischen Ausleger507 setzen dieses eher stark an. Sie interpretieren בין הערביםals Umschreibung einer längeren Zeitspanne, die einsetzt, nachdem die Sonne den höchsten Punkt ihres Tageslaufs am Himmel überschritten hat und somit beginnt, sich dem Westhorizont zuzuneigen, und die mit dem Sonnenuntergang endet.508 Im Blick ist damit in einem weiteren Sinne der Nachmittag als Phase, innerhalb derer die Darbringung des Brandopfer-Tamids möglich ist. Dabei kann aus Lev 6,1–6 gefolgert werden, dass das AbendTamid jeweils der letzte Kultvollzug des Tages ist und somit „irgendwann am Nachmittag“ dann stattfindet, wenn sonst keine anderen Opfervollzüge mehr anstehen. Die als sehr unbestimmt verstandene Zeitangabe schafft in dieser Deutung somit Raum dafür, den genauen Zeitpunkt des Tamids sehr pragmatisch und situationsabhängig festzulegen, wobei z.B. mPes 5.1 veranschaulicht, dass das Ritual nicht unbedingt erst am späten Nachmittag stattfinden muss, sondern bei Bedarf auch schon kurz nach dem Mittag vollzogen werden kann.509 Eine andere Deutungsmöglichkeit, die bereits bei IBN ESRA belegt ist und in der neueren Exegese mehrheitlich favorisiert wird, sieht die Zeitangabe בין הערביםals Umschreibung der Zeitspanne zwischen Sonnenuntergang und dem Eintreten der Finsternis, also für die Abenddämmerung,510 was zur Folge hat, 507
Vgl. mPes 5.1; bBer 26b, u.a. Eine ausführlichere Übersicht bietet JACOB, Exodus,
310. 508
Vgl. NIEHR, ( ערבThWAT), 362–363; HOUTMAN, Exodus 2, 175; PROPP, Exodus 1– 18, 390. 509 Vgl. JACOB, Exodus, 310–311. 510 Diese Ansetzung kann dann problematisch werden, wenn man – unabhängig von der Frage nach dem Verhältnis zwischen den Ritualvorschriften der Tora und einem real vollzogenen Tempelkult – einen wie auch immer gearteten lebensweltlichen (außertextlichen) Bezug annimmt. Für ein tatsächlich vollzogenes Opferritual nämlich könnte sich die dabei angesetzte Zeitspanne – astronomisch gesprochen diejenige zwischen dem Einsetzen der
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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dass die Begriffe ערבund בין הערביםbeinahe wie Synonyme betrachtet werden können,511 was PROPP mit Hinweis auf Ex 16,8.12 auch ganz ausdrücklich so formuliert.512 Spannender aber als die – angesichts der vorhandenen Textbelege ohnehin nur schwer zu entscheidende – Frage danach, welche Zeitspanne und Tageszeit mit der Formulierung בין הערביםgenau bezeichnet wird, sind die durch diese Wendung konstituierten Sinnbezüge im Text der Tora. So findet sich das Stichwort בין הערביםan nur wenigen Belegstellen und im Kontext von nur zwei (bzw. drei) Sinnzusammenhängen: Dies sind zum einen die Schlachtung der Pesachlämmer, die Ex 12,6; Lev 23,5; Num 9,3.5.11 zufolge „zwischen den Abenden“ stattfindet,513 und zum anderen die Tamid-Vollzüge des abendlichen Brandopfers (Ex 29,39.41; Num 28,4.8) bzw. gemäß Ex 30,8 der Dienst am Leuchter. Dazu kommt in Ex 16,12 die Ankündigung JHWHs an Mose, dass Israel „zwischen den Abenden“ Fleisch zu essen bekommen werde.514 Stellt man diesen einen Beleg aus Ex 16, auf den unten in anderem Zusammenhang noch genauer einzugehen sein wird, vorerst zurück, so fällt auf, dass die Zeitangabe בין הערביםv.a. in den Vorschriften zur Pesachschlachtung und zum Brandopfer-Tamid ihren festen Platz hat und so diese beiden Vollzüge – über ihren gemeinsamen Zeitangaben – aufeinander bezieht bzw. miteinander korreliert. Zusätzlich verstärkt wird dieser Zusammenhang dadurch, dass in beiden Fällen (grundsätzlich) dieselbe Sorte von (Opfer-)Tieren vorgesehen ist. In Ex 12,5 nämlich wird für die Pesachschlachtung ein makelloses, männliches, einjähriges Lamm ( )שה זכר תמים בן־שנהvon Schaf oder Ziege ( )מן־הכבשים ומן־העזיםgefordert, während für das Tamid ein einjähriges Schaf ( ;כבש בן־שנהvgl. Ex 29,38b) darzubringen ist.
sog. „bürgerlichen Dämmerung“ (die Sonnenscheibe berührt den Horizont) und dem Ende der „astronomischen Dämmerung“ (die Sonne überschreitet einen Tiefenwinkel von 18° und es herrscht vollständige Dunkelheit) – als zu kurz für die in ihr vorausgesetzten Vollzüge erweisen. Bei 30° nördl. Breite (in etwa Jerusalem) umfasst diese Zeitspanne zwischen 72 min. an den Äquinoctien und 84 min. zur Sommersonnenwende. Veranschlagt man zudem, dass bereits mit dem Ende der sog. „nautischen Dämmerung“ ohne künstliche Beleuchtung keine Aktivität im Freien mehr möglich ist, also deutlich früher als nach dem Ende der „astronomischen Dämmerung“, so blieben für die Darbringung des Abend– Tamids bei 30° Nord ca. 48–59 min., also eine knappe – möglicherweise zu knappe – Zeitspanne für den Vollzug der Rituale. (Die Berechnungen der Dämmerungsdauer wurde mit der Software SkyGazer 4.5. Educational Edition (Pearson Studium, 2009/10) durchgeführt.) 511 Vgl. HOUTMAN, Exodus 2, 175; NIEHR, ערב, 362. 512 Vgl. PROPP, Exodus 1–18; 390–391. 513 Vgl. dazu JACOB, Exodus, 310–311; HOUTMAN, Exodus 2, 175; PROPP, Exodus 1– 18, 390. 514 Vgl. JACOB, Exodus, 310.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Die in Ex 12,5 geforderten Eigenschaften „männlich“ ( )זכרund „makellos“ ()תמים, sind dabei – obgleich sie in Ex 29,38b nicht eigens angeführt werden – auch für das TamidLamm vorauszusetzen. So geht aus den Vorschriften zur ʽōlā in Lev 1 hervor, dass für diesen Opfertyp ausschließlich männliche Tiere zugelassen sind (vgl. auch Lev 22,18–19), was in analoger Weise auch für das Brandopfer-Tamid vorauszusetzen ist. Die Makellosigkeit ( )תמיםaber, d.h. das Fehlen von äußerlich sichtbaren Verletzungen oder körperlichen Fehlbildungen, ist mit Lev 22,21–25 entscheidend für die grundsätzliche Eignung als Opfertier.515
Dem Brandopfer-Tamid (am Abend) kommt somit angesichts der Tatsache, dass es – wie außer ihm nur noch das Pesachlamm – „zwischen den Abenden“ dargebracht wird und dazu dieselben Tiere zum Einsatz kommen, wie beim Pesach, eine gewisse „Pesachförmigkeit“ zu. Diese darf auf der einen Seite nicht über Gebühr gewichtet werden, denn immerhin unterscheiden sich beide Kultvollzüge in wesentlichen Punkten (z.B. Ritualvollzug und Anliegen) deutlich voneinander und das Abend-Tamid komplettiert zudem einen gleichartigen Vollzug am Morgen, zu dem es beim Pesach keine Entsprechung gibt. So ist das Tamid alles andere als ein „tägliches Pesach“. Umgekehrt jedoch kann das (Abend-)Tamid darüber, dass es mit der Pesachschlachtung wesentliche Charakteristika gemeinsam hat, an diese erinnern bzw. auf diese verweisen und hat somit durchaus eine „Memorialfunktion“, die freilich ausschließlich im Text bzw. über die in diesem angelegten Stichwort- und Sinnbezüge „funktioniert“, während bei einem „realen Vollzug“ des Opfers kaum etwas (beim Beobachten Sichtbares) an Pesach erinnern würde. Wie genau die angesprochene Memorialfunktion angelegt ist, wird allerdings erst in Ex 29,45–46 deutlich und soll im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Verse eingehender erörtert werden. Darüber hinaus aber kann die Wendung ‚( בין הערביםzwischen den Abenden‘) – indem sie eine Zeitspanne andeutet (und dabei v.a. auf deren Endpunkt fokussiert) – auch die letztlich nicht exakt normierbare Dauer in den Blick nehmen, die der (praktische) Vollzug des Opfers erfordert. Da letzterer bis zum Einbruch der Nacht und dem Ende des Tages abgeschlossen sein muss, ist das Ritual mit entsprechendem Vorlauf zu beginnen, also rechtzeitig im Laufe des Abends bzw. des späten Nachmittags: בין הערבים.516 Der Phase „zwischen den Abenden“ steht in V.39.41 jeweils der Morgen als zweiter (bzw. genauer, als erster) Zeitpunkt für die Darbringung des Tamids gegenüber. Beide Vollzüge zusammen „besetzen“ die Eckpunkte der Zeitspanne eines („hellen“) Tages, die im Kultbetrieb durch das „Machen“ der Lämmer besonders betont werden.517 Damit deutet sich in Ex 29,39.41 bereits an, was in Lev 6,1–6 explizit festgehalten wird, dass nämlich die bei515 Zu Lev 22,21–25 vgl. z.B. HIEKE, Levitikus 16–27, 859–862; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 281–287. 516 Vgl. JACOB, Exodus, 311. 517 Vgl. JACOB, Exodus, 310–311.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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den Tamid-Vollzüge jeweils als das erste und das letzte Opfer eines Tages anzusehen sind und somit alle übrigen Kulthandlungen am Altar gleichsam „einschließen“. Zusätzlich verstärkt wird dies dadurch, dass das Tamid in V.38–41 deutlich als eine zweigeteilte Einheit konstruiert ist: Darauf weist die in V.41b betonte Gleichartigkeit der Vollzüge am Morgen und am Abend (hinsichtlich der Gaben) ebenso hin, wie die Tatsache, dass in V.38b zuerst beide Lämmer miteinander als das zu Machende präsentiert und dann erst in einem zweiten Schritt auf die Tageszeiten – und damit auf zwei Teilvollzüge – verteilt werden. Dies hat zur Folge, dass die beiden aufeinander bezogenen „Hälften“ des Tamids alle Kultvollzüge eines („hellen“) Tages, indem sie sie umschließen, zu einer kohärenten Einheit zusammenführen und sie zugleich mit einem deutenden „Rahmen“ versehen. 5. Qualifizierungen (Ex 29,41c–42a) Die Beschreibung dessen, was auf dem Altar zu tun sei (vgl. V.38a–aR), kommt mit Ex 29,41b zum Abschluss und umfasst somit die Verse Ex 29,38b–41b. Unmittelbar an diese Textpassage schließen mit Ex 29,41c.41a zwei Sätze an, die das „Machen“ der beiden Lämmer in seiner Gesamtheit qualifizieren. So wird das Brandopfer-Tamid in V.41c als ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) bestimmt und in V.42a zusätzlich als ‚( עלת תמיד לדרתיכםregelmäßiges Brandopfer für eure Generationen‘) gefasst. Mit der Wendung ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘; V.42b) ist darüber hinaus die Formulierung ‚( לריח ניחחzum beruhigenden Duft‘) verbunden, die syntaktisch noch zu Ex 29,41b gehört und dort adverbial das „Machen“ des Abend-Tamids und seiner Begleitopfer näher bestimmt. Damit kommt ihr die Funktion zu, von den Anweisungen zum Tamid, die mit V.41b enden, zur theologischen Bewertung und Interpretation des Angeordneten ab V.41c überzuleiten. Ungeachtet des Umstands, dass die Wendung ‚( לריח ניחחzum beruhigenden Duft‘) in V.41b im engeren Sinne nur auf die Begleitopfer des AbendTamids bezogen ist, ist sie doch letztlich – wie auch die qualifizierenden Wendungen in V.41c–42a – auf die Gesamtheit der Tamid-Vollzüge anzuwenden, deren Intention und Wirkung sie umschreibt. Für eine Interpretation der Formulierung aber ist zunächst die exakte Wortbedeutung zu erheben, wobei ein besonderes Gewicht auf das Nomen ניחוח, das nomen rectum der Konstruktusverbindung ריח ניחח, zu legen ist. Dieses ist vom Verb ‚( נוחruhen‘) abzuleiten bzw. als Inf.(abs.) polel dieses Verbs zu bestimmen.518 ניחוח ist somit „etwas, das ein Ruhen bewirkt / herbeiführt“, so dass die Wendung ריח ניחחmit „Duft/Geruch der Beruhigung“ wiederzugeben ist. Dabei ist – mit EBERHARD519 und KNIERIM520 – abhängig vom Anlass des jeweiligen Opfers 518
Zur Etymologie vgl. BECHMANN, Duft, 61; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 66–67. Vgl. EBERHARD, Studien, 48–49. 520 Vgl. KNIERIM, Text, 67–77. 519
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
entweder ein „auslösender“, intensiver (vgl. polel!) oder aber ein eher reflexiver Aspekt stärker betont.521 Im ersten Fall bezeichnet ריח ניחחeinen Geruch, der Ruhe bewirkt, besänftigt (so z.B. im Fall der ḥaṭṭā’t, vgl. Lev 4,31), im zweiten Fall aber einen Geruch, der eine mit der Ruhe verbundene Gegebenheit verstärkt, d.h. ein angenehmer, wohltuender Duft. Entsprechend kann die Wendung zunächst eine mit dem Vollzug des Opfers (von Seiten der Opfernden) intendierte Zuwendung zu JHWH ausdrücken, die je nach Anlass eher als Huldigung (vgl. „wohltuender Geruch“) oder – im Falle einer gestörten Gottesbeziehung – eher als Versuch einer Besänftigung JHWHs (vgl. „beruhigender Duft“) zu verstehen ist.522 Zugleich impliziert die Wendung eine zweite Ebene, wenn sie eine (positive) Wirkung des Opfers auf JHWH bzw. die Akzeptanz durch JHWH nahelegt. Sie antizipiert, dass JHWH das Opfer tatsächlich auch der Intention der Opfernden gemäß als beruhigend bzw. wohltuend wahrnimmt – und dem entsprechend auf den Vollzug reagiert, d.h. diesen mit Hinwendung, Akzeptanz oder Versöhnung „beantwortet“. Entsprechend deutet sich in der Wendung לריח ניחחeine gelingende Kommunikation bzw. Interaktion zwischen JHWH und den Opfernden an.523 An vielen Belegstellen ist mit ihr zudem die Formulierung ‚( ליהוהfür JHWH‘) verbunden, die die Ausrichtung des Vollzugs auf JHWH hin noch deutlicher unterstreicht: Die Opfer sollen bei JHWH Akzeptanz bzw. Beruhigung (im Hinblick auf die Opfernden) bewirken und so eine (positive) Antwort JHWHs auslösen, allerdings ohne dass dabei ein Automatismus unterstellt wird.524 Eher im Gegenteil: Gerade indem sie auf die Perspektive JHWHs bzw. auf dessen Bewertung und Wahrnehmung des Opfervollzugs rekurriert, unterstreicht sie (auch) die grundsätzliche Freiheit JHWHs, den Duft / Geruch tatsächlich auch als wohltuend oder beruhigend wahrzunehmen – oder eben nicht (dazu vgl. Lev 26,31).525 Die Formulierung ‚( ליהוהfür JHWH‘) fehlt in Ex 29,41b zunächst, taucht dann aber in Ex 29,41c in der qualifizierenden Wendung ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) auf, die in engem Zusammenhang mit der Formulierung לריח ניחחsteht.526 Der Terminus אשהist dabei – anders als ‚( עולהBrandopfer‘), ‚( מנחהSpeiseopfer‘), ‚( זבח שלמיםHeilsgemeinschaftsopfer‘), ‚( חטאתEntsündigungsopfer‘) oder ‚( אשםEntschuldigungsopfer‘) – keine Bezeichnung für einen bestimmten Opfertyp, sondern in Ritualbeschreibungen zu allen 521
Vgl. auch MILGROM, Leviticus 1–16, 175–176. Vgl. BECHMANN, Duft, 61–63; EBERHARD, Studien, 366–381; HIEKE, Levitikus 1– 15, 105; ZWICKEL, Räucherkult, 26. 523 Vgl. EBERHARD, Studien, 52; HIEKE, Levitikus 1–15, 106; RENDTORFF, Leviticus 1– 10, 68–69. 524 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 106; KNIERIM, Text, 69–71. 525 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 106; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 68. 526 אשהund ריח ניחחsind an 26 der insgesamt 39 Belegstellen von ריח ניחחin der Tora miteinander verbunden. Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 64. 522
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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Opfertypen belegt (mit einem Schwerpunkt auf Brand-, Speise- und Heilsgemeinschaftsopfern). Etymologisch wird ‚( אשהFeuergabe‘) zumeist mit dem Nomen ‚( אשFeuer‘) verbunden, was gut zu der Beobachtung passt, dass an praktisch allen Belegstellen von אשהein Verbrennen der Opfergaben auf dem Altar zentral ist.527 Andererseits aber ergibt sich in den antiken Übersetzungen – LXX wie Targumim – der einhellige Befund, dass das hebräische אשהdurchgehend mit (allgemeinen) Begriffen für „Gabe“ oder „Opfer“ wiedergegeben wird, ohne dass ein Bezug zum Feuer auf dem Altar erkennbar ist.528 Entsprechend scheint hier das Übergeben an Gott – und nicht die kultische Verbrennung – als der zentrale Aspekt, auf den der Terminus hinweist. MILGROM geht – unter Berufung auf diesen aus den antiken Übersetzungen zu erhebenden Befund – sogar so weit, komplett abzustreiten, dass אשהüberhaupt auf den Vorgang der kultischen Verbrennung Bezug nimmt bzw. etymologisch mit dem Begriff ‚( אשFeuer‘) zusammenhängt,529 wird mit dieser Zuspitzung aber dem Befund im Bibeltext ebenfalls nicht voll gerecht. Dort nämlich findet sich eine Qualifizierung eines Opfervorgangs als אשהin der Tat fast ausschließlich in Kontexten, in denen die kultische Verbrennung der Opfermaterie auf dem Altar von zentraler Bedeutung ist. Und selbst an den wenigen Belegstellen, an denen die Bezeichnung אשהmit Materie verbunden ist, die selbst nicht verbrannt wird, ist dieser Zusammenhang greifbar, da auch hier אשהstets denjenigen Teil einer Opfergabe bezeichnet, der auf den Altar gelangt und dort durch Verbrennen symbolisch an JHWH übereignet wird.530 In Lev 2,3.10; 7,30.35–36 ist von Priesteranteilen von der אשהdie Rede. Gemeint sind damit diejenigen Teile der Opfergabe, die von dem zu verbrennenden Anteil separiert und den Priestern zum Verzehr übergeben werden, wobei deutlich wird, dass der Terminus אשה ausdrücklich nicht die separierte, von der Verbrennung ausgesparte Materie bezeichnet, sondern den auf dem Altar dargebrachten Anteil. Auch in Num 15,10 ist אשהzunächst zwar auf die Begleitopfer, v.a. auf den Wein bezogen, der in der Tat nicht mit dem Feuer auf dem Altar in Kontakt kommt, in einem weiteren Sinne aber auf das Gesamt der Gaben, Opfertier, minḥā und næsækh, angewandt, die – mit Ausnahme des Weins – komplett auf dem Altar verbrannt werden.
Bei einer sachgemäßen Interpretation des Terminus אשהwird somit beides mitzuhören sein, der Hinweis auf den Vorgang der kultischen Verbrennung auf dem Altar, der über die Etymologie des Wortes anklingt und der Vorgang des Gebens an JHWH, den v.a. die antiken Versionen in ihren Übersetzungen von אשהstark machen, weshalb EBERHARD – sehr treffend – eine Wiedergabe 527
Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 63. Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 63. 529 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 161–162; 393; DERS., Purification Offering, 100; DERS., Numbers, 124; 312. Vgl. die ausführliche Auseinandersetzung damit bei EBERHARD, Studien, 41–47. 530 Vgl. EBERHARD, Studien, 41–47. Vgl. auch RENDTORFF, Leviticus 1–10, 63. 528
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
von אשהmit ‚Feuergabe‘ vorschlägt.531 Dabei passen die beiden im Begriff verbundenen Aspekte – die Verbrennung und das Geben – für EBERHARD auch der Sache nach sehr gut zusammen, da er das Verbrennen als Akt der Transformation deutet, der es ermöglicht, die Gaben – in Gestalt des über dem Altar aufsteigenden Rauchs – bildlich „zu Gott“ zu bringen bzw. sie übereigenbar zu machen. Entsprechend steht auch beim Verbrennen – so dieses als Modus der Übereignung an JHWH zu verstehen ist – nicht das „InFlammen-Aufgehen“ an sich im Mittelpunkt, sondern tatsächlich das Geben (durch das Feuer).532 אשהverweist also v.a. auf den Impetus, an JHWH geben zu wollen und deutet zugleich den dafür gewählten Modus an, das Verbrennen der Gaben auf dem Altar. Vor diesem Hintergrund erscheint auch das häufig belegte Nebeneinander der Wendungen לריח ניחחund אשהals überaus sinnvoll, da beide auf zwar unterschiedliche, dabei aber eng zusammengehörige Facetten des Opfervollzugs rekurrieren und einander so komplementär ergänzen. אשהnämlich fokussiert das Geben (durch das Feuer) als menschlichen Handlungsvollzug, während die Formulierung לריח ניחחsowohl den illokutionären Aspekt des Gebens („beruhigen“ bzw. „huldigen“) als auch den intendierten (perlokutionären) Effekt, das (positive) Reagieren JHWHs, andeutet.533 In Ex 29,41 ist die Wendung לריח ניחחvorangestellt und in V.41b unmittelbar auf das „Machen“ der Opfer bezogen, bevor V.41c – resümierend – das Tamid (und seine Begleitopfer) als eine im Feuer übereignete Gabe Israels an JHWH qualifiziert, die – wie das vorangestellte לריח ניחחunterstreicht – einen Akt der Huldigung impliziert, der auf eine Beantwortung durch das göttliche Wohlwollen hin angelegt ist. Ex 29,41bc beleuchtet somit die grundlegende Eigenart der Opferhandlung, den mit dieser verbundenen Zweck sowie die antizipierten Effekte. Im Kontext der Heiligtumstora sind die deutenden Wendungen in Ex 29,41(b.)c (und auch in Ex 29,42a) als Rückverweise auf Ex 29,18bc (Abschluss der Anweisungen zur Widder-ʽōlā) bzw. auf Ex 29,25c (Abschluss der Anweisungen zur ersten tenūfā beim Einsetzungswidder) zu lesen, in denen die in Ex 29,18bc.25c bereits belegten Stichworte ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘), ‚( אשהFeuergabe‘), ‚( ליהוהfür JHWH‘), aber auch ‚( עולהBrandopfer‘), erneut aufgenommen werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Bezug zwischen Ex 29,18bc und Ex 29,41bc. Ex 29,41 41a 41b 41c 531
ואת הכבש השני תעשה בין הערבים כמנחת הבקר וכנסכה תעשה לה לריח ניחח אשה ליהוה
Ex 29,18
והקטרת את כל האיל המזבחה עלה הוא ליהוה ריח ניחוח אשה ליהוה הוא
Vgl. EBERHARD, Studien, 40–48; HIEKE, Levitikus 1–15, 93–94. Vgl. v.a. EBERHARD, Studien, 361–365. 533 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 94; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 68. 532
18a 18b 18c
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
199
Ex 29,18bc ist – als Abschluss der Anweisungen zur Widder-ʽōlā des Weiherituals – v.a. durch die Klassifikationsformel ‚( עולה הואeine ʽōlā ist es‘) in V.18b geprägt. Dieser kommt gleichsam eine definitorische Funktion zu, insofern sie die vorangehend geschilderte Handlungsfolge unter dem Begriff ‚ʽōlā‘ zusammenführt und auf diese Weise als (sinnvolle und kohärente) Einheit bestimmt. Zudem weist sie Ex 29,15–18 als – in kanonischer Lektüre der Tora – erste Ritualvorschrift für eine ʽōlā aus, die somit gleichsam zur „Standartvorschrift“ für diesen Opfertyp avanciert. Die mit der Klassifikationsformel verbundene Formulierung ‚( ליהוהfür JHWH‘) hingegen unterstreicht ein grundsätzliches Charakteristikum des Kultvollzugs, seine Ausrichtung auf JHWH hin: Die ʽōlā wird „für JHWH“ dargebracht, d.h. ihre eigentliche Intention liegt in der Übereignung (der Gabe) an JHWH, womit zugleich ein kommunikativer bzw. interaktiver Aspekt des Ritualvollzugs anklingt. Im weiteren Textverlauf schließlich ist der Klassifikationsformel (V.18b) auch der Nominalsatz Ex 29,18c nachgebildet, in dem sich – anstelle der Bezeichnung ʽōlā – die beiden oben eingehender besprochenen Stichworte ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘) und ‚( אשהFeuergabe‘) in der Subjektsposition finden, wobei das Nacheinander beider kaum sinnvoll als Konstruktusverbindung zu interpretieren, sondern am Besten als eine asyndetische Reihung miteinander zu korrelierender Schlagworte zu fassen ist. Ebenso wie ʽōlā in V.18b ist dabei auch אשהin V.18c mit der Wendung ליהוהverbunden, was eine Parallelität der beiden Sätze V.18b.c zusätzlich unterstreicht, durch die die beiden Formulierungen ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘) und ‚( אשהFeuergabe‘) zusammen (!) (explizierend) der Opfertyp-Bezeichnung ‚ʽōlā‘ gegenüberstellt werden. Anders als in Ex 29,18 findet sich in Ex 29,42(b.)c–42a ausdrücklich keine Klassifikationsformel; eine solche wäre in diesem Zusammenhang auch kaum sinnvoll, da zuvor ja auch keine Handlungsfolge vorgegeben wird, die abschließend als das Ritual zu einem konkreten Opfertyp bestimmt werden müsste. Über das Stichwort ( עולהvgl. )עלת תמידjedoch weist Ex 29,42a auf die Klassifikationsformel in Ex 29,18b zurück und benennt auf diese Weise nicht nur erstmals in Ex 29,38–46 den konkreten Opfertyp, sondern unterstreicht zudem, dass die Lämmer nach genau dem gleichen Ritual darzubringen sind, wie der „erste Widder“ des Weiherituals, dass also für das Tamid die in Ex 29,15–18 gebotene Ritualanweisung in analoger Weise zur Anwendung zu bringen ist. Auf diese Weise wird nicht nur – gleichsam „nebenbei“ – die in Ex 29,38–42 nicht erörterte Frage nach dem Ritual der Darbringung geklärt, es wird auch eine spezifische Bezeichnung für die in Ex 29,38–41 angeordnete Kulthandlung definiert, die auf deren bestimmende Charakteristika hinweist: Es handelt sich um diejenige ʽōlā (Opfertyp), die sich – im Unterschied zu allen anderen ʽōlōt – durch ihre (kleintaktige) Regelmäßigkeit ( )תמידauszeichnet.
200
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Die bereits zu biblischer Zeit (vgl. Dan 8,11–13; 11,31; 12,11) belegte und auf Ex 29,42a zurückgehende Konvention, das tägliche Ritual schlicht als ‚Tamid‘ zu bezeichnen, geht somit durchaus konform mit dem Anliegen dieses Satzes.
Ex 29,42(b)c schließlich greift auf Ex 29,18c (und auch auf Ex 29,25c) zurück, nimmt von dort die beiden Formulierungen ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘) und ‚( אשהFeuergabe‘) auf. Damit betont der Text, dass das Tamid – ebenso wie die Widder-ʽōlā in Ex 29,15–18 – von seinem grundsätzlichen Anliegen her als ein Übergeben an JHWH (durch das Feuer) zu fassen ist und zudem denselben Zweck wie diese verfolgt bzw. auf dieselben Effekte abzielt. Zuletzt aber deutet die intensive Bezugnahme von Ex 29,41b–42a v.a. auf Ex 29,18bc auf einen engen Zusammenhang zwischen der Widder-ʽōlā des Weiherituals und dem Tamid hin, der nicht nur dadurch gegeben ist, dass jeweils eine ʽōlā dargebracht wird, also der gleiche Opfertyp vorliegt. Wesentlich signifikanter nämlich ist, dass beide Rituale sich auch hinsichtlich Anliegen, Zweck und Wirkabsicht gleichen.534 Diese Beobachtung kann die oben im Zusammenhang mit der Auslegung des Stichworts ליוםin V.38b bereist aufgeworfene Vermutung untermauern, dass das Tamid gleichsam als eine Fortführung der Widder-ʽōlā der Kultinauguration konzipiert ist. Dabei „funktionieren“ die beiden regelmäßig an den „Rändern“ des Tages dargebrachten Lämmer wie ein Äquivalent zum „ersten Widder“, der seinen „Ort“ in der Einmaligkeit des in Ex 29,1–25.36–37 angeordneten Weiherituals findet, während umgekehrt die in seiner Darbringung vollzogene erste Inbetriebnahme des Altars im Brandopfer-Tamid täglich neu aktuiert wird. Die sich damit andeutende Vorstellung, das tägliche Brandopfer sei eine Art „Nachwirken“ des ersten Brandopfers im neu errichteten Heiligtum – und damit ein „Nachwirken“ eines Gründungsgeschehens – kehrt mehrfach und in verschiedener Gestalt in den präskriptiven (und auch in den erzählenden Texten) wieder, die auf der Heiligtumstora aufbauend das Tamid thematisieren (vgl. Lev 6,1–6; Num 28,2–8; Lev 9,17).
III. Raumkonzepte (Ex 29,42) Auf die Klassifizierung des in V.38–41 angeordneten Opfervollzugs als עלת תמיד לדרתיכםin V.42a folgt noch im selben Satz eine Ortsangabe, פתח אהל מועד ‚( לפני יהוהam Eingang des Zelts der Begegnung, vor JHWH‘), die zugleich den Abschluss der deutenden Reflexion auf das Tamid in V.41b–42a markiert und den Anstoß für die in V.43–46 folgenden theologischen „Verortungen“ gibt. Der in Ex 29,42a als Ort des Tamid-Vollzugs genannte „Eingang des Zelts der Begegnung“ ( )פתח אהל מועדwird bereits in Ex 29,(10.)11.23.24.25.26 als Schauplatz nahezu aller Vollzüge des Weiherituals erwähnt, wobei die Orts534
Vgl. ähnlich JÜRGENS, Heiligkeit, 244.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
201
angabe in Ex 29,11 (ebenso wie in Ex 29,42a) mit der Wendung לפני יהוה (‚vor JHWH‘) verbunden ist.535 Letztere erscheint dabei – in Kombination mit der Lokalisierung am Eingang des Zeltes – selbst wie eine Ortsangabe, die den Eingang des Zeltes, d.h. den „Ort“ des Brandopfer-Tamids, mit dem (im Heiligtum gegenwärtig gedachten) Gott – und dessen „Ort“ – korreliert.536 Anders als etwa Ex 29,11 bleibt Ex 29,42 dabei aber nicht stehen. Vielmehr folgen auf V.42a der Relativsatz V.42aR sowie der von diesem abhängige Infinitivsatz V.42aRI, die auf das Stichwort ‚( פתח אהל מועדEingang des Zelts der Begegnung‘) bezogen sind und dieses in den Adverbialen ‚( שמהdorthin‘; V.42aR) bzw. ‚( שםdort‘; V.42aRI) nochmals aufnehmen.537 Auffällig ist, dass Ex 29,42aR–aRI deutlich an Ex 25,22 erinnert: Aussagen, die in Ex 25,22 auf die Lade bzw. den Raum zwischen den Keruben über der Kapporet bezogen sind, werden in Ex 29,42 mit dem Eingang des Zelts verbunden.538 Es scheint also, als werde ein Spezifikum der Lade, das mit dem „Hochheiligen“ im Inneren des Zelts verknüpft ist, auf den Altar bzw. den Eingang – und damit auf die Außenseite des Zelts – „transferiert“.539 Diese markante „Verschiebung“, die sich für eine Interpretation von Ex 29,38–46 als überaus bedeutsam erweist, ist im Folgenden genauer zu analysieren. Dazu kann es hilfreich sein, Konzepte zu Raum und raumschaffendem Handeln mit einzubeziehen, die in aktuellen Debatten im Bereich der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften diskutiert werden. 1. Vorüberlegungen: Was ist ‚Raum‘? a) Der spatial turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften Einer der großen Trends der letzten Jahrzehnte in den Kultur- und Sozialwissenschaften, der praktisch alle (Teil-)Disziplinen ergreift, ist ein neu gewecktes Interesse an Raum und Räumlichkeit. Die Bedeutung von ‚Raum‘ bzw. Räumen für die Beschreibung menschlicher Wirklichkeit und menschlichen Handelns wird in gesteigerter Form wahrgenommen und analysiert, verbunden mit einer bunten Vielfalt von theoretischen Ansätzen, ‚Raum‘ bzw. raumbezogenes und raumschaffendes Handeln sowie das Wahrnehmen von ‚Raum‘, Räumen und Räumlichkeit zu beschreiben und zu deuten. Dieser „Trend“ firmiert seit dem Ende der 1990-iger Jahre unter dem Schlagwort des spatial turn.
535
Vgl. GÖRG, Zelt, 45. Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 306–307. 537 Vgl. JANOWSKI, Sühne, 325 (Anm. 285); ähnlich STRUPPE, Herrlichkeit, 33; OWCZAREK, Wohnen, 85. 538 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 273; FISCHER/MARKL, Exodus, 307; JANOWSKI, Sühne, 325; NIHAN, Priestly Torah, 37. 539 Vgl. ähnlich JACOB, Exodus, 881. 536
202
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Daneben ist bisweilen auch von einem topographical, topological oder geographical turn die Rede, wobei sich hinter diesen Begriffen jeweils fachspezifische Ausprägungen und Ausdifferenzierungen für Kultur-, Literatur- oder Medienwissenschaften verbergen, die allerdings weniger auf sachliche, konzeptionelle Unterschiede zurückgehen, sondern eher auf spezifische Schwerpunktsetzungen und Fragestellungen, aber auch auf spezielle Wissenschaftstraditionen einzelner Disziplinen, sowie auf das Bedürfnis nach interdisziplinärer Abgrenzung und dem Schärfen eigener Profile.540 Für die hier relevante Themenstellung aber kann es genügen, bei der Rede vom spatial turn zu bleiben.
Der Begriff des spatial turn selbst wurde von dem amerikanischen Humangeographen EDWARD SOJA eingeführt (und auch propagiert). Er findet sich erstmals – noch eher beiläufig – in SOJAS Monographie „Postmodern Geographies“ (1989), wo er dazu dient, eine Entwicklung im Denken von MICHEL FOUCAULT zu beschreiben, bei dem SOJA ein zunehmendes Interesse am Raum zu erkennen glaubt und somit meint, einen spatial turn diagnostizieren zu können541 – wenngleich dieser auch unter „brilliant whirls of historical insight“542 verschüttet („buried“) sei. Nur sieben Jahre (1996) später erklärt SOJA in seinem Werk „Thirdspace. Journeys to Los Angeles and other Real-and-Imagined Places“ den spatial turn zu einer „der wichtigsten intellektuellen wie politischen Entdeckungen des späten 20. Jahrhunderts“543, da er einem Ungleichgewicht in den sozialwissenschaftlichen Diskursen entgegenwirke, das in der Vernachlässigung des Raums gegenüber der Zeit bzw. der Geographie – SOJAS eigener Disziplin – gegenüber der Historiographie gründe. Das Anliegen ist somit die Korrektur eines von SOJA stark zugespitzten Gegensatzes zwischen Geschichte und Zeit auf der einen Seite – gemeinhin assoziiert mit Dynamik, Lebendigkeit und Fortschritt – und dem Raum auf der anderen Seite, der nur als Inbegriff des Starren, „bloß“ Vorgegebenen wahrgenommen werde.544 Mit diesem Anliegen eines Schieflagen korrigierenden Paradigmenwechsels ist eine klare Option für eine von zwei grundlegenden Sichtweisen auf den Raum verbunden, deren Gegeneinander praktisch die gesamte Wissenschafts- und Geistesgeschichte hindurch greifbar ist und in den aktuellen Raumtheorien – in Anlehnung an C. F. VON WEIZSÄCKER545 – unter dem Antagonismus „absolutistisches vs. relativistisches Raumkonzept“ verhandelt wird.546
540
Vgl. dazu genauer: WAGNER, Topographical Turn, 100–103; GÜNZEL, Spatial Turn. Vgl. SOJA, Postmodern, 16(–21). Vgl. auch DÖRING, Spatial Turn, 90. 542 SOJA, Postmodern, 16. 543 SOJA, Thirdspace, 340. 544 Vgl. SOJA, Postmodern, 4; DÖRING, Spatial Turn, 90–91. 545 Vgl. VON WEIZSÄCKER, Aufbau, 256ff. 546 Vgl. ausführlich z.B. LÖW, Raumsoziologie, 24–35. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 78–87; DÖHRING, Spatial Turn, 91. 541
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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Dabei schreibt SOJA die von ihm diagnostizierte Schieflage dem Vorherrschen eines absolutistischen Konzepts zu, das den Raum primär als Behälter bzw. „Container“ begreift, der im Wesentlichen durch seine Homogenität und Invariabilität gekennzeichnet sowie durch eine überschaubare Zahl an Kenngrößen – vornehmlich seine quantifizierbare Ausdehnung in den drei Raumdimensionen und das daraus errechenbare Volumen – (mathematisch) eindeutig beschreibbar ist.547 Dieser absolutistische Raum existiert de facto unabhängig von dem sich in ihm befindlichen Gegenständen bzw. den in ihm ablaufenden Prozessen, da eine Interaktion mit diesen nur insofern gegeben ist, als der Raum – von endlichem Volumen – eingrenzt und gegebenenfalls auch „voll“ wird. Die damit einhergehende klare Scheidung zwischen dem Raum als „autonom“ existierendem „Rahmen“ und den in ihm platzierten Gegenständen aber hat zur Folge, dass der Raum selbst in jeder Hinsicht hinter dem in ihm Befindlichen zurücktritt und bestenfalls von nachgeordnetem Interesse ist.548 Gegen dieses Raumkonzept stellt SOJA nun als Alternative ein relativistisches Modell, das seiner Auffassung nach das Phänomen ‚Raum‘ wesentlich treffender zu beschreiben vermag und das er vor allem aus seiner Rezeption (und Interpretation) der Monographie „La Production de L’Espace“ von HENRI LEVEBFRE entwickelt. LEFEBVRE, Soziologe an der Universität Paris-Nanterre und Anhänger einer neomarxistischen Denkschule, stellt in „La Production de L’Espace“ (1974) die sozialen Funktionen und Dimensionen der Stadt ins Zentrum seines Nachdenkens, gewinnt also zunächst einen urbanistischen Zugang zum Thema ‚Raum‘.549 Seine zentrale These ist, dass der soziale Raum – also z.B. die Stadt – als soziales Produkt zu begreifen ist. Damit ist Raum nichts Eigenständiges, das unabhängig von dem sich in ihm befindlichen Gegenständen existieren kann, sondern vielmehr eine Größe, die in einer vieldimensionalen (sozialen) (Alltags-)Praxis generiert (und dabei auch immer wieder modifiziert) wird.550 Raum ist Folge einer Praxis, die LEVEBFRE zufolge drei ineinandergreifende Dimensionen besitzt. Diese können separat beschrieben werden, vollziehen sich letztlich aber stets nebeneinander (und gleichberechtigt) im Zuge einer „production de l’espace“.551 Als Grundlage und Möglichkeitsbedingung jedes raumschaffenden Handelns setzt LEFEBVRE einen nicht genauer beschreibbaren espace nature (‚Na547
Klassische Beispiele für „absoulte Räume“ (aus dem Bereich der Mathematik und Physik) sind damit die homogenen Räume der euklidischen Geometrie oder der Newton’schen Mechanik. 548 Vgl. SOJA, Postmodern, 4. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 79; SCHROER, Räume, 21. 549 Vgl. DÖHRING, Spatial Turn, 91–92; GEORGE, Tabernacle, 20. 550 Vgl. LEFEBVRE, Production, 13–14; 26; 35. Vgl. auch DÖHRING, Spatial Turn, 91– 92; GEORGE, Tabernacle, 20–21. 551 Vgl. GEIGER, Gottesräume, 33.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
turraum‘) voraus, in dem eine practique spatiale (‚räumliche / raumbezogene / raumschaffende Praxis‘)552 zunächst einen espace perçu, einen ‚[sinnenhaft] wahrnehmbaren‘, benutz- und erlebbaren Raum generiert.553 Neben diesen tritt der espace conçu, der ‚konzeptionierte Raum‘, der durch représentations de l’espace bestimmt ist, d.h. durch Pläne, Konzepte oder Modelle des Raums, in denen sich „Expertenwissen“ über den Raum manifestiert und die ihrerseits auf die Strukturierung und Wahrnehmung des Raums zurückwirken, zugleich aber auch als autoritative Vorgabe das Handeln im Raum beeinflussen und prägen können.554 Als eine Art „Gegengewicht“ zum espace conçu fungiert zuletzt der espace veçu, der ‚gelebte Raum‘. Unter diesem Schlagwort subsumiert LEFEBVRE ein raumschaffendes Handeln der Bewohner des (Stadt-)Raumes, die den Raum „besiedeln“ und erleben, subjektive Deutungen zu ihm finden bzw. subjektive Konzepte von ihm entwerfen und im Sinne dieser Konzepte auf ihn Einfluss nehmen (bzw. dies zumindest versuchen). So kann der espace veçu auch alternative, widerständige Raumvorstellungen mit einschließen, die die Konzepte des espace conçu unterlaufen und er kann zur Grundlage eines symbolischen Gebrauchs der Objekte im Raum werden, die letzteren zu einem „Sinn-haltigen“ Gebilde machen.555 Wesentlich für alle drei Dimensionen ist dabei das Handeln: Für LEFEBVRE ist Raum das Produkt sozialer Prozesse, in denen materiell-herstellendes Handeln ebenso seinen Platz hat, wie rezeptives, analytisches und planendes Handeln – auch mentale Vollzüge konstituieren also Räume (mit). SOJA übersetzt nun die drei Dimensionen LEFEBVRES in seiner „Exegese“ von „La Production de L’Espace“ in seinem Werk „Thirdspace“ in die Triade firstspace (espace perçu), secondspace (espace conçu) und thirdspace (espace veçu), die nun aber – anders als bei LEFEBVRE – nicht länger als gleichwertige Aspekte nebeneinander stehen. So misst SOJA dem thirdspace, nach dem er auch sein maßgebliches Werk benennt, das größte Gewicht zu, wenn er unter firstspace v.a. den materiellen Raum versteht, den secondspace – als dessen Gegenpol – mit mentalen Konzepten von Raum verbindet, die durch herrschende Machtverhältnisse bestimmt sind und schließlich den thirdspace als Raum des Widerstands gegen vorgegebene Raumkonzepte beschreibt, der durch eine radikale Offenheit und Vielgestaltigkeit bestimmt ist.556 552
Vgl. dazu LEFEBVRE, Production, 42–48. Vgl. LEFEBVRE, Production, 42–48. Vgl. auch DÖHRING, Spatial Turn, 92; GEIGER, Gottesräume, 33. 554 Vgl. LEFEBVRE, Production, 43; 48–49; Vgl. auch DÖHRING, Spatial Turn, 92; GEIGER, Gottesräume, 33. 555 LEFEBVRE, Production, 42; 49. Vgl. auch DÖHRING, Spatial Turn, 92; GEIGER, Gottesräume, 33; GEORGE, Tabernacle, 27–31. 556 Zu einer Kritik dieser Exegese von LEFEBVRES „Production de l’espace“ vgl. DÖHRING, Spatial Turn, 92. Vgl. auch GEIGER, Gottesräume, 33. 553
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass die relativistischen Raumkonzepte des spacial turn „Raum“ in erster Linie als Produkt sozialen Handelns bzw. sozialer Prozesse begreifen. Damit sind Räume nichts Statisches und „Vorgegebenes“, sondern bedingte, relationale Größen, die durch das Platzieren und Zueinander-in-Beziehung-Setzen von Gegenständen (und Personen), d.h. durch ein raumbezogenes bzw. raumschaffendes Handeln in sozialen Prozessen generiert werden. In dem zuletzt genannten Punkt ist dabei insofern eine Reziprozität gegeben, als Räume einerseits in sozialen Prozessen „erzeugt“ werden, andererseits aber selbst wieder auf diejenigen sozialen (raum-generierenden) Handlungen zurückwirken, die sich in ihnen ereignen.557 Zugleich ist ‚Raum‘ nicht in erster Linie das (mathematisch bestimmbare) Volumen oder der „äußere Rahmen“ im Sinne eines Containers oder einer Bühne. Vielmehr stellt der spatial turn neben die physisch-materielle Seite stets das mentale Konzept von Raum, wobei auch hier wieder ein reziprokes Verhältnis beider Größen gegeben ist: Vorstellungen und Ideen von Raum wirken über das menschliche Handeln auf die Gestaltung von Räumen, während umgekehrt vorgefundene (oder mitgestaltete) Räume, die dem Betrachter zunächst einmal in ihrer physischen Gestalt gegenübertreten, zu „lesen“ sind, also analysiert und interpretiert werden.558 Dass dabei durchaus auch unterschiedliche und konkurrierende „répresentations de l’espace“ desselben Raums bzw. derselben Konfiguration von Gegenständen und Personen möglich (oder sogar die Regel) sind, deutet z.B. das Nebeneinander von espace conçu und espace veçu bei LEFEBVRE an, mit dem dieser die Raumvorstellungen der Kartographen und Stadtplaner (espace conçu) dem „gelebten Raum“ (espace veçu) der Stadtbewohner entgegenstellt, die die vorgefundene Gestalt der Stadt „be-leben“ und dabei mit ihren eigenen Sinnpotenzialen füllen.559 Erweist sich nun aber das (interpretierende) Wahrnehmen von Raum als ein zentraler Aspekt raumschaffenden / raumbezogenen Handelns, so setzt der spatial turn an die Stelle der Homogenität des absoluten Raums eine charakteristische Heterogenität. Wahrnehmen nämlich impliziert unausweichlich Beobachterperspektiven, aus denen heraus sich zwangsläufig Polarisierungen und Fokussierungen ergeben. Diese wiederum verleihen dem Raum „Richtungen“, sie setzen Schwerpunkte und strukturieren ihn entlang von Dichotomien, wie z.B. ‚Zentrum vs. Rand / Peripherie‘, ‚innen vs. außen‘, …
557
Vgl. BALLHORN, Israel, 80–84; LÖW, Raumsoziologie, 130–132. Vgl. z.B. LÖW, Raumsoziologie, 272–273 559 Vgl. LEFEBVRE, Production, 25–26. Vgl. auch DÖHRING, Spatial Turn, 92–93; GEORGE, Tabernacle, 20–21. 558
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Wie bereits angesprochen, hat SOJA mit seinem in „Thirdspace“ proklamierten spatial turn insofern sein Ziel erreicht, eine Neubewertung des Raums herbeizuführen, als in den zurückliegenden Jahrzehnten in den Sozialund Kulturwissenschaften – mit je fachspezifischen Schwerpunktsetzungen und Ausprägungen560 – ‚Raum‘ zu einem der vielfach diskutierten Themen geworden ist. In der Rückschau aber wird deutlich, dass das („neue“) Interesse am Raum in Wirklichkeit nicht so neu ist, wie es bei einer Lektüre von SOJA zunächst erscheinen mag, denn immerhin setzt sich SOJA selbst in seinen maßgeblichen Schriften mit LEFEBVRE und FOUCAULT auseinander, die damit gleichsam zu Raumtheoretikern „vor der Zeit“ werden.561 Auch in der Exegese (v.a. im Bereich des Alten Testaments) haben diverse sozialwissenschaftliche Raumkonzepte eine fruchtbare und weiterführende Rezeption erfahren. Ein – auch für den Zusammenhang dieser Studie – wichtiges Beispiel ist dabei die Monographie „Israel‘s Tabernacle as Social Space“ von MARK GEORGE, in der dieser auf LEFEBVRES „Production de l’espace“ als raumtheoretische Grundlage zurückgreift. Dies ist im angelsächsischen Raum insofern bemerkenswert, als LEFEBVRE dort in den Sozialund Kulturwissenschaften vor allem in der (in einigen Punkten deutlich zuspitzenden562) Lesart von SOJA (Thirdspace) rezipiert wird.563 GEORGE jedoch greift SOJA nur am Rande auf und findet stattdessen einen sehr eigenständigen Zugang zu LEFEBVRE und zu dessen Unterscheidung zwischen drei „Dimensionen“ von Raum, den er für die Analyse der Heiligtumstexte der Tora (v.a. Ex 25–31; 35–40) fruchtbar macht. LEFEBVRES espace perçu nimmt GEORGE unter der Überschrift „Tabernacle spatial praxis“564 auf. In dem dazugehörigen Kapitel nimmt er die Herstellung des Wüstenheiligtums sowie dessen Machart eingehender in den Blick und deutet dieses als einen – in der Textwelt im Auf- und Abbauen reproduzierbaren – sozialen Raum, der aus mannigfaltigen sozialen Prozessen hervorgeht und umgekehrt auf Israels Welt- und Raumerfahrung zurückwirkt. Der espace conçu LEFEBVRES wird bei GEORGE zum conceptual space565, den er als „society’s mental – rather than material – space and practice“566 definiert. Der Fokus liegt in diesem Zusammenhang auf der sozialen Struktur Israels, die durch die ‚( עדהGemeinde‘) einerseits und Abstammung bzw. Erbfolge andererseits bestimmt ist und sich in den Strukturen und Ordnungen des Heiligtums abbildet. Zuletzt zu LEFEBVRES espace veçu: Dieser wird bei 560
Vgl. dazu z.B. den breit angelegten interdisziplinären Überblick bei GÜNZEL, S. (Hg.), Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010. 561 Vgl. DÖHRING, Spatial Turn, 94. 562 Vgl. DÖHRING, Spatial Turn, 91–93. 563 Vgl. DÖHRING, Spatial Turn, 92–93. 564 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 45–87. 565 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 89–135. 566 GEORGE, Tabernacle, 89.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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GEORGE zu einem symbolic space567, in dem sich in erster Linie die Relevanz des Raumes für die Gemeinschaft Israels niederschlägt. Zentral ist dabei die Reproduzierbarkeit des Raumes, die im Text v.a. durch die vielfach betonte Transportierbarkeit des Heiligtums bedingt ist, die (in der Textwelt!) Ortswechsel – verbunden mit Ab- und Neuaufbau – ermöglicht.568 Diese in der Textwelt gegebene Dimension verbindet GEORGE mit einer Funktion des Textes selbst, der ihm zufolge auch als Grundlage für eine stete (mentale) Reproduktion des Heiligtums als Überlebensraum Israels durch die Lesenden im Lektüreprozess fungiert.569 Weitere Beispiele für Beiträge im Bereich der Exegese, in denen raumtheoretische Überlegungen rezipieren werden, sind die Monographien von E. BALLHORN (Israel am Jordan. Narrative Topographie im Buch Josua)570, U. BAIL („Die verzogene Sehnsucht hinkt an ihren Ort.“ Literarische Überlebensstrategien nach der Zerstörung Jerusalems im Alten Testament)571 oder M. GEIGER (Gottesräume. Die literarische und theologische Konzeption von Raum im Deuteronomium).572
Anders als z.B. GEORGE verfolgt die vorliegende Studie nicht das Ziel, Raumkonzepte des (gesamten) Heiligtums nachzuzeichnen. Vielmehr soll einer wesentlich begrenzteren Fragestellung nachgegangen werden, da es vorrangig darum geht, diejenigen „Verschiebungen“ von Raumkonzepten zu beschreiben und zu interpretieren, die sich aus der Aufnahme von Ex 25,22 in Ex 29,42 ergeben, wenn ein Spezifikum der Lade bzw. des Raums zwischen den Keruben über der Kapporet für den Eingang des Zelts der Begegnung in Anschlag gebracht wird. Es geht also um Orte, Räume oder Konzepte von Räumen, die sich – so scheint es – im Heiligtum „bewegen“ können. Um dies adäquat beschreiben zu können, sollen als Reflexionsgrundlage zwei Ansätze aus der Vielzahl von Raumkonzeptionen herangezogen werden, die beide – aufgrund ihrer Anschlussfähigkeit an biblische Texte und die mit diesen verbundenen Fragestellungen – auch schon in anderen exegetischen Studien rezipiert wurden. An erster Stelle ist dies die „Raumsoziologie“ von MARTINA LÖW, mit deren Hilfe die „Bedeutungsverschiebung“ im Raumkonzept des „Eingangs des Zelts der Begegnung“ gut greifbar gemacht werden kann. Ergänzend dazu aber wird, um die Funktion von Grenzen – also z.B. des Vorhangs, der den Eingang zum Zelt markiert, oder auch der Parochet – genauer fassen zu können, auf GEORG SIMMEL und dessen Nachdenken über 567
Vgl. GEORGE, Tabernacle, 137–190. GEORGE, Tabernacle, 75–79. 569 Vgl. v.a. GEORGE, Tabernacle, 191–194. 570 BALLHORN greift v.a. auf M. FOUCAULT und G. SIMMEL zurück. Vgl. BALLHORN, Israel, 111–136. 571 BAIL wählt für ihren interessant–eigenwilligen Ansatz v.a. das Third–Space– Konzept von E. SOJA als Ausgangspunkt. 572 GEIGER beruft sich – ähnlich wie die folgenden Ausführungen – maßgeblich auf die „Raumsoziologie“ von M. LÖW. 568
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
den Raum zurückgegriffen. Zuerst aber ist das Konzept von LÖW näher vorzustellen. b) Die „Raumsoziologie“ von Martina Löw MARTINA LÖW nähert sich dem Thema ‚Raum‘ – wie bereits der Titel ihres Hauptwerks „Raumsoziologie“ erkennen lässt – aus der Warte der Soziologie und verficht dabei einen relationalen Raumbegriff, der – ähnlich wie der von LEFEBVRE und SOJA – handlungstheoretisch angelegt ist. So richtet sich ihre zentrale Fragestellung auf die Konstitution von Raum im gesellschaftlichen Handeln sowie auf die damit verbundenen Implikationen und Voraussetzungen. LÖW definiert Raum grundlegend als „eine relationale (An)Ordnung sozialer Güter und Menschen (Lebewesen) an Orten.“573 Entscheidend ist somit zunächst das „(An)Ordnen“, in dem für Löw zwei Aspekte zusammenfallen, die sie in der durchgehend gewählten Schreibweise „(An)Ordnen“ ausgedrückt wissen will: (1.) Zunächst ist das „Ordnen“ bzw. „Ordnung“ entscheidend: Raum ist eine „Ordnung“, eine Konfiguration von sozialen Gütern und / oder Menschen (Lebewesen). Darin impliziert ist, dass zum Raum eine materiell greifbare Dimension (Gegenstände, Lebewesen) ebenso gehört, wie eine relationale (Zuordnung der Güter / Lebewesen).574 (2.) In gleicher Weise ist Raum aber auch eine „An-Ordnung“ womit LÖW v.a. einen Handlungsaspekt betont wissen will: Raum entsteht im (menschlichen) Handeln, das die bereits angesprochene Konfiguration generiert und / oder konzeptionell erfasst.575 Um das als „(An)Ordnen“ verstandene raumschaffende Handeln genauer beschreiben zu können, unterscheidet LÖW zwischen zwei eng verschränkten, analytisch aber zu differenzierenden Vorgängen, dem spacing und der Syntheseleistung. Unter spacing versteht sie das Platzieren (oder Sich-selbstPlatzieren) von sozialen Gütern und / oder Menschen (Lebewesen). „Soziale Güter“ werden in diesem Zusammenhang – mit KREKEL – als „Produkte gegenwärtigen und vor allem vergangenen materiellen und symbolischen Handelns“576 verstanden. Ihnen ist somit stets eine materielle und eine symbolische Dimension zu Eigen, wobei einmal stärker die eine, einmal stärker die andere Facette in den Vordergrund tritt.577 Als Beispiele für (primär) materi573
LÖW, Raumsoziologie, 224. Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 131–132; 224. 575 Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 131–132; 224–226. 576 KREKEL, Soziologisches Denken, 77. Vgl. auch LÖW, Raumsoziologie, 153. 577 Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 153. 574
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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elle Güter nennt LÖW „Tische, Stühle oder Häuser“578, während „Lieder, Werte oder Vorschriften“579 (primär) symbolische Güter sind. Gänzlich trennen lassen sich beide Dimensionen jedoch nicht, da (primär) materiellen Gütern (im Umgang mit ihnen) stets auch eine spezifische Bedeutung zugesprochen wird, die ihnen unumgehbar (auch) eine symbolische Valenz verleiht, während sich umgekehrt symbolische Güter in Gegenständen und sozialen Räumen manifestieren und darin auch eine materielle Seite gewinnen können. An dieser Stelle ist anzumerken, dass soziale Güter im soziologischen Zugang von LÖW überhaupt erst dann adäquat beschreibbar werden, wenn ihnen in irgendeiner Weise auch materielle Gestalt zu Eigen ist und dass – ebenfalls bedingt durch Fragestellung und Ansatz ihrer Untersuchungen – der Schwerpunkt auf den (primär) materiellen Gütern liegt. Bei einer Anwendung ihrer Konzeption auf die in Ex 25–31 entworfenen „Texträume“ aber, in denen der symbolischen Dimension der platzierten Güter ein wesentlich größeres Gewicht zukommt, als ihrer materiellen – letztere ist de facto nicht gegeben –, wird eine etwas andere Schwerpunktsetzung vorzunehmen sein.
Spacing bedeutet somit, dass soziale Güter – primär materiell oder primär symbolisch – und / oder Lebewesen in eine bestimmte Relation / Anordnung gebracht werden. Dies kann sich – im „Extremfall“ – auch in einem Platzieren von Informationen oder (primär symbolischen) Verweisen realisieren, denen in LÖWS Konzept aber zumindest ein Minimum an „Materialität“ innewohnen muss.580 So sich ein spacing aber in einem „Sich-GegenüberTreten“ von Personen ereignet – ist nicht nur ihre (geometrisch fassbare) Lagerelation für die Raumkonstitution entscheidend. Hinzu kommt auch ein breites Repertoire menschlicher Ausdrucksformen, wie Körperhaltung, Gestik / Mimik oder Kleidung, die das spacing determinieren, wobei hier auf markante Weise erneut eine symbolische Dimension (in materiell-körperlichem Ausdruck) gegeben ist. Untrennbar mit dem spacing ist schließlich die Syntheseleistung verbunden: „Über Vorstellungs-, Wahrnehmungs- und Erinnerungsprozesse werden soziale Güter und Lebewesen zu Räumen zusammengefasst.“581 Erst in diesen mentalen Vollzügen wird also eine Konfiguration von Gütern / Lebewesen faktisch zum Raum. Für das Verstehen, Deuten und Zusammenfassen von Anordnungen spielen dabei v.a. die symbolischen Dimensionen der sozialen Güter und die in der Platzierung zum Ausdruck kommenden Relationen eine entscheidende Rolle, so dass „Raum als eine an materiellen Sachverhalten festgeschriebene Figuration“582 bestimmt werden kann. 578
LÖW, Raumsoziologie, 153. LÖW, Raumsoziologie, 153. 580 Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 225. 581 LÖW, Raumsoziologie, 225. 582 LÖW, Raumsoziologie, 205. 579
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
LÖW betont dabei eine wechselseitige Verwiesenheit von spacing und Syntheseleistung; das eine folgt dem anderen: So werden vorgefundene Konfigurationen von Gütern / Personen ebenso als Raum interpretiert, wie sich umgekehrt ein Raumkonzept, d.h. eine Syntheseleistung, im platzierenden Handeln „materialisieren“ kann. Faktisch aber ist (raumbezogenes) Handeln stets ein dynamisches Ineinandergreifen beider Vollzüge.583 Ausführlich reflektiert werden bei LÖW Abhängigkeiten und Vorprägungen, die Vollzug und Ergebnis des spacings ebenso wie die Syntheseleistung mitbestimmen. So ist das spacing abhängig von den herrschenden (natürlichen wie sozialen) Gegebenheiten und den vorhandenen Ressourcen – oder einfacher formuliert: Man kann nur platzieren, was auch vorhanden und verfügbar ist. In gleicher Weise ist das spacing – v.a. dasjenige, für das sich LÖW in erster Linie interessiert – durch soziale Prozesse und Dynamiken bedingt. Es vollzieht sich somit nicht beliebig und „eigenmächtig“, sondern wird zwischen den agierenden Subjekten verhandelt. Insofern sind Räume stets auch Ausdruck und Widerspiegelung herrschender Machtverhältnisse und sozialer Hierarchien. Synthesen hingegen sind durch herrschende Vorstellungsmuster, verfestigte Raumkonzepte, tradierte Konventionen oder schlicht Gewohnheiten vorgeprägt – in Abwandlung eines geflügelten Wortes: Man synthetisiert nur, was man kennt.584 Eng damit verbunden ist schließlich auch ein weiterer Schwerpunkt der „Raumsoziologie“ LÖWS, das Interesse an institutionalisierten Räumen. So geht sie davon aus, dass raumbezogenes Handeln – wie menschliches Handeln generell – repetitiv ist: Menschen greifen auf ein begrenztes Repertoire vorgeprägter, gewohnheitsmäßiger und bewährter Handlungsmuster zurück, um alltägliche Situationen zu meistern. Sind solche Handlungsmuster verallgemeinerbar, spricht LÖW von institutionalisierten Vollzügen bzw. mit Blick auf das für sie interessante raumschaffende Handeln von institutionalisierten (An)Ordnungen: „Diese institutionalisierten (An)Ordnungen [werden] im Handeln reproduziert“585 – ein Vorgang, den LÖW mit GIDDENS586 als ‚Routinen‘ bezeichnet. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen „sowohl gesellschaftliche Institutionen reproduziert, als auch das eigene Handeln habitualisiert“587 wird. Institutionen sind also dann gegeben, „wenn (An)Ordnungen über individuelles Handeln hinaus wirksam bleiben und genormte Syntheseleistungen und spacings nach sich ziehen“.588 Am Begriff der ‚Institution‘ wiederum hängt das Konzept der „räumlichen Strukturen“, das – wie das der Institution – anhand von GIDDENS entwickelt 583
Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 161–163; 225–226. Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 163–166; 226. 585 LÖW, Raumsoziologie, 163. 586 Vgl. GIDDENS, Konstitution, 111–116. Vgl. auch LÖW, Raumsoziologie, 163. 587 LÖW, Raumsoziologie, 163. 588 LÖW, Raumsoziologie, 272. 584
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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wird: „Strukturen [sind] als Regeln und Ressourcen589 zu fassen, die rekursiv in Institutionen eingelagert sind.“590 Räumliche Strukturen sind somit die Grundlage für eine wiederholbare Konstitution von Räumen entlang der in den Institutionen eingelagerten Regeln und Ressourcen. Im Kontext einer Untersuchung zum Tamid kann dies insofern interessant sein, als auch Kultvollzüge im Heiligtum als „räumliche Strukturen“ interpretiert werden können: Sie sind rekursiv in der Kulttora bzw. den Anweisungen JHWHs verankert, die bestimmte (je nach Situation wiederholbare) Handlungsabläufe normieren, in deren Vollzug ein bestimmtes spacing realisiert wird, dessen Syntheseleistung ebenfalls aus den entsprechenden Vorschriften der Tora zu entwickeln ist.
Das letzte wesentliche Element der eingangs zitierten Definition von Raum – „Raum ist eine relationale (An)Ordnung sozialer Güter und Menschen (Lebewesen) an Orten“591 – ist schließlich das Stichwort ‚Ort‘. LÖW betont die Unterscheidung von Raum und Ort obwohl – oder gerade weil – beides untrennbar zusammen gehört. ‚Ort‘ ist dabei eine sehr konkret gedachte Größe, ein benennbarer Platz, der geographisch genau beschreibbar ist592 und den LÖW, als „Ziel und Resultat der Platzierung“593 definiert. Daraus folgt nun insofern eine wechselseitige Abhängigkeit von Ort und Raum, als raumschaffendes Handeln einerseits stets Orte voraussetzt (spacing funktioniert nur, wenn soziale Güter und / oder Lebewesen an einem konkreten Ort platziert werden können), andererseits jedoch bringen Platzierungen ihrerseits Orte hervor.594 Allerdings können Orte aber auch losgelöst vom Raum bzw. dem Platzierten existieren, z.B. indem sie symbolisch erhalten bleiben und auf andere Platzierungen nachwirken, die auf diesen Ort gelegt werden.595 Als Beispiel hierfür dient LÖW der Satz „an dieser Stelle stand die Berliner Mauer“596, mit dem ein materiell nicht mehr existenter Ort gleichsam über die aktuelle Raumgestaltung gelegt wird und deren symbolischen Gehalt mit beeinflusst.
Ebenso können mit einem Ort mehrere Raumkonzepte verbunden sein, die sich überlagern, in Konkurrenz zueinander treten oder sich in zeitlicher Abfolge ablösen. Mit Blick auf den Zusammenhang von Orten und Syntheseleistung aber differenziert LÖW zwischen „drei Formen der Synthese […], das Synthetisie589 Ressourcen sind nach GIDDENS in materielle und autoritative bzw. symbolische Resourcen zu differenzieren. 590 LÖW, Raumsoziologie, 167. Vgl. dazu GIDDENS, Konstitution, 67. 591 LÖW, Raumsoziologie, 224. 592 Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 199. 593 LÖW, Raumsoziologie, 198 (siehe auch 203). 594 Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 198–203. 595 Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 202. 596 LÖW, Raumsoziologie, 202.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
ren in der Wahrnehmung, das in der Erinnerung und jenes in der abstrahierenden Vorstellung“597. Nur Letzteres entwickelt dabei theoretische und auch utopische Raumkonzepte, die (noch) keinen Ort haben bzw. denen generell kein Ortsbezug eignet. Die beiden anderen Formen jedoch, die Synthese in der Wahrnehmung und in der Erinnerung, sind explizit ortsgebunden, da in der Wahrnehmung der Ort selbst als Teil des spacings begriffen wird und zunächst nicht von den an ihm platzierten Gütern und Lebewesen zu trennen ist. Aber auch Erinnerungen sind an Orte geknüpft, da Synthesen eines platzierenden Handelns stets zusammen mit den Orten dieses Handelns erinnert werden, was so weit gehen kann, dass der Ort selbst zum zentralen Haftpunkt der Erinnerung wird.598 c) Georg Simmel GEORG SIMMEL – als Wissenschaftler wie MARTINA LÖW in der Soziologie beheimatet – könnte als Raumtheoretiker „vor der Zeit“ (1903) bezeichnet werden, dessen Überlegungen erst mit dem spatial turn und dem damit einhergehenden verstärkten Interesse an Raum gleichsam „wiederentdeckt wurden“:599 Auch er vertritt – für seine Zeit eher ungewöhnlich – einen relationalen Raumbegriff, wobei er die zentrale Funktion des Raums – dem Konzept von LÖW nicht unähnlich – im Generieren von (sozialen) Ordnung(en) erkennt. Diese Ordnungen verbindet SIMMEL in erster Linie mit (räumlichen) Grenzen,600 denen auch sein Hauptaugenmerk gilt. SIMMEL geht davon aus, dass räumlich verankerte Ordnungen und Grenzen objektiv nicht (absolut) vorgegeben, sondern im Wesentlichen als subjektive oder in sozialen Prozessen gesetzte Größen zu verstehen sind.601 „Die Grenze ist nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt.“602 Dies gilt selbst dann, wenn die Grenze an natürlichen Vorgaben angelegt ist – vgl. der Wald begrenzt die Wiese –, da es stets die menschliche Zuschreibung ist, die eine vorgefundene Gegebenheit (z.B. den Wechsel von Geländeformen und Vegetation) als Übergang zwischen Räumen verschiedener Bedeutung interpretiert und damit als ‚Grenze‘ wahrnimmt. Mit Grenzen verbindet sich eine Vielzahl von Funktionen: So sind sie u.a. relevant für die von ihnen umschlossenen Räume, die von ihren Grenzen her
597
LÖW, Raumsoziologie, 199. Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 198–203. 599 Vgl. DÖHRING, Spatial Turn, 94. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 112. 600 Vgl. DÖHRING, Spatial Turn, 94. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 112. 601 Vgl. SIMMEL, Soziologie, 226–227. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 112–113; 116– 118; KAJETZKE/ SCHROER, Sozialer Raum, 193–194. 602 SIMMEL, Soziologie, 229. 598
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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definiert werden.603 Grenzen markieren Zugehörigkeiten und bestimmen Geltungsbereiche von Normen, wobei eine absolute Homogenisierung des Innenraums durch die Grenzen nach SIMMEL ein in der Realität nicht einholbares Ideal darstellt.604 Als Beispiel nennt SIMMEL hier den – praktisch kaum einlösbaren – Anspruch des neuzeitlichen Territorial- und Nationalstaats mit seiner territorialen Ausschließlichkeitsvorstellung. Diese manifestiert sich im Anspruch auf ein klar definiertes Territorium, über das der Staat die uneingeschränkte Souveränität postuliert und damit zugleich (möglicherweise konkurrierende) Ansprüche angrenzender Staaten (absolut) abrogiert.605 Diesem Konzept, dem zufolge ein bestimmtes – eingegrenztes – Gebiet jeweils nur von einem Objekt (total) beherrscht werden kann, stellt SIMMEL die Vorstellung von sich überlagernden Zuständigkeiten über ein- und dasselbe Gebiet entgegen, die er am Beispiel der Stadt illustriert. Diese kennt innerhalb ihrer Grenzen konkurrierende und / oder komplementäre Zuständigkeiten und Zugehörigkeiten, die einander auf dem selben Raum überlagern.606 Zudem wirkt die Stadt – ohne klar definierte Grenze – in ihr Umland hinein, wo sich die von ihr beeinflusste Sphäre mit „Einflussbereichen“ anderer Städte überlagern kann. Damit aber ist auch die spezielle Leistung der Grenze neu zu überdenken: Sie wirkt nicht nur abschließend und trennend, sondern funktioniert zugleich als eine Berührungs- und Interaktionsfläche, über die aneinander grenzende Räume aufeinander Einfluss nehmen und gegebenenfalls ineinander hineinwirken. Somit sind Grenzen potenziell auch Überschneidungspunkte (bzw. sie werden im Handeln als solche geformt und begriffen).607 Dies ist im Folgenden v.a. dann interessant, wenn es darum geht die Funktion der raumbegrenzenden Vorhänge im Heiligtum eingehender zu betrachten. d) Räume als Texte – Räume in Texten Nachdem nun die beiden Konzeptionen vorgestellt wurden, die als Grundlegung für eine raumtheoretische Analyse von Ex 29,42 dienen sollen, ist als nächster Schritt ihre konkrete Anwendung (und Anwendbarkeit) auf die zu untersuchenden Texte genauer zu reflektieren. Zentral hierfür ist dabei die Frage nach dem Zusammenhang von Raum und Text. Einen Ausgangspunkt kann dabei die Einsicht bei LÖW bieten, wonach allen Räumen sowohl eine materielle als auch eine symbolische Dimension zukommt: Räume sind „institutionalisierte Figurationen auf symbolischer und […] materieller Basis, die das soziale Leben formen und die im kulturellen 603
Vgl. SIMMEL, Soziologie, 226–227. Vgl. SIMMEL, Soziologie, 227–229. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 116–117. 605 Vgl. SIMMEL, Soziologie, 223–224. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 113. 606 Vgl. SIMMEL, Soziologie, 225–226. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 114. 607 Vgl. SIMMEL Soziologie, 228–229; DERS., Projektionen, 310–314. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 116–118. 604
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Prozess hervorgebracht werden“608. Zentral ist dabei das Verständnis von Räumen als Figurationen: Nach LÖW kommen im raumkonstitutiven Handeln Vorstellungen von ‚Raum‘ zum Ausdruck, die dann im spacing in die materielle Umwelt hinein gestaltet werden. Folglich können Räume als Zeichensysteme eigener Art interpretiert werden, die als solche letztlich daraufhin angelegt sind, „gelesen“ und interpretiert zu werden. Darin sind sie Texten ähnlich, zumal ihnen – wie auch Texten – eine Offenheit und Polyvalenz eigen ist, die in unterschiedlichen Syntheseleistungen derselben (An)Ordnung – also verschiedenen, im Rezeptionsprozess generierten Interpretationen – resultieren kann und dabei – so betont LÖW609 – eine je eigene Gestalt des Raums generiert. Wie die Sprache ist Raum somit ein spezifisches Ausdrucksmittel des Menschen mit einem eigenen, dekodierbaren Zeichensystem. D.h. Räume sind soziale und kulturelle Produktionen, die gleichsam „als Text“ gestaltet werden und für die – ebenso wie bei Texten – symbolische Referenzen zentral sind.610 Dieser Umstand aber hat zur Folge, dass literarisch gestaltete Räume im Text bzw. in der Textwelt im Grunde sehr ähnlich funktionieren, wie die „textförmigen“ sozialen Räumen, die LÖW beschreibt, was deren Raumkonzeption auch auf „Raum-Texte“ (wie z.B. Ex 25,22; 29,42) anwendbar macht. So ist das Wüstenheiligtum Israels, das die im Kontext dieser Studie zu untersuchenden Texte behandeln, ist als ein fiktional errichteter „Textraum“ zu begreifen, der sich den Lesenden im Exodusbuch zweimal auf je unterschiedliche Weise öffnet, in Ex 25–31 in den Anweisungen zum Bau des Heiligtums und in Ex 35–40 im Bericht über die Herstellung der Geräte und Gewänder und letztlich über das Aufrichten des Heiligtums durch Mose. In Ex 25–31 wird dabei der Raum selbst ausführlicher behandelt, während er in Ex 35–40 nur in Ex 40 knapp und gleichsam als integrierende Summe derjenigen Einzelteile in den Blick kommt, deren Herstellung ausführlich in Ex 35–39 berichtet wird. In beiden Textpassagen – und auch in weiteren Texten wie z.B. Lev 8–10; 16, die das Heiligtum als Raum imaginieren – wird deutlich, dass keine (direkten) Referenzen auf Räume außerhalb der Textwelt gegeben sind.611 Nicht nur werden solche nicht beschrieben, es finden sich – der Pragmatik des Texts zufolge – auch keine Aufforderungen an die Lesenden, die in Ex 25–31 beschriebenen Güter und Räume in seiner Lebenswelt herzustellen. Dies unterstreicht die Personalisierung der Bauaufträge, die an Mose, Bezalel oder Oholiab – und damit an Personen der Gründungsgeschichte Israels – gerichtet sind, ebenso wie die in Ex 25–27 durchgehend betonte Tragbarkeit der einzelnen Gegenstände, die auf die speziellen Umstände der 608
LÖW, Raumsoziologie, 46. Vgl. LÖW, Raumsoziologie, 229–230. 610 Vgl. GEIGER, Gottesräume, 46–47. 611 Vgl. dazu ausführlich BARK, Heiligtum, 19–94. 609
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Wüstenzeit verweist und so eine Funktion der Geräte als zentral bestimmt, die in der Lebenswelt der Lesenden nicht einholbar ist. Darüber hinaus aber stellt der Bericht über die Ausführung der Bauanweisungen in Ex 35–40 heraus, dass die Aufträge aus Ex 25–31 bereits „abgearbeitet“ sind – und zwar in einer von der Gegenwart der Lesenden klar geschiedenen Gründungsgeschichte Israels. Zugleich repräsentieren Ex 25–31; 35–40 die einzige Ausprägung dieses Raums des Heiligtums, die den Lesenden dauerhaft zugänglich bleibt und in der das Heiligtum existiert; diejenige als „Raum im Text“. Ex 25–31; 35–40 fordert die Lesenden also dazu heraus, das Heiligtum als „Text-Raum“ im Lektüreprozess zu errichten und – geführt durch den Text – zu durchschreiten.612 Räume im Text sind dabei entscheidend durch den Umstand bestimmt, dass der dreidimensionalen Raum der Lebenswelt, der mit Sinnen erfasst, gestaltet und im Zuge desjenigen Vorgangs, den LÖW als Syntheseleistung bezeichnet, interpretiert werden kann, nicht unmittelbar in Sprache abbildbar ist. Vielmehr sind die Dreidimensionalität und auch das „Zugleich“ des sinnenhaften Erfassens von (dreidimensionalen) Räumen zu sequenzialisieren. Das bedeutet, dass Räume bzw. die sie konstituierenden Gegenstände und Konfigurationen in sprachlich beschreibbare Teilelemente zerlegt und in solcher Weise nacheinander präsentiert werden, dass die Lesenden im Lektürevorgang einen literarischen Raum rekonstruieren können.613 Entscheidend ist dabei das Nacheinander, d.h. das Generieren einer textuellen Chronologie, das zugleich auch zur Folge hat, dass der „Text-Raum“ sukzessive anwächst. Die Lesenden erfassen mit fortschreitender Lektüre immer weitere Details, die ihr Bild des Raumes erweitern, gegebenenfalls aber auch modifizieren können.614 Um die im Text verfolgte Linearisierungs- und Sequenzialisierungsstrategie tatsächlich auch nachvollziehen – und somit im Lektürevorgang einen Text-Raum rekonstruieren und imaginieren zu können – sind die Lesenden auf Signale im Text angewiesen, die den Zusammenhang zwischen den einzelnen Elementen deutlich werden lassen, in die der Raum sequenzialisiert wird, auf Signale also, die Strukturen und Beziehungen verdeutlichen, die den Raum konstituieren.615 Neben habitualisierten Lesekonventionen, wie z.B. der Annahme, dass nacheinander Dargebotenes auch sachlich zusammengehört bzw. im Raum „nebeneinander“ liegt (Unterstellung der Linearität) – eine oft erfolgreiche Hypothese, die im Einzelfall aber abzusichern ist – oder der Vermutung, dass Wiederholtes wesentlich ist, gehören zu den angesprochenen Signalen v.a. sprachliche Mittel. An erster Stelle sind dabei lokale Adjek612
Vgl. BARK, Heiligtum, 19–94. Vgl. BAIL, Sehnsucht, 53–56. Vgl. auch BALLHORN, Israel, 88–89. 614 Vgl. BAIL, Sehnsucht, 53–54. 615 Vgl. BAIL, Sehnsucht, 54–58; GEIGER, Gottesräume, 46–47. 613
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
tive bzw. Adverbien zu nennen, die räumliche Bezüge veranschaulichen,616 also z.B. ‚oben‘ – ‚unten‘, ‚vorne‘ – ‚hinten‘, ‚neben‘, ‚dort‘ – ‚hier‘, ‚innen‘ – ‚außen‘, … Diese können verstärkt und unterstützt werden durch Nomen, die vergleichbare räumliche Relationen implizieren (‚Mitte‘; ‚Rand‘, ‚Grenze‘, …), wobei sowohl bei den Adjektiven / Adverben als auch bei den Nomen oft Gegensatzpaare auftreten, die allerdings nicht zwingend antithetisch organisiert sein müssen, sondern auch ein Kontinuum andeuten können. Zuletzt aber können auch Verben aufgrund ihrer speziellen Semantik Raum oder räumliche Strukturen imaginieren. So deuten beispielsweise Verben wie ‚hinauf-‘ oder ‚hinabsteigen‘ dreidimensionale „Konturen“ an.617 Diese Textsignale finden sich gehäuft in narrativen Texten, weshalb die soeben zusammengefassten Überlegungen auch von narratologischen Analyseansätzen her entlehnt sind. Dabei werden in narrativen Texten Räume nur selten ausdrücklich beschrieben. Hier ist es vielmehr die Leistung der Lesenden, aus geographischen und topographischen Details, die aufgrund ihrer Bedeutung für die Handlung im Text erwähnt werden, sowie aus den Beschreibungen der Handlung selbst, die Bewegungen im Raum mit einschließen, eine „räumliche Karte“ zu synthetisieren, die ihm Orientierung in der imaginierten Welt des Textes ermöglicht. Räume sind hier Teil des Schauplatzes / Settings und damit – in narratologischer Systematisierung – Teil der Fabel. In einigen wenigen Texten in der Bibel aber sind Räume „für sich“ im Fokus und somit Teil der story. Beispiele hierfür sind die Präsentationen der Stammesgebiete Israels in Jos 15–19, die als Erzählung von den durchs Land „laufenden“ – und dabei verschiedenste Räume generierenden – Grenzen gefasst werden kann618, aber auch die „Paradiesgeographie“ in Gen 2,10–14 oder der Bericht vom Bau des Heiligtums in Ex 35–40. MIEKE BAL bestimmt Räume, die „für sich“ Thema des Textes sind – „object of presentation itself, for it‘s own sake“619 – als acting place. Bei diesen gilt besonders, was oben bereits im Zusammenhang mit der Sequenzialisierung beschrieben wurde: Der Raum erweitert und verändert sich im Zuge der Präsentation durch den Text, was umgekehrt impliziert, dass eine sachgemäße Analyse nicht nur das Bild des Raumes selbst, sondern auch die Sequenzialisierungs- und Linearisierungsstrategie des Textes und damit das sukzessive Anwachsen des Raumes und ggf. auch Verschiebungen und Veränderungen innerhalb der Raumkonzepte zu beschreiben und nachzuvollziehen hat. Darüber hinaus wohnt „acting places“ vielfach eine Polarität und Heterogenität inne, die bei der Analyse zu berücksichtigen ist. Diese sind darin begründet, dass die oben genannten Zeichen, die das Zueinander der raum616
Vgl. MÜLLNER, Zeit, 9–10. Vgl. MÜLLNER, Zeit, 9–10. 618 Vgl. BALLHORN, Israel, 261–273. 619 BAL, Narratology, 136. 617
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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konstituierenden Größen verdeutlichen (räumliche Adjektive / Adverben, Nomen, Verben, …), vielfach nicht neutrale Angaben von Relationen bieten, sondern durch – kulturell bedingte bzw. in den literarischen Kontexten „eingeübte“ und verfestigte – Konnotationen imprägniert sind, die im Lektüreprozess aktiviert werden und letztlich zu den leselenkenden Strategien des Textes gehören: Ein wichtiges Beispiel hierfür ist zunächst eine Hierarchisierung der Richtungen: Rechts ist besser als links, oben wichtiger als unten, innen bedeutsamer als außen.620 ILSE MÜLLNER weist darüber hinaus darauf hin, dass bestimmte Orte mit Konnotationen verknüpft sein können, die ihrerseits kulturell bedingt sind und auf die Raumkonzepte zurückwirken.621 Zuletzt aber kann die (Be)Nennung von Orten oder Gegenständen ein (im literarischen Kontext) erworbenes Vorwissen abrufen, das in den jeweiligen Sinnzusammenhang eingespielt wird, ohne dass es nochmals ausdrücklich thematisiert werden müsste und dabei wiederum Einfluss auf die Raumsynthesen der Lesenden nimmt. Verbindet man nun diese Überlegungen zu Räumen in Texten mit dem oben vorgestellten Ansatz von LÖW, dem zufolge Räume als relationale (An)Ordnungen an Orten definiert sind, deren Konstitution sich in zwei – analytisch zu differenzierenden, aber stets miteinander verschränkten – Vollzügen, spacing und Syntheseleistung, ereignet, so sind zunächst diese beiden Vollzüge selbst näher zu betrachten. Das spacing, das (An)Ordnen von sozialen Gütern und / oder Personen, ist dabei v.a. in der (sequenzialisierten) Darstellung des Textes realisiert, durch die nach und nach einzelne Gegenstände / Personen eingeführt, beschrieben und weiteren, bereits bekannten Gegenständen / Personen zugeordnet werden. Eine Syntheseleistung hingegen kann im Text selbst in Form von Benennungen, Bewertungen, Charakterisierungen von (An)Ordnungen oder Funktionszuschreibungen – als Syntheseleistung einer der Stimmen im Text – explizit werden. Vor allem aber ist sie ein Teilelement der Interpretationsleistung der Lesenden, die die im Text beschriebenen (An)Ordnungen zu Raumkonzepten verknüpfen – und dabei ggf. auch im Text vorgegebene Syntheseleistungen kritisch bewerten und in ihre Raumkonzepte integrieren. Zusätzlich beeinflusst aber werden die Syntheseleistungen der Lesenden – wie generell die Sinnkonstitution im Lektüreprozess – durch intertextuelle Bezüge im Text. So animieren beispielsweise Ortsbezeichnungen oder das Benennen von Gegenständen dazu, Vorwissen zu diesem Ort / Gegenstand – sei es in den literarischen Kontexten erworben oder außertextlich gegeben – einzuspielen. Daneben aber können auch Synthesen im Text, also Funktionszuschreibungen, Deutungen usw. Bezüge zu anderen Texten herstellen, die für das Be620
Vgl. BALLHORN, Israel, 87–91; MÜLLNER, Zeit, 9–10. MÜLLNER, Zeit, 9. MÜLLNER nennt als Beispiel das Feld, das als Ort der Gefährdung für Frauen gilt und in Texten wie Dtn 22,23–27 als solcher vorausgesetzt wird. 621
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
schreiben einer intentio operis (und damit u.a. auch für die Syntheseleistungen der Lesenden) von entscheidender Bedeutung sind.622 2. Konkretisierung: Raumkonzepte in Ex 25–27 Ausgehend von den soeben knapp entfalteten Überlegungen, sollen im Folgenden zunächst die für die Auslegung von Ex 29,42 entscheidenden Bezugstexte innerhalb der Heiligtumstora, also an erster Stelle Ex 25,21–22 im Zusammenhang mit den Anweisungen zum Bau der Lade in Ex 25,10–22 und schließlich auch Ex 26,31–37 ausgelegt und dabei auf ihre Raumkonzepte hin analysiert werden. a) Lade und Kapporet (Ex 25,10–22) In Ex 25,10–22 beginnt – im Anschluss an die Einleitung in Ex 25,1–9 – der erste Hauptteil der ersten Gottesrede der Heiligtumstora (Ex 25,10–27,19) mit der Beschreibung der Lade ()ארון. Die Lade wird dabei als ein dreidimensionaler Körper vorgestellt, an dem gleich mehrere Raumkonzepte realisiert werden. Zugleich aber ist die Herstellungsanweisung ein gutes Beispiel für die oben thematisierte Sequenzialisierung, also das „Zerlegen“ von Gegenständen in Details und Einzelelemente, die im Text nacheinander besprochen und im Lektüreprozess miteinander verbunden werden, um letztendlich im Kopf der Lesenden ein Gesamtbild entstehen zu lassen: Die Lade setzt sich aus drei Teilelementen zusammen, dem Ladenkasten (V.10–15), der Kapporet (V.17–20) und der ʽedūt (V.16.21). Die beiden zuerst genannten sind durch Mose bzw. Israel herzustellen und werden entsprechend ausführlicher beschrieben, während die ʽedūt über den Relativsatz אשר ‚( אתן אליךdie ich dir geben werde‘; V.16.21) ausdrücklich als von JHWH übergeben qualifiziert ist.623 Entsprechend ist bei ihr nicht die Herstellung, sondern allein ihre Platzierung im Gesamtgefüge der Lade interessant. Diese wird in Ex 25,16 erstmals angedeutet und in Ex 25,21 nochmals thematisiert, wobei in diesem Vers letztlich das Zueinander aller drei Teilelemente, Ladenkasten, Kapporet und ʽedūt, bestimmt wird. Darauf aufbauend entwirft Ex 25,22 schließlich eine Deutung der Lade (als Gesamt), in die die in Ex 25,10– 21 entworfenen Raumkonzepte „einmünden“. Den Auftakt der Perikope Ex 25,10–22 bildet die Herstellungsanweisung zum Ladenkasten (Ex 25,10–15.16), die in V.10a mit dem Auftrag eröffnet wird, einen ‚( ארוןKasten, Lade‘) aus Schittimhölzern zu machen. Über die Bezeichnung ארוןist dabei – auch wenn die Lesenden mit ihr (noch) keine konkrete Vorstellung des fertigen Gegenstandes verbinden können – ein wesentliches Element im Hinblick auf die Syntheseleistung gesetzt. Immerhin 622 623
Vgl. BALLHORN, Israel, 87–91. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 250–251.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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wird von Anfang an hervorgehoben, dass der im Folgenden beschriebene Gegenstand – so er vollendet ist – als ein „Kasten“ (aus Holz) zu synthetisieren sein wird.624 Eine erste Ausgestaltung erfährt dieses Konzept in V.10b–d über die Maßangaben, die das Bild eines dreidimensionalen Behälters generieren, der – wie V.11 hervorhebt – mit reinem Gold ( )זהב טהורzu überziehen ist.625 Dabei verdeutlicht V.11b mit der Anweisung, die Lade „von innen und außen“ ( )מבית ומחוץzu vergolden, dass diese tatsächlich als ein offener Behälter (mit Innenraum) – und nicht etwa als geschlossener Holzblock in den in V.10b–d festgelegten Maßen – konzipiert ist.626 Mit diesen Vorgaben ist die Lade selbst im Wesentlichen beschrieben, doch fokusiert Ex 25,11c–15 auf zwei (bzw. drei) zusätzliche Elemente, die mit dem Kasten verbunden sind. So kommt in V.11c zunächst eine „Leiste“ ( )זרin den Blick, zu deren Aussehen, Abmessungen, usw. keine Angaben gemacht werden.627 Genannt wird lediglich der Ort ihrer Anbringung, sowie das Material, aus dem sie herzustellen ist: Sie ist wie die Umkleidung des Holzkastens aus reinem Gold ( זהב )טהור, hebt sich von dieser zunächst also nicht ab. Die Leiste läuft – unter der Voraussetzung, dass die Präposition ‚( עלauf, über, gegen‘) belastbar zu interpretieren ist – oben auf (dem Rand?) des Kastens und umschließt damit ringsum (vgl. )סביבdessen Öffnung.628 Eine weiterführende Funktionsangabe aber findet sich nicht. Somit kann sich die Synthese des in V.11c angedeuteten spacings, des Anbringens der Leiste entlang der Kante des Kastens, zunächst v.a. auf die Benennung des Gegenstands als ‚( זרLeiste, Rand‘) stützen. Diese deutet an, dass dem Element u.a. eine ornamentale Funktion zukommt, da es die Öffnung bzw. die obere Kante des Kastens rund um die Öffnung in besonderer Weise betonen und hervorheben soll. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Perspektive der Lesenden auf die Lade durch das Einführen der Leiste in V.11c eine Richtung hinzugefügt wird: Der Blick richtet sich auf die Öffnung des Kastens, was im Folgenden insofern weitergeführt wird, als V.21a zufolge die Kapporet genau an der durch den זרmarkierten Stelle auf die Lade gelegt wird.629 Ein zweites wichtiges Element sind vier goldenen Ringe, die in V.12 beschrieben werden. Sie sind an den Ecken der Lade – je zwei an zwei gegenüberliegenden Seiten ( ;צלעvgl. V.12cd)630 – anzubringen, ihre genaue Position aber bleibt offen und ist offensichtlich für die Interpretation des Textes 624
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 367; JANOWSKI, Sühne, 340. Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 379–380. 626 Vgl. JACOB, Pentateuch, 160–161. 627 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 377. 628 Eine andere Deutung bietet u.a. B. JACOB, der die „Leiste“ mit den Ringen für die Tragevorrichtung in Verbindung bringt. Vgl. JACOB, Pentateuch, 162–165; DERS., Exodus, 770. Vgl. dazu auch HOUTMAN, Exodus 3, 377–378; PROPP, Exodus 19–40, 380–381. 629 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 377; LISS, Kanon, 20. 630 Vgl. dazu JACOB, Pentateuch, 165; DERS., Exodus, 771. 625
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
auch nicht entscheidend. Wesentlich ist allein die Funktion der Ringe, die V.13–14 andeutet: Sie dienen als Halterung für zwei mit Gold überzogene Holzstangen (vgl. V.13), die durch je zwei Ringe zu führen und auf diese Weise an den beiden (Lang-)Seiten des Kastens zu befestigen sind (V.14).631 Für eine Syntheseleistung dieses spacings aber ist zunächst die Funktionsangabe (für die Stangen) in V.14aI entscheidend, die betont, dass die Lade mit Hilfe der Stangen getragen werden kann, also zu einem mobilen Gegenstand wird.632 Dies wird in V.15b noch zusätzlich durch das Verbot unterstrichen, die Stangen wieder zu entfernen. Die Stangen werden somit als integraler Bestandteil – und nicht nur als sekundäres „Anhängsel“– der Lade bestimmt, dem schon angesichts der ausführlichen Beschreibung, die alleine etwa 2/3 der Herstellungsanweisung zum Ladenkasten einnimmt (V.12–15), ein entscheidendes Gewicht zukommt. Es wird deutlich, dass die Mobilität bzw. Bewegbarkeit ein konstitutives Element des Raumkonzepts ‚( ארוןLade, Kasten‘) darstellt633 – ebenso wie die „Aufnahmebereitschaft“ der Lade, die in der Hervorhebung der Oberkante durch den זרangedeutet ist. Letztere wird in V.16 zusätzlich durch den Auftrag untermauert, die ʽedūt in die Lade zu legen. Damit knüpft der Text an die Verse Ex 25,10–11 an, in denen die Lade als Kasten mit Innen- und Außenseite beschrieben wird, wobei nun aus dem (leeren) Kasten der (gefüllte) Behälter wird, wenn der Lade die Funktion zukommt, als Aufbewahrungsort der ʽedūt zu dienen.634 Letztere wird im Relativsatz V.16aR als diejenige ʽedūt bestimmt, die JHWH an Mose übergeben will / wird. Damit ist zunächst ein Rückbezug auf Ex 24,12d gegeben, wo JHWH – im Anschluss an den Auftrag an Mose, auf den Berg zu steigen – ankündigt, an Mose einen Gegenstand zu übergeben ( ;נתן אלEx 24,12a; vgl. Ex 25,16aR.21bR), der in der Formulierung את־לחת האבן והתורה ‚( והמצוה אשר כתבתי להורתםdie Steintafeln, (nämlich) die Weisung und das Gebot, das ich aufgeschrieben habe, um sie zu belehren‘) umschrieben wird. Dass aber diese an Mose zu übergebenden Tafeln, auf die JHWH Weisung und Gebot geschrieben hat, um Israel zu belehren, mit der in Ex 25,16.21 erwähnten ʽedūt identisch sind, die ebenfalls von JHWH übergeben werden wird, wird erst in Ex 31,18 deutlich, wo – im unmittelbaren Anschluss an die Heiligtumstora – von der Übergabe ( )נתןder ‚( לחת העדותTafeln der ʽedūt‘) an Mose berichtet wird.635 Damit ist zunächst die Ankündigung aus Ex 24,12 realisiert, wobei der Rückbezug auf diese Textstelle v.a. durch das Stichwort ‚( לחתTafeln‘) geleistet wird, während das Schlagwort ‚ʽedūt ‘ (u.a.) auf Ex 631
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 382. Vgl. JACOB, Pentateuch, 172. 633 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 75–76. 634 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 167–168; JANOWSKI, Sühne, 292–293. 635 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 250; FISCHER/MARKL, Exodus, 290–291; GEORGE, Tabernacle, 167–172; MARKL, Dekalog, 157; 159–160. Ähnlich OWCZAREK, Wohnen, 166–171. 632
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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25,16.21 verweist.636 Die in Ex 24; 31 erwähnten Tafeln und die in Ex 25 eingeführte ʽedūt sind somit derselbe Gegenstand, der in Ex 24 vornehmlich hinsichtlich seiner (materiellen) Beschaffenheit (vgl. ‚Steintafeln‘, von JHWH selbst beschriftet) in den Blick kommt, wobei zugleich auch der Inhalt der Inschrift selbst als „die Weisung und das Gebot“ ( )התורה והמצוהcharakterisiert wird.637 Ex 25,16.21 hingegen lenkt mit der Benennung als ʽedūt das Augenmerk vornehmlich auf die Funktion der Tafeln, die – in ihrer in Ex 25,16.21 betonten Eigenschaft als von JHWH „Übergebenes“ – der „Bezeugung“ ( )עדותdienen, d.h. als Zeugnis für bzw. als Hinweiszeichen auf „mātan tōrā“ fungieren, also auf die Theophanie am Sinai und den Vorgang der Übergabe der Tora durch JHWH.638 Diese Funktion transzendiert nun im Gefolge der in Ex 25,16(.21) thematisierten Platzierung in der Lade, die nicht mehr revidiert wird und daher die ʽedūt selbst dauerhaft „unzugänglich“ macht, die materielle Gestalt der Tafeln. Denn immerhin wird diesen die Fähigkeit zugesprochen, obwohl – oder gerade weil (?) – sie in der Lade deponiert „unsichtbar“ geworden sind, mātan tōrā zu bezeugen. Zugleich aber geht diese Funktion zumindest zum Teil auf den Ladenkasten selbst, also auf das „Depot“ der ʽedūt, über, insofern dieser verbirgt und darin zugleich repräsentiert und inszeniert, was sich in ihm befindet.639 In Ex 25,17 schließlich ist ein Neueinsatz gegeben, der dadurch angezeigt wird, dass mit der Kapporet ein neuer Gegenstand benannt wird, dessen Beschreibung parallel zu der des Ladenkastens in V.10 einsetzt.640 Erneut nämlich wird mit dem Terminus Kapporet ein Begriff vorgegeben, mit dem die Lesenden zunächst nichts verbinden, in dem aber das Konzept desjenigen Gegenstands zusammengefasst werden kann, der sich in der folgenden Beschreibung schrittweise entfaltet. Wie bei der Lade findet sich zunächst eine Materialangabe (‚reines Gold‘; V.17a) sowie die Angabe von Länge und Breite (V.17bc). Ein Höhenmaß jedoch fehlt, so dass die Kapporet zunächst wie ein zweidimensionales Kultobjekt erscheint. Länge und Breite aber stimmen mit denen des Ladenkastens überein. Die Kapporet hat also dieselbe Grundfläche wie dieser und scheint so von Anfang an darauf hin angelegt, auf der Lade platziert zu werden.641 636
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 250; JACOB, Exodus, 875; PROPP, Exodus 19–40, 384–385. 637 Ausführlicher dazu vgl. DOHMEN , Exodus 19–40, 250; OWCZAREK, Wohnen, 168– 171. Vgl. auch SARNA, Exodus, 160; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 110–114. 638 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 250–251; GEORGE, Tabernacle, 170–171; JANOWSKI, Sühne, 293–294; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 113–114. 639 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 170–172; JACOB, Exodus, 878–879; 883; JANOWSKI, Sühne, 293. 640 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 381. 641 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 281; JACOB, Exodus, 772; PROPP, Exodus 19–40, 386. Vgl. auch JANOWSKI, Sühne, 286–290.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Als das bestimmende Element der Kapporet werden schließlich zwei Keruben eingeführt, die getrieben ( )מקשהaus der Kapporet selbst heraus zu formen sind (V.18).642 Ex 25,18b–19c behandelt ausführlich die (räumliche) Relation der beiden Figuren zueinander, die V.18b.19c zufolge, aus den zwei „Enden der Kapporet“ ( – )קצות הכפרתalso wohl den beiden Breitseiten der Platte – herauszuführen sind, um so einander von dieser und jener Seite her gegenüberzustehen (vgl. V.19ab).643 Auf diese Weise umschließen und inszenieren sie einen „Zwischenraum“, der die Figuren trennt, und in den weiteren Ausführungen in V.20, die auf zwei Körperteile der Kerubenfiguren besonders eingehen, weiter profiliert wird. So verweist V.20ab auf die Flügel der Keruben, die „nach oben hin“ ( )למעלהausgebreitet ( )פרשsein sollen (vgl. V.20a), um auf diese Weise die Kapporet zu „überschirmen“ ( ;סכךV.20b).644 Damit wird zugleich der Raum zwischen den Keruben zusätzlich konturiert, da er nun einerseits von den einander gegenüber stehenden Figuren selbst, andererseits aber auch durch die über die Kapporet hin ausgebreiteten (und offenbar aufeinander hinzeigenden) Flügel begrenzt und bestimmt wird.645 Das zweite Körperteil sind die Gesichter ( )פניםder Keruben, für die in V.20cd zwei Richtungen angegeben sind, die sich zu einem komplexeren Gesamtbild ergänzen. So sind sie zunächst einander zugewandt (;איש אל־אחיו V.20c), was das Gegenüber und die grundsätzliche Ausrichtung der Figuren aufeinander (vgl. V.19) nochmals unterstreicht. Andererseits aber sind sie zur Platte der Kapporet hin orientiert, ihre „Blicke“ durchkreuzen also gleichsam den leeren Raum zwischen den Keruben.646 Angelehnt an die Raumsoziologie von MARTINA LÖW kann nun das in V.18–20 so ausführlich beschriebene Zueinander der Figuren (mitsamt ihrer Relation zur Kapporet) als spacing interpretiert werden. Der darin konstituierte Raum aber ist zunächst als ein – durch die Kapporet (unten), die Keruben (an den Seiten) und die Flügel (oben) – umgrenzter Leerraum zu synthetisieren, dem allerdings durch die Konfiguration der Keruben Richtungen und Orientierungen eingeschrieben sind, die ihm weitere Spannung verleihen. So ist zunächst eine Dichotomie auszumachen zwischen den gestalteten, mit den Keruben besetzten Rändern, die mit dem in V.18b–19c insgesamt vier Mal belegten Stichwort קצות/ קצהangesprochen sind, und der ungeformten Mitte, die zwar angedeutet und „umspielt“ wird, dabei aber leer bleibt und nicht einmal begrifflich gefasst wird. Ein Terminus für ‚Mitte‘ o.ä. nämlich findet sich in V.18–20 nicht. Zu dieser Dichotomie tritt ein Gegensatz von ‚oben‘ 642 643
Anders: JACOB, Exodus, 773. Vgl. JACOB, Exodus, 772–773; JANOWSKI, Sühne, 342–343; PROPP, Exodus 19–40,
389. 644
Vgl. JACOB, Exodus, 773. Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 291; JANOWSKI, Sühne, 342–343. 646 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 291; JACOB, Exodus, 774; JANOWSKI, Sühne, 343; PROPP, Exodus 19–40, 390. Vgl. auch KEEL, Geschichte, 918. 645
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und ‚unten‘ in V.20, der zunächst in V.20ab aufgebaut wird, wo durch die Ausrichtung der Flügel eine Orientierung nach oben hin (vgl. ;למעלהV.20a) vorgegeben wird, die V.20b mit einem eingrenzenden „Abschirmen“ ()סכך על über der Kapporet verbindet. Dieser „Aufwärtsbewegung“ aber steht die durch den „Blick“ der Keruben auf die Kapporet hin induzierte Orientierung in V.20cd gegenüber, die zwar nicht mit der Adverbiale ‚unten‘ formuliert, aber dennoch durch eine markante Gegenläufigkeit zu der in V.20ab dargestellten Bewegung nach oben hin bestimmt ist. Beide Dichotomien (‚Rand vs. Mitte‘ und ‚oben vs. unten‘) sind zusammengehalten durch das „AufeinanderHin“ der Keruben, das V.18–20 als Leitmotiv durchzieht und gleichsam eine Diagonale durch den von den Keruben inszenierten Zwischenraum legt. Letzter ist damit als eine sehr dynamische Leere gestaltet, die in sich fast paradox wirkt und so auf eine „Füllung“ wartet, die auch ein „Auflösen“ der ihr innewohnenden Paradoxien und Spannungen mit sich bringt. Eine solche „Füllung“ wird in Ex 25,22 entwickelt, zuvor jedoch richtet der Text in V.21 seine Aufmerksamkeit auf die Verbindung der drei zunächst separat präsentierten, letztlich aber aufeinander hin angelegten Gegenstände, Kasten, Kapporet und ʽedūt. So verbindet Ex 25,21a zunächst die in V.17–20 näher vorgestellte Kapporet mit dem Ladenkasten in der Anweisung, erstere „von oben her“ ()מלמעלה „auf“ ( )עלletzteren zu setzen. Dabei sind die beiden Präpositionen למעלהund עלaus V.20ab nochmals aufgenommen, um nun die Konfiguration der beiden Gegenstände Kapporet und Lade zu bestimmen, zugleich jedoch schreiben sie (nochmals) die für die Kapporet und ihre Raumkonzepte bestimmende Richtung bzw. Orientierung fest: „nach oben“. „Oben auf“ bzw. „über“ ( )עלder Lade ist V.11c zufolge auch die Leiste angebracht, die damit – wie bereits herausgestellt – auf genau die Stelle fokussiert, auf ( )עלdie in V.21a die Kapporet gesetzt wird. Ex 25,21a korrespondiert somit auch mit Ex 25,11c.
V.21b–bR schließlich wiederholt nochmals (in fast denselben Worten) V.16 und scheint damit im Zusammenspiel mit V.21a eine „falsche“ bzw. wenig operable Reihenfolge festzulegen, wenn zuerst die Kapporet als Abdeckung auf die Lade gelegt und dann erst die ʽedūt im Kasten deponiert werden soll. So liegt es nahe, V.21ab nicht als – nacheinander auszuführende – Handlungsanweisungen zu interpretieren, sondern V.21b–bR als Wiederaufnahme der beinahe wortgleichen Sätze V.16a–aR zu verstehen. Als solche aber unterstreicht V.21b–bR zunächst einmal, dass sich in dem Ladenkasten ()ארון, auf den die Kapporet zu legen ist, bereits die ʽedūt befindet. Vor allem jedoch werden auf diese Weise – mit dem Ladenkasten als gemeinsamem und verbindendem Korrelat (vgl. ;על־הארןV.21a; ;אל־הארןV.21b) – auch Kapporet
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und ʽedūt zueinander in Beziehung gesetzt, wobei auch diese Relation in die mit der Kapporet verbundenen Raumkonzepte einfließt.647 Ihren Abschluss und Höhepunkt erreicht die Beschreibung der Lade schließlich in Ex 25,22, wo die Synthese des in V.17–20.21 nach und nach erschlossenen Raums über der Kapporet um weitere, wesentliche Facetten bereichert wird. Dabei verweist das Adverb ‚( שםdort‘) in V.22a zunächst sehr unpräzise auf V.21 und die dort angedeuteten Räume bzw. Raumkonzepte zurück, regt die Lesenden also dazu an, sich nochmals die bisher entwickelten Synthesen (in ihrer Gesamtheit) zu vergegenwärtigen, bevor V.22b das in seinem exakten Bezug offene שםauf den leeren Raum zwischen den Keruben hin präzisiert und diesen im Zusammenhang damit nochmals hinsichtlich der ihn konstituierenden Relationen fokussiert.648 Anders als in V.17–20 aber ist die Beschreibung nun nicht von den Keruben her entwickelt, die den Leerraum begrenzen, sondern wird von der „Mitte“ her präsentiert. Diese befindet sich „über der Kapporet“ ( – )על־הכפרתeine Ortsangabe, die bislang nur in V.20b zur Umschreibung der Lage der Kerubenflügel verwendet wurde – bzw. „zwischen den zwei Keruben“ ( ;בין שני הכרביםV.22b). Letzteres erscheint dabei gleichsam als Umkehrung der in V.18.20 belegten Umschreibungen, die auf die Keruben selbst fokussieren und das „Dazwischen“ (vgl. )ביןnur implizit andeuten. Zu diesen neuen Perspektiven auf bereits dargelegte Relationen tritt mit dem Relativsatz V.22bR1 eine ergänzende Näherbestimmung des Raums über der Kapporet, der nun ‚( על־ארן העדותüber der Lade der ʽedūt‘) lokalisiert wird. Damit ist er zunächst durch ein zusätzliches „Darüber“ ( )עלcharakterisiert, was die grundsätzliche Orientierung nach oben weiterführend unterstreicht.649 Neu ist auch die Bezeichnung für die Lade selbst, die (erstmals) als ‚Lade der ʽedūt‘ konzeptionalisiert wird. Es wird also die in V.10a vorgegebene Benennung des Kastens selbst als ארוןmit dem Stichwort ʽedūt verbunden, womit begrifflich realisiert ist, was oben bereits im Zusammenhang von V.16 ausgeführt wurde, dass nämlich – nachdem die ʽedūt in der Lade deponiert ist – diese selbst die Funktion und Bedeutung „absorbiert“, die eigentlich der in ihr „verschlossenen“ ʽedūt zukommt. Letztlich werden damit der durch das Auflegen der Kapporet konstituierte, (dauerhaft) abgeschlossene und mit der ʽedūt gefüllte Innenraum der Lade („unter der Kapporet“) und der offene, leere Raum zwischen den Keruben („über der Kapporet“) zueinander in Relation gesetzt, wobei das Hauptaugenmerk stets auf letzterem bleibt. Wesentlich ist nun, dass dieser noch immer spannungsvoll leere Raum in V.22ab als ein (über seine Relationen) definierter Ort (vgl. )שםgefasst wird, an dem JHWH Mose begegnen (יעד-ni.; V.22a) bzw. zu ihm sprechen (דבר647
Vgl. JANOWSKI, Pentateuch, 168; 171–172; PROPP, Exodus 19–40, 392. Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 392–393. 649 Vgl. auch GEORGE, Tabernacle, 128–129. 648
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pi.; V.22b) will, der also durch ein sich an ihm ereignendes Handeln JHWHs bestimmt ist. So wird einerseits die Syntheseleistung für den Raum über der Kapporet, der bislang als dynamische Leerstelle bestimmt war, markant erweitert, da er nun als Raum einer im Begegnen und Reden – zumindest für Mose – erfahrbaren Gottespräsenz konturiert wird.650 In dieser Eigenschaft wird er zum Ausgangspunkt einer weiteren Raumkonstitution, wenn in der Korrelation von Mose, dem angesprochenem „Du“ (vgl. לך, V.22b; אתך, V.22b), und JHWH, der von zwischen den Keruben her begegnet und spricht ein als ‚Begegnungs-‘ oder ‚Offenbarungsraum‘ synthetisierbares spacing vollzogen wird. So kommt dem leeren Raum über der Kapporet – insofern JHWH ihn zum Ausgangs„punkt“ seines Handelns nimmt – die Potentialität zu, eine weitergehende Raumkonstitution anzustoßen. Es sind also drei miteinander verschränkte Räume zu differenzieren, der leere Raum zwischen den Keruben, der mit der ʽedūt gefüllte Innenraum der Lade unter der Kapporet und der ausgehend vom Begegnen und Sprechen JHWHs von zwischen den Keruben her durch das Gegenüber von Mose und JHWH konstituierte Raum der Begegnung und Offenbarung.651 Als spannend kann sich dabei u.a. auch die über Kapporet und Ladenkasten als gemeinsame Korrelate gegebene Verbindung zwischen dem Innenraum der Lade und dem durch das Gegenüber von JHWH und Mose geprägten „Offenbarungsraum“ erweisen. Ersterer nämlich ist bestimmt durch die in der Lade deponierte ʽedūt, die gleichsam als „Sinai-Spolie“ vorgestellt wird, und das mit der Theophanie am Sinai verbundene Reden JHWHs – tōrā und miṣwā (vgl. Ex 24,12) – bezeugt. Zweiterer hingegen erweist sich als ein Begegnungsraum, der ebenfalls prominent durch das Sprechen JHWHs (vgl. V.22b) bestimmt ist, dabei allerdings in Ex 25,22b–bR2 die in Ex 20,18–21 ausgehandelte und in der Übermittlung des Bundesbuchs erstmals realisierte (vgl. Ex 20,22; 24,3) Mittlerrolle des Mose voraussetzt, zu dem JHWH all das spricht, was mit Blick auf die Israeliten zu befehlen ist (vgl. Ex 25,22b– bR2). Das für den in Ex 25,22 umschriebenen Begegnungs- und Offenbarungsraum an der Lade konstitutive Gegenüber im Reden JHWHs zu Mose erweist sich somit als eine Sinai-Konfiguration.652 An der Lade – und damit angesichts der in Ex 25,12–15 so ausführlich hergeleiteten Transportierbarkeit der Lade auch abseits des Sinai – kann somit ein Raumkonzept realisiert werden, das ursprünglich mit dem Sinaigeschehen (vgl. Ex 20,18–21.22) verbunden ist, und das nun einen neuen Ort erhält.653 Verbunden damit aber ist über die Korrelation von Begegnungsraum und Innenraum der Lade auch 650
Vgl. JANOWSKI, Sühne, 345. Vgl. ähnlich JACOB, Pentateuch, 169. 652 Vgl. JANOWSKI, Sühne, 345–346. 653 Vgl. JACOB, Exodus, 878–879; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 118–121; 150–151. 651
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
eine Rückbindung an den Sinai und die dort verortete Offenbarung (mitsamt Theophanie und Bundesschluss) gegeben, die über die ʽedūt als „SinaiSpolie“ abgesichert ist und alles weiterführende Reden JHWHs an Mose bei der Lade als organische Fortführung des Sinaigeschehens ausweist.654 FISCHER/MARKL sehen den essenziellen Zusammenhang dieser beiden Räume bereits durch den „Blick“ der Keruben zur Kapporet in V.20d angedeutet, der „virtuell“ durch die Kapporet hindurch in Richtung ʽedūt verlängerbar ist und so die Kapporet selbst gleichsam für die ʽedūt transparent macht.655
Resümierend ist somit festzuhalten, dass in Ex 25,10–22 Räume zunächst durch das Konfigurieren von Gegenständen bzw. – um mit LÖW bzw. KREKEL zu sprechen – von „sozialen Gütern“, denen im Wesentlichen eine symbolische Funktion zukommt, konstituiert werden. Dieser Vorgang ermöglicht seinerseits ein raumschaffendes Handeln (bzw. kulminiert in diesem), bei dem Personen (JHWH und Mose) im Begegnen und Sprechen interagieren und dadurch einen Raum generieren, der als „Sinai-äquivalenter“ Begegnungs- und Offenbarungsraum synthetisiert werden kann. b) Raumkonzepte in Ex 26,31–37 Ein zweiter Text, der für eine Interpretation von Ex 29,42 von Interesse ist, ist Ex 26,31–37. Im Aufriss der Heiligtumstora schließt er an die beiden Abschnitte zu den Geräten des Heiligtums (Ex 25,10–40) und zum miškān (Ex 26,1–30) an und bietet insofern eine Synthese beider, als er in V.33–35 – im Zusammenhang mit den Herstellungsanweisungen für zwei im Heiligtum anzubringende Vorhänge, der Parochet (V.31–32) und des māsakh (V.36–37) – die Platzierung der in Ex 25 beschriebenen Geräte in dem in Ex 26 vorgestellten Heiligtum thematisiert. Der erste der genannten Vorhänge, die Parochet, ist Ex 26,31–32 zufolge aus den vier Wollstoffen als „kunsthandwerkliche Arbeit“ ( ;מעשה חשבV.31b) herzustellen. Hinsichtlich der verwendeten Materialien und der Art der Verarbeitung gleicht sie somit exakt den Tüchern des miškān (vgl. Ex 26,1ab).656 Ex 26,1 1a 1b
654
ואת המשכן תעשה עשר יריעת שש משזר ותכלת וארגמן ותלעת שני כרבים מעשה חשב תעשה אתם
Ex 26,31
ועשית פרכת תכלת וארגמן ותולעת שני ושש משזר מעשה חשב יעשה אתה כרבים
31a 31b
Vgl. JACOB, Exodus, 878; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 151–152. Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 291. 656 Vgl. JACOB, Pentateuch, 195; DERS., Exodus, 793. Vgl. aber auch ’efod und ḥošæn in Ex 28,6–14.15–30, bei denen allerdings neben den vier Wollstoffen auch noch Gold mit eingewebt wird. 655
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
227
Beiden Textstellen ist auch das Stichwort ‚( כרביםKeruben‘) gemeinsam, das zumeist als Hinweis darauf interpretiert wird, dass in die Parochet (und auch die Tücher des miškān) die figürliche Darstellung von Keruben einzuweben ist. Für diese Annahme kann sprechen, dass der in V.31b (vgl. V.1b) belegte Terminus ‚( מעשה חשבkunsthandwerkliche Arbeit‘) C. BENDER zufolge neben einer handwerklich hochwertigen Verarbeitung einen kreativen Anteil impliziert, der eben z.B. durch das Gestalten figürlicher Darstellung gegeben sein kann.657 Somit kann das Stichwort כרביםin Ex 26,1b.31b als Hinweis auf ein Bildmotiv interpretiert werden. Zugleich aber ist es auch als Funktionsangabe zu verstehen, die den Zelttüchern und der Parochet eine „kerubenhafte“, d.h. abschirmende und unberechtigten Zugang zum Heiligen abwehrende Aufgabe zuspricht. Diese beiden Deutungen schließen einander insofern nicht aus, als den auf den Zelttüchern und der Parochet abgebildeten Keruben primär wohl keine dekorative, sondern eher eine symbolische Funktion zukommt: Sie unterstreichen die Bedeutung, die den Tüchern zukommt, wie Keruben den Ort des Heiligen zu schützen, damit zugleich aber auch die Präsenz des Heiligen zu inszenieren, die sie abschirmen.658 Somit kann festgehalten werden, dass Ex 26,31 v.a. eine enge Zusammengehörigkeit von Parochet und miškān betont, die darin greifbar wird, dass die jeweils verwendeten Textilien sich hinsichtlich Material und Machart exakt gleichen.659 Im Gegensatz zu den Tüchern des miškān finden sich für die Parochet keine Maßangaben. Diese sind lediglich aus dem Kontext und den weiteren Informationen, die der Text bietet, abzuleiten. So wird in V.33 deutlich, dass die Parochet als „Raumteiler“ im miškān angebracht wird, was vermuten lässt, dass ihre Länge der Breite des Heiligtums und ihre Breite der Höhe des Heiligtums entsprechen muss. Dies ergibt ein Maß von 10x10 Ellen.660 Das Fehlen von eigentlich relevanten Informationen aber ist nicht als „Schwäche“ des Textes zu deuten, sondern im Gegenteil als ein lektürelenkendes Signal aufzufassen, das klar anzeigt, dass es in Ex 26,31–35 gerade nicht um die „technischen Details“ und die Fragen der Herstellung geht, sondern v.a. um die Funktion und Bedeutung, die der Parochet im Gesamtgefüge des Heiligtums zukommt.
Die in Ex 26,31 konstatierte Entsprechung zu der Machart des miškān ist schließlich auch in Ex 26,32 auszumachen, wo die Aufhängung der Parochet beschrieben wird. Sie ist an vier Säulen ( )עמודיםaufgehängt, die von ihrer Machart her den Brettern ( )קרשיםder Holzkonstruktion des miškān (vgl. Ex 26,15–29) gleichen – mit dem Unterschied, dass die Säulen der Parochet freistehend gedacht sind, während die Bretter zu geschlossenen Wänden verbunden werden. 657
Vgl. BENDER, Sprache, 64–65. Vgl. JACOB, Exodus, 888. 659 Vgl. JACOB, Pentateuch, 195. 660 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 505; SARNA, Exodus, 171. 658
228
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Ansonsten aber sind auch die Säulen aus šiṭṭīm-Holz gefertigt, mit Gold überzogen (Ex 26,32a; vgl. Ex 26,15.29a) und stehen auf Sockeln aus Silber (Ex 26,32b; vgl. Ex 26,19a; u.a.). Ein neues Element hingegen bilden die Nägel bzw. Haken ( ;װEx 26,32b), die als Aufhängung für die Parochet dienen und auch beim māsakh (vgl. Ex 26,37c) und bei der Vorhofbegrenzung (vgl. Ex 27,10.11.17) zu finden sind, beim miškān aber nicht benötigt werden, da hier die Zelttücher und die darüber liegenden Textilschichten einfach über die Holzkonstruktion gespannt werden.661 Auf die Abgaben zur Herstellung und Machart der Parochet und ihrer Aufhängung, die diese als integrales Element des miškān profilieren, folgt in Ex 26,33–35 schließlich eine ausführliche Funktionsbestimmung, die zugleich den Hauptteil des Abschnitts bildet. Dieser wird durch einen Hinweis auf die Platzierung der Parochet im Inneren des Heiligtums eingeleitet, wenn JHWH in Ex 26,33a anordnet, die Parochet „unter den qerasīm“ ()תחת הקרסים anzubringen. Der Terminus qerasīm bezeichnet hier die in Ex 26,6 erwähnten goldenen Verbindungselemente: So ist der miškān Ex 26,1–6 zufolge aus 10 gleichen Tüchern herzustellen, von denen je fünf zu insgesamt zwei größeren Tüchern zusammengenäht werden. An diese aber sind entlang je einer (Längs-)Kante je 50 Schleifen ( )ללותaus blauer Purpurwolle ( )תכלתanzubringen, durch die schließlich 50 qerasīm (‚Ringe‘, ‚Doppelhaken‘?) geführt werden können, um den miškān zu einer Einheit zu verbinden.662 Aus den Angaben in Ex 26,15–29 lässt sich errechnen, dass die Holzkonstruktion des miškān eine Abmessung von 30 x 10 x 10 Ellen hat. Das darüber gespannte Zelttuch hingegen hat eine Länge von 10 x 4 = 40 Ellen. Dies bedeutet, dass letzteres – für den Fall, dass es am Eingang bündig aufgelegt ist – an der Rückseite 10 Ellen übersteht, was genau der Höhe der Holzkonstruktion entspricht. So reichen die „überschüssigen“ 10 Ellen, an der Kante umgelegt, exakt bis zum Boden.663 Da sich die qerasīm genau in der Mitte des Tuches befinden, bilden sie an der Decke des Heiligtums eine Markierung, die diese nach 2/3 der Länge (vom Eingang an nach 20 Ellen) – und somit im Verhältnis 1:2 – untereilt. Diese Markierung aber gibt – mit Ex 26,33a – zugleich den Ort der Parochet vor, der damit bereits in der Konstruktion des miškān selbst angelegt ist.664 An ihrem vorgesehenen Ort angebracht, unterteilt die Parochet das Innere des Heiligtums somit in zwei hintereinander liegende Räume, deren Grundflächen ebenfalls zueinander im Verhältnis 1:2 stehen. Raumtheoretisch aber beschreibt V.33a ein spacing, das letztlich mit zwei – wie sich zeigen wird sehr verschieden angelegten – Raumsynthesen verbunden werden 661
Vgl. JACOB, Exodus, 794. Vgl. JACOB, Exodus, 784; 786. 663 Vgl. HARAN, Temples, 151; JACOB, Exodus, 786. 664 Vgl. HARAN, Temples, 151; JACOB, Pentateuch, 196; PROPP, Exodus 19–40, 505; SARNA, Exodus, 171. 662
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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kann, die schrittweise in V.33b–35 entfaltet und mit weiteren Platzierungsvorgängen verbunden werden, die ihrerseits wiederum die Konzeption beider Räume erweitern.665 Grundlegend ist dabei, dass die in V.33a angelegte Konstitution von zwei, hintereinander liegenden Räumen in V.33b.35a begrifflich durch die Dichotomie von „Innen“ und „Außen“ – jeweils bezogen auf die Parochet – gefasst wird. So stehen einander der Raum „innerhalb der Parochet“ ( ;מבית לפרכתV.33b), der in V.33b–34 besprochen wird, und derjenige „außerhalb der Parochet“ ( ;מחוץ לפרכתV.35a), den V.35 beschreibt, gegenüber:666 Der Abschnitt zum inneren Raum (Ex 26,33b–34) ist dabei in markanter Weise als Rahmenstruktur gestaltet, in der die rahmenden Sätze V.33b.34 zwei Platzierungsvorgänge thematisieren, die mit der jeweils erwähnten „Lade des Zeugnisses“ ( )ארון העדותzusammenhängen. Dazwischen eingeschoben aber bietet V.33c eine Funktionsbestimmung der Parochet, die zugleich eine Synthese für die beiden durch das Platzieren der Parochet geschaffenen Räume anbietet. So wird der Parochet zugeschrieben, eine Scheidung (vgl. בדל-hi.), d.h. eine klare und definitive Trennung zwischen zwei Größen,667 herbeizuführen, die als das „Heilige“ ( )הקדשund das „Hochheilige“ ( )קדש הקדשיםeingeführt werden. In Ex 26,34 schließlich werden diese mit den in V.33b.35a benannten Räumen ‚innerhalb‘ bzw. ‚außerhalb der Parochet‘ korreliert, indem die Lade, die V.33b zufolge innerhalb der Parochet platziert ist, mit dem „Hochheiligen“ in Verbindung gebracht wird. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass das „Heilige“ der Raum außerhalb der Parochet ist.668 Beide Räume werden also hinsichtlich ihrer bestimmenden Qualität, dem „Grad“ ihrer Heiligkeit (d.h. dem Grad der Unmittelbarkeit ihrer Gottesnähe), differenziert, zugleich aber auch verglichen, was eine Hierarchisierung zur Folge hat, durch die der innere Raum dem äußeren vorgeordnet wird.669 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Formulierung ‚( לכםfür euch‘) in V.33c, die als Anrede an eine 2. Pers. Pl. die eigentlich in der Heiligtumstora vorausgesetzte Redesituation einer an Mose (allein) adressierten Gottesrede durchbricht. Diese bestimmt (das lesende) Israel als dasjenige Subjekt, das (im Erfassen und Interpretieren der Raumkonstruktion bzw. des beschriebenen spacings) die angedeutete Syntheseleistung einer Differenzierung in zwei Räume unterschiedlicher (gestufter) Heiligkeit vollziehen soll.670 Die Parochet aber ist daraufhin angelegt, diesen analytischen Vollzug anzustoßen und zugleich zu unterstützen. Dies ist insofern spannend, als sich die 665
Vgl. GEORGE, Tabernacle, 82. Vgl. GEORGE, Tabernacle, 82; JACOB, Exodus, 885–887. 667 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 72; UTZSCHEIDER, Heiligtum, 232. Vgl. zudem die Belege von –בדלhi. in Gen 1,4.6.7.14.18. 668 Vgl. JACOB, Exodus, 885–887. 669 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 82. 670 Vgl. UTZSCHEIDER, Heiligtum, 232–234. 666
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Parochet im Inneren des Zelts befindet und damit in einem Bereich, der in einem „real existierenden“ Heiligtum für das Volk überhaupt nicht zugänglich und einsehbar ist – zumal in diesem Fall die raumscheidende Funktion der Parochet auch erst dann offenkundig werden würde, wenn man auch den durch sie begrenzten inneren Raum erfassen und dann in einem zweiten Schritt vom äußeren unterscheiden könnte, was allerdings in der Konzeption des Heiligtums nicht vorgesehen ist. Der in V.33c implizierte Appell an Israel, die entsprechende Synthese zum beschriebenen spacing zu entwickeln bzw. nachzuvollziehen, kann vor diesem Hintergrund kaum sinnvoll als eine Aufforderung interpretiert werden, die auf den Umgang mit einem erbauten Heiligtum abzielt. Sie scheint daher eher auf das im Text erschlossene und im Lektüreprozess „begehbare“ Heiligtum zu verweisen, so dass das vordergründig auf das Israel der Textwelt (also der Mosezeit) verweisende לכםfaktisch v.a. auf die Lesenden des Textes hin transparent wird. Mit Blick auf diese aber verbindet Ex 26,33c die Funktionszuschreibung an die Parochet (vgl. בדל-hi.) mit einer Form von „konventionalisierter Raumsynthese“, die das angesprochene ‚ihr‘, d.h. letztlich die Gemeinschaft der Lesenden, im Zusammenhang mit der Parochet „standardmäßig“ mit einblenden soll.671 In Ex 26,33b.34 und Ex 26,35 schließlich erfahren die Raumkonzeptionen des „Heiligen“ und des „Hochheiligen“ durch zusätzliche Platzierungen eine weiterführende Ausgestaltung.672 So nimmt V.33b.34 auf das „Hochheilige“ Bezug, in dem die Lade ihren Platz finden soll. Diese wird in V.33b.34 mit dem in Ex 25,22 erstmals eingeführten Terminus ‚( ארון העדותLade des Zeugnisses‘) bezeichnet, der auf das in Ex 25,16.21 angeordnete Deponieren der ʽedūt im Inneren der Lade verweist und damit zugleich auch voraussetzt, dass – wie oben bereits ausgeführt – die Lade selbst die Bedeutung und Symbolik der ʽedūt „absorbiert“. Die Anweisung in Ex 26,34 erweist sich dabei als deutlicher Rückbezug auf den Vers Ex 25,21a, der fast wortgleich aufgenommen wird. Ex 26,34 34
ונתת את הכפרת על ארון העדת בקדש הקדשים
Ex 25,21a
ונתת את הכפרת על הארן מלמעלה
21a
Das in Ex 25,21a bereits angeordnete Auflegen der Kapporet auf die Lade wird also mit dem Platzieren der Lade im Raum innerhalb der Parochet verschränkt bzw. ist ausdrücklich nach diesem zu vollziehen. Dies hat zur Folge, dass die Konstitution des in Ex 25,21–22 umschriebenen Raumkonzepts, in dem der Raum innerhalb der Lade, in dem sich die ʽedūt befindet, der leere, von den Keruben über der Kapporet in Szene gesetzte Raum, sowie der aus671 672
Ähnlich JACOB, Exodus, 885–886. Vgl. GEORGE, Tabernacle, 82–83.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
231
gehend von diesem „leeren Raum“ erschlossenen Begegnungs- und Offenbarungsraum, der sich im Gegenüber von Mose und JHWH eröffnet, miteinander verschränkt sind, ausdrücklich in das „Hochheilige“ verlegt wird. Damit ist ein enger wechselseitiger Zusammenhang zwischen der kultischen Qualität des קדש הקדשיםund der „vollendeten“ und damit „funktionsfähigen“ Lade gegeben.673 Einerseits nämlich erscheint der als hochheilig qualifizierte Raum als (einzig) adäquater Ort des Zusammenfügens der Lade, das diese zu dem oben beschriebenen „Sinaiäquivalent“ macht.674 Andererseits aber liegt die Vermutung nahe, das die besondere Heiligkeit des inneren Raumes gerade daraus resultiert, dass JHWH in dem leeren Raum zwischen den Keruben im Begegnen und Sprechen zu Mose (vgl. Ex 25,22ab) gegenwärtig wird. Somit erscheint das Raumkonzept des „Hochheiligen“ „innerhalb der Parochet“ letztendlich als eine „Verlängerung“ desjenigen, das Ex 25,22 entwirft. Zugleich erhält letzteres damit einen konkreten Ort im Heiligtum, eben das durch die Parochet abgegrenzte Innere des Zeltes. Interessanterweise aber ist im Text der Tora an keiner Stelle klar festgehalten, dass Mose das „Hochheilige“ betritt, um zu JHWH zu sprechen. So ist zwar in Lev 1,1 ein Reden (דבר-pi.) JHWHs zu Mose thematisiert, bei dem sich Mose allerdings vor dem Zelt befindet, während dieses von der Herrlichkeit JHWHs ausgefüllt wird (vgl. Ex 40,34–35).675 In Num 7,89 ist hingegen davon die Rede, dass Mose in das Zelt der Begegnung kommt – ob in das „Heilige“ oder in das „Hochheilige“ lässt der Text dabei offen –, um dort die Stimme JHWHs zu hören, die von oberhalb der Kapporet ausgeht. Spannend ist dabei, dass an den beiden Stellen, an denen der in Ex 25,22 konzipierte Begegnungs- und Offenbarungsraum realisiert wird, Mose sich eindeutig nicht (so Lev 1,1) bzw. nicht eindeutig (so Num 7,89) im „Hochheiligen“‘ befindet, was bedeutet, dass der Bibeltext eine simple Identifikation des in Ex 25,22 konturierten Raumkonzepts mit dem Raum hinter der Parochet eindeutig „blockiert“. Im Gegenzug jedoch sind beide auch nicht zu trennen, da Ex 26,33–34 zufolge die Lade – und damit auch der für die Konstitution des Begegnungs- und Offenbarungsraums entscheidende „Leerraum“ zwischen der Keruben – im „Hochheiligen“ ihren Ort findet.
In Ex 26,35 schließlich wird nach dem „Hochheiligen“ auch das Raumkonzept des „Heiligen“ durch weitergehende Platzierungsvorgänge konkretisiert. Dabei kommen die beiden in Ex 25,10–40 über die Lade hinaus erwähnten Gegenstände, Tisch und Leuchter, ins Spiel, die ihren Platz im „Heiligen“, d.h. außerhalb der Parochet finden. Kompositorisch liegt in V.35 – ebenso wie in V.33–34 – eine Rahmenkonstruktion vor, in der die beiden Sätze V.35a.c, die das Platzieren des Tisches thematisieren, den Satz V.35b umschließen, der den Standort der Menora im Heiligtum beschreibt. Es wird deutlich, dass Tisch und Menora eng aufeinander bezogen bzw. miteinander verschränkt werden, wobei diese Verschrän673
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 260. Vgl. JACOB, Exodus, 887. 675 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 673. 674
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
kung als wesentlich für das in Ex 26,35 entworfene Raumkonzept für das „Heilige“ erscheint: Den Auftakt bildet V.35a mit der Anweisung, den Tisch in den Raum „außerhalb der Parochet“ ( )מחוץ לפרכתzu stellen, womit zunächst nicht mehr ausgesagt ist, als dass zwischen dem Tisch und dem Raum eine Verbindung besteht. Ex 26,35b hingegen stellt dem Tisch die Menora gegenüber ( – )נכחund zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Entscheidend ist hier somit die Relation der beiden Gegenstände, die – wenn sie bewusst einander gegenüberstehend angeordnet werden – als ein Ensemble erscheinen: Sie verweisen aufeinander und hängen miteinander zusammen.676 Erst in einem zweiten Schritt wird dieser relational gefassten Platzierung eine absolute Angabe konkretisierend gegenübergestellt, wenn der Text festhält, dass die Menora auf der Südseite des „Heiligen“, d.h. entlang der südlichen Wand des miškān aufzustellen ist, woraus mit V.35c zu folgern ist, dass sich der Tisch auf der Nordseite befindet. Da das Heiligtum gewestet ist, befinden sich die Gegenstände somit beim Eintreten ins „Heilige“ auf der rechten und linken Seite und heben so die Längsachse des Heiligtums hervor, die auch durch das gestaffelte Nach- bzw. Hintereinander der beiden Räume betont wird.677 Zugleich kann mit der Angabe der Himmelsrichtungen auch eine Polarisierung bzw. Hierarchisierung verbunden sein, die mit einer konventionalisierten Vorordnung der Süd- gegenüber der Nordseite zusammenhängt. Damit würde durch die Platzierung der Menora im Süden deren – im Vergleich zum Tisch auf der Nordseite – größere Bedeutung hervorgehoben.678 Eine weitergehende Füllung des Raumkonzepts des „Heiligen“ findet sich in Ex 27,35 allerdings (noch) nicht. Ein solches konkretisiert sich erst in Texten wie Ex 27,20–21; 28,1–43; (30,6–10), die Aarons Dienst im „Heiligen“ behandeln. Ex 26,36 schließlich setzt – parallel zu Ex 26,31a – einen Neueinsatz und führt einen weiteren Vorhang neben der Parochet ein, der schlicht als מסך (māsakh; ‚Vorhang‘) bezeichnet wird und bereits in V.36 mit der Funktionszuschreibung ‚( לפתח האהלals Eingang des Zelts‘) verbunden ist. Somit fungiert der māsakh als Abgrenzung des Zelts zum Hof hin bzw. – mit Blick auf das „Heilige“ – als die der Parochet entsprechende und ihr gegenüberliegende Begrenzung des Raums ‚außerhalb der Parochet‘.679 Genau diese Ambiguität zwischen „Heiligem“ und Hof findet ihren Niederschlag auch in den Vorschriften zur Herstellung des Vorhangs (V.36–37), die weitgehend parallel zu V.31–32 angelegt sind. So finden sich in V.36 (parallel zu V.31) Angaben zu Material und Machart des māsakh selbst, aus denen hervorgeht, dass 676
Vgl. JACOB, Pentateuch, 265–266; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 232–234. Vgl. GEORGE, Tabernacle, 72–73. 678 Vgl. MÜLLNER, Zeit, 9–10. 679 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 260; GEORGE, Tabernacle, 122. 677
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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dieser zwar aus denselben Stoffen wie die Parochet herzustellen ist, im Unterschied zu dieser aber nicht als „kunsthandwerkliche Arbeit“ ()מעשה חשב, sondern als „Buntweber-Machart“ ( )מעשה רקםgefertigt ist. Gemeinsamkeit und Differenz sind damit zugleich betont, wobei der māsakh letztlich durch die Machartangabe, die auf eine geringere Kunstfertigkeit verweist, von der Parochet und den Tüchern des miškān abgesetzt wird.680 Auf der anderen Seite aber finden sich dieselben Angaben wie in Ex 26,36 auch in Ex 27,16a, wo ein weiterer māsakh beschrieben wird, der ‚( לשערfür das Tor‘ / ‚als Tor‘) gefertigt werden soll und damit den Übergang zwischen dem Vorhof des Heiligtums und dem Lager Israels markiert.681 Letztlich korrespondieren so auch die beiden Zu- und Ausgänge zum bzw. vom Vorhof, der māsakh am Eingang des Zeltes und derjenige am Eingang des Hofs, miteinander, mit der Folge, dass der „dazwischen“ liegende Hof selbst, der durch die in Ex 27,9–19 beschriebene Umgrenzung abgesteckt wird, durch diese bestimmt und definiert wird. Wie die Parochet wird der māsakh am Eingang des Zeltes von Säulen ( )עמודיםaus šiṭṭīm-Holz getragen, die mit Gold überzogen und mit goldenen Nägeln bzw. Haken ( )װzum Aufhängen des Vorhangs versehen sind (vgl. V.37a–c). Damit wird zunächst wieder eher die Gemeinsamkeit mit der Parochet bzw. deren Aufhängung hervorgehoben, die nur durch die unterschiedliche Anzahl der Säulen – vier bei der Parochet, fünf beim māsakh – „gestört“ ist. Ex 26,37d aber stellt dann – gegenläufig – ein Moment der Differenz heraus, das durch die Metallsockel ( )אדניםder Säulen gegeben ist. Diese nämlich sind bei der Parochet aus Silber, während für diejenigen des māsakh Kupfer ( )נחשתzu verwenden ist. In diesem Punkt gleichen sie also den Säulen der Vorhofbegrenzung, die ebenfalls auf Kupfersockeln stehen (vgl. Ex 27,10), bzw. lassen generell eine „Affinität“ zum Vorhof erkennen, dessen charakteristisches Metall – wie Ex 27,19 ausdrücklich betont – Kupfer ist.682 Umgekehrt jedoch stehen die Säulen in ihren übrigen Eigenschaften deutlich denen der Parochet näher als denjenigen der Vorhofbegrenzung, da bei letzteren für die Nägel bzw. Haken ( )ווsowie für die Verbindungselemente zwischen den Säulen ( – )חשקיםeine Größe die nur hier vorkommt – Silber (nicht Gold) verwendet wird und die Säulen selbst offenbar nicht mit Edelmetall überzogen sind.
Der māsakh steht somit – auch hinsichtlich seiner Beschaffenheit – buchstäblich zwischen zwei Räumen, dem „Heiligen“, das durch Parochet und māsakh eingefasst ist, und dem Hof. Damit ist er einerseits als eine Größe zu fassen, die diese Räume voneinander abtrennt und damit auch einen wichti-
680
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 528. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 457. 682 Vgl. HARAN, Temples, 164–165; JACOB, Pentateuch, 196; JENSON, Graded, 101– 102. 681
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gen Anteil daran hat, diese zu definieren.683 Interessant ist allerdings, dass im Gegensatz zur Parochet (vgl. Ex 26,33c) diese angrenzende Funktion des māsakh im Text nicht explizit festgehalten wird. So findet sich keine V.33–35 entsprechende Funktionsbeschreibung und auch eine Charakterisierung der abgegrenzten Räume und ein weitergehendes Platzieren finden nicht statt. Letzteres mag entscheidend auch damit zusammenhängen, dass alle bislang eingeführten Kultgeräte (Lade, Tisch und Leuchter) mit Ex 26,33–35 in den beiden Räumen im Inneren des Zeltes platziert sind, der Raum innerhalb des māsakh also gewissermaßen schon fertig „eingerichtet“ ist, während für den Raum außerhalb des māsakh zunächst noch nichts zum Platzieren vorhanden ist. Dies ändert sich mit Ex 27,1–8, wenn mit dem Altar ein Kultgegenstand neu eingeführt wird, dessen Metallverkleidung und Geräte aus Kupfer, dem „Leitmetall“ des Vorhofs, bestehen und der im Heiligtum tatsächlich an der Stelle seinen Platz findet, an der er auch (literarisch) innerhalb der Heiligtumstora zu finden ist, nämlich zwischen māsakh (vgl. Ex 26,36–37) und Vorhofbegrenzung (Ex 27,9–19). Eine präzisere Standortbestimmung findet sich jedoch in der gesamten Heiligtumstora (und auch in den übrigen Kulttexten der Tora) nicht.684 Die genaueste Angabe bietet wohl Ex 30,18b mit der Aufforderung, den in Ex 30,17–21 beschriebenen ‚( כיורWaschbecken‘) zwischen Zelt und Altar zu platzieren. Diese Vorgabe lässt vermuten, dass Zelt und Altar innerhalb des Vorhofs in einer Linie (und dabei wohl „mittig“) angeordnet sind. Andererseits jedoch wird bei einer genauen Lektüre von Ex 30,17–21 schnell klar, dass das primäre Anliegen der Platzierung in Ex 30,18b nicht darin liegt, die Gegenstände im Vorhof präzise zu lokalisieren, sondern eher darin, eine Funktionsbeschreibung für den כיורzu geben. Dieser zufolge aber steht die Waschvorrichtung v.a. deshalb zwischen Zelt und Altar (und ist somit auf beide gleichermaßen bezogen), weil sich die Priester, die an einem der beiden kultischen Funktionsorte – Zelt oder Altar685 – Dienst tun wollen, zuvor an ihr waschen müssen.
Ebenso wenig wie für die Außenseite des māsakh eine zusätzliche Platzierung (explizit) vollzogen wird, die eine weitergehende Synthese dieses Raums erlauben würde, findet sich eine zu Ex 26,33c analoge Bestimmung der Qualität dieses Raums. So steht der māsakh also gleichsam zwischen dem „Heiligen“ und einem „Indefinitum“, in dem sich „irgendwo“ der Altar und auch das Zelt selbst „unverortet“ befinden;686 ein Umstand, der auf eine sehr bedeutungsvolle und auffällige „Lücke“ im Gesamtkonzept des Heiligtums hinweist. Ein in der Forschung prominenter Versuch, diesem Problem zu begegnen, greift letztlich auf ein erstmals bei PHILO (vit Mos II 91) belegtes Modell 683
Vgl. GEORGE, Tabernacle, 122. Vgl. GEORGE, Tabernacle, 84; HARAN, Temples, 155; HOUTMAN, Exodus 3, 457. 685 Vgl. dazu HARAN, Temples, 206. 686 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 84; GORMAN, Ideology, 56–57; HOUTMAN, Exodus 3, 457; JENSON, Graded, 89–93. 684
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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zurück, das versucht, den Standort des Zelts und des Altars innerhalb des Vorhofs auf „mathematischem“ Wege zu eruieren. So stellt PHILO fest, dass für den Fall, dass man das Zelt mit seiner Grundfläche von 30 x 10 Ellen so in dem 100 x 50 Ellen großen Hof platziert, dass sein Eingang genau in der Mitte des Hofs – 50 Ellen vom Tor entfernt – liegt, der geometrische Mittelpunkt des „Hochheiligen“ genau mit dem Mittelpunkt desjenigen Quadrats von 50 x 50 Ellen Grundfläche zusammenfällt, das eine exakt am Zelteingang entlanglaufende (imaginäre) Linie zusammen mit den Vorhofbegrenzungen bildet. Diesem Quadrat aber steht ein genau gleich großes vor dem Zelt gegenüber, in dessen Mittelpunkt der Altar zu verorten ist.687 Somit korrespondiert dieser eng mit dem Mittelpunkt des „Hochheiligen“ und damit mit der dort befindlichen Lade im Zentrum des anderen Quadrats. Festzuhalten aber ist, dass dieses Modell – so sehr es sich auch auf die Maßangaben im Text bezieht und einen theologisch durchaus reizvollen Gedanken herausarbeitet – weit über die Vorgaben des Textes hinausgeht und damit leicht Gefahr läuft, dessen eigentliches Anliegen aus den Augen zu verlieren, was M. GEORGE wie folgt auf den Punkt bringt: “The lack of specificity about where the tabernacle proper was to be positioned within the court suggests that the relative orientation of objects within tabernacle space was the important issue for spatial practice, not exact placement.”688
In der neueren Forschung verbindet sich mit der Frage nach dem räumlichen Arrangement des Heiligtums zudem vielfach ein auf M. HARAN zurückgehendes Konzept, das die Anlage des Heiligtums als ein Ineinander konzentrischer „Schalen“ von abgestufter Heiligkeit beschreibt.689 Dieses nimmt bei der quantifizierenden Differenzierung zwischen dem „Hochheiligen“ (innerhalb der Parochet) und dem „Heiligen“ (außerhalb der Parochet) in Ex 26,33 seinen Ausgang, durch die der Raum höchster Heiligkeit im Zentrum des Heiligtums lokalisiert ist und positioniert vor diesem das „Heilige“ – gleichsam als eine erste „Schale“, um die herum der Vorhof als eine zweite gelegt ist.690 Die unterschiedlichen, in den jeweiligen Bereichen des Heiligtums („Hochheiliges“, „Heiliges“ und Hof) verwendeten Werkstoffe und Textilien aber werden als physische Manifestation oder symbolischer Ausdruck von
687
Vgl. dazu auch DOHMEN, Exodus 19–40, 262; JACOB, Exodus, 871–872; HARRAN, Temples, 155; 158–165; PROPP, Exodus 19–40, 498; 500–501; SARNA, Exodus, 155–156. Vgl. auch die Skizzen bei DOHMEN, Exodus 19–40, 243; HARAN, Temples, 152; JANOWSKI, Sühne, 203; SARNA, Exodus, 155; u.v.m. 688 GEORGE, Tabernacle, 84. 689 Vgl. HARAN, Temples, 158–165. Vgl. auch GEORGE, Tabernacle, 106; PROPP, Exodus 19–40; 498–502. 690 Vgl. HARAN, Temples, 158–165; GEORGE, Tabernacle, 106.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Abstufungen interpretiert.691 Weitere Informationen, die das Bild vervollständigen können, finden sich in Num 1,1–5,4, wo zunächst das Lager außerhalb des Heiligtums beschrieben und als ein Raum definiert wird, der einerseits – im Gegensatz zum Heiligtum – profan ist, andererseits aber durch seine kultische Reinheit bestimmt wird, also frei von Unreinheit sein soll(te) (vgl. Num 5,1–4).692 Dazwischen jedoch, d.h. zwischen Zelt und Lager, die beide im Bibeltext hinsichtlich ihrer kultischen Qualität präzise bestimmt sind (vgl. Ex 26,33; Num 5,1–4), befindet sich der Vorhof, über den eine Vielzahl von Aussagen getroffen wird, die sich allerdings nicht in solcher Weise vereinheitlichen lassen, dass der Hof sich – irgendwo zwischen ‚heilig‘ und ‚profan‘, Zelt und Lager – reibungsfrei in das Schalenmodell integrieren ließe.693 So ist er als Standort des Altars einerseits mit gesteigerter Heiligkeit verbunden (vgl. Ex 29,37), andererseits aber setzt die Opfertora (Lev 1–7) einen selbstverständlichen Zugang aller (reinen) Israeliten zum Vorhof voraus, der praktisch bis unmittelbar zum (hochheiligen) Altar hin reicht694 und mit der gesteigerten Heiligkeit, die diesem zukommt, nur schwer vereinbar scheint. Zusätzlich unterlaufen wird eine klare Einordnung der vielen (widersprüchlichen) Zuschreibungen durch die fehlende Binnendifferenzierung im Vorhof (z.B. durch „physisch“ markierte Trennungen), die mehrere Teilräume generieren würde, auf die die konkurrierenden Qualitäten „verteilt“ werden könnten.695 Als Modifikation des „Schalenmodells“, die den skizzierten Problemen Rechnung trägt, wird vielfach ein „Ellipsenmodell“ vorgeschlagen, dem zu691
Vgl. HARAN, Temples, 158–165; GEORGE, Tabernacle, 106. Vgl. dagegen aber JA(Exodus, 867–870), der aufzeigt, dass z.B. reines Gold und Kupfer zwar mit unterschiedlichen Räumen (Gold mit dem Inneren des Zelts und Kupfer mit dem Hof) verbunden sind, aber ausdrücklich keine quantifizierbaren Abstufungen von Heiligkeit anzeigen. 692 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 112–114. 693 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 113; JENSON, Graded, 90–93. 694 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 125; HARAN, Temples, 186 (Anm. 24); HUNDLEY, Before, 22–23; JENSON, Graded, 91–92; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 126. 695 Vgl. JACOB, Exodus, 856–857; PROPP, Exodus 19–40, 498–499. Vgl. auch GORMAN, Ideology, 56–57. Gegen H ARAN, Temples, 181–184. Aufgelöst ist die beschriebene Problematik in der Anlage des zweiten (bzw. des herodianischen) Tempels (nach der Beschreibung in mMid) oder in der Tempelvision Ezechiels, in denen mehrere Höfe je unterschiedlicher kultischer Qualität hintereinander gestaffelt sind. Der Versuch von HARAN (Temples, 184–187), den Vorhof in zwei Hälften – den „Eingang“ und den „heiligen Ort“ – mit unterschiedlichen Graden von Heiligkeit zu unterteilen (vgl. ähnlich auch HARTLEY, Leviticus, 19), scheitert daran, dass die Texte selbst zwar unterschiedliche Funktionen und Qualitäten mit dem „Eingang des Zelts“ bzw. dem Vorhof verbinden, eine klare räumliche Verteilung derselben aber gerade nicht vornehmen und zudem auch keine „Raumteiler“ erwähnen, die die Unterteilung des Hofs veranschaulichen könnten. Vgl. auch OTTO, Gesetz, 52, der die „Polyvalenz“ des Hofs / Eingangs mit einer Relationalität von Heiligkeit – der Altar ist hochheilig im Gegenüber zum Hof – verbindet. Doch auch hier fehlt das dann eigentlich nötige abgrenzende Element zwischen Hof und Altar. COB
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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folge das Heiligtum durch die beiden im Text jeweils als hochheilig qualifizierten Brennpunkten Lade (Ort der Anrede Israels durch JHWH) und Altar (Ort der Anrede JHWHs durch Israel) bestimmt ist,696 wobei hier auf eine präzise Einordnung des Hofs in der Regel verzichtet wird.697 Deutlich jedenfalls wird – v.a. mit Blick auf den Vorhof –, dass das Heiligtum und seine Räume nicht alleine durch statische Zuschreibungen von (quantifizierten) Qualitäten (z.B. heilig – hochheilig – profan) organisiert und hierarchisiert sind. Ein zusätzliches (dynamisches) Moment ist mit zu berücksichtigen, wobei es sich dazu als hilfreich erweisen kann, das Raumkonzept des „Eingangs des Zelts der Begegnung“ präzise zu erheben. Mit Blick auf den māsakh jedoch ist festzuhalten, dass seine abgrenzende Funktion, mit der – wie soeben deutlich geworden ist – viele Problemfelder verbunden sind, erstaunlich vage bleibt. Dieser Befund kann auch als Hinweis darauf gewertet werden, dass ein anderes Moment, das zudem im Text recht anschaulich inszeniert wird, wesentlich zentraler ist, nämlich die Funktion, zwischen dem (klar definierten) „Heiligen“ und dem facettenreichen Vorhof zu vermitteln. Diese Überlegung kann sich zunächst darauf stützen, dass der māsakh in Ex 26,36–37 hinsichtlich seiner Materialien und Machart tatsächlich wie ein „Zwitter“ gestaltet ist, der dem „Heiligen“ und dem Hof gleichermaßen zugeordnet ist – und sich damit zwangsläufig auch von allen Gegenständen dieser Räume in einzelnen Aspekten unterscheidet.698 Entsprechend liegt es hier nahe, die Idee von G. SIMMEL aufzugreifen, wonach Grenzen weniger als Ende und Abschluss einer Entität oder Fläche zu begreifen sind, sondern eher als ein – ggf. auch breiterer, Überschneidungen und sich überlagernde Zuordnungen umgreifender – Übergangs- und Kontaktraum eigener Art, der Territorien zugleich trennt und verbindet und damit auch den Charakter – mit LÖW die Raumsynthese – der abgegrenzten bzw. verbundenen Entitäten maßgeblich mitbestimmt. Wie genau aber der māsakh bzw. der „Eingang des Zeltes“ ( )פתח האהלin diesem Sinne als begrenzender Übergang zu fassen ist, soll im Folgenden in der Auslegung von Ex 29,42 gezeigt werden. 3. Der „Eingang des Zelts der Begegnung“ in Ex 29,42 a) „Konturen“ des „Eingangs“ in Ex 29 Ex 29,42 lokalisiert die Darbringung des Brandopfer-Tamids am „Eingang des Zelts der Begegnung“ ()פתח אהל מועד. Damit greift der Vers zunächst auf 696
Vgl. dazu z.B. FISCHER/MARKL, Exodus, 281–282. Weitere Modifikationen von HARANS Modell bieten JENSON, Graded (v.a. 33–38; 89–114); GORMAN, Ritual (v.a. 28–32; 40–42); GEORGE, Tabernacle (v.a. 105–111), die jeweils auch raumtheoretische Überlegungen einfließen lassen. 698 Vgl. GEORGE, Tabernacle, 122. 697
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Ex 26,36–37 zurück, wo sich die Formulierung פתח האהלals Funktionszuschreibung für den māsakh am Zelt findet (vgl. V.36), also auf einen konkreten Gegenstand bezogen ist, der trennend und zugleich vermittelnd zwischen „Heiligem“ und Vorhof steht. Dem gegenüber erscheint in Ex 29,42 der „Eingang“ gleichsam als weiterer Raum, der dadurch bestimmt ist, dass in ihm die Darbringung des Brandopfer-Tamids vollzogen wird und der daher auch den Brandopferaltar mit einschließen muss.699 Mit dieser Andeutung eines Raumkonzepts kann Ex 29,42 auf den drei Belegstellen in Ex 29,1–35 aufbauen (vgl. Ex 29,4a.11[+10a].32), in denen ebenfalls vom „Eingang des Zelts der Begegnung“ die Rede ist: In Ex 29,4a findet sich die Aufforderung an Mose, Aaron und seine Söhne zum Eingang des Zelts ( )אל־פתח אהל מועדzu bringen. Wie in Ex 26,36 ist damit zunächst der Vorhang (als Raumbegrenzung) im Blick, der nun aber pointiert von der anderen Seite, nämlich vom Vorhof her ins Auge gefasst wird und so als derjenige Übergangsbereich erscheint, an dem dieser an das „Heilige“ bzw. an das Zelt stößt.700 In Folge des Hinzutretens der künftigen Priester wird der Eingang zum Schauplatz der in Ex 29,4–9 thematisierten Investiturvorgänge (Waschen – Ankleiden – Salben) und damit zum kultischen Funktionsort.701 Der Altar spielt dabei zunächst keine Rolle und ist bestenfalls insofern (indirekt) im Blick, als die zum Eingang gebrachten Opfergaben (vgl. Ex 29,3b.4a) letztendlich für diesen bestimmt sind. Doch bereits in Ex 29,10–11 wird der Altar zum „Eingang des Zelts“ in Bezug gesetzt. So findet sich in V.10a die Anweisung, den Stier für die ḥaṭṭā’t „vor das Zelt der Begegnung“ („ )לפני אהל מועדheranzunahen“ (קרבhi.), die deutlich an V.4a anknüpft, wo Mose aufgetragen wird, Aaron und seine Söhne (mitsamt den für das Weiheritual benötigten Gaben) zum Eingang des Zelts zu bringen (קרב-hi.). In Ex 29,11 aber folgt auf dieses Herannahen die Schlachtung des Stiers „vor JHWH ( )לפני יהוהam Eingang des Zelts der Begegnung (“)פתח אהל מועד, wobei die Wendung פתח אהל מועדselbst ohne Präposition wie לפניoder -ב, also asyndetisch angeschlossen ist. Anders als noch in Ex 29,4a verweist die Rede vom „Eingang“ also nicht mehr vorrangig auf einen konkreten Gegenstand, den in Ex 26,36–37 eingeführten māsakh, zu dem ein Vorgang über die Präposition in eine (räumliche) Relation gesetzt wird. Stattdessen wird der Eingang aufbauend auf der aus V.4a.4b–9 zu erhebenden, noch sehr allgemeinen Raumsynthese („Raum für Kultvollzüge“) als Ort eingeführt, an dem nun weitere Raumkonzepte realisiert werden können,
699
Vgl. HARRAN, Temples, 184; HOUTMAN, Exodus 3, 527; HUNDLEY , Before, 15–17; MILGROM, Leviticus 1–16, 148; PROPP, Exodus 19–40, 500–501; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 29–30. 700 Vgl. HUNDLEY, Before, 21–22. 701 Vgl. HUNDLEY, Before, 23.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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zugleich aber auch als eine „Chiffre“ präsentiert, unter der diese Raumkonzepte miteinander verbunden und aufeinander bezogen werden können. So ist mit dem Eingang in Ex 29,11 zunächst der Vollzug der Schlachtung des Stiers durch Mose verbunden, bevor mit Ex 29,12 der Altar in den Fokus rückt, an dem die in V.12b geschilderte Blutapplikation der ḥaṭṭā’t vollzogen wird und der dann weiterhin als Ort der im folgenden geschilderten Opfervollzüge (vgl. V.12bc.13b.16c.18a.20d.21aR.25b) zentral bleibt. Der Eingang selbst hingegen wird nach V.[10a.]11 in Ex 29,10–28 kein weiteres Mal erwähnt, obwohl es doch naheliegend erscheint, dass auch die Schlachtung der übrigen Opfertiere dort stattfinden. Altar und Eingang werden damit in einen engen Zusammenhang gebracht, die in Ex 29,42 implizierte Verortung des Altars am Eingang, d.h. in dem als „Eingang des Zelts der Begegnung“ bezeichneten Raum, wird in Ex 29,(10.)11 jedoch (noch) nicht ausdrücklich vorgenommen. Zuletzt ist auffällig, dass der Wendung ‚( לפני אהל מועדvor das Zelt der Begegnung‘; Ex 29,10a) in Ex 29,11 die Formulierung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) gegenübersteht. Beide werden über die ihnen gemeinsame Präposition לפניzueinander in Beziehung gesetzt, wodurch der Eingang mit einem räumlich gedachten, aber ausdrücklich nicht exakt lokalisierten GegenwärtigSein JHWHs korreliert wird. Damit aber erweitert sich die Syntheseleistung des Eingangs um ein zentrales Element, das schließlich ebenfalls in Ex 29,42 wiederkehrt.702 Weitere Akzente bringt der Beleg in Ex 29,32 ein, der erneut kein Augenmerk auf den Altar legt. Hier nämlich geht es um den Verzehr der Priesteranteile durch Aaron und seine Söhne, der – פתח אהל מועדerneut ohne Präposition (vgl. V.11) – stattfinden soll. Dabei ist wesentlich, dass die Gaben als heilig gelten und daher – so V.31b – nur an einem heiligen Ort zubereitet und ausschließlich durch die Priester konsumiert werden dürfen. All diese Zusammenhänge legen die Vermutung nahe, dass auch dem Eingang als Ort des Verzehrs die Qualität der Heiligkeit zukommt. Somit kann festgehalten werden, dass der Eingang mit einer Vielzahl unterschiedlicher Vollzüge – letztlich mit dem gesamten Weiheritual – verbunden ist (Investitur der Priester, Schlachtung der Opfer, Verzehr der Priesteranteile),703 von denen ausgehend sich unterschiedlichste Raumsynthesen ergeben können, die u.a. dadurch verbunden sind, dass sie („zugleich“) am selben Ort realisiert werden. An allen drei Textstellen aber lassen sich – mal ausdrücklich formuliert, mal angedeutet – die folgenden (gemeinsamen) Elemente ausmachen: (1.) Der Eingang ist – wie aus Ex 29,32(.33–34) abzuleiten – als heiliger Ort zu bestimmen. Dies scheint auch in Ex 29,4.[10–]11 vorausgesetzt zu sein. 702 703
Vgl. HUNDLEY, Before, 24–25; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 126–127. Vgl. UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 125–126.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Zugleich aber ist er auch für die Israeliten zugänglich (vgl. z.B. Lev 1,3; 3,2; 12,6; 15,14.29)704 und somit nicht exklusiv den Priestern vorbehalten. (2.) Mit der Heiligkeit ist eine (nicht nur räumlich zu denkende) Relation zur (Gegenwart) JHWHs verbunden, die in Ex 29,11 in der Wendung לפני יהוה (‚vor JHWH‘) angedeutet ist. (3.) Der „theologischen“ „Verortung“ steht schließlich die „topographische“ Verbindung mit dem Vorhof des Heiligtums gegenüber, in dem alle am Eingang des Zelts der Begegnung lokalisierten Vollzüge stattfinden. Dabei scheint der Eingang auf der einen Seite beinahe mit dem Vorhof (als Ganzem) zusammenzufallen, wobei das Verhältnis beider Größen letztlich an keiner Stelle ausdrücklich thematisiert oder gar eindeutig bestimmt wird. Auf der anderen Seite aber impliziert die Rede vom „Eingang des Zelts der Begegnung“ eine Ausrichtung auf das Heiligtum hin, die allen mit dem Eingang verbundenen Raumkonzepten ein klare „Richtung“ bzw. „Polarisierung“ einschreibt.705 Ex 29,42 knüpft nun an diejenigen Raumkonzepte zum „Eingang des Zeltes“ an, die die Lesenden in Ex 29,1–35.36–37 entwickeln können, wobei ein besonders enger Bezug zu Ex 29,11 gegeben ist. So ist der „Eingang“ einerseits auch dort mit einem Opfervollzug verbunden, andererseits aber nimmt Ex 29,42 die beiden auch in V.11 nebeneinander belegten Wendungen פתח ( אהל מועדohne Präposition!) und לפני יהוהin umgekehrter Reihenfolge auf. Dabei lassen sich auch in Ex 29,42 die oben angeführten Elemente ausmachen, die den mit dem Eingang verbundenen Raumkonzepten in Ex 29,1– 35.36–37 gemeinsam sind: (1.) Zunächst wird – im Rückgriff auf Ex 29,11 – in der mit פתח אהל מועד verbundenen Wendung לפני יהוהeine Relation des Raums und v.a. der ihn konstituierenden Vollzüge zu JHWH angezeigt, die einerseits „lokal“ zu denken, d.h. auf einen nicht explizit identifizierten „Ort“ der Gegenwart JHWHs hin bezogen ist, andererseits aber auch einen „Beziehungsaspekt“ mit einschließt. (2.) In Ex 29,1–37 erscheint פתח אהל מועדletztlich als Chiffre, unter der die unterschiedlichen – ausgehend von den verschiedenen Vollzügen entwickelten – Raumkonzepte zu einem vieldimensionalen Bild zusammengeführt werden. Dieses nun wird in Ex 29,42 insofern erweitert, als hier – eine „Tendenz“ aus Ex 29,(10–)11 verstärkend – eine Fokussierung auf den Altar hin vollzogen wird, die diesen als ein „Zentrum“ des Eingangs erscheinen lässt. Letztlich wird der פתח אהל מועדdamit durch zwei Dynamiken bestimmt: Zum 704
Vgl. HUNDLEY, Before, 22–24. Vgl. ähnlich HARTENSTEIN, Bedeutung, 127; HUNDLEY, Before, 22; JÜRGENS, Heiligkeit, 78–79. 705
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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einen durch die im Begriff selbst angelegte Ausrichtung des Raumes auf den Eingang des Zelts und damit auf das „Heilige“ hin, das durch den trennenden māsakh nach außen hin repräsentiert wird und gleichsam „durch diesen hindurch“ „Anziehungskraft“ entfaltet, zum anderen aber durch die Ausrichtung auf den Altar als den Ort des Brandopfer-Tamids. (3.) Die aus Ex 29,32(.33–34) abzuleitende Bestimmung des Eingangs als heiliger Ort ist in Ex 29,42 insofern vorauszusetzen, als der Altar, ein „Fokalpunkt“ des Eingang, als (hoch)heilig qualifiziert wird (vgl. Ex 29,37cd). Zugleich jedoch ist die Zugänglichkeit des Eingangs für alle (reinen) Israeliten zu berücksichtigen.706 Ex 29,42 kann somit zunächst an die in Ex 29,1–35 angedeuteten Raumkonzepte zum פתח אהל מועדanknüpfen und diese so nochmals einspielen. Darauf aufbauend aber wird durch die oben bereits angesprochene Bezugnahme auf Ex 25,22 ein spezifischer Akzent eingebracht. Ex 29,42 42a 42aR 42aRI
עלת תמיד לדרתיכם פתח אהל מועד לפני יהוה אשר אועד לכם שמה לדבר אליך שם
Ex 25,22
ונועדתי לך שם ודברתי אתך מעל הכפרת מבין שני הכרבים אשר על ארן העדת את כל אשר אצוה אותך אל בני ישראל
22a 22b 22bR1 22b 22bR2
Wenn Ex 29,42 das Begegnen (יעד-ni.) und Reden (דבר-pi.) JHWHs ebenso mit dem Eingang des Zeltes (sowie mit dem dort befindlichen Altar) verbindet, wie dies in Ex 25,22 mit Bezug auf die Kapporet der Fall ist, liegt es nahe, in analoger Weise auch den Eingang als Offenbarungs- und Begegnungsraum zu synthetisieren.707 Bei genauerer Betrachtung aber fallen auch Unterschiede und Verschiebungen ins Auge, die erkennen lassen, dass in Ex 29,42 nicht nur „einfach“ ein zunächst mit der Lade verbundenes Raumkonzept an einen anderen Ort innerhalb des Heiligtums transferiert wird, sondern dass vielmehr ein komplexeres Verhältnis zwischen den Texten und den in ihnen angelegten Raumkonzepten gegeben ist. Um dem präziser nachgehen zu können, sind zunächst auch die Differenzen zwischen Ex 29,42 und Ex 25,22 zu erheben:
706
Vgl. HUNDLEY, Before, 22–24. Zum (diachronen) Verhältnis von Ex 25,22 und Ex 29,42 vgl. OWCZAREK, Wohnen, 84–86; POLA, Priesterschrift, 234–235; STRUPPE, Herrlichkeit, 36. 707
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
So wird der erste Satz von Ex 25,22, V.22a, im Relativsatz Ex 29,42aR aufgenommen, der auf die Wendung פתח אהל מועדin Ex 29,42a bezogen ist. Dies hat zur Folge, dass die im Nomen ( מועדV.42a) enthaltene Wurzel יעדin V.42aR in der Zusage des Begegnens (יעד-ni.) wiederkehrt,708 die somit wie eine „Exegese“ der Benennung des Heiligtums als אהל מועדwirkt.709 Dabei wird der we=qaṭal-Satz Ex 25,22a ( )ונועדתי לך שםin einen x-jiqṭol-Satz ( אשר )אועד לכם שמהumgesetzt, der die Zusage des Begegnens aus Ex 25,22a einspielt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Versen besteht allerdings darin, dass JHWH in Ex 29,42 nicht Mose (vgl. ;לךEx 25,22), sondern Israel (vgl. )לכםbegegnen will. Zudem findet sich in Ex 29,42aR anstelle der in Ex 25,22a belegten Ortsadverbiale ‚( שםdort‘) das in seiner Bedeutung leicht unterschiedliche ‚( שמהdorthin‘). In Ex 25,22 bringt der syntaktisch exakt parallel zu V.22a gestaltete Verbalsatz (we=qaṭal) V.22b, der ein Reden JHWHs ankündigt, eine inhaltliche Füllung und Konkretisierung des „Begegnens“ (יעד-ni.). Das Begegnen und das Reden gehen dabei von dem spannungsvoll-dynamischen „Leer-Raum“ zwischen den Keruben aus, auf den in Ex 25,22a zunächst die Adverbiale שם verweist und der in V.22b nochmals in seinen bestimmenden Relationen angedeutet wird. In Ex 25,22b–bR2 hingegen wird betont, dass das Reden zu Mose (und damit letztlich auch das Begegnen) insofern eigentlich auf die Söhne Israels abzielt, als der Inhalt des Redens dasjenige ist, was JHWH dem Mose im Hinblick auf die Söhne Israels befehlen wird. In ähnlicher Weise sind auch in Ex 29,42 Begegnen und Reden verbunden, wobei syntaktisch sogar eine noch engere Verknüpfung gegeben ist, da nun die beiden Verben nicht über die Parallelität der Satzkonstruktion aufeinander bezogen sind, wie in Ex 25,22ab, sondern das Reden in dem von Ex 29,42aR abhängigen Infinitivsatz Ex 29,42aRI thematisiert wird, der final aufzulösen ist, was bedeutet, dass das Reden JHWHs als das Ziel bzw. die Intention des Begegnens erscheint.710 Anders als in Ex 25,22b ist zudem das Verb דבר-pi. (‚reden‘) in Ex 29,42aRI mit der Präposition ‚( אלzu‘) – anstelle von את (‚mit‘) – verbunden. Spannend aber ist in diesem Zusammenhang v.a. eine Gemeinsamkeit zwischen beiden Texten, dass nämlich in Ex 25,22b wie in Ex 29,42aRI ein Reden zu / mit Mose im Blick ist, was in Ex 25,22 völlig kon708
U. STRUPPE argumentiert dafür, יעד-ni. in einem terminativen Sinne als Aussage über das „Sich-selbst-dorthin-Bestimmen“ JHWHs zu lesen. JHWH macht sich somit (in beinahe juristisch verbindlicher Weise) an dem jeweiligen Ort für Israel verfügbar.708 Obwohl sie damit das Gemeinte präzise trifft, soll im Folgenden weiterhin das sachlich ungenauere, im Deutschen aber verständlichere ‚begegnen‘ zur Umschreibung des hebräischen Verbs יעד-ni. verwendet werden. 709 Vgl. ähnlich GÖRG, Zelt, 60; 168–169; JANOWSKI, Sühne, 326; DERS., Tempel, 229– 230; FREVEL, Blick, 100–101; KÖCKERT, Leben, 104; NIHAN, Priestly Torah, 38; OWCZAREK, Wohnen, 179; STRUPPE, Herrlichkeit, 46–47. 710 Vgl. GÖRG, Zelt, 59.
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sistent erscheint, in Ex 29,42aRI aber den interessanten Zusammenhang generiert, dass JHWH (ganz) Israel ( )לכםbegegnet (V.42aR), um mit Mose ()אליך zu sprechen (V.42aRI). Auch werden in Ex 29,42 – im Unterschied zu Ex 25,22 – Inhalt und Anliegen des Sprechens nicht angedeutet.711 Um nun Ex 29,42 im Gegenüber zu Ex 25,22 angemessen interpretieren zu können, ist zunächst grundlegend festzuhalten, dass die Handlungen JHWHs – Begegnen und Sprechen – im Kontext von Ex 29,38–46 mit einer spezifischen Situation verknüpft sind, nämlich mit der in Ex 29,38–42 thematisierten Darbringung des Brandopfer-Tamids auf dem Altar (vgl. V.38a–aR) bzw. am Eingang des Zelts der Begegnung (vgl. V.42a). Das Begegnen realisiert sich also im Vollzug der Darbringung und kann so als eine Antwort bzw. als ein Reagieren JHWHs auf das kultische Handeln Israels im Heiligtum gefasst werden. Dies unterstreicht auch die Adverbiale ‚( שמהdorthin‘) in V.42aR, die stärker als ihr Pendant ‚( שםdort‘; Ex 25,22a) eine (räumlich figurierte) Bewegung JHWHs auf Israel zu impliziert, die mit dem Begegnen verbunden ist bzw. diesem vorausgeht. So ist – stärker als in Ex 25,22 – ein dynamischer Aspekt gegeben, der das aktive Reagieren JHWHs auf den Opfervollzug besonders herausstreicht. Zugleich kann damit das Begegnen auch als eine Fortführung derjenigen Dynamik interpretiert werden, die in den qualifizierenden Wendungen in Ex 29,41(b.)c nachgezeichnet ist. Dort nämlich wird das Tamid als אשה ליהוה (‚Feuergabe für JHWH‘; V.41c) gefasst, eine Gabe, die Israel auf den Altar gibt, damit sie dort zum „Wohlgeruch“ ( ;ריח ניחחV.41b) werde, d.h. eine Huldigung JHWHs ausdrückt und Wohlwollen für Israel weckt, JHWH damit aber auch zu einer reziproken Zuwendung zu Israel „motiviert“. Eine solche erfolgt nun, indem JHWH Israel am Eingang des Zelts begegnet (vgl. V.42aR) und sich dazu – wie das ‚( שמהdorthin‘) deutlich macht – auf Israel hin in Bewegung setzt.712 Somit ist mit dem über die Adverbiale שמה (‚dorthin‘) als konkreten Ort ins Auge gefassten Eingang ein relativ komplexes spacing verbunden: Im Begegnen nämlich tritt JHWH der in der Wendung ‚( לכםeuch‘) bezeichneten Größe gegenüber, (ganz) Israel. Dabei ist allerdings nicht davon auszugehen, dass tatsächlich das gesamte Volk zur Darbringung des Tamid im Vorhof des Heiligtums versammelt ist, so dass nicht ausschließlich ein spacing von (physisch) anwesenden Personen im Blick ist. Dies kongruiert mit dem Umstand, dass Israel auch in V.38–41 nicht genannt wird, da dort ja die Ausführung des Brandopfers zunächst dem Mose aufgetragen wird. Andererseits aber stellt die Wendung ‚( לדרתיכםfür 711
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 273; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 206–207. Vgl. JACOB, Exodus, 889; NIHAN, Priestly Torah, 48; WILLI–PLEIN, Lebenszusammenhang, 166. Anders als FREVEL (Blick, 98) betont, ist somit in Ex 29,42 kein Wechsel der Thematik „Vom Opfer zur Begegnung“ (ebd.) gegeben. Vielmehr geschieht im Opfervollzug die in V.42.43–46 eingehender reflektierte Begegnung. 712
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
eure Generationen‘) in Ex 29,42a klar heraus, dass Israel durch die Generationen hindurch für die Darbringung des Tamid zuständig ist. Wie auch in Num 28–29 festgehalten, ist das Tamid ein kommunales Opfer, das von ganz Israel (und im Namen ganz Israels) dargebracht wird. So ist Israel anlässlich der Darbringung des Tamid insofern präsent, als die benötigten Opfergaben letztendlich vom ganzen Volk aufgebracht bzw. finanziert sind und dieses somit das eigentliche Subjekt des „Übergebens“ an JHWH ist. Dabei ist klar festzuhalten, dass Israel nicht durch die Opfergabe an sich (als physische Größe) repräsentiert ist. Stattdessen aber ist das Volk im Vorgang bzw. im Vollzug der Darbringung, den Ex 29,38–41 zufolge zunächst Mose verantwortet, als Geber gegenwärtig gedacht. Wenn aber das Brandopfer-Tamid mit Ex 29,41c eine ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) ganz Israels ist, in der die Huldigung des Volkes (vgl. ;ריח ניחחV.42b) zum Ausdruck kommt, liegt es nahe, dass JHWH diese „Kontaktaufnahme“ im Begegnen Israels beantwortet. In raumtheoretischer Perspektive kann die Repräsentation des (ganzen) Volkes im Geben, d.h. in der Darbringung des Brandopfer-Tamids, als ein Platzieren Israels als (primär) symbolischer Größe am Eingang des Zelts der Begegnung gedeutet werden, mit dem sich über das „Begegnen“ JHWHs ein weiteres spacing verbindet: In beiden Vorgängen zusammengenommen aber wird derjenigen Raum konstituiert, den Ex 29,42 fokussiert und der ausgehend vom Verb יעד-ni. in V.42aR zunächst als „Begegnungsraum“ synthetisiert werden kann. Des Weiteren erscheint er, da an ihm das Volk im Vollzug des Tamid als Einheit präsent gedacht wird, gleichsam als „Zentrum“ oder „Brennpunkt“ Israels. So deutet sich in Ex 29,42 eine Vorstellung an, die in Num 1–2 auch organisatorisch umgesetzt wird, wenn dort Israel – nach Stämmen gruppiert – rings um das Heiligtum angeordnet und so auf dieses als Zentrum ausgerichtet wird. Spannend aber ist, dass in Ex 29,42 – anders als dies in Num 1–2 scheinen mag – das „Zentrum Israels“ nicht als statischer (geometrischer) Mittelpunkt gedacht, sondern über einen Handlungsvollzug, und damit dynamisch bestimmt wird: Der Eingang des Zelts der Begegnung, an dem Israel über das Tamid als regelmäßiges, kommunales Opfer mit JHWH in Kommunikation tritt, wird immer genau dann, wenn und genau dadurch, dass dies geschieht, zu einem „Kristallisationskern“ der Einheit Israels im Gegenüber zu JHWH (vgl. )לפני יהוהund damit zu einem zentralen Haftpunkt für ein Kernelement israelitischer Identität.713 In diesem „Begegnungsraum“, der im Vollzug des Tamid durch das spacing von Israel und JHWH konstituiert wird, ist nun mit Ex 29,42aRI ein weiteres spacing eingeschlossen, das die bereits angesprochenen Platzierungen (Israels und JHWHs) voraussetzt bzw. spezifiziert und im Sprechen JHWHs zu Mose realisiert wird. 713
Vgl. ähnlich GEORGE, Tabernacle, 85–87; KLEIN, Future, 275.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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b) Institutionen Wenn Ex 29,42aRI ein Sprechen JHWHs zu Mose am Eingang des Zeltes thematisiert, so ist zunächst die Situation der Mosezeit im Blick, in der – wie in Ex 29,38–41 nahegelegt – Mose während der Opferhandlung als ansprechbares Gegenüber JHWHs am Eingang des Zelts präsent sein kann. Anders als in V.42aR findet sich dabei in V.42aRI (bezogen auf das Verb דבר-pi.) nicht die Adverbiale ‚( שמהdorthin‘), sondern ‚( שםdort‘), womit weniger der Aspekt eines Herbeikommens zum Eingang des Zelts impliziert, sondern eher ein aus dem Kommen resultierendes Präsent-Sein angedeutet wird. Somit setzt das Reden ‚dort‘ das in V.42aR thematisierte Begegnen ‚dorthin‘ voraus, was umgekehrt bedeutet, dass in V.42aRI eine Ausgestaltung bzw. „Weiterentwicklung“ des „Begegnungsraums“ in Richtung eines „Offenbarungsraums“ vollzogen wird.714 Wenn in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich Mose als Gegenüber JHWHs ausgewiesen wird, klingt erneut das in Ex 20,18–21 grundgelegte Konzept der mosaischen Offenbarungsmittlerschaft an,715 das letztlich – beginnend mit dem Bundesbuch in Ex 20,22–23,33 – für die gesamte Offenbarung am Sinai bestimmend ist, in gleicher Weise aber auch auf dem Weg ins Land zur Anwendung kommt. Es realisiert sich in der durchgehenden Anrede JHWHs an Mose (und Aaron), die aber stets mit dem Auftrag zur Weitervermittlung verbunden ist und somit letztlich in die Toraverkündigung und -auslegung des Mose vor der Zweiten Generation in Dtn einmündet. Dabei ist das Reden JHWHs zu Mose ausdrücklich kein „Alltagsplausch“, sondern hat die Weisung JHWHs (für Israel) zum Gegenstand. Dies wird auch in dem Vers Ex 25,22 deutlich herausgehoben, den Ex 29,42 aufnimmt, wenn in Ex 25,22b–bR2 der Inhalt des Redens JHWHs in der Wendung את כל־אשר אצוה ‚( אותך אל־בני ישראלalles, was ich dir im Hinblick auf die Söhne Israels befehlen werde / will‘) bestimmt wird. Wesentlich ist nun, dass der damit angedeutete Vorgang der Übermittlung der Tora sowohl in den Texten in Ex 19–Num 10, die die Willenskundgabe(n) JHWHs am Sinai darstellen, als auch in den Texten in Num 15–36*, die angelehnt an Num 7,89 (ergänzende) Offenbarungen „auf dem Weg“ behandeln (vgl. Num 15; 18–19; 27; 28–30; 33,50– 35,34), ausdrücklich außerhalb des Kultes verortet wird.716 Somit besteht eine große Besonderheit von Ex 29,42 darin, dass hier das Reden JHWHs zu Mose tatsächlich mit dem Tamid, also mit einem regelmäßigen, kultischen Vollzug am Altar bzw. am Eingang des Zelts der Begegnung korreliert wird. Diese Beobachtung ist nun zunächst für das in Ex 29,42 entfaltete Raumkonzept des Eingangs interessant, da dieses gleichsam um eine „Sinai-Figuration“ erweitert wird, bei der im Kommen JHWHs und sei714
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 273. Vgl. UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 207. 716 Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 48. 715
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
nem Sprechen zu Mose ein spacing vollzogen wird, das demjenigen der Offenbarungsszenen am Sinai vergleichbar ist. Mit dem Realisieren der Raumkonzepte des Begegnungs- und Offenbarungsraums in der Darbringung des Tamids ist letztendlich also auch ein „Re-Inszenieren“ der Willenskundgabe JHWHs am Sinai verbunden.717 Wenn umgekehrt aber – wie oben vorgeschlagen – der im Vollzug des Tamid konstituierte Raum, der in Ex 29,42 unter der Chiffre פתח אהל מועד verhandelt wird, letztlich als „Haftpunkt israelitischer Identität“ zu fassen ist, so reflektiert die in Ex 29,42aRI unter Rekurs auf Ex 25,22 eingebrachte „Sinai-Figuration“ letztlich, dass v.a. auch die Ausrichtung auf den an Mose übermittelten Gotteswillen ein wesentliches Spezifikum Israels darstellt, von dem her sich das Volk versteht (verstehen soll) und das im regelmäßigen Kult stets neu vollzogen wird. In all diesen Überlegungen ist das Sprechen zu Mose damit weniger als Ankündigung einer immer neuen Willenskundgabe im Gefolge der Ausführung des Tamid interpretiert, sondern eher als Hinweis auf einen grundsätzlichen Sinai- bzw. Torabezug gedeutet, der dem Begegnen JHWHs bzw. der Interaktion zwischen JHWH und Israel innewohnt.718 Ein solches Verständnis aber wird letztlich auch über das Stichwort ‚( לדרתיכםfür eure Generationen‘) in Ex 29,42a nahegelegt, das auf eine über ein individuelles Handeln hinausreichende Verstetigung des täglichen Brandopfers und damit verbunden auch auf eine regelmäßige Wiederholung des selben raumschaffenden Handelns hinweist. Vor diesem Hintergrund kann das tägliche Brandopfer mit MARTINA LÖW als institutionalisierter Vollzug beschrieben werden. Für einen solchen ist das Reproduzieren von (An)Ordnungen charakteristisch, wobei die (An) Ordnungen selbst „über ein individuelles Handeln hinaus wirksam bleiben und genormte Syntheseleistungen und spacings nach sich ziehen.“719 Verankert sind solche Institutionen in Regeln und (autoritativen oder symbolischen) Ressourcen. Solche sind – bezogen auf das Tamid in Ex 29,38–46 bzw. auf die (institutionalisierte) Konstitution des Begegnungs- und Offenbarungsraums – zum Einen die Vorschriften zum Tamid selbst, die den konkreten Vollzug normieren, daneben aber auch die mit dem Vollzug verbundene Intention Israels, mit JHWH in Beziehung zu treten, sowie die Zusage JHWHs, dem Volk (als Antwort darauf) zu begegnen. Zugleich fällt auf, dass sowohl das Brandopfer – abgesichert über die normierenden Vorgaben in Ex 29,38– 42 und dargebracht von den Generationen Israels720 – als auch das Begegnen JHWHs – rekursiv verankert in der Zusage JHWHs in Ex 29,42aR – als insti717
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 273; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 207. Vgl. angedeutet auch bei FREVEL, Blick, 101. 719 LÖW, Raumsoziologie, 272. 720 Vgl. dazu auch M. GEORGE, (Tabernacle, 118), der den Vollzug des täglichen Brandopfers als „routine“ interpretiert, d.h. im Sinne der Raumtheorie von H. LEFEBVRE, auf die er sich beruft, als institutionalisierte, raumschaffende Praxis. 718
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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tutionalisiert gelten können, aber wohl kaum das Sprechen JHWHs, das in V.42aRI als das eigentliche Ziel des Begegnens profiliert wird und ausdrücklich Mose als Adressaten voraussetzt, der allerdings in der in den späteren Generationen Israels nicht mehr präsent ist. So deutet sich im Text zunächst eine wesentliche Differenz an zwischen der in Ex 29,38–46 zunächst reglementierten Form des Tamid, bei der das Brandopfer von Mose dargebracht wird und die sich im Vollzug ereignende Gottesbegegnung tatsächlich sinnvoll mit einem Reden zu Mose verknüpft werden kann, und dem Tamid späterer Generationen, in denen ein Mose vergleichbarer Offenbarungsmittler nicht mehr zur Verfügung steht. Zumindest mit Blick auf die zuletzt genannte Form kann der Hinweis auf das im Reden konkretisierte Begegnen nur als ein grundsätzlicher Rekurs auf das Sinaigeschehen interpretiert werden, das in der Darbringung des Tamid und der darin vollzogenen Gottesbegegnung „reaktiviert“ wird. Aber auch für die zuerst genannte Form erscheint dies als plausibel, da die Tora an keiner Stelle davon berichtet, dass sich tatsächlich eine („neue“) Willenskundgabe JHWHs im Zusammenhang mit dem Vollzug des Tamid ereignet. Ex 29,42 will somit die Darbringung des täglichen Brandopfers als eine stete „Reinszenierung“ des Sinaigeschehens – und damit als memoriaGeschehen – verstanden wissen, in dem damit auch Mose als Zentralfigur der Sinaiereignisse durch die Generationen hindurch (erinnert) als Offenbarungsmittler präsent ist. Dies bedeutet, dass mit Blick auf die in Ex 29,42 entfalteten Raumvorstellungen, die bislang mit ‚Offenbarungsraum‘ überschriebene Raumsynthese dahingehend zu präzisieren ist, dass das im Tamid vollzogene spacing von JHWH und Israel letztlich dem spacing des Sinaigeschehens nachgestaltet ist und so einen „Sinai-förmigen“ „Memorial-Raum“ konstituiert, in dem die Offenbarung der Tora stets neu Gegenwart wird und Israel sich immer wieder in seine Gründungssituation hineingestellt erlebt. Damit aber ist auch eine grundsätzliche Verbindung zwischen der Israelbegegnung JHWHs im Vollzug des Tamid und dem für die Generationen Israels in Gestalt der (geschriebenen) Tora (und damit als Text) zugänglichen Reden JHWHs zu Mose angedeutet, was dazu führt, dass aus der Perspektive der Lesenden auch die Tora selbst dauerhaft in dem in Ex 29,42 konstruierten idealen „Begegnungsraum“ verankert bleibt und so als bleibend relevante Größe für die Identität Israels markiert ist. c) Der Eingang des Zelts und die Kapporet Nachdem nun wesentliche Elemente des in Ex 29,42 entfalteten Raumkonzepts für den Eingang des Zelts der Begegnung als Ort der Darbringung des Tamid vorgestellt sind, ist zuletzt noch ein Abgleich mit dem in Ex 25,22 entwickelten Raumkonzept der Kapporet vorzunehmen, der dabei helfen kann, einige Facetten noch präziser zu fassen.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Wie oben aufgezeigt, bestimmt Ex 25,22 den spannungsvoll-dynamischen Leer-Raum zwischen den Keruben über der Kapporet als Ort einer Präsenz JHWHs im Heiligtum. Dieser wird dabei betont nicht als statischer Aufenthaltsort vorgestellt, ist doch in Ex 25(–31) weder ein (statisches) Sitzen oder Thronen über der Lade ausgesagt, noch finden sich andere Verben, die den Fokus auf eine „unbewegte“ Präsenz rücken oder diese gar über ihre Konnotationen mit einem „Zeitaspekt“ wie Dauerhaftigkeit etc. verbinden. Stattdessen ereignet sich Ex 25,22 zufolge JHWHs Gegenwart in dynamischen und kommunikativen Vollzügen – JHWH begegnet (יעד-ni.) und redet (דבר-pi.) –, die vom Raum zwischen den Keruben her ihren Ausgang nehmen, freilich ohne dabei JHWH auf eine dauerhafte Präsenz an dieser Stelle festzulegen. Im Reden und Begegnen wird – von dem Leer-Raum über Kapporet ausgehend – ein spacing vollzogen, das mit einem in mehrfacher Hinsicht nichtinstitutionalisierten Raumkonzept verbunden werden kann. So ist die Konstitution des Offenbarungs- und Begegnungsraums an der Lade ausdrücklich mit keinem normierten Ritual verbunden, in dem als symbolischer Ressource ein Reproduzieren von Raum(konzepten) rekursiv abgesichert werden könnte. Sie verdankt sich vielmehr allein der freien Interaktion zwischen JHWH und Mose (vgl. z.B. Num 7,89). Zudem kann, wenn das Reden und Begegnen JHWHs exklusiv mit Mose als Gegenüber verbunden bleibt, das beschriebene spacing in der Zeit nach Mose nicht mehr realisiert werden.721 Somit platziert die Heiligtumstora im Zentrum des Heiligtums ein (nach Mose) „theoretisch“ bleibendes Konzept einer „Sinai-förmigen“ Präsenz JHWHs im Begegnen und Sprechen zu Mose, das in seiner vielfältig angelegten Unzugänglichkeit der Andersartigkeit JHWHs und dem auf Distanzierung und Abgrenzung ausgelegten Anspruch seiner Heiligkeit (vgl. dazu Ex 19,12–13.21–24)722 Rechnung trägt. Ex 29,42 hingegen deutet die Möglichkeit an, am Eingang des Zelts der Begegnung, d.h. an einem grundsätzlich für (ganz) Israel zugänglichen Ort ein Raumkonzept zu realisieren, das demjenigen aus Ex 25,22 „in etwa“, d.h. mit absichtsvollen (und notwendigen) Brechungen, entspricht und dabei ganz ausdrücklich auf eine regelmäßige Reproduzierbarkeit ausgerichtet ist. So ereignet sich die dynamische Gottespräsenz, die zunächst mit der Kapporet verbunden ist, dort allerdings unzugänglich bleibt, ausdrücklich im Vollzug des Tamid, wenn JHWH Israel am Eingang des Zeltes begegnet. Anders als in dem in Ex 26,31–35 (und in Ex 19,20–24) entfalteten Konzept ist die von der Heiligkeit JHWHs eingeforderte Abgrenzung dabei nicht durch eine räumliche Separation und Segregation garantiert, sondern allein durch das Ritual der Darbringung, das gemäß der Weisung JHWH an seinem vorgesehenen Ort 721
Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 48. Vgl. dazu DOHMEN, Exodus 19–40, 73–76; JACOB, Exodus, 550–552; MARKL, Dekalog, 86–89. 722
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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vollzogen wird. Zugespitzt macht das Ritual des Tamid Unzugängliches zugänglich bzw. gibt „U-topischem“ einen konkreten Ort.723 Wenn sich somit im Kultvollzug am Altar eine komplexe Interaktion zwischen JHWH und seinem Volk ereignet, die ihrerseits wiederum auf die unzugängliche „Sinai-Spolie“ im Zentrum des Heiligtums hin transparent ist, so ist der oben skizzierte Befund, wonach der Vorhof bzw. der Eingang des Zelts kaum sinnvoll in ein Schalenmodell gestufter Heiligkeitsbereiche integriert werden kann, durchaus naheliegend, da statische Zuschreibungen von kultischen Qualitäten an abgegrenzte Räume, den komplexen und dynamisch angelegten Raumkonzepten, die Ex 29 zeichnet, kaum gerecht werden können. Abschließend jedoch ist nochmals auf Ex 29,38–41 zurückzublicken. Liest man nämlich die dort gebotenen Anweisungen zur Ausführung des Tamid mit Blick auf die in Ex 29,42 entfalteten Raumkonzepte hin, so kann der oben bereits beschriebene Umstand, dass in V.38–41 nur eine flektierte Verbform (‚ ;תעשהdu sollst machen‘) verwendet wird, die allerdings an fünf Stellen belegt ist (V.38aR.39ab.41ab), auf eine weitere Sinnlinie verweisen. Über das Verb עשהnämlich kann das „Machen“ des Tamid mit den Herstellungsanweisungen in Ex 25,10–27,19 (und Ex 28) verbunden werden, in denen die in Ex 29,38–41 gebrauchte Form תעשהebenso wie das syntaktisch äquivalente ועשיתvielfach belegt sind, um das Herstellen der einzelnen Gegenstände und Bestandteile des Heiligtums zu thematisieren. In Ex 25,10–27,19 verweist das Verb עשהsomit auf ein einmaliges Herstellen, das mit Ex 29,38–42 in einem wiederholten, institutionalisierten „Machen“ im vollendeten Heiligtum seine konsequente Fortführung findet und zugleich die Grundlage für dieses bildet. Damit erweist sich das Tamid als Kultvollzug und die in ihm gelingende Konstitution eines Begegnungsraums auch unter diesem Blickwinkel als das zentrale Geschehen, auf das hin das Heiligtum ausgerichtet ist.724 IV. Theologische Verortungen und Kontextualisierungen (Ex 29,43–46) Anknüpfend an die in Ex 29,41(b.)c–42 entwickelten Deutungen des in Ex 29,38–41 angeordneten regelmäßigen Brandopfers finden sich in den Versen Ex 29,43–46 weiterführende theologische Verortungen und Kontextualisierungen, die das Tamid in einen weitergespannten Horizont hineinstellen und so die Deutung vertiefen.725 Wie bereits aufgezeigt, wird mit Ex 29,43 – sowohl durch den Wechsel von der Anrede an Mose (bzw. an Israel) in der 2. Pers. Sg. (bzw. Pl.) zur 723
Die These von HARAN, der Altar und das Innere des Zelts seien weitgehend separat voneinander zu denken, wobei ersterer auch ohne letzteres „funktionieren“ könnte (vgl. HARAN, Temples, 220–221) erweist sich somit als kaum zutreffend. 724 Vgl. ähnlich JACOB, Pentateuch, 292. 725 Vgl. RENDTORFF, Opfertora, 180.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Rede über Israel (vgl. v.a. V.43a.45–46a) in der 3. Pers.,726 als auch durch die Ablösung der in V.38–41 bestimmenden [we=]x-jiqṭol-Sätze (V.38aR.39ab. 41ab.42aR) durch we=qaṭal-Sätze (vgl. V.43ab.44a.45ab.46a) – ein Neueinsatz gegenüber V.38–42 markiert. Der Abschnitt Ex 29,43–46 kann dabei in zwei Unterabschnitte – Ex 29,43–44 und Ex 29,45–46 – untergliedert werden.727 1. Heiligkeit (Ex 29,43–44) Ex 29,43a, der erste Satz von Ex 29,43–44, nimmt Ex 29,42aR auf und knüpft insofern an den vorangehenden Abschnitt an, als er die Israel-Begegnung JHWHs, die von Ex 29,42aR her als ein Agieren zu bestimmen ist, in dem JHWH auf den Kultvollzug Israels „antwortet“, (auch der Sache nach) als Anknüpfungs- und Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen markiert. Im Folgenden geht es demnach v.a. um weiterführende Konkretisierungen des „Begegnens“. Andererseits aber sind in der Gegenüberstellung der beiden aufeinander verweisenden Sätze zugleich die bereits angesprochenen Indizien bedeutsam, die für eine Unterteilung von Ex 29,38–46 in die beiden Abschnitte Ex 29,38–42 und Ex 29,43–46 sprechen. So eröffnet Ex 29,43a syntaktisch eine Reihung von we=qaṭal-Sätzen (vgl. V.43ab–44a), an die in V.45a–46a eine weitere, parallel gestaltete Reihung anschließt, während in V.42aR letztmals die in Ex 29,38–42 bestimmende Satzformation [we=]xjiqṭol zu finden ist.728 Der Wechsel von der Anrede (2. Pers.) zur „Rede über“ (3. Pers.) hingegen wird im „Austausch“ der Wendung ‚( לכםeuch‘; V.42aR) durch die (referenzgleiche) Formulierung ‚( לבני ישראלden Söhnen Israels‘; V.43a) greifbar. Thematisch verbindet Ex 29,43–44 das von Ex 29,42 her fortgeführte „Begegnen“ mit dem Motiv der Heiligkeit bzw. des Heiligens, das erstmals in dem syntaktisch zu V.43a exakt parallel gestalteten Satz Ex 29,43b eingebracht wird. In diesem erweist sich die adäquate Deutung des Verbs נקדשals das zentrale Problem für die Auslegung. a) ( נקדשEx 29,43b) Die Verbform נקדשals 3. Pers. m. Sg. Perf. (ni.) zum Verb קדשzu bestimmen. Um allerdings seine Bedeutung im Kontext erheben zu können, ist zunächst das Subjekt zu diesem Verb zu eruieren, wobei hier – wie ein Blick in die Auslegungsgeschichte zeigt – durchaus unterschiedliche Hypothesen denkbar sind, die z.T. aber auch mit einem Eingreifen in den Text einhergehen, bei dem die Verbform der 3. Pers. Sg. zu einer in der 1. Pers. hin verän726
Vgl. STRUPPE, Heiligkeit, 33. Vgl. STRUPPE, Heiligkeit, 39. 728 Vgl. FREVEL, Blick, 103. 727
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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dert – oder zumindest als eine solche interpretiert – wird. Dieser Vorgang, der JHWH zum Subjekt macht, ist bereits in der LXX greifbar, die das ונקדשdes hebräischen Textes mit καὶ ἁγιασθήσομαι (‚und ich [= JHWH] werde geheiligt werden‘) wiedergibt. Targum Onkelos und Targum (Pseudo-)Jonathan übersetzen das Verb in vergleichbarer Weise mit ‚( וא]י[תקדשund ich werde geheiligt‘). Der Anstoß für diese Option ist wohl, dass sowohl in Ex 29,43a als auch in V.44ab jeweils Verbformen in der 1. Pers. Sg. ( ;ונעדתיV.43a; ;וקדשתיV.44a; ;אקדשV.44b) mit JHWH als Subjekt belegt sind, was dazu anregen kann, die ohnehin (auch semantisch) schwierige Verbform in V.43b, die im Hebräischen Text mit der 3. Pers. zunächst aus der Reihe fällt, entsprechend anzugleichen. Eine Transformation des Verbs נקדשin eine 1. Pers. Sg. bzw. – vermeintlich zurückhaltender – eine Interpretation als solche (ohne ausdrücklich in den tradierten Text einzugreifen), ist vielfach auch in der wissenschaftlichen Sekundärliteratur – v.a. in der deutschsprachigen – zu finden, wobei der doch deutliche Eingriff in den überlieferten Text vielfach gar nicht eigens problematisiert wird.729 Schwerpunktmäßig in der angelsächsischen Literatur ist dagegen die Tendenz greifbar, die im HT überlieferte Form ( נקדש3. Pers. m. Sg) beizubehalten,730 bei der JHWH, als Subjekt definitiv ausscheidet und somit die Notwenigkeit besteht, ein anderes plausibles Subjekt zu bestimmen. Ein (antikes) Beispiel für diese Option findet sich in der Vulgata, die den Altar als Subjekt ansetzt und – um den Text zu vereindeutigen bzw. die Lesenden auf diese Interpretation festzulegen – sogar (entgegen der hebräischen Vorlage) in die Übersetzung von V.43b einfügt: et sanctificabitur altare in gloria mea (‚und der Altar wird geheiligt werden in meiner Herrlichkeit‘).731 RASCHI hingegen setzt in seinem Torakommentar hinter das Verb ונקדשlakonisch das Wort ‚( המשכןder miškān‘) und bestimmt so diesen als das Subjekt von ונקדש.732 Diese beiden „traditionellen“ Stimmen deuten bereits an, in welcher Richtung nach dem vorausgesetzten Subjekt zu suchen sein wird und verdeutlichen zugleich, dass der überlieferte Text durchaus auch ohne Eingriff in den Wortlaut sinnvoll verstehbar ist. Letzteres impliziert zugleich eine klare Option für die Lesart des hebräischen Textes – unter der Voraussetzung, dass sich diese in eine konsistente und sinnvolle Gesamtdeutung des Satzes Ex 29,43b (im Kontext von Ex 29,43–44) integrieren lässt.733 Für eine solche kann es sich zunächst als hilfreich erweisen, die genaue Semantik des Verbs קדש-ni. zu bestimmen. Dieses ist im TaNa“K nur an elf 729
Vgl. z.B. DOHMEN, Exodus 19–40, 273–274; FREVEL, Mose, 116–117; JANOWSKI, Sühne, 318 (Anm. 244); 325. 730 Vgl. z.B. HOUTMAN, Exodus 3, 552; PROPP, Exodus 19–40, 473. 731 Vgl. dazu STRUPPE, Heiligkeit, 32. 732 Vgl. RASCHI zu Ex 29,43. 733 Vgl. STRUPPE, Heiligkeit, 32.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Stellen belegt, wobei auf die Tora mit Ex 29,43; Lev 10,3; 22,32; Num 20,6 vier Belege entfallen, denen sechs weitere bei Ezechiel (Ez 20,41; 28,22.25; 36,23; 38,16; 29,27) und schließlich ein letzter im Jesajabuch (Jes 5,16) gegenüberstehen. Abgesehen vom Vers Ex 29,43 ist dabei an allen anderen Stellen JHWH als Subjekt vorausgesetzt. Dies legt zunächst die Folgerung nahe, dass das niph‛al in diesem Fall kaum im Sinne eines „einfachen“ Passivs zu verstehen ist, קדש-ni. also – anders als z.B. in Ex 29,43 oft vorgeschlagen – kaum mit „geheiligt werden“ zu übersetzen ist. An keiner Belegstelle kann ein einfaches Überführen in den Zustand der Heiligkeit im Blick sein – allein schon deswegen nicht, weil Heiligkeit JHWH gleichsam „definitionsgemäß“ zukommt und er daher nicht geheiligt werden kann / muss. Stattdessen behandeln die Texte jeweils einen Erweis (bereits gegebener) Heiligkeit, d.h. ein „Als-heilig-erwiesen-Werden“ JHWHs bzw. ein „Offenbar-Werden“ der Heiligkeit JHWHs.734 Besonders gut greifbar ist dies Jes 5,16, wo sich ein interessantes Spiel mit der Wurzel קדש findet, wenn die Prophetenstimme zunächst betont, dass der „heilige Gott“ ()האל הקדש „durch Gerechtigkeit“ ()בצדקה, d.h. durch deren Durchsetzung „als heilig erwiesen“ ()נקדש wird. Somit kommt קדש-ni. eine „forensische“ Dimension zu, da es den „öffentlichen“, offenkundigen Aufweis der Heiligkeit JHWHs in der Durchsetzung der Gerechtigkeit thematisiert.735 In den Belegstellen im Ezechielbuch ist jeweils ein Handeln JHWHs an Israel, aber auch an Gog (vgl. Ez 38,16)736 oder Sidon (vgl. Ez 28,22)737 im Blick, in dem JHWH vor den Augen der Völkerwelt sein Heilig-Sein unter Beweis stellt. Dies kann mit der Rehabilitierung des durch Israel unter den Völkern entweihten Namens JHWHs verbunden sein (vgl. Ez 36,23).738 Um einen Aufweis von Heiligkeit (im Handeln JHWHs) geht es schließlich auch in Lev 10,3. Hier deutet Mose den Tod der Söhne Aarons in Folge ihres illegitimen Opfers als eine Selbstdurchsetzung der Heiligkeit JHWHs, die auf eine Restitution der gebotenen Ordnung des Heiligtums zielt (s.u.).739 Ein etwas anderer Zusammenhang ist in Lev 22,32 gegeben, einem Vers, der im Kontext von Lev 22,31–33 auszulegen ist: Die Verse Lev 22,31–33 formulieren als Abschluss zu Lev 21–22 die Aufforderung an Israel, die Gebote JHWHs zu bewahren (V.31), was mit der komplementären Mahnung verbunden ist, den Namen der Heiligkeit JHWHs nicht durch das Missachten der Weisungen zu entweihen bzw. zu profanieren ()חלל. Die Folge des Gehorsams Israels, d.h. des „Nicht-Entweihens“ des Namens aber ist mit V.32b das „Als-heilig-erwiesen-Werden“ (קדש-ni.) JHWHs inmitten der Söhne Israels. Die Heiligkeit JHWHs manifestiert sich hier also zunächst in der Toratreue – und damit im Tun – Israels, was durch die Selbstprädikation JHWHs als derjenige der Israel heiligt ( )אני יהוה מקדשכםin V.32c weiter interpretiert wird: JHWH heiligt und befähigt Israel in Gegenwart seiner Heiligkeit zu sein, woraus auch der Appell erwächst, entsprechend dieser Heiligkeit zu 734
Vgl. JANOWSKI, Sühne, 326; STRUPPE, Herrlichkeit, 51–52; WILLI–PLEIN, Opfer,
47. 735
Vgl. BEUKEN, Jesaja 1–12, 151. Vgl. BLOCK, Ezekiel 25–48, 451; ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 958. 737 Vgl. BLOCK, Ezekiel 25–48, 124–125; ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 692–693. 738 Vgl. BLOCK, Ezekiel 25–48, 358–359; ZIMMERLI, Ezechiel 25–48, 877–878. 739 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 387; MILGROM, Leviticus 1–16, 601–602. 736
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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handeln, den Willen JHWHs zu tun und darin (reziprok) den Namen JHWHs als heilig zu erweisen:740 Heiligkeit wird hier somit – mit TH. HIEKE gesprochen – zum „paränetischen Ruf“.741
Der knappe Überblick über die Belegstellen von קדש-ni. könnte es zunächst nahelegen, auch in Ex 29,43 JHWH als Subjekt anzusetzen. In dieser Weise gedeutet, unterstreicht Ex 29,43b, dass JHWH – indem er den Söhnen Israels „dorthin“ begegnet (vgl. Ex 29,43a) – durch seine / in seiner Herrlichkeit ( )כבודals heilig erwiesen wird.742 Möglich ist diese Deutung aber – wie oben bereits ausgeführt – nur, wenn entgegen dem HT anstelle der 3. Pers. Sg. ( )ונקדשeine 1. Pers. gelesen wird. Will man hingegen am Wortlaut des HT – und damit an der 3. Pers., die nicht auf JHWH verweisen kann – festhalten, so ist es der sachlichen Logik, aber auch den grammatikalischen Bezügen folgend am plausibelsten, den Eingang des Zelts der Begegnung ( )פתח אהל מועדals Subjekt zu ונקדשzu bestimmen. Dieser ist zuletzt in V.42a (grammatikalisch kongruent zu V.43b) angesprochen, wird dann aber in den drei aufeinanderfolgenden und V.43b unmittelbar vorausgehenden Sätzen V.42aR.aRI.43a über die Adverbialen שמהbzw. שםwieder aufgenommen. Auf diese Weise bleibt er durchgehend Thema und kann somit auch in V.43b als Subjekt vorausgesetzt sein ohne neu benannt werden zu müssen.743 Ex 29,43 betont somit, dass – indem JHWH den Söhnen Israels begegnet (V.43a) – der Ort dieser Begegnung, der Eingang des Zelts, als heilig erwiesen wird; und zwar „in“ dem bzw. „durch“ den כבודJHWHs (vgl. ;בכבדיV.43b). Ein Vorzug dieser Interpretation liegt darin, dass Ex 29,43 enger und konsistenter an Ex 29,42 und die dort entfaltete Reflexion zum Ort des Tamid – und damit auch an die mit dem Raumkonzept des Eingangs des Zelts verknüpfte יעד-ni.-Aussage in V.42aR(.43a) – anschließen kann.744 Aber auch der Zusammenhang mit Ex 29,44 scheint hier plausibler als bei der alternativen Deutungsmöglichkeit, die JHWH als Subjekt zu קדש-ni. ansetzt, da auch in V.44 nicht die Heiligkeit bzw. das „Alsheilig-erwiesen-Werden“ JHWHs im Fokus steht, sondern das durch JHWH bewirkte „Heilig-Werden“ (קדש-pi.) von Heiligtum (V.44a) und Priestern (V.44b).745
740
Vgl. FREVEL, Mose, 116–117; HIEKE, Levitikus 16–27, 865–866, MILGROM, Leviticus 17–22, 1888. 741 HIEKE, Levitikus 16–27, 866. 742 Vgl. z.B. JANOWSKI, Sühne, 326. 743 Die Idee des HIERONYMUS, der in der Vulgata den Altar als Subjekt identifiziert und diesen auch in den Text „einsetzt“, ist von diesem Vorschlag nicht weit entfernt, v.a. wenn man das in V.42a entfaltete Raumkonzept vor Augen hat, in dem der Eingang des Zelts tatsächlich auf den Altar, den Ort der Darbringung des Tamid, hin fokussiert wird. 744 Vgl. ähnlich – trotz anderer Interpretation von – נקדשJANOWSKI, Sühne, 326. 745 Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 57.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Um aber die Ankündigung von Ex 29,43b, dass der Eingang des Zeltes (als Ort des Tamid-Vollzugs und des Begegnens JHWHs) in der / durch die „Herrlichkeit“ ( )כבודJHWHs als heilig erweisen wird (קדש-ni.), adäquat interpretieren zu können, ist zuletzt auch die Wendung ‚( בכבדיdurch meine / in meiner Herrlichkeit‘) in V.43b mit zu berücksichtigen. Die Präposition - בist mit dem Verb קדש-ni. auch an allen übrigen Belegstellen desselben (mit Ausnahme von Lev 22,32) verbunden und zeigt dabei stets an, an wem bzw. wodurch der jeweils thematisierte Aufweis der Heiligkeit geschieht. In Ex 29,43 ist dies die „Herrlichkeit JHWHs“ ()כבוד יהוה, und damit eine Größe, die – bezogen auf JHWH746 – in der Heiligtumstora zwar nur an dieser einen Stelle belegt ist, sich dafür aber in vielen zentralen Kontexten der Tora findet,747 die für eine Interpretation von Ex 29,43b herangezogen werden können. Wesentlich ist dabei, dass – soweit nicht wie in Gen 31,1; 45,13; 49,6; (Ex 28,2.40;) Num 24,11 ein kāvōd von Menschen im Blick ist – bereits sprachlich bzw. über die Formulierungen eine enge Bindung des kāvōd an JHWH zum Ausdruck gebracht wird. So findet sich an allen Belegstellen entweder die Konstruktusverbindung ‚( כבוד יהוהHerrlichkeit JHWHs‘) oder aber – in Reden – die Verbindung des Nomens כבודmit einem ePP, das auf JHWH verweist (vgl. ;כבדיEx 29,43b; 33,22; ;כבודךEx 33,18). Des Weiteren ist bedeutsam, dass der ‚( כבוד יהוהHerrlichkeit JHWHs‘) fast durchgehend mit dem Verb [ ראהq./ni.] (‚sehen‘ bzw. ‚sichtbar werden, erscheinen‘) verbunden ist (vgl. Ex 16,7.10; 24,17; 33,18; Lev 9,6.23; Num 14,10.22; 16,19; 17,7; 20,6), was umso bemerkenswerter ist, als die Herrlichkeit – abgesehen von den Belegen in Ex 33,18.22, in denen es um die Frage geht, ob Mose (auf dem Berg, d.h. allein) den ‚( כבוד יהוהHerrlichkeit JHWHs‘) schauen darf – stets vor dem Volk Israel (als Ganzem!) sichtbar wird. So ist für das Konzept des ‚( כבוד יהוהHerrlichkeit JHWHs‘) zunächst eigentümlich, dass dieser als dasjenige Medium fungiert, über das die Präsenz JHWHs dem Volk gegenüber wahrnehmbar („sichtbar“) werden kann.748 Die damit implizierte optische (theophane) Dimension der Herrlichkeit wird in der Tora allerdings eher zurückhaltend angedeutet und v.a. mit zwei – miteinander korrespondierenden – Phänomenen verbunden. So wird zum einen das „Aussehen“ ( )מראהdes kāvōd selbst in Ex 24,17 mit „verzehrendem Feuer“ ( )אש אכלתverglichen, wobei die Vergleichspartikel - כzu beachten ist, die besonders eine mit der Ähnlichkeit zugleich gegebene Ungleichheit betont.749 Zur „Feuernatur“ der Herrlichkeit JHWHs750 passt auch, dass in 746
Vgl. aber die Belege in Ex 28,2.40 Ex 16,7.10; 24,16–17; 33,18.22; 40,34–35; Lev 9,6.23; Num 14,10.21–22; Num 16,19; 17,7; 20,6; Dtn 5,34 748 Vgl. MARKL, Dekalog, 158–159. 749 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 276; JANOWSKI, Sühne, 312–313; PROPP, Exodus 19–40, 299; WAGNER, Herrlichkeit, 74–75; 77. 747
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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Lev 9,24 – unmittelbar nach dem Sichtbarwerden (ראה-ni.) des kāvōd vor dem Volk (vgl. Lev 9,23) – Feuer („ )אשvon vor JHWH“ ( )מלפני יהוהausgeht und den Altar entzündet.751 Noch häufiger als mit Feuer aber ist das Erscheinen der Herrlichkeit mit einer Wolke ( )ענןverbunden, der die Doppelfunktion zukommt, den kāvōd zu verhüllen, gerade dadurch aber auch seine Präsenz (sichtbar) anzuzeigen.752 So erscheint der kāvōd zuerst in Ex 16,10 ‚( בענןin der Wolke‘). Später hingegen bedeckt ( )כסהdie Wolke ( )ענןden Sinai (Ex 24,16) bzw. das Zelt der Begegnung (Ex 40,34–35; Num 17,7), während sich der kāvōd dort niederlässt ( ;שכןEx 24,16) bzw. das Zelt anfüllt ( ;מלאEx 40,34–35) oder über diesem sichtbar wird (ראה-ni; Num 17,7).
Darüber hinaus ist – so man den kāvōd-Texten in ihrer kanonischen Reihenfolge nachgeht – eine Bewegung des kāvōd in Richtung des Heiligtums erkennbar, die zur Folge hat, dass ab Ex 40,34–35 das Sichtbar-Werden des kāvōd stets im bzw. über dem Zelt der Begegnung geschieht bzw. sich vor einer Versammlung ganz Israels im Heiligtum ereignet.753 Erstmals erscheint der kāvōd dem versammelten Volk in Ex 16,10, während sich dieses der Wüste, d.h. einem nicht näher spezifizierten Ort außerhalb des Lages zuwendet.754 Ex 24,16–17 aber verbindet das Sichtbar-Werden des kāvōd mit einer Theophanie auf dem Sinai, die diejenige Redesituation vorbereitet, in der ab Ex 25,1 auch die Übermittlung der Heiligtumstora ihren Platz hat, und bindet so den kāvōd in das Offenbarungsgeschehen am Sinai ein, bevor schließlich Ex 40,34–35 davon berichtet, dass der kāvōd im errichteten Heiligtum Wohnung nimmt bzw. den miškān anfüllt. An allen weiteren Belegstellen in Lev und Num aber ist der kāvōd untrennbar mit diesem verbunden. So beschließt das SichtbarWerden der Herrlichkeit JHWHs einerseits den ersten feierlichen Gottesdienst Israels im frisch eingeweihten Heiligtum (vgl. Lev 9,23–24). Andererseits jedoch ereignet es sich auch in diversen Konfliktsituationen, in denen der kāvōd dem am Heiligtum versammelten Volk gegenübertritt (vgl. Num 14,10; 16,19; 17,7; 20,6).755
Wenn nun Ex 29,43b ein „Als-heilig-erwiesen-Werden“ des „Eingangs“ durch den ‚( כבוד יהוהHerrlichkeit JHWHs‘) ankündigt, so erweisen sich v.a. die Verse Lev 9,23–24 als ein enger Bezugstext.756 Diese bilden den Ab750
Vgl. dazu PODELLA, Lichtkleid, 212–226; WEINFELD, כבוד, 32–40. Vgl. FREVEL, Blick, 153–156; PROPP, Exodus 19–40, 674; STRUPPE, Herrlichkeit, 87–88. Ex 40,38 – und noch deutlicher Num 9,15–16 – verbindet den Einzug der Herrlichkeit JHWHs ins Heiligtum damit, dass am Tag eine Wolke, in der Nacht aber Feuerschein über dem Zelt der Begegnung sichtbar wird, so dass auch in diesem Text eine deutliche Verbindung zwischen dem כבודund Feuer (bzw. konkret der Feuer– und Wolkensäule) angezeigt ist. Vgl. PODELLA, Lichtkleid, 212–226. 752 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 208; HUNDLEY, Keeping, 47; JANOWSKI, Sühne, 313; SOMMER, Constructions, 42; WAGNER, Herrlichkeit, 76–77. 753 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 473; WAGNER, Herrlichkeit, 79–80. 754 Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 227. 755 Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 227–230; SOMMER, Constructions, 42; WAGNER, Herrlichkeit, 93–94. 756 Vgl. FREVEL, Blick, 149; PROPP, Exodus 19–40, 473. Ähnlich FREVEL, Mose, 117. 751
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
schluss und Höhepunkt der Perikope Lev 9,1–24, die den ersten feierlichen Gottesdienst Israels am Sinai behandelt. Lev 9,23d thematisiert in diesem Zusammenhang ein Sichtbar-Werden (ראה-ni.) des kāvōd, das – wie bereits in Lev 9,6 angekündigt – unmittelbar auf den Abschluss der angeordneten Ritualvollzüge folgt. Lev 9,24 zufolge ist dieses theophane Geschehen damit verbunden, dass Feuer „von vor JHWH“ ( )מלפני יהוהausgeht und die auf dem Altar befindlichen Opfergaben verzehrt ()אכל. Da allerdings der Bericht über die Priesterweihe in Lev 8 und auch die Beschreibung der einzelnen Ritualvollzüge in Lev 9 (vgl. Lev 9,13.14.17. 20) bereits vor dieser Theophanie einen „funktionstüchtigen“ – und das bedeutet auch einen brennenden – Altar voraussetzen, beschreibt Lev 9,24 wohl weniger ein erstes Entzünden des Altars durch JHWH, in dem „Feuer vom Himmel“ den Kultbetrieb in Gang setzt. Stattdessen dient das von JHWH ausgehende Feuer, das die Opferteile auf dem Altar „aufisst“ ()אכל, vor allem dazu, dem ganzen versammelte Volk, das Zeuge der Erscheinung wird und auf diese mit lautem Jubel und ehrfürchtigem Niederwerfen reagiert (vgl. Lev 9,24c–e), die wohlwollende Annahme der Gaben durch JHWH anschaulich zu machen – und verbunden damit auch die Akzeptanz des Rituals anzuzeigen, in dem diese übereignet werden.757 Dies ist wohl auch der Grund dafür, dass Lev 9,24a das Feuer ausdrücklich von JHWH (selbst) und nicht vom („feurigen“) kāvōd ausgehen lässt, da es so noch eindeutiger als (bestätigende) „Antwort“ JHWHs auf den Kultvollzug ausgewiesen werden kann.
Zuletzt ereignet sich im Sichtbar-Werden der Herrlichkeit selbst diejenige Gottesbegegnung Israels, die das eigentliche Ziel des Kultvollzugs darstellt.758 So begründet und legitimiert sich der Kult im Zelt der Begegnung gerade nicht durch ein vom Himmel übergebenes und auf Erden gehütetes Feuer, sondern durch die Weisung JHWHs, in der Israel (kultische) Vollzüge angeboten werden, über die das Volk mit seinem Gott in Kommunikation treten kann. Der Ausgang des ersten, paradigmatischen Gottesdienstes am Sinai belegt, dass letzteres tatsächlich gelingt – unter der Voraussetzung, dass Israel die Weisung JHWHs auch wirklich befolgt. Von der negativen Seite her illustriert diese grundlegende Bedingung auch der unmittelbar an Lev 9,23–24 anschließende Bericht vom Tod der beiden Aaronsöhne in Lev 10,1– 2, in dem auf den illegitimen (d.h. nicht toragemäßen) Kultvollzug Nadabs und Abihus hin etwas ganz ähnliches geschieht, wie in Lev 9,24. Erneut nämlich geht Feuer von JHWH aus (Lev 10,2a), diesmal aber, um die beiden Priester (nicht aber deren Gaben) zu verzehren ( ;אכלLev 10,2b).759 Lev 10,3 757
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 372–372; JANOWSKI, Sühne, 315–316; MILGROM, Leviticus 1–16, 590–591; OWCZAREK, Wohnen, 249–250; STRUPPE, Herrlichkeit, 87; WAGNER, Herrlichkeit, 100–101. 758 Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 47. 759 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 386; MILGROM, Leviticus 1–16, 595–600; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 47; WAGNER, Herrlichkeit, 101–102.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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wiederum bietet hierzu ein deutendes Wort des Mose, das mit Ex 29,43 einerseits durch das gemeinsame Stichwort קדש-ni. verbunden ist, in dem andererseits aber über das Verb כבד-pi. auch die Rede von der Herrlichkeit [JHWHs] (vgl. ;בכבדיEx 29,43b) nachklingt: Mose konstatiert, dass JHWH sich selbst als heilig erweist (קדש-ni.) an all denen, die ihm nahen (V.3c),760 was sich – wie die vorausgehenden Ereignisse zeigen – auch in deren Tod realisieren kann, wenn diese die von JHWH gesetzten Regeln für den Kult verletzen und so im Herannahen störend in den Bereich der Heiligkeit eingreifen. In der zweiten Hälfte des Mosewortes hingegen (V.3d) wird dieser Akt der Selbstdurchsetzung der Heiligkeit zugleich als ein „Aufscheinen“ der Herrlichkeit (vgl. )אכבדvor dem gesamten Volk interpretiert, in dem eine (fordernde) Präsenz JHWHs im Heiligtum für ganz Israel wahrnehmbar wird.761 Liest man nun Ex 29,43b von Lev 9,23–24; 10,1–3 her, so kann dieser Vers zunächst – im Rückblick – als eine Ankündigung des dort beschriebenen Erscheinens der Herrlichkeit JHWHs interpretiert werden, in dem der Eingang des Zeltes der Begegnung bzw. der Altar als Ort der Kultvollzüge Israels als heilig erwiesen wird.762 So bestätigt sich darin, dass JHWH seine Akzeptanz der Gaben und Vollzüge anzeigt und zugleich seine Herrlichkeit vor dem versammelten Volk erscheinen lässt, dass der in die Theophanie unmittelbar einbezogene Altar (vgl. Lev 9,24a) in der Tat der Ort der Gottesbegegnung Israels (im Kult) – und folglich heilig – ist. Andererseits aber wäre es wohl deutlich zu kurz gegriffen, würde man Ex 29,43b ausschließlich als Ankündigung eines – der Fabel der Tora nach in der Redesituation der Heiligtumstora tatsächlich noch in der Zukunft liegenden – einmaligen Ereignisses interpretieren. Denn immerhin ist in Ex 29,38–46 mit dem Tamid ein täglicher Vollzug im Blick, dessen theologische Bedeutung beginnend mit Ex 29,42 in Ex 29,43–46 ausgelotet wird, so dass das in V.43b thematisierte „Als-heilig-erwiesen-Werden“ durch die Herrlichkeit JHWHs als ein regelmäßiges Geschehen zu fassen ist, das zudem in Zusammenhang mit dem in Ex 29,43a(42aR) angekündigten Begegnen JHWHs steht. Allerdings setzt Ex 29,43b offenbar gerade nicht voraus, dass sich im Vollzug des täglichen Brandopfers auch das theophane Sichtbar-Werden des kāvōd ebenso wiederholt, wie es sich beim ersten, paradigmatischen Gottesdienst Israels am Sinai (Lev 9,23–24) ereignet hat. So fehlt in Ex 29,43b – im Unterschied zu beinahe allen anderen Belegstellen des Stichworts [ כבוד ]יהוהin der Tora – das Verb ( ראהq. / ni.) und damit jeder Hinweis auf eine optische Wahrnehmbar-
760
Vgl. HARTLEY, Leviticus, 133; HIEKE, Levitikus 1–15, 386–388; MILGROM, Leviticus 1–16, 601–602. 761 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 133; HIEKE, Levitikus 1–15, 386–388; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 47–48. 762 Vgl. ähnlich JANOWSKI, Sühne, 326–327; STRUPPE, Herrlichkeit, 87.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
keit. Das ansonsten charakteristische theophane Moment tritt im Zusammenhang mit dem Tamid also deutlich in den Hintergrund.763 Was aber beim regelmäßigen und alltäglichen Kult in gleicher Weise gegeben ist, wie bei dem einmaligen Gründungsgeschehen, das Lev 9 beschreibt, sind die Akzeptanz des (toragemäßen) Vollzugs durch JHWH, die Annahme der Gaben und das In-Kontakt-Treten mit Israel, jene Aspekte also, die in Lev 9,24 durch die Theophanie in herausragender (einmaliger) Weise augenscheinlich gemacht und bestätigt werden. Insofern sich die Israelbegegnung JHWHs am Eingang des Zelts der Begegnung aber bei jedem Vollzug des Tamid ereignet, erweist sich auch die Heiligkeit dieses Ortes stets aufs Neue – selbst dann, wenn die Herrlichkeit JHWHs dem Volk nicht in theophaner Weise sichtbar wird.764 Stattdessen kann das Stichwort כבדיv.a. auf den inneren Zusammenhang zwischen dem einmaligen Gründungsgeschehen am Sinai (Lev 9) und dem täglichen Brandopfer (Ex 29) hinweisen, der darin besteht, dass letzteres regelmäßig „wiederholt“ und erfahrbar macht, was in ersterem in einzigartiger und paradigmatischer Weise vollzogen wurde.765 Möglicherweise kann Ex 29,43b aber auch dazu anregen, die mit dem Altar im regulären Kult verbundenen Eindrücke, also v.a. das Feuer, in dem die Opfergaben verzehrt werden ( ;אכלvgl. Lev 9,24) und den dabei aufsteigenden Rauch mit denjenigen optischen Phänomenen zu verbinden, die in den Texten der Tora dem kāvōd zugesprochen werden: eine Erscheinung wie „verzehrendes Feuer“ ( ;אש אכלתEx 24,17), sowie die Wolke, die den kāvōd selbst einhüllt. Damit wäre – kongruent zu den soeben angestellten Überlegungen – angedeutet, dass der Altar in seinem alltäglichen Betrieb (vgl. Tamid) über diese optisch wahrnehmbaren Begleiterscheinungen des Kultbetriebs auf die Theophanie hin transparent wird, in der der erste feierliche Gottesdienst Israels am Sinai kulminiert.766
In dem Stichwortbezug zu Lev 9,23–24 und v.a. auch zu Lev 10,1–3 ist in Ex 29,43b allerdings auch eine wesentliche Einschränkung mitzuhören: Im Gegenüber von Lev 9 und Lev 10 nämlich wird deutlich, dass der Kult nur dann eine heilvolle Gottesbegegnung vermittelt, wenn er „toragemäß“ vollzogen wird (so Lev 9), während die Heiligkeit JHWHs im gegenteiligen Fall auch im Tod derer manifest werden kann, die die von der Tora implementierte Ordnung des Kultes stören.767 Das in Ex 29,42 grundgelegte Raumkonzept des „Begegnungsraums“ wird also auch in Ex 29,43ab weiter entfaltet, wobei der Bezug zu Lev 9,23–24; 10,1–3 die in Ex 29,42 bereits angelegte „Sinaiförmigkeit“ des im Kultvollzug konstituierten Begegnungsraums zusätzlich untermauern und den essen763
Vgl. WAGNER, Herrlichkeit, 97. Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 61–62. 765 Vgl. JANOWSKI, Sühne, 312; OWCZAREK, Wohnen, 250–253. 766 Vgl. EBERHARD, Studien, 18. 767 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 387; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 48–49; WAGNER, Herrlichkeit, 101–102. 764
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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ziellen Zusammenhang zwischen dem ersten Gottesdienst am Sinai und den nachfolgenden, „alltäglichen“ Kultvollzügen veranschaulichen kann. Ebenso fällt auf, dass auch Ex 29,43b es vermeidet, dem Eingang zum Zelt der Begegnung als zentralem Raum der Kultvollzüge explizit statische Qualitäten (Heiligkeit) zuzuschreiben, sondern – im Gegenteil – von einem (wiederholten) „Als-heilig-erwiesen-Werden“ (קדש-ni.) spricht, die dem Ort des Begegnens zukommende Heiligkeit also dynamisch fasst. b) JHWH heiligt (Ex 29,44) Die Rede vom „Als-heilig-erwiesen-Werden“ des Eingangs zum Zelt der Begegnung in Ex 29,43b findet eine Fortführung in Ex 29,44,768 wo die Verbwurzel קדשnoch zwei weitere Male, belegt ist.769 Dabei findet sich in V.44ab jeweils das Verb קדש-pi., das – im Unterschied zu קדש-ni. (V.43b) – nicht einen Erweis von Heiligkeit aussagt, sondern (transitiv) das Überführen von etwas oder jemanden in den Zustand der Heiligkeit umschreibt. So kündigt JHWH an, das Heiligtum und den Altar (V.44a) bzw. die Priester (V.44b–bI) zu heiligen. Ex 29,44b–bI greift dabei auf Ex 28,3.41; 29,1 zurück und nimmt damit einerseits die durch Ex 28,1–5.41 geschaffene Rahmung um Ex 28,6–40 und andererseits den mit Ex 28,41 verketteten Auftakt zu Ex 29,1–35.36–37 in Ex 29,1 auf, der zugleich das Ziel des Weiherituals formuliert: Aaron und seine Söhne sollen heilig werden, damit sie für JHWH als Priester dienen können (vgl. )לכהן לי. Ex 29,44a schließlich bezieht sich über die Ankündigung, den Altar zu heiligen, auf Ex 29,36–37, während das Heiligen des Zelts der Begegnung bislang noch nicht thematisiert wurde. Zwei Parallelen zu Ex 29,44 aber finden sich in Ex 30,26–30 und Ex 40,9–13. In diesen beiden Texten beauftragt JHWH Mose damit, das Salböl zu nehmen und das Zelt, den Altar und die Priester zu salben, um sie so zu heiligen. Ex 30,26–30 verbindet mit diesem Auftrag in V.26–29 eine Auflistung der zu salbenden Gegenstände, in der letztlich alle in der Heiligtumstora beschriebenen Bestandteile des Heiligtums angeführt werden, während Ex 40,9–13 den miškān und alles in ihm, sowie den Altar und seine Geräte zusammenfasst und somit zwischen der ausführlichen Aufzählung in Ex 30,26–39 und dem Vers Ex 29,44a, der allein auf miškān und Altar fokussiert, vermittelt. All den genannten Texten (Ex 28,3.41; 29,1.36–37; 30,29.30; 40,9–13) ist gemeinsam, dass stets ein Auftrag an Mose ergeht, die Priester, den Altar und den miškān (mitsamt seinen Geräten) zu heiligen (קדש-pi.), was im Kontext jeweils durch den Vollzug speziell vorgeschriebener Rituale (vgl. Ex 29,1– 35.36–37) und insbesondere durch das Applizieren von Salböl (vgl. Ex 30,29–30; 40,9–13) zu bewerkstelligen ist. Dem gegenüber setzt nun Ex 768 769
Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 40. Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 52.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
29,44 insofern einen starken Kontrast, als in diesem Vers – das einzige Mal überhaupt in der Tora – davon die Rede ist, dass JHWH („selbst“) heiligt (קדש-pi.).770 Dies deutet an, dass Ex 29,44 eine komplementäre „Gegenperspektive“ zu den anderen genannten Texten entwirft, in denen Mose heiligt: Es wird deutlich, dass Weiherituale und Salbungsvollzüge nur deshalb wirken können, weil es letztlich JHWH selbst ist, der Heiligkeit „herstellt“. Die von JHWH angeordneten und von Mose ausgeführten rituellen Vollzüge aber werden unter dieser Perspektive transparent auf das heiligende Handeln JHWHs hin, das im Agieren des Mose zur Darstellung gebracht wird. Im Gegensatz zum vorausgehenden Satz Ex 29,43b, der zwischen der Ankündigung eines einmaligen Geschehens, dem Erscheinen des kāvōd (vgl. Lev 9,23–24), und der Beschreibung des im regelmäßigen Vollzug des Tamid Erfahrbaren oszilliert und dabei auf letzteres klar den Schwerpunkt legt, scheint in Ex 29,44 der Fokus somit vor allem der Ankündigung von Einmaligem zu liegen, das allerdings mit dem Regelmäßigen (vgl. V.43) verknüpft und auf dieses bezogen zu denken ist. Dies deutet bereits die gewählte Verbform קדש-pi. an, die – im Gegensatz zu dem auf Wiederholung hin angelegten קדש-ni. von V.43b – einen grundsätzlichen Statuswechsel der Geräte und Personen und ihre Einordnung in den Bereich JHWHs bezeichnet.771 Ex 29,44 verweist folglich voraus auf die in Ex 29,1–37; 30,26–3; 40,9–13 angeordnete und in Lev 8; Num 7 beschriebene Weihe des Heiligtums, des Altars und der Priester am Sinai, interpretiert diese zugleich aber pointiert als Agieren JHWHs. So bewegt sich der Vers deutlich auf einer anderen Ebene als Ex 29,43(b), wenn er v.a. das „uranfängliche“ „Herstellen“ der Heiligkeit von miškān, Altar und Priestern fokussiert, in dem zugleich aber die Grundlage dafür gelegt wird, dass der „Eingang zum Zelt“ im Kultvollzug zum Ort der Israelbegegnung JHWHs werden (V.42aR.43a) und sich darin stets aufs Neue in seiner Heiligkeit erweisen (vgl. V.43b) kann. Ex 29,44 fundiert somit die Beschreibung und Charakterisierung des „Begegnungsraums“ in V.42.43 durch einen Rückgriff auf die anfängliche Konstitution dieses Raumes in einem heiligenden Handeln JHWHs und deutet damit pointiert an, dass die grundlegende Initiative zu der im Kult vollzogenen Gottesbegegnung Israels von JHWH ausgeht772 – und nur deshalb auch gelingen kann. 2. Das „Wohnen“ JHWHs (Ex 29,45–46) Innerhalb von Ex 29,38–46 markiert Ex 29,44 im Ausgreifen auf das (einmalige) Heiligen des Zelts der Begegnung, des Altars und der Priester thematisch eine Zäsur, die auch auf syntaktischer Ebene durch das „Abreißen“ der in V.43a–44a bestimmenden Reihung von we=qaṭal-Sätzen in Ex 29,44b–bI 770
Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 52–53. Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 52. 772 Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 47; WEIMAR, Priesterschrift, 345. 771
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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angezeigt wird. Der darauf folgende Vers Ex 29,45 markiert somit den Auftakt eines neuen Sinnabschnitts (V.45–46), der von seiner syntaktischen Gestaltung her parallel zu V.43–44 angelegt ist. So findet sich auch in V.45a– 46a eine Reihung von drei we=qaṭal-Sätzen (parallel zu V.43a–44a), von deren letztem Satz die Satzfolge Ex 29,46b–bRI abhängig ist, die – von einem Infinitivsatz beschlossen (vgl. V.46bRI) – als Gegenstück zu Ex 29,44b– bI fungiert.773 Außerhalb dieser Parallelität aber steht der Nominalsatz Ex 29,46c, der den Abschluss der (gesamten) Perikope zum Brandopfer-Tamid (Ex 29,38–46) markiert. Inhaltlich kann die Sinneinheit Ex 29,45–46 in zwei Unterabschnitte mit (z.T.) entgegengesetzten, einander aber komplementär ergänzenden Perspektiven unterteilt werden. So finden sich in Ex 29,45ab Zusagen JHWHs – inmitten der Israeliten zu wohnen ( ;שכןV.45a) bzw. ihnen zum Gott zu sein / zu werden (V.45b) –, in denen JHWH als Subjekt fungiert, während die Erkenntnisaussage in V.46a Israel zum Subjekt macht. Die Sätze Ex 29,46b– bRI hingegen, die die „Inhalte“ des Erkennens umschreiben, greifen nochmals (chiastisch) die Themen von V.45 auf. So nimmt die Selbstprädikation JHWHs als „ihr [= Israels] Gott“ ( )אלהיהםinnerhalb der „’anī JHWHAussage“774 in V.46b auf das in V.45b durch die Bundesformel eingebrachte Motiv des „Gott-Seins/Werdens für …“ Bezug, während das in V.45a thematisierte „Wohnen“ JHWHs ( )שכןnochmals in Ex 29,46bRI wiederkehrt. Dazwischen „eingeschoben“ findet sich in Ex 29,46bR eine Exodusaussage, die sich als ein gegenüber Ex 29,45 neues Element erweist. Ex 29,46c schließlich nimmt zum Abschluss von Ex 29,45–46 bzw. von Ex 29,38–46 nochmals die „’anī JHWH-Aussage“ aus V.46b auf775 und formuliert damit ein Resümee des gesamten Abschnitts zum Brandopfer-Tamid. Das bestimmende Charakteristikum von Ex 29,45–46 sind zahlreiche intertextuelle Bezüge zu zentralen Hypotexten, die einen weiten theologischen Horizont eröffnen, in den hinein die Aussagen zur Israelbegegnung JHWHs im Kult gestellt bzw. vor dessen Hintergrund sie verortet werden: (1.) Ex 29,45a verweist über das Stichwort ‚( שכן בתוךwohnen inmitten‘) zunächst auf die Einleitung der Heiligtumstora – und hier speziell auf Ex 25,8(–9) – zurück, ist zugleich aber auch vor dem Hintergrund der weiteren Belege des Verbs ( שכןvgl. z.B. Ex 24,16–17; 40,34–35; u.a.) zu interpretieren. (2.) Die Formulierung der Bundesformel in Ex 29,45b eröffnet Bezüge v.a. zu Gen 17 und Ex 6,2–8. Im zuletzt genannten Text finden sich des Weiteren
773
Vgl. FREVEL, Blick, 103. Zur Begrifflichkeit vgl. DIESEL, Ich bin, 5–6. 775 Vgl. ähnlich JANOWSKI, Sühne, 319; WEIMAR, Priesterschrift, 288. 774
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
mehrere Belege der „’anī JHWH-Aussage“ (Ex 6,2.6.8), die auch in Ex 29,46b.c belegt ist. (3.) In V.46 ist schließlich – über die Bezüge zu Ex 6; Lev 22 (vgl. V.45b) hinaus – v.a. eine enge Parallele zu Ex 16,6 auszumachen, von der aus sich Ex 16,4–5.6–8(.12) als Hypotext zu Ex 29,45–46 (bzw. Ex 29,38–46) erweist. Die Bezüge zu den einzelnen genannten Intertexten werden im Folgenden genauer behandelt. Zuvor jedoch ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Ex 29,45–46 und den vorausgehenden Abschnitten, d.h. zu Ex 29,43–44 bzw. zu Ex 29,38–42, zu erörtern. In diesem Zusammenhang fällt besonders die exakte Parallelität von Ex 29,45a und Ex 29,43a,776 d.h. des je ersten Satzes der Sinneinheiten V.43–44 und V.45–46, ins Auge, die v.a. dadurch noch zusätzlich intensiviert wird, als sich in beiden Versen das Stichwort בני ישראל (‚Söhne Israels‘) findet, das ansonsten in Ex 29,38–46 nicht belegt ist: Objekt
Adverbiale (lokal)
Prädikat (we=qaṭal)
לבני ישראל בני ישראל
שמה בתוך
ונעדתי ושכנתי
V.43a V.45a
Diese genaue Entsprechung zwischen den beiden Sätzen legt die Vermutung nahe, dass in dem Wohnen inmitten der Israeliten (V.45a) nochmals das in V.43a (V.42aR) durch das Verb יעד-ni. ausgedrückte Geschehen des Begegnens (im Kultvollzug) in anderer Begrifflichkeit – und folglich auch mit anderen Konnotationen und Sprachbildern verknüpft – reflektiert wird.777 Damit ist Ex 29,45–46 als eine weiterführende Reflexion zu Ex 29,42 – parallel (vgl. die oben angesprochene strukturelle Parallelität von V.43–44 und V.45–46) und ergänzend zu Ex 29,43–44 – zu bestimmen. Dies ist in der folgenden Auslegung von Ex 29,45a genauer zu fassen. a) „Wohnen“ inmitten der Söhne Israels (Ex 29,45a) Wie bereits angedeutet, ist die Rede vom „Wohnen JHWHs inmitten der Söhne Israels“ in Ex 29,45a als Wiederaufnahme von Ex 25,8b ()ושכנתי בתוכם und damit als Rückbezug auf den Anfang der Heiligtumstora (Ex 25,1–9) zu interpretieren. In Ex 25,1–9 geht dem Vers Ex 25,8 der Auftrag voran, eine Abgabe ( )תרומהfür JHWH zu erheben (V.1–2), über die die in Ex 25,3–7 aufgelisteten Gegenstände zu beschaffen sind. Darauf aufbauend formuliert Ex 25,8 das eigentliche Anliegen JHWHs, von dem her auch der Sinn der geforderten 776
Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 48–49. Vgl. ähnlich FREVEL, Blick, 94–96; Vgl. ähnlich JANOWSKI, Sühne, 303–308 (v.a. 306); SCHMITT, Zelt, 225–226; STRUPPE, Herrlichkeit, 41. 777
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
263
Abgabe deutlich wird: Die Israeliten sollen aus den bereitgestellten Materialien ein Heiligtum ( )מקדשfür JHWH machen (vgl. V.8a), in dem JHWH – so seine Zusage in V.8b – inmitten der Israeliten Wohnung nehmen ( )שכןwill. Damit ist eine grundlegende Deutung des (gesamten) Heiligtums gegeben, das als derjenige Ort eingeführt wird, an dem JHWH inmitten der Söhne Israels gegenwärtig sein („wohnen“) will.778 In der in Ex 25,9 neu eingeführten Bezeichnung ( משכןmiškān; Wohnstätte‘) aber „gerinnt“ diese Deutung gleichsam, da משכןin diesem Zusammenhang – ebenso wie das in V.8a belegte Nomen מקדש, das ansonsten in Ex 25–31 nicht mehr vorkommt779 – die Gesamtarchitektur des Heiligtums bezeichnet und zugleich auf dessen Funktion hinweist: Es ist Ort des „Wohnens“ JHWHs.780 Ansonsten jedoch nehmen weder Ex 25,9 noch die daran anschließenden Herstellungsanweisungen (Ex 25,10–27,19) das Motiv des „Wohnens“ wieder auf, so dass dieses zwischen Ex 25,8 und Ex 29,45 keine weiterführende konzeptionelle Ausgestaltung erfährt. 781 Der Fokus rückt stattdessen auf das „Machen“ ( )עשהdes Heiligtums und seiner Geräte, so dass Ex 25,10–27,19 als ausführliche Entfaltung des Herstellungsauftrags (vgl. )ויעשוin Ex 25,8a gelesen werden kann. Vor diesem Hintergrund könnte es in Ex 25,8b zunächst nahe liegen, die in ihrem engeren Kontext „isoliert“ wirkende Ankündigung des „Wohnens“ ( )שכןausgehend von Ex 24,16 zu interpretieren, von einer Textstelle also, die – nur wenige Verse vor Ex 25,8 – in den engeren literarischen Kontext der Heiligtumstora gehört.782 Ex 24,16 ist Teil der Perikope Ex 24,12–18, die den Aufstieg des Mose auf den Berg nach dem Bundesschluss thematisiert und damit den 40-tägigen Bergaufenthalt, d.h. die Redesituation der Heiligtumstora, vorbereitet.783 Noch enger gefasst gehört Ex 24,16 zum Theophaniebericht in Ex 24,15b–17(.18a), der durch die Hinweise auf das Hinaufsteigen ()עלה des Mose in Ex 24,15a.18b umrahmt wird784 und auf zwei zentrale Elemente fokussiert. Dies ist zum einen die Herrlichkeit JHWHs ()כבוד יהוה, die sich auf dem Berg niederlässt bzw. auf diesem „Wohnung nimmt“ ( ;שכן עלEx 24,16a)785 und dabei den Israeliten unterhalb des Berges „wie verzehrendes Feuer“ ( ;כאש אכלתEx 24,17) erscheint, zum anderen aber die Wolke ()ענן, die 778 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 247; HOUTMAN, Exodus 3, 345; JANOWSKI, Sühne, 305–306. 779 Vgl. dazu GEORGE, Tabernacle, 174–176; GÖRG, Zelt, 35–36. 780 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 247; GÖRG, Zelt, 35–36. 781 Zum Zusammenhang von Ex 25,8 und Ex 29,45–46 vgl. z.B. JANOWSKI, Sühne, 305–305; DERS., Mitte, 138–139; STRUPPE, Herrlichkeit, 57; WEIMAR, Priesterschrift, 287–288; u.a. 782 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 221; FISCHER/MARKL, Exodus, 276. 783 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 206–207. 784 Vgl. MARKL, Dekalog, 158; STRUPPE, Herrlichkeit, 15–21; 57. 785 Zur Verwendung von שכןin Ex 24,16 vgl. JANOWSKI, Sühne, 306; STRUPPE, Herrlichkeit, 23.
264
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
den Berg (vgl. Ex 24,15b) bzw. den kāvōd (Ex 24,16b) einhüllt (כסה-pi.) und aus deren Mitte ( )תוךheraus Mose auf den Berg gerufen wird (Ex 24,16c) bzw. in deren Mitte ( )תוךer nach seinem Aufstieg eintritt (Ex 24,18a).786 Mit Blick auf Ex 24,16 liegt es somit in Ex 25,8b nahe, das angekündigte „Wohnen“ ( )שכןJHWHs inmitten ( )בתוךder Israeliten (im Heiligtum) in analoger Weise vorzustellen, wie die in Ex 24,16 beschriebene „Einwohnung“ ()שכן des kāvōd „inmitten“ (vgl. ;בתוךEx 24,16c.18a) der Wolke ( )ענןwährend der Theophanie auf dem Berg Sinai.787 Dies scheint sich in der Tat auch in Ex 40,34–35 (vgl. auch Num 9,15–23) zu bestätigen,788 wenn dort der „Einzug“ der Herrlichkeit JHWHs in das Heiligtum berichtet wird und dabei das in Ex 24,16; Ex 25,8 belegte Verb ‚( שכןwohnen; Wohnung nehmen‘) erneut Verwendung findet. Ex 40,34b.35c betont, dass die Herrlichkeit das Heiligtum anfüllt ()מלא, während sich die ebenfalls aus Ex 24,15–17 bekannte Wolke ( )ענןüber dem Heiligtum ausbreitet (vgl. V.34a.35b) und so – wie in Ex 24,15–17 – die Präsenz des kāvōd zugleich verhüllt und anzeigt.789 Eine entscheidende Brechung gegenüber Ex 24 besteht allerdings darin, dass das „Wohnung-Nehmen“ ( )שכןnicht vom kāvōd (und auch nicht von JHWH „selbst“, wie in Ex 25,8) ausgesagt wird, sondern von der Wolke (vgl. Ex 40,35b).790 Entsprechend ist שכןhier dem Verb ‚( כסהbedecken‘; Ex 40,34a) alternierend gegenübergestellt, das auch in Ex 24,16b im Zusammenhang mit der Wolke belegt ist, und dient somit nur mittelbar dazu, eine Gegenwart JHWHs auszudrücken. Noch deutlicher wird dies in den auf Ex 40,34–35 Bezug nehmenden Belegstellen von שכןin Num 9,17.18.22; 10,12, die jeweils ein „Einwohnen“ der Wolke während der Wüstenwanderungen Israels thematisieren, das – als Signal der göttlichen Führung – einen neuen Lagerort ausweist und damit zugleich das Ende einer Marschetappe anzeigt.791 Die Belege von שכןin Ex 24,16; 40,34–35 nehmen somit ein (direktiv gefasstes)792 Präsent-Werden der Herrlichkeit JHWHs bzw. der mit dieser verbundenen Wolke im Heiligtum in den Blick und beschreiben dieses als Theophaniegeschehen (vgl. auch Num 9,17.18.22; 10,12).793 Damit unterscheiden sie sich – trotz 786
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 208–209; FISCHER/MARKL, Exodus, 275; JANOWSKI, Mitte, 184; MARKL, Dekalog, 158–159. 787 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40; FISCHER/MARKL, Exodus, 276; JANOWSKI, Sühne, 305–306. 788 Zum Zusammenhang zwischen Ex 24,16 und Ex 40,34–35 vgl. z.B. JANOWSKI, Mitte, 138; DERS., Tempel, 230–232; KÖCKERT, Leben, 102–103; STRUPPE, Herrlichkeit, 22– 23; 57; 71–73. 789 Vgl. FREVEL, Blick, 94; JANOWSKI, Sühne, 314. 790 Vgl. JANOWSKI, Mitte, 138; DERS., Tempel, 230; STRUPPE, Herrlichkeit, 22–23; 57; 71–73. 791 Vgl. dazu EDERER, Aufbrüche, 33–74. 792 Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 22–23; 47. 793 Vgl. JANOWSKI, Tempel, 229–231; KLEIN, Future, 271–272.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
265
deutlicher Bezüge und Zusammenhänge – in wesentlichen Punkten von Texten wie Ex 25,8; 29,45.46 (und auch in Num 5,2; 35,34), in denen JHWH als Subjekt zu שכןfungiert und kein Rekurs auf die Herrlichkeit JHWHs und ihr Erscheinen auszumachen ist.794 Es empfiehlt sich somit, nochmals zum Text der Heiligtumstora selbst zurückzukehren und den Vers Ex 29,45a „für sich“, bzw. in seinem engeren literarischen Kontext, genauer in den Blick zu nehmen. Dabei fällt zunächst auf, dass dieser Vers zwar die Zusage JHWHs, inmitten Israels Wohnung zu nehmen ()שכן, aus Ex 25,8b aufnimmt, dass sich in diesem Zusammenhang aber – ebenso wenig wie in Ex 25,8 – eine konkrete Aussage zum „Wie“ der „Einwohnung“ findet. Angekündigt wird also grundlegend ein „AnwesendSein“ JHWHs inmitten Israels, das allerdings – im Unterschied etwa zu der „Einwohnung“ des kāvōd auf dem Sinai in Ex 24,16 – nicht mit einem theophanen Geschehen einhergeht. So findet sich zwar in Ex 29,43b, d.h. im engeren Kontext der שכן-Aussage von V.45a, das auch in Ex 24,16 mit dem Verb שכןverbundene Nomen ( כבודvgl. )בכבדי, doch vollzieht sich – wie oben gezeigt – auch das „Als-heilig-erwiesen-Werden“ des ‚Eingangs‘, d.h. die „Wirkung“ des kāvōd, gerade nicht in einer Theophanie, sondern in dem in V.42aR.43a angekündigten, regelmäßigen „Begegnen“ JHWHs (יעד-ni.) im Vollzug des täglichen Brandopfers. Dieser Zusammenhang wiederum legt nahe, Ex 29,45a in gleicher Weise wie Ex 29,43b von dem in Ex 29,42bR.43a thematisieren „Begegnen“ her zu interpretieren, wozu nicht zuletzt auch die oben bereits festgestellte Parallelität von Ex 29,43a und Ex 29,45a Anlass gibt, die einen Zusammenhang zwischen beiden Sätzen andeutet.795 Dieser ist nun wohl so zu fassen, dass Ex 29,45a als grundsätzlichere Aussage ein dynamisch gedachtes GegenwärtigSein / -Werden JHWHs inmitten Israels betont,796 das im regelmäßigen Begegnen JHWHs (V.42aR.43a) im Vollzug des Tamid konkret und erfahrbar wird.797 Damit ist im Umkehrschluss die שכן-Aussage von V.45a gleichsam als „Abstraktion“ von Ex 29,42aR.43a zu verstehen, die das regelmäßig wiederholte Begegnen in der Zusammenschau als ein „Einwohnen“ JHWHs im Heiligtum fasst. Als eine solche „Abstraktion“ ist sie in Ex 25,8b der Heiligtumstora als Deutung für den Heiligtumsbau vorangestellt, um dann in Ex 29,45(.46) nochmals eingeholt und mit dem Tamid-Vollzug kontextualisiert zu werden.798 Auf diese Weise wird deutlich, dass das in Ex 25,8a angeordnete Machen des Heiligtums, das ein „Einwohnen“ JHWHs inmitten Israels ermöglichen soll (vgl. Ex 25,8b), im Tamid seine eigentliche Sinnspitze fin794
Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 22–23; 47. Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 40–41. 796 Vgl. ähnlich GÖRG, ( שכןThWAT), 1344. 797 Vgl. ähnlich FREVEL, Blick, 94–96; JANOWSKI, Sühne, 303–308 (v.a. 306); SCHMITT, Zelt, 225–226; STRUPPE, Herrlichkeit, 41. 798 Vgl. OWCZAREK, Wohnen, 56; 220–221. 795
266
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
den kann: Das Heiligtum wird „gemacht“ (vgl. ;ועשוEx 25,8), um dort das Tamid „machen“ (vgl. ;תעשהEx 29,38aR.39ab.41ab) zu können, in dem JHWH Israel begegnet – ein Geschehen, das in der abstrahierenden Gesamtschau unter der Chiffre des „Wohnens“ beschreibbar ist.799 Zuletzt aber ist in der Interpretation der שכן-Aussage auch die Präposition ‚( בתוךinmitten‘) bzw. die Wendung ‚( בתוך בני ישראלinmitten der Söhne Israels‘) mit einzubeziehen. In dieser wird eine im „Wohnen“ realisierte Beziehung zwischen JHWH und Israel angedeutet, die über das Stichwort der „Mitte“ ( )תוךin explizit räumlichen Kategorien umschrieben wird. So ist ein spacing angedeutet, in das einerseits die Söhne Israels involviert sind, die durch den Plural ( )בניםals eine in sich pluriforme Größe bestimmt werden. Zugleich jedoch wird ihnen eine „Mitte“ ( )תוךzugesprochen, wodurch eine in der gemeinsamen Ausrichtung auf diese Mitte gegebene bzw. durch diese konstituierte „Homogenität“ impliziert ist, die u.a. dafür sorgt, dass die Söhne Israels wesentlich von der Mitte her in den Blick kommen und „definiert“ werden.800 Darüber hinaus wird die „Mitte“ ( )תוךmit der zweiten, in diesem spacing relevanten Größe verbunden, nämlich mit JHWH, der in seinem „Wohnen“ diese Mitte „ausfüllt“ bzw. sie darin überhaupt erst herstellt und so die angesprochene Ausrichtung der Söhne Israels auf die Mitte hin bewirkt. Israel konstituiert sich in der als „Wohnen“ gefassten Regelmäßigkeit der IsraelBegegnung JHWHs im Kult als eine auf JHWH hingeordnete Einheit. Ex 29,45a deutet somit ein Raumkonzept an, das über weite Strecken demjenigen entspricht, das in Num 1,1–5,4 in eine Lagerordnung Israels „übersetzt“ wird.801 Allerdings wird in Ex 29,45a nicht das Heiligtum, der Altar oder die Lade (o.ä.), sondern ausdrücklich JHWH selbst in seinem „Wohnen“ , d.h. in der regelmäßigen Wiederholung des Begegnens, als Zentrum eingeführt. Num 1,1–5,4 fokussiert somit primär auf die sozialen Güter, den miškān und die ihn umschließenden Lager der Leviten und der Stämme Israels, während Ex 29,45a.46bRI (und Num 5,3) Israel und JHWH primär als personale Größen in den Blick nimmt und daher konsequenterweise auch das Heiligtum (als Architektur) in den Hintergrund treten lässt. Dies wiederum hat zur Folge, dass die für das in Ex 29,45a entfaltete Raumkonzept bedeutsame „Mitte“ letztendlich nicht als ein klar lokalisierter Ort zu greifen ist, womit auch in dieser Hinsicht ein markanter Unterschied zwischen dem in Ex 29,42(.43a) skizzierten „Begegnungsraum“, der im Tamid-Vollzug an einem konkreten
799
Vgl. ähnlich BLUM, Komposition, 298; JACOB, Exodus, 889; JANOWSKI, Sühne, 306–308. 800 Zum personalen Bezug von בתוךvgl. auch OWCZAREK, Wohnen, 232–233; STRUPPE, Herrlichkeit, 54; 60. 801 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die – zusätzlich Lev 11–15 mit einbeziehende – Aufnahme von Ex 29,45–46 in Num 5,1–4.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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Ort, dem „Eingang des Zelts“, realisiert wird und dem in Ex 29,45a angedeuteten Raum gegeben ist.802 Interpretiert man nun Ex 29,45a in der vorgeschlagenen Weise, ist zuletzt noch auf eine zentrale Streitfrage einzugehen, die im Zusammenhang mit der „priesterlichen“ Heiligtumstheologie der Tora immer wieder aufgeworfen wird; der Frage nämlich, ob bzw. inwiefern mit dem Konzept des „Wohnens JHWHs“ ( )שכןdie Vorstellung einer zeitlichen Fortdauer (oder Befristung) der göttlichen Präsenz im Heiligtum verbunden ist, oder ob – im Gegenteil – nicht eher an ein okkasionelles Erscheinen (wie z.B. beim Sichtbar-Werden des kāvōd in Texten wie Num 14,10.22; 16,19; 17,7; 20,6) gedacht ist.803 Dabei ist zunächst festzuhalten, dass diese Fragestellung auch deshalb eine gewisse „Virulenz“ behält, weil vom Verb שכןallein und den in seinen unterschiedlichen Kontexten greifbaren Konnotationen her eine Festlegung auf eine der in der wissenschaftlichen Debatte zugespitzten Alternativen (okkasionell oder permanent) nicht möglich ist.804 Dies zeigt bereits ein knapper Überblick über die Belege in Gen (mit menschlichen Subjekten), unter denen sich auf der einen Seite Stellen finden lassen, an denen שכןein befristetes Wohnen der Väter an einem bestimmten Ort meint (vgl. z.B. Gen 14,13; 35,22). In diesen Fällen findet sich das Verb in Umstands- bzw. Temporalsätzen und spezifiziert somit eine bestimmte (begrenzte) Zeitspanne, in die die im Kontext erzählten Ereignisse fallen. Diesen Belegstellen stehen Texte wie z.B. Gen 25,18 gegenüber. Hier leitet die Verbform ‚( וישכנוund sie wohnten‘) eine Beschreibung der (dauerhaften) Siedlungsgebiete der Ismael-Söhne ein, die ihrerseits die Ankündigung des Boten JHWHs aus Gen 16,12 aufgreift, wonach Ismael (als Gentilicum gebraucht) im Angesicht seiner Brüder wohnen ( )שכןwerde. Dies realisiert sich mit Gen 25,18 in der dauerhaften Besiedelung der Ränder des levantinischen Kulturlandes durch die „Söhne Ismaels“. So ist im Verb שכןselbst ganz offenkundig keine Festlegung auf Permanenz oder Befristung impliziert,805 was letztendlich zu der Rückfrage Anlass geben kann, ob die oben angesprochene Streitfrage wirklich den Punkt trifft, der für den Text selbst relevant ist bzw. ob nicht andere Bedeutungs802
Vgl. ähnlich BLUM, Komposition, 298. Vgl. dazu v.a. den ausführlichen Forschungsüberblick bei JANOWSKI, Sühne, 296– 302; 328. Vgl. auch BLUM, Komposition, 297–298; FRITZ, Tempel, 148–151; JENSON, Graded, 113–114; OWCZAREK, Wohnen, 218–219; STRUPPE, Herrlichkeit, 235–237. 804 GÖRG, ( שכןThWAT) zufolge deutet ( שכןmit menschlichen Subjekten) auf eine unsichere, vorübergehende Präsenz an einem Ort hin – im Gegenüber zu ישב, das auf eine dauerhafte, (rechtlich) abgesicherte Anwesenheit verweist (vgl. 1340–1344). Vgl. ähnlich (und ausführlicher) auch GÖRG, Zelt, 98–110. Bei שכןmit Gott als Subjekt aber erkennt GÖRG eine größere semantische Weite des Verbs (vgl. 1344–1348). Vgl. auch GÖRG, Zelt, 111–124. 805 Vgl. OWCZAREK, Wohnen, 223–232 (v.a. 224; 229); SCHMITT, Zelt, 219. 803
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
ebenen des Verbs wesentlich zentraler sind. So fällt beispielsweise auf, dass שכןvielfach mit einem (handlungswirksamen), aktiven Präsent-Sein oder Präsent-Werden verbunden ist, das in ein Interagieren mündet, aber ausdrücklich keine bloß passive Anwesenheit ausdrückt. So bereitet z.B. die Feststellung, dass Abraham (vorübergehend) bei den „Elone Mamre“ wohnt (Gen 14,13), ein für den Fortgang der Erzählung entscheidendes Zusammenwirken von Abraham und Mamre vor (vgl. Gen 14,13.24), während das (dauerhafte) Wohnen Ismaels in Gen 25,18 – wie in Gen 16,12 angekündigt – ein konfliktreiches Interagieren zwischen ihm und seinen „Brüdern“, d.h. den restlichen Abrahams-Nachfahren, zur Folge hat.806 Zuletzt aber passt diese in Gen greifbare Konnotation des handlungswirksamen, aktiven Präsent-Seins / -Werdens auch gut zu den Belegen in Ex 25,8; Ex 29,45–46, während die Frage nach der Dauerhaftigkeit des Wohnens JHWHs im Text kaum von vorrangigem Interesse ist.807 Versteht man nämlich – wie vorgeschlagen – die שכן-Aussage in Ex 29,45 als theologische Abstraktion der ( יעדni.)-Aussage, so deutet sie weder auf ein statisches „DaSein“ noch auf ein „kurzfristiges“ theophanes Erschienen hin, sondern erweist sich letztlich als Abstraktion eines regelmäßigen Beziehungsgeschehens, das sich immer wieder im „Machen“ der Israeliten und im Begegnen JHWHs im Heiligtum vollzieht808 und Israel als eine auf JHWH als Mitte hin ausgerichtete Einheit „(an)ordnet“. b) Das „Wohnen“ JHWHs und der Bund (Ex 29,45b) Die שכן-Aussage Ex 29,45a wird nun ihrerseits in den Versen Ex 29,45b–46 zum Ausgangs- und Anknüpfungspunkt von noch weitergehenden Interpretationen des Tamid. So verbindet Ex 29,45b das in Ex 29,45a konstatierte „Wohnen“ JHWHs mit der sog. Bundesformel, bzw. genauer mit der eingliedrigen Formulierung derselben, die von der Perspektive JHWHs aus das „Gott-Sein“ für Israel betont und damit eine wesentliche Aussage zur Israel-Beziehung JHWHs 806
Vgl. LEIBOLD, Konvivenz, 199. Vgl. dazu auch GÖRG, ( שכןThWAT), der in Gen 14 eher eine unabgesicherte bzw. vorübergehende Anwesenheit Abrahams ausgedrückt sehen will (Vgl. 1341), in Gen 16,12 aber festhält, dass hier – wie an vielen Belegstellen von שכן – „im Vordergrund der Semantik nicht die lokale Fixierung, sondern die dynamische Präsenz steht“ (1343). Vgl. ähnlich KLEIN, Future, 275. 807 Auf die Problematik hinter dem Zuspitzen der Interpretation von שכןin Ex 29,45 auf die Frage nach der „Permanenz“ des Wohnens JHWHs im Heiligtum weist bereits K. ELLIGER hin, der „eine gewisse Dialektik“ ausmacht: „Gott »wohnt« im Heiligtum und zugleich wohnt er dort nicht, sondern »begegnet«, »stellt sich« von Zeit zu Zeit ein. Man könnte daran denken, den Widerspruch literarisch aufzulösen. Doch kein Versuch befriedigt; beide Vorstellungen sind fest in Pg verankert“ (ELLIGER, Sinn, 185). 808 Vgl. BLUM, Komposition, 298; JANOWSKI, Sühne, 303–308 (v.a. 306–308); KLEIN, Future, 271.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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trifft. Dabei erweist sich Ex 29,45b als wörtliche Aufnahme von Gen 17,8 und spielt somit dezidiert den ersten Beleg der Bundesformel innerhalb der Tora ein, der sich im Kontext des Abrahambundes findet. Darüber hinaus aber sind auch Bezüge zu Ex 6,2–8 greifbar, einem Text in dem – ebenfalls im Rückgriff auf Gen 17 – die Bundesformel, nun in ihrer erweiterten, zweigliedrigen Fassung, wiederkehrt.809 Im Folgenden sind diese beiden Hypotexte, Gen 17(,8b) und Ex 6,2–8, kurz vorzustellen, wobei auf Gen 17 das größere Gewicht zu legen ist. In diesem Text ist v.a. der engere literarische Kontext des in Ex 29,45b wörtlich aufgenommenen Satzes Gen 17,8b zentral, also die Verse Gen 17,7– 8 bzw. die drei Gottesreden Gen 17,4–8.9–14.15–16, die mit verschiedenen Akzentsetzungen um die Thematik des Bundes kreisen. So setzt schon die erste Rede (Gen 17,4–8) in V.4a mit der Ankündigung eines Bundes ein, den JHWH mit Abram eingehen will (‚ ;בריתי אתךmein Bund ist mit dir‘). Diese Ankündigung ist in Gen 17,4.6 zunächst mit einer (erneuten) Zusage von Nachkommenschaft verbunden, wenn Abram/Abraham in Aussicht gestellt wird, Vater einer Fülle von Völkern zu werden.810 Die beiden Zusagen in V.4.6 legen einen Rahmen um die programmatische Umbenennung Abrams in Abraham (vgl. Gen 17,5), wobei – der „Etymologie“ des Textes gemäß – in diesem neuen Namen das in V.4.6 zugesagte Vater-Sein für eine Fülle ( )המןnachklingen soll. Mit der Nachkommenschaftsthematik verknüpft, findet sich in Gen 17,7–8, d.h. zum Abschluss der ersten Gottesrede, schließlich auch die Zusage eines Bundes zwischen Gott und Abraham bzw. der Nachkommenschaft Abrahams durch die Generationen hindurch, die einerseits die Ankündigung des Bundes in V.4a aufgreift und weiterführt. Andererseits aber ist über die Ankündigung eines die Generationen überspannenden ()לדרתם und daher Abrahams reiche Nachkommenschaft mit einschließenden, „zeitlosen“ Bundes ( )ברית עולםauch ein enger Zusammenhang mit der Verheißung von Nachkommenschaft in Gen 17,4–6 gegeben.811 Als Inhalt des Bundes wird mit Gen 17,7aI, wo sich erstmals eine Formulierungsvariante der Bundesformel findet, das Gott-Sein JHWHs für Abraham und dessen Nachkommenschaft benannt.812 Es geht somit zunächst um die Selbstverpflichtung JHWHs, sich dauerhaft an „Abraham“ zu binden, was in Gen 17,8 dahingehend weiter entfaltet wird, als dort auch die Landverheißung eingebracht wird, die bereits in Gen 13,14–17; 15,3–5.13–21 eng mit der Nachkommenschaftsverheißung verknüpft ist.813 So wird in Gen 17,8a Abra809 Vgl. JANOWSKI, Sühne, 319; FREVEL, Blick, 134–135; NIHAN, Priestly Torah, 64; OWCZAREK, Wohnen, 234–235; STRUPPE, Herrlichkeit, 57. 810 Vgl. GROß, Zukunft, 55–56; JANOWSKI, Sühne, 320–321. 811 Vgl. GROß, Zukunft, 56–57. 812 Vgl. JANOWSKI, Sühne, 321; OWCZAREK, Wohnen, 235; RENDTORFF, Bundesformel, 20. 813 Vgl. JANOWSKI, Sühne, 321; RENDTORFF, Bundesformel, 20.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
ham und (v.a.!) seinen Nachfahren ein „zeitloses Nutzungsrecht“ ()אחזת עולם am Land Kanaan zugesprochen, in dem Abraham jetzt bereits im Status eines ger (vgl. ;ארץ מגריךGen 17,8a) lebt. Dabei schwingt im Terminus ‚( אחזהNutzungsrecht‘) die Idee mit, dass JHWH als eigentlicher Eigentümer des Landes der Nachkommenschaft Abrahams (d.h. dem Volk Israel) den Nießbrauch des Landes zugesteht.814 Dies aber bedeutet zugleich, dass die Zuteilung des Landes als אחזהein dauerhaftes, rechtlich fassbares Verhältnis zwischen JHWH und Israel begründet, das die im Bundesschluss konstituierte Beziehung zwischen JHWH und „Abraham“ voraussetzt und diese zugleich konkretisiert.815 Somit kann das Stichwort אחזהhier der Anbindung der Landthematik an die Bundestheologie dienen, was im Text auch durch die Parallelität der Formulierungen ( ברית עולםV.7a) und ( אחזת עולםV.8a) unterstrichen wird. Gen 17,4–8 verknüpft somit zwei zentrale Motive der bisherigen Abrahamserzählung, die Nachkommenschafts- und die Landverheißung, mit der neu eingebrachten Thematik des Bundes bzw. korreliert diese mit dem eigentlichen „Kerngedanken“ des Bundes, dem Gott-Sein JHWHs für Israel, das in der sog. Bundesformel zum Ausdruck kommt.816 Diese aber ist – wie bereits angesprochen – erstmals an der Stelle belegt, an der der konkrete Inhalt des Abrahambundes beschrieben werden soll (vgl. Gen 17,7aI), wird dann jedoch in Gen 17,8b, zum Abschluss der ersten Gottesrede, nochmals bekräftigend wiederholt. Ex 29,45b nimmt nun in der wörtlichen Übernahme von Gen 17,8b auf genau diesen bekräftigenden Abschluss Bezug817 und ruft auf diese Weise letztlich den gesamten, soeben knapp nachgezeichneten Gedankengang von Gen 17,4–8 in Erinnerung. In Gen 17 schließen an V.4–8 zwei Gottesreden an, die den in V.4–8 grundlegend konzipierten Väterbund weitergehend konkretisieren. So wird in der zweiten Gottesrede (V.9– 14) zunächst die Beschneidung aller männlichen Nachfahren Abrahams angeordnet, die als Zeichen des geschlossenen Bundes ( )אות בריתdienen soll,818 bevor schließlich in der dritten Rede (V.15–16) auch Sarai mit einbezogen wird, die – analog zur Umbenennung Abrams in Gen 17,5 – in Gen 17,15 den Namen ‚Sara‘ erhält. Dies ist mit der Ankündigung der Geburt eines Sohnes der Sara, d.h. mit einer Applikation der Zusagen aus Gen 17,4–6 auf Sara hin verbunden. Auf diese Weise ist letztendlich eine bedeutsame Engführung der Bundeszusagen an Abraham in Gen 17,7–8 und der mit diesen verbundenen Nachkommenschafts- und Landverheißung auf die gemeinsamen Nachfahren Abrahams und Saras hin angedeutet, die schließlich in Gen 17,19–21 auch ganz ausdrücklich formuliert wird. Dort nämlich sagt JHWH im Zusammenhang mit der Ankündigung der Geburt des Isaak zu, 814 Vgl. dazu KÖCKERT, Land, 155; LEIBOLD, Konvivenz, 172; NIHAN , Priestly Torah, 66–67. 815 Vgl. ähnlich GROß, Zukunft, 58; HIEKE, Levitikus 16–27, 986; LEIBOLD, Konvivenz, 170–174. 816 Vgl. RENDTORFF, Bundesformel, 20. 817 Vgl. GROß, Zukunft, 64. 818 Vgl. GROß, Zukunft, 54; JANOWSKI, Sühne, 321.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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seinen (d.h. den mit Abraham geschlossenen) Bund mit Isaak, d.h. mit dem gemeinsamen Nachfahren von Abraham und Sara (und mit dessen weiterer Nachkommenschaft) aufzurichten (V.19).819 Ismael (und allen weiteren Abraham-Nachfahren) hingegen gilt zwar die Zusage göttlichen Segens, der sich Gen 17,20 zufolge auch in reicher Nachkommenschaft manifestiert, der Bund und – verbunden damit – die Landverheißung aber sind exklusiv für die aus Isaak hervorgehenden Abrahamnachfahren reserviert (Gen 17,21). Zusammenfassend kann damit aber auch festgehalten werden, dass die beiden, die gesamte Abrahamserzählung durchziehenden (und weit über diese hinausgreifenden) göttlichen Zusagen der Nachkommenschaft und des Landes auf je eigene Weise mit der Bundesthematik verknüpft sind. Die reiche Nachkommenschaft Abrahams (und Saras) erscheint zunächst (pragmatisch) als notwenige Voraussetzung für einen fortdauernden Bund JHWHs mit Abraham, wird andererseits aber auch im Hinblick auf Ismael verheißen (vgl. Gen 17,20) und ist somit explizit nicht als ein Proprium Israels ausgewiesen. Anders jedoch bei der Landverheißung: Die in der Übereignung des Landes konstituierte (auch rechtlich fassbare) Beziehung zwischen Gott und „Abraham“ erweist sich als ein wesentlicher Ausdruck der Bundesbeziehung, die in V.19 auf Isaak (und damit auf Israel) fokussiert wird: Das Gott-Sein JHWHs für Israel konkretisiert sich in der Gabe des Landes, was in Gen 17,4–8 auch daran abzulesen ist, dass die beiden Belege der Bundesformel in V.7a.8b die Landverheißung in V.8a rahmen.820
Nach den zwei Belegen der Bundesformel in Gen 17,7–8 kehrt diese in der kanonischen Textanordnung der Tora in Ex 6,2–8 wieder, einer Gottesrede an Mose in Ägypten,821 die – wie Gen 17,7–8 – in Ex 29,45b nachklingt, v.a. aber auch als Hypotext zu Ex 29,46 eine zentrale Rolle spielt. Ex 6,2–8 ist durch drei Belege der „’anī JHWH-Aussage“ ( )אני יהוהin Ex 6,2c.6b.8c strukturiert, wobei die beiden Belege in V.2.8 als erster und letzter Satz die gesamte Rede umrahmen, während Ex 6,6b einen Neueinsatz nach dem Übermittlungsauftrag in V.6a markiert.822 Dieser teilt die Rede in zwei Abschnitte, deren erster (V.2–5) ausschließlich an Mose adressiert ist, deren zweiter aber (V.6–8) den Israeliten weiterzuvermitteln ist (vgl. V.6a).823 Dabei ist diese zweite Hälfte in V.6b.8c – ebenso wie die gesamte Rede in V.2c.8c – durch die „’anī JHWH-Aussage“ gerahmt.824 Im Zentrum von V.6–8 steht die Ankündigung eines künftigen (unmittelbar bevorstehenden) Handelns JHWHs an Israel, das in einer Reihung von we=qaṭal-Sätzen in V.6cde.7ab(c).8ab umschrieben wird.825 Ein erster Sinnabschnitt wird durch die drei Sätze Ex 6,6cde markiert, in denen die bevor819
Vgl. GROß, Zukunft, 56–57; LEIBOLD, Konvivenz, 171. Vgl. JANOWSKI, Sühne, 321; LEIBOLD, Konvivenz, 172–173. 821 Zum Kontext von Ex 6,2–8 vgl. z.B. EDERER, Aufbrüche, 76–78. 822 Vgl. DIESEL, Ich bin, 99; 118; DOHMEN, Exodus 1–18, 206; EDERER, Aufbrüche, 79–80; HOUTMAN, Exodus 1, 487; PROPP, Exodus 1–18, 270; 273; RENDTORFF, Bundesformel, 21; UTZSCHNEIDER/OSWALD, Exodus 1–15, 164. 823 Vgl. DIESEL, Ich bin, 99–101; DOHMEN, Exodus 1–18, 206; EDERER, Aufbrüche, 79; HOUTMAN, Exodus 1, 487; UTZSCHNEIDER/OSWALD, Exodus 1–15, 164. 824 Vgl. DIESEL, Ich bin, 99. 825 Vgl. DIESEL, Ich bin, 105. 820
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
stehende Befreiung aus Ägypten als „Herausführen (יצא-hi.) von unter den Bürden Ägyptens“ (V.6c), als „retten (נצל-hi.) aus ihrer Dienstbarkeit“ (V.6d) sowie als „auslösen ( )גאלmit ausgestrecktem Arm und großer Macht“ (V.6e) gefasst wird.826 Damit greift Ex 6,6cde auf die Beauftragung des Mose in Ex 3,8–10 zurück, in der JHWH erstmals die Rettung Israels aus Ägypten (נצלhi.; Ex 3,8aI) ankündigt bzw. Mose damit beauftragt, Israel aus Ägypten zu führen (יצא-hi.).827 Der zweite Teil des in Ex 3,8.17 skizzierten „Exodus-Plans“, das Hinaufführen (עלה-hi.) in das Land, klingt hingegen in Ex 6,8 nach. Hier sagt JHWH zu, Israel zu dem Land zu bringen (בוא-hi.), das er den Vätern zugeschworen hat (Ex 6,8a) bzw. dem Volk dieses Land zum Erbe ( )מורשהzu geben (Ex 6,8b).828 Zwischen V.6 und V.8 eingeschoben findet sich nun in Ex 6,7 die Bundesformel und mit dieser kombiniert die Erkenntnisformel (vgl. Ex 29,45b– 46a!). Dabei ist die Bundesformel – anders als in Gen 17,7.8 – zweigliedrig angelegt, d.h. sie verweist zuerst (vgl. Ex 6,7a) darauf, dass JHWH Israel für sich zum Volk nimmt und setzt damit die in Ex 1 thematisierte Volkwerdung Israels in Ägypten voraus, bevor Ex 6,7b – anknüpfend an Gen 17,7.8 – die Zusage JHWHs formuliert, für Israel Gott zu sein.829 Dieser Rekurs auf den Väterbund in Ex 6,7b wird bereits in der ersten Hälfte der Gottesrede (Ex 6,3–5) vorbereitet, die die Grundlagen und Voraussetzungen für das in Ex 6,6–8 angekündigte Handeln reflektiert.830 Zu diesen gehört einmal – gleichsam als „Auslöser“ und „Anstoß“ – die gegenwärtige Notlage in Ägypten (vgl. Ex 6,5), die JHWH wahrgenommen hat und aus der zu befreien er schließlich in Ex 6,6 ankündigt. Darüber hinaus ist aber auch die bereits bestehende Verbindung zwischen Israel und JHWH essenziell, die in Ex 6,3–4 herausgehoben wird. So rekurriert V.3 darauf, dass JHWH den Vätern Israels erschienen, d.h. mit ihnen in Kontakt getreten ist,831 dass also bereits eine
826
Vgl. DIESEL, Ich bin, 105; 108–109; HOUTMAN, Exodus 1, 502. DIESEL und HOUTdeuten die Ankündigung der Befreiung in der we=qaṭal–Satz–Reihung Ex 6,6c–e als „Exegese“ der ’anī JHWH–Aussage in V.6b 827 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 206; EDERER, Aufbrüche, 80; FISCHER/MARKL, Exodus, 90; JACOB, Exodus, 155–156; UTZSCHNEIDER/OSWALD, Exodus 1–15, 165. 828 Vgl. EDERER, Aufbrüche, 80–81; JACOB, Exodus, 157; UTZSCHNEIDER/OSWALD, Exodus 1–15, 166. 829 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 206; HOUTMAN, Exodus 1, 503; RENDTORFF, Bundesformel, 23; STRUPPE, Herrlichkeit, 57; UTZSCHNEIDER/OSWALD, Exodus, 165–166. 830 Vgl. DURHAM, Exodus, 77; NIHAN, Priestly Torah, 64. 831 Vgl. PROPP, Exodus 1–18, 271–272. MAN
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
273
Beziehung existiert, die Ex 6,4 unter deutlichem Rückgriff auf Gen 17,7–8 näher umschreibt.832 Gen 17,7–8 7a
7aI 8a
8b
והקמתי את בריתי ביני ובינך ובין זרעך אחריך לדרתם לברית עולם להיות לך לאלהים ולזרעך אחריך ונתתי לך ולזרעך אחריך את ארץ מגריך את כל ארץ כנען לאחזת עולם והייתי להם לאלהים
Ex 6,4
וגם הקמתי את בריתי אתם
לתת להם את ארץ כנען את ארץ מגריהם אשר גרו בה
4a
4aI 4aIR
Die wesentlichen, aus Gen 17,7–8 eingespielten Aussagen sind hier die Ankündigung, den Bund „aufzurichten“ (קום-hi.; vgl. Ex 6,4a; Gen 17,7a; vgl. auch Gen 17,21a!) und die Landzusage (vgl. Ex 6,4aI; Gen 17,8a). Anders als in Gen 17,8 aber, wo die Landzusage zwar eng mit der Bundesthematik verknüpft, als eigentlicher Inhalt des Bundes jedoch das in der Bundesformel artikulierte Gott-Sein JHWHs für Abraham (Israel) benannt ist, erscheint nun in Ex 6,4a–aI die Landverheißung selbst als („der“) Bundesinhalt, während sich die Bundesformel (zunächst) nicht findet (vgl. aber Ex 6,7!).833 Zuletzt bildet in Ex 6,5 das „Gedenken an den Bund“ (durch JHWH) die Brücke zwischen dem Wahrnehmen der Not Israels in Ägypten und der Ankündigung eines bevorstehenden Rettungshandelns (vgl. Ex 6,6–8).834 Dabei erscheint es als konsequent, dass – wenn der Bund mit V.4 v.a. von der Landverheißung her verstanden wird – Ex 6,6–8 letztendlich auch in einen Ausblick auf die Einlösung derselben (vgl. Ex 6,8) einmündet. Zugleich ist aber auch die zweigliedrige Bundesformel in Ex 6,7 von Ex 6,3–4(.5) her zu verstehen:835 Das „Zum-Volk-Nehmen“ bzw. das „Zum-Gott-Werden“ (vgl. V.7ab) sind nicht eigenständige, „separate“ Aktionen „nach“ der in Ex 6,6 thematisierten Rettung aus Ägypten und „vor“ der Gabe des Landes (Ex 6,8), sondern realisieren sich vielmehr in diesem geschichtlichen Handeln JHWHs. Somit bietet V.7 eine grundlegende Reflexion von Exodus und Landgabe, die von der Konzeption des Bundes her zu verstehen ist und das angekündigte heilsgeschichtliche Handeln JHWHs – wie schon in Ex 6,4.5 angelegt – als
832
Vgl DIESEL, Ich bin, 104–105; 116; DOHMEN, Exodus 1–18, 206; EDERER, Aufbrüche, 78; FISCHER/MARKL, Exodus, 90; HOUTMAN, Exodus 1, 501; 503; JACOB, Exodus, 153–154; OWCZAREK, Wohnen, 235; RENDTORFF, Bundesformel, 21; UTZSCHNEIDER/OSWALD, Exodus 1–15, 165. 833 Vgl. JACOB, Exodus, 153; RENDTORFF, Bundesformel, 21. 834 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 90; RENDTORFF, Bundesformel, 21; UTZSCHNEIDER/OSWALD, Exodus 1–15, 165. 835 Vgl. DIESEL, Ich bin, 101; 110–111.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Realisierung der Bundeszusagen ausweist.836 Dies ist auch in der Erkenntnisformel in Ex 6,7cd greifbar, die festhält, dass Israel das im zweiten Glied der Bundesformel (V.7b) artikulierte Gott-Sein JHWHs eben daran erkennt, dass JHWH sein Volk aus Ägypten herausführt (יצא-hi.; vgl. Ex 6,6c).837 Dass zuletzt aber auch das Bringen ins Land (V.8a) vom Väterbund her gedacht ist, zeigt schließlich der ausdrückliche Rekurs auf den Eid JHWHs in Ex 6,8aR.838 Ex 6,2–8 entfaltet somit die theologische Idee, das „Exodusprogramm“ mit seinen zwei „Brennpunkten“, dem Herausführen aus der Knechtschaft in Ägypten und dem Hineinführen ins Verheißene Land, mit dem in Gen 17 grundgelegten Väterbund zu verknüpfen. Somit wird das (in einem weiteren Sinne gefasste) Exodushandeln JHWHs als Realisierung der Bundeszusagen ausgewiesen und somit letztlich vom Bund her begründet.839 Konsequenterweise rückt damit das Hauptgewicht auf die Landverheißung (vgl. Ex 6,4.8), mit deren Verwirklichung – der Akzentsetzung von Ex 6,4 zufolge – die im Bund eingegangene Selbstverpflichtung JHWHs eingelöst ist.840 Nach Gen 17,7.8 und Ex 6,7 ist nun Ex 29,45b der nächste Beleg der Bundesformel innerhalb der Tora, wobei in wörtlicher Aufnahme von Gen 17,8b auch hier die eingliedrige Form belegt ist, die mit der שכן-Aussage in Ex 29,45a verbunden ist. So erscheint das Wohnen JHWHs inmitten der Söhne Israels als eine Konkretion des den Nachfahren Abrahams und Saras in Gen 17,8 als Inhalt des Bundes zugesagten Gott-Sein JHWHs („für“).841 Berücksichtigt man nun, dass die שכן-Aussage in V.45a selbst wiederum von Ex 29,42.43a her zu verstehen ist und fasst entsprechend das angekündigte „Wohnen inmitten Israels“ als „Abstraktion“ des in V.42.43a mit dem regelmäßigen Vollzug des Tamid verbundenen „Begegnens am Eingang des Zelts“, so können der regelmäßige Gottesdienst Israels und die sich in ihm ereignende Israelbegegnung JHWHs als Ausdruck und Vollzug der im Väterbund grundgelegten Beziehung zwischen JHWH und Israel interpretiert werden, wobei sich in dem generationenübergreifend (vgl. ;לדרתיכםEx 29,42a) angeordneten Vollzug des Tamid (Ex 29,42) die zeitlose ( )עולםFortdauer des Bundes Gottes mit Abraham und dessen Nachkommen spiegelt.842 Ex 29,45 836
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 206; DURHAM, Exodus, 77–78; EDERER, Aufbrüche, 78–80; HOUTMAN, Exodus 1, 501; JANOWSKI, Sühne, 322; NIHAN, Priestly Torah, 64. 837 Vgl. DIESEL, Ich bin, 101; RENDTORFF, Bundesformel, 21–22. 838 Vgl. DIESEL, Ich bin, 111–112; JACOB, Exodus, 156–157. 839 Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 64; HOUTMAN, Exodus 1, 503–504. 840 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 206–207; EDERER, Aufbrüche, 80–81; HOUTMAN, Exodus 1, 504; RENDTORFF, Bundesformel, 21–22. 841 Vgl. DIESEL, Ich bin, 205; JANOWSKI, Sühne, 322–324; KLEIN, Future, 270; OWCZAREK, Wohnen, 236–237; STRUPPE, Herrlichkeit, 57. 842 Vgl. OTTO, Gesetz, 53; OWCZAREK, Wohnen, 236–237; WEIMAR, Priesterschrift, 289.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
275
verbindet demnach die regelmäßige Darbringung des Brandopfer-Tamids mit einem zentralen Aspekt israelitischer Identität und israelitischen Selbstverständnisses, nämlich der exklusiven Gottesbeziehung Israels als Gegenstand des Bundes (vgl. Gen 17,4–8) bzw. dem für Israel konstitutiven Gott-Sein JHWHs für Israel. Diese aber werden im Tamid – im Begegnen am Eingang des Zelts – zwei Mal täglich für ganz Israel konkret und so gleichsam zur festen Institution. Andererseits ist auffällig, dass in Ex 29,45 jeder Hinweis auf die Landverheißung fehlt, die im Zusammenhang mit der Bundesthematik sowohl in Gen 17,7–8 als auch in Ex 6,2–8 zentral ist und dabei in Ex 6,4 – in „Auslegung“ von Gen 17,7–8 – sogar als Inhalt der Selbstverpflichtung JHWHs zu bestimmen ist.843 Die in Gen 17 mit der Bundeszusage verbundene Nachkommenschafts- und Mehrungsverheißung hingegen kann über Stichwort ‚( בני ישראלSöhne Israels‘) in Ex 29,45a „mitgehört“ werden. Dieses nämlich bezeichnet – nachdem es in Gen 42,5; 45,21; 46,5.8; 50,25; Ex 1,1 „nur“ für die (leiblichen) Söhne Jakobs/Israels steht – beginnend mit Ex 1,9 die in Ägypten „groß und zahlreich“ ( ;רב ועצוםEx 1,9) gewordene Nachkommenschaft Jakob–Israels, die – wie der Pharao feststellen muss – zu einem ‚( עםVolk‘) geworden ist und an der sich somit die Mehrungsverheißungen an die Väter erfüllt hat. Mit Ex 29,45 wird dieses Volk der Söhne Israels zum „Ort“ eines – mit Ex 29,45b von der Bundesthematik her interpretierten – Wohnens JHWHs (V.45a), worin zugleich die Zusage des Gott-Seins für den Samen Abrahams „nach ihm“ aus Gen 17,7–8 eine konkrete Realisierung erfährt.844
Dem bemerkenswerten Befund aber, dass in Ex 29,45 jeder Bezug zur Landverheißung fehlt, ist im Folgenden unter Einbeziehung von Ex 29,46 noch genauer nachzugehen. c) Das „Wohnen“ JHWHs und der Exodus (Ex 29,46) Ex 29,46 schließt mit einer Aussage zum Erkennen bzw. Erfahren Israels (vgl. ;וידעוV.46a) an Ex 29,45 an. Dabei umschreibt Ex 29,46b–bRI den Erkenntnis- bzw. Erfahrungsgegenstand und rekurriert dazu nochmals auf die wesentlichen Aspekte von Ex 29,45(ab). So findet sich in Ex 29,46b zunächst eine „’anī JHWH-Aussage“ (‚ ;אני יהוה אלהיהםIch bin JHWH, ihr Gott‘), die – v.a. über die Selbstprädikation JHWHs als „ihr Gott“ ( – )אלהיהםdie Beziehung zwischen JHWH und Israel und insbesondere das Gott-Sein JHWHs für Israel in den Mittelpunkt stellt. Auf diese Weise kann sie an die Bundesformel in Ex 29,45b anknüpfen und bestimmt die in dieser zugesagte Bindung JHWHs an Israel, die Ex 29,45 zufolge im „Wohnen JHWHs inmitten Israels“ konkret wird, als den Gegenstand der Erkenntnis Israels. Einen inhaltlich neuen Akzent setzt freilich der Relativsatz Ex 29,46bR, der die „’anī JHWH-Aussage“ aus V.46b um einen Rekurs auf die Herausfüh843 844
Vgl. BLUM, Komposition, 297; RENDTORFF, Bundesformel, 21–22. Vgl. OTTO, Gesetz, 53.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
rung (יצא-hi.) aus Ägypten (durch JHWH) erweitert und dabei v.a. auf den Hypotext Ex 6,2–8 und speziell auf Ex 6,7 Bezug nimmt.845 In Ex 6,7 nämlich schließt die Erkenntnis-Aussage Ex 6,7cd – ähnlich wie in Ex 29,45–46 – an eine Formulierung der Bundesformel (vgl. Ex 6,7ab) an, so dass zunächst eine vergleichbare Kontextualisierung gegeben ist. Aber auch hinsichtlich des Wortlauts bzw. der konkreten Formulierungen sind große Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Texten auszumachen. Ex 6,7 7a 7b 7c 7d
ולקחתי אתכם לי לעם והייתי לכם לאלהים וידעתם כי אני יהוה אלהיכם המוציא אתכם מתחת סבלות מצרים
Ex 29,45–46
ושכנתי בתוך בני ישראל והייתי להם לאלהים וידעו כי אני יהוה אלהיהם אשר הוצאתי אתם מארץ מצרים לשכני בתוכם אני יהוה אלהיהם
45a 45b 46a 46b 46bR 46bRI 46c
Besonders auffällig ist dabei die Parallelität von Ex 29,46bR bzw. Ex 6,7d, die beide die in Ex 29,46ab bzw. Ex 6,7c angekündigte Erkenntnis des GottSeins JHWHs (für Israel) aus dem Exodushandeln JHWHs (יצא-hi.) ableiten.846 So findet die partizipiale Wendung ‚( המוצא אתכם מתחת סבלת מצריםder euch Herausführende von unterhalb der Bürden Ägyptens‘) aus Ex 6,7d in Ex 29,46 ihre Entsprechung in dem Relativsatz Ex 29,46bR אשר הוצאתי אתם מארץ ‚( מצריםder ich sie herausgeführt habe aus dem Land Ägypten‘). Dabei weist die partizipiale Wendung in Ex 6,7 über die Aufnahme von Ex 6,6c auf die dreifache Ankündigung der Befreiung Israels in Ex 6,6c–e zurück und bestimmt das dort angekündigte Rettungshandeln JHWHs als dasjenige Geschehen, in dem für die „Söhne Israel“ die in der Bundesformel (Ex 6,7ab) umschriebene Beziehung zu JHWH (erstmals) konkret und erfahrbar wird. Zugleich wird über die intensive Bezugnahme auf Gen 17 (vgl. Ex 6,4.7(a) b.8) deutlich, dass diese bereits in der Selbstverpflichtung gegenüber Abraham gründet und die Beziehung JHWHs zu den Vätern fortführt. In diesem Sinne kann Ex 29,46 über das Einspielen von Ex 6,7 zunächst die Herausführung aus Ägypten als einen entscheidenden Startpunkt der in V.46b(.45b) aufgerufenen Beziehungsgeschichte JHWHs mit Israel markieren bzw. diese von ihrem „Anfangsmoment“ her charakterisieren. Ihre spezifische Kontur aber gewinnt die Exodusaussage in Ex 29,46 durch den (final aufzulösenden) Infinitivsatz Ex 29,46bRI, der an den Relativsatz anschließt und als das Ziel des Exodusgeschehens das „Wohnen JHWHs inmitten der
845
Vgl. JANOWSKI, Sühne, 319; STRUPPE, Herrlichkeit, 57–58; WEIMAR, Priesterschrift, 289–290. 846 Vgl. OWCZAREK, Wohnen, 239; STRUPPE, Herrlichkeit, 57–58.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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Söhne Israels“ bestimmt.847 In diesem Rückgriff auf Ex 29,45a wird dabei zunächst der Weg transparent, auf dem Israel zu der in Ex 29,46b–bRI zusammengefassten Erkenntnis bzw. Erfahrung (vgl. V.46a) gelangen kann. Ausgangspunkt ist das „Wohnen“, das sich im regelmäßigen Kultvollzug und in dem damit verbundenen „Begegnen“ JHWHs am Eingang des Zelts der Begegnung (vgl. V.43a.45a) ereignet und somit für Israel Gegenstand konkreter und alltäglicher Erfahrung sein soll. Ausgehend von dieser konkreten Erfahrung aber ist das „Wohnen“ zunächst als das eigentliche Ziel eines Exodushandelns zu interpretieren, das im Gefolge von Ex 6,7 als „Anfangsmoment“ der Beziehung zwischen JHWH und den Söhnen Israels zu greifen ist (vgl. V.46bR) und kann von da aus zuletzt auch generalisierend als Aufweis und Konkretion eines „Gott-Seins“ JHWHs für Israel systematisiert werden.848 Ex 29,46a–bRI verdeutlich somit zunächst über den in Ex 29,46b–bRI geleisteten Rückbezug auf beide Sätze von Ex 29,45 den oben beschriebenen Zusammenhang zwischen den beiden Ankündigungen in Ex 29,45ab. Daneben unterstreicht die Exodusaussage in Ex 29,46bR–bRI in ihrem eigenwilligen Zuschnitt nochmals die oben ebenfalls bereits beschriebene Beobachtung, dass in Ex 29,45–46 jede Bezugnahme auf die Landverheißung fehlt. Immerhin nämlich ist in Ex 6,2–8 – und auch in Ex 3,7–10(.17) – die angekündigte Herausführung aus Ägypten unmittelbar mit einem Hineinführen ins Land verbunden, das seinerseits als Realisierung der Landverheißung an die Väter ausgewiesen ist.849 Dies aber hat zur Folge, dass die in Ex 5 mit der ersten Sendung des Mose zum Pharao beginnende und in Ex 15,21 mit dem Ende der Schilfmeerszene endgültig abgeschlossene Herausführung Israels in ihrer Gesamtheit als notwenige Voraussetzung dafür erscheint, dass die Zusagen JHWHs an die Väter eintreten können und somit auch eine klare Ausrichtung auf die Gabe des Landes erkennen lässt. Ex 29,45–46 hingegen „sediert“ diese Fokussierung des Exodusgeschehens auf die Landverheißung hin (fast)850 völlig und stellt stattdessen die Beziehungsdimension „exklusiv“ 847 Vgl. BLUM, Komposition, 297; DIESEL, Ich bin, 205; DOHMEN, Exodus 1–18, 274; JANOWSKI, Sühne, 320; 322–324; KLEIN, Future, 270–271; RENDTORFF, Bundesformel, 25. 848 Vgl. MARX, Opferlogik, 139–140. 849 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 152–154; 165. 850 Ein indirekter Bezug zur Landverheißung ist allerdings über Ex 25,8b gegeben, wo das „Wohnen inmitten der Söhne Israels“ als das eigentliche Ziel des Heiligtumsbaus (vgl. V.8a) ausgewiesen wird. So ist von Ex 29,45–46 her das Errichten des Heiligtums als das Schaffen der Voraussetzung für die regelmäßige Israelbegegnung JHWHs im Kult zu interpretieren, wobei in den Herstellungsanweisungen von Ex 25,10–27,19 die „Tragbarkeit“ des Heiligtums und seiner Geräte eines der zentralen Motive darstellt (vgl. z.B. die ausführliche Beschreibung der „Tragevorrichtungen“ in Ex 25,12–15.26–28). Es soll also ausdrücklich möglich sein, den Begegnungsraum auf dem Weg ins Land „mitzutransportieren“, d.h. ihn immer wieder neu zu errichten und im Vollzug des Kults zu „aktivieren“. Auf diese Weise wird das im Kult Vollzogene zusammen mit dem Heiligtum selbst in das
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
in den Mittelpunkt,851 die freilich auch in der Darstellung des Exodusgeschehens in Ex 1–15 als wichtiges Leitmotiv greifbar ist. So wird sie in Rahmen der Beauftragung des Mose in Ex 3 v.a. über die Erklärung des JHWHNamens eingebracht, der Ex 3,14–15 auf ein wirkmächtiges „Mit-Sein“ (mit Israel) verweist, während sie in Ex 6,2–8 – wie oben bereits dargestellt – v.a. über die Rückbezüge auf Gen 17 und die Umschreibung des Bundesverhältnisses durch das in der Bundesformel zum Ausdruck kommende „Gott-Sein“ JHWHs (für Israel) anklingt. Innerhalb der Exoduserzählung selbst aber kann die Beziehung zwischen JHWH und Israel einmal in denjenigen Texten zum Ausdruck kommen, die JHWHs Handeln als rettendes Eingreifen und somit als solidarisches Handeln zugunsten Israels deuten (vgl. Ex 3,8; 15,3–10). Andererseits aber kann es auch mit der – u.a. auch in Ex 29,46bR belegten – Rede von einer Herausführung Israels (יצא-hi.) verbunden sein, insofern diese das Handeln JHWHs als Sklavenbefreiung begreift und mit der Vorstellung von einem Herrschaftswechsel verbindet, in dem Israel der Macht des Pharao entrissen und dem Herrschaftsbereich JHWHs eingegliedert wird.852 Unter dieser Perspektive betrachtet, mündet das Exodusgeschehen mit Ex 29,45–46 in ein „institutionalisiertes“ Begegnen JHWHs im regelmäßigen Opfer ein, das V.45a im Konzept des „Wohnens inmitten Israels“ zusammenfasst. Die in diesem konkret erfahrbare Beziehung zwischen JHWH und Israel ist somit als das Ziel des heilsgeschichtlichen Handelns JHWHs im Exodus profiliert und es wird als solches – wie Ex 29,46b–bRI deutlich macht – aus dem im Kultvollzug erlebten Begegnen heraus erkennbar.853 Der damit angedeutete Zusammenhang zwischen dem (einmaligen) heilsgeschichtlichen Handeln JHWHs im Exodus und seiner (regelmäßigen) Israelbegegnung im Vollzug des Tamid findet zuletzt seinen Niederschlag in einer weiteren Besonderheit der Erkenntnis-Aussage in Ex 29,46. So ist diese die einzige innerhalb des Exodusbuchs, in der das angekündigte Erkennen nicht mit einem konkreten (einmaligen) heilsgeschichtlichen Handeln JHWHs verbunden ist, das im weiteren Sinne mit dem Exodusgeschehen zusammenhängt, sondern auf einem wiederholten Erleben im Rahmen des Kults fußt.854 Land „importierbar“. Umso spannender aber ist, dass diese in Ex 25,10–27,19 gegebene „Beweglichkeit“ innerhalb der Heiligtumstora niemals in eine ausdrückliche Ausrichtung auf das Land „übersetzt“ wird. 851 Vgl. ähnlich auch JANOWSKI, Sühne, 320; DERS, Tempel, 231; KLEIN, Future, 270– 271; RENDTORFF, Bundesformel, 25; WEIMAR, Priesterschrift, 290–291. 852 Vgl. dazu z.B. DOHMEN/EDERER, Exodus, 6–8. 853 Vgl. DIESEL, Ich bin, 205; DOHMEN, Exodus 19–40, 274; OWCZAREK, Wohnen, 239–242. 854 Im Ex 7,5.17; 8,18; 10,2; 14,4.18 nimmt das Erkennen seinen Ausgang bei den Schlägen JHWHs gegen Ägypten bzw. im Handeln am Schilfmeer, während Ex 6,7 zufolge Israel an der Herausführung aus Ägypten, also am Gesamtzusammenhang des Exodusgeschehens zu der angekündigten Einsicht kommen soll. Vorbereitet wird Ex 29,46 in der
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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Vor diesem Hintergrund wird der regelmäßige Kult gleichsam zu einem „Memorialreservoire“, aus dem heraus das für die Identität Israels konstitutive Gott-Sein JHWHs („für“), das sich in der Herausführung aus Ägypten in paradigmatischer Weise bewahrheitet hat, stets neu evident werden kann. Dies hat zur Folge, dass das Brandopfer-Tamid letztlich als eine Form der Exodus-Memoria zu interpretieren ist. 3. Tamid und Manna? Bezüge zwischen Ex 29,38–46 und Ex 16,1–35 Zusätzlich profiliert werden kann dieser Gedanke schließlich auch über das Nachvollziehen der bereits mehrfach angesprochenen Bezüge zwischen Ex 29,45–46 und Ex 16,1–35. Diese werden wohl am augenfälligsten durch die Aufnahme von Ex 16,6ab in Ex 29,46a–bR angezeigt, die dadurch besondere Signifikanz erhält, als eine Verbindung von Erkenntnisaussage und Exodusreferenz in der Tora nur an diesen beiden Stellen belegt ist. Ex 16,6 6a 6b 6c
ויאמר משה ואהרן אל כל בני ישראל ערב וידעתם כי יהוה הוציא אתכם מארץ מצרים
Ex 29,46
וידעו כי אני יהוה אלהיהם אשר הוצאתי אתם מארץ מצרים לשכני בתוכם אני יהוה אלהיהם
46a 46b 46bR 46bRI 46c
Darüber hinaus ist über die Verbindung von Erkenntnis- und „’anī JHWHAussage“ auch zwischen Ex 29,46ab und Ex 16,12ef ein Zusammenhang erkennbar. Ex 16,12 12a 12b 12bI 12c 12d 12e 12f
שמעתי את תלונת בני ישראל דבר אלהם לאמר בין הערבים תאכלו בשר ובבקר תשבעו לחם וידעתם כי אני יהוה אלהיכם
Ex 29,46
וידעו כי אני יהוה אלהיהם אשר הוצאתי אתם מארץ מצרים לשכני בתוכם אני יהוה אלהיהם
46a 46b 46bR 46bRI 46c
Zuletzt sind Stichwortbezüge zwischen Ex 29,38–46 (als Ganzem) und Ex 16 auszumachen, die deutlich hervorheben, dass Ex 16 letztlich als Intertext für Erkenntnis-Aussage in Ex 16,12, in der JHWH ankündigt, dass Israel das Gott-Sein JHWHs für Israel an der – letztendlich als dauerhafte Institution angelegten – Versorgung in der Wüste erkennen werde.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
die gesamte Perikope zum Brandopfer-Tamid gelesen werden kann. So ist zum einen das (zentrale) Stichwort ‚( כבוד יהוהHerrlichkeit JHWHs‘) Ex 16,7a.10c und Ex 29,43b (vgl. )כבדיgemeinsam, zum anderen aber ist die in Ex 29,39b.41a verwendete Zeitangabe ‚( בין הערביםzwischen den Abenden‘) – als Gegenüber zum „Morgen“ ( – )בקרauch in Ex 16,12 belegt.855 Wie in Ex 29,38–46 (sowie in Ex 27,20–21; Ex 30,6–10 und anderen TamidTexten) erweisen sich folglich auch in Ex 16 die Zeit und ihre Strukturierung als bestimmende Themen, die neben dem oben angesprochenen Einspielen von Ex 16,6.12 in Ex 29,46 im Folgenden näher zu beleuchten sind. Dazu ist es notwendig, zunächst einen genaueren Überblick über die für den Zusammenhang mit Ex 29,38–46 wesentlichen Aussagen von Ex 16 zu gewinnen. Besonderes Augenmerk aber ist auf Ex 16,1–12 zu legen, da zu diesem Textabschnitt auch die Verse Ex 16,6–12 gehören, die in Ex 29,45–46 eingespielt werden. a) Überblick über Ex 16,1–12 Die Erzählung von der Gabe des Manna in Ex 16 beginnt – im Anschluss an die mit einer Datierung verbundene Wanderungsnotiz in Ex 16,1, die die Perikope im weiteren Kontext von Ex 15,22–18,27 verankert – in Ex 16,2. In diesem Vers wird die grundlegende Problemstellung skizziert, die im Folgenden verhandelt wird und die das erzählte Geschehen anstößt: Die ganze Gemeinde Israels murrt ( – )לוןwie schon in Ex 15,24 – in der Wüste gegen Mose und Aaron, wobei ihr Anliegen v.a. in der Rede Israels in Ex 16,3 auf den Punkt gebracht wird: Das Volk leidet Hunger und nimmt diese „Wüstenerfahrung“ zum Anlass, das „Exodus-Projekt“ grundsätzlich infrage zu stellen. So unterstellen die Israeliten ihren Anführern die böse Absicht, das Volk in der Wüste gebracht zu haben, um es dort durch den Hunger zu töten und kontrastieren – als zusätzliche Steigerung – ihre gegenwärtige Notlage mit einer Erinnerung an eine Zeit in Ägypten, in der sie an Fleischtöpfen saßen und Brot zum Sattwerden essen konnten.856 Diese fundamentale Anklage Israels stößt eine Abfolge von Reden in Ex 16,4–12 an, die Antworten auf die einzelnen Vorhaltungen formuliert und in V.10 durch einen Bericht über die Erscheinung der Herrlichkeit JHWHs unterbrochen wird. Den Auftakt bildet eine erste Rede JHWHs an Mose in Ex 16,4–5, die auf das Murren selbst keinen Bezug nimmt, es zunächst also gleichsam „überhört“ und stattdessen auf das eigentliche Problem fokussiert, 855
Darüber hinaus ist das in Ex 27,21 im Zusammenhang mit dem Leuchter-Tamid betonte Gegenüber von Abend und Morgen auch in Ex 16,6–7.8.13 zu finden, während die Wendung ‚( בבקר בבקרjeden Morgen‘) aus Ex 16,21a in Ex 30,7a bzw. in Lev 6,5, also in zwei weiteren Tamid-Texten, wiederkehrt. 856 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 383–384; FISCHER/MARKL, Exodus, 182; HOUTMAN, Exodus 2, 303; JACOB, Exodus, 454–455; PROPP, Exodus 1–18, 592–593.
281
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
durch das das Murren ausgelöst wurde, nämlich den Hunger der Israeliten:857 JHWH kündigt an, dadurch Abhilfe zu schaffen, dass er Brot vom Himmel regnen lässt, so dass die Israeliten jeden Tag ihren „täglichen Bedarf“ ( דבר יום )ביומוeinsammeln können (vgl. Ex 16,4a–c). Mit dieser Ankündigung wiederum sind zwei weiterführende Perspektiven verbunden. So deutet Ex 16,4d–f die in Aussicht gestellte Versorgung als Erprobung (נסה-pi.), ob das Volk in der Weisung JHWH geht, während Ex 16,5 eine Besonderheit des sechsten Tages ankündigt, die darin bestehen soll, dass dem Volk an diesem – verglichen mit den Tagen zuvor – die doppelte Menge an (länger haltbarem) Brot zugeteilt wird.858 Beides, die „Erprobung“ ebenso wie die doppelte Brotgabe des sechsten Tages, bleibt zunächst rätselhaft – und doch sind hier wesentliche inhaltliche Linien des Kapitels angelegt, so dass Ex 16,4–5 beinahe wie ein „Fahrplan“ für Ex 16,13–30 erscheint, der im Folgenden weiter entfaltet und konkretisiert werden kann.859 Zuerst jedoch folgen vier weitere, aufeinander aufbauende Reden in V.6–7 (Rede von Mose und Aaron an das Volk), V.8 (Rede des Mose), V.9 (Rede des Mose an Aaron verbunden mit dem Auftrag, den Inhalt dem Volk weiterzugeben) und V.12 (Rede JHWHs an Mose), in denen das Hören JHWHs auf das Murren der Israeliten als ein durchgehendes und in jeder Rede wieder neu aufgenommenes Motiv auftaucht (vgl. Ex 16,7.8.9.12).860 Entsprechend geht es hier v.a. darum, ausdrückliche Entgegnungen auf das Murren der Israeliten in V.3 zu formulieren.861 Interessant ist dabei zunächst das Verhältnis der drei Reden in V.6– 7.8.12 zueinander. Auffällig nämlich ist, dass Ex 16,6–7, die Rede von Mose und Aaron an das Volk, und Ex 16,8, eine „adressatenlose“ Rede des Mose, von ihrem Aufriss her exakt parallel angelegt sind und zudem zahlreiche Überschneidungen in ihren Formulierungen aufweisen. Ex 16,6–7
Ex 16,8
ויאמר משה ואהרן אל כל בני ישראל
ערב וידעתם כי יהוה הוציא אתכם מארץ מצרים ובקר וראיתם7 את כבוד יהוה
I
857
ויאמר משה
בתת יהוה לכם בערב בשר לאכל ולחם בבקר לשבע
Ex 16,12
שמעתי את תלונת בני ישראל דבר אלהם לאמר בין הערבים תאכלו בשר ובבקר תשבעו לחם וידעתם כי אני יהוה אלהיכם
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 384; JACOB, Exodus, 458; SARNA, Exodus, 86. Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 184. 859 Vgl. HOUTMAN, Exodus 2, 317; JACOB, Exodus, 460–461. 860 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 184. 861 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 385; FISCHER/MARKL, Exodus, 184. 858
282 II
III
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
בשמעו את תלנתיכם על יהוה ונחנו מה כי תלינו עלינו
בשמע יהוה את תלנתיכם אשר אתם מלינם עליו ונחנו מה לא עלינו תלנתיכם כי על יהוה
Dabei sind jeweils drei aufeinander aufbauende Schritte auszumachen, deren erster [I] einen durch JHWH herbeigeführten Wandel der gegenwärtigen, in V.3 umschriebenen „Verfasstheit“ Israels antizipiert. In Ex 16,6b–7a nämlich wird ein Erkenntnisgewinn Israels angekündigt (V.6bc), der durch ein Erscheinen des kāvōd untermauert wird (V.7a) und zwei Aussagen widerspricht, die die Israeliten in ihrer Klage in V.3 treffen. So steht die Einsicht, dass es JHWH ist, der Israel aus Ägypten führt (יצא-hi.; vgl. V.6c) – dies ist der zentrale Inhalt der Erkenntnis, die Israel gewinnen soll –, der Vorhaltung Israels in V.3c entgegen, Mose und Aaron hätten das Volk in böser Absicht in die Wüste hinausgeführt (יצא-hi.). Damit aber ist der Exodus – anders als vom Volk in V.3 unterstellt – auch alles andere als ein „Todesmarsch“.862 Komplementär dazu fokussiert Ex 16,8 auf das Beheben der in V.3 angedeuteten Notlage, die dadurch geschieht, dass die Israeliten mit denjenigen Lebensmitteln versorgt werden, die sie in der „nostalgischen Retrospektive“ von V.3 mit der Zeit in Ägypten verbinden: Fleisch zum Essen und Brot zum Sättigen. Konstitutiv ist zudem in den beiden komplementären Abschnitten Ex 16,6–7.8 ein Gegenüber von Abend ( )ערבund Morgen ()בוקר, wenn in Ex 16,6–7 die beiden Tageszeiten mit dem Erkennen Israels ( )ערבbzw. dem Sichtbar-Werden der Herrlichkeit JHWHs ()בוקר, in Ex 16,8 aber mit der Speisung mit Fleisch ( )ערבund Brot ( )בוקרverbunden werden.863 Dieses erste Element ist in beiden Fällen unmittelbar mit den Hören JHWHs auf das Murren der Israeliten verbunden [II] bzw. wird ausdrücklich als eine (umgehende) Erwiderung auf dieses ausgewiesen (vgl. Ex 16,7aI. 8bI3–bI3R). Zuletzt aber wird das Murren insofern zurückgewiesen [III], als deutlich herausgestellt wird, dass sich dieses im Kern eigentlich nicht gegen Mose und Aaron richtet (vgl. V.7bc.8bc), sondern – wie Ex 16,8d ausdrücklich herausstellt – gegen JHWH selbst.864 Beide Reden, Ex 16,6–7.8, sind somit komplementär angelegt und interpretieren sich v.a. in den Abschnitten [I] und [III] gegenseitig.865 Auffällig ist jedoch, dass bei der ersten Rede (V.6–7) die Redesituation präzise beschrieben wird (Mose und Aaron sprechen zu den Söhnen Israels), während die zweite Rede (V.8) zwar als Moserede ausgewiesen ist, eine ausdrückliche Nennung der Adressaten aber fehlt, obgleich aus dem Inhalt der Rede klar zu 862
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 385–386; HOUTMAN, Exodus 2, 334. Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 387; GRUND, Entstehung, 254–255. 864 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 184–185. 865 Vgl. HOUTMAN, Exodus 2, 334. 863
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
283
erschließen ist, dass (ebenfalls) das versammelte Volk angesprochen sein muss. Diese Auffälligkeit kann – zusammen mit der oben beschriebenen sehr weitreichenden Parallelität der beiden Reden – die Vermutung nahelegen, Ex 16,8 sei eher als kommentierende Entfaltung von Ex 16,6–7 angelegt, denn als eine „separate“ Rede. Ex 16,8 wäre damit ein kommentierender „Metatext“, der im Sinne eines „Als Mose das (vgl. Ex 16,6–7) sagte, meinte er (auch)… (vgl. Ex 16,8)“ funktioniert. Weiterhin ist bemerkenswert, dass Mose (zusammen mit Aaron) in V.6–7.8 zwar weitgehende Ankündigungen macht, die ein künftiges Handeln JHWHs betreffen, dabei aber kaum auf die vorausgehende Gottesrede in V.4–5 aufbauen kann und so zunächst nicht auf ein Reden JHWHs zu rekurrieren scheint. Deutliche Bezüge sind allerdings zu der Gottesrede in Ex 16,12 gegeben, die in der Textfolge erst nach V.6–7.8 zu finden ist.866 Diese ist in sich zweiteilig angelegt, wobei JHWH in V.12a zunächst mitteilt, das Murren der Söhne Israels gehört zu haben (vgl. Ex 16,7aI.8bI3–bI3R) und Mose daher beauftragt, den Israeliten eine „Antwort“ zu übermitteln, die in V.12c–f formuliert ist. So soll Mose ankündigen, dass die Israeliten „zwischen den Abenden“ ( בין )הערביםFleisch essen und sich am Morgen ( )בבקרmit Brot sättigen werden, um daran zu erkennen, dass JHWH ihr Gott ist. Die damit umrissene Reaktion JHWHs auf das Murren Israels umgreift also zwei Ebenen: Zunächst geht es darum, die konkrete Notlage zu beenden, die das Murren ausgelöst hat, was durch die Versorgung der Israeliten mit denjenigen Lebensmitteln geschehen soll, die diese in Ex 16,3 mit dem in der Erinnerung „verklärten“ und gegenüber dem „Todesort“ der Wüste klar präferierten Ägypten verbinden. Darauf aufbauend aber soll Israel im „GespeistWerden“ erkennen, dass JHWH sein Gott ist. Die eigentlich zentrale Frage ist somit die nach dem Gottesverhältnis Israels (und dem Israelverhältnis JHWHs). Ein Abgleich der Gottesrede in Ex 16,12 mit den Mosereden in Ex 16,6–7.8 aber kann nun zeigen, dass sowohl zwischen V.8bI1–bI2I und V.12cd als auch zwischen V.6bc und V.12ef deutliche Bezüge bestehen. Ex 16,12cd 12c
בין הערבים תאכלו בשר
12d
ובבקר תשבעו לחם
866
Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 185.
Ex 16,8
ויאמר משה בתת יהוה לכם בערב בשר לאכל ולחם בבקר לשבע בשמע יהוה את תלנתיכם אשר אתם מלינם עליו ונחנו מה לא עלינו תלנתיכם כי על יהוה
8a 8bI1 8bI1 I 8bI2 8bI2 I 8bI3 8bI3R 8b 8c 8d
284
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31) Ex 16,12ef
12e 12f
וידעתם כי אני יהוה אלהיכם
Ex 16,6
ויאמר משה ואהרן אל כל בני ישראל ערב וידעתם כי יהוה הוציא אתכם מארץ מצרים
6a 6b 6c
Beide Reden nehmen somit in ihrem Abschnitt [I] je einen der beiden Aspekte bzw. eine der beiden Ebenen aus Ex 16,12c–f auf, die weitergehend entfaltet werden: Ex 16,6–7 das Erkennen Israels (V.12ef) und Ex 16,8 die Versorgung mit Fleisch und Brot durch JHWH (V.12cd).867 Diese Beobachtung unterstreicht zuerst die Annahme, dass die beiden Reden Ex 16,6–7 und Ex 16,8 als aufeinander bezogene und einander komplementär ergänzenden Texte zu lesen sind. Über die jeweiligen Bezüge zu Ex 12cd.ef in den Abschnitten [I] hinaus greifen beide Reden auch in ihren Abschnitten [II] (vgl. Ex 16,7aI.8bI3–bI3R) auf den Auftakt der JHWH-Rede (Ex 16,12a) zurück. Die Abschnitte [III] (V.7bc.8b–d) hingegen sind ohne Entsprechung in Ex 16,12 und daher als interpretative Eigenleistung des Mose zu verstehen, die freilich ebenfalls aus dem Gesamtduktus der Gottesrede abzuleiten ist. In der Abfolge des Textes scheint die Gottesrede Ex 16,(11–)12 auf den ersten Blick mit der in Ex 16,10 berichteten Erscheinung der Herrlichkeit JHWHs verbunden zu sein bzw. in deren situativen Kontext zu ergehen. Angesichts der soeben dargestellten Verbindungen zwischen den drei Reden Ex 16,6–7.8.12 ist jedoch mit B. JACOB868 oder G. FISCHER / D. MARKL869 anzunehmen, dass die Redeeinleitung in V.11 als Vorvergangenheit zu interpretieren ist. Damit ist die Fabel von Ex 16,6–12 so zu rekonstruieren, dass die Gottesrede in V.11–12 den Reden in Ex 16,6–7.8 in der Chronologie vorausgeht und Mose (zusammen mit Aaron) in V.6–7.8 dem in V.12b formulierten Auftrag JHWHs nachkommt, das in V.12c–f Gesagte dem gesamten Volk zu übermitteln.870 In der Darbietung des Textes aber ist die Gottesrede ganz an das Ende des ersten größeren Abschnitts (Ex 16,4–12) gestellt, der damit durch die beiden Gottesreden in V.4–5.12 umrahmt ist. Zugleich wird Mose (mit Aaron) in besonderer Weise als Übermittler und Ausleger der Willenskundgabe JHWHs profiliert, wenn in der Textfolge noch vor der Mitteilung der eigentlichen Gottesrede (V.12) deren Weitergabe, Entfaltung und Auslegung dargestellt und dabei zugleich die Prozesse der Übermittlung aufgezeigt werden, bevor ganz zum Schluss des Abschnitts betont auch die Rückbindung der Reden des Mose an das Reden JHWHs anschaulich wird.871 867
In Ex 16,12 nicht thematisiert wird allerdings das in Ex 16,7a angekündigte Erscheinen der Herrlichkeit JHWHs. 868 Vgl. JACOB, Exodus, 457; 464. 869 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 184. 870 Vgl. ähnlich auch DOHMEN, Exodus 1–18, 388. 871 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 388; WAGNER, Herrlichkeit, 74.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
285
Neben den beiden verschränkten Mosereden an Israel in Ex 16,6–7.8 kann zuletzt aber auch die Rede des Mose an Aaron in Ex 16,9 mit dem Auftrag, zum Volk zu sprechen und dieses aufzufordern, sich vor JHWH zu versammeln, mit Ex 16,12 in Verbindung gebracht werden. Immerhin nimmt V.9d – nach V.7aI.8bI3 ein weiteres Mal – das in V.12a belegte Motiv des Hörens JHWHs auf das Murren Israels auf.872 Die in Ex 16,9 formulierte Aufforderung an Israel, sich vor JHWH zu versammeln aber erweist sich dabei als eine Schlussfolgerung des Mose, die er aus der Mitteilung JHWHs zieht, das Murren gehört zu haben (V.12a). Immerhin impliziert diese, dass nun ein durch das Hören angestoßenes Antworten bzw. Reagieren JHWHs folgen muss, das das gesamte, versammelte Volk als Gegenüber erfordert. Und tatsächlich erscheint – noch während Aaron seinen Vermittlungsauftrag ausführt (vgl. V.10) – die Herrlichkeit JHWHs ( )כבוד יהוהin der Wolke vor den Augen des Volkes.873 Für den unten auszuwertenden Bezug zwischen Ex 16 und Ex 29,38–46 ist nun interessant, dass Ex 16,12 die Versorgung mit Fleisch und Brot mit den Tageszeiten „zwischen den Abenden“ ( )בין הערביםund „Morgen“ ( )בוקרverbindet, denjenigen Zeitangaben also, die sich nebeneinander auch in den Anweisungen zum Brandopfer-Tamid in Ex 29,39.41 finden. Dabei sind im Kontext von Ex 16 die Tageswenden, d.h. die Übergänge zwischen den in der Schöpfung getrennten Bereichen von Tag und Nacht, explizit mit der von Israel in der Wüste zu gewinnenden Erfahrung verbunden, durch JHWH – entgegen der „Natur“ der Wüste, zu töten – gespeist und so am Leben erhalten worden zu sein, worin letztlich das Gott-Sein JHWHs für Israel manifest wird. Diese Konzeption wird nun in Ex 16,6, d.h. in der mosaischen Auslegung und Weitergabe der Gottesrede von Ex 16,12, mit der Exodusthematik verbunden. So transformiert Ex 16,6bc die in Ex 16,12ef belegte Erkenntnisformel mit einer „’anī JHWH-Aussage“ (‚ ;וידעתם כי אני יהוה אלהיכםund ihr sollt erkennen, dass ich JHWH, euer Gott, bin‘) in eine Erkenntnisformel mit Exodusaussage (‚ ;וידעתם כי יהוה הוציא אתכם מארץ מצריםund ihr sollt erkennen, dass JHWH euch aus dem Land Ägypten führt‘). Zudem tritt neben das Erkennen als ein zweites Element das Sehen der Herrlichkeit JHWHs, das als sinnenfälliges Wahrnehmen der Präsenz und damit des Mit-Seins JHWHs mit Israel aufzulösen ist.874 Beide Aspekte, das Erkennen und das Sehen, werden in Ex 16,6b–c mit den Tageswenden Abend ( )ערבund Morgen ( )בקרverbunden, mit denjenigen Zeitpunkten also, an denen Ex 16,12cd, aber auch Ex 16,8bI1– bI2I zufolge JHWH Israel ernährt.875 In diesem Zusammenhang sind die Zeit872
Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 185. Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 388; FISCHER/MARKL, Exodus, 186. 874 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 386; WAGNER, Herrlichkeit, 74. 875 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 385–386; JACOB, Exodus, 461. 873
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
angaben allerdings kaum als exakte „Datierung“ zu verstehen: Israel erkennt nicht nur in den Abendstunden und der kāvōd erscheint nicht am Morgen (vgl. V.10); vielmehr geht es darum, die Speisung, d.h. die Erfahrung, durch JHWH am Leben erhalten zu werden, und die darauf aufbauende Reflexion Israels zu „synchronisieren“, was besonders in der Parallelität von Ex 16,6b– b und Ex 16,8bI1–bI2I deutlich werden kann. So kommt im komplementären Nebeneinander der beiden Mosereden Ex 16,6–7.8 klar zum Ausdruck, was in Ex 16,12c–f angelegt ist, dass nämlich die Erkenntnis Israels, dass JHWH der Gott Israels ist, der sein Volk aus Ägypten führt, aus der Erfahrung des Ernährt-Werdens zu gewinnen ist.876 b) Ausblick auf Ex 16,13–36 Mit dem Ende der Gottesrede in Ex 16,12 ist innerhalb der Perikope Ex 16,1– 36 eine Zäsur erreicht. Ex 16,13 eröffnet einen neuen Abschnitt, der durch die Realisierung der Zusage JHWHs geprägt ist, Israel in der Wüste mit Nahrung zu versorgen. Dies ist verbunden mit einem Lernprozess Israels, in dem dieses die Modalitäten des Versorgt-Werdens durch JHWH kennenlernt und „einübt“, zugleich aber auch mit dem Shabbat vertraut gemacht und so in eine durch göttliche Setzung bestimmte Strukturierung von Zeit eingeführt wird.877 Den Auftakt hierzu bilden die Verse Ex 16,13–15, in denen die Zusagen JHWHs aus V.8.12 eintreten:878 So bedecken – wie angekündigt – am Abend ( )בערבWachteln das Lager (Ex 16,13a–c), die als „Fleischquelle“ dienen, für den weiteren Fortgang der Erzählung allerdings keine Rolle mehr spielen.879 Am Morgen ( )בבקרhingegen entdecken die Israeliten – nachdem sich der Tau rings um das Lager gehoben hat (V.13d–14a) – eine ihnen bislang unbekannte Substanz (V.14b–15), anhand derer sich im Folgenden eine göttliche „Pädagogik“ entfaltet. Diese vollzieht sich in V.15f–30 in zwei Etappen (V.15f– 21.22–30), die in der Gottesrede Ex 16,4–5 angelegt sind. Die Benennung des neu entdeckten Stoffes als ‚( מןManna‘) in Ex 16,31 aber – im Rückgriff auf die erstaunte Frage ‚( מן הואWas ist das?‘), die in Ex 16,15c dessen Entdeckung begleitet – schließt einen Rahmen um Ex 16,15f– 30 und zeigt so in V.31 das Ende des Abschnitts an.880 Ex 16,15f–21 lenkt den Fokus auf die Modalitäten der (täglichen) Versorgung der Israeliten mit dem Manna und legt im Zuge dessen zugleich auch wesentliche Aspekte der darin konkret werdenden göttlichen Fürsorge offen. Es stellt sich heraus, dass das Manna den Bedarf aller (in gleicher Weise) 876
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 385–386; 388. Vgl. HOUTMAN, Exodus 2, 317–320. 878 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 388–389. 879 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 196–197. 880 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 397; FISCHER/MARKL, Exodus, 187; HOUTMAN, Exodus 2, 339–340. 877
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
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deckt, da jedem – unabhängig von Sammelleistung und persönlichem Einsatz – genau die gleiche Menge als Tagesration zur Verfügung steht (V.17–18) und so Überfluss und Mangel gleichermaßen ausgeschlossen sind (vgl. V.18cd). Zugleich verdirbt das Manna des vorhergehenden Tages, bevor am Morgen die neue Ration für den kommenden Tag gegeben wird (V.19), so dass sich auch jede Art der Vorrats- und Lagerhaltung als unmöglich erweist.881 Damit ist nicht nur ausgeschlossen, dass das Manna zu einem ökonomischen Spekulationsobjekt werden kann, die besonderen Konditionen der Versorgung verhindern auch jede Form einer „Absicherung“ und zwingen Israel dazu, Vertrauen in das tägliche (ausreichende) Geben JHWHs „einzuüben“. Israel lernt also, dass es in der Wüste überlebt, weil JHWH es jeden Tag aufs Neue am Leben erhält – und nicht etwa weil es durch das optimale Ausnutzen der vorgefundenen Ressourcen selbst die Rahmenbedingungen für seinen Fortbestand schaffen kann. Entsprechend kann Ex 16,21a den ersten „Lernschritt“ dahingehend zusammenfassen, dass die Israeliten fortan das Manna „Morgen für Morgen“ ()בבקר בבקר, ein jeder für seinen Bedarf, einsammeln. Damit ist eingeholt, was bereits im Rahmen der ersten Gottesrede (Ex 16,4– 5) in Ex 16,4b–d angekündigt wurde.882 Aufbauend darauf setzt Ex 16,22–30 einen zweiten „Lernschritt“, der darin seinen Ausgang nimmt, dass die Israeliten am sechsten Tag feststellen, verglichen mit den bisherigen Tagesrationen die doppelte Menge Manna eingesammelt zu haben (V.22).883 Ausgehend von dieser Auffälligkeit des sechsten Tages kann schließlich die Besonderheit des siebten eingeführt werden. An diesem nämlich wird – wie bereits in Ex 16,5 von JHWH angekündigt und von Mose in Ex 16,23 nochmals ausgeführt – das Manna ausbleiben, was durch die doppelte Menge am Tag zuvor kompensiert wird, da diese – entgegen der sonst üblichen „Konditionen“ – am nächsten Morgen nicht verdirbt.884 Im (kompensierten) Ausblieben des Manna lernt Israel den Shabbat als eine zwar aus den der Schöpfung eingeschriebenen Zyklen nicht ableitbare, dafür aber von JHWH selbst mitvollzogene Strukturierung der Zeit kennen, die in Ex 16,23c als „heilig für JHWH“ qualifiziert wird. Zudem wird eine Kategorisierung von Zeit eingeführt, die auf der Unterscheidung zwischen dem siebten (heiligen) Tag, an dem kein Manna gesammelt werden kann (und soll), und den sechs Tagen der Arbeitswoche basiert (vgl. Ex 16,26). In Ex 16,29b aber wird das gesamte Geschehen der doppelten Gabe des Manna am sechsten Tag, des Ausbleibens am siebten und des erfolglosen 881
Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 390–391; HOUTMAN, Exodus 2, 318; JACOB, Exodus,
472. 882
Vgl. HOUTMAN, Exodus 2, 318. Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 188. 884 Vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 392; FISCHER/MARKL, Exodus, 188–189; HOUTMAN, Exodus 2, 318; JACOB, Exodus, 473–474. 883
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Suchens des Volks (V.27b–c), das letztlich das Ausbleiben bestätigt, durch JHWH selbst als „Geben des Shabbat“ interpretiert, das sich mit Ex 16,30 insofern als erfolgreich erweist, als Israel von da an tatsächlich den ShabbatRhythmus, den es durch das Manna kennen gelernt hat, beibehält und praktiziert.885 Zusammenfassend vermittelt die in Ex 16,15–30 entfaltete „göttliche Pädagogik“ somit zwei wesentliche Inhalte: (1.) Verbunden mit der alltäglichen Gabe des Manna und deren Konditionen übt Israel das Vertrauen in die Tag für Tag erfahrene Fürsorge JHWHs ein, in der alle den Bedarf für den jeweiligen Tag ( ;דבר יום ביומוV.4d) zugeteilt bekommen (vgl. dazu Ex 16,4b–d).886 (2.) Das Ausbleiben des Manna am siebten Tag und die doppelte Gabe am sechsten (vgl. Ex 16,5) offenbaren eine Strukturierung der Zeit, die JHWH selbst einhält und die Israel über die Modalitäten der Gabe des Manna ebenfalls „aufgeprägt“ werden, wodurch – über den gemeinsamen „Lebensrhythmus“ – eine enge Verbindung zwischen JHWH und Israel gestiftet wird. Beide Aspekte aber sind mit Ex 16,4e–g als Ausdruck des „Erprobens“ zu deuten, das V.4e zufolge (vgl. )למעןdie wesentliche Intention JHWHs ist, die hinter der Art und Weise steht, in der das Manna gegeben wird. Ziel der Erprobung ist der Aufweis, ob Israel in der Weisung JHWHs geht, oder nicht (V.4fg), wobei damit – wie in Ex 16,15–30 deutlich wird – kein kleinliches „Austesten“ Israels gemeint ist, sondern eben das nachgezeichnete Einüben der von JHWH vorgegebenen Lebensordnung durch Israel, das sich im Vertrauen-Gewinnen in die (notwendigerweise) täglich neue Versorgung durch JHWH ebenso äußert, wie im Kennen- und Einhalten-Lernen des Shabbat.887 In diesem Sinne sind die anfänglichen Übertretungen der Vorgaben JHWHs in den vergeblichen Versuchen, das Manna aufzubewahren (vgl. Ex 16,20) oder dieses am Shabbat zu finden (vgl. Ex 16,27) als notwenige Lernschritte zu verstehen, die in ihrer Erfolglosigkeit die Richtigkeit des von JHWH vorgegebenen Wegs aufzeigen. Als solche tragen sie mit dazu bei, dass die „Erprobung“, d.h. das „Einüben“ des „Gehens in der Weisung JHWHs“ (vgl. Ex 16,4e), letztendlich erfolgreich sein kann (vgl. Ex 16,21a.30). Einen Abschluss zum Kapitel bieten die Verse Ex 16,32–36, in denen V.32–34 zunächst das Aufbewahren eines Krugs mit einer Tagesration des Manna thematisiert, in dem die Gabe des Manna und die mit ihr verbundenen „Lerninhalte“ letztendlich zu einem „kanonischen“ Bestandteil des Erinnerungsschatzes Israels werden. Ex 16,35 schließlich korreliert die Gabe des 885
Vgl. GRUND, Entstehung, 255–257; HOUTMAN, Exodus 2, 319. Vgl. SARNA, Exodus, 86. 887 Vgl. ähnlich DOHMEN, Exodus 1–18, 393; FISCHER/MARKL, Exodus, 191–192; HOUTMAN, Exodus 2, 319; JACOB, Exodus, 459; SARNA, Exodus, 86. 886
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D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
Manna und den Weg Israels ins Verheißene Land dahingehend, dass das Manna zu dem Nahrungsmittel der Wüstenzeit erklärt wird, damit andererseits aber auch auf die Gründungsgeschichte Israels beschränkt bleibt. c) Tamid und Mannagabe: Auswertung der Bezüge zu Ex 16,1–36 Den Ausgangspunkt für die Frage nach der Intertextualität zwischen Ex 29,38–46 und Ex 16 bildet der deutliche Rekurs auf Ex 16,6.12 in Ex 29,46, der zugleich wohl der auffälligste Stichwortbezug zwischen den beiden Texten ist. Interessant ist dabei, dass Ex 29,46a–bRI die beiden auch in ihrem eigentlichen Kontext eng zusammenhängenden Verse in gleicher Weise aufnimmt. So ist die Erkenntnis-Aussage ( ;וידעוEx 29,46a), die in Ex 12,6b.12e (jeweils )וידעתםihr Gegenstück findet, in Ex 29,46b zunächst mit der „’anī JHWH-Aussage“ ( …‚כי אני יהוה אלהיהםdass ich JHWH, ihr Gott, bin‘) verbunden, die auch in Ex 16,12f ( …‚ כי אני יהוה אלהיכםdass ich JHWH, euer Gott, bin‘) belegt ist, während der Satz Ex 29,46bR mit seinem Exodusrekurs Ex 16,6c einspielt. Ex 16,6bc
ערב וידעתם כי יהוה הוציא אתכם מארץ מצרים
Ex 16,12c–e
בין הערבים תאכלו בשר ובבקר תשבעו לחם וידעתם כי אני יהוה אלהיכם
Ex 29,46b–bRI
וידעו כי אני יהוה אלהיהם אשר הוצאתי אתם מארץ מצרים לשכני בתוכם אני יהוה אלהיהם
Zusätzliche Bezüge zwischen Ex 29,38–46 und Ex 16 sind durch die Zeitangaben, v.a. über das Gegenüber von ‚( בין הערביםzwischen den Abenden‘) und ‚( בקרMorgen‘) (vgl. Ex 16,12; 29,39.41) und schließlich über die Rede von der Herrlichkeit JHWHs (Ex 16,6.10; vgl. Ex 29,43b) gegeben. Als Ausgangspunkt für eine Interpretation dieser Bezüge bieten sich die genannten Zeitangaben an, die in Ex 16 in den drei aufeinander aufbauenden Redepassagen Ex 16,6–7.8.12 eine Rolle spielen. Diese sind in Ex 16,8.12cd mit der Versorgung Israels mit Fleisch und Brot durch JHWH verbunden, was dann narrativ in Ex 16,13–15 entfaltet und mit Fokus auf der Gabe des Manna am Morgen in Ex 16,15–30 weiter reflektiert wird. In Ex 16,6–7.12ef hingegen werden der Erkenntnisgewinn, den Israel aus dem Versorgt-Werden durch JHWH ziehen kann, und auch das Schauen der Herrlichkeit JHWHs ( ;כבוד יהוהvgl. Ex 16,7a), die das Mit-Sein JHWHs „an-schaulich“ bekräftigt, mit denselben Zeitpunkten des Tages korreliert. Interessant ist nun, dass genau zu diesen Tageszeiten, die von Ex 16,6– 7.8.12.13.21 her in besonderer Weise mit einem bewahrenden, am Leben
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
erhaltenden und rettenden Handeln verknüpft sind, in dem sich das Gott-Sein JHWHs für Israel (vgl. Ex 16,6bc.12ef) realisiert, auch das Brandopfer-Tamid zu vollziehen ist, das ebenfalls täglich neu stattfindet und damit in derselben Weise rhythmisiert und „getaktet“ ist, wie die Gabe des Mannas. So wird ein Zusammenhang zwischen dem im Tamid realisierten „Begegnen“ am Eingang des Zelts und der Erfahrung des Versorgt- und Bewahrt-Werdens deutlich, also den Gotteserfahrungen Israels in der Wüstenzeit (und im Exodus).888 Dieser Zusammenhang wird durch einen zusätzlichen Bezug zwischen Ex 29,38–46 und Ex 16 noch weiter untermauert, der über das gemeinsame Stichwort (‚( כבוד )יהוהHerrlichkeit [JHWHs]; vgl. )כבדיin Ex 29,43b und Ex 16,7.10 gegeben ist. Entsprechend kann das „Nachleuchten“ des kāvōd im täglichen Kultvollzug (Ex 29,43b) auch den in Ex 16,10 gegebenen Aufweis der Präsenz JHWHs inmitten Israels „widerspiegeln“.
Damit tritt eine Dimension des Tamid zu Tage, die bislang lediglich angedeutet war: Über die Korrelation mit der Wüstenerfahrung Israels nämlich wird erkennbar, dass der im Vollzug des Tamid konstituierte „Begegnungsraum“ am Eingang des Zelts zugleich auch als „Memorialraum“ konzipiert ist, in dem im Zusammenhang mit der Israel-Begegnung JHWHs zugleich auch prägende Gotteserfahrungen der Gründungsgeschichte Israels vergegenwärtigt werden. Über die Bezüge zu Ex 16 (und Ex 12) in Ex 29,46 liegt der Fokus dabei zunächst auf der Wüstenzeit und dem Exodus, die allerdings angesichts der bereits beschriebenen „Sinaifiguration“ in Ex 29,42 und des Bezugs zwischen Ex 29,43b und Lev 9,23–24(; 10,1–3) durch Bezüge zum Sinaigeschehen ergänzt werden, während die Bundesthematik in Ex 29,45b auch die Selbstverpflichtung JHWHs gegenüber den Vätern und damit den Gedanken der Erwählung Israels mit einbringt. Somit bewahrt der im spacing von JHWH und Israel am Eingang des Zelts im Vollzug des Tamid konstituierte „Memorialraum“ letztlich den gesamten „Kanon“ der Gründungsereignisse Israels, die als der Israelbeziehung JHWHs eingeschriebene Beziehungsgeschichte (bzw. Geschichte der Begründung dieser Beziehung) ein wesentlicher Bestandteil des Begegnens im Vollzug des Tamid sind. Daraus folgt auch, dass es dieser Vollzug Israel ermöglicht, regelmäßig an seine Gründungsgeschichte anzuknüpfen, sich in der Begegnung mit JHWH am Eingang des Zelts neu in ihr zu verankern und darin seine Identität als Bundesvolk JHWHs abzusichern. Vor diesem Hintergrund ist zu greifen, dass die im täglichen Ernährt-Werden zu gewinnende Erkenntnis, dass JHWH der Gott Israels ist, der Israel aus Ägypten führt (vgl. Ex 16,6.12), in gleicher Weise auch im Wohnen JHWHs inmitten Israels d.h. im regelmäßigen Begegnen (am Morgen und zwischen den Abenden) evident werden kann (vgl. Ex 29,46).889
888 889
Vgl. MARX, Systèmes, 159. Vgl. ähnlich MARX, Systèmes, 163–164.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
291
Vorbereitet wird diese „Memorialfunktion“ des Tamid bereits in Ex 16,32– 34, d.h. zum Abschluss der Manna-Perikope. In Ex 16,32 verweist Mose auf eine Anordnung JHWHs (vgl. Ex 16,32b–bR), ein volles ʽomær (;מלא העמר V.32) des Manna (d.h. eine „normale“ Tagesration für einen Israeliten; vgl. Ex 16,18) aufzubewahren. Dies ist mit dem Ziel verbunden, dass die Generationen Israels (vgl. ;לדרתיכםV.32d) das Brot sehen, mit dem JHWH Israel in der Wüste gespeist hat, als er es aus Ägypten führte (V.32e). Ein weiteres Mal sind damit die Wüstenzeit, die Erfahrung der Bewahrung während dieser und das Exodusgeschehen eng verbunden bzw. de facto als Einheit präsentiert. Die konkrete Umsetzung der Anweisung JHWHs durch Mose und Aaron wird in den Versen Ex 16,33–34 berichtet. Mose beauftragt seinen Bruder, das Manna in ein Behältnis ( )צנצנתzu geben und „vor JHWH“ ( לפני )יהוהzu deponieren (vgl. Ex 16,33), woraufhin dieser – wie gefordert – das Gefäß „vor der ʽedūt“ ( )לפני העדותabstellt (Ex 16,34b). Damit ist in Ex 16,34b anachronistisch bereits die Existenz des Heiligtums vorausgesetzt, das erst am Sinai in Ex 35–40 errichtet werden wird. Interessant ist, dass die Wendung „vor der ʽedūt“ ( ;לפני העדותV.34b), den Standort des MannaBehälters in unmittelbarer Nähe zur Lade lokalisiert, in der die ʽedūt verwahrt wird (Ex 25,16.21), und somit – wenn auch keineswegs präzise – ins Innere des Zelts der Begegnung verlegt.890 Unabhängig von der Frage, wo genau innerhalb des Zeltes – ob neben bzw. vor der Lade im „Hochheiligen“ oder im „Heiligen“ außerhalb der Parochet – das Gefäß seinen Platz findet, ist damit offenkundig, dass durch die Platzierung das in Ex 16,32 mit dem Aufbewahren des Manna verbundene Anliegen ausdrücklich nicht einholbar ist. Denn unabhängig von seinem exakten Standdort ist der Krug für das Volk ausdrücklich nicht zugänglich, mit der Folge, dass die Generationen Israels das Manna nicht sehen können. Umso spannender aber ist, dass ein von Ex 16 her gedeutetes Tamid (als Vollzug ganz Israels) u.a. genau die in Ex 16,32 beschrieben Funktion des Mannagefäßes erfüllen kann, die durch das Ablegen desselben im Heiligtum (allein) gerade nicht gewährleistet ist. Somit ist zwischen Manna-Gefäß und Tamid ein ähnlicher Zusammenhang gegeben, wie er bei der Auslegung von Ex 29,42 zwischen Lade und Tamid herausgestellt wurde. Darüber hinaus kann den Zusammenhang zwischen dem Manna und dem Tamid noch ein weiteres Detail unterstreichen, dem „für sich“ genommen kaum Gewicht zukommen würde, das sich aber als ein Element unter die vielen signifikanten Bezüge zwischen Ex 29,38–46 und Ex 16 einreiht und in deren Kontext durchaus an Bedeutung gewinnt. Ausgangspunkt ist der letzte Vers der Manna-Perikope, Ex 16,36, der die Maßeinheit des ʽomær ()עמר, in der in Ex 16 (vgl. V.16.18.32–33) die Tagesration für einen einzelnen Israeliten bemessen wird, in das „Standart-Trockenmaß“ der Tora, das ’ēfā, um890
Vgl. HOUTMAN, Exodus 2, 353–354.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
rechnet. Ein ʽomær entspricht Ex 16,36 zufolge einem Zehntel ’ēfā ( עשירית )האיפה, was wiederum genau die Mehlmenge ist, die für die begleitende minḥā des Brandopfer-Tamids bereitzustellen ist. Somit ist ein Entsprechungsverhältnis zwischen dem jedem einzelnen Israeliten (täglich) zugeteilten Manna und dem für das tägliche Brandopfer aufgewendeten Brot gegeben, in dem die durch die Textbezüge zwischen Ex 29,38–46 und Ex 16 nahegelegte Interpretation des Tamids auch in der „materiellen“ Gestalt des Opfervollzugs ihren Niederschlag findet. d) Tamid und Shabbat Neben der Versorgung in der Wüste, die das Gott-Sein JHWHs für Israel unter Beweis stellt, ist die Gabe des Shabbat (vgl. Ex 16,29) das zweite bestimmende Thema in Ex 16, das aus dem Gegeneinander des allmorgendlichen ( ;בבקר בבקרV.21) Einsammelns der für jeden einzelnen Israeliten festgesetzten Menge Manna, des ( דבר יום ביומוV.4), und des Aussetzens von Manna-Gabe und Einsammeln am siebten Tag entwickelt wird. Dabei sind beide Vollzüge, das tägliche Sammeln und das Aufhören am siebten Tag, mit je eigenen Aspekten der (im Vollzug eingeübten) Gottesbeziehung Israels verbunden, die mit V.4 als „Gehen in der Weisung JHWHs“ umschrieben werden kann: Dies sind zum einen das (tägliche) Vertrauen in das Leben ermöglichende Gott-Sein JHWHs für sein Volk und zum anderen das Mitvollziehen des Shabbatrhythmus. Im (täglichen) Tamid spiegelt sich dabei v.a. der erste Aspekt, so dass dieses – in Analogie zum (täglichen) Einsammeln des Manna – als Ausdruck, Vollzug und Absicherung einer toragemäßen Strukturierung der Zeit bzw. Lebensführung Israels und damit als Fortführung der in Ex 16,4 angesprochenen „Erprobung“ gedeutet werden kann. Zugleich steht – ganz im Sinne von Ex 16 – dem Abschnitt zum Brandopfer-Tamid als Höhepunkt der ersten Gottesrede (Ex 25,2–30,10) innerhalb der Heiligtumstora die siebte Gottesrede in Ex 31,12–17 gegenüber, die das Bewahren des Shabbat anordnet und darin einen pointierten Abschluss der gesamten Heiligtumstora setzt.891 Auffällig ist dabei, dass zwischen Ex 29,38–46 einerseits und Ex 31,12–17 andererseits nur ein einziger signifikanter Stichwortbezug auszumachen ist. So findet sich in Ex 29,46ab wie in Ex 31,13cI–d eine Erkenntnisaussage ()ידע, die mit einer „’anī JHWH-Formulierung“ verbunden ist. Diese freilich kulminiert in Ex 31,13d in der Selbstprädikation JHWHs als ‚( מקדשכםder euch Heiligende‘), während sich JHWH in Ex 29,46b als „ihr Gott“ ( )אלהיהםtituliert, um dann die „’anī JHWH-Aussage“ in den Exodus-Rekurs in Ex 29,46bR–bRI einmünden zu lassen.
891
Vgl. GROß, Zukunft, 73; JACOB, Exodus, 842.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46) Ex 29,46 46a 46b 46bR 46bRI 46c
וידעו כי אני יהוה אלהיהם אשר הוצאתי אתם מארץ מצרים לשכני בתוכם אני יהוה אלהיהם
293
Ex 31,13c–d
כי אות הוא ביני וביניכם לדרתיכם לדעת כי אני יהוה מקדשכם
13c 13cI 13d
Der (einzige) Bezug zu Ex 31,12–17 findet sich somit mit Ex 29,46a–bRI gerade an der Stelle, an der Ex 29,38–46 auch am Deutlichsten auf Ex 16(,6– 12) anspielt, so dass Ex 16 geradezu als „Brücke“ zwischen den beiden zentralen Texten der Heiligtumstora erscheint. Dies wird auch daran deutlich, dass die Gottesrede Ex 31,13–17 in ihrem kompositorischen Zentrum (V.15ab) zentrale Aussagen zum Shabbat aus Ex 16 (vgl. Ex 16,23c.26a–c) einspielt. Exkurs: Aufbau von Ex 31,12–17 Die durch die Redeeinleitung in Ex 31,12 eröffnete siebte Gottesrede der Heiligtumstora (Ex 31,13–17) lässt eine chiastische Struktur erkennen, bei der insgesamt drei ineinander gelegte und durch je gemeinsame Leitworte und Themen ausgewiesene Rahmen ein Zentrum umschließen, das durch die Sätze Ex 31,15ab gebildet wird.892 Außerhalb dieser Rahmenstrukturen steht zum einen der Übermittlungsauftrag, mit dem in V.13a–aI die Gottesrede eröffnet wird und zum anderen die grundlegende Anweisung in V.13b, die Shabbate JHWHs ( )שבתתzu bewahren ()שמר, denen in Ex 31,17b–d eine auf Gen 2,2–3 (und Ex 20,11) verweisende, schöpfungstheologische Fundierung des Shabbat gegenübersteht. Der erste eigentliche Rahmen wird durch die Verse Ex 31,13c(cI–d) [A] und Ex 31,17a [A‘] gebildet, in denen der Shabbat jeweils als (Bundes-)Zeichen ( )אותzwischen JHWH und Israel ( ;ביני וביניכםV.13c; ;ביני ובין בני ישראלV.17a) eingeführt wird. Bemerkenswert ist dabei, dass in V.17a gegenüber V.13c die Satzglieder teilweise invertiert sind, wodurch die chiastische Entsprechung noch deutlicher betont wird. Mit Ex 31,13c sind zudem die beiden Sätze V.13cI–d verbunden, die in V.17 keine Entsprechung haben und die Funktion des Shabbat als „Zeichen“ zwischen JHWH und Israel in einer Erkenntnis-Aussage erklären.893 An V.13c–d schließt in V.14a die Aufforderung an Israel an, den Shabbat zu bewahren ()שמר, die in V.14b mit der Heiligkeit des Shabbat (‚ ;כי קדש הוא לכםdenn heilig ist er euch‘) begründet wird [B]. Dem steht in V.16a eine beinahe gleichlautende Aufforderung gegenüber ()שמר, die in V.16aI durch den Ausblick auf ein generationenübergreifendes „Machen“ ( )עשהdes Shabbat „verlängert“ ist [B‘]. V.14a wie V.16a greifen dabei auf den einleitenden Appell in V.13b zurück.894 An die Feststellung der Heiligkeit des Shabbat (für Israel) mit der das Rahmenelement [B] in V.14b endet, schließt in V.14c–d eine Sanktionsdrohung an, die jeden, der den 892
Vgl. dazu GRUND, Entstehung, 274; KÖCKERT, Leben, 99 (Anm. 105); NEGRETTI, Settimo Giorno, 226–227. Ähnlich: ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 157–158. 893 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 317–318; GRUND, Entstehung, 276–277; KÖCKERT, Leben, 99; 101–102. 894 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 318; VAN DEN EYNDE, Keeping, 503–504.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Shabbat entweiht (vgl. )מחלליה, mit dem Tod bedroht ( ;מות יומתV.14c). Das Entweihen wird in V.14d dahingehend konkretisiert, dass nun vom „Arbeit-Tun“ (vgl. כל־עושה בה ‚ ;מלאכהjeder an ihm Arbeit Tuende‘) die Rede ist, das mit der karet-Strafe belegt wird [C]. In V.15c hingegen werden sowohl der Rekurs auf „jeden am Shabbat Arbeit Tuenden“ aus V.14dP als auch die Todesformel aus V.14c wieder aufgenommen [C‘].895 Über diese chiastische Anordnung, die V.15ab als Zentrum der Rede heraushebt, legt sich zudem eine Zwei- bzw. Dreiteilung, die allerdings letztlich denselben Effekt zur Folge hat. So fällt auf, dass die Rahmenelemente [A] und [B] (V.13c–d.14ab) – im Gefolge der einleitenden Aufforderung in V.13b – als Anrede an eine 2. Pers. Pl. (Israel!) formuliert sind, während die je entsprechenden Textpassagen [A‘] und [B‘] (V.17a.16ab) in der 3. Pers. Pl. über die „Söhne Israels“ ( ;בני ישראלV.16a.17a) sprechen. Die Passagen dazwischen aber, d.h. die Rahmenelemente [C] und [C‘] (V.14c–d.15c) sowie das Zentrum (V.15ab) sind durch eine unpersönliche Redeweise geprägt.
Ex 31,15ab nimmt aus Ex 16,26ab die kontrastierende Gegenüberstellung der sechs Tage und des siebten Tags auf, wobei die Konzession aus Ex 16,26a, an den sechs Tagen sammeln zu können ()לקט, in Ex 31,15a insofern generalisiert wird, als diese Tage allgemein für die Arbeit bestimmt sind ( יעשה )מלאכה. Das steigernde )שבת( שבתוןin Ex 31,15b sowie die Qualifizierung des Shabbat als „heilig für JHWH“ ( )קדש ליהוהsind hingegen aus Ex 16,23c eingespielt.896 Diese beiden wesentlichen Aspekte des Shabbat, die in Ex 31,15ab als Zentrum der siebten Gottesrede aus Ex 16 aufgenommen werden, erfahren in den Rahmenteilen (Ex 31,13–14.15b–17) eine weitergehende Entfaltung und Zuspitzung. So wird in [C/C‘] (Ex 31,14dP.15c) die Einschränkung des Einsammelns auf die sechs Tage, die bereits in V.15a auf jede Form von Arbeit generalisiert ist, de facto zu einem Arbeitsverbot am siebten Tag weiterentwickelt, das jede Form von Arbeit als Entweihung des Shabbats fasst, die ihrerseits mit der Todesstrafe (V.14c.15c) bzw. der karet-Sanktion (V.14d) bewehrt ist.897 Aus der Heiligkeit des Shabbat für JHWH ( ;ליהוהvgl. Ex 16,23c; 31,15b) aber wird reziprok eine Heiligkeit für Israel ( ;קדש הוא לכםEx 31,14b) abgeleitet, die wiederum die Anweisung begründet, den Shabbat zu bewahren (;שמר vgl. Ex 31,13b.14a.16; vgl. auch Ex 16,28bI) bzw. ihn durch die Generationen hindurch zu tun (Ex 31,16b).898 Mit dem Gewicht, das damit dem Thema der Heiligkeit in Ex 31,13–17 zukommt, korrespondiert schließlich, dass die „’anī JHWH-Formulierung“ in V.13d – anders als diejenige in Ex 29,46b (und Ex 16,12f) – mit der Selbstprädikation JHWHs als ‚( המקדשכםder euch Heili895
Vgl. GROß, Zukunft, 80–81; GRUND, Entstehung, 280–281; JACOB, Exodus, 845–46; 849; KÖCKERT, Leben, 100. 896 Vgl. JACOB, Exodus, 847; PROPP, Exodus 19–40, 493. 897 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 280; GROß, Zukunft, 80–81. 898 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 280; FISCHER/MARKL, Exodus, 318.
D. Das regelmäßige Brandopfer (Ex 29,38–46)
295
gende‘)899 verbunden ist, die deutlich macht, dass im Tun des Shabbat, der für JHWH selbst heilig ist, auch Israel heilig wird bzw. seine im Bund zugesprochene Gottesnähe realisiert.900 Das regelmäßige Darbringen des Tamid und das Bewahren des Shabbat erweisen sich somit als zwei Vollzüge der Gottesbegegnung und Gottesgemeinschaft Israels, die zugleich mit einer je spezifischen Strukturierung und Rhythmisierung von Zeit verbunden sind und dadurch die Lebensvollzüge Israels durch die Generationen hindurch (vgl. ;לדרתיכםEx 29,42; ;לדרתםEx 31,16b) auf ein „Gehen in der Weisung JHWHs“ (vgl. Ex 16,4) hin ausrichten. Der innere Zusammenhang zwischen den beiden Größen, die in der Heiligtumstora jeweils über ihre kompositorische Einbettung – als Höhepunkt der ersten und mit Abstand längsten Gottesrede (Ex 29,38–46)901 bzw. als Abschluss der Gesamtkomposition (Ex 31,12–17) – als wesentlich herausgehoben werden, aber wird v.a. über den gemeinsamen Hypotext Ex 16 deutlich, in dem letztlich beide Zeitrhythmen – des Tamid und des Shabbat – theologisch fundiert werden. 4. Abschluss (Ex 29,46c) Der letzte Satz der Texteinheit, Ex 29,46c, nimmt nochmals die Formulierung aus Ex 29,46b ( )אני יהוה אלהיהםauf, schließt damit aber nicht nur einen Rahmen um den Exodusrekurs in Ex 29,46bR–bRI, sondern bringt zugleich auch den zentralen Gedanken der theologischen Reflexion in Ex 29,45b–46 auf den Punkt, das Gott-Sein JHWHs für Israel als Inhalt des in V.45b eingespielten (Väter-)Bundes und Grundlage der in V.46bR angesprochenen Herausführung aus Ägypten. Dauerhaft erfahrbar wird das „Gott-Sein für…“ – Ex 29,45–46 zufolge – im Wohnen JHWHs inmitten Israels (vgl. V.45a.46bRI), das in Ex 29,46 als Zielpunkt des Exodus profiliert wird und sich in der regelmäßigen Begegnung zwischen JHWH und Israel am Eingang des Zeltes bzw. in der Darbringung des Brandopfer-Tamids realisiert. Letzteres erscheint somit als wesentlicher Ausdruck und Vollzug der (im Väterbund ihren Anfang nehmenden und im Exodus bewährten) Beziehung zwischen Israel und JHWH und ist folglich ein essenzielles Handeln, in dem (ganz) Israel seine religiöse Identität als Bundesvolk JHWHs realisieren kann. Mit dieser theologischen Konzeption beschließt Ex 29,46c auf pointierte Weise die Perikope zum Brandopfer-Tamid und deutet innerhalb der ersten Gottesrede zugleich auch eine Abgrenzung zwischen Ex 29,38–46 und der nachfolgenden Texteinheit, Ex 30,1–10, an, auf die im Folgenden näher einzugehen ist.
899
Vgl. JOÜON/MURAOKA §61d. Vgl. GRUND, Entstehung, 279–280; JACOB, Exodus, 843–845. 901 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 283; 306–309. 900
296
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10) E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
Auf die Perikope Ex 29,38–46, die den Höhepunkt der ersten Gottesrede der Heiligtumstora bildet, folgt mit Ex 30,1–10 ein Textabschnitt, mit dem die Gottesrede zu ihrem Abschuss kommt und in dem – wie in Ex 29,38–46 und letztlich auch in Ex 29,1–35.36–37 – ein Altar im Mittelpunkt steht. Der Blick richtet sich nun allerdings nicht auf den in Ex 27,1–8 einführend beschriebenen und Ex 29 ausführlich behandelten Brandopferaltar am Eingang des Zelts der Begegnung, sondern auf einen zweiten, mit Gold statt mit Kupfer überzogenen Altar, der im Inneren des Zelts aufgestellt ist. Dieser wird erstmals in Ex 30,1–5 erwähnt und dabei in Ex 30,1a als ‚( מזבח מקטר קטרתAltar zum Räuchern von Räucherwerk‘) eingeführt. 1a 1b 2a 2b 2c 2d 2e 3a 3b 4a 4b 4c 4cI 5a 5b 6a 6aR 6a2 6a2R1 6a2R2 7a 7bI 7b 8aI 8a 8b 9a 9b
Du sollst einen Altar machen zum Räuchern von Räucherwerk; aus šiṭṭīm-Hölzern sollst du ihn machen. Eine Elle seine Länge und eine Elle seine Breite – quadratisch soll er sein –, und zwei Ellen seine Höhe; aus ihm heraus seine Hörner. Du sollst ihn mit reinem Gold überziehen, seine Oberseite ()גג und seine Wände ringsum und seine Hörner und ihm eine Leiste ( )זרmachen ringsum. Und zwei goldene Ringe sollst du ihm machen unterhalb seiner Leiste, auf seinen zwei Flanken sollst du (sie) machen, auf seinen beiden Seiten. Und sie seien zur Aufnahme für die Stangen, ihn (= den Altar) mit ihnen (= den Stangen) zu tragen. Und du sollst die Stangen aus šittīm-Hölzern machen und sie mit Gold überziehen. Und du sollst ihn (= den Altar) geben vor die Parochet, die über der Lade des Zeugnisses ist, vor die Kapporet, die über der ʽedūt ist, wohin ich dir begegnen werde (יעד-ni.). Aaron soll darauf in Rauch aufgehen lassen (קטר-hi.) Räucherwerk von Duftstoffen ( )קטרת סמיםan jedem Morgen ()בבקר בבקר, bei seinem Zurechtmachen (טוב-hi.) die Lampen soll er es in Rauch aufgehen lassen (קטר-hi.). Und wenn Aaron zwischen den Abenden die Lampen erhebt // anzündet, soll er es in Rauch aufgehen lassen (קטר-hi.): Regelmäßiges Räucherwerk ( )קטרת תמידvor JHWH ist es für eure Generationen. Ihr sollt auf ihm nicht aufsteigen lassen fremdes Räucherwerk ()קטרת זרה und Brandopfer und Speiseopfer und Trankopfer sollt ihr nicht ausgießen auf ihm.
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10) 10a 10b 10c
297
Aaron soll Versöhnung erwirken (כפר-pi.) an seinen Hörnern einmal im Jahr mit dem Blut des Entsündigungsopfers zum Versöhnung-Erwirken ()כפרים. Einmal im Jahr soll er Versöhnung erwirken (כפר-pi.) für eure Generationen. Hochheiliges ist er für JHWH. (Ex 30,1–10)
Ex 30,1–10 ist in zwei (bzw. drei) Abschnitte zu untergliedern: Ex 30,1–5 enthält – wie angesprochen – Anweisungen zur Herstellung des Altars, während sich in Ex 30,7–10 Vorschriften zu dessen Gebrauch finden. Die Verbindung zwischen den beiden Abschnitten V.1–5.7–10 aber stellt der Vers Ex 30,6 her, der die Platzierung des Altars im Heiligtum andeutet. I. Ort und Funktion von Ex 30,1–10 innerhalb der Heiligtumstora Unter einem diachronen Paradigma, das biblische Texte von ihrer Textwerdung her zu verstehen versucht, kann Ex 30,1–10 gleichsam als „Paradebeispiel“ für einen sekundären Text gelten. So fällt schon bei oberflächlicher Betrachtung auf, dass die Perikope nur wenig organisch an die Verse Ex 29,43–46* anzuschließen scheint, die ihrerseits in der Forschung – bei all den teilweise stark divergierenden Thesen zum Umfang der Pg-Sinaiperikope1 – sehr einhellig als Abschluss des priesterschriftlichen Textbestandes innerhalb von Ex 24,12–29,46* angenommen wird.2 Mit dem Goldenen Altar aber wird ein Kultgegenstand neu eingeführt, dessen Herstellungsanweisung (Ex 30,1–5) eigentlich besser in den Zusammenhang von Ex 25,10–27,19 (und hier am sinnvollsten zu Ex 25,10–40) passen würde. Zumindest Ex 30,1–5 scheint somit am falschen Ort eingebracht zu sein und fällt damit buchstäblich als ein „Nachtrag“ ins Auge, der den grundlegenden Aufriss der ersten Gottesrede mit ihren beiden Hauptteilen, „Herstellungsanweisungen“ (Ex 25,10–27,19) und „Kultvollzüge“ (Ex 27,20–29,46), „stört“.3 Ebenso wäre die in Ex 30,6 thematisierte Platzierung des Altars sinnvoller bereits in Ex 26,33–35 zu behandeln gewesen.4 Diese wenigen Beobachtungen deuten darauf hin, dass Ex 30,1–10 literar- bzw. redaktionsgeschichtlich (zumindest) Ex 25–29* als weitgehend abgeschlossenen Text voraussetzt und dann die Informationen zu Herstellung, Platzierung 1
Vgl. dazu z.B. FREVEL, Blick, 82–180; JANOWSKI, Tempel, 226–228; NIHAN, Priestly Torah, 31–58; POLA, Priesterschrift, 224–298; STEINS, Heiligtum, 159–167; WEIMAR, Priesterschrift, 272–278. 2 Vgl. BLUM, Komposition, 308; FRITZ, Tempel, 112–114; NIHAN, Priestly Torah, 31– 33; 34; OWCZAREK, Wohnen, 35–37. 3 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 275; HOUTMAN, Exodus 3, 553–555; NIHAN, Priestly Torah, 31–32; OWZCAREK, Wohnen, 36. 4 Interessanterweise ist die Perikope zum Goldenen Altar in SamP und Exodm an genau an dieser Stelle, zwischen Ex 26,35 und Ex 26,36, eingefügt. Vgl. dazu NIHAN, Priestly Torah, 32.
298
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
und Gebrauch des Goldenen Altars nicht an den jeweils passenden Stellen „einsortiert“, sondern als geschlossenen „Block“ an den Text anfügt. Damit erscheint auch der Goldene Altar selbst als ein sehr junger Bestanteil des Heiligtums, was z.B. auch an Num 16–17 abzulesen ist. In diesem Text spielt das Räuchern im „Kompetenzstreit“ zwischen Priestern und Leviten eine zentrale Rolle, doch fehlt jeder Hinweis auf einen eigenen Räucheraltar innerhalb des Heiligtums. Dessen Funktion wird stattdessen durch (mobile) Räucherpfannen wahrgenommen, die sich (zunächst) sowohl in den Händen Aarons wie der Korachiten befinden, wenngleich sie letzteren im Laufe der Erzählung durch göttliches Eingreifen entzogen werden.5 Texte wie z.B. Num 16–17 bezeugen – nicht ohne Widerspruch hingenommene – Versuche, das Rauchopfer bzw. generell Räucherkulte, die sich offenbar einer gewissen Popularität erfreuen, zugunsten der Jerusalemer Priesterschaft zu monopolisieren. Als geeignetes Mittel dieser Monopolisierung erscheint auch der in Ex 30 beschriebene Altar, der offenbar die mobilen und daher „massentauglicheren“ Räucherpfannen ablöst – letztere existieren für die Heiligtumstora schlichtweg nicht – und zudem für Volk und Leviten unzugänglich im „Heiligen“, d.h. in dem ausschließlich für den Gesalbten Priester reservierten Bereich des Heiligtums, platziert wird.6 Interessant ist nun jedoch, dass in einem synchronen Zugang, der die kanonisch gewordene Endgestalt des Textes betrachtet und dessen lektürelenkendes Instrumentarium analysiert, Ex 30,1–10 keineswegs so unorganisch und „angehängt“ an den vorangehenden Kontext der ersten Gottesrede anschließt, wie es durch eine diachron eingefärbte Brille hindurch erscheinen mag. So sind zahlreiche Bezüge zu zentralen Passagen der Heiligtumstora erkennbar, die Ex 30,1–10 eng mit Ex 25–29 – und v.a. mit Ex 27,20–29,46 – verbinden. Interessant sind in diesem Zusammenhang zunächst Rückverweise auf Ex 27,20–21 einerseits und Ex 29,36–37.38–46 andererseits, also auf den Beginn des zweiten Teils der ersten Gottesrede (Ex 27,20–21) sowie auf die in der Textfolge Ex 30,1–10 unmittelbar vorausgehenden Abschnitte zum Brandopferaltar. Auf Ex 27,20–21 verweist der Rekurs auf den Dienst Aarons am Leuchter in Ex 30,7–8, der mit dem Räuchern auf dem Goldenen Altar unmittelbar koordiniert wird. Darüber hinaus spielt die Platzierungsnotiz in Ex 30,6 die „Ortsangabe“ für das Entzünden des Leuchters in Ex 27,21a ein, wobei v.a. die wörtliche Entsprechung zwischen Ex 30,6a2R1 und Ex 27,21aR ins Auge fällt. Zusätzlich dazu sind zahlreiche Stichwortbezüge zu Ex 29,38–46 auszumachen. So werden die „Opferbegriffe“ ‚( עולהBrandopfer‘; vgl. Ex 29,42), 5
Vgl. EBERHARD, Studien, 309. Vgl. BECHMANN, Duft, 79–88; CLEMENTS, ( קטרThWAT), 16–18; HARAN, Temples, 236–238; HEGER, Development, 225–252; PROPP, Exodus 19–40, 475; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 86. 6
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
299
‚( מנחהSpeiseopfer‘; vgl. Ex 29,41b) und ‚( נסךTrankopfer‘; vgl. Ex 29,40. 41b) in Ex 30,9 aufgenommen, die Qualifizierungswendung in Ex 30,8b erinnert an Ex 29,42a und der Relativsatz Ex 30,6a2R2 spielt Ex 29,42aR ein.7 Des Weiteren finden sich Entsprechungen hinsichtlich der Zeitangaben für die Kultvollzüge in Ex 29,39.41 bzw. Ex 30,7–8 und zuletzt sind Bezüge zwischen Ex 30,10 und Ex 29,36–37 erkennbar, die einmal durch die gemeinsame Wurzel כפר-pi. (‚Versöhnung bewirken‘; vgl. Ex 29,36a.bI.37a; 30,10ab) und andererseits über die enge Formulierungsparallele zwischen Ex 29,37c und Ex 30,10c konstituiert werden. Es wird somit deutlich, dass Ex 29,38–46 und Ex 30,1–9 als zwei aufeinander verweisende Abschnitte zum Dienst auf den beiden Altären des Heiligtums gelesen werden können, wobei die Funktion und Bedeutung des „zweiten“ Altars (u.a.) wesentlich vom „ersten“ her bestimmt wird (vgl. z.B. die Aufnahme von Ex 29,42a in Ex 30,8b). Die damit nötige Verhältnisbestimmung zwischen den Altären aber wird durch Ex 30,9 vorgenommen. Gerahmt (und damit zusammengebunden) schließlich sind die Abschnitte Ex 29,38–46; 30,1–9 durch die aufeinander Bezug nehmenden Textpassagen zum „Versöhnung-Erwirken“ (כפר-pi.) auf den beiden Altären in Ex 29,36– 37; 30,10. Zuletzt aber erscheinen Ex 27,20–21 und Ex 30,1–10 (v.a. V.7–8) angesichts der zahlreichen Bezüge zwischen ihnen als Rahmen um den zweiten Teil der ersten Gottesrede (Ex 27,20–30,10), der Kultvollzüge im Heiligtum thematisiert, wobei durch die Erwähnung Aarons in Ex 30,7–8.10 zugleich auch die Kapitel Ex 28; 29,1–35 anklingen, in denen Aarons Funktionen und Aufgaben als Priester im Mittelpunkt stehen. Bislang außen vor sind die Herstellungsanweisungen in Ex 30,1–5, die als das „störendste“ Element der Perikope erscheinen. Sie nehmen zahlreiche Wendungen aus Ex 27,1–8 (Brandopferaltar), v.a. aber auch aus Ex 25,10–16 (Lade) und Ex 25,23–30 (Tisch) auf und verweisen so auf die erste Hälfte der Gottesrede und hier v.a. auf deren ersten (Ex 25,10–40) und letzten (Ex 27,1– 8) Teilabschnitt. Zusammen mit den Versen Ex 30,6.7–10, die enge Bezüge v.a. zu Ex 27,20–21; 29,36–37.38–46 erkennen lassen bzw. zusammen mit Ex 27,20–21 den zweiten Hauptteil der Gottesrede rahmen, vollziehen die Verse Ex 30,1–5 somit zum Abschluss der ersten Gottesrede deren Gesamtaufriss nochmals nach. Dadurch werden die zentralen Zusammenhänge und Anliegen der weit ausladenden Gesamtkomposition nochmals in knapper Form anschaulich gemacht, wenn durch das Nebeneinander von Herstellungsanweisungen (Ex 30,1–5; vgl. Ex 25,10–27,19) und Vorschriften zu Kultvollzügen (Ex 30,7–10; vgl. Ex 27,20–30,10) der Zusammenhang zwischen dem einmaligen, am Sinai verorteten Heiligtumsbau (vgl. Ex 35–40) und dem dauerhaften, durch die Generationen hindurch vollzogenen Kult deutlich wird. Ex 30,1–10 kann somit als markanter Abschlusstext der ersten Gottesrede gele7
Vgl. SARNA, Exodus, 193.
300
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
sen werden bzw. ist als solcher im Folgenden zu analysieren, wobei auf die bereits angedeuteten Bezüge zu Ex 25–29 ein genauerer Blick zu werfen ist.8 II. Herstellungsanweisung (Ex 30,1–5) Die Vorgaben zur Herstellung in Ex 30,1–5 werden in Ex 30,1a durch die Anweisung eröffnet, einen ‚( מזבח מקטר קטרתAltar zum Räuchern von Räucherwerk‘) zu machen. In dieser Benennung des Kultgeräts ist zugleich auch seine Funktion mit angedeutet, die in V.7–10 weiter entfaltet wird,9 wobei die in V.1a gleich zweimal belegte Wurzel קטרv.a. in V.7–8(.9a) als Leitwort fungiert (vgl. das Verb קטר-hi. in V.7a.b.8a; das Nomen קטרתin V.7a.8b.9a). Ex 30,1a erscheint somit gleichsam als Einleitung für den gesamten Abschnitt V.1–10, die mit dem Injunktiv ועשיתauf die in V.1b–5 folgenden Anweisungen zur Herstellung des Altars abzielt, mit der Wendung מזבח מקטר קטרתaber zugleich auch auf die Kultvorschriften in V.7–10 ausblickt. Die in V.1b–5 folgenden Vorgaben zur Herstellung des Altars selbst sind in zwei Sinnabschnitte zu gliedern, V.1b–3; V.4–5, die in V.1b.4a jeweils durch einen invertierten Verbalsatz (we=x-jiqṭol) eingeleitet werden. Dabei behandelt V.1b–3 vorrangig die Herstellung des Altars selbst, der V.1b zufolge (wie auch Lade, Tisch und Brandopferaltar sowie die Holzkonstruktionen von Zelt und Vorhofbegrenzung) aus šiṭṭīm-Holz herzustellen und gemäß V.3a in all seinen Teilen mit reinem Gold zu überziehen ist. Dazwischen gibt V.2 die Maße des Altars an (V.2ab.d), verbunden mit dem – auch beim Brandopferaltar belegten (vgl. Ex 27,1d.2a) – Hinweis auf den quadratischen Grundriss ( ;רבוע יהיחEx 30,2c) und auf die Hörner ()קרנת, die aus dem Altar heraus gestaltet werden sollen (vgl. Ex 30,2e).10 Letztere aber werden – zusammen mit dem Dach ()גג, d.h. der Oberseite, und den Seitenwänden ()קירת – in V.3a als wesentliche „Bestandteile“ des Altars genannt,11 darüber hinaus aber auch in Ex 30,10 als „Ort“ des כפר-Vollzugs am Altar definiert. Auf dem Dach ( )גגwiederum scheint – auch wenn der Begriff in diesem Zusammenhang nicht fällt – die in Ex 30,7–8 thematisierte Darbringung des Räucherwerks vollzogen zu werden. Ex 30,3a verweist also (u.a.) auf die beiden Funktionsorte („Dach“ und „Hörner“) für die in V.7–10 beschriebenen Kultvollzüge, wobei das reine Gold als Überzug die gesteigerte Heiligkeit des Altars anzeigt (vgl. dazu Ex 30,10c) und zugleich einen Zusammenhang mit dem Raum des „Heiligen“ andeutet (vgl. Ex 30,6), dessen „Leitmetall“ das Gold ist. 8
Zu alternativen Begründungen für die Positionierung von Ex 30,1–10 innerhalb der Heiligtumstora vgl. CASSUTO, Exodus, 389–390; DOHMEN, Exodus 19–40, 275; HARAN, Temples, 228–229. 9 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 558. 10 Zu den Hörnern und ihrer (möglichen) Symbolik vgl. HEGER, Altar Laws, 207–232. 11 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 558.
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
301
In Ex 30,1–2 sind zunächst viele Bezüge zur Beschreibung des Brandopferaltars in Ex 27,1–2 auszumachen. Ex 30,1–2
Ex 27,1–2b
1a 1b 2a 2b 2c 2d
ועשית מזבח מקטר קטרת עצי שטים תעשה אתו אמה ארכו ואמה רחבו רבוע יהיה ואמתים קמתו
2e
ממנו קרנתיו
ועשית את המזבח עצי שטים חמש אמות ארך וחמש אמות רחב רבוע יהיה המזבח ושלש אמות קמתו ועשית קרנתיו על ארבע פנתיו ממנו תהיין קרנתיו
1a 1b 1c 1d 1e 2a 2b
Der Satz Ex 30,3a ( )וצפית אתו זהב טהורhingegen findet sich – ohne die Aufzählung der Bestandteile des Altars – wörtlich auch in Ex 25,11a (Lade) bzw. Ex 25,24a (Tisch). Daneben begegnet mit der ringsum laufenden, goldenen Leiste ()זר זהב סביב in V.3b ein Element, das bei Lade und Tisch belegt ist (vgl. Ex 25,11c.24b), beim Brandopferaltar aber fehlt. Zu diesem gehört im Gegenzug das als mikhbār ( )מכברbezeichnete „Netz“ (( )רשתvgl. Ex 27,4), das wiederum beim Goldenen Altar nicht vorgesehen ist. Somit zeigt letzterer in diesem Detail größere Nähe zu Lade und Tisch, was zusätzlich dadurch unterstrichen wird, dass die Formulierung von Ex 30,3b beinahe wörtlich Ex 25,11c.24b aufnimmt. Ex 30,3 3a 3b 3c
וצפית אתו זהב טהור את גגו ואת קירתיו סביב ואת קרנתיו ועשית לו זר זהב סביב
Ex 25,11.24
וצפית אתו זהב טהור מבית ומחוץ תצפנו ועשית עליו זר זהב סביב
11a 11b 11c
וצפית אתו זהב טהור ועשית לו זר זהב סביב
24a
Der einzige Unterschied zwischen beiden Wendungen liegt hier darin, dass sich in Ex 30,3b anstelle der Präposition ‚( עלauf, über‘) die Präposition לmit ePP der 3. Pers. Sg. – ‚( לוfür ihn‘) – findet. Diese Differenz könnte – so man ihr Gewicht beimisst – darauf hinweisen, dass beim Altar die Leiste nicht am oberen Rand angebracht ist (wie bei Lade und Tisch) – immerhin befinden sich dort die „Hörner“ – sondern ihn an der Seite umläuft. Ähnlich wie bei der Lade aber erscheint die Leiste als ein betontes (und betonendes) Element, das die Aufmerksamkeit der Lesenden auf sich zieht. Dies nun ist in Ex 30,1– 5 insofern realisiert, als hier mit Hilfe des זרdie Brücke zwischen V.1b–3 und V.4–5 geschlagen wird. In diesen Versen kommt die Trageapparatur des Al-
302
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
tars in den Blick, deren goldene Ringe (vgl. V.4a)12 exakt unter der in V.3b erwähnten Leiste ( )זרan zwei, einander gegenüberliegenden Seiten des Altars angebracht werden (V.4b). Die Funktionsbeschreibung zu den Ringen (vgl. V.4c–cI) aber nimmt v.a. ihr „Gegenstück“ im Abschnitt zum Tisch (vgl. Ex 25,27) auf, Ex 30,4cI allerdings verweist auch auf Ex 25,14aI. Ex 30,4c–cI
והיה לבתים לבדים לשאת אתו בהמה
Ex 25,27
Ex 25,14aI
לעמת המסגרת תהיין הטבעת לבתים לבדים לשאת את השלחן
לשאת את הארן בהם
In gleicher Weise finden sich auch zu den Vorschriften zum Anfertigen und Vergolden der Tragestangen in Ex 30,5ab die engsten Formulierungsparallelen in Ex 25,28ab (Tisch). Ex 30,5
ועשית את הבדים עצי שטים וצפית אתם זהב
5a 5b
Ex 25,28
ועשית את הבדים עצי שטים וצפית אתם זהב ונשא בם את השלחן
28a 28b 28c
Die Parallelen in den Herstellungsanweisungen korrelieren den Altar also v.a. mit denjenigen Gegenständen, mit denen er auch im Gefüge des Heiligtums ein Ensemble bildet, d.h. zunächst mit dem Tisch, in dessen Nähe er im „Heiligen“ steht (vgl. V.6). Daneben ist auch ein Bezug zur Lade angedeutet, der ebenfalls in Ex 30,6 weiter vertieft werden wird. Zugleich sind – trotz gleicher Grundform (vgl. die Bezüge zwischen Ex 30,1–3 und Ex 27,1–2) – markante Unterschiede zwischen Brandopfer- und Räucheraltar erkennbar, die deutlich anzeigen, dass letzterer nicht einfach als eine „Verdopplung“ des ersteren bzw. als verkleinerte „Kopie“ desselben konzipiert, sondern als ein „eigenständiges“ Kultgerät angelegt ist. So wird bereits in V.1–5 auch eine Abgrenzung angedeutet, die in Ex 30,9 in der Funktionsdifferenzierung beider Altäre vertieft wird. III. Raumkonzepte (Ex 30,6) 1. spacing Auf die Herstellungsanweisung in V.1–5 folgt in Ex 30,6 eine Angabe zur Platzierung des Altars im Heiligtum, die von ihrer Pragmatik her ihre engste Parallele in Ex 26,33–35 findet. Der Vorgang des Platzierens selbst wird dabei mit dem Verb ‚( נתןgeben, setzen‘) umschrieben, mit dem sich zwei, auf spannende Weise verschränkte Ortsangaben verbinden, die parallel zueinander angeordnet, das Ziel der Platzierung umschreiben. So ist der Altar לפני 12
Vgl. auch Ex 25,12a.26a[; 27,7a].
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
303
‚( הפרכתvor der Parochet‘; V.6a1) sowie ‚( לפני הכפרתvor der Kapporet‘; V.6a2) abzustellen. An beide Angaben schließen ein (vgl. V.6a1R1) bzw. zwei Relativsätze (V.6a2R1.a2R2) an, die Parochet und Kapporet jeweils näher bestimmen. Der zweite auf V.6a2 ( )לפני הכרפתfolgende Relativsatz ( )אשר אועד לך שמהkann theoretisch in zweifacher Weise interpretiert werden, da er sich entweder auf das Stichwort Kapporet in V.6a2 oder aber auf das Nomen ʽedūt im unmittelbar vorausgehenden Relativsatz V.6a2R1 beziehen kann. Syntaktisch sind beide Optionen möglich, der Sache und dem Sinn nach aber erscheint die erste Möglichkeit angesichts der Bezüge zu Ex 25,22 als plausibler, weshalb der Relativsatz im Folgenden als V.6a2R2 (und nicht als V.6a2RR) geführt wird.
Die erste („Orts“-)Angabe, ‚( לפני הפרכת אשר על ארון העדותvor der Parochet, die über der Lade der ʽedūt ist‘; V.6a1–a1R) lässt insofern einen deutlichen Bezug zu Ex 26,33–35 erkennen, als die Formulierung ‚( לפני הפרכתvor der Parochet‘) mit der in Ex 26,35 belegten Wendung ‚( מחוץ הפרכתaußerhalb der Parochet‘) in Verbindung gebracht werden kann. Der Altar wird also – anknüpfend an Ex 26,34–35 – im „Heiligen“ (vgl. Ex 26,33c) verortet und somit dem „Ensemble“ aus Tisch und Leuchter, das Ex 26,35 beschreibt, hinzugefügt. Allerdings findet sich ein Hinweis auf diese beiden Kultgeräte in Ex 30,6 ebenso wenig, wie an allen anderen Stellen, die den Standort des Räucheraltars in den Blick nehmen (vgl. z.B. Ex 40,5.26–27). Dies lässt darauf schließen, dass die Relation zu den beiden anderen Geräten des „Heiligen“ – der räumlichen Nähe zum Trotz – für das in Ex 30,6 umschriebene spacing von eher nachgeordneter Bedeutung ist. Der Relativsatz Ex 30,6a1R hingegen eröffnet über den Hinweis auf die Lade einen Blick hinter die Parochet und nimmt dabei die Platzierungsnotiz zur Lade in Ex 26,33–34 auf. Die Parochet, relativ zu der das Platzieren des Altars erfolgt, wird also ihrerseits primär über ihre Lage und Funktion gegenüber der Lade definiert: Sie ist „über“ dieser, d.h. sie schirmt sie ab bzw. bedeckt sie. Ex 30,6 spielt damit die in Ex 26,33c eingeführte, „separierende“ bzw. „scheidende“ Funktion der Parochet ein, korreliert zugleich aber indirekt auch Altar und Lade – über ihr jeweiliges (räumliches) Verhältnis zur Parochet – miteinander, so dass das Aufstellen des Altars letztlich mit (durch die Parochet „verhängtem“) „Blick“ auf die Lade erfolgt.13 Genauer bestimmt wird diese Relation zwischen Altar und Lade schließlich in V.6a2– a2R2. In diesen Sätzen wird in der zu ‚( לפני הפרכתvor der Parochet‘; V.6a1) parallelen Ortsangabe ‚( לפני הכרפתvor der Kapporet‘) die Lade selbst bzw. 13
In diesem Punkt ist ein deutlicher Kontrast zum Aufstellen von Tisch und Leuchter in Ex 26,35 erkennbar, da dieser Text die gegenseitige Relation der beiden im selben Raum platzierten Geräte ausführlich beschreibt, diese aber nicht direkt mit der Lade (und der Kapporet) korreliert – im Gegenteil: In Ex 26,33–35 wird eher die Separation zwischen den beiden Räumen des „Heiligen“ und „Hochheiligen“ und damit implizit auch der darin lozierten Kultgegenstände herausgehoben.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
genauer die Kapporet auf der Lade zum Bezugspunkt. Die Parochet wird damit – nachdem sie zunächst ausdrücklich eingeführt wurde – faktisch wieder ausgeblendet bzw. in einer anderen Funktion gefasst, als in der in Ex 26,33–35 vorrangig fokussierten Rolle als „Raumteiler“, der die Scheidung zwischen „Heiligem“ und „Hochheiligem“ anzeigt (vgl. Ex 26,33c). So kommt ihr als „Grenze“ zwischen den Räumen des miškān auch die Aufgabe zu, zwischen den beiden durch sie abgeteilten Räumen zu vermitteln. Die in Ex 26,33c thematisierte Scheidung (בדל-hi.) wird somit als eine kategorische Differenzierung der Räume interpretiert, die allerdings nicht auf eine unüberwindliche Separation hinausläuft, sondern eher auf eine Vermittlung hin angelegt ist, die sich u.a. im Zueinander von Goldenem Altar und Lade bzw. Kapporet zeigt. In den beiden von Ex 30,6a2 abhängigen Relativsätzen wird nun die Kapporet, „vor“ der der Altar („durch die Parochet hindurch“) zu platzieren ist, in zwei Richtungen näher bestimmt. Zunächst befindet sie sich mit V.6a2R1 ‚( על־העדתüber der ʽedūt‘), womit auf die Verse Ex 25,16.21 Bezug genommen wird, denen zufolge die von JHWH übergebene ʽedūt in den Ladenkasten ( )אל הארוןzu legen ist, bevor die Kapporet auf ( )עלdiesem ihren Platz findet (vgl. Ex 25,21). Die Angaben aus Ex 25,16.21, die Kapporet und ʽedūt über den Ladenkasten als gemeinsames Korrelat miteinander verbinden, werden nun in Ex 30,6a2R1 verkürzt, der Sache nach aber durchaus zutreffend wiedergegeben: Die Kapporet befindet sich „über der ʽedūt“. Zugleich aber scheint hier ein ganz ähnliches „Arrangement“ vorzuliegen wie in Ex 30,6a1–a1R, wenn die Kapporet – ebenso wie dort die Parochet – als vermittelnde Größe zwischen dem Altar („vor der Kapporet“; V.6a2) und der ʽedūt („unter der Kapporet“; vgl. V.6a2R1) profiliert wird. Ex 30,6 führt also zwei hintereinander geschaltete „Trennungen“, Parochet und Kapporet, zwischen Altar und ʽedūt ein, denen jeweils neben ihrer separierenden Funktion die Aufgabe zukommt, als „Kaskade“ von vermittelnden Größen den Altar im „Heiligen“ und die ʽedūt im Ladenkasten, der sich seinerseits im „Hochheiligen“ befindet – letztlich über zwei Raumabgrenzungen hinweg – aufeinander zu beziehen.14 Somit beschreibt Ex 30,6 ein spacing, das darauf abzielt, den Goldenen Altar und die ʽedūt zu korrelieren. Involviert sind Parochet und Kapporet, die beide zunächst als „Raumtrenner“ gefasst sind. Sie separieren (im Fall der Parochet) das „Hochheilige“, den Standort der Lade, vom „Heiligen“, in dem sich der Altar befindet, bzw. (im Falle der Kapporet) den Raum im Inneren der Lade mit der ʽedūt. Zugleich jedoch vermitteln sie auch zwischen diesen durch sie abgegrenzten Räumen. Dies hat zur Folge, dass das Platzieren des Altars letztlich ein Raumkonzept generiert, das die in Ex 25,16.21; 26,33–35 als getrennt vorgestellten Räume überschneidet, v.a. von der Relation der zunächst in getrennten Räumen lozierten Gegenstände 14
Vgl. JACOB, Pentateuch, 273–274.
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
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Räucheraltar und ʽedūt her gedacht und folglich wesentlich durch die Ausrichtung des Altars auf die ʽedūt hin bestimmt ist.15 So ist dem auf diese Weise generierten Raum eine klare Richtung bzw. „Polarisierung“ zu Eigen, die wesentlich seine Gestalt bestimmt. Wenn es nun darum geht, die Syntheseleistung dieses im Platzieren des Altars generierten Raums genauer zu fassen, so ist folgerichtig bei der ʽedūt und ihren Besonderheiten anzusetzen: Wie oben bereits ausgeführt, ist diese primär als „Sinai-Spolie“ zu verstehen, die – am Sinai von JHWH an Mose übergeben (vgl. Ex 31,18; 34,28–29) – mit dem Sinai verbundenen Ereignisse, im Speziellen die Theophanie (Ex 19) und das Reden JHWHs zu Israel (Ex 20,2–17), bezeugt, sowie als – für Israel unlesbar und „verschlossen“ bleibende – Inschrift den Wortlaut der Gottesrede in Ex 20,2–17 trägt. In Gestalt der von der Lade umschlossenen, von der Kapporet bedeckten und hinter der Parochet im Heiligtum „abgeschlossenen“ ʽedūt ist all dies im „Zentrum“ des Heiligtums inmitten Israels präsent. Durch das Platzieren des Altars aber erhält dieses in vielfacher Weise unzugängliche Zentrum (mit seiner Memorialfunktion) ein (eingeschränkt) zugängliches Korrelat, das einen – „in Kaskaden“ über Parochet und Kapporet laufenden – „repräsentierten“ „Zugriff“ ermöglicht, ohne dabei die durch die Heiligkeit JHWHs und der ʽedūt geforderte Separation des „Hochheiligen“ bzw. der ʽedūt selbst aufzuheben. Parochet und Kapporet garantieren somit beides zugleich, Abgrenzung und Vermittlung. Interessant ist, dass diese Abgrenzungs- und Vermittlungsfunktion zunächst nicht im Kultvollzug gegeben, sondern über die Platzierung des Altars gleichsam in die Anlage des Heiligtums selbst hineingelegt ist. Ex 30,6 hat ein einmaliges spacing im Blick, das aber de facto daraufhin angelegt ist, dass das zugrundeliegende Raumkonzept im Kultvollzug auf dem Altar (regelmäßig) akutiert wird. In diesem Zusammenhang kann sich ein Ausblick auf Ex 30,36 als lohnend erweisen. Dieser Vers bildet das kompositorische Zentrum der fünften Gottesrede der Heiligtumstora (Ex 30,34–38), die das auf dem Altar dargebrachte Räucherwerk näher in den Blick nimmt. Dabei findet sich in Ex 30,34–35 die „Rezeptur“ für das Räucherwerk, während Ex 30,37–38 das Verbot eines profanen bzw. profanierenden Gebrauchs ausspricht. Zwischen diesen beiden Abschnitten thematisiert Ex 30,36 die „angemessene“ Verwendung des Räucherwerks, das fein zerstoßen bzw. gemahlen (vgl. ;ושחקת ממנו הדקEx 30,36a) auf den Altar gegeben (vgl. ;נתןEx 30,36b) werden soll. Interessanterweise wird in Ex 30,36b aber nicht einfach der Altar als derjenige Ort genannt, an dem der Weihrauch dargebracht wird – obwohl es de facto so ist. Stattdessen findet sich hier eine Ortsangabe, die deutlich an Ex 30,6 erinnert und das dort Entfaltete knapp in der Anweisung auf den Punkt bringt, das Räucherwerk „vor die ʽedūt im Zelt der Begegnung“ ( )לפני העדת באהל מועדzu geben. Beide 15
Vgl. JACOB, Exodus, 890–891; 894.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Aspekte dieser Angabe spielen auf Ex 30,6 an und bringen die dort umschriebene Spannung deutlich auf den Punkt. So liest sich die Wendung לפני העדת (‚vor der ʽedūt‘) wie eine „Kurzfassung“ dessen, was Ex 30,6a1–a2R1 umschreibt und über die Darstellung der „Vermittlungskaskade“ transparent macht: Der Altar als Ort der Darbringung des Weihrauchs ist auf die ʽedūt hin ausgerichtet bzw. auf diese bezogen. Assistierend dazu verdeutlicht die Formulierung ‚( באהל מועדim Zelt der Begegnung‘) die Lokalisierung des Altars im „Heiligen“, d.h. in dem für Aaron zugänglichen Raum, und weist damit auf denselben Sachverhalt hin, wie die Ortsangabe ‚( לפני הפרכתvor der Parochet ‘) in Ex 30,6a1. Interessant ist, dass die in Ex 30,36 belegte Formulierung ‚( לפני העדותvor der ʽedūt‘) noch in zwei weiteren (Kon)Texten der Tora, Ex 16,34; Num 17,19.25, belegt ist, in denen ebenfalls „Platzierungen“ im Heiligtum thematisiert werden.16 So ist in Ex 16,34 davon die Rede, dass Aaron ein Gefäß ( )צנצנתmit einer Tagesration des Manna „zur Verwahrung“ ( )למשמרתvor der ʽedūt ablegt. Die Belegstellen in Num 17,19.25 hingegen gehören in den Kontext der Konflikterzählung von Num 16–17, in der (u.a.) eine Auseinandersetzung zwischen den Leviten um ihren Anführer Korach auf der einen und Mose und Aaron auf der anderen Seite geschildert wird. Zentraler Streitpunkt ist die Frage nach priesterlichen Kompetenzen der Leviten oder gar des ganzen Volkes, die in Num 16,3 unter Rekurs auf Ex 19,5–6 formuliert und letztendlich in Richtung einer Infragestellung der Sonderrolle des aaronidischen Priestertums zugespitzt wird.17 Eine endgültige Lösung in dieser Auseinandersetzung soll schließlich eine Art „Gottesurteil“ herbeiführen, das in der Gottesrede Num 17,16–20 vorgeschlagen wird und – indem es aufzeigt, wen JHWH erwählt hat – das Murren der Israeliten zu einem Ende bringen soll (vgl. Num 17,20). Dazu soll je ein Stab eines Stammesältesten (mit Namen versehen und so eindeutig zuordenbar) im Zelt der Begegnung „vor der ʽedūt“ abgelegt werden (Num 17,17–19). Dort wird der Stab desjenigen, den JHWH erwählt, zu blühen beginnen (Num 17,20). Aarons Stab aber repräsentiert den Stamm Levi (Num 17,18), was impliziert, dass Ansprüche der Leviten von vornherein „vom Tisch“ sind, denn wenn das Orakel zugunsten des Stammes Levi ausfällt – was letztendlich geschehen wird –, dann spricht dies für das Priestertum Aarons, der so als der Erwählte JHWHs bestätigt wird (vgl. Num 17,22–24).18
16
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 486. Vgl. ASHLEY, Numbers, 305; COLE, Numbers, 262–263; MILGROM, Numbers, 131; SCHMIDT, Numeri, 68; SEEBASS, Numeri 11–22, 191. 18 Vgl. MILGROM, Numbers, 143; SCHMIDT, Numeri, 75–76; SEEBASS, Numeri 11–22, 205–206. 17
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E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
Die Beschreibung des Ortes, an dem Mose die Stäbe der Stammesfürsten niederlegen soll (Num 17,19), lässt von ihrer Formulierung her eine große Nähe zu Ex 30,36 erkennen.19 Num 17,19 19a 19aR
והנחתם באהל מועד לפני העדות אשר אועד לכם שמה
Ex 30,36
ושחקת ממנה הדק ונתתה ממנה לפני העדת באהל מועד אשר אועד לך שמה קדש קדשים תהיה לכם
36 36b 36bR 36c
Beiden Versen gemeinsam ist v.a. der Relativsatz לכם שמה/‚( אשר אועד לךwohin ich dir/euch begegnen will‘) in Ex 30,36bR; Num 17,19aR (vgl. auch Ex 30,6a2R2), auf den unten noch näher einzugehen ist. In Num 17,25 schließlich wird davon berichtet, dass Mose – nachdem das „Gottesurteil“ zugunsten Aarons ausgefallen ist (Num 17,22–24) – den blühenden Stab Aarons zurück an den Ort bringt, an dem er ihn bereits zum Herbeiführen der Entscheidung deponiert hatte – ‚( לפני העדותvor die ʽedūt ‘; Num 17,25b) –; diesmal um ihn dort dauerhaft und „zur Verwahrung“ ( )למשמרתniederzulegen, auf dass er dort als ein Zeichen ( )אותdiene, das das Murren der Israeliten beendet (vgl. Num 17,25cd).20 Num 17,25 zeigt dabei weitgehende Parallelen zu Ex 16,34. Num 17,25 25a 25b 25c 25d
ויאמר יהוה אל משה השב את מטה אהרן לפני העדות למשמרת לאות לבני מרי ותכל תלונתם מעלי ולא ימתו
Ex 16,34b
ויניחהו אהרן לפני העדת למשמרת
34b
In beiden (Kon)Texten, Ex 16,34 wie Num 17,(19.)25, werden somit „vor der ʽedūt“ Gegenstände deponiert, die zunächst mit konkreten Ereignissen der Gründungsgeschichte Israels in Zusammenhang stehen und einen Beitrag dazu leisten sollen, diese in der Erinnerung zu vergegenwärtigen. Damit aber beleuchten sie auch wichtige Aspekte einer israelitischen Identität bzw. eines israelitischen Selbstverständnisses.21 So erinnert das Gefäß mit dem Manna an die Versorgung in der Wüste, verweist zugleich aber auch auf die durch die Konditionen der Gabe des Manna übermittelten Weisungen, v.a. auf die für Israels Weltgestaltung eigentümliche und zugleich zentrale Ordnung der Zeit mit Shabbat und „Wochenrhythmus“ als Zentrum. Aarons Stab hingegen lässt an die Auseinandersetzungen in der Wüste denken und begründet zugleich die Legitimität von Aarons Priestertum und seiner Mittleraufgabe im 19
Vgl. Vgl. HEGER, Development, 225–252; PROPP, Exodus 19–40, 475. Vgl. ASHLEY, Numbers, 355. 21 Vgl. HOUTMAN, Exodus 2, 353–354. 20
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Kult in einer Weise, die jeder künftigen Infragestellung die Grundlage entziehen soll. Durch das Deponieren (נוח-hi.) „vor der ʽedūt“ ‚( למשמרתzur Bewahrung, zum sorgsamen Umgang‘; vgl. Ex 16,34; Num 17,25) wird somit letztlich ein auf Dauer angelegter Erinnerungsort etabliert, wobei in der Wendung למשמרת die Dimension eines aktiven Tuns mitschwingt,22 so dass die durch die Gegenstände anzustoßende Erinnerung gleichsam als verpflichtende Aufgabe für Israel, d.h. als wesentlicher Bestandteil der stets aufs Neue zu leistenden israelitischen Identitätskonstruktion bestimmt ist. In Zusammenhang mit dieser Funktion erweist sich als interessant, dass der „Ablageort“ beider Gegenstände im Heiligtum v.a. durch die Wendung ‚( לפני העדותvor der ʽedūt‘) angedeutet wird. Damit unterbleibt eine exakte Lokalisierung – aus dem jeweiligen Kontext ist lediglich zu folgern, dass Stab und Manna-Gefäß irgendwo im Raum des „Heiligen“ deponiert sind –, während als bestimmende Orientierung, die der Platzierung zugrunde liegt, die Ausrichtung auf die (hinter der Parochet und unter der Kapporet „verborgene“ ʽedūt) maßgeblich ist. Dies aber bedeutet, dass die durch Stab und Gefäß anzustoßenden Erinnerungsvollzüge stets auch eine Referenz auf die durch die ʽedūt vergegenwärtigte Gabe der Tora als ihren größeren Kontext mit einschließen, so dass das zu Erinnernde jeweils als Entfaltung und „Kommentar“ zur Weisung JHWHs selbst angelegt ist, die ihrerseits die eigentliche Grundlage israelitischer Identität bildet. Wenn nun Ex 30,36 das Auflegen ( )נתןdes Weihrauchs ausdrücklich „vor der ʽedūt“ lokalisiert, werden damit der Altar selbst und der auf ihm stattfindende Kultvollzug eng mit dem in Ex 16,34; Num 17,19.25 angedeuteten „Mnemotop“ „vor der ʽedūt im Zelt der Begegnung“ (vgl. Ex 16,34; Num 17,25) verbunden bzw. in dessen Zusammenhang hinein-„gegeben“ (vgl. נתן in Ex 30,6a.36a). Dies macht es auf der einen Seite plausibel, das Auflegen des Räucherwerks durch Aaron als ein Realisieren der bereits in der Platzierung des Altars angelegten (Ex 30,6) Ausrichtung auf die ʽedūt hin zu interpretieren. Aaron bringt also eine für (ganz) Israel eigentümliche Ausrichtung auf die Tora JHWHs symbolisch zur Darstellung bzw. vollzieht diese im Rahmen des Kults. Daneben aber ist – aufgrund der in Ex 16,34; Num 17,19,25 entwickelten „Imprägnierung“ des Ortes „vor der ʽedūt“ – eine Deutung des Räucherns als „Memorialgeschehen“ naheliegend, in dem durch die Kulthandlungen am Altar auf die eigentlich unzugängliche ʽedūt verwiesen und damit an Tora und Toragabe erinnert wird.
22
Zur Semantik von משמרתvgl. EDERER, Aufbrüche, 47–49; MILGROM/HARPER, משמרת (ThWAT), 79–85.
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
309
2. Ausblick auf Ex 27,21 In eine ganz ähnliche Richtung scheint schließlich auch die bereits angesprochene Ortsangabe in Ex 27,21 zu weisen, in der Aarons Dienst am Leuchter „lokalisiert“ wird. Dabei wird das Zurichten ( )ערךdes ‚( נרLicht, Leuchte‘) nicht einfach mit der Menora verbunden, obwohl es de facto dort stattfindet. Vielmehr wird der aus Ex 26,35 eigentlich bereits bekannte Standort der Menora im Heiligtum (neu) umschreiben. Dabei knüpft die Wendung באהל ‚( מועד מחוץ לפרכתim Zelt der Begegnung, außerhalb der Parochet; Ex 27,21a) an die Beschreibung von Ex 26,35 an, aus der v.a. das Stichwort מחוץ לפרכת (‚außerhalb der Parochet‘) aufgenommen ist. Als interessant aber erweist sich dann der Relativsatz Ex 27,21aR, der die in V.21a genannte Parochet näher bestimmt und diese ‚über der ʽedūt‘ ( )על העדותlokalisiert. Dies kann an Ex 25,(16.)21 erinnern, wo JHWH anordnet, die ʽedūt in der Lade zu deponieren und die Kapporet auf letztere zu legen, was zur Folge hat, dass – auch wenn Ex 25,21 so nicht formuliert – der Ort der Kapporet sachlich richtig „über der ʽedūt“ bestimmt werden kann. Ex 27,21a–aR wendet dies auf die Parochet an und setzt damit de facto Parochet und Kapporet hinsichtlich ihrer „Lage“ „über der ʽedūt“ gleich, was zur Folge hat, dass (Lade und) Kapporet konzeptionell gleichsam mit der Parochet „fusionieren“. Auf diese Weise ist letztendlich auch eine Relation zwischen dem Ort des Leuchterdienstes und der ʽedūt angedeutet, die dadurch bestimmt ist, dass die ʽedūt einerseits durch die Parochet (sowie die dahinter liegenden, in Ex 27,21 aber nicht erwähnte Kapporet) „verhüllt“ und vom Raum des „Heiligen“ separiert wird, dass andererseits aber die Parochet auch als vermittelnde Größe in Erscheinung tritt, über die die angesprochene Beziehung zwischen Menora und ʽedūt überhaupt erst hergestellt wird. Im Zusammenhang mit Ex 30,6 gelesen erscheint Ex 27,21a–aR (ähnlich wie auch Ex 30,36b) damit wie eine verkürzte Wiedergabe der dort entfalteten „Repräsentations-Kaskade“. Daraus aber folgt, dass auch das Entzünden der Menora – in Anlehnung an die Überlegungen zur Weihrauchgabe auf dem Altar – als eine Kulthandlung interpretiert werden kann, in der eine Ausrichtung auf die ʽedūt hin „aktiviert“ und zugleich praktisch vollzogen wird.23 Umgekehrt jedoch wird in Ex 27,21 – in der Übertragung einer zunächst für die Kapporet eigentümlichen Bestimmung („über der ʽedūt“) auf die Parochet – eine Verbindung zwischen den beiden separierenden und zugleich vermittelnden Elementen greifbar, die auch Ex 30,6 einspielt und weiter entfaltet. Maßgeblich hierfür sind die beiden auf Parochet bzw. Kapporet bezogenen Relativsätze V.6a1R und V.62R1, die jeweils schon an anderer Stelle (im gleichen Wortlaut) belegt sind. So nimmt Ex 30,6a1R ()אשר על־ארן העדת
23
Vgl. JACOB, Exodus, 890–891; 894.
310
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Ex 25,22bR24 auf. Während aber der Relativsatz Ex 25,22bR – mit Rückverweis auf Ex 25,21a – auf die Kapporet bezogen ist, bestimmt der wortgleiche Vers Ex 30,6a1R die Parochet näher. Damit liegt hier zunächst eine mit Ex 27,21 vergleichbare „Übertragung“ von Spezifika der Kapporet auf die Parochet vor, die den Zusammenhang zwischen den beiden Gegenständen zusätzlich unterstreicht. Andererseits aber erweist sich Ex 30,6a2R als wörtliche Aufnahme von Ex 27,21aR, wobei die in Ex 27,21 auf die Parochet bezogene (der Sache nach aber besser zur Kapporet passende) Beschreibung nun ganz explizit auf die Kapporet angewandt wird. Damit ist in der wörtlichen Aufnahme von Ex 25,22bR; 27,21aR eine interessante Verschränkung erkennbar – Aussagen, die in den Hypotexten zur Kapporet getroffen werden, werden auf die Parochet angewandt und umgekehrt –, die auch in Ex 30,6 die in Ex 27,21 bereits knapp auf den Punkt gebrachte Funktionsäquivalenz von Kapporet und Parochet andeutet, wobei letztere in Ex 30,6 differenzierter entfaltet wird. 3. JHWHs Begegnen am Altar? Über ihre an Ex 27,21a (und Ex 25,21–22) angelehnte Verortung „über der ʽedūt“ hinaus, wird die Kapporet in Ex 30,6 auch durch den Relativsatz V.6a2R2 ( )אשר אועד לך שמהnäher bestimmt, der in Ex 30,36bR wörtlich wiederholt wird und in Num 17,19aR nachklingt. Die von der Formulierung her engste Parallele zu der in Ex 30,6a2R2.36bR belegten Wendung findet sich dabei in Ex 29,42aR ()אשר אועד לך שמה, was zunächst zu der Vermutung Anlass geben kann, dass in Ex 30,6.36 ein ähnliches Raumkonzept angedeutet wird, wie es in Ex 29,42 gegeben ist, dass also im Kultvollzug ein Offenbarungs- und Begegnungsraum konstituiert wird, in dem Israel und JHWH einander gegenübertreten bzw. in dem JHWH Israel begegnet (und zu Mose spricht). Funktioniert somit der Raum „vor der ʽedūt“ ähnlich wie derjenige am „Eingang des Zelts der Begegnung“? Ein genauerer Blick auf den Text spricht deutlich dagegen. Ein wichtiges Indiz hierfür ist der einzige – kleine, letztendlich aber wesentliche – Unterschied zwischen der Formulierung in Ex 30,6a2R2.36bR und derjenigen in Ex 29,42aR, dass nämlich in Ex 30,6 anstelle des ‚( לכםeuch‘; vgl. Ex 29,42aR) ein ‚( לךdir‘) zu finden ist. Anders als in Ex 29,42 ist damit in Ex 30,6 keine Israelbegegnung JHWHs im Blick, sondern ein Begegnen mit Mose, das zudem nicht am Eingang des Zelts, sondern an der Kapporet stattfinden soll. Zuletzt aber wird unter Einbeziehung von Ex 30,7–8 deutlich, dass in Ex 30,6–8 zwischen dem Ausführenden des Kults am Altar, Aaron, und dem 24 Diese Wiederaufnahme wird von den Masoreten in ihrer Textedition möglicherweise auch durch die auffällige „doppelte“ Defektivschreibung der beiden Nomina ( ארןstatt )ארון bzw. ( עדתstatt )עדותangezeigt, die gleichermaßen in beiden Versen (Ex 25,22; 30,6) zu finden ist.
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
311
Objekt des Begegnens JHWHs, Mose, klar zu unterscheiden ist, so dass hier – im Gegensatz zu Ex 29,42 – das Begegnen nicht unmittelbar mit dem Kultvollzug verbunden scheint.25 Stattdessen bestimmt Ex 30,6a2R2 zunächst – in Anlehnung an Ex 25,22a – die Kapporet (und nicht den Altar) als den Ort, an dem JHWH dem Mose begegnet ( )ונועדתי לך שםund ruft so das in Ex 25,22 entfaltete Konzept eines Offenbarungs- und Begegnungsraums (an der Kapporet!) auf, in dem Mose und die zwischen den Keruben, über der Kapporet verortete Gegenwart JHWHs einander gegenüberstehen. Zu diesem Raum aber wird nun der Altar und dessen Standort in Bezug gesetzt: Er steht (vermittelt durch Parochet und Kapporet) vor der ʽedūt und mit V.6a2R2 zugleich vor dem Ort, an dem JHWH dem Mose begegnet.26 In Ex 25,22 geht mit dem Begegnen ein Reden JHWHs zu Mose einher, das Weisungen für Israel zum Inhalt hat (vgl. Ex 25,22c–cR) und das somit insofern mit der in Ex 30,6 vorrangig fokussierten ʽedūt verbunden ist, als das Reden zu Mose als Fortführung und Entfaltung desjenigen Redens JHWHs am Sinai angelegt ist, das durch die ʽedūt bezeugt wird. Das weitergeführte Offenbarungsgeschehen bzw. die weitergeführte Gottesbegegnung des Mose im Heiligtum vor der Kapporet wird damit in den zunächst durch die ʽedūt vergegenwärtigten „Erinnerungsgegenstand“ mit eingeschlossen, mit dem der Altar durch seine Platzierung vor der ʽedūt korreliert wird. In Ex 30,36bR hingegen ist über die wörtliche Aufnahme von Ex 30,6a2R2 zunächst ein Rückverweis auf das in diesem Satz angedeutete spacing gesetzt. Dabei aber erweist sich bereits die syntaktische Anbindung des Relativsatzes als schwierig, da dieser grammatikalisch am Naheliegendsten auf das Nomen אהל מועדin Ex 30,36b zu beziehen ist, was zwar aufgrund der Wiederaufnahme der Wurzel ( יעדvgl. )מועדals passend erscheinen mag, sich letztlich aber der Sache nach als problematisch ausnimmt, da im zugrundeliegenden Bezugstext Ex 25,22 nicht das Zelt selbst, sondern die Kapporet mit dem Begegnen (des Mose) verbunden ist. Genauso stehen auch die in Ex 30,36b ebenfalls erwähnte ʽedūt und das Begegnen in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Dies hat zur Folge, dass der Relativsatz weniger als Näherbestimmung für eine der beiden in V.36b genannten Größen – ʽedūt oder Zelt der Begegnung – sondern eher als (verkürzter) Hinweis auf denjenigen Ort, zu interpretieren ist, für den das Begegnen JHWHs (mit Mose) eigentümlich ist. Entsprechend korreliert auch Ex 30,36 den Ort, auf den das Räucherwerk gegeben wird (V.36b), mit dem in Ex 25,22 (und Ex 30,6a2R2) beschriebenen Begegnungs- und Offenbarungsort. Dabei fällt auf, dass in Ex 30,36 – im Unterschied zu Ex 30,6(.7–8) – tatsächlich ein Befehl an Mose ergeht, das Räucherwerk „vor die ʽedūt“ zu geben – und damit schließlich auch vor den Ort, an dem ihm JHWH begegnet. 25 26
Vgl. JACOB, Exodus, 889. Vgl. HEGER, Development, 111–113; 142.
312
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Damit aber kann in diesem Fall tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Kultvollzug und Begegnen ausgemacht werden, der wohl am besten dahingehend aufgelöst wird, dass zunächst die in Ex 30,36a thematisierte Weihrauchgabe als eine in ein Ritual gefasste „Antwort“ auf das Begegnen JHWHs interpretiert wird. Zugleich aber führt das „Geben“ ( )נתןdes Räucherwerks in V.36a das (von Mose auszuführende) „Geben“ ( )נתןdes Altars in Ex 30,6a1 fort, das damit in gleicher Weise als „Reagieren“ auf das Begegnen JHWHs zu fassen ist. Ausgehend davon wiederum kann auch das reguläre, Aaron aufgetragene Räuchern (vgl. Ex 30,7–8) mit einbezogen werden, das an die auf die ʽedūt und den Ort bzw. das Ereignis des Begegnens bezogene Platzierung des Altars (durch Mose; Ex 30,6) sowie ein initiales (?) Räuchern durch Mose (vgl. Ex 30,36; 40,27) anschließt und dieses im regelmäßigen, generationenübergreifenden Vollzug fortführt. Somit ist der Dienst am Goldenen Altar als ein Hinweisen auf die ʽedūt bzw. als Nachvollziehen einer Ausrichtung auf die ʽedūt (und die mit dieser verbundene Begegnung JHWHs mit Mose) hin zu beschreiben, die ihrerseits von Ex 25,22 her als Offenbarungsgeschehen zu fassen ist. Abschließend aber ist noch auf Num 17,19aR einzugehen, wo sich praktisch dieselbe Formulierung wie in Ex 30,6a2R2.36bR (und exakt dieselbe wie in Ex 29,42aR) findet ( אשר )אועד לכם שמה. Ähnlich wie in Ex 30,36 ist dabei auch hier der exakte Bezug des Relativsatzes schwierig, da die ʽedūt als von der Syntax her naheliegendstes Bezugswort der sachlichen Logik nach ausscheidet, während – vom Kontext und hier v.a. von Num 17,7 her – ein Bezug zur Konstruktusverbindung אהל מועדdurchaus sinnvoll erscheint. So wird in Num 17,19 nicht eine (regelmäßige) JHWH-Begegnung im Kult angekündigt, sondern ein konkretes (einmaliges) Geschehen, so dass das in V.19aR thematisierte Begegnen (am Zelt der Begegnung) zunächst mit dem in Num 17,7 beschriebenen Erscheinen der Herrlichkeit JHWHs über dem Zelt verbunden werden kann. Zugleich geht es hier nicht um eine als heilvoll erlebte Gottesgemeinschaft Israels (wie in Ex 29,42; Ex 30,6.36), sondern letztlich um eine Konfrontation bzw. einen Konflikt, der durch das in V.16–20 initiierte „Gottesurteil“ gelöst werden soll. Der Ort „vor der ʽedūt“, an dem die Stäbe der Stammesfürsten abgelegt werden, wird damit – im Kontext der Erzählung – zunächst zum Schauplatz einer konfliktträchtigen bzw. konfliktlösenden Begegnung JHWHs mit Israel. Als solcher aber ist er zugleich auch über seine Relation zur ʽedūt bestimmt, was darauf hinweist, dass die angekündigte Entscheidung gemäß der Tora fallen bzw. die Tora durch den Entscheid bestätigt werden wird.
4. Der Standort des Altars Die soeben analysierte Lokalisierung des Altars bzw. der Vollzüge auf ihm (vgl. Ex 30,6.36) zielt somit nahezu ausschließlich auf die theologische Bedeutung und die – nicht nur räumlichen – Beziehungen des Altars im Gesamtgefüge des Heiligtums ab. Was eindeutig fehlt, ist eine präzise Lokalisierung des Altars, die es z.B. erlauben würde, dessen Standort in einen Plan des Begegnungszelts einzutragen. So wird zwar ersichtlich, dass er sich im Raum des „Heiligen“ und somit in der Nähe von Tisch und Leuchter befinden muss.
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
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Anders als bei den beiden zuletzt genannten Kultgegenständen aber, deren Standort in Ex 26,35 ziemlich genau festgelegt ist – der Tisch steht entlang der Nord- und der Leuchter exakt gegenüber an der Südseite – fehlt beim Altar eine eindeutige Festlegung, die v.a. auch sein Raum-Lage-Verhältnis relativ zu den übrigen Gegenständen deutlich machen würde. In der rabbinischen Literatur und bei den jüdischen Exegeten des Mittelalters (z.B. RASCHI zu Ex 30,6) wird dieses „Problem“ dahingehend „gelöst“, dass die (relationale) „Ortsangabe“ ‚( לפני העדותvor der ʽedūt‘) als Hinweis auf eine Positionierung auf der Mittelachse des Heiligtums und unmittelbar vor der Parochet, also auf der Westseite des „Heiligen“ interpretiert wird, was auch insofern naheliegend erscheint, als die beiden Flanken des „Heiligen“ bereits durch Tisch und Leuchter „besetzt“ sind.27 Diese Annahme wirkt (oft unreflektiert) bis in die neuere exegetische Literatur – v.a. in die immer wieder zu findenden graphischen Darstellungen des Grundrisses des Heiligtums – hinein nach, wobei Unterschiede zwischen den Entwürfen nur dahingehend bestehen, dass der Altar einmal unmittelbar vor der Parochet und einmal näher am Eingang des „Heiligen“ eingezeichnet wird.28 Deutlich zu unterstreichen ist aber, dass diese Skizzen, so erhellend und wichtig für das Nachvollziehen des „schwierigen“ Textes von Ex 25–31 sie auch sein mögen, damit Informationen eintragen, die im Text selbst gar nicht zu finden sind. Auch in den Texten, die den Aufbau des Heiligtums thematisieren und dabei die Platzierung des Goldenen Altars behandeln, sind hierzu keine weiterführenden Informationen zu gewinnen. So findet sich in Ex 40,5 die Anweisung JHWHs an Mose, den Altar vor die Lade des Zeugnisses zu stellen, während Ex 40,26–27 (als Teil des Ausführungsberichts Ex 40,16–33) festhält, dass Mose den Altar vor der Parochet platziert (Ex 40,26) und darauf räuchert (Ex 40,27). Ex 40,5.26 nimmt also v.a. Ex 30,6 auf, während Ex 40,27 auf Ex 30,36 Bezug nimmt, so dass Ex 40,5.26–27 letztlich nichts über Ex 30,6.36 hinausgehendes bietet. Der trotz ausführlicher Beschreibung nicht exakt bestimmbare Standort des Altars ist damit ein (weiteres) sehr prägnantes Beispiel dafür, dass die eigentliche Pragmatik der Heiligtumstora darin liegt, eine theologische Deutung des Kultes Israels zu entwerfen und nicht darin, eine „nachbaubare“ Herstellungsanleitung zu präsentieren. IV. Kultvollzüge (Ex 30,7–10) Auf die Weisungen zur Herstellung und zur Platzierung des Altars in Ex 30,1–5.6 folgen in Ex 30,7–10 die Vorschriften zu den Kultvollzügen. Diese können wiederum in drei Teilabschnitte untergliedert werden, in denen je unterschiedliche Vollzüge auf dem Altar beschrieben werden und die durch je 27
Vgl. HARAN, Temples, 153; JACOB, Pentateuch, 273–274. Vgl. z.B. DOHMEN, Exodus 19–40; 243; HARRAN, Temples, 152; PROPP, Exodus 19– 40, 474; u.a. 28
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
ein zentrales Leitwort bestimmt sind. So findet sich in Ex 30,7–8 die Wurzel – קטרeinmal in Gestalt des Verbs קטר-hi. (‚räuchern, in Rauch aufgehen lassen‘; V.7a.b.8a) und einmal in Gestalt des Nomens ‚( קטרתRäucherwerk‘; V.7a.8b) –, die die Darbringung von Weihrauch als tägliche Kulthandlung am Altar thematisiert. Dem gegenüber ist in Ex 30,10 das Leitwort כפר-pi. (‚Versöhnung erwirken‘; V.10ab) belegt, das jeweils mit der Zeitangabe ‚( אחת בשנהeinmal im Jahr‘) verbunden ist und somit – im Unterschied zum täglichen Räuchern (Ex 30,7–8) – eine jährlich auszuführende „kultische Reinigung“ behandelt. Diese wird V.10a zufolge durch eine Blutapplikation an die Hörner des Altars vollzogen, womit sie sich schon vom grundsätzlichen Vorgang her deutlich von der täglichen Weihrauchgabe unterschieden und mit den in Ex 30,1–5 mehrfach erwähnten Hörnern (anstelle der „Oberseite“ des Altars) auch einen anderen Funktionsort findet als diese. Zwischen V.7–8 einerseits und V.10 andererseits ist schließlich V.9 eingeschoben, der durch zwei Prohibitive bestimmt ist, in denen verschiedene Kulthandlungen angedeutet und zusammengefasst sind, die auf dem Altar nicht vollzogen werden dürfen und die von daher den geforderten, täglichen und jährlichen Vollzügen (vgl. V.7–8.10) gegenüberstehen. 1. Räuchern (Ex 30,7–8) Die zentrale Kulthandlung auf dem Altar, die bereits in dessen Benennung als ‚( מזבח מקטר קטרתAltar zum Räuchern von Räucherwerk‘; Ex 30,1a) anklingt, ist das Darbringen von Weihrauch, das mit dem Verb קטר-hi. (‚in Rauch aufgehen lassen; räuchern‘) umschrieben wird. Dieses kann – angesichts des gehäuften Vorkommens in Ex 30,7–8 (und Ex 30,1a) – zunächst wie ein „Fachterminus“ für den Vollzug eines Weihrauchopfers erscheinen. Ein Überblick über die Belegstellen in der Tora zeigt jedoch, dass es in den kultischen Kontexten v.a. für das „In-Rauch-aufgehen-Lassen“ der für den Altar bestimmten Teile von Opfern auf dem Brandopferaltar verwendet wird.29 Neben vier Belegen in der Heiligtumstora (Ex 29,12.18.25; 30,20) findet sich קטר-hi. v.a. in Lev 1–730, wo es im Zusammenhang mit praktisch allen Opferformen jeweils die kultische Darbringung der Opfermaterie auf dem Brandopferaltar bezeichnet (vgl. ähnlich auch Lev 8,16.20.21.28; 9,10.13.14.17.20; 16,26; 17,6; Num 5,26; 18,17).31 An vielen dieser
29 Vgl. BECHMANN, Duft, 64–65; EBERHARD, Studien, 293–294; 312; HEGER, Development, 27–37; JACOB, Exodus, 893. 30 vgl. Lev 1,9.13.15.17; 2,2.9.11.16; 3,5.11.16; 4,10.19.26.31.35; 5,12; 6,6.8.15; 7,5.31 31 Gegen BECHMANN (Duft, 64), CLEMENTS ([ קטרThWAT], 10–18), u.a. trifft damit die These ausdrücklich nicht zu, dass –קטרhi. in der Tora für das Weihrauchopfer „reserviert“ ist, während –קטרpi. die Darbringung der übrigen Opfer bezeichnet. –קטרpi. nämlich findet sich nur den (Vorderen wie Hinteren) Propheten und beschreibt dort vielfach den
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
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Belegstellen steht die Verbwurzel in engem Zusammenhang mit der Klassifizierung des Kultvollzugs als (‚( אשה )ליהוהFeuergabe [für JHWH]‘), die ja u.a. auf die Transformation der Opfermaterie im Feuer anhebt, was von der Sache her in engem Zusammenhang mit dem durch קטר-hi. ausgedrückten „In-Rauch-aufgehen-Lassen“ steht.
Die Darbringung von Räucherwerk wird – über Ex 30,7–8 hinaus – nur noch in Ex 40,27 (unter Rückbezug auf Ex 30,7–8) und Num 17,5 mit קטר-hi. formuliert, während es an allen anderen Belegstellen in der Tora entweder über die Wendung ‚( נתן עלgeben auf…‘; vgl. Ex 30,36; Lev 16,13; Num 16,17; 17,12) bzw. über das nahezu synonyme ‚( שים עלgeben / legen auf …‘; vgl. Lev 10,1; Num 16,7.18; 17,11)32 ausgedrückt wird. Beide Formulierungen nehmen den Vorgang des Auflegens des Weihrauchs entweder auf den Altar (so in Ex 30,36) oder auf eine „mobile“ Räucherpfanne (so die restlichen Belege) in den Blick, während das in Ex 30,7–8 (40,27) eigentümliche קטרhi. weniger auf die Darbringungshandlung selbst fokussiert, sondern eher deren Resultat bzw. deren Wirkung beleuchtet, nämlich das „AufrauchenLassen“ des Weihrauchs.33 Die verwendete „Opfermaterie“ wiederum wird in Ex 30,7a als קטרת סמים (‚Räucherwerk aus Gewürzen / Duftstoffen‘) bezeichnet, im engeren Kontext aber nicht näher beschrieben. „Nachgeholt“ wird dies in der fünften Gottesrede der Heiligtumstora (Ex 30,34–38), die sich zur Gänze mit dem Räucherwerk befasst und in V.34–35 besonders die Herstellung desselben behandelt. Dazu werden in Ex 30,34b–c die einzelnen Bestandteile des ‚( קטרת סמיםRäucherwerk aus Gewürzen / Duftstoffen‘) aufgezählt: Nimm dir Gewürze ()סמים, nāṭāf und šeḥelæt und ḥælbenā; Gewürze ( )סמיםund reinen Weihrauch ()לבנה זכה: Anteil entsprechend Anteil soll sein. (Ex 30,34b–c)
Interessant ist hier das zweifache סמים, wobei es am sinnvollsten erscheint, den ersten Beleg dieses Nomens als einen Überbegriff zu interpretieren, unter dem die nachfolgend aufgezählten Gewürze („nāṭāf und šeḥelæt und ḥælbenā“) zusammenzufassen sind. Der zweite Beleg aber greift auf den ersten zurück, fasst die zuvor aufgezählten Stoffe also erneut zusammen und stellt diese neben den „reinen Weihrauch“ ()לבנה זכה. Mose wird somit aufgefordert, Gewürze, nämlich nāṭāf und šeḥelæt und ḥælbenā, zu nehmen und zu diesen Gewürzen Weihrauch hinzuzufügen. Ex 30,34c hingegen gibt in der Formulierung ‚( בד בבדTeil für Teil‘) einen Hinweis auf das Mischungsverhältnis.34 Unklar bleibt allerdings, ob alle vier Inhaltsstoffe, d.h. die drei Gewürze und der Weihrauch, zu je gleichen Teilen in der Mischung enthalten Vollzug illegitimer Kulte. Vgl. dazu auch EBERHARD, Studien, 293–294; HARAN, Temples, 233–235; ZWICKEL, Räucherkult, 336ff. 32 Vgl. dazu auch –קרבhi. in Num 16,35. 33 Vgl. HEGER, Development, 35–37; JACOB, Exodus, 893. 34 Vgl. HARAN, Temples, 242–243.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
sein sollen (d.h. diese besteht zu ¼ aus Weihrauch) oder Gewürze insgesamt und Weihrauch in je gleicher Menge vertreten sind, die Mischung also zur Hälfte aus Weihrauch besteht.35 In Ex 30,35 ordnet JHWH an, die Zutaten kunstfertig zu einer Gewürzmischung zu verarbeiten und zuletzt noch Salz hinzuzufügen. Ex 30,37–38 legt als den ausschließlichen Verwendungszweck dieser קטרת סמיםden Kult fest: Sie ist heilig für JHWH (V.37), was zur Folge hat, dass ein profaner bzw. profanierender Gebrauch mit der karet-Strafe belegt ist (V.38). In Ex 30,7 ist nun auffällig, dass zwar die Opfermaterie benannt wird, deren Zusammensetzung und Eigenschaften mit Hilfe von Ex 30,34–38 genauer zu beschreiben ist, dass aber „technische Details“ fehlen, die für den konkreten Vollzug wesentlich wären. So legt der Text weder eine Mengenangabe fest, aus der ersichtlich würde, wieviel Räucherwerk bei einem einzelnen Kultvollzug darzubringen ist, noch gibt er Hinweise auf ein vorbereitendes Geschehen (z.B. das Entzünden oder Herbeibringen der Kohlen, auf die der Weihrauch aufgelegt wird) oder die einzelnen Schritte und Teilvollzüge des Rituals.36 Bestenfalls ist aus Ex 30,36a zu erheben, dass das Räucherwerk vor dem Einsatz fein zermahlen wird, was wohl mit der Absicht zusammenhängt, beim Auflegen eine möglichst dichte und „eindrucksvolle“ Rauchwolke zu erzeugen.
Damit deutet sich auch in Ex 30,7–8 ein ähnlicher Befund an, wie bereits beim Brandopfer-Tamid und beim Entzünden der Menora, in deren Zusammenhang ebenfalls „praktische“ bzw. „technische“ Details deutlich zurücktreten, um im Gegenzug der theologischen Deutung der Vollzüge breiteren Raum einzuräumen. Diejenigen Details aber, die dem Text zufolge wesentlich sind, sind einmal die Angabe des Akteurs, Aaron (V.7a), der in V.7a.8a(.10) als Subjekt fungiert, sowie der Hinweis auf die enge Koordinierung des täglichen Räucherkultes mit dem Dienst am Leuchter, der ebenfalls durch Aaron ausgeführt wird und in gleicher Weise mit Bezug auf die ʽedūt „lokalisiert“ ist.37 Die (zeitliche) Koordinierung der beiden Tamid-Vollzüge am Goldenen Altar und am Leuchter wird dabei in zwei parallelen Satzfolgen in V.7bI– 7b//V.8aI–8a dargestellt. In diesen nehmen die jeweiligen Hauptsätze (V.7b.8a) in der Formulierung ‚( יקטירנהsoll er [= Aaron] sie [= die ]קטרת סמים in Rauch aufgehen lassen‘) auf die Anweisung von Ex 30,7a Bezug, in der die Darbringung des Räucherwerks durch Aaron angeordnet wird. Die Infinitivsätze V.7bI–8aI hingegen verweisen auf Kulthandlungen am Leuchter, die jeden Morgen (V.7bI) bzw. jeden Abend (V.8aI) stattfinden und mit denen jeweils die Weihrauchdarbringung am Goldenen Altar verbunden ist. Damit 35
Vgl. HARAN, Temples, 242; PROPP, Exodus 19–40, 485. Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 514. 37 Vgl. JACOB, Exodus, 891. 36
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
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nimmt Ex 30,7–8 einerseits Bezug auf die Weisungen zum Entzünden des Leuchters in Ex 27,20–21, deutet zugleich aber auch Aspekte desselben an, die in diesem Text überhaupt nicht angesprochen sind und hat so auch den Charakter einer Ergänzung. Eine weitgehende Entsprechung zur Darstellung von Ex 27,20–21 ist dabei im Infinitivsatz Ex 30,8aI gegeben. Dieser nimmt die Wendung להעלת נרaus Ex 27,20bI auf, wobei – anders als im Hypotext – nun von ( נרתim Plural) die Rede ist, so dass eindeutiger als in Ex 27,20 die Öllämpchen auf der Menora in den Blick kommen, während das Licht als Abstraktum angesichts des Plurals kaum gemeint sein kann. Entsprechend rekurriert Ex 30,8aI auf das „Anzünden“ oder „Emporheben“ – beides kann im Infinitiv )ל(העלתausgedrückt sein – der Lampen und spielt auf diese Weise den zentralen Kultvollzug des Leuchterdienstes ein. Ex 27,21 zufolge ist dieser (am Abend) so auszuführen, dass die Lampen auf der Menora vom Abend bis zum Morgen ( )מערב עד־בקרbrennen können. Es wird also primär die Zeitspanne betont, während derer das entzündete Licht leuchten soll. In Ex 30,8aI hingegen kommt über die Zeitangabe ‚( בין הערביםzwischen den Abenden‘) ausdrücklich der in Ex 27,21 lediglich implizierte Zeitpunkt in den Blick, an dem das Ritual an der Menora stattfindet. Interessant ist dabei, dass hierzu nicht das in Ex 27,21 belegte Nomen ‚( ערבAbend‘; vgl. )מערב עד־בקר verwendet wird, sondern die Formulierung ‚( בין הערביםzwischen den Abenden‘), die im engeren Kontext der Stelle in Ex 29,39b.41a als Umschreibung des „Zeitpunkts“ für das abendliche Brandopfer-Tamid belegt ist. Damit ist zunächst eine zeitliche Synchronisierung von Abend-Brandopfer, (abendlichem) Entzünden des Leuchters und Weihrauchgabe angezeigt, die auch auf einen sachlichen Zusammenhang hindeutet, der aus der theologischen Interpretation der jeweiligen Vollzüge im Text heraus deutlich werden kann (vgl. v.a. Ex 30,8b). Ausdrücklich nicht greifbar wird allerdings die konkrete Abfolge der einzelnen Kulthandlungen, es bleibt also offen, in welcher Reihenfolge sie ausgeführt werden, was zur Folge hat, dass ein konsistentes „Gesamtritual“ des Abend-Tamids (am Leuchter und den beiden Altären) ebenfalls nicht erhoben werden kann und die Texte ganz offenkundig auch gar nicht darauf angelegt sind, ein solches zu konzipieren bzw. Fragen des konkret-praktischen Vollzugs zu klären. Als Akteur des Leuchterdienstes wird in V.8aI ausdrücklich Aaron – nicht aber wie in Ex 27,21 Aaron mit seinen Söhnen – genannt. Damit ist einmal ein deutlicher Verweis auf V.7a gesetzt, wo Aaron auch als Ausführender des Rauchopfer-Tamids angeführt ist. Auf diese Weise wird klar herausgestellt, dass beide Kultakte nicht nur „gleichzeitig“, sondern auch von derselben Person ausgeführt werden, wodurch sie letztlich als zwei, an unterschiedlichen Geräten stattfindende Teilvollzüge einer Tamid-Handlung ausgewiesen sind. Zuletzt kann die Erwähnung Aarons auch auf Ex 28 verweisen, wobei der Dienst am Altar und am Leuchter v.a. mit dem in Ex 28,35 thematisierten
318
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Kommen (vgl. )בבאוAarons ins „Heilige“ zu korrelieren ist. Dieses wird durch die „Schutzfunktion“ des meʽīl ermöglicht und über Ex 28,12.29–30 mit der Aufgabe verbunden, Israel vor JHWH in Erinnerung zu rufen bzw. zu repräsentieren. Dabei ist in diesem Punkt auch eine Differenz zum Brandopfer-Tamid greifbar, bei dem Aaron nicht in den Blick kommt und ganz Israel als Gegenüber zu JHWH vorausgesetzt ist, dem JHWH im Kult am Eingang des Zeltes begegnet. Somit steht hier eine Bewegung JHWHs auf Israel zu im Mittelpunkt, während bei den Kultvollzügen im „Heiligen“ das Hineinkommen Aarons zentral ist. Neu gegenüber den Vorgaben aus Ex 27,20–21 ist schließlich der Hinweis auf einen morgendlichen Vollzug am Leuchter in Ex 30,7bI. Hier ist – wörtlich übersetzt – von einem „Gut-Machen“ (טוב-hi.) der Lampen ( )נרתdie Rede, d.h. es geht wohl um ein allmorgendliches Herrichten oder Präparieren des Leuchters, der die ganze Nacht über gebrannt hat, für seinen nächsten „Einsatz“ am kommenden Abend. Konkrete Einzelvollzüge wie z.B. das Reinigen der Lampen von Ölrückständen und Ruß, das Nachfüllen des Öls und ggf. das Austauschen der Dochte werden dabei weder angedeutet noch konkret beschrieben, so dass die Lesenden dazu lediglich aus ihrem Weltwissen Hypothesen bilden können. Da die Lampen Ex 27,21 zufolge „von Abend bis Morgen“ leuchten sollen, ist es naheliegend, dass das „Zurechtmachen“ (Ex 30,7bI) jeden Morgen ( ;בבקר בבקרEx 30,7a) stattfindet. Zugleich aber ist interessant, dass das in Ex 27,21 ausgehend von der Zeitspanne von Abend bis Morgen betrachtete Entzünden des Leuchters in Ex 30,7–8 von zwei Teilvollzügen her in den Blick kommt, die zugleich mit den beiden „Eckpunkten“ der in Ex 27,21 wesentlichen Zeitspanne verknüpft sind. Damit ist allerdings nicht nur die Möglichkeit geschaffen, die beiden „punktuellen“ Vollzüge am Goldenen Altar (jeden Morgen und zwischen den Abenden) mit den tageszeitspezifischen Handlungen am Leuchter koordinieren zu können, es verschiebt sich zugleich auch die Perspektive auf die durch die Menora als ‚( מאורLeuchte‘) getaktete Zeit. So tritt die auf den Raum des Heiligtums bezogene Neubestimmung der Nacht als durch das künstliche Licht der נרתcharakterisierte Zeitspanne in Ex 30,7– 8 deutlich in den Hintergrund, während umgekehrt die „Tageswenden“ zwischen Tag und Nacht, der Morgen und der Abend, in den Vordergrund treten, an denen – durch den sich vollziehenden Wechsel – sowohl das Fließen der Zeit als auch die in der Schöpfung angelegte Taktung und Scheidung von Tag und Nacht und damit die basale Ordnung der Zeit wahrnehmbar wird. Ex 30,7–8 verbindet nun die (z.T. tageszeitspezifischen) Vollzüge an Leuchter und Altar mit diesen markanten Punkten und korreliert damit letztlich das kultische Handeln und die im Lauf der Natur ablesbare Struktur der Zeit. Auf diese Weise wird einerseits die schöpfungsgemäße Ordnung der Zeit im Kult nachvollzogen bzw. zur Grundlage des auf regelmäßigen, „getakteten“ Ritualen aufbauenden Gottesdienstes im Zelt der Begegnung gemacht. Anderer-
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
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seits aber wird durch die an markanten Zeitpunkten „positionierten“ Vollzüge der Zeit bzw. den Zeitspannen und -rhythmen Qualität und Bedeutung zugesprochen, und damit eine Strukturierung und Konturierung von Zeit und Zeitwahrnehmung generiert, in der sich letztlich Israels Identität und Selbstverständnis abbildet. So wurde bereits im Zusammenhang mit den Platzierungsaussagen in Ex 30,6(.36) und Ex 27,21 gezeigt, dass in den in Ex 30,7–8 angedeuteten Kultvollzügen an Leuchter und Altar eine Ausrichtung auf die ʽedūt bzw. das durch diese Symbolisierte hin vollzogen bzw. zur Darstellung gebracht wird, in der sich letztendlich die Ausrichtung Israels auf die Weisung JHWHs bzw. das Reden JHWHs zu Mose hin spiegelt, die ihrerseits in elementarem Zusammenhang mit dem Status Israels als Volk JHWHs (vgl. Ex 19,5–6) steht. Überlagert und ergänzt wird diese Orientierung durch eine Ausrichtung auf JHWH selbst, die in der „Verortung“ des Kultgeschehens „vor JHWH“ ( ;לפני יהוהEx 27,21; 30,8b) zum Ausdruck kommt. Zuletzt aber sind die Kulthandlungen in ein „Ensemble“ „vor der ʽedūt“ hineingestellt, zu dem neben den „bedienten“ Kultgeräten selbst auch das Gefäß mit dem Manna und später der blühende Stab Aarons gehören, die auf zentrale Aspekte der Beziehung zwischen JHWH und Israel verweisen. Damit interpretieren und „kommentieren“ sie einerseits die grundlegende Ausrichtung auf die ʽedūt hin, bringen andererseits aber auch einen Memorialaspekt ein, in dem die Orientierung an der Weisung JHWHs (ʽedūt) um das Vergegenwärtigen des Handelns JHWHs für Israel erweitert wird. Entsprechend sind die Kultvollzüge selbst als ein toragemäßes Handeln (Aarons) zu interpretieren, das die im spacing des Heiligtums angelegte Ausrichtung auf die ʽedūt hin realisiert und zugleich als Memorialvollzug profiliert ist. Über die Tamid-Handlungen ausdrücklich mit den Tageswenden, Morgen und Abend, verbunden aber wird diese symbolisch im Kult vollzogene Ausrichtung auf die ʽedūt sowie auf JHWH selbst zu dem zentralen Element, das das Wahrnehmen und das strukturierende Gestalten der Zeit durch Israel (im Kult) bestimmt. Noch präzisier ist dies ausgehend von der Beobachtung zu fassen, dass in Ex 30,7–8 vom Dienst am Leuchter in den Infinitivsätzen V.7bI.8aI zwei, einander zwar ergänzende, grundsätzlich jedoch recht verschiedene Aktionen benannt werden, das „Präparieren“ (טוב-hi.; V.7bI) und das Emporheben bzw. Anzünden (עלה-hi.) der Lampen, während beim Rauchopfer die Gleichförmigkeit der Aktionen am Morgen und Abend dadurch betont wird, dass V.8a den Wortlaut von V.7b nochmals ohne Änderung wiederholt. Die tageszeitabhängig unterschiedlichen Vollzüge am Leuchter scheinen dabei transparent für die Unterschiedlichkeit der Tageszeiten zu sein, zumal v.a. das Emporheben bzw. Anzünden der Lampen am Abend auf die Finsternis als schöpfungsgemäßes Charakteristikum der Nacht „reagiert“ und dieser – wie dargelegt – im Raum des Heiligtums das artifizielle Licht der Lampen als bestimmende Eigenart entgegenhält. Anknüpfend an Ex 27,20–21 ist die Menora somit auch in Ex 30,7–8 vor allem als eine Art „Taktgeber der Zeit
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Israels“ im Blick, was nicht zuletzt auch daran erkennbar wird, dass auf das Entzünden des Leuchters in temporalen Nebensätzen (V.7bI.8aI) Bezug genommen wird, Zeitpunkte also von den Kulthandlungen an der Menora her angegeben sind. Vor diesem Hintergrund scheint dem Dienst auf dem Goldenen Altar gegenüber dem Entzünden der Menora eine „begleitende“ und zusätzlich interpretierende Funktion zuzukommen. Anders als beim Leuchter rückt hier angesichts der dezidiert betonten Gleichförmigkeit der Vollzüge am Morgen und Abend das Augenmerk weniger auf das an den Tageswenden sowie in der Verschiedenartigkeit der Tageszeiten greifbare Fließen der Zeit und deren Strukturierung und Rhythmisierung. Dies umzusetzen und nachzuvollziehen ist offenbar die spezielle Funktion des Leuchters. Stattdessen scheint beim Räuchern auf dem Altar ein kontinuierliches, die unterschiedlichen Zeitspannen und -rhythmen gleichermaßen bestimmendes Moment in den Vordergrund zu treten, das sich zunächst in dem über Ex 30,6 sehr ausführlich thematisierten Verweisen auf die ʽedūt realisiert und die Qualität der Zeit(en) bestimmt. Dazu aber tritt der bereits bei der Beschreibung des Leuchter-Tamids in Ex 27,21 über die Wendung לפני יהוהeingebrachte Aspekt der Kommunikation und Interaktion mit JHWH bzw. des Handelns in Bezug auf JHWH, der – unter erneuter Aufnahme des – לפני יהוהin Ex 30,8b auch mit Blick auf das Weihrauchopfer am Goldenen Altar herausgehoben wird. Auffällig aber ist, dass die angesichts der religionsgeschichtlichen Bedeutung des Weihrauchopfers naheliegendste Interpretation des Rituals, das Huldigen JHWHs,38 in Ex 30,7–8 insofern deutlich in den Hintergrund tritt, als auf diese Funktion bzw. dieses Anliegen des Räucherns – wenn überhaupt – nur vage angespielt wird. So scheint diese entweder als so selbstverständlich, dass es gar nicht eigens angesprochen werden muss, oder aber sie soll dezidiert „sediert“ werden. Für letztere Möglichkeit kann sprechen, dass in Ex 30,7–8 allein die Formulierung ( לפני יהוהV.8b) überhaupt auf ein Interagieren mit JHWH im Kult verweist, das u.a. auch in Richtung eines Huldigens bzw. als Ausdruck des Verehrens interpretiert werden könnte. Diese jedoch findet sich – beinahe „nachgetragen“ – erst in der Qualifizierungswendung in Ex 30,8b und fehlt in Ex 30,36 ganz, während umgekehrt in Ex 30,6.36 „לפניFormulierungen“ dominieren, die direkt (vgl. Ex 30,36) oder „auf Umwegen“ (Ex 30,6) einen Bezug zur ʽedūt andeuten und damit die Ausrichtung auf die Weisung JHWHs sowie die Memoria der Tora-Gabe bzw. der durch MannaGefäß und „Aaronsstab“ repräsentierten „Erinnerungsgegenstände“ verweisen. Dass auch die Memoriavollzüge die Qualität der im Kult zur Darstellung kommenden „Zeit Israels“ bestimmen, wird nicht zuletzt über die beiden Zeitangaben in Ex 30,7–8, בבקר ( בבקרV.7a) und ( בין הערביםV.8aI) anschaulich, die nicht nur einen Zusammenhang mit dem Brandopfer-Tamid anzeigen, sondern auch in Ex 16 belegt sind. So sammeln die 38
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 513–514.
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E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
Israeliten Ex 16,21 zufolge das Manna ‚( בבקר בבקרjeden Morgen ‘), wobei der Morgen mit Ex 16,6.12 als derjenige Zeitpunkt zu bestimmen ist, an dem Israel (im Einsammeln des Manna) das Versorgt-Werden durch JHWH wahrnimmt und daran erkennt, dass JHWH das Volk aus Ägypten führt (vgl. Ex 16,6). „Zwischen den Abenden“ hingegen soll Israel Fleisch zu essen bekommen (Ex 16,12c) und u.a. daran erkennen, dass JHWH sein Gott ist (vgl. Ex 16,12ef). Bereits in Ex 16 sind somit die Tageswenden (und damit die gesamte, durch diese strukturierte Zeit) mit dem Erkennen JHWHs einerseits und der Fürsorge JHWHs zugunsten Israels andererseits verbunden, woran Ex 30,(6.)7–8 unmittelbar anschließen kann, wenn es diese markanten Zeitpunkte mit einem betonten Aktuieren zentraler Aspekte einer israelitischen Identität im Kultvollzug verknüpft.
Den Abschluss von Ex 30,7–8 bildet schließlich die bereits angesprochene klassifizierende Wendung in Ex 30,8b, die zunächst die in V.7bI–8a beschriebenen Teilvollzüge am Morgen und „zwischen den Abenden“ unter dem Stichwort קטרת תמידzusammenfasst. Dabei steht das Nomen – קטרת anders als in Ex 30,7a – nicht für das Räucherwerk, sondern bezeichnet stattdessen die in V.7ab.8a durch das Verb קטר-hi. umschriebene Darbringung. Dieser nun wird – das in V.7–8 Ausgeführte abstrahierend – über das Stichwort תמידeine Regelmäßigkeit zugesprochen, die durch die Wendung לדרתיכם (‚für eure Generationen‘) in Richtung eines generationenübergreifend weiterzuführenden Vollzugs konkretisiert wird. Anders als in Ex 27,21b, wo über die Formulierung ‚( לדרתםin ihren [= der Söhne Aarons] Generationen‘) die Verantwortlichkeit der aaronidischen Priester (durch die Generationen hindurch) für das Entzünden der Menora festgehalten wird, ist in Ex 30,8b über das ePP der 2. Pers. Pl. (כם-) Israel angesprochenen. Somit ist – ähnlich wie in Ex 29,42a, wo dieselbe Formulierung ( )לדרתיכםbelegt ist – eine Verantwortlichkeit des Volkes für die Kulthandlung und deren stete Fortführung durch die Generationen hindurch angedeutet, ohne dass geklärt würde, wie diese Verantwortlichkeit konkret zu realisieren ist. In der Zusammenschau fällt des Weiteren auf, dass Ex 30,8a deutlich parallel zu Ex 29,42 gestaltet und formuliert ist, so dass ein Zusammenhang zwischen den Tamid-Vollzügen an den beiden Altären des Heiligtums angedeutet, zugleich aber auch die Frage nach deren genauem Verhältnis aufgeworfen wird. Ex 29,42a 42a
עלת תמיד לדרתיכם פתח אהל מועד לפני יהוה
Ex 30,8b
קטרת תמיד לפני יהוה לדרתיכם
8b
2. Verbote (Ex 30,9) Ex 30,9 stellt in zwei Prohibitivsätzen Kulthandlungen zusammen, die auf dem Goldenen Altar untersagt sind. Diese werden mit den Verben עלה-hi. (V.9a) und ( נסךV.9b) umschrieben, die in Kulttexten jeweils spezifische
322
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Formen der (kultischen) Darbringung bezeichnen und damit in dasselbe Wortfeld gehören, wie das in V.7–8 bestimmende Verb קטר-hi. In der Zusammenschau sind dabei zwei Zielrichtungen der Prohibitivsätze erkennbar: (1.) Zunächst werden mit Brand- und Speiseopfer (verbunden mit dem Verb עלה-hi.; V.9a) sowie der Libation (verbunden mit dem Verb ;נסךV.9b) genau diejenigen Opferarten genannt, die auch in Ex 29,38–41 im Zusammenhang mit dem täglichen Brandopfer eine Rolle spielen und damit im Kontext von Ex 27–30 für die „typischen“ Vollzüge auf dem Brandopferaltar stehen, zugleich aber auch alle dort gebräuchlichen Opfergaben abdecken, da das an erster Stelle genannte Brandopfer die unterschiedlichen tierischen Opfer repräsentiert und das Speiseopfer die vegetabilen. Vor diesem Hintergrund betonen die beiden Prohibitive in V.9 eine klare funktionelle Unterscheidung zwischen den beiden Altären, der zufolge alles, was beim einen (dem Brandopferaltar) üblich und angeordnet ist, für den anderen (den Rauchopferaltar) kategorisch ausgeschlossen und explizit verboten wird.39 Der Goldene Altar „funktioniert“ damit ganz ausdrücklich nicht als eine einfache „Verdopplung“ des Brandopferaltars, sondern wird von seinem Gebrauch und seiner Funktion her von diesem klar unterschieden. Auf diese Weise wird nochmals und auf anderer Ebene eine Differenzierung betont, die auch in der Platzierung der beiden Altäre (im „Heiligen“ bzw. am Eingang des Zelts der Begegnung) bzw. in der unterschiedlichen Konzeptionierung der Interaktion mit JHWH im Kult (Hineingehen Aarons bzw. Begegnen JHWHs) ihren Niederschlag findet.40 (2.) Aus dem Rahmen der bisher angesprochenen Verhältnisbestimmung zwischen den Altären fällt allein das Stichwort ( קטרת זרהV.9a) heraus, da in diesem Fall zwar die grundsätzlich richtige Form der Darbringung, das Räuchern von Räucherwerk, vorliegt, die aber – wie das Adjektiv ‚( זרfremd‘) andeutet – aufgrund der Tatsache verboten wird, dass sie ein „fremdes“ bzw. „irreguläres“ Element mit einschließt. Worin letzteres bestehen kann, können Texte wie Lev 10,1–3; Num 17,5 veranschaulichen, in denen die beiden Stichworte קטרתund זרה/ זרebenfalls nebeneinander belegt sind. In Lev 10,1 bringen Nadab und Abihu, die Söhne Aarons, im unmittelbaren Anschluss an den ersten feierlichen Gottesdienst Israels am Sinai (Lev 9) ein Rauchopfer ( )קטרתauf ‚( מחתותRäucherpfannen‘) – also nicht auf dem Altar 39
Interessant ist, dass diese Aussage nur in der einen Richtung gilt: Die auf dem Brandopferaltar üblichen Opfergaben dürfen auf dem Räucheraltar auf keinen Fall dargebracht werden, während umgekehrt der Weihrauch als Bestandteil des für den Räucheraltar reservierten Räucherwerks – z.B. im Rahmen des Speiseopfers (vgl. Lev 2,2) – auch auf dem Brandopferaltar verbrannt wird. 40 Vgl. ähnlich PROPP, Exodus 19–40, 475.
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
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(!) – dar. Dieses Opfer wird als ‚( אש זרהfremdes Feuer‘) bezeichnet, wobei die konstatierte Fremdheit von dem Umstand hergeleitet wird, dass JHWH den Vollzug nicht befohlen habe (Lev 10,1cR).41 Die konsequente „Antwort“ auf das „fremde Feuer“ ist ein Feuer, das von JHWH ausgeht und die Aaronsöhne im Heiligtum tötet.42 Vor diesem Hintergrund ist das Verbot des „fremden Räucherns“ in Ex 30,9a zunächst als eine strikte Eingrenzung des Räucherkults auf den einen (und einzigen) von JHWH angeordneten kultischen Kontext zu interpretieren. Darbringungen abseits der beiden für jeden Tag festgeschriebenen Vollzüge am Morgen und am Abend bzw. auf anderen Kultgeräten außer dem Goldenen Altar gelten als schwerwiegende Übertretung der Kultordnung, als „Fremdes“.43 Der zweite Referenztext, Num 17,5, findet sich im Kontext der Rebellion des Korach (Num 16–17), die u.a. auch dadurch ausgetragen wird, dass Aaron und die Anhänger Korachs auf Räucherpfannen räuchern (vgl. Num 16,16–19), um die Legitimität der jeweiligen Ansprüche auf das Priesteramt zu klären. Die Folge ist, dass die Korachiten das Schicksal der Aaronsöhne aus Lev 10 erleiden (Num 16,35), während ihre Anhänger vom Wüstenschlund verschlungen werden (vgl. Num 16,30–33). Aaron jedoch überlebt und wird dadurch – wie auch in Ex 30,7–8 vorgegeben – als der einzige legitime Akteur des Rauchopfers bestätigt.44 Die liegengebliebenen Räucherpfannen der Korachiten werden zu einem Überzug für den Brandopferaltar umgeformt, der mit Num 17,5 die Israeliten daran erinnern soll, dass ein Fremder ()זר, der nicht zu den Nachkommen Aarons gehört (wie z.B. die Anhänger Korachs in der Erzählung), niemals dazu befugt ist, קטרתvor JHWH darzubringen. Vor dem Hintergrund von Num 17,5 ist somit das Element der „Fremdheit“, auf das die Wendung קטרת זרהin Ex 30,9a hinweist, in erster Linie der falsche Akteur.45 Naheliegend ist nun, dass in Ex 30,9 letztlich die beiden in Lev 10,1–2; Num 17,5 angedeuteten Aspekte „mit zu hören“ sind, so dass im Adjektiv זרה/ זרletztlich ein wie auch immer geartetes Abweichen von den in Ex 30,(6.)7–8 festgeschriebenen Regeln für das Rauchopfer in den Blick
41
Vgl. dazu ausführlich NIHAN, Priestly Torah, 508–587. Vgl. auch HIEKE, Levitikus 1–15, 383–386; FREVEL, Mose, 114; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 47–49. 42 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 386; FREVEL, Mose, 114; LEVINE, Leviticus, 59; MILGROM, Leviticus 1–16, 599; NIHAN, Priestly Torah, 92; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 310; WENHAM, Leviticus, 155. 43 Vgl. HEGER, Development, 57–71; PROPP, Exodus 19–40, 475. 44 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 385; JÜRGENS, Heiligkeit, 280–283; KNIERIM/COATS, Numbers, 209. 45 Vgl. ASHLEY, Numbers, 326; HEGER, Development, 72–80; JÜRGENS, Heiligkeit, 280–283; LEVINE, Numbers 1–20, 419–420; NIHAN, Priestly Torah, 582–584; PROPP, Exodus 19–40, 475; SEEBASS, Numeri 11–22, 202.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
kommt.46 Auffällig ist dabei, dass in Ex 30,9 über die Verbformen der 2. Pers. Pl. (תעלו, V.9a; תסכו, V.9b) ein Adressatenwechsel gegeben ist, der bereits in Ex 30,8b vorbereitet ist und entgegen der in Ex 24,15–18; 25,1 definierten Redesituation der Heiligtumstora über Mose hinaus auch die Israeliten mit einbezieht, die auf diese Weise für den korrekten Kultvollzug auf dem Goldenen Altar mit verantwortlich gemacht werden, obwohl sie nur indirekt – vertreten durch Aaron – in das Kultgeschehen involviert sind. Vor allem aber wird ihnen damit das „fremde Räuchern“ – auch abseits des offiziellen Kults bzw. des Heiligtums – strikt untersagt.47 Zusammenfassend kommt Ex 30,9 damit eine zentrale hermeneutische Funktion zu. Der Vers unterstreicht zunächst die klare Differenzierung zwischen den beiden Altären, die für zwei unterschiedliche, einander ergänzenden Erscheinungsformen des legitimen Kultes stehen. Darüber hinaus aber wird über das Verbot der קטרת זרהein striktes Einhalten der Vorgaben aus Ex 30,(6.)7–8 – und damit das Praktizieren eines strikt torakonformen Kultes – eingefordert. 3. Versöhnung (Ex 30,10) In Ex 30,10 kehrt der Text zunächst (vgl.V.10a) zu der in Ex 25,1 vorgegebenen Redesituation einer JHWH-Rede an Mose auf dem Berg zurück. Inhaltlich aber kommt nach den Verboten in Ex 30,9 nun eine weitere gebotene Kulthandlung in den Blick, die als eigenständiger Vollzug neben dem in V.7– 8 thematisierten täglichen Rauchopfer-Tamid eingeführt wird. Das zentrale Stichwort des Verses ist die Wurzel כפר, die in V.10ab in Gestalt des Verbs כפר-pi. (‚Versöhnung erwirken‘) und in V.10a zusätzlich durch das Nomen כפריםbelegt ist. So tritt neben die Wurzel קטרin V.7–8(.9) in V.10 ein weiterer kultischer „Fachterminus“, der ebenfalls Leitwortcharakter gewinnt. Das Verb כפר-pi. in V.10ab ist jeweils mit der Zeitangabe ‚( אחת בשנהeinmal im Jahr‘) verbunden, die – wie die Zeitangaben in V.7–8 – auf eine Regelmäßigkeit hinweist, auch wenn in diesem Fall eine andere „Frequenz“ und Taktung zugrunde liegt, als bei den in V.7–8 behandelten täglichen Vollzügen. In Ex 30,10b findet sich – wie auch in V.8b – die Wendung ‚( לדרתיכםfür eure Generationen‘), die eine Verantwortlichkeit Israels für einen fortwäh46
Vgl. HEGER, Development, 82. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 561. Mit Blick auf die postulierte Entstehungssituation des Textes kann dieses vergleichsweise rigide Reglementieren (und v.a. Monopolisieren) des Räucherns auf eine große „Popularität“ dieser Kultform hinweisen, die u.a. auch in Num 16–17 greifbar wird. Diese wird von den hinter den Texten der Tora stehenden Kreisen als so problematisch (und potenziell heterodox) empfunden, dass sie das „fremde Räuchern“ zu einem todeswürdigen „Kultfrevel“ stilisieren (Lev 10,1; Num 17,5) bzw. grundsätzlich als verboten herausstellen (Ex 30,9). Vgl. HEGER, Development, 225–252; PROPP, Exodus 19–40, 475. 47
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
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renden, generationsübergreifenden Vollzug des „Versöhnung-Erwirkens“ an den Hörnern des Goldenen Altars (vgl. V.10a) andeutet. Zugleich wird damit – ebenfalls wie in V.8b – der Kreis der Adressaten der Rede über Mose hinaus auf (ganz) Israel ausgeweitet und so die in Ex 25,1 vorgegebene Redesituation der ersten Gottesrede erneut aufgebrochen. Die interessante Frage ist nun, welcher Vollzug genau in V.10 in den Blick kommt. Entscheidend ist dabei v.a. V.10a, in dem – neben der bereits angesprochenen „Taktung“ des Vollzugs (‚einmal im Jahr‘) und der Angabe des Akteurs (Aaron) – auch der genaue Ort des כפר-Rituals, die Hörner des Altars, sowie die für das Ritual benötigte Materie, „(etwas) vom Blut der ḥaṭṭā’t für das ‚VersöhnungErwirken‘“ ()מדם חטאת הכפרים, genannt werden. Innerhalb der ersten Gottesrede der Heiligtumstora (Ex 25,2–30,10) ist damit zunächst ein enger Bezug zu Ex 29,36–37, dem Abschnitt zur Weihe des Brandopferaltars, gegeben, in dem ebenfalls die Wurzel כפר-D als Leitwort fungiert und (wie in Ex 30,10) sowohl das Nomen כפריםals auch das Verb כפר-pi. belegt sind. Thema dieser Verse ist das anfängliche „Einsatzfähig-Machen“ des Brandopferaltars im Zusammenhang mit der Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–35.36–37), die als ein insgesamt siebentägiger Vollzug angelegt sind, der als solcher aber („nur“) einmalig zu vollziehen ist. Dem steht in Ex 30,10 eine jährlich (durch die Generationen hindurch) zu wiederholende Handlung am Rauchopferaltar gegenüber, die aber zumindest in einem zentralen Punkt eine Gemeinsamkeit mit dem in Ex 29,36–37 geschilderten Vorgang aufweist, da es jeweils um ein „Versöhnung-Erwirken“ (כפרpi.) an einem Altar geht, also um ein „Tauglich-Machen“, wobei in Ex 30,10 nicht ein einmalig-anfängliches, sondern ein regelmäßig zu wiederholendes behandelt wird. Die beiden Texte nehmen somit – was den Vorgang des כפרpi. an sich anbelangt – offenbar komplementäre Aspekte in den Blick, die allerdings im Zusammenhang mit je unterschiedlichen Altären dargestellt werden. Im Gesamt der Tora hingegen kann es naheliegend erscheinen, das jährliche „Versöhnung-Erwirken“ für den (Goldenen) Altar mit dem in Lev 16 angeordneten Ritual für den Jom Kippur in Zusammenhang zu bringen und Ex 30,10 entsprechend als (proleptischen) Verweis auf diesen Text zu interpretieren. Als Indiz dafür kann u.a. auch gelten, dass die Wendung חטאת הכפריםin V.10b ein weiteres Mal in Num 29,11 belegt ist, wo sie – wie aus dem Kontext erschließbar ist – die beiden in Lev 16 im Detail beschriebenen, „besonderen“ Entsündigungsopfer des Jom Kippur, den Stier für den Gesalbten Priester und sein Haus (Lev 16,11–14) und den Ziegenbock für das Volk (vgl. Lev 16,15–17), zusammenfasst. Und tatsächlich ist in Lev 16,18 ein Teilvollzug des Jom Kippur-Rituals beschrieben, der gut zu Ex 30,10 zu passen scheint. So wird angeordnet, dass Aaron, nachdem der das Blut beider Entsündigungsopfer im miškān an die Lade gesprengt hat, die nur an diesem Tag und nur zu diesem Zweck „zugänglich“ gemacht wird, hinausgehen soll
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
( )יצאzum Altar „vor JHWH“, um für diesen dadurch Sühne zu bewirken, dass er von dem Blut beider Entsündigungsopfer – mit Ex 30,10; Num 29,11 also dem – דם חטאת הכפריםringsum an die Hörner des Altars gibt. Ex 30,10 10a 10b 10c
וכפר אהרן על קרנתיו אחת בשנה מדם חטאת הכפרים אחת בשנה יכפר עליו לדרתיכם קדש קדשים הוא ליהוה
Lev 16,18
ויצא אל המזבח אשר לפני יהוה וכפר עליו ולקח מדם הפר ומדם השעיר ונתן על קרנות המזבח סביב
18a 18aR 18b 18c 18d
Angesichts der engen Parallelen zwischen Ex 30,10ab und Lev 16,18 kann nun die Vermutung naheliegen, dass in den beiden Versen letztlich derselbe Vorgang besprochen wird.48 Ein genauerer Blick jedoch zeigt, dass dies nicht der Fall sein kann, da in Lev 16,18 – auch wenn dort allgemein und unspezifisch von „dem Altar“ ( )המזבחdie Rede ist – nur der Brandopferaltar gemeint sein kann und nicht der in Ex 30,1–10 behandelte Rauchopferaltar49. Darauf weist zunächst die Aufforderung in Lev 16,18a hin, hinauszugehen ()יצא, also nach dem Abschluss der Blutrituale an und vor der Lade (Lev 16,11–16.17) den miškān zu verlassen.50 Folglich kann als Ort des nachfolgend geschilderten כפר-Ritus nur der im Vorhof des Heiligtums befindliche Brandopferaltar in Frage kommen. Darüber hinaus werden in Lev 16,20 alle כפר-Rituale des Jom Kippur unter der Formulierung „Versöhnung erwirken für das „Heilige“ und das Zelt der Begegnung und den Altar“ zusammengefasst, womit das „Heilige“ und das Zelt der Begegnung, die durch das Besprengen der Lade „gereinigt“ werden, als „Innenraum“ dem Altar im Vorhof gegenübergestellt sind. Von der Heiligtumstora her gelesen ist die in Lev 16,18–19 angeordnete Rekonsekration des Altars somit als ein Wiederholen des in Ex 29,36–37 thematisierten anfänglichen „Tauglich-Machens“ zu verstehen, das Sünden und Übertretungen Israels, die den Altar in seiner Funktion hemmen, beseitigt und so die im Weiheritual generierte Kultfähigkeit jedes Jahr neu restituiert.51 Für das in Ex 30,10 behandelte Ritual bedeuten diese Beobachtungen, dass dieses nicht einfach als ein Verweis auf eine Kulthandlung zu interpretieren ist, die später nochmals als Teilvollzug des in Lev 16 vorgestellten Jom Kippur-Rituals auftaucht. Stattdessen ist hier ein zu der Entsündigung des Brandopferaltars in Lev 16,18–19 analoger Vollzug am Rauchopferaltar im Blick, der in Lev 16 gar nicht erwähnt wird. Ex 30,10 bringt diesen somit (v.a.) als Ergänzung zu Lev 16 ein und fügt den in Lev 16 an keiner Stelle 48
Vgl. z.B. OWCZAREK, Wohnen, 37. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 585; JÜRGENS, Heiligkeit, 110. 50 Vgl. GANE, Cult, 77; HIEKE, Levitikus 16–27, 586. 51 Vgl. GORMAN, Ideology, 129; HIEKE, Levitikus 1–15, 350; JÜRGENS, Heiligkeit, 110–111. 49
E. Der Goldene Altar (Ex 30,1–10)
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angesprochenen Goldenen Altar – in kanonischer Leserichtung prospektiv – dem dort vorgestellten Gesamtritual hinzu. Der Logik der Sache nach aber setzt ein regelmäßiges Restituieren der Kulttauglichkeit des Goldenen Altars ein zu Ex 29,36–37 analoges Weiheritual voraus, in dem erstmals für den Altar Versöhnung erwirkt und dieser dadurch als funktionsfähiger Gegenstand in das Heiligtum eingegliedert wird. Ein solches wird in der Tora allerdings (für den Goldenen Altar) nicht explizit thematisiert und ist somit nur implizit aus den dargestellten Sachzusammenhängen abzuleiten. Umgekehrt hingegen impliziert – angesichts der engen Bezüge zwischen Ex 30,10 und Ex 29,36–37 – das Anordnen eines jährlich zu wiederholenden Entsündigungsrituals für den Goldenen Altar, dass ein analoger Vorgang auch am Brandopferaltar stattfinden muss, zu dem Ex 29,36–37 zunächst ja nur das erstmalige „Tauglich-Machen“ thematisiert, was Lev 16,18–19 tatsächlich bestätigt. Vor diesem Hintergrund aber sind die beiden „כפר-Texte“ der Heiligtumstora, Ex 29,36–37 und Ex 30,10, als zueinander komplementäre und aufeinander verweisende Passagen zu lesen, die ein einmalig-primordiales und ein regelmäßig wiederholtes (Wieder-)Tauglich-Machen aufeinander beziehen und darin zunächst einmal die Funktion der כפר-Rituale beleuchten. Die besondere Spannung besteht darin, dass die beiden komplementären Vollzüge, der anfänglich-einmalige und der wiederholte, auf die zwei, hinsichtlich ihrer Funktion klar differenzierten Altäre „aufgeteilt“ werden. Damit wird zunächst deutlich, dass die beiden, aufeinander aufbauenden Vollzüge des Kulttauglich-Machens und des fortwährenden Sicherns bzw. Restituierens der Kulttauglichkeit bei den Altären in gleicher Weise stattfinden müssen, die beiden Altäre einander in diesem Punkt also – ungeachtet der in Ex 30,9 dargestellten Differenzen in der konkreten Funktion – grundlegend gleichen. Mit Blick auf die Komposition der Heiligtumstora aber deutet die beschriebene Komplementarität zusammen mit den signifikanten Stichwortbezügen zwischen Ex 29,36–37; 30,10 darauf hin, dass beide Abschnitte wie ein „Rahmen“ um die Perikopen zu den Altären in Ex 29,38–46; 30,1–10 gelegt sind, der diese verklammert und miteinander verbindet. Zuletzt schließlich hat der „Ausblick“ auf den Jom Kippur bzw. der Hinweis auf einen „nur“ einmal jährlich stattfindenden Kultvollzug zur Folge, dass der in den Tamid-Texten in Ex 27,20–30,10 beleuchtete tägliche Kult zu ebenfalls regelmäßigen Ritualen im Fest- bzw. Jahreskreis in Relation gesetzt wird. Damit kommt (erstmals) eine Thematik in den Blick, die in Lev 23 und v.a. Num 28–29 wieder aufgenommen wird, um dort ausführlich und systematisch behandelt zu werden. Den Abschluss von Ex 30,10 (und auch von Ex 29,36–30,10 bzw. Ex 27,20–30,10 und Ex 25,2–30,10) markiert der Satz Ex 30,10c, der sich – indem er festhält, dass der Goldene Altar „hochheilig für JHWH“ (]…[ ליהוה
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
)קדש הקדשיםist52 – als deutliche Parallele zu Ex 29,37c erweist, wo dasselbe über den Brandopferaltar ausgesagt und als „Wirkung“ des in Ex 29,36–37b beschriebenen „כפר-Rituals“ profiliert ist. Mit Blick auf den Goldenen Altar selbst und den Kult auf diesem stellt Ex 30,10c heraus, dass beide Altäre des Heiligtums in gleicher Weise hochheilig und damit Orte größter Gottesnähe sind, an denen – wenngleich auch konkret je anders vollzogen – eine direkte Interaktion mit JHWH möglich ist. Zugleich unterstreicht Ex 30,10c aber auch den Bezug zwischen Ex 29,36–37 und Ex 30,10, der beide Abschnitte als einen Rahmen ausweist, der Ex 29,38–46; 30,1–10 umschließt und verbindet. Zuletzt aber ist „Heiligkeit“ auch eines der zentralen Themen, der in Ex 30,11–31,17 folgenden sechs weiteren Gottesreden der Heiligtumstora, so dass Ex 30,10 als Schlusssatz der ersten Gottesrede zugleich auch als eine thematische Brücke zum nachfolgenden Kontext erscheinen kann. Dies wird dadurch verstärkt, dass die Wurzel כפר, die in Ex 30,10 (und Ex 29,36–37) als Leitwort fungiert, auch in der unmittelbar auf Ex 30,10 folgenden zweiten Gottesrede Ex 30,11–16 (vgl. Ex 30,12b.15bI2.16cI) wieder aufgenommen wird.53
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17) F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17)
Die sechs kurzen Gottesreden, die an Ex 25,1–30,10 anknüpfen, kreisen – relativ knapp – um jeweils ein Thema, das in dieser Form zwar in der ersten Gottesrede nicht behandelt wurde und damit in gewisser Weise „neu“ ist, in allen Fällen aber an Motive und Inhalte anknüpfen kann, die in Ex 25,10– 30,10 von Bedeutung sind: Ex 30,11–16 Ex 30,17–21 Ex 30,22–33 Ex 30,34–38 Ex 31,1–11 Ex 31,12–17
(II) (III) (IV) (V) (VI) (VII)
Der Halb-Shekel als Abgabe der Israeliten Waschbecken Salböl Räucherwerk Handwerker Shabbat
Die Redeeinleitungen in Ex 30,11a–aI.17a–aI.22a–aI.34a.31,1a–aI.12a– aI[13a–aI], die die Unterteilung von Ex 30,11–31,17 in sechs separate Reden anzeigen und zugleich auf die Abgrenzung von Ex 25,2–30,10 hinweisen, sind weitgehend gleich gestaltet. In Ex 30,11.17.22; 31,1 findet sich die auch in Ex 25,1a–aI belegten Formulierung ‚( וידבר יהוה אל־משה לאמרUnd JHWH 52 Diese Deutung setzt voraus, dass das Pronomen הואin V.10c auf den Altar zu beziehen ist. Dies aber ist insofern naheliegend, als dieser auch das Referenzobjekt der Pronomina in V.10ab ist (vgl. על־קרנתיו, V.10a; עליו, V.10b). 53 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 477; SARNA, Exodus, 193.
329
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17)
sprach zu Mose [folgendermaßen:]‘). Auf diese Weise rufen sie die in Ex 24,12–18; 25,1 definierte Redesituation der Heiligtumstora erneut in Erinnerung und bewirken zugleich eine gleichförmige Reihung der Reden, die deren Zusammenhang deutlich unterstreicht.54 Abweichungen von dieser Formulierungen zeigen sich in Ex 30,34; 31,12. So ist in Ex 30,34 (‚ ;ויאמר יהוה אל־משהJHWH sagte zu Mose‘) an Stelle des Verbs דבר-pi. das weitgehend synonyme אמרgebraucht, während das in den übrigen Redeeinleitungen belegte לאמר, in dem diese Verbwurzel ja ebenfalls anklingt, fehlt. Damit wirkt Ex 30,34 wie eine „verkürzte“ Redeeinleitung, die eher auf einen (auch thematisch bedingten) Neueinsatz „im Reden“ als auf den Auftakt einer gänzlich neuen Rede hinweist. Damit ist ein enger Anschluss der durch V.34 eröffneten fünften Gottesrede (Ex 30,34–38) an die vorangehende vierte Rede (Ex 30,22–33) angezeigt, der durch die thematische Nähe der beiden Abschnitte zueinander zusätzlich untermauert wird, in denen jeweils „heilige Materie“ (Salböl bzw. Räucherwerk) behandelt wird.55 Darüber hinaus zeigen beide Reden einen grundsätzlich parallelen Aufriss, der v.a. zum Ende hin auch an beinahe identischen Formulierungen abzulesen ist: Redeeinleitung
Ex 30,22a–aI
„Rezeptur”
Ex 30,23–25
Ex 30,34a Ex 30,34b–35
ואתה קח לך בשמים ראש מר דרור חמש מאות וקנמן בשם מחציתו חמשים ומאתים וקנה בשם חמשים ומאתים
קח לך סמים נטף ושחלת וחלבנה סמים ולבנה זכה (V.34b)
(V.23)
ועשית אתו שמן משחת קדש רקח מרקחת מעשה רקח שמן משחת קדש יהיה
ועשית אתה קטרת רקח מעשה רוקח ממלח טהור קדש
(V.25a)
(V.35)
Verwendung
Ex 30,26–29 ()קדש
Ex 30,36 ()קדש
„Tabu”
Ex 30,31–33
Ex 30,37–38
54 55
על בשר אדם לא ייסך ובמתכנתו לא תעשו כמהו קדש הוא קדש יהיה לכם איש אשר ירקח כמהו ואשר יתן ממנו על זר ונכרת מעמיו
והקטרת אשר תעשה במתכנתה לא תעשו לכם קדש תהיה לך ליהוה איש אשר יעשה כמוה להריח בה ונכרת מעמיו
(V.32–33)
(V.37–38)
Vgl. JACOB, Exodus, 826. Vgl. JACOB, Pentateuch, 228.
330
Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Ex 30,34–38 (V) erscheint somit wie eine Fortführung von Ex 30,22–33 (IV), was die Aufteilung in zwei separate Reden durch die „reduzierte“ Redeeinleitung in V.34a – und auch die dadurch letztendlich erreichte Siebenzahl der Gottesreden in Ex 25–31 – als „künstlich“ bzw. bewusst gestaltet erweist. Die Einleitung der siebten Rede in Ex 31,12a–aI (;ויאמר יהוה אל־משה לאמר ‚und JHWH sagte zu Mose [folgendermaßen:]‘) formuliert – ähnlich wie Ex 30,34 – mit אמרstatt mit דבר-pi., entspricht ansonsten aber den übrigen („regulären“) Anredeformeln.56 In Ex 31,13 wird diese – wie nur noch die Einleitung der ersten Gottesrede (Ex 25,1) – durch die Weitergabeformel fortgeführt. Ein weiterer, ebenfalls vergleichbarer Übermittlungsauftrag aber findet sich in Ex 27,20a, wobei Ex 31,13 von der Formulierung her wie eine „Mischung“ aus beiden Texten, Ex 25,2 und Ex 27,20, erscheint.57 Dieses Anknüpfen sowohl an den Auftakt der ersten Gottesrede als auch an den Beginn der zweiter Hälfte derselben stellt die siebte Gottesrede ein Stück weit neben die erste, mit der auch die zweite bis sechste Rede eng verbunden sind. Auf diese Weise wird die siebte den vorausgehenden sechs Reden gegenüber gestellt, was zur Folge hat, dass die Siebenzahl der Reden in Richtung der „Shabbat-typischen“ 6+1-Anordnung ausgestaltet wird, die gut zu der in Ex 31,12–17 verhandelten Thematik des Shabbat passt. Unterstrichen wird dies auch inhaltlich-thematisch, wenn in Ex 31,12–17 die Thematik „Heiligtum“ (heiliger Ort), die die ersten sechs Reden verbindet, ein Stück weit aufgegeben ist und der Shabbat als „heilige Zeit“ in den Mittelpunkt rückt. Vor diesem Hintergrund kann die „außergewöhnliche“ Formulierung der Redeeinleitung als Indiz für die „Sonderstellung“ der siebten Gottesrede im Gesamt der Heiligtumstora gewertet werden.58 Inhaltlich bzw. thematisch deckt Ex 30,11–31,17 auf den ersten Blick ein recht breites und heterogenes Spektrum ab, das von einer Abgabe der Israeliten (Ex 30,11–16) über das Einführen eines weiteren Geräts für das Heiligtum (Ex 30,17–21) und über Vorgaben zur Herstellung von Salböl und Weihrauch (Ex 30,22–33.34–38) bis hin zum Bestellen der für den Bau benötigten Handwerker (Ex 31,1–11) reicht und in einer Shabbatvorschrift (Ex 31,12– 17) kulminiert. Bei genauerer Betrachtung aber sind durchaus thematische Leitlinien erkennbar, die die sechs kurzen Reden untereinander verbinden und zugleich auch einen Anschluss an die erste, wesentlich ausführlichere Gottesrede (und v.a. an deren zweite Hälfte, Ex 27,20–30,10) herstellen. Im Wesentlichen sind dabei zwei einander berührende Themen(komplexe) zu nennen, die je in verschiedene Richtungen ausgefaltet werden, zum Einen die Heiligkeit und der problematische Umgang mit dieser und zum Anderen die 56
Vgl. JACOB, Pentateuch, 233. Vgl. DURHAM, Exodus, 412; GROß, Zukunft, 73. 58 Vgl. DURHAM, Exodus, 412; GROß, Zukunft, 73; JACOB, Pentateuch, 233; DERS., Exodus, 842; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 124. 57
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17)
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Teilhabe Israels am Heiligtum bzw. allgemein an der Heiligkeit. Ein expliziter Bezug zum Tamid ist dabei nur in dem oben bereits eingehender besprochenen Vers Ex 30,36 auszumachen, der kompositorisch in etwa im Zentrum von Ex 30,11–31,17 steht. Daneben besteht eine interessante Verbindung zwischen Ex 31,12–17 und Ex 29,38–46, die oben ebenfalls bereits behandelt wurde. I. Heiligkeit und Heiligung „Heiligkeit“ ist innerhalb der ersten Gottesrede der Heiligtumstora v.a. im Abschnitt Ex 27,20–30,10 ein zentrales Thema, wenn z.B. in Ex 28–29 das Heiligen der Priester und (in Ex 29) auch das des Brandopferaltars verhandelt oder in Ex 29,37; 30,10 der „Status“ beider Altäre als „hochheilig“ bestimmt wird. In Ex 29,43–44 schließlich stellt JHWH heraus, dass er das Zelt und die Altäre sowie die Priester heiligt und der Eingang des Zelts der Begegnung als Ort des Brandopfer-Tamids durch die Herrlichkeit JHWHs als heilig erwiesen wird. In Ex 30,11–31,17 findet sich das Themenfeld „Heiligkeit“ einerseits in der vierten und fünften Gottesrede (Ex 30,22–33.34–38), wo mit Salböl und Räucherwerk „heilige Materie“ vorgestellt und zugleich das Salben mit dem Öl als Vorgang des Heiligens thematisiert wird. Andererseits aber spielt Heiligkeit und Heiligung auch in der siebten Gottesrede (Ex 31,12–17) eine zentrale Rolle, wenn der Shabbat als heilige Zeit profiliert und in Ex 31,13 zugleich die Heiligung Israels durch JHWH thematisiert wird. In all diesen Texten ist eine Perspektive bestimmend, die der Sache nach im Zusammenhang mit „Heiligkeit“ zentral ist, in Ex 27,20–30,10 aber kaum ausdrücklich zur Sprache kommt, nämlich das Absichern der Heiligkeit gegen Profanierung bzw. gegen einen unberechtigten Zugriff. 1. Der Schutz der Heiligkeit Ein wesentlicher Modus, der in Ex 30,11–31,17 den „Schutz“ der Heiligkeit garantieren soll, ist das Ankündigen negativer Tatfolgen für all jene, die für die Profanierung heiliger Gegenstände bzw. heiliger Zeiten verantwortlich sind. So wird z.B. in Ex 30,32–33.37–38 das Herstellen oder Verwenden von Salböl bzw. Räucherwerk, also von Materie, die für eine spezifische kultische Verwendung reserviert ist, oder vergleichbarer Mischungen für einen profanen Gebrauch (Ex 30,33.38) mit der karet-Sanktion bewehrt. Dies wird jeweils damit begründet, dass Salböl und Räucherwerk heilig sind (Ex 30,32) bzw. den Israeliten als heilig gelten sollen (Ex 30,32.37), so dass der irreguläre Gebrauch einem Eingriff in die Sphäre der Heiligkeit gleichkommt, die den Verursacher aus seinem (auf den heiligen Gott hin ausgerichteten und daher
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
„zwangsläufig“ in einem „geregelten Verhältnis“ zur Heiligkeit lebenden) Volk ausschließt.59 Aber auch beim Shabbat findet sich ein ähnlicher Zusammenhang, wenn Ex 31,14–15 das Arbeiten am Shabbat als Entweihen bzw. Profanieren ()חלל der heiligen Zeit interpretiert. Entsprechend wird – von der Formulierung her eng an Ex 30,33.38 angelehnt – als Tatfolge für den am Shabbat Arbeitenden die karet-Sanktion angekündigt. Ex 31,15c jedoch bringt eine zusätzliche Steigerung, die in dieser Form in Ex 30,33.38 nicht zu finden ist, wenn die Ankündigung der karet-Sanktion zu einer ausdrücklichen Androhung der Todestrafe ( )מותת יומתfür jeden, der am Shabbat Arbeit verrichtet, gesteigert wird. Das Stören der Shabbat-Ruhe zieht also einerseits den (Selbst)Ausschluss aus Israel nach sich, was damit korrespondiert, dass in V.16b–17a die Teilhabe Israels am Shabbat als wesentlicher Ausdruck der Bundesbeziehung zu JHWH zu fassen ist. Andererseits aber soll der profanierende Eingriff in die Heiligkeit des Shabbat, die seine Unterschiedenheit von den sechs Tagen der Woche aufhebt, die selbe Konsequenz haben wie eine Profanierung des Heiligtums bzw. ein Stören der vorgegebenen Ordnung desselben, nämlich den Tod des Verursachers.60 Im Zusammenhang mit dem „Schutz der Heiligkeit“ gehört zuletzt aber auch die zweite Gottesrede, Ex 30,17–21, obwohl in dieser das Stichwort ‚Heiligkeit‘ nicht fällt. So findet sich – im Anschluss an die Redeeinleitung in V.17 – zunächst die Anweisung, ein Waschbecken ( )כיורaus Kupfer herzustellen, dieses zwischen Altar und Zelt (im Vorhof) zu platzieren und mit Wasser zu füllen (V.18). In dieser Weise bereitgestellt, soll es Aaron und seinen Söhnen die Möglichkeit bieten, sich vor ihrem Dienst Hände und Füße zu waschen (V.19). In Ex 30,20–21b wird dies in zwei parallelen Satzfolgen weiter entfaltet. Ex 30,20aI–b 20aI1
20a 20b
Ex 30,20vI–21b
בבאם אל אהל מועד
ירחצו מים ולא ימתו
או בגשתם אל המזבח לשרת להקטיר אשה ליהוה ורחצו ידיהם ורגליהם ולא ימתו
20aI2 20aI2 I1 20aI2 I2 21a 21b
Unter engem Rückbezug auf Ex 28,43 und in gleicher Weise wie in diesem Vers vorgegeben, sind dabei zwei wesentliche „Einsatzbereiche“ der Priester differenziert, das Kommen ins Zelt der Begegnung (Ex 30,20aI), das mit dem
59
Vgl. dazu HOUTMAN, Incense, 462–465. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 289; HOUTMAN, Exodus 3, 589; KÖCKERT, Leben, 100–101. 60
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17)
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Kult an den dort befindliche Geräten (Leuchter, Tisch, Goldener Altar) verbunden ist, und das Herantreten an den Altar (Ex 30,20vI).61 In Ex 28,43 ist der Infinitivsatz ‚( לשרת בקדשim „Heiligen“ Dienst zu tun‘) letztlich auf beide „Tätigkeitsfelder“ der Priester bezogen und qualifiziert damit in gleicher Weise sowohl das Kommen ins Zelt als auch das Herantreten an den Altar als ein Dienst-Tun im unmittelbaren Kontakt mit Heiligkeit, zu dem der Priester durch seine „abschirmende“ bād-Bekleidung (vgl. Ex 28,42–43) befähigt wird. Dem gegenüber ist in Ex 30,20 der Infinitivsatz לשרת (‚um Dienst zu tun‘; Ex 30,20vI2I1) – das Stichwort ‚( בקדשim „Heiligen“‘) fehlt hier – allein auf das Herantreten zum Altar (vgl. Ex 30,20vI2) zu beziehen, das durch einen weiteren Infinitivsatz (V.20vI2I2), der in Ex 28,43 keine Parallele hat, zusätzlich näher bestimmt wird: Zum Altar hinzutreten bedeutet, eine Feuergabe für JHWH ( )אשה ליהוהaufrauchen (קטר-hi.) zu lassen. Die Wendung אשה ליהוהverweist auf Ex 29,18.25.41 und hier v.a. – da es um ein regelmäßiges Dienst-Tun geht – auf Ex 29,41. So ist das Hinzutreten zum Altar in erster Linie in Richtung des täglichen Opfers (Ex 29,38–46) konkretisiert, womit erstmals die Beteiligung der Priester an diesem Vollzug explizit gemacht wird, die in Ex 29,38–46 an keiner Stelle zur Sprache kommt. Ihre zentrale Aufgabe ist es, die Opfergaben zum Altar zu bringen bzw. diese dort in Rauch aufgehen zu lassen (קטר-hi.; vgl. auch Ex 29,13.18.25). Ex 30,20aI hingegen nimmt in der Formulierung ‚( בבואם אל־אהל מועדbei ihrem Kommen ins Zelt der Begegnung‘) v.a. auf Ex 28,29aI.30bI. 35bI Bezug, wo im Zusammenhang mit der Funktion und Bedeutung der Dienstkleider Aarons dessen „Repräsentationsaufgabe“ behandelt wird, die ihrerseits mit den Verrichtungen im „Heiligen“, d.h. an Leuchter und Goldenem Altar (vgl. Ex 27,20– 21; 30,7–8) verbunden ist. Auffällig ist damit, dass im Zusammenhang mit der Unterscheidung der beiden „Tätigkeitsfelder“ Aarons und seiner Söhne stets auch Verweise auf die jeweiligen Tamid-Vollzüge im „Heiligen“ bzw. am Altar anklingen. Zugleich wird (nochmals) eine klare Differenzierung zwischen dem Kult im Zelt und demjenigen am Eingang des Zeltes bzw. am Brandopferaltar betont, die – wie in der Auslegung von Ex 27,20–21; 29,38–46; 30,7–10 deutlich wurde – je unterschiedlich angelegt sind. Mit dem Aufstellen der Waschvorrichtung (kijjōr) aber, die zwischen Zelt und Altar platziert wird, also auf beide Einsatzorte bezogen ist und zugleich eine Differenzierung andeutet, manifestiert sich diese für die Systematik der Opfertexte zentrale Unterscheidung der beiden „Kultformen“ gleichsam in einem Gegenstand des Heiligtums.62 Über diese „symbolische“ Relevanz hinaus kommt der Waschvorrichtung allerdings auch eine praktische Funktion zu, die in Ex 30,20–21b jeweils in den Hauptsätzen zu den oben besprochenen Infinitivkonstruktionen themati61 62
Vgl. HARAN, Temples, 206; JACOB, Exodus, 903. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 567; JACOB, Pentateuch, 301.
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siert wird: Aaron und seine Söhne sollen sich mit Wasser (vgl. V.20a) ihre Hände und Füße (vgl. V.21a) waschen, was V.20b.21b mit der Zweckangabe verbindet, auf diese Weise eine mögliche Todesfolge zu vermeiden ()ולא ימתו. Damit wird allerdings ausdrücklich nicht (in einem juristischen Sinne) die Todesstrafe für eine Regelübertretung angedroht. Stattdessen kann sich der Paralleltext Ex 28,43 (vgl. auch Ex 28,35) als aufschlussreich erweisen, in dem das Sterben-Müssen (vgl. Ex 28,43c) mit einer Schuld ( )עוןverbunden ist, die Aaron und seine Söhne (möglicherweise) auf sich ziehen, wenn sie ohne ihre bād-Bekleidung das „Heilige“ betreten. Diese resultiert aus einer (unabsichtlichen) „Kontaminierung“ der Heiligkeit, die dadurch zu Stande kommt, dass (unbewusst) Unreinheit in den Bereich des „Heiligen“ hineingetragen bzw. mit diesem in Kontakt gebracht wird. Ein ähnlicher Zusammenhang ist nun auch für Ex 30,19–21 anzunehmen. Hier nämlich kann das Waschen der Hände und Füße, derjenigen Körperteile also, die während der Tätigkeit der Priester im Heiligtum unmittelbar mit dem Heiligen in Berührung kommen, dem Herstellen (und Absichern) von Reinheit und dem Beseitigen (ungewollt und unbewusst) „anhaftender“ (sekundärer) Unreinheiten dienen und so dazu beitragen, die Integrität des Heiligen zu bewahren.63 2. Das „Herstellen“ von Heiligkeit Neben dem Absichern der Heiligkeit gegen Profanierung oder Kontakt mit Unreinheit erweist sich schließlich auch das „Herstellen“ der Heiligkeit als ein wichtiges Thema in Ex 30,11–31,17. Dieses wird v.a. in der vierten Gottesrede (Ex 30,22–33) im Zusammenhang mit dem Salböl verhandelt, das Ex 30,26–30 zufolge dazu dienen soll, Heiligtum und Priester durch Salbung zu heiligen. Thematisch knüpfen diese Verse damit einerseits an Ex 28,1–5.41; 29,1–35.36–37 an, nehmen andererseits aber auch auf Ex 29,43b–44 Bezug. Die Auflistung aller Geräte und Bestandteile des Heiligtums, die mit dem Salböl zu salben sind (vgl. Ex 30,26–28), schließt an Ex 29,36c an. In diesem Vers nämlich findet sich der Auftrag, den Brandopferaltar zu salben, um ihn so zu heiligen, was in Ex 30,26–28 auf die Gesamtheit der Geräte bzw. das Heiligtum ausgeweitet wird. Die Wirkungen und Folgen der Salbung aber werden in Ex 30,29 – in enger Anlehnung an Ex 29,37b–d – festgehalten. Ex 30,26–29 bringt somit die bislang – was die Kultgeräte anbelangt – nur im Zusammenhang mit dem Brandopferaltar belegte Salbung als Modus der Übertragung von Heiligkeit in analoger Weise auf die Gesamtheit der Geräte zur Anwendung. Dies wird innerhalb des Exodusbuchs in der Gottesrede Ex 40,1–15 fortgeführt, in der Mose damit beauftragt wird, die fertig gestellten Geräte und Bestandteile des Zelts zum Heiligtum zusammenzufügen (vgl. Ex 40,2–8) und danach das Zelt und alles in ihm (Ex 40,9), den Altar und seine 63
Vgl. JACOB, Exodus, 904; PROPP, Exodus 19–40, 502.
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17)
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Geräte (Ex 40,10) sowie die Waschvorrichtung (Ex 40,11) zu salben, mit der Folge, dass der Altar hochheilig (Ex 40,10) und das Zelt und seine Geräte sowie die Waschvorrichtung heilig (Ex 40,9.11) werden. Interessant ist dabei, dass Ex 30,29 zufolge das Salben der Geräte deren Heiligung herbeiführt und so bewirkt, dass diese hochheilig ( ;קדש הקדשיםEx 30,29b) werden bzw. durch Kontakt Heiligkeit übertragen (Ex 30,29c). In Ex 29,37 und Ex 40,19 hingegen wird die gesteigerte Heiligkeit ()קדש הקדשים allein dem Brandopferaltar zugeschrieben, der damit klar vom Zelt, dessen Geräten und der Waschvorrichtung kijjōr unterschieden wird, die Ex 40,9.11 zufolge durch die Salbung „nur“ heilig, nicht hochheilig werden.64 Ex 30,29 scheint somit das in Ex 29,37 vom Brandopferaltar Ausgesagte pauschal auf die Weihe aller Kultgeräte und des Heiligtums zu übertragen.65 Dabei ist das in Ex 30,29 Festgestellte bei einigen der Kultgegenstände durchaus zutreffend, da die Lade mit Kapporet (vgl. Ex 26,33–34) und auch der Goldene Altar (vgl. Ex 30,10c) durchaus als hochheilig gelten. Bei anderen Bestandteilen des Heiligtums aber, z.B. dem Zelt und seiner Holzkonstruktion, ist kaum sinnvoll anzunehmen, dass ihnen eine gesteigerte Heiligkeit zukommt und auch die Waschvorrichtung (kijjōr) sollte – wenn sie wie dargestellt die Reinheit der Priester vor Dienstantritt sicherstellen und unbewusst anhaftende Unreinheit von Händen und Füßen beseitigen soll – selbst nicht bereits durch Kontakt Heiligkeit übertragen können, da ansonsten schon die Berührung mit ihr gegebenenfalls genau die negativen Folgen herbeiführen würde, die die Weisung in Ex 30,17–21 eigentlich verhindern möchte. Der Status von Tisch und Leuchter mitsamt ihrer Geräte wird außerhalb von Ex 30,27 nicht geklärt, so dass er letztlich auch nicht präzise bestimmt werden kann. Faktisch aber kann eine gesteigerte Heiligkeit (wie bei dem mit ihnen verbundenen Goldenen Altar) ebenso plausibel erscheinen, wie eine mit ihrem Standort im „Heiligen“ kongruierende „normale“ Heiligkeit.
Somit erweist sich die in Ex 30,26–29 vollzogene pauschale Anwendung der Aussagen zur Salbung des Altars aus Ex 29,36 auf die Gesamtheit der Geräte und Bestandteile des Heiligtums als durchaus spannungsreich, wobei festzuhalten ist, dass diese Spannung im Verlauf der Lektüre des Exodusbuchs und seiner Heiligtumstexte mit Ex 40,9–11 wieder ausgeglichen wird, wenn dort eine relativ präzise Differenzierung zwischen dem hochheiligen Altar und Zelt bzw. kijjōr, die als heilig gelten, vorgenommen wird. 3. Die Heiligkeit des Shabbat Das in Ex 30,11–31,17 bestimmende Themenfeld „Heiligkeit“ kulminiert in der siebten Gottesrede (Ex 31,12–17) mit dem Shabbatgebot, in dem der 64 65
Vgl. JÜRGENS, Heiligkeit, 227. Eine andere Deutung bietet JACOB, Exodus, 836.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
siebte Tag grundlegend als heilig für Israel (V.14b) und zugleich als heilig für JHWH (V.15b) bestimmt wird. Damit ist die Vorstellung verbunden, dass im (gemeinsamen) Bewahren des Shabbat die Gemeinschaft zwischen Israel und seinem Gott manifest und zugleich immer neu gestiftet wird, weshalb der Shabbat mit Ex 31,13.17 auch als Zeichen für den Bund zwischen JHWH und Israel interpretiert werden kann. Ermöglicht wird diese Teilhabe des Volks an der Heiligkeit des Shabbat durch JHWH, der Israel heiligt (vgl. Ex 31,13d). Heiligkeit ist somit zunächst Gabe JHWHs, die Gemeinschaft mit JHWH im Bewahren des Shabbat ermöglicht, aus der heraus aber auch der Auftrag erwächst, den Shabbat im Unterlassen von Arbeit und damit im bewussten Unterschieden von den sechs Tagen der Woche (vgl. V.14–15) aktiv und bewusst zu vollziehen.66 In dieser Theologie des Shabbat wird einerseits das in Ex 28–29 (und Ex 30,26–30) bestimmende Motiv des Heiligens fortgeführt – allerdings in einer Weise, die den Rahmen des bisher Verhandelten sprengt bzw. verschiebt. In Ex 28–29; 30,26–30 nämlich kommt die Heiligung der Kultgeräte bzw. des Heiligtums an sich sowie die des Kultpersonals in den Blick, die damit dem (profanen) Volk gegenüberstehen, das von den heiligen und hochheiligen Bereichen des Heiligtums weitgehend separiert wird und dort über Aaron und dessen Gewänder repräsentiert werden muss (vgl. Ex 28). In Ex 31,12–17 hingegen findet sich die Vorstellung einer Heiligung ganz Israels, die freilich nicht mit einer räumlichen Konkretisierung der Heiligkeit verbunden ist und damit keine räumliche Separation einfordert. Stattdessen ist die heilige Zeit des Shabbat im Blick, die Israel durch das Unterscheiden des siebten von den sechs Tagen der Woche im Unterlassen der Arbeit bewahren kann. Das verbindende Moment zwischen der in Ex 25,1–31,11 verhandelten Heiligkeit „im Raum“ und dem Shabbat als „Heiligtum in der Zeit“ aber liegt darin, dass das eigentliche Anliegen der Texte stets diejenigen Wege sind, die – unter Bewahrung der Heiligkeit – gelingende Gemeinschaft und Begegnung zwischen Israel und JHWH eröffnen. II. Die Partizipation der Israeliten Damit ist in Ex 31,12–17 zugleich das zweite Thema präsent, das den gesamten Abschnitt Ex 30,11–31,17 durchzieht, die Frage nach der Teilhabe Israels am Heiligtum bzw. an der Heiligkeit, die im Fall des Shabbat in dessen Bewahren und der darin realisierten „intimen“ Gottesgemeinschaft Israels gegeben ist. In etwas anderer Weise aber ist diese Thematik auch in der zweiten bis sechsten Gottesrede (Ex 30,11–31,11) präsent, wo sie in verschiedenen Richtungen entfaltet wird.
66
Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 280–281.
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17)
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So ist in der vierten und fünften Gottesrede (Ex 30,22–33.34–38) im Verbot eines profanen oder profanierenden Gebrauchs von Salböl oder Räucherwerk eher eine „Nichtteilhabe“ im Blick, da den Israeliten (vgl. den Vermittlungsauftrag in Ex 30,31a–aI) hier ausdrücklich eine Nutzung heiliger Materie untersagt wird. Darüber hinaus jedoch tritt das Motiv in den Gottesreden III–V, in denen der Schutz des Heiligen vor Profanierung im Mittelpunkt steht, eher in den Hintergrund, ist dafür aber umso prominenter in den Gottesreden II (Ex 30,11–16) und VI (Ex 31,1–11) belegt, in denen umgekehrt die Heiligkeitsthematik keine Rolle spielt. Damit erscheinen die Gottesreden II/VI wie ein Rahmen um III–V, während die Gottesrede VII (Ex 31,12–17) beide Stränge zusammenführt. Ex 30,11–16 (II) behandelt eine besondere Abgabe der Israeliten für das Heiligtum, während Ex 31,1–11 (VI) auf die Handwerker verweist, die letztendlich die Herstellungsanweisungen der Heiligtumstora umzusetzen haben und dazu von JHWH in besonderer Weise befähigt sind. 1. „Lösegeld“ (Ex 30,11–16) Die zweite Gottesrede, Ex 30,11–16, behandelt eine Abgabe, die in Ex 30,12 einleitend in einem Temporal- bzw. Konditionalgefüge thematisiert wird. Dieses verweist in der Protasis (V.12a) auf ein „Erheben der Kopfzahl“ ( נשא )ראשder Söhne Israels „nach ihren Gemusterten“ ()לפקדיהם, setzt also eine das gesamte Volk tangierende Volkszählung bzw. Musterung als situativen Kontext der Abgabe voraus.67 Die Abgabe selbst aber wird in der Apodosis (V.12b–cI) eingeführt, die festhält, dass jeder ein „Lösegeld“ ( )כפרfür sein Leben bzw. seine Lebenskraft ( )נפשgeben solle (V.12b), damit – so V.12c – kein Schlag gegen das Volk geführt bzw. keine Plage verhängt werde. Beides, das Geben des ( כפרV.12b) und der zu vermeidende Schlag (V.12c) aber werden über die gleichlautenden Infinitivsätze Ex 30,12bI.cI ( )בפקד אתםan das in V.12a angedeutete Geschehen der Musterung rückgebunden. Hintergrund der Forderung nach einer Zahlung, die als ‚( כפרLösegeld‘) für das eigene Leben bzw. die eigene Lebenskraft ( )נפשqualifiziert wird,68 ist dabei wohl die (u.a. auch in 2Sam 24; 1Chr 21 belegte) Vorstellung, wonach eine Musterung, d.h. eine zahlenmäßige Erfassung (ganz) Israels einem illegitimen Zugriff auf ein „Herrschaftswissen“ JHWHs gleichkommt, das Menschen verschlossen bleiben muss, und das somit in die Souveränität JHWHs eingreift. Ein Versuch der Aneignung dieses Wissens zieht eine Strafe nach sich, die den Zählenden – in 2Sam 24 bzw. 1Chr 21 David –, darüber hinaus
67
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 562; JANOWSKI, Sühne, 161. Zu den theologischen Hintergründen der Lösegeld–Vorstellung vgl. z.B. JANOWSKI, Auslösung (v.a. 11–27). 68
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
aber auch die Gezählten trifft.69 Um dieser Strafe, dem in Ex 30,12c erwähnten Schlag ()נגע, zu entgehen, ist von jedem in der Musterung Erfassten eine Zahlung zu leisten, die – wie ihre Benennung als כפרandeutet – Versöhnung erwirken soll.70 Was aber die in V.12a angedeutete Zählung anbelangt, so ist diese wohl mit der in Num 1; 4 thematisierten Volkszählung in Verbindung zu bringen.71 Immerhin findet sich die Wendung ‚( נשא ראשdie Kopfzahl erheben‘) auch in Num 1,2 im Zusammenhang mit dem Auftrag, die Israeliten am Sinai zu mustern, sowie in Num 1,49 verbunden mit dem (vorläufigen) Verbot, die Leviten in dieser Musterung mit zu erfassen und schließlich in Num 4,2.22, wenn Mose den Befehl erhält, eine separate Zählung der levitischen Sippen vorzunehmen. Der Hinweis auf die Gemusterten aber (vgl. )לפקדיהםfindet sich vielfach in Num 1–4.72 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die Anordnung der Abgabe in Ex 30,11–16 mit der in Num 1–4 befohlenen und umgesetzten Musterung des Volkes in Zusammenhang zu bringen, die mit einer Organisation des Lagers Israels (Num 1) bzw. dem Festlegen einer Marschordnung (Num 2) verbunden ist und darauf abzielt, das Heiligtum auch „geographisch“ in das Zentrum des Volkes zu rücken. Zugleich fällt auf, dass in Num 1–4 von einem Einziehen der in Ex 30,11–16 angeordneten Abgabe keine Rede ist. Dafür setzt ein weiterer Text, Ex 38,25–38, voraus, dass die Israeliten das im Zusammenhang mit der Musterung zu erhebende „Lösegeld“ abgeführt haben, ohne dass im Kontext der Stelle auf die Musterung oder den Vorgang des Erhebens der Abgabe selbst näher eingegangen würde. Die Gesamtsumme des eingenommenen Silbers wird in Ex 38,25 mit 100 kikkār und 1775 Shekel Silber angesetzt, was bei einem Satz von ½ Shekel pro Kopf 603.550 Gemusterten entspricht (vgl. Ex 38,26). Genau dieselbe Zahl aber findet sich in Num 1,45–46 als Gesamtzahl der in der Musterung am Sinai erfassten (männlichen) Israeliten im Alter über 20 Jahren, so dass über Ex 38,25–28 tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Ex 30,11–16 und Num 1 greifbar wird.73 Die Zahlung selbst wird in Ex 30,13–15 näher spezifiziert, wobei V.13 zunächst ihre Höhe festlegt: Jeder, der sich der Musterung unterzieht, gibt ½ Shekel nach dem genormten Shekel-Gewicht des Heiligtums, das die Heiligtumstora hier voraussetzt, ohne es dezidiert eingeführt zu haben. Verbunden damit bietet V.13d eine – zur Interpretation der Zahlung als ‚( כפרLöse69
Vgl DOHMEN, Exodus 19–40, 276; FISCHER/MARKL, Exodus, 311; HOUTMAN, Exodus 3, 562–563; JANOWSKI, Sühne, 162; DERS., Auslösung, 24; SARNA, Exodus, 195. 70 Vgl. JACOB, Exodus, 830–832. Vgl. ähnlich PROPP, Exodus 19–40, 534–536. 71 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 312; NIHAN, Priestly Torah, 33. 72 Vgl. Num 1,21.23.25.27.29.31.33.35.37.39.41.43; 2,4.13.15.19.21.23.26.28.30; 3,22.34.43; 4,36.40.44. 48. Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 536–537. 73 Vgl. FISHBANE, Census, 103–105; JACOB, Pentateuch, 283; 290; DERS., Exodus, 827; 829–830; NIHAN, Priestly Torah, 33.
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geld‘) alternative bzw. ergänzende – Deutung als ‚( תרומה ליהוהAbgabe für JHWH‘; vgl. תרומת יהוהin V.14.15b). Als eine solche tritt der ½ Shekel neben die in Ex 25,1–7 geforderte (für den Einzelnen freiwillige) ‚( תרומהAbgabe‘) und auch neben die in Ex 27,20 etablierte Ölkollekte, die allerdings nie explizit als „Abgabe“ ( )תרומהbezeichnet wird.74 Ex 30,14 legt den Kreis der zu Musternden (und damit derer, die die תרומת יהוהzu leisten haben) auf alle Männer über 20 Jahre fest,75 während V.15 bestimmt, dass die Summe von ½ Shekel pro Person – ungeachtet der ökonomischen Situation der Gemusterten – weder über- noch unterschritten werden darf, so dass letztlich allen exakt dieselbe Summe als Abgabe / Lösegeld auferlegt wird und damit auch eine gleiche (gleichgewichtige) Repräsentation aller durch die gezahlte Abgabe gewährleistet ist.76 Abschließend spielen die zwei von Ex 30,15b abhängigen Infinitivsätze V.15bI1.bI2 nochmals die beiden alternativen bzw. einander ergänzenden Deutungen der Zahlung als „Abgabe für JHWH“ ( ;תרומת יהוהV.15bI1; vgl. V.13d) bzw. als „Lösegeld“, das für die נפשder Gemusterten Versöhnung erwirkt (כפר-pi.; V.15bI2; vgl. V.12b), ein.77 Beide Facetten werden im Vers Ex 30,16 verbunden, in dem die Verwendung des bei der Musterung erhobenen Geldes deutlich gemacht wird: Mose soll dieses nehmen und für die ‚( עבדת אהל מועדArbeit am/im Zelt der Begegnung‘; V.16b) verwenden. Auf diese Weise kann die Abgabe für die Israeliten zum „Andenken“ bzw. zur „Vergegenwärtigung“ ( )זכרוןvor JHWH (vgl. V.16c) werden. Ex 30,16bc fokussiert somit auf den Aspekt der Teilhabe (ganz) Israels am Heiligtum bzw. der Repräsentation des Volkes im Heiligtum durch die geleistete Abgabe.78 Entscheidend für eine Interpretation der Sätze aber ist die Bedeutung der Wendung עבדת אהל מועד. Geht es hier um die Arbeit am Zelt der Begegnung, also um den (einmaligen) Vorgang des Aufbauens und der Herstellung oder eine „Arbeit“ im Zelt im Sinne eines (regelmäßigen) Dienstes?79 Vom Wortlaut der Formulierung her sind beide Alternativen denkbar, so dass die plausiblere Interpretation aus dem Kontext heraus zu ermitteln ist. Besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang v.a. der oben bereits angesprochenen Textpassage Ex 38,25–28 zu, die das Einziehen der Abgabe voraussetzt, in V.25 die aufgebrachte Gesamtsumme auf 100 kikkār und 1775 Shekel Silber(geld) beziffert und schließlich in V.27–28 die Verwendung dieses Silbers thematisiert. So werden die 100 kikkār für die Sockel ( )אדניםder Holzkonstruktion des miškān (vgl. Ex 26,19.21.25) und der Parochet (vgl. Ex 26,32) aufgewendet (vgl. Ex 38,27), während die verbliebenen 74
Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 564–565; JACOB, Exodus, 827. Vgl. dazu analog Num 1,3. 76 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 312; JACOB, Exodus, 831. 77 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 566; JANOWSKI, Sühne, 161–162. 78 Vgl. FISHBANE, Census, 106–107. 79 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 479–480. 75
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
1775 Shekel für die Aufhängungen ( )ווund die Verbindungselemente ()חשקים der Säulen des Vorhofs (vgl. Ex 27,10–11.17) gebraucht werden.80 Die Abgabe wird also vollständig in den Bau des Heiligtums investiert, wobei aus ihr sämtliche silbernen Teile des miškān hergestellt werden können. Damit setzt Ex 38,25–28 voraus, dass das im Heiligtum verbaute Silber allein und zur Gänze durch das „Lösegeld“ der Musterung aufgebracht wurde und folglich auch nicht im Zuge der in Ex 25,2–7 von JHWH angeordneten und in Ex 35 durchgeführten Abgabe für den Bau des Heiligtums eingesammelt wird.81 Auffällig ist allerdings, dass Silber sowohl in der Rede des Mose vor dem Volk (Ex 35,4– 19) unter den in der Kollekte herbeizuschaffenden Gegenständen und Materialien genannt wird (vgl. Ex 35,5), als auch in der Auflistung der daraufhin von den Israeliten bereitgestellten Gaben (Ex 35,24). Es gibt also sehr wohl zusätzliches Silber(geld), das nicht für die architektonischen Bestandteile des Heiligtums verwendet werden muss und deshalb wohl (ohne dass der Text näher darauf eingeht) für weitere Aufgaben bzw. Aufwendungen übrig bleibt.
Weiterhin ist interessant, dass beim Silber als einzigem der drei in den Listen (und Herstellungsanweisungen) von Ex 25–31 erwähnten Metalle – Gold, Silber und Kupfer –, keine klare Zuordnung zu den einzelnen Räumen bzw. Bereichen des Heiligtums auszumachen ist. Das (reine) Gold ist im „Heiligen“ und „Hochheiligen“ zu finden – und zwar als Verkleidung der Holzkonstruktionen ebenso, wie bei den Kultgeräten dieser Räume – während das Kupfer als das Metall des Vorhofs und seiner Geräte (vgl. Ex 27,19) fungiert. Das Silber jedoch scheint hier außen vor zu sein und wird somit hinsichtlich seiner kultischen Wertigkeit deutlich von Gold und Kupfer abgesetzt. Umso mehr jedoch kann es diejenige Funktion wahrnehmen, die ihm in Ex 30,16c zugesprochen wird, nämlich an die Israeliten, d.h. an das von seinem kultischen Status her profane Volk, zu erinnern bzw. sie vor JHWH zu vergegenwärtigen. So werden aus dem in Zusammenhang mit der Musterung als „Lösegeld“ bzw. „Abgabe für JHWH“ erhobenen Silber im wahrsten Sinne des Wortes tragende, an keiner Stelle ausdrücklich mit Heiligkeit assoziierte, aber dennoch dem Raum des „Heiligen“ unmittelbar nahekommende Teile hergestellt. Auch diese repräsentieren (neben vielem anderen) das Volk im Heiligtum bzw. genauer in der konkreten Architektur desselben, so dass die silbernen Bauelemente (ihrer symbolischen Funktion nach) neben die Kultvollzüge oder die Darstellung Israels durch die Steine auf den Gewändern Aarons treten.82
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Vgl. FISHBANE, Census, 104; MILGROM, עבדה, 39; PROPP, Exodus 19–40, 536. Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 312; JACOB, Exodus, 828–829; PROPP, Exodus 19– 40, 480; 536. 82 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 312; JACOB, Exodus, 831; PROPP, Exodus 19–40, 536. 81
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17)
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Eine Verwendung der Silberabgabe für den Kultbetrieb – eine mögliche Interpretation der Wendung עבדת אהל מועדin V.16b – ist damit ganz offenkundig nicht im Blick und damit auch (noch) keine regelmäßige (jährliche?) „Tempelsteuer“, aus der sowohl die kommunalen Opfer, d.h. v.a. das Tamid und die Zusatzopfer für die Festtage (vgl. Num 28–29), als auch die Instandhaltung des Heiligtums finanziert werden können.83 Andererseits aber wird Ex 30,11–16 schon innerhalb des TaNa“K in diesem Sinne, d.h. als Anordnung einer (regelmäßigen) Abgabe für das Heiligtum und seinen Bedarf interpretiert. So regt 2Chr 24,6.9 zufolge der König Joasch an, die משאת משה (‚Erhebung / Abgabe des Mose‘) von den Bewohnern Judas und Jerusalems einzuziehen, um so die finanzielle Grundlage für die nach der Herrschaft Ataljas notwendig gewordenen Ausbesserungsarbeiten am Tempel zu schaffen. In 2Chr 24,9 aber wird zur Erklärung der Bezeichnung משאת משהfestgehalten, dass diese Abgabe den Israeliten bereits von Mose in der Wüste auferlegt worden sei, was letztlich nur als Hinweis auf Ex 30,11–16 verstanden werden kann.84 Ein ähnlicher Fall liegt auch in Neh 10,33–34 vor. Diese Verse gehören in den Kontext der Selbstverpflichtung des Volkes auf die Weisung JHWHs nach der Fertigstellung der Mauern Jerusalems (Neh 10), in deren Rahmen sich das Volk u.a. auch auferlegt, ⅓ Shekel pro Jahr für die עבדת בית אלהינו (‚Dienst am Haus unseres Gottes‘) zu geben (Neh 10,33). Die Einkünfte aus dieser Abgabe sind sowohl für die kommunalen Opfer – das Brot des Angesichts, die regelmäßige minḥā (vgl. Ex 29,39–41), das regelmäßige Brandopfer und die Zusatzopfer für Shabbat und Festtage (vgl. Neh 10,34) – als auch für die ‚( מלאכת בית אלהינוArbeit am Haus unseres Gottes‘; Neh 10,34), d.h. für Instandhaltungsarbeiten u.ä., zu verwenden.85 Auf Ex 30,11–16 verweist hier, dass die Selbstverpflichtung des Volkes auf das Abführen des ⅓-Shekels in Neh 10,33 mit der Formulierung ‚( העמד מצוהGebote aufrichten‘) verbunden wird, womit die Abgabe letztendlich auf die Tora des Mose zurückgeführt wird, in der wiederum allein in Ex 30,11–16 von einer Geldzahlung für das Heiligtum die Rede ist. Des Weiteren erinnert die Wendung עבדת בית אלהינו, mit der der „Verwendungszweck“ des eingezogenen Geldes umschrieben wird, an die Formulierung עבדת אהל מועדin Ex 30,16b. Ein auffälliges Abweichen von Ex 30 aber ist insofern gegeben, als in Neh 10,33–34 anstatt des Halbshekels ein Drittelshekel festgelegt wird. Außerhalb des TaNa“K ist eine Tempelsteuer breit bezeugt, wobei die ausführlichste Darstellung in der rabbinischen Literatur vorliegt. So bietet der Mishnatraktat Shekalim eine breite halachische Entfaltung von Ex 30,11–16, in der Zeitpunkt und Modi des Einziehens der Abgabe ebenso diskutiert werden, wie die Verwendungsmöglichkeiten und der 83
Vgl. JACOB, Exodus, 832–833. Vgl. dazu auch JANOWSKI, Auslösung, 23. Vgl. JAPHET, 2 Chronik, 298–299; MILGROM, עבדה, 44. 85 Vgl. HIEKE, Esra, 231; MILGROM, עבדה, 44–45; OWCZAREK, Wohnen, 38. 84
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
halachische Status des eingesammelten Geldes bzw. der Kreis der zur Zahlung Verpflichteten. Dabei ist greifbar, dass der ½-Shekel nicht nur den Opferdienst und den Unterhalt der Gebäude sicherstellen soll, sondern – wie in der biblischen Grundlage – auch eine (gleichberechtigte) Teilhabe aller Israeliten am Heiligtum gewährleistet.
Auch wenn die regelmäßige Abgabe für den Tempel, die in der weitergehenden halachischen Entfaltung aus Ex 30,11–16 abgeleitet wird, im biblischen Text selbst ausdrücklich nicht im Blick ist – und v.a. angesichts der Verbindung des ½-Shekels mit der Musterung in V.12 auch nicht im Blick sein kann – muss in der Heiligtumstora und v.a. in den Tamid-Texten (v.a. in Ex 29,38– 46) letztlich doch eine der späteren „Tempelsteuer“ vergleichbare Abgabe implizit vorausgesetzt sein. Denn immerhin sind z.B. die Opfergaben des Brandopfer-Tamids ausdrücklich als Gabe ganz Israels qualifiziert, was in der Praxis eine vom gesamten Volk (paritätisch?) gefüllte Kasse verlangt, aus der die Gaben finanziert werden können. Daneben weist die in Ex 27,20 vorgeschriebene Ölspende der Israeliten auf eine Naturalienabgabe hin, die ebenfalls dazu dient, für den Kult benötigte Materie bereitzustellen. Interessant aber ist, dass die Heiligtumstora diese „Tempelsteuer“, die sie implizit voraussetzt, nicht explizit festschreibt und so „institutionalisiert“, sondern lediglich eine einmalige – über V.12 zunächst fest mit einem am Sinai lokalisierten Ereignis verbundene – Erhebung anordnet. Entsprechend ist es in der weiteren Auslegungsgeschichte, in der Ex 30,11–16 zur halachischen Grundlage einer jährlichen Abgabe transformiert wird, nötig, das Konditionalgefüge in V.12 zu „sedieren“ bzw. konkret V.12 und die darauf nochmals Bezug nehmenden Infinitivsätze V.12bI.cI auszublenden, die eine Verbindung der Abgabe mit der Musterung Israels in der Wüste andeuten. Im Zusammenhang damit tritt auch die mit der Musterung verknüpfte Deutung des ½-Shekels als „Lösegeld“ ( ;כפרvgl. Ex 30,12b.15bI2. 16cI) zurück, während die Interpretation als ‚( תרומת יהוהAbgabe für JHWH‘) umso bestimmender wird. Spannend aber ist nun, dass dieses notwendige „Sedieren“ von V.12(a) bereits im biblischen Text selbst angelegt ist. Denn immerhin lässt das [‚( כי תשאimmer?] wenn du erhebst‘…) in V.12a – auch wenn dieses angesichts der Bezüge zu Ex 38,25–28; Num 1–4 zunächst mit der Musterung des Volkes am Sinai (vgl. Num 1) zu verbinden ist – Raum für wiederholte Musterungen, die dann jeweils durch die Zahlung eines „ כפרabgesichert“ werden müssen.86 Ein erstes Beispiel hierfür wäre die zweite Musterung nach dem Ende der Wüstenwanderung in Num 26, in deren Zusammenhang allerdings die in Ex 30,11–16 vorgeschriebene Abgabe ebenso wenig erwähnt wird, wie in Num 1–4.87 Das im Zusammenhang mit der zweiten
86
Vgl. ähnlich JACOB, Exodus, 831; PROPP, Exodus 19–40, 537. FISHBANE (Census, 105–107) verbindet Ex 30,11–16 mit Num 31. In diesem Kapitel übergeben die Israeliten nach dem erfolgreichen Kriegszug gegen die Midianiter einen 87
F. Ausblick und Abschluss (Ex 30,11–31,17)
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und möglichen weiteren Musterungen aufgebrachte Silber(Geld) aber ist dann nicht mehr für den Bau des Heiligtums nötig, sondern kann für dessen Unterhalt verwendet werden. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, mit Ex 30,16c auch den Beitrag der Söhne Israels zum Unterhalt des Heiligtums und zur Finanzierung der kommunalen Opfer als זכרון לפני יהוהzu deuten, was allerdings – wie dargestellt – im Text von Ex 30,11–16 selbst bestenfalls im Keime angelegt ist und erst in seiner Wirkungs- und Auslegungsgeschichte zur vollen Entfaltung kommt.88 2. Handwerker (Ex 31,1–11) Der zweite Textabschnitt, der die Teilhabe Israels behandelt, ist Ex 31,1–11. In diesen Versen werden mit Bezalel ben Uri ben Hur aus dem Stamm Juda (V.2b) und Oholiab ben Achisamakh aus dem Stamm Dan (V.6a) zwei Handwerker benannt, die von JHWH in besonderer Weise zur Ausführung der bei Aufbau des Heiligtums anfallenden Arbeiten befähigt sind (vgl. V.3.6b). Das Volk hat also auch insofern Anteil am Heiligtum (und dessen Herstellung), als sich aus seinen Reihen diejenigen Handwerker rekrutieren, die das Zelt und die Geräte in all ihren in Ex 25–27 genannten und beschriebenen Teilen herstellen. In Ex 31,3 ist dabei ein interessanter Bezug zum Vers Ex 28,3 gegeben, in dem JHWH Mose auffordert, alle, die weisen Herzens sind ( )כל־חכמי לבund die JHWH mit dem Geist der Weisheit angefüllt hat, mit der Herstellung der Priestergewänder (gemäß den in Ex 28,6–43 entfalteten Vorgaben) zu beauftragen.89 Während Ex 28,3 aber lediglich auf Ausführende (neben Mose) hinweist und diese hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Begabungen charakterisiert, verbindet Ex 31,1–6 dies mit konkreten Namen, Bezalel und Oholiab. Zugleich aber werden beiden Handwerkern jeweils Aufgabenbereiche zugeschrieben. So ist Bezalel v.a. mit dem Bearbeiten der Metalle, der Steine und des Holzes betraut (vgl. Ex 31,4–5). Oholiabs „Fachgebiete“ werden zwar in Ex 31,6 nicht genannt, doch wird aus Ex 35,35 (38,22) ersichtlich, dass er v.a. für die Verarbeitung der Textilien zuständig ist. Oholiab ist damit einer der in Ex 28,3 genannten „Weisen“; wie der dort belegte Plural vermuten lässt, aber wohl nicht der einzige. Folglich ist aus dem Nebeneinander von Ex 28,3 und Ex 31,1–6 abzulesen, dass Bezalel und Oholiab zwar in herausragender Position tätig sind und daher als „Hauptverantwortliche“ gelten können, dass sie aber bei weitem nicht die einzigen Handwerker sind, die am Bau des Heiligtums mitwirken. Dies ist auch in Ex 36,1–2 vorausgesetzt, wo neben Bezalel auf weitere Handwerker verwiesen wird, die wie er mit entspreAnteil ihrer Kriegsbeute an das Heiligtum, wobei dem Einziehen der Abgabe ebenfalls eine Musterung der aus dem Krieg zurückgekehrten vorausgeht (vgl. Num 31,49–54). 88 Vgl. auch ACHENBACH, Vollendung, 535–536. 89 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 315–316.
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
chenden Talenten und Fähigkeiten begabt sind. Die über das Aufbauen gegebene Teilhabe Israels am Heiligtum hat folglich ein wesentlich breiteres „Fundament“ als „nur“ die beiden mit Namen vorgestellten „Bauleiter“.90 Die zweite Hälfte der sechsten Gottesrede, Ex 31,6c–11, bietet schließlich eine ausführliche Zusammenstellung der herzustellenden Gegenstände, erscheint in gewisser Weise also als eine „Auftragsliste“. Diese ist durch die beinahe gleichlautenden Sätze in V.6c–cR.11a–aR umrahmt, die auf alles, was JHWH dem Mose befohlen hat (vgl. )כל־אשר צויתך, d.h. – gleichsam selbstreferenziell – auf die Heiligtumstora selbst verweisen, die Grundlage und Richtschnur für das Machen der Handwerker ist.91 So findet sich in Ex 31,6c–cR die Formulierung ‚( ועשו את כל־אשר צויתךsie sollen alles machen, was ich dir befohlen habe‘), die in erster Linie Vollständigkeit einfordert: Alle ( )כלin den vorausgehenden Gottesreden beschriebenen Geräte, Bauelemente und Gewänder, die nachfolgend in V.7–11 nochmals aufgelistet werden, sind herzustellen. Ex 31,11a–aR aber fokussiert nicht auf das ‚Was‘, sondern – ergänzend dazu – auf das ‚Wie‘: Die vorangehend aufgelisteten Gegenstände sind „gemäß allem, was ich dir befohlen habe“ ( )ככל־אשר צויתךanzufertigen, d.h. gemäß den in der Heiligtumstora übermittelten Weisungen JHWHs. Auf diese Weise wird ihre Umsetzung während des Bauens als eine spezielle Form der „Exegese“ des in Ex 25–31 dargelegten Gotteswillens qualifiziert, zu der die Handwerker durch JHWH befähigt sind (vgl. V.3.6b).92 Ex 31,7–11vI selbst kann in drei Teilabschnitte untergliedert werden. Zunächst verweisen die Verse Ex 31,7–9 auf das Zelt und seine Geräte, wobei die in Ex 25,10–27,19 besprochenen Gegenstände aufgelistet sind. Allein der Vorhof (Ex 27,9–19) wird nicht explizit erwähnt und ist möglicherweise unter dem Stichwort ‚( אהל מועדZelt der Begegnung‘) mit subsummiert. Der Goldene Altar (Ex 30,1–5) und die Waschvorrichtung (Ex 30,18–19) hingegen sind jeweils an der passenden Stelle angeführt. In der Gesamtanlage aber ist eine Kategorisierung und Systematisierung greifbar.93 So folgen auf das Zelt der Begegnung, das wohl für die gesamte Architektur des Heiligtums steht, zunächst die Lade und die Kapporet, wobei letztere über den Relativsatz Ex 31,7vR klar der Lade zugeordnet ist. Diese wird als ‚( ארון לעדותLade für die ʽedūt‘) tituliert – eine bislang in der Tora noch nicht belegte Bezeichnung –, wodurch in V.7v–vR letztendlich das in Ex 25,21–22 ausführlicher behandelte Zueinander der drei Elemente Lade, Kapporet und ʽedūt angedeutet wird. Die restlichen Kultgeräte neben der Lade sind insofern von dieser abgehoben, als sie in V.7 zunächst in der Formulierung ‚( ואת כל־כלי האהלund alle 90
Vgl. JACOB, Exodus, 839–840; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 164–165. Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 316; JACOB, Exodus, 839–840. 92 Vgl. UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 164. 93 Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 316. 91
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[übrigen] Geräte des Zelts‘) zusammengefasst (und der Lade gegenübergestellt) werden und erst in V.8 im Einzelnen aufgelistet sind. So werden hier – in der Reihenfolge ihres Vorkommens in der ersten Gottesrede – Tisch, Leuchter, jeweils mit ihren Geräten, sowie der Goldene Altar genannt. Eine eigene Gruppe neben den „übrigen Geräten des Zelts“ bilden schließlich in V.9 der Brandopferaltar und die Waschvorrichtung, die sich beide im Hof des Heiligtums befinden. In V.10 wird auf die Priestergewänder verwiesen, die allerdings – anders als die Kultgeräte in V.7–9 – nicht einzeln aufgelistet sind. Stattdessen bemüht der Text lediglich die bereits in Ex 28,4 angewandte Unterscheidung zwischen den Gewändern der Heiligkeit für Aaron (vgl. Ex 28,6–39) und den Gewändern für die Söhne Aarons (vgl. Ex 28,40). Vor diesen beiden aber wird – als eine dritte Größe ? – auf ‚( בגדי השרדserad-Gewänder‘) verwiesen. Der Terminus בגדי השרדist in Ex 31,10 erstmals in der Tora belegt und findet sich darüber hinaus nur noch in Ex 35,19; 39,41. In den drei Texten werden die בגדי השרדin Auflistungen jeweils vor den Gewändern Aarons und denjenigen seiner Söhne genannt, wobei sie in Ex 35,19; 39,41 jeweils mit dem Infinitivsatz ‚( לשרת בקדשum im „Heiligen“ Dienst zu tun‘) verbunden sind bzw. durch diesen erklärt werden. Damit besteht zunächst die Möglichkeit, an allen drei Stellen das וvor בגדי השרדals epexegetisches וzu interpretieren. Entsprechend wäre בגדי השרדgleichsam ein „Überbegriff“, unter dem die Gewänder Aarons und diejenigen seiner Söhne als „Dienstgewänder“ zusammengefasst sind.94 Daneben besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass die בגדי השרדals eine dritte Kategorie von Priestergewändern neben den in Ex 28 fungieren. Dabei wäre besonders an Texte wie Lev 6,3; 16,4 zu denken, in denen eine besondere (bād-)Gewandung vorausgesetzt ist, die der Priester beim morgendlichen Reinigen des Altars (Lev 6,3) bzw. Aaron beim Betreten des Heiligtums am Jom Kippur (Lev 16,4) trägt und die jeweils klar von der „üblichen“ Dienstbekleidung unterschieden wird (vgl. die Kleiderwechsel in Lev 6,3–4; 16,23–24). Die rabbinischen Ausleger schließlich sehen in den בגדי השרדdie in Num 4 (ohne weitere Einführung und Herstellung) auftauchenden „Stoffhüllen“, in die die Geräte des Heiligtums beim Transport eingehüllt werden.95
Komplettiert wird die Liste schließlich in V.11 durch die „heilige Materie“, Salböl und Räucherwerk. Ex 31,7–11 bietet somit letztlich – über das Aufzählen sämtlicher Bestandteile des Heiligtums – nochmals einen resümierenden und alle Einzelelemente integrierenden „Schnelldurchlauf“ durch die gesamte Heiligtumstora. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Ex 30,11–16; 31,1– 11 in mehrfacher Hinsicht Anteil und Teilhabe des Volks am Heiligtum deutlich herausstellt: Das Heiligtum wird Ex 31,1–6 zufolge von Israeliten erbaut, die JHWH dazu befähigt hat – allen voran von Bezalel und Oholiab. Daneben sind die silbernen Elemente des Heiligtums, für die das „Lösegeld“ bzw. die 94
Vgl. HARAN, Temples, 172–173; PROPP, Exodus 19–40, 490. Vgl. dazu auch BENDER, Sprache, 202–204; JACOB, Exodus, 840; PROPP, Exodus 19– 40, 490. 95
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Kapitel 2: Tamid-Vollzüge in der Heiligtumstora (Ex 25-31)
Musterungsabgabe der Israeliten verwendet wird, ein in Architektur sichtbar werdender Hinweis auf eine gleichberechtigte Teilhabe (ganz) Israels am Heiligtum JHWHs. Der Anstoß zum Heiligtumsbau hingegen geht ebenso wenig vom Volk oder seinen Eliten aus, wie diese das „Was“ und „Wie“ der Herstellung vorgeben können. Im Gegenteil: Ex 31,6.11 schärft nochmals ein, dass allein die Weisung JHWHs, d.h. die Heiligtumstora in Ex 25–31, die maßgebliche und autoritative Grundlage der Herstellung (und des Betriebs) des Heiligtums darstellt. Bau und Betrieb sind somit Inbegriff eines Handelns gemäß der Weisung JHWHs. Das Zelt der Begegnung erweist sich gleichermaßen als ein Heiligtum Israels – in dem Sinne, dass Israel in seiner Gesamtheit das Heiligtum errichtet und trägt – und als Heiligtum JHWHs, dessen Willenskundgabe die Gestalt des Heiligtums bestimmt. Diese Vorstellung eines „Volksheiligtums“ aber, wie sie in Ex 30,11–16; 31,1–11 (25,2–9) skizziert wird, bildet letztlich die Grundlage und Voraussetzung für die in Ex 27,20–30,10 (und hier v.a. in den Tamid-Texten) reflektierten Konzepte einer Interaktion und Kommunikation zwischen JHWH und Israel im Rahmen des Kultes – sei es über die symbolische Repräsentation des Volkes in den Gaben des Brandopfer-Tamids und das sich in dessen Vollzug ereignende Begegnen JHWHs am Eingang des Zelts, sei es über das „Zur-Darstellung-Bringen“ eines idealen Israel auf den Gewändern Aarons während des Kults im „Heiligen“. Diese Kommunikation und Interaktion im regulären und regelmäßigen Kult erscheint als Fortführung des Zusammenwirkens von JHWH und Israel beim Bau des Heiligtums und damit zuletzt auch als ein Vollzug, in dem sich ein einmaliges, am Sinai verortetes Gründungsgeschehen durch die Geschichte Israels hindurch regelmäßig „wieder-holt“. III. Resümee und Ausblick In dem ausführlichen Durchgang durch die Heiligtumstora ist deutlich geworden, dass v.a. im zweiten Hauptteil der ersten Gottesrede (Ex 27,20– 30,10) regelmäßige Kultvollzüge am Leuchter und an den beiden Altären eingeführt, interpretiert und – sowohl in Ex 27,20–30,10 selbst, als auch in den nachfolgenden „kleinen“ Gottesreden Ex 30,11–31,17 – theologisch eingehend reflektiert werden. Zugleich konnte plausibel werden, dass den Tamid-Texten eine zentrale Funktion innerhalb der Heiligtumstora zukommt bzw. das Tamid selbst das eigentliche Ziel bzw. die Sinnspitze des in Ex 25– 31 geforderten Heiligtumsbaus (vgl. Ex 25,8–9) ist. Die dem Tamid damit zukommende wesentliche Bedeutung ist auch in denjenigen Kontexten der Tora greifbar, die auf Ex 27,20–30,10 und das dort Behandelte nochmals Bezug nehmen, es mit neuen Kontexten verbinden und inhaltlich vertiefen. Thematisch sind dabei zwei Linien zentral:
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(1.) Zum einen finden sich mit Ex 40; Lev 8(–10); Num 7,1–8,4 Texte, die von (ersten) Umsetzungen des in Ex 27,20–30,10 Gebotenen berichten. (2.) Zum anderen aber bieten auch in andere – in der kanonischen Anordnung spätere – Rechtskorpora Anweisungen zu Tamid-Vollzügen (vgl. Lev 6,1–6; 12–16; 24,1–9; Num 28,3–8), die z.T. Textpassagen aus der Heiligtumstora (annähernd) wörtlich aufnehmen und so ihren Rückbezug auf die „Grundlegung“ in Ex 27–30 deutlich ausweisen. Zugleich zeigen diese Texte aber auch alternative Schwerpunktsetzungen und bieten folglich andere – konkurrierende oder ergänzende – Deutungen der beschriebenen Kultvollzüge an. Im Folgenden ist beiden „Linien“ nachzugehen, wobei zunächst die unter (1.) angesprochenen narrativen Tamid-Texte zu behandeln sind.
Kapitel 3
Tamid und Kultinauguration Die narrativen Tamid-Texte der Tora sind in den drei Perikopen Ex 40,16– 33(.34–35); Lev 8–10; Num 7,1–88.89–8,4 zu finden, die aus komplementären Perspektiven und mit je eigener Schwerpunktsetzung die „Inbetriebnahme“ und Weihe des Heiligtums, des Altars und der Priester behandeln, also die Inauguration des Kultes am Sinai thematisieren. So ist in Ex 40,23.25.27.29 davon die Rede, dass Mose – im Zuge des Aufbaus des miškān (vgl. Ex 40,16–33) – am Tisch (vgl. Ex 40,23a), am Leuchter (vgl. Ex 40,25a), am Goldenem Altar (vgl. Ex 40,27b) und am Brandopferaltar (vgl. Ex 40,29b) jeweils diejenigen Tamid-Rituale vollzieht, die gemäß Ex 27–30 für diese vorgeschrieben sind. In Lev 9,17c wird die Darbringung einer עלת ‚( הבקרMorgenbrandopfer‘), d.h. des morgendlichen Brandopfer-Tamids, angedeutet und zuletzt konstatiert Num 8,3 eine (erste) Ausführung des Leuchterdienstes durch Aaron. Eine differenzierte Beschreibung einzelner Ritualelemente bzw. Handlungsschritte findet sich allerdings in keinem der genannten Texte. Stattdessen beschränken sie sich darauf, knapp die Ausführung eines Rituals zu konstatieren bzw. in einigen Fällen sogar nur anzudeuten. Für die Lesenden bedeutet dies, dass sie die Hinweise in den Texten letztlich nur dann verstehen können, wenn sie sich die entsprechenden präskriptiven Passagen aus der Heiligtumstora (Ex 25–31) in Erinnerung rufen, während sie umgekehrt zumindest zu Fragen des praktischen Vollzugs keine zusätzlichen Informationen gewinnen, die sie nicht auch den präskriptiven Tamid-Texten entnehmen können. Konstitutiv für die narrativen Texte ist somit der Rückbezug auf die präskriptiven Tamid-Texte. Um die spezifischen Akzentsetzungen der relevanten Verse genauer fassen zu können, sind im Folgenden die drei aufeinander verweisenden Perikopen Ex 40,16–33(.34–35); Lev 8–10; Num 7,1–88.89–8,4 genauer in den Blick zu nehmen, wobei der Fokus auf die Darstellung und die Kontextualisierung der Tamid-Vollzüge zu legen ist. Zuvor jedoch ist zunächst auf Ex 40,1–15 einzugehen, eine Gottesrede, die der Fabel der Tora zufolge den unmittelbaren „Anstoß“ für das in Ex 40,16–33.34–35; Lev 8–10; Num 7,1–88.89–8,4 dargestellte Geschehen der Kultinauguration liefert.
A. Der Auftrag JHWHs (Ex 40,1–15)
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A. Der Auftrag JHWHs zum Aufbau des miškān (Ex 40,1–15) A. Der Auftrag JHWHs (Ex 40,1–15)
Ex 40 markiert den Abschluss des letzten Buchteil des Exodusbuches (Ex 35– 40), in dem der Aufbau des Heiligtums – und damit die Umsetzung der Anweisungen aus der Heiligtumstora (Ex 25–31) – behandelt wird. Nach einer (auslegenden) Übermittlung des Shabbatgebots (Ex 31,12–17) an die Israeliten durch Mose (Ex 35,1–3) wird dabei zunächst die in Ex 25,2–7 geforderte Abgabe für das Heiligtum erhoben (Ex 35,4–29). Anschließend beauftragt Mose die in Ex 31,1–11 eingeführten Handwerker (Ex 35,30–36,7) damit, die in Ex 25,10–27,19 beschriebenen Geräte und Bestandteile des Heiligtums (Ex 36,8–38,31) sowie die in Ex 28 besprochenen Priestergewänder (Ex 39,1–31) herzustellen. In Ex 39,32–43 werden die fertiggestellten und nochmals vollständig aufgezählten (vgl. Ex 39,34–41) Stücke nach Abschluss aller Arbeiten zu Mose gebracht, von diesem „begutachtet“ und für „torakonform“, d.h. den Anweisungen JHWHs exakt entsprechend, befunden (vgl. Ex 39,42–43).1 Damit ist der Abschluss der Herstellung der Teilelemente des Heiligtums und seiner Geräte kenntlich gemacht, was zur Folge hat, dass mit Ex 40,1 der Beginn eines neuen Unterabschnitts anzusetzen ist, in dem nun nicht länger das handwerkliche Herstellen der einzelnen Bestandteile des miškān, sondern v.a. das Zusammenfügen derselben zu einem großen Ganzen im Fokus steht. Ex 40 selbst ist dabei durch zwei Sinneinheiten bestimmt: Zunächst findet sich in Ex 40,1–15 eine Gottesrede an Mose, in der JHWH den Aufbau des miškān anordnet, zugleich aber auch auf dessen Einweihung vorausblickt.2 Diesen Anweisungen stellt Ex 40,16–33 einen Ausführungsbericht gegenüber, der in die kurze Notiz von Ex 40,34–35 einmündet, die den Einzug der Herrlichkeit JHWHs in das neu errichtete Heiligtum thematisiert und somit auch das Gelingen des Bauvorhabens „dokumentiert“.3 Den Abschluss des Kapitels bilden die Verse Ex 40,36–38, die als proleptisches Element die Wüstenwanderungen Israels einblenden, die in der Fabel der Tora erst mit Num 10 fortgeführt werden.4 I. Die Beauftragung des Mose Der Auftakt der Gottesrede – und damit auch der Einsatz eines neuen Teilabschnitts – wird durch die Anredeformel in Ex 40,1 angezeigt, die das Nachfolgende als eine (neuerliche) Rede JHWHs an Mose ausweist. Diese selbst kann entlang ihrer bestimmenden Themen in zwei Teile untergliedert werden. 1
Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 378; OWCZAREK, Wohnen, 50–51. Zum Bezug zwischen Ex 40,43 und Gen 1,31 vgl. JANOWSKI, Tempel, 223–224. 2 Vgl. OWCZAREK, Wohnen, 51. 3 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 598. 4 Zu den Prolepsen im Exodusbuch und ihrer Funktion vgl. DOHMEN, Exodus 1–18, 65– 67.
350
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Die Verse Ex 40,2–8 kreisen um den Aufbau des miškān, während Ex 40,9– 15 auf unterschiedliche Salbungsakte fokussiert und damit das Geschehen der Heiligtums- und Priesterweihe in den Blick nimmt.5 1. Das Aufrichten des miškān (Ex 40,2–8) 2 3a 3b 4a 4b 4c 4d 5a 5b 6 7a 7b 8a 8b
Am Tag des ersten Monats, am ersten des Monats, sollst du die Wohnstätte des Zelts der Begegnung ( )משכן אהל מועדaufrichten. Du sollst dort die Lade des Zeugnisses abstellen und über der Lade abdecken mit der Parochet und den Tisch herbeibringen und seine Anordnung ( )ערךanordnen ()ערך und die Menora herbeibringen und ihre Lampen ( )נרותemporheben (עלה-hi.) und den Goldenen Altar für das Räucherwerk vor die Lade des Zeugnisses stellen und den Vorhang des Eingangs für die Wohnstätte ( )משכןaufstellen und den Brandopferaltar vor den Eingang der Wohnstätte des Zelts der Begegnung ( )משכן אהל מועדgeben und den kijjōr zwischen das Zelt der Begegnung und den Altar geben und dort(hinein) Wasser geben und den Hof ringsum aufstellen und den Vorhang geben als Tor des Hofs. (Ex 40,2–8)
Der erste Abschnitt der Gottesrede (Ex 40,2–8) ist durch den Auftrag JHWHs an Mose aus Ex 40,2 bestimmt, den ‚( משכן אהל מועדmiškān des Zelts der Begegnung‘) aufzurichten (קום-hi.). Als Datum hierfür legt JHWH den ersten Tag des ersten Monats, d.h. des Monats Nissan (vgl. Ex 12,1–2), im ersten Jahr nach dem Exodus fest (01.01.02). Israel eröffnet somit das erste Jahr nach seiner Befreiung mit dem Aufbau des Heiligtums. Auffällig ist auch die in Ex 40,2 gewählte Bezeichnung משכן אהל מועד (‚miškān des Zelts der Begegnung‘), in der die beiden Begriffe, die in Ex 25– 31 das Heiligtum bezeichnen, ‚miškān‘ und ‚Zelt der Begegnung‘, in einer Konstruktusverbindung aufeinander bezogen sind. Dabei fokussiert der Terminus ‚miškān‘, der in der Heiligtumstora nur in Ex 25,9.10–27,19 zu finden ist, vorrangig auf die Zeltkonstruktion (als „Architektur“), während der Begriff ‚( אהל מועדZelt der Begegnung‘), der erstmals in Ex 27,21 auftaucht und in Ex 27,20–31,17 vorherrschend ist, vor allem auf die Funktion und Bedeutung des Heiligtums als Ort der Begegnung von JHWH und Israel hinweist.6 Allein über die Benennung des Heiligtums in Ex 40,2 werden somit zwei Zielrichtungen des an Mose übermittelten Auftrags deutlich: Zunächst geht es darum, das in Ex 26,1–30 beschriebene Zelt (miškān), d.h. das zentrale Archi5 6
Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 379. Vgl. z.B. GÖRG, Zelt, 34–39; HENDRIX, Use, 4; 11–12.
A. Der Auftrag JHWHs (Ex 40,1–15)
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tekturelement des Heiligtums, aufzurichten. Dann aber sind die übrigen, in Ex 25–27 beschriebenen und in Ex 36–38 hergestellten Geräte so im bzw. vor dem Zelt zu platzieren, dass das Heiligtum als אהל מועדfungieren und funktionieren kann. Damit ist Ex 40,2 einmal als „Überschrift“ zu lesen, unter der die nachfolgenden Einzelschritte (vgl. V.3–8) subsumiert werden können, andererseits aber benennt der Vers mit dem Aufbau des miškān, d.h. der Zeltarchitektur, zugleich auch den ersten dieser Einzelschritte, auf den die in Ex 40,3–8 dargestellten folgen. Syntaktisch sind die Verse Ex 40,3–8 als eine durchgehende Reihung von we=qaṭal-Sätzen gestaltet, was bedeutet, dass sie als Abfolge von nacheinander auszuführenden Anweisungen zu lesen sind,7 die nach dem Aufbau des miškān Schritt für Schritt die Platzierung der Kultgeräte vorgeben und so das Anliegen verfolgen, die Konstitution des Gesamtensembles des Zelts der Begegnung anzuleiten. Den Anfang macht dabei – ebenso wie in Ex 25,10– 27,19 – die Lade, die im Innersten des Zeltes ihren Platz finden soll und dort den „Kern“ des Heiligtums bildet (Ex 40,3a). Ausgehend von diesem Zentrum folgt die Rede schließlich einem „Weg“ durch das Heiligtum, der vom „Hochheiligen“ über das „Heilige“ in den Vorhof führt und in Ex 40,8 bei der Vorhofbegrenzung und deren Tor endet. Eine zentrale Rolle kommt den separierenden Vorhängen zu, der Parochet (Ex 40,3b), dem māsakh am Eingang zum miškān (Ex 40,5b) und dem Tor ( )שערdes Hofs (Ex 40,8b), die – wie in Ex 26,33–37; 27,16 vorgegeben – v.a. für das Abgrenzen der verschiedenen Räume innerhalb des Heiligtums, Vorhof, „Heiliges“ und „Hochheiliges“, essenziell sind. Zugleich ist angedeutet, dass das Nacheinander der Gegenstände in Ex 40,3–8 auch deren Platzierung im Heiligtum reflektiert: So separiert die Parochet (Ex 40,3b) zwischen der Lade (Ex 40,3a) auf der einen und dem Tisch (Ex 40,4ab), der Menora (Ex 40,4cd) und dem Goldenem Altar (Ex 40,5a) im „Heiligen“ auf der anderen Seite, während der māsakh am Eingang zum miškān (Ex 40,5b) die Geräte im „Heiligen“ und den Brandopferaltar (Ex 40,6) bzw. den kijjōr (Ex 40,7) im Vorhof voneinander trennt. Das Tor zum Hof schließt zuletzt das Heiligtum (als Ganzes) von einem (vorerst) nicht näher spezifizierten „Außen“ ab, in dem mit Num 1–2 das umgebende Lager der Israeliten konstituiert werden wird. Interessant ist zudem, dass die beiden Altäre – ergänzend zu diesem allein über die Textabfolge angedeuteten spacing – mit Hilfe der Präposition לפני (‚vor‘) auch explizit im Heiligtum verortet bzw. zu anderen Kultgegenständen in Relation gesetzt werden. So ist der Goldene Altar „vor der Lade der ʽedūt“ ( )לפני ארון העדותabzustellen (vgl. Ex 40,5a), womit die Gottesrede zunächst auf die Lokalisierung des Altars in Ex 30,6 rekurriert, zugleich aber auch die dort greifbare „Transparenz“ der Parochet andeutet, die „Hochheiliges“ und „Heiliges“ nicht nur voneinander scheidet, sondern zugleich auch als vermit7
Vgl. GESENIUS §112a; JOÜON/MURAOKA §119c.e.
352
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
telnde Größe zwischen der Lade der ʽedūt im „Hochheiligen“ und den Geräten des „Heiligen“ (hier des Goldenen Altars) fungiert. Der Brandopferaltar hingegen findet „vor dem Eingang zum miškān des Zelts der Begegnung“ ( ;לפני פתח משכן אהל מועדEx 40,6) seinen Platz. In dieser Ortsangabe wird einerseits die bereits in Ex 40,2 belegte Verbindung der beiden Begriffe ‚miškān‘ und ‚Zelt der Begegnung‘ nochmals aufgenommen, andererseits aber klingt die Formulierung ‚( פתח אהל מועדEingang zum Zelt der Begegnung‘) aus Ex 29 nach, die dort den Raum der gottesdienstlichen Vollzüge während der Priesterweihe (vgl. Ex 29,4.11.32) sowie den Ort der Darbringung des Brandopfer-Tamids (Ex 29,42) bezeichnet. Was nun den (künftigen) gottesdienstlichen Gebrauch der Altäre anbelangt, so ist dieser lediglich implizit über ihre jeweilige Benennung im Text angedeutet, was beim inneren Altar insofern deutlich greifbar ist, als dieser – auf Ex 30,1 anspielend – als ‚( מזבח הזהב לקטרתGoldener Altar für das Räucherwerk‘; vgl. Ex 40,5a) eingeführt wird. Der äußere Altar hingegen trägt – wie in Ex 27,1 – die Bezeichnung ‚Brandopferaltar‘ ( ;מזבח העלהvgl. Ex 40,6). Eine ausdrückliche Anordnung, an den beiden Altären kultische Handlungen auszuführen, findet sich in Ex 40,5a.6 jedoch nicht. Anders scheint dies bei Tisch und Leuchter zu sein, auf die der Vers Ex 40,4 eingeht. Hier nämlich ist das Platzieren im Heiligtum, das in V.4a.c in zwei exakt parallel gestalteten Sätzen mit je dem selben Verb בוא-hi. (‚hineinbringen‘) angeordnet wird, jeweils mit einer ergänzenden Anweisung verbunden, auf die beiden Kultgegenstände weitere Objekte „aufzulegen“ (Ex 40,4b.d). So erhält Mose in Ex 40,4b den in einer figura ethymologica gefassten Auftrag, die „Anordnung“ [des Tisches] „anzuordnen“ ()ערך ערכו. Hinter der hier angesprochenen „Anordnung“ ( )ערךkann sich nur das in Ex 25,30 erwähnte „Brot des Angesichts“ ( )לחם פניםverbergen, das auf dem Tisch aufzuschichten ist. Der Vorgang des Auflegens selbst wird dabei interessanterweise mit dem Verb ערךumschrieben, das in der Heiligtumstora (ausschließlich) mit dem Ausführen des Leuchter-Tamids (vgl. Ex 27,21a) verbunden ist.8 In Ex 40,4d wiederum ist – in Anlehnung an Ex 25,37b; 27,20bI – vom Emporheben bzw. Anzünden (עלה-hi.) der Lampen ( )נרתder Menora die Rede. Der Sache nach bleibt allerdings unscharf, ob diese Formulierung auf den in Ex 27,20–21 beschriebenen Tamid-Vollzug am Leuchter hindeutet oder ob eher (mit Ex 25,37) das Aufsetzen der in Ex 25,37a in Auftrag gegebenen Öllämpchen ( )נרתim Blick ist, so dass es letztendlich v.a. um das „Zusammenfügen“ der Menora aus den separat gefertigten Teilen – dem aus einem Stück gefertigten „Gestell“ und den sieben Lämpchen – geht. Der Plural נרת, der auf eine größere Nähe zu Ex 25,37 hinweist, lässt die zweite 8
Das Verb ערךumschreibt auch in Lev 24,5–9, der einzigen Perikope der Tora, die das Tamid auf dem Tisch ausführlicher behandelt, den Vorgang des Auflegens der Brote, so dass in Ex 40,4 bereits ein Vorverweis auf diese Textstelle gegeben ist.
A. Der Auftrag JHWHs (Ex 40,1–15)
353
Option als die wahrscheinlichere erscheinen, was wiederum nahelegt, das Verb עלה-hi. in diesem Zusammenhang eher mit ‚emporheben‘ als mit ‚anzünden‘ zu übersetzen.9 Damit aber ist auch im Hinblick auf Ex 40,4b zu fragen, ob in diesem Satz tatsächlich der Vollzug einer Kulthandlung am Tisch angeordnet werden soll oder ob das Aufschichten der Brote nicht eher als Vorgang des Komplettierens bzw. als Zusammenfügen separat hergestellter, aber zusammengehöriger Einzelteile – Tisch ( ;שלחןV.4a) und „Anordnung“ der Brote ( ;ערךV.4b) – zu fassen ist. Auffällig ist jedenfalls, dass die in V.4b.d befohlenen Handlungen nicht eindeutig als Kulthandlungen qualifiziert und damit auch von den platzierenden Handlungen wie z.B. in V.4a.c nicht grundlegend differenziert werden. Es scheint also tatsächlich in erster Linie um ein Hinzufügen von Elementen zu gehen, die für den Tisch und den Leuchter bzw. für deren Funktion essenziell sind, so dass die Platzierungen in V.4b.d primär als Fortführen der platzierenden Handlungen in V.4a.c zu fassen sind. 2. Salbungen (Ex 40,9–15) 9a 9b 9bR 9c 9d 10a 10b 10c 11a 11b 12a 12b 13a 13b 13c 13d 14a 14b 15a 15b 15c 15d 15dI
9
Und du sollst das Salböl nehmen und die Wohnstätte ( )משכןsalben und alles, was in ihr ist, und sie heiligen und all ihre Geräte und sie soll Heiliges ( )קדשsein. Du sollst den Brandopferaltar salben und all seine Geräte und den Altar heiligen und der Altar soll Hochheiliges ( )קדש קדשיםsein. Du sollst den kijjōr salben und sein Gestell und ihn heiligen. Du sollst Aaron und seine Söhne herannahen (קרב-hi.) zum Eingang des Zelts der Begegnung und sie mit Wasser waschen und Aaron bekleiden mit den Gewändern der Heiligkeit und ihn salben und ihn heiligen und er soll mir Priester sein // werden. Und seine Söhne sollst du herannahen (קרב-hi.) und sie bekleiden mit den Hemdgewändern ()כתנת und sie salben, wie du ihren Vater gesalbt hast, und sie sollen mir Priester sein // werden. Und dies sei, damit ihnen ihre Salbung werde zu einem zeitlosen Priestertum ()כהנת עולם für ihre Generationen.“ (Ex 40,9–15)
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 672.
354
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Im zweiten Teil der Gottesrede (Ex 40,9–15) ist nicht länger das Aufrichten des Heiligtums (vgl. V.2) bzw. das Platzieren der Geräte und Vorhänge (vgl. V.3–8 im Blick. Der Fokus rückt vielmehr auf die liturgische Einweihung des miškān. Diese Thematik wird in V.9a durch den Auftrag eröffnet, das Salböl ( )שמן המשחהzu nehmen und nacheinander vier Salbungsakte durchzuführen. Gesalbt werden (1.) der miškān und die Geräte im Heiligtum (vgl. V.9b–d), (2.) der Brandopferaltar (V.10), (3.) die Waschvorrichtung (kijjōr) im Vorhof des Heiligtums (V.11), sowie (4.) Aaron (V.13b) und seine Söhne (V.15a)10. Diese Salbungen sollen jeweils die Heiligung der jeweiligen Gegenstände bzw. Person bewirken, was darin greifbar wird, dass der Auftrag, zu salben (vgl. ;ומשחתV.9b.10a.11a.13b.15a), jeweils mit der Aufforderung parallelisiert ist, (auf diese Weise, d.h. durch den Salbungsakt) zu heiligen (vgl. ;וקדשתV.9c.19b.11b.13c). Der letzte Salbungsakt aber, der nochmals in zwei Teilvollzüge zerfällt, ist – ähnlich wie in Ex 29,4–9 – in den umfassenderen rituellen Vollzug der Investitur der Priester eingebunden, zu dem neben dem Salben auch das Waschen (V.12–13a) und Ankleiden (V.14) der Kandidaten gehören. Über den Zusammenhang mit Ex 29,4–9 hinaus sind in Ex 40,9–15 noch weitere Bezüge zur Heiligtumstora greifbar. So ist zunächst die Textpassage Ex 30,26–30 zu nennen, in der dem Mose in analoger Weise aufgegeben wird, das Zelt der Begegnung und seine – hier einzeln aufgezählten – Geräte (vgl. Ex 30,26–28) mit Salböl zu bestreichen und so zu heiligen (Ex 30,29). Ex 40,9–11 9a 9b 9bR
10
ולקחת את שמן המשחה ומשחת את המשכן ואת כל אשר בו
Ex 30,26–29 26
ומשחת בו את אהל מועד ואת ארון העדת ואת השלחן ואת כל כליו ואת המנרה ואת כליה ואת מזבח הקטרת ואת מזבח העלה ואת כל כליו ואת הכיר ואת כנו
27v
28v
Die Salbung der Söhne Aarons ist dabei wohl nicht gleichzeitig mit derjenigen an Aaron vorzunehmen, da es der Konzeption der Tora zufolge jeweils nur einen (amtierenden) Gesalbten Priester gibt. Dies ist für die Sinaigeneration Aaron, dem sein Sohn Eleazar, und diesem sein Sohn Pinchas, etc. in Sukzession nachfolgen. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Auftrag, die Söhne (= Nachfahren) Aarons zu salben – gleichsam diachron – auf die Amtseinführung der aufeinander folgenden Nachfolger Aarons ausblickt, nicht aber im Zuge der Kultinauguration am Sinai zu realisieren ist. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 340–341; 349.
355
)A. Der Auftrag JHWHs (Ex 40,1–15 Ex 30,26–29
29a 29b 29c
וקדשת אתם והיו קדש קדשים כל הנגע בהם יקדש
Ex 40,9–11
וקדשת אתו ואת כל כליו והיה קדש ומשחת את מזבח העלה ואת כל כליו וקדשת את המזבח והיה המזבח קדש קדשים ומשחת את הכיר ואת כנו וקדשת אתו
9c 9d 10a 10b 10c 11a 11b
)Der daran anschließende Vers Ex 30,30, der die Salbung (und das Heiligen der Priester thematisiert, lässt deutliche Bezüge zu Ex 40,12–15 erkennen. Ex 30,30 30a
30b 30bI
ואת אהרן ואת בניו
תמשח וקדשת אתם לכהן לי
Ex 40,12–15
והקרבת את אהרן ואת בניו אל פתח אהל מועד ורחצת אתם במים והלבשת את אהרן את בגדי הקדש ומשחת אתו וקדשת אתו וכהן לי ואת בניו תקריב והלבשת אתם כתנת ומשחת אתם כאשר משחת את אביהם וכהנו לי והיתה להית להם משחתם לכהנת עולם לדרתם
12a 12b 13a 13b 13c 13d 14a 14b 15a 15b 15c 15d 15dI
Zuletzt schließlich kann der Vers Ex 40,10, der auf den Altar fokussiert, mit Ex 29,36–37 verbunden werden. Ex 29,36–37 36a 36b 36bI 36c 36cI 37a 37b 37c 37d
ופר חטאת תעשה ליום על הכפרים וחטאת על המזבח בכפרך עליו ומשחת אתו לקדשו שבעת ימים תכפר על המזבח וקדשת אתו והיה המזבח קדש קדשים כל הנגע במזבח יקדש
Ex 40,10
ומשחת את מזבח העלה ואת כל כליו
10a
וקדשת את המזבח
10b
Es ist somit festzuhalten, dass die Gottesrede Ex 40,1–15 sowohl in ihrem ersten Teil (V.2.3–8), der den Aufbau des miškān und das Platzieren der Kultgeräte thematisiert, als auch in ihrem zweiten Abschnitt (V.9–15), in dem das Salben und Heiligen des Heiligtums, seiner Geräte und der Priester im
356
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Mittelpunkt steht, intensiven Bezug auf die Heiligtumstora nimmt und auf dort bereits Ausgeführtes rekurriert, das nun in der im Text nachgezeichneten Situation – beginnend mit dem auf den 01.01.02 datierten Aufbau des miškān – zu realisieren ist. II. Ex 40,1–15 und die Berichte in Ex 40; Lev 8–10; Num 7 Ein erster Überblick über den Ausführungsbericht in Ex 40,16–33, der unmittelbar an die Gottesrede Ex 40,1–15 anschließt, zeigt, dass in diesem lediglich der in Ex 40,2–8 angeordnete Aufbau des Heiligtums thematisiert wird. Nicht beschrieben wird eine Umsetzung des zweiten Teils der Gottesrede (Ex 40,9– 15), die erst in Lev 8–10 und Num 7,1–8,4 (vgl. v.a. Lev 8,10–12; Num 7,1) zum Thema wird. Dabei bieten die Verse Lev 8,10–12 innerhalb des Berichts über die Weihe der Priester am Sinai in Lev 8,1–36 insofern eine Erweiterung gegenüber den entsprechenden Vorschriften in Ex 29,1–35, als sie die in Ex 29,7 angeordnete Salbung (Aarons) (vgl. Ex 29,4–9; Lev 8,6–13) mit zwei zusätzlichen Salbungsakten verbinden, von denen in Ex 29 keine Rede ist, nämlich mit der Salbung des miškān und seiner Geräte (Lev 8,10) sowie der Salbung von Altar und Waschvorrichtung (Lev 8,11). Diese Salbungen folgen auf Ritualschritte – das Herantreten der künftigen Priester zum Heiligtum (Lev 8,6a), die rituelle Waschung (Lev 8,6b) und das Einkleiden Aarons (Lev 8,7–9) –, die, wie V.9c ausdrücklich betont, gemäß dem Befehl JHWHs, d.h. entsprechend der Anweisungen in Ex 29,5–6 ablaufen, während die in Lev 8,13 berichtete Investitur der Aaronsöhne den Vorgaben aus Ex 29,8–9 folgt. Der Vers Lev 8,10 hingegen, der die Salbung des miškān zum Thema hat, schließt vom Wortlaut her eng an Ex 40,9 an.11 Auf diese Weise ist v.a. zu Beginn des kurzen Textabschnitts Lev 8,10–11, in dem der Bericht über die Weihe der Priester über die Anweisungen in Ex 29,1–35 hinausgeht und letztlich der Salbung Aarons im Gesamt des Rituals gegenüber Ex 29 ein deutlich anderes Gewicht zuspricht, ausdrücklich der Rückbezug auf Ex 40,9–15 angezeigt.12 Dies wiederum bedeutet, dass diese Gottesrede – neben den Anweisungen zur Priesterweihe aus der Heiligtumstora (Ex 29,1–35) – als ein zweiter zentraler Hypotext einzuspielen ist. Die Salbung von Altar und Waschvorrichtung in Lev 8,11 aber kann – nachdem in Lev 8,10 der Rückbezug auf Ex 40,9–15 klar markiert ist – deutlich knapper ausfallen, mit der Folge, dass die beiden in Ex 40,10–11 als separate Vollzüge dargestellten Salbungen in Lev 8,11 zu einem Punkt zusammengefasst werden. Hinsichtlich der Salbung Aarons und der begleitenden Riten an Aaron und seinen Söhnen ist festzuhalten, dass hier Lev 8 ebenso wie Ex
11 12
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 340; 347. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 340; 347.
A. Der Auftrag JHWHs (Ex 40,1–15)
357
40,12–15 an Ex 29,4–9 anschließt, so dass letztlich sehr weitgehende Übereinstimmungen zwischen allen drei Texten festzustellen sind.13 In Num 7,1 hingegen ist in erster Linie der Umstandssatz Num 7,1a–aI interessant, der Ex 40,2.16.33 aufnimmt und die im Folgenden dargestellte Altarweihe (Num 7,2–88) mit demjenigen Tag verbindet, an dem Mose das Aufstellen (קום-hi.) des miškān vollendet ( )כלהhat.14 Das Verb ( כלהvgl. Num 7,1a) ist dabei auch in Ex 40,33c belegt, während die Wendung ‚den miškān aufrichten‘ (קום משכן-hi.) in Ex 40,2.17a zu finden ist. Am Tag des Aufrichtens werden Num 7,1b–d zufolge zwei Salbungen, eine am miškān und seinen Geräten (Num 7,1b) und eine am Altar und seinen Geräten (Num 7,1d), vorgenommen, die beide die Heiligung der gesalbten Objekte bewirken (vgl. Num 7,1c.e). Das Salben und Heiligen des Altars und seiner Geräte (vgl. Num 7,1de) erfährt dabei durch die pendierende Voranstellung des Objekts der Salbung (V.1dP) eine besondere Betonung, was mit dem Umstand korrespondiert, dass in Num 7,2–88 das an die Altarweihe anschließende Herbeibringen von Weihegaben für den Altar durch die Repräsentanten der zwölf Stämme im Mittelpunkt steht.15 Num 7,1dP–e nimmt einerseits Ex 29,36–37 auf, greift in dem Nebeneinander der beiden Verben ‚( משחsalben‘; Num 7,1d) und קדש-pi. (‚heiligen‘; Num 7,1e) aber auch auf Ex 40,10 zurück.16 In Num 7,1b–c (Salbung des miškān) wiederum ist ein Rückbezug auf Ex 40,9b–c (und auch auf Lev 8,10) erkennbar.17 Ausgehend von diesen Beobachtungen kann der Zusammenhang zwischen der Gottesrede Ex 40,1–5 einerseits und den drei Perikopen in Ex 40,16– 33.34–35; Lev 8–10; Num 7,1–8,4 andererseits genauer gefasst werden. Es fällt auf, dass Ex 40,16–33 als Umsetzung des ersten Teils der Gottesrede (Ex 40,2–8) gestaltet ist, während Lev 8 und Num 7 auf deren zweite Hälfte (Ex 40,9–15) Bezug nehmen, wobei die entsprechenden Salbungsakte jeweils als einleitende Vollzüge in den dargestellten Handlungsfolgen erscheinen. Lev 8(–10) und Num 7 setzen also mit dem in Ex 40,9–15 Gebotenen, der Salbung, ein und führen dann in ihren spezifischen thematischen Schwerpunktsetzungen darüber hinaus.18 Die Gottesrede Ex 40,1–15 ist dem zufolge als auslösendes Element angelegt, das den Anstoß für das in den drei Perikopen mit je eigener Perspektive beschriebene Geschehen der Kultinauguration am Sinai gibt.
13
Vgl. HAUGE, Descent, 193–196. Vgl. KNIERIM/COATS, Numbers, 98; LEE, Coherence, 485. 15 Vgl. KNIERIM/COATS, Numbers, 99–101; LEE, Coherence, 485; PROPP, Exodus 19– 40, 671. 16 Vgl. KNIERIM/COATS, Numbers, 98–99; LEVINE, Numbers 1–20, 253; SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 183; 189. 17 Vgl. LEVINE, Numbers 1–20, 253; SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 183; 189. 18 Vgl. auch MILGROM, Numbers, 53. 14
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Der Zusammenhang der Perikopen untereinander aber19 wird nicht nur über den gemeinsamen Rückbezug auf Ex 40,1–15 deutlich, er wird auch durch die chronologischen Angaben in den Texten gestützt,20 die freilich ihrerseits ebenfalls wieder bei der Anweisung von Ex 40,2 ansetzen, am ersten Tag des ersten Monats (im ersten Jahr nach dem Auszug aus Ägypten), d.h. am 01.01.02, den miškān aufzurichten. Im Rahmen des Ausführungsberichts Ex 40,16–33 kehrt dieses Datum gleich zu Beginn (vgl. Ex 40,17a) wieder und ist dabei ebenfalls mit der Aufrichtung des miškān (vgl. Ex 40,17b) verbunden. Aber auch das in Ex 40,18–33 geschilderte Platzieren der einzelnen Geräte und Architekturelemente des Heiligtums sowie der in Ex 40,34–35 thematisierte Einzug der Herrlichkeit JHWHs in das vollendete Heiligtum finden offenbar – obgleich der Text dies nicht explizit konstatiert – an diesem Tag, dem 01.01.02, statt.21 Für eine chronologische Einordnung von Lev 8–10 erweist sich Lev 9,1 als interessant. In diesem Vers wird der erste feierliche Gottesdienst Israels im Heiligtum nach der Weihe der Priester und des Altars auf den achten Tag ( )ביום השמיניdatiert, d.h. auf den ersten Tag nach dem auf insgesamt sieben Tage (vgl. Lev 8,33.35) angelegten Weiheritual. Dass aber dieser achte Tag (nach Beginn des Weiherituals) zugleich auch der achte Tag des ersten Monats (08.01.02) ist,22 wird in Lev 8–10 nicht explizit gemacht, erscheint dafür aber von Num 7,1 her als naheliegend. In diesem Vers nämlich werden die Salbung des miškān und des Altars beschrieben, die auch in Lev 8,10–11 berichtet und dort mit dem ersten Tag der Priesterweihe verbunden werden.23 In Num 7,1 aber sind sie auf den Tag datiert, an dem Mose den Aufbau des miškān vollendet (vgl. Num 7,1-aI) und an dem mit Ex 40,34–35 die Herrlichkeit JHWHs im Heiligtum Einzug hält, d.h. auf den 01.01.02.24 Folglich finden an diesem Tag, dem 01.01.02, die in Ex 40,16–35 berichteten Begebenheiten ebenso statt, wie der in Lev 8,1–32 fokussierte Beginn der Priester, Heiligtums- und Altarweihe. Aber auch das Herbeibringen der Wagen und Zugtiere für das Heiligtum durch die Fürsten der Stämme (vgl. Num 7,2–9)25 und die Weihegabe des ersten Stammesführers, Nachschon ben Amminadab aus dem Stamm Juda, für den Altar (Num 7,12–17) fallen auf dieses Datum.26 Zuletzt sind mit dem 01.01.02 auch die Gottesreden in Lev 1–7 (Opfertora) zu verbinden, die über Lev 1,1 unmittelbar an das in Ex 40,34–35 berichtete 19
Vgl. dazu auch HAUGE, Descent, 193–200. Vgl. dazu HAUGE, Descent, 200–201; 214; MARK, Angesicht, 155–166; 192–196. 21 Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 671; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 228–229. 22 Vgl. MARK, Angesicht, 164; RUWE, Structure, 61. 23 Vgl. LEVINE, Numbers 1–20, 253–254. 24 Vgl. BUDD, Numbers, 81–82; HAUGE, Descent, 201–202; 214. 25 Vgl. SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 184; NIHAN, Priestly Torah, 73–74; ZENGER/FREVEL, Bücher, 64. 26 Vgl. HAUGE, Descent, 214. 20
A. Der Auftrag JHWHs (Ex 40,1–15)
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Geschehen des Einzugs der Herrlichkeit JHWHs in den miškān angeschlossen werden.27 In Ex 40 werden somit – so man die abschließende Prolepse in Ex 40,36– 38 außen vor lässt, in der eine die gesamte Wüstenzeit Israels umgreifende Dynamik in den Blick kommt – die Begebenheiten eines einzigen Tages, des 01.01.02, berichtet, an dem auch die in Lev 8–10 und Num 7 verhandelten Ereignisse ihren Ausgang nehmen. Lev 8–10 überblickt sodann eine Spanne von acht Tagen, innerhalb derer die ersten sieben Tage durch das Ritual der Priesterweihe sowie des „Tauglich-Machens“ des Altars (vgl. Ex 29,36–37) geprägt sind, wobei nur der erste Tag (01.01.02) eine genauere Darstellung erfährt (Lev 8). Am achten Tag (08.01.02) jedoch finden sowohl der feierliche Gottesdienst aus Lev 9,1–24, als auch die illegitime Darbringung durch die Aaronsöhne in Lev 10 statt, die deren Tod zur Folge hat und die in Lev 10 thematisierte Krise auslöst. Über die Spanne von acht Tagen hinaus nimmt Num 7 zuletzt einen Zeitraum von zwölf Tagen (01.-12.01.02) in den Blick, an denen die Weihegaben der Stammesältesten zum Altar gebracht werden.28 Diese aus den Texten zu erhebende und die Texte miteinander verbindende bzw. aufeinander beziehende Chronologie erweist sich nun mit Blick auf Num 1–10 als interessant, da sie nahelegt, dass sich das in Num 7 Berichtete zeitlich gesehen vor dem Etablieren der Lager- und Marschordnung Israels (vgl. Num 1,1–5,4) ereignet. Erzählfolge und textinterne Chronologie treten hier somit auseinander. Die in Num 1 thematisierte Volkszählung, die die Voraussetzung für die in Num 2 behandelte Ordnung des Lagers Israels (und auch für die in Num 3–4 verhandelte Organisation der Leviten) bildet, ist mit Num 1,1 auf den 01.02.02 zu datieren und ereignet sich damit genau einen Monat nach dem Beginn der Einweihung des Heiligtums.29 Chronologisch nicht präzise einzuordnen ist hingegen die Gottesrede in Num 5,5–6,27, in deren Einleitung (vgl. Num 5,5) sich keine Datierung findet. Der Umstand aber, dass sie eng an die Gottesrede in Num 5,1–3 anschließt, legt nahe, dass sie wie diese im zweiten Monat zu datieren ist. Die Ergänzung zur Pesachtora in Num 9,1–14 hingegen – auch sie ist undatiert – ist nur sinnvoll, wenn sie vor dem Termin des ersten Pesach außerhalb Ägyptens (14.01.02) mitgeteilt wird. Somit gehört sie in einen chronologischen (und sachlichen) Zusammenhang mit Num 7,1–8,4 (und Num 8,5–26).30 Num 1–9 kann also – mit Blick auf die chronologische Einordnung – in zwei Blöcke unterteilt werden, die Kapitel Num 1–6, die mit dem 01.02.02 (vgl. Num 1,1) verbunden sind und die Kapitel Num 7,1–9,14, die über Num 27
Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 73–74; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 47. Vgl. BUDD, Numbers, 81–82; HAUGE, Descent, 214. 29 Vgl. ASHLEY, Numbers, 160; HAUGE, Descent, 213; MARK, Angesicht, 193–194; MILGROM, Numbers, 4; NIHAN, Priestly Torah, 73–74. 30 Vgl. HAUGE, Descent, 213; LEVINE, Numbers 1–20, 295; ZENGER/FREVEL, Bücher, 64. 28
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
7,1 in den ersten Monat datiert werden. Num 9,15–23 hingegen entfaltet – proleptisch – die Gesetzmäßigkeiten und Dynamiken der Führung Israels durch JHWH während der Wüstenwanderung und nimmt damit bereits die mit dem Aufbruch vom Sinai beginnende Phase der Gründungsgeschichte Israels in den Blick.31 Zuletzt aber ist auch die Anweisung zu den silbernen Trompeten (Num 10,1–10) eng mit dem Aufbruch vom Sinai verbunden, der mit Num 10,11–12 auf den 20.02.02 zu datieren ist.32 Auffällig ist damit, dass die Organisation der Stämme, die in Num 1–2 (01.02.02) entfaltet wird, bereits in Num 7 (01.01.02) vorausgesetzt ist bzw. greifbar wird, wenn die in Num 2,3-31 benannten Fürsten bereits einen Monat bevor JHWH die Lagerordnung Israels festlegt, als Repräsentanten ihrer jeweiligen Stämme auftreten und ihre Gaben dabei exakt in der Reihenfolge zum Altar bringen, in der sie Num 2 zufolge in der Marschordnung während der Wanderschaft angeordnet sind.33 Vergegenwärtigt man sich also die chronologischen Zusammenhänge, so scheint das in Num 7 geschilderte liturgische Geschehen gleichsam als Grundlegung der späteren Marschordnung, die somit aus einem kultischen Vollzug im Rahmen der Kultinauguration erwächst und sich schließlich dauerhaft in den Strukturen und Ordnungen des Lagers Israels rund um das Heiligtum abbildet. In der Textabfolge hingegen stellt sich der Sachverhalt genau umgekehrt dar, da die Lesenden in Num 1–2 zunächst von der Konstitution des Lagers und erst danach von den Gaben der Stammesfürsten (Num 7) erfahren.
Wesentlich ist nun mit Blick auf das zentrale Thema der Studie, dass in den drei komplementären Darstellungen der Kultinauguration (Ex 40,16–33.34– 35; Lev 8–10; Num 7), die jeweils von Ex 40,1–15 angestoßen sind, auch von der Ausführung von Tamid-Handlungen berichtet wird. Entscheidend sind dabei v.a. die oben bereits angesprochenen Verse, d.h. die Rekurse auf ein Kulthandeln des Mose im Zusammenhang mit dem Aufstellen der Geräte im Heiligtum in Ex 40,23.25.27.29, der Hinweis auf das morgendliche Brandopfer-Tamid in Lev 9,17c und die mit Num 7,1–88 verbundene Szenerie in Num 7,89–8,4, die das (erste) Entzünden des Leuchters durch Aaron in den Mittelpunkt stellt. Diese sind im Folgenden genauer zu betrachten.
B. Das Tamid und der Aufbau des Heiligtums (Ex 40,16–33) B. Tamid und Aufbau des Heiligtums (Ex 40,16–33)
Wie bereits dargestellt, ist Ex 40,16–33 als Ausführungsbericht zur Gottesrede Ex 40,1–15 bzw. genauer zu deren ersten Hauptteil, Ex 40,2.3–8, gestaltet. Dies ist besonders im ersten Vers des Abschnitts, Ex 40,16, deutlich markiert, der betont, dass Mose exakt nach dem Befehl JHWHs handelt – „gemäß allem, was JHWH ihm befohlen hat“ (– )ככל אשר צוה יהוה אתו, wobei der Rekurs auf das Befehlen JHWHs (zunächst) die Verbindung zu Ex 40,1–15 unter31
Vgl. HAUGE, Descent, 215. Vgl. HAUGE, Descent, 213–215; MARK, Angesicht, 195–196. 33 Vgl. BUDD, Numbers, 81. 32
B. Tamid und Aufbau des Heiligtums (Ex 40,16–33)
361
streicht. Ex 40,16a.c hingegen thematisiert das Tun des Mose ()עשה, so dass der (gesamte) Vers Ex 40,16 letztlich wie eine erweiterte Fassung der Gebotsformel erscheint. Die Gebotsformel selbst jedoch findet sich in dem an Ex 40,16 anschließenden Bericht über das Tun des Mose in Ex 40,17–33 noch insgesamt sieben Mal (vgl. Ex 40,19c.21d.23b.25b.27b.29c.32b). Sie unterstreicht die der Weisung JHWHs entsprechende Ausführung des Aufbaus durch Mose, nimmt darüber hinaus aber auch eine gliedernde Funktion wahr, da sie den Bericht in insgesamt acht Abschnitte unterteilt, die je eine „Teiletappe“ des Heiligtumsbaus genauer in den Blick nehmen. Den Abschluss der Einheit markiert der Satz Ex 40,33c, der konstatiert, dass Mose die gesamte Arbeit am Heiligtum beendet.34 V.16 V.17
Einleitung („Erweiterte Gebotsformel“) Datierung → Ex 40,2
V.18a–19b
Aufbau des miškān GEBOTSFORMEL (V.19c)
Ex 40,18a → Ex 40,2
V.20a–21c
ʽedūt, Lade und Parochet
Ex 40,21a → Ex 40,3a; Ex 40,21bc → Ex 40,3b
GEBOTSFORMEL (V.21d) V.22–23a
Tisch
Ex 40.22 → Ex 40,4a Ex 40,23a → Ex 40,4b
GEBOTSFORMEL (V.23b) V.24–25a
Menora
Ex 40,24 → Ex 40,4c Ex 40,25a → Ex 40,4d
GEBOTSFORMEL (V.25b) V.26–27a
Goldener Altar GEBOTSFORMEL (V.27b)
Ex 40,26 → Ex 40,5a
V.28–29b
māsakh und Brandopferaltar
Ex 40,28 → Ex 40,5b Ex 40,29a → Ex 40,6
GEBOTSFORMEL (V.29c) V.30a–32a
kijjōr
Ex 40,30a → Ex 40,7a Ex 40,30b → Ex 40,7b
GEBOTSFORMEL (V.32b) V.33
34
Vorhof und Tor → Ex 40,8ab ABSCHLUSSFORMEL: Vollendung des Heiligtums (V.33c)
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 673. Zu den Bezügen zum Schöpfungsbericht vgl. z.B. JANOWSKI, Sühne, 309–313; DERS., Tempel, 233–234.
362
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Bereits bei einem ersten Abgleich des Ausführungsberichts Ex 40,17–33 mit Ex 40,2–8 wird deutlich, dass dieser in vielen Punkten über die Anweisungen der Gottesrede hinausgeht, was z.B. an den beiden Abschnitten Ex 40,18– 19.20–21 erkennbar ist. So wird der Auftrag aus Ex 40,2, den miškān aufzurichten, in Ex 40,18a zunächst (fast wörtlich) aufgenommen, in Ex 40,18b– 19b aber in zahlreichen Einzelschritten weiter entfaltet, die letztlich auf die Herstellungsanweisungen der Heiligtumstora (vgl. Ex 26,1–30) bzw. den Bericht über die Herstellung der einzelnen Bauteile des miškān in Ex 36,8–38 zurückgreifen.35 Ex 40,20–21 (ʽedūt, Lade und Parochet) wiederum nimmt einerseits den entsprechenden Vers der Gottesrede, Ex 40,3, auf, spielt zusätzlich dazu aber in V.20 auch die Vorgaben der Heiligtumstora zum Zusammenfügen der Lade aus ihren Einzelteilen – ʽedūt, Ladenkasten, Tragestangen und Kapporet – ein (vgl. Ex 25,16.21–22). Ex 40,22–23.24–25 (Tisch bzw. Menora) hingegen greift über Ex 40,4 hinaus auch auf die Angaben zur Platzierung von Tisch und Menora in Ex 26,35 zurück (vgl. Ex 40,22.24) und zuletzt ist in Ex 40,30–32 (kijjōr) – über den Rekurs auf Ex 40,7ab hinaus – ein enger Bezug zu Ex 30,18bc erkennbar.36 Zu denjenigen Textabschnitten des Ausführungsberichts, die in Ex 40,2–8 keine unmittelbare Parallele haben, gehören auch die Sätze Ex 40,27a.29b. In diesen kommen die beiden Altäre in den Blick, auf denen Mose – unmittelbar nachdem er sie an ihrem Platz abgestellt hat (vgl. Ex 40,26.29a) – je eine Kulthandlung vollzieht.37 26 27a 27b 28 29a 29b 29c
Er stellte den Goldenen Altar ins Zelt der Begegnung, vor die Kapporet, und ließ darauf Räucherwerk der Duftkräuter aufrauchen, so wie befohlen hatte JHWH dem Mose. Und er stellte den Vorhang des Eingangs für die Wohnstätte auf, den Brandopferaltar aber gab er an den Eingang der Wohnstätte des Zelts der Begegnung und er brachte darauf dar (עלה-hi.) das Brandopfer und das Speiseopfer, so wie befohlen hatte JHWH dem Mose. (Ex 40,26–29)
Mose lässt auf dem Goldenen Altar Räucherwerk ( )קטרת סמיםaufrauchen (קטר-hi.; V.27a), führt also die in Ex 30,7–8 für den Goldenen Altar vorgesehene, regelmäßige Kulthandlung (erstmals) aus. Ex 40,27a nimmt dabei Ex 30,7a annähernd wörtlich auf, doch ist insofern ein Unterschied zwischen den beiden Versen gegeben, als das Weihrauchopfer, das Ex 30,7a als eine Aufgabe Aarons einführt, in Ex 40,27a von Mose dargebracht wird. 35
Vgl. OWCZAREK, Wohnen, 151–152. Die Sätze Ex 30,18bc werden bereits in Ex 40,4 eingespielt. Vgl. PROPP, Exodus 19– 40, 673. 37 Vgl. BARK, Heiligtum, 57. 36
B. Tamid und Aufbau des Heiligtums (Ex 40,16–33)
363
Ex 40,29b jedoch nimmt auf Ex 29,38–42 Bezug, ohne allerdings den Hypotext in seinem Wortlaut einzuspielen. So wird in Ex 29,38–42 die Darbringung des Brandopfer-Tamids mit dem Verb ‚( עשהmachen‘; vgl. Ex 29,38.39. 41) umschrieben, während in Ex 40,29b das Verb עלה-hi. belegt ist, das mit dem Terminus עולהim selben Satz korrespondiert.38 Dieser bezeichnet in Ex 40,29b in einem engeren Sinne die tierische Komponente des Opfers, d.h. das einjährige Lamm, das ein Speiseopfer, bestehend aus ⅟₁₀ ’ēfā solæt und ¼ hīn (Oliven-)Öl, komplettiert wird.39 Anders als beim Weihrauchopfer (vgl. Ex 40,27), bei dem angesichts der expliziten Bezugnahme auf Ex 30,7a umso deutlicher auffiel, dass Mose das Opfer darbringt, obwohl doch eigentlich Aaron der Heiligtumstora gemäß damit beauftragt wäre, ist beim Brandopfer (Ex 40,29) keine „Irregularität“ gegenüber den Anweisungen in Ex 29,38–42 greifbar, da diese ausdrücklich an eine 2. Pers. Sg. (Mose) gerichtet sind. Das „Machen“ ( )עשהdes Brandopfer-Tamids ist in Ex 29,38–42 (zunächst) dem Mose aufgetragen, der es in Ex 40,29b auch (erstmals) ausführt. Festzuhalten ist folglich, dass Ex 40,27.29 das Platzieren der beiden Altäre (vgl. Ex 40,5a.6) jeweils unmittelbar mit einer kultischen Handlung des Mose verbindet, die in Ex 40,5–6 nicht explizit angeordnet wird,40 dafür aber in Anlehnung an Ex 29,38–42; 30,7–8 erfolgt. Beschrieben wird somit das für den jeweiligen Altar vorgesehenen Tamid-Rituals. Dieser für die Altäre erhobene Befund kann nun durch Beobachtungen in den Abschnitten Ex 40,22– 23.24–25 zu Tisch und Leuchter ergänzt werden. 22 23a 23b 24 25a 25b
Er gab den Tisch in das Zelt der Begegnung auf die nördliche Seite der Wohnstätte, außerhalb der Parochet und er ordnete darauf an ( )ערךdie „Anordnung“ ( )ערךdes Brotes vor JHWH, so wie befohlen hatte JHWH dem Mose. Er gab die Menora in das Zelt der Begegnung, gegenüber dem Tisch, auf der südlichen Seite der Wohnstätte, und er hob die Lampen empor (עלה-hi.) vor JHWH, so wie befohlen hatte JHWH dem Mose. (Ex 40,22–25)
Auch diese Verse berichten von Kulthandlungen des Mose – diesmal an Tisch und Leuchter –, die unmittelbar auf die Platzierung der Kultgeräte (vgl. Ex 40,22.24) im Heiligtum folgen. Anders als bei den Altären sind diesmal jedoch Anknüpfungspunkte in Ex 40,4b.d gegeben. So nimmt Ex 40,23a die Formulierung von Ex 40,4b – und das dort belegte Spiel mit der Wurzel ערך (‚anordnen‘) – auf. Anstelle der Formulierung ‚( ערכוseine [= des Tisches] Anordnung‘) findet sich in Ex 40,23 jedoch die Konstruktusverbindung ערך 38
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 673. Vgl. UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 228. 40 Vgl. UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 154. 39
364
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
‚( לחםAnordnung von Brot[en]‘), die – über das Stichwort ‚( לחםBrot‘) – deutlicher als Ex 40,4 auf Ex 25,30 Bezug nimmt. Verstärkt wird dieser Rekurs durch die Wendung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘), die das ‚( לפניvor mir‘) in Ex 25,30 aufgreift. Über die Formulierung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) wird das „Anordnen“ ( )ערךder Brote als ein Vorgang der Interaktion bzw. Kommunikation mit JHWH interpretiert und ist somit – anders als in Ex 40,4 – nicht in erster Linie als platzierendes Handeln zu fassen, das einen essenziellen Bestandteil des Tisches zu diesem hinzufügt und so das Aufstellen des Tisches im Heiligtum fortführt bzw. komplettiert. Es ist vielmehr als Kultvollzug profiliert, der unmittelbar an das Platzieren anschließt. Ein vergleichbarer Befund ergibt sich auch im Zusammenhang mit dem Aufstellen der Menora in Ex 40,24–25. So wird in Ex 40,25a – analog zu Ex 40,23a – die Anweisung aus Ex 40,4d aufgenommen, die Lampen ( )נרתemporzuheben (עלה-hi.; vgl. auch Ex 25,2b). Dabei ist dieser Vorgang in Ex 40,4 am besten als Platzierungshandlung verstehbar: Die für die Menora angefertigten Lampen ( )נרתsollen – nachdem diese selbst ihren Platz im Heiligtum gefunden hat – auf sie aufgesetzt werden und sie so vervollständigen.41 In Ex 40,25a hingegen verschiebt – ähnlich wie in Ex 40,23a – das in Ex 40,4 nicht belegte und aus Ex 27,21 eingespielte ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) deutlich die Akzente, da nun abermals – deutlicher als dies in Ex 40,4 greifbar ist – das Handeln des Mose am Leuchter als kultisches Geschehen bzw. als Interaktion mit JHWH qualifiziert wird, während das Stilisieren als Platzierungshandlung in den Hintergrund tritt. In der Zusammenschau der vier soeben näher analysierten Verse Ex 40,23a.25a.27a.29b ergibt sich also der folgende Gesamtbefund: Bei allen vier Kultgeräten, dem Tisch, dem Leuchter und den beiden Altären, wird das Platzieren im Heiligtum jeweils mit dem Vollzug einer Kulthandlung durch Mose verbunden, die – zumindest bei der Altären – deutlich über die die dem Ausführungsbericht in Ex 40,16–33 zugrunde liegenden Anweisungen in Ex 40,2–8 hinausgeht. In der Gottesrede nämlich wird hinsichtlich der Altäre lediglich das Aufstellen an ihren jeweiligen Standorten angeordnet – verbunden mit einer Andeutung der Zweckbestimmung über die jeweilige Benennung. Bei Tisch und Leuchter jedoch kommen die Anweisungen zu den zusätzlichen Platzierungen in Ex 40,4b.d – das Auflegen des ערךauf den Tisch bzw. das Aufsetzen der Lampen auf die Menora – in der mosaischen Ausführung (vgl. Ex 40,23.25) in solcher Weise zur Anwendung, dass sie als Kultakt „vor JHWH“ ( ;לפני יהוהvgl. Ex 40,23a.25a) erscheinen. Damit ist ein Anknüpfungspunkt dafür gegeben, auch bei den beiden Altären in analoger Weise zu verfahren und auf ihnen die in Ex 27–30 vorgeschriebenen TamidHandlungen auszuführen. Das Aufstellen des miškān durch Mose ist somit zugleich auch als eine Auslegung der Weisungen JHWHs aus Ex 40,2–8 – ebenfalls durch Mose – gestaltet, die wesentlich dadurch bestimmt ist, dass 41
Vgl. PROPP, Exodus 19–40, 672.
B. Tamid und Aufbau des Heiligtums (Ex 40,16–33)
365
Mose die Gottesrede in Ex 40,2–8 und die Heiligtumstora miteinander korreliert und jeweils auch die Tamid-Vorschriften aus Ex 25,30; 27,21; 30,7; 29,38–42 mit einspielt.42 Vor diesem Hintergrund ist der Ritualvollzug, von dem jeweils unmittelbar nach dem Aufstellen der Geräte die Rede ist, zugleich als die erste Ausführung der für das entsprechende Kultgerät vorgesehenen Tamid-Handlung ausgewiesen, d.h. als erste Umsetzung der Weisungen aus Ex 25; 27–30. Interessant aber ist, dass Mose – zumindest was das Tamid am Leuchter und am Goldenen Altar anbelangt – Rituale ausführt, die den Vorgaben der Heiligtumstora zufolge (vgl. Ex 27,21; 30,7–8) ausdrücklich für Aaron (und seine Söhne) reserviert sind. Mit einzureihen ist hier auch der Dienst am Tisch, zu dem in der Heiligtumstora (vgl. Ex 25,30) kein Akteur benannt wird. In Lev 24,5–9 (s.u.) aber wird deutlich, dass auch dieser von Aaron auszuführen ist.
Somit ist bei der (ersten) Ausführung der Tamid-Handlungen durch Mose eine „Irregularität“ gegeben, die einerseits aus der besonderen Situation der Kultinitiation, andererseits aber auch aus der speziellen Rolle des Mose erklärt werden kann. Als Offenbarungsmittler nämlich ist Mose der „Experte“ schlechthin, der eine mit dem Willen JHWHs konforme Ausführung des Kultes garantieren und in der in Ex 40,16–33.34–35 skizzierten Situation der Grundlegung einen adäquaten Anfang ins Werk setzen kann. Darüber hinaus ist er durch seine Mittlerposition dazu prädestiniert, so lange in priesterliche Aufgaben einzutreten, bis Aaron (nach sieben Tagen) in sein Priesteramt eingeführt ist und den regulären Kult übernehmen kann.43 In einer analogen Rolle begegnet Mose auch in Lev 8, wo er – im Kontext der Priesterweihe – letztlich alle Kultvollzüge (allein) ausführt und nur die tenufōt – zum Zweck der Einführung in diese Handlungen – zusammen mit den künftigen Priestern vollzieht. In Lev 9,1–24 aber, d.h. nach Abschluss der Priesterweihe, tritt Mose die priesterlichen Aufgaben an Aaron (und dessen Söhne) ab und beschränkt sich darauf, die Anweisungen JHWHs zur korrekten Ausführung des Kultes zu übermitteln (vgl. Lev 9,1–7).44
Die Sondersituation der Kultinitiation bringt es also in Ex 40,16–33 mit sich, dass der jeweils erste Vollzug eines jeden Tamid-Rituals von Mose vorgenommen und dabei unmittelbar mit dem Aufbau des Heiligtums verbunden wird.45 Auf diese Weise veranschaulicht der Text, dass die erste „Inbetriebnahme“ der Geräte integrales Element des Aufbaus ist; die Geräte sind von Anfang an nicht nur durch ihren Ort im Heiligtum, sondern jeweils auch durch ihre Funktion bestimmt bzw. durch diese definiert: spacing und Ver42
Vgl. HUNDLEY, Keeping, 97. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 599–600; PROPP, Exodus 19–40, 673; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 228. 44 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 268–269; 291. 45 Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 559. 43
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
wendung im Kult gehören untrennbar zusammen und bedingen einander.46 In besonderer Weise tritt dies beim Brandopferaltar zu Tage, bei dem – in anderer Weise als bei Tisch, Leuchter und Goldenem Altar – ebenfalls eine „Irregularität“ zu konstatieren ist. So setzt Ex 29,36–37 voraus, dass das Kultfähig-Machen (כפר-pi.) des Altars – ebenso wie die Weihe der Priester – einen Zeitraum von sieben Tagen in Anspruch nimmt (vgl. Ex 29,37a). Wenn Mose in Ex 40,29 das Aufstellen des Altars also unmittelbar mit der Darbringung des Brandopfer-Tamid verbindet, so geschieht dies auf einem Altar, der noch gar nicht gemäß den Vorgaben von Ex 29,36–37 kultfähig gemacht worden sein kann: Das Brandopfer-Tamid geht somit der Konzeption von Ex 40 zufolge auch der regulären Benutzbarkeit des Altars voraus. Eine alternative Sichtweise wäre durch die Annahme einer gerafften Darstellung in Ex 40 denkbar, in der Ex 40,29b ein Geschehen proleptisch vorwegnimmt und in die Situation des Aufbaus des miškān einblendet, das der Fabel zufolge erst deutlich später, nämlich nach der siebentägigen Altarweihe, stattfindet. Somit wäre das Aufstellen des Altars (V.29a) auf den 01.01.02 und das erste Tamid (V.29b) auf den 07. bzw. 08.01.02 zu datieren. Allein mit Blick auf Ex 40,16–33 scheint eine solche Deutung grundsätzlich möglich. Zwar ist im Text kein Indiz greifbar, das sie den Lesenden nahelegt oder gar „aufzwingt“, umgekehrt aber „blockiert“ Ex 40,16–33 eine solche Interpretation auch nicht. Bezieht man allerdings Lev 9,17c mit ein, wo – nach dem Abschluss der siebentägigen Phase der Priester- und Altarweihe – Aaron das Morgenbrandopfer (am 08.01.02) darbringt, so scheint es in Ex 40,29 letztlich plausibler, die Darbringung des Tamids durch Mose unmittelbar mit dem Aufstellen des Altars (am 01.01.02) zu verbinden.47
Auf jeden Fall aber wird deutlich, dass Ex 40,16–30 einen engen konzeptionellen Zusammenhang zwischen dem (ersten) Aufbau des Heiligtums durch Mose und dem jeweils ersten Kultvollzug auf den im Heiligtum positionierten Geräten herausstellt. Letztere gehen somit buchstäblich von Anfang an in ihrer kultischen Funktion auf, die interessanterweise bei allen vier Geräten primär über die jeweils für sie vorgesehenen Tamid-Vollzüge bestimmt ist, die auf diese Weise gleichsam als „Standardgebrauch“ definiert werden. Zwar ist bei Leuchter und Tisch – über das Tamid hinaus – gar keine andere Verwendung vorgesehen, bei den Altären – und v.a. beim Brandopferaltar – aber ist dies anders. Immerhin erwähnt Ex 30,10 für den Goldenen Altar neben dem täglichen Darbringen von Räucherwerk (vgl. Ex 30,7–8) auch noch eine einmal jährlich zu vollziehende Blutapplikation, während beim Brandopferaltar eine Vielzahl unterschiedlicher Opfer möglich ist. Hier korrespondiert die Charakterisierung des Brandopfer-Tamids als „Standardopfer“ des Altars mit Texten wie z.B. Num 28–29, in denen das Tamid gleichsam als „Grundvollzug“ für den Altar „definiert“ wird.
46
Vgl. BARK, Heiligtum, 57–58; GORMAN, Ideology, 55. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 559–600; PROPP, Exodus 19–40, 673; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 268–169. 47
C. Der erste Gottesdienst am Sinai (Lev 9)
367
Zugespitzt kann damit konstatiert werden, was schon in Ex 27–30 zu Tage getreten ist, dass nämlich die Tamid-Vollzüge und die in ihnen gestalteten Vorgänge der Gottesbegegnung Israels bzw. der Israelbegegnung JHWHs das eigentliche Ziel bzw. der eigentliche Zweck des Heiligtums sind, so dass diese mit Ex 40 sofort mit dem Entstehen des Heiligtums einsetzen. In der Umkehrung aber folgt daraus, dass jede einzelne Wiederholung eines der Tamid-Vollzüge letztendlich an die erstmalige Ausführung durch Mose anknüpfen kann und diese fortführt bzw. reinszeniert.
C. Das Tamid und der erste Gottesdienst Israels am Sinai (Lev 9) C. Der erste Gottesdienst am Sinai (Lev 9)
Ergänzende Perspektiven auf die Ausführung des Tamid im Zusammenhang mit der Grundlegung des Kultes am Sinai lassen sich in Lev 8–10 gewinnen, wobei hier – wie oben aufgezeigt – v.a. auf Lev 9,17c, aber auch auf Lev 9,23, einzugehen ist. Der Fokus liegt somit auf Lev 9,1–24, so dass im Folgenden zunächst ein Überblick über dieses Kapitel zu geben ist, das den ersten feierlichen Gottesdienst Israels am 08.01.02 thematisiert. I. Der Ablauf der Feier Die Initiative zu diesem Gottesdienst, der in den Ritualanweisungen von Ex 29,1–35.36–37 nicht vorgegeben ist, geht dem Text zufolge von Mose aus, der in Lev 9,1–4 (in Gegenwart der Ältesten Israels; vgl. Lev 9,1b) zu Aaron spricht (vgl. Lev 9,2a), um diesem Anweisungen für das Ritual bzw. konkret zu den bereitzustellenden Opfern zu geben (Lev 9,2–4). So soll Aaron zunächst für sich selbst ein Kalb ( )עגל בן־בקרals Entsündigungsopfer (ḥaṭṭā’t) und einen Widder ( )אילals Brandopfer (ʽōlā) beschaffen (vgl. Lev 9,2). Das Kalb ( – )עגלein solches ist über Lev 9 hinaus in den Kulttexten der Tora an keiner anderen Stelle als Opfertier belegt – ist dabei wohl als Äquivalent zu einem Stier ( )פרzu verstehen.48 Somit sind in Lev 9,2 letztlich dieselben Opfergaben – ein Rind als ḥaṭṭā’t und ein Widder als ʽōlā – genannt, die auch im Weiheritual dargebracht werden (vgl. Lev 8,14–17.18–21; Ex 29,11– 14.15–18) und die damit als ein Element erscheinen, das die beiden Kultvollzüge verbindet und aufeinander bezieht. In einem zweiten Schritt (Lev 9,3–4) beauftragt Mose Aaron damit, seinerseits zum Volk zu sprechen, das – vertreten durch die Ältesten – in der im Text imaginierten Situation als anwesend gedacht ist (vgl. Lev 9,1b). Aaron soll dieses dazu anleiten, ebenfalls Gaben für den Gottesdienst bereitzustellen (vgl. V.3b–4vI). Gefordert sind ein Ziegenbock als ḥaṭṭā’t, ein Kalb ( )עגלund 48
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 365–366; JÜRGENS, Heiligkeit, 251–252; MILGROM, Leviticus 1–16. 572.
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
ein einjähriges Lamm als ʽōlā sowie ein Rind ( )שרund ein Widder ( )אילals Heilsgemeinschaftsopfer (zævaḥ šelāmīm), neben die in V.4 ein nicht näher quantifiziertes Speiseopfer (minḥā) tritt. Mit Ausnahme des Entschuldigungsopfers (’āšām, vgl. Lev 5,14–26), das stets einen konkreten Anlass in Gestalt der Verfehlung eines Einzelnen voraussetzt und von daher kaum in das beschriebene Ritual zu integrieren ist, sind damit alle in Lev 1–7 beschriebenen Grundformen der Opfer vertreten.49 Die ḥaṭṭā’t aber wird nicht in der in Lev 4,1–5,13 verhandelten Form vollzogen, da sie eigentlich auf das Schuldigwerden (bzw. das Erkennen von Schuld) eines Einzelnen bzw. des ganzen Volkes reagiert und nur bei „Bedarf“ dargebracht wird. In Lev 9 jedoch dient sie – wie auch in Ex 29,11– 14,36–37 – dem grundsätzlichen Absichern der Kultfähigkeit Aarons (vgl. V.2b) bzw. des Volkes (vgl. V.3b).50 Brandopfer, Speiseopfer und Heilsgemeinschaftsopfer allerdings gehen konform mit den entsprechenden Anweisungen aus der Opfertora (Lev 1–7) und zuletzt finden sich auch in Lev 9 die in Lev 1–7 erwähnten, „klassischen“ Opfertiere, d.h. Rind (Stier bzw. Kalb), Widder und Lämmer für die ʽōlā, sowie Stier (bzw. Kalb) und Ziegenbock für die ḥaṭṭā’t. Im ersten Gottesdienst am Sinai wird folglich (fast) jedes der in der Opfertora (Lev 1–7) vorgeschriebenen Opfer mindestens einmal vollzogen, was zur Folge hat, dass der Feier ein modellhafter, paradigmatischer Charakter zukommt.51 Das eigentliche Ziel bzw. der Zweck des Kultgeschehens aber wird zum Abschluss der Rede in Lev 9,4a benannt: Mose kündigt an, dass JHWH „heute“ ()היום, d.h. im Zusammenhang mit dem Gottesdienst, vor dem Volk erscheinen werde (ראה אל-ni.), womit zugleich der Abschluss der Perikope in Lev 9,23–24 vorweggenommen ist.52 Der an die Rede des Mose anschließende Vers Lev 9,5, der knapp das Bereitstellen der geforderten Opfertiere konstatiert und festhält, dass sich das Volk am Zelt der Begegnung versammelt, leitet zu den Versen Lev 9,6–22 über, in denen der Gottesdienst selbst beschrieben wird. Die Eröffnung dieser Passage bilden in Lev 9,6–7 zwei Reden des Mose, wobei die erste (V.6) – ohne dass die Adressaten explizit genannt sind – wohl an Israel gerichtet ist und den folgenden Gottesdienst dezidiert als dem Wort JHWHs entsprechend qualifiziert (vgl. Lev 9,6b–bR). Damit ist zunächst eine auffällige Parallele zum Auftakt der Priesterweihe in Lev 8 gegeben, wo Mose – nach dem Bereitstellen der Opfergaben und der Versammlung des Volks am Zelt der Be-
49
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 366; MILGROM, Leviticus 1–16, 572. Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 293. 51 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 366; MILGROM, Leviticus 1–16, 572. 52 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 366; JÜRGENS, Heiligkeit, 246; MILGROM, Leviticus 1– 16, 574; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 295. 50
C. Der erste Gottesdienst am Sinai (Lev 9)
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gegnung (Lev 8,4; vgl. Lev 9,5) – ebenfalls die exakte Entsprechung des folgenden Tuns zu den Anweisungen JHWHs (vgl. Ex 29) herausstellt. 53 Lev 9,1–24 knüpft also über die parallele Darstellung der Vorbereitung und Eröffnung des Gottesdienstes in Lev 9,5–6 an Lev 8 an und weist so nochmals auf den inneren Zusammenhang der beiden Perikopen hin. Zugleich ist auffällig, dass – im Gegensatz zu Lev 8 – in der Tora keine Gottesrede zu finden ist, die das in Lev 9,1–4 von Mose vorgezeichnete und ab Lev 9,8 ausgeführte Opferritual im Detail reglementieren würde. So muss die von Mose behauptete Entsprechung zu einem göttlichen Befehlen hier anders angelegt sein, als in Lev 8: JHWH hat zwar nicht das Gesamtritual im Detail vorgegeben (wie im Fall der Priesterweihe) – dieses entwächst der „Syntheseleistung“ des Mose – wohl aber sind die einzelnen Opfervollzüge durch die Opfertora in Lev 1–7 normiert, so dass über eine den Weisungen JHWHs entsprechende Ausführung der einzelnen Opfer auch die „Torakonformität“ des Gesamtrituals garantiert scheint.54 Seine zweite Rede (Lev 9,7) richtet Mose an Aaron und fordert diesen auf, zum Altar heranzutreten, um die Opfer für sich selbst und für das Volk darzubringen. Der Fokus liegt dabei (mit Lev 9,7d.f) auf dem Erwirken von Versöhnung (כפר-pi.), womit primär dem Effekt der ḥaṭṭā’t-Vollzüge Bedeutung zugesprochen wird, der allerdings – das nachfolgende Geschehen deutend – auf das Gesamt des Gottesdienstes ausgedehnt wird, in dem die von JHWH gewährte Versöhnung eine gelingende Begegnung zwischen JHWH und Israel ermöglicht.55 Den Abschluss der Moserede markiert schließlich die Gebotsformel ( ;כאשר צוה יהוהV.7g), die verdeutlicht, dass die von Mose in V.6 zugesagte Entsprechung zwischen dem von JHWH Gebotenen und dem gottesdienstlichen Handeln ausdrücklich durch Aaron (im toragemäßen Vollzug des Gottesdienstes) herzustellen ist.56 Damit ist in den Versen Lev 9,5.6–7 der Ausgangspunkt für den Opfergottesdienst gelegt, der von Aaron – zusammen mit seinen Söhnen (vgl. Lev 9,9b.12b–13a.15cd.18b–20v) – ausgeführt wird. Die Priester vollziehen also erstmals selbst (aktiv) die vorgeschriebenen Kulthandlungen, nachdem beim Weihegottesdienst in Lev 8 die Opfer (im Wesentlichen) von Mose dargebracht wurden. Letzterer hingegen ist in Lev 9 zunächst nur insoweit involviert, als er den Gottesdienst initiiert, den Verlauf vorgibt und die entschei53 Zusätzlich eingeschärft aber wird diese Entsprechung in Lev 8 durch die sieben Mal – die Beschreibung des Weihrituals gliedernd – wiederholte Gebotsformel in Lev 8,9c.13c.17b.21e29d.36b. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 363; MILGROM, Leviticus 1–16, 576; u.a. 54 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 366–367. Zu einer anderen Deutung vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 576. 55 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 367; JÜRGENS, Heiligkeit, 246. Vgl. ähnlich MILGROM, Leviticus 1–16, 578. 56 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 368.
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
denden theologischen Deutungen des Geschehens vornimmt (vgl. Lev 9,1– 4.6–7), also in seine „klassische“ Rolle als Gesetzesmittler und -ausleger „zurückkehrt“.57 Die einzelnen liturgischen Vollzüge des ersten feierlichen Gottesdienstes Israels am Sinai werden in Lev 9,8–22 thematisiert, wobei die beiden Opfer für Aaron (vgl. Lev 9,8–14) insofern besonders ausführlich gestaltet sind, als hier – in Anlehnung an Lev 4,1–5,13 (ḥaṭṭā’t) und Lev 1,1– 17 (ʽōlā) – auch die (wesentlichen) Teilvollzüge der Rituale nachgezeichnet werden, allerdings – wie ein Abgleich mit den entsprechenden Ritualanweisungen der Opfertora deutlich machen kann – ausdrücklich nicht alle. Beispielsweise fehlt in Lev 9,8 das der Sache nach eigentlich nicht verzichtbare Handaufstemmen bei der ḥaṭṭā’t. Lev 9 nimmt somit in der literarischen Ausgestaltung des Gottesdienstes Gewichtungen bzw. Fokussierungen vor und trifft damit gegenüber den vorausgesetzten Ritualtexten in Lev 1–7 eine Auswahl, die es den Lesenden einerseits ermöglichen soll, die grundlegende Behauptung der Konformität mit dem Willen JHWHs (vgl. Lev 9,6–7) selbst zu verifizieren, die andererseits aber Lev 9 deutlich von einer bloßen narrativen „Transkription“ der präskriptiven Passagen aus der Opfertora abhebt. Dem entsprechend wird für die ḥaṭṭā’t und für die ʽōlā des Volkes (V.15–16) lediglich summarisch ihre Ausführung konstatiert. Lev 9,15d aber hält fest, dass die zweite ḥaṭṭā’t exakt wie die erste abläuft, während zur ʽōlā festgestellt wird, dass Aaron diese ‚( כמשפטgemäß der Anweisung‘), d.h. entsprechend den Vorschriften aus Lev 1 (bzw. Ex 29,15–18), vollzieht. Beim Speiseopfer (vgl. Lev 9,17) schließlich werden – in knapper Form – die auch in Lev 2 genannten, wesentlichen Ritualschritte (Heranbringen der Gabe, Abheben und Verbrennen der ’azkārā) angeführt.58 Zuletzt schließlich beschreibt Lev 9,18–21 die Darbringung der Heilsgemeinschaftsopfer wiederum in solcher Weise, dass einerseits die Umsetzung der Vorschriften aus Lev 3 nachvollziehbar wird, ohne dass diese dazu in all ihren Einzelschritten aufgenommen sind.59 Das Dokumentieren der Konformität des vollzogenen Rituals mit dem Willen JHWHs, das somit die gesamte Beschreibung des Gottesdienstes am Sinai durchzieht, wird allerdings durch eine „Irregularität“ kontrastiert, die im Text selbst ausdrücklich angezeigt ist. So ist die Gebotsformel in Lev 9,10b betont nicht an den Abschluss der Darstellung der ḥaṭṭā’t Aarons (vgl. Lev 9,8–11) gesetzt, sondern vor dem letzten Schritt derselben, dem Verbrennen des Fleisches und des Fells des ḥaṭṭā’t-Tiers außerhalb des Lagers, der damit buchstäblich von der in der Gebotsformel konstatierten Übereinstimmung der Ausführung mit dem offenbarten Willen JHWHs ausgenommen scheint.60 57
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 362; JÜRGENS, Heiligkeit, 249–250. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 369. 59 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 369–370; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 298. 60 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 368. 58
C. Der erste Gottesdienst am Sinai (Lev 9)
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Und tatsächlich sind gemäß Lev 4 Fleisch und Fell des ḥaṭṭā’t-Tiers zwar dann außerhalb des Lagers zu verbrennen (wie in Lev 9,11 geschehen), wenn das Blut der ḥaṭṭā’t im Zelt appliziert wurde (z.B. bei der ḥaṭṭā’t des Gesalbten Priesters; vgl. Lev 4,3–12). Genau dieser Fall jedoch ist in Lev 9,8–11 nicht gegeben. Obgleich nämlich die ḥaṭṭā’t für Aaron dargebracht wird, findet die Blutapplikation – entgegen der Vorgabe von Lev 4 – am Brandopferaltar statt, mit den Überresten des Kalbes jedoch wird in V.11 so verfahren, als wäre das Blut an ins „Heilige“ gebracht worden. Diese Abweichungen von den Vorschriften zur ḥaṭṭā’t in Lev 4 machen deutlich, dass in Lev 9 – gegenüber Lev 4,1–5,13, wo die „Standardform“ der ḥaṭṭā’t beschrieben wird, die für begangene und / oder erkannte Schuld Versöhnung bewirken soll – ein „Spezialfall“ dieses Opfertyps im Rahmen der Kultinauguration vorliegt. Entsprechend ist die skizzierte Abweichung von Lev 4,1–5,13 geradezu als „torakonforme Irregularität“ zu werten, die die Besonderheit und Einmaligkeit des in Lev 9 beschriebenen Gottesdienstes deutlich macht, die ansonsten herausgearbeitete Konformität der Vollzüge mit dem von JHWH in Lev 1–7 Befohlenen aber ausdrücklich nicht aufhebt.61 Ein weiteres auffälliges Element in der Ritualbeschreibung von V.8–22 ist schließlich der glossenartig wirkende Nachsatz in Lev 9,17d מלבד עלת הבוקר (‚außer dem / zusätzlich zum Brandopfer des Morgens‘), der die Ausführung des morgendlichen Brandopfer-Tamids (vgl. Ex 29,38–42) im Rahmen des Gottesdienstes am Sinai konstatiert.62 17a 17b 17c 17d
Und er nahte heran (קרב-hi.) das Speiseopfer und füllte seine Handfläche damit und ließ es auf dem Altar in Rauch aufgehen (קטר-hi.) – außer dem // zusätzlich zum Brandopfer des Morgens. (Lev 9,17)
Das (Morgen-)Tamid ist der einzige Opfervollzug im Gesamt der Feier, der nicht durch die Anweisungen des Mose in Lev 9,2–4 vorgegeben ist. Im Gegenteil: Es scheint hier so selbstverständlich vorausgesetzt zu sein, dass die besonderen Opfer des ersten, feierlichen Gottesdienstes, die in Lev 9,2–4.8– 22 ausführlich thematisiert werden, beinahe wie ein „erklärungsbedürftiger“ „Zusatz“ bzw. eine Ergänzung zum regulären, täglichen Opfer erscheinen. Dieser Supplement-Charakter wird durch das ‚( )מ(לבדaußer, zusätzlich zu…‘) unterstrichen, das den Umstand betont, dass die übrigen, „besonderen“ Opfer des feierlichen Gottesdienstes, die Lev 9,6–22 ausführlich behandelt, zusätzlich ( )מלבדzum regulären, täglichen Brandopfer stattfinden.
61
Zur weitergehenden Interpretation des Rituals vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 368–369; JÜRGENS, Heiligkeit, 251–254; MILGROM, Leviticus 1–16; 580. 62 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 369; MILGROM, Leviticus 1–16; 584.
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Interessant ist zudem auch die Positionierung der Tamid-Notiz V.17d, die sich im Abschnitt zu den Opfern des Volkes (Lev 9,15–21) und hier im Anschluss an ʽōlā und minḥā (V.16–17c) findet. Diese Zuordnung zu den Opfern des Volkes erscheint dabei von Ex 29,38–42 her insofern als geboten, als dort das Tamid betont als kommunale Opfergabe, d.h. als Opfer ganz Israels profiliert wird. Die Anordnung nach ʽōlā und minḥā hingegen reflektiert, dass das Tamid einerseits zusammen mit diesen dargebracht wird, andererseits aber auch in dieselbe Kategorie wie diese gehört, während es von den Heilsgemeinschaftsopfern (vgl. Lev 9,18–21) und von der ḥaṭṭā’t (vgl. Lev 9,15) deutlich abzuheben ist. Zuletzt jedoch ist der Rekurs auf das Tamid in V.17d auch vom Ende der Perikope in Lev 9,23d–24 her zu verstehen. 23d 24a 24b 24c 24d 24e
Da erschien die Herrlichkeit JHWHs zum ganzen Volk hin ()אל־כל־העם und es ging Feuer aus von vor JHWH und verzehrte auf dem Altar das Brandopfer und die Fettstücke. Das sah das ganze Volk und sie brachen in Jubel aus und fielen auf ihr Angesicht (nieder). (Lev 9,23d–24)
Lev 9,23d–24 berichtet von einem Erscheinen der Herrlichkeit JHWHs, in dem JHWH (positiv) auf die Darbringung der Gaben Israels reagiert. Dabei macht die sinnenfällige Gegenwart JHWHs in der Theophanie die im Kult gestiftete Gemeinschaft zwischen JHWH und Israel konkret, während der Umstand, dass das von JHWH ausgehende Feuer die Gaben auf dem Altar (vgl. Lev 9,24b) verzehrt, die Akzeptanz der Opfergaben Israels (und des Rituals ihrer Darbringung) zum Ausdruck bringt. Lev 9,24b ist allerdings kaum in dem Sinne zu verstehen, dass der Altar im Zuge der Theophanie erstmals durch JHWH entzündet würde, das Feuer des Altars also von Gott übergeben und anschließend von Israel zu hüten sei. So ist im Kontext von Lev 8–9 vorausgesetzt, dass auch schon an den vorausgehenden sieben Tagen (im Kontext der Priester- und Altarweihe) Opfer vollzogen werden. Dies aber setzt einen technisch funktionstüchtigen Altar voraus, zu dem als essenzieller Bestandteil ein brennendes Altarfeuer gehört.63 Plausibler erscheint damit die Annahme, dass Lev 9,24b durch die Beschreibung des von JHWH ausgehenden Feuers, das die Gaben auf dem Altar verbrennt, die Akzeptanz der Gaben Israels durch JHWH und damit ein Gelingen der kultischen Kommunikation andeutet.64 In der Theophanie von Lev 9,23–24 ist demnach als Wirkung und Folge des ersten Gottesdienstes am Sinai narrativ ausgestaltet, was gemäß Ex 29,42.43 in gleicher Weise auch bei jedem einzelnen Tamid-Vollzug realisiert 63
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 372. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 372; MILGROM, Leviticus 1–16; 590–591; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 300–301. 64
C. Der erste Gottesdienst am Sinai (Lev 9)
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ist, wenngleich es hier nicht durch das Erscheinen der Herrlichkeit JHWHs und das Herabkommen von Feuer sinnenfällig wird: In den täglichen Brandopfern ereignet sich – nicht anders als im ersten Gottesdienst am Sinai – eine Begegnung von JHWH und Israel am Eingang des Zelts der Begegnung, während im Geben bzw. in der Annahme der Gabe gelingende Kommunikation initiiert wird. Damit aber kann – in Weiterführung des im Zuge der Auslegung von Ex 29,43 bereits ausgeführten – der erste Gottesdienst am Sinai hinsichtlich seiner Funktion und Intention als „ausführliches Tamid“ charakterisiert werden,65 womit umgekehrt das regelmäßig vollzogene Tamid (nach dem Sinai) als Anknüpfen an den bzw. als Fortführen des Gründungsgottesdienstes zu fassen ist. Das Kontinuität stiftende Moment im Kult Israels, das den aktuell vollzogenen Kult und das Gründungsgeschehen am Sinai miteinander verbindet, ist also mit dem Brandopfer-Tamid eine regelmäßige Kulthandlung – und nicht etwa ein erstmals am Sinai durch JHWH entzündetes und seitdem physisch bewahrtes Feuer. Zuletzt aber setzt Lev 9,17d voraus, dass das morgendliche BrandopferTamid – ebenso wie die übrigen in Lev 9 beschrieben Opfervollzüge – von Aaron ausgeführt wird, was so in Ex 29,38–46 an keiner Stelle ausdrücklich festgehalten wird, da dort das Tamid vorrangig als kommunales Opfer (ganz Israels) qualifiziert ist, als dessen (vorläufiger) Akteur Mose (vgl. die Anrede in der 2. Pers. Sg.) erscheint (vgl. so auch Ex 40,29). Wenn nun aber in Lev 9,17d Aaron als faktisch Ausführender des Tamid auftritt, ist wohl dennoch kein Widerspruch zu Ex 29,38–46 gegeben, da der Umstand, dass Aaron das Lamm und seine Begleitopfer zum Altar bringt, der Deutung des Tamid als kommunales Opfer ganz Israels nicht entgegensteht. Im Gegenteil: Von Lev 9,17d her wird deutlich, dass – nach dem Abschluss der Priesterweihe – die Ausführung des Tamid zu den Aufgaben der Priester gehört, während der in Ex 40,29 thematisierte Vollzug durch Mose auf den Umstand reagiert, dass am Tag der Aufrichtung des Heiligtums noch kein „regulärer“ Priester zur Verfügung steht.66 II. Ein „versteckter“ Tamid-Dienst im „Heiligen“? (Lev 9,22–23) 22a 22b 22c 22cI 23a 23b 23c 23d
65 66
Aaron erhob seine Hände zum Volk hin ()אל־העם und segnete sie. Und er stieg herab vom Machen der ḥaṭṭā’t und der ʽōlā und der šelāmīm. Dann kam ( )בואMose und Aaron in das Zelt der Begegnung und sie gingen heraus ()יצא und segneten das Volk. Da erschien die Herrlichkeit JHWHs zum ganzen Volk hin ()אל־כל־העם. (Lev 9,22–23)
Vgl. ähnlich MILGROM, Leviticus 1–16, 591. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 599–600; MILGROM, Leviticus 1–16, 580.
374
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Im Zusammenhang mit der Frage nach Tamid-Vollzügen in Lev 8–10 und speziell in Lev 9,1–24 ist zuletzt auf Lev 9,22–23c einzugehen. Interessant ist in diesen Versen v.a. das in V.23a thematisierte Hineingehen ( )בואvon Mose und Aaron in das Zelt der Begegnung sowie das – in der Darstellung des Textes – unmittelbar darauf folgende Herausgehen ( )יצאder beiden (vgl. V.23b). Die Handlungen erscheinen in dieser Abfolge insofern rätselhaft, als der Text einerseits ihren Grund bzw. ihr Anliegen verschweigt, andererseits aber auch nicht explizit macht, was – gleichsam zwischen V.23a und V.23b – im Inneren des Zeltes geschieht.67 Auffällig ist allerdings, dass beide Protagonisten, also Mose und Aaron, im Anschluss an das Herauskommen aus dem Zelt (nochmals) das Volk segnen (Lev 9,23c) und damit eine Handlung zu wiederholen scheinen, die Aaron (allein) bereits in Lev 9,22ab vollzogen hat.68 Lev 9,22ab nämlich hält fest, dass er – im unmittelbaren Anschluss an den Vollzug der Opfer (vgl. Lev 9,8–21) – seine Hände erhebt (V.22a), um das Volk zu segnen (V.22b) und danach vom Altar herabzusteigen (;ירד V.22c). Dieser Abstieg ist allerdings kaum als Raumbewegung von oben nach unten zu fassen, da aus den Anleitungen zum Heiligtumsbau in Ex 25,31 oder den Texten in Ex 35–40, die den Aufbau des Heiligtums thematisieren, kaum ein erhöhter Punkt im Heiligtum ersichtlich wird, von dem aus Aaron sich hinab bewegen könnte. Er befindet sich in Lev 9,8–21 (und wohl auch in Lev 9,22ab) am Brandopferaltar vor dem Zelt, der aber an keiner Stelle als erhöht stehend beschrieben wird. Daher ist das Hinabsteigen in Lev 9,22c (ebenso wie ein komplementäres Hinaufsteigen) weniger als Umschreibung einer vertikalen Bewegung im Raum, sondern eher im übertragenen Sinne als Hinweis auf das Beenden des Gottesdienstes zu interpretieren:69 Aaron verlässt den kultischen Funktionsort, an dem er zuvor die angeordneten Kultvollzüge ausgeführt hat. Dies bedeutet zugleich aber auch, dass das vor dem „Abstieg“ berichtete Segnen (Lev 9,22ab) zu dem in Lev 9,8–21 dargestellten Opfergottesdienst gehört bzw. dessen Abschluss anzeigt.70 Wenn nun Lev 9,23c einen weiteren Segen, diesmal der beiden in V.23ab genannten Akteure, Mose und Aaron, erwähnt, liegt die Vermutung nahe, dass hier in analoger Weise der Schlusspunkt eines gottesdienstlichen Vollzugs markiert werden soll, der sich zwischen dem Hineingehen ins Zelt und dem Herauskommen abspielt. Dieser selbst bleibt dem Volk – und auch den Lesenden – verborgen, wird über den abschließenden Segen aber als ein Geschehen inszeniert, in dem sich die im Segen explizit zugesprochene Gottesbegegnung realisiert.
67
Vgl. STRUPPE, Herrlichkeit, 83–85. Vgl. dazu HARTLEY, Leviticus, 121; 124. 69 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 371. 70 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 371–372. 68
C. Der erste Gottesdienst am Sinai (Lev 9)
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Indem Lev 9,23ab die Lesenden somit auf die Perspektive des am Heiligtum versammelten Volkes festlegt, ihnen also den Blick auf diejenigen Vorgänge verweigert, die auch das Volk nicht wahrnehmen kann, ihnen umgekehrt aber ausdrücklich mitteilt, was das Volk sieht (vgl. ;ראהV.23d.24c), gliedert er die Lesenden gleichsam in das Volk ein bzw. leitet sie dazu an, sich am Höhepunkt des Textes als Teil desselben wahrzunehmen. Das Geschehen im Zelt hingegen erweist sich – ungeachtet der Tatsache, dass es in der Textwelt für das Volk bzw. im Lektürevorgang für die Lesenden „unzugänglich“ bzw. „unsichtbar“ bleibt – als dennoch erschließbar. So können sich die Lesenden auf die Beobachtung stützen, dass das unmittelbare Nacheinander der beiden Verben ‚( בואkommen, hineingehen‘) und ‚( יצאherausgehen‘) über Lev 9,23ab hinaus auch in Ex 28,35 belegt ist. Er findet sich also im Zusammenhang mit der Funktionsbeschreibung des meʽīl, der – wie oben dargestellt – gleichsam als „Schutzhülle“ fungiert, die Aaron dazu befähigt, den Raum des „Heiligen“ mit seiner potenziell auch bedrohlichen Gottesnähe gefahrlos zu betreten. Lev 9,23ab
23a 23b
יבא משה ואהרן אל אהל מועד ויצאו
Ex 28,35
והיה על אהרן לשרת ונשמע קולו בבאו אל הקדש לפני יהוה ובצאתו ולא ימות
35a 35aI 35b 35bI1 35bI2 35c
Bei der Auslegung von Ex 28,35 konnte gezeigt werden, dass mit den in Ex 28,35 nachgezeichneten, vom Klang der Glöckchen am Saum des meʽīl begleiteten Bewegungen Aarons in das „Heilige“ hinein ( )בואund aus diesem hinaus ()יצא, ein „Dazwischen“ markiert und umspielt wird, in dem sich Aaron „vor JHWH“ ( ;לפני יהוהvgl. Ex 28,35) befindet, dort über die Steine auf seinen Gewändern und deren Inschriften Israel vor JHWH in Erinnerung ruft und zugleich die Kultakte im „Heiligen“ vollzieht, d.h. den Dienst am Leuchter und am Goldenen Altar. Angesichts des Rückbezugs auf Ex 28,35 liegt nun auch in Lev 9,23ab nahe, dass Mose und Aaron das Zelt betreten, um die Kultvollzüge an den beiden Geräten auszuführen.71 Dabei ist – nachdem der feierliche Gottesdienst am Sinai über den Rekurs auf ein ‚( עלת הבוקרmorgendliches Brandopfer‘) in Lev 9,17d auf den Morgen terminiert wird – anzunehmen, dass sie an der Menora nicht das (für den Abend vorgesehene) Anzünden / Emporheben der Lampen ausführen, sondern das „Zurechtmachen“ (טוב-hi.; Ex 30,7bI), d.h. das Reinigen und Präparieren des Leuchters, das von einem Weihrauchopfer am Goldenen Altar begleitet wird (vgl. Ex 30,7). 71
Vgl. JÜRGENS, Heiligkeit, 250–251. Vgl. ähnlich HIEKE, Levitikus 1–15, 371.
376
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Über den zu Lev 9,22ab (Segen) analogen Abschluss in Lev 9,23c werden diese – im Text nicht beschriebenen – Kultvollzüge im Zelt der Begegnung mit dem ausführlich dargestellten Gottesdienst am Brandopferaltar (vgl. Lev 9,8–21) korreliert: Beide Handlungssequenzen, die breit beschriebene in Lev 9,8–21.22 sowie die nur von ihren Rändern, Hineingehen bzw. Herauskommen und Segnen, überhaupt greifbare in Lev 9,23 stehen letztlich parallel nebeneinander. Dabei kann die nachgezeichnete, deutlich unterschiedliche Inszenierung der jeweiligen Kultvollzüge die bereits in der Analyse von Ex 27,20–30,10 angedeuteten komplementären Dynamiken des Kultes im „Heiligen“ einerseits und des Kultes am Eingang des Zelts der Begegnung andererseits veranschaulichen. Der Kult am Eingang des Zelts, d.h. am Brandopferaltar, ist mit dem Konzept eines „Dorthin-Begegnens“ JHWHs (vgl. Ex 29,42) verbunden, mit der Vorstellung also, dass JHWH am Altar (aktiv) Israel begegnet (vgl. dazu Lev 9,23–24), wenn dieses gemäß der Weisung JHWHs Opfer darbringt. Beim Kult im „Heiligen“ hingegen manifestiert sich beinahe die „Gegenbewegung“ hierzu: Immerhin ist hier die Idee bestimmend, dass Aaron – als dazu durch seine Heiligung sowie durch seine Gewänder hinreichend Befähigter – den durch seine besondere Gottesnähe qualifizierten Raum des „Heiligen“ betritt, um dort über die Inschriften auf ’ēfod und ḥošæn und durch die Kultvollzüge zentrale Facetten israelitischer Identität darzustellen und vor JHWH regelmäßig präsent zu machen. Israel ist somit bei den Kulthandlungen im „Heiligen“ in vermittelter Weise präsent, was Lev 9,23 insofern umsetzt, als die im Raumkonzept des Heiligtums festgehaltene Unzugänglichkeit des „Heiligen“ literarisch zu einer „Unsichtbarkeit“ des Geschehens – für das Volk in der Textwelt ebenso wie für die Lesenden – ausgestaltet ist. Somit inszeniert der Text letztendlich auch die Heiligkeit des „Heiligen“, wenn er einerseits verschweigt, was im Zelt geschieht und damit die räumlichen Abgrenzungen des Raumkonzeptes des Heiligtums in Kraft und Geltung lässt, andererseits aber den Lesenden die Möglichkeit einer „Rekonstruktion“ belässt und auf diese Weise zugleich transparent macht, was er verhüllt – und darin zuletzt auch den Umstand kommuniziert, dass er („bewusst“) verhüllt. Was aber die Kultvollzüge am Altar und im „Heiligen“ mit ihrer je eigenen – zum jeweils anderen als gegenläufig angelegten – Dynamik anbelangt, so wird in Lev 9 ebenso wie bereits in der Heiligtumstora, ein komplementäres Nebeneinander greifbar, in dem sich diejenige Begegnung zwischen JHWH und Israel vollziehen kann, die dem Volk in Lev 9,23d–24 in besonders eindrucksvoller Weise erfahrbar wird, die letztlich aber alle Kultvollzüge Israels prägt. Wie in Lev 9,8–21 ist dabei auch in Lev 9,23 eine „Irregularität“ greifbar, die ebenfalls aus der Besonderheit des ersten Gottesdienstes erklärbar ist. Sie besteht in diesem Fall darin, dass nicht nur Aaron allein, der Ex 27,20– 21; 30,7–8 zufolge die Kultakte im „Heiligen“ auszuführen hat, das Zelt betritt: Er wird vielmehr von Mose begleitet, der alle in Lev 9,23 berichteten
C. Der erste Gottesdienst am Sinai (Lev 9)
377
Aktionen – das Hineinkommen und Hinausgehen ebenso, wie das Segnen72 – zusammen mit Aaron vornimmt. Dies ist am plausibelsten damit zu erklären, dass Aaron – anders als beim Kult am Eingang des Zelts, den er in Lev 9,8– 22 (erstmals) selbstständig ausführen kann, während Mose hier „nur“ noch in seiner Rolle als Toramittler präsent ist (vgl. V.1–4.6) – bei den Kultvollzüge im „Heiligen“ einer „Einführung“ bedarf, die er von Mose erhält. Dies wiederum legt nahe, dass Aaron in Lev 9,23 erstmals das Zelt betritt und somit auch erstmals die im „Heiligen“ zu vollziehenden Kulthandlungen ausführt.73 Vor dem Hintergrund von Lev 8 (und Ex 29,1–35) erscheint diese Annahme als durchaus plausibel, da die Priester Lev 8,35–36 zufolge während der sieben Tage der Weihe auf den Raum am Eingang des Zelts der Begegnung festgelegt sind und diesen nicht verlassen dürfen. Folglich steht ihnen auch das Betreten des Zeltes nicht zu, das zudem – mit Ex 40,34–35 – von der Herrlichkeit JHWHs angefüllt ist und daher während dieser Zeit sogar für Mose unzugänglich bleibt. Nach den sieben Tagen ist jedoch – wie Lev 9,23 nahelegt – die generelle Unzugänglichkeit aufgehoben bzw. dahingehend modifiziert, dass zumindest Aaron und Mose das „Heilige“ betreten können.74 Was die Kultakte am Leuchter und am Goldenen Altar anbelangt, so werden diese am Tag der Aufrichtung des miškān, d.h. im Zusammenhang mit der Platzierung der Geräte, von Mose (einmalig) ausgeführt (vgl. Ex 40,23–25). In der Zeit zwischen dem Einzug der Herrlichkeit JHWHs (Ex 40,34–35) und dem feierlichen Gottesdienst in Lev 9 hingegen findet der Logik des Textes zufolge kein Kult im „Heiligen“ statt. So ist in Lev 9,23 der Beginn des regulären und regelmäßigen Kultes an Menora und Goldenem Altar angedeutet, bei dem Mose die Aufgabe zukommt, Aaron bei seinem ersten Ausführen der Vollzüge anzuleiten, so dass dieser von da an selbstständig im „Heiligen“ tätig sein kann. Diese – im Text lediglich implizierte und aus den Sinnzusammenhängen herzuleitende – Idee ist auch insofern interessant, als in Ex 27,20–21; 30,7–8 keine (eindeutigen) Angaben zu den konkreten Handlungen und Handlungsabfolgen zu finden sind, so dass das „Wie“ der Ausführung aus den Anweisungen der Heiligtumstora alleine nicht zu erheben ist – und auch gar nicht erhoben werden soll... Wenn nun aber Lev 9,23ab andeutet, dass Mose mit Aaron das Zelt der Begegnung betritt, um diesen in den dort zu vollziehenden Kult einzuführen, scheint zugleich vorausgesetzt, dass Mose die rituellen Abläufe kennt und an Aaron weitergeben kann, der sie seinerseits an seine Söhne tradiert – ( לדרתםvgl. Ex 27,21). Mose garantiert also von Anfang an auch, dass alle Vollzüge im „Heiligen“ exakt konform zum Willen JHWHs ausgeführt werden, den aber außer Mose und den aaro72
In Lev 9,22 segnet hingegen nur Aaron. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 371. 74 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 371; NIHAN, Priestly Torah, 91; RUWE, Structure, 63– 73
64.
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
nidischen Priestern niemand kennt. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Konformität zum geoffenbarten Gotteswillen selbst zum „Traditionsgut“ wird.75 So ist in Lev 9,23 für den Bereich der Kultgesetzgebung ein Haftpunkt für die spätere rabbinische Konzeption einer „mündlichen Tora“ gegeben, die ‚( מסיניvom Sinai an‘; vgl. mAvot 1.1) die schriftliche Tora „begleitet“. III. Resümee Als Resümee der soeben angestrengten Überlegungen ist abschließend festzuhalten, dass der in Lev 9,1–24 beschriebene erste feierliche Gottesdienst Israels am Sinai zugleich auch den Anfangspunkt der regelmäßigen Kultvollzüge im Heiligtum Israels (in ihrer regulären Gestalt) markiert. An diesem erfährt die Gottesbegegnung Israels bzw. die Israelbegegnung JHWHs im Kult durch den Theophaniebericht in Lev 9,23d–24 eine besondere literarische Ausgestaltung, ohne dadurch aber („exklusiv“) auf den Anfang beschränkt zu bleiben. Vielmehr wird die Gemeinschaft von JHWH und Israel – wie z.B. Ex 29,43b ausdrücklich betont – in jedem Tamid-Vollzug erfahrbar und konkret. Da aber das Tamid in Lev 9,17(.23) – anders als die sonstigen Kultvollzüge (vgl. Lev 9,8–21), bei denen jeweils deutlich eine für den Gottesdienst in Lev 9 spezifische Besonderheit herausgestellt wird – eher beiläufig erwähnt und damit implizit auch als völlig regulär qualifiziert wird, erscheint es als derjenige Vollzug, der die Kontinuität zwischen dem späteren Kult und dem feierlichen Anfang in Lev 9 gleichsam „institutionalisiert“. Als wesentlich erweist sich zuletzt aber auch die Konformität (der regelmäßigen wie der außergewöhnlichen, einmaligen Vollzüge) zum geoffenbarten Willen JHWHs, die im Hinblick auf das Tamid v.a. in Lev 9,23 durch das Mitwirken des Mose betont und zugleich garantiert wird. IV. Ausblick auf Lev 10 Die Bedeutung dieser „Torakonformität“ für das Gelingen des Kultes ist zuletzt auch in Lev 10 Thema, in demjenigen Kapitel also, in dem die Beschreibung der Kultinitiation in Lev 8–10 ihren Abschluss findet. Als wesentlich für den Zusammenhang dieser Studie erweisen sich dabei v.a. die ersten drei Verse, Lev 10,1–3, in denen dargestellt wird, dass Nadab und Abihu, die beiden älteren Söhne Aarons, ihre Räucherpfannen nehmen, Feuer, d.h. glühende Kohlen, darauf legen und vor JHWH Räucherwerk darbringen. In der Erzählstimme wird dieser Vorgang als ‚( אש זרהfremdes Feuer‘) qualifiziert (vgl. Lev 10,1d), wobei das Moment der Fremdheit im Wesentlichen darin liegt, dass die Aaronsöhne einen Kultakt vollziehen, der in dieser Weise nicht 75
Zum Dienst am Leuchter als „Traditionsgegenstand“ vgl. auch die Auslegung zu Ex 27,21b.
C. Der erste Gottesdienst am Sinai (Lev 9)
379
von JHWH befohlen wurde (vgl. Lev 10,1dR) und mit den Weisungen aus Ex 29–30; 40; Lev 1–7 dezidiert nicht konform ist.76 Stellt sich vor diesem Hintergrund – im Umkehrschluss – die Frage nach dem Befohlenen, so ist wohl primär an die Vorschriften zum Gebrauch des Rauchopferaltars in Ex 30,7–10 sowie zur korrekten Verwendung des Räucherwerks in Ex 30,36 zu denken. Auf diese Texte nämlich verweist – neben der grundlegenden Thematik des Rauchopfers – auch die Wendung אש זרה (‚fremdes Feuer‘) in Lev 10,1d, die an die Formulierung ‚( קטרת זרהfremdes Räucherwerk‘) in Ex 30,9 erinnert, während das קטרת סמים, das die Aaronsöhne in Lev 10,1 darbringen, in Ex 30,7–8.9.36 einerseits als die einzige erlaubte Opfermaterie des Goldenen Altars bestimmt, andererseits aber auf die in Ex 30,7–8 vorgeschriebene Darbringung beschränkt – und folglich für alle anderen Vollzüge verboten – wird.77 Von Ex 30 her ist somit erkennbar, dass Nadab und Abihu das Räucherwerk sowohl auf dem falschen Kultgerät – sie verwenden Räucherpfannen anstelle des Altars – als auch zur falschen Zeit bzw. im falschen Kontext, also außerhalb des vorgeschriebenen Rauchopfer-Tamids darbringen.78 Besonders auffällig dabei ist, dass – obwohl die Räucherpfanne ( )מחתהin Ex 25–30 nicht als Kultgerät (für die Weihrauchdarbringung) vorgesehen ist79 und folglich nur illegitim sein kann – jeder der Aaronsöhne seine eigene hat und diese hervorholen kann.80
In einem gewissen Kontrast zu der vor dem Hintergrund von Ex 30,1–10 deutlich aufscheinenden Illegitimität der in Lev 10,1 beschriebenen Kult76
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 384; FREVEL, Mose, 114; GERSTENBERGER, Leviticus, 105; LEVINE, Leviticus, 58–59; MILGROM, Leviticus 1–16, 598; NIHAN, Priestly Torah, 92; 580–587; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 85–86; WENHAM, Leviticus, 155. Eine andere Deutung bieten DOHMEN, Exodus 19–40, 331–332; JÜRGENS, Heiligkeit, 267–283. 77 Vgl. FREVEL, Mose, 115; HIEKE, Levitikus 1–15, 383–384; WENHAM, Leviticus, 155. 78 Vgl. FREVEL, Mose, 115–116; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 307–309. 79 Räucherpfannen ( )מחתתals (eigenständige) Kultgeräte werden in Ex 25–31 nicht erwähnt. So werden zwar im Zusammenhang mit dem Leuchter und dem Brandopferaltar מחתתals begleitende Geräte erwähnt (vgl. Ex 25,38; 37,23; Num 4,9 für die מחתתdes Leuchters, Ex 27,3; 38,3; Num 4,14 für die מחתתdes Brandopferaltars), die aber in beiden Fällen nicht der Weihrauchdarbringung dienen und damit von den in Lev 10,1 erwähnten Pfannen zu unterscheiden sind (vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 307). In Num 16–17 (vgl. Num 16,6.17–18; 17,2–4.11) schließlich sind Räucherpfannen als Kultgeräte der Korachiten von Bedeutung, die in Num 16,35 letztlich dasselbe Schicksal ereilt, wie die Söhne Aarons in Lev 10,1 (vgl. zum Nebeneinander von Lev 10 und Num 16–17 z.B. GERSTENBERGER, Leviticus, 107–109). Als legitimes Kultgerät zur Darbringung von Weihrauch findet sich eine מחתהnur in Lev 16,12, wo von einer Räucherpfanne Aarons, die Rede ist, die dieser vor dem Betreten des „Hochheiligen“ entzündet, um mit ihrer Hilfe einen „Weihrauchvorhang“ zu kreieren, der die separierende Funktion der Parochet übernimmt. 80 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 597.
380
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
handlung steht allerdings die in der Formulierung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) angedeutete Intention der Aaronsöhne, die letztendlich als positiv charakterisiert wird. Sie praktizieren ausdrücklich keinen Fremdkult und verbinden mit ihren Handlungen wohl die Absicht, die in der Theophanie erfahrene Begegnung mit JHWH zu vertiefen bzw. auf das Erscheinen JHWHs in einem Akt der Huldigung zu antworten. Ungeachtet dieser letztlich positiv81 zu wertenden Absicht, die hinter dem „fremden Feuer“ steht, zeitigt dieses die in Lev 10,2 beschriebene negative Konsequenz: In gleicher Weise, wie in Lev 9,24 Feuer „von vor JHWH“ ( )מלפני יהוהausging, um die Gaben auf dem Altar zu verzehren ( )אכלund so deren Akzeptanz durch JHWH anzuzeigen, geht nun Feuer „von vor JHWH“ ( )מלפני יהוהaus, das die Söhne Aarons verzehrt ()אכל, so dass sie „vor JHWH“ ( )לפני יהוהsterben.82 Auf diese Weise illustriert Lev 10,2 die tödlichen Folgen, die ein Gefährden oder gar Aufheben der sensiblen Ordnung des Heiligtums für die Verantwortlichen zeitigt und verdeutlicht damit auch die bedrohliche Seite der Heiligkeit JHWHs.83 Letztere aber wird auch im deutenden Wort des Mose in Lev 10,3 betont, das über die beiden zentralen Stichworte קדש-ni. und כבדauf Ex 29,43 Bezug nimmt:84 JHWH erweist sich als heilig (קדש-ni.) an denen, die ihm nahen, und erweist seine Herrlichkeit (כבד-ni.) vor dem ganzen Volk.85 Diese Aussage lässt zunächst an die eigentliche Funktion des Kultes denken, die in Ex 29,42.43–46 (anhand des Tamids) dargestellt wird: Im Kult wird die Gegenwart JHWHs konkret und seine Herrlichkeit erfahrbar, so dass im gemäß den Weisungen JHWHs vollzogenen Ritual eine gelingende Begegnung zwischen dem heiligen Gott und seinem Volk möglich wird. Beispielhaft realisiert ist dies im Erscheinen des כבוד יהוהin Lev 9,24 als Höhepunkt des gemäß den Weisungen JHWHs vollzogenen Gottesdienstes Israels am Sinai. Kontrastierend dazu entfaltetet Lev 10,1–3 den Fall eines illegitimen Kults, in dem dieselbe Präsenz JHWHs – nicht im Gelingen von kultischer Kommunikation und im Begegnen JHWHs am Altar – als heilvoll erlebt wird, sondern im Gegenteil den Tod derer bewirkt, die die Ordnung des Heiligtums stören. Entsprechend manifestiert sich in Lev 10 die potenziell bedrohliche Ambivalenz der Nähe Gottes, die adäquaten Umgang und letztlich Expertenwissen erfordert.86 81
Von einer eindeutig negativen Absicht (Rebellion gegen die etablierte Ordnung des Heiligtums analog zum Aufstand der Korachiten in Num 16–17) geht z.B. R. RENDTORFF (vgl. DERS., Leviticus 1–10, 308–309) aus. 82 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 386; LEVINE, Leviticus, 59; MILGROM, Leviticus 1–16, 599; NIHAN, Priestly Torah, 92; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 310; WENHAM, Leviticus, 155. 83 Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 48–49. 84 Vgl. FREVEL, Mose, 116–117; Vgl. auch den Rekurs auf eine (vorangegangene?) Rede JHWHs in Lev 10,3b–bR, der ebenfalls auf Ex 29,43 verweisen kann. 85 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 386–388; MILGROM, Leviticus 1–16, 601–602. 86 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 387–388; RUWE, Heiligkeitsgesetz ,47–49.
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4)
381
Letztendlich wird damit in Lev 9–10 eine Konzeption greifbar, die ebenfalls bereits in Ex 29,36–46 angelegt ist, dass nämlich das korrekt (d.h. gemäß der Weisung JHWHs) ausgeführte Ritual als ein beim Aufheben einer räumlichen Segregation an deren Stelle tretendes „absicherndes“ Element funktionieren kann, das vor der Heiligkeit JHWHs schützt. Ein eigenmächtig ausgeführtes Ritual hingegen, „das JHWH nicht befohlen hat“ (vgl. Lev 10,1) generiert diesen Schutz nicht bzw. reißt die für ein Gelingen der Kommunikation nötigen „Trennmauern“ ein.87 Lev 10 ergänzt somit mit seiner eigenen Perspektive notwenige Aspekte, so dass die Darstellung der Kultinauguration in Lev 8–10 zugleich auch als Illustration der grundlegenden Zusammenhänge und Potenziale gelesen werden kann, die den regelmäßigen Kult Israels bestimmen.
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4) D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4)
Num 7,1–88.89–8,4, die – in kanonischer Abfolge – dritte Perikope der Tora, die die Weihe des Heiligtums mit dem spezifischen Schwerpunkt auf der Inauguration des Altars thematisiert, setzt – wie Ex 40,16–33.34–35 – beim Tag des Aufrichtens des miškān an und fokussiert dann auf die Gaben der Fürsten für das Heiligtum (Num 7,2–9) und für den Brandopferaltar (Num 7,10–88).88 Den Abschluss des Abschnitts Num 7,10–88 aber bildet das Summarium in Num 7,84–88,89 das in V.84a.88b durch die Sätze זאת חנוכת ( המזבח ביום המשח אתוV.84a) bzw. ( זאת חנוכת המזבח אחרי המשח אתוV.88b) gerahmt wird.90 Dabei fokussiert V.84a vorrangig auf die in Num 7,1 beschriebene Altarweihe als Anfangspunkt des in V.2–83 geschilderten Geschehens, während V.88b die zwölf Tage – als das „Danach“ der Salbung – in den Blick nimmt, die Zeitspanne also, in der die Ältesten der Stämme ihre Gaben darbringen.91 Im Anschluss an Num 7,88 markiert Num 7,89 einen relativen Neueinsatz. Thematisiert wird nun nämlich ein Kommen ( )בואdes Mose ins Zelt der Begegnung, das dem Zweck dient, dort mit JHWH zu sprechen. I. Kommen und Reden (Num 7,89) 89aIP 89aIPI
Beim Kommen des Mose ins Zelt der Begegnung aber, um mit ihm zu reden,
87 Vgl. BUDD, Leviticus, 151–152; FREVEL, Mose, 118; NIHAN, Priestly Torah, 93. Zur weitergehenden Interpretation von Lev 10 als Schriftauslegung in der Schrift vgl. FREVEL, Mose, 113–130; NIHAN, Priestly Torah, 579–607. 88 Vgl. SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 183–184; 189–190. 89 Vgl. LEVINE, Numbers 1–20, 258; MILGROM, Numbers, 53; 58. 90 Vgl. SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 194. 91 Vgl. HAUGE, Descent, 219–220; KNIERIM/COATS, Numbers, 101.
382 89a 89aR 89a 89b
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration da hörte er die Stimme redend zu sich von oberhalb der Kapporet, die auf der Lade der ʽedȗt ist, von zwischen den beiden Keruben her. Und er redete zu ihm. (Num 7,89)
Num 7,89 setzt den Abschluss der Heiligtumsweihe (vgl. Num 7,1–88) voraus, in deren Folge das Heiligtum „funktionsfähig“ ist, so dass Mose im Heiligtum JHWH gegenüber treten und mit ihm sprechen kann. In der konkreten narrativen Ausgestaltung dieser Gottesbegegnung aber spielt Num 7,89aI2 zunächst auf Ex 25,22 an92 und ruft so die dort entfaltete Konzeption auf, wonach im Sprechen JHWHs zu Mose vom leeren Raum zwischen den Keruben über der Lade her ein Begegnungsraum konstituiert wird.93 Num 7,89 89aIP 89aIPI 89a 89aR
89a 89b
Ex 25,22
ובבא משה אל אהל מועד לדבר אתו וישמע את הקול מדבר אליו מעל הכפרת אשר על ארן העדת
ונועדתי לך שם ודברתי אתך מעל הכפרת מבין שני הכרבים אשר על ארן העדת את כל אשר אצוה אותך אל בני ישראל
22a 22b
22bR1 22b 22bR2
מבין שני הכרבים וידבר אליו
Wo genau sich Mose befindet – im „Heiligen“ oder im „Hochheiligen“ – wird dabei in Num 7,89 (ebenso wie in Ex 25,22) nicht näher präzisiert, doch scheint eher ersteres vorausgesetzt, was zur Folge hat, dass das in Ex 25,22 als Begegnungsraum synthetisierte spacing von Mose und der Gegenwart JHWHs im Sprechen zu Mose letztlich die durch die Parochet markierte Raumgrenze innerhalb des Zelts „überschreibt“.94 Jedenfalls aber deutet Num 7,89 – im Rückgriff auf Ex 25,22 – an, dass das dort skizzierte Raumkonzept nach dem Abschluss der Heiligtumsweihe tatsächlich realisiert wird.95 Als interessant erweist sich dabei die Umstandsbzw. Situationsangabe in Num 7,89, die gegenüber Ex 25,22 insofern eine andere Akzentsetzung vornimmt, als nun von einem Kommen des Mose die Rede ist, das den Anstoß für die Kommunikation mit JHWH darstellt, wäh92 Vgl. ASHLEY, Numbers, 164; BUDD, Numbers, 86; 88; JACOB, Exodus, 878; SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 198–199. 93 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 537; ASHLEY, Numbers, 165; HAUGE, Descent, 218– 220; JACOB, Exodus, 878; MILGROM, Numbers, 59; SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 198– 199; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 232; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 122–123. 94 Vgl. JACOB, Exodus, 879–880. 95 Vgl. ASHLEY, Numbers, 165; BUDD, Numbers, 88.
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4)
383
rend Ex 25,22 allein die Initiative JHWHs betont, der zusagt, zu begegnen und zu Mose zu sprechen.96 Diese Beobachtung kann nun in mehrere Richtungen weiter entfaltet werden: Zunächst ergibt sich ein spannendes Verhältnis zu Ex 40,34–35; Lev 1,1. In Lev 1,1 nämlich wird ebenfalls ein Reden JHWHs zu Mose thematisiert, das – wie in Num 7,89 – unmittelbar mit dem Aufbau des Heiligtums (und dem Einzug der Herrlichkeit JHWHs) in Zusammenhang steht. Anders als in Num 7,89 ist dabei allerdings vorausgesetzt, dass sich Mose im Vorhof des Heiligtums befindet, da er – wie Ex 40,34–35 festhält – das Zelt nicht betreten kann. Trotz des „verschobenen spacings“ redet JHWH dennoch zu Mose vom Heiligtum aus, genauso wie in Ex 25,22 antizipiert, und teilt seine Weisung für die Israeliten (vgl. Lev 1–7) mit. So erscheint in Lev 1,1 faktisch das Zelt als Ganzes als der Ort der Gegenwart JHWHs, Mose aber befindet sich vor diesem, so dass auch in diesem Fall die Konstitution des Begegnungsraums die – diesmal durch den miškān und den māsakh gesetzten – Raumgrenzen „durchbricht“ und transzendiert.97 Im Vergleich zu Ex 40,34–35; Lev 1,1 wirkt Num 7,89 auf der einen Seite wie ein „Gegenentwurf“, da in diesem Fall das unzugängliche Heiligtum, das Ex 40,34–35 beschreibt und das Lev 1,1 voraussetzt, ausdrücklich nicht gegeben ist. Auf der anderen Seite jedoch sind die beiden unterschiedlichen Konzeptionen unter der Voraussetzung harmonisierbar, dass die in Num 7,89 berichtete Begebenheit an die auf zwölf Tage ausgedehnte Altarinauguration (01.–12.01.02) anschließt, die Num 7,10–83 thematisiert. Lev 9,23 nämlich legt nahe, dass das am 01.01.02 unzugängliche Heiligtum bereits am 08.01.02, also während des feierlichen Gottesdienstes am Sinai, durch Mose und Aaron (erstmals?) betreten werden kann, so dass zu folgern ist, dass das Zelt erst recht in Num 7,89 – nach zwölf Tagen – für Mose zugänglich ist.98 Die in Lev 1,1 skizzierte Offenbarungssituation erscheint somit als „Sonderfall“, der sich aus den besonderen Umständen der siebentägigen Kultinauguration am Sinai erklärt und dem in Num 7,89 der an Ex 25,22 orientierte „Normalfall“ des Offenbarungsempfangs im Zelt der Begegnung gegenübergestellt wird.99 Wenngleich also Lev 1,1 und Num 7,89 mit – durch die Zusammenhänge im Text einander zuordenbar und damit „harmonisierbar“ – unterschiedlichen Konzeptionen eines Redens JHWHs zu Mose im Heiligtum bzw. vom Heiligtum aus operieren, ist zugleich doch greifbar, dass dieses Reden letztendlich als Fortführung des Sinaigeschehens konzipiert ist.
96
Vgl. SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 198–199. Vgl. auch MILGROM, Leviticus 1–16, 134–135; DERS, Numbers, 4; 59. 98 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 537–538; COLE, Numbers, 144; HARTLEY, Leviticus, 124; KNIERIM/COATS, Numbers, 101–102; MILGROM, Numbers, 59; RUWE, Structure, 63. 99 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 135. 97
384
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Über den Rekurs auf Ex 40,34–35; Lev 1,1 hinaus sind allerdings noch weitere Textbezüge auszumachen. So findet sich auch in Ex 33,7–11 die Konzeption eines Zeltes, das Mose außerhalb des Lagers aufschlagen und das er (ebenfalls) „Zelt der Begegnung“ nennen soll (Ex 33,7). Dieses wird von Mose nur zu dem Zweck besucht, um dort mit JHWH in Kontakt treten zu können; es ist aber ausdrücklich kein Kultort. Das Volk jedoch hat deutliche Distanz zu dem Zelt zu wahren und verbleibt im Lager, von dem aus es die auf das Zelt herabsteigende Wolke sehen kann, die JHWHs Herrlichkeit verhüllt, so lange Mose mit JHWH redet (Ex 33,8–10). Diese Konzeption einer Offenbarung an einem Zelt außerhalb des Lagers ist mit CH. DOHMEN als ein (in der Textwelt hypothetisch bleibendes100) Vorgehen für den Fall zu interpretieren, dass Israel – wie in Ex 32 geschehen – sündigt und sich von JHWH abwendet.101 Dann nämlich ist ein Heiligtum in der Mitte des Volkes, an dem JHWH Israel im Kultvollzug begegnet (vgl. Ex 25–31), nicht denkbar. Stattdessen wird das Zelt aus der Mitte Israels herausgenommen und – all seiner kultischen Funktion entkleidet – auf die Funktion als Offenbarungsort „reduziert“.102 Auffällige Bezüge sind dabei zunächst zwischen Ex 33,7–9 und Num 7,89 erkennbar,103 doch auch Ex 34,34–35 klingt in Num 7,89 nach, ein Text, in dem davon die Rede ist, dass Mose ins Zelt vor JHWH kommt ()בוא לפני יהוה, um mit ihm zu sprechen und dann das Gehörte an Israel weiterzugeben (Ex 34,34).104 Es zeigt sich, dass das in Num 7,89 entfaltete Konzept des Heiligtums als eines (regelmäßig genutzten) Offenbarungsorts über den Anschluss an Ex 25,22 hinaus auch auf Texte wie Ex 33,7–11; 34,34–35 zurückgreift und so z.T. auch unterschiedlich konturierte Vorstellungen einer Gottesbegegnung des Mose in einem „Zelt der Begegnung“ zum Zweck des Offenbarungsempfangs miteinander verbindet. Dabei ist die Konzeption eines Redens JHWHs von der Kapporet her deutlich aus Ex 25,22 aufgenommen, während mit Ex 33,7–11; 34,34–35 die Initiative des Mose betont wird, der („von sich aus“) das Zelt betritt, um mit JHWH zu sprechen. Darüber hinaus legen diese Texte nahe, dass das Kommen des Mose und das darauf folgende Sprechen JHWHs (auch in Num 7,89) als grundsätzlich wiederholbarer Vorgang zu verstehen ist, so dass Num 7,89 letztlich eine Szenerie skizziert, die in analo100
Vgl. DOHMEN, Zelt, 153–156; 161. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 336–341; DERS., Zelt, 157; HOUTMAN, Exodus 3, 692–694. 102 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 338–341; DERS., Zelt, 158–159; FISCHER/MARKL, Exodus, 344–347; HARAN, Temples, 267; HOUTMAN, Exodus 3, 693–696; KLEIN, Future, 267; LEVINE, Numbers 1–20, 264; 266; OWCZAREK, Wohnen, 286–288; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 231. 103 Vgl. HAUGE, Descent, 221; LEVINE, Numbers 1–20, 264; 266. 104 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 374–375; DERS., Mose, 149–150; HAUGE, Descent, 222; KLEIN, Future, 267–268; MARK, Angesicht, 478–481. 101
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4)
385
ger Weise auch als setting für die zahlreichen Offenbarungen JHWHs nach dem Sinai (vgl. z.B. Num 15; 18–19; 28–29; 33,50–35,34) anzusetzen ist. Trotzdem aber ist in Num 7,89 nicht einfach ein genereller Sachverhalt in der Rückschau festgehalten, also ausdrücklich kein „Immer-Wieder“ bzw. „Immer-Wenn“ (wie beispielsweise in Ex 34,34–35). Stattdessen wird – angezeigt durch die beiden Narrative (wa=jiqṭol) inV.89a ( )וישמעund V.89b ( – )וידברein einzelner, als individueller Sachverhalt der Vergangenheit markierter Vorgang beschrieben,105 ein erstes (?) Kommen und Hören des Mose bzw. ein erstes (?) Sprechen JHWHs vom Leerraum über der Kapporet aus, das – wie der Kontext nahelegt – in engem (zeitlichen wie sachlichen) Zusammenhang mit der Heiligtums- und Altarweihe steht und das „Vorbild“ für mehrere gleichartige Vorgänge während der Wüstenzeit abgibt. Doch nicht nur nach vorne hin ist Num 7,89 eng in seinem Kontext eingebunden;106 gerade der Umstand, dass hier ein individueller Sachverhalt thematisiert wird, legt die Annahme nahe, dass der Vers auch mit dem nachfolgenden Sinnabschnitt, Num 8,1–4, zu verknüpfen ist.107 Untermauert wird dies durch die Beobachtung, dass Num 8,1a letztlich als eine – Subjekt und Objekt eindeutig festlegende – Wiederaufnahme von Num 7,89b erscheint. Damit wird die Gottesrede in Num 8,2 als diejenige Rede JHWHs kenntlich gemacht, die im Rahmen der ersten Aktuierung des in Ex 25,22 konzeptionierten Begegnungs- und Offenbarungsraums an Mose ergeht.108 Ihr Thema ist der Dienst Aarons am Leuchter, es ist also – auch wenn das Stichwort תמיד nicht fällt – der in Ex 27,20–21 (Lev 24,2–4) vorgeschriebene Tamid-Vollzug an der Menora im Blick. II. Der Dienst Aarons am Leuchter (Num 8,1–4) 1a 1aI 2a 2b 2cI 2c 3a 3b 3c
105
Und JHWH redete zu Mose folgendermaßen: „Rede zu Aaron und sag zu ihm: ‚(Jedes Mal,) wenn du die Lampen ( )נרתemporhebst // entzündest (עלה-hi.), dann sollen zur Vorderseite des „Angesichts“ der Menora hin leuchten die sieben Lampen ()נרת.‘“ Und Aaron machte es so: Zur Vorderseite des „Angesichts“ der Menora hin hob er empor // entzündete er (עלה-hi.) ihre Lampen ()נרת, so wie JHWH Mose befohlen hatte.
Vgl. HAUGE, Descent, 221. Vgl. COLE, Numbers, 144. 107 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 538–540; COLE, Numbers, 144. Anders ASHLEY, Numbers, 165–166; SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 179–201. 108 Vgl. COLE, Numbers, 144; JACOB, Exodus, 899; MILGROM, Numbers, 60. 106
386 4a 4b 4c 4d 4dR 4e
Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration Dies aber ist die Machart ( )מעשהder Menora: Goldenes miqšā ist sie bis zu ihrer Basis, bis zu ihrer Blüte; miqšā ist sie. Gemäß der Schauung ()כמראה, die JHWH dem Mose gezeigt hatte (ראה-hi.), so hatte er die Menora gemacht. (Num 8,1–4)
Num 8,1–4 erweist sich als komplex gestalteter Text, der zunächst den Dienst Aarons am Leuchter (V.2–3), verbunden damit aber auch (nochmals) die Machart und Herstellung desselben (V.4) in den Blick nimmt. Dabei greift Num 8,1–4 auf Texte wie Ex 27,20–21 (Lev 24,2–4), aber auch auf Ex 25,31–39; 37,17–24 zurück. Inhaltlich ist in Num 8,1–4 eine Fragestellung zentral, die in den genannten Hypotexten nur am Rande von Interesse ist, nämlich das „Wie“ des Dienstes am Leuchter, d.h. die Art und Weise seiner Ausführung. Num 8,1–4 setzt folglich deutlich eigene Akzente, die in der nachfolgenden Auslegung zu entfalten sind. Zunächst aber sind Aufriss und Struktur der Perikope genauer zu analysieren. 1. Struktur Ausgehend von formalen Beobachtungen kann Num 8,1–4 in drei Teilabschnitte (V.1–2.3.4) unterteilt werden, die allerdings in eine grundlegendere inhaltlich-thematisch bestimmte Zweiteilung eingepasst sind. Der erste der drei, anhand formaler Kriterien zu bestimmenden Teilabschnitte, Num 8,1–2, setzt in V.1 mit der Anredeformel ein, die Num 7,89b aufnimmt und auf diese Weise den nachfolgenden Vers Num 8,2 als erste der an Mose im Heiligtum ergangenen Reden JHWHs ausweist. Diese selbst ist – der Weitergabeformel (V.2ab) zufolge – an Aaron zu übermitteln, der damit als Adressat der Rede in V.2cI–c kenntlich gemacht ist.109 In Num 8,3 folgt ein Ausführungsbericht, der das Tun Aarons gemäß der vorangegangenen Anweisung JHWHs konstatiert und dabei besonders die exakte Entsprechung zwischen Auftrag und Umsetzung betont. Dies wird v.a. durch die Entsprechungsformel in Num 8,3c geleistet, die das Handeln ()עשה Aarons (vgl. Num 8,3a) mit dem Befehlen JHWHs (vgl. Num 8,2!) korreliert.110 Daran anschließend führt der x-qaṭal-Satz Num 8,3b aus, was Aaron tut, wobei die zentralen Forderungen aus Num 8,2c–cI aufgenommen werden, was die Entsprechung zwischen Befehl und Ausführung zusätzlich veranschaulicht. Num 8,4 lenkt schließlich den Blick vom Dienst Aarons weg auf die Menora selbst und skizziert deren Machart ( )מעשהunter Bezug auf Ex 25,31–39; 109 110
Vgl. BUDD, Numbers, 86. Vgl. ASHLEY, Numbers, 166; BUDD, Numbers, 86.
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4)
387
37,17–24.111 Num 8,4de spielt dabei auf das tavnīt-Motiv aus Ex 25,9.40; 26,30; 27,8 an und hält fest, dass die in V.4bc skizzierte Machart ( )מעשהder „Erscheinung“ ( – )מראהdieser Terminus findet sich hier anstelle des in Ex 25,9.40; 26,30; 27,8 belegten Nomens – תבניתentspricht, die Mose auf dem Berg gesehen hat.112 Auffällig ist damit die Parallelität zwischen den beiden Versen Num 8,3 und Num 8,4(de), die jeweils das Anliegen verfolgen, auf unterschiedlichen Ebenen eine Entsprechung zwischen Anweisung und Ausführung herauszustellen.113 Die deutlichste Gemeinsamkeit ist dabei bei den Entsprechungsformulierungen in V.3c bzw. V.4d–dR greifbar, in denen jeweils ein Vorgang der Übermittlung von JHWH an Mose im Blick ist. Dieser ist im ersten Fall (V.3c) als (mündlich-)auditiver Vollzug ( )צוהgedacht, während in V.4d–dR das Zeigen (ראה-hi.) essenziell ist. Zudem stehen einander die Formulierung ‚( ויעש כןund er tat so‘; V.3a) bzw. das chiastisch dazu angelegte ‚( כן עשהso tat er‘; V.4e) gegenüber, die allerdings unterschiedliche Subjekte vorraussetzen. So ist in V.3a das Subjekt eindeutig Aaron, in V.4e hingegen – ebenso eindeutig – nicht. Über die parallele Gestaltung der Verse aber sind der in V.3 thematisierte Kultvollzug und die in V.4 fokussierte Herstellung der Menora aufeinander bezogen, wobei es die Sinnzusammenhänge in Num 8,1–4 nahelegen, die Sätze Num 8,4d–e als Vorvergangenheit zu interpretieren. Sinnvollerweise nämlich geht dem Kultvollzug am Leuchter (vgl. V.3) dessen Herstellung (V.4de) voraus, so dass V.4 (bzw. im engeren Sinne V.4de) als Rückblende in die Zeit vor der Aufnahme des regulären Kults zu verstehen ist, in der – durch das Herstellen – die Voraussetzungen für den Kult geschaffen werden. Num 8,1–2.3 hingegen thematisiert den Beginn des regulären Kults am Leuchter.114 Mit Blick auf die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen ist also – wie eingangs bereits angesprochen – eine Zweiteilung zu konstatieren, die sich über die entlang formaler Kriterien erhobene Dreiteilung legt, wenn die Verse Num 8,1–3 den Kult am Leuchter behandeln, Num 8,4 aber dessen Machart skizziert sowie einen Rückblick auf den Vorgang der Herstellung bietet. 2. Funktion und Herstellung des Leuchters Die Lektüre von Num 8,1–4 zeigt, dass sowohl V.1–2.3 als auch V.4 intensiv auf Texte zur Menora in Ex 25,31–39; 37,17–24 bzw. Ex 27,20–21 (Lev 24,2–4) Bezug nehmen. Daher erscheint es als naheliegend, die folgende Auslegung von Num 8,1–4 ausgehend vom Nachvollziehen und Beschreiben dieser Bezüge her zu entwickeln.
111
Vgl. ASHLEY, Numbers, 167. Vgl. BUDD, Numbers, 86; SARNA, Exodus, 164. 113 Vgl. ASHLEY, Numbers, 167. 114 Vgl. ZENGER/FREVEL, Bücher, 65. 112
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
a) Der Dienst Aarons am Leuchter (Num 8,1–3) Der zentrale Aspekt in Num 8,1–3 ist das „Wie“ des Entzündens des Leuchters. Dabei wird in der Gottesrede (V.2) als Hypotext vor allem der Vers Ex 25,37 – interessanterweise in all seinen Teilsätzen – aufgenommen.115 So spielt Num 8,2cI die Anweisung aus Ex 25,37b ein, die Lampen der Menora emporzuheben / anzuzünden ()והעלה את־נרותיה, während sich in Num 8,2c das Verb אור-hi. (‚leuchten lassen‘) aus Ex 25,37c findet. Anstelle der adverbialen Wendung ‚( על־עבר פניהüber das Gegenüberliegende ihres „Angesichts“‘; Ex 25,37c) wählt Num 8,2c allerdings die Formulierung אל־מול פני המנורה (‚zur Vorderseite des „Angesichts“ der Menora‘), die ebenfalls die „Ausrichtung“ der Lampen andeutet. Zuletzt spielt Num 8,2c über den Hinweis auf die „sieben Lampen“ ( )שבעת הנרותauf den Satz Ex 25,37a an, in dem Mose den Auftrag erhält, sieben Lampen für die Menora anzufertigen. Diese sind in Num 8,2c das Subjekt zum Verb אור-hi. – im Gegenüber zu Ex 25,37c, wo sie als Objekt zu אור-hi. fungieren und ein im engeren Kontext unbestimmtes Subjekt (3. Pers. m. Sg.), das erst von Ex 27,21 her mit Aaron zu identifizieren ist, für das Emporheben / Anzünden und Leuchten-Lassen (Ex 25,37bc) der Lampen verantwortlich ist.116 Num 8,2cI–c 2cI 2c
בהעלתך את הנרת אל מול פני המנורה יאירו שבעת הנרות
Ex 25,37
ועשית את נרתיה שבעה והעלה את נרתיה והאיר על עבר פניה
37a 37b 37c
Über Ex 25,37 hinaus klingt in Num 8,2cI auch Ex 27,20bI nach, ein Vers, der seinerseits auf Ex 25,37(b) rekurriert. Dieser Bezug legt zunächst nahe, die Gottesrede in Num 8,2cI–c in Zusammenhang mit den Anweisungen zum Leuchter-Tamid in Ex 27,20–21 zu lesen. Dabei erscheint sie mit ihrem Fokussieren auf die Ausrichtung der Lampen (vgl. Num 8,2c) wie eine Ergänzung zu Ex 27,20–21, da sie eine „Zusatzinformation“ zum „Wie“ des Leuchterdienstes bietet, die sich in der Heiligtumstora nicht explizit findet und allenfalls über die Aufnahme von Ex 25,37b in Ex 27,20bI nahegelegt wird. Zugleich ist diese „Zusatzinformation“ als weiterführende Entfaltung der Anweisung aus Ex 27,21a verstehbar, die Lampen „anzuordnen / auszurichten“‘ ()ערך, wenn mit Num 8,2c deutlich wird, dass durch das Anordnen bzw.
115
Vgl. LEVINE, Numbers 1–20, 271. Vgl. KNIERIM/COATS, Numbers, 107; SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 203; UTZSCHNEIDER, Heiligtum, 249–250. 116
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4)
389
Ausrichten ein Leuchten zur Vorderseite der Menora hin bewerkstelligt werden soll.117 Die in Ex 27,20–21 wesentliche Regelmäßigkeit (vgl. )תמידklingt schließlich in Num 8,2cI–c insofern nach, als der Infinitivsatz V.2cI als Umstandsangabe das Emporheben / Anzünden (עלה-hi.) der Lampen ( )נרתdurch Aaron als einen wiederholten Vorgang zeichnet, bei dessen Ausführung jeweils die Vorgabe aus V.2c zu beachten ist. Mit der Gottesrede eng verbunden ist der Ausführungsbericht in Num 8,3, der in Num 8,3b den Hauptsatz der Gottesrede (Num 8,2c) nochmals – mit interessanten Akzentverschiebungen – aufnimmt. Zentral ist dabei, dass Num 8,3b – im Gegensatz zu Num 8,2c, wo ja das Leuchten der נרתim Mittelpunkt steht – auf Aarons Handeln fokussiert. Dieses wird durch das Verb עלה-hi. umschrieben, das sich auch in Num 8,2cI (vgl. auch Ex 27,20bI) findet: Aaron hebt die Lampen der Menora empor bzw. entzündet sie (עלה-hi.) – in diesem Kontext erscheint die erstere Bedeutungsmöglichkeit, nämlich ‚emporheben‘, naheliegender – zur Vorderseite der Menora hin ( אל־מול פני )המנורה. Damit ist auch die Angabe aus V.2c nochmals wörtlich aufgenommen, die nun jedoch – nicht mit אור-hi., sondern mit עלה-hi. verbunden – weniger die Richtung angibt, in die das Licht fällt (so V.2c), sondern v.a. die Platzierung und Ausrichtung der Lampen auf dem Leuchter verdeutlicht. Neben den Stichwortbezügen zu Ex 27,20–21 (Ex 25,37) erweist sich auch die syntaktische Gestaltung von Num 8,3 als interessant. Nimmt man nämlich die Funktion der Satzformen – wa=jiqṭol (Narrativ) in V.3a bzw. x-qaṭal in V.3b – ernst, die in dieser Fügung jeweils der Darstellung eines individuellen Sachverhalts der Vergangenheit dienen,118 so fokussiert Num 8,3 nicht auf eine wiederholte (regelmäßige) Ausführung des Leuchterdienstes durch Aaron (und seine Söhne), sondern vorrangig auf eine einmalige (erste). Diese wird entsprechend der durch Mose übermittelten Willenskundgabe JHWHs vollzogen (vgl. V.3a.c) und eröffnet – wie angesichts der Bezüge zu Ex 27,20–21 deutlich wird – eine ununterbrochene Folge von gleichförmigen (und ebenfalls den Weisungen JHWHs entsprechenden) Vollzügen.119 Indem Num 8,3 also auf den Startpunkt des regelmäßigen Dienst am Leuchter fokussiert, erweist sich der Vers letztlich auch als Parallele – oder aber als „Gegenentwurf“ (?) – zu Lev 9,23. Wie bereits ausgeführt, beschreibt Lev 9,23ab, dass Mose und Aaron nach dem Abschluss des Gottesdienstes am Brandopferaltar (vgl. Lev 9,8–22) zusammen das Zelt der Begegnung betreten und dieses wieder verlassen, ohne dass das Geschehen im Zelt explizit thematisiert würde. Allerdings legt der Text die Annahme zumindest nahe, 117
Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 539–540; DOHMEN, Exodus 19–40, 254; KNIENumbers, 107; LEVINE, Numbers 1–20, 271; MILGROM, Numbers, 60. 118 Vgl. GESENIUS §106b; 111a; JOÜON/MURAOKA §112d; 118c. 119 Vgl. KNIERIM/COATS, Numbers, 105; ZENGER/FREVEL, Bücher, 65.
RIM/COATS,
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
dass beide im „Heiligen“ erstmals (!) die regelmäßigen Kultvollzüge an der Menora und am Goldenen Altar vollziehen bzw. dass Aaron darin von Mose angeleitet und so in einen wesentlichen Bereich seines künftigen Dienstes eingeführt wird. Neben diese in Lev 9,23 allein durch die Lesenden zu rekonstruierende, vom Text aber nicht explizit ausgeführte Variante stellt nun Num 8,1–3 (zusammen mit Num 7,89) die ausdrückliche Beschreibung eines ersten Tamid-Vollzugs an der Menora und schließt damit gewissermaßen die Lücke, die Lev 9,23 zwischen den beiden Teilsätzen V.23a und V.23b (bewusst) offen lässt. Zugleich nimmt Num 8,1–4 eine in wesentlichen Punkten andere Akzentsetzung vor, als Lev 9,23 sie nahezulegen scheint. So deutet Lev 9,23ab eher einen Traditionsvorgang in dem Sinne an, dass das in Ex 27,20– 21 kaum präzisierte „Wie“ des Tamid-Vollzugs in einem „praktischen“ Einführen des Aaron in seinen Dienst durch Mose übermittelt wird. Damit kongruiert die Betonung eines Mit- und Nebeneinanders von Mose und Aaron: Beide betreten und verlassen das Zelt zusammen, segnen gemeinsam das Volk (Lev 9,23a–c) und vollziehen – so legt der Text nahe – miteinander den Kult im „Heiligen“. Num 7,89–8,3 hingegen fokussiert dem gegenüber auf einen Offenbarungsempfang des Mose im Zelt der Begegnung, in dem die am Sinai bereits gegebene Anweisung zum Leuchter-Tamid (Ex 27,20–21) um Ausführungsbestimmungen ergänzt wird, die das noch offene „Wie“ des Kultvollzugs betreffen (vgl. Num 8,2cI–c). Somit wird – anstelle eines Miteinanders beider Akteure – je eine Handlung exklusiv nur Mose bzw. nur Aaron zugeordnet: Mose geht ins Zelt der Begegnung, um mit JHWH zu sprechen und erhält dabei ergänzende Anweisungen zum Leuchter-Tamid (Num 7,89–8,2), Aaron hingegen führt im „Heiligen“ aus, was JHWH dem Mose befohlen hat (Num 8,3).120 Grundlage für das Agieren des Aarons ist also allein die durch Mose übermittelte Weisung JHWHs, die damit an die Stelle der in Lev 9,23 angedeuteten praktischen Anleitung im gemeinsamen Ausführen der Kulthandlung tritt. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Texten liegt schließlich darin, dass Lev 9,23 auf den Tamid-Vollzug am Morgen (vgl. Lev 9,17d) hinweist, während das in Num 8,3 behandelte Anzünden / Emporheben der Lampen dezidiert mit dem Leuchter-Tamid am Abend zu verbinden ist. Insofern beschreiben Lev 9,23 und Num 8,1–4 – streng genommen – unterschiedliche Vorgänge, doch ist zugleich zu konstatieren, dass in keinem der beiden Texte die Festlegung auf eine bestimmte Tageszeit an sich von essenzieller Bedeutung ist. Vielmehr verfolgen beide das grundsätzliche (und gemeinsame) Anliegen, aufzuweisen, dass der Vollzug des ersten Tamids im „Heiligen“ dem am Sinai geoffenbarten Willen JHWHs entspricht und daher auch eine spätere Praxis zu legitimieren vermag.
120
Vgl. HAUGE, Descent, 224–225; KNIERIM/COATS, Numbers, 108.
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4)
391
b) „Gegenüber“? Wesentlich für das Verstehen von Num 8,2–3 ist des Weiteren die Interpretation der Wendung ( אל־מול פני המנורהV.2c.3b), denn immerhin ist es ein Anliegen des Textes, die durch diese Formulierung umschriebene Ausrichtung der Lampen auf der Menora als essenziell für ein adäquates Ausführen des Leuchterdienstes darzustellen. Der Orts- bzw. Richtungsangabe אל־מול פני ( המנורהwörtl. ‚zur Vorderseite des „Angesichts“ der Menora hin‘ / ‚vor dem „Angesicht“ der Menora‘) entspricht dabei in Ex 25,37c die Formulierung על־ ‚( עבר פניהüber das Gegenüber ihres „Angesichts“‘), wobei im Hinblick auf das Gemeinte wohl kaum ein Unterschied zwischen beiden greifbar ist.121 Die in Num 8,2c.3b gewählte Wendung אל־מול פניםist mehrfach im TaNa“K belegt und verweist jeweils auf die (sichtbare) Vorderseite eines Gegenstands, so dass in erster Linie ein räumliches ‚davor‘ bzw. ‚vorne‘ ausgesagt ist (vgl. dazu Ex 26,9; 28,25.27.37). Dem gegenüber imaginiert die Formulierung ( על־עבר פניהEx 25,37c) einen (weiteren) Raum, der durch seine Relation zur Menora definiert ist, wobei das „Gegenüber-Sein“ insofern konkret greifbar ist, als das von den Lampen ausgehende Licht auf die Fläche (bzw. ggf. auch auf Gegenstände) vor der Menora fällt und so diesen Raum „definiert“.122 Beide Wendungen betonen somit andere Nuancen, umschreiben aber grundsätzlich denselben bzw. einen ähnlichen Sachverhalt. Entscheidender für die Interpretation ist allerdings die Frage, was genau das פנים (‚Angesicht, Vorderseite‘) der Menora ist und was entsprechend von dieser bei korrekter Ausrichtung der Lampen beschienen wird. Hier sind mehrere Interpretationsmöglichkeiten denkbar: (1.) R. ACHENBACH zufolge ist das von der Menora beleuchtete „Gegenüber“ Aaron selbst:123 Er steht beim Anzünden und Aufsetzen der Lampen dem Leuchter bzw. der Vorderseite desselben gegenüber, während das Licht der brennenden Öllampen auf ihn zurückfällt. Dieser Zusammenhang wird von ACHENBACH mit Rekurs auf die Leuchtervision in Sach 4 und im Speziellen auf Sach 4,10 interpretiert. Dieser Vers nämlich stellt einen Zusammenhang zwischen den sieben Lampen des visionär geschauten Leuchters und den sieben Augen JHWHs her. Somit kann das Licht des Leuchters letztlich mit dem Leuchten des Angesichts JHWHs verbunden werden, so dass es, wenn es im Kultvollzug auf Aaron fällt, sinnenhaft wahrnehmbar eine heilvolle Gottesgegenwart anzeigen kann. Aaron selbst hingegen kommt damit „die liturgische Betrachtung der symbolischen Repräsentanz der Gegenwart des Angesichts Gottes im Lichte der Menora zu“124. Darüber hinaus sieht ACHENBACH 121
Vgl. LEVINE, Numbers 1–20, 271; VOß, Menora, 40–42. Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 254. 123 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 539–540. 124 ACHENBACH, Vollendung, 540. 122
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
einen Bezug zum Priestersegen (Num 6,24–27) gegeben, in dem die Aaroniden genau dieses Licht des Angesichts JHWHs, das Aaron am Leuchter erfährt und wahrnimmt, den Israeliten zusprechen. Ein Problem dieser Deutung des Leuchters bzw. seines Lichtes als symbolische Repräsentation JHWHs bzw. des strahlenden Angesichts ( )פניםJHWHs liegt allerdings darin, dass sie allein von Sach 4 her entwickelt ist, zu den in Num 8,2–3 aufgenommenen Texten zum Leuchter (v.a. Ex 25,31–39; 27,20– 21) aber kaum kompatibel scheint. Ex 27,20–21; 30,7–8 nämlich betont, dass der Leuchter vom Abend bis zum Morgen im „Heiligen“ brennt, am Morgen aber (für den nächsten Einsatz am kommenden Abend) gereinigt und vorbereitet wird. Somit leuchtet er letztlich nur einen halben Tag – und zudem in der Nacht, während der sich niemand im „Heiligen“ aufhält und auch sonst keine Kultvollzüge stattfinden. Dies aber passt insofern kaum zu ACHENBACHs Deutung, als eine nur zeitweise (und noch dazu nur nachts) leuchtende Menora kaum sinnvoll eine dauerhafte Präsenz JHWHs im Heiligtum anzeigen kann. Zudem legen alle relevanten Texte der Tora den Fokus auf die Handlungen Aarons am Leuchter, die mit den Verben עלה-hi. (Ex 25,37b; 27,20bI; 30,8, Num 8,2cI.3b), ( ערךEx 27,21) und אור-hi. (Ex 25,37c; Num 8,2c[.3b]) umschrieben werden. Das Betrachten des Lichts oder das „AngeleuchtetWerden“ durch die Lampen aber ist in keinem der Texte ausdrücklich hervorgehoben und auch dem Leuchten der Menora selbst kommt nur in Num 8,2–3 (und Ex 25,37c) eine gewisse Bedeutung zu, während es in Ex 27,20– 21 gar nicht explizit angesprochen, sondern einfach „stillschweigend“ vorausgesetzt ist. Zuletzt aber lässt die Aufforderung in Ex 27,21a (vgl. auch Lev 24,3.4), das Licht („ )נרvor JHWH“ ( )לפני יהוהanzuordnen ( – )ערךindem sie klar zwischen dem Licht bzw. den Lampen ( )נרund JHWH differenziert – eine Deutung der Menora bzw. ihres Lichts als Symbol für die Gegenwart JHWHs eher unwahrscheinlich erscheinen. Somit ist zu resümieren, dass die theologisch interessant anmutende Interpretation ACHENBACHs kaum zu dem aus der Tora zu erhebenden Textbefund passt und das Konzept des Leuchters bei Sacharja offenbar deutlich anders angelegt ist, als in den Heiligtumstexten. Beide Traditionen nebeneinander belegen also eher unterschiedliche Perspektiven auf denselben Kultgegenstand – die Tora und Sacharja haben wohl den siebenarmigen Leuchter des nachexilischen Jerusalemer Tempels vor Augen – als dass sie ein konsistentes „kanonisches“ Konzept desselben bezeugen. (2.) Ein zweiter Ansatz, dasjenige „Gegenüber“ zu bestimmen, das von dem Lampen angeleuchtet wird, kann ausgehend von den Anweisungen zur Platzierung von Menora und Tisch in Ex 26,35 entwickelt werden. Dort nämlich ist festgehalten, dass die Menora gegenüber ( ;נכחEx 26,35b) des Tisches im „Heiligen“ abzustellen ist. Die beiden Kultgeräte befinden sich also an den
D. Der Beginn des Dienstes am Leuchter (Num 7,89–8,4)
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beiden Längsseiten des Zelts der Begegnung, der Leuchter auf der Süd-, der Tisch aber auf der Nordseite. Unklar hingegen bleibt die Ausrichtung der Menora selbst, die so platziert werden kann, dass die Reihe ihrer Arme entweder parallel zur Seitenwand des miškān läuft, oder parallel zur Parochet. Ist ersteres gegeben, so fällt das Licht der Lampen auf den an der gegenüberliegenden Seitenwand stehenden Tisch, der sich dann – in der Diktion von Num 8,2–3 – „zur Vorderseite“ ( )אל־מולder Menora befindet. Zugleich aber scheint in diesem Fall auch das על־עבר פניהaus Ex 25,37c sinnvoll, da es einfängt, dass das Licht der Lampen – über den Raum zwischen den Kultgeräten hinweg – den gegenüber ( )עברder Menora stehenden Tisch illuminiert.125 Nimmt man die zweite Möglichkeit an, so befindet sich „zur Vorderseite“ ( )אל־מולder Menora hin die Parochet, auf die hin entsprechend die Lampen auszurichten sind.126 Diese Orientierung passt gut zu den Ortsangaben in Ex 27,21 (vgl. auch Lev 24,3), die eine Ausrichtung der Menora als Ort des Leuchterdienstes auf die ʽedūt (in der Lade im „Hochheiligen“) hin andeuten. Der Parochet selbst kommt dabei die Funktion zu, als zugleich abtrennende und vermittelnde Instanz zu fungieren, die einerseits die notwenige Separation bewerkstelligen und andererseits die Korrelation zwischen der Menora und der ʽedūt gewährleisten kann. In gleicher Weise ist auch das kultische Handeln Aarons durch diese Ausrichtung auf die ʽedūt hin bestimmt, so dass in ihm die für Israel eigentümliche Hinordnung auf die Tora JHWHs (vgl. ʽedūt!) symbolisch zur Darstellung kommt. Verbindet man dies nun mit Num 8,2–3, so wird deutlich, dass es – wenn die Parochet als das an der Vorderseite des Leuchters Angestrahlte bestimmt wird – weniger um das Illuminieren des Vorhangs selbst geht. Stattdessen ist – angesichts der Vermittlungsfunktion, die der Parochet zukommt – das Licht der Lampen letztlich durch die Parochet (und die Kapporet) hindurch auf die ʽedūt hin ausgerichtet und untermauert so die in Ex 27,21 betonte Orientierung des Leuchterdienstes bzw. die in diesem symbolisch zur Darstellung gebrachte Ausrichtung (Israels) auf die ʽedūt. Der Vorzug dieser beiden Interpretationsmöglichkeiten liegt darin, dass sie jeweils mit der in den Texten dargestellten Intention und Funktion des Leuchter-Tamids korreliert werden können und zentrale Aspekte „beleuchten“ bzw. vertiefen. Zugleich aber ist aufgrund der bereits angesprochenen Tatsache, dass die Ausrichtung der Menora im „Heiligen“ an keiner Stelle der Tora ausdrücklich festgeschrieben ist, eine eindeutige Festlegung auf eine der Deutungen, die ja jeweils auch mit einer konkreten Platzierungsmöglichkeit zusammenhängt, letztlich nicht möglich. Ob aber so oder 125 Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 254; HOUTMAN, Exodus 3, 409; JACOB, Pentateuch, 267–268; DERS., Exodus, 899; LEVINE, Numbers 1–20, 272; MILGROM, Numbers, 60; PROPP, Exodus 19–40, 404. 126 Vgl. COLE, Numbers, 146.
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so; deutlich wird, dass die in Num 8,2 und Ex 25,37 angeordnete und in Num 8,3 vollzogene Ausrichtung der Lampen die räumlichen Bezüge und theologischen Zusammenhänge visualisiert, in denen der Leuchter (in seinem Betrieb) im „Heiligen“ steht – zum Tisch, zur Parochet und zur ʽedūt – und damit auch die sich aus diesen Korrelationen ergebende Bedeutung und Funktion des Kultgeräts erhellt. (3.) Zum Abschluss schließlich sei eine Deutung der Richtungsangabe אל־מול פני המנורהangeführt, die sich bei RASCHI findet, der seinerseits in diesem Punkt Traditionen aus Talmud und Midrasch zusammenfasst. RASCHI betont – unter Berufung auf Sifre 59; bMen 98b – dass das in Num 8,2c.3b angesprochene „Angesicht“ ( )פניםder Menora deren Mittelachse, d.h. deren mittlerer Arm, sei.127 Diese Interpretation kann sich durchaus auf eine genaue Lektüre von Ex 25,31–39 stützen, da in diesem Text die Beschreibung des Leuchters tatsächlich von der Mittelachse her entwickelt wird. Immerhin steht die Bezeichnung ‚Menora‘ zunächst (allein) für diese (vgl. V.31.36), während die sechs Arme in V.32–35 als von der Menora (= Mittelachse) ausgehend – und damit dieser zugeordnet – beschrieben werden.
RASCHI zufolge sind somit die Lampen der Menora so auszurichten, dass sie von den Armen jeweils zur Mitte hin weisen. Der Leuchter beleuchtet sich letztendlich also selbst, was RASCHI in seinem Kommentar zu Num 8,2 (unter Berufung auf Tan Beha‘alotkha 5) mit dem Satz begründet: כדי שלא יאמרו ‚( לאורה הוא צריךDass man nicht etwa sage: »Er [= Gott] braucht ihr Licht!«‘). Auf diese Weise wird der Menora jede praktische Funktion im Heiligtum dezidiert abgesprochen; sie beleuchtet nichts bzw. lediglich sich selbst und dient niemandem als Lichtquelle. So hat ihr Licht rein symbolische Valenz und auch der Vorgang des Entzündens selbst findet seinen eigentlich Zweck allein in sich selbst, insofern er v.a. deshalb ausgeführt wird, um dadurch ein Gebot zu erfüllen. Auch eine solche Deutung passt gut zu dem Vers Num 8,3, in dem ja das Entzünden des Leuchters mit großem Nachdruck als Handeln gemäß der Weisung JHWHs, d.h. – rabbinisch gedacht – als „Aufrichten der Tora“ qualifiziert wird.128 Interessanterweise kommt RASCHI mit seinem Ansatz auch der unter Punkt (2.) vorgeschlagenen Deutung des Entzündens der Menora in wesentlichen Punkten sehr nahe, da auch hier letztlich im regelmäßigen Vollzug die (identitätsprägende) Ausrichtung Israels auf die Tora bzw. auf JHWH selbst sinnenfällig gemacht und (regelmäßig) neu aktuiert wird. In der Zusammenschau ist somit zu konstatieren, dass sowohl die Interpretation RASCHIs als auch die unter (2.) vorgestellten Deutungsmöglichkeiten jeweils zentrale Konzepte und 127 128
Vgl. auch HOUTMAN, Exodus 3, 414. Vgl. HOUTMAN, Exodus 3, 462.
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Vorstellungen aus den „Leuchtertexten“ der Tora aufnehmen, um diese in die Auslegung von Num 8,2–3 einzubinden. Dabei verhindert die große Offenheit der relevanten Texte – v.a. der Umstand, dass sie an keiner Stelle die exakte Orientierung der Menora oder ihrer Lampen bestimmen – eine Festlegung auf die eine Deutung. Andererseits jedoch ermöglicht sie ein interessantes Nebeneinander unterschiedlichster Interpretationsansätze, die jeweils andere Sinnpotenziale von Num 8,2–3 (und der anderen „Leuchtertexte“) zu Tage treten lassen und zusammen ein facettenreiches Bild zeichnen. Insofern ist die angedeutete Offenheit eher als Gewinn, denn als „Defizit“ zu bewerten. c) Herstellung (Num 8,4) Abschließend ist noch auf den Vers Num 8,4 einzugehen, der – im Kontrast zu Num 8,2–3 – nicht auf das kultische Handeln Aarons am Leuchter fokussiert, sondern die Herstellung desselben zum Thema hat. Als Einleitung bzw. Überschrift fungiert dabei die Deixis Num 8,4a ()וזה מעשה המנורה, die eine Beschreibung der Machart ( )מעשהder Menora ankündigt. Letztere wird in Num 8,4bc knapp umrissen, wobei deutliche Bezüge zu Ex 25,31–39; 37,17– 24 auszumachen sind. Als die wesentlichste Eigenschaft der Menora erscheint dabei der in V.4bc zweimal betonte Umstand, dass sie ( מקשהmiqšā) sei. So wird die Menora in V.4b zuerst als ‚( מקשה זהבgoldenes miqšā‘) qualifiziert, womit zugleich der Werkstoff – Gold – und die Art und Weise der Herstellung (miqšā) angesprochen sind, während Num 8,4c nochmals bekräftigend auf dem „miqšā-Sein“ insistiert ()מקשה הוא. Zentral ist also, dass die Menora aus einem Stück Metall getrieben und damit – trotz ihrer Arme – als „einheitlicher“ und nicht als kompositer Gegenstand gestaltet ist. Dies wird in V.4b durch einen „Gesamtblick“ auf die Menora von der Basis (ירך129) zur „Blüte“ ( )פרחzusätzlich unterstrichen. Der Begriff ‚( פרחBlüte‘) steht wohl für das in Blütenform (?) ausgeführte obere Ende eines Armes (vgl. Ex 25,33–34; 37,19–20) und damit für die Stelle, an der die separat hergestellten Lampen ( )נרתauf die Menora aufgesetzt werden.130
‚( ירךBasis‘) und ‚( פרחBlüte‘) sind der erste und letzte Begriff in der Auflistung der einzelnen Bestandteile des Leuchters in Ex 25,31c; 37,17c, deren genaue Zuordnung in Ex 25,32–35; 37,18–21 thematisiert wird, und bilden zugleich das unterste ( )ירךund das oberste ( )פרחTeilelement, so dass sie in ihrem Nebeneinander letztlich für die Menora als Ganze stehen können bzw. diese von den „Rändern“ her in den Blick kommen lassen.131 129
Zur Begriffsbestimmung vgl. MEYERS, Menorah, 20–22. Vgl. MEYERS, Menorah, 24–26; SARNA, Exodus, 165. Anders MILGROM (Numbers, 60; 367) und COLE (Numbers, 146), die פרחals Bezeichnung für das Gesamt der floralen Verzierungen an den Armen und an der Mittelachse der Menora interpretieren. 131 Vgl. JACOB, Pentateuch, 180; SEEBASS, Numeri 1,1–10,10, 205. 130
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Das Stichwort miqšā ist in Ex 25,31ab.36b; 37,17ab.22b belegt, in denjenigen Passagen von Ex 25,31–39; 37,17–24 also, die auf die Menora als Ganze bzw. auf ihre Mittelachse fokussieren, deren Machart beschreiben und dabei jeweils die Abschnitte zu den Armen und Verzierungen der Menora (Ex 25,32–35; 37,18–21) umrahmen. Somit bildet sich in den wenigen Stichworten, die Num 8,4bc aufnimmt, מקשה, ירךund פרח, letztlich die Struktur der Perikopen zur Menora in Ex 25,31–39; 37,17–24 ab, wobei der Terminus מקשהauf die rahmenden Verse (Ex 25,31.36; 37,17.22) verweist, während ירך und פרחauf den „Korpus“ (Ex 25,32–35; 37,18–21) Bezug nehmen.132 Ergänzend dazu rekurriert Num 8,4d–dR auf Ex 25,40. Num 8,4d–dR 8d 8dR 8e
Ex 25,40
כמראה אשר הראה יהוה את משה כן עשה את המנרה
וראה ועשה בתבניתם אשר אתה מראה בהר
40a 40b 40bR
Allerdings ist insofern ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Versen gegeben, als sich in Num 8,4d anstelle des Nomens ( תבניתvgl. Ex 25,40) der Begriff מראהfindet. Dieser nimmt das Stichwort ראה-hi. (vgl. Ex 25,40bR / Num 8,4dR) auf und spitzt dadurch die in Ex 25,40 (vgl. auch Ex 25,9; 26,30; 27,8) belegte Vorstellung eines „Modells“ ()תבנית, das Mose auf dem Berg gezeigt bekommt, in Richtung einer visionären Übermittlung an Mose zu.133 Die deutliche Parallelisierung von Num 8,3c (JHWH befiehlt dem Mose) und Num 8,4dR (JHWH zeigt dem Mose) kann dabei andeuten, dass im Hinblick auf die Machart der Menora das Zeigen als der zentrale Modus der göttlichen Willenskundgabe zu profilieren ist, zumal in Num 8,4 (anders als in Ex 25 und auch in Num 8,3) kein Rekurs auf eine Offenbarung in Form einer Gottesrede zu finden ist. Ex 25,31–39 wird also in Num 8,4 nicht etwa als anweisende Rede, d.h. als „Tora“, sondern vielmehr als „Visionsbeschreibung“ rezipiert. Daraus folgt, dass die Menora in ihrer in V.4bc angedeuteten Machart ( )מעשהals „Nachbau“ des von Mose Geschauten zu gelten hat und weniger als Umsetzung einer (auch) akustisch vermittelten Anweisung.134 Dies unterstreicht auch der Schusssatz Num 8,4e, der in dem Adverb ‚( כןso‘) nochmals die Wendung ‚( כמראהgemäß der Schauung‘) in V.4d aufnimmt und diese ausdrücklich mit einem Hinweis auf die Herstellung bzw. auf das „Machen“ ( )עשהder Menora verbindet. Daneben nimmt V.4e über die beiden Stichworte ( עשהvgl. )מעשהund ‚Menora‘ nochmals auf V.4a Bezug bzw. legt zusammen mit diesem Satz einen Rahmen um Num 8,4. 132
Komplettiert wird dies durch die oben beschriebene Aufnahme von Ex 25,37 in Num
8,2–3. 133 134
Vgl. SARNA, Exodus, 164. Vgl. ähnlich BARK, Heiligtum, 22–23.
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Spannend an Num 8,4e ist allerdings auch, dass das Subjekt zum Verb עשה (‚machen‘) – und damit der „Hersteller“ der Menora – letztlich unbestimmt bleibt. Darauf weist bereits RASCHI in seiner Auslegung von Num 8,4 mit der vielsagenden Anmerkung ‚( מי שעשהwer [auch immer] sie gemacht hat‘) hin, die bewusst mehrere Möglichkeiten offen lässt. Und tatsächlich kann von Num 8,4dR her einmal Mose als derjenige erscheinen, der – nachdem ihm die Machart von JHWH gezeigt wurde – die Menora entsprechend herstellt. Daneben aber kann mit RASCHI auch angenommen werden, dass in V.4e – ebenso wie im vorausgehenden Satz V.4dR – JHWH das Subjekt ist. RASCHI plausibilisiert dies durch eine aus dem Midrasch Tanchuma (Tan Beha‘alotkha 3) aufgenommene aggadische Erzählung, wonach Mose sowohl mit der mündlichen Beschreibung der Menora (Ex 25,31–39) als auch mit dem von JHWH gezeigten Plan (vgl. Ex 25,40; Num 8,4) – und v.a. mit der Forderung, die Menora aus einem Stück herzustellen und nicht aus mehreren Teilen zusammenzufügen – so sehr überfordert gewesen sei, dass JHWH die Menora letztendlich selbst angefertigt habe.135 Diese Interpretation des Midrasch widerspricht einerseits zwar klar der Darstellung von Ex 37,17–24, der zufolge die Menora – exakt wie in Ex 25,31–39 beschrieben und in Auftrag gegeben – von Bezalel angefertigt wird. Andererseits aber passt sie insofern gut zu Num 8,4, als sie die syntaktische Besonderheit von V.4e, nämlich das Fehlen eines eindeutig bestimmten Subjekts, genau wahrnimmt und dieser Auffälligkeit eine tiefere Bedeutung zumisst. Immerhin scheitert Mose dem Midrasch zufolge gerade an demjenigen Auftrag, der in V.4bd betont in den Vordergrund gestellt wird, nämlich die Menora als miqšā zu fertigen.136
Noch wesentlicher als die offen bleibende Frage nach dem Hersteller der Menora ist in Num 8,4 das „Wie“ der Herstellung. In diesem Zusammenhang fällt nochmals besonders die oben bereits angedeutete Parallelität zwischen V.3 und V.4 ins Auge. In beiden Versen nämlich ist ein Handeln an der Menora thematisiert, das jeweils exakt entsprechend einer je unterschiedlich artikulierten Willenskundgabe JHWHs an Mose ausgeführt wird. So stehen das Herstellen der Menora (als einmaliger Vollzug) und der erste Dienst Aarons am Leuchter nebeneinander, mit der Folge, dass Num 8,(2–)3.4 ein in sich zweiteiliges Gründungsgeschehen skizziert, das die Herstellung des Leuchters als notwenige Voraussetzung für den nachfolgenden Gebrauch im Kult sowie den ersten Kultvollzug durch Aaron als Auftakt einer ununterbrochenen, regelmäßigen Abfolge von gleichartigen Handlungen umfasst. In Num 8,3.4 wird beides ausdrücklich (in allen seinen Teilen) als dem Willen 135
M. BARK verweist in diesem Kontext auch auf den Midrasch aus bMen 29a, dem zufolge Gott dem Mose – ebenfalls um dessen notorische Verständnisprobleme zu überwinden – einen Bauplan für die Menora in die Hand gezeichnet habe. 136 HAUGE (Descent, 225) überlegt als zusätzliche Alternative, ob Aaron der Hersteller der Menora sein könnte, da er doch bereits beim Anfertigen des Goldenen Kalbes sein Geschick in der Metallverarbeitung bewiesen habe.
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
JHWHs entsprechend qualifiziert. Dies ist zunächst für die späteren TamidVollzüge am Leuchter von Bedeutung, die in diesem zweiteiligen Gründungeschehen „wurzeln“ und – indem sie dieses in adäquater Weise fortführen – auch an der bestimmenden Qualität der Anfänge, der Entsprechung zum geoffenbarten Willen JHWHs, partizipieren. Durch die beschriebene Unschärfe in Num 8,4e hinsichtlich des Subjekts zu עשהgewinnt diese Auslegung eine besondere Zuspitzung, da letztlich nicht greifbar ist, ob das grundlegende Herstellen von Mose (bzw. Bezalel) oder gar von JHWH selbst vollzogen wird: Die Syntax favorisiert letzteres, die Verbindung zu Ex 37,17–24 ersteres. Damit ist der Vorgang der Herstellung selbst – ebenso übrigens wie die ihm zugrunde liegende Willensoffenbarung JHWHs in Form einer מראה, die ja den Lesenden unzugänglich bleibt – in eine markante Unschärfe getaucht. Konkret greifbar ist letztlich nur die Menora als Produkt der Herstellung und v.a. als Kultgerät „im Gebrauch“, an dem Aaron – ein klar benannter Akteur – erstmals die Lampen entzündet und dabei exakt entsprechend der auch den Lesenden zugänglichen Vorgaben JHWHs in Ex 27,20–21; (25,37); Num 8,2cI–c handelt. Somit ist die Parallelität zwischen V.3 und V.4, die den Fokus auf das Handeln gemäß der Weisung JHWHs richtet, überlagert durch ein markantes „Ungleichgewicht“ zwischen Herstellung und Kultvollzug, das deutlich macht, dass die Menora ihren Zweck in ihrer Funktion als Kultgerät findet.
E. Resümee E. Resümee
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass Berichte über die Ausführung von Tamid-Vollzügen in der Tora auf knappe, die Kulthandlungen lediglich konstatierende Notizen in den drei aufeinander Bezug nehmenden Perikopen Ex 40,16–33(34–35); Lev 8–10 und Num 7,1–8,4 beschränkt sind. Ausführlichere Darstellungen der eigentlichen Rituale, in denen Handlungsfolgen deutlich werden können, sind hingegen an keiner Stelle zu finden. Das Tamid ist somit in der Tora in erster Linie von den präskriptiven Texten her – und hier v.a. von der Heiligtumstora her – entwickelt, was in den wenigen narrativen Passagen, in denen es erwähnt ist, insofern greifbar wird, als dort jeweils ausschließlich die Ausführung von Handlungen festgehalten wird, die in den präskriptiven Texten angeordnet wurden. Darüber hinaus werden auch die theologischen Deutungen des Tamid, die in den präskriptiven Texten (v.a. Ex 27,20–30,10) entfaltet sind, im Wesentlichen vorausgesetzt – allein Num 8,2–3 bietet in einem Aspekt eine Erweiterung bzw. Ergänzung – und sind von diesen her einzuspielen. Eine eigene Akzentsetzung ist somit nicht über die Verse selbst gegeben, die das Tamid thematisieren, sondern eher über die Einbettung der kurzen „Tamid-Notizen“ in ihre literarischen Kontexte, in denen – mit je eigener Perspektive – die Kultinauguration
E. Resümee
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am Sinai behandelt wird, also der Anfang bzw. die Grundlegung des Kultes. Dementsprechend geht es jeweils um „erste Male“, was im Text (v.a. in Ex 40; Lev 9) auch an zahlreichen „Irregularitäten“ greifbar wird, die Besonderheiten der Anfänge herausheben. Dies gilt für den Kult im Allgemeinen ebenso, wie für das Tamid, da auch bezogen auf dieses die Anfänge beschrieben (oder zumindest angedeutet) werden, was letztlich in zweifacher Weise und auf zwei verschiedenen Ebenen geschieht. So ist in Texten wie Lev 9,17(.23); Num 8,1–3 der Auftakt der „regulären“ Tamid-Vollzüge am Brandopferaltar und im „Heiligen“ in der auch später als maßgeblich vorausgesetzten Form im Blick. Lev 9,17 fokussiert auf das Brandopfer-Tamid, das als Teilelement des ersten feierlichen Gottesdienstes genannt ist und im Kontext insofern herausragt, als der Vollzug nur konstatiert, nicht aber beschrieben wird und auch in den Anweisungen des Mose in Lev 9,1–4.6–7, die den Ablauf des Gottesdienstes vorgeben, als einziges der in V.8–22 angeführten Rituale nicht vorkommt. Es ist somit – ungeachtet der Tatsache, dass es in der in Lev 9 geschilderten Situation erstmals „regulär“ dargebracht wird – von Ex 29,38– 46 her „selbstverständlich“ als der „Standardvollzug“ auf dem Altar vorausgesetzt, was im Hinblick auf eine systematisierende Zuordnung und Gewichtung der in Lev 9 genannten Opfer den Schluss nahelegt, dass die besonderen Opfer des 08.01.02, die Mose in Lev 9,1–4.6–7 explizit für diesen speziellen Anlass anordnet, letztlich als ‚( מוספיםZusatzopfer‘) des Tamid zu qualifizieren sind. Dem steht in Num 8,1–3 eine Darstellung des Anfangs des Leuchter-Tamids gegenüber, die mit einer über die Vorgaben der Heiligtumstora (Ex 27,20–21) hinausgehende Anweisung zum „Wie“ der Kulthandlung verbunden ist. Derselbe Vorgang aber ist in Lev 9,23, wenngleich nicht explizit ausgeführt, so doch zumindest angedeutet, wobei Num 8,1–3 und Lev 9,23 eine je eigene Version des ersten Kultvollzugs an der Menora bieten. Den genannten Texten, die die Anfänge der regulären Tamid-Vollzüge in den Blick nehmen, steht schließlich in Ex 40,16–33 eine andere Form des „ersten Tamids“ gegenüber, da in Ex 40,23.25.27.29 im Zusammenhang mit dem Aufstellen der Kultgeräte jeweils auch festgehalten wird, dass Mose aus diesem Anlass auf diesen auch die in Ex 27–30 vorgeschriebenen TamidRituale ausführt. Die Aufnahme des regelmäßigen (regulären) Kultes ist darin freilich noch nicht gegeben. Stattdessen wird eine erste „Inbetriebnahme“ der Kultgeräte angedeutet, die unmittelbar mit deren Platzierung im Heiligtum verbunden ist und diese erst vollständig macht bzw. abschließt. Auf diese Weise wird ein innerer Zusammenhang zwischen der (räumlichen) Konstitution des Heiligtums und seiner Funktion als Kultraum angezeigt. In der Zusammenschau der drei Perikopen aber korrespondiert die von Mose (am 01.01.02) ausgeführte „irreguläre“, das spacing der Kultgeräte komplettierende Form des Tamids mit der „regulären“ Form, die in Lev 9; Num 8 von Aaron vollzogen wird und erst nach dem Abschluss der Priester-, Altar- und Heiligtumsweihe praktikabel ist. Somit profilieren die Texte den Gottesdienst
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
am 08.01.02 als den eigentlichen „Startpunkt“ des regulären Tamids, während Mose für die liminalen Zeitspanne vom 01.01.–07.01.02 übergangsweise priesterliche Funktionen und Aufgaben übernimmt. In allen drei Perikopen liegt ein besonderer Akzent darauf, die erste (reguläre) Ausführung des Tamid – auf je eigene Weise – als ausdrücklich den Vorgaben JHWHs entsprechend darzustellen. Da dies betont mit dem Anfang verbunden ist bzw. beim ersten Vollzug konstatiert wird, soll die Entsprechung zwischen der Kultpraxis und den Vorgaben JHWHs als die bestimmende Qualität herausgearbeitet werden, die in den Anfängen gegeben ist und von diesen „ausstrahlend“ auch die späteren Vollzüge auszeichnet und legitimiert. Der Aufweis der Konformität des Kultvollzugs zu den Vorgaben JHWHs ist dabei auf unterschiedliche Weise realisiert. (1.) So kann er zunächst durch die Gebotsformel (bzw. Variationen derselben) angezeigt werden. Diese unterstreicht den Rückbezug auf die zugrundeliegenden präskriptiven Texte (v.a. der Heiligtumstora) und dient zugleich dazu, die berichteten Vollzüge als Umsetzung derselben aufzuweisen. In Ex 40,23.25.27.29 ist dabei letztlich ein doppelter Rückbezug gegeben, da die Belege der Gebotsformel in V.23b.25b.27b.29c sich stets auf den gesamten Abschnitt zum jeweiligen Kultgerät (V.22–23.24–25.26–27.28–29) beziehen, also auf die Platzierung im Heiligtum und die erste Kulthandlung. Entsprechend erscheint in diesem Fall als der Referenztext, aus dem der Befehl JHWHs ersichtlich wird, zunächst einmal die Gottesrede in Ex 40,1–15 (für die Platzierung137). Darüber hinaus aber werden auch die entsprechenden Vorgaben der Heiligtumstora zu den einzelnen Tamid-Vollzügen aufgenommen, auf die V.23a138.25a139.27a140.29b141 anspielen. Eine ähnliche Beobachtung ist auch für Num 8,3 festzuhalten. Hier betonen die Sätze V.3a.c in formelhafter Weise142 die Entsprechung zwischen dem offenbarten Gotteswillen und der Ausführung des Leuchterdienstes durch Aaron und umrahmen damit den Satz Num 8,3b, der – unter Aufnahme der zentralen Stichworte und Formulierungen der Gottesrede in Num 8,2cI–c – beschreibt, was Aaron tut. Vor allem über diese Aufnahme von Num 8,2cI– c in Num 8,3b wird deutlich, dass die Entsprechungsaussagen in Num 8,3a.c zunächst auf die vorangehende Gottesrede an Mose (Num 8,1–2) rekurrieren. Darüber hinaus aber sind angesichts der oben aufgezeigten Stichwortbezüge in Num 8,2cI–c.3b auch die (präskriptiven) Hypotexte Ex 25,37; 27,20–21 im Blick, so dass erneut neben einer in der Situation der Kultinauguration veror137
Vgl. dazu auch Ex 26,33–35 (s.o.). Vgl. Ex 25,30. 139 Vgl. Ex 25,37; 27,20. 140 Vgl. Ex 30,7. 141 Vgl. Ex 29,38–41. 142 Eine Variante der Gebotsformel findet sich in V.3c. 138
E. Resümee
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teten Gottesrede (Num 8,2cI–c; vgl. Ex 40,1–15), die insbesondere das konkrete Vorgehen regelt, auch grundlegende Weisungen aus der Heiligtumstora aufgerufen werden. Die Pragmatik dieser literarischen Bezüge auf die präskriptiven Texte liegt darin, die in der Gebotsformel behauptete exakte Entsprechung zwischen dem berichteten Tun und einer Weisung JHWHs für die Lesenden nachvollziehbar und letztlich „verifizierbar“ zu machen. Neben den Kulthandlungen wird in Num 8,4 schließlich auch das Herstellen der Menora als „torakonformes“ Handeln qualifiziert, das – wie die korrekte Platzierung der Geräte im Heiligtum (vgl. Ex 40) – eine unabdingbare Voraussetzung für den regelgerechten Kultvollzug darstellt.
(2.) Daneben erscheint Mose als Garant einer dem Willen JHWHs entsprechenden Ausführung, was letztlich aus seiner spezifischen Rolle und Funktion als Offenbarungsempfänger und -mittler abzuleiten ist, die v.a. in Num 8,1–4 betont wird. In besonderer Weise bedeutsam ist diese Aufgabe des Mose in Lev 9,23, wo er (nochmals) neben Aaron als Akteur im Kult aktiv wird, um Aaron in die Vollzüge und Rituale im „Heiligen“ einzuweisen. Damit ist in Lev 9,23 mit der praktischen Anleitung, die letztlich eine „mündliche“ Tradition begründet, eine grundlegende andere Modalität der Übermittlung des Gotteswillens angedeutet, als dies in Num 8,1–3 (wieder im Zusammenhang mit dem Kult im „Heiligen“) der Fall ist. Immerhin empfängt dort Mose eine entsprechende Anweisung JHWHs an Aaron, die er an seinen Bruder weitergibt, so dass dieser sie schließlich in seinem kultischen Agieren im „Heiligen“ umsetzen kann. (3.) Zuletzt ist die Thematik der „Torakonformität“ in Lev 10 auch ex negativo verhandelt, wenn dort der Tod der Aaronsöhne nach einem illegitimen, d.h. nicht „toragemäßen“ Kultvollzug, der noch dazu eine Tamid-Handlung, das tägliche Rauchopfer, nachahmt, den Zusammenhang zwischen der genauen Observanz der kultischen Vorschriften und dem Gelingen des Gottesdienstes veranschaulicht. Das positive Kontrastbild hierzu liefert Lev 9,1–24. Der dort geschilderte (den Weisungen JHWHs entsprechende) Gottesdienst nämlich endet in einer Theophanie, die nicht nur die Akzeptanz der Gaben Israels (und der Modi ihrer Übermittlung) anzeigt, sondern ebenso auch die im Kult realisierte Gemeinschaft zwischen JHWH und Israel sinnenfällig und erlebbar macht. Außen vor ist in diesem Zusammenhang allein der Vers Lev 9,17, in dem der Aufweis einer „Torakonformität“ nicht zentral ist. Stattdessen wird das Brandopfer-Tamid an dieser Stelle auf den ersten Blick beinahe beiläufig erwähnt, erscheint tatsächlich aber – wie ausgeführt – als der grundlegende Opfervollzug, dem die besonderen Opfer der Feier am Sinai als Ergänzungen bzw. Erweiterungen zugeordnet sind. Da diese „Erweiterungen“ in dieser
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Kapitel 3: Tamid und Kultinauguration
Form in die einmalige Situation der Heiligtumsinauguration am Sinai gehören und damit im späteren Kult nicht in dieser Abfolge und mit den spezifischen Besonderheiten, die Lev 9 beschreibt, wiederholt werden, bildet allein das „definitionsgemäß“ regelmäßig wiederholte Tamid ein Moment der Kontinuität zwischen dem Gründungsgeschehen des Kultes Israels am Sinai und dem späteren Betrieb des Heiligtums. Folglich ist – auch mit Ex 29,43b – in jedem Tamid-Vollzug ein Nachklingen bzw. Nachleuchten der Theophanie in Lev 9,23–24 und somit eine grundlegende Erfahrbarkeit des Begegnens JHWHs im Kult Israels gegeben. Essenziell jedoch ist, dass damit allein ein (regelmäßiger) Kultvollzug, eine von JHWH selbst normierte Art und Weise des Interagierens zwischen JHWH und Israel im Kontext des Kults, die legitimierende Kontinuität zu den Anfängen generiert, nicht aber eine „reliquienhaft“ bewahrte „Realie“, wie ein von der Gottheit entzündetes Feuer oder ein von dieser übergebener Kultgegenstand. Dies wiederum verdeutlicht, was Israels Kult seinem eigentlichen Wesenskern nach ist: ein durch den an Mose geoffenbarten Gotteswillen determiniertes Beziehungsgeschehen zwischen JHWH und Israel.
Kapitel 4
Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung Nach der Anaylse der narrativen Texte, die von der Ausführung der in der Heiligtumstora (erstmals) angeordneten Tamid-Vollzüge berichten bzw. eine solche zumindest andeuten, sind im Folgenden präskriptive Texte der Tora näher zu betrachten, die über die Heiligtumstora (Ex 25–31) hinaus Anweisungen zu regelmäßigen Kulthandlungen bieten. Interessant sind dabei zunächst Perikopen wie Lev 24,2–4 und Num 28,3–8, die weitgehend wörtlich Tamid-Texte der Heiligtumstora aufnehmen und in neue Kontexte einbinden: (1.) Die Verse Lev 24,2–3 spielen den Abschnitt zum Leuchter-Tamid aus Ex 27,20–21 ein. Dieser ist innerhalb der Perikope Lev 24,1–9 mit den Anweisungen zum regelmäßigen Kultvollzug auf dem Goldenen Tisch (vgl. Lev 24,5–9) verbunden, die ihrerseits die knappen Andeutungen in Ex 25,30 fortführen. (2.) Num 28,3–8 nimmt – als Teil des Opferkalenders in Num 28,1–30,1 – die Weisungen zum Brandopfer-Tamid aus Ex 29,38–42 auf. Festzuhalten ist damit, dass die beiden zentralen Tamid-Passagen der Heiligtumstora, Ex 27,20–21 zum regelmäßigen Kult im Inneren des Heiligtums und Ex 29,38–42(.43–46) zum Kult am Eingang des Zeltes, in der Tora nochmals an anderer Stelle wiederholt werden. Darüber hinaus ist auffällig, dass sich im engeren Kontext beider Tamid-Abschnitte, Lev 24,1–9 wie Num 28,3–8, Kalender finden, da Lev 24,1–9 unmittelbar an den ausführlichen Festkalender in Lev 23,1–44 anschließt und Num 28,3–8 den Opferkalender (Num 28,1–30,1) eröffnet, der seinerseits wiederum an Lev 23 anknüpft und als Ergänzung zu dieser Perikope angelegt ist. So sind es letztendlich drei Kontexte, die durch das Aufnehmen von Ex 27,20–21 in Lev 24,1–9 bzw. von Ex 29,38–42 in Num 28,3–8 miteinander ins Gespräch gebracht werden, die Heiligtumstora, die den Fokus v.a. auf die Konstitution von Räumen legt, sowie die beiden auch untereinander eng verbundenen Kultkalender in Lev 23; Num 28–29, die eine spezifische Strukturierung und Gestaltung der Zeit vorgeben. Zuletzt schließlich ist – über Lev 24,1–9; Num 28,3–8 hinaus – auf Lev 6,1–6.12–15 einzugehen. Auch in diesen beiden Abschnitten finden sich Vorschriften zu regelmäßigen Kultvollzügen, wobei in diesem Fall jeweils Handlungen angeordnet werden, die in der Heiligtumstora nicht thematisiert
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
sind und die so das Spektrum der Tamid-Vollzüge erweitern bzw. ergänzen. Zugleich erlauben diese Textpassagen (v.a. Lev 6,1–6) – wie unten zu zeigen sein wird – eine Verhältnisbestimmung zwischen den okkasionellen Opfern, die in Lev 1–5 behandelt werden, und dem regelmäßigen, öffentlichen Kult (Tamid). Um den Zusammenhang zwischen den genannten Tamid-Perikopen – sowohl denjenigen aus der Heiligtumstora als auch jenen aus Lev 6; 24; Num 28 – präziser beschreiben zu können, ist es hilfreich, sich die rechtssystematische Einordnung der relevanten Texte innerhalb der Tora vor Augen zu führen. Dazu kann auf die umfangreichen Arbeiten von E. OTTO zu diesem Thema zurückgegriffen werden, der allerdings schwerpunktmäßig das Verhältnis der großen „ethischen“ Rechtskorpora, (Dekalog[e], Bundesbuch, Privilegrecht, Deuteronomium und Heiligkeitsgesetz) behandelt und nur am Rande auch auf die kultrechtlichen Passagen eingeht.
A. Vorüberlegung: Die rechtssystematische Einordnung der Tamid-Texte A. Vorüberlegung
I. Rechtssystematik In seinen Überlegungen zur Rechtshermeneutik der Tora geht E. OTTO von der grundlegenden Annahme aus, dass die Rechtskorpora (synchron) in solcher Weise in die Erzählung eingebunden sind, dass ihre jeweilige Rechtsautorität, sowie ihr Verhältnis zu den übrigen Gesetzessammlungen deutlich wird. Von entscheidender Bedeutung für diese narrativ entwickelte Rechtssystematik1 sind zunächst Verschriftungsnotizen,2 die eine Differenzierung zwischen Gesetzeskorpora ermöglichen, die gemäß der Fabel der Tora von JHWH selbst (Sinaidekalog; vgl. Ex 24,12; 31,18; 32,15; 34,1.28; Dtn 4,13; 1 Für E. OTTO ist die Annahme von entscheidender Bedeutung, dass die in der Tora angelegte Rechtssystematik – zusammen mit vielen anderen literarischen Besonderheiten, wie z.B. den geographischen Notizen in Gen 50,10–11; Num 22,1; Dtn 1,5, die deutlich machen, dass der Standort des Erzählers nicht der des Mose sein kann, den Sychronismen in Gen 12,6; 13,7; 32,33; 36,31; 40,15; Dtn 3,14; 34,6, die erzählte Zeit und Erzählzeit auseinandertreten lassen, den Numeruswechseln im Deuteronomium oder dem Wechsel der Gottesnamen in der Genesis – im Dienst einer „Hermeneutik der Applikation“ (OTTO, Deuteronomium 1–4, 260) stehen (vgl. OTTO, Deuteronomium 1–4, 259–263). Sie verdeutlichen den Lesenden, „dass die Erzählungen nicht in der erzählten Zeit allein ihren Horizont haben, sondern eine hermeneutische Strategie der Applikabilität auf die Erzählzeit als die des Lesers verfolgen, also ein tua res agitur zum Ausdruck bringen wollen, wenn sie von der Mosezeit erzählen“ (OTTO, Deuteronomium 1–4, 260. Kursivsatz im Original. Vgl. auch OTTO, Deuteronomiumstudien III, 111.). 2 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 109; DERS., Deuteronomium 1–4, 260; 261– 262.
A. Vorüberlegung
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5,22; 9,10; 10,2.4),3 von Mose (Bundesbuch, Ex 24,4; Privilegrecht, Ex 34,27 und Deuteronomisches Gesetz; Dtn 31,9–134) oder auch gar nicht (Heiligkeitsgesetz und die Kulttōrōt) verschriftet werden. Darüber hinaus spielen nach OTTO die geographische Situierung der Mitteilung (und ggf. Verschriftung)5 sowie die dabei gegebene Redesituation für die rechtshermeneutische Systematisierung eine entscheidende Rolle. So finden sich – was die Redesituation anbelangt – neben der „Standardform“ einer Rede JHWHs an Mose (und Aaron), verbunden mit dem Auftrag, das Gehörte an Israel weiterzugeben, im Fall des Sinaidekalogs (Ex 20,1–17) eine unmittelbar an die Exodusgeneration Israels adressierte Gottesrede sowie (v.a.) im Dtn eine Auslegung und Aktualisierung der (Sinai-)Tora, die als Moserede an die Landnahmegeneration Israels gestaltet ist. Die wesentlichen Orte der Gesetzesmitteilung hingegen sind (1.) der Sinai, wobei hier nochmals genauer zwischen Gesetzen zu differenzieren ist, die (1.1) am Berg bzw. vom Berg aus gegeben werden und solchen, die (1.2) – nach dem Bau und der „Inbetriebnahme“ des Heiligtums – aus diesem heraus ergehen, sodann (2.) die Wüste und schließlich (3.) das Land Moab als Endpunkt der Wüstenwanderung Israels bzw. des Erzählbogens der Tora. Eine entlang dieser „Kenngrößen“ vorgenommene Einordnung und Verhältnisbestimmung der Gesetzeskorpora aber führt zu der folgenden Systematisierung: OTTO grenzt zunächst eine „Kernoffenbarung“ ab. Diese umfasst Gesetze, die am Sinai bzw. vom Sinai her übermittelt sind, d.h. den Sinaidekalog (Ex 20,1–17), das Bundesbuch (Ex 20,22–23,33) als Grundlagendokument des Sinaibundes und schließlich das Privilegrecht (Ex 34,10–26).6 Letzteres steht in Zusammenhang mit der Bundeserneuerung nach der Verehrung des Goldenen Kalbs und bietet – auf den Abfall Israels reagierend – eine auf die Frage nach der korrekten JHWH-Verehrung zugespitzte „Auslegung“ von thematisch hierfür relevanten Passagen aus dem Bundesbuch (v.a. von Ex 23,[13.]14–19.20–33). Eine weitergehende Systematisierung aber wird dann möglich, wenn zusätzlich auch die jeweilige Redesituation sowie die bei allen drei Korpora belegten Verschriftungsnotizen berücksichtigt werden. Dabei kommt dem Sinaidekalog als einer unmittelbaren, d.h. nicht von Mose übermittelten Gottesrede an die Exodusgeneration Israels7, die schließlich
3
Vgl. OTTO, Deuteronomium 1–4, 258. Mit dem Deuteronomischen Gesetz ist schließich auch das Moselied in Dtn 32 zu verbinden, das Dtn 31,22.24 zufolge ebenfalls von Mose im Land Moab verschriftet wird. Vgl. OTTO, Deuteronomium 1–4, 258. 5 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 114; DERS., Deuteronomium 1–4, 263. 6 Vgl. OTTO, Deuteronomium 1–4, 267. 7 Vorausgesetzt ist dabei, dass das Volk (Sinaigeneration) in Ex 20 den Dekalog nicht verstehen kann, da es nur die optischen und akkustischen Eindrücke der Theophanie „sieht“ (Ex 20,18) und so den Wortlaut der Gottesrede erst im Land Moab (Landnahmege4
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von JHWH selbst auf den Tafeln verschriftet und von Mose als ʽedūt in der Lade deponiert wird, das größte Gewicht zu.8 Dem Dekalog zugeordnet sind das Bundesbuch und das Privilegrecht als zunächst an Mose auf dem Sinai ergangene und von ihm dem Volk übermittelte Gesetzeskorpora, die beide zudem von Mose verschriftet werden. Nach Ex 40,34–35 aber ist – obwohl Israel zunächst am Fuß des Sinai verbleibt – eine veränderte Offenbarungssituation gegeben, die ab Lev 1,1 greifbar wird und eine weitere Abstufung schafft. So ergeht von Lev 1,1 an für den Rest des Aufenthalts am Sinai (und über diesen hinaus) die Rede JHWHs aus dem Zelt (bzw. ab Num 1,1 im Zelt) an Mose. Dies gilt für die Weisungen zu Kult und Reinheit in Lev 1–7.11–16 ebenso, wie für das Heiligkeitsgesetz in Lev 17–26 (mit dem Nachtrag bzw. Anhang in Lev 27),9 wobei OTTO v.a. letzteres genauer in den Blick nimmt. Eine differenzierende Abhebung dieser Weisungen von der „Kernoffenbarung“ vom Sinai ist beim Heiligkeitsgesetz, aber auch bei den Kult- und Reinheitstōrōt in Lev 1–7.11–16, dadurch gegeben, dass hier eine Verschriftung weder angeordnet noch berichtet wird. Folglich sind diese Weisungen mit OTTO gleichsam als ein mündlich weitergegebenes „Traditionswissen“ der Priester ausgewiesen, das Grundlage und Inhalt ihrer Toralehre (vgl. Lev 10,10–11) bildet. Bereits unter den am Sinai gegebenen Gesetzen stehen einander somit eine auf Grundlage von verschrifteten Texten tradierte „Kernoffenbarung“ mit dem von JHWH selbst aufgeschriebenen, aber unzugänglich aufbewahrten Dekalog an der Spitze und eine unverschriftete, von den Priestern tradierte Tora mit einem Schwerpunkt auf kultischem Spezialwissen gegenüber, so dass hier im Kern bereits die spätere rabbinische Lehre von einer doppelten Tora, einer ‚( תורה שבכתבschriftliche Tora‘) und einer ‚( תורה שבעל־פהmündliche Tora‘), angelegt ist.10 Den Abschluss dieser „doppelten“ Sinai-Offenbarung markieren zwei Kolophone in Lev 26,46; 27,34.11 Diese rekurrieren jeweils auf die (mit Ausnahme des Dekalogs) für alle Gesetze vom Sinai geltende Mittlerrolle des Mose, die den Modus der Übermittlung des Gotteswillens an Israel bestimmt. Darüber hinaus findet sich in beiden Versen die Formulierung בהר סיני, die insofern eine interessante Offenheit wahrt, als sie sowohl auf eine Offenbarung auf dem Berg (vgl. die Weisungen in Ex 20–23; 25–31; 34) als auch am Berg (vgl. die Weisungen in Lev) hinweisen kann. Sie hebt also den Berg Sinai als gemeinsamen und verbindenden Offenbarungsort heraus und qualineration) durch Mose mitgeteilt bekommt (Dtn 5). Vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 128–132; OTTO, Deuteronomiumstudien III, 121–122; DERS., Deuteronomium 1–4, 270–271. 8 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 109. 9 Vgl. auch NIHAN, Priestly Torah, 70. 10 Vgl. OTTO, Gesetz, 71–72. 11 Zum Nebeneinander der beiden Kolophone am Ende von Lev vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 1132–1133; OTTO, Deuteronomiumstudien III, 116–117; DERS., Deuteronomium 1–4, 265.
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fiziert auf diese Weise auch die Gesamtheit der Weisungen in Ex und Lev – über die oben nachgezeichneten Abstufungen und rechtsystematischen Zuordnungen hinweg – als Sinaitora.12 Dieselbe Formulierung ‚( בהר סיניam / auf dem Berg Sinai‘), die sich in Lev 26,46; 27,34 findet, ist auch in Lev 7,37–38, der Toraformel am Abschluss der Opfertora (Lev 1–7), sowie in der Redeeinleitung Lev 25,1 belegt und folglich mit dem ersten und letzten Block von Weisungen im Levitikusbuch, der Opfertora in Lev 1–7 und den Anordnungen zum Shabbat- und Jubeljahr in Lev 25, verbunden.13
Eine weitere, eng damit verbundene Funktion der Kolophone in Lev 26,46; 27,34 besteht darin, die in Ex 19–Lev 27 übermittelten Weisungen, die mit dem Berg Sinai verbunden sind, von den zahlreichen tōrōt in Num zu differenzieren, die mit Num 1,1 (zunächst) in der Wüste Sinai ( )במדבר סיניgegeben werden.14 JHWH redete zu Mose in der Wüste Sinai, im Zelt der Begegnung, am ersten (Tag) des zweiten Monats im zweiten Jahr ihres Ausziehens aus dem Land Ägypten, folgendermaßen: (…) (Num 1,1)
Obwohl Israel bis zum Aufbruch vom Gottesberg in Num 10,11–12 keinen Ortswechsel vornimmt und folglich in Num 1,1–10,10 – ebenso wie in Ex 19–Lev 27 – am Fuß des Berges Sinai verbleibt, wird damit eine Veränderung hinsichtlich des Offenbarungsortes angezeigt, die für die Rechtssystematik von Bedeutung ist und die durch die die Kolophone in Lev 26,46; 27,34 bereits angezeigte Differenzierung zwischen den Weisungen in Ex 19–Lev 27 auf der einen und denen in Num auf der anderen Seite zusätzlich unterstreicht. Alle in Num folgenden Weisungen – auch die vor dem Aufbruch datierten – nämlich werden in der Wüste ( )במדברbzw. ‚( באהל מועדim Zelt der Begegnung‘; vgl. Num 1,1) mitgeteilt.15 Dabei variiert die Formulierung באהל ‚( מועדim Zelt der Begegnung‘; vgl. Num 1,1) die Wendung ‚( מאהל מועדaus dem Zelt der Begegnung‘) in Lev 1,1. Letztere setzt – an Ex 40,34–35 anknüpfend – voraus, dass das Zelt nach dem „Einzug“ der Herrlichkeit JHWHs (vorübergehend) nicht betreten werden kann, so dass sich Mose in Lev 1,1 vor dem Zelt befindet und JHWH ihn vom Zelt aus anspricht.16 Num 1,1 jedoch weist auf eine Veränderung im Modus der Offenbarungsübermittlung 12
Vgl. OTTO, Deuteronomium 1–4, 265. Vgl. auch HIEKE, Levitikus 16–27, 1098– 1099; ZENGER/FREVEL, Bücher, 53. 13 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 1099; ZENGER/FREVEL, Bücher, 40; 51–53. 14 Vgl. OTTO, Deuteronomium 1–4, 265–266; MILGROM, Numbers, 4; NIHAN, Priestly Torah, 70. 15 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 117; DERS., Deuteronomium 1–4, 266; NIHAN, Priestly Torah, 70. 16 Vgl. ZENGER/FREVEL, Bücher, 54.
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hin, die erst von Num 7,89 her vollständig deutlich werden kann. In diesem Vers nämlich ist im Anschluss an die Konzeption von Ex 25,22 (vgl. auch Ex 33,7–11) eine Offenbarung im Zelt – im Gegenüber von JHWH und Mose – angedacht.17 Diese Art und Weise der Willenskundgabe wird – der Darstellung von Num 7 zufolge – nach dem Abschluss der Heiligtumsweihe bzw. der Kultinauguration möglich und kommt dabei nicht nur am Sinai (vgl. Num 1,1; 7,89), sondern auch während der Wüstenwanderung bis hin nach Moab bzw. bis zum Tod des Mose zur Anwendung.18 Zugleich ist durch diese Veränderung der Offenbarungsmodalitäten auch ein markantes Absetzen der tōrōt im Numeribuch von der mit Lev 26,46; 27,34 für abgeschlossenen erklärten Sinaioffenbarung begründet, das zur Folge hat, dass auch die tōrōt in Num 5–6; 8; 9,1–14; 10,1–10 sowie die Lagerordnung und die Festlegung der Dienstpflichten der Leviten in Num 1–4, die geographisch noch am Sinai verortet sind, nicht der „eigentlichen“ Sinaioffenbarung zugerechnet werden, sondern unter den in der Wüste (im Gegenüber von Mose und JHWH im Zelt) offenbarten Weisungen subsummiert werden.19 Diese haben vielfach den Charakter von Ergänzungen und Präzisierungen von Gesetzen, die mit dem Berg Sinai verbunden sind,20 wobei thematisch ein deutlicher Schwerpunkt auf (in einem weiteren Sinne) kultischen Anweisungen liegt (vgl. Num 1–4; 5–6; 8; 9,1–14; 10,1–10; 15; 18–19; 28–30). Daneben aber werden – v.a. nach dem Erreichen des Landes Moab – auch die eng verbundenen Themenfelder Land und Erbrecht bedeutsam (vgl. Num 27,1–12; 33,50–35,34; 36,1– 12). Den Abschluss der „Weisungen in der Wüste“ markiert der Kolophon in Num 36,13, der mit dem Stichwort ‚( במדברin der Wüste‘) den „gemeinsamen Nenner“ der Gebotsoffenbarungen in Num in Erinnerung ruft und zudem nochmals an die in Num 1,1; 7,89 umschriebenen „Offenbarungsmodi“ erinnert. Dies sind die Gebote ( )מצותund die Gesetze ()משפטים, die JHWH durch die Hand des Mose den Söhnen Israel befohlen hat in den Steppen von Moab über den Jordan von Jericho. (Num 36,13)
17
Vgl. LEVINE, Leviticus 1–20; 129–130; 258–259; 264; MILGROM, Numbers, 4; OTDeuteronomiumstudien III, 117; DERS., Deuteronomium 1–4, 266; ZENGER/FREVEL, Bücher, 54–55. 18 Vgl. OTTO, Deuteronomium 1–4, 266–267. 19 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 117–118; DERS., Deuteronomium 1–4, 266– 267. Vgl. ähnlich ZENGER/FREVEL, Bücher, 55–57. 20 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 517. TO,
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Darüber hinaus schließt Num 36,13 den Bogen zurück zu den beiden Kolophonen in Lev 26,46; 27,3421 und betont, dass den Gesetzen vom Berg Sinai und denen in der Wüste gemeinsam ist, dass sie jeweils Weisungen JHWHs an Israel darstellen, die durch die Vermittlung des Mose ergehen. Verbunden damit aber definiert er auch den (vorläufigen) Endpunkt des Weges Israels in den Steppen von Moab am Jordan von Jericho, der zugleich der geographische und „geschichtliche“ Endpunkt der Willenskundgabe JHWHs an Mose ist.22 Dies wiederum hat zur Folge, dass der Kolophon auch eine Abgrenzung gegenüber dem Deuteronomium markiert, das durch den Auftakt in Dtn 1,1–5 und die Angaben in Dtn 28,69; 32,49; 33,2–3; 34,5–6; einerseits mit demselben Ort verbunden ist, der auch im Kolophon Num 36,13 genannt ist, den Steppen von Moab am Jordan.23 Andererseits aber macht bereits Dtn 1,5 deutlich, dass in Dtn eine gegenüber den Weisungen in Ex–Num gravierend veränderte Redesituation vorliegt, da das deuteronomische Gesetz nicht als Rede JHWHs, sondern dezidiert als Moserede an das Israel der Landnahmegeneration gestaltet ist. Diese wird in Dtn 1,5 ihrem Inhalt und Wesen nach als aktualisierende Auslegung (vgl. „ )בארdieser Tora“ (vgl. )את־התורה הזאת durch Mose im Land Moab ausgewiesen, wobei „diese Tora“ bei synchroner Lektüre des Pentateuch nur die Weisung vom Sinai meinen kann24 – und tatsächlich wird der Sinaidekalog (Ex 20,1–7) in Gestalt des Horebdekalogs (Dtn 5,6-21) ebenso aktualisiert und ausgelegt, wie das Bundesbuch (Ex 20,22–23,33) und das Privilegrecht (Ex 34,10–26) durch das Deuteronomische Gesetz in Dtn 12–26, wobei letzteres mit Dtn 12,1 als diejenige Weisung qualifiziert wird, die in dem Land, das JHWH gibt, zu halten ist und dort ein langes und gelingendes Leben ermöglicht.25 Somit erweist sich im (synchronen) Gesamtzusammenhang des Pentateuch die Torapredigt des Mose als Einlösen des göttlichen Auftrags aus Ex 24,12, Israel über die Weisungen vom Sinai zu belehren.26 In der Zusammenschau sind also drei große – auch hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit abgestufte – Blöcke von Gesetzen und Gesetzeskorpora auszumachen: An erster Stelle steht die Sinaioffenbarung mit der oben skizzierten Binnendifferenzierung in eine „Kernoffenbarung“ und in weitere (mündlich tradierte) Weisungen, der als zweiter großer Block die Torapredigt des Mose im Land Moab (Dtn 5–26) gegenübersteht. Zwischen diesen beiden jedoch 21 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 115–116; DERS., Deuteronomium 1–4, 265; ZENGER/FREVEL, Bücher, 52–53. 22 Vgl. ZENGER/FREVEL, Bücher, 49–51. 23 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 115; DERS., Deuteronomium 1–4, 264; ZENGER/FREVEL, Bücher, 51. 24 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 115; DERS., Deuteronomium 1–4, 264. 25 Vgl. OTTO, Deuteronomium 1–4, 268–269. 26 Vgl. OTTO, Deuteronomiumstudien III, 115; DERS., Deuteronomium 1–4, 264. Vgl. ausführlicher dazu auch OTTO, Deuteronomium 1–4, 268–274.
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finden sich Ergänzungen und Präzisierungen der Sinaioffenbarung durch JHWH, die ‚( במדברin der Wüste‘) ergehen (Num). In dieser von E. OTTO dargelegten Systematisierung sind nun auch die Kulttōrōt zu positionieren, wobei ein besonderer Fokus auf denjenigen Texten liegen soll, die im Zusammenhang mit der in dieser Studie relevanten Frage nach dem Tamid von Bedeutung sind. Zu beginnen ist dabei mit der Heiligtumstora (Ex 25–31), die – so man die von OTTO entwickelten „Kriteriologie“ anlegt – mit der „Kernoffenbarung“ am Sinai in Zusammenhang zu bringen ist. Immerhin ist sie mit dem durch den Aufstieg in Ex 24,12–18 eingeleiteten und durch den Abstieg in Ex 32,15–19 beendeten Bergaufenthalt des Mose verbunden; sie wird Mose also auf dem Berg Sinai und im Zusammenhang mit einer Theophanie (vgl. Ex 24,16–17) mitgeteilt, so dass grundsätzlich die gleiche Offenbarungssituation gegeben ist, wie bei der Bundesbuchrede (Ex 20,22–23,33) bzw. beim Privilegrecht (Ex 34,10–26). Dies aber trifft unter den kultrechtlichen Korpora und Textpassagen ausschließlich auf die Heiligtumstora zu, so dass dieser innerhalb der Kultgesetzgebung der Tora die größte Autorität zukommt. Im Unterschied zu Bundesbuch und Privilegrecht wird die Heiligtumstora jedoch nicht durch Mose verschriftet. Dafür kann der in Ex 35–39 beschriebene Bau des Heiligtums gemäß den Vorgaben der Heiligtumstora zumindest ein Stück weit als ein zu einer Verschriftung äquivalenter Vorgang interpretiert werden, insofern hier in Gestalt des Heiligtums eine paradigmatische Anwendung (und Auslegung) der Heiligtumstora (auch im / als Text) „manifest“ wird, die auf die Offenbarung JHWHs hinweisen und sie bezeugen kann. Neben die Heiligtumstora treten in der Textfolge der Tora schließlich kultische Weisungen im Buch Levitikus, die am Berg Sinai ( ;בהר סיניvgl. Lev 7,38; 26,46; 27,34) aus dem Zelt heraus ( ;מאהל מועדLev 1,1) an Mose ergehen. Zu nennen sind hier die Opfertora in Lev 1–7, die die Reinheitsvorschriften in Lev 11–15, die den Zugang zum Heiligtum regulieren, und die Weisung zum Jom Kippur in Lev 16, die das Versöhnung-Bewirken für das Volk und das in seiner Mitte „wohnende“ Heiligtum (vgl. Lev 16,16) behandelt. Thematisch sind somit enge Verbindungen zwischen den Kulttexten in Lev 1–16 und der Heiligtumstora (Ex 25–31) gegeben. Zuletzt finden sich kultische Weisungen auch im Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26), wobei hier v.a. der Festkalender in Lev 23 sowie – eng mit diesem verbunden – die TamidVorschriften in Lev 24,1–4.5–9 zu nennen sind. Auch diese Texte stehen – wie unten genauer zu zeigen sein wird – in einem engen Zusammenhang mit der Heiligtumstora, was u.a. darin greifbar wird, dass sie zentrale Textpassagen aus dieser aufnehmen. Die auf dem Berg übermittelte Heiligtumstora und die ausführliche Kultgesetzgebung in Lev, die am Fuß des Berges aus dem Zelt der Begegnung heraus mitgeteilt wird, bilden zusammen die Kultordnung vom Sinai, die – wie die angesprochene Aufnahme von Textpassagen aus der Heiligtumstora
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in Lev 23,3; 24,2–3 exemplarisch zeigen kann – ebenso von Wiederaufnahmen und Neuinterpretationen bereits übermittelter Weisungen (durch JHWH selbst) bestimmt ist, wie die „ethischen“ Gesetzeskorpora. II. Kulttōrōt im Numeribuch Abschließend ist – v.a. mit Blick auf Num 28,3–8 bzw. Num 28,1–30,1 – noch auf die tōrōt in Num einzugehen, die – wie oben bereits angedeutet – vielfach als Ergänzungen zu Weisungen vom Berg Sinai angelegt sind, im Detail aber durchaus auch „neue“ Kultvollzüge einführen und damit die Kultordnung vom Sinai um wesentliche Facetten erweitern. So können die in Num 2 festgeschriebene Lager- und Marschordnung sowie die Bestimmungen zu den Dienstpflichten der levitischen Sippen beim Transport des Heiligtums, die in diesem Zusammenhang geleistete Verhältnisbestimmung zwischen Leviten und Priestern sowie die Anweisungen zum „Verpacken“ der Heiligen Geräte (Num 3–4) als Entfaltungen und Ergänzungen zur Heiligtumstora gelesen werden.27 Denn immerhin „verlängert“ die Anlage eines Lagers der Leviten und eines Lagers Israels in zwei „Schalen“ rund um das Zelt der Begegnung die Raumkonzeptionen des Heiligtums, die in Num 2; 4 zugleich in eine Marschordnung auf der Wanderschaft „übersetzt“ werden. Num 5,1–4 hingegen erweist sich als Anwendung der Reinheitstōrōt aus Lev 11–15 auf die in Num 1–4 etablierte Lagerordnung28 und auch Num 5,5–6,21 ist mit den tōrōt über Unreinheit (Num 5) bzw. Reinheit / Heiligkeit von Nichtpriestern (Num 6) als eine Erweiterung der Opfer- und Reinheitstora sowie des Heiligkeitsgesetzes zu verstehen29. Zuletzt jedoch treten die Vorschriften zur Weihe der Leviten in Num 8,5–26 neben das Ritual der Priesterweihe in Ex 29,1–35, mit dem sie u.a. über die – im Detail allerdings deutlich unterschiedlich angelegten – tenūfōt verbunden sind. Num 9,1–14 schließlich bietet eine Ergänzung zur Pesachtora in Ex 12.30
Interessanter für den Zusammenhang dieser Studie und daher auch etwas genauer zu beleuchten sind die umfangreicheren Kulttōrōt in Num 15; 18–19; 28,1–30,1, denen gemeinsam ist, dass sie nicht mehr am Sinai, sondern tatsächlich „in der Wüste“ bzw. im Fall von Num 28,1–30,1 bereits im Land Moab mitgeteilt werden. Mit Num 1,1; 7,89 ist vorauszusetzen, dass sie im Zelt (von der Kapporet aus) an Mose ergehen, wobei – anders als bei den kultischen Weisungen der Sinaioffenbarung – weder eine klare Lokalisierung (über die allgemeinen Angaben ‚in der Wüste‘ bzw. ‚im Land Moab‘ hinaus) noch eine greifbare Datierung erfolgt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie ohne jeden Bezug zu denjenigen Erzählungen sind, in deren Kontext sie in der Tora positioniert sind.
27
Vgl. z.B. SEEBASS, Numeri 1–10, 50–51; 56; 91; 102–103; u.a. Vgl. BUDD, Numbers, 53; DAVIES, Numbers, 44–45; KELLERMANN, Priesterschrift, 63–65; SEEBASS, Numeri 1–10, 109–113. 29 Vgl. BUDD, Numbers, 57; 71; SEEBASS, Numeri 1–10, 115; 134–135; 158. 30 Vgl. BUDD, Numbers, 96–97; SEEBASS, Numeri 1–10, 223–224. 28
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
1. Num 15,1–41 In Num 15,1–41 finden sich in erster Linie Bestimmungen zu Opfervollzügen, so dass diese Perikope v.a. als Ergänzung und Erweiterung zu den Opfervorschriften der Sinaitora (vgl. z.B. Ex 29; Lev 1–7) gelesen werden kann.31 Im ersten größeren Abschnitt des Kapitels, Num 15,2–12, werden vegetabile Begleitopfer – eine minḥā, d.h. ein Mehlopfer, und ein næsækh, d.h. eine Wein-Libation, – für alle Brand- und Heilsgemeinschaftsopfer angeordnet, so dass hier v.a. Vorgaben aus Ex 29,38–42 und Lev 23,13.18.37 weiter entfaltet werden.32 So kennt Ex 29,40 ein Begleitopfer von ⅟₁₀ ’ēfā solæt als minḥā und ¼ hīn Wein als næsækh für jedes Tamid-Lamm, während in Lev 23 Begleitopfer zur ʽomær-Gabe (Lev 23,13) bzw. zu den Opfertieren am Wochenfest (Lev 23,18) erwähnt werden, die in Lev 23,37 nochmals summarisch genannt sind.33 Dabei ist in Lev 23 nur für den Fall des ʽomær, bei dem die Begleitopfer die Darbringung der ersten Getreidegarbe der neuen Ernte (nicht aber eines Opfertieres) ergänzen, eine Tarifierung angegeben: 2 /10 ’ēfā solæt mit Öl und ¼ hīn Wein; eine sonst unübliche Kombination. Der Tarif zu den in Lev 23,18 aufgezählten Brandopfern des Wochenfestes (sieben Lämmer, ein Stier, zwei Widder) jedoch wird im Festkalender nicht angegeben und ist so letztendlich erst von Num 15,4–10 her ableitbar, wo für genau diese „klassischen“ Opfertiere – Lämmer (vgl. Num 15,4–5), Widder (vgl. Num 15,6–7) und Stiere (vgl. Num 15,8–10) – die entsprechenden Mengen für minḥā und næsækh genannt sind. Die in Num 15,2–12 festgelegte Tarifierung folgt damit grundsätzlich dem in Ex 29,40 vorgegebenen „Basistarif“ für ein Lamm, der aus ⅟₁₀ ’ēfā solæt mit ¼ hīn Öl vermischt als minḥā und ¼ hīn Wein als næsækh besteht. Num 15 übernimmt diesen für die Lämmer (vgl. V.4–5) und adaptiert ihn in Num 15,6–7.8–10 durch ein Steigern der Mengen für die größeren und wertvolleren Opfertiere, d.h. für Widder (2/10 ’ēfā solæt mit ⅓ hīn Öl und ⅓ hīn Wein) und Stier (3/10 ’ēfā solæt mit ½ hīn Öl und ½ hīn Wein). Somit erweist sich Num 15,1–12 auch als Entfaltung bzw. fortführende Auslegung von Ex 29,38–42. Interessant ist allerdings, dass die Adaption des letztendlich bereits in Ex 29,40 vorgegebenen „Basistarifs“ für ein Lamm auf Widder und Stier durch ein mechanisch wirkendes Anheben der jeweiligen Mengenangaben erreicht wird. So wird beim Mehl für den Widder gegenüber dem Lamm und für den Stier gegenüber dem Widder je ein weiteres Zehntel ’ēfā aufgeschlagen, d.h. der Zähler erhöht sich je um den Wert eins (⅟₁₀’ēfā → 2/10 ’ēfā → 3 /10 ’ēfā). Bei den Flüssigkeiten Öl und Wein hingegen wird zur Steigerung der Menge 31
Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 517; ASHLEY, Numbers, 275–276; LEVINE, Numbers 1–20, 385–386. 32 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 518. 33 Zu den Bezügen zwischen Num 15,1–5 und Lev 23,9–14 vgl. ACHENBACH, Reading, 214–215.
A. Vorüberlegung
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jeweils die Nennerzahl um eins abgesenkt (¼ hīn → ⅓ hīn → ½ hīn). Da damit bei den Flüssigkeiten – anders als beim solæt – keine lineare Steigerung der Menge gegeben ist (für einen Widder ist 1/12 hīn Öl mehr abzugeben als für ein Lamm, für einen Stier aber 2/12 hīn mehr als für einen Widder), verändert sich durch die Mengensteigerung jeweils auch das Mischungsverhältnis von Mehl und Öl bei der minḥā und damit auch die Konsistenz und Beschaffenheit der Begleitgabe.34 Diese Eigenheiten jedoch, d.h. das rein mechanische Anheben der Zähler bzw. Absenken der Nenner bei der Mengensteigerung der Begleitgaben für die größeren Opfertiere und das Inkaufnehmen (oder Ignorieren) von Veränderungen im Mischungsverhältnis der jeweiligen minḥā, können – mit der gebotenen großen Vorsicht – als ein Indiz dafür gewertet werden, dass Num 15,1–12 wohl eher Produkt einer „theoretischen“ Schriftgelehrsamkeit ist, denn schriftlicher Niederschlag einer konkret geübten kultischen Praxis.
Der zweite Abschnitt des Kapitels, Num 15,13–16, thematisiert ein Ausweiten der Opfertōrōt auf Fremde, für die grundsätzlich dieselben Regeln gelten, wie für Israeliten.35 Num 15,17–21 ordnet eine ( תרומהAbgabe) vom Brotteig der Israeliten zu Gunsten des Priesters an und bringt so das in der Opfertora ebenfalls bereits behandelte Thema der Versorgung der Priester ein.36 Num 15,22–31 widmet sich unabsichtlichen Verletzungen der Kultordnung, die besondere Formen des Entsündigungsopfers ( )חטאתerfordern. Damit knüpft die Perikope einerseits an Lev 4,1–5,12 an,37 geht andererseits aber in Einzelbestimmungen38 deutlich darüber hinaus und erweist sich somit wiederum als spezifische Erweiterung bzw. Ergänzung bereits gegebener tōrōt.39 In Num 15,32–36 mündet dieser Abschnitt in eine Erzählung über eine Profanierung des Shabbat als exemplarisches Beispiel für einen absichtlichen Verstoß gegen die Kultordnung ein, der nicht durch die in Num 15,22–31 thematisierte kultische Sühne zu beheben ist, sondern eine Bestrafung des Schuldigen erfordert.40 Den Abschluss von Num 15 bilden die Verse Num 15,37–41, in denen ebenfalls eine neue „Institution“ eingeführt wird. Hier findet sich die Anweisung an die Israeliten, Zizit zu machen, d.h. die Quasten am Gewandsaum durch das Einflechten eines Fadens aus תכלת (Blaupurpurwolle) zu einem Erinnerungszeichen auszugestalten, das den Einzelnen konti34
Vgl. ASHLEY, Numbers, 280. Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 517; DERS., Reading, 218–220; COLE, Numbers, 247; LEVINE, Numbers 1–20, 392–393; SCHMIDT, Numeri, 55. 36 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 518–519; DERS., Reading, 220–221; ASHLEY, Numbers, 281–283; COLE, Numbers, 248; LEVINE, Numbers 1–20, 393–394; SCHMIDT, Numeri, 56. 37 Vgl. z.B. die Bezugnahme von Num 15,27–28 auf Lev 4,27–28.31. Vgl. ACHENBACH, Reading, 222–224; ASHLEY, Numbers, 284–286; LEVINE, Numbers 1–20, 395. 38 Vgl. z.B. das Einbeziehen des Fremden in die Gesetzgebung (Num 15,29) oder die Ausweitung der ḥaṭṭā’t–Bestimmungen auf Übertretungen von (positiv formulierten) Geboten gegenüber der Einschränkung auf Verstöße gegen Verbote in Lev 4.1–5,13 (Num 15,22[ff.]). 39 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 519; ASHLEY, Numbers, 285; MILGROM, Leviticus 1–16, 264–269; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 259–260. 40 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 521–522; DERS., Reading, 225–227; ASHLEY, Numbers, 291; COLE, Numbers, 254; DAVIES, Numbers, 158–159; SCHMIDT, Numeri, 58–59. 35
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
nuierlich an die Verpflichtung Israels auf den Willen JHWHs bzw. auf das Tun der Tora erinnern soll.41 Dieses „Tun der Tora“ lässt die Israeliten mit Num 15,40 zu „Heiligen für ihren Gott“ ( )קדשים לאלהיהםwerden. Mit dieser Aussage spielt der Text einerseits auf den grundlegenden Auftrag an Israel in Ex 19,5–6 an, die Tora zu tun, um so ein heiliges Volk für JHWH zu werden. Zum anderen aber wird die „Theologie der Heiligkeit“ in Erinnerung gerufen, die Lev 17–26 entfaltet, womit deutlich Anfang und Ende der Sinaigesetzgebung im Blick sind. Dieses „Umgreifen“ des Sinai, das den dort geoffenbarten Gotteswillen zur Gänze abbilden und einspielen soll, ist schließlich auch – etwas anders realisiert – in Num 15,41 erkennbar. Immerhin „zitiert“ der Vers einerseits die ersten Worte des Sinaidekalogs (Ex 20,2) und andererseits den Abschluss von Lev 26 (Lev 26,45), verbindet also das erste und letzte Wort JHWHs am Sinai und macht auf diese Weise auch den „Rest“ dazwischen, d.h. die („ganze“) Sinaioffenbarung, präsent.42 Zuletzt stellt die Bundesformel in Num 15,41 auch einen Bezug zu Gen 17; Ex 6,2–8; Ex 29,46 her, wobei ein besonders enger Bezug zu der zuletzt genannten Stelle, Ex 29,46, gegeben ist.43 Damit ruft Num 15,41 u.a. auch die Heiligtumstora und die Anweisungen zum Tamid in Erinnerung und veranschaulicht so die Verbindung zwischen der regelmäßigen Gottesbegegnung (ganz) Israels im Kult (Ex 29,38–46) und dem Leben nach der („ganzen“) Weisung JHWHs (Num 15,37–41). Und nicht zuletzt erinnert die Blaupurpurwolle ( )תכלתder Zizit-Bänder an die Textilien des Heiligtums und der Priestergewänder, so dass sie zusätzlich – über ihre Verweisfunktion auf die „ganze“ Tora hinaus – auch die Verbindung Israels als heiliges Volk (vgl. Num 15,40) mit dem Heiligtum anschaulich machen kann, die darin greifbar wird, dass alle Israeliten buchstäblich einen Faden desselben mit sich herumtragen.44
Durch die Positionierung dieser vielfältigen und beziehungsreichen Supplementa zur Kulttora (Num 15,1–41) im Anschluss an die Kundschaftererzählung in Num 13–14 werden diese in der Tora mit einer konkreten Situation bzw. einer konkreten Begebenheit der Gründungsgeschichte Israels verbunden und so in dieser verortet. Interessant sind dabei zahlreiche „Kontrapunkte“, die das Verhältnis von Num 15 zu Num 13–14 bestimmen. So endet die Kundschaftererzählung mit dem Bestrafen der Exodusgeneration, die sich dem Land aus mangelndem Vertrauen auf JHWH verweigert und daher in der Wüste sterben muss, so dass sich die Landverheißung erst an der nachfolgenden Generation realisieren wird.45 Im Kontrast dazu setzt Num 15 mit dem ausdrücklichen Hinweis auf das „Kommen ins Land“ ein (vgl. Num 15,1): Die ab Num 15,2 folgenden tōrōt sollen dort gelten.46 Dazu passt u.a., dass die in Num 15,2–12 behandelten Begleitopfer sämtlich vegetabile Gaben sind – solæt, d.h. Getreide, Öl und Wein –, die mit dem Land, nicht aber mit der 41
Vgl. ACHENBACH, Reading, 228. Vgl. ACHENBACH, Reading, 229–230; Vgl. auch LEVINE, Numbers 1–20, 402; OTTO, Gesetz, 77; SEEBASS, Numeri 11–22, 162. 43 Vgl. DIESEL, Ich bin, 211; SEEBASS, Numeri 11–22, 162. 44 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 524–525; ASHLEY, Numbers, 294; SEEBASS, Numeri 11–22, 162–163. 45 Vgl. ACHENBACH, Reading, 205–206; SEEBASS, Numeri 11–22, 134. 46 Vgl. ASHLEY, Numbers, 177; COLE, Numbers, 240–241; MILGROM, Numbers, 117. 42
A. Vorüberlegung
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Wüste verbunden sind.47 Und auch das Einbeziehen der Fremden in die Kultgesetzgebung Israels (Num 15,13–16), das ja ein Nebeneinander von Israeliten und Nichtisraeliten voraussetzt, ist nur vor dem Hintergrund der Gegebenheiten des Landes sinnvoll. All diese Aspekte deuten eine Landperspektive an, die in markantem Kontrast zum Schicksal der Exodusgeneration steht, untermauern dadurch aber auch, dass die Landverheißung grundsätzlich weiter gültig ist, dass das Land also noch immer das eigentliche Ziel des Weges Israels ist, ungeachtet der Tatsache, dass die Exodusgeneration dieses nicht erreichen wird.48 Die Hinrichtung des Shabbatbrechers in der Wüste ( ;במדברNum 15,32) in Num 15,32–36 wiederum erweist sich vor diesem Hintergrund als geradezu exemplarisches Beispiel für das der Exodusgeneration aufgrund ihrer Untreue gegenüber JHWH zugedachte Sterben in der Wüste, während im Kontrast dazu der Abschnitt Num 15,37–41 die Toraobservanz als Weg aus der Wüste heraus profiliert und gleichzeitig sicher stellt, dass Israel – dank der durch den Purpurfaden am Gewandsaum angestoßenen Erinnerung – auf Dauer in seine Wüstenzeit, d.h. seine Gründungsgeschichte, eingebunden bleibt. Liest man also Num 15 im Zusammenhang mit Num 13–14, so wird deutlich, dass die in der Wüste gegebenen tōrōt in Num aufs Engste mit der Wüstengeschichte Israels verbunden sind und gleichsam aus dieser herauswachsen. Damit wird synchron letztlich ein geschichtliches Werden transparent gemacht, das auf ganz andere Weise auch diachron in Num 15 greifbar wird, da die einzelnen Abschnitte dieses Kapitels sehr einhellig als späte (und späteste) Nachträge eingeordnet werden können, die – synchron wie diachron – eine „Toraauslegung“ im Sinne einer aktualisierenden Fortschreibung der Tora in der Tora dokumentieren.49 2. Num 18–19 Ähnliches ist auch in den beiden eng miteinander verbundenen Kapiteln Num 18 und Num 19 festzustellen. So bietet Num 18 zunächst eine genaue Regelung des Verhältnisses von (aaronidischen) Priestern und Leviten (Num 18,1– 7),50 die aus der Konflikterzählung in Num 16–17 herauswächst und gleich-
47 Vgl. ACHENBACH, Reading, 20–208; ASHLEY, Numbers, 177; COLE, Numbers, 244– 245; DAVIES, Numbers, 152; SEEBASS, Numeri 11–22, 137; WENHAM, Numbers, 127. 48 Vgl. ASHLEY, Numbers, 177; BUDD, Numbers, 167; DAVIES, Numbers, 149–150; SCHMIDT, Numeri, 54–55; SEEBASS, Numeri 11–22, 134; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 256–257. 49 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 517; MILGROM, Numbers, 117; OTTO, Gesetz, 76– 77. 50 Vgl. ASHLEY, Numbers, 337; COLE, Numbers, 281–284; DAVIES, Numbers, 183– 184; KNIERIM/COATS, Numbers, 217–218; LEVINE, Numbers 1–20, 435.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
sam deren „Ertrag“ bzw. deren Ergebnis festhält.51 In Num 18,8–31 aber wird die grundlegende Verhältnisbestimmung von Num 18,1–7 um Bestimmungen zur Versorgung der Priester und Leviten und um ein Festlegen der ihnen zustehenden Anteile und Abgaben ergänzt.52 Damit wird eine Thematik aufgegriffen und weiter geführt, die in Ex 29 und v.a. in Lev 6–7 bereits im Zusammenhang mit dem Festlegen der Priesteranteile an den Opfern behandelt wurde. Num 19 schließlich beschreibt das Ritual der Roten Kuh, das der Herstellung von Reinigungswasser dient und somit das Umgehen mit Unreinheit ermöglicht, die durch den Kontakt mit einem menschlichen Leichnam zustande gekommen ist. Num 19 knüpft also an die Reinheitstōrōt in Lev 11–15 bzw. – mit Blick auf die Unreinheit der menschlichen Leiche – an Lev 21,11– 12 an (vgl. auch Num 5,2).53 Zugleich fügt sich das Kapitel auch insofern in den narrativen Kontext ein, als in Num 17 der Tod der gegen Mose und Aaron rebellierenden Israeliten und Leviten thematisiert wird und in Num 20,1 (unmittelbar im Anschluss an die Vorschriften von Num 19) vom Tod der Mirjam in Kadesch die Rede ist. Beides, das Sterben der Aufständischen in Num 17 und der Mirjam in Num 20, illustriert und „befördert“ das fortschreitende „Verschwinden“ der Exodusgeneration, weist zugleich aber auch die Leichenunreinheit als ein bedeutendes kultisches Problem aus, für das das in Num 19 beschriebe Ritual effektiv Abhilfe schaffen kann.54 3. Num 28–30 Abschließend ist auf Num 28,1–30,1 einzugehen. Bei diesem Abschnitt, der unten noch genauer auszulegen ist, handelt es sich um den letzten Kulttext unter den durch den Kolophon in Num 36,13 abgegrenzten Gesetzen, die JHWH vermittelt durch Mose den Israeliten aufgetragen hat. Zugleich nimmt die Perikope gegenüber den zuvor knapp vorgestellten Kulttōrōt in Num 15; 18–19 insofern eine Sonderrolle ein, als sie in Moab, d.h. am Endpunkt der Wüstenwanderung, verortet ist, an derselben Stelle also, an der Mose in Dtn den „Kernbereich“ der Sinaioffenbarung vor der Landnahmegeneration aktualisierend und interpretierend verkünden wird. Wie die Mosereden in Dtn ist Num 28,1–30,1 somit bereits (zur Gänze) an die zweite Generation Israels adressiert, folgt hinsichtlich der Art und Weise der Übermittlung aber noch 51
Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 153–157; ASHLEY, Numbers, 337; COLE, Numbers, 284; KNIERIM/COATS, Numbers, 217; MILGROM, Numbers, 146; OTTO, Gesetz, 78–79; SEEBASS, Numeri 11–22, 218–219; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 269. 52 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 153–157; ASHLEY, Numbers, 346; 353–354; COLE, Numbers, 284; 292–293; DAVIES, Numbers, 184; LEVINE, Numbers 1–20, 436. 53 Vgl. ASHLEY, Numbers, 361–362; COLE, Numbers, 301–303. 54 Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 525–528; ASHLEY, Numbers, 361–362; OTTO, Gesetz, 79; SEEBASS, Numeri 11–22, 242.
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den seit dem Sinai geübten Modaltäten einer Gottesrede an Mose, die von diesem an Israel weitergegeben wird. Damit ist ein Übergangscharakter des Abschnitts deutlich greifbar. Dass aber in Num 28,1–30,1 bereits die Landnahmegeneration angesprochen ist, wird v.a. aus dem literarischen Kontext des Opferkalenders deutlich. So geht diesem in Num 26 die zweite Volkszählung voraus, die nach dem Ende der Wüstenwanderung (vgl. Num 22,1) u.a. dokumentiert, dass von den in der ersten Volkszählung am Sinai (vgl. Num 1) erfassten Angehörigen der Exodusgeneration (mit wenigen, z.T. „vorübergehenden“ Ausnahmen in Gestalt von Mose, Josua und Kaleb) niemand mehr am Leben und somit das in Num 14 ausgesprochene Urteil über die erste Generation vollstreckt ist.55 Der als vollzogen markierte Generationenwechsel bestimmt dann auch das Kapitel Num 27, in dem zunächst der Rechtsfall der Töchter Zelofhads behandelt wird (vgl. Num 27,1–11). Diese möchten ihren in der Wüste ohne männlichen Nachkommen verstorbenen Vater beerben und damit dessen Position im System der Sippen und Stämme Israels bewahren, was ihnen letztendlich – verbunden mit einer Anpassung des bisherigen Erbrechts – gewährt wird.56 Daneben thematisieren die Verse Num 27,12–23 die Einsetzung des Josua als Nachfolger des Mose. Der in Num 26 dokumentierte Generationswechsel trifft somit am Ende auch Mose selbst.57 So erweist sich der Opferkalender in Num 28,1–30,1 deutlich als Anweisung an die Landnahmegeneration.58 Er soll die Grundlage einer (korrekten) Verehrung JHWHs im Land bilden59 und formuliert damit auch eine Gegenoption zur Verehrung der Götter des Landes, zu der sich Israel – gleichsam als „Ursünde“ der Landnahmegeneration, die diese an ihre nachfolgenden Generationen „weitergeben“ wird (vgl. Ri 2,11–19) – in Num 25 verführen ließ. Daneben ist der Opferkalender – wie unten zu zeigen sein wird – deutlich als Supplement zum Festkalender von Lev 23 gestaltet.60 Letzterer ist – als Teil des Heiligkeitsgesetzes (Lev 17–26) – mit der Sinaioffenbarung verbunden und damit zuerst an die Exodusgeneration adressiert, erfährt nun aber in Gestalt einer Weisung an die Landnahmegeneration eine Entfaltung bzw. Ergänzung. Zuletzt nimmt Num 28,3–8 beinahe wörtlich die Weisungen zum BrandopferTamid aus Ex 29,38–42 auf, während über die Nennung der verschiedenen Opferarten die Vorschriften der Opfertora aus Lev 1–7 nachklingen. Num 28,1–30,1 erweist sich folglich wie eine integrierende „Gesamtschau“, die viele zentrale Kulttexte aus dem Bereich der Offenbarung vom Sinai (Ex 29,38–42; Lev 1–7; 23) einspielt und miteinander verbindet. Für die 55 Vgl. ASHLEY, Numbers, 531; COLE, Numbers, 450; KNIERIM/COATS, Numbers, 11; ZENGER/FREVEL, Bücher, 50–51; 69. 56 Vgl. ASHLEY, Numbers, 541–545. 57 Vgl. ASHLEY, Numbers, 548; COLE, Numbers, 466–467. 58 Vgl. BUDD, Numbers, 319; LEVINE, Numbers 21–36, 393; OTTO, Gesetz, 84–85. 59 Vgl. SEEBASS, Numeri 22–36, 238; OTTO, Gesetz, 84–85. 60 Vgl. z.B. COLE, Numbers, 471.
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vorliegende Studie ist dabei besonders der Umstand interessant, dass Ex 29,38–42 in Num 28,3–8 beinahe wörtlich wiederholt wird, was diesem Hypotext (und damit auch dem Tamid) ein besonderes Gewicht verleiht, zugleich aber auch in rechtssystematischer Hinsicht die zentrale Autorität der Heiligtumstora Ex 25–31 betont. An Num 28,1–30,1 schließt mit Num 30,2–17 ein Abschnitt an, der sich mit der Frage von Gelübden und freiwilligen Gaben bzw. deren Verbindlichkeit befasst und mit dem Opferkalender über die Stichworte ‚( נדרGelübde‘) und ‚( נדבהfreiwillige Gabe‘) verbunden ist, die in Num 29,29 zum Abschluss des Opferkalenders belegt sind und in Num 30,2–17 in Leitwortfunktion wieder aufgenommen werden.61 Die Besonderheit von Num 30,2–17 besteht darin, dass sich diese Einheit zwar als Wiedergabe einer göttlichen Weisung versteht, dabei aber ausdrücklich als Moserede an Israel gestaltet ist.62 So wird hier bereits die Rolle des Mose als Toralehrer greifbar, die in Dtn markant in den Vordergrund treten wird.63
Interessant ist somit, dass einander als die erste und die letzte der kultischen Gesetzessammlungen der Tora, die Heiligtumstora und der Opferkalender gegenüber stehen, die beide – wie für Num 28–29 noch zu zeigen sein wird – das Tamid als zentralen Kultvollzug profilieren. Dabei zeichnen sich die Tamid-Texte in Lev 24,1–9 und Num 28,3–8 dadurch aus, dass sie mit den Vorschriften zum Leuchter- (Ex 27,20–21; vgl. Lev 24,2–3) bzw. zum Brandopfer-Tamid (Ex 29,38–46; vgl. Num 28,3–8) – über weite Strecken wörtlich – Weisungen aus der Heiligtumstora aufnehmen und diese zugleich in neue Kontexte einbinden. Interessanterweise handelt es sich dabei in beiden Fällen um kultische Kalender, den Festkalender in Lev 23 und den Opferkalender in Num 28–29, so dass jeweils die Thematik der Zeit, bzw. deren Gestaltung und Strukturierung durch (kultisches) Handeln von zentraler Bedeutung sind.
B. Der regelmäßige Kult an Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9) B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
Der Anordnung der Texte innerhalb der Tora folgend, ist zunächst auf die Perikope Lev 24,1–9 einzugehen, die – innerhalb des Heiligkeitsgesetzes (Lev 17–26) situiert – als Teil der Sinaitora ausgewiesen ist. Sie gehört also zum Bestand derjenigen Weisungen, die durch die Kolophone in Lev 26,46; 27,34 zusammengefasst werden. Zugleich ist sie als Bestandteil des Heiligkeitsgesetzes hinsichtlich ihrer Autorität dem „Kernbestand“ der Sinaioffenbarung nachgeordnet, zu dem für den Bereich der Kultgesetzgebung – wie oben aufgezeigt – die Heiligtumstora zählt. 61
Vgl. ASHLEY, Numbers, 575; BUDD, Numbers, 322; SCHMIDT, Numeri, 182. Vgl. ASHLEY, Numbers, 576–577. 63 Vgl. LEVINE, Numbers 21–36, 427. 62
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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I. Überblick über Text und Kontext von Lev 24,1–9 1. Text Die Verse Lev 24,2–9, die Anweisungen zu regelmäßigen Kultvollzügen im „Heiligen“ enthalten, werden durch die Redeeinleitung in Lev 24,1 als eine Gottesrede an Mose markiert. Im Hinblick auf ihre wichtigen Themen und Inhalte können sie in zwei Hauptteile untergliedert werden, nämlich die Verse Lev 24,2–4, in denen sich Anweisungen zum Entzünden des Leuchters finden, und die Verse Lev 24,5–9 mit Vorschriften zum Dienst am Goldenen Tisch. Im ersten Teilabschnitt, Lev 24,2–4, ist in Lev 24,2–3 Ex 27,20–21 aufgenommen, während Lev 24,4 wie ein Resümee wirkt, das im Wesentlichen den vorausgehenden Vers Lev 24,3 wiederholt bzw. präzisiert, bevor Lev 24,5 den Abschnitt zum Dienst am Tisch eröffnet. Dieser wiederum findet in Ex 25,30 eine Parallele, ohne aber diesen Vers in der Weise wörtlich aufzunehmen, wie Lev 24,2–3 die Weisungen zum Entzünden des Leuchters aus Ex 27,20–21. 2. Kontext Anders als die bisher eingehender behandelten Tamid-Texte in Ex 27–30, die als Teile der Heiligtumstora eindeutig einem größeren, klar abgrenzbaren literarischen Kontext zuzuordnen sind, erweist es sich im Fall von Lev 24,1–9 als deutlich schwerer, das Verhältnis der Perikope zu den vorauslaufenden und nachfolgenden Texteinheiten zu bestimmen. Die engste Verbindung besteht wohl mit dem Festkalender in Lev 23,1–44,64 der von seinem formalen Aufriss her als Abfolge von fünf Gottesreden (Lev 23,2–8.10–22.24– 25.27–32.34–43) gestaltet ist, die jeweils durch eine Anrede- ( וידבר יהוה אל ;משה לאמרV.1.9.23.26.33) und eine Weitergabeformel ( דבר אל בני ישראל ואמרת ;אלהםV.2ab.10ab; bzw. ;דבר אל בני ישראל לאמרV.24a–aI.34a–aI)65 eröffnet werden.66 Den Abschluss der Einheit aber markiert die Ausführungsnotiz in Lev 23,44, die konstatiert, dass Mose seinem Auftrag nachgekommen ist, den Inhalt der Gottesreden an Israel zu übermitteln.67 Lev 24,1 setzt somit – nachdem Lev 23,44 den Abschluss des Festkalenders anzeigt – einen Neuanfang, der auch thematisch greifbar ist, da nun regelmäßige Kultvollzüge im 64
Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 168–169; NIHAN, Priestly Torah, 496; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 88–94 (v.a. 91–94). 65 Bei der vierten Gottesrede V.27–32 fehlt die Weitergabeformel. 66 Vgl. NIHAN, Festival Calendars, 179; DERS., Priestly Torah, 496–497. 67 Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 76–78. RUWE bestimmt die Ausführungsnotiz in Lev 23,44 (analog zu der in Lev 21,24) als ein gliederndes Element innerhalb eines größeren literarischen Zusammenhangs (Lev 23,1–24,9), das somit letztendlich kenntlich macht, dass Lev 23,1–43 und Lev 24,1–9 als literarische Einheit zu lesen sind.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
„Heiligen“ behandelt werden und nicht mehr die „Festzeiten JHWHs“ ( מועדי )יהוהim Jahreskreis. Andererseits aber steht in beiden Perikopen, Lev 23,1– 44 wie Lev 24,1–9, kultisches Handeln im Mittelpunkt,68 wobei ein besonderer Fokus jeweils auf einem – im Detail freilich unterschiedlich konzeptionierten – Strukturieren und Gewichten von Zeit durch das kultische Handeln liegt. Die damit evidenten thematisch-sachlichen Bezüge, die im Anschluss an eine genauere Analyse von Lev 24,1–9 noch ausführlicher auszuwerten sind, machen es möglich, Lev 24,1–9 als eine „Erweiterung“ des Festkalenders zu interpretieren.69 Zusätzlich befördert wird dies durch die formale Gestaltung der Perikope Lev 24,1–9, die – ebenso wie die fünf Gottesreden in Lev 23 – mit einer Verbindung von Anrede- (Lev 24,1) und Weitergabeformel (Lev 24,2a) einsetzt, wobei Erstere vom Wortlaut her exakt Lev 23,1.9. 23.26.33 entspricht ()וידבר יהוה אל משה לאמר, während bei Zweiterer insofern eine Variation gegeben ist, als sich anstelle des Verbs ‚( דברreden‘) ‚( צוהbefehlen‘)70 findet.71 Auf Lev 24,1–9 folgt die Perikope Lev 24,10–23, die – v.a. von ihrem Rahmen in V.10–12.23 her – als eine erzählende Einheit gestaltet ist (im Gegenüber zur Gottesrede V.1–9), in V.13–14.15–22 aber auch (längere) Reden JHWHs umfasst und letztendlich als Lehrerzählung zu greifen ist. So schildern die Verse Lev 24,10–12 den Fall eines Mannes, der während eines Streites den Namen Gottes (in missbräuchlicher Absicht) ausspricht (;נקב V.11a) und ihn so „profaniert“ bzw. (wörtlich) „leicht macht“ ( ;קללV.11b). Wegen dieses Vergehens wird er von den Israeliten festgesetzt, um über ihn gemäß der Anweisung JHWHs entscheiden zu können (V.12). Mit dieser in knappen Zügen skizzierten Handlung ist ein Rahmen für die ab V.13 folgenden JHWH-Reden abgesteckt. Lev 24,14 bietet dabei zunächst eine Regelung für den konkreten Fall: Der Lästerer ist außerhalb des Lagers zu steinigen. Daran anknüpfend finden sich in V.15–22 weiterführende (todesrechtliche) Rechtssätze, wobei V.15–16 zunächst noch bei dem im vorliegenden Fall begangenen Vergehen verbleibt und thematisch das ‚Leicht-Machen‘ ( ;קללV.15) Gottes bzw. das missbräuchliche Aussprechen des Gottesnamens ( ;נקבV.16) behandelt. Lev 24,17–22 hingegen bietet weiterführende Vorschriften, die das Ziel verfolgen, die körperliche Integrität von Menschen und (Nutz-)Tieren abzusichern, und dabei – wie V.15–16 – todesrechtlich formuliert sind. Lev 24,23 schließlich kehrt zu dem in V.10–12
68
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 871–872; MILGROM, Leviticus 23–27, 2082. Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 168–169; HIEKE, Leviticus 16–27, 871–872; NIHAN, Festival Calendars, 179; DERS., Priestly Torah, 496–497; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 90–94. 70 Diese Variation erklärt sich v.a. aus dem Bezug von Lev 24,1–4 zu Ex 27,20–21 (vgl. תצוהin Ex 27,20b). Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 879; 942. 71 Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 168–169. 69
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
421
geschilderten Fall zurück und berichtet von der Ausführung der von JHWH in V.14 verhängten Sanktion, der Steinigung des Gotteslästerers.72
Von vielen Auslegern werden die beiden – inhaltlich auf den ersten Blick durchaus disparaten – Perikopen Lev 24,1–9 und Lev 24,10–23 als zwei separate, inhaltlich letztlich kaum verbundene Einheiten „nebeneinander“ behandelt. Mit TH. HIEKE (u.a.) ist allerdings auch eine andere Perspektive denkbar: HIEKE liest die beiden Perikopen in Lev 24 als komplementäre Texte, von denen V.1–9 v.a. die (repräsentierte) Präsenz Israels im „Heiligen“ beleuchtet, wobei die beschriebenen Kultakte als Ausdruck „dynamische[r] Treue … zu Gott“73 zu verstehen seien, während umgekehrt die Perikope Lev 24,10–23 die Präsenz JHWHs im Alltag Israels thematisiert, wenn sie auf den heiligen bzw. zu heiligenden Namen JHWHs rekurriert, dessen Profanierung ein so drastisches Vergehen darstellt, dass die Lösung des Problems letztlich zu einem Anliegen ganz Israels wird und der Schuldige sein Leben verwirkt hat.74 Ausgehend von diesen Überlegungen können die Kapitel Lev 23–24 als eine sinnvolle Abfolge von Perikopen gelesen werden, in die zuletzt auch Lev 25 mit den Bestimmungen zum Shabbat- und Jobeljahr einzubeziehen ist. Dieses Kapitel ist – ebenso wie Ex 23; 24,1–9 – als Gottesrede (vgl. Anrede und Weitergabeformel in V.1–2b) gestaltet, wobei inhaltlich – ähnlich wie in Lev 23; 24,1–9 – die Zeit und Strukturierung ein wesentliches Thema darstellen.75 Dabei sind mit dem Shabbatjahr (Lev 25,1–7) und seinem Rhythmus von „6+1“ Jahren bzw. dem Jobeljahr (Lev 25,8–22) und seiner Taktung von „(7x7)+1“ Jahren weit ausgreifende Zeitspannen im Blick. Für den Zusammenhang mit Lev 24,1–9 (und Lev 23) erscheint v.a. die Shabbatthematik (vgl. den Rhythmus „6+1“) als interessant, die in Lev 24,1–9 vornehmlich über die Passage zum Tisch (V.5–9) präsent ist (vgl. Lev 24,8), ausgehend von Lev 23,3 aber auch Lev 23,1–44 bestimmt.76 Über das Thema Zeit hinaus ist in Lev 25 auch die Landthematik zentral. Diese erweitert Lev 23–25 um eine Perspektive auf den Raum und ist bereits in Lev 25,2 über den Ausblick auf die Ankunft im Land (… ;כי תבאו אל הארץ Lev 25,2c) angelegt.77 Des Weiteren ist das in Lev 25,2–7 angeordnete Shabbatjahr ausdrücklich als Ruhezeit für das (Acker)Land, nicht für Israel, konzipiert, während das in Lev 25,8ff behandelte Jobeljahr u.a. dem „Konservieren“ der in der Landverteilung (unter Josua) generierten Besitzverhältnisse
72
Zur Auslegung der Perikope vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 954–974. HIEKE, Levitikus 16–27, 974. 74 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 871–872. Vgl. ähnlich TREVASKIS, Purpose, 307; 312. 75 Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 496; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 94–97. 76 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 872; 983. 77 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 984. 73
422
Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
dient, ausgehend von der Überzeugung, dass der eigentliche Eigentümer des Landes JHWH selbst ist. Zuletzt ist in Lev 25,23–55 über die an die Bestimmungen zum Jobeljahr anschließende Sozialgesetzgebung, die eine dauerhafte Verarmung und Landspekulation verhindern will und diesen Sozialethos in Lev 25,55 mit der exklusiven Zuordnung aller Israeliten zu JHWH (als Knechte) im Exodus begründet, ein thematischer Zusammenhang mit Lev 24,10–23 gegeben. Beide Texte nämlich fokussieren auf die Präsenz JHWHs inmitten Israels, die eine adäquate Lebensführung und auch eine adäquate Organisation des gesellschaftlichen bzw. sozialen Miteinanders einfordert.78 Als das übergreifende und verbindende Thema von Lev 23–25 erweist sich somit das Miteinander von Gott und Israel, das sich in einer adäquaten Gestaltung von Zeit, Raum und Gesellschaft manifestiert und in den drei Kapiteln aus verschiedenen, z.T. komplementären Perspektiven beleuchtet wird. Die in Lev 24,1–9 behandelten Tamid-Handlungen aber fungieren in dieser Zusammenstellung als Beispiele für konkrete Kultvollzüge, in denen dieses Miteinander und auch die aus diesem heraus generierten Ordnungen deutlich werden können.79 II. Der regelmäßige Kult am Leuchter (Lev 24,2–4) 2a 2b 2bI 3a 3b 4
Befiehl den Söhnen Israels, dass sie nehmen // erheben ( )לקחfür dich Olivenöl, feines, ausgedrücktes, zur Beleuchtung, regelmäßig ein Licht ( )נרemporzuheben (עלה-hi.) // eine Lampe zu entzünden (עלה נר-hi.). Außerhalb der Parochet der ʽedȗt, im Zelt der Begegnung, soll Aaron es anordnen ( )ערךvon Abend bis Morgen vor JHWH, regelmäßig. Zeitlose Satzung ist es für eure Generationen. Auf der reinen Menora soll Aaron die Lampen // die Lichter ( )נרanordnen ()ערך, vor JHWH, regelmäßig. (Lev 24,2–4)
Da der Abschnitt zum Leuchter-Tamid (Lev 24,2–4) die Perikope Ex 27,20– 21 weitgehend wörtlich aufnimmt,80 ist es naheliegend, ausgehend von einem synoptischen Vergleich der beiden Texte Ex 27,20–21, Lev 24,2–4 in die Auslegung von Lev 24,2–4 einzusteigen, um von dieser Grundlage aus die Eigenheiten bzw. die besonderen Akzentsetzungen dieser Perikope (auch im Gegenüber zu Ex 27,20–21) in den Blick nehmen zu können.
78
Vgl. auch HIEKE, Levitikus 16–27, 984; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 94–95; ZEN-
GER/FREVEL, Bücher, 43. 79 Vgl. HIEKE, Levitikus 80
16–27, 871–872; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 97. Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 168.
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
423
1. Das Verhältnis von Lev 24,2–4 und Ex 27,20–21 Lev 24,2–4 2a 2b 2bI 3a
3b
צו את בני ישראל ויקחו אליך שמן זית זך כתית למאור להעלת נר תמיד מחוץ לפרכת העדת באהל מועד יערך אתו אהרן מערב עד בקר לפני יהוה תמיד חקת עולם לדרתיכם
Ex 27,20–21
ואתה תצוה את בני ישראל ויקחו אליך שמן זית זך כתית למאור להעלת נר תמיד באהל מועד מחוץ לפרכת אשר על העדת יערך אתו אהרן ובניו מערב עד בקר לפני יהוה חקת עולם לדרתם מאת בני ישראל
20a 20b 20bI 21a 21aR 21a2 21b
על המנרה הטהרה יערך את הנרות לפני יהוה תמיד
4
2a
Befiehl den Söhnen Israels
2b
dass sie nehmen für dich Olivenöl, feines, ausgedrücktes, für die Leuchte, regelmäßig ein Licht emporzuheben // eine Lampe zu entzünden. Außerhalb der Parochet der ʽedȗt, im Zelt der Begegnung,
2bI
3a
3b
soll Aaron es anordnen von Abend bis Morgen vor JHWH, regelmäßig. Zeitlose Satzung ist es für eure Generationen.
Du aber sollst den Söhnen Israels befehlen, dass sie nehmen für dich Olivenöl, feines, ausgedrücktes, für die Leuchte, regelmäßig ein Licht emporzuheben // eine Lampe zu entzünden. Im Zelt der Begegnung, außerhalb der Parochet, die über der ʽedȗt ist, soll Aaron – und seine Söhne – es anordnen von Abend bis Morgen vor JHWH. Zeitlose Satzung ist es für ihre Generationen von den Söhnen Israels.
20a 20b
20bI
21a 21aR
21b
Auf der reinen Menora soll Aaron die Lampen // die Lichter anordnen, vor JHWH, regelmäßig.
4
Wie bereits herausgestellt, ist Lev 24,4 ohne unmittelbare Parallele in Ex 27,20–21, zugleich jedoch finden sich praktisch alle Syntagmen dieses Satzes auch in Lev 24,2–3 (bzw. Ex 27,20–21), so dass er auf den ersten Blick wie eine – z.T. im Wortlaut leicht variierende – Wiederholung oder Zusammenfassung des dort bereits Gesagten wirken kann. Lev 24,2–3 hingegen nimmt Ex 27,20–21 annähernd wörtlich auf,81 wobei aus dem synoptischen Vergleich die folgenden Variationen zu erheben sind: 81
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 941; MILGROM, Leviticus 23–27, 2084.
424
Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
(1.) Anstelle der Formulierung (( ואתה תצוה )את בני ישראלwe=x-jiqṭol) in Ex 27,20a findet sich in Lev 24,2a der Imperativ (צו )את בני ישראל. Der Sache nach ist dabei keine gravierende Differenz gegeben: In beiden Texten wird Mose damit beauftragt, den Israeliten zu befehlen ()צוה, Öl für die Leuchte herbeizuschaffen. Der Unterschied in den Formulierungen erklärt sich im Wesentlichen aus der Einbettung in den jeweiligen literarischen Kontext: In Lev 24,2 liegt – anders als in Ex 27,20 – ein Redeauftakt vor. Lev 24,2a aber führt die Anredeformel (Lev 24,1) fort und ist entsprechend in Anlehnung an die Weitergabeformel ( ;דבר את בני ישראלvgl. dazu z.B. Lev 23,1– 2b.9–10b.23–24aI.33–34a) gestaltet. Allerdings findet sich in Lev 24,2 – im Unterschied zu den Belegen in Lev 23 – weder der Infinitiv ( לאמרvgl. Lev 23,24aI.34aI) noch die Erweiterung um den Redeauftrag ‚( ואמרת אלהםund sag zu ihnen‘; vgl. Lev 23,2b.10b).82 Beide nämlich leiten eine direkte Rede ein, während in Lev 24,2b–bI (wie in Ex 27,20b–bI) der Inhalt des von Mose zu befehlenden im Modus der indirekten Rede formuliert ist. Die in Lev 24,2a belegte Variante einer Weitergabeformel mit dem Imperativ ‚( צוbefiehl‘) – anstelle des gebräuchlicheren ‚( דברsprich‘) – ist in der Tora auch in Lev 6,2; Num 5,2; 28,2; 34,2; 35,2 zu finden.83 Interessant ist also, dass sich die eher seltene Formulierung über Lev 24,2 hinaus auch noch im Zusammenhang mit zwei weiteren Tamid-Texten, Lev 6,1–6 (vgl. Lev 6,2) und Lev 28,1–30,1 (vgl. Num 28,2), belegt ist. (2.) Das Stichwort ‚( תמידregelmäßig‘) findet sich in Lev 24,2–4 nicht nur in dem zu Ex 27,20bI wortgleichen Infinitivsatz Lev 24,2bI, sondern auch in Lev 24,3a im Anschluss an die Formulierung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘), wo es im entsprechenden Paralleltext Ex 27,21a2 fehlt.84 Ein drittes Mal schließlich taucht es in Lev 24,4 auf. Mit drei Belegen in drei Versen – gegenüber einem in Ex 27,20–21 – avanciert ‚( תמידregelmäßig‘) somit zu dem Leitwort des kurzen Abschnitts Lev 24,2–4.85 Im Zuge der Auslegung von Ex 27,20–21 konnte gezeigt werden, dass der Bezug des Stichworts תמידin Ex 27,20bI letztlich unbestimmt bleibt: Es kann auf den Infinitiv ‚( להעלתemporzuheben / anzuzünden‘) bezogen und damit als Adverb interpretiert oder als Adjektiv mit dem Nomen ‚( נרLampe‘) verbunden werden. Im zuletzt genannten Fall wäre die Wendung נר תמידgleichsam als „Fachterminus“ für die Lampen der Menora zu verstehen, der zugleich die Spezifika desjenigen Kultvollzugs ins Auge fasst, in den die „Tamid-Lichter / -Lampen“ eingebunden sind. Die selbe Unbestimmtheit ist auch in Lev 24,2bI gegeben, bei den beiden „zusätzlichen“ Belegen in Lev 24,3a.4 jedoch ist jeweils eindeutig ein adverbialer Gebrauch zu konstatieren, da תמידin beiden 82
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 942. Vgl. HARTLEY, Leviticus, 397; MILGROM, Leviticus 23–27, 2086. 84 Vgl. MILGROM, Leviticus 23–27, 2084. 85 Vgl. TREVASKIS, Purpose, 303. 83
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
425
Sätzen nur auf das Verb ‚( ערךanordnen, herrichten‘) bezogen sein kann. So erscheint auch für den Beleg in Lev 24,2bI (und Ex 27,20bI) ein adverbialer Gebrauch als die im Leseprozess eher plausibel gemachte Option: Der Text fokussiert auf das kultische Handeln Aarons im Heiligtum, d.h. konkret auf das Emporheben bzw. Anzünden (עלה-hi.; Lev 24,2; Ex 27,20) des ner sowie auf das Anordnen desselben ( ;ערךLev 24,3; Ex 27,21) bzw. der nerōt (Lev 24,4) auf der Menora. Mit dem Präferieren eines adverbialen Gebrauchs von תמידaber wird in Lev 24 v.a. die Regelmäßigkeit der Kultvollzüge als zentraler Aspekt markiert bzw. noch deutlich stärker betont, als dies in Ex 27,20–21 der Fall ist.86 (3.) Während in Ex 27,21 das Anordnen ( )ערךdes ner „Aaron und seinen Söhnen“ ( )אהרון ובניוaufgegeben ist, benennt Lev 24,3 lediglich Aaron als Verantwortlichen für das Entzünden des Leuchters.87 Im Zusammenhang mit der Auslegung von Ex 27,21 wurde gezeigt, dass der Hinweis auf die Söhne Aarons in Ex 27,21 in einem „diachronen“ Sinne zu verstehen ist: Der Text betont nicht, dass diese das Entzünden der Menora zusammen mit Aaron oder im Wechsel mit ihm ausführen,88 sondern stellt heraus, dass das LeuchterTamid eine Aufgabe ist, die Aaron an seine Söhne bzw. seine Nachkommen durch die Generationen hindurch weitergibt. Somit klingt in Ex 27,21 der Aspekt einer genealogisch (durch die direkte Abstammung von Aaron) bestimmten Sukzession im Priesteramt an, in der mit der Würde des Gesalbten Priesters auch die Aufgabe weitergegeben wird, den Dienst am Leuchter auszuführen. Da nun in Lev 24,3 allein Aaron (ohne seine Söhne) genannt wird, tritt dieser Aspekt in Lev 24 gegenüber Ex 27 deutlich in den Hintergrund. Damit korrespondiert, dass sich in Lev 24,3b anstelle der Formulierung ‚( לדרתםfür ihre Generationen‘; vgl. Ex 27,21) die Wendung ‚( לדרתיכםfür eure Generationen‘) findet. In Ex 27,21 ist das ePP der 3. Pers. Pl. (ם-) auf ‚Aaron und seine Söhne‘ bezogen, was die Idee von Ex 27,21, wonach der Dienst am Leuchter eine durch die Generationen hindurch weitergegebene Aufgabe der Aaroniden sei, zusätzlich unterstreicht. In Lev 24,3b hingegen kann das ePP der 2. Pers. Pl. (כם-) nur auf die Israeliten bezogen sein, denen Mose Lev 24,2a zufolge zu befehlen hat. Im Blick sind also nicht mehr die Generationen der Priester, d.h. die aufeinander in Sukzession folgenden Amtsträger, sondern die Generationen Israels. Daraus folgt schließlich, dass auch die qualifizierende Wendung ‚( חקת עולםdauerhafte Satzung‘) nicht – wie in Ex 27,21 – auf die fortwährende Amtspflicht der Priester hinweist, sondern komplementär dazu eine dauerhafte Verpflichtung Israels betont, die sich mit Lev 24,2 (Ex 27,20) im kontinuierlichen, von jeder Generation neu 86
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 946. Vgl. HARAN, Temples, 209; MILGROM, Leviticus 23–27, 2084. 88 So z.B. MILGROM, Leviticus 23–27, 2088–2089. 87
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
geübten Bereitstellen des für den Kultvollzug benötigten Öls realisiert und konkretisiert. In Ex 27,21b wird diese Aufgabe etwas „nachklappend“ in der Formulierung מאת בני ישראלeingefangen, die nur lose an die auf die Priester bezogene Wendung חקת עולם לדרתםanschließt. Sie hat in Lev 24,3 kein Gegenstück und kann wohl auch deshalb „wegfallen“, da das in ihr Ausgesagte im Wesentlichen bereits in Lev 24,3b festgehalten ist.89 In beiden Perikopen, Ex 27,20–21 und Lev 24,2–4, wird somit im Anschluss an die Textpassagen Ex 27,(20bI.)21a; Lev 24,(2bI.)3a, die auf die Tätigkeit Aarons (und seiner Söhne) in dem für Israel unzugänglichen Inneren des Zelts der Begegnung fokussieren, im Rückgriff auf Ex 27,20b; Lev 24,2b nochmals ausdrücklich die essenzielle Teilhabe Israels betont. Von der Formulierung her etwas deutlicher und eindringlicher erscheint dabei die Variante von Lev 24,3, wenn sie – wie aufgezeigt – das Stichwort חקה, das ja eine festgesetzte, vorgegebene Verpflichtung zum Ausdruck bringt, mit der Verantwortung Israels (und nicht der Priester) verbindet.
(4.) Ein letzter Unterschied ist schließlich bei den Lokalisierungen in Ex 27,21a bzw. Lev 24,3a greifbar. Zwar finden sich in Lev 24,3 die Wendungen ‚( אהל מועדim Zelt der Begegnung‘) und ‚( מחוץ לפרכתaußerhalb der Parochet‘) sowie das Stichwort ʽedūt ‘ aus Ex 27,21 wieder,90 doch sind gleichzeitig in der konkreten Formulierung deutliche Variationen auszumachen. So bietet Lev 24,3 anstelle des Relativsatzes Ex 27,21aR ()אשר על העדת, der vom Stichwort ‚Parochet‘ abhängig ist bzw. dieses „definiert“, die (hier singuläre) Konstruktusverbindung ‚( פרכת העדתParochet der ʽedūt‘), die letztlich ebenfalls auf die oben beschriebene „Vermittlungskaskade“ hinweisen kann, aber nur von Ex 27,21 her wirklich verständlich ist. So wird aus Ex 27,21 die Vorstellung einer über die Parochet vermittelten Ausrichtung des Leuchterdienstes auf die ʽedūt hin, die in Ex 27,21 – und analog auch in Ex 30,6.36 für den Dienst am Goldenen Altar – betont wird, eingespielt. Gleichzeitig verschiebt die in Lev 24,3 gewählte Formulierung das Augenmerk ein Stück weit weg von den in räumlichen Kategorien ausgedrückten Relationen, die den Kultvollzug bestimmen, und lässt stattdessen den konkreten Standort des Leuchters – außerhalb der Parochet im Zelt der Begegnung – in den Vordergrund treten. Demselben Anliegen dient wohl auch die Umstellung der beiden miteinander korrespondierenden Ortsangaben ‚( מועד באהלim Zelt der Begegnung‘) und ‚( מחוץ לפרכתaußerhalb der Parochet‘) in Lev 24,3 gegenüber Ex 27,21. Immerhin steht auf diese Weise in Lev 24,3 an erster Stelle die Wendung ‚( מחוץ לפרכתaußerhalb der Parochet‘), die auch in dem Vers Ex 26,35 belegt ist, der die konkrete Platzierung von Tisch und Leuchter im „Heiligen“ beschreibt. Dies hat zur Folge, dass Lev 24,2–4 vor allem auf den Standort des Leuchters – im „Heiligen“ und gegenüber des Tisches – fokussiert, zumal das in Ex 26,35 wichtige Nebeneinander von Tisch und Leuchter auch für den 89 90
Vgl. MILGROM, Leviticus 23–27, 2090. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 945.
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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Kontext von Lev 24,2–4.5–9 bedeutsam ist und somit in Lev 24,3 – gegenüber der für Ex 27,21 wichtigeren Ausrichtung des Kultgeschehens auf die ʽedūt hin – stärker betont wird. 2. Auswertung der Bezüge zwischen Ex 27,20–21 und Lev 2,2–4 Die angesprochenen Differenzen zwischen Ex 27,20–21 und Lev 24,2–4 deuten unterschiedliche Akzent- und Schwerpunktsetzungen in den beiden Texten an. Zugleich jedoch sind die wesentlichen, oben herausgearbeiteten Sinnlinien von Ex 27,20–21 auch in Lev 24,2–3 greifbar. So bleibt zunächst die konstatierte Polyvalenz bzw. semantische Unschärfe der beiden Verben עלה-hi. und ערך, die Aarons Handeln am Leuchter umschreiben, erhalten. Dies hat zur Folge, dass auch in Lev 24 das Rekonstruieren der konkreten Handlungsabläufe den Lesenden überlassen bleibt und der eigentliche Fokus des Textes auf der Interpretation der kultischen Vollzüge (und nicht auf deren Beschreibung) zu liegen kommt. Des Weiteren wird in Lev 24,2–3 – ebenso wie in Ex 27,20–21 – die Menora als ‚( מאורLeuchte‘), der vom Abend bis zum Morgen leuchten soll, und somit gleichsam als ein „Taktgeber“ einer spezifischen „Zeit Israels“ interpretiert.91 Die Qualität und Bedeutung dieser „Zeit Israels“ ist wesentlich durch das toragemäße Agieren Aarons im „Heiligen“ mit bestimmt und durch die (regelmäßige) Ausrichtung (ganz Israels) auf JHWH hin geprägt, die im Kultvollzug zur Darstellung kommt. Lev 24,2–3 betont dabei noch stärker als Ex 27,20–21 die (tägliche bzw. allabendliche) Regelmäßigkeit (vgl. die drei Belege von )תמידdes kultischen Handelns Aarons. Ein Grund hierfür kann darin liegen, dass so der tägliche (regelmäßige) Kultvollzug im „Heiligen“ den auf ihre jeweiligen Termine festgelegten und damit innerhalb des Jahreslaufs einmaligen Festen mit ihren spezifischen Kultvollzügen, die in Lev 23 angesprochen sind, pointiert gegenübergestellt werden soll.92 Wie in Ex 27,20–21 ist schließlich der Dienst am Leuchter auch in Lev 24,2–3 Aaron, d.h. dem Gesalbten Priester, vorbehalten. Die in Ex 27,20–21 eingebrachte Konzeption einer Amtssukzession – verbunden mit der Rede von „Aaron und seinen Söhnen“ und deren Generationen (vgl. Ex 27,21ab), die innerhalb der Heiligtumstora auch auf nachfolgenden Kontext von Ex 28– 29 verweist – tritt in Lev 24,2–3 hingegen in den Hintergrund, während im Gegenzug die zu Aarons Handeln komplementäre Teilhabe ganz Israels am Leuchter-Tamid stärker betont wird. Diese ist gemäß Lev 24,2 / Ex 27,20 durch die von JHWH befohlene Ölabgabe gewährleistet, wird in Lev 24,3b – gegenüber Ex 27,21 zugespitzt – aber auch als „zeitlose Satzung / Verpflichtung“ ( )חקת עולםqualifiziert. Im Unterschied zu Ex 27,20–21 stellen damit nicht die Generationen der Priester (bzw. deren Amtssukzession) diejenige 91 92
Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 324–325. Vgl. dazu auch HIEKE, Levitikus 16–27, 944.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Ressource dar, aus der sich ein generationsübergreifend-regelmäßiger Dienst am Leuchter speist, sondern die Generationen Israels, die der Weisung JHWHs gemäß den Kult durch ein beständiges Bereitstellen des Öls ermöglichen.93 In Ex 27,21 bereitet die Rede von „Aaron und seinen Söhnen“ zugleich das nachfolgende Kapitel (Ex 28,1–43) vor, in dem anhand der Amtsbekleidung Aarons auch dessen Amts- und Aufgabenprofil konturiert wird. Dabei wird deutlich, dass Aarons wesentliche Aufgabe darin besteht, das „Heilige“ zu betreten und dort über die Abbildung eines „Ideal-Israels“ auf seinen Gewändern das gesamte Volk vor JHWH zur Darstellung zu bringen bzw. in Erinnerung zu rufen. Diese Konzeption ist nun – angesichts der ausdrücklichen Nennung Aarons in Lev 24,3 – auch in Lev 24 einzuspielen, gleichzeitig jedoch ist festzuhalten, dass dort auf der Teilhabe des Volks ein größeres Gewicht liegt, was mit dem Umstand korrespondiert, dass sich im engeren Kontext, d.h. in Lev 23–25, das Miteinander von JHWH und Israel „in allen Lebenslagen“ als das bestimmende, die unterschiedlichen Perikopen verbindende Thema erweist. 3. Lev 24,4 Der Vers Lev 24,4, der an den aus Ex 27,20–21 eingespielten Abschnitt anschließt, scheint auf den ersten Blick keine neuen Informationen zu bieten und stattdessen das in Lev 24,3 (Ex 27,21) bereits Gesagte zu wiederholen bzw. zusammenzufassen.94 Lev 24,3 3a
3b
מחוץ לפרכת העדת באהל מועד יערך אתו אהרן מערב עד בקר לפני יהוה תמיד חקת עולם לדרתיכם
Lev 24,4
על המנרה הטהרה יערך את הנרות
4
לפני יהוה תמיד
In beiden Versen findet sich als Prädikat die Verbform ‚( יערךer soll anordnen‘). Das Subjekt ist jeweils Aaron, der allerdings nur in Lev 24,3 ausdrücklich benannt wird. Lev 24,4 thematisiert also (nochmals) das von Lev 24,3 (Ex 27,21) bereits behandelte „Anordnen“ des ‚( נרLampe, Licht‘) – und damit den für Ex 27,21; Lev 24,3 zentralen Vollzug Aarons bei seinem Dienst am Leuchter. Interessant sind allerdings die Präzisierungen und Konkretisierungen, die Lev 24,4 gegenüber der Darstellung in Lev 24,3 (Ex 27,21) vornimmt.95 So wird das Anordnen der Lampen zunächst – im Gegenüber zur Ortsangabe in Lev 24,3, die das Entzünden des Leuchters vor der Parochet 93
Vgl. HARTLEY, Leviticus, 400. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 946; MILGROM, Leviticus 23–27, 2091. 95 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 946. 94
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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im Zelt der Begegnung verortet und so mit dem in Ex 26,35 definierten Raum des „Heiligen“ verbindet – konkret auf das Kultgerät bezogen, auf die „reine Menora“ ()המנורה הטהרה, die in Ex 27,20–21 (und Lev 24,2–3) nicht explizit genannt ist.96 Dabei alterniert der in Lev 24,4 erstmals im Zusammenhang mit dem Entzünden des Leuchters angeführte Terminus „Menora“ den in Ex 27,20b; Lev 24,2b belegten Begriff ‚( מאורLeuchte‘),97 was zunächst die bereits bei der Analyse von Ex 27,20 vorgeschlagene Deutung stützt, dass מאורfür den in Ex 25,31–39 beschriebenen Leuchter, die Menora, steht. Zudem ist hier nochmals das bereits in Lev 24,3 konstatierte Zurücktreten des Interesses am Raum greifbar, wenn anstelle der ausführlichen Ortsangabe in Lev 24,3, deren Pendant in Lev 27,21 letztlich dem Darstellen einer am Leuchter bzw. im Leuchterdienst realisierten Raumkonzeption dient, letztlich „nur“ die Bezeichnung für einen konkreten Kultgegenstand, ‚( המנורה הטהרהdie reine Menora‘), gesetzt wird. Zuletzt aber wird in Lev 24,4 das (direkte) Objekt zu ערך – in Lev 24,3; Ex 27,21 lediglich pronominal durch die Wendung אתוrepräsentiert, die auf den in Lev 24,2; Ex 27,20 genannten ‚( נרLampe, Licht‘) verweist – explizit genannt: Aaron ordnet die ‚( נרתLampen, Lichter‘) auf der Menora an. Auffällig ist dabei der Plural ( )נרתim Gegenüber zu dem in Lev 24,2bI (Ex 27,20bI) belegten (kollektiven98) Singular ()נר.99 Es sind somit zwei auffällige Formulierungen in Lev 24,4 auszumachen, denen im Folgenden intensiver nachzugehen ist, das Stichwort „reine Menora“ ()המנורה הטהרה und die Pluralform ‚( נרתLampen‚ Lichter‘). Was die Rede von der „reinen Menora“ anbelangt, so kann diese zunächst als Rückverweis auf die Heiligtumstexte des Exodusbuchs interpretiert werden, in denen dieselbe Formulierung, המנורה הטהרה, in Ex 31,8; 39,37100 belegt ist.101 Die Qualifizierung der Menora als ‚( טהרrein‘) ist dabei einerseits als Aussage über die prinzipielle Kultfähigkeit des Leuchters bzw. über seine Einsetzbarkeit im Kultbetrieb zu verstehen, die die grundsätzliche Disposition mit einschließt, geheiligt werden zu können. Dies kann im Kontext von Ex 31,8; 39,37, wo die Menora unter den herzustellenden Geräten genannt (vgl. 96
Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 324. Vgl. HARTLEY, Leviticus, 399; MILGROM, Leviticus 23–27, 2090. 98 Vgl. HARAN, Temples, 208 (Anm. 4); HARTLEY, Leviticus, 400. 99 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 399; HIEKE, Levitikus 16–27, 946; MILGROM, Leviticus 23–27, 2091. 100 Beide Belegstellen finden sich in Kontexten, in denen die Geräte und Bestandteile des Heiligtums aufgezählt werden, wobei Ex 31,8 (bzw. Ex 31,7–11) noch auf deren Herstellung vorausblickt, während in Ex 39,37 (vgl. Ex 39,32–42) bereits der Abschluss der Herstellung konstatiert wird. Dabei führt Ex 39,37 neben der „reinen Menora“ auch die Lampen ( )נרתan, die durch die Wendung ‚( נרת המערכהLampen der Anordnung‘), die auf Ex 27,21a (Lev 24,3a) verweist, noch zusätzlich präzisiert werden. 101 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 946. 97
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Ex 31,8) bzw. als zwar schon fertig gestellter, aber noch nicht in den Kultbetrieb integrierter Gegenstand anvisiert ist (vgl. Ex 39,37), als plausible Qualifizierung erscheinen, wenngleich auffällt, dass zum kultischen Status der übrigen Geräte neben der Menora in beiden Texten keine Aussage getroffen wird. In Lev 24,4 allerdings, wo der im Raum des „Heiligen“ (vgl. Lev 24,3) platzierte und im Kult eingesetzte Leuchter in den Blick kommt, wäre eigentlich zu erwarten, dass der Leuchter – korrespondierend mit seiner Verwendung als Kultgerät und seinem Standort im „Heiligen“ – als heilig qualifiziert würde. Diese damit in Lev 24,4 aufscheinende „kultische Inkongruenz“ kann einerseits damit zusammenhängen, dass der Leuchter und auch der Tisch, der in Lev 24,8 ebenfalls als rein eingestuft wird, im Gegensatz zu den hochheiligen Altären (vgl. Ex 29,37; 30,10) nicht als Orte kultischer Darbringung (Opfer) ausgewiesen sind. So wird auf der Menora Öl als Brennmaterial entzündet, aber nicht geopfert, während auf dem Tisch Brote aufgelegt werden, wobei in diesem Zusammenhang die einzige Opferhandlung im engeren Sinne, die interessanterweise aber im Text nur impliziert ist, das Verbrennen des Weihrauchs als Gedächtnisanteil ( )אזכרהdarstellt, das am Brandopferaltar stattfindet. Andererseits jedoch ist die Rede von der „reinen Menora“ auch als ein verkürztes Aufnehmen der Verse Ex 25,31; 37,17 interpretierbar. Diese halten fest, dass die Menora (zur Gänze) aus reinem Gold ( )זהב טהרherzustellen bzw. hergestellt ist.102 In diesem Sinne interpretiert, verweist die Wendung auf die Herstellungsanweisung in Ex 25,31–39 bzw. auf den Bericht über ihre Umsetzung in Ex 37,19ff., was zur Folge hat, dass Lev 24,4 mit Hilfe der vielfältig deutbaren Formulierung letztlich – über den in Lev 24,2–3 aufgenommenen Abschnitt Ex 27,20–21 hinaus – auch alle weiteren Textpassagen der Tora einspielt, in denen der Leuchter thematisiert ist, und die Lesenden so dazu anhält, sich alle Informationen zum Leuchter zu vergegenwärtigen, also ein „vollständiges Bild“ präsent zu halten. Mit der Nennung der ‚( נרתLampen, Lichter‘) als Objekt des Emporhebens – im Gegenüber zum ( נרSg.) in Lev 24,2–3 – ist zunächst ein Rückbezug auf Ex 25,37 gegeben, d.h. auf denjenigen Vers, der auch in Ex 27,20b; Lev 24,2b eingespielt wird. So findet sich in Ex 25,37 die Anweisung, sieben נרת (‚Lampen‘) für die Menora herzustellen (V.37a), diese emporzuheben bzw. anzuzünden (עלה-hi.; V.37b) und auf der Menora leuchten zu lassen (אורhi.;V.37c). In Ex 27,20b (Lev 24,2b) wird aus diesem Vers zunächst der Satz Ex 25,37b aufgenommen (vgl. עלה-hi.), doch ist – anders als in Ex 25,37 – in Ex 27,20 (Lev 24,2) nicht von ‚( נרתLampen‘) im Plural, sondern von („einem“) נרdie Rede. Dieser Singular kann nun entweder in einem kollektiven
102
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 946; JACOB, Exodus, 840; 898–890; MILGROM, Leviticus 23–27, 2090.
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Sinne interpretiert werden,103 oder – in diesem Zusammenhang wahrscheinlicher – eine Bedeutungsverschiebung gegenüber Ex 25,37 anzeigen, da der Terminus נרim Kontext von Lev 24,2b (Ex 27,20b) weniger die Lampen, also konkrete Gegenstände, bezeichnet, sondern vielmehr als Abstraktum das Feuer oder das Licht auf der Menora, was gut mit der Rede von der Menora als ‚( מאורLeuchte‘; vgl. Ex 27,20; Lev 24,2) korrespondiert. Wenn nun Lev 24,4 gegenüber Lev 24,2 (Ex 27,20) zu dem in Ex 25,37 belegten Plural ()נרת „zurückkehrt“ und folglich ausdrücklich auf die Lampen, nicht auf das Licht der Menora fokussiert, ist letztlich auch eine in Nuancen andere Perspektive auf das Handeln Aarons gegeben, da nun v.a. festgehalten wird, dass er die in Ex 25,37a angesprochenen Lampen auf der Menora platziert. Interessant ist, dass dazu das Verb ערךgewählt ist, das in Ex 25,37 nicht vorkommt, dafür aber in Lev 24,3 (Ex 27,21) belegt ist. Dies kann einerseits andeuten, dass mit ערךin Ex 27,21; Lev 24,3 letztlich der selbe Vollzug ausgedrückt sein soll, den Ex 25,37bc mit den beiden Verben עלה-hi. (‚emporheben, entzünden‘) und אור-hi. (‚leuchten lassen‘) umschreibt, also das Anzünden oder alternativ das Aufsetzen der Lampen (Ex 25,37b) und das entsprechende Ausrichten derselben auf der Menora (Ex 25,37c). Damit ist zugleich ein Interpretieren von Lev 24,2–3 (Ex 27,20–21) verbunden, da auf diese Weise auch das Verhältnis der beiden dort verwendeten Verben עלה-hi. (Lev 24,2; Ex 27,20; vgl. Ex 25,37b) und ( ערךLev 24,3; Ex 27,21) präzisiert wird. Es wird deutlich, dass beide – unter je eigener Perspektive – den „ganzen“ Dienst Aarons, d.h. das Gesamtritual am Leuchter, umschreiben, ohne dabei dessen einzelne Schritte und Teilvollzüge explizit zu machen. Den Abschluss des Satzes Lev 24,4 bilden die adverbialen Wendungen לפני ‚( יהוהvor JHWH‘) und ‚( תמידregelmäßig‘), die beide bereits in Ex 27,20–21 (Lev 24,2–3) belegt sind. In genau dieser Abfolge sind sie lediglich in Lev 24,3 zu finden, wo gegenüber Ex 27,21 ein weiteres Mal nach Lev 24,2 (Ex 27,20) das Adverb תמידeingefügt, das – wie in Lev 24,4 – auf das Verb ערך bezogen ist. Somit wiederholt Lev 24,4 an dieser Stelle bereits Gesagtes, bringt also keine neuen Deutungen des Leuchterdienstes ein. Wohl aber wird durch die erneute Aufnahme der Wendungen eine besondere Betonung gesetzt, durch die zwei grundsätzliche Charakteristika nochmals ausdrücklich hervorgehoben werden, die die Lev 24,2–4 zufolge das Entzünden des Leuchters durch Aarons in besonderer Weise bestimmen, nämlich seine (allabendliche) Regelmäßigkeit ()תמיד, die schon durch die beiden Belege von תמידin Lev 24,2–3 stark gemacht wurde, und das Vollzogen-Werden ‚vor JHWH‘. Bei Letzterem ist wohl stärker als die räumliche Relation zum Ort der kultischen Gegenwart JHWHs der Aspekt eines kommunikativen, auf JHWH bezogenen Geschehens herausgehoben. Das im Verb ערךumschriebene Handeln Aarons wird also als ein In-Beziehung-Treten mit JHWH interpretiert. 103
Vgl. HARAN, Temples, 208.
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Zusammenfassend konkretisiert und präzisiert Lev 24,4 somit das Handeln Aarons am Leuchter, hält mit den beiden adverbialen Bestimmungen תמידund לפני יהוהaber auch zentrale Aspekte einer Deutung des Leuchter-Tamids fest, die bereits in Lev 24,2–3 (Ex 27,20–21) eingebracht wurden. Doch auch über diese deutenden Wendungen hinaus verbindet sich das konkretisierende Resümieren mit einer Interpretation des Leuchterdienstes bzw. der in Lev 24,2– 3 annähernd wörtlich aufgenommenen Passage Ex 27,20–21, die wesentlich auch darin besteht, dass dieser Abschnitt mit anderen Texten zur Menora (vgl. Ex 25,31–37; Ex 37,19ff; Ex 31,8; 39,37) korreliert wird. Das beschriebene Resümieren schließlich kann – über das Konkretisieren und Interpretieren von Lev 24,2–3 (Ex 27,20–21) hinaus – auch den Zweck verfolgen, den abgesehen von kleineren Verschiebungen wörtlich aus Ex 27,20–21 eingespielten Textabschnitt Lev 24,2–3 in den neuen Kontext von Lev 23–24 einzufügen. Lev 24,2–3 wird also durch Lev 24,4 de facto als „Zitat“ markiert, während umgekehrt Lev 24,4 als ein „Kommentar“ erscheint, der die für den Kontext wesentlichsten Aspekte des „zitierten“ Textes heraushebt und unterstreicht, zugleich aber das „Zitierte“ auch präzisierend und konkretisierend aufbereitet. Dass Lev 24,4 eine wesentliche Funktion für die Kontexteinbindung von Lev 24,2–3 zukommt, wird zugleich auch von Lev 24,5–9 her greifbar, da dieser Abschnitt mehrfach auf Lev 24,4 Bezug nimmt und darüber den Zusammenhang zwischen den Anweisungen zum Dienst Aarons am Tisch (Lev 24,5–9) und am Leuchter (Lev 24,2–4) verdeutlicht. Dies jedoch ist in der nun folgenden Auslegung von Lev 24,5–9 genauer darzustellen. III. Der regelmäßige Gottesdienst am Tisch (Lev 24,5–9) 5a 5b 5c 6a 6b 6a 7a 7b 7c 8 9a 9b 9c 9d
Du sollst Feinmehl nehmen und es zu zwölf ḥallōt backen. Zwei Zehntel (’ēfā) sei eine ḥallā. Lege sie zu zwei Stapeln ()מכרכת – sechs (ḥallōt) der Stapel (– )מכרכת auf den reinen Tisch vor JHWH. Und gib auf den (= jeden) Stapel feinen Weihrauch und er sei für das Brot als Gedächtnisanteil ()אזכרה. Eine Feuergabe (( )אשהist er) für JHWH. An jedem Shabbattag ( )ביום השבת ביום השבתsoll er es anordnen ()ערך vor JHWH, regelmäßig ()תמיד, von den Söhnen Israels, zeitloser Bund. Und es (= das Brot) sei für Aaron und für seine Söhne und sie sollen es an einem heiligen Ort essen, denn Hochheiliges ist es für ihn von den Feuergaben JHWHs; zeitlose Satzung. (Lev 2,5–9)
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Lev 24,5–9 ist – abgesehen von dem Vers Ex 25,30, der einige knappe Andeutungen bietet – der einzige Text in der Tora, der den regelmäßigen Kult auf dem Tisch im „Heiligen“ ausführlicher darstellt. 1. Aufriss und Struktur In auffälligem Kontrast zu Lev 24,2–4 ist Lev 24,5–9 ganz im Stile einer Ritualanweisung gestaltet. So dominiert der v.a. auch den Texten der Opfertora (Lev 1–7) zu beobachtenden „Ritualstil“ mit Reihungen von we=x-qaṭalSätzen, die die einzelnen, aufeinander folgenden Handlungsschritte benennen. Sätze dieser Art finden sich zunächst in V.5–7, wobei Lev 24,5ab vor allem vorbereitende Schritte thematisiert, nämlich das Zubereiten von zwölf ḥallōt bzw. Broten, und Lev 24,5c die für eine der ḥallōt zu verwendende Menge Mehl konkretisiert. Syntaktisch markiert der x-jiqṭol -Satz Lev 24,5c nach den beiden we=x-qaṭal-Sätzen in V.5ab im Textverlauf eine kleinere Zäsur, die V.5 mit den Angaben zur Herstellung der Brote als ersten Unterabschnitt der Perikope ausweist. In Lev 24,6–7a schließlich folgen zwei weitere we=x-qaṭal-Sätze, in denen das Handeln am Tisch in den Blick kommt, d.h. das Auflegen der Brote (Lev 24,6) und das Hinzufügen von Weihrauch zu den Broten (Lev 24,7a). Daran anschließend findet sich in Lev 24,7b wiederum ein we=x-qaṭal-Satz, der sich jedoch insofern von den vorausgehenden Sätzen abhebt, als in ihm ein Subjektwechsel greifbar wird. Sind nämlich die Sätze Lev 24,5ab.6–7a durch die Anrede an die 2. Pers. Sg. (Mose) bestimmt, so formuliert V.7b in der 3. Pers. Sg. und hat damit den in V.7a erwähnten Weihrauch zum Subjekt. Zudem benennt der Satz keinen weiteren, auf das Hinzufügen des Weihrauchs (vgl. V.7a) folgenden Handlungsschritt, sondern reflektiert den Zweck bzw. die Funktion des in V.7a genannten Weihrauchs und zeigt auf diese Weise zusammen mit V.7c und ähnlich wie der we=jiqṭol-Satz V.5c eine Zäsur im Textverlauf an. Der x-jiqṭol-Satz Lev 24,8 hingegen markiert – nach der durch V.7bc gesetzten Zäsur – einen Neueinsatz. Der Sache nach aber ist er letztlich als Parallele zu Lev 24,6 angelegt, da er nochmals das Auflegen der Brote auf den Tisch thematisiert, dieses jedoch aus einem anderen Blickwinkel und mit einer komplementären Akzentsetzung darstellt (vgl. Auslegung im Folgenden). Im Anschluss an Lev 24,8 findet sich in Lev 24,9 ein we=qaṭal-Satz (-)והיתה ל, der ähnlich wie Lev 24,7b ebenfalls keinen neuen Handlungsschritt in den Blick nimmt, sondern eine Zweckbestimmung – diesmal des Brotes – herausarbeitet. Lev 24,9b–d schließlich entfaltet diese Zweckbestimmung näher und stellt klar, inwiefern die Brote Aaron und seinen Söhne zuzuordnen sind (vgl. Lev 24,9b) bzw. welcher Status ihnen damit zukommt (Lev 24,9cd).
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Zusammenfassend folgen also auf den einleitenden Vers Lev 24,5, der das Vorbereiten und Herstellen der Brote thematisiert, zwei parallel aufgebaute Teilabschnitte (Lev 24,6–7.8–9), die zunächst mit je eigener Perspektive das Auflegen der Gaben auf den Tisch thematisieren (V.6–7a.8) und schließlich komplementär den Blick auf Zweck und Funktion dieser Gaben richten, wobei V.7bc den Weihrauch behandelt und V.9 das Brot. Diese Beobachtung ist insofern auch für folgende Auslegung relevant, als sie nahelegt, bei der Analyse die zueinander parallelen Textabschnitte (Lev 24,6–7a.8 bzw. Lev 24,7bc.9) jeweils miteinander im Blick zu haben. Zuvor jedoch ist Lev 24,5 zu analysieren. 2. Die Brote (Lev 24,5) Lev 24,5 setzt in V.5a mit der Verbform ‚( ולקחתdu sollst nehmen‘) ein, die zunächst eine Parallele zum Auftakt des Abschnitts zum Leuchter in Lev 24,2–4 anzeigt, der ebenfalls durch eine Form des Verbs ‚( לקחnehmen‘) eröffnet wird (vgl. ;ויקחוV.2b). Gemäß Lev 24,2ab soll Mose den Israeliten befehlen, Öl für den Leuchter zu bringen bzw. wörtlich „zu nehmen“ ()ויקחו. In Lev 24,5a hingegen ist Mose selbst angesprochen und aufgefordert, sich Feinmehl ( )סלתzu nehmen. Interessant ist dabei, dass trotz unterschiedlicher syntaktischer Konstruktionen und auch unterschiedlicher Verantwortlichkeiten das Bereitstellen der jeweils benötigten Materie (Öl bzw. Feinmehl) jeweils mit dem Verb ‚( לקחnehmen‘) formuliert ist; eine Parallelität, die einen sachlichen Zusammenhang zwischen den beiden Kultvollzügen an Leuchter und Tisch andeuten kann.104 Das benötige Mehl wird in Lev 24,5a zunächst nur seiner Qualität und Beschaffenheit nach als solæt, d.h. als feines Weizenmehl, bestimmt. Dieses soll gemäß Lev 24,5b zu zwölf (gleichartigen) ḥallōt von je 2/10 (’ēfā) Mehl gebacken werden. Dem entsprechend beläuft sich die Gesamtmenge des aufzubringenden Mehls auf 2,4 ’ēfā.105 Der Terminus ḥallā (vgl. ;חלותV.5bc) bezeichnet eine spezielle Form von Brot, die in Texten wie Ex 29,2.29 dem als לחםbezeichneten Brot gegenübergestellt wird. Dabei liegt der Unterscheid zwischen beiden Arten von Gebäck nicht in der Beschaffenheit des Teiges oder den verwendeten Zutaten, sondern in ihrer (äußeren) Form: Die ḥallā ist wohl ringförmig, d.h. als Rundbrot, ausgeführt, was auch die diskutierten Ableitungen des Terminus vom Verb חולbzw. ‚( חללdrehen‘) oder חללII (‚durchstoßen‘) nahelegen können.106 Die weiteren Angaben zur Herstellung in Lev 24,5 schließlich lassen viele Bezüge zu Kulttexten erkennen, in denen das Speiseopfer (vgl. Lev 2) oder 104
Vgl. HARTLEY, Leviticus, 398. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 949. 106 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 184. Vgl. auch HIEKE, Levitikus 16–27, 949; HOUTMAN, Exodus 3, 392. 105
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auch andere Formen vegetabiler Opfer behandelt werden. Das solæt als das qualitativ hochwertigste Mehl nämlich ist gleichsam „standardmäßiger“ Bestandteil nahezu aller vegetabilen Opfer, d.h. des („eigenständigen“) Speiseopfers in all seinen Ausprägungen (vgl. Lev 2), des Begleit-Speiseopfers (vgl. Ex 29,40; Num 15,2–12; Num 28–29) und weiterer Sonderformen, wie der Speiseopfer des Naziräers (Num 6,15) oder des Aussätzigen (vgl. Lev 14,10.21 u.a.). All diesen vegetabilen Opfern ist allerdings gemeinsam, dass sie neben einer (festgesetzten) Menge solæt auch Öl enthalten.107 Dieses jedoch fehlt im Fall der zwölf Brote.108 Die Tora kennt nur zwei vegetabile Opfer ohne Öl, die ḥaṭṭā’t des Armen (Lev 5,11–13) und die Gabe der Frau bei der Eifersuchtsordal (vgl. Num 5,15). Erstere besteht (ausschließlich) aus ⅟₁₀ ’ēfā Mehl (ohne Öl; vgl. Lev 5,11), offenbar der kleinsten opferbaren Menge. Das Opfer wird analog zum Ritual des Speiseopfers dargebracht, dabei aber ausdrücklich als Entschuldigungsopfer klassifiziert.109 Im Gegensatz dazu wird die Gabe der des Ehebruchs verdächtigten Frau in Num 5,15 als Speiseopfer dargebracht. Sie besteht aus ⅟₁₀ ’ēfā קמח, d.h. aus gröber gemahlenem, geringerwertigem Mehl (ohne Öl und Weihrauch). Ein signifikanter Zusammenhang mit den zwölf ḥallōt ist allerdings bei beiden Opferformen nicht gegeben.
Eine Gemeinsamkeit zwischen den unterschiedlichen Formen des Speiseopfers (mit Öl) und den zwölf ḥallōt besteht allerdings darin, dass auch auf letztere Weihrauch gegeben wird, der als ‚( אזכרהGedächtnisanteil‘) dient (vgl. Lev 24,7b). Eigentümlich ist allerdings, dass bei den zwölf ḥallōt, ausschließlich der (gesamte) Weihrauch als Gedächtnisanteil gilt, während beim Speiseopfer neben dem Weihrauch jeweils auch eine Hand voll des Gemisches aus Mehl und Öl abgehoben wird (vgl. z.B. Lev 2,2.9.17).110 Zuletzt aber haben auch die Vorgaben zum Verzehr der Brote durch die Priester in Lev 24,9 Parallelen in den entsprechenden Anweisungen zum Speiseopfer (vgl. z.B. Lev 2,3.10).111 Auffällig ist des Weiteren die Mengenangabe von 2/10’ēfā Feinmehl. Eine solche begegnet einmal beim der Begleit-Speiseopfer für einen Widder (vgl. Num 15,6; 28–29), daneben aber auch in Lev 23,13.17 im Zusammenhang mit zwei unterschiedlichen Festtagsgaben, die eng aufeinander bezogen sind. Die erste (vgl. Lev 23,13) ist im Textabschnitt Lev 23,9–14 angesprochen, in dem die Darbringung der ʽomær-Gabe von den Erstlingen der Frühjahrsernte beschrieben wird. Das ʽomær selbst ist die erste abgeschnittene Garbe der Gerstenernte, die Lev 23,11 zufolge durch den Priester als tenūfā symbolisch Gott übereignet wird (vgl. Lev 23,11). Begleitend zu diesem Vollzug werden 107
Vgl. dazu EBERHARD, Studien, 79; HIEKE, Levitikus 1–15, 202; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 96; u.a. 108 Vgl. JACOB, Pentateuch, 256; MILGROM, Leviticus 1–16, 179–180. 109 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 274–275. 110 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 110–111; 204. 111 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 204–205; DERS., Levitikus 16–27, 949–950.
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ein einjähriges Lamm als Brandopfer und ein Speiseopfer bestehend aus 2∕ ₁₀ ’ēfā solæt vermengt mit Öl als Feuergabe ()אשה, sowie ein Trankopfer von ¼ hīn Wein dargebracht (vgl. Lev 23,12–13). Diese in Lev 23,13 geforderte minḥā ist dabei insofern „irregulär“, als das „standardmäßige“ Begleitopfer für ein Lamm aus ⅟₁₀ ’ēfā solæt besteht (vgl. Num 15,4–5), während hier die doppelte Menge veranschlagt ist, ohne dass aus dem Text ein Grund hierfür ersichtlich würde.112 Den in Lev 24,5 beschriebenen ḥallōt und dem Speiseopfer aus Lev 23,13 ist somit in erster Linie die (ungewöhnliche) Menge des verwendeten Mehls gemeinsam, während der Unterschied zwischen den beiden Gaben darin besteht, dass die ḥallōt ohne Öl zubereitet sind und auch nicht als Begleitopfer fungieren. Eine weitere besondere Opfergabe wird schließlich in Lev 23,17 in Zusammenhang mit dem Wochenfest erwähnt, das sieben Wochen nach der Darbringung des ʽomær (vgl. Lev 23,15) stattfindet. Sie wird in Lev 23,16b als „neue minḥā“ (Lev 23,16b) und in Lev 23,17a als ‚( לחם תנופהtenūfā-Brot‘) bezeichnet bzw. firmiert in Lev 23,17.20 unter den Stichworten ‚( בכריםErstlinge, Erstlingsgabe‘) bzw. ‚( לחם הבכריםErstlingsbrot‘). Vor allem über die Benennung als לחם תנופהist ein Bezug zwischen dieser Gabe und dem ʽomær gegeben, das ja ebenfalls als tenūfā dargebracht wird. Die Gabe des Wochenfestes besteht laut Lev 23,17 aus zwei Broten zu 2/10 ’ēfā solæt, wobei die Formulierung unklar lässt, ob mit den 2/10 ’ēfā solæt die Gesamtmenge des verwendeten Mehls angegeben ist, so dass jedes der beiden Brote aus je ⅟₁₀ ’ēfā solæt besteht, oder ob auf jedes Brot 2/10’ēfā entfallen.113 Darüber hinaus sind die Brote der „neuen minḥā“ ohne Öl und – als Erstlingsgabe (vgl. Lev 2,12) – gesäuert gebacken.114 Zusätzlich werden sieben Lämmer, ein Stier und zwei Widder mit ihren Begleitopfern als Brandopfer (vgl. Lev 23,18) sowie ein Ziegenbock als ḥaṭṭā’t und zwei Lämmer als Heilsgemeinschaftsopfer (vgl. Lev 23,19) dargebracht. Der Ritus sieht vor, dass die zuletzt genannten Lämmer zusammen mit den beiden Broten der „neuen minḥā“ im tenūfā-Ritus symbolisch an JHWH übereignet werden. Danach stehen sie dem Priester zu bzw. sind von diesem zu verzehren (vgl. Lev 23,20). Sie werden also – dem Verbot aus Lev 2,11–12 entsprechend, nichts Gesäuertes auf den Altar zu bringen – ausdrücklich nicht verbrannt.115 In einem Punkt ist damit auch eine auffällige Nähe v.a. zwischen den Erstlingsbroten des Wochenfestes und den zwölf ḥallōt gegeben: Bei beiden Gaben nämlich findet sich die ungewöhnliche Mengenangabe von 2/10’ēfā solæt, die ohne Öl zu einem „Brot“ ( לחםbzw. )חלהzu verarbeiten sind, wobei die 112
Vgl. dazu HIEKE, Levitikus 16–27, 905; JACOB, Pentateuch, 257–258; MILGROM, Leviticus 23–27, 1988. 113 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 965. 114 Vgl. dazu HIEKE, Levitikus 16–27, 909; MILGROM, Leviticus 1–15; 192–193. 115 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 909; MILGROM, Hattĕnûpâ, 151; DERS., Leviticus 1– 16; 188–190.
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Zubereitung jeweils mit dem Verb ‚( אפהbacken‘) umschrieben wird (vgl. Lev 23,17; 24,5).116 Darüber hinaus sollen die Brote in beiden Fällen (gänzlich) von den Priestern verzehrt werden, nachdem sie auf dem Tisch vor JHWH ausgelegt und nach einer Woche wieder abgenommen wurden – so die zwölf ḥallōt (vgl. Lev 24,9) – bzw. vor JHWH als tenūfā dargebracht wurden – so die zwei Erstlingsbrote (vgl. Lev 23,20).117 Eine wesentliche Differenz liegt jedoch darin, dass die Erstlingsbrote gesäuert sind, während dies – obgleich der Text dazu keine Angabe macht – für die zwölf ḥallōt kaum anzunehmen ist. Immerhin gelten letztere als hochheilig (Lev 24,9) und sind für Tisch im „Heiligen“ vorgesehen, während Texte wie Lev 2,11–12; 6,10 nahe legen, dass Gesäuertes und (Hoch-)Heiliges nicht kompatibel sind. Insofern erscheint es als naheliegender, sich die zwölf ḥallōt als ungesäuerte Laibe vorzustellen.118 Umgekehrt aber ist festzuhalten, dass auch die gesäuerten Erstlingsbrote in Lev 23,20 zumindest als „heilig für JHWH“ (wenngleich auch nicht als hochheilig) eingestuft werden. In der Zusammenschau der angesprochenen Bezüge wird also deutlich, dass die Anweisungen zu den zwölf ḥallōt in Lev 24,5.7bc.9 zunächst eine gewisse Nähe zu den Vorschriften zum (selbständigen) Speiseopfer erkennen lassen, wobei neben der Verwendung von solæt v.a. der Weihrauch für den Gedächtnisanteil ( )אזכרהdas verbindende Element darstellt. Die ḥallōt können damit einerseits wie eine „Sonderform“ des Speiseopfers erscheinen. Andererseits aber ist auch eine große Gemeinsamkeit mit den Erstlingsbroten des Wochenfestes gegeben, die sich über die gemeinsame Mengenangabe von 2 /10 ’ēfā hinaus auch in Details der Zubereitung ( )אפהund der kultischen Verwendung (symbolische Übereignung an JHWH und Verzehr durch die Priester) manifestiert. Zuletzt schließlich ist noch ein dritter Bezugskontext denkbar, zu dem ebenfalls die ungewöhnliche Mengenangabe von 2/10 ’ēfā führt. Dieses Maß nämlich entspricht mit Ex 16,36 zugleich der Menge von zwei ʽomær, d.h. dem Doppelten der Tagesration an Manna, die einem Israeliten in der Wüste zukommt – und damit auch genau der Menge, die am sechsten Tag (inklusive der Ration für die siebten Tag) gesammelt werden kann. Vor diesem Hintergrund nun können die einzelnen ḥallōt auch auf die besondere Manna–Gabe 116
Das Verb אפהfindet sich in Kulttexten nur selten und ist – über die beiden Verse Lev 23,17; 24,5 hinaus – nur noch an drei weiteren Stellen belegt. So erwähnen die Verse Lev 2,4; 7,9 eine im Ofen gebackene ( )אפהVariante der selbständigen minḥā, während in Lev 6,10 den Priestern untersagt wird, den ihnen zustehenden Anteil an einer minḥā gesäuert zu backen, da das Gesäuert–Sein inkompatibel mit der Heiligkeit wäre, die der Opfermaterie zukommt. Gerade aufgrund der wenigen Belege des Verbs kann es – zusammen mit den übrigen Bezügen – auf einen engen Zusammenhang zwischen Lev 23,17 und Lev 24,5 hinweisen. 117 Vgl. JACOB, Pentateuch, 257. 118 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 949; MILGROM, Leviticus 23–27; 2006.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
des sechsten Tages hinweisen, was durch zwei weitere Stichwort- bzw. Motivbezüge zusätzlich gestützt werden kann. So findet sich einmal das in Lev 24,5b belegte Stichwort ‚( אפהbacken‘) auch in Ex 16,23, d.h. im Kontext der Rede, in der Mose die doppelte Gabe von Manna am sechsten Tag begründet und verbunden damit zugleich auf die Besonderheit des siebten Tages verweist, der ‚( שבת שבתוןhöchster Shabbat‘) für JHWH sei. In diesem Zusammenhang betont Mose, dass mit der doppelten Menge Manna des sechsten Tages wie gewohnt zu verfahren sei, d.h. sie kann gebacken ( )אפהoder gekocht werden; der verbleibende Rest hingegen ist – entgegen der sonstigen Konditionen – aufzuheben, so dass er am Shabbat als Nahrung dienen kann. Damit aber ist auch über die Anweisung, die zwölf ḥallōt jeweils am Shabbat auszutauschen (vgl. Lev 24,8), eine Verbindung zum „Shabbat-Text“ Ex 16 gegeben, womit die ḥallōt wie ein Verweis auf die Gabe des Manna erscheinen können.119 Wie aber sind nun diese unterschiedlichen Zusammenhänge und Bezüge zu einer Interpretation von Lev 24,5 zusammenzuführen? Ausgangspunkt der Überlegungen kann die Beobachtung sein, dass die zwölf ḥallōt grundlegend als eine – in einigen Zügen „irreguläre“ – „Sonderform“ des Speiseopfers (aus solæt mit Gedächtnis- und Priesteranteil) charakterisiert sind.120 Als solche verstehen sie sich als (Huldigungs-)Gabe (vgl. )מנחהan JHWH, deren Besonderheit jedoch darin besteht, dass mit dem Mehl – und beim der „regulären“ Speiseopfer dem Öl – die Haupterträge der landwirtschaftlichen Tätigkeit bzw. die alltäglichen Lebensmittel dargebracht werden.121 Die in Lev 2 im Zusammenhang mit dem Speiseopfer gebrauchten Qualifizierungswendungen ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) bzw. ריח ניחח ‚( ליהוהberuhigender Duft für JHWH‘), die ebenso auch in Texten zum Brandopfer zu finden sind (vgl. Ex 29,38–42; Lev 1), zeigen an, dass für den Vollzug des Speiseopfers ein „Übergeben“ an JHWH zentral ist,122 das eine positive Reaktion JHWHs (wohlwollende Annahme bzw. „Beruhigung“) und damit eine Stabilisierung bzw. eine Restitution der Beziehung zwischen JHWH und dem Geber herbeiführen möchte.123 An der Besonderheit des Speiseopfers, dass gerade die alltäglichen Lebensmittel Mehl und Öl dargebracht werden, wird dabei besonders augenfällig, dass das im Ritual vollzogene Geben primär als ein „Zurück-Geben“ zu greifen ist: Der Opfernde gibt an JHWH einen (kleinen) Teil dessen zurück, was er selbst von JHWH erhal-
119
Vgl. JACOB, Pentateuch, 258. Vgl. JACOB, Pentateuch, 256; 258; TREVASKIS, Purpose, 303. 121 Vgl. EBERHARD, Studien, 79; HIEKE, Levitikus 1–15, 102–103; HOUTMAN, Exodus, 393; LEVINE, Leviticus, 10, MILGROM, Leviticus 1–15, 179; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 90–95; WILLI–PLEIN, Opfer, 82–83. 122 Vgl. WENHAM, Leviticus, 69–72. 123 Vgl. EBERHARD, Studien, 86–87; 336–338; 342; WILLI–PLEIN, Opfer, 85. 120
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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ten hat.124 Vor diesem Hintergrund können nun auch die zwölf ḥallōt – so man sie als „Sonderfall“ des Speiseopfers wahrnimmt – als eine Gabe ganz Israels (vgl. die Zwölfzahl!) an JHWH gedeutet werden,125 in der das Volk symbolisch zurück gibt, sich darin aber auch zu JHWH als dem Geber bzw. dem „Ernährer Israels“ bekennt bzw. ihn zu einem weiteren Geben anhalten will.126 Zusätzlich plausibilisiert wird diese Deutung der zwölf ḥallōt durch die oben aufgezeigten Bezüge zu Lev 23,17(–20). So sind auch die zwei Erstlingsbrote des Wochenfestes, die aus den Wohnsitzen des Volkes herbei zu bringen sind (vgl. Lev 23,17) und die die erste Ernte ganz Israels repräsentieren, als Gabe zu verstehen, in der sich der Dank an JHWH für die Ernte artikuliert,127 in der im symbolischen Zurückgeben des Geschenkten aber auch ein „intakte[s] Beziehungs- und Kommunikationsgefüge“128 zum Ausdruck kommt. Die Bezüge zwischen Lev 23,17(–20) und Lev 24,5(–9) erlauben es schließlich, auch die zwölf ḥallōt in diesem Sinne als eine Gabe ganz Israels zu interpretieren, in der das Volk einen Teil seiner Nahrung symbolisch an JHWH (zurück)gibt und dadurch seiner Überzeugung Ausdruck verleiht, durch JHWH mit dem Lebensnotwendigen versorgt und am Leben erhalten zu werden. Anders jedoch als die im Jahreskreis einmalige Erntedankgabe in Lev 23,17.20, die mit dem Einbringen der neuen Gerstenernte verbunden ist, sind die zwölf ḥallōt als regelmäßige Institution profiliert und formulieren so eine Antwort Israels auf das durchgehende „Am-Leben-Erhalten-Werden“. Der in Lev 24,7 geforderte Weihrauch hingegen unterstreicht besonders die in der Gabe bzw. im Modus des Gebens mitgedachte Huldigung. Zusätzlich zu dieser auf die Wirklichkeit Israels im Land hin transparenten Bezugsebene werden die zwölf ḥallōt schließlich über die angesprochenen Bezüge zu Ex 16 auch mit einer Memoria der Gründungsgeschichte Israels korreliert. Ist nämlich (auch) ein Zusammenhang zwischen den ḥallōt und der doppelten Gabe des Manna am sechsten Tag gegeben, so verweisen sie einerseits erneut auf die Erfahrung des Ernährt-Werdens durch JHWH, das Israel in diesem Fall – über die doppelte Gabe des Manna am sechsten und das Ausbleiben am siebten Tag – mit dem Shabbatrythmus als „Lebensrythmus“ JHWHs vertraut macht. Diesem Shabbatbezug ist im Folgenden im Zuge der Auslegung von Lev 23,6(–7a).8 noch genauer nachzugehen, bereits festgehalten werden kann aber, das auch von Ex 16 her gelesen in Lev 24,5 die Vorstellung greifbar wird, dass in den ḥallōt eine adäquate „Antwort“ Israels auf vorangehendes Geben JHWHs formuliert ist. 124
Vgl. WENHAM, Leviticus, 70. Vgl. GANE, Bread, 193; HARTLEY , Leviticus, 402. 126 Vgl. GANE, Bread, 202–203; HIEKE, Levitikus 16–27, 949–950; JACOB, Pentateuch, 258–259; MILGROM, Levitiucs 23–27, 2095. 127 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 903. 128 KESSLER, Maleachi, 839. 125
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem „regulären“ Speiseopfer bzw. den zwei Erstlingsbroten des Wochenfestes auf der einen und den zwölf ḥallōt auf der anderen Seite besteht allerdings darin, dass letztere weder („sofort“) dem Altar übergeben werden (wie das Speiseopfer) noch in einem konkreten („punktuellen“) Ritus Verwendung finden (wie das Speiseopfer und die zwei Brote). Stattdessen ist die zentrale Handlung in Lev 24,5–9 das Auslegen der Brote auf dem Tisch vor JHWH (vgl. Lev 24,6.8), während die allein auf den Weihrauch beschränkte kultische Darbringung beinahe wie ein sekundäres Element erscheint. Diese Beobachtung gibt nun dazu Anlass, das soeben Herausgearbeitete insofern zu präzisieren, als die ḥallōt nicht einfach „nur“ Gabe an JHWH sind, sondern zunächst einmal – wie die Zwölfzahl angezeigt – einer Repräsentation Israels im „Heiligen“ dient – bzw. genauer der Repräsentation eines (Gesamt)Israel aus zwölf Stämmen,129 das sich von JHWH am Leben erhalten weiß (vgl. die Bezüge zum Manna für die Wüstengeneration bzw. zu Erntedank und Wochenfest für die Generationen im Land) und sich im Auflegen (bzw. Aufliegen) der Brote als dankend bzw. huldigend (Zurück-)Gebende Gemeinschaft präsentiert. 3. Kulthandlungen (V.6–9) Die Anweisungen zum Auflegen des Brotes, also zur zentralen Kulthandlung am Goldenen Tisch, finden sich in den Versen Lev 24,6–7a.8, die – wie oben aufgezeigt – im Hinblick auf die Struktur des Textes parallel angeordnet, mit Blick auf die Inhalte ein Stück weit aber auch komplementär zueinander angelegt sind. Dabei liegt in Lev 24,6–7a der Fokus vor allem auf dem Beschreiben der Handlungen, wenn in V.6 das Auflegen der Brote angeordnet und der „reine Tisch“ ( )השלחן הטהרals Ort des Niederlegens benannt wird, während ergänzend dazu V.7a anweist, Weihrauch auf die Brote zu geben. In Lev 24,8 hingegen treten deutende Wendungen in den Vordergrund, nämlich die komplementär zur Ortsbestimmung in V.6 angelegte Zeitangabe ‚( ביום השבת ביום השבתan jedem einzelnen Shabbat-Tag‘) und die vier qualifizierenden Wendungen, ‚( לפני יהוהvor JHWH‘), ‚( תמידregelmäßig‘), מאת בני ‚( ישראלvon den Söhnen Israels‘) und ‚( ברית עולםewiger Bund‘), die das Bedeutungsspektrum der Kulthandlung ausloten und Bezüge zu anderen Ritualtexten eröffnen. Zuletzt wird – wie in Lev 24,6 – das Auflegen der Brote beschrieben, wobei dieser Vorgang hier nicht mit dem Verb ( שיםso V.6), sondern mit ערךumschrieben ist. Die Verse Lev 24,7bc.9 geben schließlich einen Ausblick auf die weitere Verwendung der beiden auf dem Tisch abgelegten Gaben.
129
Vgl. GANE, Bread, 193.
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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a) Das Auflegen der ḥallōt (Lev 24,6) Den Auftakt des Abschnitts Lev 24,6–9 markiert die Anweisung, die gemäß den Vorgaben von Lev 24,5 hergestellten ḥallōt auf dem „reinen Tisch“ ( )השלחן הטהרabzulegen. Die Formulierung „reiner Tisch“ verweist auf den in Ex 25,23–30 beschriebenen Goldenen Tisch, der Ex 26,35 zufolge an der Nordseite des miškān im „Heiligen“ – exakt gegenüber zur Menora an der Südseite – platziert ist. Anders als bei der Menora in Lev 24,3 (vgl. Ex 27,21) wird in Lev 24,5–9 die Verortung des Tisches im Heiligtum allerdings nicht eigens thematisiert und scheint somit für die Darstellung und Interpretation der Tamid-Handlung nur von nachgeordneter Bedeutung zu sein. Die Bezeichnung ‚( השלחן הטהרder reine Tisch ‘) aber ist über Lev 24,6 hinaus nur noch in 2Chr 13,11 belegt, wobei dieser Vers Lev 24,6 aufnimmt. In der Tora hingegen ist sie singulär und steht innerhalb von Lev 24,1–9 wohl in engem Zusammenhang mit der Rede von der „reinen Menora“ ( המנורה )הטהרהin Lev 24,4. Dabei kann die Qualifizierung des Tisches als rein – ähnlich wie bei der Menora in V.4 – als Rekurs auf die Herstellungsanweisungen in Ex 25,23–30 gelesen werden. In diesen findet sich die Vorgabe, den Tisch aus šiṭṭīm-Holz zu fertigen und mit „reinem Gold“‘ ( ;זהב טהורvgl. Ex 25,24) zu überziehen. Somit kann – ähnlich wie oben für die „reine Menora“‘ vorgeschlagen – die Rede vom „reinen Tisch“ in verkürzter Redeweise den Tisch aus reinem Gold bezeichnen.130 Zugleich erscheint diese Annahme insofern etwas weniger plausibel als in Lev 24,4, als die Menora tatsächlich zur Gänze aus „reinem Gold“ gefertigt ist, während beim Tisch lediglich der „Überzug“ über den Holzkorpus aus Gold besteht. So liegt die eigentliche Pragmatik der Wendung השלחן הטהרwohl darin, die Qualifizierung der Menora als ‚( טהרהrein‘) in Lev 24,4 aufzunehmen und auf diese Weise innerhalb von Lev 24,1–9 auf den engen Zusammenhang der beiden Kultgeräte – und auch der auf ihnen vollzogenen Rituale – hinzuweisen.131 In Lev 24,6 wird – analog zu Lev 24,4 – der wesentliche Kultvollzug auf dem Tisch (bzw. der Tisch selbst) ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) „verortet“, wobei – ähnlich wie in Lev 24,4 – die räumliche Relation zwischen dem Tisch als Ort der Kulthandlung und dem Ort der Gegenwart JHWHs im Heiligtum eher in den Hintergrund tritt. Darauf kann der Umstand hindeuten, dass Lev 24,6 kein vorrangiges Interesse an einer Lokalisierung des Tisches und verbunden damit an einer Darstellung seiner räumlichen Bezüge im Heiligtum erkennen lässt. Stattdessen ist über die Wendung ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) v.a. die grundsätzliche Ausrichtung der Kulthandlung auf JHWH hin zentral. Tische in Heiligtümern, auf denen Brot (und auch andere Nahrungsmittel oder Getränke) abgelegt werden können, sind auch in den Umweltkulturen 130
Vgl. BUDD, Leviticus, 333; HIEKE, Levitikus 16–27, 949; MILGROM, Leviticus 23– 27, 2097. 131 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 398.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
des Alten Testaments breit belegt.132 Sie dienen, soweit erkenn- und nachvollziehbar, einer „Speisung“ der Götter, was – in polemischer Ver- und Überzeichnung – in der biblischen Tradition z.B. in der deuterokanonischen Daniellegende in Dan 14,1–22 einen Niederschlag gefunden hat.133 So scheint es als naheliegend, dass auch der in Ex 25; Lev 24 erwähnte Tisch motiv- und traditionsgeschichtlich in dieser gut dokumentierten Kultpraxis des Alten Orients wurzelt. Doch ist in Lev 24,6 zugleich auch ein markantes Absetzen von den altorientalischen Traditionen und v.a. von der Götterspeisung greifbar.134 Immerhin nämlich werden die zwölf ḥallōt ausdrücklich nicht „für JHWH“ (( )ליהוהals Nahrung) ausgelegt, sondern „vor JHWH“ ()לפני יהוה, d.h. im Hinblick auf JHWH.135 Damit ist das Deponieren der Brote primär als Akt einer symbolischen bzw. kultischen Kommunikation mit JHWH angelegt, in dem Israel sich vor JHWH als von JHWH versorgt und von ihm am Leben erhalten (vgl. Auslegung zu Lev 24,5) zur Darstellung bringt. Das Brot selbst hingegen dient nicht JHWH, sondern den Priestern als Speise (vgl. V.9).136 Neben der grundlegenden Anweisung, die ḥallōt auf dem Tisch zu deponieren, ist in Lev 24,6 schließlich auch die Art und Weise ihrer Anordnung angedeutet: Sie sind in zwei מערכתzu je sechs Broten abzulegen. Da der Terminus – מערכהvom Verb ‚( ערךanordnen‘) abgeleitet – sowohl eine ‚Schicht‘ als auch einen ‚Stapel‘ bezeichnen kann, sind damit entweder zwei Stapel zu je sechs Broten oder zwei Schichten mit je sechs Broten, also de facto sechs Stapel mit je zwei übereinander liegenden Broten im Blick. Die Angaben des Textes passen zu beiden Alternativen, praktisch sinnvoller erscheint allerdings die zuerst genannte Lösung (zwei Stapel à sechs Brote), da die ḥallōt angesichts der verwendeten Mehlmenge von 2/10’ēfā, also etwa acht Liter Mehl pro ḥallā, wohl nicht sonderlich klein ausfallen und sechs Stapel nebeneinander daher kaum auf der Tischfläche Platz finden.137 Das zentrale Anliegen der Anweisung liegt darin, eine ästhetische (symmetrische) Anordnung – dieser Aspekt wird durch die dem Nomen מערכת zugrundeliegende Verbwurzel ערךeingebracht (s.o.) – der zwölf ḥallōt auf der verfügbaren Fläche des Tisches zu gewährleisten. Für eine weitergehende Analogie zwischen den zwölf ḥallōt und den zwölf Stämmen z.B. in dem Sinne, dass eine Aufteilung der ḥallōt auf zwei Stapel eine innere („struktu132
Vgl. ausführlich GANE, Bread, 190–191 (mit weiterer Literatur). Vgl. auch GERSLeviticus, 328; HIEKE, Levitikus 16–27, 948; MILGROM, Leviticus 23–27,
TENBERGER,
2092. 133
Vgl. HUNDLEY, Keeping, 100–103. Vgl. FISCHER/MARKL, Exodus, 293; HIEKE, Levitikus 16–27, 948; HOUTMAN, Exodus 3, 392–393; MILGROM, Leviticus 23–27, 2092. 135 Vgl. HUNDLEY, Keeping, 100–103. 136 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 948; HOUTMAN, Exodus 3, 393–394. 137 Vgl. FIRMAGE/MILGROM, ( ערךThWAT), 384; HIEKE, Levitikus 16–27, 949; MILGROM, Leviticus 23–27; 2096–2097. 134
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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relle“) Zweiteilung Israels widerspiegelt,138 liefert der Text hingegen keine Anhaltspunkte. Zwar erinnert die wohl anzunehmende Aufteilung der ḥallōt auf dem Tisch an die Schultersteine des ’ēfod in Ex 28,9–10, auf denen ja ebenfalls je sechs der Namen der Söhne Israel eingraviert sind.139 Bei genauerem Hinsehen jedoch ist in den beiden Fällen die Repräsentation Israels deutlich unterschiedlich angelegt, da allein schon über den Umstand, dass die Steine des ’ēfod als Schriftträger fungieren und die eingravierten Namen der Stammväter den Israelbezug generieren, eine Differenz zu den Broten gesetzt ist. Diese nämlich sind nicht beschriftet, so dass auch keine Zuordnung eines einzelnen Brotes zu einem der Stämme gegeben ist, sondern allein über die Summenzahl von zwölf auf die Gesamtheit Israels verwiesen wird. b) Das Auflegen von Weihrauch (Lev 24,7) Die Anweisung von Lev 24,6, die ḥallōt auf den Tisch zu legen ()שים, wird in Lev 24,7a fortgeführt und durch den Auftrag ergänzt, „auf“ bzw. „zu“ ()על jedem Stapel ( )מערכתfeinen Weihrauch ( )לבנה זכהzu geben ()נתן. Dabei ist zu vermuten, dass der Weihrauch – da er auch wieder leicht zu entfernen sein soll – kaum lose auf die Brote gelegt, sondern in Gefäßen zu den bzw. auf die Stapel gestellt wird.140 Genauere Angaben, die die praktische Seite der Kulthandlung beleuchten könnten, finden sich im Text allerdings nicht. Ebenso wird auch die Menge des Weihrauchs nicht angegeben.141 Zentral sind stattdessen zwei andere Aspekte. So ist zum einen mit dem Weihrauch ( )לבנהin V.7a eine Qualitätsangabe verbunden: Es soll reiner ()זכה, d.h. besonders hochwertiger Weihrauch gewählt werden.142 Innerhalb der Tora ist von ‚reinem Weihrauch‘ ( – )לבנה זכהüber Lev 24,7 hinaus – nur noch im Vers Ex 30,34 die Rede, in dem die Zusammensetzung des Räucherwerks für den Goldenen Altar beschrieben wird. Vor diesem Hintergrund könnte es zunächst als naheliegend erscheinen, dass Lev 24,7a an diesen Kontext anknüpft.143 Andererseits jedoch dient der Weihrauch auf den ḥallōt nicht als Bestandteil für das Räucherwerk, das auf dem Goldenen Altar dargebracht wird (vgl. Ex 30,7–8). Stattdessen wird er mit Lev 24,7b als die ‚( אזכרהGedächtnisanteil‘) der ḥallōt interpretiert. Dies bedeutet, dass er ohne 138
So z.B. GERSTENBERGER, Leviticus, 328. Vgl. z.B. GANE, Bread, 193; HIEKE, Levitikus 16–27, 948–949; MILGROM, Leviticus 23–27; 2095. 140 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 949–950; MILGROM, Leviticus 23–27; 2098. J. DURHAM verbindet die Angaben aus Lev 24,7 mit den in Ex 25,29 genannten Geräten des Tisches und postuliert, dass die ‚( קערתPlatten’?) für die Stapel der Brote und die כפות (‚Pfannen, Schalen‘?) für den Weihrauch bestimmt seien. Vgl. DURHAM, Exodus, 362. 141 Vgl. MILGROM, Leviticus 23–27, 2098. 142 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27; 949. Eine andere Deutung von זךbietet HUNDLEY, Keeping, 99. 143 So z.B. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 169–170; MILGROM, Leviticus 23–27, 2098. 139
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
die Beigabe von Duftstoffen bzw. Gewürzkräutern auf dem Brandopferaltar zu verbrennen ist, wobei gleichzeitig in keinem der Texte, die die ‚( אזכרהGedächtnisanteil‘) des Speiseopfers behandeln (vgl. z.B. Lev 2,2.9.16; Lev 5,12; 6,8; Num 5,25), ausdrücklich reiner, d.h. hochwertiger Weihrauch ()לבנה זכה gefordert wird.144 Somit scheint das Adjektiv זכהweniger auf die genannten Kontexte – also Ex 30,34 einerseits und die Anweisungen zur אזכרהdes Speiseopfers andererseits – zu verweisen, sondern eher innerhalb der Perikope Lev 24,1–9 an Lev 24,2 anzuknüpfen.145 Immerhin wird in diesem Vers (vgl. auch Ex 27,20) gefordert, für den Dienst am Leuchter feines, gepresstes Olivenöl ( )שמן זית זך כתיתbereitzustellen. Sowohl der Weihrauch als auch das Öl sind also mit der gleichen Qualitätsangabe – זךbzw. – זכהbelegt, wodurch ein weiteres Mal ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen den TamidVollzügen an Leuchter und Tisch angedeutet wird. Die Funktion des Weihrauchs für die ḥallōt besteht darin, für das Brot als Gedächtnisanteil ( )ללחם לאזכרהzu dienen (vgl. Lev 24,7bc), wobei – wie oben bereits ausgeführt – der Terminus ‚( אזכרהGedächtnisanteil‘) auf die Ritualanweisung des (selbständigen) Speiseopfers in Lev 2 (vgl. Lev 2,2.9.16; vgl. auch Lev 5,12; 6,8; Num 5,25) verweist.146 Dort ist festgehalten, dass der Priester von der herbeigebrachten Opfergabe bestehend aus Mehl und Öl (in unverarbeitetem oder verarbeitetem Zustand) mit etwas Weihrauch eine Hand voll des Mehl-Öl-Gemisches zusammen mit dem gesamten Weihrauch abheben ( )קמץund auf dem Brandopferaltar in Rauch aufgehen lassen (קטר-hi.) soll. Der Rest der Gabe ( )נתרתhingegen steht dem Priester als Anteil zu und kann unter Befolgen der entsprechenden Auflagen (vgl. auch Lev 6,7–11) verzehrt werden.147 Was Lev 24,7 anbelangt, so ist in diesem Vers eine zur אזכרהdes (selbständigen) Speiseopfers analoge Darbringung vorgesehen, wobei V.7b deutlich macht, dass allein (!) der Weihrauch als Gedächtnisanteil für das Brot gilt.148 Dies bedeutet, dass nur er – und nicht ein Stück des Teigs bzw. der Brote zusammen mit dem Weihrauch wie beim „regulären“ Speiseopfer – auf dem Brandopferaltar verbrannt wird. Trotz dieses Unterschieds aber wird die beschriebene „Sonderform“ der אזכרהebenso wie der „Standardvollzug“ als ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘; Lev 24,7c; vgl. Lev 2,2.9.16) qualifiziert.149 Bemerkenswert ist damit, dass das Auflegen der Brote (vgl. V.6– 7a.8), das für sich genommen zunächst keine Opferhandlung darstellt, um 144
Vgl. HARAN, Temples, 208. Vgl. HARTLEY, Leviticus, 398. 146 Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 169–170. 147 Vgl. GANE, Bread, 195–196. 148 Gegen ACHENBACH (Heilgkeitsgesetz, 169), der annimmt, dass die Brote durch das Zufügen des Weihrauchs zu einer ’azkārā werden. Genau das aber entspricht nicht ihrer weiteren Verwendung gemäß Lev 24,7–9. 149 Vgl. GANE, Bread, 195–196; FRITZ, Tempel, 148; HIEKE, Levitikus 16–27, 949–950. 145
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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einen Opfervollzug am Brandopferaltar erweitert wird, wobei Lev 24,7bc mit Lev 24,9 korrespondiert, wo – in Ergänzung zu den Angaben zum Weihrauch – auch der Umgang mit dem (vom Tisch abgenommenen) Brot thematisiert ist. Dieses steht Aaron und seinen Söhnen, also den Priestern, zu (V.9a) und ist an einem hochheiligen Ort zu verzehren (V.9b), da es von den Feuergaben JHWHs genommen und folglich – wie die auf den Altar gebrachen Teile – hochheilig ist (V.9c).150 Mit diesem Reglement lehnt sich Lev 24,9 – bis in den Wortlaut der Formulierungen hinein – an Texte wie Lev 2,3.10; 6,9–11 an, die den Verzehr der Priesteranteile des (selbständigen) Speiseopfers behandeln.151 In allen genannten Fällen lässt die Darbringung einer אזכרהdie jeweilige Gabe – also auch die zwölf ḥallōt – zu einer ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) werden, so dass die (vom Tisch abgenommenen) ḥallōt den Status eines hochheiligen Anteils an den Feuergaben JHWHs (vgl. Lev 24,9c) erhalten.152 Deutlich ist damit, dass das in Lev 24,6.8 geforderte Auflegen der zwölf ḥallōt durch die Verse Lev 24,7.9 in Richtung einer „Sonderform“ des Speiseopfers (d.h. zu einem Opfervollzug am Brandopferaltar mit Priesteranteil) ausgestaltet und damit – über diese Zuordnung zu einer der fünf grundlegenden Opferformen (vgl. Lev 1–5) – in das rituelle System der Tora eingepasst wird. All die zur Darbringung eines (selbständigen) Speiseopfers analogen Handlungen sind dabei der sachlichen Logik nach mit einem Vorgang verbunden, der mit dem in Lev 24,6.8 thematisierten Auflegen korrespondiert, im Text selbst interessanterweise aber nur implizit angedeutet wird, nämlich mit dem Abräumen von Brot und Weihrauch vom Tisch. Dieses schafft Platz für das Auflegen einer neuen Gabe, die dann wiederum bis zum nächsten Shabbat „vor JHWH“ auf dem Tisch verbleibt. Des Weiteren setzen sowohl die Darbringung des Weihrauchs als Gedächtnisanteil (Lev 24,7bc) als auch die Freigabe der Brote zum Verzehr als Priesteranteil voraus, dass diese zuvor vom Tisch entfernt wurden. c) Jeden Shabbat (Lev 24,8) Lev 24,8 verbindet den Auftrag, die ḥallōt auf dem Tisch anzuordnen ()ערך, mit der Zeitangabe ‚( ביום השבת ביום השבתam Shabbattag, am Shabbattag‘), die den zentralen Kultvollzug am Tisch einerseits mit dem Shabbat verbindet, andererseits aber – wie das analoge ‚( בבקר בבקרam Morgen, am Morgen‘, d.h. ‚an jedem [einzelnen] Morgen‘) – auch eine fortwährende Regelmäßigkeit einfordert: An jedem einzelnen Shabbat sind die ḥallōt auf dem Goldenen Tisch abzulegen. Zugleich korrespondiert die Vorschrift mit der Qualifizie150
Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 170. Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 170; HIEKE, Levitikus 16–27, 950–951. 152 Vgl. JACOB, Pentateuch, 259; HIEKE, Levitikus 16–27, 949–950. Vgl. ähnlich FRITZ, Tempel, 43. 151
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rung des Kultgeschehens am Tisch als ‚( תמידregelmäßig‘; vgl. V.8), wobei anders als bei den bislang vorgestellten Tamid-Vollzügen keine tägliche, sondern eine wöchentliche, mit dem Shabbatrhythmus von 6+1 Tagen synchronisierte Taktung implementiert wird. Der Text fokussiert dabei – im Unterschied z.B. zu der korrespondierenden Zeitangabe für das Entzünden des Leuchters in Lev 24,3 ‚( מערב עד־בקרvon Abend bis Morgen‘) – nicht auf eine Zeitspanne bzw. Dauer, obgleich aus dem Kontext heraus doch deutlich wird, dass die ḥallōt bis zum nächsten Shabbat, d.h. für die Dauer einer Woche auf dem Tisch verbleiben, sondern auf einen konkreten Zeit-„punkt“. Wesentlich ist somit in erster Linie die Verbindung zum Shabbat-Tag, was auch stimmig zu der oben angedachten Deutung der Brote passt. Denn immerhin wird in diesen ein Israel repräsentiert, das sich von JHWH versorgt weiß und in Gestalt der ḥallōt einen symbolischen Anteil des Empfangenen dankend und huldigend an JHWH zurück gibt. Wird dieser Vorgang nun – ungeachtet der Tatsache, dass die ḥallōt die gesamte Woche über „vor JHWH“ liegen – über den Zeitpunkt des Auflegens pointiert mit dem Shabbattag verbunden, so kann dies von der Erzählung in Ex 16 her verständlich gemacht werden, in der die Gabe des Shabbat mit der Versorgung Israels durch JHWH in der Wüste verknüpft ist. In Ex 16 wird der Shabbat als derjenige Tag eingeführt, an dem das Manna – vorab durch eine doppelte Gabe am sechsten Tag kompensiert – ausbleibt, während Lev 24,8 genau diesen Tag mit einem symbolischen (Zurück-)Geben des Volkes als dankender bzw. huldigender Antwort auf die während der sechs Tage der Woche erlebte Versorgung verbindet. Letzten Endes stellen die zwölf ḥallōt von je 2/10 ’ēfā solæt – genau der Menge des „doppelten Manna“ des sechsten Tages entsprechend – also auch ein Israel dar, das die in Ex 16 kennengelernte und im ErprobtWerden „eingeübte“ „Lebensordnung“ verinnerlicht hat und darin in gelingender Gemeinschaft mit JHWH lebt: Sie repräsentieren ein Israel, das sich mit dem „Ideal-Israel“ der Gründungsgeschichte identifiziert.153 In engem Zusammenhang mit der Shabbat-Thematik, die durch die Zeitangabe ‚( ביום השבת ביום השבתam Shabbattag, am Shabbattag‘) eingebracht wird, steht schließlich auch die letzte der vier qualifizierenden Wendungen in Lev 24,8, ‚( ברית עולםzeitloser Bund‘). Diese nämlich findet sich – wiederum im Zusammenhang mit dem Shabbat – auch in Ex 31,16. Dieser Vers aus dem Shabbatgesetz der Heiligtumstora (Ex 31,12–17) formuliert den Auftrag an Israel, den Shabbat zu bewahren ( ;שמרEx 31,16a), was mit Ex 31,16aI nichts anders bedeutet, als ihn durch die Generationen hindurch („ )לדרתםzu tun“ ( – )לעשות את־השבתals zeitlosen Bund ()ברית עולם. Ex 31,17a präzisiert dies durch den auch schon in Ex 31,13c belegten Gedanken, dass der Shabbat ein „zeitloses Zeichen“ ( )אות לעלםzwischen JHWH und Israel sei: Das (beständige) Mitvollziehen desjenigen Rhythmus, den JHWH im Erschaffen der Welt 153
Vgl. ähnlich HIEKE, Levitikus 16–27, 950–951.
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
447
als seinen „eigenen“ „Lebensrhythmus“ implementiert hat (vgl. Ex 31,17), ist Ausdruck der im Sinaibund gestifteten (dauerhaften) Gemeinschaft zwischen Israel und JHWH. Zugleich aber realisieren sich im Bewahren ( )שמרdes Shabbat exemplarisch auch das Hören auf die Stimme JHWHs und das Bewahren ( )שמרdes Bundes (vgl. Ex 19,5), d.h. das Handeln Israels nach der („ganzen“) Weisung JHWHs, das mit Ex 19,5–6; 24, grundlegende Bedingung für den Bestand des am Sinai geschlossenen Bundesverhältnisses darstellt. Wenn nun in Lev 24,8 auch das regelmäßig neu vollzogene Auflegen von zwölf ḥallōt mit der Wendung ברית עולםgedeutet wird, so wird dieser am Shabbat stattfindende Kultvorgang zunächst als ein besonderes Element der Shabbatobservanz Israels herausgehoben, in dem in spezieller Weise das am Shabbat erfahrbare unverbrüchliche Miteinander von JHWH und Israel deutlich wird.154 Dies kann einmal durch den Vollzug des Rituals selbst geschehen, der – wiederum exemplarisch – das beständige Tun des Willens JHWHs durch Israel versinnbildlichen kann.155 Darüber hinaus aber ist auch die im Ritual transportierte Symbolik zu berücksichtigen. Immerhin repräsentieren die zwölf ḥallōt – wie herausgestellt – Israel als das in der von JHWH vorgegebenen Ordnung „mitlebende“ Volk (vgl. Ex 16) „vor JHWH“ (;לפני יהוה Lev 24,6.8), was bedeutet, dass im Auflegen der ḥallōt in symbolischer Weise auch die eigentliche Essenz des Bundesverhältnisses zwischen JHWH und Israel zur Darstellung kommt.156 Über den Bezug zu Ex 31,16 hinaus kann die Wendung ברית עולםschließlich auch auf die Verse Gen 17,7.13.17 verweisen, in denen der Abrahambund, dessen Inhalt das fortwährende Gott-Sein für Abraham und dessen aus Isaak hervorgehende (vgl. Gen 17,17) Nachkommenschaft ist, als „zeitloser Bund“ ( )ברית עולםqualifiziert wird. Im Abrahamsbund gründet die im Sinaibund konkretisierte und vertiefte Beziehung zwischen JHWH und Israel, so dass er gleichsam als das Fundament der in der Shabbatobservanz Israels manifestierten ברית עולםinterpretiert werden kann. In Lev 24,8 aber wird durch den Bezug auf Gen 17 – ähnlich wie bei den anderen Tamid-Vollzügen (v.a. dem Brandopfer-Tamid; vgl. Ex 29,45–46) – deutlich, dass in der Tamid-Handlung als Medium einer beständigen Kommunikation bzw. als Ausdruck der Gemeinschaft zwischen Israel und JHWH auch die Anfänge der Beziehungsgeschichte zwischen Gott und seinem Volk aufgehoben präsent sind.157
154
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 950–951; KLEIN, Future, 268; MILGROM, Leviticus 23–27, 2094. 155 Vgl. GANE, Bread, 192–193. 156 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 950–951; MILGROM, Leviticus 23–27, 2094. 157 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 951.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
d) Das Anordnen der ḥallōt (Lev 24,8) Das an jedem Shabbat neu auszuführende Platzieren der ḥallōt, das in Lev 24,6 mit dem Verb ‚( שיםlegen‘) umschrieben ist, wird in Lev 24,8 nochmals unter Verwendung des Verbs ‚( ערךanordnen‘) ins Auge gefasst. Letzteres korrespondiert mit dem Nomen ‚( מערכתAnordnung‘), das in Lev 24,6–7a insgesamt drei Mal belegt ist, bzw. beschreibt in diesem Kontext den Vorgang des Herstellens der ‚( מערכותSchichten, Stapel, Anordnungen‘). Darüber hinaus ist das Verb ערךauch in Lev 24,3.4 zu finden, wo es das Agieren Aarons an der Menora, d.h. das Anordnen bzw. Ausrichten der Öllampen auf dem Leuchter (vgl. Ex 25,37c), umschreibt. Interessant ist also, dass in Lev 24,1–4.5–9 zwei – der Sache nach recht unterschiedliche – Vorgänge, nämlich das Platzieren der Lampen auf der Menora und das Auflegen der ḥallōt auf den Goldenen Tisch, mit dem demselben Verb ausgedrückt werden. Auf diese Weise wird zunächst (erneut) der enge Zusammenhang der beiden in Lev 24,1–4.5–9 beschriebenen Kulthandlungen veranschaulicht. Dieser tritt umso deutlicher zu Tage, als jeweils Aaron das Subjekt zu ערך ist,158 beide Vollzüge also von derselben Person ausgeführt werden. In Lev 24,3–4 ist dies insofern offenkundig, als Aaron in V.3 ausdrücklich als Zuständiger für das Entzünden des Leuchters benannt und auch in V.4 in dieser Rolle vorausgesetzt wird. In Lev 24,8 jedoch ist dies auf den ersten Blick keineswegs eindeutig, denn immerhin sind die Anweisungen in Lev 24,5.6– 7a an die 2. Pers. Sg. gerichtet, d.h. ausgehend von der in Lev 24,1 skizzierten Redesituation von Lev 24,1–9 zunächst an Mose. Lev 24,8 hingegen setzt im Übergang von der 2. zur 3. Pers. Sg. unvermittelt einen Subjektwechsel, wobei das Subjekt zum Verb ‚( יערכנוer soll es [= das Brot] anordnen‘) allein aus Lev 24,5–9 (ohne Ausblick auf den literarischen Kontext) letztlich nicht zu bestimmen ist. Aaron nämlich wird in Lev 24,5–8 nicht explizit genannt und erscheint erst in V.9 als der Zuständige für den Verzehr der Brote –, allerdings zusammen mit seinen Söhnen, so dass auch in Lev 24,9 keine Referenz auf eine 3. Pers. Sg. gegeben ist. Vor diesem Hintergrund ist Aaron als Subjekt in Lev 24,8 allein über den Zusammenhang mit Lev 24,3–4 und v.a. über die Parallelität zwischen Lev 24,4 und Lev 24,8 plausibel zu machen. Mit Blick auf Lev 24,6–7a aber ergibt sich dadurch insofern eine Präzisierung, als von Lev 24,8 her deutlich wird, dass das Platzieren der ḥallōt und des Weihrauchs von Aaron vorgenommen werden. Fortgeführt wird dieses Präzisieren hinsichtlich der Akteure schließlich auch durch die Wendung מאת בני ישראלin Lev 24,8. Diese verdeutlicht, dass die ḥallōt, bzw. das Mehl, aus dem diese herzustellen sind, von (ganz) Israel bereitgestellt werden sollen. Die zwölf ḥallōt sind als eine kommunale Gabe charakterisiert, was zunächst gut mit ihrer Symbolik kongruiert, die Gesamt158
2095.
Vgl. HARAN, Temples, 210; HARTLEY, Leviticus, 398; MILGROM, Leviticus 23–27,
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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heit Israels vor JHWH zu repräsentieren. Zugleich stellt Lev 24,8 damit (ähnlich wie Lev 24,2–3; Ex 27,20–21) in differenzierender Weise Aaron als „Kultfunktionär“ und das Volk als Geber der im Kult verwendeten Materie nebeneinander, macht darin aber auch deutlich, dass die Anweisungen in Lev 24,5–7a, das Mehl zu nehmen, die ḥallōt herzustellen, sie aufzulegen und Weihrauch hinzuzugeben, allesamt an das selbe Subjekt, nämlich Aaron, gerichtet sind, während der Beitrag des Volkes, das Bereitstellen des Mehls, in V.5–7 nicht explizit thematisiert wird.159 Zuletzt schließlich ist das Verb ערךin Lev 24,8 ebenso wie in Lev 24,3.4 mit den beiden qualifizierenden Wendungen ‚( לפני יהוהvor JHWH‘) und תמיד (‚regelmäßig‘) verbunden.160 Dabei ist die erste dieser Formulierungen, לפני ‚( יהוהvor JHWH‘), bereits in Lev 24,6 belegt, wo sie das Auflegen ( )שיםder ḥallōt als Handeln in Bezug auf JHWH hin qualifiziert. Der Terminus תמידhingegen kann einerseits – wie in Lev 24,3–4, wo er auf das Nomen ערךbezogen ist – die wiederholte Regelmäßigkeit des Kultvollzugs herausheben. In Lev 24,8 jedoch ist an Stelle einer täglichen Verrichtung (wie bei den übrigen Tamid-Vollzügen) ein wöchentlicher Rhythmus vorausgesetzt, so dass in diesem Fall – deutlicher als bei allen anderen Tamid-Vollzügen – durch das Adverb auch der Aspekt der Fortdauer (‚immer‘) betont sein kann, da ja die ḥallōt tatsächlich „ständig“ vor JHWH auf dem Goldenen Tisch liegen, mit der Folge, dass hier eine letztlich permanente symbolische Repräsentanz angelegt ist.161 Diese „Permanenz“ wird auch in Num 4,7–8 greifbar. Diese Verse sind Teil des Abschnitts Num 4,5–14, der – im Zusammenhang mit der Beschreibung der levitischen Trägerdienste (vgl. Num 4,1–49) – das „Verpacken“ bzw. Transportfertig-Machen der Kultgeräte durch die Priester behandelt. Num 4,7–8 ist dem Goldenen Tisch gewidmet, wobei für unseren Zusammenhang zunächst der Satz Num 4,7c von Interesse ist, der festhält, dass die Brote auch während des Transports auf dem Tisch liegen bleiben. Dies wird zusätzlich durch die Anweisung unterstrichen, den Tisch zusammen mit den Broten in eine Hülle aus blaupurpurfarbener Wolle einzuschlagen (vgl. V.7a). Die zum Tisch gehörenden Geräte (vgl. Ex 25,29; Num 4,7b) jedoch werden auf diese innere Decke gelegt und zusammen mit dem Tisch in eine zweite 159
Ein ähnlicher Zusammenhang ist auch in Ex 29,38–46 greifbar. Auch dort sind die Anweisungen zum Brandopfer–Tamid in V.38–41 zunächst an eine 2. Pers. Sg. (Mose?) gerichtet, während die Rolle (ganz) Israels als Geber der Opfergaben erst in Ex 29,42 angedeutet wird. Der Ausführende der Opferhandlungen wird – wie in Lev 24,5–9 – ebenfalls nicht ausdrücklich genannt, ist aber – anders als in Lev 24,5–9 – auch aus dem Kontext nicht eindeutig herzuleiten (vgl. dazu aber Lev 6,1–6; s.u.). 160 Im TaNa“K sind Lev 24,3.4.8 die einzigen Verse, in denen לפני יהוהund תמידadverbial auf das Verb ערךbezogen sind. 161 Vgl. GANE, Bread, 198–200; HIEKE, Levitikus 16–27, 950; MILGROM, Leviticus 23– 27, 2099–2100.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Decke aus scharlachfarbener Wolle gehüllt, über die zuletzt eine Umhüllung aus Tachaschhäuten (vgl. Num 4,8) gespannt wird. Interessant ist dabei die innerste, purpurfarbene Wollhülle, die die Brote und den Tisch umschließt und diese so als untrennbare Einheit behandelt, während die Geräte des Tischs gleichsam „sekundär“ hinzugelegt werden. Umgekehrt wird damit auch deutlich, dass der Tisch seine eigentliche Bedeutung erst von den Broten her bezieht bzw. diese das eigentlich wesentliche Element darstellen, das als solches dauerhaft ( )תמידauf dem Tisch verbleiben muss.162 Die Bezeichnung des Tisches als ‚( שלחן הפניםTisch des Angesichts‘) in Num 4,7a erinnert an den Vers Ex 25,30, in dem über die Anweisung, auf ihn ein ‚( לחם הפניםBrot des Angesichts‘) zu geben ()נתן, erstmals (noch eher vage) die kultische Funktion des Goldenen Tisches angedeutet ist. Auch in diesem Vers findet sich das Stichwort תמיד, das im Zusammenhang von Ex 25,30 allerdings – adverbial gebraucht – stärker die Regelmäßigkeit des Gebens betont, während es in Num 4,7 als Adjektiv das spezifische Charakteristikum des Brotes benennt, permanent auf dem Tisch aufzuliegen. Verbunden damit wird die Besonderheit, die Ex 25,30 dem Brot selbst zuschreibt, mit dem Angesicht ( – )פניםd.h. dem Angesicht JHWHs (vgl. ;לפניEx 25,30) – verbunden bzw. auf dieses bezogen zu sein, auf den Tisch übertragen. Dies aber kann letztlich als weiterer Beleg für die These gewertet werden, dass Brot und Tisch letztendlich untrennbar zusammengehören: Der Tisch wäre ohne das Brot seiner Funktion beraubt und ist folglich auch abgesehen vom kurzen Moment des Austauschens am Shabbat durchgehend mit den ḥallōt bestückt.163 e) Lev 24,5–9 und Ex 25,30 Fragt man nach dem Verhältnis zwischen Ex 25,30 und Lev 24,5–9, so ist zunächst festzuhalten, dass – mit einer wesentlichen Ausnahme – alle Syntagmen von Ex 25,30 auch in Lev 24,5–9 belegt sind. Folglich kann Lev 24,5–9 – und hier v.a. die Verse V.6.8 – als Entfaltung des in Ex 25,30 nur knapp Angedeuteten gelesen werden. Lev 24,6.8
ושמת אותם שתים מערכות שש המערכת על השלחן הטהר לפני יהוה
6
162
Ex 25,30
ונתת על השלחן לחם פנים לפני יהוה
30
Vgl. GANE, Bread, 199; MILGROM, Leviticus 23–27, 2092; 2100. mMen 11.7 hält dazu – die biblischen Vorgaben konsequent weiterdenkend – fest, dass der Priester beim Austauschen der Brote die neuen ḥallōt bereits zur Hälfte auf den Tisch schiebt, bevor er die alten entfernt und auf diese Weise dafür Sorge trägt, dass der Tisch für keinen Moment leer und ohne Brote ist. 163
451
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
Lev 24,6.8
ביום השבת ביום השבת יערכנו לפני יהוה תמיד מאת בני ישראל ברית עולם
8
Ex 25,30
ונתת על השלחן לחם פנים לפני יהוה
30
So findet zunächst die Formulierung ‚( על השלחןauf dem Tisch ‘; Ex 25,30) eine Entsprechung in der „Ortsangabe“ ‚( על השלחן הטהרauf dem reinen Tisch‘; Lev 24,6), während der Wendung ‚( לפני תמידvor mir beständig / regelmäßig‘) in Ex 25,30 die Formulierung ‚( לפני יהוה תמידvor JHWH beständig / regelmäßig‘) in Lev 24,8 gegenübersteht.164 Für den Vorgang des Auflegens der Brote allerdings, der in Lev 24 mit den beiden Verben ( שיםV.6) und ( ערךV.8) ausgedrückt wird, verwendet Ex 25,30 das Verb נתן, wobei zumindest in Lev 24,8 und Ex 25,30 greifbar ist, dass die Wahl der jeweiligen Verben, also ערךbzw. נתן, u.a. dazu dienen kann, im engeren Kontext Bezüge deutlich zu machen. Das Verb ערךnämlich findet sich nicht nur in Lev 24,8, sondern auch in Lev 24,3–4, wo es den Dienst Aarons am Leuchter umschreibt, so dass es im Gesamt von Lev 24,1– 9 den Zusammenhang zwischen den Kultvollzügen an der Menora und am Goldenen Tisch veranschaulicht. Dem gegenüber bezieht das Verb ‚( נתןgeben‘) in Ex 25,30 – angesichts der weitgehenden Parallelität der beiden Herstellungsbeschreibungen zur Lade (Ex 25,10–15) und zum Tisch (Ex 25,23– 29) (s.o.) – das Auflegen der Brote auf den Goldenen Tisch (Ex 25,30) und das Platzieren der Kapporet auf dem Ladenkasten (Ex 25,22) aufeinander. Im Deponieren der Brote „vor JHWH“ (vgl. )לפניwird ein Raum generiert, der durch das Gegenüber von JHWH und dem als Israelrepräsentation zu greifenden Brot bestimmt ist und der mit dem ausgehend von der Kapporet realisierbaren Begegnungsraum vor der Lade in Zusammenhang steht, der im Gegenüber von JHWH und dem Offenbarungsmittler Mose konstituiert wird. Das im „Heiligen“ durch das Auflegen der Brote inszenierte „Gegenüber“ von JHWH und den zwölf Broten (als Israelrepräsentation), auf das Ex 25,30 fokussiert, wird dabei auch in der Wendung ‚( לחם הפניםBrot des Angesichts‘) eingefangen,165 die interessanterweise das einzige Syntagma aus Ex 25,30 ist, das in Lev 24,5–9 fehlt. Der Terminus ‚( לחםBrot‘) allein hingegen findet sich in Lev 24,5–9 nur in Lev 24,7b in Zusammenhang mit der Vorgabe, dass der Weihrauch „für das Brot“ ( )ללחםals Gedächtnisanteil dienen solle. Zudem aber kann auch das ePP der 3. Pers. m. Sg. in der Wendung ‚( יערכנוer soll es anordnen‘; Lev 24,8), das auf das Objekt des Auflegens hinweist, nur ( לחםm. Sg.), nicht aber die Nomen ( חלהf. Sg.) bzw. ( חלותf. Pl.) aus Lev 24,5 vertreten. Die Pluralform חלותaber wird pronominal (vgl. ;אתםLev 24,6a) auch in 164 165
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 947. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 947; HOUTMAN, Exodus 3, 391.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Lev 24,6 aufgenommen, während die Verbform והיתהin Lev 24,9 ein (grammatikalisch) feminines Subjekt (Sg.!) voraussetzt, was aus dem Kontext heraus nur (in kollektivem Gebrauch) „die ḥallā“ als den Priestern zustehender Anteil sein kann. Somit stehen in Lev 24 ( לחםvgl. V.7–8) und חלהbzw. חלות (vgl. V.5–6.9) – de facto als Synonyme – nebeneinander, ohne dass ein Nachklingen des spezifischen Terminus לחם הפניםaus Ex 25,30 konkret greifbar wäre. Dieser Umstand jedoch, dass von den Syntagmen aus Ex 25,30 in Lev 24 gerade die eine Wendung ‚( לחם הפניםBrot des Angesichts‘) fehlt, die dort das Spezifikum des Brotes auf den Punkt bringt, kann zunächst durch die Beobachtung erklärt werden, dass in Lev 24 das für Ex 25–31 wesentliche Interesse an Raumkonzeptionen nicht in vergleichbarer Weise gegeben ist und der Akzent vorrangig auf den Zeitrhythmen und Zeitpunkten liegt, entlang derer die Kultvollzüge organisiert sind. Dies ist in Lev 24,5–9 v.a. daran zu erkennen, dass nur eine einzige Ortsangabe – על השלחן ‚( הטהרauf den reinen Tisch‘; Lev 24,6) – zu finden ist, wobei der in Lev 24,6 thematisierte Kultakt des Auflegens kaum als raumgestaltendes Handeln konturiert wird. In ähnlicher Weise ist – wie oben aufgezeigt – auch die Ortsangabe für das Entzünden des Leuchters in Lev 24,3 gegenüber der parallelen Formulierung in Ex 27,21 stärker darauf hin angelegt, den konkreten Ort des Vollzugs zu benennen, als darauf, die Relationen zwischen den Räumen außerhalb der Parochet und unterhalb der Kapporet deutlich zu machen, die im Kultvollzug „aktiviert“ werden (so Ex 27,21).
Da sich aber im Stichwort לחם הפניםletztlich ein Raumkonzept andeutet, passt diese Formulierung kaum zur spezifischen Schwerpunktsetzung von Lev 24 und fehlt damit stimmigerweise auch in Lev 24,5–9. Zusammengeführt werden die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen von Ex 25,30 bzw. Lev 24,5–9 schließlich in Num 4,7–8. In diesen Versen nämlich wird zunächst die (räumliche) Relation zu JHWH bzw. zu JHWHs Angesicht vom Brot auf den Tisch übertragen ( )שלחן הפניםund somit das spacing von Ex 25,30 in modifizierter Form aufgenommen (vgl. Num 4,7a). Gleichzeitig jedoch unterstreicht Num 4,7c – angelehnt an die in Lev 24,6.8 betonte Regelmäßigkeit des Auflegens – v.a. die Permanenz des AufgelegtBleibens der Brote, die in der Wendung „ – לחם התמידBrot der Permanenz“ – eingefangen ist. f) Resümee Blickt man im Anschluss an die Analyse der einzelnen qualifizierenden Wendungen nochmals auf den Vers Lev 24,8 als ganzen, so deutet sich eine chiastische Struktur der einzelnen Formulierungen an. Zunächst nämlich klingt die Shabbatthematik, die zum Auftakt des Verses durch die Zeitangabe ביום השבת ביום השבתeingebracht wird, auch in der letzten Formulierung, ברית עולם (‚ewiger Bund‘), nach. Des Weiteren korrespondieren das zweite ( )יערכנוund
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B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
vorletzte ( )מאת בני ישראלSyntagma insofern miteinander, als ersteres auf Aaron als Kultfunktionär verweist und letzteres komplementär dazu den Beitrag des Volkes andeutet. Im Zentrum der Rahmenstruktur stehen damit die Wendungen יהוה תמיד ‚( לפניvor JHWH regelmäßig / dauerhaft‘), die einmal für den Bezug zu Ex 25,30 von Bedeutung sind, daneben aber auch zwei Mal in Lev 24,2–4 belegt sind und so der Verknüpfung von Lev 24,2–4.5–9 dienen. Vor allem jedoch machen sie den besonderen Fokus des Textes deutlich, da über das Stichwort תמידdie Regelmäßigkeit des Auflegens bzw. die Permanenz des Aufliegens der Brote als Repräsentation Israels „vor JHWH“ ( )לפני יהוהim „Heiligen“ unterstrichen wird. 4. Das Verhältnis zwischen Lev 24,6.8 und Lev 24,4 Sowohl im stärker theologisch deutenden Vers Lev 24,8 als auch in dem eher an der praktischen Seite des Vollzugs interessierten Vers Lev 24,6(–7a), die beide komplementär den in Lev 24,5–9 behandelten Kultvollzug des Auflegens der Brote beleuchten, sind – wie in der Auslegung mehrfach herausgestellt – deutliche Stichwortbezüge zu Lev 24,4 gegeben. Lev 24,4
על המנרה הטהרה יערך את הנרות לפני יהוה תמיד
Lev 24,6
ושמת אותם שתים מערכות שש המערכת על השלחן הטהר לפני יהוה
Lev 24,8
ביום השבת ביום השבת יערכנו לפני יהוה תמיד מאת בני ישראל ברית עולם
Zuerst fällt auf, dass die beiden Kultgeräte Tisch und Leuchter jeweils als rein ( )טהורqualifiziert werden (vgl. Lev 24,4.6), was – wie gezeigt – im Fall des Leuchters auch an anderer Stelle greifbar wird bzw. aus anderen Texten herzuleiten ist, während sich die Rede von einem „reinen Tisch“ ausschließlich in Lev 24,6 findet. Dies legt die Vermutung nahe, dass Lev 24,6 betont parallel zu Lev 24,4 gestaltet ist und so an diesen Vers anknüpft. Weitere Parallelen bestehen darin, dass sich jeweils das Verb ערךmit Aaron als Subjekt findet (Lev 24,4.8), das zudem in beiden Versen mit der Wendung תמיד לפני יהוהverbunden ist (vgl. daneben auch לפני יהוהin Lev 24,6). In all diesen Beobachtungen wird das Anliegen greifbar, Tisch und Leuchter sowie den jeweiligen Dienst an ihnen eng miteinander zu verbinden bzw. aufeinander zu beziehen. Dabei ist hier – anders als bei Leuchter und Goldenem Altar (vgl. Ex 30,7–8) – weniger die zeitliche Koordinierung der Kultakte entscheidend. Gerade in diesem Punkt nämlich treten die Vollzüge deutlich auseinander, wenn Lev 24,2–4 das tägliche (allabendliche) Anzünden des Leuchters und Lev 24,5–9 das wöchentliche (jeden Shabbat neu vollzogene) Auflegen der zwölf ḥallōt thematisiert. Gemeinsam aber ist, dass jeweils
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
punktuelle Handlungen – in beiden Fällen mit ערךumschrieben – im Blick sind, die einmal ausgeführt, längere Zeitspannen bestimmen und prägen: Der Leuchter brennt – am Abend entzündet – die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen und das Brot verbleibt nach dem Auflegen am Shabbat die gesamte Woche über auf dem Tisch. Auf diese Weise erfahren die grundlegenden Zeitrhythmen, die Israels Lebensführung bestimmen, der in der Schöpfung im Wechsel von Tag und Nacht vorgegebene Tagesrhythmus und der von JHWH offenbarte Wechsel zwischen den sechs Werktagen und dem Shabbat, eine deutende Ausgestaltung und zugleich eine „Stabilisierung“ durch die jeweiligen, im Text fokussierten Ritualvollzüge. Darüber hinaus dient die dargestellte Parallelisierung auch dazu, den Dienst am Goldenen Tisch als ein weiteres Element der in Ex 27,20–21; 30,7–8 thematisierten Tamid-Handlungen im „Heiligen“ auszuweisen, wobei – wie in Ex 30,7–8 – der neu einzuführende Kultvollzug (d.h. das Weihrauchopfer in Ex 30,7–8 bzw. der Dienst am Tisch in Lev 24) jeweils in Verbindung mit dem in Ex 27,20–21 bereits eingeführten Dienst am Leuchter vorgestellt und damit als Teil eines Gefüges von Riten im „Heiligen“ ausgewiesen wird, das rund um das Bedienen der Menora als zentraler Kulthandlung aufgebaut wird. Somit dient der Rekurs auf das Entzünden des Leuchters in Lev 24,2–4 nicht zuletzt auch dazu, das Einbinden des Dienstes am Tisch in das nach und nach entfaltete „Ritengefüge“ zu moderieren. Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang dem Vers Lev 24,4 zu, der – wie aufgezeigt – präzisierend die wesentlichen Aspekte des Leuchterdienstes auf den Punkt bringt, dabei aber v.a. diejenigen Züge betont, die im Hinblick auf den in Lev 24,5–9 dargestellten TamidVollzug am Tisch anschlussfähig sind und dort in gleicher bzw. analoger Weise gegeben sind.166 In Lev 24,5–9 wird somit das im Kult im „Heiligen“ essenzielle Darstellen einer Israel-Identität, das grundlegend durch den regelmäßigen ( )תמידDienst am Leuchter (sowie den mit diesem koordinierten Dienst am Goldenen Altar) geleistet wird, um eine als dauerhaft ( )תמידangelegte Repräsentanz Israels in Form der zwölf ḥallōt ergänzt, in der Israel als eine von JHWH versorgte und von JHWH am Leben erhaltene Größe abgebildet ist, die symbolisch einen kleinen Teil des von JHWH Erhaltenen huldigend und dankend an den Geber zurückgibt. Zugleich ist über das Austauschen der Brote am Shabbat auch der essenzielle Shabbatrhythmus in das Gesamtbild der „Israel-Identität“ einbezogen, so dass Lev 24,5–9 in der Tat als Komplettierung des in Ex 27,20–21 (Lev 24,2–4); 30,7–8 gezeichneten Bildes gefasst werden kann.
166
Vgl. dazu die in Lev 24,4 sowie in Lev 24,6.8 belegten qualifizierenden Wendungen.
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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IV. Interpretation von Lev 24,1–9 im Kontext Um die Auslegung von Lev 24,1–9 abzurunden, ist zuletzt auch auf die Bedeutung und Funktion der beiden kurzen Abschnitte im (engeren) literarischen Kontext zu erheben, wobei sich v.a. der Zusammenhang mit dem Festkalender in Lev 23 als interessant erweist und daher genauer beleuchtet werden soll.167 Dazu ist im Folgenden ein knapper Überblick über Lev 23,1–44 zu geben, bevor das Augenmerk den Bezügen zwischen Lev 24,1–9 und diesem Kapitel gelegt wird. 1. Lev 23,1–44 im Überblick In formaler Hinsicht erweist sich Lev 23 als Abfolge von fünf Gottesreden (V.2–8.10–22.24–25.27–32.34–43), die jeweils durch eine Anrede(V.1.9.23.26.33) und eine Weitergabeformel (;דבר אל־בני ישראל ואמרת אלהם V.2ab.10ab; bzw. ;דבר אל־בני ישראל לאמרV.24a–aI.34a–aI)168 eingeleitet werden.169 Inhaltlich finden sich in diesen Reden Reglements zu insgesamt sieben Festen, Pesach (V.5), Mazzot (V.6–8), dem Darbringen der ersten Garbe (ʽomær) (V.10c–14), „Wochenfest“ (V.15–21), Tag der terūʽā (Neujahr) (V.24b–25), Jom Kippur (V.27–32) und Sukkot mit Azeret (V.34b–36.39– 43). Dabei sind Pesach (V.5) und Mazzot (V.6–8) sowie ʽomær (V.10–14) und Wochenfest (V.15–21) in jeweils einer Gottesrede zusammengefasst, wodurch schon formal ein enger Zusammenhang zwischen den jeweiligen Abschnitten greifbar wird, der auch der Sache nach gegeben ist. Die übrigen Feste hingegen, der Tag des Lärmblasens (V.24–25), Jom Kippur (V.27–32) und Sukkot (V.34–36.39–43) werden in den verbleibenden drei Reden, d.h. pro Rede ein Fest, vorgestellt.170 Den Abschluss des Kalenders markiert die knappe Ausführungsnotiz in Lev 23,44, die festhält, dass Mose die Vorschriften zu den Festzeiten JHWHs an die Israeliten weitergegeben hat und somit auch dokumentiert, dass er seinem in den Belegen der Weitergabeformel (vgl. Lev 23,2ab.10ab.24a–aI.34a–aI) artikulierten Auftrag nachgekommen ist.171 167
Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 168–169. ACHENBACH versteht Lev 24,2–4 als „Nachtrag […] im Anschluss an die Gebote für die Festgesetze Lev 23,1–38.44“ (S. 168). RUWE (Heiligkeitsgesetz, 90–94) setzt Lev 23,1–24,9 als einen durch die Ausführungsnotiz Lev 23,44 in zwei aufeinander bezogene Teile untergliederten Abschnitt des Heiligkeitsgesetzes an. Vgl. weiterhin HIEKE, Levitikus 16–27, 871–872; NIHAN, Festival Calendars, 179; DERS., Priestly Torah, 496–497. 168 Bei der vierten Gottesrede Lev 23,27–32 fehlt die Weitergabeformel. 169 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 370–371; NIHAN, Festival Calendars, 179; DERS., Priestly Torah, 496–497; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 299. 170 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 883–884. Vgl. ähnlich BUDD, Leviticus, 314; DYMA, Wallfahrt, 75; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 299–301. Vgl. ähnlich KÖRTING, Schofar, 95 (Anm. 30). 171 Vgl. KÖRTING, Schofar, 96; NIHAN, Priestly Torah, 498; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 75–77.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Was den Kalender in Lev 23,1–43 selbst anbelangt, so ist – über die Aufteilung in fünf Gottesreden hinaus – ein weiteres Gliederungssystem wesentlich, das aus dem Nachvollziehen der formalen Strukturierung des Textes durch die Redeeinleitungen bzw. aus der Verteilung der angesprochenen Feste auf die Reden allein nicht greifbar wird. So ist zunächst Lev 23,2–4, der Beginn der ersten Gottesrede, als separate Sinneinheit zu verstehen, die als eine Art „Überschrift“ fungiert. Lev 24,2.4 kündigt dabei eine Darstellung der ‚( מועדי יהוהFestzeiten JHWHs‘) an172 und umrahmt auf diese Weise den knappen Shabbatrekurs in Lev 23,3,173 der – wie unten zu zeigen ist – mit Ex 31,12–17; 35,1–3 (und auch Ex 20,8–12) – in der Tora vorausgehende Formulierungen des Shabbatgebots aufnimmt.174 Als Einleitung des gesamten Festkalenders (nicht nur der ersten Gottesrede) wirkt V.2–4 damit auch über Lev 23,2–8 hinaus und regt dazu an, die Abfolge der fünf Reden als kohärente Einheit zu lesen.175 Im Gegenüber zu Lev 24,2–4 formulieren schließlich die beiden Verse Lev 23,37–38 in der fünften Gottesrede (Lev 23,34–43) einen resümierenden Abschluss des Festkalenders, wobei Lev 23,37a–aR über die Aufnahme der Deixis ( אלה מועדי יהוהvgl. Lev 24,2c.4a), auf die beiden Verse Lev 23,2.4 der Einleitung zurückgreift.176 Außerhalb dieser Rahmung des Festkalenders durch Lev 23,2–4.37–38 steht der Abschnitt Lev 23,39–43, der nach Lev 24,34–36 ein weiteres Mal auf das Sukkotfest eingeht,177 wobei beide Passagen sich hinsichtlich ihrer inhaltlichen Akzentsetzungen deutlich unterscheiden. So ist der erste SukkotAbschnitt (Lev 23,34–36) deutlich parallel zum Abschnitt über das Mazzotfest in Lev 23,6–8 gestaltet.178 Für beide Feste nämlich ist eine Festwoche vorgesehen, während der „Feuergaben für JHWH“ darzubringen sind (vgl. Lev 23,8a.36a). Besonders hervorgehoben aber sind jeweils der erste und letzte179 Tag, die als מקרא קדשqualifiziert und arbeitsfrei zu halten sind. Auffällig ist im Gegenüber von Lev 23,5-8 und Lev 23,34-36 allerdings der Umstand, dass im Abschnitt zu (Pesach und) Mazzot (Lev 23,[5.]6–8) nahezu allen Sätze auf die „Pesach- / Mazzot-Tora“ in Ex 12 Bezug neh-
172
Vgl. dazu die kataphorische Deixeis ( אלה הם מועדיV.2c) bzw. ( אלה מועד יהוהV.4a). Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 301–302. 174 Vgl. GRUND, Entstehung, 290–291. 175 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 890–893. 176 Vgl. DYMA, Wallfahrt, 75; HIEKE, Levitikus 16–27, 925; KÖRTING, Schofar, 96–97; NIHAN, Priestly Torah, 498; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 298–299. 177 Vgl. DYMA, Wallfahrt, 75; NIHAN, Festival Calendars, 180; DERS., Priestly Torah, 498–499; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 300–301. 178 Vgl. KÖRTING, Schofar, 106. 179 Dieser letzte Tag ist im Fall von Mazzot der siebte, bei Sukkot aber der achte Tag (Azeret). 173
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B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
men.180 Es wird also deutlich ausgewiesen, dass hier ein bereits bekanntes Fest, dessen Bedeutung, Inhalte und Vollzüge auch aus anderen Kontexten eingespielt werden können, (erneut) aufgegriffen wird. Lev 23,5–8 5 6a 6b 7a 7b 8a 8b 8c
בחדש הראשון בארבעה עשר לחדש בין הערבים פסח ליהוה ובחמשה עשר יום לחדש הזה חג המצות ליהוה שבעת ימים מצות תאכלו ביום הראשון מקרא קדש יהיה לכם כל מלאכת עבדה לא תעשו והקרבתם אשה ליהוה שבעת ימים ביום השביעי מקרא קדש כל מלאכת עבדה לא תעשו
[→ vgl. Ex 12,1–2.6] [→ vgl. Ex 12,18] → Ex 12,15a → Ex 12,16a → vgl. Ex 12,16c[d] → Ex 12,16b → vgl. Ex 12,16c[d]
Im Falle von Sukkot (Lev 23,34-36) jedoch stellt sich der Sachverhalt anders dar. Dieses Fest nämlich wird – in kanonischer Textfolge gelesen – vor Lev 23 in der Tora nicht erwähnt. Zwar findet sich in den Festkalendern in Ex 23,14–17; 34,18–26 ein „Fest des Einsammelns am Ausgang des Jahres, wenn du dein Werk von deinem Feld einsammelst“ (Ex 23,16) bzw. ein „Fest des Einsammelns an der Wende des Jahres“ (Ex 34,22), das wohl mit dem in Lev 23,34–36 erwähnten Sukkot zu identifizieren ist, zumal es sich jeweils um Erntefeste zum Abschluss des agrarischen Jahres handelt (vgl. dazu auch Dtn 16,13–15).181 Ein exakter Termin oder weitere Angaben zum Zuschnitt des Festes aber sind aus Ex 23,16; 34,22 nicht zu erheben. Vor diesem Hintergrund kommt dem außerhalb der Rahmung durch Lev 23,2–4.37–38 platzierten zweiten Abschnitt zu Sukkot eine doppelte Aufgabe zu: Zum einen unterstreicht er, dass das in Lev 23,34–36 (erstmals) besprochene Sukkotfest tatsächlich mit dem in Lev 23,16; 34,22 erwähnten Erntedankfest identisch ist. In Lev 23,39 nämlich finden sich die beiden Stichworte ‚( אסףeinsammeln‘) und ‚( חגFest‘), die auch in Ex 23,16; 34,22 – nicht zuletzt in der Bezeichnung des Festes als ‚( חג האס]י[ףFest des Einsammelns‘) selbst – belegt sind.182 Diese Bezüge zu Ex 23,16; 34,22 sind eingebettet in Rückverweise auf den ersten Sukkot-Abschnitt in Lev 23,34–36, so dass Lev 23,39 in der Gesamtschau dazu animiert, Ex 23,16; 34,22 einerseits und Lev 23,34–36 andererseits zusammen zu lesen. Zum anderen aber benennt Lev 23,39–43 Festbräuche des Sukkotfestes (vgl. Lev 23,40–43), die – analog zum siebentägigen Essen der Mazzot in
180
Vgl. DYMA, Wallfahrt, 78. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 923; KÖRTING, Art. Laubhüttenfest, 2.1; 2.2. 182 Vgl. KÖRTING, Art. Laubhüttenfest, 2.1; LEVINE, Leviticus, 163; NIHAN, Priestly Torah, 507–508; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 319. 181
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Lev 23,6 – auf dessen Besonderheiten und Inhalte hinweisen bzw. diese anschaulich machen können.183 Das Binden des Feststraußes (vgl. Lev 23,40–41) ist verbunden mit dem Auftrag, sich sieben Tage vor JHWH zu freuen (Lev 23,40b184) bzw. für JHWH ein Fest zu feiern (Lev 23,41), so dass der Feststrauß zuerst als sichtbares Zeichen der Festfreude verstanden werden kann. Daneben jedoch impliziert er auch eine Bitte bzw. einen Appell an JHWH, die in den zusammengebundenen Pflanzen symbolisierte Vegetation und Fruchtbarkeit des Landes zu erhalten und zu garantieren. Auf diese Weise artikuliert er die beiden spezifischen Anliegen eines Erntedankfestes, nämlich Freude und Dank angesichts der erfolgreich eingebrachten Jahresernte und – im Ausblick auf die Zukunft – die Bitte um Konstanz.185 Als ein zweiter, ebenfalls die sieben Festtage hindurch praktizierter Brauch wird in Lev 23,42 das Wohnen in Hütten ( )סכתvorgestellt, das sich auch als Erklärung für den in Lev 23,34 eingeführten Name des Festes, ‚( הג הסכותFest der Hütten‘), verstehen lässt. Dieses wird – wie das ebenfalls namensgebende Essen der ungesäuerten Brote während des siebentägigen Mazzotfestes (vgl. Ex 12,15.19) – ganz Israel als Verpflichtung auferlegt und so letztlich als der (zentrale) Vollzug des Festes markiert, der zugleich die in Lev 23,34–36 bereits herausgestellte Parallelität zwischen Sukkot und Mazzot noch intensiviert. In Lev 23,43 wird das Wohnen in den Hütten als Memorialgeschehen interpretiert, in dem ganz Israel sich die Wüstenzeit (und damit seine Gründungsgeschichte) vergegenwärtigen soll, während der JHWH das Volk ebenfalls in Hütten habe wohnen lassen, als er es aus Ägypten herausführte. Das Wohnen in den Hütten erinnert also ebenso wie das Essen der Mazzot an das Exodusgeschehen, so dass zum Dank für die Ernte die Memoria der Gründungsgeschichte als zweite wesentliche Dimension des Festes hinzutritt.186
Es kann somit festgehalten werden, dass die im Text durch ihre Positionierung nach dem Rahmenschluss in Lev 23,37–38 klar als „Anhang“ gestalteten Verse Lev 23,39–43 einerseits die in Lev 23,34–36 bereits angelegte Parallelisierung der beiden siebentägigen Feste Mazzot und Sukkot untermauert und andererseits dabei hilft, die Festinhalte von Sukkot, die in der Tora bislang nicht zur Sprache kamen, zu bestimmen.187 Für die folgenden Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Festkalender in Lev 23 und den Tamid-Vorschriften in Lev 24,1–9 ist v.a. der Rahmen Lev 23,2–4.37–38 bedeutsam, der interpretierend um den Festkalender gelegt ist. Die Textanordnung legt dabei die Vermutung nahe, dass hier die Konzeption des Ganzen sowie die grundlegenden Konturen, die allen Festen jenseits ihrer je eigenen Inhalte und Bräuche gemeinsam sind, entwickelt werden. 183
Vgl. DYMA, Wallfahrt, 80–81; GERSTENBERGER, Leviticus, 318. Vgl. dazu auch die Betonung der Festfreude im Sukkot–Abschnitt des deuteronomischen Festkalenders Dtn 16,13–15! 185 Vgl. DYMA, Wallfahrt, 80; HIEKE, Levitikus 16–27, 930–931; LEVINE, Leviticus, 163; MILGROM, Leviticus 23–27, 2044; WEYDE, Festivals, 138–139. 186 Vgl. DYMA, Wallfahrt, 80–81; HIEKE, Levitikus 16–27, 931–932; GERSTENBERGER, Leviticus, 319; KÖRTING, Schofar, 106–108; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 320; WEYDE, Festivals, 133–134. 187 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 926; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 317–318. 184
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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2. Lev 23,2.4 als „Überschrift“ des Festkalenders Die Verse Lev 23,2.4 präsentieren sich als eine doppelte „Überschrift“ des Festkalenders, wobei Lev 23,4 beinahe alle Formulierungen aus Lev 23,2 – annähernd chiastisch – wieder aufnimmt.188 2cP 2cPR 2c 4a 4aR
Die Festzeiten JHWHs ()מועדי יהוה, die ihr ausrufen sollt als heilige Feiertage (;)מקראי קדש dies sind sie, meine Festzeiten ()מועדי. Dies sind die Festzeiten JHWHs ()מועדי יהוה, heilige Feiertage ()מקראי קדש, die ihr ausrufen sollt zu ihrer festgesetzten Zeit ()במועדם: (Lev 23,2.4)
Ein zentrales Element ist dabei die Deixis in V.2c ()אלה הם מועדי, die in V.4a ( )אלה מועדי יהוהihre beinahe wörtliche Entsprechung findet. Daneben nimmt der Relativsatz V.4aR – wiederum nur annähernd wörtlich – V.2cPR auf und zuletzt ist auch die Wendung ‚( מקראי קדשheilige Feiertage‘) in beiden Versen belegt. Diese fungiert in Lev 23,4a als Apposition zur Wendung מועדי יהוה (‚Festzeiten JHWHs‘), während sie in Lev 23,2 verbunden mit dem Verb קרא (‚rufen‘) im Relativsatz V.2cPR zu finden ist. Im Folgenden sind somit v.a. die beiden in V.2.4 zentralen Stichworte (‚( מועד )יהוהFest [JHWHs]‘) und ‚( מקרא קדשheilige Versammlung‘) bzw. das Verb ‚( קראrufen‘) näher zu beleuchten, mit denen jeweils das Verbindende der in Lev 23,5–36 je genauer vorgestellten Feste charakterisiert bzw. deren (gemeinsame) Eigenart benannt wird.189 Dem gesamten Festkalender ist die Wendung ‚( מועדי יהוהFestzeiten JHWHs‘; Lev 23,2cP) pendierend vorangestellt, die gleich zu Beginn den Inhalt des nachfolgenden Textes in einem Schlagwort auf den Punkt bringt. Darüber hinaus ist dieselbe Formulierung – ‚( מועדי יהוהFestzeiten JHWHs‘) – auch in Lev 23,4a.37a sowie das das praktisch referenzgleiche ‚( מועדיmeine Festzeiten‘) in Lev 23,2c belegt. In Lev 23,5–36, also im „Korpus“ des Festkalenders, findet sich das Stichwort ‚( מועדFest, Festzeit‘) hingegen nicht. Es ist auf die rahmenden Passagen (Lev 23,2.4.37–38) beschränkt, in denen es jedoch als zentrales Leitwort fungiert und die einzelnen Feste als מועדיםdefiniert.190
188 Vgl. DYMA, Wallfahrt, 75; GRUND, Entstehung, 290; MILGROM, Leviticus 23–27, 1952; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 302. 189 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 375–376; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 302. 190 Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 510.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Das Nomen ‚( מועדFestzeit‘) ist vom Verb יעד-q. (‚festsetzten, bestimmen‘) abgeleitet. Folglich sind die als מועדיםqualifizierten Feste zunächst dadurch charakterisiert, dass sie einen fixierten, festgelegten Zeitpunkt haben.191 Die zeitliche Festlegung generiert das Fest und hebt den designierten Tag bzw. die designierte Zeitspanne aus der gleichförmigen Struktur der Zeit heraus bzw. von den übrigen Tagen und Zeiten ab. Somit ist in der Fixierung des Zeitpunkts bzw. der Zeitspanne des Festes zugleich auch eine qualitative Unterscheidung gesetzt, die dafür sorgt, dass die feste Zeit zu einer Festzeit werden kann, die sich vom Alltag abhebt.192 Auffällig ist weiterhin, dass das Nomen מועדbei vier von insgesamt fünf Belegen innerhalb des Festkalenders, Lev 23,2cP.c.4a.37a193, als nomen regens einer Konstruktusverbindung fungiert, in der JHWH (bzw. ein ihn vertretendes ePP) als nomen rectum zu finden ist ( ;מועדי יהוהV.2cP.4a.37a bzw. ;מועדיV.2c). Diese enge sprachliche und sachliche Verbindung zwischen den Festzeiten und JHWH kann in zweifacher Weise interpretiert werden. (1.) Zunächst sind die מועדי יהוהdurch JHWH festgesetzte Zeiten. JHWH selbst designiert die besonderen Tage und gibt damit auch die Struktur des Festkalenders und die Taktung der Festzeiten vor.194 Dieser Zusammenhang ist im Festkalender insofern realisiert, als dieser als Abfolge von Gottesreden gestaltet ist, in denen die konstitutive Festlegung durch die Nennung konkreter Termine bzw. Kalendertage vollzogen wird. Darüber hinaus ist bei den mehrtägigen Festen durch die besondere Betonung einzelner Tage, des ersten und letzten der jeweiligen Festwoche, eine weiterführende Gewichtung generiert. Ein etwas anderer Sachverhalt ist beim ʽomær und beim Wochenfest gegeben, bei denen sich keine exakte Terminangabe (mit Tag und Monat) findet. Der Termin des ʽomær ist gemäß Lev 23,10 mit der (ersten) Ernte im Frühjahr (wohl der Gerstenernte) verbunden, deren erster Ertrag, d.h. die erste abgeschnittene Garbe ()עמר, darzubringen ist – und zwar ‚( ממחרת השבתam Tag nach dem Shabbat‘; Lev 23,11b). Diese Terminierung auf den Tag nach dem Shabbat ist freilich sehr unpräzise und daher auch auf unterschiedliche Weise zu deuten. So kann einmal der Tag nach dem ersten Shabbat nach Erntebeginn gemeint sein. Dies hat zur Folge, dass – anders als bei den übrigen Festen – eine präzise Terminierung nicht nur nicht gegeben, sondern aufgrund der Anbindung an die agrarischen Gegebenheiten, also die klimatischen Umstände, die Wachstumsbedingungen usw. des jeweiligen
191
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 890; JENSON, Graded, 186–187; LEVINE, Leviticus, 154; MILGROM, Leviticus 23–27, 1955. 192 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 890. 193 Der fünfte Beleg ist die Wendung במועדםin Lev 23,4aR. Hier ist das ePP –םauf die heiligen Feiertage in V.4a bezogen, die „zu ihrer festgesetzten Zeit“ ( )במועדםauszurufen sind. 194 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 375; HIEKE, Levitikus 16–27, 890; JENSON, Graded, 187; LEVINE, Leviticus, 154.
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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Jahres auch gar nicht möglich ist: Das ʽomær wird dann dargebracht, wenn die Ernte reif ist…195 Im Kalender des rabbinischen Judentums wird die ʽomær-Gabe hingegen mit dem Mazzotfest verbunden, da hier der in Lev 23,11 genannte Shabbat mit dem ersten Tag von Mazzot, d.h. dem 15. Nissan, identifiziert wird. Dies hat zur Folge, dass das ʽomær am darauffolgenden Tag, dem 16. Nissan (zweiter Mazzot-Tag), dargebracht wird. So ist eine präzise terminliche Festlegung möglich, die allerdings im Umkehrschluss das Fest zumindest ein Stück weit von den agrarischen Zyklen entkoppelt.196
Vom Termin des ʽomær hängt schließlich auch der des Wochenfestes ab, da dieses sieben Wochen – bzw. genauer 7x7+1 Tage – nach dem Darbringen des ʽomær zu begehen ist (vgl. Lev 23,15–16). Somit ist zumindest zwischen ʽomær und Wochenfest ein klar definierter zeitlicher Abstand gegeben, der Termin des Festes aber ist – anhängig von der Deutung von Lev 23,11 – entweder variabel (52–57 Tage nach dem jeweiligen Beginn der Gerstenernte) oder aber exakt 50 Tage nach dem 16. Nissan (d.h. am 6. Siwan).197 Greifbar ist damit, dass die terminliche Fixierung auf unterschiedliche Weise realisiert sein kann – absolut, d.h. durch Anbindung an einen konkreten Termin, oder relativ – letztlich aber allen Festen als ein konstitutives, in der Willenskundgabe JHWHs grundgelegtes Element gemeinsam ist. (2.) Daneben ist die Konstruktusverbindung ‚( מועדי יהוהFestzeiten JHWHs‘) auch in dem Sinne deutbar, dass JHWH gleichsam „Inhalt“ bzw. „Gegenstand“ aller Festzeiten Israels ist: Es handelt sich um Zeiten, zu denen JHWH gefeiert198 bzw. die Gemeinschaft zwischen Israel und JHWH im Vollzug der Feste und ihrer je besonderen Bräuche und Riten konkret und erfahrbar wird. Auf dieser Bedeutungsebene klingt nach, dass das Nomen מועדan den meisten seiner Belegstellen in der Tora in der Verbindung ‚( אהל מועדZelt der Begegnung‘) zu finden ist. Diese ist in der Heiligtumstora, in der sie erstmals belegt ist (vgl. Ex 27,21), wohl vom Verb יעד-ni. (‚sich einfinden, begegnen‘) her zu etymologisieren, so dass das Heiligtum über die Benennung als אהל מועדspeziell als Ort der Begegnung zwischen JHWH und Israel qualifiziert ist.199 Dem entsprechend ist in analoger Weise ein מועד יהוהals fixierte Zeit einer besonderen Begegnung mit JHWH in der Feier des jeweiligen Festes zu bestimmen.
195
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 903–904; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 309–311. Ähnlich WEYDE, Festivals, 81–83. 196 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 904; LEVINE, Leviticus, 158; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 309–310. 197 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 904. 198 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 376; NIHAN, Festival Calendars, 203; DERS., Priestly Torah, 510. 199 Vgl. MILGROM, Leviticus 23–27, 1955.
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Eng mit dem Terminus מועדsind die Stichworte מקראbzw. קראverbunden. So werden im Relativsatz Lev 23,2cPR die ‚( מועדי יהוהFestzeiten JHWHs‘) näher bestimmt durch das Ausrufen ( )קראals מקראי קדש. Im Blick ist damit das Proklamieren eines Festtages durch Israel, das komplementär neben die in der Wendung מועדי יהוהangedeutete Festlegung des besonderen Tages durch JHWH tritt.200 Diesem Ausrufen kommt dabei zunächst die praktische Dimension des öffentlichen Bekanntmachens eines (unmittelbar bevorstehenden) Feiertags zu.201 Zugleich führt die öffentliche Proklamation (performativ) auch die heraushebende Absonderung des Festtages von der profanen Zeit herbei und lässt so die zu Festen für JHWH erklärten Tage zu einem מקרא קדשwerden (vgl. Lev 23,2cPR). Die Konstruktusverbindung מקרא קדש kann wörtlich mit ‚Ausrufen von Heiligkeit‘ übersetzt werden,202 wird vielfach aber auch mit ‚heilige Versammlung; Festversammlung‘ wiedergegeben (so schon LXX, RaMBaM und neuzeitliche Ausleger und Exegeten).203 Hinter dieser Wiedergabe steht die Vorstellung, dass das Proklamieren der Festzeit letztlich auf das Zusammenrufen einer Festgemeinde hin abzielt, so dass מקרא קדשnicht nur als Umschreibung für den Vollzug des Zusammenrufens, sondern auch für die in dessen Folge konstituierte Gemeinschaft gedeutet wird.204 Mit Blick darauf aber, dass in Lev 24,2–4 der Fokus weniger auf der Festgemeinde, sondern eher auf der Strukturierung der Zeit bzw. den unterschiedlichen und unterscheidbaren Qualitäten der Zeit(en) liegt, erscheint es in diesem Kontext als naheliegender, den Schwerpunkt auf das Ausrufen, d.h. auf den Proklamationsakt zu legen, durch den Heiligkeit – heilige Zeit – angekündigt, damit zugleich abgegrenzt und letztendlich konstituiert wird. Somit ist die Wiedergabe der Wendung קרא קדשmit ‚heiliger Feiertag‘ (als Folge des Proklamationsaktes) zu präferieren.205 Lev 23,2 zufolge sind folglich die Festzeiten JHWHs ()מועדי יהוה, d.h. die von JHWH grundlegenden festgesetzten Zeiten, durch Israel als „heilige Feiertage“ ( )מקראי קדשauszurufen. Die Abgrenzung von heiliger und profaner Zeit geschieht also in einem komplementären Handeln JHWHs und Israels, für das der nachfolgende Kalender insofern die Grundlage liefert, als er die von JHWH bestimmten Ter-
200
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 890. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 890; LEVINE, Leviticus, 154; MILGROM, Leviticus 23– 27, 1956–1957; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 302–303. 202 Vgl. GERSTENBERGER, Levitikus, 306–308; JACOB, Pentateuch, 356; JENSON, Graded, 187. 203 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 887. 204 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 375; HIEKE, Levitikus 16–27, 887; MILGROM, Leviticus 23–27, 1956–1957. 205 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 872. 201
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mine anführt und auf diese Weise vorgibt, wann Israel heilige Zeiten zu proklamieren hat.206 In Lev 23,4 wird dieser Gedankengang im Grundsatz wiederholt, wenngleich hier z.T. auch eine etwas andere Akzentsetzung greifbar wird. So schließt in diesem Vers die Wendung ‚( מקראי קדשheilige Feiertage‘) als Apposition unmittelbar an das Stichwort ‚( מועדי יהוהFestzeiten JHWHs‘) an, wodurch nochmals die beiden komplementären Aspekte der heiligen Zeit, das Festsetzen durch JHWH und das Proklamieren (und Heiligen) durch Israel, miteinander korreliert werden. Der anschließende Relativsatz Lev 23,4aR hingegen unterstreicht, dass die heiligen Festzeiten im Ausrufen / Proklamieren ( )קראund dem darin implizierten Ausgrenzen aus der profanen Alltäglichkeit zu generieren sind und verbindet damit eine ergänzende Bestimmung, die in der adverbialen Wendung ‚( במועדםzu ihrer festgesetzten Zeit‘) transportiert wird. Dieser Beleg des Nomens מועדfällt dabei insofern ins Auge, als in diesem Fall – abweichend von dem ansonsten in Lev 23,2.4 anzutreffenden Sprachspiel – nicht von den „Festzeiten JHWHs“ die Rede ist, sondern von den festen (fixierten) Zeiten der Feiertage, die durch JHWH vorgegeben werden und durch Israel im Proklamieren zu realisieren sind. Im Korpus des Festkalenders (Lev 23,5–36) ist die Wendung מקרא קדש (‚heiliger Feiertag‘) im Singular (im Gegenüber zum Plural in Lev 23,2.4.37) insgesamt sieben Mal belegt. Damit entspricht die Anzahl der Belege derjenigen der Feste, wobei die Aufteilung ausdrücklich nicht in der Weise angelegt ist, dass sich bei allen Festen auch je ein Beleg findet. So sind der erste und siebte Tag von Mazzot (vgl. V.7a.8b), das Wochenfest (V.21b), der Tag des Lärmblasens (V.24b), Jom Kippur (V.27a) und der erste und achte Tag von Sukkot (V.35a.36b) als heilige Feiertage bestimmt, während die Formulierung bei Pesach und dem Tag der ʽomær-Gabe fehlt.207 Zusätzlich wird in Lev 23,3b auch der Shabbat als ‚( מקרא קדשheiliger Feiertag‘) definiert. 3. Shabbat (Lev 23,3) 3a 3b 3c 3d
Sechs Tage kannst du Arbeit tun, aber am siebten Tag ist höchster Shabbat ()שבת שבתון, heiliger Feiertag ()מקרא קדש: Jede Arbeit sollt ihr nicht tun. Shabbat ist er für JHWH in all euren Wohnorten. (Lev 23,3)
Umrahmt von den beiden Versen Lev 23,2.4, die als „Überschriften“ für den Festkalender fungieren, rekurriert Lev 23,3 auf den Shabbat, nimmt dazu 206 207
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 890; JENSON, Graded, 187–188. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 890.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
diverse Shabbatvorschriften (v.a. aus dem Exodusbuch) auf und komplettiert – zusammen mit Lev 23,2.4 – die Einleitung zum Festkalender.208 In der Forschung wird Lev 23,3 vielfach als Supplement interpretiert,209 das den Shabbat zu den „übrigen“ Festzeiten, die in Lev 23,5–36 behandelt werden, ergänzt. In der Tat ist – unter einem diachronen Paradigma – zumindest die Annahme, dass in Lev 23,3 eine spätere Ergänzung des Festkalenders gegeben ist, relativ plausibel einsichtig zu machen. Als offenkundigstes Argument kann dabei die auffällige Dopplung der „Überschriften“ in V.2.4 gelten, wobei V.4 als die ältere der beiden anzusehen ist, an die angelehnt – nach der sekundären Voranstellung des Shabbat-Rekurses in V.3 – V.2 als neue Überschrift formuliert wurde.210
Die vielfach vermutete Intention der Fortschreibung, den Shabbat in der Zusammenstellung der übrigen Festzeiten „ergänzen“ und damit den Kalender „komplettieren“ zu wollen, ist allerdings selbst in einem diachronen Paradigma kaum greifbar – und erst recht nicht in einem synchronen. Auffällig ist jedenfalls, dass der Shabbat nicht im Anschluss an V.4 angefügt bzw. angeführt ist, also unter der Überschrift, die eine Darstellung der „Festzeiten JHWHs“ ankündigt, sondern dezidiert vor dieser. Der Shabbat ist also keines der ‚( מועדי יהוהFestzeiten JHWHs‘) – und wird in Lev 23,2–4 auch nicht als ein solches bezeichnet: Im Gegensatz zur Wendung מקרא קדשnämlich fehlt das Stichwort מועדin Lev 23,3 und auch in Lev 23,38 werden die Shabbate den Festzeiten JHWHs (vgl. Lev 23,37) ebenso gegenübergestellt, wie die diversen freiwilligen Opfergaben der Israeliten (V.38) den verpflichtenden Festtagsopfern (V.37).211 Wenn nun also der Shabbat nicht als ein weiteres JHWH-Fest zu der Auflistung ergänzt bzw. als erstes (und damit wichtigstes) den übrigen Festen vorangestellt werden soll, ist zu fragen, worin die eigentliche Pragmatik von Lev 23,3 liegt. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass – unter einem diachronen wie unter einem synchronen Paradigma – in Lev 23,3 nichts im eigentlichen Sinne Neues verhandelt, sondern in der Bezugnahme auf andere (Shabbat-)Texte (vgl. Ex 20,8–11; 31,12–17; 35,1–3) bereits Bekanntes und Gesagtes noch-
208
Vgl. DYMA, Wallfahrt, 75. Zur Diskussion vgl. z.B. HIEKE, Levitikus 16–27, 891–892; LEVINE, Leviticus, 154; MILGROM, Leviticus 23–27, 1954–1955; NIHAN, Festival Calendars, 188; DERS., Priestly Torah, 498; WEYDE, Festivals, 11–12. 210 Vgl. DYMA, Wallfahrt, 76; GRUND, Entstehung, 291–292; HIEKE, Levitikus 16–27, 891; KÖRTING, Schofar, 96–97; NIHAN, Festival Calendars, 188; DERS., Priestly Torah, 498; WEYDE, Festivals, 11–12; 13–15. 211 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 891; NIHAN, Festival Calendars, 202. Gegen z.B. WEYDE, Festivals, 12–13. 209
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B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
mals in einem neuen Kontext eingeblendet wird.212 So nimmt Lev 23,3ab als wesentliche Referenztexte zunächst Ex 31,15ab; 35,2ab auf.213 Lev 23,3ab
ששת ימים תעשה מלאכה וביום השביעי שבת שבתון מקרא קדש
Ex 31,15ab
ששת ימים יעשה מלאכה וביום השביעי שבת שבתון קדש ליהוה
Ex 35,2
ששת ימים תעשה מלאכה וביום השביעי יהיה לכם קדש שבת שבתון ליהוה
Der deutlichste Unterschied zwischen Lev 23,3 einerseits und Ex 31,15; 35,2 andererseits liegt dabei darin, dass die Qualifizierung des Shabbat als „heilig für JHWH” ( ;קדש ליהוהEx 31,15b; vgl. auch Ex 35,2b) in Lev 23,3 fehlt und sich stattdessen die Wendung ‚( מקרא קדשheiliger Feiertag‘) findet, die an die Rede von den ‚( מקראי קדשheilige Feiertage‘) in Lev 23,2.4 anschließt. Des Weiteren steht an der Stelle der in Ex 31,15c; 35,2c belegten Todesdrohung für jeden, der am Shabbat Arbeit verrichtet und ihn so profaniert, in Lev 23,3c der Prohibitiv ‚( כל־מלאכה לא תעשוjede Arbeit sollt ihr nicht tun‘), der von der Formulierung her an Ex 20,10b anschließt. Im Kontext dieses Verses findet sich des Weiteren die Unterscheidung zwischen den sechs Arbeitstagen der Woche und dem Shabbat (vgl. Ex 20,9–10), die in Lev 23,3ab – angelehnt an Ex 31,15; 35,2 – ebenfalls aufgenommen ist.214 Lev 23,3
Ex 20,9–10
3a
ששת ימים תעשה מלאכה
ששת ימים תעבד ועשית כל מלאכתך
3b 3c
וביום השביעי שבת שבתון מקרא קדש כל מלאכה לא תעשו
ויום השביעי שבת ליהוה אלהיך לא תעשה כל מלאכה אתה ובנך ובתך עבדך ואמתך ובהמתך וגרך אשר בשעריך
3d
שבת הוא ליהוה בכל מושבתיכם
9a 10a 10b 10bR
Die Wendung ‚( בכל מושבתיכםin all euren Wohnorten‘) in Lev 23,3d schließlich ist auch in Ex 35,3 im Zusammenhang mit dem Verbot, am Shabbat Feuer zu entzünden, belegt. Lev 23,3 nimmt somit wesentliche Texte der Shabbat-Gesetzgebung der Sinaitora (v.a. Ex 20,8–11; 31,12–17; 35,1–3) auf bzw. spielt zentrale Formulierungen der Shabbatvorschriften ein, lässt zugleich aber auch eine eigene Akzent- und Schwerpunktsetzung erkennen. Diese wird vor allem in dem Stichwort מקרא קדשin Lev 23,3b greifbar, das in keinem anderen der angesprochenen Shabbattexte belegt ist, dafür jedoch das einzige Stichwort darstellt, das Lev 23,2.4 einerseits und Lev 23,3 andererseits ge212
Vgl. ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 159; GERSTENBERGER, Leviticus, 311–312. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 892; WEYDE, Festivals, 18. 214 Daneben erinnert Lev 23,3c auch an den Vers Ex 12,16, der das Arbeitsverbot dem ersten und siebten Tag des Mazzotfestes formuliert. 213
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
meinsam ist.215 So kann es im Kontext des Festkalenders die wesentliche Gemeinsamkeit zwischen den sieben in Lev 23,5–36 vorgestellten Jahresfesten und dem Shabbat herausstellen: Sie alle sind „heilige Feiertage“, wobei das in der Tora bislang nicht belegte Qualifizieren des Shabbat als מקרא קדש wohl v.a. mit der Pragmatik verbunden ist, über den Rekurs auf den Shabbat und mit Blick auf die Feste zu bestimmen, wodurch sich ein heiliger Feiertag auszeichnet bzw. worin er sich vom profanen Alltag unterscheidet.216 Dabei wird in Lev 23,3 – im Rückgriff auf die Hypotexte Ex 31,15; 35,3 (und Ex 20,9–10) – v.a. die Idee der Unterscheidung zwischen den sechs Tagen der Woche und dem Shabbat über das Verrichten bzw. Unterlassen von Arbeit aufgenommen. Die Heiligkeit des Shabbat manifestiert sich in der durch die Ruhe gegebenen Abhebung von den übrigen sechs Tagen, an denen gearbeitet werden kann, während umgekehrt ein Arbeiten am Shabbat als Profanieren der heiligen Zeit qualifiziert (vgl. Ex 31,14) und mit der entsprechenden Strafandrohung belegt wird (vgl. Ex 31,15c; 35,2c). Dieses unterscheidende Moment jedoch, das Unterlassen der Arbeit, die an den sechs Tagen der Woche, d.h. während der profanen Zeit, verrichtet wird, kann nun von Lev 23,3 aus – angesichts des Umstandes, dass in diesem Vers auch der Shabbat als מקרא קדשbestimmt wird – generell als Spezifikum der „heiligen Feiertage“ bestimmt bzw. als Eigentümlichkeit des Shabbat analog auch auf die Festzeiten übertragen werden.217 Damit korrespondiert, dass das in Lev 23,3c formulierte Verbot jeder Arbeit am Shabbat (als )מקרא קדשauch in den Vorschriften des Festkalenders seinen Nachhall findet. So ist in Lev 23,7b.8c.21c.25a.35b.36e jeweils die Formulierung כל־מלאכת עבודה לא תעשוbelegt, die erkennbar Lev 23,3c (כל־ )מלאכה לא תעשוaufnimmt, zugleich aber gegenüber Lev 23,3c das Stichwort עבודהergänzt, das insofern eine Einschränkung impliziert, als an den Feiertagen nicht ausnahmslos jede Form von Arbeit kategorisch untersagt ist, sondern „nur“ jede „Dienstarbeit“‘ ()מלאכת עבודה, also die harte, berufliche Arbeit, die mit der Heiligkeit des Festtages unvereinbar wäre.218 Abgesehen davon lässt das Verbot Raum für Verrichtungen wie das Zubereiten von Essen, die nach dem strikten Arbeitsverbot des Shabbats unter die verbotenen Tätigkeiten fallen, an den Feiertagen hingegen wohl grundsätzlich erlaubt sind. Dies kann durch die Beobachtung gestützt werden, dass in Lev 23,7b, d.h. beim ersten Beleg des Satzes כל־מלאכת עבודה לא תעשו, deutlich der Vers Ex 12,16 eingespielt wird. In diesem ist das Zubereiten von Essen ganz ausdrücklich von dem in Ex 12,16c formulierten Arbeitsverbot für den ersten 215
Vgl. MILGOM, Leviticus 23–27, 1953. Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 302–303. 217 Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 312; HIEKE, Levitikus 16–27, 892; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 302–303. 218 Vgl. MILGROM, עבדה, 38–39. 216
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Tag von Mazzot ausgenommen (vgl. Ex 12,16d–dR), was in analoger Weise auch für Lev 23,7 (und die übrigen Belege der Formulierung in Lev 23) anzunehmen ist.219 Auffällig ist weiterhin, dass nahezu allen angesprochenen Belegen der Formulierung des Arbeitsverbots die Qualifizierung des jeweiligen Festtages als ‚( מקרא קדשheiliger Feiertag‘) unmittelbar vorangeht (vgl. Lev 23,7.8bc. 21bc.24b–25a.34b–35a), wodurch allein schon durch die Anordnung im Text der sachliche Zusammenhang zwischen der Heiligkeit des Tages und dem (relativen) Arbeitsverbot greifbar wird.220 Eine andere Anordnung ist lediglich in Lev 23,36 (achter Sukkot-Tag) sowie in Lev 23,27–28.31 (Jom Kippur) gegeben, wobei der Jom Kippur sich auch insofern von den übrigen Festen abhebt, als sich in Lev 23,18a.31a dieselbe Formulierung findet wie in Lev 23,3c ()כל־מלאכה לא תעשו, so dass nur an diesem Festtag das für den Shabbat eigentümliche striktere Arbeitsverbot gilt.221 Damit kongruiert, dass der Jom Kippur in Lev 23,32a – ebenso wie der Shabbat (vgl. Lev 23,3b) – als ‚( שבת שבתוןhöchster Shabbat‘) qualifiziert wird und damit hinsichtlich seines Status unter allen Festen am Weitestgehenden dem Shabbat vergleichbar erscheint.222 Ausgehend von den soeben skizzierten Beobachtungen kann die Pragmatik des Shabbatrekurses in Lev 23,3 dahingehend bestimmt werden, dass er eine grundsätzliche „Shabbatförmigkeit“ der Jahresfeste andeuten soll, wobei die Analogie zum Shabbat zunächst in der Arbeitsruhe bzw. in der durch diese gesetzten Unterscheidung des proklamierten heiligen Feiertags von der profanen, alltäglichen Zeit gegeben ist.223 Im Shabbat manifestiert sich also gleichsam die „Grundidee“ eines heiligen Feiertags, die sich dann aber auch in den Festzeiten widerspiegelt.224 Andererseits jedoch ist durch die leicht unterschiedliche Konzeptionierung des Arbeitsverbots am Shabbat einerseits und den Festen andererseits (mit einem Sonderstatus des Jom Kippur) auch ein differenzierendes Moment zwischen Shabbat und Fest gesetzt. Dieses wird schließlich auch in Lev 23,37–38 greifbar, wenn dort die Feste JHWHs ( מועדי
219 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 885–886; JACOB, Pentateuch, 357; WEYDE, Festivals, 23–27. 220 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 885–886. 221 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 885–886; JACOB, Pentateuch, 357; WEYDE, Festivals, 96–98. 222 Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 312; GRUND, Entstehung, 292–293; HIEKE, Levitikus 16–27, 886. Vgl. aber auch die Einstufung des ersten und achten Sukkot–Tages als שבתוןin Lev 23,39bc. 223 Vgl. GRUND, Entstehung, 294; KÖRTING, Schofar, 105; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 93; 302–303; 321–323; 366–368; WENHAM, Leviticus, 301. 224 Vgl. GORMAN, Ideology, 222–223; JACOB, Pentateuch, 356; JENSON, Graded, 187– 188; ACHENBACH, Heiligkeitsgesetz, 92–93; 168–169.
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;יהוהvgl. V.38) als Größe eigener Art den Shabbaten ( ;שבתתvgl. V.37) gegenübergestellt werden.225 Die angedeutete „Shabbatförmigkeit“ ist im Festkalender allerdings auch noch auf eine wesentlich grundsätzlichere Weise in der Dominanz der Zahl sieben greifbar: Es sind sieben Jahresfeste beschrieben, unter denen Mazzot und Sukkot je siebentägig angelegt sind. Beim Wochenfest hingegen schlägt sich die ‚sieben‘ in der Festlegung des Festtermins nieder, wenn es sieben Shabbate (vgl. Lev 23,15), d.h. sieben Wochen (sieben mal sieben Tage) nach der Darbringung des ʽomær stattfindet. Des Weiteren ist eine deutliche Gewichtung des siebten Monats erkennbar, in dem mit dem Tag des Lärmblasens, Jom Kippur und Sukkot allein drei der sieben Feste liegen.226 Zuletzt jedoch manifestiert sich die Siebenzahl in der formalen Gestaltung des Textes, wenn sich die Qualifizierung eines Festtages als ( מקרא קדשüber den Shabbat-Verse Lev 23,3 hinaus) ebenso insgesamt sieben Mal in Lev 23,5–36 findet, wie der Rekurs auf die Darbringung einer Feuergabe ( )אשהfür JHWH am Festtag (vgl. Lev 23,8a.13a.18c.25b.27d.36a.c). Letzteres, das Darbringen einer Feuergabe ( )אשהfür JHWH, wird für den ersten Tag von Mazzot (V.8), den Tag der ʽomær-Gabe (V.13), das Wochenfest (V.18), den Tag des Lärmblasens (V.25), Jom Kippur (V.27) sowie für den ersten Tag von Sukkot (V.36a) und für Azeret (V.36b) angeordnet, wobei bei den ersten Tagen von Mazzot und Sukkot (V.8a.36a) jeweils der Hinweis gegeben ist, dass an den verbleibenden Tagen der Festwoche dieselben Opfer darzubringen sind, wie an den jeweiligen Eröffnungstagen. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Darbringen besonderer (kommunaler) Opfer als ein wesentliches Spezifikum der Jahresfeste,227 das allerdings in der Eröffnung des Festkalenders, Lev 23,2–4, nicht angesprochen wird, in Lev 23 folglich auch nicht mit dem Shabbat verbunden wird und somit Fest und Shabbat unterscheidet. Dafür wird es im Rahmenschluss (Lev 23,37–38) thematisiert,228 auf den im Folgenden einzugehen ist. 4. Der Rahmenschluss Lev 23,37–38 37a 37aR 37aRI 37b 38v 225
Dies sind die Festzeiten für JHWH ()מועדי יהוה, die ihr ausrufen ( )קראsollt als heilige Feiertage ()מקראי קדש, eine Feuergabe darzubringen für JHWH: Brandopfer und Speiseopfer, Heilsgemeinschaftsopfer und Trankopfer, die Vorgabe für einen Tag an ihrem Tag, zusätzlich zu den Shabbaten JHWHs
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 871; NIHAN, Festival Calendars, 202. Vgl. GORMAN, Ideology, 223; GRUND, Entstehung, 294–295; JACOB, Pentateuch, 357; KÖRTING, Schofar, 101; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 92–93; WENHAM, Leviticus, 301. 227 Vgl. JENSON, Graded, 188(–189); KÖRTING, Schofar, 98–100; MILGROM, Leviticus 23–27, 1957; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 303. 228 Vgl. JACOB Pentateuch, 357. 226
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38vR
und zusätzlich zu euren Geschenkgaben und zusätzlich zu all euren Gelübden und zusätzlich zu all euren freiwilligen Gaben, die ihr an JHWH übergebt. (Lev 23,37–38)
In Lev 23,37–38 nimmt der Infinitiv ‚( להקריב אשה ליהוהeine Feuergabe für JHWH darzubringen‘; V.37aRI) die in Lev 23,8.25.27.36c belegte Formulierung ‚( והקרבתם אשה ליהוהund ihr sollt eine Feuergabe für JHWH darbringen‘) auf und verbindet zugleich die grundlegende Forderung, Festtagsopfer darzubringen, mit der Aufzählung von vier Opferformen – „Brandopfer und Speiseopfer, Heilsgemeinschaftsopfer und Trankopfer“ ()עלה ומנחה זבח ונסכים. Diese werden in Lev 23,8.25.27.36 nicht genannt; der Text formuliert an diesen Stellen lediglich den allgemeinen Appell, eine Feuergabe darzubringen, ohne weiterführende Informationen dazu zu geben.229 Eine exakte Aufstellung, um welche Gaben (und Darbringungsformen) es sich im Einzelnen handelt, bietet erst der Opferkalender in Num 28–29, der sich darin als Ergänzung und Entfaltung des Festkalenders Lev 23 profiliert, während umgekehrt Lev 23,37 über die summarische Nennung der Opferarten als eine Art Vorverweis auf Num 28–29 gelesen werden kann.230 In den Abschnitten zum Tag der ʽomær-Gabe und zum Wochenfest allerdings werden die geforderten Festtagsopfer genauer definiert, also hinsichtlich Art und Menge der Opfertiere und Begleitopfer sowie hinsichtlich der Opferart spezifiziert (vgl. Lev 23,12–13.18–19). In diesem Zusammenhang findet sich zwar nicht die (in den übrigen Abschnitten allgemein gehaltene) Aufforderung והקרבתם אשה ‚( ליהוהihr sollt eine Feuergabe für JHWH darbringen‘), dafür aber jeweils eine Qualifizierung der Gaben als ( אשה ליהוהLev 23,13a.18a).231 Vor allem von Lev 23,37(–38) her wird somit das Darbringen einer Feuergabe für JHWH, das bei (nahezu) allen Festen (mit Ausnahme von Pesach) gefordert ist – und damit die kultische Interaktion und Kommunikation mit JHWH – als das zweite bestimmende Charakteristikum der ‚( מועדי יהוהFestzeiten für JHWH‘) neben der „shabbatförmigen“ Arbeitsruhe und Heiligkeit bestimmt.232 Das Fest ist der Zeitpunkt einer besonderen Gottesbegegnung (ganz) Israels.233 Angesichts dessen erscheint es als stimmig, dass Lev 23,38 – neben den in Lev 23,37 nochmals (zusammenfassend) angesprochenen Festtagsopfern – weitere, freiwillige Gaben der Israeliten erwähnt, für deren Darbringung die
229
Vgl. KÖRTING, Schofar, 100–101. Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 321; HIEKE, Levitikus 16–27, 925–926. 231 Vgl. WEYDE, Festivals, 83–84. 232 Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 321; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 302–303. 233 Vgl. MILGROM, Leviticus 23–27, 2033. 230
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Feste ebenfalls einen möglichen und geeigneten Rahmen bieten.234 Zugleich werden diese individuellen und freiwilligen Gaben hinsichtlich ihres Status deutlich von den verpflichtenden, kommunalen Festtagsopfern differenziert und diesen als eine eigene Kategorie kultischer Vollzüge gegenübergestellt.235 Wie oben bereits angedeutet, ist diese Differenzierung zwischen individuellen (freiwilligen) und kommunalen (verpflichtenden) Opfern in Lev 23,37–38 mit einer analogen Gegenüberstellung von Shabbaten und Festtagen koordiniert. Auf diese Weise wird im Rahmen(schluss) auch eine Verbindung zwischen den heiligen Zeiten, Festtagen und Shabbaten, und einem heiligen Ort, dem Heiligtum, in dem die Opfer darzubringen sind, deutlich, die in ähnlicher Weise auch im Festkalender selbst greifbar wird: Das Proklamieren der Festzeiten als heilige Feiertage hat auch eine Orientierung Israels hin auf das Heiligtum bzw. den Altar als Ort der Festtagsopfer zur Folge bzw. zielt auf eine solche ab – und zwar unabhängig davon, ob sich tatsächlich ganz Israel zur Feier am Heiligtum versammelt.236 So ist das Volk allein schon durch die Ausführung der verpflichtenden Festtagsopfer, die ja letztlich im Namen (ganz) Israels darzubringen sind, in seiner Gesamtheit symbolisch repräsentiert. Der darin manifestierten zentripetalen Kraft, die die Festtage entfalten und die ihnen v.a. über die Opfer eigentümlich ist, stellt der Festkalender allerdings auch zentrifugale Aspekte entgegen, die einen Vollzug der heiligen Zeit und ihrer Feier (auch) abseits des heiligen Ortes befördern.237 Diese Dynamik wird bereits in Lev 23,3d durch mit der Formulierung בכל ‚( מושבתיכםin all euren Wohnorten‘) greifbar, mit der der Shabbatrekurs endet. Wie oben bereits aufgezeigt, ist diese aus Ex 35,3 eingespielt, wo sie deutlich macht, dass das Halten des Shabbat (z.B. im Vermeiden von Feuermachen und sonstiger Arbeit; vgl. Ex 35,3) in allen Wohnorten Israels möglich und somit dezidiert von einem (kultischen) Vollzug am Heiligtum „entkoppelt“ ist.238 Dies wird in Lev 23 insofern verstärkt als hier für den Shabbat – im Unterschied zu den Festen – keine speziellen Feiertagsopfer vorgesehen sind (anders in Num 28,9–10!), die eine Rückbindung an das Heiligtum bedingen würden.239 Über Lev 23,3 hinaus aber werden die מושבת, die Wohnstätten Israels, auch in Lev 23,14.17.21 in den Abschnitten zur ʽomærGabe und zum Wochenfest erwähnt, wobei nochmals die beiden gegenläufigen Dynamiken greifbar werden. So findet sich in Lev 23,17 die Aufforde234
Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 304. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 926; MILGROM, Leviticus 23–27, 2095. 236 Anders als in Ex 23; 34 findet sich kein Hinweis auf eine (verpflichtende) Wallfahrt zu den drei großen Festen. Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 319. 237 Vgl. dazu auch HIEKE, Levitikus 16–27, 928–929; WEYDE, Festivals, 131–142. 238 Vgl. BUDD, Leviticus, 319; HIEKE, Levitikus 16–27, 896. WEYDE (Festivals, 16–17) verbindet die in V.3.14.17.21.31 angesprochenen „Wohnstätten“ Israels mit der (babylonischen) Diaspora. 239 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 892–893. 235
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rung, die beiden Brote des Wochenfestes als „neue minḥā“ „aus den Wohnstätten“ ( )ממושבתיכםherbeizubringen, um (im Heiligtum) symbolisch den ersten Ernteertrag (ganz) Israels zu repräsentieren.240 Es ist also eine Bewegung von der Peripherie zum Zentrum vorgezeichnet, in der zugleich die Verbindung von Fest und Heiligtum manifest wird. Eine interessante Zuspitzung zeigt sich allerdings insofern, als die vergleichsweise kleine Menge Brot sicher keine aufwendige Kollekte erfordert, an der tatsächlich ganz Israel aus seinen Wohnstätten heraus einen Beitrag leisten muss. Nichts desto Trotz soll die Gabe den Ernteertrag des gesamten Volkes abbilden, womit die deutlich ausgestaltete Zentripetalität eine Brechung erfährt.241 Umgekehrt jedoch wird in Lev 23,14.21.31 über die Formulierung בכל ‚( מושבתיכםin all euren Wohnstätten‘) der Fokus vom Zentrum weg und hin zur Peripherie gelenkt. In Lev 23,14 findet sich die Anweisung, in allen Wohnstädten so lange nicht von der neuen Ernte zu essen, bis die ʽomærGabe im Heiligtum dargebracht ist, so dass hier zunächst eine Korrespondenz und Interdependenz von alltäglichen Lebensvollzügen (Zubereiten und Verzehr von Lebensmitteln) und den Kultvollzügen im Heiligtum hergestellt ist.242 Noch weitergehender qualifiziert Lev 23,21 die Anweisung, das Wochenfest als heiligen Feiertag ( )מקרא קדשzu proklamieren und entsprechend keine Dienstarbeit zu verrichten, als dauerhafte Satzung in allen Wohnstätten und für alle Generationen. Hier wird – neben der in der Formulierung לדרתיכם (‚für eure Generationen‘) angedeuteten zeitlichen Entgrenzung – über die Wendung ‚( בכל מושבתיכםin all euren Wohnstätten‘) eine potenzielle Ablösbarkeit des Festes vom Ort des Heiligtums angedeutet, die sich darauf stützt, dass die für den heiligen Feiertag konstitutive Arbeitsruhe auch abseits des Heiligtums praktiziert werden kann und soll.243 In Lev 23,31 schließlich werden in ähnlicher Weise die Arbeitsruhe und das „Erniedrigen der næfæš“ (vgl. V.32) als zentrale Vollzüge und Eigenheiten des Versöhnungstages markiert, die auch abseits des Heiligtums vollzogen werden können und sollen.244 Und schließlich sind auch die in Lev 23,7.39–43 beschriebenen Festbräuche von Mazzot und Sukkot, das siebentägige Essen ungesäuerter Brote (V.7), sowie der Feststrauß bzw. das Wohnen in Hütten an Sukkot (V.39–43) ausdrücklich überall praktikabel, so dass auch hier ein Nachvollziehen der heiligen Zeiten von der Präsenz am heiligen Ort entkoppelt ist.245 An diesen Beobachtungen kann nun das zentrale Anliegen des Festkalenders präziser gefasst werden: Es geht darum, eine Strukturierung der Zeit bzw. genauer des grundsätzlich durch agrarische und natürliche Rhythmen 240
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 903. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 904. 242 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 905. 243 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 913; KÖRTING, Schofar, 101; JOOSTEN, People, 162. 244 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 922. 245 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 931–933. 241
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vorgegebenen Jahres durch den Wechsel von heiligen Feiertagen bzw. Festzeiten für JHWH und profaner Zeit zu generieren. Dazu legt Lev 23 den Shabbat-Rhythmus zugrunde und differenziert ihn in Richtung eines Jahreskreises aus, der sich als ein übergreifendes „Ordnungsmuster“ über die basale Wocheneinteilung legt. Die von JHWH vorgegebene und durch Israel im Proklamieren der Festzeiten zu implementierende Strukturierung der Zeit aber soll die Daseinsgestaltung Israels in seiner Gesamtheit prägen. Daher ist sie nicht nur im zentralen Heiligtum als Rhythmus des Kultes, sondern v.a. auch in allen Wohnstätten als Lebensrhythmus der sozialen und religiösen Größe „Israel“ zu realisieren, was durch spezifische, nicht an das Heiligtum gebundene Festbräuche ebenso befördert wird, wie durch die Arbeitsruhe als ortsungebundenen „Modus“ des Heiligens von Zeit. Interessant ist dabei, dass v.a. durch die Festtagsopfer auch eine Verschränkung zwischen der Strukturierung der Zeit und dem Konzept eines heiligen Ortes gegeben ist, da die Feste Israel einerseits auf Heiligtum und Altar als räumliches Zentrum hin ausrichten und andererseits vom Zentrum her in die Peripherie hinein wirken. Die Feste gehen somit nicht im Darbringen der Opfer auf, sondern kennen als wichtiges Spezifikum auch die shabbatförmige Arbeitsruhe sowie die jeweiligen Festbräuche, was zuletzt zur Folge hat, dass der Kalender und die in ihm angelegte Konzeption von Fest bzw. heiliger Zeit selbst unter den Bedingungen und Umständen einer tempellosen Zeit applikabel bleiben.246 Über das in Lev 23 bestimmende Thema der Zeit und ihrer Strukturierung, das – wenngleich im Detail auch in unterschiedlicher Weise – in Lev 24,1–9 ebenso von Bedeutung ist, ist nun eine deutliche Verbindung zwischen den beiden aufeinander folgenden Perikopen, Lev 23,1–44 und Lev 24,1–9, greifbar, von der ausgehend eine weiterführende Interpretation der beiden TamidAbschnitte in Lev 24 möglich ist. 5. Israels Zeit(en) in Lev 24,1–9 und Lev 23,1–44 Sucht man nach (signifikanten) Stichwortbezügen oder verbindenden Leitwörtern zwischen dem Festkalender in Lev 23,1–44 und den beiden TamidAbschnitten in Lev 24,1–9, so wird man interessanterweise kaum fündig werden. So ist den beiden aufeinander folgenden Texten über (eher allgemeine) „Zeitbegriffe“ wie ‚Shabbat‘ (vgl. Lev 23,3 [u.a.]; 24,8) bzw. ‚Tag‘ (;יום vgl. Lev 23,3.6.7[u.a.]; 24,8) oder die qualifizierende Wendung אשה ליהוה (‚Feuergabe für JHWH‘; vgl. Lev 23,8.13.18[u.a.]; Lev 24,7.9) hinaus kaum ein zentrales, bedeutungstragendes Stichwort gemeinsam. Entsprechend wird der Zusammenhang zwischen den Perikopen v.a. durch ihr Nacheinander in der Komposition des Levitikusbuchs hergestellt und durch die formale Gestaltung von Lev 24,1–9 als JHWH-Rede mit Rede- und Weitergabeformel 246
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 929.
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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(Lev 24,1–2a) – in Analogie zu den fünf in gleicher Weise eingeleiteten JHWH-Reden des Festkalenders – zusätzlich untermauert. Ein wirklich signifikantes Indiz dafür, Lev 23 und Lev 24,1–9 aufeinander zu beziehen und miteinander (als Sinneinheit) zu lesen, ist demnach in erster Linie durch die beide Texte verbindende Thematik gegeben, die freilich aus je unterschiedlicher Perspektive behandelt wird. So stehen jeweils Zeit bzw. Zeitrhythmen sowie deren aktive (Aus-)Gestaltung im kultischen Handeln Israels im Fokus,247 wobei im Detail zunächst auch hier die Unterschiedlichkeit der Blickwinkel und Akzentsetzungen stärker in den Vordergrund zu treten scheint. Bei genauerem Hinsehen jedoch werden auch Konvergenzen deutlich. So erweist sich im Fall des Festkalenders das Jahr als die wesentliche zeitliche Referenzgröße, auch wenn dieses als Einheit von zwölf Monaten bzw. 354 oder 365 Tagen für sich genommen gar nicht angesprochen wird. Stattdessen ist zunächst von Festtagen und -zeiten die Rede, die jeweils zu ihren festgelegten Terminen zu begehen sind. Diese Terminierungen jedoch implizieren einen jährlichen Rhythmus, der zumindest ansatzweise – z.B. über die Erntefeste im Frühsommer (ʽomær-Gabe und Wochenfest) und Herbst (Sukkot) – mit dem agrarischen Jahr bzw. den natürlichen Vegetationszyklen korreliert wird und so letztendlich das (astronomische bzw. agrarische) Jahr als eine durch die heiligen Feiertage strukturierte und konturierte Einheit der Zeit in den Blick kommen lässt. Dabei ist u.a. auch an Gen 1,14 zu denken. In diesem Vers werden Sonne und Mond als Taktgeber profiliert bzw. als Zeichen für ‚( מועדיםFestzeiten‘), [‚( ימיםbesondere] Tage‘) oder ‚( שניםJahre‘) eingeführt, wobei der Lauf der Gestirne zunächst die Größen „Monat“ und „Jahr“ vorgibt und damit Zeit in längere Perioden mit fixierbarer Taktung einteilbar macht. Zugleich wird es durch die vorgegebene (Jahres- und) Monatseinteilung auch möglich, bestimmte Termine für Festzeiten zu bestimmen bzw. zu „errechnen“. Dem „Jahres-Kalender“ von Lev 23 stehen nun in Lev 24,1–9 kleinere Zeitrhythmen gegenüber,248 wenn Lev 24,2–4 zunächst auf den Tag fokussiert, diesen allerdings in sehr eigenwilliger Weise fasst. Bestimmend ist dabei die Interpretation der als ‚( מאורLeuchte‘; vgl. Lev 24,2; Ex 27,20) qualifizierten Menora als ein Taktgeber im Heiligtum, der über das allabendliche Entzünden und Brennen-Lassen bis zum Morgen – in Variation der in der Schöpfung vorgegebenen Taktung – die Zeitspannes eines (24h-)Tages als Abfolge von „natürlichem“ (Sonnen-) Licht ( )אורund dem künstlichem Licht der ‚( נרתLampen‘) ausgestaltet. Die Artifizialität des Lichts der im allabendlichen Kultvollzug von Aaron entzündeten נרתaber ist insofern wesentlich, als sie verdeutlicht, dass die durch die Menora ermöglichte Wahrnehmung der Zeit in entscheidender Weise auch durch die Interaktion Israels mit JHWH im Kult geprägt ist. Immerhin nämlich wird im Entzünden des Leuchters die Ausrichtung des durch Aaron 247
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 939; MILGROM, Leviticus 23–27, 2081–2082; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 298. 248 Vgl. RUWE, Heiligkeitsgesetz, 298.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
vor JHWH in Erinnerung gerufenen Israel auf die Weisung JHWHs hin und damit gleichsam die Grundlage der kollektiven Identität Israels symbolisch dargestellt. Dies wiederum bestimmt sowohl die spezifische Wahrnehmung als auch die qualitative Füllung der Zeit Israels (mit der Grundeinheit des Tages), die durch den Leuchter im Heiligtum getaktet und angezeigt wird.
Neben den Tag tritt in Lev 24,5–9 der Shabbat, mit dem das in Lev 24,5–9 thematisierte Auflegen der zwölf ḥallōt auf den Goldenen Tisch im Heiligtum verbunden ist. Dabei stellt die Verbindung dieses Rituals mit dem Shabbat zunächst einen Bezug zum Shabbatrekurs in der Einleitung des Festkalenders (Lev 23,3) her. Lev 23,3 betont – eingefasst von Lev 24,2.4 –, dass der Shabbat als arbeitsfreier und dadurch vom profanen Alltag unterschiedener, „heiliger Feiertag“ ( )מקרא קדשgleichsam das Modell abgibt, dem die Feste des Jahreskreises – auch sie sind heilige Feiertage – grundlegend folgen bzw. nachgestaltet sind. Das zweite Charakteristikum eines Festtages neben Heiligkeit bzw. Arbeitsruhe aber ist die spezifische „Feuergabe für JHWH“ ( אשה )ליהוה, d.h. das Festtagsopfer. Ein solches jedoch fehlt in Lev 23 für den Shabbat, wird allerdings – so man Lev 23 und Lev 24,1–9 im Zusammenhang liest – in Lev 24,7 gleichsam „nachgetragen“. Immerhin wird in diesem Vers die auf das Abnehmen der („alten“) Brote am Shabbat folgende Darbringung des Weihrauchs dezidiert als ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) qualifiziert. Somit wird in Lev 24,5–9 nicht nur ein spezifischer Kultvollzug für den Shabbat eingeführt, sondern zugleich auch eine für den Shabbat eigentümliche Feuergabe – im Gegenüber zu den Feuergaben der Festtage – profiliert,249 die sich freilich deutlich von den an den Festtagen üblichen Opfern unterscheidet und so auch den Sondercharakter des Shabbat betont herausstellen kann. Zugleich finden sich in Lev 24,7–9 – und damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Stilisierung des Dienstes am Tisch als spezifischen Kultvollzug für den Shabbat – in Form der beiden Stichworte ‚( שבתShabbat‘) und ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) genau die beiden bedeutungstragenden Begriffe, die Lev 23,1–44 einerseits und Lev 24,1–9 andererseits gemeinsam sind und die daher am Ehesten einen Stichwortbezug zwischen den Perikopen anzeigen können. Diese unterstreichen einen Zusammenhang v.a. zwischen Lev 23,3 und Lev 24,5–9, der diese Verse beinahe wie einen „Rahmen“ erscheinen lassen kann, der Lev 23,1–44 und Lev 24,1–9 verklammert und als eine Sinneinheit verstehbar macht. Mit dem Fokussieren auf den Shabbat in Lev 24,8 als Tag des Auflegens der Brote geht in Lev 24,5–9 zugleich eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Shabbat als herausgehobenem, heiligen Tag einerseits und der Woche andererseits einher. Immerhin nämlich sind dadurch, dass die an jedem Shabbat neu aufgelegten ḥallōt jeweils bis zum nächsten Shabbat als Israelreprä249
Vgl. LEVINE, Leviticus, 262.
B. Leuchter und Tisch (Lev 24,1–9)
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sentation vor JHWH auf dem Goldenen Tisch verbleiben und so ihre eigentliche Funktion erfüllen bzw. ihre eigentliche Symbolik zur Geltung bringen, auch die „übrigen“ sechs Tage der Woche implizit in der Beschreibung des Rituals präsent – und zwar in solcher Weise, dass sie in der Darstellung ganz von dem jeden Shabbat wiederholten Vollzug her bestimmt und so auf den Shabbat hin fokussiert werden. Damit fällt auf, dass die Woche in Lev 24,5–9 in vergleichbarer Weise implizit (!) von ihrem heiligen Feiertag her in den Blick kommt, wie das Jahr in Lev 23, das ja ebenfalls nur „hinter“ den vorgestellten Festzeiten greifbar wird. Beide Zeitspannen, Woche wie Jahr, sind durch einen strukturierten Wechsel von heiligen und profanen Tagen bestimmt, wobei das Augenmerk der Texte jeweils auf den „besonderen Zeiten“, den heiligen Feiertagen liegt, die – sei es im Halten des Shabbat als Bundeszeichen, in der Bundeserinnerung im Auflegen der Brote oder im Vollzug der Festbräuche und Festtagsopfer – „Raum“ dafür schaffen, die Beziehung zwischen Israel und JHWH zu realisieren und mit Leben zu füllen. Wenn nun die Abschnitte Lev 23,1–44; 24,5–9 die Strukturierung und Ausgestaltung der Zeit vor allem vom festgelegten Wechsel von heilig und profan her vornehmen, hebt sich Lev 24,2–4 mit seinem Fokus auf dem allabendlichen Kultvollzug am Leuchter, über den letztlich die Größe des Tages näher bestimmt wird, in auffälliger Weise ab. So gestaltet der Dienst an der Menora den Kult, der den Lauf der Zeit begleitet und nachvollzieht, in solcher Weise, dass er zum Ausdruck einer Israel-Identität werden und die grundlegende Dynamik der Beziehung zwischen Israel und JHWH abbilden kann. Dieses mit dem elementaren Wechsel von Tag und Nacht verbundene Moment aber erweist sich als wesentlich grundlegender als der Wechsel von heiligen und profanen Tagen bzw. transzendiert diesen und macht die im (kultischen) Handeln strukturierte Zeit „an sich“ zum basalen „Erfahrungsraum“ der Gottesbeziehung Israels bzw. der Israelbeziehung JHWHs.250 Somit kommt dem Tag als „Grundeinheit“ der (im kultischen Handeln gestalteten und strukturierten) Zeit selbst eine zentrale Bedeutung zu, die in einem sehr praktischen Sinne auch in Lev 23 (und Lev 24,5–9) greifbar wird. So wird im Festkalender das Fixieren der Festzeiten über die Angabe eines exakten Datums (14.I. / 15.I. / 1.VII. / 10.VII. / 15.VII.) und damit letztlich über das Abzählen von Tagen251 vorgenommen. Des Weiteren ist der Tag auch in den Versen Lev 23,7.8.35.36 als dezise, zählbare Größe gefasst, wenn hier bestimmte Tage der mehrtägigen Feste Mazzot und Sukkot, konkret der erste und siebte bzw. achte Tag, besonders herausgehoben werden. Ähnliches aber ist auch in Gen 1,14 greifbar, wo die Funktion der Gestirne, die übergreifen250
Vgl. ähnlich NIHAN, Priestly Torah, 512. Vgl. dazu auch die Bestimmung des Termins für das Wochenfest über das Abzählen ( ;ספרLev 23,15) von 50 Tagen. 251
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
den Rhythmen (Monate, Jahre, Festzeiten) abbilden bzw. anzeigen zu können, mit ihrer Funktion verbunden ist bzw. von dieser hergeleitet wird, Tag und Nacht zu scheiden, also grundsätzlich den Fluss der Zeit wahrnehmbar machen zu können und zugleich die bereits am ersten Schöpfungstag implementierte Ordnung des Wechsels zwischen Licht und Finsternis zu „stabilisieren“. Ausgehend von diesen Beobachtungen kann der Festkalender auch als Ausgestaltung des in der Beschreibung des Leuchterdienstes als grundlegend definierten Tagesrhythmus interpretiert werden, wenn dieser die Ausrichtung auf JHWH und seine Weisung, die Israels Existenz an jedem einzelnen Tag (vgl. Lev 24,2–4) bestimmt, an den heiligen Feiertage in verdichteter Weise erkennbar werden lässt. Dazu dienen das Heiligen der Zeit durch Arbeitsruhe, die Begegnung (ganz Israels) mit JHWH im Kult bzw. im Darbringen der speziellen Festtagsopfer und die Vergegenwärtigung der Gründungsgeschichte Israels im Einhalten der Festbräuche, die ebenfalls von ganz Israel (gegebenenfalls auch abseits des Kultes bzw. außerhalb des Heiligtums) vollzogen werden. Die im Proklamieren geheiligte, vom Profanen abgrenzte Zeit des Festes (bzw. des Shabbattages) schafft somit den „Raum“ dafür, ausdrücklich und bewusst – begleitet von Festfreude (vgl. Lev 23,2–4) – zu begehen und zu vollziehen, was im „Heiligen“ in täglicher bzw. allabendlicher Regelmäßigkeit von Aaron (ganz Israel repräsentierend) symbolisch zur Darstellung gebracht und als Israels bestimmende Wirklichkeit inszeniert wird.252 Letztlich ist somit zwischen Lev 23,1–44; 24,5–9 einerseits und Lev 24,2–4 andererseits ein komplementäres Verhältnis gegeben, in dem die Texte mit ihrem Fokussieren auf je unterschiedliche Zeitrhythmen einander ergänzen und interpretieren. Zuletzt aber legt es die Beobachtung, dass einerseits Lev 24,2–3 de facto als „Zitat“ von Lev 27,20–21 gestaltet und inszeniert wird, andererseits aber Lev 23,3 eng auf Ex 31,12–17 Bezug nimmt, dazu an, den Text von Lev 23,1–24,9 (in seiner Gesamtheit) mit der Heiligtumstora (Ex 25–31) zu korrelieren, womit das bereits in Ex 25–31 selbst angelegte Nebeneinander von heiligem Ort (vgl. Ex 25,1–31,11) und heiliger Zeit (Shabbat; Ex 31,12–17) eine weitere Entfaltung erfährt. So wird ausgehend vom Shabbat (vgl. Lev 23,3) ein Jahreskreis mit „shabbatförmigen“ Festen konzipiert, der durch die Anweisungen in Lev 24,2–4.5–9 wiederum an die Heiligtumstora (und ihren Blick auf das Heiligtum und die in diesem lokalisierten Kultvollzüge) rückgebunden wird. Eine besondere Funktion kommt dabei in Ex 25–31 ebenso wie in Lev 24,1–9 den regelmäßigen Kultvollzügen zu, die in Lev 23 in dieser Form fehlen. Diesen ist dabei eine „Doppelnatur“ zu Eigen, die auch im Kontext des Festkalenders mit seinem Fokus auf der Strukturierung von Zeit von Interesse ist. So erscheinen sie einerseits als Ausdruck und „Reservoire“ 252
Vgl. ähnlich NIHAN, Priestly Torah, 512.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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wesentlicher Elemente israelitischer Identität, andererseits aber auch als Taktgeber einer „Zeit Israels“: Sie stellen dar, was Israel ist, und prägen damit zugleich die Zeit- und Weltgestaltung des Gottesvolkes. Zuletzt aber legen sie – indem sie mit dem Tag und der auf den Shabbat hin fokussierten Woche Grundrhythmen dieser „Zeit Israels“ vorgeben – die sachliche Grundlage für den in Lev 23 entfalteten Festkalender mit seinen „shabbatförmigen“ Festen, in denen die Gemeinschaft von JHWH und Israel in den Festtagsopfern, den Festbräuchen und der Festfreude in besonderer Weise greifbar wird. Dass exemplarisch für die Tamid-Vollzüge aus Ex 27–30 gerade der Abschnitt zum Leuchter (Ex 27,20–21) und nicht etwa der zum BrandopferTamid (Ex 29,38–46) eingespielt wird, verwundert dabei insofern nicht, als bei Ersterem die Thematik der Zeit, ihrer Taktung und der ihr durch die Kultvollzüge beigegebenen Qualität bereits in der Heiligtumstora in besonderer Weise in den Vordergrund tritt.
C. Das Tamid und die Festtagsopfer (Num 28,3–8) C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
Der zweite wichtige Tamid-Abschnitt außerhalb der Heiligtumstora (Ex 25– 31) – und neben Lev 24,1–9 – ist Num 28,3–8. In diesen Versen werden die Vorschriften zum Brandopfer-Tamid aus Ex 29,38–42 über weite Strecken wörtlich aufgenommen, so dass im Grunde ein ähnlicher Vorgang greifbar ist, wie in Lev 24,2–4, wo Ex 27,20–21 eingespielt wird. Num 28,3–8 ist Teil des Opferkalenders in Num 28,1–30,1, der in Num 28,1–2b durch die Rede(Num 28,1) und Weitergabeformel (Num 28,2ab) eröffnet und als Gottesrede an Mose ausgewiesen wird. Den Abschluss des Opferkalenders markiert die Ausführungsnotiz in Num 30,1, die festhält, dass Mose dem in Num 28,2 erteilten Weitergabeauftrag nachgekommen ist. Der Opferkalender steht in engem Zusammenhang mit dem Festkalender in Lev 23. Er erwähnt – von einigen interessanten Abweichungen abgesehen – dieselben Feste zu denselben Terminen und nimmt zudem sehr weitgehend Formulierungen und ganze Textpassagen aus Lev 23 auf. Vor allem aber bietet er eine Präzisierung hinsichtlich der in Lev 23 jeweils über die Wendung ‚( להקריב אשה ליהוהeine Feuergabe für JHWH darbringen‘; vgl. Lev 23,8. 25.27.36.3) als essenziell markierten Opfer.253 Im Gegensatz zu Lev 23, wo – mit Ausnahme der Opfer anlässlich der ʽomær-Gabe und beim Wochenfest – an keiner Stelle angeführt wird, welche Gaben darzubringen sind, bietet Num 28–29 eine exakte Tarifierung der kommunalen Opfer. So ist die Perikope unschwer als Supplement zu Lev 23 erkennbar, das den liturgischen Jahreskreis nochmals und gegenüber Lev 23 mit veränderter Schwerpunktsetzung –
253
Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 604; GRÜNWALDT, Heiligkeitsgesetz, 297.
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eben mit Fokus auf den Opfergaben – behandelt.254 Unterstrichen wird dies auch durch die oben dargestellte rechtssystematische Einordnung, der zufolge der Supplement-Charakter von Num 28–29 allein daran schon deutlich wird, dass dieser Text als eine Offenbarung in der Wüste gestaltet ist. Bevor im Folgenden der Tamid-Text Num 28,3–8, dem im Rahmen dieser Studie das eigentliche Interesse gilt, eingehender ausgelegt wird, ist zunächst auch der (gesamte) Opferkalender als engerer Kontext der Tamid-Passage Num 28,3–8 in den Blick zu nehmen, wobei auch die bereits angedeuteten Verbindungen zwischen Lev 23 und Num 28–29 zu berücksichtigen sind. I. Aufriss von Num 28–29 und Bezüge zu Lev 23 Num 28,1-30,1 ist als Gottesrede gestaltet, die den Text von Num 28,2c– 29,39 umfasst, und– im Unterschied zum Festkalender in Lev 23 oder zur Heiligtumstora in Ex 25–31 – nicht durch mehrere Anreden untergliedert wird. 1. Einleitung und Schluss (Num 28,2; 29,39) Auf die Redeeröffnung in Num 28,1–2b folgt in Num 28,2c–cI zunächst die Aufforderung an Israel, Opfer für JHWH zu ihrer festen Zeit ( )במועדוdarzubringen: 2c 2cI
„Meine Gabe ()קרבן, meine Speise ( )לחםals meine Feuergaben ()אשה zum beruhigenden Duft für mich sollt ihr bewahren, (sie) heranzunahen (קרב-hi.) für mich zu seiner (festgesetzten) Zeit (“)במועדו (Num 28,2c–cI)
In dieser Einleitung des Opferkalenders fallen zunächst die drei „Opfertermini“ ‚( קרבןGabe‘), ‚( לחםBrot, Speise‘) und ‚( אשהFeuergabe‘) in Num 28,2c ins Auge, von denen keiner einen konkreten Opfertyp oder einen speziellen Ritus bezeichnet und die daher jeweils für die Gesamtheit der in Num 28,3– 29,38 behandelten kommunalen Opfer stehen.255 Sie verweisen auf das Verbindende und Gemeinsame der im Opferkalender angeordneten Vollzüge. Dies gilt in besonderer Weise für den ersten Begriff, ‚( קרבןGabe‘), der von der Wurzel קרבabgeleitet ist und daher in einem engen Zusammenhang mit dem Verb קרב-hi. (‚darbringen‘) steht, das die (kultische) Darbringung um-
254
Zu einem vergleichbaren Urteil kommen – aus einem diachronen, redaktionskritischen Zugang heraus – auch: ACHENBACH, Vollendung, 604; COLE, Numbers, 470–471; GRÜNWALDT, Heiligkeitsgesetz, 297; KÖRTING, Schofar, 219; NIHAN, Festival Calendars, 199(ff.); WAGERNAAR, Origin, 146–155. 255 Vgl. SEEBASS, Numeri 22–36, 253.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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schreibt (vgl. u.a. Num 28,2cI).256 Innerhalb der Tora findet sich das Nomen ‚( קרבןGabe‘) an 78 Belegstellen. Allein 32 dieser Belege (41%) entfallen auf die Opfertora Lev 1–7257, in der mit Ausnahme des Entschuldigungsopfers ( )אשםjeder der beschriebenen Opfertypen als ‚( קרבןGabe‘) qualifiziert werden kann.258 Brandopfer ()עולה: Speiseopfer ()מנחה: Heilsgemeinschaftsopfer ()זבח שלמים: Entsündigungsopfer ()חטאת
Lev 1,3.10.12 Lev 2,1.4.5.7.12259.13; 6,13 Lev 3,1.2.6.7.8.12.14; 7,13.14.15.16.29 Lev 4,23.28.32; 5,11
Bei drei Belegen in den Rahmenteilen der Opfertora (Lev 1,1–2; 7,37–38) – zweien im einleitenden Vers Lev 1,2 und einem weiteren im Kolophon (Lev 7,37–38; vgl. V.38) – werden allgemein die Opfer Israels ohne Festlegung auf einen bestimmten Opfertyp als קרבןbezeichnet.
Einen zweiten Schwerpunkt bildet das Kapitel Num 7,1–88 in dem קרבן28 Mal belegt ist (36%)260 und dabei die Gabe der Stammesfürsten anlässlich der Altarweihe bezeichnet. Hier allerdings fällt auf, dass – über Opfermaterie im eigentlichen Sinne hinaus – auch die in den Auflistungen der Gaben genannten Kultgeräte für das Heiligtum bzw. die Wagen mitsamt Zugtieren (vgl. Num 7,3) 261 als ‚( קרבןGabe‘) bezeichnet werden.262 Somit fokussiert der Begriff weder auf eine spezielle Form von Opfern noch im engeren Sinne auf (kultische) Gaben, sondern kann sehr allgemein etwas bezeichnen, das JHWH bzw. dem Heiligtum übereignet bzw. übergeben ist. Dabei wird über den Terminus selbst und seine Etymologie in erster Linie das (dynamisch gefasste) „Herannahen“, d.h. der Akt der Übergabe an JHWH, als essenzieller Aspekt markiert.263 In Num 28,2c ist das Stichwort ‚( קרבןGabe‘) insofern herausgehoben, als es einerseits als erster der drei in diesem Vers belegten Opferbegriffe (קרבן, 256
Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 603; EBERHARD, Studien, 23; GANE/MILGROM, קרב (ThWAT), 153–156; HIEKE, Levitikus 1–15, 85; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 24–25. 257 Acht weitere Belege (Lev 9,7.15; 17,4; 22,18.27; 23,14; 27,9.11) verteilen sich über den Rest von Lev. 258 Vgl. EBERHARD, Studien, 185; HIEKE, Levitikus 1–15, 84; MARX, Theology, 111– 112. 259 Hier ist mit dem ‚( קרבן ראשיתErstlingsgabe‘) eine Sonderform der minḥā im Blick. 260 Vgl. Num 7,3.10.11.12.13.17.19.23.25.29.31.35.37.41.43.47.49.53.55.59.61.65.67. 71.73.77.79.83. Darüber hinaus entfallen zehn weitere Belege auf den Rest des Numeribuches (vgl. Num 5,15; 6,14.21; 9,7.13; 15,4.25; 18,9; 28,2; 31,50). 261 Vgl. ähnlich auch Neh 10,35; 13,31, wo die Holzabgabe für den Bedarf des Tempels bzw. des Altares als קרבןbezeichnet wird. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 84; FABRY, קרבן (ThWAT), 170. 262 Vgl. FABRY, ( קרבןThWAT), 167; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 24. 263 Vgl. EBERHARD, Studien, 185; HIEKE, Levitikus 1–15, 85; MARX, Familiarité, 5–6; MILGOM, Leviticus 1–16, 145; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 24–25.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
לחםund )אשהgenannt ist und andererseits durch die nota accusativi ( )אתals das direkte Objekt zum Verb ‚( שמרbewahren‘) ausgewiesen wird. Die beiden anderen Stichworte, לחםund אשה, hingegen sind auf je eigene Weise explizierend dem Terminus ‚( קרבןGabe‘) zugeordnet. Folglich sind – dem einleitenden Auftrag aus Num 28,2c–cI zufolge – die im Korpus des Opferkalenders entfalteten Festtagsopfer grundlegend קרבן, d.h. an JHWH Übereignetes. Dies ist auch insofern bemerkenswert, als der Begriff selbst über Num 28,2c hinaus im Opferkalender nicht mehr belegt ist. So wird in Num 28,2c gerade nicht – wie etwa in Lev 1,2 im Hinblick auf die Opfertora (Lev 1–7) – ein zentrales Stichwort aus dem Korpus des Opferkalenders in der Einleitung vorangestellt und so als Leitwort markiert. Stattdessen kann Num 28–29 über die betonte Voranstellung von ‚( קרבןGabe‘) an Kontexte anknüpfen, in denen dieser Terminus tatsächlich häufig belegt ist, also zunächst an die Opfertora in Lev 1–7,264 mit der Num 28–29 auch über den Redeschluss in Num 29,39 korreliert wird. Darüber hinaus ist auch ein Zusammenhang mit Num 7,1–89 gegeben, da die dort thematisierten Gaben der Ältesten anlässlich der Altarweihe als ein paradigmatisches Beispiel für ein Geben (ganz) Israels gefasst werden können, das sich in den im Opferkalender angeordneten Festtagsopfern in vergleichbarer Weise wiederholen soll. An den grundlegenden Begriff קרבןbzw. die Formulierung ‚( את־קרבניmeine Gabe‘) schließt asyndetisch die Formulierung ‚( לחמיmein Brot, meine Speise‘) an, die ihrerseits mit der Wendung ‚( לאשיfür meine Feuergaben / als meine Feuergaben‘) verbunden ist.265 Der Terminus ‚( לחםBrot, Speise‘) ist als Bezeichnung für Opfergaben bzw. kultische Materie sehr selten und letztlich – über Num 28–29 hinaus – nur in zwei weiteren Kontexten in der Tora belegt: An erster Stelle sind die beiden Verse Lev 3,11.16 zu nennen, in denen die auf dem Altar zu verbrennenden Teile des Heilsgemeinschaftsopfers, d.h. der Anteil JHWHs, als – לחם und zugleich als ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) – qualifiziert werden.266 Dem als לחםbezeichneten Anteil JHWHs steht beim Heilsgemeinschaftsopfer ein Anteil der Opfernden gegenüber, das Fleisch des Opfertieres, das diese im Rahmen eines feierlichen Mahls am Heiligtum verzehren. Das Opfertier wird also gleichsam zwischen JHWH und der feiernden Gemeinde „aufgeteilt“, so dass das zentrale Anliegen des Heilsgemeinschaftsopfers letztendlich darin zu sehen ist, (Mahl-)Gemeinschaft zwischen JHWH und den Feiernden zu stiften und erfahrbar zu machen.267 Wenn nun in Lev 3,11.16 neben den ohnehin als Speise gedachten Anteilen für die Opfernden dezidiert auch der Anteil für 264
Vgl. dazu den Überblick bei FABRY, ( קרבןThWAT), 168–170. Vgl. SEEBASS, Numeri 22–36, 253. 266 Vgl. DOMMERSHAUSEN, ( לחםThWAT), 545; EBERHARD, Studien, 107–111; HIEKE, Levitikus 1–15, 224–225; 227; JENSON, Graded, 161–162; WILLI–PLEIN, Opfer, 94–95. 267 Vgl. LEVINE, Leviticus, 14; SEIDL, ( שלמיםThWAT), 108; 110; WENHAM, Leviticus, 81. Vgl. ausführlich auch MARX, Familiarité, 6–13. 265
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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JHWH als Speise ( )לחםqualifiziert wird, wird dieser Gemeinschaftsaspekt zusätzlich untermauert.268 Die anthropomorphe Vorstellung einer „Ernährung Gottes“ hingegen ist kaum greifbar,269 zumal die in beiden Versen mit לחם verbundene Wendung ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) auf die Transformation der Gabe durch das Altarfeuer verweist und so die Übereignung an JHWH klar als einen symbolischen Vollzug ausweist.270 Sechs weitere Belege von לחםals Opferterminus finden sich schließlich – jeweils in der Wendung ‚( לחם אלהיםSpeise Gottes‘) – in Lev 21–22 (vgl. Lev 21,6.8.17.21–22; 22,25). Dabei liegt in Lev 21,6.8.17 der Fokus vor allem auf der Eignung und Disposition der Priester. Diese sollen heilig sein bzw. sich heiligen, weil sie den ‚( לחם אלהיםSpeise Gottes‘) – hier offenbar allgemein als Umschreibung für jede Art von Opfer gebraucht – darbringen.271 Mit derselben Begründung werden in Lev 21,17.21 Priester mit körperlichen Gebrechen vom Dienst am Altar ausgeschlossen. Umgekehrt aber sind diese Priester, auch wenn ihnen der Zugang zum Altar selbst verwehrt bleibt, Lev 21,22 zufolge durchaus berechtigt, von den Priesteranteilen an den Opfern zu essen, die in diesem Zusammenhang ebenfalls als ‚( לחם אלהיםSpeise Gottes‘) bezeichnet werden.272 Lev 22,25 hingegen schreibt – als Abschluss des Abschnitts Lev 22,20–25, der körperliche Schäden behandelt, die ein Tier von der Darbringung als Opfer disqualifizieren273 – vor, kein Vieh aus den Beständen von Nichtisraeliten für den ‚( לחם אלהיםSpeise Gottes‘), d.h. für den Opferbedarf, zu beziehen.274 Somit steht der Begriff ‚( לחם אלהיםSpeise Gottes‘) in Lev 21–22 letztlich für zweierlei: Er bezeichnet v.a. die auf den Altar gebrachten und dort verbrannten Teile von Opfergaben – der Text spezifiziert nicht hinsichtlich bestimmter Opferarten – und bestimmt diese als JHWH zustehende, ihm übereignete Materie (Lev 21,6.8.17.21; 22,25).275 Im Hinblick auf Num 28,2 fallen in diesem Zusammenhang v.a. die beiden Verse Lev 21,6.21 ins Auge, in denen die Wendung ‚( לחם אלהיםSpeise Gottes‘) unmittelbar mit der im Kontext referenzgleichen Formulierung ‚( אשי יהוהFeuergaben JHWHs‘) paralleli268 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 224–225; LEVINE, Leviticus, 17; MARX, Theology, 113; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 133. 269 Gegen z.B. DOMMERSHAUSEN, dem zufolge „P in grob anthropomorpher Weise das Opfer als ‚Speise Gottes‘“ bezeichnet (Vgl. DERS., [ לחםThWAT], 545). 270 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 225; HUNDLEY, Keeping, 110–112; JENSON, Graded, 162–163; MARX, Theology, 112; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 133. Vgl. auch MARX, Opferlogik, 136–137. 271 Vgl. BUDD, Leviticus, 301; HIEKE, Levitikus 16–27,824–825; 828; 830. 272 Vgl. EBERHARD, Studien, 349; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 265–268. 273 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 859–862; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 281–287. 274 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 862; RUWE, Heiligkeitsgesetz, 286. 275 Vgl. EBERHARD, Studien, 350.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
siert wird.276 Daneben aber werden in Lev 21,22 auch die Priesteranteile an den Opfern als ‚( לחם אלהיםSpeise Gottes‘) bezeichnet. Beiden Kontexten, Lev 3 wie Lev 21–22, ist damit die grundlegende Vorstellung vom Opfer als einem (Mahl-)Gemeinschaft stiftenden Element gemeinsam, wobei unterschiedliche Akzentsetzungen dahingehend gegeben sind, dass in Lev 3 die Mahlgemeinschaft konkret durch ein Aufteilen des Opfertieres in eine Speise für die feiernden Israeliten und ein ‚( לחםSpeise‘) für JHWH realisiert wird, wobei letzteres als ‚( אשהFeuergabe‘) darzubringen ist. In Lev 21–22 hingegen ist eine vergleichbare Vorstellung lediglich in Lev 21,22 angedeutet, wenn dort auch die Priesteranteile an den Opfern als לחם ‚( אלהיםSpeise Gottes‘) definiert werden. Ansonsten aber scheint in Lev 21– 22 die Rede von einem ‚( לחם אלהיםSpeise Gottes‘) stärker das Bild eines „Bedienens“ bzw. „Bewirtens“ Gottes zu evozieren, in dem sich – im Kontrast zu der Konzeption einer Mahlgemeinschaft („auf Augenhöhe“) – ein hierarchisches Gefälle zwischen dem zu bedienenden Herrn und seinen Dienern andeutet.277 Damit korrespondiert, dass der Fokus des Textes v.a. auf den Priestern liegt, die als diejenigen, die die ‚Speise Gottes‘ „servieren“, in besonderer Weise dafür disponiert sein müssen, damit der im Kultvollzug herzustellende Kontakt gelingen kann.278 Zugleich ist wesentlich, dass sich auch im „Bewirten“ ein im Ritual normiertes und reglementiertes (und damit „sicheres“) Begegnen zwischen dem zum Mahl herbeikommenden Gott und seinen „Dienern“ ereignet. Zuletzt aber ist in beiden Kontexten, Lev 3 und Lev 21–22, das Stichwort לחםeng mit dem Terminus ‚( אשהFeuergabe‘) verbunden, der u.a. die transformierte und symbolische Übereignung der Opfergaben („Speisen“) betont und so auch einem Missverstehen der Rede von der „Speise Gottes“ im Sinne eines menschengleich essenden Gottes entgegensteht.279 Verbindet man nun diese Beobachtungen zu Lev 3; 21–22 mit Num 28,2c, so ist zunächst eine größere Nähe zu den Belegen in Lev 21–22 festzustellen. Auch in Num 28,2 nämlich wird ‚( לחםSpeise‘) – ähnlich wie in Lev 21–22 – als allgemeiner Opferterminus gebraucht und nicht mit einer speziellen Opferart verbunden.280 Damit korrespondiert, dass in Num 28,2 der v.a. in Lev 3,11.16 (vgl. aber auch Lev 21,22) essenzielle Zusammenhang zwischen 276
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 824–825; 839. Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 289; HUNDLEY, Keeping, 113–114. 278 Vgl. EBERHARD, Studien, 349; GERSTENBERGER, Leviticus, 289; HIEKE, Levitikus 16–27, 824–825; MARX, Familiarité, 11–12. 279 Vgl. EBERHARD, Studien, 352; HIEKE, Levitikus 16–27, 825; MARX, Opferlogik, 134–137; 140–141; DERS., Familiarité, 11–12. MARX betont, dass bei den Heilsgemeinschaftsopfern auch der Umstand, dass die „Speise“ Gottes und der Menschen je unterschiedlich ausfällt – Gottes Anteil sind Blut und Fetteile, die für die Israeliten zum Verzehr verboten sind – ein Moment der Differenz anzeigt. 280 Vgl. SEEBASS, Numeri 22–36, 253. Gegen z.B. ACHENBACH, Vollendung, 603. 277
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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einem als ‚( לחםSpeise‘) qualifizierten Anteil JHWHs und dem Verzehr von Opferanteilen durch Menschen nicht gegeben ist. Die in Lev 3 thematisierten Heilsgemeinschaftsopfer nämlich werden im Opferkalender überhaupt nicht erwähnt und auch die in Lev 21,22 behandelte Problematik des Verzehrs der Opferanteile spielt hier keine Rolle. Die größere Nähe zu Lev 21–22 aber hat zur Folge, dass die Opfervollzüge über die Rede von der „Speise JHWHs“ vorrangig als ein Vorgang des „Bewirtens“ ins Bild gesetzt werden, in dem Israel mit seinem Gott – indem es ihn „einlädt“ und „bedient“ – in Kontakt tritt.281 Ähnlich wie in Lev 3,11.16; 21,6.21 ist auch in Num 28,2c das Stichwort לחםmit dem Terminus ‚( אשהFeuergabe‘)282 verbunden, wobei in diesem Fall durch die Präposition - לeine klare Zuordnung in dem Sinne angezeigt wird, dass die Speise JHWHs „als“ [in Gestalt der] (- )לFeuergaben dargebracht wird.283 Zuletzt aber ist mit dem Opferbergriff אשהdie qualifizierende Wendung ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘) verbunden, die die antizipierte Wirkung der „Feuergaben“ – und damit auch der „Speise“ – andeutet, sich JHWHs als eines wohlwollenden Gegenübers zu versichern. Da ‚( לחםSpeise‘) über Num 28,2c hinaus im Opferkalender nur noch einmal in Num 28,24b (wieder in Verbindung mit )אשהbelegt ist, erscheint der Terminus – ähnlich wie ‚( קרבןGabe‘) – dezidiert nicht als ein Leitwort. Anders ist dies jedoch beim Terminus ‚( אשהFeuergabe‘) und der Wendung ריח ‚( ניחחberuhigender Duft‘), die im Korpus des Opferkalenders an zahlreichen Stellen (vgl. אשה ריח ניחחin Num 28,3.6.8.13.19.24; 29,6.13.26; sowie zwei zusätzliche Belege von ריח ניחחohne אשהin Num 28,27; 29,2) belegt sind und so in der Tat eine Leitwort-Funktion wahrnehmen können: Beinahe alle Festtagsopfer werden als ( אשה )ריח ניחחbzw. לריח ניחחdargebracht, wobei – wie unten zu zeigen ist – v.a. das Brandopfer-Tamid (Num 28,3–8) als die Feuergabe schlechthin stilisiert ist. Mit Blick auf die Einleitung in Num 28,2c folgt daraus, dass der Bezug auf die in Num 28,3–29,38 behandelten Festtagsopfer über die Wendung לאשי ריח ניחחיhergestellt wird, die zunächst dem Terminus לחםzugeordnet ist, während dieser wiederum als (interpretierende) Apposition zu קרבןzu verstehen ist. Angesichts dieser Zuordnungen und Zusammenhänge deuten die Formulierungen קרבניund לחמיletztlich eine Art „Metakonzept“ zu Opferkult und 281 Vgl. EBERHARD, Studien, 353–354; MARX, Opferlogik, 134–138; DERS., Familiarité, 6–13. 282 Wie bereits herausgestellt, bezeichnet – אשהbeginnend mit den drei Belegen in Ex 29,18.25.41 – v.a. diejenigen Opfer, deren zentraler Vollzug in der kultischen Verbrennung von Opfermaterie besteht, also Brand–, Speise–, und Heilsgemeinschaftsopfer, wobei der Fokus einerseits (wie bei )קרבןauf dem Akt des (Über–)Gebens an JHWH liegt, andererseits aber auch – über den Anklang an ‚( אשFeuer‘) – das Verbrennen der Materie auf dem Altar als Modus der Übereignung mit angedeutet ist. 283 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 65–66.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Opfervollzug Israels an bzw. interpretieren – unter Bezugnahme auf Texte wie Lev 1–7 ( )קרבןbzw. Lev 3; 21–22 ( – )לחםden Kult grundlegend als gemeinschaftsstiftendes Übereignen von Gaben an JHWH. Eine weitere Auffälligkeit von Num 28,2c liegt darin, dass sowohl mit den drei Opferbegriffen ‚( קרבןGabe‘), ‚( לחםBrot, Speise‘) und ‚( אשהFeuergabe‘) als auch mit der qualifizierenden Wendung ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘) ein ePP der 1. Pers. Sg. (י-) verbunden ist, das die (exklusive) Zuordnung der Gaben zu JHWH betont bzw. ergänzend auch die antizipierte Wirkung der Opfer auf JHWH (vgl. )ריח ניחחverdeutlicht.284 Sprachlich sehr eindringlich wird damit JHWH als Adressat und Gegenüber des kultischen Handelns ausgewiesen, was insofern gut zu der knappen, in Num 28,2c skizzierten „Opfertheologie“ passt, als v.a. die beiden Begriffe ‚( קרבןGabe‘) und ‚( אשהFeuergabe‘) den Akt des Gebens bzw. Übergebens an JHWH stark machen, der über den Terminus ‚( לחםBrot, Speise‘) als gemeinschaftsstiftendes bzw. gemeinschaftsstabilisierendes „Bewirten“ imaginiert wird. Dem Wortlaut von Num 28,2c zufolge sind קרבןund לחםJHWHs – letzterer näher bestimmt durch das Stichwort – אשהzu „bewahren“ ()שמר. Dabei erinnert die Formulierung einerseits an die Forderung, die Satzungen (חק/)חקה, Weisungen ()תורה, Gebote ( )מצוהoder Worte ( )דברJHWHs (vgl. u.a. Ex 13,10; 15,25; 16,28; 20,6; Lev 18,4.5.26; u.v.m) oder auch die משמרת (‚Bewahrung, „Ordnung“‘) JHWHs bzw. des Heiligtums, der Leviten oder der Söhne Israels (vgl. u.a. Lev 8,35; Num 1,53; 3,7.8.28; …) zu bewahren ()שמר. Andererseits sind in Texten wie Ex 23,15 (34,18); 31,14–16; Lev 19,3.30; 20,2 (u.a.) auch Feste bzw. der Shabbat zu „bewahren“ ()שמר. Hört man diese Sprachspiele in der seltsamen Formulierung von Num 28,2c mit, so scheinen letztendlich zwei ineinander verschränkte Dimensionen anzuklingen: Einerseits kommt die den Opfervollzügen zugrundeliegende Legislation in den Blick, die als verbindliche Kultordnung einzuhalten ist. Auf der anderen Seite aber ist auch eine regelmäßige bzw. termingerechte und adäquate Praxis gefordert. Zu bewahren ( )שמרsind somit die beiden Aspekte, die auch in dem an Num 28,2c anschließenden Infinitivsatz Num 28,2cI nachklingen: Die Konformität zur Weisung JHWHs und die ununterbrochene Praxis des Kults. So realisiert sich das in V.2c geforderte Bewahren ()שמר einerseits im Darbringen (קרב-hi.) der entsprechenden Gaben für JHWH (vgl. )לי, also in der konkreten Praxis. Andererseits jedoch ist auch die korrekte, festgelegte Zeit (vgl. )במועדוentscheidend, die durch die Weisung JHWHs determiniert ist. Letztlich ist damit in V.2cI das zentrale Anliegen des Opferkalenders umschrieben, der die einzelnen festgelegten Zeiten ( )מועדfür die Darbringung der (kommunalen) Opfer bestimmt und zugleich die Opfertarife für die einzelnen Anlässe festlegt.285 284 285
Vgl. COLE, Numbers, 471. Vgl. GORMAN, Ideology, 216.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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Das in Num 28,2cI zentrale Stichwort מועדfindet sich schließlich auch in Num 29,39, in demjenigen Vers also, der den Abschluss der Gottesrede markiert und zusammen mit Num 28,2 einen (knapp gehaltenen) Rahmen um den Korpus des Opferkalenders legt.286 Diese sollt ihr machen ( )עשהfür JHWH zu euren festgesetzten Zeiten ()מועדיכם zusätzlich zu ( )לבדzu euren gelobten Gaben ()נדריכם und euren freiwilligen Gaben ()נדבתיכם, zu euren Brandopfern und zu euren Speiseopfern und zu euren Trankopfern und zu euren Heilsgemeinschaftsopfern. (Num 29,39)
Anders als in Num 28,2cI ist in Num 29,39 jedoch nicht von der „festgesetzten Zeit“ der Gabe(n) ( )במועדוdie Rede, sondern von „euren festgesetzten Zeiten“ ()מועדיכם, wobei das ePP der 2. Pers. Pl. auf die Söhne Israels zu beziehen ist. Hier kommen also die einzelnen Festzeiten ( )מועדיםin den Blick, für die der Opferkalender jeweils diejenigen (kommunalen) Opfer auflistet, die an den einzelnen Tagen für JHWH zu „machen“ ( )עשהsind. Das in diesem Zusammenhang belegte Sprachspiel vom „Machen“ ( )עשהder Opfer für JHWH findet sich dabei mehrfach auch im Korpus des Opferkalenders und wird somit von dort her im Abschlussvers aufgenommen. Einen deutlichen Schwerpunkt aber bilden die Anweisungen zum Brandopfer-Tamid in Num 28,3–8, in denen das Verb עשהinsgesamt fünf Mal belegt ist (vgl. Num 28,4ab.6a.8ab). Unter den übrigen Belegen jedoch (Num 28,15.23.24.31; 29,2) ist nur in Num 29,2 kein Zusammenhang mit dem Tamid gegeben. Neben die nochmals in der Gesamtschau resümierten (kommunalen) Festtagsopfern treten Num 29,39 schließlich auch die freiwilligen ( )נרבהbzw. aufgrund eines Gelübdes dargebrachten ( )נדרGaben Israels, die – als nicht tarifier- und taxierbare Opfer Einzelner – von deutlich anderem Charakter sind, als die hinsichtlich ihres Termins und ihres Tarifs festgeschriebenen kommunalen Opfer.287 Als mögliche Opferformen dieser freiwilligen bzw. gelobten Gaben werden Brand-, Speise-, Trank- und Heilsgemeinschaftsopfer genannt, wobei das Speiseopfer entweder als Begleitopfer zu den tierischen Gaben (Brand- oder Heilsgemeinschaftsopfer) oder aber als eigenständige Gabe angelegt sein kann. Gegenüber den im Opferkalender für die kommunalen Opfer genannten Opferformen fehlt damit bei den freiwilligen Vollzügen die ḥaṭṭā’t, die von einem Einzelnen nur im Fall eines bewusst gewordenen Vergehens – dann aber verpflichtend – darzubringen ist und daher nie in die Kategorie ‚freiwilliges‘ oder ‚gelobtes‘ Opfer fallen kann. Umgekehrt hingegen
286
Vgl. SEEBASS, Numeri 22–36, 262. Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 610; KÖRTING, Schofar, 214–215; RENDTORFF, Studien, 128. 287
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
finden sich die šelamīm als typisches Opfer Einzelner, die unter den in Num 28,3–29,38 genannten Festtagsopfern nicht auftauchen.288
Zuletzt sind in Num 29,39 auch die gehäuft – insgesamt sieben Mal – belegten ePP der 2. Pers. Pl. auffällig, denen in Num 28,2c–cI die vier bzw. fünf Belege von ePP der 1. Pers. Sg. gegenüberstehen. Verweist Num 28,2c–cI also nachdrücklich auf JHWH als den Adressaten bzw. Empfänger der Gaben Israels, so betont Num 29,39 komplementär dazu den Anteil Israels, das die Jahresfeste mit ihren jeweils vorgesehenen kommunalen Opfern begeht und (nicht nur) zu diesen speziellen Anlässen auch freiwillige und gelobte Gaben darbringt. In dieser komplementären Fokussierung der kultischen Vollzüge, die mit Num 29,39 zugleich die Differenzierung von freiwilligen und verpflichtenden (kommunalen) Opfern mit einschließt, bildet sich augenfällig das für den Kult elementare Mit- und Zueinander von JHWH und Israel ab, durch das der Gottesdienst Israels von seiner Grunddynamik her als ein Geschehen der Kommunikation und Begegnung bestimmbar wird. Num 28,2c–cI; 29,39 skizziert somit als Rahmen um den Opferkalender in knappen Zügen ein Grundverständnis von Opfer und Kult, das – so die Idee des Textes – in den in Num 28,3–29,38 beschriebenen kommunalen Opfern seine Konkretion und Entfaltung findet. 2. Das Verhältnis des Opferkalenders zum Festkalender in Lev 23 Bevor dieser Idee in einem knappen Durchgang durch den Opferkalender (und auch in der genaueren Exegese des „Tamid-Abschnitts“ Num 28,3–8) nachzugehen ist, soll zuvor noch – ausgehend von der oben dargelegten Annahme, wonach der Opferkalender in Num 28–29 in rechtssystematischer Hinsicht als Ergänzung zum Festkalender in Lev 23 zu bestimmen ist – das Verhältnis zwischen den jeweiligen Rahmenteilen der beiden Kalender (Lev 23,2–4.37–38; Num 28,2; 29,39) genauer untersucht werden. Dabei fällt – was die jeweiligen Einleitungspassagen (Num 28,2; Lev 23,2–4) anbelangt – zunächst die formale Parallelität beider Texte auf. Sie beginnen jeweils mit der Anrede- und Weitergabeformel, wobei letztere in Num 28,2a insofern variiert ist, als sich dort anstelle des (gebräuchlicheren) Verbs דבר-pi. (‚reden‘) das Lexem צוה-pi. (‚befehlen‘) findet. Daran anschließend führen beide in das zentrale Thema des je folgendes Textes ein, da Lev 23,2(.4) mit den Schlüsselbegriffen ‚( מועדFestzeit‘), ‚( מקרא קדשheiliger Feiertag‘) und קרא (‚ausrufen, proklamieren‘) auf die Feste und Feiertage fokussiert und Num 28 mit den Schlagwörtern ‚( קרבןGabe‘), ‚( לחםSpeise‘), ‚( אשהFeuergabe‘), קרבhi. (‚darbringen‘) und ‚( מועדfestgesetzte Zeit‘) den Blick auf die kommunalen Festtagsopfer lenkt. In beiden Einleitungsabschnitten finden sich jeweils Schlagworte, die nur hier (und gegebenenfalls in den mit der Einleitung kor288
Vgl. RENDTORFF, Studien, 128.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
487
respondierenden Schlussabschnitten) belegt sind, im eigentlichen Korpus des nachfolgenden Kalenders aber nicht auftauchen – מועדin Lev 23,2.4; Num 28,2 und zusätzlich קרבןund לחםin Num 28,2 –, daneben aber auch Lexeme, die im jeweiligen Kalender selbst Leitwortcharakter haben ( קראbzw. מקרא קדשin Lev 23,2–4 und אשהbzw. ריח ניחחin Num 28,2). Das einzige Stichwort, das beiden Einleitungstexten, d.h. Lev 23,2–4 und Num 28,2, gemeinsam ist und das sie somit verbindet, ist מועד, das in beiden Kalendern ausschließlich in den Rahmenversen belegt ist. Eine deutliche Korrespondenz ist dabei v.a. zwischen der Anweisung in Lev 23,4b, die Feste „zu ihrer (festgeschriebenen) Zeit“ ( )במועדםauszurufen und dem Appell in Num 28,2cI, die (jeweilige) Gabe „zu ihrer Zeit“ ( )במועדוdarzubringen, gegeben.289 Weitergehende Bezüge zwischen den Einleitungspassagen, Lev 23,2–4 und Num 28,2, sind hingegen nicht auszumachen, da sich insbesondere zum Shabbatabschnitt Lev 23,3 und zu der diesen umrahmenden „doppelten“ Überschrift (Lev 23,2.4) in Num 28,2 kein strukturell äquivalentes Gegenstück findet. Etwas interessantere Befunde ergeben sich jedoch aus dem Vergleich der jeweiligen Abschlussätze Lev 23,37–38 und Num 29,39.290 Diese führen zunächst mit einem deiktischen Rückbezug die vorausgehenden Kalender resümierend zusammen und nehmen jeweils auch das Stichwort מועדaus den Einleitungsabschnitten wieder auf. Lev 23,37–38 37a 37aR 37aRI 38v 38vR
אלה מועדי יהוה אשר תקראו אתם מקראי קדש להקריב אשה ליהוה עלה ומנחה זבח ונסכים דבר יום ביומו ומלבד כל נדריכם ומלבד כל נדבותיכם אשר תתנו ליהוה
Num 29,39
אלה תעשו ליהוה במועדיכם לבד מנדריכם ונדבתיכם
39
לעלתיכם ולמנחתיכם ולנסכיכם ולשלמיכם
Dabei ist die oben im Gegenüber von Num 28,2 und Num 29,39 herausgearbeitete Komplementarität auch im Nebeneinander von Lev 23,37–38 und Num 29,39 greifbar, wenn Lev 23,37 auf die ‚( מועדי יהוהFestzeiten JHWHs‘) verweist, denen in Num 29,39 ‚( מועדיכםeure [= Israels] Festzeiten‘) gegenüberstehen.291 Zugleich ist auch eine enge thematische Verbindung zwischen den beiden Texten zu konstatieren, wenn in Lev 23,37–38 mit V.37aRI–38vR der Fokus auf die Opfervollzüge an den Festen rückt und damit diejenige Thematik in den Blick kommt, die in Num 28–29 bestimmend ist. Untermauert wird dies durch zahlreiche Stichwortbezüge zwischen Lev 23,37aRI–38vR und Num 29,39. So finden sich die Begriffe ‚( נדריםGelübde‘) und נדבות 289
Vgl. COLE, Numbers, 471; NIHAN , Festival Calendars, 202–203. Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 610–611. 291 Vgl. NIHAN, Festival Calendars, 203. 290
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
(‚freiwillige Gaben‘) sowohl in Lev 23,38v als auch in Num 29,39, während die vier in Num 29,39 belegten Opfertermini – in leicht veränderter Reihenfolge – auch in Lev 23,37aRI aufgeführt sind. Zuletzt jedoch ist ein interessanter Bezug auch zwischen Lev 23,37, dem Abschlussvers des Festkalenders, und der Eröffnung des Opferkalenders in Num 28,2c–cI greifbar, da die Wendung ‚( להקריב ליmir [= JHWH] darzubringen‘; Num 28,2cI)292 auf die Formulierung ‚( להקריב אשה ליהוהeine Feuergabe für JHWH darzubringen‘; V.37aRI) rekurriert.293 Num 28–29 führt – als Supplement zu Lev 23 angelegt – diesen Text also buchstäblich weiter und entfaltet ihn. Dies aber ist auch im Korpus des Opferkalenders, Num 28,3–29,38, greifbar, auf den im Folgenden einzugehen ist. 3. Der Opferkalender im Überblick Im Anschluss an die knappe Einleitung Num 28,2c–cI nimmt der Opferkalender in Num 28,3a mit den Worten ‚( ואמרת להםund du sollst zu ihnen sagen‘) die Formulierung aus Num 28,2b ( )ואמרת אליהםauf und weist so letztlich auf die Weitergabeformel in Num 28,2ab zurück. Auf diese Weise wird einmal eine betonende Rahmung um den einleitenden Auftrag aus Num 28,2c–cI gelegt, zugleich aber auch der Auftakt des eigentlichen Opferkalenders markiert. Dieser setzt in Num 28,3–8 mit Anweisungen zum täglichen Brandopfer ein, in denen – wie bereits angesprochen – die Weisung zum BrandopferTamid aus Ex 29,38–42 (über weite Strecken wörtlich) aufgenommen wird und die daher im Anschluss noch genauer zu analysieren sind. Auf diese folgen in Num 28,9–10 Vorschriften zum (speziellen) Opfer am Shabbat und in Num 28,11–15 zu den Opfern am Neumondtag. Es sind somit zwei Feiertage angesprochen, die im Festkalender Lev 23 nicht – bzw. nicht in dieser Form – thematisiert werden. Der Neumondtag nämlich fehlt im Festkalender zur Gänze, während der Shabbat zwar in Lev 23,3 als der (grundlegende) heilige Feiertag ( )מקרא קדשIsraels vorgestellt, zugleich aber in der Systematik von den Jahresfesten ( )מועדיםdeutlich abgehoben wird. Anders der Opferkalender in Num 28–29: Er stellt den Festen des Jahreskreises Anweisungen zu regelmäßigen, öffentlichen Opfern voran, die mit den Zeiteinheiten Tag (Num 28,3–8), Woche (Num 28,9–10) und Monat (Num 28,11–15) verbunden sind und damit einem anderen, kleintaktigeren Rhythmus folgen, als die Jahresfeste.294 Erst ab Num 28,16 läuft der Opferkalender hinsichtlich der behandelten Feste und deren Reihenfolge parallel zur Darstellung in Lev 23, zeigt dabei allerdings auch einige interessante Abweichungen.295 Besonders 292 293
Vgl. zusätzlich das Stichwort אשהin V.2c. Vgl. KÖRTING, Schofar, 214; LEVINE, Numbers 21–36, 394; WANGENAAR, Origin,
149. 294 295
Vgl. LEVINE, Numbers 21–36, 267; WANGENAAR, Origin, 149–151. Vgl. ACHENBACH, Vollendung, 608; NIHAN, Festival Calendars, 182.
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C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
aufschlussreich für Anlage und Selbstverständnis des Textes (und auch für das Verhältnis zu Lev 23) sind dabei die beiden aufeinander folgenden Abschnitte zum Pesach- und Mazzotfest (Num 28,16–25) bzw. zum „Tag der Erstlinge“ ( ;יום הבכוריםNum 28,26–31). In Num 28,16–25 werden das Pesachfest, für das keine eigenen Festtagsopfer vorgesehen sind, und Mazzot zu einer Einheit zusammengefasst sind, wobei Pesach lediglich im ersten Vers, Num 28,16, angesprochen ist, der zudem beinahe wörtlich Lev 23,5 aufnimmt.296 In gleicher Weise greift Num 28,17–18.25 auf Lev 23,6–7.8bc zurück und spielt diesen Text ohne größere Veränderungen ein, wobei die Anweisung aus Lev 23,8a, eine Feuergabe für JHWH darzubringen ( והקרבתם )אשה ליהוה, in Num 28,9a zur Einleitung für die detaillierte Auflistung der Festtagsopfer in Num 28,19–24 wird, die in Lev 23 in dieser Form keine Parallele hat.297 Num 28,17–25 17a 17b 18a 18b 19a 19b 20a 20b 21 22a 22aI 23a 23aR 23a 24a 24b 24c 25a 25b
ובחמשה עשר יום לחדש הזה חג שבעת ימים מצות יאכל ביום הראשון מקרא קדש כל מלאכת עבדה לא תעשו והקרבתם אשה עלה ליהוה פרים בני בקר שנים ואיל אחד ושבעה כבשים בני שנה תמימם יהיו לכם ומנחתם סלת בלולה בשמן שלשה עשרנים לפר ושני עשרנים לאיל תעשו עשרון עשרון תעשה לכבש האחד לשבעת הכבשים ושעיר חטאת אחד לכפר עליכם מלבד עלת הבקר אשר לעלת התמיד תעשו את אלה כאלה תעשו ליום שבעת ימים לחם אשה ריח ניחח ליהוה על עולת התמיד יעשה ונסכו וביום השביעי מקרא קדש יהיה לכם כל מלאכת עבדה לא תעשו
Lev 23,6–8
ובחמשה עשר יום לחדש הזה חג המצות ליהוה שבעת ימים מצות תאכלו ביום הראשון מקרא קדש יהיה לכם כל מלאכת עבדה לא תעשו והקרבתם אשה ליהוה
6a 6b 7a 7b 8a
שבעת ימים
ביום השביעי מקרא קדש כל מלאכת עבדה לא תעשו
8b 8c
Angesichts dieser Gestaltung von Num 28,16–25 im Vergleich zu Lev 23,6–9 wird somit zweierlei deutlich, zum Einen das enge Anschließen von Num 28– 29 an Lev 23, das den Opferkalender dezidiert als präzisierendes Supplement zum Festkalender ausweist, und zum Anderen die spezifische Schwerpunkt296 297
Vgl. NIHAN, Festival Calendars, 195–196; WANGENAAR, Origin, 151. Vgl. NIHAN, Festival Calendars, 196–197; SCHMIDT, Numeri, 175.
490
Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
setzung von Num 28–29, die in Lev 23 nur summarisch genannten Festtagsopfer präzise aufzuschlüsseln und exakt zu taxieren.298 Ein auf den ersten Blick deutlich gegenteiliger Befund zeichnet sich hingegen bei dem knapp gehaltenen Abschnitt zum „Tag der Erstlinge“ in Num 28,26–31 ab. Diesem steht im Festkalender die zweite Gottesrede (Lev 23,9– 22) gegenüber, in der das Fest der ʽomær-Gabe (Lev 23,9–14) und das Wochenfest (Lev 23,15–22) behandelt werden. In Num 28 aber fehlt das Fest der ʽomær-Gabe, völlig, während das Wochenfest aus Lev 23 als יום הבכורים (‚Tag der Erstlingsgaben‘) geführt wird. Diese Bezeichnung kann von der im Festkalender belegten Benennung der beiden, in Lev 23,17 beschriebenen Brote als ‚( בכורים ליהוהErstlingsgaben für JHWH‘) in Lev 23,17c abgeleitet werden. Das in Lev 23 konstitutive Zählen von sieben Wochen ab dem Tag der ʽomær-Gabe zur Bestimmung des Termins des Wochenfestes (vgl. Lev 23,16a) wird in Num 28 zwar nicht explizit angesprochen, klingt aber in der Formulierung בשבעתיכםin Num 28,26a2 nach, die zugleich den im nachbiblischen Judentum gebräuchlichen Namen des Festes, Schavuot, vorgibt. Zuletzt aber legt auch die Aufnahme von Lev 23,16b in Num 28,26aI eine Identifikation der beiden Feste nahe. Ein weitergehender Vergleich der beiden Abschnitte Lev 23,15–22 und Num 28,26–31 lässt ein deutliches Auseinandertreten in Wortlaut und Textanordnung deutlich werden, wodurch sich hier ein etwas anderer Befund zum Verhältnis zwischen Fest- und Opferkalender abzeichnet, als beim Abschnitt zum Mazzotfest (Num 28,16–25). So folgt Num 28,26–31 (erstmals) einem Schema, das in gleicher Weise auch bei den folgenden Festtagen (Neujahr, Jom Kippur, erster Tag von Sukkot und Azeret) zur Anwendung kommt und wie folgt dargestellt werden kann:299 A1 A2 A3 A4 B
Nennung und Datierung des Festtags Qualifizierung als מקרא קדש Hinweis auf die Arbeitsruhe [ggf. Besonderheiten des Festes] Opferliste
V.26a–aI V.26b V.26c [V.27?] V.27–31
vgl. Num 29,1a.7a.12a.35a vgl. Num 29,1b.7a.12a.(35a) vgl. Num 29,1c.7c.12b.35b vgl. Num 29,1d.7b.12c vgl. Num 29,2–6.8–11.13– 16.36–38
In den Abschnitten zum zweiten bis achten Tag von Sukkot (Num 29,17–34) ist das Schema insofern verkürzt, als hier auf die Zeitangabe bzw. Datierung [A1] unmittelbar die Opferliste [B] folgt und die Elemente A2–A4 entfallen.
Der Bezug zu den jeweils parallelen Abschnitten des Festkalenders in Lev 23 wird durch die Elemente A1–A4 hergestellt, in denen die entsprechenden 298 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 900–901; KÖRTING, Schofar, 214–215; SEEBASS, Numeri 22–36, 257; WANGENAAR , Origin, 149–151. 299 Vgl. dazu auch KNIERIM/COATS, Numbers, 282–284; KÖRTING, Schofar, 215–216; NIHAN, Festival Calendars, 183.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
491
Formulierungen des Hypotextes aufgenommen, dabei aber gegebenenfalls auch – wie am Beispiel von Num 28,26–31 zu beobachten – in der Reihenfolge verändert werden. Zugleich fehlen in Num 28–29 alle in Lev 23 gebotenen Informationen, die nicht in das Schema einfügbar sind, wie z.B. die ausführlichen Anweisungen zum Jom Kippur in Lev 23,28–32. Der eigentliche Schwerpunkt liegt jedoch auf den Opferlisten [B], die die für Num 28–29 eigentümliche und zentrale Thematik entfalten. Beim Erstlingsfest (Num 28,26–31) ist hier insofern eine Besonderheit gegeben, als die Opfergaben für dieses Fest bereits in Lev 23,18–20 angegeben sind. Dies hat zur Folge, dass einander in Lev 23,18–20 und Num 28,27–30 zwei – interessanterweise unterschiedliche – Tariflisten für dasselbe Fest gegenüberstehen.300 Num 28,27–29 27
והקרבתם עולה לריח ניחח ליהוה פרים בני בקר שנים איל אחד שבעה כבשים בני שנה
28
ומנחתם סלת בלולה בשמן שלשה עשרנים לפר האחד שני עשרנים לאיל האחד עשרון עשרון לכבש האחד לשבעת הכבשים
29
30
שעיר עזים אחד לכפר עליכם
Lev 23,18–20
והקרבתם על הלחם שבעת כבשים תמימם בני שנה ופר בן בקר אחד ואילם שנים יהיו עלה ליהוה ומנחתם ונסכיהם
אשה ריח ניחח ליהוה ועשיתם שעיר עזים אחד לחטאת אשה ריח ניחח ליהוה והניף הכהן אתם על לחם הבכורים תנופה לפני יהוה על שני כבשים קדש יהיו ליהוה לכהן
18
19 20
Ein erster Unterschied zwischen den beiden Opferlisten betrifft die Positionierung der qualifizierenden Wendung [‚( ]אשה ל[ריח ניחח ליהוהFeuergabe zum] beruhigenden Duft für JHWH‘). Diese ist in Lev 23,18c zwischen den Brandopfern und ihren Begleitgaben (vgl. Lev 23,18ab) auf der einen und der ḥaṭṭā’t bzw. den Heilsgemeinschaftsopfern (Lev 23,19–20) auf der anderen Seite eingefügt und untergliedert so die Opferliste in zwei Teilabschnitte. In Num 28,27a hingegen ist sie vor die Tarifliste gezogen, so dass sich hier ein ähnlicher Befund abzeichnet, wie auch den übrigen Abschnitten des Opferkalenders, in denen die qualifizierenden Wendungen ebenfalls nur am Anfang – und gegebenenfalls am Ende – der Tariflisten zu finden, niemals jedoch in diese eingefügt sind, so dass sich die Opferlisten stets als geschlossene Blöcke präsentieren.301 300 301
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 910. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 910.
492
Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Was die geforderten Opfergaben selbst anbelangt, so werden in beiden Texten zunächst die Brandopfer (vgl. Lev 23,18a; Num 28,27b) genannt, wobei die unterschiedliche Anordnung („Lämmer – Stier – Widder“ in Lev 23 gegenüber „Stier – Widder – Lämmer“ in Num 28) ebenso auffällt, wie die unterschiedlichen Zahlen bei Stier(en) und Widder(n). In Lev 23,18a nämlich werden ein Stier und zwei Widder gefordert, in Num 28,27b hingegen zwei Stiere und ein Widder. Die Zahlen scheinen somit gewissermaßen „vertauscht“ zu sein.302 Diachron kann dieser Befund z.B. mit einem „Übertragungsfehler“ erklärt werden. So wird vielfach angenommen, Lev 23,18–20 sei sekundär von Num 28,27–31 her zwischen Lev 23,17.21 eingeschoben worden,303 wobei mit Blick auf das in Lev 23,12 angeordnete Lamm-Opfer am Fest der ʽomær-Gabe die Lämmer vorangestellt und dann – versehentlich – die Zahlen bei Widder(n) und Stier(en) vertauscht wurden. Ein konkreter Grund, die Opfertarife (absichtlich) zu verändern, ist jedenfalls nicht zu erkennen.304 Ebenso wenig aber ist plausibel zu machen, wieso die in Num 28 festgelegten Opfer zwar in Lev 23,18– 20, aber sonst bei keinem anderen der Festtage eingefügt wurden. Synchron hingegen ist der Befund entweder als eine Korrektur einer zuvor ergangenen Weisung durch eine spätere wahrzunehmen – die Tarifliste aus Num 28,27–31 würde damit diejenige aus Lev 23,18–20 korrigieren und letztlich ersetzen – oder aber mit den Rabbinen als Hinweis darauf aufzulösen, dass beide Texte komplementär zu lesen sind. Dies legt nahe, dass in der Praxis beide Angaben aus Lev 23,18 und Num 28,27 zu verbinden. Konkret bedeutet dass, dass die in Lev 23,18 aufgelisteten Opfer als Begleitgaben zu den Erstlingsbroten und den beiden Lämmern (vgl. Lev 23,17.19–20) verstanden werden, deren Darbringung als separater, für das Wochenfest eigentümlicher Vollzug gefasst ist, während die in Num 28 aufgelisteten Gaben das „eigentliche“ Festtagsopfer des Wochenfestes – analog zu den Opfern der restlichen Feste – bilden (vgl. mMen 4.2–3).
In Num 28,28–29 wird die in Lev 23,18b nur summarisch genannte minḥā als Begleitopfer zu den Brandopfern (vgl. ;ומנחתםLev 23,18b; Num 28,18) gemäß der in Num 15,4–10 vorgegebenen Tarifierung (3/10’ēfā solæt pro Stier, 2 /10 ’ēfā solæt pro Widder und ⅟₁₀ ’ēfā solæt pro Lamm) detailliert ausgefaltet, während die Trankopfer, die in Lev 23,18b unmittelbar mit der Begleitopferminḥā verbunden sind (vgl. )ונסכיהם, in Num 28 erst am Ende des Abschnitts zum Erstlingsfest (vgl. Num 28,31) erwähnt werden. Interessanterweise findet sich hier aber dieselbe Formulierung – – ונסכיהםwie in Lev 23,18b. Zusätzlich zu den Brandopfern und ihren Begleitgaben ist in beiden Opferlisten schließlich auch ein Ziegenbock als ḥaṭṭā’t vorgesehen (vgl. Lev 23,19; Num 28,30), wobei sich die jeweiligen Verse im Wortlaut deutlich unterscheiden.
302
Vgl. ASHLEY, Numbers, 567–568; HIEKE, Levitikus 16–27, 911. Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 910–911; LEVINE, Numbers 21–36, 402; WANGENAAR, Origin, 152–153. 304 Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 910–911. 303
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
493
So fehlt in Num 28,30 sogar das Stichwort חטאתund die Opferart wird allein über den Infinitivsatz Num 28,30vI ( )לכפר עליכםangedeutet.305 Neben den grundsätzlichen Gemeinsamkeiten findet sich in beiden Texten, Lev 23,18–20 wie Num 28,27–31, jeweils auch ein Element, das im anderen Text fehlt. In Lev 23 sind dies die beiden in Lev 23,19–20 geforderten Lämmer, die als Heilsgemeinschaftsopfer zu schlachten und zusammen mit den Erstlingsbroten als tenūfā darzubringen sind. Diese finden sich – ebenso wie die in Lev 23 ausführlich thematisierten (vgl. Lev 23,17) Erstlingsbrote selbst – im Opferkalender nicht. Dieser nämlich nennt an keiner Stelle Heilsgemeinschaftsopfer als kommunale Festtagsopfer bzw. führt Opfer diesen Typs lediglich in Num 29,39 als eine Möglichkeit der freiwilligen bzw. gelobten Opfer an, die (nicht nur) an Festen zusätzlich zu den vorgeschriebenen und exakt taxierten Festtagsopfern dargebracht werden können.306 Umgekehrt ergänzt Num 28,31 zu den Brandopfern mit Begleitgaben (V.27–29) und zur ḥaṭṭā’t (V.30) „das regelmäßige Brandopfer mit seiner minḥā“ ( )עלת התמיד ומנחתוund fügt in V.31b die Forderung an, dass die Opfergaben, also über das Tamid in V.31a hinaus auch die in V.27–30 aufgelisteten Opfertiere, unversehrt ( )תמימםsein sollen. Dieselbe Qualifizierung als „unversehrt“ ( )תמימםfindet sich in Lev 23,18a im Hinblick auf die sieben Lämmer für das Brandopfer, fehlt allerdings in der unmittelbaren Parallele in Num 28,27, um in V.31b ein einer Weise „nachgeholt“ zu werden, die das in V.31a genannte Tamid (und auch die ḥaṭṭā’t in V.30) eng an die in V.27 genannten, „eigentlichen“ Festtagsopfer anschließt, mit denen es dieselbe Qualität, das für die Eignung von Opfertiere essenzielle „Unversehrt-Sein“ (vgl. Lev 22,17–25), teilt. Dieser Befund in Num 28,2–31 ist nun umso interessanter, als bei den Opferlisten zu den übrigen Festtagen die Qualifizierung der Opfertiere als „unversehrt“ ( )תמימםjeweils unmittelbar im Anschluss an die Aufzählung der Brandopfertiere zu finden ist (vgl. Num 28,3.9.11.19; 29,2.8.13.17.20.23.26.29.32.36307), dort also jeweils an der Stelle auftaucht, an der sie auch in Num 28,28 stehen müsste, damit eine Parallelität zu Lev 23,18 gegeben sein könnte. Aus Leserperspektive ist damit die Anordnung in Num 28,27–31 als eine intendierte Variation des ansonsten im Festkalender angewandten Schemas wahrzunehmen, das gegenüber der parallelen Opferliste in Lev 23,18–20 weitergehende Systematisierungen vornimmt, indem sie den Zusammenhang von Festtagsopfern und Tamid untermauert.
Zusammenfassend ist somit in Num 28,27–31 mit Blick auf die parallele Passage in Lev 23,18–20 erkennbar, dass der Opferkalender neben seinem grundsätzlichen Anliegen, eine präzise Auflistung der an den einzelnen Festen darzubringenden Opfer zu bieten und so Lev 23 zu ergänzen, auch eine 305
Num 28,30 folgt hinsichtlich der Formulierung Num 28,22; 29,5, während in Num 28,15a; 29,12.16.19.22.25.31.34.38 Rekurse auf das Entsündigungsopfer zu finden sind, die im Wortlaut Lev 23,19 ähneln. 306 Vgl. ASHLEY, Numbers, 561; HIEKE, Levitikus 16–27, 912. 307 Die Wendung ( תמים יהיה )לכםfindet sich auch in Num 28,19; 29,8b.13b.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
systematisierende Absicht verfolgt. Dies ist in der hierarchisierenden Anordnung der Opfergaben („Brandopfer vor ḥaṭṭā’t“) bzw. der Reihung der Brandopfer(tiere) nach Wertigkeit (Stier-Widder-Lamm) ebenso greifbar wie in der Ausgliederung der Heilsgemeinschaftsopfer aus dem „Kanon“ der (verpflichtenden) kommunalen Opfer und dem engen Einbinden des täglichen Brandopfers in die Listen für die Festtagsopfer. Ausgehend von diesen Anliegen ist schließlich auch das bereits konstatierte Fehlen des Festes der ʽomær-Gabe in Num 28 plausibel zu machen. So sind hier einerseits bereits in Lev 23 die erforderlichen Opfergaben genannt (vgl. Lev 23,12–13), so dass für Num 28 keine Notwendigkeit besteht, diese zu ergänzen. Andererseits aber ist – anders als beim Erstlingsfest – auch nicht die Notwendigkeit gegeben, die Opferliste im Sinne der in Num 28–29 angelegten Systematik zu verändern, so dass der Opferkalender hier keine Ergänzung anzubringen hat und entsprechend das Fest der ʽomær-Gabe nicht aufzugreifen braucht.308
In Num 29,1–38 schließlich werden – in der Anordnung weitgehend parallel zu Lev 23 – die Festtage des siebten Monats behandelt, wobei die in Lev 23 greifbare Gewichtung dieses Monats auch in Num 28 evident ist. Ein markanter Unterschied gegenüber Lev 23 ist allerdings beim Sukkotfest gegeben, da dieses in Num 29 deutlich ausführlicher behandelt wird. Maßgeblich hierfür ist, dass bei den ersten sieben Tagen des Festes je ein anderer Opfertarif vorgesehen ist und somit auch jeder Tag mit einem eigenen Abschnitt angesprochen werden muss (vgl. Num 29,12–38). Den entscheidenden Unterschied markiert dabei die Zahl der jeweils dargebrachten Stiere, die von 13 Stieren für den ersten Tag um je ein Tier pro Tag auf sieben Stiere am siebten Tag abfällt, so dass an den sieben Tagen insgesamt 70 Stiere geopfert werden. Am achten Tag (Azeret) sind – wie an Neujahr (Num 29,1–6) und Jom Kippur (Num 29,7–11) – ein Stier, ein Widder und sieben Lämmer als Brandopfer darzubringen. Dies hat zur Folge, dass Azeret in Num 28 gegenüber den ersten sieben Sukkot-Tagen noch deutlicher einen eigenständigen Charakter gewinnt, als dies in Lev 23 der Fall ist. Zugleich jedoch geht durch die breite Entfaltung der sieben Sukkot-Tage (und der an diesen darzubringenden Opfer) auch die Parallelität von Mazzot und Sukkot, die in Lev 23 zu beobachten ist, weitgehend verloren. 4. Regelmäßige Kultvollzüge Ein wesentliches Element aller Abschnitte zu den Festtagen in Num 28,9– 29,38 ist schließlich das – neben den Festtags(brand)opfern sowie deren Begleitgaben und der ḥaṭṭā’t jeweils erwähnte – Brandopfer-Tamid. Die Rekurse auf dieses durchziehen beinahe wie ein „Refrain“ den gesamten Opferkalender, wobei zwei grundlegende Formulierungen auszumachen sind:309 308 309
Vgl. HIEKE, Levitikus 16–27, 961. Vgl. KNIERIM/COATS, Numbers, 283–284; KÖRTING, Schofar, 217.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
495
1. ה-/( על־עלת התמיד ]יעשה[ ונסכוNum 28,10.15b.24a) 2. ו-/ה ]תעשה[ ]…[ ונסכיהם-/מלבד עלת התמיד ומנחתו (Num 28,31; 29,6v.11a.16a.19a.22a.25a.28a.31.a.34a.38a) Beide Varianten betonen, dass die Festtagsopfer ergänzend – „auf dem“ ()על bzw. „zusätzlich zum” ( – )מלבדtäglichen Brandopfer (mit seinen Begleitgaben) dargebracht werden und so gleichsam als „erweitertes Tamid“ zu fassen sind.310 Um diese Grundidee des Opferkalenders, die sich ausgehend vom ersten Überblick über den Text andeutet, genauer fassen zu können, ist im Folgenden zunächst der bislang zurück gestellte Tamid-Abschnitt Num 28,3–8 detaillierter zu betrachten. II. Das regelmäßige Brandopfer in Num 28,3–8 Da Num 28,3–8 über weite Strecken wörtlich die Anweisungen zum Brandopfer-Tamid aus Ex 29,38–42 aufnimmt – die theologisch deutenden Passagen in Ex 29,43–46 werden nicht dezidiert eingeblendet – liegt es nahe, einen synoptischen Vergleich beider Texte als Ausgangspunkt der Analyse von Num 28,3–8 zu wählen. Num 28,3–8
6a 6b 7a 7b 8a 8b
ואמרת להם זה האשה אשר תקריבו ליהוה כבשים בני שנה תמימם שנים ליום עלה תמיד את הכבש אחד תעשה בבקר ואת הכבש השני תעשה בין הערבים ועשירית האיפה סלת למנחה בלולה בשמן כתית רביעת ההין עלת תמיד העשיה בהר סיני לריח ניחח אשה ליהוה ונסכו רביעת ההין לכבש האחד בקדש הסך נסך שכר ליהוה ואת הכבש השני תעשה בין הערבים כמנחת הבקר וכנסכו תעשה
8c
אשה ריח ניחח ליהוה
3a 3b 3bR 3c 4a 4b 5
310
Ex 29,38–42
וזה אשר תעשה על המזבח כבשים בני שנה שנים ליום תמיד את הכבש אחד תעשה בבקר ואת הכבש השני תעשה בין הערבים ועשרן סלת בלול בשמן כתית רבע ההין
38a 38aR 38b 39a 39b 40
ונסך רבעית ההין יין לכבש האחד ואת הכבש השני תעשה בין הערבים כמנחת הבקר וכנסכה תעשה לה לריח ניחח אשה ליהוה עלת תמיד לדרתיכם פתח אהל מועד לפני יהוה אשר אועד לכם שמה לדבר אליך שם
41a 41b 41c 42a 42aR 42aRI
Vgl. JENSON, Graded, 183–184; LEVINE, Numbers 21–36, 366; MILGROM, Numbers, 241; 244.
496
3a 3b 3bR 3c
4a 4b 5
6a
6b 7a 7b
8a 8b
8c
Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung Num 28,3–8 Sag zu ihnen: „Das ist die Feuergabe, die ihr für JHWH darbringen sollt: Lämmer, einjährig, unversehrte, zwei für den Tag, als regelmäßiges Brandopfer. Das eine Lamm sollst du machen am Morgen und das zweite Lamm sollst du machen „zwischen den Abenden“ und ein Zehntel ’ēfā Feinmehl, für die Speiseopfergabe, mit ausgedrücktem Öl vermischt, ein Viertel Hin. Das regelmäßige Brandopfer, das am Berg Sinai gemachte zum beruhigenden Duft (ist es). Eine Feuergabe (ist es) für JHWH. Und sein Trankopfer: ein Viertel Hin für das eine Schaf. Im „Heiligen“ werde es ausgegossen als Trankopfer, als berauschendes Getränk für JHWH. Und das zweite Schaf sollst du machen „zwischen den Abenden“; wie die Speiseopfergabe des Morgens und sein Trankopfer sollst du (es) machen. Eine Feuergabe zum beruhigenden Duft für JHWH.
Ex 29,38–42 Und das ist, was du machen sollst auf dem Altar: Lämmer, einjährig, zwei für den Tag, regelmäßig. Das eine Lamm sollst du machen am Morgen und das zweite Lamm sollst du machen „zwischen den Abenden“ und ein Zehntel Feinmehl,
38a 38aR 38b
39a 39b 40
mit ausgedrücktem Öl vermischt, ein Viertel Hin,
und als Trankopfer ein Viertel Hin Wein für das eine Schaf.
Und das zweite Schaf sollst du machen „zwischen den Abenden“ wie die Speiseopfergabe des Morgens und sein Trankopfer sollst du für es machen zum beruhigenden Duft. Eine Feuergabe für JHWH, ein regelmäßiges Brandopfer für eure Generationen am Eingang des Zelts der Begegnung vor JHWH, da ich euch dorthin begegne, um mit dir dort zu sprechen.
41a 41b
41c 42a
42aR 42aRI
Die Synopse zeigt, dass die größten Entsprechungen zwischen den beiden Texten (in der Tabelle grau hinterlegt) v.a. in denjenigen Passagen auszumachen sind, in denen die darzubringenden Opfergaben benannt, definiert und quantifiziert werden (vgl. Num 28,3c–5 // Ex 29,38b–40; Num 28,7a // Ex 29,40; Num 28,8ab // Ex 29,41ab). In diesen Textbereichen sind lediglich die folgenden kleineren Differenzen festzuhalten:311 311
Vgl. dazu auch MICHEL, Peripherie, 369–370.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
497
(1.) In Num 28,3c ist gegenüber Ex 29,38b das Adjektiv ‚( תמימםunversehrte, makellose‘) ergänzt, das die körperliche Unversehrtheit als die zweite wesentliche Eigenschaft der opferbaren Lämmer neben dem richtigen Alter (vgl. )בני־שנהbenennt. Num 28,3 spielt damit auf die Weisung in Lev 22,17–25 an, der zufolge nur makellose Tiere ohne (sichtbare) körperliche Verletzung als Opfertier geeignet sind.312 Zugleich aber findet sich dasselbe Stichwort ( )תמימםauch in allen Opferlisten des Opferkalenders (vgl. Num 28,9.11.19. 31; 29,2.8.13.17.20.23.26.29. 32.26), so dass über das Einfügen des Adjektivs in Num 28,3c im Gegenüber zu Ex 29,38 auch die Kohärenz zwischen der Tamid-Passage und den nachfolgenden Abschnitten zu den Festtagsopfern verstärkt wird. (2.) Daneben wird in Num 28,3 im Anschluss an die quantifizierende Angabe ‚( שנים ליוםzwei pro Tag‘) das Nomen עלהeingefügt. Diesem kommt die Funktion einer klassifizierenden Angabe zu, so dass in Num 28,3 nicht nur die geforderten Gaben (präzise) aufgelistet sind, sondern zugleich auch der Opfertyp eindeutig bestimmt wird: Die in V.3c definierten Lämmer sind „als Brandopfer“ ( )עלהdarzubringen. Zudem korrespondiert die Formulierung עלה תמידin V.3c mit der Konstruktusverbindung עלת תמידin V.6a. In Ex 29,38–46 hingegen wird der Opfertyp erst in Ex 29,42a definiert. (3.) Eine ähnliche Präzisierung ist auch in Num 29,5 greifbar, wo – über die genauere Angabe der für die Begleitopfer-minḥā benötigten Mehlmenge ( ;עשירית האיפה סלתNum 29,5 anstelle von עשרן סלתin Ex 29,40) hinaus – durch die Formulierung ‚( למנחהals minḥā‘) ebenfalls ausdrücklich der Opfertyp festgehalten wird. In Ex 29 hingegen wird das Begleitopfer erst in V.41b als minḥā klassifiziert. Über die beiden zuletzt genannten Eigenheiten wird Num 38,3c–5 auch den Opfer- bzw. Tariflisten zu den einzelnen Festen in Num 28,11–13.19–21.27–29; 29,2–4.8–10.13– 15.17–18.20–21.23–24.26–27.29–30.32–33.36–37 angeglichen. Diese nämlich sind ebenfalls jeweils zweiteilig angelegt, wobei auf das an erster Stelle genannte Brandopfer (vgl. Num 28,22.19b.27b; 29,2b.8bc.13b.17.20.23.26.29.32.36b) die Begleitopfer-minḥā (vgl. Num 28,12–13.20–21.28–29; 29,3–4.9–10.14–15.18.21.24.27.30.33.37) folgt. Die klassifizierenden Termini ʽōlā und minḥā sind dabei – ebenso wie in Num 28,3.5 – der Aufzählung der jeweiligen Opfergaben vorangestellt und damit in gliedernder bzw. strukturierender Funktion gebraucht.
(4.) In Num 28,5 steht das feminine Partizip Passiv בלולהder maskulinen Form בלולin Ex 29,40 gegenüber, womit in Num 28,5 als das entsprechende Bezugswort nicht (wie in Ex 29,40) ( סלתm.), sondern ( עשירית האיפהf.) zu bestimmen ist. (5.) Von etwas größerem Gewicht für die Auslegung von Num 28,3–8 ist schließlich ein – augenscheinlich kleiner – Formulierungsunterschied zwi312
Vgl. LEVINE, Numbers 21–36, 371.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
schen Num 28,7a und Ex 29,40. So findet sich in Num 28,7a die Wendung ‚( ונסכוund sein Trankopfer‘), dem in Ex 29,40 die Formulierung ‚( ונסךund ein Trankopfer‘) gegenübersteht. Das nur in Num 28,7a belegte ePP der 3. Pers. m. Sg. (ו-) kann sich dabei nur auf das Nomen ( אשהm. Sg.) in Num 28,6b beziehen. Das Trankopfer in Num 28,7 ist somit ausdrücklich der „Feuergabe“, d.h. dem in Num 28,4–5 beschriebenen Brandopfer (mit seiner Begleitopfer-minḥā), zugeordnet. Fast die selbe Formulierung wie in Num 28,7a ist auch in Num 28,8b zu finden ()כנסכו. In diesem Fall aber erweist sich der Bezug des ePP (3. Pers. m. Sg.) als problematisch, da dieses – wenn überhaupt – nur mit dem Nomen ‚( כבשLamm‘; m. Sg.) in V.8a zu verbinden ist. Der Sache nach jedoch kann es in V.8b nicht um das Trankopfer des zweiten Lammes (für den Abend) gehen (vgl. V.8a), sondern um das des ersten (am Morgen), dem entsprechend ( )כנסכוauch das Trankopfer für das Abend-Tamid zu bemessen ist. Damit erweist sich der grammatikalische Bezug in V.8b als nicht präzise, was wohl v.a. darin begründet ist, dass in V.8b die Formulierung aus Num 28,7a aufgenommen werden soll. In Ex 29,41b steht der Formulierung כנסכוdie Wendung כנסכהgegenüber, wobei in diesem Fall das feminine ePP (ה-) auf die unmittelbar zuvor erwähnte ( מנחת הבקרf. Sg.) zu beziehen ist. Somit ist in Ex 29,41 – anders als in Num 28, wo der Zusammenhang zwischen Brandopfer und næsækh herausgestellt wird (vgl. V.7a) – stärker die Verbindung der beiden Begleitopfer betont.
(6.) Zuletzt fehlt in Num 28,7a das im parallelen Vers Ex 29,40 belegte Nomen ‚( ייןWein‘) und in Num 28,8b das präpositionale להvon Ex 29,41b ()תעשה־לה. Beide Punkte sind allerdings für die weitere Auslegung von geringerer Bedeutung. Über diese kleineren Differenzen innerhalb der ansonsten wortgleichen Passagen Num 28,3c–5 // Ex 29,38b–40; Num 28,7a // Ex 29,40; Num 28,8ab // Ex 29,41ab hinaus sind schließlich an vier Stellen gravierendere Abweichungen von Num 28,3–8 gegenüber Ex 29,38–41 auszumachen, die im Folgenden genauer zu analysieren sind: So findet sich in der Einleitung des Abschnitts (Num 28,3b–bR) ein deutlich anderer Wortlaut als in der parallelen Passage Ex 29,38a–aR. In Num 28,6 hingegen ist eine qualifizierende Passage eingeschoben, die in struktureller Hinsicht kein Gegenstück in Ex 29 hat, dafür aber inhaltlich enge Bezüge zu Ex 29,41c–42a erkennen lässt. Neben dieser finden sich qualifizierende Wendungen auch in Num 28,8c, d.h. zum Abschluss der Einheit, wobei das Verhältnis dieses Verses zu Ex 29,41c zu klären ist und zuletzt ist der Satz Num 28,7b ohne Parallele in Ex 29. 1. Num 28,3b–bR als Einleitung Von ihrem grundlegenden Aufriss – wenngleich auch nicht von ihrem Wortlaut – her sind die Sätze Num 28,3b–bR, die den Abschnitt zum BrandopferTamid in Num 28,3–8 eröffnen, erkennbar parallel zu ihrem „Gegenstück“ in Ex 29,38a–aR angelegt. Beide Male besteht der Hauptsatz (Num 28,3b; Ex
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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29,38a) aus einer Deixis ( זה האשהbzw. )וזה, wobei in Num 28,3b – neben dem auch in Ex 29,38a belegten Demonstrativpronomen – זהzusätzlich das Stichwort ‚( אשהFeuergabe‘) zu finden ist. Dieses kehrt innerhalb der TamidPerikope noch zwei weitere Male in Num 28,6.8c wieder, wo es jeweils mit den qualifizierenden Wendungen ‚( ליהוהfür JHWH‘) und ‚( )ל(ריח ניחחzum beruhigenden Duft‘) verbunden ist. Damit erweist sich אשהin Num 28,3–8 als zentraler Reflexionsbegriff der theologischen Interpretation des Brandopfer-Tamids, der als solcher in V.3b betont vorangestellt ist. Des Weiteren schließt Num 28,3b über das Stichwort אשהauch an die unmittelbar vorausgehende Einleitung des Opferkalenders in Num 28,2c–I an. In dieser wird Israel aufgefordert, die Gabe ( )קרבןbzw. Speise ( )לחםfür JHWH zu bewahren, wobei letztere, die Speise ()לחם, „in Gestalt der Feuergaben“ ( )לאשיdargebracht wird. Wenn nun Num 28,3b das Stichwort אשה (‚Feuergabe‘) aus V.2c aufnimmt und pointiert mit der Deixis זהverbindet, die auf das nachfolgend dargestellte Brandopfer-Tamid abzielt, so erscheint letzteres gleichsam als die (idealtypische) Feuergabe Israels, die mit V.2c von den beiden „Metabegriffen“ קרבןund לחםher als Vollzug zu deuten ist, in dem Israel – für seinen Gott gebend bzw. diesen „bewirtend“ – mit JHWH Gemeinschaft pflegt.313 Dass im Opferkalender Num 28–29 damit in erster Linie das Tamid als die (idealtypische) Gabe profiliert wird, kann auch aus einem Blick auf die weiteren Belegstellen des Terminus אשהsowie auf deren Verteilung im Text deutlich werden. So können in Num 28–29 zwar zunächst auch die speziellen Brandopfer der Festtage (mitsamt ihrer Begleit-minḥā) als אשהqualifiziert werden, doch fällt auf, dass das Stichwort אשהin Num 28,3–8 im Vergleich zu den übrigen Abschnitten von Num 28–29 – mit drei Belegen in sechs Versen – gehäuft auftritt. Darüber hinaus aber ist es im Abschnitt zu Mazzot (Num 28,16–25) zwei Mal (vgl. V.19a.24b) und in den Abschnitten zum Neumondtag (Num 28,11–15; vgl. V.13b), zum ersten Tag von Sukkot (Num 28,12–16; V.13a) und zu Azeret (Num 29,35–36; vgl. V.36a) je ein Mal belegt.314 In diesen Versen findet sich jeweils die Weisung, ein Brandopfer als ‚( אשהFeuergabe‘) darzubringen, wobei der Terminus ‚( עולהBrandopfer‘) jeweils auf die nachfolgende Auflistung der Festtagsopfer abzielt, dabei aber stets auch das anschließend an diese geforderte Brandopfer-Tamid mit einschließt. An einer weiteren Belegstelle, Num 29,6a (im Abschnitt zum Neujahrstag; Num 29,1–6), schließlich ist ( אשהprimär) auf das BrandopferTamid (V.6v) bezogen. Die Festtagsopfer sind somit (nur) zusammen mit dem Tamid diejenige אשה, die Israel als קרבןund לחםzu bewahren hat (vgl. V.2c), und erscheinen damit als spezifische „Erweiterung“ und „Entfaltung“ 313
Vgl. RENDTORFF, Studien, 87; DERS., Opfertora, 181. Somit fehlt der Terminus אשהin den Abschnitten zum Shabbat (Num 28,9–10), zum Erstlingsfest (Num 28,26–31), zu Jom Kippur (Num 29,7–11) sowie zu den Tagen zwei bis sieben von Sukkot (Num 29,17–34). 314
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
des Tamids anlässlich der Feiertage.315 Diese Konzeption wurde oben bereits ausgehend von den Tamid-Rekursen in den Opferlisten zu den einzelnen Festtagen herausgestellt, die die Festtagsopfer als „Zugabe“ zum Tamid ausweisen. In Num 28,3b aber wird sie (in Leserichtung erstmals) über den Rückbezug auf V.2c eingebracht und so dem Opferkalender betont als grundlegende Idee vorangestellt. Der für die Interpretation des Tamid-Abschnitts Num 28,3–8 (und des gesamten Opferkalenders) wesentliche Anschluss von Num 28,3 an Num 28,2 wird zuletzt auch dadurch untermauert, dass der Relativsatz Num 28,3bR, der auf das zentrale Stichwort ‚( אשהFeuergabe‘) bezogen ist bzw. dieses näher bestimmt, zugleich auch Num 28,2cI aufnimmt und sich folglich im Wortlaut deutlich von dem parallelen Relativsatz in Ex 29,38aR absetzt.316 Num 28,2c–cI 2c 2cI
את קרבני לחמי לאשי ריח ניחחי תשמרו להקריב לי במועדו
Num 28,3b–bR
זה האשה אשר תקריבו ליהוה
3b 3bR
Ein letzter Unterschied zwischen Ex 29,38R und Num 28,3bR liegt in den jeweiligen Verben, da in Ex 29,38aR im Verb ‚( תעשהdu sollst machen‘) ein Auftrag an die 2. Pers. Sg. – im Kontext zunächst Mose – gerichtet ist, während in Num 28,3bR mit dem Verb ‚( תקריבוihr sollt darbringen‘) eine Weisung an die 2. Pers. Pl. (Israel) ergeht. So ist in Num 28,3 – V.2 fortführend – das Tamid von Anfang an als Opfer Israels anvisiert, während Ex 29 diese Perspektive erst nach und nach aufbaut. 2. Qualifizierende Wendungen (Num 28,6.8c) Interessante Unterschiede in Textanordnung und Wortlaut, die die speziellen theologischen Schwerpunktsetzungen von Num 28,3–8 deutlich machen können, finden sich auch in den beiden Versen Num 28,6.8c, in den Passagen also, in denen der Text selbst eine Qualifizierung und Interpretation des Brandopfer-Tamids vornimmt. Der deutlich längere und ausführlichere Abschnitt ist dabei Num 28,6. Dieser Vers unterbricht in Num 28,3–8 den in Ex 29,38–42 gegebenen engen Zusammenhang zwischen den beiden Begleitgaben des Brandopfer-Tamids, minḥā und næsækh, die in Ex 29,40 in einem Satz miteinander verhandelt werden. In Num 28 hingegen thematisiert der Vers Num 28,5 – eng angelehnt an die erste Hälfte von Ex 29,40 – die minḥā317 und Num 28,7 das Trankop315
Vgl. LEVINE, Numbers 21–36, 366. Zugleich klingt damit in Num 28,3bR auch der Abschluss des Festkalenders in Lev 23,37aRI nach, der ja – wie oben aufgezeigt – in Lev 28,2c–cI aufgenommen wird. 317 Anders als im parallelen Vers Ex 29,40 findet sich der Terminus minḥā ausdrücklich in Num 28,5. 316
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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fer. Dabei entspricht Num 28,7a beinahe wörtlich der zweiten Hälfte von Ex 29,40, während Num 28,7b die Darbringung des næsækh konkretisiert und ohne Parallele in Ex 29,38–46 ist. Das „Einschieben“ von Num 28,6 zwischen minḥā und næsækh hat im Hinblick auf die Komposition zunächst zur Folge, dass in Num 28,3–8 Brandopfer (V.3c–4) und minḥā (V.5) eng verbunden sind. Beide zusammen werden in Num 28,6a als ‚( עלת תמידregelmäßiges Brandopfer‘) klassifiziert bzw. in V.6b als „Feuergabe für JHWH“ ( )אשה ליהוהgedeutet. Das Trankopfer hingegen gewinnt gegenüber der minḥā eine größere Eigenständigkeit, was kompositorisch dadurch untermauert wird, dass durch die Erweiterung des aus Ex 29,40 eingespielten Satzes (V.7a) um die weiterführenden Anweisungen in V.7b der Rekurs auf den næsækh zu einem Teilabschnitt mit eigenständigerem Gewicht ausgestaltet wird.318 Hinsichtlich des Wortlauts lässt Num 28,6 eine große Nähe zu Ex 29,41(b)c–42a erkennen, wobei – wie die nachfolgende Synopse zeigt – die beiden Sätze Ex 29,41c.42 chiastisch aufgenommen werden. Zugleich wird die Wendung ‚( לריח ניחחzum beruhigenden Duft‘), die in Ex 29,41b konkret mit dem „Machen“ ( )עשהdes Abend-Tamids verbunden ist und von den Ritualanweisungen in Ex 29,38–41b zur Deutung in Ex 29,41b–42 überleitet, in Num 28,6a mit dem Stichwort ‚( עלת תמידregelmäßiges Brandopfer‘) korreliert, das hier auf den in V.3–5 beschriebenen (Gesamt-)Vollzug verweist. Num 28,6 6a 6b
עלת תמיד העשיה בהר סיני לריח ניחח אשה ליהוה
Ex 29,41(b)c–42a
לריח ניחח אשה ליהוה עלת תמיד לדרתיכם פתח אהל מועד
(41b) 41c 42a
In Folge dieser „Umstellung“ bildet die Klassifikation des Ritus als עלת תמיד (‚Brandopfer der Regelmäßigkeit‘) zusammen mit den Formulierung עלה תמיד in Num 28,3c einen Rahmen um die Auflistung der Opfergaben in Num 28,4– 5. Zugleich aber steht sie – ebenso wie in Ex 29,42, wo sie die „Verortung“ des Tamid in Ex 29,42a und die „Begegnungs-Aussagen“ in Ex 29,42aR–aRI einleiten – unmittelbar der zentralen Deutung des Tamids voran, die im Fall von Num 28,6 im Sinai-Rekurs ( )העשיה בהר סיניvon V.6a gegeben ist. Eine andere mögliche Erklärung für die chiastische Aufnahme der Formulierungen aber wäre es, diese im Sinne von Seidl‘s law als „Zitatmarker“ zu interpretieren, der an der entscheidenden Stelle, an der Num 28,3–8 markant von der Textanordnung in Ex 29,38–46 abweicht und die zentrale theologische Deutung des Tamid einbringt, den Bezug zum Hypotext Ex 29,38–46 318 Vgl. MICHEL, Peripherie, 370; 375. Die damit angelegte Systematisierung, Brandopfer und Begleit–minḥā eng zu verbinden und ihnen das Trankopfer in einer gewissen Eigenständigkeit gegenüberzustellen, ist – wie unten noch genauer zu zeigen ist – auch in den übrigen Abschnitten des Opferkalenders greifbar.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
deutlich hervorhebt. So ist ein Signal an die Lesenden gesetzt, im Lektüreprozess die mit der „zitierten“ Passage Ex 29,41(b)c–42a einsetzende Deutung des Tamids in Ex 29,42.43–46 auch in Num 28,6 mit einzuspielen – selbst wenn diese aufgrund der spezifischen Schwerpunktsetzung von Num 28,3–8 hier nicht explizit aufgenommen ist. Mit Ex 29,41(c) gemeinsam jedenfalls ist die Qualifizierung als אשה ליהוה (‚Feuergabe für JHWH‘) in Num 28,6b, die – wie in Ex 29,41 – mit der Zweck- bzw. Funktionsangabe ‚( לריח ניחחzum beruhigenden Duft‘) verbunden ist. Das Brandopfer-Tamid wird somit als eine im Feuer symbolisch übereignete Gabe (ganz) Israels an JHWH gedeutet, die eine positive Reaktion JHWHs antizipiert und darin die Gemeinschaft zwischen JHWH und Israel erfahrbar machen will. Diese grundlegende Interpretation beschließt in Num 28,6b den deutenden Vers Num 28,6, ist im Kontext von Num 28,3–8 aber auch insofern von zentraler Bedeutung, als sie einerseits auf die Deixis זה ‚( האשהdies ist die Feuergabe…‘) zurückverweist, die den Tamid-Abschnitt Num 28,3–8 eröffnet und ihn zugleich an die Einleitung des Opferkalenders in Num 28,2c–cI zurückbindet bzw. mit der dort entfalteten „Opfertheologie“ korreliert. Andererseits finden sich die zentralen Stichworte ‚( ריח ניחחberuhigender Duft‘) und ‚( אשהFeuergabe‘) auch im letzten Satz des TamidAbschnitts (Num 28,8c) in der Wendung ‚( אשה ריח ניחח ליהוהFeuergabe, beruhigender Duft für JHWH‘), die nochmals auf das Übergeben des Opfers durch Israel (im Feuer) und die darin antizipierte positive Reaktion JHWHs fokussiert und damit die beiden komplementären Pole des kultischen Kommunikationsgeschehens andeutet. Das Stichwort אשהfindet sich somit in der Einleitung (V.3b), in der kompositorisch wie theologisch zentralen Funktionsbestimmung des täglichen Brandopfers (V.6b) und im Schlussvers (V.8c) des Abschnitts und erscheint damit als der Schlüsselbegriff für die Deutung des Tamid in Num 28,3–8, der zugleich auch eine Brücke zu den für die Deutung des Brandopfer-Tamids wesentlichen Passagen in Ex 29,42.43–46 schlagen kann. Daneben verbinden sich mit dem Stichwort ‚( אשהFeuergabe‘) aber auch spezifische Akzentsetzungen von Num 28,3–8, wenn in Num 28,6a von demjenigen BrandopferTamid die Rede ist, das „auf dem Berg Sinai“ als Feuergabe gemacht wurde. Die dabei gebrauchte Wendung ‚( העשיה בהר סיניdas am Berg Sinai Gemachte‘) ist in Ex 29,38–46 nicht belegt. Syntaktisch ist sie als eine Apposition zu Konstruktusverbindung ‚( עלת תמידregelmäßiges Brandopfer‘) zu deuten, die diese näher bestimmt. Theologisch interessant ist dabei, dass das in V.3c.6a ausdrücklich als regelmäßig ( )תמידqualifizierte Brandopfer, das Israel – im Hinblick auf eine künftige Praxis – als dauerhafte Institution aufgetragen ist, explizit mit dem Sinai und somit mit einem Datum der Vergangenheit korreliert wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Opferkalender über seine narrative Einbindung in den Text der Tora mit dem Land Moab, d.h. dem Endpunkt der Wüstenwanderung Israels und von der zeitlichen Einordnung
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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her mit der zweiten Generation verbunden ist, nachdem die zweite Volkszählung in Num 26 das Ende der Sinaigeneration dokumentiert hat. Vor diesem Hintergrund bringt der Rekurs auf den Sinai ein retrospektives Element ein, das die Adressaten der Gottesrede (auch in der Textwelt) hinter ihre eigene Gegenwart auf ein „Zuvor“ zurückverweist, das in der Gründungsgeschichte Israels zu verorten ist und in dem das Tamid seinen festen Platz hat. So ist die Formulierung ‚( בהר סיניam Berg Sinai‘) deutlich mehr als „nur“ eine Ortsangabe. Sie ist vor allem eine Chiffre für das am Sinai verortete Gründungsgeschehen rund um die zentralen Elemente Theophanie, Offenbarung, Bundesschluss (und -erneuerung) sowie Grundlegung des Kultes. Mit Blick auf das Tamid sind damit mehrere, miteinander verschränkte Ebenen bzw. Dimensionen bedeutsam: So kann die Wendung העשיה בהר סיניeinerseits auf die in Ex 40,16–33.34– 35; Lev 8–10 und Num 7 beschriebene Kultinauguration verweisen, wobei im Zusammenhang mit dem Brandopfer-Tamid vor allem an die Verse Ex 40,29 und Lev 9,17 zu denken ist, in denen der Beginn des regelmäßigen Kults auf dem Brandopferaltar thematisiert wird.319 Dabei verbindet Ex 40,29 eine erste (irreguläre) Ausführung des Brandopfer-Tamids (durch Mose) unmittelbar mit dem Aufstellen des Altars. Es wird deutlich, dass der Altar und die Kultvollzüge auf diesem untrennbar zusammengehören und das Tamid – im Gefolge von Ex 29,38–46 – als der (grundlegende und elementare) Kultvollzug am Altar zu gelten hat. Lev 9,17 hingegen verbindet die erste (reguläre) Ausführung des Brandopfer-Tamids mit dem ersten feierlichen Gottesdienst Israels im Heiligtum und betont, dass die speziellen Opfer des festlichen Gottesdienstes ‚( מלבד עלת הבקרzusätzlich zur Morgen-ʽōlā‘), also als „Supplemente“ zum Tamid anlässlich der besonderen Feier dargebracht werden.320 So wird in Lev 9,17 das Verhältnis zwischen den Festtagsopfern und dem regelmäßigen Brandopfer in gleicher Weise bestimmt, wie in den Tamid-Rekursen innerhalb der Opferlisten von Num 28–29. Auffällig ist also, dass in den beiden Versen, die ein „Machen“ des Tamid am Sinai thematisieren, Konzepte greifbar werden, die auch in Num 28,3–8 bzw. im Opferkalender Num 28– 29 nachklingen, was zur Folge hat, dass die in Num 28–29 zu erhebende Theologie des Tamid auch als Entfaltung des in Ex 40,29; Lev 9,17 Angelegten interpretiert werden kann. Zugleich unterstreicht der Rückverweis auf das Machen am Berg Sinai in Num 28,6a ein „Prä“ des Tamid, da deutlich wird, dass dessen Praxis chronologisch den Anweisungen im Opferkalender vorausgeht und es darin von den (dem Tamid zugeordneten) Festtagsopfern grundsätzlich unterschieden ist.321 In diesem Zusammenhang kann der Rekurs auf den Berg Sinai in Num 28,6a 319
Vgl. MICHEL, Peripherie, 376–377. Ähnlich LEVINE, Numbers 21–36, 373–374. Vgl. MILGROM, Numbers, 241; 244. 321 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 584; SEEBASS, Numeri 22–36, 255. 320
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schließlich auch auf den Vorgang der (erstmaligen) Übermittlung der Weisungen zum Brandopfer-Tamid (Ex 29,38–46) im Kontext der Heiligtumstora verweisen, der sich ja Ex 24,18; 31,18 zufolge auf dem Berg Sinai ()בהר סיני ereignet. So kommt in Num 28,6 zuletzt auch die Grundlegung des Rituals in der Übermittlung der ihm zugrundeliegenden göttlichen Weisungen (vgl. Ex 29,38–46) in den Blick.322 Aus der Perspektive der Lesenden aber wird über dieses Rekapitulieren des literarischen Kontexts und auch der rechtsystematischen Einordnung von Ex 29,38–46 als Teil der „Kernoffenbarung“ vom Sinai zugleich auch Num 28,3–8 als Wiederaufnahme und Neukontextualisierung von bereits an anderer Stelle offenbarten Weisungen und damit als „Toraauslegung in der Tora“ markiert. Zuletzt schließlich kann – innerhalb von Num 28,3–8 – das Partizip העשיהin V.6a mit den vier Belegen des Vers עשהin V.4ab.8ab verbunden werden. Dies hat zur Folge, dass der am Sinai grundgelegte und praktizierte Kult einerseits ( )עשיהund der – im Rückgriff auf Ex 29,38–46 nochmals – im Hinblick auf Gegenwart und Zukunft angeordnete, regelmäßige Vollzug ( )עשהdes täglichen Brandopfers andererseits in solcher Weise miteinander korreliert werden, dass zunächst das tägliche Brandopfer, dann aber auch dessen „Erweiterungen“ anlässlich der Feste im Jahreskreis als ein Fortführen und „Reinszenieren“ des Gründungsgeschehens am Berg Sinai interpretiert werden können, in dem das am Sinai Gemachte immer wieder neu zur Praxis Israels wird bzw. werden soll. Den Abschluss von Num 28,6a markiert schließlich die qualifizierende Wendung ‚( לריח ניחחzum beruhigenden Duft‘), die die Art und Weise der Darbringung bzw. die mit dieser verbundene Intention andeutet: Die עלת תמיד dient der Huldigung JHWHs und antizipiert zugleich eine positive Reaktion JHWHs auf das kultische Agieren Israels, in der eine gelingende Kommunikation zwischen Gott und Volk konkret wird. Auffällig dabei ist, dass die Wendung in Num 28,6a unmittelbar an die Formulierung העשיה בהר סיניanschließt, womit sie einerseits – ebenso wie in Ex 29,41b – mit einer Form des Verbs ‚( עשהtun, machen‘) verbunden ist, andererseits aber auch eine interessante Zuspitzung erfährt. Immerhin nämlich kann diese so zunächst als Aussage über die Qualität des Kults am Sinai gelesen werden, die zudem aus Texten wie Lev 9 zu verifizieren ist, die in der Tat die wohlwollende Annahme der Gaben Israels durch JHWH und damit das Gelingen der kultischen Kommunikation ausdrücklich thematisieren. Zugleich jedoch nimmt sie auch die in Num 28,3–8 geforderte (gegenwärtige und künftige) Kultpraxis in den Blick und impliziert somit in ihrer „Janusköpfigkeit“ die Zusage, dass ein torakonform praktizierter Kult in Kontinuität zum Tun am Sinai letztlich dieselben Wirkungen und „Effekte“ zeitigen wird, wie der Kult am Sinai selbst und somit ein geeignetes und „funktionstüchtiges“ Mittel darstellt, mit JHWH in Kontakt zu kommen bzw. in Kommunikation zu treten. 322
Vgl. BUDD, Numbers, 315; LEVINE, Numbers 21–36, 374; MILGROM, Numbers, 239.
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3. Das Trankopfer (Num 28,7) Der letzte Vers, in dem signifikante Unterschiede zu Ex 29,38–42 auszumachen sind, ist Num 28,7, der das als Begleitopfer zum Tamid gehörende næsækh behandelt. Dabei wird in Num 28,3–8 – wie oben bereits gezeigt – das in Ex 29,40 (und auch Num 15,2–12) eng mit der Begleit-minḥā verbundene Trankopfer (V.7) durch das „Einschieben“ von Num 28,6 deutlich von dem Abschnitt zur minḥā (V.5) getrennt und auf diese Weise – deutlicher als dies in Ex 29,38–42; Num 15,2–12 der Fall ist – als eigenständiger(er) Vollzug profiliert. Damit korrespondiert, dass Num 28,7b das Ritual für das Trankopfer zumindest andeutet und damit einen Aspekt thematisiert, der weder in Ex 29,38–42 noch in Num 15,2–12 behandelt wird. Num 28,7a hingegen quantifiziert – im Rückgriff auf Ex 29,40 (vgl. Lev 23,13; Num 15,5) – die für ein Lamm (d.h. für einen Teilvollzug des täglichen Brandopfers) benötigte Menge von ¼ hīn und bietet folglich keine über die Vorgaben von Ex 29 hinausgehenden Informationen. Interessant ist somit vor allem Num 28,7b mit der Anweisung, das in V.7a quantifizierte næsækh, das in diesem Zusammenhang als ‚( שכר ליהוהberauschendes Getränk für JHWH‘)323 qualifiziert wird, im „Heiligen“ ( )בקדשauszugießen (נסך-hi.). Besondere Aufmerksamkeit hat hier zuerst der Wendung ‚( שכר ליהוהberauschendes Getränk für JHWH‘) zu gelten, die in dieser Weise an keiner anderen Stelle im TaNa“K belegt ist. Aber auch das Nomen שכר (‚berauschendes Getränk‘) selbst ist nur an wenigen Stellen324 zu finden und dabei vielfach negativ konnotiert, d.h. mit Maß-, Besinnungs-, und / oder Verantwortungslosigkeit verbunden (vgl. 1Sam 1,15; Jes 5,11.22; 28,7; 56,12; Mi 2,11; Ps 69,13; Spr 20,1; 31,4[.6]). Ausdrücklich verboten ist שכר daher dem Priester für die Zeit seines Dienstes im Heiligtum (Lev 10,9) sowie dem Naziräer für die Dauer seines Gelübdes (Num 6,3; vgl. auch Ri 13,4.7.14). Zu den wenigen Belegen, in denen eine negative Wertung nicht greifbar ist, gehört zunächst Dtn 29,5. Hier rekapituliert Mose die zurückliegende Wüstenzeit Israels und hält fest, dass das Volk während dieser keinerlei Brot gegessen und keinen Wein ( )ייןsowie keinen שכרgetrunken habe, da diese als typische Nahrungsmittel des Kulturlandes in der Wüste nicht zur Verfügung standen. Ein expliziter Zusammenhang mit dem Kult jedoch ist – abseits von dem שכר-Verbot für den amtierenden Priester in Lev 10,9 – nur in Dtn 14,26 gegeben. Dieser Vers gehört in den Zusammenhang der Anweisungen zum 323
שכרwird vielfach mit ‚Bier‘ übersetzt, im Kontext von Num 28,7 jedoch ist ausdrücklich der Libationswein des næsækh – und kein weiteres Getränk neben diesem – im Blick, der somit als „Rauschtrank” qualifiziert wird. Vgl. LEVINE, Numbers 21–36, 375; SEEBASS, Numeri 22–36, 237; 255. 324 Vgl. Lev 10,9; Num 6,3; 28,7; Dtn 14,26; 29,5; Ri 13,4.7.14; 1Sam 1,15; Jes 5,22; 24,9; 28,7; 29,9; 56,12; Mi 2,11; Ps 69,13; Spr 20,1; 31,4.6.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Zehnten der landwirtschaftlichen Erträge (Dtn 14,22–27), der im Rahmen einer familiären Feier am zentralen Heiligtum zu verzehren ist. Dabei behandelt Dtn 14,24–26 den Fall, dass das Heiligtum zu weit entfernt ist, als dass der Zehnte materialiter dorthin gebracht werden könnte. Unter diesen Umständen ist es möglich, die erwirtschafteten Erträge zu verkaufen und mit dem dabei erzielten Geld am Heiligtum „nach Herzenslust“ (;בכל אשר־תאוה נפשך Dtn 14,26) für das Festmahl einzukaufen, wobei unter den in Dtn 14,26 exemplarisch genannten Lebensmitteln neben Rindern und Kleinvieh (vgl. )בבקר ובצאןauch Wein und „Rauschtrank“ (vgl. )וביין ובשכרgenannt sind, da diese offenbar besonders mit der in Dtn 14,26c ausdrücklich geforderten Festfreude verbunden sind bzw. als besonders „förderlich“ für diese erscheinen. Ähnlich wie in Num 28 stehen somit auch in Dtn 14,26 Opfertiere – in Num 28 anstelle von Rindern und Kleinvieh für das Heilsgemeinschaftsopfer die Lämmer für das regelmäßige Brandopfer – und alkoholische Getränke nebeneinander. Wenn somit in Num 28,7b der Libationswein dezidiert als שכר ליהוהqualifiziert wird,325 könnte darin vor dem Hintergrund von Dtn 14,26 das Anliegen aufscheinen, das Tamid analog zu dem in Dtn 14,22–27 geschilderten Festessen am Heiligtum als eine feierliche Mahlzeit – diesmal für JHWH – zu stilisieren. Gestützt wird dies u.a. auch durch die bereits beschriebene Abhebung des næsækh (Num 28,7) von der in Num 28,5 thematisierten Begleit-minḥā durch die in Num 28,6 zwischen beide eingeschobene Deutung des Tamids. Diese nämlich hat zur Folge, dass in der Darstellung von Num 28 das Brandopfer (Num 28,3c–4) und die Begleit-minḥā (Num 28,5) eng verbunden und miteinander in Num 28,6 unter den Schlagwörtern ( עלת תמידV.6a) bzw. אשה ( ליהוהV.6b) zusammengeführt werden. Als Feuergaben repräsentieren ʽōlā und minḥā mit Num 28,2c die „Speise JHWHs“ (vgl. )לחמי, die ja in Form von „Feuergaben zum beruhigenden Duft“ (vgl. ;לאשי ריח ניחחיNum 28,2c) dargebracht wird. Wenn nun Num 28,7a über das in Ex 29,40 nicht belegte ePP der 3. Pers. Sg. (vgl. )נסכוdie Libation ausdrücklich mit dem Stichwort ‚( אשהFeuergabe‘) in Num 28,6b verknüpft, sind somit – angesichts der systematisierenden Aufteilung in Num 28,3–8 – ein ‚( לחם ליהוהSpeise für JHWH‘; vgl. Num 28,2c) in V.3–5 und ein ‚( שכר ליהוהRauschtrank für JHWH‘) in V.7 zugleich voneinander unterschieden und miteinander korreliert. Die im Stichwort לחםin V.2c angelegte Mahlmetaphorik wird also in Num 28,7 nochmals aufgenommen und zugleich insofern verstärkt, als durch das Hinzutreten eines – שכר ליהוהstärker noch als über das Stichwort לחם allein – Assoziationen an ein freudiges Festmahl evoziert werden.
325
Vgl. Vgl. LEVINE, Numbers 21–36, 375; MICHEL, Peripherie, 372; SEEBASS, Numeri 22–36, 237; 255. Gegen z.B. ACHENBACH (Vollendung, 604), der שכרals Bezeichung für ein alkoholisches Getränk, das kein Wein ist, deutet. Vgl. ähnlich DAVIES, Numbers, 309.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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Wie bereits ausgeführt, zielt diese Mahlmetaphorik nun ausdrücklich nicht darauf ab, das tägliche Opfer als eine Versorgung Gottes mit Lebensmitteln (gar im Sinne von Bedürfnisbefriedigung) zu interpretieren. Darauf kann im Kontext von Num 28,7 zunächst der Terminus שכרselbst hinweisen, der ja weniger für ein (alltägliches) Lebensmittel steht, das – wie Wasser oder mit Wasser versetzter Wein – primär dem Stillen von Durst dient, sondern vorrangig ein (in vielen Texten potenziell ambivalentes) Requisit der ausgelassenen Feier bezeichnet. Was die „Speise“ anbelangt, so wird diese mit Num 28,2c(.6) als ‚( אשהFeuergabe‘), d.h. symbolisch und in transformierter Form dargebracht, um ריח ניחחsein, d.h. Ausdruck einer huldigenden Hinwendung Israels zu JHWH, die eine reziproke Bewegung JHWHs auslösen will. Einfach formuliert: Gott isst und trinkt nicht; wohl aber wird er – so man dem in Num 28,7 aufgebauten Mahlmotiv folgt – von Israel im Vollzug des Tamid „bewirtet“. Der als Festmahl stilisierte Kultvollzug inszeniert JHWH, den Empfänger der Gaben, gleichsam als (königlichen) Herrn, dem seine Diener – d.h. Israel repräsentiert durch die aaronidischen Priester – לחם und „ שכרservieren“. In dieser Weise gedeutet, stellt der Tamid-Vollzug zunächst das Verhältnis zwischen JHWH und Israel – inklusive der herrschenden Hierarchien und daraus resultierenden Relationen – dar und artikuliert zugleich die Huldigung der Diener gegenüber ihrem Herrn. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass eine gegebenenfalls ebenso hierarchische Binnenstruktur Israels im Text ausdrücklich nicht thematisiert wird und schon gar nicht legitimiert wird. Das Gegenüber zum königlichen Herrn JHWH nämlich ist dezidiert nicht die Priesterschaft (auch wenn diese faktisch am Altar tätig ist) – sie wird im Text gar nicht genannt –, sondern Israel, das (kollektiv) als opfernde („servierende“) Größe inszeniert ist.
Damit aber ist in der Metaphorik des „Bewirtens“ auch die im Opfer grundlegend angezielte Kommunikation mit JHWH eingefangen, zumal das „Servieren“ der Gaben als normierter (und darin abgesicherter) Modus der Interaktion zwischen Höherem und Niederen zu greifen ist. Anders als in Num 28,3–7, wo das Trankopfer von ʽōlā und minḥā abgehoben und diesen in der beschriebenen Weise gegenübergestellt wird, erscheinen schließlich in Num 28,8b die beiden Begleitopfer nebeneinander, werden dabei der in V.8a erwähnten ʽōlā für den Abend zugeordnet und in V.8c zusammen mit dieser als אשהqualifiziert. Somit scheint hier die in Ex 29,40–41; Num 15,2–12 zu erhebende Systematik, wonach næsækh und minḥā als Begleitopfer zur ʽōlā fungieren und letztere damit der eigentlich zentrale Vollzug ist, wieder durch, womit im Umkehrschluss die Stilisierung des Brandopfer-Tamid als Festmahl bestehend aus einem als אשהdargebrachten ( לחםʽōlā und minḥā) und einem שכר (næsækh) klar als Neuinterpretation der Vorgaben aus Ex 29,38–42; Num 15,2–12 ausgewiesen wird.
Ebenso bedeutsam wie die Qualifizierung des Trankopfers als שכר ליהוהsind auch die kurzen Hinweise zur Ausführung der Libation in Num 28,7b. Interessant (und nicht unproblematisch) ist dabei v.a. der Auftrag, das næsækh „im Heiligen“ ( )בקדשauszugießen. In den Heiligtumstexten bezeichnet der
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Terminus ‚( קדשHeiliges‘) vielfach den Raum im Inneren des Zelts der Begegnung, der durch die Parochet vom „Hochheiligen“ und durch den nur als māsakh bezeichneten Vorhang am Eingang des Zeltes vom umgebenden Vorhof des Heiligtums abgegrenzt wird (vgl. Ex 26,33.35). Nimmt man diese Bedeutung auch in Num 28,7b an, so wäre das Trankopfer im Inneren des Zelts auszugießen, an einem deutlich anderen Ort also als ʽōlā und minḥā, so dass sich die Frage stellt, ob בקדשin Num 28,7b tatsächlich den üblicherweise so bezeichneten Raum im Heiligtum meinen kann. Ein Überblick über die wenigen Stellen, an denen in der Tora die Libation als Kulthandlung erwähnt wird, zeigt, dass diese Frage nicht leicht und v.a. nicht eindeutig zu klären ist.326 So finden sich über Num 28,7b hinaus an keiner Stelle konkrete Angaben – weder zum Ort noch zum Ritual des Trankopfers. Festgehalten sind nur die je nach Umstand und Anlass erforderlichen Mengen (vgl. Ex 29,40; Num 15,2–12) sowie die kultischen Kontexte, in denen ein næsækh als Begleitopfer darzubringen ist. Bei genauerem Hinsehen aber lassen sich einerseits tatsächlich Indizien benennen, die eine Darbringung im „Heiligen“ plausibel machen: So werden in Num 4,7 unter den Geräten, die beim Transport-Fertig-Machen des Heiligtums zusammen mit dem Tisch, einem Gerät des „Heiligen“, verpackt bzw. auf diesem transportiert werden sollen, ( קשות הנסך,Gefäße für das Trankopfer‘) genannt, während in Ex 25,29; 37,16 unter den Geräten, die zusammen mit bzw. für den Tisch hergestellt werden, u.a. auch קשותund מנקיותaufgeführt sind. Bei beiden handelt es sich um (tiefere?) Gefäße für Flüssigkeiten, die durch den Relativsatz Ex 25,29aR dahingehend näher bestimmt werden, dass aus ihnen ausgeschüttet wird ()אשר יסך בהן.327 Interessant aber ist, dass sich hier das Verb נסך-H findet, das auch in Num 28,7b belegt ist. Dies könnte nahelegen, dass in Ex 25,29; 37,16; Num 4,7 die für die Libation benötigten Gefäße im Blick sind und interessanterweise jeweils mit dem Tisch verbunden werden,328 so dass zu folgern wäre, dass das næsækh im Inneren des Zeltes (zu Füßen des Tisches?) dargebracht wird.329 Andererseits findet sich in Ex 30,9b das ausdrückliche Verbot, ein næsækh am Goldenen Altar (im „Heiligen“!) auszugießen.330 Dieses kann nun angesichts der soeben dargelegten Überlegungen in dem Sinne verstanden werden, dass nicht der Goldene 326
Vgl. dazu auch MILGROM, Numbers, 240. Vgl. HARAN, Temples, 216–217; HOUTMAN, Exodus 3, 397–398; MILGROM, Leviticus 23–27, 2092–2093; SARNA, Exodus, 163. 328 Vgl. GANE, Bread, 183–185; HUNDLEY, Keeping, 100. Gegen diese Annahme argumentiert B. JACOB, der die genannten Gerätschaften des Tisches unter Berufung auf mMen 9.5 als eine Art „Regalsystem“ deutet, das auf dem Tisch aufgestellt wird und in das die zwölf ḥallōt abgelegt werden können. Vgl. JACOB, Exodus, 776–777. 329 So z.B. HARAN, Temples, 216–271; MILGROM, Numbers, 240. Vgl. auch GANE, Bread, 184–185. 330 Vgl. GANE, Bread, 183; HARAN, Temples, 216. 327
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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Altar, sondern ausschließlich der Tisch derjenige Ort im „Heiligen“ ist, an dem die Libation durchzuführen ist. Plausibler aber ist aus dem Duktus von Ex 30,9 heraus eine andere Deutung. Immerhin nämlich wird in diesem Vers – über das Verbot von fremdem Räucherwerk hinaus – auch die Darbringung von Brand- und Speiseopfern auf dem Goldenen Altar verboten, d.h. die Darbringung von all den Opferformen, die für den Brandopferaltar typisch sind, womit Ex 30,9 eine klare funktionale Differenzierung der beiden Altäre im Heiligtum befördert. Wenn nun aber in diesem Zusammenhang auch das Trankopfer für den Goldenen Altar verboten ist, kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass der übliche Ort seiner Darbringung der Brandopferaltar ist (ebenso wie bei Brand- und Speiseopfern). Untermauert wird dies durch Ex 29,38–42, da hier die Trankopfer zusammen mit der Begleit-minḥā und den Brandopfern unter der Überschrift „das aber ist, was du auf dem Altar tun sollst“ (Ex 29,38a–aR) geführt werden, wobei mit dem in V.38aR angesprochenen Altar der Brandopferaltar gemeint ist.331 Der Befund in der Tora verunmöglicht somit eine klare Aussage zum konkreten Ort der Trankopfer, da es ebenso Hinweise darauf gibt, dass sie am Goldenen Tisch dargebracht werden, wie Indizien, die für ein Ausgießen am Fuß des Brandopferaltars sprechen. Vor diesem Hintergrund könnte die Wendung בקדשin Num 28,7b den Ausschlag zugunsten der ersten Alternative (im „Heiligen“, d.h. am Tisch) geben. Andererseits jedoch wäre auch zu überlegen, ob vor dem Hintergrund der oben skizzierten Stilisierung des Tamids als Festmahl für JHWH bzw. speziell des Trankopfers als שכר ליהוהdie Formulierung בקדשweniger als Hinweis auf einen konkreten Ort im Heiligtum, also den Innenraum des Zelts, zu verstehen ist,332 sondern eher auf die Qualität hinweist, die dem – heiligtumstopographisch unbestimmt bleibenden – Ort der Darbringung in Folge des Kultvollzugs zukommt. So ist im „Servieren“ des Tamid (und seiner Begleitgaben) als Festmahl für JHWH auch die Präsenz JHWH am Ort der Darbringung antizipiert, die es rechtfertigt und nahe legt, diesen Ort (unabhängig von den durch die Anlage des Heiligtums selbst bedingten Zuschreibungen) als „Heiliges“‘ zu bestimmen. Damit ist – obgleich in Num 28,7 das Nachzeichnen von Raumkonzeptionen gegenüber Ex 29,42 deutlich in den Hintergrund tritt – dennoch ein modifizierendes Anknüpfen an das in Ex 29,42(ff) Entfaltete greifbar: Im Vollzug des Tamid und seiner Begleitgaben wird auch Num 28,3–8 zufolge ein Raum konstituiert, der wesentlich durch den Vorgang des „Servierens“ von לחםund – שכרdas einladende und huldigende Geben Israels und das wohlwollende Entgegennehmen JHWHs – und damit auch durch die gelingende Interaktion beider Parteien geprägt ist, und der sich nun (u.a. im Ausgießen des næsækh) an 331
Vgl. BUDD, Numbers, 315–316; HOUTMAN, Exodus 3, 398; MICHEL, Peripherie, 371; MILGROM, Leviticus 23–27, 2093. 332 So z.B. GANE, Bread, 186–187.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
einem Ort konkretisiert, der ausgehend von den genannten Qualitäten des Raumes als „Heiliges“ bezeichnet wird. 4. Die Trankopfer in Num 28,9–29,38 Angesichts des besonderen Gewichts, das dem næsækh im Abschnitt zum täglichen Brandopfer (Num 28,3–8) zukommt, kann es sich als interessant erweisen, auch die Einordnung des Trankopfers in die Opferlisten zu den Festtagen und v.a. die dort vorgenommene Verhältnisbestimmung zu den übrigen Bestandteilen des Tamid, Lämmer-ʽōlā und minḥā, in den Blick zu nehmen: Beim ersten, sehr knapp gehaltenen Abschnitt Num 28,9–10, der die Zusatzopfer für den Shabbat benennt, findet sich das Stichwort næsækh in der Opferliste (zum Shabbat-Opfer) in V.9, die nach dem Dreischritt ʽōlā – minḥā – næsækh aufgebaut ist, in V.10 aber in der klassifizierenden Formulierung ( עלת שבתShabbat-Brandopfer) zusammengefasst wird. Speise- und Trankopfer erscheinen damit – ähnlich wie in Num 28,8 (vgl. Ex 29,40–41; Num 15,2–12) – nebeneinander als Begleitopfer der ʽōlā. Im Rekurs auf das tägliche Brandopfer in Num 28,10 hingegen wird auf die „ עלת התמידund ihr Trankopfer“ ( )ונסכוverwiesen, womit hier – ähnlich wie in Num 28,3–5.7 – ʽōlā und minḥā einem eigenständiger gefassten næsækh gegenüberstehen und unter dem Schlagwort עלת התמידsubsummiert sind.333 Ein etwas anderer Befund zeichnet sich im Abschnitt zum Neumondtag (Num 28,11–15) ab. In diesem wird die Opferliste in Num 28,11b–14 durch den Satz Num 28,13b ‚( עלה ריח ניחח אשה ליהוהBrandopfer, beruhigender Duft, Feuergabe für JHWH‘) unterteilt, wobei in Num 28,11b–13b die Opfertiere für das Brandopfer (V.11b) sowie die diesen zugeordneten Begleit-menaḥōt (V.12–13b) aufgelistet werden, während in Num 28,14a–d die Trankopfer entsprechend der in Num 15,2–12 festgelegten Tarifierung genannt sind. Eingeleitet wird der Abschnitt in Num 28,14a durch die Formulierung ונסכיהם (‚und ihre Trankopfer [sind:]‘), die unterstreicht, dass im Folgenden den in Num 28,11–13 genannten Gaben die jeweiligen nesakhīm zugeordnet werden. Da nun die qualifizierenden und klassifizierenden Wendungen in V.13b eindeutig auf V.11b–13b bezogen sind und somit die Brandopfer mitsamt den diesen zugeordneten Speiseopfern als ʽōlā, als „beruhigenden Duft“ und als „Feuergabe für JHWH“ bestimmen, ist hier einerseits eine ähnliche Systematik greifbar, wie in Num 28,3–7, wo Brandopfer und minḥā ebenfalls durch eine interpretierende Textpassage vom Trankopfer abgehoben sind. Andererseits aber fehlt die Begrifflichkeit, die in Num 28,(2.)3–7 die Deutung des Tamid als Festmahl für JHWH befördert (v.a. לחםund )שכר, während umgekehrt durch die rahmenden Sätze V.11a.13b.14e, in denen jeweils das Stich333
Vgl. MICHEL, Peripherie, 377–378.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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wort עלהbelegt ist, der Fokus auf das Brandopfer rückt bzw. עלהals Überbegriff für die einzelnen Vollzüge erscheint. Die in Num 28,3–8 angedeutete Mahlmetaphorik wird somit in der Auflistung der Festtagsopfer – trotz des Num 28,3–8 vergleichbaren Aufrisses von Num 28,11–14 – ausdrücklich nicht forciert. Das Trankopfer zum Tamid kommt schließlich in Num 28,15b in den Blick, nachdem zuvor in Num 28,15a noch eine ḥaṭṭā’t angeordnet wird, die in der Systematik zu den in V.11–14 beschriebenen Zusatzopfern für den Neumondtag zu rechnen ist. Das tägliche Opfer wird dabei (mit Num 28,6a) als die עלת התמידapostrophiert: 14b 15a 15b
Dies ist das allmonatliche Brandopfer ()עלת חדש בחדשו für die Monate des Jahres. Und [dazu] ein Ziegenbock als Entsündigungsopfer für JHWH. Zusätzlich zum regelmäßigen Brandopfer ( )עלת התמידwerde es gemacht und [zusätzlich zu] seinem Brandopfer ()ונסכו. (Num 28,14b–15)
Num 28,15b stellt zunächst fest, dass die in V.11–15a genannten Zusatzopfer des Tages – bzw. so man der Syntax präzise folgt pars pro toto der Ziegenbock für die ḥaṭṭā’t, auf den das Verb יעשהin V.15b zu beziehen ist – zusätzlich (vgl. )עלzum regelmäßigen Brandopfer darzubringen sind – und auch zu dessen næsækh ()ונסכו. Dabei deuten das Nachklappen der Wendung ונסכוund auch das Fehlen der minḥā an, dass hier – auf Num 28,3–5.7 Bezug nehmend – das Trankopfer als distinkte Größe den beiden anderen Opfern, die unter dem Begriff ‚( עלת התמידregelmäßiges Brandopfer‘) subsummiert sind, gegenübersteht.334 Zusätzlich verstärkt wird der Rückbezug auf Num 28,6–7 durch die syntaktische Inkongruenz des ePP der 3. Pers. m. Sg., das der Sache nach nur auf die Konstruktusverbindung die ‚( עלת התמידBrandopfer der Regelmäßigkeit‘) bezogen werden kann, die allerdings feminin ist. Grammatikalisch korrekt wäre in Num 28,15b also ונסכה, doch nimmt der Vers mit der in diesem Kontext „falschen“ Formulierung ונסכוexakt die Formulierung aus Num 28,7a auf, wobei die zunächst „störende“ Inkongruenz des ePP den Bezug noch deutlicher unterstreicht und den Lesenden damit auch das Anknüpfen an die in Num 28,7 entfaltete Konzeption nahelegt. Im weiteren Verlauf des Opferkalenders treten die Rekurse auf das Trankopfer insofern zurück als der næsækh – nach dem Abschnitt zu Mazzot (Num 28,16–25) – in den Listen für die Festtagsopfer zum Erstlingsfest, zu Neujahr, zu Jom Kippur und zum ersten Tag von Sukkot nicht mehr erwähnt wird und erst bei den Tagen zwei bis acht von Sukkot wieder auftaucht. Im Zusammenhang mit dem täglichen Brandopfer allerdings wird durchgehend auf das zu diesem gehörige næsækh verwiesen (vgl. Num 28,24c.31a; 29,6a.11a.16a. 334
Vgl. MICHEL, Peripherie, 378–379; MILGROM, Numbers, 243.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
19a.22a.25a.28a.31a.34a.38a). Dabei sind drei Formulierungsvarianten auszumachen, wobei allein unter (1.) ein næsækh als Begleitgabe für die Festopfer (zu Mazzot) im Blick ist, unter (2.) und (3.) aber stets die dem Brandopfer-Tamid zugeordnete Libation. (1.) In Num 28,24(b–)c findet sich derselbe Wortlaut wie in Num 28,15 – und somit auch die Formulierung ונסכו, die zunächst wiederum auf Num 28,7a zurückverweisen kann. Anders als in Num 28,15b liegt hier allerdings keine Inkongruenz des ePP ו- vor. Vielmehr ist dieses auf die Stichworte לחם (‚Speise‘) bzw. ‚( אשהFeuergabe‘) in Num 28,24b (jeweils m. Sg.!) zu beziehen,335 die die in Num 28,19–21.22–23 beschriebenen Festtagsopfer für die sieben Tage des Mazzotfestes näher qualifizieren. Besonderes Interesse weckt dabei der Begriff ‚( לחםSpeise‘), mit dem die in Num 28,19–21 entfaltete „Feuergabe“ (ʽōlā und minḥā), die „zusätzlich zum regelmäßigen Brandopfer“ ( )על עלת התמידdarzubringen ist, bezeichnet wird, und der dem in V.24c erwähnten næsækh gegenübersteht. So wird – wenngleich hier der in Num 28,7a belegte Terminus שכרfehlt, der allenfalls indirekt über den Rekurs auf diesen Vers anklingt – erneut (und zum letzten Mal in Num 28–29 explizit) die in Num 28,3–7 entfaltete Mahlmetaphorik hervorgehoben. Die beiden verbleibenden Formulierungsvarianten unterscheiden sich vor allem darin, dass das Nomen נסךeinmal mit einem ePP der 3. Pers. f. Sg. (ה-) und das andere Mal mit einem ePP der 3. Pers. Pl. (הם-) verbunden ist: (2.) Im zuletzt genannten Fall ( ;נסכיהםvgl. Num 28,31b; 29,6.11.19a) ist das ePP der 3. Pers. Pl. jeweils auf das unmittelbar zuvor erwähnte tägliche Brandopfer mitsamt dessen minḥā (vgl. ה-/ ;עלת התמיד ומנחתוNum 28,31a; 29,6.11.19a) zu beziehen. (3.) In Num 29,16a.22a.25a.28a.31a.34a.38a schließlich findet sich die Formulierung נסכהmit einem ePP der 3. Pers. f. Sg., das jeweils syntaktisch korrekt auf die Konstruktusverbindung עלת התמידbezogen ist. Bei den Belegen unter (2) und (3) wird Num 28,7 nicht mehr ausdrücklich aufgenommen. Stattdessen wird hier jeweils der ohnehin bereits ausreichend beleuchtete Zusammenhang zwischen dem Brandopfer-Tamid und seinem Trankopfer „refrainartig“ abgerufen, ohne dass noch neue Akzentsetzungen hinzukommen. Auffällig ist allein eine – nur durch das „Ausbrechen“ des Belegs in Num 29,19 (Sukkot II) „gestörte“ – „Blockbildung“: Num 28,9.15.24 (Shabbat, Neumond, Mazzot): ונסכו Num 28,31; 29,6.11.19 (Erstlingsfest, Neujahr, Jom Kippur, Sukkot II): ונסכיהם Num 29,16.22.25.28.31.34.38 (Sukkot I.III–VIII): ונסכה
335
Vgl. auch die Bezüge von Num 28,24b zu Num 28,2c.8c.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
513
Das in Num 28,7 – gegenüber Texten wie Ex 29,40; Num 15,2–12 – mit einem größeren Eigengewicht belegte Trankopfer ( )נסךerweist sich somit – v.a. über das Einbringen der oben skizzierten Mahlmetaphorik – als ein durchaus wesentliches Element der theologischen Deutung des Brandopfer-Tamid in Num 28,3–8, das über die næsækh-Rekurse in Num 28,9–29,38 auch in den weiteren Abschnitten des Opferkalenders nachklingt, zugleich aber auch in unterschiedliche Richtungen weiter profiliert wird.336 III. Ausblick Im Zuge der Analyse von Num 28,3–8 im Kontext des Opferkalenders Num 28–29 ist somit deutlich geworden, dass dieser Text in der annähernd wörtlichen Aufnahme von Ex 29,38–42 einerseits klar auf diesen Hypotext – und damit auch auf die in diesem entfaltete theologische Deutung und Reflexion des Brandopfer-Tamids – Bezug nimmt. Zugleich fällt auf, dass Aspekte, die in Ex 29,38–42(.43–46) bedeutsam sind, in Num 28,3–8 in den Hintergrund treten bzw. v.a. dadurch präsent sind, dass sie im Lektüreprozess eingespielt werden. Zu diesen deutlich zurücktretenden Elementen gehört neben der in Ex 29,42 dargelegten „Verortung“ des Tamid-Vollzugs und der darin entfalteten Raumkonzeption auch das Motiv des „Begegnens“ und somit die beiden Punkte, auf denen die in Ex 29,43–46 entfaltete theologische Reflexion des Tamid aufbaut. Zentral ist hingegen das Stichwort (אשה )ליהוה, das auch in Ex 29,41c zu finden ist und dort (zusammen mit der Wendung ;לריח ניחחV.41b), das Brandopfer-Tamid grundlegend als kultisches Kommunikationsgeschehen bestimmt. Diese Deutung wird durch die drei Belege des Stichworts ( אשהvgl. Num 28,3.6.8) auch in Num 28,3–8 eingebracht und damit gleichsam als das „Basiskonzept“ des Tamid profiliert, zugleich aber auch in zwei für Num 28 spezifische Richtungen weiter entfaltet. So wird über die Deixis in Num 28,3b, die betont auf Num 28,2c–cI zurückgreift, das Brandopfer-Tamid als die Feuergabe – und damit als die Speise ( )לחםund die Gabe ( )קרבןschlechthin – bestimmt, die Israel darzubringen hat, was im Hinblick auf den Opferkalender nahelegt, die dort eingeführten Festtagsopfer als Entfaltungen bzw. Erweiterungen des Tamid zu interpretieren und daher mit diesem als kultischem Grundvollzug zu verbinden. Num 28,6 hingegen korreliert mit der Rede von einem „am Berg Sinai“ als „ אשהgemachten“ ( )העשיה בהר סיניTamid, die regelmäßigen Vollzüge mit dem Gründungsgeschehen am Sinai und stellt zudem ein auch zeitliches „Prä“ des Tamid gegenüber den mit ihm verbundenen Festtagsopfern, die zwar bereits am Sinai angeordnet (vgl. Lev 23), aber erst im Land Moab spezifiziert werden (vgl. Num 28–29), heraus. Ein letztes, für die Interpretation des Tamids 336
Vgl. MICHEL, Peripherie, 377.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
in Num 28,3–8 wesentliches Element ist die in Num 28,7 gebotene Entfaltung des næsækh, die es im Zusammenklang mit Num 28,2c–cI nahelegt, den Vollzug des Brandopfer-Tamids als „Festmahl“ für JHWH zu interpretieren, in dem ein „servierendes“ Israels und JHWH als bewirteter „Herr“ miteinander interagieren und kommunizieren. Abzurunden ist diese Deutung des Brandopfer-Tamids die Num 28,3–8 ergänzend und erweiternd neben diejenige aus Ex 29,42.43–46 stellt, durch einen knappen Ausblick auf das Verhältnis zwischen Tamid und Festtagsopfer, wobei nun – über die bereits herausgearbeitete Verhältnisbestimmung hinaus – v.a. auf die praktische Zuordnung der Festtagsgaben zum täglichen Brandopfer einzugehen ist. Danach überhaupt zu fragen, wird durch den Umstand nahegelegt, dass die beiden Lämmer des täglichen Opfers auf zwei gleichförmige Vollzüge zu unterschiedlichen Tageszeiten – einer am Morgen, einer am Abend – aufgeteilt sind, während sich bei den Festtagsopfern keine Indizien für eine Aufteilbarkeit bzw. eine faktisch vollzogene Aufteilung der geforderten Gaben auf zwei Ritualvollzüge am Morgen und am Abend findet. So ist zu klären, wie genau – oder ob überhaupt – die Darbringung der Festtagsopfer mit den beiden Tamid-Vollzügen „praktisch“ zu verbinden ist. Einen weiterführenden Hinweis hierzu bietet allein Num 28,23 im Abschnitt zum Mazzotfest (Num 28,16–25). Dieser Vers hält fest, dass die in Num 28,19–22 aufgezählten Festtagsopfer ‚( מלבד עלת הבקרzusätzlich zum Morgen-Brandopfer‘) darzubringen sind, wobei die עלת הבקרfür die erste Hälfte des täglichen Brandopfers steht. Num 28,23 legt damit nahe, dass ausschließlich diese um die in den Tariflisten des Opferkalenders gebotenen Zusatzopfer erweitert wird, während das Abend-Tamid im „normalen Zuschnitt“ erhalten bleibt, also stets „nur“ ein Lamm mitsamt Begleitgaben umfasst.337 Zugleich aber ist in Num 28,23 insofern ein interessanter Stichwortbezug gesetzt, als die Formulierung ‚( מלבד עלת הבקרzusätzlich zum Morgen-Brandopfer‘) wortgleich auch in Lev 9,17d,338 d.h. im Bericht über den ersten feierlichen Gottesdienst Israels am Sinai, zu finden ist. Dabei wird in Lev 9,17d unterstrichen, dass die Opfer anlässlich der besonderen Feier, auf die der Text vorrangig fokussiert, zusätzlich zum Tamid dargebracht werden, das im Kontext von Lev 9 freilich ebenfalls zum ersten Mal „regulär“ vollzogen wird. Die Kultinauguration am Sinai liefert damit das Modell, an dem sich die Gestaltung der Festtage und auch die Darbringung der Festtagsopfer auf Dauer orientieren. Was die restlichen Festtage anbelangt, so ist dort die Zuordnung der Zusatzopfer zum Morgen-Tamid nicht mehr explizit festgehalten, wohl aber von Num 28,23 her in analoger Weise vorauszusetzen. Dies wiederum hat auch Auswirkungen auf die Interpretation der Passage zum Shabbat in Num 28,9– 337 338
Vgl. JACOB, Pentateuch, 384; 388; KÖRTING, Schofar, 217–218. Vgl. den oben herausgestellten Bezug zwischen Lev 9,17; Num 28,6a.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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10, in der festgehalten wird, dass am Shabbat – zusätzlich zum täglichen Brandopfer – zwei Lämmer mit Begleitgaben als ‚( עלת שבת בשבתוBrandopfer jedes einzelnen Shabbats‘) darzubringen sind, also genau dieselben Gaben, wie für das tägliche Brandopfer. So wird das Shabbatopfer vielfach als Verdopplung des Tamids interpretiert,339 was sich allerdings bei genauerem Hinsehen insofern als problematisch erweist, als nach der aus Num 28,23 gefolgerten Zuordnung der Festtagsopfer zu den beiden täglichen TamidVollzügen am Shabbat keineswegs eine Aufteilung von zwei Lämmern am Morgen gegenüber zwei Lämmern am Abend – je eines als Tamid und eines für den Shabbat – vorliegt und somit de facto eine Verdopplung des regulären Tamids. Stattdessen legt der Zusammenhang mit Num 28,23 nahe, dass die Zusatzopfer für den Shabbat (komplett) zusammen mit dem Morgen-Tamid dargebracht werden, woraus eine Aufteilung von drei („1+2“) Lämmern am Morgen und einem Lamm am Abend resultiert.340 Entsprechend erweist sich die zusätzliche Gabe für den Shabbat als ein Opfer mit deutlich eigenständigem Gewicht – und gerade nicht als bloße „Verdopplung“ der sonst üblichen Tagesration. Zugleich bleibt auffällig, dass es im Vergleich zu den Zusatzopfern für den Neumondtag und die Jahresfeste (vgl. Num 28,11–29,38) in zwei Punkten deutlich knapper angelegt ist und darin durchaus eine interessante Nähe zu den täglichen Opfern erkennen lässt.341 So fehlt zum einen die ḥaṭṭā’t, die erstmals in der Opferliste zu Neumondtag (vgl. Num 28,15a) auftaucht und dann auch bei allen Festtagsopfern erwähnt wird (vgl. Num 28,22.30; 29,5.11.16.19.22.25.28.31.34.38). Zum anderen aber sind bei allen anderen Zusatzopfern jeweils Brandopfer von allen drei Arten – in je variabler Zahl – gefordert, d.h. Stiere342, Widder343 und Lämmer344, während am Shabbat (und für das tägliche Brandopfer) jeweils nur Lämmer – und diese zudem in deutlich geringerer Anzahl (zwei gegenüber sieben bzw. 14) – geopfert werden. Zuletzt jedoch fehlen in Num 28,9–10 die ansonsten in allen Abschnitten – außer bei den als „Kurzfassungen“ angelegten und auf Num 29,12–16 (Sukkot I) aufbauenden Passagen zu Sukkot II–VII (Num 29,17–34) – belegten qualifizierenden und klassifizierenden Wendungen. Angesichts dieser Eigenheiten gewinnt Num 28,9–10 eine gewisse Sonderstellung. Für den Shabbat 339
Vgl. z.B. ACHENBACH, Vollendung, 606; MARX, Systèmes, 159–160; SCHMIDT, Numeri, 177. 340 Vgl. LEVINE, Numbers 21–36, 376. 341 Vgl. KÖRTING, Schofar, 216. 342 Bei den Stieren variiert die Anzahl zwischen einem (Neujahr, Jom Kippur und Azeret), zwei (Neumond, Mazzot und Erstlingsfest) sowie 13 bis sieben Tieren (Sukkot I–VII). 343 Bei den Widdern werden entweder ein (Neumond, Mazzot, Erstlingsfest, Neujahr, Jom Kippur, Azeret) bzw. zwei Tiere (Sukkot I–VII) dargebracht. 344 Bei den Lämmern werden entweder sieben (Neumond, Mazzot, Erstlingsfest, Neujahr, Jom Kippur, Azeret) oder 14 Tiere (Sukkot I–VII) geopfert.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
scheint nicht im eigentlichen Sinne ein Festtagsopfer vorgesehen zu sein, sondern eine markante „Erweiterung“ des (morgendlichen!) BrandopferTamids, die ausreicht, um im Kult die Besonderheit des Shabbattags gegenüber den Tagen der Woche nachzuvollziehen. Num 29,9–10 erweist sich folglich als eine Art „Anhang“ zum Tamid-Text in Num 28,3–8, was zur Folge hat, dass der Abschnitt zum Neumondtag (Num 28,11–15) als erste Passage zu greifen ist, die ein (eigenständiges) Festtagsopfer thematisiert.345 Anders als im Festkalender Lev 23, in dem der Shabbat gleichsam als grundlegendes „Prinzip“ aller Feier- und Festtage Israels profiliert bzw. deren „Shabbatförmigkeit“ aufgewiesen wird (vgl. Lev 23,3), ist im Opferkalender angesichts der Zuordnung von Num 28,9–10 zu Num 28,3–8 primär das Gegenüber von Shabbat und Werktag – bzw. angesichts der Thematik des Textes – das Gegenüber von täglichem Brandopfer und Shabbat bzw. der besonderen Form des (Morgen-)Tamid für den Shabbat im Fokus. Num 28,3–8.9–10 erscheint damit in gewisser Weise als Parallele zu Lev 24,1–9, wo ja ebenfalls zunächst ein täglicher Tamid-Vollzug, das Entzünden des Leuchters, vorgestellt wird, neben den am Shabbat mit dem Austauschen bzw. Neuauflegen der Brote auf den Tisch ein weiterer, „shabbat-spezifischer“ Vollzug tritt.
Von den („eigentlichen“) Festtagen – in Num 28–29 sind dies der in Lev 23 nicht erwähnte Neumondtag und die Jahresfeste – aber wird der Shabbat deutlich abgesetzt, was im Gegenüber zu Lev 23 seine dort als zentral herausgehobene Bedeutung ein Stück weit relativiert. Der Grund dafür ist wohl in der speziellen Schwerpunktsetzung von Num 28–29 zu suchen, die auf den Opfervollzügen für die Festtage liegt. Diese nämlich werden – wie aufgezeigt – auf vielfache Weise als „Erweiterungen“ des täglichen Brandopfers bestimmt, das damit zugleich als der kultische Grundvollzug Israels herausgehoben ist. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, den täglichen TamidVollzug (gegenüber dem Shabbat) aufzuwerten und in den Fokus zu rücken, wie dies in Num 28,3–8(.9–10) angelegt ist. IV. Resümee Führt man nun die Erträge der Überlegungen zu Lev 23,1–24,9 und Num 28– 29 zusammen, so wird zunächst nochmals der enge Bezug der beiden Kalender aufeinander deutlich: Der Opferkalender (Num 28–29) setzt den Festkalender (Lev 23,1–44) voraus; er behandelt die in diesem aufgelisteten Feste, spezifiziert die in Lev 23 nur allgemein angesprochenen Festtagsopfer und ergänzt zuletzt solche für den Shabbat und den Neumondtag. Damit ist – wie oben hergeleitet – der Opferkalender als Supplement zum Festkalender zu bestimmen.
345
Vgl. LEVINE, Numbers 21–36, 376–377. Ähnlich KÖRTING, Schofar, 216–217.
C. Tamid und Festtagsopfer (Num 28,3–8)
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Über all die genannten Bezugspunkte hinaus verbindet beide Kalender ihr jeweils markanter Rückverweis auf die Heiligtumstora (Ex 25–31). Dieser wird in Lev 23 zunächst durch den Vers Lev 23,3 gesetzt, der über die Shabbat-Texte Ex 20,8–11; 35,1–3 hinaus v.a. das Shabbatgebot der Heiligtumstora (Ex 31,12–17) aufnimmt. Dieser Rekurs erfüllt innerhalb der um Lev 23,3 herum gelegten Einleitung des Festkalenders in Lev 23,2–4 die Funktion, die „Shabbatförmigkeit“ der Feste zu illustrieren, die – wie der Shabbat – als heilige Feiertage über die geforderte Arbeitsruhe vom profanen Alltag separiert werden. Die Vorschriften zu den Festen aber können vor diesem Hintergrund als Entfaltung bzw. Ausdifferenzierung des Shabbatgebots gefasst werden. Für Num 28–29 ist schließlich Ex 29,38–42(.43–46) mit den Vorschriften zum Brandopfer-Tamid (vgl. Num 28,3–8) der zentrale Bezugstext. So wird im Opferkalender das tägliche Brandopfer gleichsam als das (grundlegende) kommunale Opfer ausgewiesen, das anlässlich der Feste in Gestalt der Festtagsopfer eine je spezifische Ergänzung und Erweiterung erfährt. Angesichts dieser Zusammenhänge ist nun im Nebeneinander von Fest(Lev 23) und Opferkalender (Num 28–29) zunächst das spannungsreiche Verhältnis zwischen regelmäßigem Brandopfer und Shabbat greifbar, das bereits die Heiligtumstora (Ex 25–31) mit ihren beiden theologischen „Polen“ Ex 29,38–46 (Tamid) und Ex 31,12–17 (Shabbat) bestimmt. Dazu kommt, dass die an Lev 23,1–44 anschließende Perikope Lev 24,1–9 auch in den Kontext des Festkalenders selbst den Blick auf Tamid-Vollzüge einbringt, durch den eine weitere Komplementarität der beiden Kalender offenkundig wird. So steht der Aufnahme von Ex 29,38–42.(43–46) in Num 28,3–8 der Rekurs auf Ex 27,20–21 in Lev 24,2–4 gegenüber, der in Lev 24,5–9 mit einer ausführlicheren Darstellung des Tamids am Goldenen Tisch verbunden ist, die Ex 25,30 entfaltet und weiterführt. Dabei werden in beiden Kontexten – in Lev 23–24 ebenso wie in Num 28– 29 – die regelmäßigen Kultvollzüge, die in der Heiligtumstora mit Fokus auf ihrem Ort und ihren Raumbezügen vorgestellt werden, mit der Thematik der Zeit und ihrer Strukturierung verbunden. Dies hat zur Folge, dass das für den Dienst am Eingang des Zelts (Ex 29,38–46; Num 28,3–8) ebenso wie für den Dienst im „Heiligen“ (Ex 27,20–21; Lev 24,2–4[.5–9]) charakteristische „Immer-Wieder“ als ein durchtragender „basso continuo“ profiliert wird, der eine Rhythmisierung der Zeit begleitet, die ihrerseits durch einen Wechsel von profanen und heiligen Tagen, Alltag und Shabbat bzw. Fest bestimmt ist und der anlässlich der heiligen Zeiten ausgestaltet und variiert wird.346 Umgekehrt aber sind damit die besonderen Kultvollzüge der Shabbate und Festtage ihrem Wesen nach vom regelmäßigen kommunalen Kult, d.h. vom Ta-
346
Vgl. dazu GORMAN, Ideology, 218–223.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
mid her, zu verstehen, weshalb auch den theologischen Interpretationen, die dieses in Ex 27,20–30,10 erfährt, eine zentrale Bedeutung zukommt. Zuletzt aber kommt damit auch die rechtshermeneutische Einordnung der Texte nochmals in den Blick. Auch hier bestätigt die eingehendere Analyse von Lev 23–24; Num 28–29 die oben anhand der formalen Kriteriologie vorgenommene Zuordnung der entsprechenden Textpassagen bzw. Rechtskorpora: So ist der Opferkalender, eine im Land Moab offenbarte Kulttora, als Entfaltung und Auslegung des Festkalenders vom Sinai zu bestimmen, auf den er in markanter Weise Bezug nimmt. Über den in beiden Kalendern gegebenen Rekurs auf die Heiligtumstora (Ex 25–31) wird diese, die der „Kernoffenbarung“ vom Sinai zuzuordnen ist, als der hinsichtlich seiner Dignität und Verbindlichkeit höchstrangige Kulttext herausgestellt, während die beiden Kultkalender jeweils (auch) als Weiterführungen und Entfaltungen der Heiligtumstora zu verstehen sind. Vergleichbares aber gilt auch für die Opfertora, auf die – mit besonderem Augenmerk auf den beiden „Tamid-Texten“ Lev 6,1–6.12–16 – im Folgenden einzugehen ist.
D. Regelmäßige Kultvollzüge in der Opfertora (Lev 1–7) D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
Ergänzend zur Analyse der beiden Perikopen Lev 24,1–9; Num 28,3–8 sind im Folgenden mit Lev 6,1–6 und Lev 6,12–16 zwei weitere Texte näher zu beleuchten, in denen das Stichwort ‚( תמידregelmäßig‘) ebenfalls belegt ist. Sie sind Teil der Opfertora (Lev 1–7) und erweisen sich insofern als interessant, als sie – wie Lev 24,1–9; Num 28,3–8 – regelmäßige Kulthandlungen vorschreiben, dabei aber Vollzüge thematisieren, die in der Heiligtumstora nicht (in dieser Weise) angesprochen sind, so dass sie das dort Dargestellte um neue Perspektiven ergänzen. In der Perikope Lev 6,1–6, die in Lev 6,2a mit ‚( זאת תורת העלהdies ist die Weisung für das Brandopfer‘) überschrieben ist, wird vor allem das Reinigen und Am-Brennen-Halten des Brandopferaltars thematisiert, aber auch die Bedeutung des Altarfeuers reflektiert, das Lev 6,6 als ‚( אש תמידregelmäßiges / beständiges Feuer‘) qualifiziert. In Lev 6,12–16 hingegen wird eine an keiner anderen Stelle erwähnte Speiseopfergabe des Gesalbten Priesters behandelt, die als Sonderform der minḥā zu interpretieren ist. Sie wird täglich – zur Hälfte am Morgen und zur Hälfte am Abend – dargebracht und in Lev 6,13 ausdrücklich als regelmäßiger Kultakt ( )תמידdefiniert. Auf die beiden Perikopen, Lev 6,1–6 und Lev 6,12–16, ist im Folgenden näher einzugehen. Zuvor jedoch ist ein knapper Überblick über die Opfertora (Lev 1–7) als engerer Kontext derselben zu geben.
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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I. Die Opfertora (Lev 1–7) im Überblick Inhaltlich ist die Opfertora (Lev 1–7) – wie bereits ihre in der Forschung übliche Benennung nahelegt – durch Vorschriften zum Opferkult bestimmt, wobei ein Schwerpunkt auf Weisungen liegt, die den Vollzug bzw. die Durchführung der unterschiedlichen Opferarten bzw. -rituale reglementieren. Konkrete Kulthandlungen werden benannt und Handlungsabfolgen nachgezeichnet. Neben diese Fokussierung auf die praktische Seite der Opfervollzüge treten aber auch präzise Abgaben zur jeweiligen Opfermaterie, ihrer Beschaffenheit und gegebenenfalls auch ihrer Zubereitung.347 Das grundlegende Anliegen des kultrechtlichen Korpus wird – primär mit Blick auf die in Lev 1 behandelte עלה, der Sache nach aber generalisierbar für alle in Lev 1–7 thematisierten Vollzüge – in Lev 1,3 formuliert: Die Opfer sind so auszuführen, dass sie (bzw. die Opfernden) vor JHWH Gefallen finden ( ;לרצונו לפני יהוהLev 1,3), was vor dem Hintergrund der spezifischen Schwerpunktsetzungen der Opfertora bedeutet, dass die „richtige“ Materie in „richtiger“ Weise (d.h. im korrekten Ritual bzw. der vorgegebenen Handlungsabfolge) darzubringen ist.348 Die theologische Deutung der Kultvollzüge hingegen, die in Texten wie Ex 29,38–46; Num 28,3–8 (u.a.) zentral ist, tritt in den Hintergrund und wird primär über (vergleichsweise wenige) formelhafte Wendungen (wie z.B. אשה ]ריח ניחח[ ליהוה349 oder כפר-pi.350) geleistet.351 Über den einleitenden Vers Lev 1,1 wird die Opfertora als JHWH-Rede ausgewiesen, die vom Zelt der Begegnung aus an Mose gerichtet ist und – unmittelbar nach der Inbesitznahme des Heiligtums durch JHWH (vgl. Ex 40,34–35) – die in diesem zu vollziehenden Kultvollzüge reglementiert.352 Lev 1,1(–2b) als Einleitung steht in Lev 7,37–38 ein Kolophon gegenüber, der den Abschluss des Korpus markiert.353 Lev 7,38 reflektiert dabei erneut die Übermittlung der Opfertora an Mose und greift so auf die Umschreibung der Redesituation in Lev 1,1 zurück.354 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Lokalisierung – sowohl des Offenbarungsempfangs als auch der praktischen Umsetzungen der empfangenen Weisungen durch Israel – am Sinai, wobei differenzierend ersteres, also der Offenbarungsempfang, „am Berg Sinai“ ( )בהר סיניund letzteres, der Opfervollzug, „in 347
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 143. Vgl. HARTLEY, Leviticus, 19; HIEKE, Levitikus 1–15, 143; NIHAN, Torah, 229; MILGROM, Leviticus 1–16, 149. 349 Vgl. Lev 1,9.13.17; 2,2.3.9.10.11.16; 3,3.5.9.11.14.16; 4,35; 6,11; 7,5.25.30.35. 350 Vgl. Lev 1,4; 4,20.26.31.35; 5,6.10.13.16.18.26; 6,23; 7,7. 351 Vgl. MARX, Theology, 103–104. 352 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 5; 8; HIEKE, Levitikus 1–15, 152–153; MARX, Theology, 105; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 7–8; RUWE, Structure, 63. 353 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 5; MARX, Theology, 106. 354 Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 263–264; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 8. 348
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
der Wüste Sinai“ ( )במדבר סיניverortet ist.355 Interessant sind diese Angaben u.a. auch für die rechtssystematische Einordnung der Opfertora, die damit als Teil der Sinaioffenbarung bestimmt, zugleich aber auch von den als „Kernoffenbarung“ ausgewiesenen Gesetzen, die auf dem Berg übermittelt sind (wie z.B. die Heiligtumstora), abgesetzt und diesen nachgeordnet wird.356 Lev 7,37 charakterisiert den Text von Lev 1–7 mit Blick auf seinen Inhalt und Charakter als „Weisung“ ( )תורהbezüglich der einzelnen Opferarten, die zu diesem Zweck nochmals (einzeln) aufgezählt werden:357 Dies ist die Weisung ( )תורהbezüglich des Brandopfers und des Speiseopfers und des Entsündigungsopfers und des Entschuldigungsopfers und des Einsetzungsopfers und des Heilsgemeinschaftsopfers. (Lev 7,37)
Von den hier genannten sechs Opferarten werden fünf, das Brandopfer (Lev 1,1–17; 6,1–6; 7,8), das Speiseopfer (Lev 2,1–16; 6,7–16; 7,9–10), das Heilsgemeinschaftsopfer (Lev 3,1–17; 7,11–21.28–36), das Entsündigungsopfer (Lev 4,1–5,13; 6,18–23) und das Entschuldigungsopfer (Lev 5,14–26; 7,1–7) – jeweils ausdifferenziert in verschiedene Unterfälle – in der Opfertora ausführlich behandelt und auf diese Weise als Grundformen des Opfers definiert. Die Einsetzungsopfer ( )מלואיםhingegen sind in Lev 1–7 nicht eigens behandelt, dafür aber bereits in Ex 29,19–28 eingehender thematisiert,358 wobei in den Versen Lev 7,28–36, die Regelungen zu den Priesteranteilen am Heilsgemeinschaftsopfer enthalten, deutliche Bezüge zu Ex 29,19–28 auszumachen sind.359 Darüber hinaus kann die Erwähnung der Einsetzungsopfer im Kolophon auch eine Brücke zum nachfolgenden Kontext, Lev 8–10, schlagen, in dem ja die Amtseinsetzung der Priester und damit auch der Vollzug der מלואיםberichtet wird.
Die Opfervorschriften in Lev 1,2b–7,36 selbst können grundlegend in zwei Hauptteile, Lev 1–5 und Lev 6–7, untergliedert werden, in denen jeweils alle fünf Grundformen von Opfern behandelt werden.360 Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Teilen aber, der zugleich auch die Zweiteilung selbst begründet, liegt darin, dass sich in Lev 1–5 Weisungen finden, die – wie die beiden Redeeinleitungen mit Weitergabeformel in Lev 1,1–2; 4,1–2 355
Vgl. HARTLEY, Leviticus, 101; LEVINE, Leviticus, 47. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 328–329; MARX, Theology, 106. 357 Vgl. DAHM, Opferkult, 205; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 11; 258. Vgl. auch ZENGER/FREVEL, Bücher, 40. 358 Vgl. MARX, Theology, 103; NIHAN, Priestly Torah, 263; RENDTORFF, Leviticus 1– 10, 8–11; 258. 359 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 294; MILGROM, Leviticus 1–16, 436–437. 360 Vgl. DAHM, Opferkult, 198–200; 215–216; LEVINE, Leviticus, 3; MARX, Theology, 107; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 8–11. 356
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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nahelegen – an Israel gerichtet sind, während Lev 6–7 (im Wesentlichen) Aaron und seine Söhne, d.h. die Priester, als Adressaten voraussetzt.361 Letzteres ist v.a. in Lev 6,1–2.17–18 ablesbar. Der Sache nach bietet Lev 6–7 in erster Linie Ergänzungen und Präzisierungen zu den grundlegenden Vorschriften über die Ausführung der unterschiedlichen Opferarten, die sich in Lev 1–5 finden.362 Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Umgang mit den Überresten der Opfertiere363 sowie auf spezifischen priesterlichen Tätigkeiten.364 In Lev 7,22–23.28–29 finden sich jedoch zwei Redeeinleitungen, die scheinbar entgegen dem soeben Ausgeführten, nicht Aaron und seine Söhne, sondern die Israeliten als Adressaten der beiden Reden in Lev 7,22–27.28–36 ausweisen. Diese beiden Abschnitte schließen an die Vorschriften zum Heilsgemeinschaftsopfer in Lev 7,11–21 an, die ihrerseits durch Lev 6,17–18 als Rede an die Priester kenntlich gemacht sind. Dabei behandelt Lev 7,22–27 das Verbot des Blut- und Fettgenusses, das von den Israeliten beim Verzehr der Opferanteile bzw. des Opferfleisches der Heilsgemeinschaftsopfer zu beachten ist (vgl. auch Lev 3,17) und daher auch ausdrücklich an diese adressiert sein muss. Lev 7,28–36 hingegen beschäftigt sich mit den Priesteranteilen an den Heilsgemeinschaftsopfern, die sinnvollerweise nach Lev 7,11–21 zu besprechen sind. Da deren Abgabe allerdings nicht von den Priestern, sondern von den opfernden Laien verlangt ist, wird auch Lev 7,28–36 als Rede an Israel markiert.365 Eine weitergehende Feingliederung der beiden Hauptteile der Opfertora, Lev 1–5 und Lev 6–7, wird u.a. auch durch die bereits angesprochenen Redeeinleitungen angezeigt, die den Text in mehrere Gottesreden unterteilen. So ist der erste Hauptteil, Lev 1–5, der eine an die Israeliten gerichtete Darstellung der grundlegenden Opferarten bietet, durch die Redeeinleitung in Lev 4,1–2 in zwei Abschnitte aufgeteilt, wobei diese Zweiteilung nicht nur formal, sondern auch sachlich fundiert ist.366 Lev 1–3 nämlich behandelt freiwillige Opfer der Israeliten, die weiterführend in freiwillige tierische Opfer, d.h. Brand- (Lev 1,2c–17) und Heilsgemeinschaftsopfer (Lev 3,1–17), sowie freiwillige vegetabile Opfer, die Speiseopfer ( ;מנחהLev 2,1–16), differenziert werden können. Zentral bei allen drei Opfertypen ist die kultische Verbrennung der Opfergaben (bzw. eines Teils derselben), die diese jeweils als „Feu361
Vgl. EBERHARD, Studien, 63; HIEKE, Levitikus 1–15, 143; MARX, Theology, 107; MILGROM, Leviticus 1–16, 382; WENHAM, Leviticus, 116–117. 362 Vgl. LEVINE, Leviticus, 34; NIHAN, Priestly Torah, 256; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 71. 363 Vgl. DAHM, Opferkult, 223; NIHAN, Priestly Torah, 256. 364 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 5; HIEKE, Levitikus 1–15, 144; 294–296; WENHAM, Leviticus, 116–117. 365 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 296; MARX, Theology, 107–108; MILGROM, Leviticus 1–16, 382; NIHAN, Priestly Torah, 257–258; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 254–255. 366 Vgl. MARX, Theology, 108–110; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 10; 17; 143–144.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
ergabe [zum beruhigenden Duft] für JHWH“ ( )אשה ]ריח ניחח[ ליהוהqualifiziert (vgl. Lev 1,9.13.17; 2,2.3.9.10.11.16; 3,3.5.9.11.14.16) und so als Form der Kommunikation und Interaktion mit JHWH definiert.367 Eine weitergehende Feindifferenzierung innerhalb der drei Kapitel wird jeweils entlang der verschiedenen, für die jeweiligen Opfertypen möglichen Opfergaben vorgenommen, die in der Regel nach ihrer Wertigkeit angeordnet sind. So finden sich in Lev 1,2c–17 nacheinander Vorgaben zum Brandopfer von Stieren (Lev 1,3–9), vom Kleinvieh (Lev 1,10–13) sowie von Tauben (Lev 1,14–17), während in Lev 3,1–17 aufeinander folgend das Heilsgemeinschaftsopfer vom Rind (Lev 3,1–5), vom Schaf (Lev 3,7–11) und von der Ziege (Lev 3,12–16) behandelt werden. In Lev 2 hingegen finden sich nebeneinander verschiedene Formen und Varianten der Zubereitung einer minḥā aus Mehl und Öl, ohne dass hier eine Abstufung hinsichtlich der Wertigkeit greifbar wäre.368
Lev 4–5 schließlich bietet– durch den Neueinsatz der Gottesrede in Lev 4,1–2 von den freiwilligen Opfern in Lev 1–3 abgehoben – Vorschriften zu Opfervollzügen, die bei Eintreten bzw. Vorliegen eines konkreten Anlasses (verpflichtend) darzubringen sind, der jeweils im Bewusst-Werden einer nichtintentionalen Übertretung von Geboten liegt.369 Auf solche Sachverhalte reagieren – in je eigener Weise – das Entsündigungs- ( ;חטאתLev 4,1–5,13) und das Entschuldigungsopfer ( ;אשםLev 5,14–26), deren grundlegendes Anliegen somit nicht die Huldigung bzw. die kultische Kommunikation mit JHWH ist – folgerichtig finden sich auch die Stichworte אשהund ריח ניחחin Lev 4–5 nicht –, sondern das Erwirken von Versöhnung (כפר-pi.) und Vergebung (סלח-ni.) (vgl. Lev 4,20.26.31.35; 5,[6.]10.13.16.[18.]26). Dies geschieht im Fall des Entsündigungsopfers durch die ausführlich beschriebenen Blutriten und im Fall des Entschuldigungsopfers durch den Opfervollzug selbst.370 Eine feinere Untergliederung wird in Lev 4,1–5,13 entlang der betroffenen Personen(gruppen) vorgenommen, für die jeweils eine spezielle Form der ḥaṭṭā’t zu wählen ist, während der Abschnitt zum ’āšām in Lev 5,14–26 nach vorliegenden Sachverhalten gegliedert ist, die ein Entschuldigungsopfer erfordern, wobei die daraus resultierende Zweiteilung des Abschnitts auch durch die beiden Redeeinleitungen in Lev 5,14.20 untermauert wird.371
Lev 6–7 als zweiter Hauptteil der Opfertora enthält – wie bereits angedeutet – ergänzende Bestimmungen und Präzisierungen zu den Vorschriften aus Lev 1–5. Das zentrale Stichwort ist dabei ‚( תורהWeisung‘), das sich v.a. in fünf 367 368
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 143–144; MARX, Theology, 108–109. Vgl. DAHM, Opferkult, 205–212; MARX, Theology, 109; RENDTORFF, Leviticus 1–
10, 9. 369
Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 143–145; MARX, Theology, 115. Vgl. ausführlicher dazu z.B. HIEKE, Levitikus 1–15, 144; RENDTORFF, Leviticus 1– 10, 143–224. 371 Vgl. DAHM, Opferkult, 212–215; HIEKE, Levitikus 1–15, 229–230; MARX, Theology, 109–110. 370
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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gleichförmig gestalteten Überschriften findet, die die einzelnen Abschnitte einleiten:372 Lev 6,2b Lev 6,7a Lev 6,18b Lev 7,1a Lev 7,11a
Dies ist die Weisung für das Brandopfer ()זאת תורת העלה Und dies ist die Weisung für das Speiseopfer ()וזאת תורת המנחה Dies ist die Weisung für das Entsündigungsopfer ()וזאת תורת החטאת Und dies ist die Weisung für das Entschuldigungsopfer ()וזאת תורת האשם Und dies ist die Weisung für das Heilsgemeinschaftsopfer ()וזאת תורת זבח השלמים
Lev 6,2–6 Lev 6,7–16 Lev 6,18–23 Lev 7,1–7 Lev 7,11–36
Ein weiteres Mal werden diese Überschriften im Kolophon Lev 7,37 aufgegriffen, in dem – wie oben bereits angesprochen – nochmals alle fünf Opferarten in exakt der Reihenfolge genannt sind, in der sie auch in Lev 6–7 behandelt werden.373 Außerhalb des damit generierten Überschriftensystems in Lev 6–7 aber stehen die Verse Lev 7,8–10, die wie Nachträge zu den Weisungen zu Brand- und Speiseopfer in Lev 6,1–6.7–16 wirken und auf die Frage nach den Priesteranteilen bei diesen Opfertypen eingehen, nachdem diese auch in den Abschnitten zum Entsündigungs- und Entschuldigungsopfer (Lev 6,18–7,7) jeweils im Vordergrund steht.374 Was das Brandopfer anbelangt, so wird weder in Lev 1,2–17 noch in Lev 6,1–6 ein Priesteranteil angesprochen. Erst Lev 7,8 hält fest, dass die Haut des Opfertiers, die als einer der wenigen Körperteile nicht verbrannt wird, an denjenigen Priester fällt, der die Opfergabe darbringt.375 Beim Speiseopfer hingegen wurde die Frage der Priesteranteile bereits in Lev 6,9–11 behandelt, wobei dort – mit Lev 6,8 – v.a. der in Lev 2,1–3 beschriebene Fall einer minḥā aus Feinmehl ( )סלתund Öl im Blick ist, während Lev 7,9–10 nahelegt, die in Lev 6,9–11 dargelegten Vorgaben analog auch auf die in Lev 2,4–10 behandelten Fälle einer minḥā aus verarbeitetem Mehl mit Öl anzuwenden. 376
Neben die Strukturierung des Textes durch die fünf „Tora-Überschriften“ in Lev 6,2.7.18; 7,1.11 tritt eine Aufteilung auf – ebenfalls fünf – Gottesreden, die durch die Redeeinleitungen in Lev 6,1–2a.12.17–18a.7,22–23a.28–29 nahegelegt wird. Auffälligerweise fallen die fünf auf diese Weise angezeigten bzw. abgegrenzten Abschnitte (Lev 6,1–11; 6,12–16; 6,17–7,21; 7,22–27; 372
Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 76; HARTLEY, Leviticus, 93–94; HIEKE, Levitikus 1–15, 294–296; LEVINE, Leviticus, 34–35; MILGROM, Leviticus 1–16, 282–283; NIHAN, Priestly Torah, 164; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 10–11; 230–231. 373 Vgl. DAHM, Opferkult, 216; HIEKE, Levitikus 1–15, 327; NIHAN , Priestly Torah, 264; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 8; 258. 374 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 316–317; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 247–248. 375 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 316; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 248. 376 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 316–317.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
7,28–36) an keiner Stelle exakt mit der durch die „Tora-Überschriften“ generierten Unterteilung zusammen.377 So umfasst die erste Rede (Lev 6,1–11) die gesamte ( תורת העלהLev 6,1–6) sowie die erste Hälfte der ( תורת המנחהLev 6,7–11). Deren zweite Hälfte (Lev 6,12–16) hingegen wird durch die Anredeformel in Lev 6,12 als eigene Gottesrede ausgewiesen. Diese formale Aufteilung der תורת המנחהkorrespondiert mit einer inhaltlich-thematischen Zweiteilung, da Lev 6,7–11 v.a. die Darbringung der minḥā und die Priesteranteile thematisiert und Lev 6,12–16 die (tägliche) minḥā des Gesalbten Priesters behandelt. Die dritte Gottesrede (Lev 6,17–7,21) beinhaltet die Weisungen zu Entsündigungs- (Lev 6,18–23) und Entschuldigungsopfern (Lev 7,1–7) sowie einen ersten Teil der Weisung zum Heilsgemeinschaftsopfer ()תורת זב השלמים, die schließlich in der vierten (Lev 7,22–27) und fünften (Lev 7,28–36) Gottesrede mit vornehmlich an die Israeliten gerichteten Vorschriften fortgeführt wird.378 Die beiden Abschnitte, Lev 6,1–16.12–16, in denen als „regelmäßig“ ( )תמידqualifizierte kultische Handlungen thematisiert werden, finden sich somit im zweiten Hauptteil der Opfertora, und hier in den vorrangig an die Priester adressierten tōrōt zum Brandopfer (Lev 6,1–6) sowie zum Speiseopfer (Lev 6,7–16), die im Folgenden genauer zu betrachten sind. Dass aber in der Opfertora überhaupt regelmäßige Kultvollzüge erwähnt werden, ist an sich bereits bemerkenswert. Immerhin behandelt Lev 1–7 in erster Linie zwei Sorten von Opfervollzügen: die freiwilligen Opfer (Einzelner) (vgl. Lev 1–3; 6,7–11; 7,8–10.11–36) und die sachverhalts- bzw. anlassbezogenen, verpflichtenden Entsündigungs- und Entschuldigungsopfer (Lev 4–5; 6,17–7,7), denen allesamt keine Regelmäßigkeit zukommen kann. Damit sind in den näher zu untersuchenden Textpassagen Lev 6,1–6.12–16 gleichsam „Sonderfälle“ im Blick, die allerdings – wie unten ebenfalls zu zeigen sein wird – für die Interpretation und Einordnung der (gesamten) Opfertora von entscheidender Bedeutung sein können. II. Das „regelmäßige Feuer“ (Lev 6,1–6) 1a 1aI 2a 2aI 2b 2c 2d
377
JHWH redete zu Mose folgendermaßen: „Befiehl Aaron und seinen Söhnen, folgendermaßen: ‚Dies ist die Weisung ( )תורהzum Brandopfer: Dieses Brandopfer (sei) auf einer Brandstelle ( )מקודהauf dem Altar die ganze Nacht bis zum Morgen und das Feuer des Altars soll an ihm brennen.
Vgl. DAHM, Opferkult, 216–217; GERSTENBERGER, Leviticus, 76–77, HARTLEY, Leviticus, 93–94. 378 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 395–396.
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7 3a 3b 3c 3cR 3d 4a 4b 4c 5a 5b 5c 5d 5e 6a 6b
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Der Priester soll sich mit einem bād-Gewand bekleiden und bād-(Unter-)Hosen über sein Fleisch kleiden und er soll die Asche abheben, zu der das Feuer das Brandopfer verzehrt hat, und sie neben den Altar legen. Und er soll seine Kleider ausziehen und sich in andere Kleider kleiden und er soll die Asche nach außerhalb des Lagers an einen reinen Ort bringen. Das Feuer des Altars aber soll auf ihm brennen, es soll nicht verlöschen. Der Priester soll auf ihm Hölzer entzünden an jedem Morgen ()בבקר בבקר und auf ihm das Brandopfer anordnen ()ערך und darauf die Fettteile der Heilsgemeinschaftsopfer in Rauch aufgehen lassen. Regelmäßiges Feuer ( )אש תמידsoll auf dem Altar brennen, es soll nicht verlöschen. (Lev 6,1–6)
1. Gliederung und Struktur Den Auftakt von Lev 6,1–6 markieren die oben bereits angesprochenen „Überschriften“, d.h. zunächst die Redeeinleitung in Lev 6,1–2aI mit Anrede(V.1) und Weitergabeformel (V.2a–aI)379 und schließlich die Toraformel in Lev 6,2b ()זאת תורת העלה, die Lev 6,2c–6 als „Weisung zum Brandopfer“ bestimmt.380 Die in V.1–2aI eingeleitete erste Gottesrede aber umfasst über die תורת העלהhinaus auch noch den ersten Teilabschnitt (Lev 6,7–11) der ( תורת המנחהLev 6,7–16).381 Der Einsatz der eigentlichen „Weisung zum Brandopfer“ in Lev 6,2c nimmt – durch die Deixis הואzusätzlich betont – nochmals das Stichwort [‚( ]ה[עלהdas] Brandopfer‘) aus der Toraformel Lev 6,2b auf, greift so auf die „Überschrift“ in V.2b zurück und fokussiert auf das Brandopfer bzw. konkret auf dessen Verbleib auf der Brandstelle ( )מוקדהdes Altars. Zusätzlich lenkt Lev 6,2d die Aufmerksamkeit auf das „Feuer des Altars“ ()אש המזבח, das auf diesem (d.h. auf dem Altar) am Brennen gehalten wird (יקד-ho.)382. Mit den beiden Schlagworten ‚( עלהBrandopfer‘) und ‚( אשFeuer‘) sind in Lev 6,2cd zwei zentrale, miteinander zusammenhängende Themen vorgegeben, die den folgenden Abschnitt Lev 6,3–6 bestimmen, das Brandopfer bzw. sein Verbleib auf dem Altar und das Altarfeuer. Ersteres wird dabei v.a. in den Versen 379
Die Weitergabeformel fällt insofern ins Auge, als sich in V.2a anstelle des gebräuchlichen Verbs –דברpi. (‚reden‘) das Verb –צוהpi. (‚befehlen‘) findet. Auffällig ist dabei, dass die Formulierung von Lev 6,2a auch in Lev 24,2; Num 28,2 (und Num 5,2) belegt ist und damit v.a. Abschnitte eröffnet, in denen Tamid–Vollzüge thematisiert sind. 380 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 232. 381 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 306. 382 Vgl. den Anklang von –יקדho. (V.2d) an ( מוקדהV.2c)! Zur Bedeutung von –יקדho. vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 301; 307.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Lev 6,3–4 verhandelt, die insbesondere das Reinigen des Altars bzw. das Entfernen der Asche der verbrannten Opfer thematisieren.383 Dieser Vorgang wird in Lev 6,3c–d über das Benennen von zwei essenziellen Handlungsschritten fokussiert, nämlich dem Abheben (רום-hi.) der Asche (V.3c) sowie dem Ablegen derselben neben dem Altar (V.3d). Die beiden we=qaṭal-Sätze Lev 6,3c.d umrahmen den Relativsatz Lev 6,3cR, der (nochmals) die Herkunft der Asche von dem im Altarfeuer verbrannten Brandopfer verdeutlicht und darin Lev 6,2cd aufnimmt. Lev 6,3c–d selbst wiederum wird von den Verbalsätzen Lev 6,3ab.4ab umschlossen, die das An- bzw. Umkleiden des zuständigen Priesters behandeln. In diesen fungiert das Verb ‚( לבשanziehen‘; V.3ab.4b) als Leitwort, das in V.4a durch das annähernd synonyme ‚( פשטablegen‘) alterniert wird. Direkte Objekte dieser Verben sind ‚( בדbādBekleidung‘) in V.3ab sowie ‚( בגדיםKleider, Bekleidung‘) in V.4ab. In Lev 6,3–4a ist somit eine chiastische Struktur erkennbar, in deren Zentrum (V.3cR) der Zusammenhang zwischen der zu entfernenden Asche und dem in das Altarfeuer gelegten Brandopfer betont wird. Lev 6,4c schließlich ordnet nachklappend das weitere Entfernen der gemäß V.3c.d vom Altar abgehobenen und vorläufig neben dem Altar deponierten Asche an, die aus dem Lager hinaus an einen reinen Ort gebracht werden soll. Im Anschluss an Lev 6,4c markiert der (invertierte) we=x-qaṭal-Satz Lev 6,5a eine kleinere Zäsur im Textverlauf bzw. zeigt zugleich den Auftakt eines neuen Teilabschnitts (Lev 6,5–6) an, dessen zentrales Stichwort bereits in V.5a betont vorangestellt ist: ‚( אשFeuer‘). Lev 6,5a sowie der von den Formulierungen her sehr ähnliche Satz Lev 6,6a nehmen dabei deutlich auf Lev 6,2d Bezug.384 Weitergeführt werden sie jeweils durch den Prohibitiv ‚( לא תכבהes soll nicht verlöschen‘; Lev 6,5b.6b), so dass die Sätze Lev 6,5ab.6ab wiederum wie ein Rahmen erscheinen, der um Lev 6,5c–e als Zentrum gelegt ist. Dieses Zentrum wird durch drei we=qaṭal-Sätze (V.5c–e) gebildet, die – wie Lev 6,3–4 – das Agieren des Priesters (vgl. ;הכהןV.3a.5c) thematisieren. Dabei liegt der Fokus in V.5c auf dem „Am-Brennen-Halten“ des Altars, das durch ein allmorgendliches ( )בבקר בבקרAuf- bzw. Nachlegen von neuem Holz zu bewerkstelligen ist, so dass die in Lev 6,2c angesprochene Brandstelle ( )מוקדהentstehen und erhalten bleiben kann. Auf diese wiederum wird Lev 6,5d zufolge das Brandopfer aufgeschichtet ()ערך, zu dem zuletzt die Fettteile der Heilsgemeinschaftsopfer hinzutreten (Lev 6,5e). Damit ist in Lev 6,5c–e erneut das bereits in Lev 6,2c angedeutete „Übereinander“ (vgl. עלin V2c.5c–e) von Altar (Brandstelle) und Opfern realisiert. Die Zeitangabe בבקר ‚( בבקרjeden Morgen‘) aber korrespondiert mit der Formulierung כל־הלילה עד־ ‚( הבקרdie ganze Nacht bis zum Morgen ‘) in Lev 6,2c.
383 384
Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 234. Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 233–234.
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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Somit finden sich in Lev 6,2–6 zwei jeweils chiastisch angelegte Teilabschnitte, Lev 6,3–4 und Lev 6,5–6, denen in Lev 6,2cd eine Hinführung bzw. Themenangabe vorangestellt ist. Diese wird v.a. im zweiten Teilabschnitt (V.5–6) wieder aufgenommen, in dem die rahmenden Sätze V.5ab.6ab auf V.2d und das Zentrum (V.5c–e) auf V.2c Bezug nehmen. Jenseits der chiastischen Strukturen allerdings ist – wie durch die korrespondierenden Zeitangaben in V.2c.5c untermauert wird – auch eine lineare Abfolge von Handlungen greifbar, die letztendlich freilich in eine zyklische Bewegung einmündet: Das Brandopfer bleibt über Nacht auf dem Altar und verbrennt dabei zu Asche (V.2cd). Diese wird am Morgen vom Priester entfernt (V.3–4), der daraufhin neues Holz auf den gereinigten Altar legt, um das Feuer am Brennen zu halten (V.5c), und anschließend das Brandopfer (V.5d) sowie die weiteren Opfer auf die Brandstelle bringt (V.5e) – und diese wiederum bis zum nächsten Morgen dort belässt… Dieser Zyklus wird durch die Sätze V.2d.5a(b).6a(b) strukturiert und interpretiert,385 die als [we=]x-jiqṭolSätze ein iteratives „Immer-Wieder“ zum Ausdruck bringen.386 Graphisch kann der Aufriss des Textes somit wie folgt dargestellt werden: Lev 6,2cd
Themenangabe
Lev 6,3–4
Die Asche des Brandopfers V.3ab V.3c V.3cR V.3d V.4ab V.4c
Lev 6,5–6
Kleiderwechsel (Anlegen der bād-Kleider) Abheben der Asche Rekurs: Herkunft der Asche Deponieren der Asche Kleiderwechsel (Ablegen der bād-Kleider) Entfernen der Asche
Das regelmäßige Altarfeuer V.5ab V.5c–e V.6ab
Altarfeuer (→ V.2d) Auflegen von Holz und Opfern (→ V.2c) Altarfeuer (→ V.2d)
2. Altar – Feuer – Opfer (Lev 6,1–6) Im Folgenden sind nun – ausgehend von der vorgestellten Gliederung – die einzelnen Abschnitte der „Weisung zum Brandopfer“ auszulegen, wobei besondere Aufmerksamkeit den Sätzen Lev 6,2d.5ab.6ab gelten wird.
385 386
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 307; MILGROM, Leviticus 1–16, 384. Vgl JOÜON/MURAOKA §113e–f; 119v; RICHTER, Grundlagen III, 219.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
a) Altar und Brandstelle (Lev 6,2cd) Lev 6,2c eröffnet die „Weisung zum Brandopfer“ und nimmt dabei mit dem betonten ‚( הוא העלהdieses Brandopfer‘) nochmals die Toraformel aus Lev 6,2b auf, die als Überschrift für den Abschnitt Lev 6,2c–6 fungiert.387 Die erste grundlegende Aussage, die über „dieses Brandopfer“ getroffen wird, ist seine „Verortung“. Es befindet sich ‚( על מוקדהauf einer Brandstelle‘) bzw. על ‚( המזבחauf dem Altar‘), wobei durch die beiden unmittelbar aufeinander folgenden Belege der Präposition ‚( עלauf, über‘) gleichsam eine vertikale „Schichtung“ der drei genannten Größen, Altar, Feuerstelle und Opfer, imaginiert wird (vgl. ähnlich auch in Lev 6,5; s.u.). Interessant in V.2c ist zunächst das Stichwort מוקדה, das in zweifacher Weise interpretiert werden kann. So ist es einerseits – der masoretischen Vokalisation folgend – als ein vom Verb יקד-ho. (‚am Brennen gehalten werden‘; vgl. z.B. Lev 6,2d.5a.6a) abgeleitetes Nomen – und damit als feminine Nebenform zu ‚( מוקדBrand, Glut‘) – zu deuten, das als Hapaxlegomenon im TaNa“K allerdings nur an dieser Stelle belegt ist. Andererseits jedoch kann die Konsonantenfolge מוקדהauch in das Nomen מוקד388 mit dem ePP der 2. Pers. f. Sg. (הּ-) aufgelöst werden, wobei letzteres auf ‚( עלהBrandopfer‘; f. Sg.) zu beziehen ist.389 So verstanden, befindet sich das Brandopfer „auf seiner Glut“ bzw. „auf dem ihm zugeordneten Feuer“ ()על מוקדהּ. Bezeugt wird diese Lesart u.a. von der LXX, die die Wendung על מוקדהin Lev 6,2c mit ἐπὶ τὴς καύσεως αὐτῆς (‚auf ihrem Brand / ihrer Feuerstelle‘) wiedergibt.390 Des Weiteren kann auch ein kleines stilistisches Detail dafür sprechen, das Stichwort מוקדהin der angesprochenen Weise aufzulösen. Deutet man nämlich מוקדהgemäß der zuerst vorgestellten Alternative als feminines Nomen, so ist dieses (ohne Artikel) undeterminiert, was schließlich zur Folge hat, dass von den beiden aufeinander folgenden, zueinander parallelen Wendungen על מוקדה und על המזבחin der ersten das Nomen undeterminiert und in der zweiten determiniert wäre. Bei der zweiten Alternative – מוקדהals maskulines Nomen מוקדmit ePP der 3. Pers. f. Sg. (הּ-) – hingegen wäre dieses „Ungleichgewicht“ insofern nicht gegeben, als hier beide Nomen, מזבחund מוקד, entweder durch den Artikel oder das ePP determiniert sind. Eine definitive Entscheidung für eine der beiden Alternativen ist allerdings kaum zu fällen, zumal der Sache nach letztlich kein signifikanter Unterschied gegeben ist. Wohl aber wäre bei der zweiten Variante der Zusammenhang zwischen dem Brandopfer und „seiner Brandstelle“ stärker betont. Unabhängig von der Festlegung auf eine der Interpretationsmöglichkeiten jedoch be387
Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 234. Dieses Nomen ist an zwei Stellen im TaNa“K (Jes 33,14; Ps 102,4) belegt. 389 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 301; MILGROM, Leviticus 1–16, 383; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 229; 234. 390 Vgl. dazu auch HIEKE, Levitikus 1–15, 301. 388
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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zeichnet das Nomen מוקד/ מוקדהin Lev 6,2c einen brennenden bzw. glühenden Holzstoß auf dem Altar (vgl. )על המזבח, der – wie Lev 6,3cR deutlich macht – dazu geeignet ist, die auf ihm liegende Opfergabe (komplett) zu verbrennen. Dabei nimmt Lev 6,3cR die Formulierung von Lev 6,2c auf, alterniert aber מוקד/ ‚( מוקדהBrandstelle‘) mit dem Nomen ‚( אשFeuer‘), wodurch ein enger Stichwortbezug zu Lev 9,24(a)b geschaffen wird. Lev 6,3cR 3cR
אשר תאכל האש את העלה על המזבח
Lev 9,24ab
ותצא אש מלפני יהוה ותאכל על המזבח את העלה ואת החלבים
24a 24b
Die Lokalisierung des Brandopfers auf der Brandstelle bzw. auf dem Altar in Lev 6,2c ist mit der Zeitangabe ‚( כל־הלילה עד־הבקרdie ganze Nacht bis zum Morgen‘) verbunden, die einerseits den Zeitraum umreißt, innerhalb dessen das mit Lev 6,3cR angezielte vollständige Verbrennen der Opfergabe stattfinden kann. Ein im Lauf des Tages dargebrachtes Opfer wird also nicht nach einiger Zeit wieder vom Altar genommen, sondern verbleibt dort noch für die Dauer der darauffolgenden Nacht. Andererseits aber ist mit der Befristung bis zum nächsten Morgen auch ein konkreter Zeitpunkt markiert, zu dem eine weiterführende Handlung einsetzt, nämlich das in V.3–4 beschriebenen Prozedere des Entfernens der vom Brandopfer übrig gebliebenen Asche durch den Priester. Lev 6,2c steckt somit den Ausgangspunkt für die in Lev 6,3–4 folgende Darstellung ab, markiert zugleich aber auch den Morgen als Zeitpunkt für die Neuaufnahme des Kultbetriebs nach Ablauf der Nacht. Bevor jedoch in V.3–4 die Reinigung des Altars von der Asche der Opfer thematisiert und damit der nach Lev 6,2c nahe liegende, nächste Handlungsschritt ins Auge gefasst wird, setzt Lev 6,2d eine gewisse Zäsur und betont – als we=x-jiqṭol-Satz (Iterativ) – ein (notweniges) „Immer-Wieder“:391 Das Feuer des Altars ( )אש המזבחsoll auf diesem dauerhaft – durch immer wieder neues Nachlegen von Holz – am Brennen gehalten werden (יקד-ho.).392 Mit dem Stichwort ‚( אש המזבחFeuer des Altars‘) kommt nochmals die in Lev 6,2c thematisierte Brandstelle ( מוקד/ )מוקדהauf dem Altar in den Blick, die diesmal allerdings weniger als Ort des Brandopfers fokussiert wird, sondern als „Feuer“, d.h. als Vorgang und zugleich Resultat eines Verbrennungsvorgangs, der – so das Anliegen des Verses – durchgehend am Laufen gehalten werden soll. Auf diese Weise wird einerseits die Voraussetzung dafür geschaffen, dass das Brandopfer – wie in V.2c gefordert – bis zum Morgen auf dem Altar verbleiben kann und dabei gänzlich verbrannt wird (vgl. V.3cR). Andererseits aber deutet V.2d auch die Motivation der in Lev 6,3–4 beschrie391
Vgl JOÜON/MURAOKA §113e–f; 119v; RICHTER, Grundlagen III, 219. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 301; 307; MILGROM, Leviticus 1–16, 383; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 235. 392
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
benen Altarreinigung an und greift so auch dem letzten Teilabschnitt der „Weisung für das Brandopfer“ in Lev 6,5–6 vor, in dem das „Am-BrennenHalten“ des Altars noch eingehender thematisiert wird. b) Das Reinigen des Altars (Lev 6,3–4) Lev 6,2c–6 legt nahe, dass der Altar jeden Morgen, noch vor Aufnahme des Opferbetriebs (vgl. V.5d!), von den Ascheresten der Opfer des Vortages gereinigt wird.393 Der Vorgang des Reinigens selbst wird dabei in Lev 6,3c.d.4c in drei aufeinander folgenden Schritten dargestellt: Die Asche der bis zum Morgen auf dem Altar liegenden (vgl. V.2c) und vom Altarfeuer völlig „aufgezehrten“ ( ;אכלV.3cR) ʽōlā wird vom Priester abgehoben (רום-hi.; V.3c) und zunächst „neben dem Altar“ ( )אצל המזבחabgelegt (V.3d). Dieser Zielort „neben dem Altar“ ( )אצל המזבחist wohl auch in Lev 1,16; 10,12 im Blick. So findet sich in Lev 1,16 die Anweisung, den Kropf einer als Brandopfer vorgesehenen Taube vor der Darbringung des Tieres zu entfernen und auf den „Ort der Asche“ ( – )מקום הדשןdiese Bezeichnung verweist wohl auf den in Lev 6,3d thematisierten Vorgang – „neben dem Altar“ ( אצל )המזבחzu werfen.394 In Lev 10,12 wiederum weist Mose Aaron und dessen überlebende Söhne an, die Priesteranteile der minḥā, die von dem in Lev 9 beschriebenen, feierlichen Gottesdienst übrig geblieben sind, „neben dem Altar“ ( )אצל המזבחzu verzehren, da diese hochheilig sind. Dies deutet an, dass auch dem Ort selbst grundsätzlich der Status von Heiligkeit zugesprochen wird, was insofern zu den Vorschriften aus Lev 1,16; 6,3 passt, als der Kropf der Vogel-ʽōlā bzw. die Asche der Opfer – selbst wenn sie nicht auf den Altar kommen bzw. von diesem entfernt werden – als Reste von Opfermaterie grundsätzlich heilig sind und daher auch dann, wenn sie entsorgt werden, an einem Ort abzulegen sind, der ihrer kultischen Qualität entspricht. Der dritte Schritt der Reinigung des Altars ist schließlich das in Lev 6,4c angeordnete Hinausbringen der Asche aus dem Heiligtum bzw. dem Lager Israels an einen „reinen Ort“ ()מקום טהור. Die Reinheit des endgültigen Ablageorts ist dabei insofern essenziell, als dadurch ein überaus problematisches Zusammentreffen der vom Altar genommenen Opferreste (und der mit diesen verbundenen Heiligkeit) mit Unreinem vermieden werden kann.395 Entsprechend entwirft Lev 6,4 das Konzept eines Ortes, an dem es möglich ist, eigentlich heilige Materie, die im Heiligtum selbst aber keinen Platz finden kann, theologisch konsistent zu entsorgen bzw. „endzulagern“.396 Das selbe Konzept ist auch in Lev 4,12 greifbar, wo der in Lev 6,4 skizzierte Ort außer393
Vgl. dazu auch mTam 1.2, wo das Reinigen des Altars noch vor dem Sonnenaufgang als erste Kulthandlung des Tages beschieben wird. 394 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 308; JÜRGENS, Heiligkeit, 460; LEVINE, Leviticus, 36. 395 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 237–238. 396 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 309; MILGROM, Leviticus 1–16, 387.
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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halb des Lagers – auf Lev 6,4c Bezug nehmend – als ‚( שפך הדשןAscheschütte‘) bezeichnet und zugleich als derjenige Platz ausgewiesen wird, an dem die Reste des ḥaṭṭā’t-Stiers (Haut, Fleisch, Eingeweide usw.) zu verbrennen sind (vgl. Lev 4,11–12).397 Möglicherweise ist derselbe Ort nochmals in Num 19,9 im Blick. Hier findet sich die Anweisung, die Asche der Roten Kuh außerhalb des Lagers an einem reinen Ort (vgl. zu dieser Ortsangabe Lev 6,4c!) zu deponieren, um daraus bei Bedarf das Reinigungswasser herstellen zu können.
Die beiden ersten Schritte der Reinigung, die unmittelbar am Altar vollzogen werden, sind in Lev 6,3ab.4ab durch Sätze umschlossen, die ein spezielles An- bzw. Umkleiden des Priesters thematisieren, und werden so zugleich auch vom dritten Schritt (V.4c) abgehoben, der vom Altar weg und hin zum reinen Ort außerhalb des Lagers führt. In Lev 6,3ab ordnet JHWH an, dass der Priester, bevor er zum Altar tritt, um die Asche abzuheben (vgl. V.3c), spezielle Gewänder anzulegen hat (;לבש V.3ab), von denen zwei Bestandteile explizit genannt sind: ein als mad (vgl. )מדוbezeichnetes (Ober-)Gewand (V.3a) und (Unter-)Hosen ( ;מכנסיםV.3b). Beide Gewandstücke werden näherhin als bād-Gewänder ( )בדqualifiziert (vgl. Ex 28,42–43), womit – wie bereits erläutert – nicht etwa das Material bzw. die Beschaffenheit der Textilien, sondern die Funktion der Kleidungsstücke näher bestimmt wird: Es sind separierende, abschirmende Gewänder, die den Kontakt zwischen einer dem Priester möglicherweise (unbewusst) anhaftenden Unreinheit und der Heiligkeit des Altars bzw. der kultischen Materie auf ihm verhindern sollen.398 In genau dieser separierenden Funktion werden ‚( מכנסי בדbād-[Unter-]Hosen‘) in Ex 28,42–43 eingeführt und als fester Bestandteil des Gewandes aller Priester vorausgesetzt.399 Neu hingegen ist das bād-Gewand ( )מדו בדin Lev 6,3a.400 Seine engste Parallele findet es in den speziellen Gewändern, die Aaron trägt, wenn er an Jom Kippur das Allerheiligste betritt. So verweist Lev 16,3 auf ein ‚( כתנת בדbād-Gewand‘), das wohl mit dem in Lev 6,3a erwähnten מד בדidentisch ist, sowie auf die aus Lev 6,3; Ex 28,42–43 bekannten ‚( מכנסי בדbād-[Unter-]Hosen‘), die wiederum dazu dienen, Aaron von der gesteigerten Heiligkeit des Raumes, den er betritt, zu separieren und damit die Gefahr einer katastrophalen Vermischung von Heiligkeit und Unreinheit auszuschließen. Im Nebeneinander der beiden 397
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 309; LEVINE, Leviticus, 36; MILGROM, Leviticus 1–16, 240; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 237–238. 398 Vgl. BENDER, Sprache, 198–202; JÜRGENS, Heiligkeit, 401–402; WENHAM, Leviticus, 119. 399 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 236. 400 C BENDER bestimmt das als מדbezeichnete Gewand als ein im Vergleich zur üblichen Priestergewandung ( )כתנתkürzeres Kleidungsstück, das eher als „Arbeitskleidung“ denn als „Repräsentationsgewand“ fungiert. Vgl. BENDER, Sprache, 247; 261.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Texte, Lev 6,3 und Lev 16,3, wird deutlich, dass dem Altar bzw. der Materie auf ihm eine vergleichbare Heiligkeit zugesprochen wird, wie dem Raum hinter der Parochet. Immerhin nämlich werden in beiden Fällen dieselben Vorkehrungen zum Schutz der Integrität dieser Heiligkeit getroffen und auch dieselben separierenden Gewandstücke kommen zum Einsatz.401 Zugleich sind die bād-Gewänder ausschließlich für diejenigen Schritte des Reinigungsvorgangs reserviert, die unmittelbar am Altar selbst vollzogen werden (vgl. Lev 6,3c.d). Sobald diese abgeschlossen sind, legt der Priester die Gewänder wieder ab ( ;פשטV.4a), um „andere Gewänder“ ( )בגדים אחריםanzuziehen ( ;לבשV.4b) – Gewänder, die er trägt, während er die Asche aus dem Lager hinaus zu dem für sie vorgesehenen Ort bringt (Lev 6,4c).402 Auch an diesem Punkt ist die engste Parallele wiederum in der Ritualbeschreibung des Jom Kippur (vgl. Lev 16,23–24403) zu finden. In diesen Versen wird ein mit Lev 6,4ab vergleichbarer Kleiderwechsel Aarons nach dem Abschluss der Kultvollzüge im Inneren des Zelts der Begegnung angeordnet, in dem er die bād-Gewänder ablegt ( ;פשטLev 16,23) und sich in seine („normale“) Dienstkleidung hüllt ( ;לבשLev 16,24). Das damit verbundene Waschen (vgl. Lev 16,24a) findet sich in Lev 6,4 allerdings nicht. Im Anschluss an Lev 6,4c lenkt Lev 6,5a(b) den Blick weg von der (entsorgten) Asche, d.h. dem Überrest der ʽōlā des Vortags, und richtet den Fokus zurück auf den Altar bzw. auf das Altarfeuer. c) Hölzer und Opfer (Lev 6,5–6) Der an das Reinigen des Altars (Lev 6,3–4) sinnvollerweise anschließende, nächste Handlungsschritt des allmorgendlichen „Funktionsbereit-Machens“ des Altars wird in Lev 6,5c beschrieben: Um den Altar am Brennen zu halten (vgl. V.5a) bzw. ein Verlöschen des Altarfeuers zu verhindern (vgl. V.5b), muss neues Brennholz nachgelegt werden.404 Zuständig hierfür ist – ebenso wie für das in V.3–4 besprochene Reinigen – der Priester ( ;הכהןvgl. V.5c.3a). Dieser soll nun – so V.5c – die neuen Hölzer ‚( עליהauf ihr‘) zu entzünden ()בער, wobei das ePP der 3. Pers. f. Sg. sinnvollerweise nur auf das Nomen אש (‚Feuer‘; f. Sg.) in V.5a zu beziehen ist, das zudem auch in V.5b als Subjekt fungiert. Die neuen Hölzer sind somit in das verbliebene Feuer zu legen, um dieses – wie V.5a.6a fordert – kontinuierlich am Brennen zu halten (יקדho.).405 Entsprechend ist dieser Vorgang (mindestens) „jeden Morgen“ ( בבקר 401 Vgl. BENDER, Sprache, 249–250. Vgl. dazu auch Ex 29,37, wo der Altar als hochheilig qualifiziert wird – ebenso wie in Ex 26,34 das „Hochheilige“ im Inneren des Zelts. 402 Vgl. BENDER, Sprache, 247; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 237. 403 Vgl. dazu z.B. BENDER, Sprache, 254–256. 404 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 238. 405 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 301; 307; 309; MILGROM, Leviticus 1–16, 383; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 235.
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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)בבקרauszuführen. Lev 6,5 verbindet mit dem Altarfeuer eine etwas andere Funktion als Lev 1,7–8. In diesen Versen nämlich, die Teil der Anweisungen zum Brandopfer (Lev 1,2–17) sind, findet sich die Vorgabe, dass die Priester – nachdem sie das Opfertier geschlachtet, gehäutet und in Stücke geschnitten sowie das Blut an den Sockel des Altars geschüttet haben (vgl. Lev 1,5–6) – Feuer auf den Altar geben ( )נתןund Hölzer darauf aufschichten ( )ערךsollen (vgl. Lev 1,7), um darauf die Teile des Opfertiers auflegen ( )ערךzu können (Lev 1,8). Das Feuer für das Opfer scheint in Lev 1,7–8 also erst unmittelbar vor der Darbringung entzündet zu werden, während Lev 6,2–6 von einem durchgehend brennenden Altarfeuer ausgeht.406 Harmonisierbar aber sind beide Konzeptionen unter der Annahme, dass sich zwar stets Feuer bzw. Glut auf dem Altar befindet, dass aber vor der Darbringung eines Opfers etwas zusätzliches Holz nachgelegt und das Feuer damit neu angefacht wird.407 Nicht geklärt wird in Lev 1; 6 die Herkunft bzw. die Beschaffung des Holzes für den Altar, obgleich eine verlässliche Versorgung des Heiligtums mit größeren Holzmengen vorausgesetzt ist. Im TaNa“K wird diese Problematik nur in Neh 10,35 (vgl. auch Neh 13,31) verhandelt, wo ein ‚( קרבן העציםHolzabgabe‘) Israels für den Bedarf des Heiligtums beschrieben wird.408 In der Tempelrolle ist dieses gar mit einem eigenen Fest verbunden (11Q19 43,3–4).409 Die Opfertora aber klammert diese „organisatorischen“ Belange und Hintergründe des Kultbetriebs aus.
Nachdem in Lev 6,5c das Auflegen des Holzes, das letztlich dem Bewahren des Altarfeuers dient (vgl. V.5ab), thematisiert wurde, kehrt der Text in Lev 6,5d zur Darbringung des Brandopfers (vgl. Lev 6,2c) zurück – und damit auch zum eigentlichen Sinn des Altarfeuers, der darin besteht, die Opfergabe (gänzlich) zu verbrennen (Lev 6,3cR). Dabei fokussiert V.5d v.a. auf den Vorgang des Auflegens des Brandopfers. Dieser wird mit dem Verb ‚( ערךanordnen‘) umschrieben (vgl. Lev 1,8!), das in Ex 27,21; Lev 24,3 das Aufsetzen / Ausrichten der Lampen auf der Menora und in Lev 24,8 das Platzieren der zwölf ḥallōt auf dem Tisch umschreibt. Im Blick ist damit ein ästhetisch ansprechendes Anordnen bzw. Platzieren, das offensichtlich über die TamidVollzüge an Tisch und Leuchter hinaus auch denjenigen am Altar eigentümlich ist.410 406
Vgl. RENDTORFF, Studien, 107. Anders JÜRGENS (Heiligkeit, 403), der Lev 1,7 auf das Tamid bezieht. Dies jedoch hat keinen Anhalt im Text selbst, zumal im Kontext von Lev 1,7 die Darbrinung eines Rindes als freiwilliges Brandopfer behandelt wird und nicht die Darbringung eines Lammes als verpflichtendes (kommunales) Opfer. 407 Vgl. EBERHARD, Studien, 34–35; HIEKE, Levitikus 1–15, 174; MILGROM, Leviticus 1–16, 163; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 238. 408 Vgl. EBERHARD, Studien, 35; HIEKE, Levitikus 1–15, 309; MILGROM, Leviticus 1– 16, 387–388; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 72. 409 Vgl. EBERHARD, Studien, 35; HIEKE, Levitikus 1–15, 309; MILGROM, Leviticus 1– 16, 388; STAUBLI, Levitikus/Numeri, 72. 410 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 238.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Das Verb ערךist mit der Präposition ‚( עליהauf / über ihr‘) verbunden, die sich ebenso in V.5c.e findet, und den Ort der Platzierung umschreibt. Dabei kann sich das ePP (3. Pers. f. Sg.) – wie in V.5c – nur auf das Nomen אש (‚Feuer‘; f. Sg.) beziehen; die ʽōlā wird also – wie die Hölzer – auf das Feuer gelegt bzw. genauer auf diesem ästhetisch ansprechend platziert ()ערך.411 Ein weiterer und letzter Kultakt kommt schließlich in Lev 6,5e über die Anweisung in den Blick, die Fettteile ( )חלביםvon Heilsgemeinschaftsopfern aufrauchen zu lassen (קטר-hi.). Es geht also um zusätzliche Opfer unbestimmter Zahl, ohne dass ein spezifischer Kontext oder Anlass für diese greifbar würde. Da der Text von seinem Duktus her eine allmorgendlich immer wieder in gleicher Weise ablaufende Geschehensfolge beschreibt, ist in Lev 6,5e jedenfalls nicht an ein bestimmtes Fest zu denken. Ebenso wenig aber ist in der Tora ein tägliches Ritual beschrieben, bei dem mehrere Heilsgemeinschaftsopfer dargebracht werden. Somit erscheint es als naheliegender, die in V.5e angesprochenen Heilsgemeinschaftsopfer als typisches Beispiel für jede Art von freiwilligen (individuellen) Opfern zu interpretieren.412 Kommunale (und verpflichtende) Heilsgemeinschaftsopfer nämlich sind in der Kultordnung praktisch nicht vorgesehen,413 so dass diese Opferart als das Musterbeispiel für individuelle Opfer gelten und daher pars pro toto alle nicht verpflichtenden Opfervollzüge Israels (vgl. Lev 1–3) repräsentieren kann.414 „Lokalisiert“ wird die Darbringung der Heilsgemeinschaftsopfer in Lev 6,5e wiederum mit Hilfe der bereits in V.5cd belegten Präposition ‚( עליהauf / über ihr‘), für die nun aber zwei Möglichkeiten des Bezugs gegeben sind. Einmal kann sie – wie in V.5cd – auf das Nomen ‚( אשFeuer‘) bezogen werden, andererseits aber ist es ebenso möglich, dass das ePP der 3. Pers. f. Sg. auf das Stichwort ‚( העלהdas Brandopfer‘; f. Sg.) in V.5d verweist. In diesem Fall wird die Vorstellung eines räumlichen „Übereinanders“ der Gaben evoziert, die zugleich auch ein zeitliches Nacheinander andeutet: Die zuerst dargebrachte ʽōlā befindet sich „unter“ den nach ihr auf den Altar gelegten Teilen der Heilsgemeinschaftsopfer bzw. der freiwilligen Opfer, wobei die zeitliche Vorordnung des Brandopfers mit seiner größeren Dignität korrespondiert. Für die Option, עליהin V.5e auf das Stichwort עלהin V.5d zu beziehen, spricht zudem auch ein enger Bezug von Lev 6,5 zum Vers Lev 3,5, in dem explizit vorgeschrieben ist, die Fettteile der Heilsgemeinschaftsopfer auf der ʽōlā aufrauchen zu lassen.415 411
Vgl. dazu Lev 1,8. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 309; MILGROM, Leviticus 1–16, 388. Vgl auch RASCHI zu Lev 6,5. 413 Die einzige Ausnahme bilden die beiden Heilsgemeinschaftsopfer, die die Darbringung der Erstlingsbrote am Wochenfest begleiten (vgl. Lev 23,19). 414 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 309; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 238–239. 415 Vgl. EBERHARD, Studien, 97; MILGROM, Leviticus 1–16, 208–209. In ähnlicher Weise schreibt Lev 4,35; 5,12 vor, die Fettteile der ḥaṭṭā’t bzw. das Mehl der Armen– 412
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
535
In diesem Zusammenhang ist schließlich auch die Frage nach dem mehrfach im Text angesprochenen Brandopfer (vgl. V.2[b.]c.3cR.5d) zu stellen. Obgleich an allen Belegstellen nur der allgemeine Opferterminus עלהverwendet wird, der auch die in Lev 1,2–17 beschriebenen freiwilligen Brandopferbezüge bezeichnen kann, legen mehrere Beobachtungen im Text von Lev 6,1–6 nahe, v.a. an das in Ex 29,38–46 behandelte, regelmäßige Brandopfer ( )עלת התמידzu denken.416 So weist zunächst die Wendung בבקר בבקר (‚jeden Morgen‘) in Lev 6,5c auf eine allmorgendliche Regelmäßigkeit hin, die nicht nur das tägliche Auflegen von frischem Brennholz für den Unterhalt des Altarfeuers (V.5c) auszeichnet, sondern aus dem Zusammenhang von V.5c–d heraus auch für das auf dem neu angefachten Feuer aufgelegte Brandopfer (V.5d) charakteristisch ist.417 Somit ist naheliegenderweise kein freiwilliges Opfer im Blick, sondern das verpflichtende Morgen-Tamid, dem allein die v.a. in V.2d.5ab.6ab betonte Regelmäßigkeit zukommt. Zugleich ist das in V.2c erwähnte Brandopfer, das vom Abend bis zum Morgen auf dem Altar verbleibt, mit dem Abend-Tamid zu identifizieren, das als letztes Opfer des Tages die Nacht über genug Zeit auf dem Altar bzw. im Altarfeuer verbringt, um vollständig aufgezehrt zu werden (vgl. V.3cR).418 Zuletzt schließlich verstärkt auch das Stichwort תמידin Lev 6,6a – wenngleich es auf das Feuer, nicht auf die ʽōlā bezogen ist – den Bezug zu Ex 29,38–46. Die damit naheliegende Folgerung, bei dem in Lev 6,2.3.5 angesprochenen ‚Brandopfer‘ (v.a.) an die beiden Tamid-Vollzüge zu denken, erlaubt nun weiterführende Überlegungen, die es ermöglichen, ergänzende Sinnebenen von Lev 6,1–6 zu entfalten: So sind zunächst die in Lev 6,3–4.5c angeordneten Maßnahmen zum Erhalt des Altarfeuers bzw. der ununterbrochenen Betriebsbereitschaft des Brandopferaltars selbst in gewisser Weise als Tamid-Handlungen charakterisiert, die sich durch eine tägliche Regelmäßigkeit (vgl. ;בבקר בבקרV.5c) auszeichnen.419 Bei genauerem Hinsehen aber werden sie – v.a. über das unmittelbare Anschließen der Anweisung in Lev 6,5d, die (morgendliche) ʽōlā auf das Altarfeuer zu schlichten, an Lev 6,5c – in solcher Weise dem Vollzug des morgendlichen Brandopfer-Tamid zugeordnet, dass sie letztlich wie eine „Erweiterung“ desselben erscheinen bzw. in den Tamid-Vollzug integriert
ḥaṭṭā’t, die auf den Altar gebracht werden (–קטרhi.), auf den Feuergaben JHWHs darzubringen, d.h. auf der ʽōlā und auf jeden Fall nicht als erstes Opfer des Tages. 416 Vgl. HARTLEY, Leviticus, 96; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 235; WENHAM, Leviticus, 119. 417 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 235. 418 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 308; JÜRGENS, Heiligkeit, 401; LEVINE, Leviticus, 35; MILGROM, Leviticus 1–16, 383; 388. 419 Vgl. WENHAM, Leviticus, 119.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
werden:420 Es handelt sich um essenzielle Schritte, die dem Morgen-Tamid vorausgehen und dieses zugleich überhaupt erst ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist das Stichwort ‚( אש תמידregelmäßiges / fortwährendes Feuer‘) in Lev 6,6a, das die Anweisungen aus Lev 6,3–4.5c „bündelt“ und deren Anliegen auf einen konkreten Begriff bringt, v.a. vom Terminus עלת התמידher zu deuten bzw. mit diesem zu korrelieren: Im Blick ist ein im allmorgendlichen Reinigen (V.3–4) des Altars und im Erneuern des Brennholzes (V.5c) beständig ( )תמידam Brennen gehaltenes (יקד-ho.; V.6a) Altarfeuer, das – indem es die Betriebsfähigkeit des Altars gewährleistet – zugleich auch die Möglichkeitsbedingung für die Darbringung der in Ex 29,38–46 geforderten regelmäßigen Brandopfer darstellt. Eher problematisch hingegen erscheint die vielfach belegte Idee, das Stichwort ‚( תמיד אשregelmäßiges / fortwährendes Feuer‘) mit Lev 9,24 zu verbinden bzw. von diesem Vers aus zu erklären. Dies nämlich führt zu der Hypothese, die Anweisungen aus Lev 6,1–6 dienten letztlich dem Bewahren des von JHWH selbst im ersten Gottesdienst Israels am Sinai entzündeten Feuers, das damit gleichsam als die „physisch-materielle“ Manifestation einer Kontinuität zwischen dem konkret vollzogenen Kult und seiner Grundlegung in den normativen Anfängen Israels profiliert würde.421 Dagegen ist zunächst – wie oben bereits ausgeführt – einzuwenden, dass schon der Bericht über die Anfänge des Opferkults in Lev 8–9 voraussetzt, dass der Altar bereits funktionstüchtig ist, bevor das von der Herrlichkeit JHWHs ausgehende Feuer auf den Altar herabkommt und die dort abgelegten Opfergaben verzehrt. Somit ist das „himmlische Feuer“ in Lev 9,23–24 in erster Linie Ausdruck der Akzeptanz der Gaben durch JHWH und darin zugleich Aufweis des „Funktionierens“ des Kultes, in keinem Fall aber ein durch JHWH herbeigeführtes „InGang-Setzen“ des Altars. In Kongruenz dazu findet sich auch in Lev 6,1–6 selbst kein Hinweis auf eine „göttliche Herkunft“ des Feuers, die in seinem Erhalt zu „konservieren“ wäre. Stattdessen wird das zentrale Anliegen von Lev 6,5ab.6ab – das Altarfeuer soll am Brennen gehalten werden und nicht erlöschen –, in V.5de unmittelbar mit den Anweisungen zu den Kultvollzügen, konkret aber mit dem (regelmäßigen) Brandopfer, verbunden. Primär geht es also darum, für alle geforderten Kultvollzüge eine einsatzbereite Feuerstelle ( מוקד/ )מוקדהzu garantieren, in der das (regelmäßige) Brandopfer „verzehrt“ ( ;אכלV.3cR) werden kann, und eben nicht darum, ein dereinst von JHWH selbst entzündetes Feuer zu erhalten. Zuletzt aber zeigen auch andere Texte, dass die Konzeption eines vom Sinai an weitergegebenen („ewigen“) Altarfeuers den Kulttexten der Tora fremd ist. So setzen z.B. die Vorschriften zum Transportbereit-Machen des Brandopferaltars in Num 4,13–14 voraus, dass der Altar zunächst von seiner 420 421
In mTam wird Lev 6,1–6 in diesem Sinne rezipiert. So z.B. MILGROM, Leviticus 1–16, 389.
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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Asche gereinigt (דשן-pi.; Num 4,13a) und dann in ein Tuch aus Rotpurpurstoff ( )ארגמןgeschlagen wird (V.13b). Diese Anweisung setzt voraus, dass das Altarfeuer zuvor gelöscht wurde. Entsprechend umschreibt das Verb דשןpi. in V.13a wohl ein komplettes Abräumen der Altaroberseite, die dem „Verpacken“ zwingend vorausgehen muss. Ausdrücklich nicht erwähnt wird in diesem Zusammenhang ein separates Mitnehmen des Altarfeuers, das es ermöglichen würde, nach dem erneuten Aufbau des Heiligtums am neuen Lagerort, das „alte“ Feuer wieder auf den Altar zu bringen und so zu bewahren. Vielmehr steht das Feuer in Num 4,13–24 überhaupt nicht im Fokus; der Text scheint vielmehr vorauszusetzen, dass der Altar am neuen Lagerort (mit „frischem“ Feuer) entzündet und dann – um den vollständigen Verzehr aller Gaben und eine fortwährende Betriebsbereitschaft des Altars zu gewährleisten – so lange am Brennen gehalten wird, bis das Lager Israels erneut aufbricht und der Altar wieder abgeräumt und verpackt werden muss. Dies stützt die These, dass in dem Stichwort אש תמידv.a. die andauernde Funktionsfähigkeit des Altars bzw. der Feuerstelle auf diesem im Blick ist. Eine weitere Folge der Identifikation der in Lev 6,2c.3cR.5c erwähnten ʽōlā mit dem Brandopfer-Tamid ist, dass der über die beiden korrespondieren Zeitangaben in V.2c.5c generierte zeitliche „Rahmen“ im Wesentlichen auch mit den beiden Teilvollzügen des Brandopfer-Tamids korreliert werden kann. So ist in Lev 6,2c das Abend-Tamid im Blick, das implizit zugleich als das letzte Opfer des Tages bestimmt bzw. vorausgesetzt wird. Die Nacht selbst aber ist als derjenige Zeitraum definiert, während dem das Abend-Brandopfer – und mit ihm die übrigen, vorausgegangenen Opfer des Tages – auf dem Altar zu Asche verbrennen (vgl. Lev 6,3cR), ohne dass bis zum Morgen noch neue Opfer hinzukommen. Auf diese Weise ist am Morgen insofern eine „Zäsur“ gegeben, als die Opfer des Vortags bereits verbrannt und noch keine neuen Opfer dargebracht sind. Diese „Zäsur“ aber, die u.a. auch dazu dient, die einzelnen Opfervollzüge klar den jeweiligen Tagen zuzuordnen und eine „Vermischung“ zu vermeiden, wird nun durch den in Lev 6,3–4.5c beschriebenen „Instandhaltungsvorgang“, in dem die Reste der alten Opfer vom Altar entfernt werden und neues Brennmaterial hinzukommt, ausgestaltet. Der erste Schritt danach hingegen, der zugleich auch den eigentlichen Kultbetrieb des neuen Tages eröffnet, ist das Morgen-Tamid (Lev 6,5d), so dass die beiden Tamid-Teilvollzüge mit Blick auf den Altar den Anfang und das Ende des Tages markieren.422 Für die Zeitspanne zwischen Morgen und Abend aber ist in Lev 6,1–6 die Darbringung der Fettteile der Heilsgemeinschaftsopfer (Lev 6,5e) vorgesehen, wobei diese – wie oben gezeigt – als exemplarisches (weil typisches) Beispiel für die in Lev 1,2–3,17.7,11–36 beschriebenen freiwilligen (nicht-verpflichtenden) Opfer genannt werden.423 422 423
Vgl. LEVINE, Leviticus, 37 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 239.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Interessant ist nun, dass über diese Einordnung „zwischen“ die beiden Tamid-Vollzüge bzw. die „Positionierung“ „auf“ dem Morgen-Brandopfer (vgl. ;עליהLev 6,5e) zugleich auch eine Verhältnisbestimmung zwischen den freiwilligen Opfern, die in Lev 1–7 im Mittelpunkt stehen, und dem in der Heiligtumstora (Ex 29,38–46) eingeführten regelmäßigen Brandopfer (sowie den in Num 28–29 mit dem Tamid verbundenen Festtagsopfern) vorgenommen wird. Dabei erscheinen die in Lev 6,5e angesprochenen šelamīm, d.h. die freiwilligen Gaben Israels (aller Art), wie eine (fakultative) Ausgestaltung des durch die beiden (obligatorischen) Teilvollzüge des regelmäßigen Brandopfers generierten „Rahmens“. Dies wiederum impliziert auch eine Hierarchisierung der verschiedenen Opfervollzüge, bei der dem Tamid – und gegebenenfalls auch den mit dem Morgen-Tamid verbundenen Festtagsopfern (vgl. Num 28–29) – ein größeres Gewicht eigeräumt wird, als den freiwilligen Gaben, so dass die verpflichtenden kommunalen Vollzüge – in der Diktion von Lev 6,1–6 die (tägliche) ʽōlā – zu dem Opfer Israels schlechthin werden. Damit kongruiert die in Lev 6,5de angelegte Verhältnisbestimmung zwischen dem Tamid und den freiwilligen Gaben mit derjenigen, die in Lev 23,37–38; Num 29,39 zum Abschluss der beiden ausführlichen Kalender der Tora vorgenommen wird. Auch diese beiden Texte stellen ja den besonderen Festtagsopfer (Lev 23,37) bzw. dem Tamid und den Festtagsopfer (Num 29,39) die individuellen, nicht verpflichtenden Opfer gegenüber, die in Lev 23,38 in den voneinander nur unscharf abgrenzbaren Kategorien ‚( מתנתGeschenke‘), ‚( נדריםGelübde‘) und ‚( נדבותfreiwillige Gaben‘) gefasst sind, während sie in Num 29,39 als ‚( נדריםGelübde‘) und ‚( נדבותfreiwillige Gaben‘) geführt werden. Der besondere Fokus beider Texte liegt dabei auf der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen kommunalen, obligatorischen und individuellen, fakultativen Gaben. Diese spielt auch in Lev 6,1–6 eine Rolle, wird jedoch eher implizit angedeutet, als konkret ausgefaltet. Dafür liegt hier der besondere Fokus dieses Textes darauf, eine konkrete (zeitliche) Abfolge der Opfervollzüge eines Tages nachzuzeichnen, in der sich die Vorordnung des Tamid praktisch realisieren kann. Diese Abfolge stellt sich wie folgt dar: Reinigen des Altars (Lev 6,3–4) – Nachlegen von Holz (Lev 6,5c) – MorgenTamid (Lev 6,5d) – [ggf. Zusatzopfer für Festtage (Lev 23; Num 28–29)] – „šelamīm“ (freiwillige Gaben Israels; Lev 6,5e) – Abend-Tamid (vgl. Lev 6,2c) – Nacht als Zeit, während der die Opfergaben des Tages zu Asche verbrennen (Lev 6,3cR). Zusammenfassend ist somit zu konstatieren, dass Lev 6,1–6 kaum als Ergänzung bzw. Präzisierung der Weisungen zum (freiwilligen) Brandopfer in Lev 1,2–17 angelegt ist – eine solche findet sich lediglich in Lev 7,8, wo die Haut des Opfertieres dem ausführenden Priester als Anteil zugesprochen wird. Stattdessen sind das Gewährleisten einer durchgehenden „Betriebsfähigkeit“ des Altars sowie – der Sache nach damit eng verbunden – die regelmäßigen Brandopfer das bestimmende Thema. Lev 6,1–6 leistet auf diese
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Weise eine – konkret-praktisch zugespitzte – Verhältnisbestimmung zwischen den in Lev 1–5 verhandelten, freiwilligen bzw. nicht-regelmäßigen Opfern und dem regelmäßigen Brandopfer, das damit erneut als der elementare Kultvollzug Israels am Brandopferaltar ausgewiesen wird. Diese Verhältnisbestimmung ergänzt die bereits in Lev 1–5 entwickelte Klassifizierung und Hierarchisierung der Opferarten, in der ḥaṭṭā’t und ’āšām als Vollzüge, die Sühne und Versöhnung erwirken, den Feuergaben ( )אשהgegenübergestellt werden, die ihrerseits in ʽōlā und minḥā als hochheilige Opfer auf der einen und die šelamīm auf der anderen Seite ausdifferenziert sind.424
III. Die „Weisung zum Speiseopfer“ (Lev 6,7–16) Innerhalb der „Weisung zum Speiseopfer“ ( )תורת המנחהin Lev 6,7–16 ist für die in dieser Studie verhandelte Fragestellung v.a. der zweite Teilabschnitt (Lev 6,12–16) von Interesse, der eine regelmäßige Speiseopfergabe des Gesalbten Priesters zum Thema hat. Bevor dieser eingehender betrachtet wird, ist in einem ersten Schritt zunächst der gesamte Abschnitt Lev 6,7–16 im Überblick darzustellen. 1. Gliederung und Struktur Lev 6,7–16 wird durch die Redeeinleitung in Lev 6,12 in zwei Teilabschnitte (V.7–11.12–16) unterteilt, wobei Lev 6,7–11 – zusammen mit der „Weisung zum Brandopfer“ (Lev 6,1–6) – noch zur Gottesrede Lev 6,1–11 gehört, während die Verse Lev 6,12–16 eine eigenständige Gottesrede bilden. Diese zunächst formale Zweiteilung korrespondiert mit einer inhaltlichen. So finden sich in Lev 6,7b–11 grundlegende Anweisungen zur Darbringung der minḥā (V.7–8) sowie zum Umgang mit den Priesteranteilen an der Speiseopfergabe (V.9–11). Zu Beginn des zweiten Teils, Lev 6,13–16, kündigt V.13a–aR – im Sinne einer „Überschrift“ – Anweisungen zu einem ‚( קרבן אהרן ובניוGabe Aarons und seiner Söhne‘) an, der hinsichtlich der zu verwendenden Opfermaterie und deren Zubereitung in Lev 6,13b–14c vorgestellt wird. Den Abschluss der Passage V.13–14 markiert die qualifizierende Wendung ‚( ריח ניחח ליהוהberuhigender Duft für JHWH‘) in V.14d, bevor schließlich in V.15–16 präzisierende und weiterführende Weisungen folgen. So greift V.15a mit den Stichworten ‚( ]הכהן[ המשיחder Gesalbte [Priester]‘) und ‚( בניוseine Söhne‘) auf V.13a–aR zurück und leitet damit die Vorschrift aus V.15c ein, die geforderte minḥā zur Gänze ( )כלילin Rauch aufgehen zu lassen. Diese Vorgabe schließlich wird in Lev 6,16 dahingehend generalisiert, dass jede minḥā eines (jeden) Priesters – d.h. auch die freiwillige – vollständig ( )כלילzu verbrennen
424
Vgl. dazu RENDTORFF, Leviticus 1–10, 260–261.
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ist,425 was im Umkehrschluss bedeutet, dass die in Lev 6,9–11 dargelegten Vorschriften zum Umgang mit der ‚( נותרת המנחהÜberrest der minḥā‘; vgl. Lev 6,9a) ausschließlich für die Speiseopfergaben der Söhne Israels Gültigkeit haben, während auf diejenigen der Priester die in Lev 6,16 eingeführte „Sonderregelung“ anzuwenden ist. 2. Die Darbringung der minḥā und die Priesteranteile (Lev 6,7–11) 7a 7b 8a 8aR 8b 8c 9a 9b 9c 10a 10b 10c 11a 11b 11c 11cR 11c
Dies aber ist die Weisung zum Speiseopfer ()תורת המנחה: Die Söhne Aarons sollen es herannahen (קרב-hi.) vor JHWH zum Angesicht des Altars und er soll emporheben davon – mit seiner Hand voll – vom Feinmehl des Speiseopfers und von seinem Öl und den ganzen Weihrauch, der auf dem Speiseopfer ist, und es auf dem Altar in Rauch aufgehen lassen. Beruhigender Duft ist sein Gedächtnisanteil für JHWH. Das davon Übrigbleibende aber sollen Aaron und seine Söhne essen, ungesäuert soll es gegessen werden, an einem heiligen Ort, im Hof des Zelts der Begegnung, sollen sie es essen. Es soll nicht gesäuert gebacken werden. Als ihren Anteil habe ich es gegeben von meinen Feuergaben, Hochheiliges ist es wie das Entsündigungsopfer und das Entschuldigungsopfer. Alles Männliche unter den Söhnen Aarons – sie können es essen. Zeitlose Satzung für eure Generationen von den Feuergaben JHWHs: Jeder, der an sie rührt, wird geheiligt.‘“ (Lev 6,7–11)
Der erste Teilabschnitt der ‚( תורת המנחהWeisung zum Speiseopfer‘) in Lev 6,7–11 beginnt mit Anweisungen an Aaron und seine Söhne (vgl. Lev 6,2a) zur Art und Weise der Darbringung der minḥā (vgl. V.7b–8).426 Hier knüpft der Text eng an Lev 2,1–16 an, wo die grundlegenden Vollzüge der minḥā erstmals thematisiert werden. Zugleich jedoch ist gegenüber Lev 2,1–16 insofern eine veränderte Perspektive greifbar, als Lev 2 als Anweisung an Israel – nicht an die Priester – gestaltet ist und entsprechend in Lev 2,1 mit einem Israeliten einsetzt, der ein Speiseopfer als Gabe ( )קרבןfür JHWH darbringen will. Zugleich hält Lev 2,2a fest, dass die Söhne Aarons die an JHWH adres425
Die Annahme von TH. POLA, das Stichwort כלילin V.16 (nicht aber in V.15?) sei ein Hinweis darauf, dass das Speiseopfer des Gesalbten Priesters sekundär als „blutiges Ganzopfer“ (POLA, Hintergrund, 89; Hervorhebung dort) gedeutet worden sei, ist vom Textbefund her wenig sinnvoll. 426 Vgl. EBERHARD, Studien, 84–85; MILGROM, Leviticus 1–16, 389–390. MILGROM nimmt an, dass in Lev 6,7–11 die Begleitopfer–minḥā des täglichen Brandopfers im Blick ist (vgl. ähnlich HARTLEY, Leviticus, 97). Diese Annahme aber wird durch nichts im Text gestützt oder erhärtet.
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sierte Gabe entgegennehmen. Hieran kann in Lev 6,7–8 die Weisung an die Priester anknüpfen, die – komplementär zu Lev 2 – vornehmlich auf deren Tun fokussiert.427 Die Ausführung der Darbringung durch den Priester wird im nachfolgenden Vers Lev 6,8 genauer beschrieben, der Lev 2,2b aufnimmt.428 Lev 6,8 8a 8aR
והרים ממנו בקמצו מסלת המנחה ומשמנה ואת כל הלבנה אשר על המנחה
Lev 2,2b
וקמץ משם מלא קמצו מסלתה ומשמנה על כל לבנתה
2b
Auffällig ist dabei, dass in Lev 6,8a anstelle des Verbs ‚( קמץabheben‘) – in Lev 2 der „Fachterminus“ für das Abheben des Gedächtnisanteils der minḥā – das Verb רום-hi. (‚emporheben‘) gewählt ist (vgl. aber Lev 2,9a!).429 Der Relativsatz Lev 6,8aR schließlich knüpft an Lev 2,1c an und fokussiert besonders auf den Weihrauch „auf der minḥā“ ( ;על־המנחהvgl. עליהin Lev 2,1c), während Lev 6,8b eine enge Parallele in Lev 2,2c(.9ab.16) darstellt, wobei auffällt, dass das Stichwort אשהin Lev 6,8b fehlt.430 Angesichts der aufgezeigten Bezüge zu Lev 2,1–3 scheint in Lev 6,8 vor alle die in diesen Versen beschriebene „Standardform“ der minḥā aus Feinmehl mit Öl im Blick zu sein, wobei die Varianten mit bereits verarbeitetem Mehl (vgl. Lev 2,4–9) offenbar eine analoge Vorgehensweise voraussetzen (vgl. Lev 7,9–10). Das einzige der Sache nach neue Element in Lev 6,7b–8 gegenüber Lev 2(,1–3) ist somit die Richtungsangabe ‚( אל פני המזבחzum Angesicht / zur Vorderseite des Altars hin‘), die gleichsam die Bewegungsrichtung und das Ziel der in V.7b thematisierten Darbringung nachzeichnet. Fraglich muss allerdings bleiben, ob auf diese Weise der konkrete Ort für die Darbringung einer minḥā festgelegt wird. Dies scheint insofern als unwahrscheinlich, als in den Kulttexten der Tora nie eine bestimmte Seite des Altars als „Vorderseite“ definiert wird, so dass wohl auch in Lev 6,7b keine eindeutig bestimmbare Stelle am Altar festgelegt wird, an der die minḥā darzubringen bzw. aufzulegen ist. Stattdessen jedoch scheint die der Darbringung inhärente Dynamik für den Text wesentlich zu sein:431 Der Opfervollzug wird als eine Bewegung auf den Altar hin charakterisiert, womit – wie bereits in Lev 6,1–6 – der Altar als zentraler Funktionsort im Fokus steht.
427 Vgl. EBERHARD, Studien, 85; HIEKE, Levitikus 1–15, 310; RENDTORFF, Leviticus 1– 10, 239–240. 428 Vgl. EBERHARD, Studien, 85. 429 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 240. 430 Vgl. EBERHARD, Studien, 85; HIEKE, Levitikus 1–15, 310; RENDTORFF, Leviticus 1– 10, 240. 431 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 391.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Nachdem Lev 6,7–8 die Ausführung der minḥā durch den Priester behandelt bzw. rekapituliert hat, stellt Lev 6,9–11 die ‚( נותרתRest, Überbleibsel‘), d.h. den nicht auf dem Altar dargebrachten Teil der Speiseopfergabe, in den Mittelpunkt.432 Dabei wird – wie v.a. V.10 zeigt – wiederum die „Standardform“ aus Feinmehl und Öl (vgl. Lev 2,1–3) exemplarisch vorausgesetzt, da Lev 6,10a von einer weiteren Verarbeitung des Priesteranteils ausgeht bzw. diese durch das Verbot, daraus Gesäuertes herzustellen, einschränkt, was im Grunde aber nur dann sinnvoll ist, wenn die Opfergabe aus noch unverarbeiteter Materie besteht. Die grundlegenden Vorschriften zum Umgang mit der נותרתfinden sich in Lev 6,9, während Lev 6,10–11 zusätzliche Präzisierungen bietet. Die zentrale Stoßrichtung der Weisungen jedoch ist bereits daran erkennbar, dass in allen drei Teilsätzen von Lev 6,9 das Verb ‚( אכלessen‘) belegt ist.433 Konkret geht es also um den Verzehr der Priesteranteile, der in den drei Sätzen von unterschiedlichen Seiten her beleuchtet wird. So bestimmt Lev 6,9a zunächst Aaron und seine Söhne als die (allein) zum Verzehr der נותרתBerechtigten und knüpft auf diese Weise an die beiden gleichlautenden Verse Lev 2,3.10 an. In diesen ist festgehalten, dass die nicht auf den Altar gebrachten Teile der minḥā Aaron und seinen Söhnen zustehen, wenngleich vom Essen an dieser Stelle (noch) keine Rede ist.434 Lev 6,9 9a 9b 9c
והנותרת ממנה יאכלו אהרן ובניו מצות תאכל במקום קדש בחצר אהל מועד יאכלוה
Lev 2,3 (= 2,10)
והנותרת מן המנחה לאהרן ולבניו
3a
קדש קדשים מאשי יהוה
3b
Die „zweite Hälfte“ von Lev 2,3.10, die in Lev 6,9a nicht aufgenommen ist, klingt in Lev 6,10bc nach. Lev 6,10bc 10b 10c
חלקם נתתי אתה מאשי קדש קדשים הוא כחטאת וכאשם
Lev 2,3 (= 2,10)
והנותרת מן המנחה לאהרן ולבניו קדש קדשים מאשי יהוה
3a 3b
Über diesen Rückbezug auf Lev 2 wird auch ein Zusammenhang zwischen Lev 6,9a und Lev 6,10b–11b deutlich, wobei die zuletzt genannten Verse im Wesentlichen als Präzisierung des in Lev 6,9a (und Lev 2,3.10) Dargelegten 432
Vgl. EBERHARD, Studien, 85; HIEKE, Levitikus 1–15, 310; RENDTORFF, Leviticus 1– 10, 240. 433 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 310; MILGROM, Leviticus 1–16, 392. 434 Vgl. EBERHARD, Studien, 85; MILGROM, Leviticus 1–16, 182; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 240–241.
D. Regelmäßige Kultvollzüge in Lev 1–7
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erscheinen. So wird in Lev 6,10 zunächst die נותרתals „ihr Anteil“ (;חלקם V.10b) „von meinen Feuergaben“ ( ;מאשיV.10c) bestimmt, als eine Größe also, die JHWH übereignet ist bzw. über die er verfügt, die er aber den Priestern überlässt.435 Folgerichtig wird die נותרתin Lev 6,10c (ebenso wie in Lev 2,3.10) als hochheilig bestimmt bzw. darin den Priesteranteilen der Entsündigungs- und Entschuldigungsopfer (vgl. Lev 6,18–23; 7,6–7) gleichgestellt.436 Diese explizit ausgewiesene Gleichstellung setzen auch die folgenden Vorschriften in Lev 6,11a.c voraus, die sich in gleicher Weise auch bei ḥaṭṭā’t und ’āšām finden: Lev 6,11a präzisiert den Kreis der zum Verzehr Berechtigten gegenüber Lev 6,9a dahingehend, dass alle männlichen Angehörigen der priesterlichen Familien von der נותרתessen dürfen (vgl. Lev 6,22a; 7,6a). Ausgeschlossen sind damit die Frauen, während männlichen Aaronsnachfahren, die nicht aktiv im priesterlichen Dienst stehen, d.h. die Altersgrenzen über- oder unterschreiten oder aufgrund von körperlichen Gebrechen vom Dienst am Altar suspendiert sind (vgl. Lev 21–22), der Verzehr der נותרת theoretisch offensteht.437 Lev 6,11c schließlich leitet aus dem Status der gesteigerten Heiligkeit (vgl. Lev 6,10c) ab, dass die נותרתbei Kontakt Heiligkeit „übertragen“ kann (vgl. Lev 6,20)438 – und daher mit entsprechender Vorsicht zu behandeln ist.439 Im Anschluss an die Frage nach den zum Verzehr Berechtigten (Lev 6,9a → Lev 6,10b–11b) lenkt Lev 6,9bc den Fokus schließlich auf die Frage nach dem „Wie“ bzw. konkret nach der Zubereitung der Priesteranteile und dem Ort des Verzehrs. So ist die נותרתungesäuert zu verzehren (V.9b), was V.10a mit dem Verbot einer gesäuerten Zubereitung zusätzlich unterstreicht.440 Der Ort des Verzehrs hingegen muss mit V.9b – entsprechend dem kultischen Status der Gaben – ein heiliger Ort sein, wobei Lev 6,9c auf den Vorhof des Heiligtums verweist.441
435
Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 241. Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 310–311; MILGROM, Leviticus 1–16, 182. Da ein Priesteranteil am Brandopfer de facto nicht existiert (vgl. aber Lev 7,8!), wird derjenige des Speiseopfers offenbar in Analogie zu demjenigen von Entsündigungs– und Entschuldigungsopfer behandelt. 437 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 311–312; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 241–242. 438 Dies wird im Hinblick auf Opfermaterie auch über die נותרתvon Entsündigungs– und Entschuldigungsopfer ausgesagt. Zugleich ist die נותרתder minḥā damit als hochheilige Materie von den Priesteranteilen an den Heilsgemeinschaftsopfern (vgl. Lev 7,32– 36) abgesetzt (vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 398). Vergleichbare Zuschreibungen einer bei Kontakt übertragbaren, gesteigerten Heiligkeit finden sich in Ex 29,37; 30,29 mit Blick auf den Altar bzw. die Geräte des Heiligtums (vgl. LEVINE, Leviticus, 37–38). 439 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 311. 440 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 240–241. 441 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 310. 436
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
Die Formulierung in Lev 6,9c ist dabei insofern interessant, als in Ex 29,30–35 der Eingang des Zelts der Begegnung (und damit der in Ex 29 anvisierte „Kultort“) als derjenige heilige Ort bestimmt wird, an dem die Priesteranteile an den Opfern der Priesterweihe zu verzehren sind. In Lev 6,9c ist nun – mit der Wendung „Vorhof des Zelts der Begegnung“ – wohl der Sache nach kein anderer Ort im Blick, als in Ex 29, wohl aber wird dieser anders qualifiziert, da mit der Rede vom „Hof“ zugleich auch dessen Begrenzungen im Blick sind (vgl. Ex 27,9–19) und damit der Bereich abgesteckt ist, innerhalb dessen (hoch)heilige Materie bewegt und verzehrt werden kann. In Ex 29,30–35 hingegen ist die Identität des Ortes der zentralen Kultvollzüge und des Orts des Verzehrs der Priesteranteile entscheidend.442
Eine weiterführende Ergänzung erfahren die Anweisungen aus Lev 6,7–11 schließlich in Lev 7,9–10. So stellen diese Verse klar, dass die Vorschriften aus Lev 6,7–11 in gleicher Weise auch für die anderen Formen der minḥā jenseits der „Standardform“ aus Feinmehl und Öl Gültigkeit besitzen, und dass die נותרתstets demjenigen Priester gehört, der das Opfer dargebracht hat. Dies impliziert nicht, dass er sie auch alleine essen muss, wohl aber erwächst ihm aus der Darbringung sowohl die Verfügungsgewalt über den Priesteranteil als auch die Verantwortung für den sachgemäßen Umgang mit ihm.443 Dem in Lev 6,7–11 anvisierten bzw. vorausgesetzten „Normalfall“ einer minḥā wird zuletzt in Lev 6,12–16 ein Sonderfall gegenübergestellt,444 auf den abschließend näher einzugehen ist. 3. Die minḥā des Gesalbten Priesters (Lev 6,12–16) 12a 12aI 13a 13aR 13b 13c 13d 14a 14b 14c 15a 15b 16a 16b
442
JHWH redete zu Mose folgendermaßen: „Dies ist die Gabe Aarons und seiner Söhne, die sie herannahen (קרב-hi.) für JHWH am Tag seines Gesalbt-Werdens: Ein Zehntel ’ēfā Feinmehl als Speiseopfer, regelmäßig ()תמיד. Seine Hälfte am Morgen und seine Hälfte am Abend. Auf einer Pfanne, mit Öl, werde es gemacht, vermischt sollst du es bringen, als Stücke eines Speiseopfers von Brocken sollst du es herannahen (קרב-hi.) als beruhigenden Duft für JHWH. Und der Gesalbte Priester an seiner Stelle, aus seinen Söhnen, soll es machen – als zeitlose Satzung – für JHWH. Es gehe vollständig ( )כלילin Rauch auf. Jede Speiseopfergabe eines Priester sei vollständig ()כליל, sie werde nicht gegessen. (Lev 6,12–16)
Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 392–393. Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 248. 444 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 312. 443
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Durch die erneute Redeeinleitung in Lev 6,12 wird Lev 6,13–16 mit den Anweisungen zu einer regelmäßigen (vgl. Lev 6,13b) minḥā des Gesalbten Priesters vom ersten Teil der „Weisung zum Speiseopfer“ ( )תורת המנחהklar abgehoben und als ein eigenständigerer Abschnitt markiert.445 Die bestimmende Thematik der Verse wird durch die „Überschrift“ in V.13a–aR angezeigt, wenn die Deixis in V.13a – ‚( זה קרבן אהרן ובניוDies ist die Gabe Aarons und seiner Söhne…‘) – auf ein spezielles, nur von Priestern dargebrachtes Opfer verweist, das durch den Relativsatz Lev 6,13aR näher bestimmt wird: Es handelt sich um diejenige Gabe, „die sie für JHWH darbringen“ ( קרב ליהוה-hi.) „am Tag seiner Salbung“ ()ביום המשח אתו446. Auffällig an dieser Formulierung ist zunächst die Inkongruenz des Pronomens ( אתו3. Pers. m. Sg.), das ein singularisches Referenzobjekt voraussetzt, im Kontext aber nur auf die Wendung „Aaron und seine Söhne“ bezogen sein kann. Zudem sind Aaron und seine Söhne auch in V.13aR als Subjekt vorausgesetzt (vgl. ;יקריבו3. Pers. m. Pl.). Die somit im Text greifbare Spannung ist nun – abhängig davon, welche Nuancen im Text betont wahrgenommen werden – einerseits als Hinweis darauf zu interpretieren, dass alle Priester (also mehrere Personen) die im Folgenden vorgestellte Gabe darbringen, sich unter ihnen aber nur ein Gesalbter, Aaron, befindet, weshalb stimmigerweise das Verb יקריבוim Plural, die Wendung המשח אתוhingegen im Singular steht. Andererseits jedoch ist es auch denkbar, dem Singular mehr Gewicht zuzusprechen und davon auszugehen, dass jeweils nur eine Person das Opfer darbringt und zwar der Gesalbte Priester (Aaron) am Tag seiner Salbung bzw. von diesem Tag an. Dies bedeutet, dass mit den bereits in V.13a angesprochenen Söhnen Aarons weniger diejenigen Priester in den Blick kommen, die „gleichzeitig“ neben und zusammen mit Aaron im Heiligtum Dienst tun (also Eleazar und Itamar), sondern Aarons Nachfolger im Amt des Gesalbten Priesters (also Eleazar, Pinchas, Abischua, usw.).447 Diese Interpretation wird auch durch Lev 6,15 gestützt, wenn V.15a festhält, dass jeweils der Gesalbte Priester ( – )הכהן המשיחdiese Formulierung nimmt den Infinitiv המשחaus V.13aR auf – „der an seiner [= Aarons] Stelle steht“ (vgl. )תחתיוund aus der Reihe „seiner [= Aarons] Söhne“ ( )מבניוkommt, die spezielle minḥā darbringen solle. So erscheinen in der Tat Aaron und die auf ihn in Amtssukzession folgenden Gesalbten Priester als Ausführende, nicht aber
445
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 312; MILGROM, Leviticus 1–16, 396. Vgl. auch POLA, Hintergrund, 88–89. 446 Die Zeitangabe ביום המשח אתוfindet sich – bezogen auf den Altar – auch in Num 7,10.84, sowie – mit Blick auf Aaron – in Lev 7,35–36. 447 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 312; MILGROM, Leviticus 1–16, 396; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 242.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
„alle Priester“.448 Vor diesem Hintergrund setzt die Qualifizierung der speziellen minḥā als ‚( חק עולםzeitlose Satzung‘; Lev 6,15b) eine idealerweise ununterbrochene Erbfolge im Amt des Gesalbten Priesters voraus. Ebenso mehrdeutig bzw. unscharf wie die Bestimmung der zur Darbringung Verpflichteten, erweist sich auch die Zeitangabe ‚( ביום המשח אתוam Tag seiner Salbung‘). Diese nämlich scheint zunächst (ausschließlich) auf den Tag der Priesterweihe zu verweisen und so anzudeuten, dass die geforderte Gabe einmalig – eben jeweils zur Weihe bzw. Salbung Aarons und seiner Nachfolger – dargebracht wird. So verstanden ist Lev 6,12–16 v.a. als Ergänzung zu Ex 29,1–35 aufzufassen, wobei festzuhalten ist, dass die spezielle minḥā oder auch nur ein irgendwie vergleichbarer Vollzug in der Ritualanweisung zur Priesterweihe in Ex 29,1–35 nicht zu finden ist.449 Gegen eine einmalige – d.h. von jedem Gesalbten Priester nur einmal, am Weihetag (oder auch während der sieben Tage der Investitur), dargebrachte – Gabe spricht allerdings das Adverb ‚( תמידregelmäßig‘), das in Lev 6,13b den Vollzug näher qualifiziert. Will man dieses nicht in dem Sinne deuten, dass die in Lev 6,14–15 beschriebene Opfergabe immer dann (‚regelmäßig‘?) wiederholt wird, wenn ein neuer Gesalbter Priester in sein Amt eingeführt wird, was wenig sinnvoll erscheint, sind die beiden adverbialen Bestimmungen in V.13 – ביום המשח אתוund – תמידnur dann mit- und nebeneinander verstehbar, wenn man die Zeitangabe ביום המשח אתוin V.13a v.a. als einen Hinweis auf den Startpunkt der Darbringung, den Tag der Weihe, interpretiert, während das daran anschließende Stichwort תמידin V.13b den Blick auf eine mit diesem Tag einsetzende Regelmäßigkeit eröffnet.450 Damit ist Lev 6,12–16 (mit Lev 6,13a) einerseits tatsächlich als eine „Ergänzung“ zu dem in Ex 29,1–35 beschriebenen Ritual der Priesterweihe zu lesen, wobei festzuhalten ist, dass der an Ex 29,1–35 orientierte Bericht über die Priesterweihe in Lev 8,1–36 die in Lev 6,12–16 angeordnete minḥā Aarons ausdrücklich nicht erwähnt.451 Daneben jedoch ist ein regelmäßiger Vollzug im Blick, den der Gesalbte Priester beginnend mit dem Tag seiner Salbung zwei Mal täglich (vgl. Lev 6,13cd) ausführt. Ein solcher wird in der biblischen Tradition mehrfach erwähnt. So verweist Num 4,16 auf die Aufgabe des Priesters Eleazar, die für den (regelmäßigen) Kult benötigte Materie zu verwalten bzw. bereitzuhalten. Genannt werden hier das „Öl für die Leuchte“ ()שמן למאור, das Räucherwerk ( )קטרת סמיםfür den regelmäßigen Dienst am 448
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 312; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 242. Die Formulierung ‚( תחתיו מבניוan seiner Stelle, aus seinen Söhnen’) in Lev 6,15 erinnert zudem an Lev 16,32, wo ebenfalls die Erbfolge im Amt des Gesalbten Priesters im Blick ist. 449 Vgl. LEVINE, Leviticus, 38–39. 450 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 301–302; 312; LEVINE, Leviticus, 38; MILGROM, Leviticus 1–16, 397; NIHAN, Priestly Torah, 258–259; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 242; WENHAM, Leviticus, 122. 451 Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 258.
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Goldenen Altar und die „regelmäßige minḥā“ ()מנחת התמיד. Die zuletzt genannte Formulierung, die erkennbar der Wendung ‚( עלת ]ה[תמידregelmäßiges Brandopfer‘; Ex 29,42; Num 28,6.10.15.23; u.v.m.) nachgestaltet ist und an Lev 6,13b ( )מנחת תמידerinnert, kann nur das in Lev 6,12–16 eingeführte regelmäßige Speiseopfer meinen.452 Außerhalb der Tora aber findet sich die Gabe des Gesalbten Priesters einerseits in Neh 10,34 in einer Aufzählung von Kultvollzügen, die aus der von Nehemia festgesetzten Tempelabgabe (vgl. Neh 10,33) finanziert werden. Genannt sind hier neben dem לחם המערכת, d.h. den zwölf ḥallōt (vgl. Lev 24,5–9), die ‚( מנחת התמידregelmäßige minḥā‘; vgl. Lev 6,12–16), die עלת ‚( התמידregelmäßiges Brandopfer‘; Ex 29,38–46; Num 28,3–8) sowie die Shabbat- und Festtagsopfer (vgl. Num 28–29).453 Jesus Sirach schließlich erwähnt im Abschnitt zu Aaron innerhalb des „Lobs der Väter“ (Sir 45,6–22) eine Aaron zugeordnete Darbringung (vgl. θυσίαι ἀυτοῦ), die „regelmäßig“ (ἐνδελεχῶς) bzw. „täglich (…) zweimal“ (καθʼ ἡμέραν […] δίς) vollzogen (Sir 45,14) wird, was gut zu den Angaben in Lev 6,13b.cd passt und somit wohl ebenfalls auf die in Lev 6,12–16 erwähnte Opfergabe des Gesalbten Priesters verweist.454 Texte wie Num 4,16 und (v.a.) Neh 10,34 scheinen dabei nahezulegen, dass die regelmäßige minḥā des Gesalbten Priesters kommunalen Charakter hat, d.h. aus den Abgaben des Volkes für das Heiligtum finanziert (Neh 10,34)455 bzw. zumindest zusammen mit der für die kommunalen Opfer benötigten Materie verwaltet wird (Num 4,16). Andererseits aber steht dieser Kategorisierung entgegen, dass sie in Lev 6,13; Sir 45,14 dezidiert als Gabe ( קרבןbzw. θυσία) Aarons (und seiner Söhne) eingeführt wird, was nahelegt, dass sie vom amtierenden Priester aufgebracht wird. Und auch die Vorschrift aus Lev 6,15c, die regelmäßige minḥā – wie jedes von einem Priester in eigenem Namen dargebrachte Speiseopfer (vgl. Lev 6,16) – ganz zu verbrennen, stützt die Annahme eines persönlichen Opfers des Gesalbten Priesters. In der Gesamtschau der Belegstellen bleibt jedoch der genaue Status – sowohl innerhalb der Tora (vgl. Lev 6,12–16 vs. Num 4,16) als auch mit Blick auf den gesamten TaNa“K (und Sir) – auffällig unscharf. In Lev 6,13b–14 wird schließlich die geforderte Gabe selbst eingehender beschrieben. Grundlegend sind dabei die Angaben in Lev 6,13b. Dieser Satz definiert das regelmäßige Opfer des Gesalbten Priesters – verbunden mit dem Festlegen der geforderten Materie und deren Quantifizierung (⅟₁₀’ēfā Feinmehl) – hinsichtlich der Opferart als minḥā. Für die Gabe des Gesalbten 452
Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 312; MILGROM, Leviticus 1–16, 398–399; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 243; SEEBASS, Numeri 1–10, 104. 453 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 243. 454 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 312; KAPELRUD, ( כלילThWAT), 195; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 243. 455 Vgl. MILGROM, Leviticus 1–16, 387.
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Priesters ist somit die gleiche Menge Feinmehl darzubringen, wie für die Begleitgabe des Brandopfer-Tamids (vgl. Ex 29,40; Num 28,5), doch ist – im Unterschied zur Begleitopfer-minḥā – die beiden Opferformen grundsätzlich gemeinsame Mehlmenge von ⅟₁₀ ’ēfā Feinmehl nicht für einen Vollzug gedacht, sondern hälftig auf zwei Teilvollzüge am Morgen und am Abend (vgl. Lev 6,13cd) aufzuteilen.456 Über diese Zeitangaben wird die minḥā des Gesalbten Priesters mit den übrigen regelmäßigen Kulthandlungen – und v.a. mit dem am selben Ort, dem Brandopferaltar, vollzogenen Brandopfer-Tamid – korreliert und koordiniert.457 Die geforderte Aufteilung der Gabe auf zwei Hälften jedoch bringt einmal – noch deutlicher als beim Brandopfer-Tamid – eine grundlegende Einheit und gegenseitige Verwiesenheit der beiden Teilvollzüge zum Ausdruck, da diese nur zusammen die vollständige Opferhandlung darstellen. Zugleich aber führt der Umstand, dass zwar die gesamte Mehlmenge – ⅟₁₀ ’ēfā – derjenigen einer Begleitgabe zum Brandopfer-Tamid entspricht, ein Teilvollzug für Morgen oder Abend aber nur die Hälfte dieses Quantums umfasst, dazu, dass die regelmäßige minḥā und eine Begleit-minḥā trotz aller Verbindungen stets klar unterscheidbare, eigenständige Vollzüge bleiben. Zusätzlich untermauert wird diese Differenzierung auch durch die in Lev 6,14a–c beschriebene Zubereitung der Gabe, die – im Unterschied zum Begleitopfer – nicht als unverarbeitetes, nur mit Öl vermengtes Speiseopfer darzubringen ist, sondern gemäß der in Lev 2,5–6 definierten Form einer in der Pfanne ( )מחבתzubereiteten minḥā.458 Dabei wird in Lev 6,14 – der leicht anderen Wortwahl zum Trotz – im Grunde derselbe Vorgang der Zubereitung beschrieben, wie in Lev 2,5–6459. Die geforderte Menge Mehl wird zunächst mit Öl (unbestimmter Menge) vermischt (רבך, Lev 6,14b; vgl. בלל, Lev 2,5) und der daraus entstandene Teig dann in der Pfanne zu einem Brot bzw. Kuchen zubereitet. Dieser schließlich wird vor der Darbringung in kleine Stücke gebrochen und abschließend nochmals mit Öl übergossen (vgl. Lev 2,6). Der letzte Schritt, das Übergießen mit Öl, ist in Lev 6,14 allerdings nicht festgehalten, während Lev 6,14c, der das auch in Lev 2,6 erwähnte Zerbrechen in kleine Stücke thematisiert, einen vom Wortlaut her schwierigen Text bietet, der einhellig als verderbt betrachtet wird ()תפיני מנחת פתים. Problematisch ist dabei v.a. das erste Wort תפיני,460 das oft zu ( תפת2. Pers. m. Sg. PK zu פתת, ‚zerbrechen, in Stücke brechen‘) verbessert wird461. Somit wäre V.14c im Sinne von ‚du sollst [sie] zerbrechen als minḥā von Stücken / Brocken‘ zu 456
Vgl. Hieke, Levitikus, 313; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 243. Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 259–260. 458 Vgl. NIHAN, Priestly Torah, 260; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 243. 459 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 313; MILGROM, Leviticus 1–16, 184–185. 460 Vgl. dazu z.B. MILGROM, Leviticus 1–16, 400; VAN LEEUWEN, Meaning, 268–269. 461 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 302. Vorausgesetzt ist damit eine nicht gänzlich unvorstellbare Verschreibung bzw. Verlesung des Konsonanten תzu der Konsonsantenfolge יני. 457
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übersetzen, wobei die Wendung ‚( מנחת פתיםminḥā von Stücken / Brocken‘) wie ein terminus technicus für die in Lev 2,5–6 eingeführte Form des Speiseopfers wirkt (vgl. פתתund פתיםin Lev 2,6).462 Nicht eigens genannt, mit Lev 2 aber vorauszusetzen ist der Weihrauch, der Lev 2 zufolge jeder minḥā beizugeben ist.463 Eine zusätzliche (besondere) Anweisung, die den Vollzug der Darbringung betrifft, findet sich schließlich in Lev 6,15c. Hier ordnet JHWH an, die Gabe vollständig ( )כלילdarzubringen. Die in Lev 2,2.9 angeordnete Separation des Gedächtnisanteils ()אזכרה, der (allein) auf dem Altar verbrannt wird, unterbleibt folglich, was umgekehrt auch bedeutet, dass der in Lev 2,3.10 eingeräumte Priesteranteil in diesem Fall nicht anfällt. Die mit dieser Vorgabe verbundene Absicht ist wohl, dass Aaron nicht von einer Gabe „profitieren“ soll, die er für sich selbst bzw. in eigenem Namen darbringt.464 Ausgehend von diesem Anliegen generalisiert Lev 6,16 schließlich die in Lev 6,15c zunächst nur im Hinblick auf die regelmäßige minḥā getroffene Regelung in zwei Richtungen: Sie soll für alle Speiseopfergaben, d.h. auch für die freiwilligen, aller Priester (vgl. כהןstatt )כהן משיחgelten. Damit kommt in Lev 6,16 letztlich erneut – wie in Lev 6,7–11 – die allgemeine Frage nach dem Umgang mit Priesteranteilen an Speiseopfern in den Blick; wenn auch nur unter dem Gesichtspunkt, dass ein Priesteranteil bei Speiseopfern von Priestern überhaupt nicht anfällt. Lev 6,16b aber verweist mit dem zunächst fast sinnlos scheinenden Verbot, von einem Anteil zu essen ()לא תאכל, der gar nicht separiert wird, über das zentrale Stichwort ‚( אכלessen‘) auf den ersten Abschnitt der ( תורת המנחהV.7–11) zurück bzw. dient so auch der Verknüpfung der beiden Textpassagen Lev 6,7–11.12–16.465 4. Fazit Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass Lev 6,12–16 mit der regelmäßigen minḥā des Gesalbten Priesters ein Ritual einführt, das in den übrigen präskriptiven Tamid-Texten nicht beschrieben wird. Dieses ist insofern eng mit dem regelmäßigen Brandopfer verbunden, als es in derselben Taktung, wie dieses – und wohl auch jeweils gleichzeitig mit diesem – am Morgen und am Abend darzubringen ist. Unklar aber bleibt, ob es sich – wie bei den übri462
Vgl. HIEKE, Leviticus 1–15, 302; MILGROM, Leviticus 1–16, 399–400; RENDTORFF, Leviticus 1–10, 243. mMen 7.5 deutet das im Grunde unverständliche תפיניals Hinweis darauf, dass die minḥā (bzw. der Teig) gefaltet dargebracht wird. Vgl. dazu auch POLA, Hintergrund, 88; VAN LEEUWEN, Meaning, 268–269. 463 MILGROM (Leviticus 1–16, 183) deutet den Umstand, dass die Zugabe von Weihrauch in Lev 6,12–17 nicht gefordert ist, als Hinweis darauf, dass dieser bei der minḥā des Gesalbten Priesters fehlt. 464 Vgl. HIEKE, Levitikus 1–15, 313; LEVINE, Leviticus, 39; MILGROM, Leviticus 1–16, 400–401. 465 Vgl. RENDTORFF, Leviticus 1–10, 243–244.
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Kapitel 4: Neukontextualisierung und „halachische“ Entfaltung
gen Tamid-Vollzügen – um ein kommunales Opfer handelt (dies legt Num 4,16 nahe, während Neh 10,34 sogar davon ausgeht) oder ob es von Aaron bzw. dem jeweiligen Gesalbten Priester als seine (eigene) Opfergabe aufzubringen ist (so wohl Lev 6,12–16). Eine explizite theologische Deutung für den Vollzug findet sich dabei – über die knappe Angabe in Lev 6,14d hinaus – nicht, doch kann die auf den ersten Blick nicht unproblematische Zeitangabe ‚( ביום המשח אתוam Tag seiner Salbung‘) in Lev 6,13aR einen wichtigen Sinnhorizont eröffnen. Immerhin profiliert sie die regelmäßige minḥā als eine Kulthandlung, die – wenngleich in Ex 29,1–35; Lev 8,1–36 nicht erwähnt – ein wesentliches Element der Weihezeremonie darstellt, zugleich aber vom Tag der Weihe an an jedem Tag in gleicher Weise stattfindet und das so den amtierenden Gesalbten Priester zunächst an seine eigene Amtseinführung, vor allem aber – über die ungebrochene Folge der in Sukzession aufeinander folgenden Amtsträger (vgl. Lev 6,15) – an die Grundlegung des aaronidischen Priestertums bzw. des Amts des Gesalbten Priesters am Sinai zurückbindet. Entsprechend generiert die tägliche minḥā eine Kontinuität zu diesem Gründungsgeschehen bzw. dient dazu, dieses stets neu zu vergegenwärtigen und zeigt darin auch eine interessante Parallele zum Brandopfer-Tamid, das ja u.a. auch die Funktion hat, den Kult an das Gründungsgeschehen zurückzubinden.
Kapitel 5
Zusammenschau und Systematisierung Ausgehend von den zahlreichen Detailergebnissen dieser Studie ist im Folgenden ein „Gesamtbild“ des Tamids (bezogen auf die Texte die Tora) nachzuzeichnen und in systematischer Form zusammenzufassen. Die Seitenangaben in eckigen Klammern am Ende der Abschnitte verweisen auf die entsprechenden Kapitel der Studie, die den Sachverhalt ausführlicher darstellen und im Detail erläutern.
A. Literarische Kontexte in der Tora A. Literarische Kontexte
Innerhalb der Tora – genauer in den Büchern Ex–Num – finden sich präskriptive und narrative Texte, die regelmäßige Kultvollzüge erwähnen oder gar eingehender vorstellen. Was die präskriptiven Texte anbelangt, so sind diese – mit Ausnahme der beiden in der vorliegenden Studie nicht „für sich“ näher untersuchten Verse Num 4,7.16 – in vier kultrechtlichen Korpora verortet: in der Heiligtumstora (Ex 25–31), in der Opfertora (Lev 1–7), im Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) bzw. hier v.a. in Lev 23–25, sowie im Opferkalender (Num 28,1–30,1), der seinerseits in engem Zusammenhang mit dem Festkalender in Lev 23 steht. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Heiligtumstora (Ex 25–30) zu, da in dieser vier der insgesamt fünf in der Tora erwähnten regelmäßigen Kultvollzüge – bei kanonischer Lektüre erstmals – vorgestellt und z.T. ausführlich interpretiert werden, der Dienst am Leuchter (Ex 27,20– 21; vgl. Ex 30,7–8), am Goldenen Altar (Ex 30,6.7–10), am Brandopferaltar (Ex 29,38–46) sowie – knapp angedeutet – das Auflegen der „Brote des Angesichts“ auf den Goldenen Tisch (Ex 25,30). Dabei prägen die drei TamidTexte Ex 27,20–21; 29,38–46; 30,6.7–10 den zweiten Hauptteil der ersten Gottesrede der Heiligtumstora (Ex 27,20–30,10), was innerhalb der Gesamtkomposition des Rechtskorpus zur Folge hat, dass der regelmäßige Kult als die eigentliche Sinnspitze der Vorschriften zum Heiligtumsbau erscheint: Der miškān wird errichtet, damit der regelmäßige Kult dort seinen „Raum“ findet. Gleichzeitig aber erweisen sich auch die übrigen Textpassagen in Ex 27,20– 30,10, die nicht vordergründig mit regelmäßigen Kultvollzügen befasst sind, also die Anweisungen zu den Priestergewändern, über die zugleich das Amtsprofil Aarons nachgezeichnet wird (Ex 28,1–43), und zur Priester- und Altarweihe (Ex 29,1–37), als relevant für das Verständnis der Tamid-Texte.
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Kapitel 5: Zusammenschau und Systematisierung
Mit Blick auf die rechtssystematische Einordnung der vier relevanten Rechtskorpora – im Anschluss an E. OTTO – kommt der Heiligtumstora als einzigem am Berg Sinai offenbarten kultrechtlichen Korpus die höchste Verbindlichkeit zu. Abgestuft dazu werden die Opfertora (Lev 1–7) und das Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) zwar als Bestandteile der Sinaitora ausgewiesen, doch sind sie aus dem Zelt der Begegnung heraus (und nicht auf dem Berg) offenbart. Der Opferkalender (Num 28–29) schließlich ist als Supplement zum Festkalender in Lev 23,1–44 zu bestimmen. Zusätzlich unterstrichen werden diese Abstufungen und Zuordnungen auch dadurch, dass der Festkalender in Lev 23,3 einerseits auf das Shabbatgebot der Heiligtumstora Bezug nimmt, andererseits aber in Lev 24,2–3 beinahe wörtlich Ex 27,20–21 einspielt, während in analoger Weise der Opferkalender in Num 28,3–8 (wiederum fast wörtlich) Ex 29,38–42(.43–46) aufnimmt. Damit ist ein Signal gesetzt, die beiden Kultkalender auf die Heiligtumstora hin zu lesen bzw. von dieser her zu deuten. Zugleich aber kommt den Tamid-Texten die Funktion zu, die literarischen Kontexte, in die sie eingebettet sind, aufeinander zu beziehen und miteinander zu verbinden. Umgekehrt jedoch sind die Wiederaufnahmen von Texten stets auch mit Neuakzentuierungen, „Entfaltungen“ oder „Auslegungen“ der Vorschriften aus der Heiligtumstora verbunden, so dass sie letztlich das Bild erweitern, das die Lesenden der Tora von den TamidVollzügen gewinnen können. [→ S. 404–418]
B. Kultvollzüge und theologische Deutung(en) B. Kultvollzüge und theologische Deutung(en)
In der Tora werden fünf regelmäßige Kultvollzüge erwähnt, der Dienst am Leuchter (Ex 27,20–21; Lev 24,2–4), am Goldenen Altar (Ex 30,6.7–10) und am Goldenen Tisch (Ex 25,30; Lev 24,5–9) sowie das tägliche Brandopfer (Ex 29,38–46; Lev 6,2–6; Num 28,3–8) und das Speiseopfer des Gesalbten Priesters (Lev 6,12–16). Grundlegend ist dabei zwischen denjenigen Ritualen zu differenzieren, die im „Heiligen“ stattfinden (Dienst an Leuchter, am Goldenem Altar und am Tisch) und denjenigen, die am Brandopferaltar bzw. am Eingang des Zeltes der Begegnung vollzogen werden (regelmäßiges Brandopfer und Speiseopfer des Gesalbten Priesters). Diese beiden „Gruppen“ repräsentieren zwei komplementäre Ausformungen eines regelmäßigen Kultes, mit denen je auch eine unterschiedliche Pragmatik verbunden ist. I. Der Dienst im „Heiligen“ Für den Raum des „Heiligen“ sind – den präskriptiven Tamid-Texten der Tora zufolge – drei Vollzüge vorgesehen, das allabendliche Entzünden der Menora (Ex 27,20–21; Lev 24,2–4) sowie das Reinigen derselben am Morgen (Ex 30,7), das damit koordinierte, zweimal täglich darzubringende Weih-
B. Kultvollzüge und theologische Deutung(en)
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rauchopfer am Morgen und am Abend (Ex 30,7–8) und zuletzt das Auflegen neuer ḥallōt auf den Goldenen Tisch an jedem Shabbat (Ex 25,30; Lev 24,5– 9). 1. Charakteristika Unter diesen drei Vollzügen ist der Dienst am Leuchter in besonderer Weise herausgehoben, da er innerhalb der Tora nicht nur insgesamt zweimal in den beiden eng aufeinander bezogenen Texten Ex 27,20–21 und Lev 24,2–4 angeordnet wird, sondern darüber hinaus auch mit den Beschreibungen zu den beiden anderen Vollzügen im „Heiligen“ korreliert ist. So verbindet Ex 30,7– 8 den Dienst am Goldenen Altar unmittelbar mit dem Dienst am Leuchter bzw. koordinieren beide Vollzüge auch in zeitlicher Hinsicht miteinander. Die Anweisungen zum Tamid am Goldenen Tisch in Lev 24,5–9 hingegen sind literarisch eng mit dem Abschnitt zum Leuchterdienst in Lev 24,2–4 verzahnt – u.a. auch durch Text- und Stichwortbezüge zwischen beiden Abschnitten, über die die jeweiligen Kulthandlungen parallelisiert und in einen Zusammenhang gebracht werden. All dies hat zur Folge, dass das Entzünden des Leuchters als der zentrale Kultvollzug im „Heiligen“ erscheint. Allen drei Tamid-Vollzügen eigentümlich (und gemeinsam) jedoch ist, dass sie von Aaron bzw. dem Gesalbten Priester ausgeführt werden und dass in vielen der relevanten Texte die Situierung im „Heiligen“ an sich näher analysiert wird. a) Aaron In Ex 27,21; Lev 24,3–4; Ex 30,7–8 wird Aaron (bzw. der Gesalbte Priester) explizit als (alleiniger) Akteur für das Entzünden des Leuchters und das regelmäßige Weihrauchopfer festgeschrieben, in Lev 24,8 aber für den Dienst am Tisch als solcher zumindest vorausgesetzt. Für ein sachgemäßes Verstehen dieser Tamid-Vollzüge ist somit auch die besondere Rolle Aarons bzw. sein „Amtsprofil“ entscheidend. Dieses ist in erster Linie aus Ex 28,1–43 – und hier v.a. aus den Funktionsbeschreibungen der Gewänder (vgl. Ex 28,12.29–30.35.38.43), in denen das Stichwort תמידinsgesamt drei Mal (Ex 28,29.30.38) belegt ist – zu erheben. Dabei werden ’efod (Ex 28,6–14), ḥošæn (Ex 28,15–30) und meʽīl (Ex 28,31–35) jeweils mit dem Hineingehen ( )בואAarons ins „Heilige“ (vgl. Ex 28,29.30.35) verbunden. ’efod und ḥošæn sind aufgrund der an ihnen angebrachten Steine von Bedeutung, die als Schriftträger fungieren und dazu dienen, ein komplexes „Idealbild“ Israels zur Darstellung zu bringen: So präsentieren die Schultersteine des ’efod, die die Namen der zwölf Söhne Israels / Jakobs tragen, den Ursprung Israels, mit dem sich theologische Konzepte wie die Erwählung oder die Zusagen von Land und Nachkommenschaft verbinden. Im Gegenüber dazu bilden die Steine des ḥošæn – mittig in die Inschrift auf den Schulter-
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Kapitel 5: Zusammenschau und Systematisierung
steinen „eingeschrieben“ – das Zwölf-Stämme-Israel der Sinaigeneration ab, das als paradigmatische Realisierung der auf den Schultersteinen dargestellten „Ursprungsidentität“ gelten kann und zugleich für die späteren Generationen selbst grundlegenden Charakter hat. Beide Inschriften zusammen bewahren in ihrer gegenseitigen Verwiesenheit und den gleichzeitig greifbaren Differenzen eine Offenheit auf andere (spätere) Ausformungen israelitischer Identität(en) und stellen somit im Text ein Identifikationspotenzial für ein Israel späterer Zeiten bereit, das sich selbst in den Steinen und Inschriften der Dienstgewänder Aarons repräsentiert sehen kann. Vervollständigt wird das komplexe „Israelbild“ durch die ʼūrīm und tummīm, die als Torasymbol im ḥošæn, d.h. unterhalb der Steine, aber zusammen mit diesen „über dem Herzen“ (vgl. Ex 28,29–30) Aarons, deponiert werden, um auf die enge Verbindung zwischen dem auf den Steinen dargestellten „Ideal-Israel“ und der Tora JHWHs hinzuweisen. Aarons Aufgabe aber besteht darin, das vieldimensionale „Israel-Bild“ auf seinen Gewändern bei seinem Hineingehen ins „Heilige“ regelmäßig ( )תמידvor JHWH zu tragen (( )נשאvgl. Ex 28,29–30), es also im Zusammenhang mit seinen regelmäßigen Kultvollzügen an Leuchter und Altar vor JHWH in Erinnerung zu bringen bzw. darzustellen. Damit fungiert weniger Aaron selbst (in persona) als Israelrepräsentant, sondern eher seine Gewänder und deren „Accessoires“, die von Aaron in das „Heilige“, d.h. in die Gegenwart JHWHs hinein, getragen werden. [→ S. 80–110] Zum Ausüben dieser „Trägertätigkeit“ befähigt wird Aaron durch das dritte Gewand, den meʽīl. Dieser schirmt ihn vor der ambivalent-bedrohlichen Heiligkeit ab, während die Glöckchen am Saum des meʽīl, die beim Gehen läuten, die Bewegung Aarons hinein und hinaus auch außerhalb des Heiligtums hörbar machen. Damit tragen sie dazu bei, in der – „umrahmt“ vom Läuten ebenfalls wahrnehmbar gemachten – Stille zwischen den Wegen zugleich auch das Präsent-Sein Aarons vor JHWH kenntlich zu machen, in dem regelmäßig ( )תמידdie Präsenz Israels vor JHWH inszeniert wird. Zugleich aber finden in dieser Stille auch die Kulthandlungen „vor JHWH“ im „Heiligen“ ihren „Raum“, so dass sie in das „darstellende“ Geschehen eingebettet und wesentlich von diesem her zu verstehen sind. [→ S. 111–116] In der Zusammenschau manifestiert sich die Sonderrolle Aarons somit darin, dass nur er – und auch nur in den entsprechenden Gewändern – das „Heilige“ betreten kann, um dort die von JHWH angeordneten Kulthandlungen zu vollziehen. Begründet wird Aarons Position in der Erwählung durch JHWH sowie in der Heiligung im Vollzug der Priesterweihe (vgl. Ex 29). Dabei ist die Priesterrolle auch mit Vorrechten verbunden, wie z.B. den Anteilen an den Opfergaben der Israeliten, die Ex 29,22–28 aus den Ritualen rund um den „Einsetzungswidder“ ableitet. Eine komplexe, ausdifferenzierte (und auch sozial relevante) Hierarchie aber wird in den Tamid-Texten ausdrücklich nicht vorausgesetzt bzw. vorgegeben. So stehen einander lediglich Aaron – und ggf. (deutlich zurücktretend) seine Söhne, also die Priesterschaft – auf
B. Kultvollzüge und theologische Deutung(en)
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der einen und das als homogene Größe gefasste Volk auf der anderen Seite gegenüber, wobei Aarons zentrale Funktion ausschließlich darin besteht, immer dann an Stelle bzw. für das (ganze) Volk zu agieren und dieses zugleich über seine Gewänder zu repräsentieren, wo ein Schutz der Heiligkeit vor Profanierung – oder auch umgekehrt ein Schutz des (profanen) Volkes vor der Heiligkeit – nötig und angeraten ist. b) Orte und Räume Neben dem ausführenden „Kultfunktionär“ ist den Texten zum Tamid im „Heiligen“ auch der Ort bzw. Raum der Ausführung von Bedeutung. So gehen v.a. Ex 27,21; Lev 24,3–4; Ex 30,6 deutlich darüber hinaus, („nur“) den jeweils involvierten Kultgegenstand bzw. das „Heilige“ als „Ort“ des Vollzugs zu nennen. Stattdessen bieten die Texte präzisere „Verortungen“, die räumliche Relationen nachzeichnen, die für den Kultvollzug selbst essenziell sind. Wesentlich ist hier vor allem die Ausrichtung des Leuchters bzw. des Goldenen Altars auf die ʽedūt hin, wie sie in Ex 27,21; 30,6 (vgl. Lev 24,3) angedeutet wird. Dabei kommt der Parochet – und in Ex 30,6 auch der Kapporet – die Funktion zu, als abtrennende und damit zugleich auch als vermittelnde Instanzen zu fungieren, die einerseits die notwendige Separation des „Hochheilgen“ bewerkstelligen und andererseits die Korrelation zwischen den Kultgeräten und der ʽedūt gewährleisten können. So zeichnen die beiden Verse Ex 27,21; 30,6 eine regelrechte „Vermittlungskaskade“ nach, in der die beiden Kultgeräte im „Heiligen“, Leuchter und Altar, über ihre räumliche Relation zur Parochet (und zur Kapporet) mit der ʽedūt korreliert werden. Auch Lev 24,3 deutet diese Zusammenhänge – im Rückbezug auf Ex 27,21 – an, legt allerdings deutlich weniger Gewicht auf die Raumkonzeptionen, als die beiden Texte aus der Heiligtumstora.
Deutlich wird dabei, dass das kultische Handeln Aarons an den beiden Geräten durch die Ausrichtung auf die ʽedūt hin bestimmt ist. Es wird also die für Israel (idealerweise) eigentümliche Hinordnung auf die Tora JHWHs symbolisch im Kultvollzug zur Darstellung gebracht, wenn das Licht des Leuchters entzündet wird und – gleichsam durch Parochet und Kapporet „hindurch“ – auf die ʽedūt hin fällt. Indem sie aber den Torabezug Israels versinnbildlichen, korrespondieren die Rituale im „Heiligen“ auch mit der Darstellung eines „Ideal-Israel“ auf Aarons Gewändern, bei der über die ʼūrīm und tummīm eine vergleichbare Bindung Israels an die Tora angedeutet ist. Zusammenfassend sind damit die Kultvollzüge im „Heiligen“ als ein symbolisches Handeln zu beschreiben, in dem wesentliche Relationen, die Israel und seine Identität bestimmen, inszeniert und immer wieder neu realisiert werden. [→ S. 46–51; 302–313]
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Kapitel 5: Zusammenschau und Systematisierung
2. Das Entzünden des Leuchters Die zentrale Kulthandlung am Leuchter, die in Ex 27,20–21; Lev 24,2–4 im Vordergrund steht und auch in Ex 30,8 angesprochen wird, ist das allabendliche Entzünden der sieben Lampen. Dieser Vorgang (in seiner Gesamtheit) wird mit den beiden Verben עלה-hi. und ערךumschrieben, wobei in allen Texten eine auffällige semantische Unschärfe von עלה-hi. gewahrt ist, das zwischen ‚emporheben (der Lampe [‘)]נר, ‚anzünden (der Lampe / des Lichts [ ‘)]נרund ‚»darbringen« (des Lichts [ ‘)]נרchangiert. Das Verb ערךhingegen bringt das Anordnen der (brennenden) Lampen auf der Menora zum Ausdruck. [→ S. 35–43] Dem allabendlichen Entzünden des Leuchters stellt Ex 30,7 schließlich ein „Zurechtmachen“ (טוב-hi.) am Morgen gegenüber, das wohl ein Reinigen und erneutes Auffüllen der Lampen mit einschließt und so als Vorbereitung des allabendlichen Entzündens zu fassen ist. Eine präzise Handlungsfolge für das Entzünden, also ein konkretes Ritual, ist allerdings aus keinem der Texte zu erheben und gehört somit – im Gegensatz zur theologischen Interpretation des Vorgangs, auf die die Texte ihren Schwerpunkt legen – nicht zu dem in der (schriftlichen) Tora Offenbarten. [→ S. 314–321] a) Ex 27,20–21 Ex 27,20–21 als (bei synchroner Lektüre) erster Text zum Leuchter-Tamid bietet eine grundlegende theologische Deutung der Kulthandlung, die in den weiteren Texten, die den regelmäßigen Dienst am Leuchter (erneut) thematisieren (vgl. Ex 30,7–8; Lev 24,2–4), aufgenommen und weiter entfaltet wird. Wesentlich ist zunächst, dass angesichts der engen literarischen Anbindung von Ex 27,20–21 an Ex 28,1–43, das allabendliche Entzünden des Leuchters im Lektüreprozess zu dem Beispiel für ein Kommen Aarons ins „Heilige“ wird, in dem dieser seinem Auftrag nachkommt, das auf den Gewändern abgebildete „Ideal-Israel“ vor JHWH zu tragen und dort in Erinnerung zu rufen. Daneben aber ist auch die bereits beschriebene „Verortung“ des Vollzugs relativ zur ʽedūt zentral (vgl. Ex 27,21), der in der Wendung לפני יהוה (‚vor JHWH‘) eine ebenfalls räumlich interpretierbare adverbiale Bestimmung gegenübersteht, die allerdings weniger eine Raum-Lage-Relation zum Ort der Gegenwart JHWHs im Heiligtum, sondern vielmehr einen personalen Bezug ausdrückt: Das Entzünden des Leuchters ist als ein Handeln „auf JHWH hin“ und damit grundlegend als Vorgang der Kommunikation mit JHWH zu verstehen. [→ S. 128–131] Neben den räumlichen bzw. in räumlicher Metaphorik ausgedrückten Relationen ist des Weiteren auch die Interpretation des Leuchterdienstes als ein Vollzug essenziell, der Zeit strukturiert bzw. Zeitrhythmen erfahrbar macht und ihnen auf diese Weise auch eine spezifische Qualität zuspricht. Festzumachen ist dies v.a. in der Benennung des Leuchters als ‚( מאורLeuchte‘) in
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Ex 27,20, die ihn mit den ebenfalls als מאורתcharakterisierten Himmelskörpern in Gen 1,14–19 korreliert, denen – als Leuchten – wesentlich die Funktion zukommt, Zeit einteilbar bzw. strukturierbar zu machen bzw. den Fluss der Zeit und ihre Rhythmen zu visualisieren. So wird über das toragemäße Bedienen der Menora der Wechsel von Tag und Nacht im „Heiligen“ durch die Abfolge von Licht ( )אורam Tag und den künstlichen Lichtern der Lampen ( )נרתin der Nacht angezeigt bzw. in dieser Form durch das regelmäßige kultische Handeln Aarons (vgl. Ex 27,21; 30,7–8) generiert. An die Stelle des Wechsels von hell und dunkel in der Schöpfung tritt der Wechsel von „taghell“ und „lampenhell“, der jedoch ausdrücklich keine gegenüber den in der Schöpfung grundgelegten Rhythmen neue oder andersartige Taktung von Zeit kreiert. Vielmehr wird der im steten Wechsel von Tag und Nacht erlebten Zeit eine spezifische Qualität und Gewichtung zugesprochen, die im kultischen Handeln vor JHWH bzw. auf JHWH hin entsteht und in der sich Israels Identität und Selbstverständnis als Volk JHWHs abbildet. Der regelmäßige Kult erscheint damit als Modus des bewussten Ausgestaltens eines genuinen „Lebensrhythmus Israels“ innerhalb der Vorgaben der Schöpfung. [→ S. 51–60] Wesentlich ist zudem, dass in den Menora-Texten der Tora keine explizite („theo-logische“) Lichtsymbolik erkennbar ist. So ist an keiner Stelle greifbar, dass das Licht – wie etwa in Sach 4 angedeutet – als Symbol für die heilvolle Gegenwart JHWHs o.ä.1 gedacht ist. Das Anzünden des Leuchters zielt also allein auf die Funktion als מאורab. Allenfalls unterschwellig aber ist eine – auch mit Gen 1,3–5 begründbare, letztendlich aber wohl aus lebensweltlicher Erfahrung gespeiste – Höherbewertung des Lichts gegenüber der Finsternis greifbar, wenn die Finsternis aus dem „Heiligen“ verbannt und als Spezifikum der Nacht durch das Leuchten der נרתabgelöst wird. Daneben klingt aus dem in Ex 27,20–21 eingespielten Vers Ex 25,37 die Anweisung nach, die Lampen auf dem Leuchter ‚( על עבר פניהüber das Gegenüber ihres „Angesichts“ hin‘) leuchten zu lassen (vgl. Ex 25,37c). Diese legt nahe, dass der Leuchter ein nur über die räumliche Lagerelation zu ihm selbst und damit äußerst offen bestimmtes Objekt „anstrahlt“. Da Ex 27,20–21 diese Vorgabe nicht explizit aufnimmt, scheint dieser Aspekt in der Tamid-Vorschrift deutlich zurückzutreten. Erst in Num 8,2 wird er wieder bedeutsam, bleibt jedoch auch dort uneindeutig. So ist das Leuchten auf das „Gegenüber“ entweder mit der in Ex 27,21 eingebrachten Relation zur ʽedūt zu korrelieren oder aber mit dem Gegenüber zum Tisch, das die Verse Ex 26,33; Lev 24,1–9 stark machen. Zugleich jedoch kann Num 8,2 auch in dem Sinne gedeutet werden, dass der Leuchter sich selbst anstrahlt, womit seine Zweckfreiheit deutlich wird: Das primäre Anliegen des Leuchterdienstes ist es nicht, einen nächtlich-dunklen Raum auszuleuchten. Vielmehr sollen im Heiligtum im kultischen Handeln die zentralen Aspekte der Identität Israels und seines Bezugs zu JHWH symbolisch dargestellt werden. [→ S. 391–395]
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Vgl. so z.B. ACHENBACH, Vollendung, 539–541; GERSTENBERGER, Leviticus, 325; SEEBASS, Numeri 1–10, 204–205.
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Kapitel 5: Zusammenschau und Systematisierung
Zuletzt erweist sich die Teilhabe ganz Israels am Vollzug als wesentlich, die konkret im (regelmäßigen) Bereitstellen des benötigten Öls (vgl. Ex 27,20; Lev 24,2) realisiert wird. Daneben ist Israel aber auch insoweit involviert, als Aaron das Volk im „Heiligen“ repräsentiert bzw. über seine Gewänder vor JHWH in Erinnerung ruft. b) Lev 24,2–4 Lev 24,2–4 nimmt Ex 27,20–21 weitgehend wörtlich auf, bringt allerdings auch einige eigene Akzentsetzungen ein. Drei Punkte sind hier von Bedeutung: (1.) Die Regelmäßigkeit des Vollzugs wird deutlich stärker und auch sprachlich-syntaktisch eindeutiger betont als in Ex 27,20–21. In Lev 24,2–4 nämlich findet sich das Stichwort ‚( תמידregelmäßig‘) insgesamt dreimal – gegenüber einem Beleg in Ex 27,20–21 –, wobei es jeweils (eindeutig) adverbial gebraucht und auf die Verben ערךund עלה-hi. bezogen ist, die den Dienst am Leuchter (in seiner Gesamtheit) umschreiben. (2.) Dem gegenüber tritt das Interesse an den räumlichen Relationen, in die der Dienst am Leuchter eingebunden ist (vgl. Ex 27,20–21, 30,6.7–8), deutlich in den Hintergrund, wenn diese allein über die Konstruktusverbindung פרכת העדותin Lev 24,3 angedeutet sind, die letztlich nur von Ex 27,20–21 (Ex 30,6) her verständlich ist. Beide Beobachtungen sind gut aus der Verbindung von Lev 24,2–4 mit dem Festkalender in Lev 23,1–44 erklärbar, durch die der Fokus auf die Zeit und ihre Einteilungen rückt, während das Interesse am Raum gegenüber Ex 27,20–21 (bzw. der Heiligtumstora) in den Hintergrund tritt. Im Gegenüber zum Festkalender, in dem der Wechsel von heiligen und profanen Zeiten bzw. Tagen im Jahreslauf zentral ist, fokussiert Lev 24,2–4 auf einen täglichen – und damit betont als regelmäßig qualifizierten – Kultvollzug, in dem bezogen auf die Größe „Tag“ die im kultischen Handeln strukturierte und mit Bedeutung gefüllte Zeit („an sich“) zum „Erfahrungsraum“ der Beziehung zwischen JHWH und seinem Volk ausgestaltet wird. (3.) Zuletzt betont Lev 24,2–4 im Gegenüber zu Ex 27,20–21, wo V.21 das Entzünden der Menora v.a. als Aufgabe Aarons (und seiner Söhne) qualifiziert und damit bereits auf Ex 28,1–43 ausblickt, stärker die Teilhabe Israels (vgl. לדרתיכםin Lev 24,3 gegenüber לדרתםin Ex 27,21). Damit korrespondiert, dass auch im Festkalender Lev 23,1–44 Israel und nicht die Priester als diejenige Größe gefasst ist, die die Jahresfeste begeht und so die von JHWH vorgegebene Ausgestaltung der Zeit durch das Heiligen der Festzeiten, das Vollziehen der Festbräuche und das Darbringen der Festtagsopfer realisiert. [→ S. 422–432]
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3. Das tägliche Weihrauchopfer Das tägliche Weihrauchopfer wird nur in einem einzigen Text der Tora, Ex 30,(6.)7–8, behandelt und dabei in jeder Hinsicht eng mit den Kulthandlungen am Leuchter verbunden. So sind die beiden Teilvollzüge eines Tages am Morgen und „zwischen den Abenden“ (Ex 30,7–8) zunächst zeitlich mit den Aktivitäten am Leuchter, dem allmorgendlichen Zurechtmachen der Lampen und dem allabendlichen Entzünden derselben, koordiniert. Räumlich gesehen aber sind die regelmäßigen Kulthandlungen an Leuchter und Goldenem Altar einmal durch das Nebeneinander der beiden Geräte im „Heiligen“ aufeinander bezogen, andererseits aber vollzieht das Weihrauchopfer aktiv – in der Darbringung – die bereits im Platzieren des Altars angelegte Ausrichtung auf die ʽedūt (Ex 30,6) hin. Letzteres wiederum setzt voraus, dass bereits das Platzieren ( )נתןdes Altars selbst – abgeleitet davon aber auch das tägliche Auflegen ( )נתןdes Räucherwerks auf diesem – als „Antwort“ auf das Begegnen JHWHs (gegenüber Mose) im Heiligtum (vgl. Ex 25,22) profiliert wird (vgl. Ex 30,6) und damit zugleich auch der memoria der an Mose ergangenen Offenbarung dienen kann. Entsprechend ist der Altar als Teil eines „Mneotops“ („vor der ʽedūt“) zu bestimmen, zu dem auch der Mannakrug, der Stab Aarons und nicht zuletzt die ʽedūt selbst gehören. Darüber besteht schließlich die Möglichkeit, das Weihrauchopfer als Akt der Huldigung JHWHs zu interpretieren, der bewusst an den Tageswenden positioniert ist, entlang derer (Israels) Zeit getaktet ist. Es fällt allerdings auf, dass diese Deutung im Text nicht explizit eingebracht ist. [→ S. 314–321] 4. Das Auflegen der zwölf ḥallōt Der regelmäßige Kultvollzug auf dem Tisch im „Heiligen“ wird erstmals in Ex 25,30 im Zusammenhang mit einer Funktionsbestimmung für den Tisch angesprochen, dabei aber eher angedeutet, als konkret beschrieben. Dennoch wird bereits in Ex 25,30 deutlich, dass das eigentlich Wesentliche des Tisches die auf ihm platzierten bzw. regelmäßig neu auszulegenden Brote sind (vgl. dazu auch Num 4,7–8; Lev 24,5–9). Angesichts der Korrespondenzen zwischen den Beschreibungen von Tisch und Lade (vgl. Ex 25,10–15.23–29) ist es zudem in Ex 25 naheliegend, das Auflegen der Brote als „Antwort“ auf das Konstituieren des Begegnungs- und Offenbarungsraums von der Kapporet über der Lade aus (vgl. Ex 25,22) zu deuten. [→ S. 25–28; 450–452] Eine wesentlich ausführlichere Darstellung bietet Lev 24,5–9, wobei deutlich wird, dass sich der Dienst am Tisch in mehreren Aspekten von den übrigen Kulthandlungen im „Heiligen“ abhebt. So liegt ihm zunächst insofern ein anderer Zeitrhythmus zugrunde, als kein (zweimal) täglich auszuführender Vollzug angeordnet wird, sondern ein Austauschen der zwölf ḥallōt, das an jedem Shabbat, also einmal pro Woche, erfolgt. In Verbindung mit dem Festkalender in Lev 23,1–44, in dem der Shabbat zwar einerseits eine entschei-
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dende Rolle spielt (vgl. Lev 23,3), andererseits aber das für alle anderen Feiertage vorgesehene Festtagsopfer am Shabbat fehlt, kann nun das Auflegen der ḥallōt als der spezifische Kultvollzug für den Shabbat und damit als besonderes Element der Shabbatobersevanz gedeutet werden, das zudem in Gestalt des Weihrauchs mit einer genuinen ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) für den Shabbat verbunden ist. Folglich dient der Dienst am Tisch dazu, den Shabbatrhythmus in den „Kanon“ der regelmäßigen Kultakte zu integrieren und diesen durch eine Kulthandlung in besonderer Weise nachzuvollziehen. [→ S. 455–477] Darüber hinaus hat der Dienst am Tisch aber auch die Funktion – ebenso wie die übrigen Kulthandlungen im „Heiligen“ – zentrale Elemente israelitischer Identität kultisch zu inszenieren und im „Heiligen“, „vor JHWH“ , präsent zu halten. Von Bedeutung sind hier vor allem die zwölf ḥallōt selbst, die über ihre Anzahl auf die Stämme Israel verweisen, zugleich aber spezielle Aspekte besonders betonen. So sind sie – zusammen mit dem ihnen beigegebenen Weihrauch, der für den Gedächtnisanteil dienen soll – einerseits als eine Sonderform des Speiseopfers ausgewiesen, andererseits aber über die Beschreibung ihrer Herstellung in Lev 24,5 auch mit den Erstlingsbroten des Wochenfestes oder der doppelten Mannagabe des sechsten Tages – beide bestehen aus 2/10 ’ēfā, wie je eines der Brote – verbunden. Dem entsprechend sind die ḥallōt grundlegend als Gabe ganz Israels zu deuten, in der das Volk einen symbolischen Anteil dessen zurückgibt, was es von JHWH empfangen hat und darin sein Bekenntnis artikuliert, von JHWH versorgt und am Leben erhalten zu werden. Folglich ist Israel über die ḥallōt im Heiligtum als JHWH dankbar und huldigend Zurück-Gebende Größe repräsentiert. Wesentlich hierfür ist das durchgehende Aufliegen der Brote auf dem Tisch im „Heiligen“ „vor JHWH“, während das Abnehmen der Brote nur implizit und verbunden mit der Anweisung in den Blick kommt, den zusammen mit den Broten aufliegenden Weihrauch – ähnlich wie beim Ritual einer minḥā – als Gedächtnisanteil darzubringen und die Brote – analog zum Priesteranteil an der minḥā – den Priestern zum Verzehr zu übergeben. [→ S. 434–440; 448–450] 5. Resümee Die Vollzüge im „Heiligen“ (in ihrer Gesamtheit) haben somit die Funktion, wesentliche Aspekte und Relationen, die Israels Identität prägen und bestimmen – z.B. die in spacing und „Bedienen“ von Leuchter und Goldenem Altar ausgedrückte Ausrichtung auf die ʽedūt oder die spezifische Gestaltung der Zeit –, darzustellen bzw. im kultischen Handeln regelmäßig symbolisch zu vollziehen. Folglich wird Israel regelmäßig im „Heiligen“ – d.h. in unmittelbarer Nähe zu JHWH – mit allem, was seine Identität als Gottesvolk ausmacht, als das Gegenüber JHWHs inszeniert. Es geht darum, „im regelmäßigen Kultus des Heiligtums die Seele ganz Israels aus[zu]sprechen, und dies
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geschieht sinnenfällig durch Handlungen“2. Intensiviert wird diese Intention durch die priesterlichen Gewänder, auf denen ein kleines „Kompendium“ der Identität Israels abgebildet ist, das Aaron während seines Dienstes in die Gegenwart JHWHs trägt. Eindeutig komplementär dazu ist der regelmäßige Kult am Brandopferaltar angelegt, der mit der Vorstellung einer Bewegung JHWHs auf Israel hin verbunden ist, in der JHWH auf das kultische Agieren des Volkes antwortet. II. Regelmäßige Kultvollzüge am Brandopferaltar Der Kult am Brandopferaltar bzw. am „Eingang des Zelts der Begegnung“ wird in erster Linie durch das tägliche Brandopfer (vgl. Ex 29,38–46; Num 28,3–8; Lev 6,1–6) repräsentiert. Daneben jedoch ist auch das in Lev 6,12–16 angeordnete Speiseopfer des Gesalbten Priesters am Brandopferaltar darzubringen. 1. Akteure Beim täglichen Brandopfer ist – anders als bei den Kultvollzügen im „Heiligen“ – nicht allein Aaron, über seine Gewänder in spezieller Weise charakterisiert und disponiert, als (alleiniger) Ausführender der Kulthandlungen im Blick. Stattdessen sind die präskriptiven Texte, was die Frage nach dem Akteur anbelangt, auf den ersten Blick auffällig unpräzise: So sind die Anweisungen in Ex 29,38–42 an eine 2. Pers. Sg. gerichtet, gemäß der Redesituation der Heiligtumstora also zunächst an Mose. In Ex 29,42 aber wird das Tamid als Gabe Israels bestimmt, wobei auch hier klar ist, dass das Volk weniger für die konkrete Ausführung von Schlachtung und Darbringung zuständig ist, sondern vielmehr die Opfergabe als solche von ganz Israel finanziert bzw. im Namen des gesamten Volkes dargebracht wird. Ähnliches ist auch in Num 28,3–8 greifbar, wenn die Anweisungen dort durchgehend an eine 2. Pers. Pl., d.h. an Israel, gerichtet sind. Lev 6,5 hingegen setzt einen Priester – nicht zwingend aber den Gesalbten Priester („Aaron“) – als den für die kultische Darbringung Verantwortlichen voraus, was letztlich auch mit den Angaben in Ex 29,38–46; Num 28,3–8 harmonisierbar ist. Der Dienst am Altar ist somit eine allgemein priesterliche Aufgabe, während die Verantwortlichkeit Israels darin liegt, die Gaben für die kommunalen Opfer bereitzustellen. [→ S. 186– 188; 532–539]
Allein dem Gesalbten Priester ist die Darbringung der in Lev 6,12–16 eingeführten minḥā vorbehalten, wobei hier nicht eindeutig zu klären ist, ob es sich um ein kommunales Opfer im eigentlichen Sinne handelt, bei dem die für die Gabe benötigte Materie von Israel bereitgestellt wird, oder ob für ihre Beschaffung „Aaron“ zuständig ist. [→ S. 545–549] 2
JACOB, Exodus, 893.
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2. Das tägliche Brandopfer Das tägliche Brandopfer als die weitaus wichtigere der beiden regelmäßigen Kulthandlungen am Altar wird in Ex 29,38–46; Num 28,3–8, aber auch in Lev 6,1–6 behandelt. Num 28,3–8 nimmt dabei weitgehend den Wortlaut von Ex 29,38–42 auf und weist so auf die zentrale Bedeutung hin, die diesen Text – zusammen mit der theologischen Vertiefung in Ex 29,43–46 – zukommt. Wie die Vorschriften zu den Vollzügen im „Heiligen“ bieten die Texte Ex 29,38–46; Num 28,3–8; Lev 6,1–6 keine eigentlichen Ritualbeschreibungen und stellen keine konkreten Handlungsabfolgen für das regelmäßige Brandopfer vor. Lediglich in Lev 6,2–5 liegt eine Art von Ritualbeschreibung vor, in der interessanterweise ebenfalls nicht der genaue Ablauf bzw. die Darbringung des regelmäßigen Brandopfers, sondern das allmorgendliche Reinigen und „Wieder-Gebrauchsfertig-Machen“ des Altars thematisiert wird.
Stattdessen ist in Ex 29,38–42; Num 28,3–8 lediglich – sehr offen und allgemein – vom „Machen“ ( )עשהdes Tamid die Rede. Der Schwerpunkt der Texte liegt somit auch hier auf der theologischen Interpretation. Dabei skizzieren sowohl Ex 29,38–42 als auch Num 28,3–8 über klassifizierende und qualifizierende Wendungen eine grundlegende Deutung des Opfervollzugs, die in beiden Texten in ähnlicher Weise angelegt ist, auf der aufbauend sie aber je spezifische Ergänzungen, Vertiefungen und weiterführende Interpretationen entwickeln. Die Perikope Lev 6,1–6 hingegen beleuchtet primär die Begleitumstände des Tamids, indem sie auf den Altar und dessen „Betrieb“ fokussiert und zugleich eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Tamid und den freiwilligen Opfern andeutet. a) Grundlegende Deutung Für die theologische Deutung des Brandopfer-Tamids in Ex 29,38–42; Num 28,3–8 sind zuerst die qualifizierenden Wendungen [‚( לריח ניחח ]ליהוהzum beruhigenden Duft [für JHWH]‘) und ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) bedeutsam, die den grundsätzlichen Charakter und die basale Funktion des Kultvollzugs bestimmen. Dabei ist bereits in Ex 29 evident, dass die damit geleistete Deutung nicht für das regelmäßige Brandopfer spezifisch, sondern dem Brandopfer an sich eigentümlich ist. So nehmen die qualifizierenden Wendungen in Ex 29,41bc – ( לריח ניחחV.41b) und ( אשה ליהוהV.41c) – sowie die Klassifizierung als ‚( עולהBrandopfer‘) in Ex 29,42a zentrale Stichworte aus Ex 29,18 auf. Dieselben Wendungen finden sich zudem auch in Lev 1,1– 17 (vgl. Lev 1,9.13.17), wobei Ex 29,15–18; Lev 1,1–17 einerseits und Ex 29,38–46 andererseits beinahe wie komplementäre Texte wirken, da die zuerst genannten v.a. eine Ritualbeschreibung des Brandopfers bieten, eine Interpretation dieses Vollzugs aber allein über die qualifizierenden Wendun-
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gen andeuten, während umgekehrt in Ex 29,38–46 eine Ritualbeschreibung komplett fehlt und stattdessen der Interpretation des Rituals ein großes Gewicht zukommt. Dabei wird die in Ex 29,38–41 angeordnete Darbringung der beiden Lämmer mit ihren Begleitopfern zunächst grundlegend als Brandopfer ( )עלהdefiniert, die damit an den in Ex 29,18 skizzierten Funktionen und Intentionen dieses Opfertyps teilhat und auch vom konkreten Vollzug her diesen entspricht. Dementsprechend wird sie als „Feuergabe für JHWH“ ( ;אשה ליהוהEx 29,18c.41c) qualifiziert, womit einerseits – über den Anklang des Nomens אשהan ‚( אשFeuer‘) – ein Hinweis auf das (vollständige) Verbrennen der Gabe als Modus der Übereignung an JHWH bzw. als transformierender Akt mitzuhören ist. Andererseits aber sind der Vorgang des (Über-)Gebens und die mit diesem verbundene Intention, an JHWH geben zu wollen, entscheidend. Die Wendung ‚( לריח ניחחzum beruhigenden Duft‘; Ex 29,28c.41) hingegen weist vorrangig auf die intendierte Wirkung des Opfervollzugs hin: Der Akt des Gebens ist als Huldigung (bzw. ggf. auch als „Beruhigen“) JHWHs zu fassen und antizipiert so eine positive Reaktion bzw. Antwort JHWHs. Als in diesem Sinne verstandene Gabe erweist sich das BrandopferTamid (bzw. generell das Brandopfer) als Kommunikation zwischen Israel und JHWH, wobei das Ritual als eine von JHWH selbst bereitgestellte und normierte Möglichkeit für Israel zu verstehen ist, in eine gelingende Interaktion mit JHWH einzutreten. [→ S. 186–188; 195–200] b) Weiterführende Interpretationen in Ex 29,38–46 In Ex 29,38–46 wird die Interpretation des Brandopfer-Tamids als Form der (kultischen) Kommunikation mit JHWH zunächst im Kontext der differenzierten „Ortsangabe“ in Ex 29,42 weiter entfaltet. So wird der Vollzug am Eingang des Zelts der Begegnung verortet – der Altar selbst wird hier interessanterweise nicht ausdrücklich genannt –, an jenem Ort also, an dem letztlich das gesamte in Ex 29,1–37 angeordnete Initiationsgeschehen stattfindet. Dabei ist aus diesem Text ersichtlich, dass der „Eingang zum Zelt“ letztlich den gesamten Vorhof („alles außerhalb des Zelts“) umfasst und somit auch den Brandopferaltar mit einschließt. Zugleich aber deutet die Benennung als „Eingang des Zelts“ eine Ausrichtung des (Kult-)Raums auf das Zelt hin an. Wie in Ex 29,11 ist in Ex 29,42a das Stichwort פתח אהל מועדzudem mit der Wendung לפני יהוהverbunden, die eine (nicht nur räumlich zu denkende) Relation desjenigen Orts, an dem das Tamid darzubringen ist, zur Gegenwart JHWHs anzeigt. Dieses bereits aus Ex 29,1–37 zu erhebende und von dorther eingespielte Raumkonzept des „Eingangs zum Zelt“ wird nun in Ex 29,42aR– aRI über die Bezugnahme auf Ex 25,22 und das dort (bzw. genauer in Ex 25,[16.]21–22) entfaltete Raumkonzept des Begegnungsraums an der Lade in solcher Weise spannungsvoll erweitert, dass auch der „Eingang des Zelts“ als
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Begegnungsraum synthetisiert werden kann. Dieser wird durch JHWH, der dort(hin) begegnet, sowie durch (Gesamt-)Israel, das durch den Akt des Gebens am Kultort repräsentiert ist, konstituiert. Das im faktisch unzugänglichen und damit nicht direkt in Kultvollzüge einbeziehbaren Zentrum des Heiligtums platzierte, mit der Kapporet und der Lade verbundene Raumkonzept einer „sinaiförmigen“ Präsenz JHWHs, die sich im Begegnen und Sprechen zu Mose ereignet (vgl. Ex 25,22), wird somit – in absichtsvollen Brechungen (JHWH begegnet Israel, nicht Mose) – auf den Eingang des Zelts „übertragen“. Dort realisiert es sich im Vollzug des Tamid, bei dem der Idee nach ganz Israel als im Akt des Gebens präsente Größe vorausgesetzt ist. Ergänzend dazu deutet Ex 29,42 für den Begegnungsraum am „Eingang des Zelts“ eine „Sinaiförmigkeit“ an, wie sie in Ex 25,22 zunächst dem Begegnungsraum an der Lade zugeschrieben wird. Die im regelmäßigen Kult konstituierte Gemeinschaft von JHWH und Israel ist somit grundsätzlich dem Sinaigeschehen nachgestaltet. Wesentlich hierfür ist das in Ex 29,42aRI (vgl. auch Ex 25,22b!) thematisierte Sprechen JHWHs zu Mose. Dabei ist in Ex 29,42 wohl kein (regelmäßiger) Offenbarungsempfang des Mose im Blick, zumal Mose bei einem generationsübergreifenden Vollzug des Tamid als Akteur bald ausscheidet. So dient der Hinweis auf das Reden zu Mose wohl primär dazu, eine „Sinaifiguration“ zu generieren, er kann darüber hinaus aber auch andeuten, dass das zu Mose Gesprochene, d.h. die von Mose übermittelte Tora (als konstitutive Grundlage des Verhältnisses zwischen Israel und seinem Gott), grundsätzlich Bestandteil des „sinaiförmigen“ Begegnungsraums zwischen dem Volk und JHWH ist. Im Gegensatz zu dem nach dem Tod des Mose faktisch nicht mehr realisierbaren Raumkonzept aus Ex 25,[16.]21–22 kann sich somit das in Ex 29,42 angedeutete – angesichts der angeordneten, generationsübergreifenden Regelmäßigkeit – als ein institutionalisiertes erweisen. [→ S. 237–249] Die Israelbegegnung JHWHs, die damit in Ex 29,42 als das zentrale Anliegen bzw. die zentrale Funktion des Tamid herausgestellt ist, wird schließlich in Ex 29,43–46 in zwei Anläufen (vgl. V.43–44.45–46) weiter entfaltet und theologisch eingehender reflektiert. Dazu nimmt Ex 29,43a als Eröffnung der ersten Untereinheit (V.43–44) nochmals die zentrale Aussage aus Ex 29,42aR auf, wonach JHWH Israel am Eingang des Zelts (im Vollzug des Tamid) begegnend entgegenkommt, was in V.43b–44 durch die Thematik der Heiligkeit vertieft wird. So fokussiert Ex 29,43b zunächst – anknüpfend an V.43a – auf die regelmäßige Darbringung des Brandopfer-Tamid, in dem sich (immer wieder) der Eingang des Zelts als Ort dieser Darbringung als heilig erweist. Der damit verbundene Rekurs auf die „Herrlichkeit (JHWHs)“ (vgl. )כבדיdeutet einen Zusammenhang zwischen dem täglichen Brandopfer und dem ersten Gottesdienst Israels am Sinai an. Das Tamid wiederholt und macht immer wieder neu erfahrbar, was im ersten Gottesdienst im Sichtbarwerden der Herrlichkeit JHWHs vor dem Volk (vgl. Lev 9,23) sinnenfällig wurde:
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die Gegenwart JHWHs im Kult sowie die Akzeptanz der Gaben Israels, d.h. das „Funktionieren“ der kultischen Kommunikation (unter der Voraussetzung, dass der Kult gemäß der Weisung JHWHs stattfindet). [→ S. 250–259] Daran kann Ex 29,44 insofern anknüpfen, als hier – mit der in der Tora singulären Rede vom heiligenden Handeln JHWHs an Heiligtum und Priestern – der Blick v.a. auf ein „Gründungsgeschehen“, die Weihe des Heiligtums, gelenkt wird. Der Vers verbindet die seit der Weihe gegebene grundsätzliche „Funktionsfähigkeit“ des Heiligtums und seines Kultpersonals (‚Heiligkeit‘) mit dem Handeln JHWHs bzw. führt sie auf dieses zurück. JHWH selbst gewährleistet somit das Gelingen der kultischen Kommunikation am Eingang des Zelts der Begegnung. [→ S. 259–260] Ex 29,45a hingegen – als Auftakt zur zweiten Untereinheit (V.45–46) – führt das Motiv der regelmäßigen Israel-Begegnung JHWHs am Eingang des Zelts insofern weiter, als in der Rede vom „Wohnen“ ( )שכןJHWHs inmitten Israels eine abstrahierende und generalisierende Gesamtschau auf dieses entwickelt wird. Ex 29,45b–46 entwirft darauf aufbauend eine bundes- (und geschichts-)theologische Perspektive auf das „Wohnen“, wenn Ex 29,45b die Formulierung der (eingliedrigen) Bundesformel aus Gen 17,(7.)8 aufnimmt und so zunächst auf den Väterbund anspielt. Fortgeführt wird dies in den „’anī JHWH-Aussagen“ (אני יהוה אלהיהם, ‚Ich bin JHWH, ihr Gott‘) in V.46b.c, die über die Selbstprädikation JHWHs als „ihr [= Israels] Gott“ ( )אלהיהםnochmals den eigentlichen Inhalt des Väterbundes, das „Gott-Sein“ JHWHs für Israel (vgl. Gen 17,7aI), herausstellen. Dieses aber – so der Text – wird konkret und erfahrbar im Wohnen JHWHs inmitten Israels, d.h. im regelmäßigen (institutionalisierten) Begegnen am Eingang des Zelts. In Ex 29,46b–bRI schließlich wird das in dieser Weise verstandene Wohnen zugleich auch als Ziel des Exodushandelns JHWHs ausgewiesen, das sich freilich – mit Ex 6,2–8 – ebenfalls durch den Väterbund motiviert. [→ S. 260–279] Auffällig ist dabei, dass Ex 29,45–46 die in Gen 17; Ex 6 die im Zusammenhang mit Bund und Exodusthematik zentrale Landverheißung völlig ausblendet bzw. anstelle des Landes (d.h. der Einlösung der Landverheißung an die Väter) das Wohnen als Ziel des Exodus bzw. als Konkretion des Bundes profiliert.
Als der zentrale Gedanke in Ex 29,41–46, auf den alle anderen Deutungsansätze bezogen sind, erweist sich somit die Interpretation des Tamid als regelmäßiges und (über die rekursive Verankerung in der Weisung JHWHs und dem gemäß dieser Weisung konstituierten Heiligtum) institutionalisiertes Konstituieren eines Begegnungsraumes am Eingang des Zelts, in dem JHWH (ganz) Israel gegenübertritt, „begegnet“. Ein in dieser Weise als Beziehungsgeschehen gefasstes Tamid ist nun – wie in Ex 29,38–46 vielfach angedeutet wird – auch transparent für die Beziehungsgeschichte zwischen JHWH und Israel bzw. v.a. auf die entscheidenden Grundlegungen dieser Beziehung hin:
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(1.) Über die Rekurse auf den Väterbund v.a. in Ex 29,45b–46 wird der Anfangspunkt der Israelbeziehung JHWHs eingefangen, wobei das im Bundesschluss zugesagte „Gott-Sein für“ wesentlich im regelmäßigen Begegnen im Rahmen des Kults realisiert ist. [→ S. 260–279] (2.) Ex 29,46b–bRI verweist auf das – v.a. von Gen 17,4–8 und Ex 6,2–8 her gedeutete – Exodusgeschehen, das konzeptionsgemäß im Wohnen JHWHs sein eigentliches Ziel findet. [→ S. 260–279] Verbunden damit lassen sich in den Vorschriften in V.38–41 Anklänge an die Schlachtung des Pesach finden – für das Tamid wie für das Pesach sind einjährige (männliche und makellose) Schafe (vgl. Ex 12,5; 29,38) zu verwenden, wobei (nur!) das Abend-Tamid und das Pesach jeweils בין הערביםgeschlachtet werden. So können die Vorschriften zum Brandopfer-Tamid – obgleich sie alles andere als ein „tägliches Pesach“ implementieren – doch auf die Pesachtora anspielen und so letztlich den Zusammenhang zwischen Tamid und Exodusgeschehen unterstreichen.
(3.) Rekurse auf das Sinaigeschehen ergeben sich zunächst in Ex 29,42 durch die „sinaiförmige“ Ausgestaltung des Begegnungsraums am Eingang des Zelts (vgl. das Reden JHWHs zu Mose durch das die Tora selbst Teil des Begegnungsraums wird), daneben aber auch durch die Korrelation des Tamid-Vollzugs mit dem ersten Gottesdienst am Sinai (vgl. Lev 9), der im Sichtbarwerden der Herrlichkeit JHWHs seinen Höhepunkt findet. Des Weiteren kann die Aufnahme von Ex 29,18 in Ex 29,41 das regelmäßige Brandopfer als wiederholte Fortführung der (einmaligen) Kultinauguration am Sinai deuten, während die Rede vom „Machen“ ( )עשהdes Tamid den regelmäßigen Kultvollzug im Heiligtum mit dem einmaligen, am Sinai verorteten Prozess der Herstellung ( )עשהdesselben korreliert. [→ S. 186–188] Mit dem zuletzt genannten Punkt korrespondiert, dass das Wohnen JHWHs inmitten Israels, in dem Ex 29,45a das regelmäßige Begegnen im Kult zusammenführt, bereits in Ex 25,8 als Ziel bzw. Sinn des Heiligtumsbaus ausgewiesen wird: Das Heiligtum ist somit letztlich auf das Brandopfer-Tamid (bzw. weiter gefasst auf die in Ex 27–30 beschriebenen Tamid-Vollzüge) hin angelegt und findet erst in ihnen seinen eigentlichen Sinn.
(4.) Bezüge zur Erzählung von der Gabe des Manna in der Wüste (Ex 16,1– 36) sind einmal durch das Einspielen von Ex 16,6(.12) in Ex 29,46 gegeben, andererseits aber sind in Ex 16 diejenigen Zeitpunkte des Tages, an denen das Tamid darzubringen ist – der Morgen ( )בבקרund „zwischen den Abenden“ ( – )בין הערביםmit dem Versorgt-Werden durch JHWH und dem Erkennen Israels verbunden, so dass angesichts der Bezüge zwischen Ex 29,38–46 und Ex 16 das Tamid auch auf die prägenden (Gottes-)Erfahrungen Israels in der Wüstenzeit hin transparent ist. [→ S. 279–292] Ex 29,38–46 spielt also letztlich den gesamten „Kanon“ der Gründungsereignisse Israels und damit die auf Dauer hin prägenden Grundlagen israelitischer Identität ein und verbindet sie mit dem Begegnungsgeschehen im Vollzug des
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regelmäßigen Kultes, in dem so zugleich auch die Beziehungsgeschichte zwischen JHWH und Israel „präsent“ wird. Israel wird im Tamid regelmäßig in seine Ursprünge hineingestellt bzw. kann sich stets neu in diesen verankern und dadurch seine Identität als Bundesvolk JHWHs absichern. Verbunden damit ist auch eine Memorialfunktion des Tamid gegeben, die den Ort des Kultgeschehens (wie bereits in Ex 16,34 vorbereitet) zugleich auch in einen Erinnerungsort der Gründungsgeschichte Israels transformiert. c) Weiterführende Interpretationen in Num 28,3–8 Eine etwas andere Schwerpunktsetzung ist in Num 28,3–8 gegeben. Hier wird Ex 29,43–46 nicht explizit aufgenommen, umgekehrt aber lässt der Text Raum für diejenigen Lesenden, die die breiten Überscheidungen im Wortlaut zwischen Ex 29,38–42 und Num 28,3–8 wahrnehmen, die dort dargestellten theologischen Horizonte einzuspielen. Bemerkenswert ist allerdings, dass die in Ex 29,42 entfaltete und den Abschnitt Ex 29,43–46 durchziehende Raumkonzeption in Num 28,3–8 deutlich in den Hintergrund tritt. Stattdessen sind in Num 28,3–8 folgende Punkte bedeutsam: In Num 28,6 finden sich – wie in Ex 29,42 – die qualifizierenden Wendungen ‚( לריח ניחחzum beruhigenden Duft JHWH]‘) und ‚( אשה ליהוהFeuergabe für JHWH‘) sowie die Klassifizierung des Vollzugs als עלת תמיד. Letztere aber ist mit der partizipialen Wendung ‚( העשיה בהר סיניdas am Berg Sinai Gemachte‘) verbunden, die – innerhalb eines der Fabel der Tora zufolge im Land Moab vor der Landnahmegeneration offenbarten Gesetzeskorpus – auf den Sinai zurückverweist. Auf diese Weise wird zunächst das Offenbarungsgeschehen am Berg Sinai in Erinnerung gerufen, in dem auch die in Num 28,3–8 aufgenommene Tamid-Vorschrift aus Ex 29,38–42 ihren Ort hat, und so der Rekurs auf diesen Text zusätzlich untermauert. Daneben aber kann die Rede von einem am Berg Sinai „gemachten“ ( )עשיהTamid auch auf eine am Sinai beginnende Kultpraxis hinweisen und so Texte wie z.B. Lev 9,17 (oder Ex 40,29) in Erinnerung rufen, die erste Darbringungen des BrandopferTamids thematisieren. Wenn somit das Tamid in der Textwelt (im Land Moab) bereits (vom Sinai an) geübte Praxis ist, ordnet Num 28,3–8 letztlich einen Vollzug an, der bereits praktiziert wird, während die ab Num 28,9 folgenden Festtagsopfer erst durch den Opferkalender präzise taxiert und damit durchführbar gemacht werden. Num 28,6 betont somit letztlich ein zeitliches „Prä“ des Tamid im Vergleich zu den Festtagsopfern, das mit einer auch in der Verhältnisbestimmung der Opfervollzüge angelegten Vorordnung korrespondiert. Letztere wird in Num 28–29 insofern greifbar, als die TamidRekurse in den Abschnitten zu den einzelnen Festen in all ihren unterschiedlichen Formulierungsvarianten jeweils verdeutlichen, dass die Festtagsopfer ergänzend bzw. zusätzlich zum täglichen Brandopfer dargebracht werden, also eine für den Festtag spezifische Erweiterung desselben darstellen (vgl.
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dazu auch Lev 9,17). Entsprechend ist das Brandopfer-Tamid als das (zentrale) kommunale Opfer herausgehoben und rückt so ins Zentrum aller Kultvollzüge am Eingang des Zelts der Begegnung. Zugleich aber wird es als kontinuitätsstiftendes Element ausgewiesen, das den praktizierten Kult späterer Generationen mit dem Gründungsgeschehen am Sinai verbindet und in diesem begründet. [→ S. 500–504] Eine besondere Gewichtung des Tamid (auch im Verhältnis zu den Festtagsopfern) wird schließlich auch in Num 28,3 betont, wo es als die אשה (‚Feuergabe‘) schlechthin qualifiziert wird. Mit Num 28,2c–cI ist das Brandopfer-Tamid damit aber auch die „Speise JHWHs“ (vgl. )לחמיschlechthin. Dies wiederum hat zur Folge, dass die in Num 28,2c–cI über das Stichwort ‚( לחםBrot, Speise‘) eingebrachte Mahlmetaphorik v.a. mit dem Tamid zu verbinden ist. In Num 28,3–8 wird dies insofern untermauert, als hier – entgegen der Zuordnung in Ex 29,38–41 – das Brandopferlamm und die Begleitminḥā gemeinsam (!) als „regelmäßiges Brandopfer“ ( )עלת תמידbzw. als die „Feuergabe für JHWH“ ( )אשה ליהוהbestimmt werden (vgl. Num 28,6a), während das Trankopfer ein Stück weit abgesetzt als eigenständige Größe gefasst ist (vgl. Num 29,7a). In Num 28,7b wird es als „Rauschtrank für JHWH“ ( )שכר ליהוהqualifiziert, der zusammen mit der „Feuergabe“ ()אשה, d.h. gemeinsam mit der „Speise“ (vgl. Num 28,2c–cI) aus Brandopfer und minḥā, das „Festmahl“ komplettiert. Ein für Num 28,3–8 eigentümliches Motiv ist es somit, den Tamid-Vollzug als „Bewirten“ JHWHs (durch Israel) zu interpretieren – und damit als einen Vorgang, der einerseits eine hierarchisch gefasste Relation von Gott und Volk als „Herr“ und „Diener“ inszeniert, andererseits aber auch („abgesichert“) Kontakt und Kommunikation herstellen kann. [→ S. 478–486; 498–500; 505–510]
3. Das Altarfeuer In Lev 6,2–6 ist zunächst weniger das regelmäßige Brandopfer selbst im Blick, sondern v.a. der Altar und dessen (durchgehend zu garantierende) Funktionsfähigkeit, die ihrerseits für einen regelmäßigen Kultvollzug unabdingbar ist. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem allmorgendlichen Reinigen des Altars von den Ascheresten der Opfer des Vortags (Lev 6,3–4), das Lev 6,5c mit dem Nachlegen von neuem Brennholz verbindet, durch das ein Verlöschen des Feuers verhindert werden soll. Zugleich ist dieser „Reinigungsvorgang“ in Lev 6,5 auch als „Vorlauf“ zum Morgen-Tamid – und damit letztlich als „Erweiterung“ desselben – profiliert. So bietet Lev 6,1–6 einmal eine „Ausgestaltung“ der Anweisungen zum Brandopfer-Tamid, dient darüber hinaus aber auch der Verhältnisbestimmung zwischen dem täglichen Brandopfer und den freiwilligen bzw. individuellen Opfern der Israeliten, die in der Opfertora (Lev 1–7) behandelt werden. So wird deutlich, dass das Morgen-Tamid als erstes (Lev 6,5) und das Abend-Tamid als letztes Opfer
C. Kultinauguration
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des Tages (vgl. Lev 6,2) dargebracht werden, während die restlichen Opfer dazwischen – also gleichsam innerhalb der durch die beiden Teilvollzüge des Tamid gebildeten „Klammer“ – ihren Platz finden. [→ S. 531–539] 4. Das Opfer des Gesalbten Priesters Ein weiterer Tamid-Vollzug am Brandopferaltar ist das Speiseopfer des Gesalbten Priesters (Lev 6,12–16), das am Morgen und am Abend dargebracht wird, so dass seine Ausführung mit den Teilvollzügen des Brandopfer-Tamids verbunden ist. Sie umfasst 1/10 ’ēfā Feinmehl, dessen Darbringung auf die beiden Teilvollzüge des Tages aufzuteilen ist. Pro Tageszeit ist somit die halbe Mehlmenge des Begleitopfers des Brandopfer-Tamids darzubringen. Abgesehen von der Menge unterscheiden sich die beiden Speiseopfer auch durch die Art und Weise ihrer Zubereitung, da die Begleit-minḥā aus Feinmehl besteht, das mit Öl vermischt, aber nicht weiter verarbeitet wird, während die Gabe des Gesalbten Priesters in der Pfanne gebraten und in Stücke zerbrochen dargebracht wird. Diese klare Differenzierung kann einem Verwechseln oder Vermischen von zwei unterschiedlichen, hinsichtlich der verwendeten Materie und der Art und Weise der Darbringung aber prinzipiell vergleichbaren Vollzügen vorbeugen, die zudem zur gleichen Zeit stattfinden. Dargebracht wird die Gabe zuerst am Tag der Salbung. Sie ist zunächst also ein in Ex 29,1–35 nicht erwähnter Bestandteil des Weiherituals des Gesalbten Priesters, wird vom Tag der Weihe an aber auch an jedem weiteren Tag in gleicher Weise dargebracht. Ansonsten bleibt sie in vielen Punkten rätselhaft, da Lev 6,12–16 keine weiterführende Deutung und Interpretation bietet. [→ S. 545–549]
C. Kultinauguration C. Kultinauguration
Den präskriptiven Texten zu den unterschiedlichen Tamid-Vollzügen, auf denen innerhalb der Tora ein deutliches Schwergewicht liegt, stehen in Ex 40,17–33; Lev 8–10; Num 7,1–8,4 narrative Texte gegenüber, in denen u.a. auch die Ausführung von Tamid-Handlungen konstatiert wird. Gemeinsam ist diesen narrativen Texten, dass sie die Kultinauguration aus unterschiedlichen, komplementären Perspektiven heraus beschreiben, also „Gründungsgeschehen“ thematisieren. Innerhalb der Grundlegung des Kultes im Heiligtum finden auch (erste) Umsetzungen der Tamid-Vorschriften ihren Platz, wenn Lev 9,17 die erste (reguläre) Ausführung des Brandopfer-Tamids im Kontext des ersten feierlichen Gottesdienstes am Sinai durch Aaron andeutet und Lev 9,23 zudem nahelegt, dass Mose nach Abschluss der Opfer am Altar Aaron auch in die Vollzüge im Inneren des Zeltes einführt. Ergänzend dazu hält schließlich Num 8,3 den Beginn des (regulären) Dienstes am Leuchter fest.
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Neben den regulären ersten Tamid-Handlungen (jeweils durch Aaron) aber, die zum Abschluss der Kultinauguration ihren Platz finden, erwähnen die Verse Ex 40,23.25.27.29 eine „irreguläre“ Ausführung der Vollzüge an Tisch, Leuchter und den beiden Altären durch Mose, die unmittelbar mit dem Aufstellen der jeweiligen Geräte verbunden ist und den engen Zusammenhang zwischen der räumliche Konstitution des Heiligtums und seiner Funktion als Kultraum verdeutlicht. In allen Fällen aber – den (ersten) „regulären“ und den „irregulären“ – liegt ein deutlicher Schwerpunkt der Texte darauf, mit unterschiedlichen Strategien die „Torakonformität“ der Vollzüge herauszustellen. So fungiert zunächst Mose selbst in Ex 40,23.25.27.29; Lev 9,23 als Garant einer „torakonformen“ Ausführung, während die Gebotsformeln ( )כאשר צוה יהוה את־משהin Ex 40,23.25.27.29; Num 8,3 die Übereinstimmung zwischen dem durch JHWH Gebotenen und dem durch Israel Praktizierten herausstellen. Zuletzt zeigt auch die Theophanie, mit der der erste feierliche Gottesdienst am Sinai in Lev 9,23–24 endet, die Annahme der Gaben Israels durch JHWH an und bestätigt damit eine Ausführung des Kultes, die dem Willen JHWHs entspricht. Zugleich ist festzuhalten, dass in keinem der genannten Texte die Ausführung eines Tamid-Vollzugs ausführlich dargestellt wird. Es finden sich lediglich knappe Notizen, die konstatieren, dass Mose bzw. Aaron eine Kulthandlung ausführt (und darin den Vorgaben JHWHs folgt). Somit bieten die narrativen Texte keine zusätzlichen Informationen (z.B. zur praktischen Ausführung), die über das in den präskriptiven Texten Festgehaltene hinausgehen, während umgekehrt Elemente wie z.B. die Gebotsformel von den narrativen auf die präskriptiven Texte zurückverweisen und so deren Bedeutung betonen. Das Tamid bleibt damit auch in den erzählenden Texten letztendlich Gegenstand eines „Imperativs“. Ein zweiter zentraler Gedanke der narrativen Tamid-Texte, der aber ebenfalls auch in den präskriptiven Texten greifbar ist und das dort angedeutete unterstützt, ist die Stilisierung des Tamids als „Sinaispolie“. Als einziges Element des Gründungsgottesdienstes, das nach dem Sinai noch in gleicher Weise ausgeführt wird, verbindet das Tamid den in den Generationen praktizierten Kult mit dem Gründungsgeschehen am Sinai und erfüllt damit eine kontinuitätstiftende Funktion. [→ S. 348–402]
D. Zusammenfassende Deutung D. Zusammenfassende Deutung
Der abschließende Überblick über die in dieser Studie näher untersuchten Texte zeigt, dass letztlich allen in der Tora behandelten Tamid-Vollzügen gemeinsam ist, dass sie – auf je eigene Art und Weise – darstellen und erinnern, was Israel vor JHWH ist bzw. sein soll. Sie erweisen sich gleichsam als „Reservoire“ einer theologisch fundierten Israel-Identität, die in einem re-
D. Zusammenfassende Deutung
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gelmäßigen Rhythmus, der zugleich eine spezifische Zeit Israels generiert, im Heiligtum, dem „Zentrum“ Israels, (re-)inszeniert wird und auf diese Weise in der regelmäßigen Begegnung Israels mit JHWH zugleich auch dem Absichern eines „Kanons“ zentraler Elemente dieser Israel-Identität dient. Interessant – und für moderne Lesende wohl auch befremdlich – ist, dass dies im Rahmen eines kultischen Vollzugs geschieht bzw. geschehen soll. Dabei entsprechen den beiden herausgearbeiteten Ausformungen eines Kultes im „Heiligen“ und am Brandopferaltar zwei miteinander korrespondierende Bewegungen. Wird nämlich der regelmäßige Kult im „Heiligen“, an Leuchter, Goldenem Altar und Tisch, im Modus eines „Hineinkommens“ ( ;בואvgl. z.B. Ex 28,29.30.35) vollzogen – Aaron begibt sich in den Raum „vor“ der Gegenwart JHWHs hinein, vollzieht die in der Tora vorgeschriebenen Kultakte und bringt durch sie die Hinordnung Israels auf JHWH selbst zum Ausdruck –, findet sich beim Tamid am Brandopferaltar eher die „Gegenbewegung“. Hier ist die JHWH-Begegnung im Kultvollzug als ein „AufIsrael-zu-Kommen“ gestaltet, in dem in verdichteter Weise die Beziehungsgeschichte JHWHs mit Israel gegenwärtig wird. Beide Bewegungen verschränken sich in den Texten zu einem Kultgeschehen, das die Gemeinschaft und Interaktion zwischen JHWH und Israel im symbolischen Ausdruck der kultischen Handlungen (regelmäßig) vollzieht und so zu einer festen Institution macht, die Israels Existenz durch die Generationen hindurch bestimmt. Auffällig ist zuletzt, dass die (meisten) Textpassagen mit den TamidVorschriften (im engeren Sinne), obgleich sie natürlich Anweisungen zu Kultvollzüge enthalten, doch ausdrücklich nicht als Ritualanweisungen gestaltet sind. So bieten sie – im Unterschied zu Texten wie beispielsweise der Opfertora in Lev 1–7 oder auch den Anweisungen zu den Opfern der Priesterweihe (Ex 29,10–28) – wesentliche Elemente, wie z.B. das Beschreiben von einzelnen Ritualschritten und Handlungsfolgen, ausdrücklich nicht. Was also genau zu tun ist und wie die geforderten Rituale zu vollziehen sind, ist aus den Texten selbst nicht erhebbar und – wenn überhaupt – nur beim Brandopfer-Tamid über die Anweisungen in anderen Texten (vgl. Ex 29,15– 18; Lev 1) herzuleiten. Lediglich die wesentlichsten Handlungsschritte werden angedeutet, präzisere Angaben aber fehlen. Darüber hinaus zeigen die Texte kein Interesse daran, Vollzüge, die – einerseits im „Heiligen“, andererseits am Brandopferaltar – letztlich zur selben Zeit bzw. in großer zeitlicher Nähe zueinander stattfinden, auch explizit zu einem „Gesamtritual“ zu verbinden. So bleibt es letztlich den Lesenden überlassen, ein solches zu rekonstruieren (wie z.B. in mTam geschehen), „forciert“ aber wird dies von den Texten der Tora nicht. Dem markanten Zurücktreten der Ritualbeschreibungen steht jedoch eine deutliche Schwerpunktsetzung zugunsten der theologischen Deutung und Interpretation gegenüber. Wesentlich hierfür sind u.a. die vielfältigen intertextuellen Bezüge zu anderen Texten und Kontexten der Tora, die zur Interpretation des Tamid-Vollzugs eingespielt werden und dabei
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eine Vielzahl von Sinnpotenzialen eröffnen. Damit erweisen sich die TamidTexte letztlich als Literatur: Es sind Texte, die darauf hin angelegt sind, gelesen und studiert zu werden, und die die Lesenden zum Nachvollziehen der intertextuellen Bezüge und der in diesen aufscheinenden theologischen Sinnlinien animieren wollen. Ein „einfaches“ Verstehen als konkrete Handlungsanweisung aber, deren Pragmatik allein darin besteht, ein bestimmtes Handeln vorzuschrieben und zu normieren, wird hingegen nicht nur durch die angesprochenen „Lücken“ „blockiert“, sondern auch durch eine Vielzahl von „Brechungen“ im Text, die die Lesenden von einer konkreten Umsetzung des Vorgeschriebenen distanzieren. So ist beispielsweise – auch zu einer Zeit in der der Tempel noch existiert – das Darbringen eines kommunalen Opfers dem Einzelnen letztlich entzogen bzw. durch ihn bestenfalls indirekt umsetzbar (z.B. im Abführen einer „Tempelsteuer“, aus der die Ausgaben des Heiligtums finanziert werden, von der Ex 25–31 interessanterweise aber nichts weiß). Ein weiteres distanzierendes Moment ist die Lozierung im (außerhalb der Textwelt) nicht existenten Zelt der Begegnung, das – obgleich es als Chiffre für den „real existierenden“ Tempel interpretiert werden kann – nicht vollständig mit diesem zur Deckung zu bringen ist und so eine fiktionale Größe bleibt.3 Das (regelmäßige) Opfer wird somit von einem Gegenstand konkreter religiöser Praxis, der es wohl war, wenngleich die konkrete Form aus der Tora heraus nicht zu erheben ist, zu einem Inhalt theologischer Reflexion und zwar in einem Text, der sich als Teil eines übergreifenden literarischen Zusammenhangs ausweist, in dem und von dem her er gelesen, studiert und interpretiert werden will. Spannend aber ist dabei, dass die „Theologisierung“ des regelmäßigen Opfers, wie sie in den entsprechenden Toratexten greifbar wird, gerade nicht in ein „Spiritualisieren“ des Kultes einmündet: Der praktische Vollzug wird nicht explizit aufgehoben, für unnötig oder unmöglich erklärt, in „innerliche Frömmigkeit“ aufgelöst oder durch Allegorese oder Typologie „umgeformt“. Vom Duktus der Texte her – immerhin sind es Befehle JHWHs, die einzelnen Tamid-Vollzüge zu tun – bleibt die Kultpraxis der wesentliche Bezugspunkt, selbst wenn die Anweisungen selbst intendiert „unvollständig“ bleiben; sie allein ist der Ausgangs- und Haftpunkt der komplexen theologischen Reflexion, die die Texte entfalten. Dies wiederum hat zur Folge, dass selbst für diejenigen, die die Anweisungen als Kultvorschrift umsetzen können, zum kultischen Handeln immer auch das Textstudium gehören muss,4 während umgekehrt letzteres im Bedarfsfall (einer tempellosen Zeit) ggf. auch ohne eine „real-existierende“ Praxis funktionieren kann. Damit aber ist in den Tamid-Texten bereits die spätere rabbinische Konzeption grundgelegt, der zufolge in tempelloser Zeit die Opfertexte der Tora – im 3 4
Vgl. ähnlich LISS, Kanon (v.a. 30–33). Vgl. ähnlich LISS, Kanon (v.a. 32–33).
D. Zusammenfassende Deutung
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Gottesdienst gelesen und im Lehrhaus studiert – als Äquivalent für den „realen“ Vollzug der Opfer und Rituale im Tempel fungieren. Diese Idee – z.B. aus der im Vorwort zitierten Talmud-Stelle bTaan 27b – zeichnet aus, dass sie den biblischen Anweisungen ihren Imperativ belässt bzw. sie in diesem ernst nimmt, zugleich aber auch deren eigentlicher Pragmatik gerecht wird, die Lesenden zum Nachdenken über das Verhältnis und die Beziehungsgeschichte zwischen Israel und seinem Gott, letztlich also über die religiöse Identität Israels (ver)führen, darin aber auch einen Raum eröffnen zu wollen, in dem den Lesenden in Israel diese Begegnung (im Lektürevorgang) zugänglich wird. Dass dies aber nicht nur am Heiligtum, sondern auch im Lehrhaus geschehen kann, ist letztlich schon durch Ex 29,42 vorbereitet, wenn dort das „Sprechen zu Mose“, d.h. im Letzten die Tora als Wort JHWHs an Israel (vgl. Ex 25,22), buchstäblich „mitten“ in dem skizzierten Begegnungsraum zwischen JHWH und Israel verortet wird.
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Stellenregister Genesis 1,2 1,3–5 1,3 1,4 1,5 1,14–19 1,14–15 1,14 1,15 1,16–18 1,16 1,17 1,18 1,19 1,28 2,2–3 2,10–14 9,4 13,14–17 14,13 15,3–5 15,13–21 16,12 17,4–8 17,4–6 17,4 17,5 17,6 17,7–8 17,7 17,8 17,9–14 17,15 17,17 17,19–21 17,19
Stellenregister 17,20 17,21 54 22,9 54, 58, 64, 557 25,18 54, 59 26,5 54–56 29,1–30,24 54, 55, 58 31,1 55–58, 64, 557 35,16–20 55, 56 35,22 55–57, 473, 475 35,23–26 56–59 35,23 56 35,25 56, 58 35,26 56–59 45,13 56, 57 46,1–7 55 46,3–4 98 46,3 293 46,4 216 46,8–27 164 46,8 269 46,10–18 267, 268 46,15 269 46,19–22 269 46,20 267, 268 46,23–25 269–271, 275, 566 46,26–27 269, 270 46,26 269 46,27 269, 270 47,22 269 49,6 269–275 269, 270, 273, 447, Exodus 565 1,1–5 269, 270, 273, 274, 1,1 565 1,2–4 270 1,3 270 1,4 447 1,5 270 1,6–7 271
271 271, 273 40 267, 268 61 88 254 88 267 87, 89 87 87 87 254 85, 97 97 97, 98 97 85–88, 96–99 85, 86, 96 86 89 86 87, 97 86 87 89 85–87, 97 61 254
86–89, 96, 98 85, 86, 96, 98 86, 89, 98 86, 87, 89 87 86 99
592 1,6 1,7 1,9 3,7–10 3,8 3,14–15 3,17 6,2–8 6,2 6,3–5 6,6–8 6,6 6,7 6,8 6,12 6,14–25 6,23 6,26–27 6,30 7,1–2 12,1–2 12,5 12,10 12,14 12,16 12,22 12,37 15,24 16,1 16,2 16,3 16,4–12 16,4 16,5 16,6–12 16,6–7 16,6 16,7 16,8 16,9 16,10 16,11 16,12 16,13–15
Stellenregister 96, 98 98 98, 275 272, 277 272, 278 278 277 71, 261, 269, 271, 274–278, 414, 566 271 272–274 271–273 271–273, 276 272–277 271–274 50 71 71 45, 71 50 45 350 193, 194 53, 160 94 466 53 53 280 280 280 280, 282, 283 280, 284 281, 288, 292, 295 281, 287, 288 280 281–284 262, 279, 280, 285, 286, 289, 290, 321 280, 282, 289, 290 193, 281–286 285 255, 284–286, 289, 290 284 193, 279–286, 289, 290, 294, 321 286, 289
16,13 16,15 16,18 16,20 16,21 16,23 16,26 16,28 16,29 16,30 16,31 16,33–34 16,33 16,34 16,35 16,36 19,5–6 19,5 19,10 19,11–12 19,20–24 19,22 19,24 20,1–7 20,2 20,9–10 20,10 20,16 20,18–21 20,22 20,26 23,14–17 23,16 24,1 24,3–8 24,3 24,4 24,5 24,6 24,7 24,9–11 24,12–18 24,12 24,15–17 24,16–17 24,16
286 286 291 288 292, 321 121, 287, 293, 294, 438 287, 294 294 287, 292 288 286 45, 51, 291 51, 291 51, 291, 306–308 288 291, 292, 437 306, 319, 414 447 280 114 248 45 45 409 414 465 465 147 225, 245 225 126 457 457 45 45 225 90, 91, 101, 109 91 91 91 45, 70 15, 31, 263, 329, 410 15, 220, 225, 409 264, 324 255, 410 255, 263–265
Stellenregister 24,17 24,18 25,1–7 25,1 25,2–7 25,2 25,3–7 25,6 25,7 25,8–9 25,8 25,9 25,10–22 25,10–15 25,10–16 25,10 25,11 25,12–15 25,12 25,13 25,14 25,16 25,17–20 25,17 25,18–20 25,19 25,20 25,21
25,21–22 25,22
25,23–30 25,27 25,28 25,29 25,30
254, 258, 263 264, 503 339 16, 31, 324, 328, 330 33, 34, 340, 349 15, 16, 31–35, 292, 325–330 16, 33, 76, 84, 262 33, 34 84 346 16, 17, 33, 261–268 16, 17, 23, 263, 387 17, 218 27, 218 19, 299 17, 218–221, 224 219, 223, 301 225 219 220 220, 302 102, 218, 220–223, 230, 304 224 221 50, 222 17 18, 222–224 26–28, 49, 102, 218–224, 230, 304, 309, 310 28, 49, 63, 218, 230 18, 28, 48, 49, 201, 214, 218, 223–225, 230, 231, 241–248, 310–312, 382–385, 408, 559, 563, 564, 573 17, 19, 25–27, 299, 441 302 302 508 2, 19, 25–28, 46, 352, 364, 403, 433,
25,31–39 25,31 25,33–34 25,37
25,40 26,1–30 26,1–6 26,1 26,6 26,9–14 26,11 26,14 26,15 26,19 26,30 26,31–37 26,31–36 26,31–35 26,31–32 26,31 26,32 26,33–35 26,33 26,33–34 26,34–35 26,34 26,35
26,36–37 26,36 26,37 27,1–8 27,1–2 27,1 27,3
593 450–452, 517, 552, 553, 559 17, 18, 37, 39, 55, 386, 394–397, 429 18, 374, 430 395 18, 37–43, 52, 57, 64, 352, 388, 391– 394, 430, 431, 557 17, 23, 24, 30, 387, 396, 397 19, 20, 24, 350 19–21, 47, 228 19, 20, 78, 226, 227 228 47 22 20 228 228 17, 20, 23, 24, 30, 47, 387 21, 218, 226 24, 48, 95, 107 21, 63, 248 48, 226, 232 21, 50, 78, 227, 232 21, 228 21, 24, 226–229, 234, 302–304 21, 48, 227–230, 234–236, 303, 304 229, 231, 303, 335 303 49, 229, 230 22, 48, 49, 229– 232, 303, 309, 313, 392, 426, 441 21, 136, 226, 234, 238 21, 47, 77, 78, 232, 233, 238 21, 22, 228, 233 22, 24, 26, 30, 79, 234, 299 301, 302 22, 352 22
594 27,4 27,8 27,9–19 27,10 27,16 27,19 27,20–21
27,20
27,21
28,1–43 28,1–5 28,1 28,2–5 28,2 28,3–5 28,3 28,4 28,5 28,6 28,6–40 28,6–8 28,7 28,8 28,9–11
Stellenregister 22, 301 17, 23, 24, 30, 387 22–25, 233, 234 233 22, 77, 78, 233 22, 31, 233, 340 2, 28–31, 39, 43, 44, 46, 55, 57, 59, 78, 95, 110, 128, 130, 131, 187, 188, 192, 298, 299, 318, 386, 388, 390, 403, 419, 422, 423, 427, 432, 454, 517, 552, 553, 556, 557 5, 13, 31–43, 46, 47, 50, 52, 58, 59, 62, 63, 68, 70, 73, 74, 128, 130, 190, 317, 330, 342, 424, 425, 429, 431 5, 29, 33–36, 39– 54, 58–65, 68, 69, 96, 128, 130, 131, 156, 157, 187, 298, 309, 310, 317–319, 350, 352, 377, 388, 392, 393, 424–431, 461, 553, 555, 557 13, 29, 44, 65, 66, 128, 131, 553 29, 66–69, 75, 125 65–74, 92, 99, 128, 132–136 133 65, 72–75 65, 73 29, 65, 73–75, 128, 133, 343 65, 66, 73, 75, 117, 128, 345 65, 73, 76 73 29, 65, 66, 80 81 81, 83 81, 83 81, 83, 94
28,9–10 28,9 28,10 28,11 28,12
28,13–14 28,15–30 28,17–20 28,17–21 28,21 28,28 28,29–30 28,29 28,30
28,31 28,32 28,33–34 28,33 28,35 28,36–38 28,36 28,37 28,38 28,39–40 28,39 28,40 28,41
28,42–43 28,42 28,43
29,1–37 29,1–35 29,1–4 29,1–2 29,1
82–85, 92, 98, 443 84, 85, 88, 96 84, 88, 96 81, 89 82, 89, 93–96, 99, 107, 109, 112, 116, 128–130 82 80, 82, 90, 93 95, 108 83, 84 89–92, 100, 101, 109, 110 83 83, 91, 93, 106– 110, 116, 128, 554 94–96, 106–115, 122, 126, 129, 130 83, 92, 101–112, 115, 122, 126, 129, 130 77, 111 111 112, 113 78 111–116, 122, 126– 130, 317, 334, 375 117, 122, 123 117, 120, 121 117 118–124, 128–131 67, 77 66, 67, 76, 77 67, 73, 76, 77, 345 29, 65–69, 74, 125, 126, 133, 137, 139, 147, 259 67, 125, 531 125–127 61, 126–128, 132, 138, 154–157, 332– 334 13, 29, 65, 66, 132 29, 44, 356, 546 134, 136 135 29, 66, 69, 132– 134, 140, 142, 147,
Stellenregister
29,3 29,4–9 29,4 29,5–6 29,5 29,6 29,7 29,8–9 29,8 29,9 29,10–14 29,10 29,11 29,12 29,14 29,15–18
29,15 29,16 29,18 29,19–28 29,19–20 29,19 29,20–21 29,20 29,21
29,22–26 29,22 29,24 29,25 29,26 29,27–28 29,27 29,28 29,29–35 29,29
153, 173, 175, 185, 259 135 134, 137, 153, 354– 357 70, 135–140, 238, 239 137, 138, 356 137, 155 117, 137 138, 139, 178, 356 138, 356 137, 138 137–141, 144, 175 134, 142, 161, 162, 171, 174, 178, 179 143, 154, 172, 238, 239 201, 238–240, 563 145–147, 239 143, 172, 174 134, 142, 143, 174, 175, 186, 191, 199, 200 143 146 143, 150, 174, 198– 200, 563, 566 134, 144, 153, 175, 177, 520 145, 175 145 153, 154 145–147, 154, 175, 176 133, 134, 139, 140, 145, 147, 153, 154, 159, 175–177 141, 148, 175 144, 149, 150 141, 149, 152 150, 152, 198 148–151 150, 155 151, 152 152 134, 154, 155 155–157
29,30 29,31 29,32 29,33–34 29,33 29,34 29,35 29,36–37
29,36
29,37
29,38–46
29,38–42
29,38–41 29,38
29,39 29,40
29,41
29,42
29,43–46
595 156, 157 158 158–160, 239, 241 158, 159 159–162 52, 160 52, 156–160 16, 29, 30, 134, 135, 147, 159–162, 172–179, 185, 259, 299, 325–328, 366 48, 140, 161, 162, 167–173, 176–191, 335 173, 176, 180, 236, 241, 299, 331–335, 366 2, 6, 13, 16, 28–30, 60, 180, 181, 243, 280, 327, 517, 552, 562 5, 7, 181, 182, 246, 249, 363, 403, 561, 562 182, 245, 249 182–186, 189, 191, 193, 195, 243, 496– 500, 509 183, 186, 189–191, 194, 280, 285 183, 189, 190, 412, 435, 497, 500, 501, 505, 508, 513 183, 186, 189–198, 243, 244, 280, 285, 299, 333, 497, 498, 502, 513, 562, 566 48, 182, 183, 186– 188, 199–201, 214, 218, 226, 237–250, 253, 257, 258, 262, 266, 274, 290, 291, 295, 298, 299, 310, 321, 372, 376, 497, 501, 509, 513, 561– 566, 573 181–184, 249, 250
596 29,43–44 29,43
29,44 29,45–46
29,45 29,46
30,1–10 30,1–5 30,1–3 30,1 30,4–5 30,6–10 30,6 30,7–10 30,7–8
30,7 30,8
30,9 30,10
30,11–16 30,12 30,13–15 30,14 30,15 30,16 30,17–21
Stellenregister 184, 250, 251, 262, 331 48, 182, 184, 249– 262, 265, 274, 277, 280, 289, 290, 373, 380, 402, 564 251, 253, 259, 260, 565 194, 250, 261, 262, 268, 272, 276–279, 295, 447, 566 184, 261–271, 274– 277, 290, 295, 565 184, 261, 262, 271, 275–280, 289, 290, 292–295, 414, 565, 566 30, 296–299, 327, 379 296–300, 314 300–302 296, 300, 314, 352 301–302 28, 60, 552 48, 297–313, 319, 320, 426, 555, 559 297, 299, 313, 379 2, 5, 30, 299, 300, 310–320, 324, 366, 379, 443, 453, 454, 553, 557, 559 315–318, 321, 362, 375, 556 38, 193, 299, 316, 317, 320, 321, 324, 556 30, 299, 321–324, 327, 379, 508, 509 30, 299, 300, 314, 324–328, 331, 335, 366 330, 337–343 337, 338, 342 338 339 339 339–343 234, 330, 332, 335
30,18 30,19–21 30,20 30,22–33 30,26–30 30,27 30,29 30,30 30,31 30,32 30,33 30,34–38 30,34 30,35 30,36 30,37–38 30,37 30,38 31,1–11 31,1–6 31,3 31,4–5 31,6–11 31,6 31,7–11 31,7–9 31,7 31,8 31,9 31,10 31,11 31,12–17 31,12 31,13 31,14–15 31,14 31,15 31,16 31,17 31,18 33,7–11
234 334 332, 333 329, 330 147, 259, 334, 354 335 334, 335, 354 355 337 331 331, 332 305, 315, 316, 329, 330 315, 329, 330, 443, 444 316 15, 305–315, 320, 331, 426 305, 316 331 331, 332 330, 337, 343, 349 343, 345 343 343 344 343, 344 345 344 344 345, 429, 430 345 345 344 14, 292–295, 330, 331, 336, 446, 476 293, 329, 330 292, 293, 330, 331, 336 332, 336 293, 294, 466 121, 293, 294, 332, 464, 465 293–295, 446, 447 293, 336, 446 15, 102, 220, 305, 503 384
Stellenregister 33,7–9 33,8–10 33,7 33,18 34,7 34,10–26 34,22 34,34–35 35,1–3 35,1 35,2 35,3 35,4 35,14 35,19 36,1–2 36,5–7 36,8–38 37,16 37,17–24 37,17 37,19–20 38,25–28 38,25 38,26 39,1–31 39,22 39,24 39,27–28 39,27 39,28 39,29 39,37 39,39 39,41 39,42–43 40,1–15 40,1 40,2–8 40,2 40,3–8 40,3 40,4 40,5–6 40,5 40,6 40,7
384 384 384 254 118 405, 409, 410 457 384, 385 349 24 464, 465 465 24 39 345 343 34 362 508 387, 395–398 430 395 339, 340 338 338 77, 349 78 78 77 126 126 77 429, 430 117 345 349 14, 334, 349, 355, 358, 360, 400 349 350, 357, 362, 364 350–352, 362 351, 354 351, 362 352, 353, 362–364 363 351 351, 352 351
40,8 40,9–15 40,9–11 40,9–13 40,9 40,10–11 40,10 40,11 40,12–15 40,13 40,16–33 40,16 40,17 40,18 40,19 40,20–21 40,20 40,23–25 40,22–23 40,23 40,24–25 40,25 40,26–27 40,26 40,27 40,29 40,30–32 40,33 40,34–35
40,34 40,35 40,36–38
597 351 350, 353–357 139, 335–355 139, 259 335, 356, 357 356 335, 357 335 355, 357 139 14, 349, 356, 358, 360, 364, 365, 399 360, 361 358 362 335 362 102 377 363 5, 363, 364 363, 364 5, 364 313 313, 362 5, 312–315, 362, 363 362, 363, 366, 373, 503 362 357, 361 231, 255, 264, 349, 358, 377, 383, 384, 406, 407, 519 264 264 349
Levitikus 1,1–2 1,1 1,2–17 1,2 1,3 1,5–6
520 231, 358, 383, 384, 406, 407, 410, 519 521, 523, 533, 535, 538 479, 480 123, 519 533
598 1,7–8 1,7 1,8 1,16 2,1–16 2,1–3 2,1 2,2 2,3 2,4–10 2,4 2,5–6 2,7 2,10 2,11–12 2,12 3,1–17 3,5 3,10 3,11 3,16 3,17 4,1–5,26 4,1–5,13 4,1–2 4,2 4,3–12 4,12 4,13–21 4,22–26 4,27–35 5,1–6 5,11–13 5,11 5,14–26 6,1–11 6,1–6
6,2–6 6,2 6,3–4 6,3 6,4
Stellenregister 533 40, 533 533 530 521, 435, 438, 444, 540 189, 523, 542 540, 541 540 435, 445, 542 523 189 189, 548 189 435, 542 436, 437 436 521 534 445 480, 482 480, 482 61, 164, 521 162, 166, 167 371, 522 520–522 162 162, 371 530 162 162 162 162 162, 435 435 522 524 14, 53, 192, 194, 403, 518, 523–525, 536–539, 562 523–527, 533, 552, 568 424, 525–529, 537, 569 125, 345, 526–529 125, 345, 526, 529– 533, 537 530, 532
6,5–6 6,5 6,6 6,7–16 6,7–11 6,7–8 6,7 6,8 6,9 6,9–11 6,10 6,11 6,12–16
6,12 6,13–16 6,13–14 6,13 6,14–15 6,14 6,15 6,16 6,17–23 6,17–18 6,18–23 6,19 6,20–23 6,23 7,1–7 7,8–10 7,8 7,9–10 7,11–21 7,15 7,17 7,22–27 7,26–27 7,28–36 7,30–36 7,30–31 7,31 7,32 7,34 7,35–36 7,35
526, 527, 530 526, 528, 532–538, 561, 568 535, 536 523, 524, 539 444, 524, 525, 539, 540, 544 542 541 541 542, 543 445, 523, 540, 542 437, 542, 543 543 14, 518, 524, 539, 544, 546, 549–552, 569 524, 539, 545 539, 545 547 545–547 546 548 545–550 539, 540, 547, 549 162, 173 521 523, 524 168 165 165 523, 524 523 538 523, 544 521 52, 160 160 521, 524 164 520, 521, 524 151, 152 150 151 151 152 152 151
Stellenregister 7,36 7,37–38 7,37 7,38 8,1–36 8,6–13 8,9 8,10–12 8,10–11 8,10 8,11 8,12 8,13 8,14–17 8,15 8,35–36 9,1–24 9,1 9,1–4 9,2 9,3–4 9,3 9,4 9,5–6 9,5 9,6–7 9,7 9,8 9,8–21 9,8–14 9,8–11 9,10 9,11 9,15–21 9,15 9,17
9,18–21 9,22–23 9,22 9,23–24
9,23
61 479, 519 520, 523 519 177 356 117 139, 140, 178, 356 356, 358 139, 356, 357 139, 178, 179, 356 139, 140 356 178 170, 178, 179 377 367 358, 367, 567 367 367 367 368 368 369 368 368, 370 369 369, 370 374 370 370, 371 370 371 372 168, 372 366, 367, 370–375, 399, 401, 503, 514, 568, 569 370, 372 374 374, 376 255, 257, 258, 260, 290, 368, 372, 376, 536, 570 255, 256, 367, 374– 378, 383, 389, 390, 399, 401, 569
9,24 10,1–3 10,1–2 10,1 10,2 10,3 10,9 10,10–11 10,10 10,11 10,12 10,17 14,10–20 14,49–53 16,2 16,3 16,4 16,11–17 16,13 16,18–19 16,18 16,20 16,22 16,23–24 17,7 17,11 19,5–8 19,5 19,7 19,8 21,6 21,8 21,17 21,21 21,22 22,1–16 22,3 22,17–25 22,19–21 22,19–20 22,20–25 22,21–25 22,25 22,30 22,31–33
599 256–258, 372, 380, 529, 536 70, 257, 258, 322, 378, 380 256, 323 315, 322, 323, 378– 381 256, 380 252, 256, 380 61, 505 406 105 105 530 118 175 168, 170 114 531, 532 125, 345 326 315 326, 327 325, 326 326 118 345, 532 61 163–166 124 123 124 124 481 481 481 481 481, 483 119–122 119 496 124 135 481 194 481 52 252
600 22,32 23,1–44
23,2–4 23,2 23,3
23,4 23,5 23,6–8 23,6–7 23,6 23,7 23,8 23,9–22 23,9–14 23,10 23,11 23,12–13 23,12 23,13 23,14 23,15–22 23,15–16 23,15 23,16 23,17 23,18–20 23,18 23,19–20 23,19 23,20 23,21 23,34–36 23,34 23,36 23,37–38 23,37 23,38 23,39–43 23,39 23,40–41
Stellenregister 252, 254 14, 403, 419, 455, 472, 474, 476, 552, 558 456, 458, 468, 486, 487 459, 462 421, 456, 463–467, 470, 474, 476, 487, 488, 516, 517, 552, 560 459, 463 489 456 489 458 466 489 490 435, 490 460 461 494 492 412, 435, 436 471 490 461 468 436, 490 436–439, 470, 490, 493 491–493 412, 436, 491–493 491 436, 492 436, 437 471 457, 458 458 467 456, 458, 467–470, 487, 538 412, 459, 469, 487 464, 469, 487 456–458 457 458
23,42 23,43 23,44 24,1–9 24,1–4 24,1 24,2–9 24,2–4
24,2–3 24,2 24,3–4 24,3 24,4
24,5–9
24,5 24,6–7 24,6 24,7 24,8
24,9 24,10–23 24,10–12 24,14 24,34–36 25,1–7 25,2–7 25,2 25,8–22 25,23–55 25,55 26,45
458 458 419 14, 403, 418–421, 472, 474, 476, 518 52 419, 424, 448 419 2, 386, 403, 419, 422, 424, 454, 462, 473–476, 517, 552, 553, 556, 558 403, 419, 423, 427, 430–432, 552 5, 13, 36, 38, 190, 420, 424–431, 434 5, 448, 449, 553, 555 52, 53, 393, 419, 424–431, 446, 558 419, 423–425, 428– 432, 441, 448, 453, 454 2, 26, 403, 419, 433, 450, 451, 474, 517, 552, 553, 559 433–441, 451, 560 433, 440 5, 433, 440–445, 448–453 5, 13, 433, 439, 443–445, 474 2, 4, 5, 430, 433, 438, 440, 445–453, 474, 553 433, 435, 437, 445, 448, 452 421, 422 420 420 456 421 421 421 421 422 422 414
Stellenregister 26,46 27,30 27,34
406–409, 418 121 406–409, 418
Numeri 1,1 1,2 1,45–46 1,49 3,1–4 4,2 4,5–14 4,7–8 4,7 4,9 4,13–14 4,15 4,16 4,19–20 4,22 5,1–4 5,2 5,15 6,15 6,24–27 7,1–89 7,1 7,2–9 7,12–17 7,84–88 7,88 7,89 8,1–4 8,1–3 8,1–2 8,1 8,2–3 8,2 8,3 8,4 8,5–26 9,1–14 9,12 9,15–23
359, 406–408, 411 338 338 338 45 338 449 449, 452, 559 14, 450, 508 39 536 114 14, 546, 547 114 338 236, 411 424 435 435 392 480 357–360, 381 358 358 381 381 231, 245, 248, 381– 386, 408, 411 2, 385, 386, 401 388, 399, 401 386, 400 385 5, 391–395 385–389, 392, 394, 557 386–390, 394, 396, 400, 570 386, 387, 395–398 148, 411 411 52, 53 264, 360
9,17 9,18 9,19 9,22 10,1–10 10,12 14,18–19 15,1 15,2–12 15,4–10 15,4–5 15,13–16 15,22–31 15,22 15,32–36 15,37–41 16,3 16,7 16,16–19 16,17 16,18 16,30–33 16,35 17,5 17,7 17,11 17,12 17,16–20 17,17–19 17,18 17,19 17,20 17,22–24 17,25 18,1–7 18,1 18,8–19 18,8–31 18,10–11 18,11 18,12–19 18,25–31 18,29 19,9 20,6 20,22–29 24,11
601 264, 372 264 168 264 360 264 118 414 189, 190, 412, 414, 435, 505–510, 513 412 436 413, 415 162, 167, 413 162 413, 415 413–415 306 315 323 315 315 323 323 94, 315, 322, 323 255, 312 315 315 306 306 306 306–312 306 306, 307 306–308 415 119 119, 122 416 120 119 119 119 120 531 252 75 254
602 27,1–11 27,12–23 27,15–17 27,21 28,1–30,1 28,1–2 28,2 28,3–8
28,3 28,5 28,6–7 28,6 28,7 28,8 28,9–10 28,9 28,10 28,11–15 28,11–14 28,11–13 28,14 28,15 28,16–25 28,17–18 28,18 28,23 28,24 28,26–31 28,26 28,27–31 28,27–30 28,27 28,28 28,30 28,31 29,1–38 29,1–6 29,2
Stellenregister 417 417 104 104, 105 14, 403, 416, 417 477, 478 424, 477–502, 506, 507, 513, 568 2, 5–7, 14, 403, 411, 417, 477, 478, 485, 488, 495, 503, 504, 509, 510, 513, 514, 517, 518, 552, 561, 562, 568 488, 496–501, 568 189, 190, 497, 500, 506 511 498–506, 511, 513, 567 497–500, 505–514, 568 498, 502, 507, 510 470, 488, 510, 515, 516 489, 567 510 488, 510, 516 511 510 510 511, 512, 515 488, 489, 511 489 492 514, 515 483, 512 488–491 490 492, 493 491 491, 492 493 492 493 494 494 485
29,5 29,6 29,7–11 29,11 29,19 29,29 29,39 30,1 30,2–17 34,2 35,2 36,13
497 499 494 325, 326 512 418 484–487, 493, 538 477 418 424 424 408, 409, 416
Deuteronomium 1,1–5 5,1 6,4–9 6,6 11,18–21 11,18 11,32 12,1 14,22–27 14,24–26 14,26 16,4 16,13–15 29,5 33,8 33,10
409 61 107 106 107 106 61 409 506 506 505, 506 52, 53 457 505 104, 105 104, 105
Josua 24,25
61
Richter 2,11–19
417
1 Samuel 28,6
105
2 Samuel 9,7–13
3
603
Stellenregister 2 Könige 4,9 25,29–30
Daniel 3 3
Jesaja 5,16
252
252 252 252 252 252 252 168–170 169, 171 170 169 169
Psalmen 148,6
61
Hiob 38,10
61
Ester 1,4
72
6 6 6 442
Esra 2,63
Ezechiel 20,41 28,22 28,25 29,27 36,23 38,16 43,18–27 43,26 45,18–20 45,18 45,20
8,11–13 11,31 12,11 14,1–22
105
Nehemia 7,65 10,33 10,33–34 10,34 10,35 13,31
105 341 341 341, 547 533 533
1 Chronik 13,11 16,40
2 2
2 Chronik 2,3 13,2–4 13,4–12 13,11 24,6 24,9
2 1 1 1, 2, 4, 13, 14, 441 341 341
Sirach 45,6–22 45,14
547 547
Sachregister Sachregister Abend 1, 2, 51-60, 64, 183, 191, 192, 430, 440, 444, 445, 472, 480, 481, 195, 282, 285, 286, 316– 320, 323, 503, 509, 518, 525–543, 548–552, 375, 390, 392, 427, 454, 501, 507, 561–563, 568–571 514, 515, 518, 535, 537, 548, 549, Brandopfer-Tamid 5, 16, 181, 182, 553, 568, 569 186–195, 200, 201, 237, 241, 243, Abgabe, תרומה32–35, 119, 151–153, 244, 261, 275, 279, 280, 285, 290, 262, 337–342, 346, 413, 547 292, 295, 316–318, 320, 331, 342, Altarfeuer 12, 197, 372, 481, 518, 525– 346, 348, 352, 360, 363, 366, 371, 537 373, 399, 401, 403, 417, 418, 447, Altarweihe 13, 28–30, 132, 134, 135, 477, 483, 485, 488, 494, 495, 498– 159, 168–180, 185, 186, 191, 325, 503, 507, 512–517, 535, 537, 548, 357, 358, 366, 381, 385, 479, 480, 550, 562–571 551 Brot des Angesichts 1–5, 12, 13, 25, ’anī JHWH-Aussage 261, 262, 271, 26, 28, 341, 352, 353, 364, 430, 275, 279, 285, 289, 292, 294, 565 433–435, 440–454, 474, 475, 516, Anordnung [des Brotes], מערכת1, 2, 547, 551, 559, 560 352, 353, 363, 440–443, 448, 547 Bundesformel 184, 261, 268, 269–278, 414, 565 bād-Gewänder 67, 125–127, 138, 333, 334, 345, 526, 531, 532 ʽedūt 15, 21, 45, 47, 49, 50, 60, 64, Begleitopfer 183, 189, 190, 195, 198, 101–103, 108, 131, 218, 220–226, 363, 373, 412– 414, 436, 469, 485, 230, 291, 303–312, 316, 319, 320, 491–500, 505–515, 548, 563, 569 344, 352, 362, 393, 394, 406, 426, beruhigender Duft, ריח ניחח143, 150, 427, 555– 560 174, 183, 195–200, 243, 244, 438, ’efod 66, 76–84, 87, 89–96, 100, 109, 483, 484, 491, 499, 501–507, 510, 111, 116–118, 553 513, 522, 539, 562, 563, 567 Eingang des Zelts (der Begegnung) 21, Brandopfer (ʽōlā) 1, 3, 6, 12, 14, 134, 25, 47, 70, 77, 79, 132, 136, 158– 143–147, 150, 153, 154, 174–177, 160, 180, 200, 201, 207, 233, 237– 186, 190–194, 197, 199, 200, 243, 249, 253 247, 249, 257, 265, 322, 367, 368, einjähriges Lamm 363, 368, 373, 412, 370, 372, 412, 485, 493, 502–517, 436 520–530, 532–539, 549, 552, 561– Elevation (tenūfā) 141, 148–153, 176, 198, 435–437, 493 568 Entschuldigungsopfer (’āšām) 119, Brandopferaltar 22–26, 29, 30, 40, 53, 60, 79, 119, 120, 125, 126, 132– 176, 196, 368, 435, 479, 520, 522– 134, 139, 140, 146– 154, 158–180, 524, 539, 543 Entsündigungsopfer (ḥaṭṭā’t) 134, 142– 183, 185–189, 191, 195, 197, 198, 150, 153, 154, 161–166, 178, 179, 201, 234– 245, 249, 251, 255– 260, 296, 300–302, 317, 322–328, 331– 191, 196, 238, 239, 325, 367–372, 335, 345, 348, 351–352, 356–360, 413, 435, 436, 485, 491–494, 511, 515, 520–524, 531, 539, 543 366, 369, 371–376, 381, 389, 399,
606 Erinnerung, זכרן45, 93–96, 99, 106, 109, 110, 122, 129, 131, 188, 212, 307, 308, 311, 318, 320, 339, 375, 415, 428, 473, 554, 556, 558, 567 Erkenntnisformel 184, 272, 274, 285 Exodusaussage 261, 276, 277, 285 Feinmehl (solæt) 183, 189, 190, 363, 412, 414, 434–438, 446, 492, 541, 542, 544, 548, 569 Festkalender 14, 403, 410, 412, 417– 419, 455, 456, 459, 460, 463, 465– 478, 486, 488–490, 493, 516–518, 551, 552, 558, 559 Festzeit, מועד55, 420, 455, 456, 459– 464, 466, 467, 469–475, 485–487, 558 Feuergabe, אשה10, 12, 13, 143, 150, 174, 175, 183, 195–200, 243, 244, 315, 333, 436, 438, 444, 445, 456, 468, 469, 472, 474, 477–491, 498– 506, 510, 512, 513, 522, 539, 543, 560, 562, 563, 567, 568 Gabe, קרבן10, 12, 13, 183, 198, 478– 487, 499, 502, 513, 515, 540, 545– 549, 560, 561, 563, 569 Gebotsformel 158, 177, 361, 369, 370, 400, 401, 570 Gedächtnisanteil, אזכרה189, 430, 435, 437, 438, 443, 444, 445, 451, 541, 549, 560 Gesalbter Priester 14, 44, 67, 77, 140, 141, 172, 298, 325, 371, 425, 427, 518, 524, 539, 545, 546–550, 552, 553, 561, 569 Goldener Altar / Räucheraltar 13, 30, 296–328, 351, 362, 366, 375, 377, 379, 390, 426, 443, 509, 551, 552, 555, 559, 560, 571 Goldener Tisch 1–5, 7, 12–14, 19–22, 25–28, 36, 40, 48, 49, 129, 231– 234, 300–303, 312, 335, 345, 348, 351–353, 362–366, 392–394, 403, 419, 421, 426, 430, 432, 433, 434, 437, 440– 454, 474, 508, 509, 516, 517, 533, 551–553, 557–560, 570, 571
Sachregister heilige Feiertage, מקראי קדש459, 462– 467, 470–476, 486, 488, 517 Heiligtumstora 2, 13–17, 19, 22, 25, 28, 31, 37, 40, 47, 50, 63, 79, 85, 103, 110, 136, 140, 154, 198, 200, 218, 220, 226, 229, 234, 248, 254, 255, 257, 259, 261–263, 265, 292, 293, 295, 296, 298, 305, 313–315, 324–331, 337, 338, 342, 344–349, 352, 354, 356, 362, 363, 365, 376, 377, 388, 398, 399–403, 410, 418, 419, 427, 446, 461, 476–478, 503, 517, 518, 538, 551, 552, 558, 561 Heiligtumsweihe 260, 348, 350, 358, 381, 382, 385, 399, 408, 565 Heilsgemeinschaftsopfer (zævaḥ šelāmīm) 123, 150, 151, 153, 160, 190, 196, 368, 370, 372, 412, 436, 469, 480, 482, 485, 491, 493, 506, 520–526, 534, 537 Herrlichkeit (kāvōd) 231, 253–260, 264, 265, 280, 282–286, 289, 290, 312, 331, 349, 358, 372, 373, 377, 380, 383, 384, 407, 536, 564, 566 ḥošæn 66, 76–84, 89–96, 100–111, 115–118, 122, 129, 130, 137, 553 Jom Kippur / Versöhnungstag 114, 118, 125, 162, 171, 178, 325–327, 345, 410, 455, 463, 467, 468, 490, 491, 494, 511, 531, 532 Kapporet 17–21, 28, 49, 50, 207, 218– 226, 230, 231, 241, 247, 248, 303– 305, 308–311, 335, 344, 362, 384, 385, 393, 411, 451, 452, 555, 559, 564 Keruben 17, 18, 20, 21, 49, 50, 201, 207, 222–227, 230, 231, 242, 248, 311, 382 Klassifikationsformel 143, 174, 199 Kultinauguration 191, 200, 348, 357, 360, 371, 381, 383, 398, 400, 408, 503, 514, 566, 569, 570 Lade 21, 22, 27, 28, 49, 102, 103, 201, 207, 218–226, 229–231, 235, 237, 241, 248, 266, 291, 300–305, 309,
Sachregister 313, 326, 335, 344, 345, 351, 362, 382, 393, 406, 451, 559, 563, 564 Lampen (der Menora) 1, 2, 13, 18, 35– 47, 52, 58– 60, 63, 64, 128, 317– 319, 352, 364, 375, 388–395, 398, 424, 428–431, 448, 473, 533, 556– 559 Landverheißung 97, 269–277, 414, 415, 565 Leuchte, מאור34, 36, 39, 42–46, 55–60, 427, 429, 431, 473, 556, 557 Leuchter-Tamid 5, 28–31, 36, 40, 44, 46, 49–54, 59–65, 128–131, 188, 190, 192, 193, 309, 316–320, 348, 352, 375, 386, 388–393, 399, 400, 403, 422, 425–432, 444, 454, 476, 552, 553, 556–558, 570 Licht 35–42, 54–60, 64, 130, 317–319, 389–394, 429, 431, 473, 476, 556, 557 Manna 45, 51, 53, 280, 286–292, 306– 308, 319–321, 437–440, 446, 560, 566 meʽīl 66, 76–79, 111–117, 122, 130, 137, 318, 375, 553, 554 Menora / Leuchter 1–3, 13, 17– 21, 26, 30, 32, 34, 36–42, 47–64 95, 129– 131, 187, 188, 231, 232, 298, 303, 309, 312, 316–321, 333, 345, 346, 348, 351–353, 360–366, 375, 377, 385–401, 418, 419, 424–434, 441, 444, 446, 448, 451–454, 473, 475, 477, 516, 533, 551– 560, 570 miškān 15, 19–25, 30, 47, 48, 78, 95, 136, 139, 226– 228, 232, 233, 251, 255, 259, 260, 263, 266, 304, 325, 326, 339, 340, 348–355, 356–359, 362, 364, 366, 377, 381, 383, 393, 441, 551 Modell, תבנית16, 17, 23, 24, 30, 396 Morgen 1, 2, 6, 51–55, 58–60, 64, 124, 160, 183, 189–195, 280, 282, 283, 285–290, 316– 323, 371, 375, 390, 392, 427, 445, 454, 473, 514–518, 526, 527, 529, 530, 535, 537, 548, 549, 552, 553, 556, 559, 566, 569
607
Öl / Olivenöl 13, 14, 31–42, 59, 62, 70, 139, 176, 178, 183, 188–190, 318, 331, 363, 412, 414, 424, 426, 428, 430, 434–438, 444, 523, 541, 542, 544, 546, 548, 558, 569 Opferkalender 7, 14, 403, 417, 418, 469, 477–503, 511, 513–518, 551, 552, 567 Opfertora 5, 190, 236, 368–370, 407, 410, 413, 417, 433, 478–480, 518– 524, 533, 551, 552, 568, 571 Parochet 21, 24, 47– 51, 78, 95, 162, 163, 172, 178, 207, 226–235, 291, 303–313, 339, 351, 382, 393, 394, 426, 428, 452, 508, 532, 555 Pesach 160, 193, 194, 359, 455, 456, 463 Priestergewänder 13, 14, 28–30, 46, 65–67, 72–83, 93, 101, 107, 109– 111, 117, 122, 125– 128, 131–134, 137, 138, 141, 147, 155–157, 177, 214, 336, 340, 343–349, 376, 414, 531, 532, 551, 553–558, 561 Priesterweihe 13, 28, 29, 52, 70, 132, 133, 135, 152, 156, 159, 161, 173– 180, 185, 186, 191, 256, 325, 350, 352, 356, 358, 359, 365, 366, 368, 373, 399, 544, 546, 551, 554, 571 Räuchern / Räucherkult 296, 298, 312– 316, 320, 323, 324 Räucherpfannen 298, 315, 323, 378, 379 Räucherwerk 1, 296, 300, 305, 308, 311, 312, 315, 316, 321, 322, 331, 337, 362, 366, 378, 379, 443, 509, 546, 559 Rauchopfer-Tamid 317, 324, 379 Raum 9, 11, 17, 18, 21, 22, 28, 36, 48– 50, 58–60, 78, 80, 95, 107, 109, 116, 129, 130, 136, 139, 201–217, 222– 249, 258–260, 300, 304, 305, 308–312, 318, 319, 340, 351, 352, 375–377, 382–385, 391, 393, 399, 403, 421, 422, 429, 430, 451, 452, 508, 509, 532, 552, 555, 558, 559, 563–566, 570–573
608
Sachregister
Ritualstil 5, 142, 177, 433 Rundbrot (ḥallā) 433–454, 474, 533, 547, 559, 560 Salböl 34, 133, 139, 147, 154, 159, 176, 178, 259, 329–334, 337, 345, 354 Schärpe (’abneṭ) 66, 67, 76–79, 138 Shabbat 2, 121, 286–288, 292– 295, 307, 330–332, 336, 341, 413, 438, 439, 445–448, 454, 460, 463–470, 472, 474–476, 484, 488, 510, 514– 517, 553, 559, 560 ṣīṣ 66, 76, 79, 117, 118, 120–124, 129, 131, 137 spacing 208–220, 222, 225, 228–230, 243–248, 266, 290, 303–305, 311, 319, 351, 365, 382, 383, 399, 452, 560 spatial turn 201, 202, 205, 206, 212 Speise [JHWHs], לחם480–483, 499, 506, 513, 568 Speiseopfer (minḥā) 14, 119, 123, 189, 190, 196, 197, 292, 299, 322, 341, 368, 370, 372, 412, 413, 434–439, 444, 445, 469, 470, 485, 492, 493, 497, 499–501, 505–512, 518, 520– 524, 530, 539–552, 560, 561, 568, 569 Syntheseleistung 208–211, 214–220, 225, 229, 239, 246, 305, 369 Theophanie 45, 221, 225, 226, 255– 258, 263–265, 305, 372, 378, 380, 401, 402, 410, 503, 570 Trankopfer (næsækh) 190, 197, 299, 322, 412, 436, 492, 497– 514, 568 tummīm 83, 101–109, 112, 113, 129 ungesäuerte Brote / Mazzen 135, 458, 471, 543 [Unter-]Hosen 61, 67, 125–127, 138, 531
ʼūrīm 83, 101–109, 112, 113, 129, 555 „vor JHWH“, לפני יהוה4, 25, 28, 29, 50, 51, 59, 64, 94–96, 99, 104, 107, 109, 110, 113, 115, 116, 122–124, 128– 131, 148–150, 157, 183, 188, 200, 201, 238–240, 255, 256, 285, 291, 318, 319, 326, 339, 340, 364, 375–378, 380, 384, 392, 424, 428, 431, 437, 440–442, 445–453, 473, 474, 554, 556, 558, 560 Vorhang (māsakh) 21, 47, 136, 207, 226, 228, 232–234, 237, 238, 241, 351, 383, 508 Vorhof 22, 25, 77–79, 116, 136, 232– 238, 240, 243, 249, 326, 340, 344, 345, 351, 383, 543, 544, 563 Waschvorrichtung, כיור114, 178, 234, 332, 333, 335, 344, 345, 351, 362 Weihrauch 13, 34, 305, 306, 308, 314– 316, 330, 430, 433–440, 443–445, 448–451, 474, 541, 549, 560 Weihrauchopfer 2, 3, 5, 12, 309, 312, 314, 317, 320, 362, 363, 375, 379, 553, 559 Wein 183, 190, 197, 412, 414, 436, 498, 505–507 Wohnen JHWHs ( )שכן184, 261–268, 274–290, 295, 565, 566 Zelt der Begegnung 22–25, 35, 47, 48, 50, 58, 78, 79, 126, 127, 130, 157, 158, 178, 201, 231, 234, 235, 238, 255, 256, 259, 306, 308, 309, 311, 318, 326, 332, 339, 344, 346, 352, 354, 368, 374, 376, 377, 381, 383, 384, 389, 390, 407, 410, 411, 426, 429, 461, 519, 552, 563, 570, 572 „zwischen den Abenden“, בין הערבים 183, 189–194, 283, 285, 289, 317, 318, 321, 566
Autorenregister Achenbach, R. Bail, U. Bal, M. Ballhorn, E. Bar-On, Sh. Bender, C. Dohmen, Ch. Eberhard, Ch. Fischer, G. Foucault, M. Gane, R. Geiger, M. George, M. Giddens, A. Haran, M. Hieke, Th. Houtman, C. Jacob, B.
Janowski, B. Jürgens, B.
391, 392 207 216 207 7 125, 170, 227 384 165, 195–198 226, 284 202, 206 7 207 206, 207, 235 210 235 11, 36, 38, 165, 253, 421 125 22, 32, 101– 103, 113, 115, 284 163, 165 191
Keel, O. Knierim, R.P. Krekel, R. Lefebvre, H. Löw, M.
Markl, D. Milgrom, J. Müllner, I. Otto, E. Propp, W.H.C RaMBaM RASCHI Rendtorff, R. Simmel, G. Soja, E. von Weizsäcker, C. F.
101 195 208, 226 203–208 207–215,217, 222, 226, 237, 246 226, 284 122, 123, 164, 165, 197 217 404–406, 410, 552 193 462 88, 251, 313, 394, 397 142 212, 213, 237 202–204, 206, 208 202